Bankenabwicklung und MREL 9783956471056, 9783956471063, 9783956471070, 9783956471087, 3956471059

Der Single Resolution Mechanism (SRM) ist die europäische Antwort auf die too-big-to-fail-Problematik von systemrelevant

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Table of contents :
Titel
Times, are they really changing?
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Einführung
Abwicklungsplanung in Europa
1 Einordnung und Abgrenzung
2 Motivation für die Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes
2.1 Ursachen der Finanzkrise
2.2 Ziele und Prinzipien des europäischen Abwicklungsregimes
3 Folgen der Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes
3.1 Unmittelbare Folgen aus der BRRD
3.1.1 Abwicklungsvoraussetzungen
3.1.2 Abwicklungsinstrumente
3.1.3 Abwicklungsbefugnisse
3.1.4 Abwicklungsplanung
3.2 Mittelbare Folgen aus der BRRD
3.2.1 Mittelbare Folgen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
3.2.1.1 Strategische Aspekte
3.2.1.2 Organisatorische Aspekte
3.2.1.3 Technische Aspekte
3.2.1.4 Rechtliche Aspekte
3.2.2 Mittelbare Folgen aus volkswirtschaftlicher Perspektive
3.2.2.1 Investoren
3.2.2.2 Kunden
3.2.2.3 Abwicklungsbehörde
3.2.2.4 Institute
Abwicklungsplanung im internationalen Kontext
1 Einleitung
1.1 Übersicht über die Breite des Spektrums
1.2 Unterschiedliche Herangehensweisen
2 Ausgewählte Schwerpunkte in anderen Jurisdiktionen
2.1 Schweiz: Holdingmodelle und Umbau der rechtlichen Einheiten
2.2 Großbritannien: Abwickelbarkeit und Ring-fencing
2.3 USA: Breite und Tiefe der Abwicklungsplanung
2.4 Kanada: Wechsel der Herangehensweise
3 Mögliche Schlussfolgerungen für die Abwicklungsplanung in Europa
Literatur
Rechtliche Rahmenbedingungen
Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa
1 Einleitung
2 Insolvenzrechtliche Regelungen für eine geordnete Abwicklung
2.1 Tradierte insolvenzrechtliche Vorschriften
2.1.1 Darstellung der geltenden Regelungen
2.1.2 Eignung des tradierten Insolvenzrechts für Kreditinstitute
2.2 Abgrenzung zur Abwicklung
3 Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute in Europa
3.1 Rechtliche Grundlagen
3.1.1 Harmoniertes Rahmenwerk nach BRRD
3.1.2 Regelungen nach der SRM-Verordnung
3.1.3 Umsetzung der europäischen Regeln in deutsches Recht
3.2 Abwicklungsverfahren im SRM
4 Fazit
Literatur
Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines
1 Hintergrund
2 Aufsichtsregime
2.1 SREP-Guidelines als Brücke zwischen CRR und BRRD
2.2 Mögliche Regulierungsregime eines Kreditinstituts
3 Risikotragfähigkeitsanalyse und Aufsichtsregime
4 Fazit und Ausblick
Literatur
Strategische Unternehmensanalyse
Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick
1 Einordnung in die aufsichtsrechtliche Abwicklungsplanung
2 Kernelemente der Strategischen Unternehmensanalyse
2.1 Organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen
2.2 Geschäftsmodell und operative Rahmenbedingungen
2.3 Verlustabsorptionskapazität und Separierbarkeit
3 Implikationen für die Abwicklungsstrategie
Literatur
Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation
1 Definition, Abgrenzung und Identifikation
2 Leitlinie zu Kritischen Funktionen des Single Resolution Boards (SRB)
2.1 Aufbau und Inhalt
2.2 Abgleich mit den Leitlinien des Financial Stability Boards (FSB)
3 Diskussionsgrundlagen
Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung
1 Hintergrund und Motivation
2 Kritische Personen
2.1 Notwendigkeit einer Governance
2.2 Funktionaler Ansatz gemäß bestehender Organisationsstruktur
2.3 Verzahnung zur Geschäftsfortführungsplanung
2.4 Verzahnung zur Institutsvergütungsverordnung
3 Kritische Prozesse
3.1 Kritisch in Form von Notwendigkeit zur Unterstützung
3.2 Prozessbezogener Ansatz am Beispiel des Pfandbriefs
4 Fazit und Ausblick
Literatur
Abwicklungsstrategien und -instrumente
Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Einordnung der Bestimmung der Abwicklungsstrategie in das SRB Resolution Framework
2.2 Anwendungsbereich der Abwicklungsstrategie
2.3 Definition der Abwicklungsansätze
2.3.1 Singulärer Abwicklungsansatz (SPE)
2.3.2 Multipler Abwicklungsansatz (MPE)
2.4 Definition der Abwicklungsinstrumente
2.4.1 Wandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital (Bail-in)
2.4.2 Unternehmensveräußerung
2.4.3 Brückeninstitut
2.4.4 Ausgliederung von Vermögenswerten (Vermögensverwaltungsgesellschaft)
3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsstrategie
3.1 Wechselbeziehung zwischen Abwicklungsansatz und Abwicklungsinstrumenten
3.2 Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes
3.3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsinstrumente
4 Anwendungsbeispiele
4.1 Anwendungsbeispiel 1: Kriseneintritt über ausländische Tochter
4.2 Anwendungsbeispiel 2: Marktbedingte systemweite Krise bringt Mutterinstitut in Schieflage
4.3 Anwendungsbeispiel 3: Marktweite Krise verursacht in einer Funktion hohe Verluste
5 Fazit
Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick
1 Einleitung
2 Rechtsquellen
3 Grundlagen
3.1 Technik, Formen und Funktionsweise des Bail-in
3.2 Haftungskaskade beim Bail-in
3.2.1 Allgemeines
3.2.1.1 Insolvenzrechtliche Verteilungsrangfolge als Referenzrahmen
3.2.1.2 Haftungskaskade des Bail-in als umgekehrte Insolvenzrangfolge
3.2.1.3 Verteilungskriterien innerhalb der Haftungskaskade
3.2.2 Stufen der Bail-in-Haftungskaskade
3.3 Von der Bail-in-Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten
3.3.1 Allgemeines
3.3.2 Kraft Gesetzes von der Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten
3.3.3 Einzelfallausnahmen aufgrund Ermessensentscheidung
3.3.3.1 Voraussetzungen
3.3.3.2 Auswirkungen
3.3.4 Zugriff auf Mittel aus dem Restrukturierungsfonds
3.3.4.1 Grundsatz
3.3.4.2 Ausnahme: Auffanglösung beim Bail-in
3.3.4.3 Voraussetzungen des Ausnahmefalls
3.3.4.4 Umsetzung der Beteiligung des Restrukturierungsfonds
3.4 Bewertungsfragen
3.5 Bail-in-Betrag, Umwandlungsquote
4 Zusätzliche (regulatorische) Hinweise
Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in- Instruments
1 Einführung und aufsichtliche Rahmenbedingungen
2 Grundlegende Prinzipien für die Entwicklung eines Reorganisationsplans
2.1 Bewusstsein und Verpflichtung
2.2 Glaubwürdigkeit
2.3 Angemessenheit
2.4 Konsistenz
2.5 Überwachung und Überprüfung
3 Entwicklung eines Restrukturierungsplans – ein konzeptioneller Vorschlag
3.1 Instrumente und Voraussetzungen für die Entwicklung des Restrukturierungsplans
3.2 Inhalt und Entwicklungsprozess
3.2.1 WS1: Scenarios
3.2.2 WS2: Historical Performance
3.2.3 WS3: Measures
3.2.4 WS4: New Business Model
3.2.5 WS5: Alternative Business Model
3.2.6 WS6: Definition of reorganisation strategy
3.2.7 WS7: Supporting Actions
4 Berichterstattung während der Restrukturierungsperiode
5 Fazit und Ausblick
Literatur
MREL versus TLAC – ein Überblick
1 Einleitung
2 MREL im Detail
2.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen
2.2 Methodik
2.3 Mindestanforderung
2.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben
3 TLAC im Detail
3.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen
3.2 Methodik
3.3 Mindestanforderung
3.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben
4 Vergleich von MREL und TLAC
5 Fazit
Literatur
MREL im Detail mit Fallstudie
1 Einleitung
2 SRB-Datenabfrage
2.1 Rahmenbedingungen und Anforderungen
2.2 Durchführungsplanung
2.3 Meldeformulare im Überblick
2.4 Möglichkeiten der Automatisierung
2.4.1 Datenbasis und -anreicherung
2.4.2 Datenverarbeitung
2.5 Befüllung der Meldeformulare
2.5.1 Formulare im Einzelnen
2.5.1.1 T00.01 – Identification of the Report
2.5.1.2 T01.00 – Liability Structure
2.5.1.3 T02.00 – Own Funds
2.5.1.4 T03.0x – Intragroup Data
2.5.1.5 T04.00 – Securities
2.5.1.6 T05.00 – Deposits, not covered and not preferential
2.5.1.7 T06.00 – Financial Liabilities
2.5.1.8 T07.00 – Derivatives
2.5.1.9 T08.00 – Secured Finance
2.5.2 Einzelinstituts- und Konzernmeldung
2.6 Validierung und Qualitätssicherung
3 Fazit
Literatur
MREL in der Gesamtbanksteuerung
1 Einleitung
2 Einordnung wichtiger Begriffe
3 Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung
4 Kennzahlensystem für die Gesamtbanksteuerung
5 Bilanz des Beispielinstituts
Literatur
Geschäftsbetrieb in Abwicklung
Finanzielle Kontinuität
1 Einleitung
2 Status quo des Liquiditätsrisikomanagements und der Funding-Planung des betroffenen Instituts bzw. der Institutsgruppe
3 Kurzfristiger Liquiditätsbedarf
4 Allgemeiner Funding-Plan
4.1 Prozess zur Durchführung der beschleunigten Funding-Planung
4.2 Verfügbare Funding-Instrumente
5 Informationsbereitstellung zu Sicherheiten
6 Fazit und Bedeutung der Abwicklungsstrategie
Literatur
Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung
1 Operationalisierung von Abwicklungsstrategien
2 Elemente der operativen Fortführung des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung
2.1 Identifikation von Schlüsselmitarbeiter
2.2 Notwendige IT-Systeme und FMI-Zugänge
2.3 Aufrechterhaltung externer Vertragsbeziehungen
3 Operationalisierung der Bewertung von Vermögensgenständen und Verbindlichkeiten
3.1 Anforderungen der Abwicklungsplanung an die Bewertung
3.2 Rollenkonzept für die Bewertung während der Abwicklung
Literatur
Operationalisierung einer Abwicklung – Communication
1 Einleitung
2 Widerstand und Kommunikation
3 Kommunikation durch Passivität
4 Kommunikationsprozess
5 Kommunikationsverantwortlichkeiten
6 Veränderungsziele und Storytelling
7 Kommunikationsinstrumente
8 Fazit
Literatur
Bankenabwicklungen in der Vergangenheit
Fallstudie WestLB
1 Einleitung
2 Strategische Unternehmensanalyse der WestLB vor der Abwicklung
3 Niedergang der WestLB und ihre Auslöser
4 Abwicklung
4.1 Angewendete Abwicklungsinstrumente
4.2 Strategische Umsetzung
4.2.1 Verbundbank für die Sparkassen
4.2.2 Erste Abwicklungsanstalt
4.2.3 Portigon AG
5 Bewertung des Falls vor dem Hintergrund aktueller Regulatorik zur Abwicklung
Literatur
Fallstudie zur Abwicklung der Hypo Real Estate Group
1 Einleitung
2 Strategische Unternehmensanalyse der HRE vor der Abwicklung
3 Der Niedergang der HRE und seine Ursachen
4 Abwicklung der HRE
5 Fazit
Literatur
Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung
1 Einleitung
2 Theorie der Bankenabwicklung
2.1 Bankenabwicklungsrichtlinie und Bankenunion
2.2 Staatliche Rettung der Bankengläubiger als Normalfall in der Finanzmarktkrise
2.3 In der Theorie – Bankenabwicklung grundsätzlich ohne staatliche Unterstützung
2.4 Ausnahme zu den neuen Regeln der Bankenabwicklung
2.5 Supranationale Behörden im Euro-Raum
2.6 Prävention vor der Rettung
2.7 Abwicklungsvorbereitung in der Theorie
3 Praxis der Bankenabwicklung
3.1 Erste Bewährungsproben in der Praxis
3.2 Praxis der Bankenaufsicht bei der EZB
3.3 Wirtschaftsprüfer der notleidenden Banken in der Praxis
3.4 Praxis der Abwicklung der spanischen BPE
3.5 Präventivmaßnahmen versus politischer Druck
4 Fazit
Literatur
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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite III Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

A. Igl M. Krüger C. Stepanek S. Warnecke (Hg.)

Bankenabwicklung und MREL

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite IV Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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978-3-95647-105-6

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978-3-95647-106-3

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978-3-95647-107-0

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978-3-95647-108-7

1. Auflage 2018 © Frankfurt School Verlag | efiport GmbH, Adickesallee 32-34, 60322 Frankfurt am Main

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite V Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Times, are they really changing? Die europäische Integration ist kein stetiger, konfliktfreier Prozess der Übertragung nationaler Souveränität auf supranationale Organe der Europäischen Union (EU). Sie vollzieht sich vielmehr in Sprüngen, bei denen sich Integrationsfortschritte mit -krisen abwechseln und die Unterstützung in der Bevölkerung ebenfalls großen Schwankungen unterliegt. Sahen im Frühjahr 2007 – also vor Beginn der Finanzkrise – 69% der Befragten die Zukunft der EU noch total optimistisch und nur 24% total pessimistisch, waren die beiden Werte im Herbst 2011 quasi deckungsgleich (48 versus 46%). Auch beim Ansehen der EU näherte sich das Verhältnis von ursprünglich 52% (insgesamt positives Bild) zu 15% (insgesamt negatives Bild) auf jeweils 30 bzw. 29% im Herbst 2012 an.1 Dies war auch eine Folge der Finanz- und später der Staatsschuldenkrise, die sich ab Anfang 2010 besonders drastisch in Griechenland, Portugal und Irland manifestierte und schließlich zur Ergreifung verschiedener Stützungsmaßnahmen seitens der restlichen Euro-Länder, aber auch der EU als Ganzes führte; hier sind zu nennen die Transferzahlungen des European Financial Stabilisation Mechanism (EFSM) aufgrund Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie die Gewährung von Krediten an die Krisenländer über die von den Euro-Staaten getragene Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) bzw. ab Oktober 2012 durch ihren Nachfolger, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Vorher waren bereits im Rahmen der Finanzkrise auf nationaler Ebene in vielen Staaten der EU einige notleidende, systemrelevante Banken mit Steuergeldern rekapitalisiert, deren Liquiditätsengpässe durch staatliche Garantien für ihre neu emittierten Bankschuldverschreibungen behoben und in Deutschland im Falle der ehemaligen WestLB bzw. HRE so genannte toxische Assets von deren Bilanzen auf eigens zu diesem Zweck gegründete Bad Banks übertragen worden. Der Zeitraum 2010 bis 2012 war damit zunächst durch starke europäische Solidarität beim Krisenmanagement geprägt. Dies war allerdings auch darin begründet, dass verschiedene Euro-Länder durch das Exposure ihrer heimischen Banken gegenüber Griechenland bzw. anderen europäischen Peripheriestaaten bei einem Nichthandeln einen ähnlichen Flächenbrand befürchten mussten wie bei der damals gerade erst einigermaßen unter Kontrolle gebrachten Finanzkrise. Insbesondere in denjenigen Staaten, in denen die dortigen Banken später die entsprechenden Exposures abgebaut hatten, brachen dann aber massive Verteilungsdiskussionen innerhalb der politischen Elite wie auch innerhalb

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Europäische Kommission: Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, in: StandardEurobarometer 87, Frühjahr 2017, Brüssel, Mai 2017, S. 19, 23.

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Times, are they really changing?

der breiten Öffentlichkeit aus, wer eigentlich „die Zeche“ zahlen sollte, wenn die durch EFSF und ESM unterstützten Staaten – und dahinter stehend typischerweise sich in Schwierigkeiten befindliche Banken – in der Zukunft nicht in der Lage sein sollten, diese Unterstützungsleistungen zurück zu zahlen. Mittlerweile hat sich die Situation in vielerlei Hinsicht beruhigt (zumindest was die Finanz- und Staatsschuldenkrise betrifft) und die Unterstützung der EU in der Bevölkerung hat zwar (noch) nicht wieder die Werte von 2007 erreicht, bei den beiden genannten Fragen betrugen sie im Frühjahr 2017 jedoch bereits 56 versus 38 und 30 versus 21%.2 Zur Beruhigung beigetragen haben auch die im Wesentlichen bereits in den Jahren 2010 bis 2012 vorbereiteten, teilweise aber erst 2016 umgesetzten Maßnahmen im Rahmen der Bankenunion, um einerseits die Wahrscheinlichkeit des Eintretens künftiger Finanzkrisen zu verringern (präventive Komponente) und andererseits beim tatsächlichen Eintreten einer solchen Krise die Krisenauswirkungen zu minimieren (korrektive Komponente). Verbunden mit diesen Maßnahmen waren die politischen Versprechen, einerseits den nationalen Steuerzahler nicht mehr für Kosten von Krisen aufkommen zu lassen, die von grenzüberschreitend agierenden Banken verursacht wurden. Andererseits sollte mit der Übertragung der Aufsichtskompetenz über CRR-Institute (Capital Requirements Regulation) auf die Europäische Zentralbank (EZB) im Rahmen des Single Supervisory Mechanism (SSM) und der Errichtung des Single Resolution Mechanism (SRM) zumindest in der Euro-Zone Haftung und Kontrolle in der Bankenaufsicht und Bankenabwicklung in Einklang gebracht werden. D.h., Krisenkosten, die durch Entscheidungen auf europäischer Ebene verursacht werden, sollen künftig auch von dieser Ebene getragen werden. In der Zwischenzeit werden aufgrund der Ereignisse in Italien, insbesondere bezüglich der Entscheidung des Single Resolution Board (SRB), sich im Fall der beiden venezianischen Banken Veneto Banco und Banca Populare di Vicenza für nicht zuständig zu erklären, und aufgrund der Entscheidung der italienischen Regierung, nun doch wieder Steuergelder zur Stabilisierung dieser beiden Institute und darüber hinaus noch für die angeschlagene Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS) einzusetzen, von Teilen der Politik Zweifel am Willen der Umsetzung des ersten oben genannten Versprechens erhoben. Hinzu kommt eine – aus Sicht dieser Kritiker – zweifelhafte Rolle der EU-Kommission, die eine solche staatliche Unterstützung als in Einklang mit bestehenden EU-Beihilfevorschriften „durchgewunken“ hat.

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VI

Europäische Kommission: Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, in: StandardEurobarometer 87, Frühjahr 2017, Brüssel, Mai 2017, S. 19, 23.

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Times, are they really changing?

Das Beihilferecht verlangt nach der relevanten Bankenmitteilung der Kommission aus dem Jahr 20133 zwar, dass vor staatlichen Stützungsmaßnahmen für Kreditinstitute tatsächlich private Anteilseigner, Hybridkapitalgeber und Besitzer nachrangiger Schuldverschreibungen (Junior Bonds) an der Lastenverteilung zur Abwendung einer Insolvenz beteiligt werden. Art. 42 dieser Mitteilung sieht aber gerade keinen Beitrag der vorrangigen Gläubiger (insbesondere der Inhaber von abgesicherten Einlagen, nicht abgesicherten Einlagen, Anleihen und allen sonstigen vorrangigen Verbindlichkeiten) vor. Im Falle der beiden Regionalbanken Veneto Banca (28 Mrd. EUR Bilanzsumme Ende 2016) und Banca Populare di Vicenza (knapp 35 Mrd. EUR Bilanzsumme) hatte die EZB als jeweils zuständige Aufsichtsbehörde zunächst die Grundvoraussetzung für einen europäischen Abwicklungsfall geschaffen, indem sie für beide einen failing-or-likely-tofail-Status (FOLTF) aufgrund von Art. 18 Abs. 4 Buchst. c der SRM-Verordnung erklärt hatte. Durch die Erklärung der Nichtzuständigkeit des SRM wegen eines fehlenden öffentlichen Interesses an einer europäischen Abwicklung galten in der Folge nationales Insolvenzrecht und damit die Bestimmungen eines von der italienischen Regierung im Dezember 2016 erlassenen entsprechenden Dekrets.4 Auch wenn bei der MPS im Gegensatz zu den beiden venezianischen Banken vom in der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) explizit vorgesehenen Instrument der vorsorglichen Rekapitalisierung Gebrauch gemacht und damit ein FOLTF-Status vermieden wurde, gleichen sich in der Folge die Bestandteile der einzelnen Rettungspakete: Aktionäre und Besitzer von Junior Bonds verloren zumindest z.T. ihr eingesetztes Kapital (wobei Kleinanleger im Besitz von Junior Bonds aber vom Staat für den Großteil der Verluste entschädigt wurden), Besitzer von Senior Bonds wurden nicht an den Kosten der Abwicklung beteiligt (im Fall der venezianischen Banken waren davon aber nach Expertenschätzungen ohnehin um die 70% staatlich garantiert!), und beträchtliche, leistungsgestörte Teile des jeweiligen Kredit-Portfolios (Non-Performing Loans (NPL)) wurden mit Wertabschlägen von etwa 70% an dritte Parteien verkauft, auch an den staatlichen Krisenfonds Atlante. Schließlich gingen die „gesunden“ Teile der venezianischen Banken an die Intesa Sanpaolo, welcher staatliche Garantien bis zu 12 Mrd. EUR für die Finanzierung des Ankaufs der Liquidationsmasse zur Verfügung gestellt wurden.5 Entsprechende politische Reaktionen, insbesondere aus Deutschland, ließen nicht lange auf sich warten: Wenn in Italien die Regeln der Gläubigerbeteiligung bei bedeutenden

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5

2013/C 216/01. European Commission: State aid: Commission approves aid for market exit of Banca Popolare die Vicenza and Veneto Banca under Italian insolvency law, involving sale of some parts to Intesa Sanpaolo, Presseerklärung v. 25.06.2017. Börsenzeitung v. 27.06.2017, S. 4.

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Times, are they really changing?

Bankinsolvenzen nicht, wie vom europäischen Gesetzgeber intendiert, angewendet würden, wie könnten dann Forderungen nach weiteren Vergemeinschaftungen von Bankrisiken, etwa bei der Einlagensicherung, unterstützt werden?6 Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade Italien in Zukunft anfällig gegen weitere Bankenkrisen sein dürfte, da die dortigen Banken ein massives Problem mit NPL aufweisen. Auf der anderen Seite hat der SRB mit den ergriffenen Krisenmaßnahmen im Falle der Banco Popular exakt nach den Erwartungen der obigen Kritiker agiert. Einem FOLTFBeschluss der EZB folgend wurde als Krisenmaßnahme die komplette Abschreibung des gesamten Kernkapitals und die Umwandlung des Ergänzungskapitals in neue Aktien beschlossen, die zum Wert von 1 EUR pro Aktie von der Banco Santander gekauft wurden.7 Damit wurde in der Tat erstmals eine Bank ohne Einsatz von Steuergeldern nur auf Kosten seiner Eigentümer und (nachrangigen) Gläubiger abgewickelt.8 Herrscht hier also tatsächlich offensichtliche politische Willkür? Zumal ja während der Krise 2013 in Zypern von der dortigen Regierung erstmals – für die Anleger schmerzhaft und unerwartet – das eigentlich erst mit Inkrafttreten der BRRD vorgesehene Instrument des Bail-in auch auf Senior Bonds und (größere) Einlagen angewendet wurde,9 von der italienischen Regierung aber offensichtlich bewusst gerade nicht. Um diese Frage beantworten zu können, kommt man nicht umhin, sich intensiver mit der BRRD, einem der komplexesten Regelwerke der EU, zu beschäftigen. Mit der BRRD wurden in der EU für alle Mitgliedstaaten gleiche Grundregeln für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten eingeführt. Dazu gehören u.a. die Errichtung einer Abwicklungsbehörde in den jeweiligen Mitgliedstaaten, deren (Ex-ante-) Finanzierung aus Beiträgen der „beaufsichtigten“ Banken, die Definition möglicher Abwicklungsmaßnahmen, Mindestanforderungen zu bail-in-fähigen Verbindlichkeiten (MREL) sowie Regeln zur grenzüberschreitenden Kooperation der Abwicklungsbehörden. Die Richtlinie zeigt auch, dass eine gruppenweite Abwicklung über mehrere Ländergrenzen hinweg kein einfaches Unterfangen ist. Hier gilt es, die einzelnen zuständigen Ab-

6 7

8

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VIII

Börsenzeitung v. 27.06.2017, S. 4. Single Resolution Board: Notice summarising the effects of the resolution action taken in respect of Banco Popular Espanol pursuant to Article 29(5) SRMR, Brüssel, 07.06.2017. Rank, Ralf: Banco Popular – Lehrstück für den CoCo-Markt, in: Börsenzeitung v. 13.07.2017, S. 4. Vgl. hierzu ausführlich Charalambous, Pania: A bad ‚haircut‘ is not easily forgotten, in: Financial regulation international, Ausgabe 16.09.2013, S. 3-8.

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Times, are they really changing?

wicklungsbehörden an einen Tisch zu bringen und letztendlich eine für alle Beteiligten akzeptable Entscheidung zu fällen. Eine solche Entscheidung muss sich auch auf die Aufteilung der Kosten der Finanzierung der Krisenmaßnahmen auf die einzelnen betroffenen Mitgliedstaaten der EU beziehen, es sei denn, es steht wie im Fall des SRM ein europäischer Krisenfonds zur Verfügung. Die BRRD sieht entsprechend ein europäisches System von Finanzierungsmechanismen vor, welches nationale Finanzierungsmechanismen, die Kreditaufnahme zwischen nationalen Finanzierungsmechanismen sowie die gegenseitige Unterstützung nationaler Finanzierungsmechanismen im Falle einer Gruppenabwicklung vorsieht. Auch die European Banking Authority (EBA) spielt hierbei eine vermittelnde Rolle; sie hat eigens für diese Problematik gemäß Art. 127 BRRD einen Abwicklungsausschuss eingerichtet. Auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips sind in die entsprechenden Bestimmungen der BRRD bzw. der SRM-Verordnung auch bewusst bestimmte Ermessensspielräume und Ausnahmeregelungen aufgenommen worden, die eine staatliche Unterstützung in Krisensituationen (Bail-out) unter bestimmten Bedingungen nach wie vor ermöglichen. Diese hat sich die italienische Regierung im Falle der genannten Bankenkrisen zunutze gemacht.10 Gefragt nach den wichtigsten Projekten der europäischen Integration der letzten 20 Jahre würde einem zunächst nicht unbedingt die Errichtung des SRM einfallen. Bei genauerer Betrachtung ist dies jedoch nicht gerechtfertigt, denn die Übertragung nationaler Souveränität auf dessen oberstes Entscheidungsgremium, den SRB, der über die Verwendung der Mittel eines aus Beiträgen der vom SSM beaufsichtigten Banken gespeisten, supranationalen Stützungsfonds (Single Resolution Fund (SRF)) entscheidet (bzw. zumindest Kommission und Rat relevante Vorschläge über die Verwendung unterbreitet), hat ähnliche Ausmaße wie die Übertragung der Zuständigkeit der Bankenaufsicht über CRR-Institute auf die EZB. V.a. aber macht der SRB wie kaum eine andere Behörde in der EU deutlich, wie komplex das Regieren und Agieren im politischen Mehrebenensystem der EU im Bereich Bankenaufsicht und -abwicklung mittlerweile geworden ist. Die Errichtung des SRM beruht rechtlich auf einer entsprechenden Verordnung aus dem Jahre 2014, die am 01.01.2016 in Kraft getreten ist.11 Inhaltlich beruht die SRM-Verord-

10

11

Vgl. hierzu ausführlich Binder, Jens-Hinrich: Systemkrisenbewältigung durch Bankenabwicklung? Aktuelle Bemerkungen zu unrealistischen Erwartungen, in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, Heft 2, 2017, S. 57-71. Verordnung (EU) Nr. 806/2014.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite X Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Times, are they really changing?

nung auf der BRRD. Das höchste Entscheidungsorgan der Abwicklungsbehörde der Euro-Zone, der SRB, ist in ein kompliziertes Kooperations- und Entscheidungsgeflecht auf europäischer Ebene eingebunden. Er interagiert mit der EZB in der Frage, ob ein bestimmtes Institut bzw. eine Institutsgruppe überlebensfähig ist oder nicht, steht der EZB beratend bei der Einschätzung der von den Instituten vorgelegten Sanierungspläne zur Seite und holt umgekehrt die Meinung der EZB bei den darauf aufbauenden Abwicklungsplänen ein. Der SRB interagiert mit anderen europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission und dem Europäischen Rat, wenn es darum geht, Abwicklungsmaßnahmen zu ergreifen und diese aus den Mitteln des SRF zu finanzieren, da aus EU-rechtlichen Gründen nicht er, sondern nur die Kommission eine entsprechende Entscheidung treffen darf; seine Finanzierung hängt von einer intergouvernementalen Vereinbarung ab, in der präzise geregelt ist, wann welche Teile der nationalen Abwicklungsbudgets in den gemeinsamen europäischen SRF überführt werden.12 Zuletzt hat sich in den letzten Jahren auch die EBA als wichtiger Player im Bereich Sanierung und Abwicklung ins Spiel gebracht, indem sie verschiedene Guidelines und Recommendations sowie Regulatory und Technical Standards (RTS und ITS) zum Thema verabschiedet hat. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten schließlich sind deren nationale Abwicklungsbehörden für die Umsetzung von SRB-Beschlüssen verantwortlich. Neben den Entwicklungen in Italien und Spanien, welche das europäische Bankensanierungs- und -abwicklungsregime in einen größeren politischen Kontext gestellt haben, gibt es (mindestens) zwei weitere Entwicklungen, die eine vertiefte Befassung mit diesem Regime just zu diesem Zeitpunkt, so wie es der vorliegende Sammelband tut, angemessen erscheinen lassen: • Erstens wird in Deutschland das Institutionengefüge hinsichtlich der Bankenabwicklung grundlegend neu geordnet. Die Bundesrepublik Deutschland war hier Frontrunner, d.h., sie hat mit der zunächst auf Grundlage des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStG) errichteten und später aufgrund des Restrukturierungsgesetzes (RStruktG) mit erweiterten Aufgaben ausgestatten Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) bereits vor Inkrafttreten der BRRD eine entsprechende Behörde errichtet, die auf den genannten gesetzlichen Grundlagen federführend für Krisenmaßnahmen zur Stabilisierung des deutschen Finanzsektors nach Ausbruch der Finanzkrise verantwortlich war.

12

X

Vgl. hierzu ausführlicher Bundesministerium der Finanzen: Die europäische Bankenabwicklung – aktuelle Herausforderungen, in: Monatsbericht des BMF, Mai 2017, S. 10-18.

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Dazu gehörten neben Garantien für von Banken ausgegeben Schuldverschreibungen auch die Übertragung von Vermögensgegenständen der ehemaligen WestLB bzw. HRE auf entsprechende Abwicklungsanstalten (Bad Banks). Ergänzend hierzu wurde mit dem Restrukturierungsfondsgesetz (RStruktFG) z.B. ein von der FMSA verwalteter Restrukturierungsfonds errichtet, mit dessen Hilfe die Gründung potenzieller Brückeninstitute finanziert werden sollte. Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSANeuOG) verlor die FMSA seit dem 01.01.2018 ihren bisherigen Umfang an organisatorischer Selbständigkeit, da ihre für den Aufgabenbereich „Bankenabwicklung“ zuständigen Mitarbeiter in den von einem eigenen Exekutivdirektor geleiteten neuen Geschäftsbereich „Abwicklung“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) eingegliedert wurden. Mit dieser Lösung soll trotz der formalen Auflösung der FMSA den Anforderungen der BRRD an die operative Unabhängigkeit der Abwicklungs- von den Aufsichtsfunktionen ausreichend Rechnung getragen werden. • Zweitens hat auf „technischer“ Ebene die EU-Kommission Ende November 2016 einen umfangreichen Vorschlag zur Überarbeitung der Capital Requirements Directive IV (CRD IV) sowie der CRR vorgelegt, mit dessen Hilfe auch die bereits mit der BRRD grundsätzlich eingeführten Vorgaben zu MREL (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities) konkretisiert und mit den ausschließlich für global systemrelevante Institute geltenden TLAC-Vorschriften (Total Loss-absorbing Capacity) in Einklang gebracht werden sollen.13 Das MREL-Konzept soll sicherstellen, dass Institute nicht nur genügend Eigenmittel für den Going-Concern-Fall vorhalten, sondern im Gone-Concern auch ausreichend zusätzliche Verbindlichkeiten, die dann in Eigenkapital umgewandelt bzw. bilanztechnisch heruntergeschrieben werden können, um z.B. systemrelevante Aktivitäten in einer gesunden neuen Bank fortführen zu können. Mit der geplanten Einführung der neuen Haftungsklasse „Non-preferred senior“ könnte es in diesem Zusammenhang auch zu einem Revival so genannter Tier-3-Instrumente kommen, deren Anrechenbarkeit für die Eigenmittelunterlegung unter Basel III ein jähes Ende fanden.

13

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, COM(2016) 850 final v. 23.11.2016.

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Weiterhin soll auch die Möglichkeit der Institute eingeschränkt werden, bail-in-fähige Finanzinstrumente anderer Institute auf der Bilanz zu halten. Dies ist eminent wichtig, denn ansonsten wäre es schwer vorstellbar, dass das Instrument der Bankenabwicklung unter Anwendung der Bail-in-Regeln tatsächlich geeignet sein soll, systemische Krisen abzufedern. Ohne eine solche Einschränkung erschiene die Erreichung dieses Ziels etwa so erfolgversprechend wie eine Subventionspolitik, bei der reihum aus der Tasche des einen Unternehmens die Tasche des nächsten Unternehmens gefüllt wird (über staatliche Umverteilung), bis man wieder beim ersten Unternehmen angekommen ist. Die Bankenabwicklung ist deshalb bislang zwar ein vielversprechendes Instrument für die Sanierung systemrelevanter Teile einer einzelnen Bank oder einiger weniger Banken zur gleichen Zeit, nicht jedoch ein Breitbandantibiotikum in einer Systemkrise. Auch dies gilt es zu berücksichtigen, wenn man die Frage diskutiert, ob der Übergang vom Bail-out zum Bail-in tatsächlich gelungen ist und ob sich die Zeiten insoweit auch tatsächlich geändert haben. Politisch wird sich hier zudem die Frage stellen, inwieweit bei der Umsetzung der novellierten BRRD Spielraum für Ausnahmeregelungen bezüglich kleinerer Institute bzw. Institute im Haftungsverbund (Sparkassen und Genossenschaftsbanken) besteht und inwieweit dieser Spielraum auch tatsächlich genutzt wird. Der vorliegende Sammelband legt den Schwerpunkt nicht auf die Darstellung und Problematisierung der oben angerissenen Gesamtzusammenhänge und politischen Herausforderungen der europäischen Abwicklungs- und Sanierungsregeln. Insofern wird in diesem Geleitwort explizit eine zum Inhalt der Einzelbeiträge ergänzende Perspektive eingenommen, die mehr auf die grundsätzlichen, fundamentalen Änderungen im europäischen und in den nationalen Abwicklungsregimen seit Ausbruch der Finanzkrise abstellt. Zwar werden Teilaspekte dieser Zusammenhänge in Teil 1 des Werks dargestellt, auch unter vergleichender Perspektive mit anderen Jurisdiktionen; allerdings konzentrieren sich die Beiträge jedoch vielmehr auf die für einzelne Institute bzw. Institutsgruppen genauso wie für Bankaufsichts- und Abwicklungsbehörden wichtigen technischen Einzelheiten, z.B. der Bestimmung MREL-fähiger Verbindlichkeiten, der Bewertung, ob bei den entsprechenden Instituten bzw. Institutsgruppen noch Abwicklungshindernisse bestehen und wie diese ausgeräumt werden könnten, und der Beschreibung der Schwierigkeiten, die auftreten können, wenn von dem bereits erwähnten Bail-in-Instrumenten Gebrauch gemacht werden soll, insbesondere bei grenzüberschreitend tätigen Institutsgruppen (Teile 2 bis 4). Schließlich berichtet Teil 5 über Erfahrungen mit Bankenabwicklungen in Deutschland aus der Zeit noch vor Inkrafttreten der BRRD.

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Abschließend sollte bereits aus den bisherigen Ausführungen hervorgegangen sein, dass der SRB durchaus nicht, wie von einigen Kritikern befürchtet, als „vorhersehbar beschäftigungslos“ bezeichnet werden kann.14 Er spielt bezüglich seiner Relevanz aber auch noch nicht wirklich – in Anspielung auf seine Vorsitzende – in der „Königsklasse“– dafür hat er einfach noch zu wenig Spielpraxis. Frankfurt am Main, im März 2018

14

Dr. Thomas Dietz

Dübel, Hans-Joachim: Der SRB – vorhersehbar beschäftigungslos, in: Börsenzeitung v. 09.05.2017, S. 4.

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Vorwort „Die Bilanz, die wir aus den jüngsten Krisenfällen ziehen können, fällt ambivalent aus. Gewiss können wir erleichtert sein, dass vier Bankenschieflagen ohne weitreichende Konsequenzen bewältigt worden sind und marode Banken aus dem Markt austreten konnten. Gleichzeitig müssen wir aus den jüngsten Fällen Schlüsse ziehen, um die Bankenunion weiter zu stärken.“1 Ein durchaus kritisches Resümee zieht Andreas Dombret, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, zum Umgang mit vier Großbanken im Euro-Raum, nachdem diese im Juni bzw. Juli 2017 jeweils in Schieflage geraten sind. Im Rahmen der europäischen Bankenunion bilden seit Ende 2014 die Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)2 und die Single-Resolution-Mechanism-Verordnung (SRM-Verordnung)3 die zentralen Rahmenbedingungen für insolvenzgefährdete Institutsgruppen in der Europäischen Union (EU). Zielsetzung dieser zweiten Säule der Bankenunion ist die Schaffung eines erweiterten Maßnahmenkatalogs für die zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden, um insbesondere große, stark vernetzte und systemisch wichtige Banken nach nationalem Insolvenzrecht zu liquidieren oder anderenfalls abzuwickeln. In beiden Fällen sollen die negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sowie die Steuerzahler möglichst gering ausfallen. Der Umgang mit den vier im Euro-Raum in Schieflage geratenen Institutsgruppen war sehr unterschiedlich. Die Banco Popular Español wurde nach den neuen europäischen Abwicklungsregeln abgewickelt (Juni 2017). Für die seit längeren unter Beobachtung stehende Monte dei Paschi di Siena erfolgte eine vorbeugende Rekapitalisierung durch den italienischen Staat, so dass hier ein Ausnahmefall vor Feststellung des failing-orlikely-to-fail-Zustands zum Tragen kam. Weitere Abwicklungsmaßnahmen gemäß BRRD blieben somit in der Folge aus. Zwei weitere italienische Banken (Veneto Banca und Banca Populare di Vincenza) wurden im Juli nach den nationalen italienischen Insolvenzregeln liquidiert, nachdem nicht alle Voraussetzungen für die als Ultima Ratio geltenden Abwicklungsinstrumente gegeben waren.

1

2 3

Andreas Dombret (2017): Failing or likely to fail? – Die europäische Bankenunion auf dem Prüfstand. Rede an der Hochschule der Deutschen Bundesbank, Hachenburg, 21.08.2017. Auch: Bankenabwicklungsrichtlinie, EU-Richtlinie 2014/59. Verordnung (EU) Nr. 806/2014.

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Vorwort

Die Vorbereitung und die Umsetzung einer Bankeninsolvenz oder -abwicklung gestalten sich jedoch als überaus komplex. Stark vernetzte Institutsgruppen müssen zumeist unter Zeitdruck einer umfassenden Unternehmensbewertung unterzogen werden, damit die zuständigen Behörden die „günstigste“ Alternative aus dem Maßnahmenkatalog auswählen können. Rechtliche und operative Hindernisse führen genauso wie eine unvollständige Informationslage (noch) zur Unsicherheit über den Erfolg der gewählten Instrumente. Dies kann dazu führen, dass Maßnahmen derzeit noch nicht als wirkliche Alternativen zur Verfügung stehen. Bis alle Abwicklungsinstrumente (Gläubigerbeteiligung mittels Bail-in sowie die strukturellen Maßnahmen Sale of Business, Bridge Bank und Asset Separation) sowie die notwendigen Regelungen im Rahmen eines klassischen Insolvenzverfahrens (u.a. Umsetzung einer Sachwalterlösung bei Pfandbriefbanken gemäß deutschen Pfandbriefgesetz (PfandBG)) vollständig operationalisiert sind, sind sowohl auf Behörden- als auch insbesondere auf Institutsseite noch zahlreichen Aktivitäten notwendig. „Vieles funktioniert gut in der Bankenunion, aber es gibt durchaus noch Handlungsbedarf. Insbesondere ist das angemessene Ausmaß der Beteiligung von Investoren und anderen Gläubiger an den Verlusten im Rahmen nationaler Insolvenzverfahren noch lange nicht ausgeschöpft. Dies ist aber wichtig, damit Banken ihrem eigenen Anspruch gerecht werden können, Vollmitglieder unserer Marktwirtschaft zu sein. Dazu gehört auch, dass Verluste nicht sozialisiert werden, sondern dass Investoren und Gläubiger die aus ihren Entscheidungen entstehenden Risiken selbst tragen.“4 Die Umsetzung des Handlungsbedarfs adressiert primär weitere Initiativen bei den europäischen und nationalen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden. Unsere Projekterfahrung aus der Begleitung mehrerer Großbanken aus den Jahren 2016 und 2017 zeigt jedoch, dass sich sehr schnell infolge der Mitwirkungspflichten der Institutsgruppen gemäß Art. 11 BRRD auch ein Handlungsbedarf im operativen Bankalltag materialisiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um ein „Problem“ der Großbanken. Die Einführung neuer aufsichtlicher Kennziffern (MREL (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities) und TLAC (Total Loss-Absorbing Capacity)) inklusiver einer Veröffentlichung und Überwachung dieser sowie die resultierenden Anpassungen von Emissionsbedingungen für Fremdkapitalinstrumente werden zunehmend auch Gesprächsgegenstand bei Vorständen und Aufsichtsräten von klein- und mittelständischen Kreditinstituten. An diesen Stellen setzt das vorliegende Handbuch an: Es werden ausgewählte Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven behandelt, dazu werden die wichtigsten Bestand-

4

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Dombret (2017).

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Vorwort

teile von Zulieferungen zum behördlichen Abwicklungsplan sowie die aufsichtlichen Anforderungen praxisorientiert vorgestellt. Ausgehend von eigenen Erfahrungen zeigen Regulatoren, Bankpraktiker, Anwälte, Berater und Wissenschaftler Themenstellungen und zugehörige Lösungsansätze auf, um die Operationalisierung der Bankenabwicklungsrichtlinie weiter voranzutreiben. Mit unserem Handbuch richten wir uns an Fach- und Führungspersönlichkeiten sowie Prüfer aus dem Risiko-Controlling und Risikomanagement, an Organisationsbereiche und Interne Revisoren sowie an Studierende in diesem Bereich.

Nürnberg, im März 2018

Prof. Dr. Andreas Igl Marcel Krüger Dr. Christian Stepanek Sven Warnecke

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Inhaltsverzeichnis Times, are they really changing? (Geleitwort von Dr. Thomas Dietz (Deutsche Bundesbank)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Herausgeber- und Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Abwicklungsplanung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander Kreutz-Peil

3

Abwicklungsplanung im internationalen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dominik Weh/Stefan Schwengler

21

Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alenka Reinmöller

39

Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Gann

61

Strategische Unternehmensanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick . . . . . . . . . . . . . . Marcel Krüger/Matthias Schupp

89

Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation . . . . . Nicklas Braun

105

Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Kristina Duwe/Andreas Igl

125

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Inhaltsverzeichnis

Abwicklungsstrategien und -instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Pflüger/Sven Warnecke

145

Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Kolmann

169

Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments . . . . . . . . . . . . Andreas Igl/Sven Warnecke

193

MREL versus TLAC – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tanja Koehler/Christian Stepanek

217

MREL im Detail mit Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kim van Dyk/Mario Sonneborn

231

MREL in der Gesamtbanksteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Heuter

245

Geschäftsbetrieb in Abwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

Finanzielle Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sascha Janus

263

Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcel Krüger Operationalisierung einer Abwicklung – Communication . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Greiner

XX

285

299

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Inhaltsverzeichnis

Bankenabwicklungen in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Fallstudie WestLB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Lutze/Christian Stepanek

317

Fallstudie zur Abwicklung der Hypo Real Estate Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maximilian Mümken

331

Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Best/Oliver Read

341

XXI

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXII Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Inhaltsverzeichnis

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXIII Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Herausgeber Prof. Dr. Andreas Igl, Diplom-Wirtschaftsinformatiker (Univ. Honors), ist Professor an der Hochschule der Deutschen Bundesbank in Hachenburg. Dort ist er für die Fachbereiche Bankbetriebslehre und Bankenaufsicht verantwortlich. Seine derzeitigen Forschungsaktivitäten umfassen insbesondere die Bereich Sanierungs- und Abwicklungsplanung, Stresstests, SREP, die bankpraktische Umsetzung des ICAAP sowie die indikatorbasierte Gesamtbanksteuerung. Nach seinem Studium hat er seit 2007 für zwei mittelständische Spezialberatungsunternehmen für Risikomanagementsysteme und Bankenaufsicht zahlreiche Kunden des Finanzsektors beraten, zuletzt als geschäftsführender Partner. Während einer zweijährigen Unterbrechung war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Statistik von Prof. Dr. Alfred Hamerle tätig. Seine Dissertation behandelt die Risikobewertung von strukturierten Kreditprodukten. Marcel Krüger ist Referent bei einer international agierenden Privatbank einer global systemrelevanten Institutsgruppe. Er befasst sich mit den Themen Sanierungsplanung und regulatorische Stresstests auf Basis der Anforderungen von unterschiedlichen europäischen Aufsichtsbehörden. In seiner Vergangenheit war er als Berater bei 1 PLUS i tätig. Schwerpunkte seiner Beratertätigkeiten waren unterschiedliche Fragestellungen im Rahmen nationaler und europäischer Anforderungen der Sanierungs- und Abwicklungsplanung. Ferner war er bei der Durchführung von EBA-Stresstests bei verschiedenen Instituten in leitender Funktion beteiligt. Seine Arbeit umfasste insbesondere die Konzeption und Weiterentwicklung bankpraktischer Ansätze. Des Weiteren tritt er für die genannten Themenfelder als Seminartrainer auf.

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Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Dr. Christian Stepanek ist Berater bei 1 PLUS i. Zentrale Themen im Rahmen seiner Beratertätigkeit sind aufsichtliche Datenabfragen bei Banken. Dies beinhaltet z.B. Engagements als externer Projektleiter in den SRB Data Collections zu MREL, bei denen er seine Kunden fachlich und technisch begleitet hat, sowie EBA-Stresstests. Im Bereich Ratingverfahren berät er im Rahmen der EZB TRIM Exercise und der Validierung von Risikomessverfahren. Neben seiner Beratungstätigkeit ist er auch als Referent zu den oben genannten Themen tätig. Er ist Diplom-Physiker und promovierte in empirischer Kapitalmarktforschung und angewandter Ökonometrie. Sven Warnecke ist Berater bei 1 PLUS i. In seiner Tätigkeit als Berater fokussiert er sich auf Themen um das Risikomanagement, insbesondere das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch und die Überarbeitung von Risikotragfähigkeitsansätzen unter Berücksichtigung der neuen SREP-Anforderungen sowie die aufsichtliche Sanierungs- und Abwicklungsplanung. Hierbei begleitete er verschiedene Institute in der Erstellung ihrer Sanierungs- und Abwicklungspläne sowie in der Erfüllung der Anforderungen verschiedener Leitlinien (SREP, IRRBB, Stresstesting) der European Banking Authority. Darüber hinaus ist er als Seminartrainer in den genannten Themen sowie als Lehrbeauftragter an der Hochschule der Deutschen Bundesbank tätig. Vor seiner Tätigkeit bei 1 PLUS i war er als bankgeschäftlicher Prüfer in der Hauptverwaltung Hessen der Deutschen Bundesbank tätig und studierte an der Hochschule der Deutschen Bundesbank. Sein Tätigkeitsschwerpunkt als bankgeschäftlicher Prüfer lag in dem Bereich der Gesamtbanksteuerung. Autoren Stefan Best, Dipl.-Volkswirt, ist Lecturer of Finance and Risk Management an der Wiesbaden Business School. Nach verschiedenen Stationen in der Bankenindustrie (u.a. einer Ratingagentur) ist er nun u.a. als Lehrbeauftragter an der Hochschule RheinMain University of Applied Sciences tätig. Er referiert und publiziert regelmäßig zu seinen Forschungsthemen im Bereich Banken, Kapitalmarkt und neuen Entwicklungen. Nicklas Braun ist Manager Risk Governance bei der Aareal Bank AG. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Krisenmanagement, Stresstest und Banksteuerung. Im Rahmen seiner vorangegangenen Beratertätigkeit behandelte er Fragestellungen rund um die Konzeption und Implementierung von Systemen der Risikomessung- und Steuerung für verschiedene Kreditinstitute.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXV Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Dr. Thomas Dietz ist seit dem 01.01.2015 Leiter des Referats Bankgeschäftliche Prüfungen der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Berlin und Brandenburg. Über seine vorherige Tätigkeit als Professor an der Hochschule der Deutschen Bundesbank ist er Themen der europäischen Finanzmarktintegration, insbesondere der Bankenunion, nach wie vor verbunden. Er betreut noch regelmäßig Bachelor- und Masterarbeiten aus diesem Bereich und hat in der Vergangenheit zu Fragen der europäischen Bankenaufsicht (SSM, EBA u.a.) sowie zu Einzelfragen der Gesamtbanksteuerung unter Basel II publiziert (z.B. zu Liquiditäts- oder Konzentrationsrisiken). Kristina Duwe ist als Leiterin HR Strategie- und Qualitätsmanagement bei der NORD/ LB Norddeutsche Landesbank beschäftigt. In dieser Funktion ist sie u.a. für die konzernweite Personalstrategie, übergreifende personal-wirtschaftliche Fragestellungen z.B. in der Sanierungs- und Abwicklungsplanung sowie für Change Management in bankweiten Veränderungsprojekten zuständig. Zuvor hat sie in der Strategieentwicklung v.a. konzernweite Projekte wie das EU-Beihilfeverfahren, Kosteneinsparungsprogramm sowie die Sanierungsplanung begleitet und arbeitete in den Bereichen Vorstandsstab und Private Banking der Bremer Landesbank. Sie ist Bankkauffrau und absolvierte nebenberuflich ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der FernUniversität in Hagen sowie einen Master of Business Administration an der Gisma Business School/Leibniz Universität Hannover. Dr. Philipp Gann arbeitet als Senior Spezialist Risiko-Controlling in der Abteilung Group Strategic Risk der BayernLB München. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bilden die mit der risikoartenübergreifenden Dimension des ICAAP in Verbindung stehenden Themenfelder. Stephan Greiner ist Diplom-Psychologe und Senior Consultant bei einem der renommiertesten Institute für Marktforschung, Meinungsforschung und Marketingberatung in Deutschland. Er ist Experte im Bereich Markenführung und Kommunikation, spezialisiert auf den Automobilsektor. Während seines Studiums in Regensburg und Bergen (Norwegen) mit den Schwerpunkten Entscheidungsfindung und Informationsverarbeitung sammelte er erste Erfahrungen bei einem mittelständischen Beratungsunternehmen für Kreditrisikomanagement. Stephan Greiner beschäftigt sich seit seinem Studium themenübergreifend mit Kommunikationstheorie, zugehörigen Konzepten und erfolgreicher Umsetzung in Unternehmen. Henning Heuter, Dipl.-Bankbetriebswirt (BA) und Bankkaufmann, ist geschäftsführender Partner von 1 PLUS i. Er befasst sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Berater und Seminartrainer für Risikosteuerung, die neben den Fragen des Risikomanagements auch deren aufsichtsrechtliche Behandlung umfasst, mit der Entwicklung und Weiterentwicklung von Risikotragfähigkeits- und Reporting-Systemen sowie mit der Integration der wesentlichen Risiken in die Gesamtbanksteuerung. Zuvor war er sechs Jahre bei der Sparkasse Rügen im Bereich Unternehmenssteuerung für das Sachgebiet Risiko und zudem seit Juli 2004 als Verhindertenvertreter für die Leitung des Vorstandsreferats verantwortlich.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXVI Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Sascha Janus ist als Risk Controller für das Bankhaus B. Metzler seel. Sohn & Co. (METZLER) tätig. Zuvor arbeitete er über zehn Jahre für die Norddeutsche Landesbank – Girozentrale – (NORD/LB). Dort nahm er u.a. Aufgaben in den Bereichen Finanzen/ Steuern und Finanz- und Risiko-Controlling war. Zuletzt lag sein Aufgabenschwerpunkt in der Koordination und fachlichen Weiterentwicklung der Sanierungs- und Abwicklungsplanung. Tanja Koehler ist Beraterin bei 1 PLUS i. Sie unterstützte im Rahmen ihrer Beratertätigkeit u.a. eine Pfandbriefbank bei der Umsetzung der Anforderungen zur Abwicklungsplanung. Zu ihren Aufgabengebieten zählten hierbei die institutsspezifische Einwertung des BRRD-Umsetzungsgesetzes sowie weiterer relevanter ITS und RTS, die Durchführung einer Gap-Analyse und die Durchführung von bankinternen Workshops. Zudem war sie maßgeblich an dem Antwortschreiben von 1 PLUS i zur öffentlichen Konsultation des BCBS zum Thema FMIs und Internal TLAC beteiligt (siehe Homepage des FSB unter dem Namen 1 PLUS i). Dr. Stephan Kolmann ist Partner einer international tätigen Kanzlei mit Schwerpunkten im Gesellschaftsrecht/Insolvenzrecht. Neben insolvenzverwaltender Tätigkeit berät er laufend verschiedene Stakeholder im Krisenumfeld, sowohl bei außergerichtlichen wie gerichtlichen Sanierungen, bei krisenbezogenen M&A-Transaktionen sowie bei der Geltendmachung/Abwehr von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen. Die Mehrzahl seiner Fälle beschäftigt sich mit komplexen, grenzüberschreitenden Problemstellungen. Sie schließt eine Vielzahl von bekannten Großinsolvenzen ein. Er war Lehrbeauftragter für das Recht der Kreditsicherheiten an der Universität Regensburg im Rahmen der Zusatzausbildung „Unternehmenssanierung“. Er referiert und publiziert regelmäßig zu den Themen aus seiner beruflichen Praxis. Alexander Kreutz-Peil ist Berater bei 1 PLUS i. Er befasst sich mit dem Risikomanagement von Marktrisiken und operationellen Risiken sowie mit Themen der Sanierung und Abwicklung von Banken. Im Anschluss an sein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln war er mehrere Jahre bei Allianz Global Investors im Bereich Risiko-Controlling tätig sowie anschließend als Leiter des Underwriting Teams für die Lone Star Fonds bei Hudson Advisors. Zuletzt lernte er in der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung die Aufgaben der Rechtsaufsicht der Abwicklungsanstalten sowie in leitender Funktion auch den Bereich der Nationalen Abwicklungsbehörde kennen. Stephan Lutze ist Berater bei 1 Plus i und ist neben dem Stresstesing in der Gesamtbank auch in der Sanierungs- und Abwicklungsplanung tätig, in denen er nicht nur konzeptionell, sondern auch bei der Entwicklung von Tools unterstützt hat.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXVII Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Maximilian Mümken ist Innovation Manager bei finstreet. Er befasst sich mit digitalen Lösungen und Produktstrategien für Kreditinstitute. In Digitalisierungsprojekten liegt sein Schwerpunkt auf regulatorischen Fragestellungen sowie der Konzeption und Umsetzung von digitalen Lösungen. Zuvor arbeitete er bei 1 PLUS i in Risiko-Controllingund Sanierungs-/Abwicklungsplan-Projekten. Florian Pflüger ist Senior Projekt Manager Regulatorik bei der DekaBank. Er verantwortet die Erstellung des Sanierungs- und Abwicklungsplan und ist darüber hinaus für Fragestellungen rund um die Digitalisierung verantwortlich. Zuvor arbeitet er über zehn Jahre in verschiedenen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen und begleitete Startups bei der Erstellung ihrer Business-Pläne. Prof. Dr. Oliver Read, Professor of Finance an der Wiesbaden Business School, Hochschule RheinMain University of Applied Sciences. Nach verschiedenen Stationen in der Bankenindustrie sowohl im Inland als auch im Ausland ist er nun Professor an der Hochschule RheinMain University of Applied Sciences. Seine aktuellen Forschungsgebiete umfassen Fragestellungen zu Marktpreisrisiken, Kreditrisiken, Banken und Kapitalmarkt sowie neue Entwicklungen wie Kryptowährungen und Brexit. Er referiert und publiziert regelmäßig zu seinen Forschungsthemen. Alenka Reinmöller, LL.M., ist Referatsleiterin in der Abteilung Abwicklungsplanung bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen. Sie befasst sich seit 2015 mit der Abwicklungsplanung und verantwortet diese aktuell für Non-SRB-Home-Banken, insbesondere CCPs, CSDs sowie Institute aus dem genossenschaftlichen Finanzverbund. Sie war vor ihrer jetzigen Position seit 2011 als Institutsbetreuerin für Privatbanken, die im Zuge der Finanzkrise staatliche Beihilfe erhalten haben, bei der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung tätig. Davor war sie in verschiedenen Bereichen und Positionen im Finanzsektors tätig, darunter Wirtschaftsprüfung und Asset Management. Matthias Schupp ist Berater bei 1 PLUS i. Er befasst sich mit Themen im Kontext des Risiko-Controllings und des Aufsichtsrechts. Im Vorfeld seiner Beratertätigkeit absolvierte er ein Masterstudium der Finanzwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg, um anschließend ein Traineeprogramm bei einer international tätigen Landesbank zu absolvieren. Stefan Schwengler ist Principal bei Oliver Wyman. Er hat umfangreiche Beratungserfahrung im Financial Services Sektor für Banken, Zentralbanken und Aufsichtsbehörden. Er beschäftigt sich v.a. mit Bankenregulierungs- und Aufsichtsthemen sowie Kapital- und Liquiditätsmanagement. Sein inhaltlicher Schwerpunkt sind Projekte in der Sanierungs- und Abwicklungsplanung für Banken in Deutschland und Europa; er koordiniert dafür die europaweite Expertenplattform von Oliver Wyman.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite XXVIII Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Mario Sonneborn, Dipl.-Betriebsw. (FH), ist selbständiger Unternehmensberater bei Mario Sonneborn Unternehmensberatung. Er befasst sich mit der aufsichtsrechtlichen Beratung von Banken sowie der Implementierung von Lösungen für das Meldewesen. Zuvor war er als Manager bei der Unternehmensberatung BearingPoint sowie als Oberinspektor bei der Deutschen Bundesbank tätig. Kim van Dyk, Dipl. oec., ist Mitarbeiter in dem Bereich Regulatory Reporting and Analytics bei der NORD/LB. Er befasst sich mit der Einführung neuer Meldungen, der IT-seitigen Umsetzung aufsichtsrechtlicher Themen sowie der Beantwortung von Meldewesen bezogenen Ad-hoc-Anfragen. In seinem vorherigen Berufsleben war er in der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung tätig und wechselte dann in die banknahe IT-Beratung. Dominik Weh ist Partner bei Oliver Wyman. Er hat umfassende Erfahrung im Bereich Financial Services, wo er regelmäßig für Banken, Zentralbanken und Regulatoren sowie Aufsichtsbehörden arbeitet. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören insbesondere alle inhaltlichen und methodischen Fragestellungen in Risiko- und Finanzfunktionen (inkl. Organisation und Governance). Darüber hinaus hat er seit mehreren Jahren einen Schwerpunkt im Bereich Bankenregulierung, wo er u.a. Projekte zu Sanierungs- und Abwicklungsplanung leitet.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 1 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Einführung

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 2 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 3 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Abwicklungsplanung in Europa Alexander Kreutz-Peil

1 Einordnung und Abgrenzung 2 Motivation für die Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes 2.1 Ursachen der Finanzkrise 2.2 Ziele und Prinzipien des europäischen Abwicklungsregimes 3 Folgen der Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes 3.1 Unmittelbare Folgen aus der BRRD 3.1.1 Abwicklungsvoraussetzungen 3.1.2 Abwicklungsinstrumente 3.1.3 Abwicklungsbefugnisse 3.1.4 Abwicklungsplanung 3.2 Mittelbare Folgen aus der BRRD 3.2.1 Mittelbare Folgen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive 3.2.1.1 Strategische Aspekte 3.2.1.2 Organisatorische Aspekte 3.2.1.3 Technische Aspekte 3.2.1.4 Rechtliche Aspekte 3.2.2 Mittelbare Folgen aus volkswirtschaftlicher Perspektive 3.2.2.1 Investoren 3.2.2.2 Kunden 3.2.2.3 Abwicklungsbehörde 3.2.2.4 Institute

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1 Einordnung und Abgrenzung Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Motivation und die Folgen der Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes. Der geographische Anwendungsbereich Europa bezieht sich hier auf die Europäische Union (EU), die in ihrer Richtlinie 2014/59/EU zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (im Folgenden „Institute“) vom 15.05.2014 (Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)1) u.a. ein Abwicklungsregime mit Vorschriften und Verfahren zur Vorbereitung bzw. Planung und Durchführung von Abwicklungsfällen bei Instituten vorsieht.2 Der Begriff der Abwicklungsplanung kann in vielerlei Hinsicht abgegrenzt werden. Zu diesem Zweck können insbesondere die folgenden Kriterien herangezogen werden: • Zielrichtung der Abwicklung: Die Abwicklung gemäß Art. 31 Abs. 1 BRRD beabsichtigt bei Erfüllung der Abwicklungsvoraussetzungen (Art. 32, 33 BRRD)3 die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten sowie die Ausübung von Abwicklungsbefugnissen oder eine teilweise oder vollständige Anwendung eines regulären Insolvenzverfahrens unter Beachtung eines oder mehrerer Abwicklungsziele nach Art. 31 Abs. 2 BRRD.4 Dahingegen zielt die privatrechtlich organisierte Abwicklung in den Abwicklungseinheiten der Institute sowie die Liquidation im Sinne eines regulären Insolvenzverfahrens auf die Rückführung von Risikopositionen mittels Rückzahlung oder Verkauf ab. Die Verfolgung der Abwicklungsziele nach der BRRD kann bedeuten, dass das bestandsgefährdete Institut teilweise oder vollständig fortgeführt wird, um z.B. kritische Funktionen aufrecht zu erhalten oder überlebensfähige Teile des Instituts fortbestehen zu lassen.

1

2

3 4

Korrespondierende Vorschriften des in Deutschland geltenden Gesetzes zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)) vom 10.12.2014 zur Überführung der BRRD in nationales Recht werden in Fußnoten ergänzt. Die BRRD enthält ebenfalls Vorschriften und Verfahren für die Vorbereitung der Sanierung von Instituten sowie zu gruppeninternen finanziellen Unterstützungen und Frühinterventionsmaßnahmen; dieser Beitrag bezieht sich jedoch auf die Vorschriften und Verfahren zur Abwicklung. Vgl. §§ 62 ff. SAG. Vgl. § 67 SAG.

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Alexander Kreutz-Peil

• Zielrichtung der Planung: Der Abwicklungsplan ist gemäß Art. 10 Abs. 7 BRRD5 die Dokumentation der beabsichtigten Anwendung der Abwicklungsinstrumente und -befugnisse und umfasst die dort genannten Inhalte. Die Abwicklungsplanung im engeren Sinne stellt also den Prozess der Erstellung dieser Dokumentation durch die Abwicklungsbehörde6 dar. Die Bewertung der Abwicklungsfähigkeit (Art. 15, 16 BRRD)7 sowie die Befugnisse zum Abbau bzw. zur Beseitigung von Hindernissen für die Abwicklungsfähigkeit (Art. 17 BRRD)8 zeigen jedoch das übergeordnete Ziel der Abwicklungsplanung gemäß BRRD im weiteren Sinne, nämlich die Herstellung der Abwicklungsfähigkeit aller Institute.9 Tabelle 1: Bedeutungsdimensionen des Abwicklungsbegriffs und des Ziels der Planung Im weiteren Sinne

Im engeren Sinne

Begriff „Abwicklung“

Anwendung von Abwicklungsinstrumenten sowie die Ausübung von Abwicklungsbefugnissen nach Art. 31 Abs. 1 BRRD oder eine teilweise oder vollständige Anwendung eines regulären Insolvenzverfahrens unter Beachtung eines oder mehrerer Abwicklungsziele nach Art. 31 Abs. 2 BRRDa

Rückführung eines Portfolios durch Rückzahlung bei Fälligkeit, vorzeitiger Rückzahlung oder Verkauf

Ziel der Planung

Herstellung der Abwicklungsfähigkeit gemäß Art. 15 bis 17 BRRDb

Dokumentation der beabsichtigten Anwendung der Abwicklungsinstrumente und -befugnisse gemäß Art. 10 Abs. 7 BRRD

a.

Vgl. § 67 SAG. Vgl. §§ 57 ff. SAG.

b.

5 6

7 8 9

6

Vgl. § 40 SAG. Seit 01.01.2018 ist die Bafin die nationale Abwicklungsbehörde; 2015 bis 2017 war dies die FMSA; für CRR-Institute (also solche Institute, bei denen die Aufsicht durch die EZB wahrgenommen wird) sowie grenzüberschreitend tätige Institute der teilnehmenden Mitgliedstaaten i.S.d. Art. 2 der EU-Verordnung Nr. 1024/2013 ist das SRB für die Erstellung des Abwicklungsplans verantwortlich. Vgl. § 57f SAG. Vgl. § 59f SAG. Innerhalb des Regulierungsrahmens der BRRD kann zusätzlich nach Gruppenabwicklungsplan (Art. 12, 13 BRRD) oder Abwicklungsplan für ein Einzelinstitut (Art. 10 BRRD) unterschieden werden.

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Abwicklungsplanung in Europa

Im Folgenden beziehen sich die Ausführungen in diesem Beitrag sowohl in Bezug auf den Begriff der Abwicklung als auch bezüglich des Ziels der Planung auf die Bedeutungen im weiteren Sinne, insofern also auf die Herstellung der Fähigkeit, bei Erfüllung der Abwicklungsvoraussetzungen ein oder mehrere Abwicklungsziele mittels der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten sowie der Ausübung von Abwicklungsbefugnissen oder durch eine teilweise oder vollständige Anwendung eines regulären Insolvenzverfahrens zu erreichen. Zunächst soll die Motivation zur Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes erklärt werden. Motivation ist im medizinischen Sinne die „Gesamtheit aller Beweggründe (Motive) und deren Interaktion mit situativen Anreizen. Motivation beeinflusst die Wahl eines bestimmten Verhaltens zur Erreichung eines Ziels sowie Richtung, Intensität und Ausdauer der Handlung.“10 Insofern sollen die Ursachen, die hauptsächlich für die Finanzkrise verantwortlich waren, sowie die mit dem Abwicklungsregime verfolgten Ziele die Motivation zur Errichtung des Abwicklungsregimes erklären.

2 Motivation für die Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes 2.1 Ursachen der Finanzkrise Für das systemische Ausmaß der Finanzkrise sowie die damalige Notwendigkeit, bei der Rettung von Banken auf das Geld der Steuerzahler zurückzugreifen, wurden insbesondere folgende Ursachen identifiziert:11 • Es bestand ein Mangel „an angemessenen Instrumenten für den wirksamen Umgang mit unsoliden oder ausfallenden Kreditinstituten und Wertpapierfirmen“.12 Die Anwendung allgemeiner Insolvenzverfahren bei Instituten war nur eingeschränkt geeignet, die negativen Auswirkungen des Ausfalls eines Instituts auf andere Institute sowie auf die Realwirtschaft zu verhindern bzw. zu minimieren.

10

11 12

Pschyrembel Online (2017), Motivation, https://www.pschyrembel.de/Motivation/K0EHC (abgerufen am 01.02.2018). Vgl. Gesetzesbegründung zur BRRD. Vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 23 BRRD.

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Alexander Kreutz-Peil

• Am Kapitalmarkt nahmen sowohl die Institute als auch die Investoren an, dass bedeutende Banken im Krisenfall von der öffentlichen Hand gerettet würden (too-big-tofail-Annahme). Insofern lag bei Beteiligung an den Gewinnen aus diesen Geschäften (z.B. Dividende an Anteilseigner und Boni an Mitarbeiter und Geschäftsleitung), aber fehlender Haftung bei Verlusten (wegen Übernahme der Verluste durch Geld der Steuerzahler) für Entscheidungsträger der Fehlanreiz vor, höhere Risiken einzugehen (Moral-Hazard-Problem). Dies führte in einigen Instituten dazu, die aufgenommenen Mittel in hochriskante Geschäfte zu investieren, von denen einige bei den Instituten große Verluste verursachten. • Von der Finanzkrise waren nicht nur einzelne Institute, sondern ein Großteil der Institute der Kreditwirtschaft betroffen. Die daraus folgende Vertrauenskrise führte dazu, dass sich die Institute in sehr viel geringerem Maße gegenseitig Geld liehen als vor der Finanzkrise. • Die Verfahren zur Abwicklung von Instituten waren in der EU nicht ausreichend harmonisiert. • Für grenzüberschreitend tätige Institute gab es keine grenzüberschreitend tätige Abwicklungsbehörde. Die oben genannten Feststellungen führten zwecks Vermeidung einer erneuten Finanzkrise zu einer ganzen Reihe von europäischen Regulierungsmaßnahmen im Rahmen der so bezeichneten Bankenunion, u.a. zur Verabschiedung der BRRD. Diese wurde in den Mitgliedstaaten der EU im Rahmen von nationalen Gesetzgebungsverfahren in nationales Recht überführt, in Deutschland in das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG). Da die BRRD den EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht in eingeschränktem Umfang Gestaltungsspielräume ließ, sind die nationalen Vorschriften in der EU nicht zwangsläufig deckungsgleich. Zur Wahrung der europäischen Perspektive wird im Folgenden auf die BRRD abgestellt.

2.2 Ziele und Prinzipien des europäischen Abwicklungsregimes Korrespondierend zu den identifizierten Ursachen für die Finanzkrise wurden bei der Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes solche Ziele13 und Prinzipien verfolgt, die eine Vermeidung einer erneuten Finanzkrise erwarten lassen:

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8

Vgl. Art. 31 BRRD; vgl. § 67 SAG.

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Abwicklungsplanung in Europa

• Die Abwicklungsfähigkeit aller Institute soll hergestellt werden. • Kritische Funktionen14 sollen fortgeführt werden. • Ein Systemschaden soll verhindert werden, d.h. die Stabilität der Finanzmärkte soll als Voraussetzung für die Schaffung und das gute Funktionieren des EU-Binnenmarktes sichergestellt werden. • Dem Rückgriff auf das Geld der Steuerzahler bei zukünftigen Bankenkrisen bzw. -rettungen soll vorgebeugt werden und die Kosten der Bankenrettungen sollen für die Steuerzahler minimiert werden. • Die Gelder und Vermögenswerte von Kunden und Einlegern sollen geschützt werden. • Ein europaweites Level Playing Field zur Abwicklung soll etabliert werden. • Verfahren für die Abwicklung von Instituten sollen auf Ebene der EU harmonisiert werden. Die Ziele lassen sich anhand ihres Konkretheitsgrades hierarchisch darstellen. Abbildung 1: Zielhierarchie

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Art. 2 Abs. 1 Nr. 35 BRRD: „Tätigkeiten, Dienstleistungen oder Geschäfte, deren Einstellung aufgrund der Größe, des Marktanteils, der externen und internen Verflechtungen, der Komplexität oder der grenzüberschreitenden Tätigkeiten eines Instituts oder einer Gruppe wahrscheinlich in einem oder mehreren Mitgliedstaaten die Unterbrechung von für die Realwirtschaft wesentlichen Dienstleistungen oder eine Störung der Finanzstabilität zur Folge hat, besonders mit Blick auf die Substituierbarkeit dieser Tätigkeiten, Dienstleistungen oder Geschäfte‟; vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 38 SAG.

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Alexander Kreutz-Peil

Bei der Verfolgung dieser Ziele sind gemäß Art. 31, 34 BRRD15 weitere Nebenbedingungen und allgemeine Grundsätze einzuhalten, insbesondere die folgenden: • Die Kosten der Abwicklung sollen minimiert und die Vernichtung von Werten soll vermieden werden, wenn dies nicht zur Verwirklichung der Abwicklungsziele erforderlich ist. • Eine Haftungskaskade zur fairen und vorhersehbaren Verteilung der Verluste soll eingeführt werden: Verluste werden zunächst durch die Anteilseigner der in Abwicklung befindlichen Bank getragen und danach durch die Gläubiger der in Abwicklung befindlichen Bank. • Gläubiger sollen im Vergleich zu einem regulären Insolvenzverfahren nicht schlechter gestellt werden (No-Creditor-Worse-Off-Prinzip (NCWO)). • Gläubiger insbesondere derselben Klasse sollen nur aus Gründen des öffentlichen Interesses und dann diskriminierungsfrei ungleich behandelt werden können. • Zur Sicherstellung der Verlusttragung soll eine Mindestanforderung zum Vorhalten von Eigenmitteln und Verbindlichkeiten (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL)) eingeführt werden. • Das Leitungsorgan und die Geschäftsleitung sollen ersetzt werden, sofern nicht einzelne Personen für die Erreichung der Abwicklungsziele erforderlich sind. • Der ununterbrochene Zugang zu Einlagen und zum Zahlungsverkehr soll gewährleistet sein. • Ein Eingriff in die Rechte der Anteilseigner und Gläubiger soll nur stattfinden, wenn dies im öffentlichen Interesse erforderlich und im Einklang mit der Charta der Grundrechte der EU ist. • Die Einhaltung des Proportionalitätsgebots soll durch die Anwendung vereinfachter Anforderungen ermöglicht werden. Zur Erreichung dieser Ziele wurden Vorschriften und Verfahren verabschiedet, die unterschiedliche Wirkungsgrade aufweisen. Eine unmittelbare Wirkung entfalten die in der BRRD verankerten Vorschriften und Verfahren für Institute und Abwicklungs-/ Aufsichtsbehörden (vgl. Abschnitt 3.1). Einige hiervon wirken jedoch erst im Abwicklungsfall, andere auch außerhalb eines Abwicklungsfalls.

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10

Vgl. § 68 SAG.

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Abwicklungsplanung in Europa

Eine mittelbare Wirkung erzielt die Errichtung des Abwicklungsregimes außerdem, indem es das Verhalten der Institute, anderer Marktteilnehmer und Behörden beeinflusst, z.B. bei Anlageentscheidungen in Bankschuldverschreibungen oder im Rahmen der Herstellung der Abwicklungsfähigkeit. Diese Folgen werden im Abschnitt 3.2 aus betriebswirtschaftlicher und aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet.

3 Folgen der Errichtung des europäischen Abwicklungsregimes 3.1 Unmittelbare Folgen aus der BRRD Ein Abwicklungsfall tritt nur ein, wenn die Abwicklungsvoraussetzungen erfüllt sind.

3.1.1

Abwicklungsvoraussetzungen

Die Abwicklungsbehörde ist beim Erlass einer Abwicklungsmaßnahme an die Erfüllung aller Voraussetzungen gemäß Art. 32 BRRD16 gebunden: • Die Aufsichtsbehörde oder die Abwicklungsbehörde hat nach gegenseitiger Anhörung festgestellt, dass das Institut ausfällt oder wahrscheinlich ausfällt (fail or likely to fail). Dieser Zustand wird angenommen bei akutem oder drohendem Verstoß gegen Zulassungsanforderungen, akuter oder drohender Überschuldung oder Illiquidität oder bei einer außerordentlichen finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln.17 • Der Ausfall des Instituts kann voraussichtlich nicht durch alternative Maßnahmen in einem angemessenen Zeitrahmen abgewendet werden. Mit alternativen Maßnahmen sind hierbei sowohl privatwirtschaftliche Maßnahmen (einschließlich solcher von institutsbezogenen Sicherungssystemen) als auch Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, einschließlich Frühinterventionsmaßnahmen oder die Herabschreibung oder Umwandlung von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals sowie des Ergänzungskapitals durch die Abwicklungsbehörde gemäß Art. 59 BRRD gemeint.

16 17

Vgl. § 62 SAG. Eine Ausnahme bildet unter bestimmten Voraussetzungen die finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zur Abwendung einer schweren Störung der Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats und zur Wahrung der Finanzstabilität (vgl. Art. 32 Abs. 4d BRRD; vgl. § 63 Abs. 2 SAG).

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Alexander Kreutz-Peil

• Die Abwicklungsmaßnahme ist im öffentlichen Interesse, d.h. sie ist zur Erreichung eines oder mehrerer Abwicklungsziele gemäß Art. 31 BRRD18 erforderlich und verhältnismäßig und die Ziele können nicht durch eine Liquidation in einem regulären Insolvenzverfahren in gleichem Umfang erreicht werden. Ein vorheriger Erlass von Frühinterventionsmaßnahmen gemäß Art. 27 BRRD ist explizit keine Voraussetzung für Abwicklungsmaßnahmen.

3.1.2

Abwicklungsinstrumente

Die BRRD kennt gemäß Art. 37 BRRD19 vier Abwicklungsinstrumente: • Unternehmensveräußerung (Art. 38, 39 BRRD):20 Die Abwicklungsbehörde kann die vom abzuwickelnden Institut ausgegebenen Anteile oder dessen Vermögenswerte, Rechte oder Verbindlichkeiten ohne die Zustimmung der Anteilsinhaber vollständig oder teilweise in einem oder mehreren Schritten an einen Erwerber, der die notwendigen Zulassungen zur Fortführung des Instituts besitzt, aber kein Brückeninstitut sein darf, übertragen. Zusätzliche Anforderungen regeln das Verfahren der Veräußerung, insbesondere in Bezug auf Transparenz, sachliche Richtigkeit, unzulässige Begünstigung oder Benachteiligung und Geschwindigkeit des Verfahrens (Art. 39 BRRD). • Brückeninstitut (Art. 40, 41 BRRD):21 Die Abwicklungsbehörde kann die vom abzuwickelnden Institut ausgegebenen Anteile oder dessen Vermögenswerte, Rechte oder Verbindlichkeiten vollständig oder teilweise in einem oder mehreren Schritten an ein Brückeninstitut, das die notwendigen Zulassungen zur Fortführung des Instituts besitzt und ganz oder teilweise im Eigentum öffentlicher Stellen ist sowie unter der Kontrolle der Abwicklungsbehörde (z.B. bezüglich Strategie, Risikoprofil, Bestimmung des Leitungsorgans und dessen Vergütung) steht, übertragen. Das Brückeninstitut wird zum Zwecke des Erhalts kritischer Funktionen und zur Weiterveräußerung bzw. Liquidierung der Vermögenswerte, Rechte oder Verbindlichkeiten innerhalb von zwei Jahren22 in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Verkaufsprozess an einen oder mehrere private Erwerber errichtet.

18 19 20 21 22

12

Vgl. Abschnitt 2.2. Vgl. Kap. 2 SAG. Vgl. § 126 SAG. Vgl. § 128 SAG. Der Zeitraum kann unter bestimmten Umständen, die in Art. 41 Abs. 6 BRRD genannt werden, verlängert werden.

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Abwicklungsplanung in Europa

• Ausgliederung von Vermögenswerten (Art. 42 BRRD):23 Die Abwicklungsbehörde kann die Vermögenswerte, Rechte oder Verbindlichkeiten des Instituts vollständig oder teilweise in einem oder mehreren Schritten an eine oder mehrere Zweckgesellschaften, die ganz oder teilweise im Eigentum öffentlicher Stellen sowie unter der Kontrolle der Abwicklungsbehörde (z.B. bezüglich Strategie, Risikoprofil, Bestimmung des Leitungsorgans und dessen Vergütung) steht, übertragen. Die Gesellschaften werden zum Zwecke der Vermögensverwaltung, Wertmaximierung und Veräußerung bzw. Liquidation errichtet und zwar nur, wenn die Finanzstabilität eines Marktes, des abzuwickelnden Instituts oder des Brückeninstituts bedroht wäre oder dies zu den höchstmöglichen Liquidationserlösen führt. Die Ausgliederung von Vermögenswerten kann nur mit einem anderen Instrument zusammen angewandt werden. • Bail-in (Abschnitt 5 BRRD):24 Die Abwicklungsbehörde kann unter Anwendung der Abwicklungsbefugnisse gemäß Art. 63 Abs. 1 BRRD zum Zweck der Verlusttragung den Nennwert oder ausstehenden Restbetrag berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten herabsetzen und ggf. löschen oder zur Rekapitalisierung (mit dem Ziel der Herstellung der Einhaltung der Zulassungsbedingungen und zur Erhaltung des Marktvertrauens) in Eigentumsanteile umwandeln, wenn die Aussicht besteht, dass die langfristige Überlebensfähigkeit des Instituts hierdurch wieder hergestellt wird. Zu diesem Zweck erstellt das Institut innerhalb eines (ggf. verlängerbaren) Zeitraums von einem Monat einen Reorganisationsplan und leitet ihn an die Abwicklungsbehörde weiter. Bei Anwendung des Bail-in-Instruments hat die Abwicklungsbehörde die folgende Haftungskaskade einzuhalten: 1. Anteile und andere Instrumente des harten Kernkapitals, 2. Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals, 3. Instrumente des Ergänzungskapitals, 4. sogenannte berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten. Als berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten sind gedeckte Einlagen, besicherte (einschließlich gedeckter) Verbindlichkeiten, Verbindlichkeiten aus der Verwaltung von Kundengeldern und Kundenvermögen, Verbindlichkeiten von Instituten oder

23 24

Vgl. § 132 SAG. Vgl. §§ 89 ff. SAG.

13

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Alexander Kreutz-Peil

gegenüber Systemen, Systembetreiber oder deren Teilnehmer mit einer Ursprungslaufzeit von weniger als sieben Tagen, Verbindlichkeiten gegenüber Beschäftigten, Dienstleistern und Lieferanten des alltäglichen Geschäftsbetriebs, Steuer- und Sozialversicherungsbehörden und Einlagensicherungssystemen ausgenommen.25 Außer den oben genannten Einschränkungen können diese Instrumente einzeln oder in beliebiger Kombination angewandt werden. Sofern nur ein Teil der Vermögenswerte, Rechte oder Verbindlichkeiten übertragen werden, wird über den verbleibenden Rest ein reguläres Insolvenzverfahren mit dem Ziel der Liquidierung eröffnet.26 Als weiteres Instrument kann die Herabschreibung oder Umwandlung von Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals sowie des Ergänzungskapitals durch die Abwicklungsbehörde gemäß Art. 59 BRRD vor oder während der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten angesehen werden. Außerdem sieht die BRRD in Art. 56 bis 58 die Möglichkeit von staatlichen Stabilisierungsinstrumenten und Unterstützungsmaßnahmen vor. Im Rahmen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens wurden diese Wahlrechte jedoch nicht in deutsches Recht übertragen.

3.1.3

Abwicklungsbefugnisse

Zusätzlich zu den für die Anwendung der Abwicklungsinstrumente bestimmten Befugnissen hat die Abwicklungsbehörde gemäß Kap. V BRRD27 insbesondere die folgenden Befugnisse: • Die Abwicklungsbehörde kann von jeder Person alle notwendigen Informationen anfordern, um eine Abwicklungsmaßnahme zu entscheiden. • Die Abwicklungsbehörde kann die Kontrolle über ein abzuwickelndes Institut übernehmen und alle Rechte der Anteilseigner und der Geschäftsleitung ausüben. Sie kann hierfür auch die Geschäftsleitung entlassen bzw. ersetzen. • Die Abwicklungsbehörde kann die Fälligkeit der vom abzuwickelnden Institut ausgegebenen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten verlängern. • Die Abwicklungsbehörde hat die Befugnis, Derivatkontrakte glattzustellen oder zu kündigen.

25 26

27

14

Vgl. Art. 44 Abs. 2 und 3 BRRD. Die Instrumente Unternehmensveräußerung, Brückeninstitut und Ausgliederung von Vermögenswerten nennt man auch strukturelle Maßnahmen. Vgl. §§ 78 ff. SAG.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 15 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Abwicklungsplanung in Europa

• Die Abwicklungsbehörde hat die Befugnisse, vom abzuwickelnden Institut die Bereitstellung von Diensten und Einrichtungen gegenüber einer übernehmenden Gesellschaft zu verlangen, zur Aussetzung bestimmter Pflichten, zur Beschränkung von Sicherungsrechten und zur vorübergehenden Aussetzung von Kündigungsrechten.

3.1.4

Abwicklungsplanung

Die Abwicklungsbehörde erstellt unter Mitwirkung der Institute für alle Institute einen Abwicklungsplan zur geistigen Vorwegnahme eines Abwicklungsfalls unter Berücksichtigung von Abwicklungsszenarien28 und zur Dokumentation der hierfür gewählten Abwicklungsstrategie mit dem Ziel der Herstellung der Abwicklungsfähigkeit aller Institute. Im Rahmen der Abwicklungsplanung bestimmt die Abwicklungsbehörde zur Sicherstellung der Verlustabsorptionsfähigkeit für jedes Institut die Mindestanforderung an Eigenmitteln und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten (MREL (vgl. Art. 45 BRRD)29), die die Institute zu jeder Zeit einhalten müssen. Hierfür ist nur ein Teil der berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten anrechenbar. Zum Zweck der Herleitung der MREL-Quote haben dem Single Resolution Board (SRB) zugeordnete Institute zu Beginn der Jahre 2016, 2017 und 2018 an umfangreichen Datenerhebungen des SRB30 zur Verbindlichkeitenstruktur – aber auch zu kritischen Funktionen und Finanzmarktinfrastrukturen – teilgenommen, die auch zukünftig jährlich zu erwarten sind.

3.2 Mittelbare Folgen aus der BRRD 3.2.1

Mittelbare Folgen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive

Die Wirkung des europäischen Abwicklungsregimes auf organisatorische, technische und rechtliche Aspekte innerhalb der Institute ist insbesondere abhängig von der Größe des Instituts und dem Status der Abwicklungsplanung in der Abwicklungsbehörde. Im Folgenden werden einige Aspekte dargestellt.

28 29 30

Vgl. Art. 10 Abs. 3 BRRD; vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 2 SAG. Vgl. §§ 49-54 SAG. SRB (2018): Liability Data Report, https://srb.europa.eu/en/content/liability-data-report (abgerufen am 01.02.2018).

15

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 16 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Alexander Kreutz-Peil

3.2.1.1

Strategische Aspekte

Die Errichtung des Abwicklungsregimes und die damit eingeführte Haftungskaskade haben sich bereits 2016 positiv auf das Rating einiger Banken ausgewirkt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Refinanzierungsstrategien, die Kapitalstruktur und die Preisfindung bei der Refinanzierung von Banken von der Abwicklungsplanung, der Abwicklungsfähigkeit und der MREL-Quote des jeweiligen Instituts beeinflusst werden.

3.2.1.2

Organisatorische Aspekte

Einige Institute haben für die Mitwirkung bei der Abwicklungsplanung eine verantwortliche Organisationseinheit innerhalb des Instituts benannt sowie interne und/oder externe Ressourcen allokiert. Insbesondere zur Teilnahme an den SRB-Datenerhebungen haben einige Banken Prozesse zur Erhebung, Analyse, internen Abstimmung und Zulieferung von Daten und Informationen im Rahmen der Mitwirkung bei der Abwicklungsplanung bestimmt. Bei einigen Instituten sind organisatorische Anpassungen zur Herstellung der Abwicklungsfähigkeit in Abhängigkeit der institutsspezifischen Gegebenheiten und der Abwicklungsplanung zu erwarten. Insbesondere betrifft dies die Vorbereitung der Anwendung der präferierten Abwicklungsinstrumente im Rahmen der gewählten Abwicklungsstrategie sowie die Prozesse bei der Refinanzierung zur Sicherstellung der Einhaltung der MREL-Quote. Zusätzlich können Vorbereitungen zur Sicherstellung der operativen und finanziellen Kontinuität im Abwicklungsfall sowie des Krisenmanagements Anpassungen der Prozesse u.a. im Rahmen des Business Continuity Managements und der Unternehmenskommunikation verursachen. Es ist außerdem noch ungewiss, wie sich die Vorbereitung von strukturellen Maßnahmen oder von Maßnahmen der Reorganisation nach einem Bail-in bei den Instituten auswirken.

3.2.1.3

Technische Aspekte

Zur Mitwirkung bei der Abwicklungsplanung sind – wie in den SRB-Datenerhebungen zu erkennen – umfangreiche technische Prozesse zur Sammlung, Aggregation und Validierung von Daten und Informationen auszuführen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Anforderungen an die technischen Prozesse bei kleineren Instituten durch die Anwendung vereinfachter Anforderungen gemildert werden.

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Abwicklungsplanung in Europa

Als besondere Herausforderung bei der IT-seitigen Unterstützung bei der Vorbereitung eines Krisenfalls gilt die Bereitstellung von aktuellen Daten v.a. in Bezug auf Bewertungen, Rechnungslegung, die Identifikation von bail-in-fähigen Verbindlichkeiten und die Simulation von Bail-in-Szenarien, da es sich hier um sehr zeitkritische Vorgänge handelt. Dies schließt das Managementinformationssystem sowie die IT-seitige zentrale Erhebung und Verwaltung von Vertragsdaten mit ein.

3.2.1.4

Rechtliche Aspekte

Die Institute sind nach Art. 55 BRRD u.U. verpflichtet, von den Gläubigern einer Verbindlichkeit nach Drittstaatenrecht die Möglichkeit des Bail-in anerkennen zu lassen.31 Die Herstellung der Abwicklungsfähigkeit kann in Abhängigkeit von der Abwicklungsstrategie und der beabsichtigten Abwicklungsinstrumente ggf. die Anpassung von Gesellschaftsverträgen, z.B. zur Sicherstellung des Verlusttransfers, erfordern.

3.2.2

Mittelbare Folgen aus volkswirtschaftlicher Perspektive

Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind die Akteure im Finanzmarkt und deren Anreize zu unterscheiden.

3.2.2.1

Investoren

Die Investoren werden zur Anlageentscheidung und Preisfindung in ihrer Zielfunktion ihre Erwartungen in Bezug auf die Ausführung des Abwicklungsregimes weiterentwickeln. Diese Erwartungen schließen voraussichtlich Überlegungen über die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Abwicklungsfalls, die Auswirkung auf die Position des Investors im Abwicklungsfall und die Auswirkungen des Abwicklungsregimes auf den laufenden Betrieb des Instituts, z.B. bezüglich laufender Kosten, Maßnahmen zur Herstellung der Abwicklungsfähigkeit sowie der MREL-Quote, ein und werden die Preisfindung beeinflussen. Das NCWO-Prinzip stellt hierbei eine untere Grenze dar, weil es sicherstellt, dass der Investor im Vergleich zu einem regulären Insolvenzverfahren nicht schlechter gestellt wird. Es stellt jedoch auf die Individualperspektive des einzelnen Gläubigers ab, während die Sicherung der Finanzstabilität ein Gemeingut darstellt.

31

Hierfür sind bereits in Standardrahmenverträgen Protokolle bzw. Zusätze verfügbar.

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Alexander Kreutz-Peil

3.2.2.2

Kunden

Es ist wahrscheinlich, dass der überwiegende Teil der Privatkunden weiterhin auf die Einlagensicherungssysteme und weniger auf das Abwicklungsregime abstellt. Unternehmen der Realwirtschaft und institutionelle Kunden werden vergleichbare Erwartungen bilden wie die Investoren.

3.2.2.3

Abwicklungsbehörde

Die Abwicklungsbehörde hat im Abwicklungsfall ein Optimierungsproblem zu lösen. Sie ist auf Basis der Vorschriften der BRRD gehalten, die Kosten der Abwicklung sowie die Wertevernichtung unter Nebenbedingungen zu minimieren. Diese Nebenbedingungen schließen die Erreichung mindestens eines Abwicklungsziels und die Einhaltung der Grundsätze der Abwicklung, z.B. das NCWO-Prinzip, mit ein. Hieraus kann sich potenziell ein Zielkonflikt in Bezug auf Kosten Abwicklung ergeben. Die Vorbereitung einer kostenminimalen Abwicklung kann höhere Kosten im laufenden Betrieb der Institute zur Folge haben, was in Krisensituationen die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Abwicklung erhöhen kann. Es wird eine Balance zwischen den wirtschaftlichen Konsequenzen der Vorbereitung des Abwicklungsfalls und der Wirtschaftlichkeit im laufenden Geschäftsbetrieb hergestellt werden müssen. Ein weiterer Interessenausgleich ist in der BRRD bereits ausdrücklich vorgesehen. Mit der Errichtung des Single Resolution Mechanism (SRM) mit dem SRB und nationalen Abwicklungsbehörden als europäische Koordinierungsstelle sowie der Erweiterung der Kompetenzen der europäischen Standardsetzungsagentur European Banking Authority (EBA) auf abwicklungsspezifische Themen für die größten und wichtigsten Institute der teilnehmenden Mitgliedstaaten sollen nationale Interessen überwunden und ein harmonisiertes Verfahren etabliert werden. Dies wird verfahrensseitig durch gemeinsame Beschlüsse in Abwicklungskollegien32 (vergleichbar den Aufsichtsbehörden) und SRMGremien unterstützt.

3.2.2.4

Institute

Als zentrales Ziel des Abwicklungsregimes stellt die Herstellung der Abwicklungsfähigkeit auf die Abschaffung der too-big-to-fail-Annahme ab. Gleichzeitig schreibt sie jedoch die Fortführung kritischer Funktionen vor. Weitere Untersuchungen werden Aufschluss

32

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Für grenzüberschreitend tätige Institute vgl. Art. 88 BRRD; vgl. § 156 SAG.

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Abwicklungsplanung in Europa

darüber geben müssen, inwiefern die Größe der Institute mit der Anzahl und dem Geschäftsvolumen der kritischen Funktionen korreliert. Die Zielerreichung in Bezug auf die Abschaffung der too-big-to-fail-Annahme sowie der anderen Ziele des europäischen Abwicklungsregimes kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden und bedarf weiterer Beobachtung.

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Abwicklungsplanung im internationalen Kontext Dominik Weh/Stefan Schwengler

1 Einleitung 1.1 Übersicht über die Breite des Spektrums 1.2 Unterschiedliche Herangehensweisen 2 Ausgewählte Schwerpunkte in anderen Jurisdiktionen 2.1 Schweiz: Holdingmodelle und Umbau der rechtlichen Einheiten 2.2 Großbritannien: Abwickelbarkeit und Ring-fencing 2.3 USA: Breite und Tiefe der Abwicklungsplanung 2.4 Kanada: Wechsel der Herangehensweise 3 Mögliche Schlussfolgerungen für die Abwicklungsplanung in Europa Literatur

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1 Einleitung Too big to fail und die Abwicklungsfähigkeit von Banken sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise ein internationales und durch die G-20 getriebenes Thema. Mit der Verabschiedung der Key Attributes des Financial Stability Board (FSB) wurde die Implementierung in den G-20-Staaten und weiteren Industrienationen angestoßen. Der Reifegrad unterscheidet sich in der Abwicklungsplanung hierbei erheblich von Land zu Land: Während die US-Großbanken unter hohen Anstrengungen tausende Seiten füllende Pläne erarbeitet haben, hat Australien zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Richtlinien zur Abwicklungsplanung erlassen. Auch die den Behörden zur Verfügung stehenden Werkzeuge in der Abwicklung sind nicht immer mit den Werkzeugen der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) vergleichbar. Im folgenden Beitrag wird dabei auf unterschiedliche Reifegrade und Herangehensweisen über die G-20 hinweg eingegangen. Außerdem werden die Werkzeuge der BRRD und der Single-Resolution-Mechanism-Verordnung (SRM-Verordnung) in den internationalen Kontext gesetzt.

1.1 Übersicht über die Breite des Spektrums Der Reifegrad der Gesetzgebung zu Abwicklungsplanung und Abwicklungsmaßnahmen ist am weitesten entwickelt in den USA, der Europäischen Union (EU)/Großbritannien und der Schweiz. Die zuständigen Aufsichten können hier Institute u.a. dazu veranlassen, Vermögenswerte zu transferieren oder zu veräußern bzw. Verbindlichkeiten abzuschreiben oder in Eigenkapital umzuwandeln. Maßnahmen können in diesen Staaten außerdem vorsehen, dass Banken Veränderungen an ihrer Struktur und operativen Tätigkeiten vornehmen, um die Abwickelbarkeit zu verbessern. Diese Mechanismen sind bisher in vielen anderen Staaten noch nicht vorgesehen.1 So werden zwar Abwicklungspläne für systemisch relevante Banken z.B. in Staaten wie Russland, Brasilien, Singapur oder Mexiko vorgehalten. Allerdings sind die Abwicklungsbehörden in diesen Staaten nicht mit den uns bekannten weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, um im Abwicklungsfall und in Vorbereitung darauf bestimmte Maßnahmen durchsetzen zu können.

1

Vgl. FSB (2017).

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Neben Australien haben weitere Staaten, wie z.B. die Türkei, Südafrika, Indien oder Südkorea noch keine entsprechenden Richtlinien für systemisch relevante Banken erlassen. In vielen Staaten sind allerdings Richtlinien in der Erarbeitung. In Hongkong bspw. wurden Richtlinien zur Abwicklungsplanung in 2016 verabschiedet und gingen im Juli 2017 in Umsetzung. Auch Kanada hat in 2017 umfangreiche Anpassungen an der Gesetzgebung zur Abwicklungsplanung umgesetzt. In der Gesamtschau ist festzustellen, dass es einen klaren Trend in Richtung vollständiger internationaler Abdeckung gibt. Die nächste Priorität wird die anschließende Ausweitung auf andere Teilnehmer der Finanzindustrie sein, wie Versicherungen und Financial Market Infrastructures (FMI). Die EU-Kommission geht mit ihrem Vorschlag zur Abwicklung von Central Counterparties (CCP) als Beispiel voran.

1.2 Unterschiedliche Herangehensweisen Die Herangehensweise zur Abwicklungsplanung ist ebenso höchst heterogen: Während in Europa die Abwicklungsbehörden für den Plan verantwortlich sind, sind dies in den USA die Banken selbst. Dabei sind äußerst umfangreiche Pläne entstanden, kombiniert mit intensiven Arbeiten zur Erreichung der Abwicklungsfähigkeit. Kanada hat vor kurzem eine Kehrtwende vollzogen und folgt nun auch dem US-Modell. Großbritannien hat mit Ring-Fencing den Finanzsektor bereits umgebaut und auch bei operationeller Kontinuität eigene Maßstäbe vorgelegt. In der Schweiz mussten die beiden Großbanken ihre rechtliche Struktur in ein Holdingmodell überführen.

2 Ausgewählte Schwerpunkte in anderen Jurisdiktionen In diesem Abschnitt werden Beispiele aufgezeigt, wie Jurisdiktionen außerhalb der EuroZone mit Abwicklungsplanung bzw. Abwicklungsfähigkeit umgehen. Während die Umstände sich nicht unbedingt mit der Euro-Zone vergleichen lassen (bspw. Anzahl an Großbanken), lassen sich hier interessante Beobachtungen tätigen.

2.1 Schweiz: Holdingmodelle und Umbau der rechtlichen Einheiten Die Schweiz ist bekanntermaßen ein Vorreiter bei Gone-Concern-Kapital – global systemrelevante Banken (d.h. Credit Suisse, UBS) müssen eine Leverage Ratio von 10% vorhalten (davon bis zu 5% über bail-in-fähige Verbindlichkeiten) bzw. 28,6% der

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risikogewichteten Aktiva (davon bis zu 14,3% über bail-in-fähige Verbindlichkeiten).2 Die weiteren systemrelevanten Banken (PostFinance, Raiffeisen und ZKB) sollen zukünftig auch Gone-Concern-Kapital halten müssen, allerdings in geringerem Umfang.3 In der Abwicklungsplanung zeichnet sich der Schweizer Ansatz durch eine klare Fokussierung auf Banken und Funktionen aus. Einerseits sind die Anforderungen auf die systemrelevanten Banken beschränkt. Im Gegensatz zur EU gibt es für nicht-systemrelevante Banken keine Vorgaben.4 Andererseits sind potenziell kritische Funktionen auf das inländische Einlagen- und Kreditgeschäft sowie auf den Zahlungsverkehr beschränkt.5 Während die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) für die Erstellung des Abwicklungsplans zuständig ist,6 müssen die systemrelevanten Banken „eine Notfallplanung hinsichtlich Struktur, Infrastruktur, Führung und Kontrolle sowie konzerninterner Liquiditäts- und Kapitalflüsse so vorsehen, dass diese umgehend umgesetzt werden kann und im Fall drohender Insolvenz die Weiterführung ihrer systemrelevanten Funktionen gewährleistet ist.“7 Dabei muss die Bank nachweisen, dass sie die Anforderungen erfüllt und im Fall drohender Insolvenz die systemrelevanten Funktionen weiterführen kann. Andernfalls kann die FINMA entsprechende Maßnahmen anordnen.8 Für Verbesserungen an der Abwicklungsfähigkeit können Erleichterungen bei den Eigenmittelanforderungen gewährt werden.9 Am Beispiel der UBS kann gezeigt werden, wie umfangreich die notwendigen Arbeiten zur Erfüllung der Anforderungen sein können:10 Zuerst gründete die UBS eine Holdingstruktur mit der UBS Group AG an der Spitze, die 100% der Anteile an der UBS AG halten sollte. Die UBS Group AG agiert als Vehikel für einen Single-Point-of-Entry im Abwicklungsfall. Während die UBS Group AG selbst Tier-1-Emissionen begibt, bedient sie sich aus steuerlichen Gründen einer 100%-igen Tochtergesellschaft, der UBS Group Funding (Switzerland) AG für die Emission von Additional Tier 1 (AT1), Total LossAbsorbing Capacity (TLAC) und Senior-Instrumenten. Diese Instrumente werden durch die UBS Group AG garantiert.

2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. FINMA (2015). Vgl. Der Bundesrat (2017). Vgl. FINMA/Schiltknecht (2017), S. 5. Vgl. Art. 8 S. 1 BankG. Vgl. Art. 64 S. 2 BankV. Art. 9 BankG. Vgl. Art. 61f BankV. Vgl. Art. 65 BankV. Vgl. UBS (2015, 2016a, 2016b), NZZ (2016, 2017).

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Anschließend trennte die UBS das Schweizer Geschäft vom bestehenden Geschäft der UBS AG und schuf eine neue Bank, die UBS Switzerland AG. Diese ist eine 100%-ige Tochter der UBS AG mit eigener Banklizenz. Falls es zu einem Notfall aus dem internationalen Geschäft kommen sollte, bspw. der Investmentbank, könnte die neue Bank fast unabhängig von der Mutter agieren. Um die Abtrennung stemmen zu können, wurden mehrere zehntausend aufeinander abgestimmte Aktivitäten über einen Zeitraum von 20 Monaten durchgeführt. Das Kernteam umfasste 150 Personen; zeitweise waren weltweit bis zu 2.000 UBS-Mitarbeiter gleichzeitig involviert. Insgesamt werden die Kosten für das Unterfangen auf über 1 Mrd. CHF geschätzt. Neben dem Transfer von mehr als 11.000 Mitarbeiter zur UBS Switzerland AG hatte die Entflechtung auch zur Folge, dass die gut 3.000 größten Kunden statt wie bisher über eine UBS-Bankbeziehung über deren zwei verfügen würden. Die meisten Schweizer Kunden haben heute einen Vertrag mit der UBS Switzerland AG und nicht mehr mit der UBS AG. Neben der Aufspaltung des Heimatgeschäfts in zwei Banken wurde die UBS Business Solutions AG als direkte Tochtergesellschaft der UBS Group AG gegründet. Diese fungiert als Dienstleistungsunternehmen für den Konzern und soll damit die Kontinuität konzernweiter Dienstleistungen sicherstellen; dabei vereint sie bestehende Dienstleistungsgesellschaften weltweit (mit Ausnahme der USA) sowie Dienstleistungen, die bisher durch die UBS AG erbracht wurden. Auch außerhalb der Schweiz musste die UBS aktiv werden: Für die UBS Limited in Großbritannien wurde ein unabhängigeres Geschäfts- und Betriebsmodell eingeführt, um den Anforderungen zu entsprechen. In den USA gründete die UBS AG die UBS Americas Holding LLC als Zwischenholdinggesellschaft für die US-Tochtergesellschaften mit einer eigenen Dienstleistungsgesellschaft, der UBS Business Solution US LLC. Innerhalb der EU wurden die Wealth-Management-Tochtergesellschaften in Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Spanien mit der UBS Deutschland AG fusioniert, die in UBS Europe SE umbenannt wurde.

2.2 Großbritannien: Abwickelbarkeit und Ring-fencing Separierbarkeit v.a. von kritischen Funktionen ist ein Kernthema der Abwicklungsplanung. Da Banken i.d.R. nicht konzipiert wurden, um jederzeit aufgespalten werden zu können, bedingt eine glaubwürdige Aufspaltung häufig umfangreiche Vorarbeiten.

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Einer der wesentlichen Vorschläge der Independent Commission on Banking (Vickers Commission) in 201111 war die Einführung eines Trennbankensystems mit dem Ziel, für die Volkswirtschaft kritische Bankdienstleistungen vom Investmentbanking abzutrennen und damit zu schützen. Das Ergebnis ist eine vollkommene Trennung des britischen Retail-Geschäfts sowohl aus gesellschaftsstruktureller, rechtlicher und operationeller Sicht. Die britischen Großbanken müssen die Anforderungen bis zum Januar 2019 erfüllen, wobei in der Umsetzung durchaus unterschiedliche Wege gewählt wurden. Die Royal Bank of Scotland bspw. hat hierzu eine komplexe Holdingstruktur errichtet. Diese ist in zwei Sub-Strukturen unterteilt: eine Ring-fenced Sub-Holding, die NatWest Holdings Limited, sowie drei einzeln lizensierte Banken außerhalb des Ring-Fence: NatWest Markets Plc, The Royal Bank of Scotland International Limited und Isle of Man Bank Limited. In der Ring-fenced Sub-Holding sind fünf weitere Banken eingegliedert: The Royal Bank of Scotland Plc, National Westminster Bank Plc, Coutts and Co, Ulster Bank Ireland und Ulster Bank Limited.12 Bei Barclays wird Barclays International die Corporate- und Investmentbank sowie die internationalen Karten- und Zahlungsverkehrsgesellschaften der Gruppe übernehmen. Die Ring-fenced Einheit, genannt Barclays UK, wird die britische High Street Banking Division und UK Card Operationen umfassen. Barclays hat zusätzlich eine Servicegesellschaft gegründet, die mit über 10.000 Mitarbeitern sowohl für die Retail- als auch die Investmentbank bestimmte Services übernehmen wird, sobald diese formell getrennt sind.13 Die HSBC hat bereits im Jahr 2015 über 18.000 Mitarbeiter an ein in Großbritannien ansässiges Dienstleistungsunternehmen ausgelagert, um ihre Back-Office-Funktionen abzuschirmen und somit die neuen Vorschriften zu erfüllen. Zusätzlich plant die HSBC, ihr Ring-fenced Retail- und Handelsbankgeschäft in Birmingham anzusiedeln und rund 1.000 Mitarbeiter von London dorthin zu verlagern.14 Großbritannien ist zum aktuellen Stand auch die einzige (Noch-)EU-Jurisdiktion, die klare Anforderungen zu Operationeller Kontinuität aufgestellt hat. Diese wurden im Supervisory Statement 9/16 definiert und sind von britischen Banken per 01.01.2019 einzuhalten.15 Einige der Anforderungen sind durch die Umgestaltung durch Ring-fencing bereits abgedeckt. Es wird sich zeigen, ob andere europäische Abwicklungsbehörden

11 12 13 14 15

Vgl. Independent Commission on Banking (2011). Vgl. Royal Bank of Scotland (2016). Vgl. Reuters (2017a), The Telegraph (2017). Vgl. Reuters (2017a). Vgl. Prudential Regulation Authority (2016).

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ähnliche Anforderungen stellen, die Umsetzung wäre jedenfalls eine große Herausforderung und ein Mehrjahresprogramm für Banken in der EU.

2.3 USA: Breite und Tiefe der Abwicklungsplanung Section 165d des Dodd-Frank-Act aus 2010 verpflichtet US-Großbanken zur Erstellung eines Abwicklungsplans und gibt den zuständigen Behörden, der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) und der Federal Reserve Board (FRB), umfangreiche Befugnisse, falls Pläne durch beide Behörden als nicht glaubwürdig eingestuft werden. U.a. können durch die Behörden Kapital- und Liquiditätsanforderungen angepasst werden, Geschäftsaktivitäten eingeschränkt werden sowie als Ultima Ratio Abspaltungen von Geschäftsteilen angeordnet werden. Seitdem US-Großbanken erste Abwicklungspläne im Jahr 2012 eingereicht hatten, haben die zuständigen Behörden die Erwartungen Jahr für Jahr deutlich erhöht. Die erste Eskalationsstufe war die Veröffentlichung konkreter Anforderungen an Abwicklungspläne im April 2013.16 Die in 2013 eingereichten Pläne wurden von der FDIC als „nicht glaubwürdig“ eingestuft, auch das FRB identifizierte „sofortig notwendige Maßnahmen“. Die Behörden stellten in Aussicht, mangelhafte Pläne in 2015 als solche mit den entsprechenden Konsequenzen einzustufen.17 Die US-Großbanken haben seitdem mit hohem personellen und finanziellen Einsatz tausende Seiten umfassende Pläne erstellt und die Organisationsstrukturen zur Verbesserung der Abwicklungsfähigkeit umgestaltet. Trotz der Anstrengungen wurden viele der in 2015 eingereichten Pläne als mangelhaft eingestuft, konkret die von Bank of America, Bank of New York Mellon, JPMorgan Chase, State Street und Wells Fargo. Die Pläne von Goldman Sachs, Morgan Stanley und Citigroup wurden nicht oder nur von jeweils einer der beiden Behörden formal beanstandet. Die Banken mit mangelhaften Plänen mussten diese Mängel bis Oktober 2016 beseitigen, um negative Konsequenzen zu vermeiden.18

16

17

18

28

Vgl. Board of Governors of the Federal Reserve System/Federal Deposit Insurance Corporation (2013). Vgl. Board of Governors of the Federal Reserve System/Federal Deposit Insurance Corporation (2014). Vgl. Board of Governors of the Federal Reserve System/Federal Deposit Insurance Corporation (2016a).

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Abwicklungsplanung im internationalen Kontext

Tabelle 1: Überblick der Kritikpunkte an den Plänen der US-Banken Bereich Anzahl der Mängel

JPM 4

WFC 4

STT 4

BN YM 3

BAC 2

MS 0

GS 0

Citi 0

Liquidität Kapital Derivate Gesellschaftsstruktur Governance

Operationalisierung der Strategie

Planerstellung Playbooks & Schwellenwerte Gruppeninterne Maßnahmen Shared Services Zerschlagung Brückenbankstrategie Verwahrungsthemen Dauer der Vorlaufphase Insolvenz

Mängel (Frist: 01.10.2016)

Schwachstellen (Frist: 01.07.2017)

Für alle Banken galt, dass bis 01.07.2017 nicht nur die aktualisierten und verbesserten Pläne einzureichen waren, sondern auch die Erwartungshaltung einer vollumfänglichen Abwickungsfähigkeit der Organisation. Für die Abgabe in 2017 wurden dazu detaillierte Richtlinien veröffentlicht, die sich über alle Themengebiete der Abwicklungsplanung erstrecken.19

19

Vgl. Board of Governors of the Federal Reserve System/Federal Deposit Insurance Corporation (2016b).

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Tabelle 2: Richtlinien der US-Behörden für die Abwicklungsplanung Dimensionen

Komponenten

Beschreibung

Refinanzierung & Liquidität

• Konzept zur Ermittlung des Kapital- und Liquiditätsbedarfs zur Umsetzung der Abwicklungsstrategie für jede wesentliche Gesellschaft

Kapital Derivate & Handelsaktivitäten Finanzielle Abwicklungsfähigkeit

• Ex-ante-Bereitstellung von Kapital- und Liquidität für die Abwicklung in jeder wesentlichen Gesellschaft • Rationalisierte finanzielle Vernetzung Gesellschaftsstruktur

Strukturelle Abwicklungsfähigkeit

Separierbarkeit

Governance Playbooks Governance & Eskalationsmechanismus

Operationelle Abwicklungsfähigkeit

Schwellenwerte Rechtliche Einschätzung

• Fortsetzung der Rationalisierung der Gesellschaftsstruktur und der Geschäftsablaufe. Damit Verbesserung der Sanierungs-und Abwicklungsfähigkeit • Formalisierung einer übergreifenden Abwicklungs-Governance um den Eskalations- und Entscheidungsmechanismus zu definieren

Zahlungsverkehr, Wertpapierabwicklung und Finanzmarktinfrastruktur

• Weiterer Ausbau von glaubwürdigen Verbesserungen der operationellen Kontinuität

Shared Services

• Umfasst sowohl Planung als auch Ex-ante- Vorbereitungsmaßnahmen an Informationen, Strukturen, Verträgen etc.

Sicherheitenabwicklung MIS/Operationelle Kontinuität (SR 14-1)

Ob die US-Großbanken die Erwartungen nun erfüllt haben, wird sich zeigen, die Ergebnisse werden jedenfalls mit Spannung erwartet. Dabei bleibt festzuhalten, dass die Anstrengungen der US-Großbanken in vielen Bereichen zu neuen Fähigkeiten geführt haben, u.a. in Bezug auf Liquiditätsmodelle, in der Reduktion von rechtlichen Einheiten und im Verständnis interner Leistungsbeziehungen. Gleichzeitig ist vorausschauend darauf hinzuweisen, dass sich das rechtliche Umfeld ggf. ändern könnte. Die von Präsident Donald Trump angestoßenen Reformen könnten nach aktuellem Stand u.a. dazu führen, dass die FDIC ihre Rolle in der Abwicklungsplanung und als Abwicklungsbehörde unter Title II verliert.20

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2.4 Kanada: Wechsel der Herangehensweise In Kanada war zunächst die Canada Deposit Insurance Corporation (CDIC) für die Erstellung von Abwicklungsplänen verantwortlich. Erste Abwicklungspläne für systemrelevante Institute wurden im Jahr 2012 erstellt. Im Jahr 2013 wurde durch das Office of the Superintendent of Financial Institutions (OSFI) die Liste der systemrelevanten Banken formalisiert.21 In den Folgejahren lässt sich auf Basis der Offenlegungen der CDIC22 nachverfolgen, dass die Erstellung der Abwicklungsplanung erhebliche Effekte auf die Personalsituation und -strategie der Behörde hatte. Der Ausbau mit erfahrenen Mitarbeitern stellte in diesem Kontext ein mehrjähriges Unterfangen dar. Dies ist verständlich, wenn man die Aufwände auf Seiten von Banken heranzieht und mit der Personalausstattung der CDIC vergleicht: Für sechs national-systemrelevante Banken waren Abwicklungspläne zu schreiben. Von den insgesamt etwa 130 Mitarbeitern der CDIC war naturgemäß nur ein Teil verfügbar, um die Aufgaben für die Abwicklungsplanung zu stemmen. In den Jahren 2013 und 2014 blieb die CDIC in der Folge hinter ihren eigenen Zielen in Bezug auf die Abwicklungsplanung zurück. Im Besonderen gelang es nicht, robuste Abwicklungspläne für alle systemrelevanten Banken zu erstellen. Damit einhergehend stufte sie die operationelle Vorbereitung für die Abwicklung einer systemrelevanten Bank als potenzielles Risiko ein. Im Jahr 2015 verkündete die kanadische Regierung daher, dass zukünftig die systemrelevanten Banken selbst für die Erstellung der Abwicklungspläne und für die Sicherstellung der Abwicklungsfähigkeit verantwortlich sein werden. Die CDIC sollte in diesem Zuge formal als Abwicklungsbehörde benannt werden und mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden. Diese Änderungen wurden durch den Budget Implementation Act 2017 umgesetzt.23 In ihrer neuen Rolle wird die CDIC die systemrelevanten Banken bei der Erstellung der Pläne anleiten und Erwartungen an Abwicklungspläne und Abwickelbarkeit definieren. Die Pläne und ihre Umsetzbarkeit werden anschließend durch die CDIC analysiert.24

20 21 22 23 24

Vgl. U.S. House, 104th Congress (2017), S. 11 f. Vgl. IMF (2014), S. 10, S. 42. Vgl. CDIC (2014, 2015b, 2016). Vgl. CDIC (2017). Vgl. CDIC (2015a).

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Damit hat Kanada die Kehrtwende vollzogen und ist vom „europäischen“ Ansatz zum US-amerikanischen Ansatz gewechselt.

3 Mögliche Schlussfolgerungen für die Abwicklungsplanung in Europa Aus europäischer Sicht sollten wir im öffentlichen Interesse aus den Erfahrungen lernen, die andere Jurisdiktionen bereits gemacht haben. Da sich die Behörden untereinander austauschen, ist davon auszugehen, dass sich dieser Wissenstransfer auf die Abwicklungsplanung in der Euro-Zone auswirkt: Vom Detaillierungs- und Vorbereitungsgrad der US-Pläne ist Europa noch weit entfernt. So gab es in der Euro-Zone bis dato nur wenige Transformationen zur Verbesserung der Abwicklungsfähigkeit – und keine, die mit Großbritannien oder der Schweiz vergleichbar sind. Die wenigen öffentlich bekannten Beispiele sind die irischen Großbanken, die aufgefordert wurden, Holdinggesellschaften zu etablieren. Letztlich muss sich die europäische Aufgabenteilung, dass Behörden für die Pläne verantwortlich sind, bei der nächsten Abwicklung einer großen und komplexen Bank beweisen. Die zumindest nach außen hin lehrbuchartige Abwicklung der Banco Popular Español hat hier sicher zum Erfahrungsschatz der Behörden beigetragen, nicht zuletzt der kurzfristige Schwenk der Abwicklungsstrategie und die Abwicklung während der Woche auf Grund der sich zuspitzenden Liquiditätssituation.25 Dabei ist zu erwähnen, dass einige potenzielle Unwägbarkeiten gekonnt umschifft wurden. Durch die Kapitalzufuhr seitens Santander war nur eine Herabschreibung bzw. Wandlung der 15 Instrumente der aufsichtsrechtlichen Eigenmittel erforderlich.26 Dies ist in der Operationalisierung nicht vergleichbar mit einem Bail-in im Senior-Bereich mit oft vielen Tausenden Instrumenten und Gläubigern. Zudem wurde durch den Verkauf im Ganzen per Share Deal eine operationelle Aufteilung der Bank in mehrere Abwicklungseinheiten vermieden. In jedem Fall werden die Anforderungen aus der Abwicklungsplanung aber auch für Anstrengungen zur Verbesserung der Abwicklungsfähigkeit in den kommenden Jahren steigen. Banken in der Euro-Zone sollten heute schon den Grundstein für eine gute Vorbereitung legen und sich organisatorisch auf diese Herausforderungen einstellen.

25 26

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Vgl. Reuters (2017b). Vgl. Fondo de Reestructuración Ordenada Bancaria (2017), S. 5 ff.

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Abwicklungsplanung im internationalen Kontext

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Rechtliche Rahmenbedingungen

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa1 Alenka Reinmöller

1 Einleitung 2 Insolvenzrechtliche Regelungen für eine geordnete Abwicklung 2.1 Tradierte insolvenzrechtliche Vorschriften 2.1.1 Darstellung der geltenden Regelungen 2.1.2 Eignung des tradierten Insolvenzrechts für Kreditinstitute 2.2 Abgrenzung zur Abwicklung 3 Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute in Europa 3.1 Rechtliche Grundlagen 3.1.1 Harmoniertes Rahmenwerk nach BRRD 3.1.2 Regelungen nach der SRM-Verordnung 3.1.3 Umsetzung der europäischen Regeln in deutsches Recht 3.2 Abwicklungsverfahren im SRM 4 Fazit Literatur

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Vorliegender Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin und nicht zwangsläufig den Standpunkt der Bafin oder sonstiger Behörden wieder.

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1 Einleitung „Bei kleineren Firmen sei die Liquidation möglich, bei großen nicht ohne schwerste Erschütterung des ganzen Kreditsystems. Es gehe auf die Dauer nicht an, dass der Staat private Gewinne zuließe und bei Verlusten eintreten müsse.“2 Diese Feststellung traf Reichskanzler Heinrich Brüning auf einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses im Juli 1931. In dieser Sitzung wurden die Möglichkeiten zur Bewältigung der Bankenkrise in Deutschland – Folge der durch den New Yorker Börsencrash 1929 ausgelösten Weltwirtschaftskrise – diskutiert. Diese Feststellung wurde knapp 80 Jahre später wieder aktuell, als die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Holdings Inc. mit Sitz in New York Insolvenz beantragen musste – mit dramatischen Auswirkungen für die Weltwirtschaft und einem tiefen Vertrauensverlust an den Finanzmärkten. Weder die Aufsichtsbehörden noch die Kreditinstitute selbst haben mit dem Ausmaß der systemischen Gefährdung gerechnet. Bis zum Ausbruch der globalen Finanzkrise schienen die etablierten Regulierungs- und Insolvenzvorschriften, der Disziplinierungsdruck der Märkte sowie das Eigeninteresse eine ausreichende Vorkehrung gegen Ausfälle von Kreditinstituten zu sein.3 Wie sich zeigte, war die Finanzkrise mit den Regeln des tradierten Insolvenzrechts und den bestehenden Regelungen zur Sanierung nicht beherrschbar. Die Staats- und Regierungschefs der G-20-Länder waren sich einig, dass u.a. ein einheitliches Rahmenwerk zur Sanierung und Abwicklung entwickelt werden muss, womit ein Kreditinstitut schnell, sicher und ohne das Finanzsystem zu gefährden sowie ohne Einsatz öffentlicher Mittel abgewickelt werden kann. Zudem sollen Haftung und Risiko wieder zusammen gehören: Für Fehlentscheidungen und Risikoignoranz soll ein Staat nicht mehr haften müssen. Das Financial Stability Board (FSB) wurde mit dieser Aufgabe betraut und legte 2011 die „Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions“ (Key Attributes)4 vor, zu deren Umsetzung sich die Staats- und Regierungschefs der G-20-Länder verpflichtet haben.5 Das Ziel der Key Attributes ist die Schaffung eines Regelungsrahmens in dem systemisch relevante Kreditinstitute geordnet und ohne Einsatz von Steuergeldern abgewickelt werden können. Dies trägt zur Lösung der too-big-to-failProblematik und des Moral-Hazard-Risikos bei.

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Brüning, H. (1931), ohne Seitenangabe. Vgl. Deutsche Bundesbank (2011), S. 40. Vgl. FSB (2011), ohne Seitenangabe. Vgl. G20 (2011), S. 6 Nr. 30.

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Daneben arbeitete die EU-Kommission als Antwort auf die Finanzkrise an Maßnahmen und Regeln mit dem Ziel, ein einheitliches verbindliches Regelwerk für die Aufsicht und Abwicklung von Kreditinstituten aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), das Single Rulebook, einzuführen, in dem auch die Key Attributes umgesetzt werden. Als sich die Finanzkrise in der Euro-Zone zu einer Schuldenkrise fortentwickelte, wurde offensichtlich, dass die Notwendigkeit einer weiter reichenden Integration des Bankensystems erforderlich ist. Neben der Wirtschafts- und Währungsunion sollte so auch eine Bankenunion in der Euro-Zone etabliert werden.6 Mitgliedstaaten aus der Nicht-EuroZone können sich entscheiden, der Bankenunion bei zu treten (Opt-in). Die Bankenunion besteht aus den drei Säulen: • einheitlicher Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism (SSM)), • einheitlicher Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism (SRM)) und • einheitliches Einlagensicherungssystem (European Deposit Insurance Scheme (EDIS)). Abbildung 1: Übersicht Bankenunion Single Rulebook Einheitliches Regelwerk für Kreditinstitute (alle EU-Mitgliedstaaten) - Eigenkapital (CRR, CRD IV); - Abwicklung (BRRD); - harmonisierte Einlagensicherungssysteme (DGSD)

SupervisoryManual Einheitliche Aufsichtspraktiken

Bankenunion Vertiefte Integration des Bankensystems innerhalb der Euro-Zone; nicht Euro-Mitgliedstaaten können beitreten (Opt-in)

Säule I E inheitlicher Aufsichtsmechanismus • Organisatorisch bei EZB angesiedelt • Direkte Aufsicht über bedeutende Kreditinstitute • Indirekte Aufsicht über weniger bedeutende Institute • Enge Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden • Durchführung von Stresstests • Zuständig für Zulassung

Säule II E inheitlicher Abwicklungsmechanismus • Einheitlicher Abwicklungsausschuss (Single Resolution Bord (SRB)) entscheidet über Abwicklung • Enge Zusammenarbeit mit den nationalen Abwicklungsbehörden • Einheitlicher Abwicklungsfonds sichert Finanzierung der Abwicklung

Quelle: in Anlehnung an Möllers, T.M.J. (2015)

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Vgl. EU-Kommission (2012), S. 2, 6 und 9 ff..

Säule III E inheitliches E inlagensicherungssystem • Ziel: Schaffung einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung (derzeit noch in Verhandlung) • Zunächst Harmonisierung der nationalen Einlagensicherungssysteme durch DGSD (Ebene des Single Rulebook)

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Die Bankenabwicklungsrichtlinie (Banking Recovery and Resolution Directive (BRRD))7 stellt das einheitliche Regelwerk für eine geordnete Abwicklung von Kreditinstituten in der EU dar. Sie bildet die Grundlage für die SRM-Verordnung (SRM-Verordnung),8 die das Rahmenwerk für eine einheitliche Abwicklung von Kreditinstituten in der EuroZone sowie der Bankenunion beigetretenen Mitgliedstaaten bildet. Der vorliegende Beitrag stellt in Abschnitt 2 die tradierten insolvenzrechtlichen Regelungen dar und macht ihre Eignung für bestimmte, nicht systemisch relevante Kreditinstitute deutlich. In Abschnitt 3 werden die Regelungen der BRRD und der SRM-Verordnung behandelt. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick. Im Rahmen dieses Beitrages werden Regelungen zur Sanierung und Maßnahmen der Frühintervention nicht behandelt.

2 Insolvenzrechtliche Regelungen für eine geordnete Abwicklung 2.1 Tradierte insolvenzrechtliche Vorschriften 2.1.1

Darstellung der geltenden Regelungen

Insolvenzrechtliche Vorschriften i. V. m. § 46b KWG9 Nach § 46b Kreditwesengesetz (KWG) kann bei Vorliegen eines Eröffnungsgrundes die Einleitung eines Insolvenzverfahrens nach § 16 Insolvenzordnung (InsO)10 für ein Kreditinstitut beantragt werden. Zu den Eröffnungsgründen zählen nach § 17 InsO die Zah-

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Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen („BRRD“) und zur Änderung [diverser Richtlinien und Verordnungen], ABl. EU Nr. 173, S. 190. Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.07.2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. EU Nr. L 225, S. 1. I.d.F. der Bekanntmachung vom 09.09.1998 BGBl. I S. 2776, zuletzt geändert durch Art. 14 Gesetz v. 17.07.2017 BGBl. I S. 2446. Verordnung v. 05.10.1994 BGBl. I S. 2866, zuletzt geändert durch Art. 24 Gesetz v. 23.06.2017 BGBl. I S. 1693.

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lungsunfähigkeit, nach § 18 InsO die drohende Zahlungsunfähigkeit oder nach § 19 InsO die Überschuldung. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bedarf nach § 13 Abs. 1 S. 1 InsO eines schriftlichen Antrags, wobei nach § 13 Abs. 1 S. 2 InsO Gläubiger und Schuldner antragsberechtigt sind. Diese Antragsberechtigung wird gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 1. HS und S. 2 KWG durch die Anzeigepflicht der Geschäftsleitung des Kreditinstituts gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ersetzt. Wird die Anzeigepflicht verletzt, so kann sie gemäß § 55 KWG als Vorsatztat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, als fahrlässige Tat mit bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden. Den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim zuständigen Amtsgericht darf nach § 46b Abs. 1 S. 4 KWG nur die Bafin stellen; nach § 46b Abs. 1 S. 5 KWG im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit nur mit Zustimmung des Instituts. Die alleinige Antragsberechtigung soll gewährleisten, dass die Bafin aufgrund ihrer Fachkompetenz sinnvoll reagieren kann und die Wirkung vorinsolvenzlicher Maßnahmen unter Berücksichtigung der Interessen der Gläubiger nicht durch Insolvenzanträge Dritter konterkariert wird.11 Eine vorherige erfolglose Anwendung des Krisenbewältigungsinstrumentariums nach §§ 45 ff. KWG, ein Erlass einzelner Maßnahmen gemäß § 46 KWG oder das Verhängen eines Moratoriums gemäß § 46g KWG ist nicht erforderlich.12 Damit stellt das Insolvenzeröffnungsverfahren eine Alternative zu den genannten Maßnahmen dar und kann dazu genutzt werden, eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens zu erreichen. Die Entscheidung zur Antragstellung hat die Bafin dabei nach pflichtgemäßem Ermessen zu fällen.13 Sofern das Amtsgericht dem Insolvenzantrag der Bafin entspricht, hat es ihr den Eröffnungsbeschluss gemäß § 46b Abs. 1 S. 7 KWG gesondert zuzustellen. Der Eröffnungsbeschluss ist durch das Amtsgericht gemäß § 30 Abs. 2 InsO auch den Gläubigern und Schuldnern des Instituts zuzustellen. Bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entzieht die Bafin gemäß § 35 Abs. 2a S. 1 KWG dem Institut die Erlaubnis. Bestimmte Tätigkeiten des Instituts kann der Insolvenzverwalter allerdings weiter betreiben, sofern sie für das Insolvenzverfahren erforderlich oder angezeigt sind.

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Vgl. Häberle, P. (2017), § 46b KWG Rn. 1. Vgl. Beger, T.-U. (2013), S. 77. Vgl. Lindemann, J.H. (2016), § 46b KWG Rn. 25.

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Nach § 46b Abs. 3 KWG muss der Insolvenzverwalter die Bafin regelmäßig über den Stand und Fortgang des Insolvenzverfahrens unterrichten. Des Weiteren ist das Amtsgericht gegenüber der Bafin informationspflichtig. Sie kann auch Einsicht in die Insolvenzakten nehmen. Europäisches Bankeninsolvenzrecht Auf Insolvenzverfahren über das Vermögen von u.a. Kreditinstituten, Wertpapierfirmen, Versicherungsunternehmen und Organismen für gemeinsame Anlagen (OGA) findet gemäß Art. 1 Abs. 2 Europäischer Insolvenzverordnung (EuInsVO)14 diese keine Anwendung. Zur Schließung der Lücke und Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes hat der europäische Gesetzgeber die Richtlinie 2001/24/EG15 erlassen.16 Sie befasst sich mit kollisionsrechtlichen Fragen im Fall der Krisenbewältigung bei grenzüberschreitend tätigen Kreditinstituten, beschränkt sich dabei aber auf Regelungen zu Zuständigkeitsfragen, Sonderrechtsanknüpfungen und Informationspflichten. Die Richtlinie führt somit kein unionsweit gültiges harmonisiertes Restrukturierungsoder Liquidationsregime für Institute ein. Ziel der Richtlinie ist die Durchführung eines einzigen Insolvenzverfahrens im EU-Binnenmarkt durch gegenseitige Anerkennung von Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten. Sowohl für das Sanierungs- als auch das Insolvenzverfahren sind weiterhin die nationalen Regelungen anwendbar.17 Der Anwendungsbereich gemäß Art. 1 EuInsVO erstreckt sich u.a. auf Kreditinstitute mit Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten und auf Wertpapierfirmen sowie auf Unternehmen, bei denen gemäß der BRRD Abwicklungsinstrumente angewendet oder Abwicklungsbefugnisse ausgeübt wurden. Die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht erfolgte mit Wirkung zum 01.01.2004,18 wobei u.a. im KWG die §§ 46d (Unterrichtung der anderen Staaten des Europäischen

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Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. EG Nr. L 160, S. 1., neu gefasst in der Verordnung (EU) Nr. 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015, ABl. EU Nr. L 191, S. 19. Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.04.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. EG Nr. L 125, S. 15, geändert durch Art. 117 ÄndRL 2014/59/EU vom 15.05.2014, ABl. EU Nr. L 173, S. 190. Vgl. Ruzik, A. (2009), S. 140. Vgl. Wolfers, B./Voland, T. (2011), S. 318. Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten (KredSanG), Gesetz v. 10.12.2003 BGBl. I S. 2478, zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 Gesetz v. 01.04.2015 BGBl. I S. 434.

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Wirtschaftsraums (EWR) über Sanierungsmaßnahmen), 46e (Insolvenzverfahren in den Staaten des EWR) und 46f (Unterrichtung der Gläubiger im Insolvenzverfahren) eingefügt wurden. Durch die weitere Gesetzgebung, insbesondere seit der Finanzkrise 2008, wurden diese Regelungen modifiziert und der Anwendungsbereich im Rahmen der neuen Regelung zur Sanierung und Abwicklung von Instituten erweitert. Insolvenzrecht und Regelungen in der Bankenabwicklungsrichtlinie Ist ein in Abwicklung befindliches Institut oder gruppenangehöriges Unternehmen nach Anwendung von Abwicklungsinstrumenten nicht mehr systemisch relevant, kann nach Art. 37 Abs. 6 BRRD das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Umgesetzt wurde diese Anforderung in § 116 Abs. 1 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG).19 Gemäß Art. 37 Abs. 8 BRRD (§ 141 SAG) ist dabei sicher zu stellen, dass ein Insolvenzverfahren keine Auswirkungen auf das Abwicklungsverfahren hat und eine Anfechtung ausgeschlossen ist. Nach den §§ 116 Abs. 1 S. 2 und 128 Abs. 5 S. 2 SAG gilt § 46b Abs. 1 S. 4 KWG mit der Maßgabe, dass die Abwicklungsbehörde das alleinige Recht zur Stellung des Insolvenzantrags hat. Bei der übertragenden Abwicklung kann durch die Abwicklungsbehörde angeordnet werden, dass das übertragende Institut Dienstleistungen an das aufnehmende Institut erbringt. Im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das übertragende Institut ist nach Art. 65 Abs. 1 BRRD (§ 80 Abs. 6 SAG) der Insolvenzverwalter an diese Dienstleistungsverpflichtung gebunden.

2.1.2

Eignung des tradierten Insolvenzrechts für Kreditinstitute

Das reguläre Insolvenzverfahren, das für Handelsunternehmen konzipiert wurde, wird den Besonderheiten insbesondere systemisch relevanter Kreditinstitute nicht gerecht. Durch die Zielrichtung des tradierten Insolvenzverfahrens bleiben v.a. die Aspekte der Finanzstabilität und des Vertrauenserhalts unberücksichtigt. Ein weiterer Grund ist die relativ lange Dauer solcher Verfahren – durchschnittlich dauert eine Regelinsolvenz vier Jahre20 – während der Wert der Vermögenswerte eines Kreditinstituts in Insolvenz rapide fallen kann.21

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Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG), Art. 1 Gesetz. v. 10.12.2014 BGBl. I S. 2091; zuletzt geändert durch Art. 3 G. v. 23.12.2016 BGBl. I S. 3171. Bork, R. (2017), Rn. 413. Vgl. Kenadjian, P.S. (2012), S. 5.

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Des Weiteren ist mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ein Kreditinstitut ein Zahlungsverbot, sind Vertragsbeendigungsklauseln und der Entzug der Banklizenz verbunden. Damit hat die Eröffnung stets eine Zäsurwirkung für die wirtschaftlichen Beziehungen des Instituts mit seinen Kunden, anderen Finanzmarktteilnehmern und Anbietern von Finanzmarktinfrastrukturen.22 Insbesondere bei Kreditinstituten, die aufgrund ihrer Größe, Vernetzung und Komplexität systemisch relevant und ggf. grenzüberschreitend tätig sind, kann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund von Ansteckungseffekten und dem abrupten Wegfall systemrelevanter Funktionen zu Verwerfungen auf den Finanzmärkten und der Realwirtschaft führen.23 Letztlich müssten öffentliche Mittel zur Minimierung der Auswirkungen aufgewendet werden.

2.2 Abgrenzung zur Abwicklung Primäre Ziele eines für Kreditinstitute konzipierten Insolvenzrechts wären aufgrund ihrer besonderen Stellung im Wirtschaftsverkehr die Kontinuität kritischer Funktionen, die Wahrung der Finanzstabilität, der Schutz öffentlicher Mittel, der Einlegerschutz sowie der Schutz der Gelder und Vermögenswerte der Kunden. Weiterhin ist zu beachten, dass bei einer Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern an den Verlusten eines Instituts diese im Vergleich zum regulären Insolvenzverfahren nicht schlechter gestellt werden dürfen (No-Creditor-Worse-Off-Grundsatz (NCWO)). Daneben müssen die Regelungen auch über nationale Grenzen hinweg, d.h. zumindest unionsweit, harmonisiert sein.24 Mit der BRRD wurde eine Alternative zum tradierten Insolvenzrecht geschaffen, wobei eine Abwicklung nur in begründeten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen soll. Verankert ist dieses Verständnis in Art. 32 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Abs. 5 BRRD, wonach eine Abwicklungsmaßnahme erst anwendbar ist, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt. Ein öffentliches Interesse liegt vor, wenn durch die Abwicklungsmaßnahme eines oder mehrerer der in Art. 31 Abs. 1 Buchst. a bis e BRRD bezeichneten Abwicklungsziele25 erreicht werden sollen, die Anwendung im Hinblick auf das Erreichen dieser Ziele verhält-

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Vgl. Binder, J.-H. (2015), S. 85. Vgl. Binder, J.-H. (2015), S. 86. Vgl. BRRD, Erwägungsgründe 4 und 5. Hierbei handelt es sich um: 1. Sicherstellen der Kontinuität kritischer Funktionen, 2. Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Finanzstabilität, 3. Schutz öffentlicher Mittel, 4. Schutz der Einleger, 5. Schutz der Kundengelder und -vermögenswerte.

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nismäßig ist und durch ein Insolvenzverfahren diese Ziele nicht im selben Umfang erreicht werden können.26 Durch die BRRD wird somit kein neues kollektives Verfahrensrecht zur Insolvenzbewältigung geschaffen. Das Regelwerk enthält vielmehr verwaltungsrechtliche Eingriffsinstrumente für die entsprechenden Aufsichts- und Abwicklungsbehörden:27 Bei der Anwendung von in der BRRD verankerten Abwicklungsinstrumenten wird das wirtschaftliche Ergebnis einer insolvenzmäßigen Vermögensabwicklung nachgestellt und durch die Beteiligung von Anteilseignern und Gläubigern sowie der Geschäftsleitung seine Ordnungsfunktion beibehalten.28 Durch die neuen Befugnisse der Behörden, z.B. Gewährleistung eines ununterbrochenen Zugangs zu Einlagen und zum Zahlungsverkehr, wird aber dessen Zäsurwirkung vermieden.29

3 Einheitlicher Abwicklungsmechanismus für Kreditinstitute in Europa 3.1 Rechtliche Grundlagen 3.1.1

Harmoniertes Rahmenwerk nach BRRD

Gestützt auf Art. 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV),30 stellt die BRRD für alle 28 Mitgliedstaaten der EU ein verbindliches materielles Regelwerk dar. Sie enthält harmonisierte Vorschriften für Sanierung, Frühintervention und Abwicklung von Instituten und gibt Abwicklungsinstrumente vor. Daneben enthält sie Regelungen zur Finanzierung von Abwicklungen. Die Zuständigkeit für die Anwendung der in der Richtlinie enthaltenen Befugnisse wird auf zu errichtende bzw. benennende nationale Abwicklungsbehörden übertragen. Die Richtlinie wurde am 12.06.2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und war bis zum

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Vgl. BRRD, Erwägungsgründe 45 und 46. Vgl. Binder, J.-H. (2015), S. 88-89. Vgl. BRRD, Erwägungsgrund 5. Vgl. Binder, J.-H. (2015), S. 93. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (26.10.2012), ABl. EU Nr. C 326, S. 49.

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa

31.12.2014 in nationales Recht31 umzusetzen. Die verpflichtende Anwendung hat seit dem 01.01.2015 zu erfolgen. Lediglich die Vorschriften zum Bail-in gemäß Titel IV Kap. IV Abschnitt 5 BRRD sind seit dem 01.01.2016 verpflichtend anzuwenden. Der Anwendungsbereich erstreckt sich gemäß Art. 1 BRRD auf alle in der EU niedergelassenen32 Institute gemäß Capital Requirements Regulation (CRR), d.h. CRR-Kreditinstitute gemäß Art. 4 Abs. Nr. 1 CRR und CRR-Wertpapierfirmen gemäß Art. 4 Abs. Nr. 2 CRR sowie ihre Tochtergesellschaften, Finanzholdinggesellschaften und Mutterfinanzholdinggesellschaften. Ebenfalls unter den Anwendungsbereich fallen in der EU bestehende Zweigstellen von Instituten aus Drittstaaten. In der Richtlinie folgt nach dem Anwendungsbereich und der Definition verschiedener Begriffe eine dreistufige Struktur: 1. In Titel II „Vorbereitung“ (Art. 4 bis 26 BRRD) ist geregelt, welche Vorkehrungen für den Krisenfall zu treffen sind. Diese Vorbereitungen finden idealerweise außerhalb einer Krisensituation statt und sehen folgendes vor: • Sanierungsplan: Jedes Institut hat einen Sanierungsplan zu erstellen. Gerät ein Institut in Schwierigkeiten, soll es die Krise mit Hilfe der dort festgelegten Maßnahmen aus eigener Kraft bewältigen. • Abwicklungsplan: Die nationalen Abwicklungsbehörden erstellen für jedes entsprechende Institut einen Abwicklungsplan. Dieser dient als eine Art Muster für den Krisenfall und enthält u.a. die präferierte Abwicklungsstrategie. • Abwicklungsfähigkeit: Die Abwicklungsbehörde bewertet nach Anhörung der zuständigen Aufsichtsbehörde die Abwicklungsfähigkeit des Instituts. Gelingt es dem Institut nicht, identifizierte Abwicklungshindernisse zu beseitigen, stehen der Abwicklungsbehörde weitreichende Befugnisse zu. 2. In Titel III „Frühzeitiges Eingreifen“ (Art. 27 bis 30 BRRD) sind umfangreiche Befugnisse der Aufsichtsbehörde geregelt, die sie ergreifen kann, um eine sich abzeichnende Schieflage des Instituts abzuwenden. Hierbei steht eine Sanierung des Instituts weiterhin im Vordergrund, wobei auch eine Restrukturierung möglich ist.33 3. In Titel IV „Abwicklung“ (Art. 31 bis 86) setzt das eigentliche Abwicklungsregime ein, nachdem Maßnahmen eines Sanierungsverfahrens oder eines frühzeitigen Ein-

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Zur Umsetzung von Richtlinien siehe Art. 288 AEUV. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. EU L 176, S. 1. Vgl. Chattopadhyay (2017), S. 337.

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greifens nicht ausreichend oder von vornherein nicht erfolgversprechend sind. Die Abwicklungsbehörde hat in diesem Fall sogar die Befugnis, in die Rechte von Eigentümern und Gläubigern einzugreifen. In den weiteren Titeln der BRRD sind u.a. die grenzüberschreitende Gruppenabwicklung (Titel V), die Beziehung zu Drittländern (Titel VI) und die Finanzierungsmechanismen (Titel VII) geregelt. Der Anhang enthält Regelungen zum Inhalt von Sanierungsplänen (Abschnitt A), zu Informationen, die eine Abwicklungsbehörde bei einem Institut anfordern kann (Abschnitt B) sowie bei der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit zu berücksichtigende Aspekte (Abschnitt C). Gemäß Art. 32 Abs. 1 BRRD müssen für die Eröffnung eines Abwicklungsverfahrens drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: • Das Institut fällt aus oder sein Ausfall ist wahrscheinlich. Diese Feststellung trifft die Aufsichtsbehörde nach Anhörung der Abwicklungsbehörde.34 Gemäß Art. 32 Abs. 4 BRRD wird dieses Kriterium erfüllt, wenn ein Institut überschuldet oder zahlungsunfähig ist oder aber gegen die an eine dauerhafte Zulassung geknüpften Anforderungen verstößt (z.B. bei einem Verlust, der wesentliche Teile der Eigenmittel aufzehrt). Abgesehen von bestimmte Ausnahmen gilt das Kriterium ebenfalls als erfüllt, wenn das Institut aus öffentlichen Mitteln finanziell unterstützt wird. Ein Bail-out verliert somit seinen Reiz, was zur Verringerung des Moral Hazard beiträgt.35 • Der Ausfall kann nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums durch alternative Maßnahmen der Privatwirtschaft (u.a. von institutsbezogenen Sicherungssystemen) oder der Aufsichtsbehörden (u.a. Frühinterventionsmaßnahmen) abgewendet werden. • Die Abwicklung ist im öffentlichen Interesse. Nach Art. 32 Abs. 5 BRRD liegt eine Abwicklung im öffentlichen Interesse, wenn sie für das Erreichen eines oder mehrerer Abwicklungsziele gemäß Art. 31 Abs. 2 Buchst. a bis e BRRD erforderlich und verhältnismäßig ist und dies mit einer Liquidation im Insolvenzverfahren nicht im selben Umfang erreicht werden kann. Hiermit wird dem tradierten Insolvenzrecht eine Alternative zur Verfügung gestellt. Gerät ein Institut in Schieflage, ist zu prüfen, welches der beiden möglichen Verfahren (Abwicklung oder Insolvenz) durchzuführen ist. Verluste werden gemäß Art. 34

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Unter den Voraussetzungen des Art. 32 Abs. 2 BRRD kann auch die Abwicklungsbehörde nach Anhörung der Aufsichtsbehörde diese Feststellung treffen. Vgl. Deutsche Bundesbank (2014), S. 37.

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Abs. 1 Buchst. a BRRD zunächst von den Eigentümern und danach gemäß Art. 34 Abs. 1 Buchst. b BRRD von den Gläubigern in der Rangfolge der Forderungen im regulären Insolvenzverfahren getragen. Dabei ist der NCWO-Grundsatz gemäß Art. 73 Buchst. b BRRD zu berücksichtigen. Sind die Voraussetzungen für eine Abwicklung erfüllt, stehen der Abwicklungsbehörde für das Erreichen der Abwicklungsziele mehrere Abwicklungsinstrumente gemäß Art. 37 Abs. 3 BRRD zur Verfügung. Dies sind die Unternehmensveräußerung, das Brückeninstitut, die Ausgliederung von Vermögensgegenständen und der Bail-in. Diese Instrumente können einzeln oder in Kombination zur Anwendung kommen, wobei das Instrument der Ausgliederung von Vermögenswerten nicht einzeln eingesetzt werden darf. Vor Anwendung eines der genannten Abwicklungsinstrumente ist gemäß Art. 36 BRRD allerdings eine faire, vorsichtige und realistische Bewertung durchzuführen. Als einem möglichen Bail-in vorgelagerte Handlungsoption, aber nicht als eigentliches Abwicklungsinstrument, steht der nationalen Abwicklungsbehörde gemäß Art. 60 BRRD die Möglichkeit der Herabschreibung oder Umwandlung von Kapitalinstrumenten (hartes Kernkapital, zusätzliches Kernkapital und Ergänzungskapital) zur Deckung von Verlusten zur Verfügung.36 Neben der Prüfung, ob ein Insolvenz- oder Abwicklungsverfahren durchzuführen ist, enthält die BRRD weitere zu beachtende Grundsätze für eine Abwicklung: • Der Gleichlauf von Risiko und Haftung wird durch die Beteiligung von Eigentümern und Gläubigern an den Verlusten und der Rekapitalisierung des Instituts hergestellt. Vor dem ergänzenden Einsatz eines Abwicklungsfonds (Finanzierungsmechanismen gemäß Titel VII der BRRD) sollen Eigentümer und Gläubiger bei einer Abwicklung Verluste in Höhe von mindestens 8% der Passiva tragen (8%-Bail-in-Regel (Art. 44 Abs. 5 Buchst. a BRRD)). • Staatshilfen dürfen nur bei einer außerordentlichen Systemkrise und unter Beachtung der 8%-Bail-in-Regel gewährt werden. Gemäß Art. 32 Abs. 4 lit d BRRD dürfen einem Kreditinstitut, sofern es die aufsichtlichen Anforderungen erfüllt, Eigenmittel zugeführt werden, wobei die Zuführung als Beihilfe genehmigungspflichtig ist. Die Fälle beschränken sich auf die Abwendung einer schweren Störung der Volkswirtschaft und zur Wahrung der Finanzstabilität sowie einer vorbeugenden oder vorübergehenden Schließung einer Kapitallücke auf-

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Vgl. Deutsche Bundesbank (2014), S. 38.

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grund eines aufsichtlichen Stresstestes. Die Eigenmittel dürfen nicht zum Ausgleich von Verlusten dienen und müssen zu marktüblichen Konditionen gewährt werden. 37 Obwohl Eigentümer und Gläubiger eines Instituts an seinen Verlusten beteiligt werden, kann in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden, dass die Kosten einer Abwicklung darüber hinausgehen. Um letztendlich nicht doch wieder den Steuerzahler insgesamt mit den Kosten belasten, sieht Art. 100 ff. BRRD die Errichtung eines nationalen Abwicklungsfinanzierungsmechanismus in Form eines Abwicklungsfonds vor. Dieser Fonds wird durch im Voraus erhobene Beiträge durch die Institute finanziert.

3.1.2

Regelungen nach der SRM-Verordnung

Der Fokus der BRRD liegt auf der Abwicklung von Instituten innerhalb eines Mitgliedsstaates. Damit verbleibt der Entscheidungsprozess auf nationaler Ebene. Für den EuroRaum wurde die nationale Fokussierung als nicht ausreichend erachtet.38 Flankierend zur BRRD und als zweite Säule der Bankenunion wurde daher die Verordnung zum einheitlichen Abwicklungsmechanismus verabschiedet, die auch Regelungen für eine europäische Abwicklungsbehörde und einen europäischen Abwicklungsfonds enthält.39 Der einheitliche Abwicklungsmechanismus SRM ergänzt damit den einheitlichen Aufsichtsmechanismus SSM, der auf der Grundlage der SSM-Verordnung40 bereit im November 2014 mit der Europäischen Zentralbank (EZB) als Aufsichtsbehörde seine Tätigkeit aufgenommen hat. Die Grundlage des SRM bilden die Vorschriften zur Abwicklung der BRRD, die durch die SRM-Verordnung teilweise konkretisiert werden.41 Wesentliche Regelungen sind: • Kernstück der SRM-Verordnung ist die Errichtung des einheitlichen Ausschusses für Abwicklung (Single Resolution Board (SRB)) mit Sitz in Brüssel sowie die Regelung von Zuständigkeiten und der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Abwicklungsbehörden und dem SRB. Durch Art. 7 Abs. 1 und 2 SRM-Verordnung werden

37 38 39 40

41

52

Vgl. Best, S./Read, O. (2017), S. 41. Vgl. Wieland, A. (2015), S. 430. Vgl. Deutsche Bundesbank (2016), S. 68. Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15.10.2014 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. EU L 287 S. 63 (SSM-Verordnung). Die Regelungen zur Abwicklungsplanung, zu Abwicklungsinstrumenten und Abwicklungszielen sowie Abwicklungsvoraussetzungen etc. wurden bereits in den vorstehenden Beiträgen behandelt. An dieser Stelle wird auf die Darstellung der entsprechenden Regelungen in der SRM-Verordnung verzichtet.

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa

Aufgaben nationaler Abwicklungsbehörden auf das SRB übertragen und damit die Befugnis zur Anwendung der materiellen Abwicklungsegeln. Das SRB ist somit die zentrale Instanz innerhalb des SRM. Im Gegensatz zur europäischen Aufsichtsbehörde EZB handelt es sich gemäß Art. 42 Abs. 1 SRM-Verordnung beim SRB nicht um ein primärrechtliches EU-Organ, sondern um eine spezifische Agentur mit besonderen Aufgaben und eigener Rechtspersönlichkeit. Entsprechend muss sich der Entscheidungsfindungsprozess innerhalb des einheitlichen Abwicklungsmechanismus nach der Meroni-Doktrin42 ausrichten: Die EU-Kommission kann Agenturen aus ihrer eigenen Organisationsgewalt heraus nur gründen, sofern die Zuständigkeit und die Verantwortung gegenüber den Adressaten der Entscheidung bei ihr verbleiben. Daneben ist zur Wahrung des Demokratieprinzips bei Ausübung von Hoheitsrechten mit Letztentscheidungsrecht der Rat im Entscheidungsprozess mit einzubeziehen. Folglich sieht Art. 18 Abs. 7 SRM-Verordnung eine hinreichende Beteiligung der EUKommission und des Rates vor.43 Das SRB hat grundsätzlich nicht die Befugnis, selbst gegenüber den Instituten zu handeln. Vielmehr müssen Entscheidungen und Beschlüsse des SRB von den nationalen Abwicklungsbehörden umgesetzt werden. Gemäß Art. 43 Abs. 1 SRM-Verordnung besteht das SRB aus dem/der Vorsitzenden (Executive Director) und vier weiteren Vollzeitmitglieder. Sie werden von der EUKommission vorgeschlagen und vom Rat ernannt. Des Weiteren ist jeweils ein Vertreter der nationalen Abwicklungsbehörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten vertreten. Zusammen bilden sie das Plenum als Leitungsorgan. Die EZB und die EU-Kommission sind durch jeweils einen Beobachter vertreten.44 Das Plenum (Plenary Session) trifft gemäß Art. 50 SRM-Verordnung u.a. alle Grundsatzentscheidungen sowie Entscheidungen über Abwicklungskonzepte. Daneben gibt es gemäß Art. 53 SRM-Verordnung das Präsidium, das aus dem/der Vorsitzenden und den vier hauptamtlichen Mitgliedern sowie ggf. einem Vertreter der betreffenden Abwicklungsbehörde besteht. Im Rahmen der Präsidiumssitzung hat der Ausschuss gemäß Art. 54 Abs. 1 SRM-Verordnung die Aufgabe, zu fassenden Beschlüsse für das Plenum vor- und alle gefassten Beschlüsse zur Umsetzung der SRMVerordnung anzunehmen. • Der Anwendungsbereich der SRM-Verordnung umfasst räumlich nur diejenigen Mitgliedstaaten der EU, die dem Euro-Raum beigetreten sind oder freiwillig an der Bankenunion teilnehmen (Art. 4 SRM-Verordnung). Sachlich sind gemäß Art. 2

42 43 44

Vgl. hierzu mit ausführlicher Erläuterung Deutsche Bundesbank (2014), S. 49-50. Vgl. Wojcik, K.-P./Ceyssens, J. (2014), S. 895-896. Vgl. Kemper (2017), S. 75-76.

53

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SRM-Verordnung alle in diesen Mitgliedstaaten niedergelassenen CRR-Kreditinstitute erfasst sowie grenzüberschreitende Gruppen. Darunter fallen auch Kreditinstitute und gruppenangehörige Unternehmen, bei denen der Ausschuss die Aufsicht an sich gezogen oder von einem Mitgliedstaat übertragen bekommen hat (Art. 7 Abs. 4 Buchst. b SRM-Verordnung). Auf Finanzholdinggesellschaften, Finanzinstitute und Wertpapierfirmen gemäß CRR finden die Regelungen der SRM-Verordnung nur Anwendung, wenn sie auf konsolidierter Basis von der EZB beaufsichtigt werden. Somit ergibt sich bezüglich des Anwendungsbereichs eine Parallelität zwischen der SSM-Verordnung und der SRM-Verordnung.45 Die SRM-Verordnung gilt seit 01.01.2016 in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten. Für die nicht unter den Anwendungsbereich der SRM-Verordnung fallenden Institute verbleibt die Zuständigkeit bei der jeweiligen nationalen Abwicklungsbehörde, es sei denn, der einheitliche Abwicklungsfonds wird in Anspruch genommen. Dann ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 SRM-Verordnung dem SRB das Abwicklungskonzept durch die nationale Abwicklungsbehörde vorzulegen. • Neben der Errichtung des SRB bildet das Errichten eines einheitlichen Abwicklungsfinanzierungsmechanismus ein weiteres Kernstück der SRM-Verordnung, geregelt in Art. 67 bis 74 SRM-Verordnung. Eigentümer des einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund (SRF)) ist das SRB, gespeist wird er durch die Beiträge der Institute der teilnehmenden Mitgliedstaaten. Innerhalb von acht Jahren, ab dem 01.01.2016, soll das Volumen des Fonds 1% der gedeckten Einlagen der Institute der teilnehmenden Mitgliedstaaten (geschätztes Volumen ca. 55 Mrd. EUR) erreichen. Die im Voraus zu entrichtenden Beiträge werden über die nationalen Abwicklungsbehörden von den beitragspflichtigen Instituten erhoben und auf den Fonds übertragen.46

3.1.3

Umsetzung der europäischen Regeln in deutsches Recht

Im Vorgriff auf die Umsetzung einheitlicher unionsweiter Regelungen zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten hat der deutsche Gesetzgeber u.a. mit dem Trennbankengesetz47 Regeln zur Sanierung und Abwicklung im KWG eingeführt. Eine organisatorisch von der laufenden Aufsicht getrennte Abwicklungseinheit sollte bei der Bafin

45 46 47

54

Vgl. Kemper (2017), S. 73. Vgl. Wojcik, K.-P./Ceyssens, J. (2014), S. 896. Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen (AbschG), Gesetz v. 07.08.2013, BGBl. I S. 3090.

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa

errichtet werden. Mit dem BRRD-Umsetzungsgesetz48 wurden die einschlägigen Vorschriften zur Restrukturierung, Sanierung und Abwicklung von Instituten in das neu geschaffene SAG überführt.49 Die Aufgaben der nationalen Abwicklungsbehörde wurden gemäß § 3 Abs. 1 SAG auf die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) übertragen. Die Abwicklungsbehörde wurde zum 01.01.2018 als eigener Geschäftsbereich in die Bafin eingegliedert.50 Obwohl die SRM-Verordnung keiner nationalen Umsetzung bedurfte, da sie als Verordnung unmittelbare Geltung hat, wurden insbesondere die geänderten behördlichen Zuständigkeiten mittels des Abwicklungsmechanismusgesetzes (AbwMechG)51 u.a. im SAG angepasst.

3.2 Abwicklungsverfahren im SRM Voraussetzung für die Einleitung eines Abwicklungsverfahrens gemäß Art. 18 SRMVerordnung ist die Feststellung des wahrscheinlichen oder tatsächlichen Ausfalls des betreffenden Instituts. Diese Feststellung wird durch die EZB getroffen. Unabhängig davon steht dem SRB selbst die Möglichkeit zu, den wahrscheinlichen oder tatsächlichen Ausfall eines Instituts festzustellen und der EZB mitzuteilen. Äußert sich die EZB nicht innerhalb einer Frist von drei Tagen, kann das SRB die endgültige Entscheidung selbst treffen.52 Die weiteren Voraussetzungen für eine Abwicklung – keine Abwendung eines Ausfalls durch andere private Maßnahmen möglich sowie das Vorliegen des öffentlichen Interesses – werden durch das SRB selbst getroffen. Fällt die Entscheidung für eine Abwicklung des betreffenden Instituts, entwickelt das SRB gemeinsam mit der nationalen Abwicklungsbehörde ein Abwicklungskonzept. Im Abwicklungskonzept ist u.a. die Auswahl der Abwicklungsinstrumente festgehalten

48

49 50 51

52

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung [diverser Richtlinien und Verordnungen] des Europäischen Parlaments und des Rares (BRRD-Umsetzungsgesetz), Gesetz v. 10.12.2014, BGBl. I S. 2091. Vgl. Binder, J.-H. (2015b), S. 154. Vgl. hierzu Art. 3 FMSA-Neuordnungsgesetz, Gesetz v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3171. Gesetz zur Anpassung des nationalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismusgesetz (AbwMechG)), Gesetz v. 02.11.2015, BGBl. I S. 1864. Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2017), S. 14.

55

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sowie die Einschätzung, ob über die Eigentümer- und Gläubigerbeteiligung hinaus eine Finanzierung der Abwicklungskosten über den SRF notwendig ist.53 Das SRB legt das Abwicklungskonzept der EU-Kommission und dem Rat zur Billigung vor, die für Erhebung von Einwänden 24 Stunden Zeit haben. Einwände kann die EUKommission nur auf vom SRB genutzte Ermessensspielräume erheben. Der Rat kann nur in zwei Fällen Einwände erheben: 1. Aus seiner Sicht liegt kein öffentliches Interesse vor, das Institut kann demnach in einem regulären nationalen Insolvenzverfahren liquidiert werden. 2. Aus seiner Sicht ist eine wesentliche Änderung der verwendeten Fondsmittel erforderlich. Im Falle von Einwänden hat das SRB das Abwicklungskonzept innerhalb von acht Stunden entsprechend abzuändern.54 Die EU-Kommission hat in Fällen, in denen staatliche Beihilfe gewährt werden soll oder die Verwendung von Mitteln des SRF vorgesehen ist, eine Schlüsselstellung: Das Abwicklungskonzept kann erst nach ihrer Entscheidung und ggf. getroffener Bedingungen bzw. Auflagen festgelegt werden.55 Die Umsetzung des Abwicklungskonzepts oder die Eröffnung des regulären Insolvenzverfahrens obliegt der nationalen Abwicklungsbehörde. Das SRB hat ein Durchgriffsrecht auf das abzuwickelnde Institut, falls sich die nationale Abwicklungsbehörde nicht an das Abwicklungskonzept hält.56 Rechtsschutz im SRM Der Vollständigkeit halber wird kurz auf den Rechtsschutz im SRM eingegangen. Innerhalb der SRM-Verordnung ist gemäß Art. 85 SRM-Verordnung ein Beschwerdeausschuss vorgesehen. Natürliche und juristische Personen, die Adressat von Beschlüssen sind oder von diesen unmittelbar und einzeln betroffen sind, können gegen bestimmte SRB-Beschlüsse Beschwerde einlegen. Ist eine Nachprüfung durch den Beschwerdeausschuss zulässig, ist sie gemäß Art. 86 Abs. 1 SRM-Verordnung gegenüber gerichtlichem Rechtsschutz grundsätzlich vorrangig.57

53 54 55 56 57

56

Vgl. Deutsche Bundesbank (2014), S. 48. Vgl. Deutsche Bundesbank (2014), S. 49. Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2017), S. 14. Vgl. Kemper (2017), S. 94. Vgl. Tusch, S./Herz, B. (2015), S. 820.

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa

Ausschlaggebend beim gerichtlichen Rechtsschutz ist, welche Behörde nach außen verbindlich gehandelt hat und gegen wen dementsprechend ein Rechtsbehelf zu richten ist:58 • Ergehen Akte durch das SRB oder den Beschwerdeausschuss, kann ein betroffenes Institut insbesondere Nichtigkeitsklage beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erheben. • Gegen Abwicklungsmaßnahmen (Abwicklungsanordnung im Rahmen einer Allgemeinverfügung) der Bafin ist gemäß 150 Abs. 1 S. 1 SAG kein Widerspruchsverfahren zulässig. Allein die Anfechtungsklage vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in erster und letzter Instanz ist möglich. Diese Klage hat keine aufschiebende Wirkung, ebenso ist der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch ausgeschlossen. Abbildung 2: Entscheidungswege im SRM bei einer Abwicklung SRB Single Resolution Board Executive Director, vier hauptamtliche Mitglieder Vertreter national zuständiger Behörden im Tätigkeitsgebiet der Bank Zusätzlich alle übrigen nationalen Vertreter, falls Kapitalhilfen (Liquiditätshilfen) aus dem gemeinsamen Abwicklungsfonds > 5 (10) Mrd Euro

EZB

Prüft Abwicklungsvoraussetzungen: 1. Bank ausgefallen/fällt wahrscheinlich aus 2. Keine alternative (private) Lösung 3. Öffentliches Interesse Abwicklungskonzept

Europäische Kommission Überprüft Abwicklungskonzept: 1. Öffentliches Interesse 2. Mittel des gemeinsamen Abwicklungsfonds SRF 3. Sonstige Ermessensausübung des SRB Einwand zu 1./2. binnen 12 h

Einwand zu 3.

EU-Ministerrat Entscheidung Entscheidung „kein öffentliches Interesse” zur Nutzung des SRF

Zustimmung/kein Einwand binnen 24 h

SRB Single Resolution Board Änderung des Abwicklungskonzepts binnen 8 h

National zuständige Abwicklungsbehörden Abwicklung nach national anwendbarem Recht Umsetzung des Abwicklungskonzepts SVR-14-362

Quelle: Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2014/2015, S. 183

58

Vgl. Engelbach, S./Friedrich, T. (2015), S. 668.

57

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4 Fazit Mit der Einführung und Umsetzung der BRRD und SRM-Verordnung sind die institutionellen Grundlagen für eine einheitliche Abwicklung von Instituten gelegt worden. Die neuen Regelungen stellen dem SRB und den nationalen Abwicklungsbehörden harmonisierte bzw. einheitliche Verfahrensweisen und Abwicklungsinstrumente zur Verfügung, mit denen insbesondere systemisch relevante Institute möglichst geräuschlos aus dem Markt genommen werden können, ohne die Bereitstellung kritischer Funktionen zu unterbrechen. Des Weiteren werden die Eigentümer und Gläubiger im Krisenfall an den Verlusten der Institute beteiligt und somit droht ihnen der Ausfall ihrer Ansprüche. Darüber hinaus gehende Abwicklungskosten sollen durch Mittel eines Fonds gedeckt werden, den die Institute mit ihren Beiträgen selbst zu finanzieren haben. Ob mit dem neuen Regelungsrahmen und Instrumenten tatsächlich der Teufelskreislauf zwischen dem Scheitern systemisch relevanter Institute und dem damit verbundenen Zwang, den Steuerzahler in Anspruch zu nehmen, durchbrochen wird, hängt von der Glaubwürdigkeit der neuen Regeln ab. Nur wenn die Politik im Krisenfall die Abwicklungsinstrumente tatsächlich zur Anwendung bringt, kann das Moral-Hazard-Problem aufgelöst werden. Institute können dann nicht mehr übermäßige Risiken im Vertrauen auf staatliche Rettung im Krisenfall übernehmen.

Literatur Beger, T.-U. (2013), Bankenkrisen und Insolvenzrecht, Hamburg: Dr. Kovač. Best, S./Read. O., (2017), Bankenabwicklungsrichtlinie. Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung, in: Risiko-Manager, Nr. 8, S. 40-45. Binder, J.-H. (2015a), Komplexitätsbewältigung durch Verwaltungsverfahren? Krisenbewältigung und Krisenprävention nach der EU-Bankensanierungs- und abwicklungsrichtlinie, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, 20. Jg., Nr. 1, S. 83-133. Binder, J.-J. (2015b), Gleichung mit (zu?) vielen Unbekannten: Nachhaltige Bankenstrukturen durch Sanierungs- und Abwicklungsplanung, in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 27. Jg., Nr. 3, S. 153-165. Bork, R. (2017), Einführung in das Insolvenzrecht, Tübingen: Mohr Siebeck.

58

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Rechtlicher Rahmen einer Bankenabwicklung in Europa

Brüning, H. (1931), Dokument 409 – Sitzung des Wirtschaftsausschusses der Reichsregierung vom 27. Juli 1931, in: Die Kabinette Bünning I/II, Band 2, http://www.bundesarchiv. de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/bru/bru2p/kap1_1/kap2_157/para3_1.html (abgerufen am 15.10.2017). Bundesministerium der Finanzen (2017), Monatsbericht Mai 2017, http://www. bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/ monatsbericht-mai-2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 03.12.2017). Chattopadhyay, R. (2017), Bridge Banks in Deutschland, Wiesbaden: Springer. Deutsche Bundesbank (2011), Monatsbericht März 2011, https://www.bundesbank.de/ Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2011/2011_03_ monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 15.10.2017). Deutsche Bundesbank (2014), Monatsbericht Juni 2014, https://www.bundesbank.de/ Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2014/2014_06_ monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 03.12.2017). Deutsche Bundesbank (2016), Monatsbericht Juli 2016, https://www.bundesbank.de/ Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2016/2016_07_ monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile (abgerufen am 03.12.2017). Engelbach, S./Friedrich, T. (2015), Die Umsetzung der BRRD in Deutschland, in: WMZeitschrift für Wirtschaft und Bankrecht, 69. Jg., Nr. 14, S. 662-671. EU-Kommission (2012), Fahrplan für eine Bankenunion – Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament und den Rat, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ TXT/PDF/?uri=CELEX:52012DC0510&from=EN (abgerufen am 15.10.2017). Financial Stability Board (2011), Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, aktualisiert 2014, http://www.fsb.org/wp-content/uploads/ r_141015.pdf (abgerufen am 15.10.2017). G-20 (2011), Cannes Summit Final Declaration 2011, https://www.g20.org/sites/default/ files/g20_resources/library/Declaration_eng_Cannes_0.pdf (abgerufen am 15.10.2017). Häberle, P. (2017), § 46b KWG, in ; Erbs, G./Kohlhaas, M., Beck’sche Kurzkommentare-Strafrechtliche Nebengesetze, Band 17, München: Beck, KWG § 46b, Rn. 1-7. Kemper, M. (2017), Die Europäische Bankenunion und die Sparkassen, Stuttgart: Deutscher Gemeindeverlag.

59

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Alenka Reinmöller

Kenadjian, P.S. (2012), Between Bankruptcy and Bailout, in: Kendjian, P.S. (Hg.), Too Big to Fail – Brauchen wir ein Sonderinsolvenzrecht für Banken?, Berlin Boston: De Gruyter, S. 3-23. Lindemann, J.H. (2016), § 46b KWG, in: Boss, K.-H./Fischer, R./Schulte-Mattler, H., Kommentar zu Kreditwesengesetz, VO (EU) Nr. 575/2013 (CRR) und Ausführungsvorschriften, Band I, München: Beck, KWG § 46b, Rn. 1-43. Möllers, T.M.J. (2015), Bankenunion, http://www.kapitalmarktrecht-im-internet.eu/de/ wiki/39.htm (abgerufen am 15.10.207). Ruzik, A. (2009), Bankenkrisen und -insolvenzen – Ein besonderes Phänomen, in: Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht, 9. Jg., Nr. 4, S. 133-141. Sachverständigenrat (2014), Jahresgutachten 2014/2015, https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg201415/JG14_ges.pdf (abgerufen am 30.10.2017). Tusch, S./Herz, B. (2015), Die Entwicklung des Bankenaufsichtsrechts in den Jahren 2014/2015, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 26. Jg., Nr. 21, S. 814-821. Wieland, A. (2015), Die neuen Regeln zur Bankensanierung und -abwicklung und deren Einfluss auf das Rating von Banken, in: Everling, O./Goedeckemeyer, K.-H. (Hg.), Bankenrating, Wiesbaden: Springer, S. 425-444. Wojcik, K.-P./Ceyssens, J. (2014), Der einheitliche EU-Bankenabwicklungsmechanismus: Vollendung der Bankenunion, Schutz des Steuerzahlers, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 25. Jg., Nr. 23, S. 893-897. Wolfers, B./Voland, T. (2011), Der Weg aus der Krise? – Ein Überblick über das Restrukturierungsgesetz, in: WM-Zeitschrift für Wirtschaft und Bankrecht, 65. Jg., Nr. 25, S. 1159-1168.

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines Philipp Gann1

1 Hintergrund 2 Aufsichtsregime 2.1 SREP-Guidelines als Brücke zwischen CRR und BRRD 2.2 Mögliche Regulierungsregime eines Kreditinstituts 3 Risikotragfähigkeitsanalyse und Aufsichtsregime 4 Fazit und Ausblick Literatur

1

Die hier dargestellten Inhalte spiegeln ausnahmslos die Sichtweise des Verfassers wider.

61

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62

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1 Hintergrund Die durch die US-amerikanische Subprime-Krise ausgelöste internationale Finanzkrise führte in den Jahren nach 2008 zu einer umfassenden Reform der internationalen und europäischen Bankenregulierung. Ursächlich hierfür war die Erkenntnis des Gesetzgebers, dass in Schieflage geratene Institute, die hinsichtlich ihrer internationalen oder auch nationalen Bedeutung als systemrelevant eingestuft wurden (Global Systemically Important Banks (G-SIBs) bzw. Domestic Systemically Important Banks (D-SIBs)) im Krisenfall keinem klassischen Insolvenzverfahren zugeführt werden können. Vielmehr bestand die faktisch zwingende Notwendigkeit, diese Institute mit hohen Summen an Steuergeldern zu stützen (Government Bail-out), um die adversen Implikationen zu vermeiden, die mit einer Terminierung der für die nationalen und globalen Volkswirtschaften sowie die Stabilität der internationalen Finanzmärkte (Reduktion des Contagion Risk) essentiellen Funktionen des Instituts (z.B. Derivate- und Kreditgeschäft) einhergehen. Die hohen Kosten für die Staatshaushalte verbunden mit den zu exzessiver Risikoübernahme verleitenden negativen Anreizeffekten (Moral Hazard) impliziter Staatsgarantien für systemrelevante Institute (too big/connected to fail) führten bereits im Jahr 2008 auf Ebene der G-20 zu der Initiierung umfassender Reformen, um zukünftig vergleichbare Krisensituationen bzw. Handlungszwänge ex ante vermeiden zu können. Die intendierten Reformen fokussierten sich dabei auf zwei grundsätzliche Themenfelder, nämlich die Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Krise einschließlich der Reduktion des potenziellen Ausmaßes systemischer Risiken einerseits und die glaubwürdige Beendigung der Bail-out-Politik und damit auch die Lösung des too-big-to-failProblems andererseits (Abbildung 1).2 Hinsichtlich der Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Krise bzw. die Reduktion des potenziellen Ausmaßes systemischer Risiken erfolgte mit dem Ziel einer Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute eine umfassende Weiterentwicklung des Basel-II-Frameworks hin zu dem deutlich ausgeprägter normativen Regulierungsrahmen Basel III. Zum anderen erfolgten ergänzend zu dem bis dato faktisch ausschließlich mikroprudenziellen Regulierungsansatz der Aufsichtsbehörden die Einführung eines makroprudenziellen Regulierungsregimes – innerhalb des European System of Financial Supervision (ESFS) wurde dies durch die Einführung des European Systemic Risk Boards (ESRB) abgebildet – und damit auch eine grundlegende Veränderung des institutionellen Regulierungsrahmens.

2

Vgl. Gann, P. (2017), S. 22-27.

63

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 64 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Philipp Gann

Abbildung 2 zeigt anhand eines vereinfachten schematischen Überblicks über die wesentlichen Institutionen, welche den institutionellen Rahmen der europäischen Bankenregulierung konstituieren, die infolge der internationalen Finanzmarktkrise deutlich an Komplexität gewonnene Struktur der laufenden Aufsicht. Für die glaubwürdige Beendigung der Bail-out-Politik und damit die Lösung des toobig-to-fail-Problems wurde das Financial Stability Board (FSB) zur Entwicklung internationaler Standards für ein Sanierungs- und Abwicklungsregime beauftragt. Mit dem Ziel der Sicherstellung der Finanzmarktstabilität sollte es innerhalb des Abwicklungsregimes im Gegensatz zum normalen Insolvenzverfahren möglich werden, trotz Beteiligung der Eigen- und Fremdkapitalgeber an den auftretenden Verlusten eines in Schieflage geratenen Kreditinstituts, die potenziell kritischen Funktionen dieses Instituts auch im Abwicklungsfall störungsfrei fortzuführen. Im November 2011 wurden die auf dieser Grundlage vom FSB entwickelten Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions von den G-20 verabschiedet. Die darin beschriebenen Kernelemente eines effektiven Sanierungs- und Abwicklungsregimes richteten sich ursprünglich ausschließlich an G-SIBs, bildeten jedoch das inhaltliche Fundament für die entsprechenden europäischen sowie nationalen Vorgaben zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen.

64

• Hohe Kosten für Staatshaushalte/ Verlust von Steuergeldern • Negave Anreizeffekte (Moral Hazard): Implizite Staatsgaranen (toobig/connected-to-fail) verleiten zu exzessiver Risikoübernahme

Implikaonen

(Government Bail-out)

Staatliche Stützungsmaßnahmen G20 iniiert auf globaler Ebene Reform der Bankenregulierung

2

1

Einführung makroprudenzielles Regulierungsregime und Veränderung instuoneller Regulierungsrahmen

Höhere Anforderungen an die Qualität und Quantät Eigenkapital Einführung quantaver Liquiditätsstandards Risikounabhängige Verschuldungsgrenze (Leverage Rao) Neue Stresstesng-Anforderungen (z.B. inverse Stresstests) u.a.

EU

BRRD

GLOBAL

SREP-Guidelines

Im Gegensatz zum normalen Insolvenzverfahren soll die Forührung krischer Funkonen einer Bank im Abwicklungsfall mit dem Ziel der Sicherstellung der Finanzmarktstabilität ohne Einsatz staatlicher Miel ermöglicht werden

Entwicklung Sanierungs- und Abwicklungsregime

Beendigung der Bail-out-Polik und Lösung des too-big-to-fail-Problems

• • • •

„Strengthening the resilience of the banking sector“ (Basel-III-Framework)

Stärkung der Widerstandsfähigkeit Finanzinstute/Finanzsystem

Verringerung der Wahrscheinlichkeit einer Krise und Redukon systemischer Risiken CRR

Internaonale Finanzkrise bedingt Schieflage von Banken

• Terminiert die für die Volkswirtscha essenellen Funkonen des Instuts (z.B. Kreditgeschä) • Contagion Risk

Klassisches Insolvenzverfahren

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Abbildung 1: Reform der Bankenregulierung als Folge der Finanzmarktkrise

65

INTERNATIONAL

EUROPA

66

DEUTSCH -LAND

FSB bewertet die Stabilität des globalen Finanzsystems und berät regulatorische Standardsetzer (z.B. BCBS)

Finanzstabilitätsrat

(European Insurance and Occupaonal

(gemeinsamer Ausschuss der drei ESAs)

Deutscher Gesetzgeber

Naonale Aufsichtsbehörden der 27 EUMitglieds -staaten (z.B. Bafin, PRA, FMA)

Finanzministerium

MIKROPRUDENTIELLE AUFSICHT

(European Securies and Markets Authority, ESMA)

Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde

Pensions Authority, EIOPA)

Europäische Versicherungsaufsicht

Joint Commitee

(European Banking Authority, EBA)

Europäische Bankaufsicht

(ESAs)

European Supervisory Authories

ESRB warnt ESAs vor gefährlichen (makroökonomischen) Trends

ESAs weisen ESRB auf negave Entwicklungen in der Kreditwirtscha hin

(European System of Financial Supervision, ESFS)

Bafin

MAKROPRUDENTIELLE AUFSICHT

(European Systemic Risk Board, ESRB)

Europäischer Ausschuss für Systemrisiken

(Financial Stability Board, FSB)

Europäisches System der Finanzaufsicht

(Basel Commiee on Banking Supervision , BCBS)

Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht

Bundesbank

MIKROPRUDENTIELLE AUFSICHT

Beaufsichgt alle bedeutenden Instute der Eurozone

European Central Bank (ECB)

Einheitlicher Aufsichtsmechanismus

(Single Supervisory Mechanism)

SSM

G20

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Philipp Gann

Abbildung 2: Institutioneller Rahmen der laufenden europäischen Aufsicht

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

2 Aufsichtsregime 2.1 SREP-Guidelines als Brücke zwischen CRR und BRRD Die Umsetzung der mikroprudenziell orientierten globalen Reforminitiativen wurde auf europäischer Ebene wesentlich durch die Neueinführung der Capital Requirements Regulation (CRR), der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) sowie der „Guidelines on common procedures and methodologies for SREP“ (SREP-GL) der European Banking Authority (EBA)3 geprägt. Letztere bilden dabei faktisch die Brücke zwischen CRR und BBRD (vgl. Abbildung 3).4 Im Rahmen des in den SREP-Guidelines beschriebenen Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) überprüft die Aufsichtsbehörde – bei den durch den Single Supervisory Mechanism (SSM) beaufsichtigten Institute ist dies die Europäische Zentralbank (EZB) – regelmäßig die Angemessenheit der Strategien, der Governance sowie der Kapital- und Liquiditätsausstattung (Overall SREP Assessment) und aggregiert ihre Bewertungsergebnisse für die einzelnen Prüfungsbereiche zu einer Gesamtbewertung, den Overall SREP Score (Abbildung 4), welcher wiederum Auslöser für weitergehende aufsichtliche Maßnahmen sein kann. Die Aggregation der Teil-Scores zum Overall SREP Score erfolgt dabei qualitativ auf Grundlage einer Gesamtwürdigung der Aufsichtsbehörde. Das aggregierte Ergebnis spiegelt zum einen die Bewertung der Risiken durch die Aufsichtsbehörde wider, denen das Institut in einer Fortführungsperspektive (Going Concern) ausgesetzt ist. Zum anderen bildet es die Fähigkeit des Instituts ab, diese Risiken – z.B. durch Kapital- und Liquiditätsreserven, eine angemessene Governance sowie eine glaubwürdige Geschäftsstrategie – dauerhaft tragen bzw. mildern zu können. Die SREP-Guidelines ermöglichen der Aufsicht dementsprechend eine an genau definierten Standards ausgerichtete institutsindividuelle Beurteilung, ob die für alle Institute der Europäischen Union (EU) einheitlichen Mindestkapital- und Mindestliquiditätsanforderungen der CRR für ein spezifisches Institut auch tatsächlich angemessen sind.

3 4

EBA/GL/2014/13. Vgl. hierzu European Banking Authority (2014), S. 202 f.

67

68

Aufsicht beurteilt instutsindividuell auf Grundlage der SREP-Guidelines, ob die Kapitalanforderungen der CRR an das Instut hinsichtlich des Going Concern angemessen sind. Falls nicht erfolgt die Vorgabe von SREPAufschlägen (P2R & P2G).

(CRR, Regulaon 2013/36/EU)

Capital Requirements Regulaon

(z.B. durch Kapital- und Liquiditätsreserven, Governance, Geschässtrategie)

Bewertung der Fähigkeit des Instuts, diese Risiken zu tragen bzw. zu mildern

Aufsicht beurteilt auf Grundlage der SREP-Prüfung gemäß SREP-Guidelines die Lebensfähigkeit des Instuts und folglich, ob Early Intervenon Measures als notwendig erachtet werden oder ob ein Instut als failing or likely to fail betrachtet werden muss.

Bewertung der Risiken, denen das Instut in einer GoingConcern-Perspekve ausgesetzt ist

Ergebnis

Overall SREP Score

• Frühzeige Koordinaon und Kooperaon zwischen Aufsicht- und Abwicklungsbehörde

• Ergreifen von Maßnahmen gemäß BRRD (von Early Intervenon bis Abwicklung)

Bei Feststellung Notwendigkeit von Early Intervenon oder failing-or-likely-to-failZustand:

(BRRD, Direcve 2014/59/EU)

(SREP-GL, EBA/GL/2014/13)

Overall SREP Assessment

Bank Recovery and Resoluon Direcve

GL on common procedures and methodologies for SREP

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Philipp Gann

Abbildung 3: SREP-Guidelines als Brücke zwischen CRR und BRRD

(BRRD)

Maßnahmen der Frühintervention und Abwicklung

(Kapital (z.B. CET1-Aufschlag), Liquidität (z.B. LCR), andere qualitative Maßnahmen)

Ergänzende Aufsichtsrechtliche Anforderungen

SREP-Decision F

Overall SREP-Score

Übergang zu Sanierung und Abwicklung

F failing or likely to fail (Das Instut erfüllt die Bedingungen des §32 BRRD)

Hohes Risiko

Mileres Risiko

Geringes Risiko

Kein erkennbares Risiko

SREP-Score „Angemessenheit der Liquidität“

SREP-Score „Risiken für die Liquidität“

SREP-Score „Angemessenheit des Kapitals“ (ICAAP i.e.S.)

SREP-Score „Risiken für das Kapital“

SREP-Score „Interne Governance und institutsweite Kontrollen“

SREP-Score „Analyse Geschäftsmodell“

SREP-Score „Fundingrisiko“

SREP-Score „Liquiditätsrisiko“

SREP-Score „Zinsänderungsrisiko bei Geschäften des Anlagebuchs“

SREP-Score „Operationelle Risiken“

SREP-Score „Marktrisiko“

SREP-Score „Kreditrisiko und Gegenparteiausfall“

Verschlechterung der Indikatoren ggf. Auslöser für Ad-hocAktualisierungen, Neubewertung der Risikoeinschätzung und SREP-Score etc.

Vierteljährige Aktualisierung

Ziel: fortlaufenden Bewertung des Instituts im Zeitverlauf und zwischen vergleichbaren Instituten

Aufbau eines Indikatorensystems durch die Aufsichtsbehörden

Definiert Frequenz der Bewertung aller SREP-Elemente des Instituts durch Aufsicht

Jährliche Kategorisierung des Instituts anhand von Größe und Komplexität (Proportionalitätsprinzip)

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 69 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Abbildung 4: Zentrale Bausteine des Overall SREP Assessments

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Philipp Gann

Falls die Mindestkapitalanforderungen der CRR auf Grundlage des Overall SREP Assessment durch die Aufsichtsbehörden als nicht ausreichend erachtet werden, erfolgt die Vorgabe von institutsindividuellen SREP-Kapitalaufschlägen – in der für den SSM seit 2017 gültigen Vorgehensweise in Form der Pillar 2 Requirement (P2R) sowie der Pillar 2 Guidance (P2G).5 Während die P2R analog der Mindesteigenmittelanforderung der CRR durch das Institut zu jedem Zeitpunkt verpflichtend einzuhalten ist, ist eine Verletzung der P2G bei Vorliegen schwerwiegender adverser wirtschaftlicher Bedingungen nach Rücksprache mit der verantwortlichen Aufsichtsbehörde grundsätzlich möglich, ohne dass dies zwangsläufig aufsichtsrechtliche Maßnahmen induzieren muss.6 Die P2G ergänzt somit faktisch die in Art. 128 bis 131 CRR definierten Kapitalpufferanforderungen um einen auf Grundlage der SREP-GL determinierten Pufferbetrag, welcher im Falle adverser Entwicklungen den Kapitalpuffern der CRR vorgelagert ist und dementsprechend erstrangig zur Verlustabsorption zur Verfügung steht. Die SREP-Guidelines ermöglichen es der Aufsichtsbehörde dementsprechend, die Vorgaben der CRR institutsindividuell in Abhängigkeit von der getroffenen Risikoeinschätzung nach oben zu skalieren. Ferner stellen die SREP-Guidelines die Grundlage für die in der BRRD beschriebenen und den „Guidelines on triggers for the use of early intervention measures“ der EBA weiter detaillierten Vorgaben für das Ergreifen von Early Intervention Measures durch die Aufsichtsbehörden dar.7 So kann die Aufsicht u.a. ausgehend von dem Ergebnis des SREP Assessments frühzeitig – und auf Grundlage eines großen diskretionären Handlungsspielraums – intervenieren, um zu verhindern, dass sich identifizierte Problemfelder eines Kreditinstituts in eine Bedrohung für den Bestand dieses Instituts oder die Stabilität des Finanzsystems entwickeln.

5 6 7

70

Vgl. z.B. Europäische Zentralbank (2016). Vgl. z.B. European Banking Authority (2016), S. 10 f. Vgl. European Banking Authority (2015a).

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Insbesondere besteht dabei die Möglichkeit, das Ergreifen von Sanierungsmaßnahmen zur Stärkung der Kapital- und Liquiditätsbasis und damit den Übergang in das Sanierungsregime zu verordnen. Gleichzeitig beurteilt die Aufsicht auf Grundlage des SREP Assessments die Lebensfähigkeit des Instituts und damit, ob ein Institut gemäß Art. 32 BRRD nach Rücksprache mit der Abwicklungsbehörde – bei den durch den SRM beaufsichtigten Kreditinstituten ist dies das Single Resolution Board (SRB) – als failing or likely to fail betrachtet werden muss. Die Definition eines failing-or-likely-to-fail-Zustands ist eine wesentliche Voraussetzung für den Übergang in das Abwicklungsregime. Gleichzeitig müssen gemäß Art. 32 BRRD die Erfolgsaussichten für Maßnahmen des privaten Sektors oder der Aufsicht für eine Sanierung (z.B. Einbezug Institutssicherung, Wandlung von Kapitalinstrumenten) in sinnvollem Zeitrahmen gering sein und die Abwicklung im öffentlichen Interesse als erforderlich angesehen werden. Abbildung 5 gibt einen schematischen Überblick über die Abwicklungsvoraussetzungen sowie die Bedingungen für die Einordnung als failing or likely to fail gemäß Art. 32 BRRD.8

8

Eine Objektivierung der Kriterien für die Beurteilung des Eintritts der Voraussetzungen eines failing-or-likely-to-fail-Zustands sollen dabei die EBA-Guidelines EBA/GL/2015/07 ermöglichen. Vgl. hierzu European Banking Authority (2015b).

71

72 Abwicklung im öffentlichem Interesse erforderlich

Kriterium zieht Vergleich zu Insolvenzverfahren

Kein Ersatz des bisherigen Insolvenzrechts durch das neue Abwicklungsregime; Abwicklungsregime stellt vielmehr eine zusätzliche Alternave dar.

Eine außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mieln wird benögt*

Das Instut ist nicht in der Lage, seine Schulden oder sonsgen Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu begleichen

Abwicklung nur, wenn die Abwicklungsziele dadurch besser als durch die Liquidaon des Instuts im Insolvenzverfahren erreichbar sind

Besonders wichg aus deutscher Perspekve, da die Nutzung instutsbezogener Sicherungssysteme, explizit als alternave Maßnahmen zur Abwicklung angesprochen werden

Die Vermögenswerte des Instuts unterschreiten die Höhe seiner Verbindlichkeiten

Das Instut verstößt gegen die an eine dauerhae Zulassung geknüpen Anforderungen

Voraussetzungen für die Einordnung als failing or likely to fail

• Die Bewertung, ob die regulatorischen Anforderungen und die objekven Kriterien für den Eintri der in Art. 32 (4) a, b und c genannten und in EBA/GL/2015/07 konkresierten Umstände erfüllt sind, ist laufend im Rahmen des SREP durch die Aufsichtsbehörden festzustellen.**

• Die EBA-Guidelines EBA/GL/2015/07 haben zum Ziel, objekve Kriterien für den Eintri dieser in Art. 32 (4) a, b und c genannten Umstände zu definieren.

* Ausnahme ist, wenn die die außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mieln zur Abwendung einer schweren Störung der Volkswirtscha eines Mitgliedstaats und zur Wahrung der Finanzstabilität erfolgt. Vgl. Art. 32 (4) d der Richtlinie 2014/59/EU (BRRD) ** Vgl. Art. 97 Direkve 2013/36/EU (CRD IV) sowie EBA-SREP-Guideline (EBA/GL/2014/13)

Voraussetzung für Abwicklung/ Ergreifen von Abwicklungsmaßnahmen

Geringe Erfolgsaussichten für Maßnahmen des privaten Sektors oder der Aufsicht (z.B. Einbezug Instutssicherung, Early Intervenon Measures, Wandlung von Kapitalinstrumenten) in sinnvollem Zeitrahmen

Failing-or-likely-to-failSituaon

Gleichzeige Erfüllung dieser Voraussetzungen

Aufsicht (bei SSMBanken die EZB) definiert nach Rücksprache mit Abwicklungsbehörde (bei SRM-Banken das SRB) und ggf. vice versa die failing-orlikely-to-fail-Situaon

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Philipp Gann

Abbildung 5: Abwicklungsvoraussetzungen gemäß Art. 32 BRRD

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Die Vorgaben der SREP-Guidelines stellen somit die logische Verknüpfung zwischen der CRR sowie der auf die Sanierung und Abwicklung ausgerichteten BRRD dar und bilden die Grundlage für die Definition des Aufsichtsregimes, in dem sich ein Kreditinstitut aktuell befindet.

2.2 Mögliche Regulierungsregime eines Kreditinstituts Aufgrund der skizzierten regulatorischen Entwicklungen der vergangenen Jahre sind die möglichen Zustände eines Kreditinstituts – nämlich laufender Geschäftsbetrieb (Going Concern) versus Liquidation (Gone Concern) – nun grundsätzlich nicht länger digital. Vielmehr bestehen zwischen diesen beiden Polen weitere (glaubwürdige) Zustände, welche mit unterschiedlichen Eingriffsbefugnissen der Aufsichtsbehörde sowie des Gesetzgebers verbunden sind. Die Identifikation des aktuellen Zustands erfolgt dabei aus bankexterner Perspektive auf Grundlage des SREP Assessments sowie aus bankinterner Perspektive auf Grundlage der Überwachung von Schlüsselindikatoren (z.B. CET1Quote (Common Equity Tier 1), Distance to Illiquidity). Prinzipiell kann dabei zwischen dem Normalzustand, der Sanierungsphase sowie der Abwicklungsphase unterschieden werden (Abbildung 6). Der Normalzustand lässt sich weiter differenzieren in eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit sowie eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit unter Stress. Letztere indiziert eine Belastungssituation ohne akute Notwendigkeit, durch das Ergreifen von kapital- oder liquiditätsbezogenen Maßnahmen die Fortführbarkeit des Geschäftsbetriebs sicherzustellen. Jedoch sind ein erweitertes Monitoring sowie ggf. die Durchführung von präventiven Maßnahmen notwendig, um genau diese akute Notwendigkeit zukünftig vermeiden zu können. Bei der Sanierungsphase ist zu unterscheiden, ob die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen intern in Eigenverantwortung des Instituts oder extern durch die Aufsichtsbehörde (Early Intervention) initiiert wird. Der Übergang in die Abwicklungsphase erfordert wie dargestellt die Feststellung eines failing-or-likely-to-fail-Zustandes. Die der Abwicklungsbehörde zur Verfügung stehenden Abwicklungsinstrumente umfassen dabei gemäß Art. 37 BRRD die Unternehmensveräußerung, die Schaffung eines Brückeninstituts, die Ausgliederung von Vermögenswerten und das Bail-in.

73

74

F

Overall SREP-Score

Frühwarnindikator gemäß MaRisk AT 4.3.2 Tz. 2 schlägt an bzw. Sanierungsindikator unter-/überschreitet Warnschwelle ohne Akvierung Sanierungsphase

F

Sanierung

Instut tri in Sanierungszustand ein

Early Intervenon

Sanierungsphase

Maßnahmen enalten Sanierungswirkung

Sanierungsindikator unter-/überschreitet Sanierungsschwelle

Sanierungsphase

Overall SREP-Score F

Overall SREP-Score

Supervisory Review and Evaluaon Process (SREP)

Gewöhnliche Geschästägkeit unter Stress

Normalzustand

Gewöhnliche Geschästägkeit

Ausprägung interner Indikatoren (z.B. CET1-Quote, Distance-to-Illiquidity)

MREL/TLAC

SREP für krische Funkonen auch in Abwicklung relevant

F

Overall SREP-Score

Abwicklung

Abwicklung

Signal für failing-orlikely-to-fail-Situaon gemäß § 32 BRRD

Rückkehr zur gewöhnlichen Geschästägkeit

Indikator signalisiert Normalisierung

Zeit

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Abbildung 6: Übergang gewöhnliche Geschäftstätigkeit zu Abwicklung

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Insbesondere dem Bail-in soll dabei zur Lösung der mit dem too-big-to-fail-Problem verbundenen adversen Anreizeffekte eine besondere Bedeutung zukommen, da durch dieses Instrument die Möglichkeit geschaffen wird, die im Geschäftsbetrieb anfallenden Verluste sowohl durch die Eigen- als auch die Fremdkapitalgeber selbst tragen zu lassen, anstatt externe Dritte – i.d.R. den Steuerzahler – am Verlust zu beteiligen. Im Rahmen eines Bail-in wird in einem ersten Schritt der Betrag bestimmt, der zur Absorption der aufgelaufenen Verluste ohne den Einsatz von Steuergeldern notwendig ist. In einem zweiten Schritt wird dieser Betrag gemäß der in der BRRD definierten Haftungskaskade auf die Anteilseigner und Gläubiger verteilt. Damit die Durchführung eines Bail-in ex ante für das Management und die Investoren des Instituts glaubwürdig ist, muss von Seiten des Regulators eine ausreichende Verlustabsorptionskapazität – d.h. ein ausreichend großes Volumen bail-in-fähiger Instrumente – sichergestellt werden. Dies bedingt die Notwendigkeit der Definition von Mindestanforderungen für verlustabsorptionsfähige Verbindlichkeiten. Auf globaler Ebene erfolgte aus diesem Grund durch den FSB die Definition von Mindestanforderungen an die Total Loss Absorbing Capacity (TLAC) und darauf basierend auf Ebene der in den Anwendungsbereich der BRRD fallenden Institute die Definition der Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL). TLAC und MREL haben zum Ziel, dass ein Institut seine Verbindlichkeiten derart strukturiert, dass ein ausreichender Puffer an bail-in-fähigem Kapital für den Abwicklungsfall vorhanden ist (Abbildung 7).9

9

Um eine hohe Kohärenz zwischen den Mindestanforderungen für verlustabsorptionsfähige Verbindlichkeiten an große und kleinere Banken auf europäischer Ebene sicherzustellen, werden die TLAC-bezogenen Anforderungen in das europäische MREL-Regelwerk integriert. Vgl. hierzu European Commission (2016).

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Philipp Gann

Abbildung 7: Mindestanforderungen für verlustabsorptionsfähige Verbindlichkeiten • TLAC-Standard entwickelt durch G-20 bzw. FSB • Einphasung in zwei Schritten von 2019 bis 2022 ab 2019: Mindestanforderung TLAC = max [16%*RWA ; 6%*Exposure gemäß Nenner der Basel-III-Leverage-Ratio] ab 2022: Mindestanforderung TLAC = max [18%*RWA ; 6,75%*Exposure gemäß Nenner der Basel-III-Leverage-Ratio]

TLAC

• Mindestanforderung gilt einheitlich für alle G-SIBs (H Pillar-1-Minimum) • Daneben können Abwicklungsbehörden einen institutsspezifischen TLAC-Zuschlag (H Pillar-2-Aufschlag) auf die einheitliche TLAC-Mindestanforderung festschreiben (analog SREP-Zuschlag bei regulatorischen Mindestkapitalanforderungen)

• MREL-Standard gilt für alle europäischen Institute, die in den Anwendungsbereich der BRRD fallen.

MREL

• Eine Mindestanforderung besteht hinsichtlich MREL – im Gegensatz zu TLAC – nicht. Die Bezugsgröße für die Berechnung der Mindestquote sollen analog zur TLAC die RWA darstellen, anstatt wie ursprünglich vorgesehen die Gesamtverbindlichkeiten (diese beinhalten auch Derivateverbindlichkeiten unter Berücksichtigung von Saldierungsvereinbarungen) einschließlich der regulatorischen Eigenmittel. • MREL hat analog zur TLAC zum Ziel, dass ein Institut seine Verbindlichkeiten derart strukturiert, dass ein ausreichender Puffer an bail-in-fähigem Kapital für den Abwicklungsfall vorhanden ist. • MREL wird von der Abwicklungsbehörde unter Einbindung der jeweils für das Institut zuständigen Bankenaufsichtsbehörde individuell für jedes Institut festgelegt (Pillar 2 Case-by-Case approach). Generell gilt, dass die MREL-Quote für SIBs höher als für Non-SIBs ausfällt.

Die MREL soll von der Abwicklungsbehörde unter Einbindung der zuständigen Bankenaufsichtsbehörde individuell für jedes Institut festgelegt werden (Pillar 2 Case-byCase Approach). Besonderes Augenmerk wird bei der Definition der MREL-Quote auf die kritischen Funktionen eines Instituts gelegt. Gemäß Art. 6 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/778 der Kommission gilt eine Funktion als kritisch, wenn diese von einem Institut für Dritte erbracht wird, die nicht dem Institut oder der Gruppe angehören, und der plötzliche Ausfall dieser Funktion wahrscheinlich wesentliche negative Auswirkungen auf die Dritten besitzt, zu Ansteckungseffekten führen oder das allgemeine Vertrauen der Marktteilnehmer aufgrund der Systemrelevanz der Funktion untergraben kann. Die im Sanierungsplan zu definierenden kritischen Funktionen sind auch im Abwicklungsfall fortzuführen. Die Festlegung der MREL-Quote erfolgt dementsprechend nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verlustabsorptionsfähigkeit, sondern ferner unter Berücksichtigung der notwendigen Rekapitalisierungskapazität für die kritischen Funktionen eines Instituts, da die Fortführung dieser Funktionen in einem potenziellen Abwicklungsfall die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Mindestkapitalanforderungen gemäß CRR sowie SREP-Guidelines erfordern wird.

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

3 Risikotragfähigkeitsanalyse und Aufsichtsregime Kern der Vorgaben sämtlicher bankaufsichtsrechtlicher Dokumente mit mikroprudentieller Perspektive ist die Sicherstellung der jederzeitigen Kapitaladäquanz – welche im Fokus dieses Beitrages steht – sowie der Zahlungsfähigkeit. Die Bewertung der Kapitaladäquanz basiert dabei wesentlich auf einer Analyse der Risikotragfähigkeit, bei welcher eine Gegenüberstellung des gemessenen Risikopotenzials zu dem Risikodeckungspotenzial des Instituts erfolgt. Das Risikodeckungspotenzial bezeichnet dabei grundsätzlich die Kapitalien, welche bei einer potenziellen Materialisierung von Risiken zur Verlustabsorption zur Verfügung stehen. Anzumerken ist dabei, dass die Analyse der Risikotragfähigkeit für die Beurteilung der Kapitaladäquanz grundlegend ist, diese jedoch stets durch eine Bewertung der Art und Qualität der geschäfts- und risikostrategischen Vorgaben des Instituts sowie der Unternehmens-Governance ergänzt werden muss. Denn eine aussagekräftige Beurteilung der Kapitaladäquanz hat stets die zukünftige Entwicklung des Risikopotenzials zu berücksichtigen, welche maßgeblich durch die geschäfts- und risikostrategische Ausrichtung des Instituts sowie dessen Fähigkeit determiniert wird, Risiken effizient und effektiv auf Grundlage der implementierten Unternehmens-Governance möglichst unabhängig von der Entwicklung des Geschäftsumfelds steuern zu können. Entsprechend stellt die Analyse des Geschäftsmodells sowie der internen Governance wie oben beschrieben einen weiteren essentiellen Bestandteil des SREP-Assessments dar. Die Bedeutung der Risikotragfähigkeitsanalyse als Kernelement der Beurteilung der Kapitaladäquanz spiegelt sich in den zentralen Vorgaben der CRR sowie den SREPGuidelines bzw. den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) wider. So definiert die CRR verbindliche Vorgaben für die Sicherstellung einer adäquaten Eigenmittelausstattung bezüglich der übernommenen Risikopositionen und damit die dauerhafte Gewährleistung einer normativ definierten (regulatorischen) Risikotragfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der Fortführbarkeit des Geschäftsbetriebs (Going Concern). Die SREP-Guidelines konkretisieren die qualitativen Vorgaben der zweiten Säule von Basel II/III und definieren u.a. umfassende Erwartungen an die Ausgestaltung des Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP), dessen Herzstück die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse darstellt. Diese wiederum setzt u.a. die Durchführung einer regelmäßigen Risikoinventur, die umfassende Berücksichtigung der geschäfts- und risikostrategischen Vorgaben sowie der Ergebnisse der Kapitalplanung bei der Beurteilung voraus (Abbildung 8).

77

10

78

Gann, P. (2011), S. 55. Risikotragfähigkeit und Stresstesting

Risikodeckungspotential

Erträge

Risikostrategie

Compliance

Interne Revision

Risikosteuerungs- und Controlling-Prozesse

Überwachungs- und Kontrollsystem

(RTF-Analyse unter normalen und Stress-Bedingungen)

Ablauforganisation

Organisation

Aufbauorganisation

Risikoinventur

Kapitalplanung Risikopotenzial

Risiken

Geschäftsstrategie

Geschäftsleitung

Aufsichtsorgan

•…

• Integration in den Managementprozess und die Entscheidungsfindungskultur der Bank • Implikationen für die Limitfestlegung • Interdependenzen zu Performancemessung • Kommunikation

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Philipp Gann

Abbildung 8: Risikotragfähigkeitsanalyse als zentraler Baustein des ICAAP10 Reporting

beeinflusst

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) formuliert mit den MaRisk bereits seit 2005 umfassende Anforderungen an die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse deutscher Kreditinstitute, welche in den Folgejahren durch aktualisierte Fassungen der MaRisk sowie dem gemeinsam mit der Bundesbank erarbeiteten und 2011 veröffentlichten Dokument „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“ weiter konkretisiert wurde. Gemäß der deutschen Prüfungspraxis hat die ökonomische Risikotragfähigkeitsanalyse bei bedeutenden Instituten dabei sowohl das Ziel der Fortführung des Instituts (Going Concern) als auch den Schutz der Gläubiger vor Verlusten in der Liquidationsperspektive (Gone Concern) umfassend zu berücksichtigen. Die Risikotragfähigkeit muss dabei unter Berücksichtigung von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsaktivitäten nicht nur für die Normalsitution, sondern auch unter Stressbedingungen umfassend analysiert werden. Die ökonomische Risikotragfähigkeit ist genau dann gegeben, sofern das Kreditinstitut nach Einschätzung des eigenen (umsichtigen) Risikomanagements über eine ausreichende Kapitalausstattung zur Unterlegung eingegangener und durch die strategischen Vorgaben induzierten zukünftigen Risikopotenziale verfügt, um die angestrebten Geschäftsziele erreichen zu können. Im Kontext der Anfang 2017 durch die EZB-Bankenaufsicht veröffentlichten Leitfäden zum ICAAP und Internal Liquidity Adequacy Assessment Process (ILAAP) (SSM Guides on ICAAP and ILAAP) zeichnet sich eine deutliche Weiterentwicklung der Ansätze zur Sicherstellung der ökonomisch gemessenen Kapitaladäquanz ab.11 Mit dem Fokus auf die dauerhafte Sicherstellung der Überlebensfähigkeit sollen Institute zukünftig die Adäquanz ihrer Kapitalausstattung auf Grundlage einer normativen und ökonomischen Perspektive analysieren. Die normative Perspektive zielt dabei auf die Erfüllung sämtlicher aufsichtlicher Kapitalanforderungen (u.a. Mindesteigenmittelanforderungen gemäß CRR und SREP, Leverage Ratio und MREL) über einen mindestens dreijährigen Zeithorizont ab. Dabei sollen auch die Implikationen (stark) adverser Szenarien und die Einhaltung ex ante intern definierter Managementkapitalpuffer berücksichtigt werden. Die normative Perspektive entspricht damit faktisch einer über einen mehrjährigen Zeitraum vorzunehmenden Beurteilung der erwarteten Kapitaladäquanz gemäß Basler Säule I unter Berücksichtigung von potenziellen adversen Szenarien.

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Europäische Zentralbank (2017).

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Philipp Gann

Die ökonomische Perspektive beruht im Wesentlichen auf dem durch den bisherigen Gone Concern der Bafin definierten Ansatz, wenngleich die Forderung nach einer engen Verzahnung der normativen und ökonomischen Perspektive auch in dieser Sichtweise einen deutlichen Änderungsbedarf hinsichtlich der zugrunde liegenden Methoden und Verfahren induzieren wird. Mit den Vorgaben der EZB wird de facto der deutsche Sonderweg des in dem oben genannten Papier „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“ dargestellten Going-Concern-Ansatzes – zumindest für die durch die EZB direkt beaufsichtigten Significant Institutions – beendet werden, welcher als Risikodeckungspotenzial die nicht durch Risikopositionen belegten regulatorischen Eigenmittel definiert.12 Die Vorgaben zur regulatorischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR als auch zur ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß SREP bzw. MaRisk verfolgen das identische Ziel einer umfassenden Beurteilung der Kapitaladäquanz.13 Neben der Zusammensetzung des Risikodeckungspotenzials unterscheiden sich die Berechnungsweisen des Risikopotenzials in Abhängigkeit von der betrachteten Risikotragfähigkeitsperspektive jedoch deutlich. So basiert die Bestimmung des Risikopotenzials im Rahmen der regulatorischen Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR – zumindest zu großen Teilen (z.B. Kreditrisiko) – auf von Aufsichtsseite aus genau definierten Verfahren, welche die institutsindividuellen Charakteristika (z.B. bestehende Korrelationsbeziehungen zwischen einzelnen Kreditrisikopositionen) nicht oder nur sehr pauschal berücksichtigen (z.B. Standard- oder Internal-Ratings-Based-Ansatz (IRB-Ansatz)). Auch die das Risikodeckungspotenzial konstituierenden Eigenmittelbestandteile sind in der CRR detailliert definiert. Im Rahmen der ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse unter Liquidationsgesichtspunkten (Gone Concern) erfolgt die Ermittlung des Risikopotenzials in der Praxis regelmäßig auf Basis quantitativer Ansätze auf Grundlage des Value at Risk (VaR) oder des Expected Shortfalls unter Verwendung hoher Konfidenzniveaus. Das Risikodeckungspotenzial wird dabei aus einer wertorientierten Perspektive institutsindividuell definiert und kann neben Eigenkapitalien auch nachrangige Fremd-

12

13

80

Gemäß Bafin (2017), Tz. 4 sind bedeutende Institute (Significant Institutions) vom Anwendungsbereich des Leitfadens ausgenommen. Infolge der erst Anfang 2018 beginnenden öffentlichen Konsultation der SSM Guides on ICAAP and ILAAP der EZB beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen hinsichtlich der ökonomischen Risikotragfähigkeit auf die bereits bestehenden Vorgaben der SREP-Guidelines sowie MaRisk. Anzumerken ist dabei, dass die nachfolgend getätigten grundsätzlichen Aussagen durch die durch die SSM Guides on ICAAP and ILAAP avisierten Veränderungen unberührt bleiben. Es ist vielmehr sogar zu erwarten, dass die Verknüpfung zwischen CRR, SREP-GL und BRRD durch die in den SSM Guides enthaltenen expliziten Anforderungen – bspw. zur Sicherstellung der Konsistenz zwischen ICAAP und Sanierungsplanung – noch weiter gestärkt werden wird.

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

kapitalien enthalten, die im Liquidationsfall unter der Maßgabe des Schutzes vorrangiger Gläubiger zur Abdeckung materialisierter Risiken zur Verfügung stehen. Bei ökonomischen Going-Concern-Analysen wird das Risikopotenzial im Allgemeinen ebenfalls auf Basis quantitativer Ansätze (unter Verwendung eines verglichen mit Liquidationsansätzen geringeren Konfidenzniveaus) oder auch Szenariobetrachtungen ermittelt. Die Grundgesamtheit der zu berücksichtigenden Risiken kann sich dabei jedoch von Liquidationsansätzen teilweise deutlich unterscheiden (z.B. Vernachlässigung von Migrationsrisiken). Auch das im Going Concern betrachtete bilanzorientierte Risikodeckungspotenzial weicht elementar von dem in der CRR oder dem in einem ökonomischen Liquidationsansatz definierten Risikodeckungspotenzial ab. Infolge der verschiedenartigen Definitionen der Risikodeckungspotenziale sowie der unterschiedlichen Ansätze und Methoden zur Quantifizierung des Risikopotenzials ergeben sich in den individuellen Risikotragfähigkeitsperspektiven – auch wenn diese alle die gleiche Frage nach der Risikotragfähigkeit eines Instituts zu beantworten suchen – unterschiedliche Beurteilungen der Risikosituation. Jede Sichtweise liefert dabei einen wichtigen Beitrag zur Gesamtbeurteilung der Risikosituation und damit der wertorientierten Gesamtbanksteuerung des Instituts. Auch die Vorgaben der BRRD (und die daraus abgeleiteten europäischen und deutschen aufsichtsrechtlichen Anforderungen) zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten stellen in ihrem Kern Anforderungen an die Durchführung einer Risikotragfähigkeitsanalyse dar, wenngleich dies nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist (Abbildung 9). Die regulatorischen Vorgaben an die umfassende Identifikation von kapital- und liquiditätsbezogenen Handlungsoptionen im Sanierungsplan und die Notwendigkeit von deren Verprobung anhand hypothetischer Belastungsszenarien entspricht de facto der Forderung zur Durchführung einer dynamischen Risikotragfähigkeitsanalyse in einer Going-Concern-Perspektive, bei welcher sowohl das Risikopotenzial als auch das Risikodeckungspotenzial in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen (z.B. Deleveraging, Durchführung einer Kapitalerhöhung) veränderbar sind.14

14

Dabei ist anzumerken, dass bei der Verprobung der Handlungsoptionen im Rahmen der Belastungsanalyse im Sinne einer umfassenden Bewertung der Kapitaladäquanz stets auch die Implikationen der Belastungssituation sowie der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen auf die ökonomische Risikotragfähigkeit in einer Liquidationsperspektive analysiert werden. Die im Text verwendete Begrifflichkeit einer dynamischen Risikotragfähigkeitsanalyse in einer Going-Concern-Perspektive bezieht sich entsprechend auf den aktuellen Zustand – nämlich die Fortführung des Geschäftsbetriebs trotz akuter Belastungssituation –, in welchem sich das Institut trotz Sanierungssituation befindet.

81

INTERNATIONAL

EUROPA/ Dtl.

82 Key Aributes of Effecve Resoluon Regimes for Financial Instuons

Basel II/III – Framework

Abdeckung UL in

Risikodeckungspotenal (und Risikopotenzial) in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Handlungsoponen veränderbar

Gone-Concern-Kapital umfasst neben Eigenmieln sämtliche Verbindlichkeiten, die zur Verlusragung und Rekapitalisierung des Instuts im Bail-in zur Verfügung stehen

Going-Concern-Kapital enthält ausschließlich Eigenmiel

Sicherstellung Stabilität Finanzsystem, Schutz Eigentümer, Mitarbeiter und Gläubiger, prävenver Schutz Steuerzahler und Redukon Moral Hazard

Schutz Steuerzahler und Redukon Moral Hazard

Schutz vorrangiger Gläubiger (entsprechend externem Ziel-Rang)

Schutz der Eigentümer und Mitarbeiter

Gone-Concern-Kapital enthält ausschließlich Eigenmiel (äquivalente) und nachrangige Verbindlichkeiten

Intern ermielt

(Sanierungsfall)

Sicherstellung Stabilität Finanzsystem

dynamischem Going Concern

Durch Aufsicht vorgegeben

(Abwicklungsfall)

Intern ermielt

(Insolvenzfall)

Intern ermielt

Gone Concern

Gone Concern

Durch Aufsicht vorgegeben

Abdeckung UL im

Abdeckung UL im

(laufender Geschäsbetrieb)

Going Concern

(laufender Geschäsbetrieb)

Going Concern

Abdeckung UL im

Sicherstellung ökonomische Risikotragfähigkeit (ICAAP)

Abdeckung UL im

BRRD U.a. Anforderungen an eine MindestVerlustabsorbons- und Rekapitalisierungskapazität

EBA-SREP-GL / MaRisk

CRR + EBA-SREP-GL

Sicherstellung regulatorische Risikotragfähigkeit

Kapitalanforderungen Säule II

(FSB)

(BCBS)

Kapitalanforderungen Säule I

Financial Stability Board

Basel Commiee on Banking Supervision

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Philipp Gann

Die Going-Concern-Perspektive im Sanierungsfall unterscheidet sich damit grundlegend von der Going-Concern-Perspektive der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR sowie MaRisk, da das Ergreifen von Handlungsoptionen bei Bestehen einer bestandgefährdenden Belastungssituation und der dadurch bedingten Dynamisierung von Risikodeckungsund Risikopotenzial ggf. die Anpassung der geschäfts- und risikostrategischen Vorgaben sowie des Geschäftsmodells erfordert (z.B. aufgrund des Verkaufs von strategisch relevanten Unternehmensbeteiligungen).

Abbildung 9: Risikotragfähigkeit gemäß CRR, SREP-GL und BRRD

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 83 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Die Vorgaben zur Abwicklungsplanung und die oben beschriebenen Anforderungen an den Umfang der zwingend vorzuhaltenden bail-in-fähigen Kapitalien zur Sicherstellung einer ausreichenden Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeit stellen wiederum nichts anderes dar, als die Definition eines Gone-Concern-Kapitals, welches neben Eigenmitteln sämtliche Verbindlichkeiten umfasst, die zur Verlustabsorption sowie Rekapitalisierung der kritischen Funktionen eines Instituts zur Verfügung stehen sollen und damit im Wege eines Bail-in gewandelt werden können. Das für den Gone-Concern-Abwicklungsfall definierte Risikodeckungspotenzial wird durch die MREL-Quote definiert und umfasst somit aufgrund der Zielsetzung des Schutzes der Steuerzahler weitere Kapitalinstrumente, welche im Rahmen einer ökonomischen Risikotragfähigkeitsanalyse unter Liquidationsgesichtspunkten mit dem Ziel des Schutzes der vorrangigen Gläubiger nicht berücksichtigungsfähig sind. Die BRRD ergänzt und erweitert die ökonomische Gone-Concern-Perspektive somit de facto um eine standardisierte Vorgabe, welche auf eine Risikotragfähigkeitsanalyse im Abwicklungsfall mit dem Ziel des Schutzes der Steuerzahler abstellt. Neben einer regulatorischen Going-Concern-Perspektive gemäß CRR existiert mit den Vorgaben zur Abwicklungsplanung dementsprechend nun auch eine regulatorische Gone-Concern-Perspektive gemäß BRRD. Die BRRD stellt somit genauso wie die CRR sowie die SREPGuidelines bzw. die MaRisk Anforderungen an die Sicherstellung der Risikotragfähigkeit und damit die Angemessenheit der Kapitaladäquanz in dem jeweiligen Aufsichtsregime.

4 Fazit und Ausblick Die in diesem Beitrag dargestellte Perspektive auf CRR, SREP-Guidelines und BRRD ermöglicht dem Management eines Instituts ein intuitives Verständnis des Zusammenhangs der einzelnen Regulierungsbausteine und deren Implikationen für eine wertorientierte Gesamtbanksteuerung. Die individuellen Eigen- und Fremdkapitalien eines Instituts sind – mit Ausnahme der in Art. 44 BRRD definierten Instrumente wie z.B. gedeckte Einlagen bis 100.000 EUR und kurzfristige Verbindlichkeiten – Teil des in einem oder auch mehreren Aufsichtsregimen betrachteten Risikodeckungspotenzials und damit ceteris paribus in unterschiedlich hohem Ausmaß mit Risiken belegt. Dieser Sachverhalt determiniert die mit den einzelnen Finanzierungsinstrumenten verbundenen Kapitalkosten, welche sich durch die Einführung des Sanierungs- und Abwicklungsregimes trotz des aktuellen geldpolitischen Kurses der EZB und den dadurch bedingten Implikationen für die Höhe der Risikoprämien in der Praxis teilweise bereits substanziell verändert haben. Der ökonomische Nutzen einer integrierten Kapital- und Risikosteuerung ist somit durch die Einführung des Sanierungs- und Abwicklungsregimes der BRRD und der darin definierten Möglichkeit des Bail-in weiter gestiegen.

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Philipp Gann

Entsprechend wurde dadurch die Notwendigkeit verstärkt, im Rahmen eines auf die Risk-Return-Maximierung des Instituts ausgerichteten strategischen und operativen Risikomanagements die Implikationen sämtlicher Steuerungsmaßnahmen auf die Kapitalkosten der zur Verlustabsorption in den unterschiedlichen Aufsichtsregimen eingesetzten Finanzinstrumente umfassend zu berücksichtigen. Besonders in einem Umfeld mit starkem Wettbewerbsdruck, historisch niedrigen Zinsen sowie hohen (geld-)politischen und wirtschaftlichen Risiken sollten Optimierungspotenziale nicht ungenutzt bleiben. Die durch die Einführung des Abwicklungsregimes induzierte Veränderung der Kapitalkosten der einzelnen Finanzierungsinstrumente entfaltet dabei auch eine vom Regulator intendierte Steuerungswirkung im Sinne einer verstärkten Disziplinierung der Institute durch die Marktkräfte. Dass diese langfristig zu einer Stärkung der Stabilität des Finanzsystems beitragen, setzt die glaubwürdige Umsetzung der Vorgaben der BRRD im Abwicklungsfall voraus. Hierzu steht der nachhaltige Praxistest jedoch noch aus.

Literatur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2017): Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung (ICAAP) – Neuausrichtung, Diskussionspapier vom 21.12.2017. European Banking Authority (2014): EBA-Guidelines on common procedures and methodologies for SREP (EBA/GL/2014/13). European Banking Authority (2015a): Guidelines on triggers for the use of early intervention measures (EBA/GL/2015/03). European Banking Authority (2015b): Guidelines on the interpretation of the different circumstances when an institution shall be considered as failing or likely to fail under Article 32(6) of Directive 2014/59/EU (EBA/GL/2015/07). European Banking Authority (2016): 2016 EU-Wide Stress Test – Results. European Commission (2016): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) No 575/2013 as regards the leverage ratio, the net stable funding ratio, requirements for own funds and eligible liabilities, counterparty credit risk, market risk, exposures to central counterparties, exposures to collective investment undertakings, large exposures, reporting and disclosure requirements and amending Regulation (EU) No 648/2012.

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Perspektiven der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß BRRD, CRR und SREP-Guidelines

Europäische Zentralbank (2016): SSM SREP Methodology Booklet. Europäische Zentralbank (2017): SSM Guides on ICAAP and ILAAP. Gann, P. (2017): Sanierungs- und Abwicklungsplanung als Ergänzung der Risikotragfähigkeitsanalyse gemäß CRR und SREP, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 70. Jg., Nr. 8, S. 22-27. Gann, P. (2011): Regulatorische und ökonomische Aspekte eines modernen Kreditrisikomanagements, Frankfurt a.M. et al.

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Strategische Unternehmensanalyse

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick Marcel Krüger/Matthias Schupp

1 Einordnung in die aufsichtsrechtliche Abwicklungsplanung 2 Kernelemente der Strategischen Unternehmensanalyse 2.1 Organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen 2.2 Geschäftsmodell und operative Rahmenbedingungen 2.3 Verlustabsorptionskapazität und Separierbarkeit 3 Implikationen für die Abwicklungsstrategie Literatur

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1 Einordnung in die aufsichtsrechtliche Abwicklungsplanung Der Ausfall von Lehman Brothers im Jahr 2009 brachte erhebliche Probleme für die globale Finanzwirtschaft mit sich. Einerseits hielten insbesondere größere Institute keine angemessen Maßnahmen vor, um auf die Krise zu reagieren. Andererseits waren Politik und Aufsichtsbehörden nicht im Besitz eines geeigneten Instrumentariums zum Schutz des Finanzmarkts und der Realwirtschaft. Obgleich einzelne Finanzinstitute nicht mehr überlebensfähig waren, bereitete die geordnete Abwicklung dieser Institute v.a. wegen hoher finanzieller und organisationaler Verflechtungen innerhalb der Finanzwirtschaft und zwischen Finanz- und Realwirtschaft Schwierigkeiten. Aus diesem Grund beauftragten die G-20-Mitgliedstaaten das Financial Stability Board (FSB) mit der Erarbeitung globaler Standards zur Etablierung von supranationalen Abwicklungsregimen, wie bspw. dem Single Resolution Mechanism (SRM) in Europa. Zentrale Anforderungen der „Key Attributes of Effective Resolution Regimes“ (KA) des FSB stellen einerseits die Erarbeitung von Sanierungspläne durch Finanzinstitute selbst und andererseits die Entwicklung von Abwicklungspläne durch Abwicklungsbehörden dar. Auf europäischer Ebene erfolgte die Umsetzung der KA durch die Verabschiedung der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) im Mai 2014. In deutsches Recht wurde die Richtlinie im Dezember 2014 als Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) umgesetzt und ist seit Anfang 2015 für deutsche Institute maßgeblich. Zur Präzisierung der Inhalte eines Abwicklungsplans verweist § 40 Nr. 2 SAG auf einen technischen Regulierungsstand gemäß Art. 10 Abs. 9 BRRD, welcher im März 2016 als Bestandteil der Delegierten Verordnung 2016/1075 (DV) von EU-Parlament und Rat verabschiedet wurde. Gemäß der DV umfassen Abwicklungspläne • eine Zusammenfassung, • eine Abwicklungsstrategie, • Vereinbarungen zur Informationsbereitstellung, • operationelle und finanzielle Vereinbarungen zur Sicherstellung der Geschäftsfortführung während der Abwicklung, • Kommunikationspläne und • eine Würdigung der Abwicklungsfähigkeit des Instituts. Im Rahmen der Erstellung des Abwicklungsplan ermächtig § 42 Abs. 1 SAG die Abwicklungsbehörde notwendige Informationen bei Instituten anzufragen. Einen Über-

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

blick des Mindestumfangs an Informationen, welchen die Abwicklungsbehörden erheben können, ist im Anhang der BRRD (Abschnitt B) enthalten. Dieser Mindestumfang an Informationen wird bankpraktisch als Strategische Unternehmensanalyse bezeichnet und stellt eine Erweiterung zu der im Rahmen der Sanierungsplanung durchgeführten Unternehmensanalyse1 dar. In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Anforderungen an die Strategische Unternehmensanalyse dargestellt und anschließend beispielhaft Implikationen der Strategischen Unternehmensanalyse in Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Abwicklungsstrategie aufgezeigt.

2 Kernelemente der Strategischen Unternehmensanalyse Die Strategische Unternehmensanalyse i.S.d. Abwicklungsplanung fasst die notwendigen Informationen zur Entwicklung von geeigneten Abwicklungsstrategien für die Institutsgruppe zusammen. Sie beruht im Wesentlichen auf drei Kernelementen: 1. organisatorische und finanziellen Rahmenbedingungen, 2. Geschäftsmodell und operative Rahmenbedingungen und 3. Verlustabsorptionskapazität und Separierbarkeit. Die Analyse im ersten Kernelement umfasst eine deskriptive Beschreibung der Institutsgruppe. Als Quellen sind insbesondere Finanzberichte und das aufsichtsrechtliche Meldewesen heranzuziehen. Die Informationen sollten weitestgehend in den Systemen vorhanden sein und dürften i.d.R. bereits Aufsichtsbehörden und Investoren kommuniziert worden sein. Im Rahmen der Strategischen Unternehmensanalyse bedürfen die Informationen jedoch einer Würdigung im Kontext der Abwicklungsplanung. Als rechtliche Grundlage für das Mindestmaß an Informationen gelten die Ziff. 1-3, 5, 7-9, 16 und 17 des Abschnitts B im Anhang der BRRD. Ziel des Kernelements ist die Identifikation von wesentlichen Gesellschaften, die relevant für die Umsetzung einer Abwicklungsstrategie sind. Aufbauend auf den Ergebnissen der organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ist im Rahmen des zweiten Kernelements das Geschäftsmodell samt operativer Umsetzung des Geschäftsmodells für die wesentlichen Gesellschaften zu beschreiben. Ausgehend von der Geschäftsmodellanalyse werden wesentliche und kritische Geschäfts-

1

92

Vgl. Duwe/Igl (2014).

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

aktivitäten bestimmt, zu denen in Hinblick auf die Operationalisierung des Geschäftsmodells notwendige Systeme und Prozesse identifiziert werden müssen. Als rechtliche Grundlage für das Mindestmaß an Informationen gelten die Ziff. 4, 10-15 und 19 des Abschnitts B im Anhang der BRRD. Mit den Analysen dieses Kernelements wird das Ziel verfolgt, die Bewertung bezüglich der Fortführbarkeit bzw. des Anpassungsbedarfs des Geschäftsmodells im Rahmen einer Abwicklung der Institutsgruppe zu ermöglichen. Im Rahmen der Analysen des 3. Kernelements werden die Ergebnisse aus den Kernelementen 1. und 2. aufgegriffen. Anhand der Quantifizierung der Verlustabsorptionskapazität und der Analysen zur Separierbarkeit der Institutsgruppe wird die Grundlage für die Entscheidungsfindung u.a. in Bezug auf die Anwendbarkeit von finanziellen und strukturellen Abwicklungsinstrumenten geschaffen. Aus den Mindestanforderungen des Abschnitts B im Anhang der BRRD geht lediglich aus Ziff. 6 eine Analyse der berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten im Rahmen der Abwicklungsstrategie hervor. Die Analysen in Hinblick auf die Separierbarkeit stellen insofern eine notwendige Erweiterung der Mindestanforderungen dar, um eine Entscheidung bezüglich der Anwendbarkeit von strukturellen Abwicklungsinstrumenten vorzubereiten. Die nachfolgenden Abschnitte 2.1 bis 2.3 gegeben einen detaillierten Überblick zu den inhaltlichen Anforderungen der einzelnen Elemente. Dabei ist hervorzuheben, dass kritische Funktionen, Personen, Prozesse und Services nicht im Detail betrachtet werden. Für eine umfassendere Beschreibung wird stattdessen auf die Beiträge von Braun und Duwe/Igl verwiesen.

2.1 Organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen Der erste Schritt der Strategischen Unternehmensanalyse erfordert eine Betrachtung der Organisationsstruktur und finanziellen Rahmenbedingungen des Instituts. Während die Organisationsstruktur insbesondere eine Analyse der Gruppen-, Eigentümer- und Governance-Struktur des Instituts beinhaltet, umfassen die finanzielle Rahmenbedingungen Analysen der strukturellen Kapital- und Liquiditätsausstattung. Ausgangspunkt der Untersuchungen zum organisatorischen Rahmen bildet die Identifikation von wesentlichen Gesellschaften einer Institutsgruppe.2 Die Wesentlichkeit wird anhand der Relevanz für die Gruppe und der Relevanz für die Marktwirtschaft bewertet.

2

Zur Konkretisierung der Kriterien im Rahmen des Bewertung zur Wesentlichkeit von Gruppengesellschaften siehe Art. 7 Abs. 2 Delegierte Verordnung 2016/1075.

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

Eine Gesellschaft ist als relevant für die Gruppe einzustufen, wenn sie einen materiellen Beitrag zum Gewinn bzw. zur Finanzierung beisteuert, wichtige Geschäftsaktivitäten ausführt, zentrale operative, risikorelevante oder administrative Services zur Verfügung stellt, erhebliche Risiken für die Gesellschaft trägt oder nicht ohne Risiken für die Institutsgruppe liquidiert werden könnte. Eine Relevanz für die Marktwirtschaft ist gegeben, wenn kritische Geschäftsaktivitäten ausgeübt werden oder die Gesellschaft eine wichtige Rolle für die nationale Finanzmarktstabilität darstellt. Auf Basis der identifizierten wesentlichen Gesellschaften wird die Organisationsstruktur der Institutsgruppe analysiert. Dabei sind auf Grundlage der Rechtsform der Gesellschaften, ihren Eigentums- und Beherrschungsverhältnisse sowie den Zugehörigkeiten zu Konsolidierungskreise innerhalb der Gruppe (Teilkonzerne) organisationale Abhängigkeiten zwischen den Gesellschaften der Institutsgruppe zu beschreiben. Zentralen Stellenwert nimmt die Beschreibung der Governance-Struktur ein. Grundlegende Informationen wie Angaben zum Standort der Gesellschaft, aufsichtsrechtliche Lizenzen für das Bankgeschäft und den primären Leitungs- und Kontrollorganen skizzieren die Struktur der Institutsgruppe. Zusammen mit der Beschreibung zentraler Dienstleistungen, die von einzelnen Gesellschaften für die gesamte Institutsgruppe angeboten werden, sind erste Erkenntnisse im Hinblick auf die Separierbarkeit in einzelne Abwicklungseinheiten festzustellen. Schwerpunkte der Analyse liegen in der Abgrenzung einzelner Gruppengesellschaften u.a. aufgrund gleicher Jurisdiktion bzw. allgemein geographischer Nähe, übergreifende Verantwortlichkeiten in steuerungsrelevanten Gremien (z.B. auf Vorstands- oder Aufsichtsratsebene) und (IT-orientierte) Dienstleistungen, wie gemeinsam genutzte Rechenzentren oder zentral bereitgestellte Ratingsysteme. Gegenstand der Analyse der finanziellen Rahmenbedingungen sind Daten auf Basis von Finanz- und aufsichtsrechtlichen Berichten. Neben Bilanzanalysen fallen hierunter insbesondere Analysen zu Hedge-Beziehungen, der Risikosituation und Kennzahlen zur Refinanzierungs- bzw. Liquiditätssituation. Im Rahmen der Bilanzanalyse wird die Struktur der Bilanz von Institutsgruppe und wesentlichen Gesellschaften der Gruppe anhand interner und externer Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten analysiert. Schwerpunkte im Rahmen der Analyse sind einerseits auf die Darstellung belasteter Vermögensgegenstände und andererseits auf der Restlaufzeitenstruktur von Forderungen und Verbindlichkeiten gesetzt. Diese Informationen stellen den Aufsatzpunkt für erste Erkenntnisse bzgl. der Refinanzierungssituation und Maßnahmen für kurzfristige Liquiditätsgenerierung des Instituts dar. Die Analyse der Hedge-Beziehungen ist auf Grundlage der derivativen Positionen für jede wesentliche Gesellschaft durchzuführen. Zu den zentralen Informationen zählen die

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

Darstellung der abgesicherten Positionen (Grundgeschäft und Sicherungsgeschäft) und insbesondere die Identifikation von kritischen Gegenparteien. Ziel der Analyse ist u.a. die Übersicht bestehender Hedge-Beziehungen, um im Falle eines Ausfalls notwendige Reaktionen im Sinne einer Terminierung durchführen zu können. Die Risikosituation der wesentlichen Gesellschaften und der Gruppe wird sowohl für Säule-I- als auch für Säule-II-Anforderungen untersucht. Zur Ermittlung der regulatorischen Kapitalquoten gemäß Säule I ist die Darstellung der wesentlichen Positionen der regulatorischen Eigenmittel (inkl. Überleitung zum bilanziellen Eigenkapital) und ein Überblick zur Verteilung der risikogewichteten Aktiva (RWA) auf Adressausfall-, Markt- und operationelle Risiko erforderlich. In Hinblick auf Säule-II-Anforderungen ist der Ausweis der Risikoauslastung mindestens für den steuerungsrelevanten Ansatz (Going oder Gone Concern) zu erläutern. Neben einer kurzen Beschreibung der verwendeten Methodik zur Quantifizierung der Risiken insbesondere bezüglich möglicher Puffer (wie z.B. für Modellrisiken) ist die Herleitung der Risikodeckungsmasse von zentraler Bedeutung. Aus der Analyse der Risikosituation sind erste Erkenntnisse zu möglichen Schwächen der einzelnen Gesellschaften innerhalb der Institutsgruppe ableitbar. Unter den Kennzahlen zur Bewertung der Liquiditäts- und Refinanzierungssituation der Institutsgruppe sind insbesondere die Liquidity Coverage Ratio (LCR) und die Net Stable Funding Ratio (NSFR) zu untersuchen. Für beide Kennzahlen ist eine Identifikation der wesentlichen Treiber erforderlich. Den Abschluss der Analyse zu finanziellen Rahmenbedingungen bildet die Betrachtung und Erläuterung der Komponenten in Bezug auf Strategie- und Steuerungskonzepte für das Kapital-, Risiko- und Liquiditätsmanagement unter der Berücksichtigung notwendiger Nebenfunktionen (Risikomanagement, Collateral Management, Treasury Abwicklung etc.). Dabei sind insbesondere Verfahren und Prozesse zur internen Kapitalsteuerung und -allokation sowie zur internen Liquiditätssteuerung und zum Informationsaustausch zwischen den als wesentlich identifizierten Gesellschaften in die Betrachtung miteinzubeziehen.

2.2 Geschäftsmodell und operative Rahmenbedingungen Die unter Abschnitt 2.1 beschriebenen organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen bilden die Grundlage für die Operationalisierung des Geschäftsmodells eines Finanzinstituts. Auf Basis der Analysen zu operativen Rahmenbedingungen soll die Bewertung in Hinblick auf die allgemeine Fortführung des Betriebs bzw. Anpassungen des Geschäftsmodells aufgrund von Abwicklungsmaßnahmen ermöglicht werden. Ausgehend davon erfolgt die Analyse der operativen Rahmenbedingungen insbesondere auf Basis des Geschäftsmodells und der Identifikation wesentlicher und kritischer Geschäfts-

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

aktivitäten. Grundlage für Analysen in Hinblick auf die Operationalisierung stellen interne bzw. externe Vernetzungsstrukturen, Zugänge zu Finanzmarktinfrastrukturen und IT-Systeme/MIS der wesentlichen Gesellschaften dar. Wesentliche Geschäftsaktivitäten bzw. Kerngeschäftsbereiche sind gemäß § 2 (3) Nr. 45 SAG Geschäftsbereiche, die die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Instituts oder einer Finanzgruppe in erheblicher Weise beeinflussen können oder im Falle einer Störung zu einem signifikanten Rückgang von Einnahmen bzw. Gewinnen oder Verlusten z.B. aufgrund von erheblichen Verlust des Beteiligungswertes führen können. Auf Basis dieser Definition sollte das Konzept zur Bestimmung der Wesentlichkeit von Geschäftsaktivitäten die zuvor erwähnten Aspekte berücksichtigen und dementsprechend ausgestaltet sein.3 Von den als wesentlich eingestuften Geschäftsaktivitäten sind kritischen Funktionen zu unterscheiden. Kritische Funktionen umfassen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 38 SAG Tätigkeiten, Dienstleistungen und Geschäfte, deren Einstellung aufgrund der mangelnden Möglichkeit zur Substitution zu einer Störung der für die Realwirtschaft unverzichtbaren Dienste oder zu einer Störung der Finanzmarktstabilität führen kann.4 Eine ausführliche Beschreibung in Bezug auf die Identifikation und Ermittlung der Kritikalität von Funktionen erfolgt im Beitrag Braun. Die Analysen zu internen und externen Verflechtungen werden unterteilt in Analysen zu finanziellen bzw. rechtlichen und organisatorischen bzw. operationellen Aspekten. Die Analyse der finanziellen Verflechtungen umfasst die Darstellung der Forderungen und Verbindlichkeiten (bilanziell und außerbilanziell) sowie der derivativen Transaktionen unter den wesentlichen Gesellschaften, während die Analyse der rechtlichen Verflechtungen dieser Gesellschaften bspw. die Aufführung von Patronatserklärungen, Ergebnisabführungsverträgen oder Beherrschungsverträgen beinhaltet. Dagegen erfordert die Analyse der organisatorischen und operationellen Verflechtungen die Betrachtung von Abhängigkeiten, die aufgrund der Erbringung von internen Unterstützungsfunktionen existieren. Derartige Unterstützungsfunktionen beinhalten die Bereitstellung von Aktivitäten, die entweder durch eine interne Einheit, eine wesentliche Gesellschaft der Institutsgruppe oder eines externen Dienstleisters zur Aufrechterhaltung eines

3 4

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Zur Bestimmung der Wesentlichkeit von Geschäftsaktivitäten vgl. Duwe/Igl (2014). Das SRB entwickelte hierzu ein standardisiertes Template zur Abfrage kritischer Funktionen. In 2017 wurden Banken aufgefordert dieses Template zu befüllen. Problematisch war die Zuordnung der (bereits im Rahmen der Sanierungsplan identifizierten) kritischen Funktionen zu vordefinierten Kategorien des SRB.

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

Geschäftsbereichs erbracht werden.5 Darüber hinaus ist eine Einschätzung der Kritikalität der Unterstützungsfunktionen vorzunehmen. Kritische Unterstützungsfunktionen sind solche, deren Störung bzw. Ausfall zu einer erheblichen Einschränkung oder zur vollständigen Funktionsunfähigkeit einer kritischen Funktion führen und durch keinen alternativen Anbieter innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens substituiert werden können.6 Im Rahmen der Analyse der Zugänge zu Finanzmarktinfrastrukturen (FMI) sind der Zahlungs-, Clearing- und Settlement-Systeme zu berücksichtigen. In einer ersten Stufe erfolgt die Identifikation der wesentlichen FMI-Systeme. Wesentlich sind dabei FMISysteme, die dem Kerngeschäftsbereichen oder kritischen Funktion der Institutsgruppe und seinen wesentlichen Gesellschaften zuzuordnen sind. Notwendige Informationen für wesentliche FMI-Systeme sind neben der Art des Systems eine Differenzierung hinsichtlich Systemzugang (direkt, indirekt) sowie eine Aufführung weiterer Merkmale der jeweiligen Systeme (Bezeichnung des Systems, Name des Anbieters/Betreibers, Mitgliedsvoraussetzungen). Die zweite Stufe beinhaltet die Einschätzung zur Kritikalität der FMI-Systeme anhand ihrer Relevanz (z.B. anhand des Transaktionsvolumens) und ihrer Substitutionsfähigkeit durch andere Systeme.7 Zum Zweck der Analyse der IT-Systeme und des Management-Information-Systems (MIS) eines Finanzinstituts ist ebenfalls ein zweistufiges Vorgehen üblich: Die erste Stufe beinhaltet die Aufführung der IT-Systeme und des MIS der wesentlichen Gesellschaften der Institutsgruppe unter Berücksichtigung allgemeiner Informationen. Die Informationen beziehen sich auf die Bezeichnung, Kategorie (Front- bzw. BackOffice-System, Datenhaushaltssystem, Administrationssystem etc.) und Art (Risikomanagement, Rechnungswesen, Reporting etc.) des Systems sowie die Art des Vertragsverhältnisses (Lizenzvertrag, Service Level Agreement (SLA) etc.). Darüber hinaus runden weitere Angaben zu den Vertragspartnern (Gesellschaft der Finanzgruppe, Gegenpartei, zuständige Ansprechpartner) die Darstellung ab. Die zweite Stufe der Analyse der IT-Systeme und des MIS sieht eine Zuordnung der einzelnen Systeme zu den Kerngeschäftsbereichen und kritischen Funktionen eines Finanzinstituts und seinen wesentlichen Gesellschaften vor. Sie erfolgt analog zur zweiten Stufe der Analyse der FMI-Zugänge vor dem Hintergrund der Relevanz und Substitutionsfähigkeit der einzelnen Systeme.

5 6 7

Vgl. FSB (2013), S. 12. Vgl. EBA (2015), S. 4. Das SRB hat mit der Entwicklung eines standardisierten Templates zur Abfrage von FMIZugänge begonnen und dies im Jahr 2017 zum ersten Mal zur Befüllung an Institute geben.

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

2.3 Verlustabsorptionskapazität und Separierbarkeit Die zuvor erhobenen und analysierten Daten in Bezug auf die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen eines Finanzinstituts bilden die Grundlage für die Bestimmung der Verlustabsorptionskapazität. Darüber hinaus ermöglicht die detaillierte Betrachtung der operativen Rahmenbedingungen eines Finanzinstituts eine Evaluierung der Separierbarkeit von Funktionen und Geschäftsbereichen. Die Analysen zur Verlustabsorptionskapazität setzten sich aus der Analyse zum externen Verlustpotenzial und der internen und externen Verlustkapazität zusammen. Das externe Verlustpotenzial umfasst die möglichen Verluste, die bei wesentlichen Gesellschaften eintreten können. Die Höhe des möglichen Verlustes wird aus den eingegangen Risiken gegenüber externen Kontrahenten abgeleitet, so dass die Quantifizierung auf Basis der konsolidierten risikogewichten Aktiva erfolgt. Im Sinne des Bail-in-Instrumentes ist eine ausreichend hohe interne und externe Verlustabsorptionskapazität vorzuhalten, um Verluste im Rahmen einer Abwicklung begleichen zu können. Für die Ableitung der internen Verlustabsorptionskapazität wird analysiert, welches Volumen an Verlusten durch die wesentlichen Gesellschaften getragen bzw. zur Institutsobergesellschaft transferiert werden kann. Ist ein Transfer aller Verluste möglich, fällt kein Verzehr von Eigenkapital auf Ebene der Institutstochtergesellschaften an. Zum Transfer der Verluste können einerseits Abschreibungen von internen Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaften vorgenommen oder Beherrschungs- bzw. Gewinnund Verlusttransferrechte ausgeübt werden. Die externe Verlustabsorptionskapazität eines Instituts setzt sich aus der Summe seiner Eigenmittel und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten zusammen. Wenngleich die Eigenmittel bereits im Rahmen der Analysen zu den finanziellen Rahmenbedingungen untersucht wurden, sind für die Auswertung der berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten weitere Abstufungen vorzunehmen, da aufgrund gesetzlichen Bestimmen nicht alle Verbindlichkeiten für die Anwendung des Bail-in-Instrumentes zur Verfügung stehen.8 Die Analyse stellt den Ausgangspunkt zur Abbildung der Haftungskaskade gemäß nationaler Insolvenzverordnung dar. Auf Basis einzelner Instrumente (z.B. nachrangige Verbindlichkeiten und Einlagen) ist eine Auswertung der vorhandenen Verbindlichkeiten auch in Hinblick auf die Zusammensetzung der Kontrahenten durchzuführen. Dies ist

8

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Der Gesetzgeber schließt in § 91 Abs. 2 SAG allgemein bestimmte Arten von Verbindlichkeiten von der Verwendung des Bail-in aus. Darüber erlaubt § 92 Abs. 1 SAG im Einzelfall bestimmte berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten ganz oder teilweise auszuschließen.

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

mit dem Ziel verbunden zu prüfen, ob durch die Beteiligung an Verlusten von einzelnen Gläubigergruppen ggf. nachhaltige negative Auswirkungen auf Finanzmarkt und Realwirtschaft vorliegen können. Analog zu Konzentrationsmessungen auf der Aktivseite sind insofern Konzentrationen auf der Passivseite zu identifizieren. Als Ergänzung zur Analyse der Verlustabsorptionskapazität betrachtet die Analyse der Separierbarkeit die Möglichkeit die Institutsgruppe in einzelne Abwicklungseinheiten zu separieren. Die rechtliche Notwendigkeit dieser Betrachtung basiert auf § 40 Abs. 3 Nr. 3 SAG wonach kritische Funktionen und wesentliche Geschäftsaktivitäten im Hinblick auf ihre rechtliche und wirtschaftliche Separierbarkeit zu betrachten sind, um deren Fortführung nach einem Ausfall des Finanzinstituts zu gewährleisten. Die Ausgestaltung von Abwicklungseinheiten erfolgt unter Berücksichtigung der kritischen Funktionen und Kerngeschäftsbereiche des Finanzinstituts. Da die Aufrechterhaltung von kritischen Funktionen und Kerngeschäftsbereichen sowohl von der Existenz organisatorischer bzw. operationeller Verflechtungen als auch der Existenz von wesentlichen bzw. kritischen FMI-Zugängen und IT-Systemen/MIS abhängig ist, muss in den Abwicklungseinheiten sichergestellt sein, dass notwendige Unterstützungsfunktionen und Systeme vorhanden sind. Darüber hinaus sind im Rahmen der Ausgestaltung von Abwicklungseinheiten die finanziellen und rechtlichen Verflechtungen des Instituts zu würdigen, um Ansteckungsrisiken innerhalb des Finanzsystems vorzubeugen. Neben der Ausgestaltung von Abwicklungseinheiten beinhaltet die Analyse der Separierbarkeit die Darstellung der Abhängigkeiten der neu zu errichteten Einheiten. Derartige Abhängigkeiten beziehen sich auf die Verflechtung unter den einzelnen Einheiten sowie die Verflechtung der Einheiten mit Dritten. Die inhaltliche Beschreibung der Abwicklungseinheiten rundet die Analyse der Separierbarkeit ab.

3 Implikationen für die Abwicklungsstrategie Mit den Ergebnissen der Strategischen Unternehmensanalyse werden die grundlegenden Ausgestaltungsspielräume für die Entwicklung von geeigneten Abwicklungsstrategien gesetzt. Abwicklungsstrategien bestehen aus der Wahl eines Abwicklungsansatzes und eines oder mehreren Abwicklungsinstrumenten. Für den Abwicklungsansatz gibt der Gesetzgeber einen Single Point of Entry (SPE) und einen Multiple Point of Entry (MPE) vor. Beim SPE-Ansatz werden Abwicklungsinstrumente nur auf Ebene der Institutsobergesellschaft angewendet, beim MPE-Ansatz können Abwicklungsinstrumente bei mehreren Gesellschaften innerhalb der Institutsgruppe gleichzeitig angewendet werden.

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

Als Abwicklungsinstrumente stehen einerseits das Instrumente der Gläubigerbeteiligung (Bail-in) als finanzielle Maßnahme und anderseits die Instrumente Unternehmensveräußerung, Brückenbankinstitut und die Übertragung von Anteilen, Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse als strukturelle Maßnahmen zur Verfügung. Eine ausführlichere Beschreibung von Abwicklungsstrategien ist im Beitrag Pflüger zu finden. Die Entscheidung für einen SPE-Ansatz kann insbesondere durch eine zentrale Verteilung der Verlustabsorptionskapazität auf Ebene der Institutsobergesellschaft positiv beeinflusst werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn erhebliche Größenunterschiede zwischen der Obergesellschaft und den anderen Gesellschaften der Gruppe vorliegen. Alternativ kann der SPE-Ansatz auch über den Transfer von Verlusten in Form von Haftungsbrücken oder vertraglichen Regelungen motiviert werden. Sofern nachweisbar mögliche Verluste der Gruppengesellschaften zur Obergesellschaft transferiert werden können und die Obergesellschaft über eine ausreichend hohe externe Verlustkapazität verfügt, wird die Anwendung eines SPE-Ansatzes unterstützt. Der MPE-Ansatz wäre vorzuziehen, sollte die Konzerngesellschaft nicht in der Lage sein, die transferierten Verluste mit ausreichend externer Verlustkapazität zu kompensieren. Beeinflusst werden diese Kriterien insbesondere aufgrund der Analyseergebnisse des dritten Kernelementes. Aus organisatorischer Sicht wird die Wahl eines SPE-Ansatzes unterstützt je höher die Integration der einzelnen Gesellschaften in die Gruppe ist. Insbesondere wenn z.B. die Steuerung der Risiken, Tätigkeiten zur Sicherstellung von Liquidität und Refinanzierung und IT-Service zentrale Funktionen der Institutsobergesellschaft darstellen, ist die Durchführung eines MPE-Ansatzes mit Schwierigkeiten verbunden. Werden Abwicklungsinstrumente zur selben Zeit bei mehreren Gruppengesellschaften eingesetzt, würden letztendlich hohe Koordinationsaufwände bei der Obergesellschaft anfallen. Demgegenüber wäre der MPE-Ansatz vorzuziehen wenn es disjunkte Abwicklungseinheiten in Form einer Holdingstruktur gibt, die u.a. durch unterschiedliche Geschäftsmodelle (z.B. Retail- und Mittelstandsgeschäfts) oder geographische Eigenschaften voneinander getrennt werden können. Grundlage zur Bewertung dieser Aspekte bilden insbesondere die Analysen zur operationellen Rahmenbedingung und der Separierbarkeit in den Kernelementen zwei und drei der strategischen Unternehmensanalyse. Zur Bewertung der Anwendbarkeit des Instrumentes der Gläubigerbeteiligung ist insbesondere eine Analyse der vorliegenden Verbindlichkeiten erforderlich. Die Anwendung des Bail-in wird einerseits erschwert, sofern nicht ausreichend Bail-in-Masse vorhanden ist oder das Non-creditor-worse-Prinzip (NCWO) verletzt zu werden droht. Während die vorhandene Bail-in-Masse mit den neuen Abwicklungskennzahlen MREL und Total

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

Loss-Absorbing Capacity (TLAC)9 überwacht werden wird, kann die Verletzung des NCWO eher ein Hindernis für die Anwendung des Bail-in-Instrumentes sein. Eine Verletzung des NCWO droht, wenn durch die Anwendung das Bail-in Instrumentes Gläubiger schlechter gestellt werden als im Rahmen eines nationalen Insolvenzverfahrens. Eine Ursache hierfür kann vorliegen, wenn aufgrund der Höhe der Verluste oder der Verteilung der Masse über die Haftungskaskade eine Herabschreibung bzw. Wandelung von Verbindlichkeiten in niedrigen Insolvenzrängen erforderlich wird. Hintergrund ist, dass aufgrund § 91 Abs. 2 SAG insbesondere in niedrigen Insolvenzrängen einzelne Arten von Verbindlichkeiten nicht gewandelt werden dürfen. Die Schlechterstellung gegenüber dem nationalen Insolvenzverfahren resultiert daraus, dass die fehlende Bail-inMasse aus einem noch niedrigen Insolvenzrang herabgeschrieben oder gewandelt werden müsste. Ein weiteres Problem ist insbesondere bei Verbindlichkeiten zu sehen, die der Jurisdiktion eines Drittstaats unterliegen, der die Beteiligung von Gläubiger entweder gar nicht vorsieht oder seine Gläubiger vor möglichen Verlusten schützen möchte (Ring fencing). Die Identifikation solcher Verbindlichkeit, deren Herabschreibung oder Wandelung selbst unter Bemühung im Rahmen eines Abwicklungsverfahrens gefährdet wären, ist den Ergebnissen der Analysen der Verlustabsorptionskapazität im Rahmen des dritten Kernelements zu entnehmen. Die Bewertung zur Anwendbarkeit der strukturellen Abwicklungsinstrumente der Unternehmensveräußerung und des Brückeninstituts beruhen insbesondere auf den Ergebnissen der Separierbarkeitsanalyse des dritten Kernelementes. Wurden einzelne Abwicklungseinheiten identifiziert, die leicht aus der Institutsgruppe herausgelöst werden können und des Weiteren über ein profitables Geschäftsmodell verfügen, wird die Anwendung des Instrumentes der Unternehmensveräußerung grundsätzlich unterstützt. Sofern kritische Funktionen durch eine Abwicklungseinheit ausgeführt werden, ist auch die Überführung in ein Brückeninstitut denkbar. Die Einschätzung ist in diesem Fall unabhängig von der Profitabilität der Abwicklungseinheit, da die Aufrechterhaltung der kritischen Funktionen wichtig zur Sicherstellung der Stabilität von Finanzmarkt und Realwirtschaft ist. Werden im Rahmen der Separierbarkeitsanalyse keine Abwicklungseinheiten identifiziert, muss dies nicht zwangsweise den Ausschluss der beiden Instrumente bedeutet. Es ist denkbar, dass die Institutsgruppe aufgrund ihrer Organisationsstruktur (vgl. erstes Kernelement) zu klein ist oder die Gesellschaft einen zu hohen Integrationsgrad aufweist. Als Alternative zur Unternehmensveräußerung einzelner Abwicklungseinheiten wäre es

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Vgl. den Beitrag von Köhler/Stepanek.

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Marcel Krüger/Matthias Schupp

analog zur Abwicklung der Banco Populare10 möglich, die gesamte Institutsgruppe an ein interessiertes Institut zu verkaufen. Besteht keine Interesse am Kauf der gesamten Institutsgruppe, könnte die Gruppe in ein Brückeninstitut überführt werden, sofern hierdurch die Sicherstellung von kritischen Funktionen gewährleistet wird. Die Übertragung von Anteilen, Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Rechtsverhältnisse in eine Bad Bank würde insbesondere unterstützt werden, wenn die von der Krise betroffen Portfolien aus der Institutsgruppe hinausgeschnitten werden könnten. Dies ist möglich, sofern die Institutsgruppe voneinander abgrenzbare Portofolien (wie z.B. ein Institut, das gleichzeitig in der Absatzmarkt- und Flugzeugfinanzierung tätig ist) betreut.

Literatur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) (2014): Erläuterungen zum Rundschreiben 3/2014 (BA) – Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen (MaSan). Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, 2012. Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards, in denen der Inhalt von Sanierungsplänen, Abwicklungsplänen und Gruppenabwicklungsplänen, die Mindestkriterien, anhand deren die zuständige Behörde Sanierungs- und Gruppensanierungspläne zu bewerten hat, die Voraussetzungen für gruppeninterne finanzielle Unterstützung, die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Bewerter, die vertragliche Anerkennung von Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnissen, die Verfahren und Inhalte von Mitteilungen und Aussetzungsbekanntmachungen und die konkrete Arbeitsweise der Abwicklungskollegien festgelegt wird. Directive 2014/59/EU of the European Parliament and of the Council of 15 Max 2014 establishing a framework for the recovery and resolution of credit institution and investment firms and amending Council Directive 82/891/EEC, and Directives 2001/24/EC, 2002/47/EC, 2004/25/EC, 2005/56/EC, 2007/36/EC, 2011/35/EU, 2012/30/EU and 2013/36/EU, and Regulations (EU) No 1093/2010 an (EU) No 648/2012, of the European Parliament and of the Council Text with EEA relevance.

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Vgl. Entscheidung des SRB https://srb.europa.eu/en/node/315 (10.09.2017).

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Strategische Unternehmensanalyse – ein fokussierter Überblick

Durchführungsverordnung (EU) 2016/1066 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards in Bezug auf Verfahren, Standardformulare und Dokumentvorlagen zur Bereitstellung von Informationen für die Erstellung von Abwicklungsplänen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen gemäß der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates. Duwe, K./Igl, A. (2014): Strategische Analyse, in: Igl, A./Heuter, H. (Hg.): Sanierungsplanung – Bankpraktische Umsetzung der MaSan, Köln 2014, S. 83-100. European Banking Authority (EBA) (2015): Technical advice on the delegated acts on critical functions and core business lines (EBA-Op-2015-05). Financial Stability Board (FSB) (2013): Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services. Financial Stability Board (FSB) (2014): Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions. Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10.12.2014 (BGBl. I S. 20191), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetztes vom 02.11.2015 (BGBl. I S. 1864).

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation Nicklas Braun

1 Definition, Abgrenzung und Identifikation 2 Leitlinie zu Kritischen Funktionen des Single Resolution Boards (SRB) 2.1 Aufbau und Inhalt 2.2 Abgleich mit den Leitlinien des Financial Stability Boards (FSB) 3 Diskussionsgrundlagen

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1 Definition, Abgrenzung und Identifikation Das Financial Stability Board (FSB) hat im Oktober 2011 in den Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions (Key Attributes)1 die wesentlichen Bestandteile eines Abwicklungsmechanismus definiert und darin die Bedeutung der Fortführung von kritischen Funktionen hervorgehoben. Die Anhänge 1 und 2 (Annex I und Annex II) der Key Attributes unterscheiden zwischen solchen für das Unternehmen wesentliche Geschäftsaktivitäten und Dienstleistungen und den für die nationale und internationale Finanz- und Realwirtschaft kritischen Funktionen. Während die für das Unternehmen wesentlichen Geschäftsaktivitäten und Dienstleistungen insbesondere für den Unternehmenswert (Franchise-Wert) eine tragende Rolle spielen, beziehen sich kritische Funktionen auf Tätigkeiten, welche für die nationalen und internationalen Finanzsysteme und die Realwirtschaft bedeutend sind. Im Zuge der ersten Anforderungen an die Erstellung von Sanierungsplänen an global systemrelevante Banken (G-SIBs), hat das FSB im Juli 2013 eine Leitlinie zur Identifikation von kritischen Funktionen und kritischen Shared Services2 veröffentlicht. Für den europäischen Rechtsrahmen wurde im Februar 2016, und damit im Nachgang zu dem für den deutschen Rechtsrahmen umgesetzten Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG),3 eine Delegierte Verordnung zur Ergänzung der Bank Recovery and Resolution Directive (BBRD) veröffentlicht, anhand welcher u.a. detaillierte Kriterien für die Bestimmung von Tätigkeiten, Dienstleistungen und Geschäften im Zusammenhang mit kritischen Funktionen sowie die Kriterien zur Definition der wesentlichen Geschäftsaktivitäten und Dienstleistungen bzw. Kerngeschäftsbereiche beschrieben werden (Delegierte Verordnung).4

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Financial Stability Board (FSB), Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, Oktober 2011, verfügbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/uploads/ r_111104cc.pdf. Financial Stability Board (FSB), Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services, 16.07.2013, verfügbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/ uploads/r_130716a.pdf?page_moved=1. Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10.12.2014 (BGBl. I S. 2091), das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3171) geändert worden ist (SAG). Delegierte Verordnung (EU) 2016/778 vom 02.02.2016.

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Nicklas Braun

Die Kerngeschäftsbereiche werden darin als Geschäftsbereiche und damit verbundene Dienste definiert, die für ein Institut wesentliche Quellen der Einnahmen, Gewinne oder des Franchise-Werts darstellen.5 Im Vergleich dazu stehen die kritischen Funktionen, welche als Tätigkeiten definiert sind, welche von dem Institut für Dritte erbracht werden.6 Von den Kerngeschäftsbereichen und kritischen Funktionen, welche beide für Dritte erbracht werden können, sind Shared Services abzugrenzen. Shared Services sind Tätigkeiten nach innen, d.h. sie werden für Geschäftsbereiche oder Unternehmen der Gruppe durchgeführt und nicht für Dritte. Sie beziehen sich wie Kerngeschäftsbereiche auf für gruppenangehörige Unternehmen erbrachte Funktionen und sind von den kritischen Funktionen abzugrenzen. Shared Services können ebenfalls als kritisch identifiziert werden, sofern diese bspw. für die Erbringung bestimmter Tätigkeiten unverzichtbar sind.7 Abbildung 1: Kritische Funktionen, Kerngeschäftsbereiche und kritische Shared Services

Quelle: SRB, Guidance on the Critical Functions Report

Im Folgenden liegt der Fokus auf den kritischen Funktionen und es werden die Voraussetzung und Bewertungskriterien zur Identifizierung beschrieben. Neben der Voraussetzung einer kritischen Funktion, von dem Institut für Dritte erbracht zu werden, müssen

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Delegierte Verordnung (EU) 2016/778 vom 02.02.2016, Art. 7. Delegierte Verordnung (EU) 2016/778 vom 02.02.2016, Art. 6. Financial Stability Board (FSB), Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services, 16.07.2013; verfügbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/ uploads/r_130716a.pdf?page_moved=1, Kap. 3.

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

in einem weiteren Schritt die Auswirkungen eines plötzlichen Ausfalls dieser Funktion analysiert werden. Führt der plötzliche Ausfall der Funktion möglicherweise zu negativen Auswirkungen auf Dritte, zu einer Ansteckung von anderen Bereichen der Finanzoder Realwirtschaft, oder einem allgemeinen Vertrauensverlust der Marktteilnehmer, so ist das Ausüben der Funktion als systemrelevant zu bewerten.8 Die Funktion ist jedoch nur dann als kritisch einzustufen, sofern sie in einem angemessenen Zeitraum und in vergleichbarem Umfang nicht von einem anderen von dem Institut unabhängigen Anbieter erbracht werden kann. Der Ausfall einer Funktion ist dann gegeben, wenn sie nicht mehr im vergleichbarem Ausmaß und vergleichbaren Bedingungen und Qualität erbracht werden kann und der Wechsel der Erbringung der Funktion auf einen anderen Anbieter nicht in geordneter Weise vollzogen werden kann. Die Delegierte Verordnung sieht ein zweistufiges Verfahren zur Ermittlung kritischer Funktionen vor. Die erste Stufe wird von den Instituten im Rahmen der Sanierungsplanung durch eine Selbsteinschätzung durchgeführt. Da davon auszugehen ist, dass die Abwicklungsbehörden einen Überblick davon haben, welche Funktionen von zentraler Bedeutung sind und demnach als kritisch einzustufen sind, um die Real- und Finanzwirtschaft nicht zu gefährden,9 sollen die Abwicklungsbehörden in einem zweiten Schritt die Selbsteinschätzungen der Institute überprüfen.10 Nachfolgend liegt der Fokus zunächst auf der ersten Stufe, der möglichen Vorgehensweise im Sinne der Selbsteinschätzung zur Bestimmung von kritischen Funktionen anhand der Delegierten Verordnung. Im darauffolgenden Abschnitt wird dann auf die Art und den Umfang der Übermittlung von Informationen hinsichtlich der potenziellen kritischen Funktionen an die Abwicklungsbehörden eingegangen. Während die Prüfung bzw. Bewertung der ersten Voraussetzung, die Erbringung der Funktion für Dritte, im Identifizierungsprozess von kritischen Funktionen die vermeintlich kleinere Hürde darstellt, gilt es bei der Bewertung der weiteren Voraussetzungen, die Auswirkungen eines plötzlichen Ausfalls der Funktion sowie die Substituierbarkeit der Funktion durch Dritte diverse Kriterien zu berücksichtigen. Die Delegierte Verordnung nennt hier mehrere Mindestbewertungskriterien, welche im Identifizierungsprozess einbezogen werden sollen. Diese Mindestbewertungskriterien werden zwischen den Kriterien für die Auswirkungen auf Dritte und der Bewertung der Substituierbarkeit unter-

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Delegierte Verordnung (EU) 2016/778 vom 02.02.2016, Art. 6. Die Einstufung als kritische Funktion hat Einfluss auf die präferierte Abwicklungsstrategie hinsichtlich der Vorbereitungsmaßnahmen von Abwicklungsinstrumenten nach § 89 SAG im Sinne der Abwicklungsziele nach § 67 SAG. Delegierte Verordnung (EU) 2016/778 vom 02.02.2016; Erwägungsgrund Nr. 7.

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Nicklas Braun

teilt. Die Auswirkungsanalyse eines plötzlichen Ausfalls auf Dritte sollte dabei den ersten Schritt im Identifizierungsprozess darstellen. Die dafür aufgeführten Kriterien werden nachfolgend beschrieben. Im Anschluss wird auf die Bewertung der Substituierbarkeit einer Funktion eingegangen. Bei der Betrachtung der Bewertungskriterien für die Auswirkungen auf Dritte ist sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Analyse der Kriterien heranzuziehen. Die Analyse ist in vier Kategorien aufteilbar: • Art und Reichweite der Tätigkeit, • Bedeutung des Instituts, • Art der Kunden und Interessensträger und • Folgen eines Ausfalls. Während sowohl die Definition von Funktionen als auch die Reichweite, im Sinne von national und/oder international, der Tätigkeit i.d.R. mittels einer qualitativen Einschätzung vorgenommen werden kann, sollen dahingegen auch quantitative Merkmale bei der Analyse einbezogen werden. Die Delegierte Verordnung sieht als quantitative Mindestbewertungskriterien für die Art und Reichweite der Tätigkeit die Anzahl der Transaktionen und die Anzahl der Kunden und Gegenparteien vor. Darüber hinaus soll die Anzahl jener Kunden, für welche das Institut das einzige oder wichtigste Partnerinstitut ist, dargelegt werden. Die Bedeutung des Instituts soll auf Grundlage des Marktanteils, der bestehenden Verflechtungen, der Komplexität und der grenzüberschreitenden Tätigkeiten bewertet werden und dabei sowohl lokale, regionale, nationale und internationale Märkte berücksichtigen. Hinsichtlich der Art der Kunden und Interessensträger soll mindestens zwischen Privat- und Unternehmenskunden, Interbankenkunden, zentralen Clearing-Stellen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen unterschieden werden. Die Folgen eines möglichen Ausfalls sind dabei insbesondere auf Märkte, Infrastrukturen, Kunden und öffentliche Dienste zu beziehen. Hier sollen besonders die Liquidität, die Wahrnehmbarkeit, die Bedeutung für das Funktionieren anderer Märkte, die Auswirkungen auf Hauptkunden der Gegenparteien sowie mögliche Zusammenhänge der Funktion zu anderen Dienstleistungen analysiert werden.

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

Die Substituierbarkeit einer Funktion ist gemäß Delegierter Verordnung als gegeben angesehen, wenn sie in vertretbarer Weise und innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ersetzbar ist. Besondere Beachtung gilt dabei der Bewertung, inwiefern die Ersetzbarkeit systemische Probleme für die Realwirtschaft und die Finanzmärkte vermeiden kann. Für die Bewertung sind demnach mindestens nachfolgende Analysen durchzuführen: • Verfügbarkeit von Ersatzanbietern, • Markteintrittsbarrieren, • Anreize für Dritte, die Tätigkeit auszuüben, und • Zeit und Kosten. Bei der Bewertung der Substituierbarkeit spielen qualitative Analysen eine bedeutende Rolle, welche durch quantitative Inhalte untermauert werden sollten. Hinsichtlich der Verfügbarkeit von Ersatzanbietern wird zunächst eine Analyse der Marktstruktur dahingehend notwendig. Die Markteintrittsbarrieren sollen unter den Gesichtspunkten der Kapazitäten, der Anforderungen an die Durchführbarkeit der Funktion und der möglichen Hürden für den Markteinstieg bzw. die Markterweiterung durch Dritte geprüft werden. Die Anreize für Dritte, die Funktion oder Tätigkeit durchzuführen, werden in der Delegierten Verordnung nicht detailliert, können jedoch bspw. unter den Gesichtspunkten der möglichen zukünftigen Gewinne aus der Durchführung der Tätigkeit oder potenziellen Sekundäreffekten, wie z.B. die Neukundengewinnung, analysiert werden. Hinsichtlich der Analyse der Zeit und Kosten ist insbesondere auch eine Einschätzung, ob die benötigte Zeit des Wechsels zu einem Drittanbieter eine wesentliche Beeinträchtigung der Tätigkeit darstellen kann, zu berücksichtigen. Im nachfolgenden Abschnitt wird auf die Art und den Umfang der Übermittlung von Informationen hinsichtlich der potenziellen kritischen Funktionen an die Abwicklungsbehörden eingegangen. Des Weiteren erfolgt ein Abgleich zu den FSB-Leitlinien zu kritischen Funktionen, welche auf Grund eines hohen Detaillierungsgrades für die Befüllung der aufsichtlichen Templates eine Hilfestellung bieten können.

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Nicklas Braun

2 Leitlinie zu Kritischen Funktionen des Single Resolution Boards (SRB) 2.1 Aufbau und Inhalt Die Europäische Abwicklungsbehörde, das Single Resolution Board (SRB), hat 2017 ein Template, sowie eine dazugehörige Leitlinie (Report) für kritische Funktionen veröffentlicht.11 Institute, welche von den für sie zuständigen Abwicklungsbehörden aufgefordert werden, das Template zu befüllen, sollten alle diejenigen sein, welche möglicherweise über kritische Funktionen verfügen. Die erstmalige Befüllung des Templates durch die Institute hat in der ersten Jahreshälfte 2017 stattgefunden. Zukünftig soll das Template von den Instituten jährlich mit dem Stichtag 31.12. den zuständigen Abwicklungsbehörden übermittelt werden. Der Report sah in 2017 als erstes Zulieferungsdatum den 28.04. vor. Da das SRB jedoch darauf hinweist, dass insbesondere in Krisenzeiten die Befüllung des Templates jederzeit angefordert werden kann, ist davon auszugehen, dass zukünftige Abgabedaten näher am genannten Stichtag liegen werden.12 Da die Abwicklungsbehörden für die Erstellung der Abwicklungspläne von Instituten zuständig sind,13 verfolgt der SRB-Report mit zugehörigem Template folgende Zwecke: • Unterstützung der Institute anhand des Templates bzw. Reports, kritische Funktionen zu identifizieren; • strukturierte Datensammlung zu den Geschäftsfeldern von Instituten, mit welchen die Abwicklungsbehörden die Kritikalität von Funktionen bestimmen sollen. Die Abwicklungsbehörden berufen sich dabei insbesondere auf die Unterstützungspflicht der Institute gemäß der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) bei der Erstellung von Abwicklungsplänen. Hierfür ist der Report in zwei Kapitel unterteilt. Das

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Sinlge Resolution Board (SRB), Guidance on the Critical Functions Report, verfügbar unter https://srb.europa.eu/en/content/critical-functions-report. Vgl. hierzu auch die Abgabefristen des SRB Liability Data Templates (MREL-Reporting Templates), in welchem bereits bei der ersten Veröffentlichung sowie auf Tagungen des SRB auf deutlich verkürzte Abgabefristen hingewiesen wurde. Richtlinie 2014/59/EU (BRRD), Art. 63.

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

erste Kapitel erläutert den Hintergrund zu kritischen Funktionen, auf welche sich das SRB im Rahmen des Reports und des Templates beruft, und gibt allgemeine Informationen zum Aufbau des Templates, den Anwendungsbereich und die Berichtsprozesse. Das zweite Kapitel gibt detaillierte Informationen zu den im Template geforderten Informationen. Das von den Instituten zu füllende Template in Excel-Form beinhaltet vier Reiter, von welchen eines das eigentlich zu füllende Template darstellt. Neben den allgemeinen Informationen zu dem berichtenden Institut sieht dieses Template vier Teile vor: • Part 1/Teil 1: Select applicable functions/Auswahl zutreffender Funktionen – Im ersten Teil des Templates sind die von dem Institut durchgeführten Geschäftstätigkeiten bzw. Funktionen auszuwählen. Dabei kann zwischen fünf unterteilten Kategorien von Geschäftsfeldern gewählt werden, zu welchen jeweils Unterkategorien (z.B. Gegenparteien) aufgeführt sind. Die fünf Kategorien unterteilen sich in das Einlagengeschäft, Kreditgeschäft, Zahlungsverkehr/Settlement/Clearing, Kapitalmärkte und Wholesale Funding. Die darauf folgenden Teile 2 bis 4 beziehen sich auf die in Part 1/Teil 1 ausgewählten Kategorien bzw. Unterkategorien. • Part 2/Teil 2: Report quantitative data/Bericht quantitativer Daten – In diesem Teil sind vorgegebene Indikatoren bzw. Daten, wie bspw. Marktanteile, heranzuziehen und anhand einer Drop-down-Liste zu bewerten. • Part 3/Teil 3: Assess impact and supply-side using the pre-defined indicators and reporting buckets/Auswirkungs- und Substituierbarkeitsanalyse – Auch in diesem Teil sind vorgegebene Indikatoren bzw. Daten heranzuziehen, bspw. hinsichtlich Größe und Marktkonzentration, und anhand einer Drop-down-Liste zu bewerten. • Part 4/Teil 4: Assess criticality/Einschätzung zur Kritikalität – Im vierten Teil sollen die vorgenannten Teile in der Summe betrachtet werden und anhand einer Dropdown-Liste abschließend hinsichtlich der Kritikalität bewertet werden. Um insbesondere für die Teile 2 bis 4 bei der Einschätzung bzw. Bewertung der einzelnen Indikatoren eine Hilfestellung zu geben, ist ein Abgleich mit den detaillierten Beschreibungen der FSB-Leitlinien sinnvoll. Daher folgt nachgehend ein Abgleich der Informationen aus dem SRB-Template mit den FSB-Leitlinien.

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Nicklas Braun

2.2 Abgleich mit den Leitlinien des Financial Stability Boards (FSB) Die vom FSB am 16.07.2013 veröffentlichte Richtlinie zur Identifikation von kritischen Funktionen und kritischen Shared Services14 wird nachfolgend mit der Vorgehensweise und den vorgenannten Teilen des SRB-Reports verglichen und näher aufgeführt. Ziel ist es insbesondere, einen tiefergehenden Hintergrund zu den einzelnen Kategorien (Part 1: Select applicable functions/Auswahl zutreffender Funktionen) sowie zu den Analysen im SRB-Report zu geben, um die Identifikation und Einordnung von Geschäftsaktivitäten zu unterstützen. Des Weiteren kann bei der Einordnung der Geschäftsaktivitäten in die vom SRB-Template vorgegebenen Kategorien durch die FSB-Richtlinie eine erweiterte Hilfestellung gegeben werden. In der Leitlinie des FSB werden im Anhang beispielhaft banktypische Kategorien genannt und näher beleuchtet. Dabei verweist die FSB Leitlinie explizit darauf, dass die genannten Kategorien nicht zwingend eine kritische Funktion darstellen und es zudem durchaus weitere Kategorien geben kann, welche eine kritische Funktion darstellen können. Nachfolgend werden die in der FSB-Richtlinie aufgeführten Kategorien mit dem SRB-Report verglichen. Tabelle 1: Abgleich Kategorien der Tätigkeiten in FSB- und SRB-Leitlinie FSB Richtlinie

SRB Report

Deposit taking

Deposits

Lending and loan servicing

Lending

Payments, Clearing, Custody, Settlement

Payment, Cash, Settlement, Clearing, Custody

Wholesale funding market activities

Wholesale funding

Capital markets and investment activities

Capital markets

Trotz geringer Abweichungen der Begriffe kann davon ausgegangen werden, dass die Kategorien der FSB-Richtlinie im SRB-Report übernommen worden sind und sich im Sinn gleichen. Von dieser Übereinstimmung wird im weiteren Verlauf des Abgleichs zwischen FSB-Richtlinie und SRB-Report ausgegangen, um eine Vertiefung der Kategorien und der Vorgehensweise vorzunehmen. Zu den einzelnen Kategorien zeigt die FSBRichtlinie Beispiele für Produkte auf und vermittelt darüber hinaus einen Eindruck der Reichweite und von Kritikalitätstreibern.

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Financial Stability Board (FSB), Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services, 16.07.2013, verfügbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/ uploads/r_130716a.pdf?page_moved=1.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 115 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

Tabelle 2 greift die zu den einzelnen Kategorien beispielhaft aufgeführten Produkte und Kritikalitätstreiber auf. Tabelle 2: Kritikalitätstreiber nach Kategorien der Tätigkeiten und Produkten Produkte in FSB-Richtlinie

Beispiele für Kritikalitätstreiber in FSB-Richtlinie

Kategorie: Deposit taking (Deposits) Deposits • by counterparties: retail, commercial, institutional • by protection: insured, privileged, uninsured • by maturity: sight, term • Transaction (Current)/Saving deposit accounts

Deposits with little residual maturity are more critical than the activity of taking new deposits. Retail deposits should be considered as critical. The ability to maintain uninterrupted access to funds in support of the daily operations of both financial and corporate firms can be critical to mitigating the impact on financial stability. The assessment of criticality should therefore consider the effectiveness and credibility of the protection arrangements.

• Certificates of deposit

Kategorie: Lending and loan servicing (Lending) Loans • by counterparty: retail, commercial • by maturity: short-term, long-term, residual maturity • by collateralisation: mortgage, secured, unsecured • Credit Card Lending • Committed Credit Lines • Trade finance • Leasing • Factoring • Project Finance

Standardisation increases substitutability and reduces criticality. For business lending, borrower size generally increases substitutability and reduces criticality. For consumer lending, standardisation of underwriting (through such means as broadly available credit scores) increases substitutability and decreases criticality. Lending that is shorter term is more likely to be critical than lending that is longer term. Non-bank lenders might increase substitutability, especially when ample liquidity is available.

• Loan servicing • Credit Card Issuance Services • Credit Card Acquiring Services

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Nicklas Braun

Produkte in FSB-Richtlinie

Beispiele für Kritikalitätstreiber in FSB-Richtlinie

Kategorie: Payments, Clearing, Custody, Settlement (Payment, Cash, Settlement, Clearing, Custody) Retail Payments Services • Cash Services

Market concentration increases criticality. A greater scope of operation increases criticality.

• Wire Transfers • Merchant/Credit Card Services

Complex, non-standard interfaces increase criticality.

• Lockbox Services … Checks

The availability of substitutes reduces criticality.

Wholesale Payments Services

The link to related services, e.g., transaction accounts, deposits and custody, might increase criticality.

• Single currency, FX Clearing & Settlement Services • Cash • FX • Equities • Debt • Money Market • Derivatives (exchange traded, OTC cleared and uncleared): Interest Rate, FX, Credit, Equities, Commodities, Other Custody • Primary custody • Delegated/Sub-custody • Omnibus accounts Other Related services • Safekeeping • Corporate Trust Services • Treasury and Cash Management Services • Asset Servicing • FMI access for financial third parties (bank to bank) • Collateral management/collateral transformation for third parties • Liquidity lines to FMI providers

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The reliance of FMI providers on services of the bank increases criticality. Criticality depends on the asset class to be cleared and the ultimate counterparties of the transactions. The assessment of criticality depends on the structure of the markets and their segmentation. Links between market segments increase criticality.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 117 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

Produkte in FSB-Richtlinie

Beispiele für Kritikalitätstreiber in FSB-Richtlinie

Kategorie: Wholesale funding market activities (Wholesale funding) Wholesale lending/borrowing • Central bank/Treasury lending • Inter-bank lending • Commercial Paper • Certificate of Deposits • Money Market Funds • Line of Credit • Asset Backed Commercial Paper

Systemic relevance of the wholesale market increases criticality. A highly interconnected borrower or lender increases criticality. A high market share in wholesale activities increases criticality. Excessive maturity transformation or leverage increases criticality.

• Fiduciary Deposits FX Swaps Repo • Bilateral (borrower, lender) • Tri-party (borrower, lender, custodian) Securities lending • Direct securities lending (borrower, lender) • Third-party securities lending (borrower, lender, 3rd party) • Agent lending (borrower, lender, agent) Investment fund risk-transformation services • Swaps • Stable value wraps Structured Credit Products (Own Issuance) • Structured Notes

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 118 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

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Produkte in FSB-Richtlinie

Beispiele für Kritikalitätstreiber in FSB-Richtlinie

Kategorie: Capital markets and investment activities (Capital markets) Secondary markets/Trading (Market making, Proprietary position taking, Brokerage) • Equity (Spot, Derivatives)

The volume and frequency of transactions is a main driver that would determine how quickly stresses at one firm would be passed on to other firms and to markets.

• Government Debt • Credit • Government/Sovereign • Corporates • Structured Credit • Structured Notes • Derivatives • FX (Spot, Derivatives) • Interest Rates (ETD, OTC) • Commodities (Spot, Derivatives) Primary markets (Issuance, Underwriting, Primary Dealing) • Equity (Spot, Derivatives) • Government Debt • Credit • Government/Sovereign • Corporates • Structured Credit • Structured Notes • Derivatives Prime brokerage Asset Management Retail Brokerage Advisory

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Bundled services, credit or liquidity provision on behalf of customers decreases substitutability and increases criticality. Client account portability may be a major factor in many markets. Primary markets providers tend to be highly substitutable, as securities are relatively standardised products. There may be special limitations placed on the substitutability of providers in a number of primary markets for government securities. Commodities trading may also include exposure to physical commodities and highly structured deals involving physical assets. Such deals will differ greatly in their portability relative to more generic commodity exposures.

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

Um insbesondere bei komplexeren Geschäftsmodellen bzw. einer höheren Anzahl an Geschäftsaktivitäten bei der Erfassung zusätzlicher, vom SRB-Template nicht erfassten Geschäftsaktivitäten einen Überblick zu erhalten, werden nachfolgend die vom FSB potenziell als kritisch gewerteten Geschäftsaktivitäten, welche im SRB-Template nicht enthalten sind, aufgeführt. Die in der FSB-Richtlinie als potenziell kritisch einzustufenden Geschäftsaktivitäten können bei der Befüllung des SRB-Templates beachtet werden und, sofern zutreffend, unter den optionalen („Optional:“) Kategorien eingebracht werden. Tabelle 3: Beispiele potenzieller kritischer Funktionen nach Tätigkeiten SRB Report

Zusätzliche Produkte der FSB Richtlinie Kategorie: Deposit taking (Deposits)

Die Deposits können nach folgenden Gegenparteien ausgewählt werden:

Die Deposits können zusätzlich bspw. nach folgenden den Merkmalen beschrieben werden:

• Households

• by protection: insured, privileged, uninsured

• Non-financial corporations – SMEs

• by maturity: sight, term

• Non-financial corporations – non-SMEs

• Transaction (Current)/Saving deposit accounts

• General Governments

• Certificates of deposit Kategorie: Lending and loan servicing (Lending)

Die Kreditvergabe kann nach folgenden Gegenparteien ausgewählt werden:

Die Kreditvergabe kann zusätzlich bspw. nach folgenden den Merkmalen beschrieben werden:

• Households – lending for house purchase

• by maturity: short-term, long-term, residual maturity

• Households – other lending • Non-financial corporations – SMEs • Non-financial corporations – non-SME • General Governments

• by collateralisation: mortgage, secured, unsecured • Credit Card Lending • Committed Credit Lines • Trade finance • Leasing • Factoring • Project Finance • Loan servicing • Credit Card Issuance Services • Credit Card Acquiring Services

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 120 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Nicklas Braun

SRB Report

Zusätzliche Produkte der FSB Richtlinie

Kategorie: Payments, Clearing, Custody, Settlement (Payment, Cash, Settlement, Clearing, Custody) Die Kategorie kann nach folgenden Merkmalen ausgewählt werden: • Payment services to MFIs • Payment services to non-MFIs • Cash services • Securities settlement services • CCP clearing services • Custody services

Die Kategorie kann zusätzlich bspw. nach folgenden den Merkmalen beschrieben werden: • Retail Payments Services (Cash Services, Wire Transfers, Merchant/Credit Card Services, Lockbox Services, Checks) • Wholesale Payments Services (Single currency, FX) • Clearing & Settlement Services (Cash, FX, Equities, Debt, Money Market) • Derivatives (exchange traded, OTC cleared and uncleared): Interest Rate, FX, Credit, Equities, Commodities, Other • Custody (Primary custody, Delegated/Subcustody, Omnibus accounts, Other Related services, Safekeeping, Corporate Trust Services, Treasury and Cash Management Services, Asset Servicing, FMI access for financial third parties (bank to bank), Collateral management/collateral transformation for third parties, Liquidity lines to FMI providers)

Kategorie: Wholesale funding market activities (Wholesale funding) Die Kategorie kann nach folgenden Merkmalen ausgewählt werden: • Borrowing • Derivatives (assets) • Lending • Derivatives (liabilities)

Die Kategorie kann zusätzlich bspw. nach folgenden den Merkmalen beschrieben werden: • Repo (Bilateral (borrower, lender), Tri-party (borrower, lender, custodian)) • Investment fund risk-transformation services (Swaps, Stable value wraps) • Structured Credit Products (Own Issuance) (Structured Notes)

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

SRB Report

Zusätzliche Produkte der FSB Richtlinie

Kategorie: Capital markets and investment activities (Capital markets) Die Kategorie kann nach folgenden Merkmalen ausgewählt werden: • Derivatives held for trading – OTC, Derivatives held for trading – non-OTC

Die Kategorie kann zusätzlich bspw. nach folgenden den Merkmalen beschrieben werden: • Prime brokerage

• Optional: interest rate derivatives (total),

• Asset Management

• Optional: equity derivatives (total)

• Retail Brokerage

• Optional: foreign exchange & gold derivatives (total)

• Advisory

• Optional: credit derivatives (total) • Optional: commodity derivatives (total) • Secondary markets/trading (held-for-trading only) • Optional: equity instruments • Optional: debt instruments • Primary Markets/underwriting • Optional: equity instruments • Optional: debt instruments

Während die Selektionsmöglichkeit bei den Deposits und der Kreditvergabe nach den Gegenparteien „Privatpersonen“ und „kleine und mittlere Unternehmen (KMU)“ wohl auf den besonderen Schutz dieser Personengruppen nach europäischem bzw. deutschem Recht15 zurückzuführen sind, kann insbesondere bei den übrigen Kategorien die Mehrauswahl an Geschäftsaktivitäten in der FSB-Richtlinie eine Hilfestellung geben. Die in Part 3 (Assess impact and supply-side using the pre-defined indicators and reporting buckets/Auswirkungs- und Substituirbarkeitsanalyse) vorgenommenen Analysen sind im SRB-Template weitestgehend standardisiert dargestellt. Auch hier kann das Rahmenwerk aus der FSB-Richtlinie bei der Befüllung der Angaben wichtige Impulse für die Befüllung geben. Während in der Analyse des SRB-Templates eindeutig definierte Merkmale mittels einer Drop-down-Liste ausgewählt werden können, können insbesondere für die Experteneinschätzungen (Expert Judgement) zur Kritikalität die Beschreibungen

15

Gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 6 SAG vom 10.12.2014 (BGBl. I S. 2091), das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3171) geändert worden ist.

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Nicklas Braun

aus der FSB-Richtlinie eine Unterstützung bieten. Nachfolgende Fragen können bei der Einschätzung der Kritikalität hinsichtlich der Auswirkungsanalyse bspw. herangezogen werden: • Welche Auswirkungen hätte eine plötzliche Einstellung der Funktion auf die Märkte und die Marktinfrastruktur? • Welche Auswirkungen hätte eine plötzliche Einstellung der Funktion auf Kunden? Hätten (End-)Kunden die Möglichkeit, auf eine mögliche plötzliche Einstellung der Funktion kurzfristig zu reagieren? • Hätte eine plötzliche Einstellung der Funktion gesamtheitliche Auswirkungen auf das Geschäftsmodell von Geschäftskunden? • Ist die Funktion für die Aufrechterhaltung weiterer Tätigkeiten in der Realwirtschaft von besonderer Bedeutung? • Ist die Funktion mit weiteren Produkten oder Dienstleistungen eng verflochten?

3 Diskussionsgrundlagen Die Identifizierung und Bewertungen von Tätigkeiten als kritische Funktion sind insbesondere von den quantitativen Daten und den Expertenschätzungen abhängig. Die quantitativen Kriterien, wie etwa die Anzahl der Kunden und Gegenparteien oder der Marktanteile sind dabei wesentliche Eckpfeiler bei der Bewertung bzw. der Einschätzung der Kritikalität. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass den Instituten in der Selbstanalyse ggf. keine exakten Werte zu den quantitativen Kriterien vorliegen und diese anhand vorhandener Schätzungen Dritter herangezogen werden müssen und je nach Profil der Tätigkeiten eine Herausforderung darstellen können. Typische Beispiele für Datenquellen Dritter für in Deutschland ansässige Institute sind z.B. Veröffentlichungen von Verbänden oder, sofern vorhanden, Statistiken des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Hinsichtlich der Expertenschätzungen gilt zu berücksichtigen, inwiefern diese die institutseigenen Tätigkeiten im Verhältnis zum Gesamtmarkt über- oder unterschätzen. Vor diesem Hintergrund ist eine abschließende Analyse der Kritikalität von Funktionen durch eine einheitliche Stelle, den Abwicklungsbehörden, sicherlich als sinnvoll zu erachten. Zusätzlich zu der Herausforderung der Selbsteinschätzung anhand quantitativer Daten und Experteneinschätzungen gilt es auch, bestehende Gesetze und Regelungen mit den Rechtsvorschriften zur Abwicklung von Instituten in Einklang zu bringen. Hier kann bspw. das Pfandbriefgeschäft genannt werden. Einerseits kann die Bewertung der Vor-

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Kritische Funktionen im Geschäftsmodell und in der Aufbauorganisation

aussetzungen der Kritikalität, etwa potenzielle negative Auswirkungen auf Dritte bei einem Ausfall, sowie Ansteckungsrisiken, Verlust von Marktvertrauen oder die angemessene Substituierbarkeit, abhängig von den Einschätzungen der jeweiligen Experten zu einer Identifizierung einer kritischen Funktion führen. Andererseits wurde für den deutschen Rechtsraum durch das Pfandbriefgesetz (PfandBG)16 ein Gesetz für eine geordnete Insolvenz von Pfandbriefemittenten implementiert. Bei der Prüfung des No-Creditor-Worse-Off-Prinzips (NCWO), nach welchem Gläubiger im Falle einer Bankenabwicklung nicht gegenüber einer geordneten Insolvenz benachteiligt werden dürfen, stehen die Abwicklungsbehörden damit ggf. vor weiteren Herausforderungen auf Grund der bisher mangelnden Erfahrungen bei der Anwendung des Trennungsprinzips bei Insolvenz einer Pfandbriefbank und der Sachwalterernennung gemäß PfandBG. Diese bestehenden Herausforderungen wurden bspw. durch die Übernahme der damals angeschlagenen Düsseldorfer Hypothekenbank in 2015 durch den Bundesverband deutscher Banken (BDB) untermauert, wo eine Anwendung der Regelungen des PfandBG vermieden wurde.17

16

17

Pfandbriefgesetz vom 22.05.2005 (BGBl. I S. 1373), das durch Art. 24 Abs. 38 des Gesetzes vom 23.06.2017 (BGBl. I S. 1693) geändert worden ist. Vgl. hierzu bspw.: Heinz-Roger Dohms, Sueddeutsche Zeitung vom 16.03.2015, Privatbanken retten Düsselhyp, verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ finanzbranche-privatbanken-retten-duesselhyp-1.2395245; Stefan Hirschmann/Karl-Heinz Goedeckemeyer, Die Bank vom 13.04.2015, verfügbar unter http://www.die-bank.de/news/ abgewickelt-6890/; Hanno Mussler, Frankfurter Allgemeine vom 16.03.2015, verfügbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bankenverband-uebernimmt-duesseldorferhypothekenbank-13486643.html.

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung Kristina Duwe/Andreas Igl1

1 Hintergrund und Motivation 2 Kritische Personen 2.1 Notwendigkeit einer Governance 2.2 Funktionaler Ansatz gemäß bestehender Organisationsstruktur 2.3 Verzahnung zur Geschäftsfortführungsplanung 2.4 Verzahnung zur Institutsvergütungsverordnung 3 Kritische Prozesse 3.1 Kritisch in Form von Notwendigkeit zur Unterstützung 3.2 Prozessbezogener Ansatz am Beispiel des Pfandbriefs 4 Fazit und Ausblick Literatur

1

Die Inhalte dieses Beitrags stellen in keiner Weise offizielle Aussagen der NORD/LB AöR oder der Deutschen Bundesbank dar, sondern sind lediglich als persönliche Aussagen der Autoren zu verstehen.

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1 Hintergrund und Motivation Neben der Sanierungsplanung stellt die Abwicklungsplanung ein präventives Instrument der Bankenrestrukturierung und Bankenabwicklung dar, welches der Gesetzgeber als Reaktion auf die jüngste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geschaffen hat. Nach heutiger Rechtslage sind sowohl die zuständigen Behörden (Aufsichtsbehörde, Abwicklungsbehörde) verpflichtet, in detaillierten Plänen den Umgang mit zukünftigen Krisenfällen vorzubereiten, als auch Institute rechtlich gefordert, die dafür notwendigen Informationen für die jeweils zuständige Behörde vorzuhalten. Zu den wesentlichen Lehren aus der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zählt, dass das allgemeine Insolvenzrecht kein ausreichendes Instrumentarium für die Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Institute bereithält.2 Gemäß § 1 S. 1 Insolvenzordnung (InsO) ist das herkömmliche Insolvenzverfahren auf eine Verwertung des Vermögens des Insolvenzschuldners ausgerichtet, um eine möglichst weitgehende Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu erreichen. Bei der Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Institute steht jedoch auch die Sicherung und Fortführung der von dem Institut ausgeübten und für das Finanzsystem „kritischen Funktionen“3 im Vordergrund. Dieses Spannungsfeld an Zielfunktionen lässt sich mit dem allgemeinen Insolvenzrecht kaum auflösen, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Instituts i.d.R. erhebliche Einschränkungen (z.B. Stopp des Zahlungsverkehrs, Einschränkungen beim Zugriff auf Kundeneinlagen usw.) bis hin zur vollständigen Einstellung des Geschäftsbetriebs nach sich zieht. Muss ein systemrelevantes Institut den Finanzmarkt als Folge der Einstellung des Geschäftsbetriebs ungeordnet verlassen, kann dies aufgrund der vielfältigen Verflechtungen systemweite Folgewirkungen und erhebliche Ansteckungsgefahren für andere Institute hervorrufen. Diese offensichtlichen Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems in Verbindung mit dem Fehlen eines geeigneten Rechtsrahmens für die Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Institute führte in der jüngsten Krise zu umfangreichen Stützungsmaßnahmen aus Steuergeldern.4 Für die Zukunft bestand daher die Aufgabe, einen Rechtsrahmen für die Sanierung und Abwicklung von Instituten zu schaffen, der einerseits die „Kontinuität

2 3 4

Bafin Journal, 1/2015, S. 18. Zum Begriff vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 38 SAG. Den europäischen Banken sollen während der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise etwa 4 Bio. EUR an staatlichen Garantien und Beihilfen gewährt worden sein; so Andrae (2014), S. 17.

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Kristina Duwe/Andreas Igl

kritischer Funktionen“ ermöglicht, andererseits aber den „Schutz öffentlicher Mittel“ sicherstellt.5 Zur Sicherstellung der „Kontinuität kritischer Funktionen“ im Rahmen einer Bankenabwicklung ist zunächst deren Identifikation notwendig. Gemäß § 2 Abs. 38 SAG sind kritische Funktionen „Tätigkeiten, Dienstleistungen und Geschäfte, deren Einstellung zu einer Störung der für die Realwirtschaft unverzichtbaren Dienste oder zu einer Störung der Finanzmarktstabilität in einem oder mehreren Mitgliedstaaten […] führen kann […].“ Umfangreiche Analysen von Banken sowie Abfragen von Aufsichts- und Abwicklungsbehörden (u.a. mittels jährlichem Critical Functions Report des Single Resolution Board (SRB)) haben in den letzten Jahren zu einem intensiven Austausch samt Bildung eines Marktstandards im Bereich der Identifikation von kritischen Funktionen geführt.6 Ein Institut ist jedoch erst als abwicklungsfähig durch die Behörden einzustufen, wenn auch die Fortführung kritischer Funktionen gewährleistet ist.7 Konkret umfasst die Fortführung somit die eigentliche operative Bereitstellung der Tätigkeiten, Dienstleistungen und Geschäfte für den Kunden als externem Dritten. Eine Analyse der Wertschöpfungskette von kritischen Funktionen zeigt, dass hierbei insbesondere die Aufbauorganisation (d.h. die betroffenen Personen als Leistungserbringer) sowie die Ablauforganisation (d.h. die zugehörigen Prozesse zur Leistungserstellung) detaillierter zu betrachten sind. Ebenso bedarf es einer näheren Untersuchung von gewöhnlich zentral bereitgestellten Diensten wie die IT-Infrastruktur sowie die Zugänge zu Finanzmarktinfrastrukturen. Die Identifikation stellt folglich nur einen ersten (kleinen) Schritt zur Sicherstellung der „Kontinuität kritischer Funktionen“ dar. Die zur Erbringung von kritischen Funktionen notwendigen Bestandteile der Wertschöpfungskette werden auch als Critical Shared Services bezeichnet. Das Financial Stability Board (FSB) definiert diese Unterstützungsfunktionen als „Tätigkeiten, die innerhalb des Unternehmens durchgeführt oder an Dritte ausgelagert werden, deren Versagen dazu führen würde, dass kritische Funktionen nicht mehr erfüllt werden können und somit die für das Funktionieren der Realwirtschaft oder für die finanzielle Stabilität wichtigen Funktionen unterbrochen werden.“8

5

6 7 8

128

So die in § 67 SAG niedergelegten Abwicklungsziele; vgl. ebenfalls Art. 31 Abs. 2 BRRD; Art. 14 Abs. 2 SRM-Verordnung. Vgl. auch den Beitrag von Braun. Vgl. auch § 57 Abs. 2 SAG. Vgl. FSB (2013).

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

Als explizite Beispiele nennt das FSB die Erbringung von IT-Dienstleistungen sowie Unterstützungsdienstleitungen in den Stabsbereichen. Zudem detailliert das FSB die Definition von Critical Shared Services noch weiter: 1. Eine Tätigkeit, Funktion oder Dienstleistung wird entweder von einer internen Einheit, einer separaten juristischen Person innerhalb der Gruppe oder einem externen Anbieter erbracht (Dienstleister). 2. Diese Aktivität, Funktion oder Dienstleistung wird für eine oder mehrere Geschäftseinheiten oder juristische Personen der Gruppe durchgeführt (Empfänger der Dienstleistung). 3. Der plötzliche und ungeordnete Ausfall oder die Fehlfunktion würde zum Zusammenbruch oder zur ernsthaften Behinderung der Durchführung kritischer Funktionen führen (Folgen des Ausfalls). Fehlt eines dieser drei Spezifika, wird der Shared Service als nicht kritisch eingestuft. Ist eine interne Aktivität, Funktion oder Dienstleistung (z.B. das Facility Management) zudem leicht von anderen externen Quellen ersetzbar, ist der Shared Service als nicht kritisch einzustufen, selbst wenn dies für die Aufrechterhaltung einer kritischen Funktion des Instituts notwendig ist.9 Bei der Bewertung der Kritikalität führt das FSB insbesondere die Kriterien „Auswirkungsstärke“ und „Geschwindigkeit der Ausbreitung“ an: • Wie schwerwiegend sind die Folgen des Ausfalls eines bestimmten Dienstes für eine oder mehrere kritische Funktionen? • Wie schnell führt der Ausfall eines bestimmten gemeinsam genutzten Dienstes zum Zusammenbruch einer oder mehrerer kritischer Funktionen? Das SRB mit Sitz in Brüssel grenzt in der „Guidance on the Critical Functions Report“ zudem Critical Shared Services von kritischen Funktion ab, indem diese als Unterstützungsdienstleitung klassifiziert werden.

9

Vgl. FSB (2013).

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Kristina Duwe/Andreas Igl

Abbildung 1: Abgrenzung von Critical Functions und Critical Shared Services Real economy

Critical Shared Services

Entities of the group

Critical Functions

Profitability

Core business lines

Third parties

Quelle: SRB (2018a), S. 3

Ausgehend von den skizzierten Definitionen und Abgrenzungen erfolgt im weiteren Beitrag eine inhaltliche Betrachtung von ausgewählten Critical Shared Services, die für die Bereitstellung von kritischen Funktionen in einer Bankenabwicklung als sehr zentral angesehen werden. Hierbei steht die Aufbauorganisation im Fokus von Abschnitt 2. Das Humankapital in Form der Mitarbeiter eines Kreditinstituts stellt einen sehr wichtigen Bestandteil bei der Wertschöpfung von kritischen Funktionen dar. Abschnitt 3 betrachtet die notwendige Ablauforganisation zur Erbringung einer kritischen Funktion an einem konkreten Beispiel. Beide Abschnitte verdeutlichen, dass die operative Vorbereitung zur Fortführung kritischer Funktionen mit komplexen Fragestellungen sowie enormen Aufwänden einhergehen. Im abschließenden Abschnitt 4 erfolgt ein fokussierter Blick in den öffentlichen Teil des Abwicklungsplans der Banco-Popular-Gruppe, die im Juni 2017 durch das SRB abgewickelt worden ist. Zudem fasst der Ausblick mögliche zukünftige Herausforderungen zusammen.

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

2 Kritische Personen 2.1 Notwendigkeit einer Governance Der Eintritt eines Instituts in einen Abwicklungs- oder Insolvenzzustand geht zumeist auch mit weitreichenden Folgen für die Mitarbeiter einher. Nach einem anfänglichen, allumfassenden Schockzustand werden sehr schnell Fragen zur eigenen Situation aufkommen: Ist mein Arbeitsplatz noch sicher? Wie lange bleiben meine Aufgabengebiete noch bestehen? Welche Alternativen bietet mir der Arbeitsmarkt? Sondieren meine Mitkollegen bereits die Jobangebote von anderen Instituten oder befinden sich bereits im Bewerbungsprozess? Muss ich hier jetzt sofort weg? Welche Rechte und Pflichten habe ich nach dem Eintritt in den Abwicklungs- oder Insolvenzzustand als Arbeitnehmer überhaupt? Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass diese Fragen bei Mitarbeitern von Instituten in Krisensituationen bereits weit vor dem Beschluss hinsichtlich einer Abwicklung oder Insolvenz auftreten. Insbesondere in strukturell starken Regionen mit einem hohen Angebot an attraktiven Arbeitsplätzen kann man diesen Brain Drain erkennen, also das Abwandern von hoch qualifizierten Arbeitskräften und talentierten Nachwuchskräften aus Krisenunternehmen. Vor dem Hintergrund der im Rahmen einer Abwicklung notwendigen Fortführung der kritischen Funktionen kann ein derartiger Abgang von spezifischen Fachkräften folglich fatale Folgen mit sich bringen. Eine überproportionale Abwanderung von Mitarbeitern – ausgelöst von einem drohenden oder bereits festgestellten Abwicklungszustand – führt u.U. dazu, dass der mit dem kritischen Produkt oder der Dienstleistung verbundene betriebliche Workflow unterbrochen wird und damit zum Erliegen kommt. In der Konsequenz wird die Fortführung der kritischen Funktion massiv gestört, so dass Ansteckungseffekte zu anderen Kreditinstituten oder der Realwirtschaft die Stabilität des gesamten Finanzmarktes gefährden könnten. Im Rahmen der Abwicklungsplanung nimmt die Identifikation von kritischen Personen daher eine besondere Bedeutung ein. Der Identifikation von kritischen Funktionen anschließenden Aufgaben „Kommunikation“ und „Umsetzung“ umfassen weitere, z.T. sehr komplexe Herausforderungen. Insbesondere die Übermittlung der erfolgten Einschätzung an die „kritischen“ und die „nicht kritischen“ Mitarbeiter kann eine interne, in weiten Teilen unnötige Diskussion über die Wertschätzung der jeweiligen Arbeitsleistung provozieren. Auch die damit einhergehende Abgrenzung eher „sicherer“ von eher „unsicheren“ Arbeitsplätzen, die im Rahmen eines Insolvenz- oder Abwicklungs-

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Kristina Duwe/Andreas Igl

verfahrens sehr schnell abgebaut werden, kann zu Herausforderungen im operativen Arbeitsalltag werden. Die Umsetzung, d.h. die juristische Bindung der als kritisch identifizierten Mitarbeiter, muss im Allgemeinen mit einer Änderung des bestehenden Arbeitsvertrags einhergehen. Nicht selten werden in diesem Zusammenhang Halteprämien vereinbart, um die relevanten Mitarbeiter auch nach einem Eintritt des Instituts in einen Insolvenz- oder Abwicklungszustand noch für einen als notwendig angesehen Zeitraum für die weitere Erbringung der kritischen Funktionen an das Institut zu binden. Die nachfolgenden Abschnitte stellen einen funktionalen Ansatz zur Identifikation vor, welcher auf die bestehende Organisationsstruktur aufsetzt und eine Verzahnung zur Geschäftsfortführungsplanung sowie zur Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) sicherstellt. Die Verzahnung soll insbesondere Ansatzpunkte und Erfahrungswerte für die Kommunikation und Umsetzung veranschaulichen.

2.2 Funktionaler Ansatz gemäß bestehender Organisationsstruktur Ein Institut ist gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) nur abwicklungsfähig, wenn u.a. die Fortführung von kritischen Funktionen sichergestellt ist. Neben der Schaffung der wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen müssen auch die zum Fortbestand der kritischen Funktionen notwendigen Ressourcen sichergestellt werden. Abhängig von der kritischen Funktion kann hierzu u.a. die Bereitstellung von Mitarbeitern gehören. Mitarbeiter werden als kritische Personen bezeichnet, wenn sie direkt mit einer kritischen Funktion oder indirekt mit einer kritischen Unterstützungsfunktion beauftragt sind. Daher müssen diese identifiziert, eingeschätzt und ggf. durch gesonderte Maßnahmen an das Institut gebunden werden. Zur Identifikation von kritischen Personen ist soweit möglich auf im Institut bereits bestehende Verfahren aufzusetzen, um so die Integration der Abwicklungsplanung in die bestehende Risikosteuerung zu unterstützen. Ein Anker könnte ein implementiertes Vorgehen zur Identifikation von Mitarbeitern sein, bei denen es im Falle von Abwesenheit oder Ausscheiden zu nachhaltigen Störungen der Betriebsabläufe kommen würde (AT 7.1 Tz. 3 Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)). Grundsätzlich könnte die Bestimmung und Einschätzung von kritischen Personen in einem vierteiligen Vorgehen erfolgen: • Der Fokus des ersten Schritts in unserem Konzept liegt dabei auf einer Betrachtung von Stellen. Ausgangspunkt für die Identifikation von kritischen Personen bietet die Stelle auf der ein Mitarbeiter sitzt bzw. die zugehörige Stellenbeschreibung. Stellen-

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

beschreibungen beinhalten i.d.R. Ausführungen zur Aufgabe, zu Kompetenzen sowie Verantwortlichkeiten und zeigen Über- und Unterstellungsverhältnisse auf.10 Anhand von Stellenbeschreibungen lässt sich ableiten, ob ein Mitarbeiter an der Durchführung einer kritischen Funktion beteiligt ist und welcher aufgaben- und funktionsbezogene Beitrag zu deren Funktionsfähigkeit geleistet wird. Gleichzeitig wird anhand der Angabe von Zeitanteilen für einzelne Aufgaben in der Stellenbeschreibung bzw. in ergänzenden Dokumenten die zeitliche Bedeutung der Stelle für die kritische Funktion bewertbar. Im Weiteren wird eingeschätzt, ob die erforderlichen Kompetenzen in der Stellenbeschreibung zur Aufgabenbewältigung schwer für das Institut ersetzbar sind, z.B. aufgrund von besonderen fachlichen Kenntnissen. • Im zweiten Schritt wird der Stelleninhaber selbst betrachtet. Einerseits ist ein Abgleich zwischen dem Anforderungsprofil an eine Stelle und dem persönlichen Qualifikationsprofil und deren Bewertung sinnvoll. Dieser wird zwischen Führungskraft und Mitarbeiter i.d.R. im Rahmen eines mindestens jährlich geführten Gesprächs durchgeführt, um etwaige persönliche und fachliche Entwicklungsbedarfe des Mitarbeiters aufzuzeigen. Daher kann auf die bereits schriftlich fixierte Entwicklungsplanung zurückgegriffen werden. Anderseits sollte eine Bewertung zum Austrittsrisiko des Stelleninhabers abgegeben werden. Hierbei geht es bspw. um die Beurteilung der altersbedingten Abwanderungsgefährdung/des altersbedingten Eintritts in den Ruhestand und um die Analyse der grundsätzlichen Arbeitsvertragsbedingungen (Vergütung und Kündigungsfrist). Darüber hinaus sollten Vertreterregelungen und vorhandene Nachfolgeplanungen bewertet werden. Eine Vertreterregelung soll bei einem kurzfristigen Personalausfall oder bei einer offenen Stelle für den Zeitraum der Suche nach einem Nachfolger den reibungslosen Geschäftsbetrieb sicherstellen. Die Nachfolgeplanung soll eine zeitnahe Besetzung von vakanten Stellen ermöglichen und ein operationelles Risiko bei Personalausfall verhindern. Daher muss auch für den Nachfolger der Weiterbildungsbedarf durch Abgleich der Qualifikationsanforderung zwischen Stelle und Mitarbeiter ermittelt werden. • Die Auswirkungen auf die im Teil 4 Kap. 2 SAG aufgeführten Abwicklungsinstrumente auf das mögliche Verhalten der Arbeitnehmer stehen im Fokus des dritten Schritts. Hierbei geht es um eine Einschätzung zur Fluktuation von Mitarbeitern durch die Anwendung der einzelnen Abwicklungsinstrumente, aber auch um den Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund einer ggf. veränderten Attraktivität des Instituts als Arbeitgeber für die Nachbesetzung vakanter Stellen.

10

Vgl. DSGV (2014), S. 91.

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• Auf der Grundlage der ersten drei Schritte kann in einem vierten Schritt eine Beurteilung über die Notwendigkeit von (zusätzlichen) Bindungsinstrumenten für als kritische Personen identifizierte Mitarbeiter zur Sicherstellung der Fortführung von kritischen Funktionen gemacht werden (vgl. hierzu Abschnitt 2.4). Darüber hinaus kann in dem Fall, in dem eine kritische Person eine Stelle verlässt, eingeschätzt werden, ob zusätzliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Nachfolgeregelung ergriffen werden müssen. Während das konzeptionelle Vorgehen vom Personalbereich eines Instituts entwickelt und bestimmt wird, obliegt die Identifikation und Einschätzung von kritischen Personen den Fachbereichen des Instituts. Hierzu stellt der Personalbereich alle systemisch verfügbaren Informationen bereit. Nach Einschätzung durch den Fachbereich werden die Ergebnisse durch den Personalbereich validiert. Neben der Dokumentation der Methodik zur Bestimmung und Einschätzung von kritischen Personen sind die Bewertungsergebnisse mit Blick auf die mindestens jährlichen Aktualisierungen in einem standardisierten Format zu dokumentieren.

2.3 Verzahnung zur Geschäftsfortführungsplanung Nach § 25a Abs. 1 Nr. 5 Kreditwesengesetz (KWG) und AT 7.3 Tz. 1 MaRisk hat ein Institut für Notfälle in zeitkritischen Aktivitäten und Prozessen Vorsorge zu treffen (Notfallkonzept). Die im Notfallkonzept festgelegten Maßnahmen müssen dazu geeignet sein, das Ausmaß möglicher Schäden zu reduzieren. Das Notfallkonzept muss gemäß AT 7.2 Tz. 2 MaRisk Geschäftsfortführungs- sowie Wiederanlaufpläne umfassen. Kritische Funktionen können auch vom Institut als zeitkritisch eingestufte Aktivitäten und Prozesse sein. Besondere Aufmerksamkeit gilt es hierbei auf die Ressourcenzusammensetzung und -notwendigkeit für zeitkritische Aktivitäten und Prozesse zu richten. Ob Personal eine wesentliche Ressource für die Funktionsfähigkeit einer zeitkritischen Funktion ist, kann bestimmt werden, indem die quantitativ und qualitativ benötigten Mitarbeiter je kritischer Funktion ermittelt werden. In Abschnitt 2.2. wurden kritische Personen bereits für den Normalbetrieb identifiziert. Im Rahmen der Geschäftsfortführungsplanung muss sichergestellt werden, dass im Notfall zeitnah Ersatzlösungen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig muss innerhalb eines angemessenen Zeitraums die Rückkehr zum Normalbetrieb ermöglicht werden (AT 7.2 Tz. 2 MaRisk). Auf Basis der ermittelten Mitarbeiteranzahl und den benötigten fachlichen Kenntnissen für den Normalbetrieb einer kritischen Funktion muss daher für den Notfall transparent sein, wie viel Personen mit welchen Kenntnissen mindestens erforderlich sind, um einen

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

möglichst reibungslosen Ablauf des Prozesses zu gewährleisten. Zur Verzahnung der Geschäftsfortführungsplanung mit der Bestimmung kritischer Personen wird die in Abschnitt 2.2. beschriebene Erhebung um diese Angaben ergänzt. Auf dieser Grundlage können mögliche Ersatzmaßnahmen für den Notfall bestimmt werden. Dabei sind die im Teil 4 Kap. 2 SAG aufgeführten Abwicklungsinstrumente zu berücksichtigen bzw. sollte eine dahingehende Überprüfung von verankerten Maßnahmen in bestehenden Geschäftsfortführungsplänen für zeitkritische Aktivitäten und Prozesse stattfinden. Durch Unternehmensveräußerungen oder Übertragungen auf ein Brückeninstitut könnte bspw. Personal mit den benötigten Kenntnissen aus Tochterunternehmen im Falle eines Notfalls nicht (mehr) wie geplant zur Verfügung stehen.

2.4 Verzahnung zur Institutsvergütungsverordnung Zur Vorbereitung auf ein mögliches Abwicklungsszenario sollte sich der Personalbereich des Instituts über Bindungsmöglichkeiten von als kritische Personen identifizierten Mitarbeitern Gedanken machen, damit die Fortführung von kritischen Funktionen nicht durch Personalausfall gefährdet wird. Eine Möglichkeit der Mitarbeiterbindung ist die Zahlung von Halteprämien. Halteprämien dürfen gemäß § 5 Abs. 7 InstitutsVergV (IVV 3.0) nur gewährt werden, wenn das Institut sein berechtigtes Interesse an der Gewährung von Halteprämien begründen kann. Damit wird deutlich, dass die Zahlung von Halteprämien nur im Ausnahmefall erfolgen sollte. Dieses könnte nach der Auslegungshilfe zur InstitutsVergV der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) z.B. im Fall einer Restrukturierung oder Abwicklung gegeben sein. Ungeachtet dessen, müssen Halteprämien durch ihre Einstufung als variable Vergütung weitere Anforderungen der IVV erfüllen, insbesondere die zur Ausrichtung und Unterstützung der Strategie (§ 4 IVV 3.0) und die zur Festsetzung des Gesamtbetrags der variablen Vergütung zu erfüllenden Voraussetzungen (§ 7 IVV 3.0). Darüber hinaus sind Halteprämien bei der Berechnung der Obergrenze nach § 25a Abs. 5 KWG zu berücksichtigen. Weitere Anforderungen bestehen für Risikoträger. Im Vergleich zur Bonuszahlung unterliegt die Zahlung von Halteprämien nicht einer vorherigen Leistungsüberprüfung des Mitarbeiters. Im Falle einer Bankabwicklung bleibt der Umgang der Aufsicht insbesondere mit Blick auf § 7 IVV 3.0 bei einer beabsichtigten Zahlung von Halteprämien abzuwarten. Eine weitere Bindungsmöglichkeit ist die Vereinbarung zwischen Mitarbeiter und Institut von ergänzenden Klauseln in den individuellen Arbeitsverträgen von kritischen Personen, bspw. zur Verlängerung von Kündigungsfristen. Hierfür wird das Institut einen Ausgleich als Anreiz für den Mitarbeiter schaffen müssen.

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Kristina Duwe/Andreas Igl

Darüber hinaus sollten Weiterbildungsmaßnahmen zur Bindung von Mitarbeitern beitragen. Dabei sollte der Fokus im ersten Schritt auf stellenbezogenen Fortbildungen liegen, um etwaige persönliche und fachliche Entwicklungsbedarfe zu decken. Gleiches gilt für die Qualifikationsbedarfe der Nachfolger zur Vorbereitung auf eine künftige Stelle. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche weitere Maßnahmen, die abhängig von den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter eingesetzt werden können z.B. flexiblere Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass Führungskräfte ausreichend Kompetenzen zur Begleitung von Veränderungsprozessen erlangt haben, um Mitarbeiter auch in schwierigen Zeiten zu motivieren, für das Institut zu begeistern und damit an das Unternehmen zu binden.

3 Kritische Prozesse 3.1 Kritisch in Form von Notwendigkeit zur Unterstützung Analog zur Aufbauorganisation (kritische Mitarbeitern) benötigt bei der Abwicklungsplanung auch die Ablauforganisation eine entsprechende Vorbereitung, um die Kontinuität von kritischen Funktionen zu wahren. Deren Erbringung in Form von Produkten und Dienstleistungen für externe Kunden bedarf im Bankgewerbe bereits aus gesetzlichen Anforderungen heraus der Einbindung unterschiedlicher Organisationseinheiten, deren Zusammenarbeit in einem Prozess bzw. Workflow zu koordinieren ist. Die Notwendigkeit eines abgestimmten Prozesses zeigt sich bereits sehr einfach an einem gewöhnlichen Kreditprozess gemäß MaRisk, unter der Annahme, dass die Kreditvergabe an eine spezifische Kundengruppe, Branche, Region oder in einer speziellen Kreditform sich als kritische Funktion qualifiziert hat. Die Fortführung der kritischen Funktion setzt in diesem Beispiel voraus, dass weiterhin ein ordnungsgemäßer Geschäftsbetrieb mit einer Vertriebseinheit (Markt) und einer organisatorisch davon unabhängigen Marktfolgeeinheit bestehen muss. Die Risiko-Controlling-Funktion ist (ggf. reduziert) ebenfalls für Zwecke einer institutsweiten Überwachung aller Risiken sowie zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit im Institut unter Abwicklung weiter zu besetzen. Die Fortführung der kritischen Funktion, d.h. in diesem Beispiel der Vergabe von neuen Krediten, setzt zudem voraus, dass über geeignete Zugänge zu Refinanzierungsquellen ein fortlaufendes Funding erfolgt. Im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb nimmt diese Aufgabe die Treasury-Funktion wahr.

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

Darüber hinaus sind verschiedene Organisationseinheiten im Kreditinstitut mit der Abbildung der neuen Kredite in das Handelsrecht (d.h. insbesondere Bilanz sowie Gewinnund Verlustrechnung) sowie Aufsichtsrecht (d.h. insbesondere Meldewesen) betraut. Die Weiterführung der kritischen Funktion „Kreditvergabe“ resultiert für gewöhnlich auch in den Tatbestand, dass Risikopositionen notleidend werden und in speziell dafür aufgestellten Organisationseinheiten einer Sanierung oder Abwicklung zuzuführen sind. Die gesamte Kreditvergabe und -überwachung wird flankiert durch weitere Leistungen u.a. aus dem Bereich der IT, der Rechtsabteilung sowie der Compliance-Funktion. Das Beispiel der kritischen Funktion der Kreditvergabe veranschaulicht, dass die Zusammenarbeit zwischen den Parteien auch für einen Abwicklungs- oder Insolvenzzustand eines Kreditinstituts speziell vorbereitet werden muss. Analog zur Identifikation von kritischen Mitarbeitern samt Kommunikation der Einschätzung und juristischer Umsetzung bedarf es vergleichbarer Aktivitäten auch bei den Produktions- und Unterstützungsprozessen, die mit einer Bereitstellung von kritischen Produkten und Dienstleistungen einhergehen.

3.2 Prozessbezogener Ansatz am Beispiel des Pfandbriefs Unabhängig von der aktuellen Diskussion der Bankenindustrie, ob Emissionen von deutschen Pfandbriefen als kritische Funktion bewertet werden oder nicht, eignet sich diese Produktart besonders, um exemplarisch die notwendigen Vorbereitungen in Bezug auf die Ablauforganisation kurz zu veranschaulichen. Grund hierfür ist das Pfandbriefgesetz (PfandBG), in dem bereits gesetzliche Regelungen für den Insolvenzfall etabliert sind. Gemäß § 1 PfandBG sind Pfandbriefbanken Kreditinstitute, deren Geschäftsbetrieb das Pfandbriefgeschäft umfasst. Unter dem Pfandbriefgeschäft wird die Ausgabe gedeckter Schuldverschreibungen aufgrund erworbener Hypotheken, aufgrund erworbener Forderungen gegen staatliche Stellen, aufgrund erworbener Schiffshypotheken und aufgrund erworbener Registerpfandrechte nach § 1 Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen (LuftFzgRG) verstanden. Für Pfandbriefbanken gilt das Trennungsprinzip bei einer Insolvenz (§ 30 PfandBG). Dies bedeutet, dass insbesondere die in die Deckungsregister eingetragenen Werte eine vom allgemeinen Vermögen der Pfandbriefbank getrennte Vermögensmasse bilden. Dieses „insolvenzfreie Vermögen“ kann nicht in die Insolvenzmasse fallen, sobald über das Vermögen der Pfandbriefbank das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Forderungen der Pfandbriefgläubiger werden von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Pfandbriefbank folglich nicht berührt.

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Kristina Duwe/Andreas Igl

Als Verantwortlicher für die weitere Betreuung des Pfandbriefvermögens sowie der emittierten Pfandbriefe wird ein Sachwalter etabliert. Die Pfandbriefbanken sind nicht zuletzt wegen der Aktivitäten im Zuge der Abwicklungsplanung motiviert, die Vorbereitung eines Sachwalters zu intensivieren. Die notwendigen Maßnahmen könnten nach einzelnen Teilprozessschritten gebündelt und vorbereitet werden: • Sicherung und Überprüfung der Deckungsstöcke: Das Deckungsregister einschließlich der Löschungsdokumentation muss hierzu übertragen und gesichert werden. Für besondere Beobachtungen (insbesondere Richtigkeit und Vollständigkeit) muss der Treuhänder hinzugezogen werden. Hierzu ist die Sicherung des Registers auch z.B. physisch mittels Schlüssel-/Zugangskarten vorzubereiten. Der Zugriff muss jederzeit an 365 Tagen im Jahr für die berechtigten Parteien ermöglicht werden. • Deckungsberechnung: Die Deckungsberechnung muss gesichert und weitergeführt werden. Zusätzlich sollten die verantwortlichen Mitarbeiter für den Zugang zum notwendigen IT-System sorgen. Aus den Daten der Deckungsrechnung (Fälligkeitsdatum/Laufprofil) muss auch eine Liste aller Zahlungstermine für Pfandbriefe und den zugehörigen Deckungswerten erstellt werden. • Pfandbriefbezogener Teil des Kernbankensystems: Zudem ist sicherzustellen, dass ein Zugang zum Rechnungswesen hinsichtlich Deckungsstockvermögen und Pfandbriefen über das verantwortliche Personal möglich ist. • Persönliche und materielle Ressourcen: Die Bank muss den Sachwalter personelle und materielle Ressourcen zur Verfügung stellen. Außerdem soll eine Kostenabschätzung für die notwendigen Ressourcen ermöglicht werden. Die Zusammenstellung von Personalanforderungen sollte mit Fokus auf Kernaktivitäten (Markt, Marktfolge, Treasury, Trustee) als auch unterstützende Einheiten (Rechtsabteilung, Rechnungswesen, Risikomanagement, Bewerter) erfolgen. • Cashflows des Deckungsstockvermögens: Ziel ist hier die Sicherstellung der Zahlungen aus dem Deckungsstock. Hierzu sind u.a. Aktivitäten hinsichtlich weiterer Konten bei Zentralbanken, Zugänge zu Clearing-Plattformen sowie Kommunikationsformate an die betroffenen Kunden vorzubereiten. • Sicherung von Deckungsstockvermögen in Drittländern: Die betroffenen Institute können hier zur Schaffung von Rechtssicherheit in Drittländern entsprechende vertragliche Austauschmodelle etablieren. Das vergleichsweise einfach abgrenzbare Produkt des Pfandbriefs veranschaulicht, dass die Fortführung von als kritisch identifizierten Funktionen einer detaillierten operativen Vorbereitung bedarf. Voraussetzung hierfür ist die umfassende Kenntnis über die Funktionsweise, die Abhängigkeiten sowie mögliche Konsequenzen des Produkts oder der

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

Dienstleistung für den gewöhnlichen Bankbetrieb. Insbesondere bei komplexen oder hochgradig verzahnten kritischen Funktionen kann die Sicherstellung der Fortführbarkeit mit hohen Vorbereitungsaufwänden für die Institute einhergehen.

4 Fazit und Ausblick Die Vorbereitung von Instituten mit als kritisch identifizierten Funktionen auf die Abwicklung stellt nicht nur die betroffenen Banken für größere operative Herausforderungen. Auch die mit Abwicklung betrauten Behörden, namentlich das SRB sowie die jeweiligen nationalen Abwicklungsbehörden (in Deutschland seit dem 01.01.2018 die Bafin) stehen vor einem Spannungsfeld. Einerseits müssen sie durch eine umfassende Abwicklungsplanung sicherstellen, dass im Falle einer Abwicklung die kritischen Funktionen fortgeführt und negative Seiteneffekte auf die Realwirtschaft vermieden werden. Hierzu bestehen umfangreiche gesetzliche Vorgaben, in denen die Behörden mit umfangreichen Kompetenzen und Eingriffsmöglichkeiten ausgestatten werden. Andererseits erscheinen insbesondere im Umfeld der Identifikation von kritischen Mitarbeitern und Prozessen viele Aktivitäten noch auf einem eher abstrakten, theoretischen Niveau. Dies zeigt sich insbesondere auch im vom SRB Anfang 2018 veröffentlichten Resolution Plan der Banco Popular S.A., die am 07.06.2017 im Rahmen einer Abwicklung mit allen Anteilen auf die Banco Santander S.A. übertragen worden ist.11 Im Rahmen der Abwicklungsplanung wurden bei der Banco Popular S.A. zum Jahresende 2016 insgesamt vier kritische Funktionen identifiziert: Retail Deposits, Loans to SMEs, Payment Services und Cash Management. Auf insgesamt drei Seiten folgen dann fokussierte Informationen zu kritischen gruppeninternen Abhängigkeiten (Verantwortlichkeiten sowie finanzieller, operativer und rechtlicher Art) und externen Abhängigkeiten (Kunden auf der Aktivseite, zentrale Refinanzierungsquellen, externe Dienstleister sowie Joint Ventures). Auf einer weiteren Seite werden kurz kritische IT-Systeme und Zugänge zu Finanzmarktinfrastrukturen in tabellarischer Form aufgelistet. Im Kapitel 4.3 des veröffentlichten Abwicklungsplans der Banco Popular S.A. werden auf knapp einer Seite unter der Überschrift „Critical Shared Services“ noch zentrale Outsourcing-Partner genannt, die wegen ihrem Verbindung zum Geschäftsmodell oder wegen möglicher negativer Implikationen für den Erfolg der Abwicklung identifiziert worden sind. Die geschwärzten Passagen des Plans deuten jedoch darauf hin, dass hier auch nur die Namen und Ansprechpartner bei den Vertragsparteien aufgeführt sind.

11

Vgl. SRB (2018b).

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Kristina Duwe/Andreas Igl

Einen Verweis auf weiterführende Dokumentationen z.B. mit entsprechenden Verfahrensrichtlinien sind nicht zu finden. Weitere Informationen zu kritischen Mitarbeitern oder Prozessen finden sich in der veröffentlichten Fassung des Plans nicht. Es bleibt abzuwarten, ob in weiteren Abwicklungsfällen von grenzüberschreitenden Institutsgruppen die Kontinuität von kritischen Funktionen sichergestellt werden kann. Während die Anwendung des Sale-of-Business-Tools im Falle der Banco Popular S.A. vergleichsweise einfach die kritischen Funktionen auf das Nachfolgerinstitut Santander übertragen hat, erscheint die Kontinuität von kritischen Produkten und Dienstleistungen insbesondere bei der Anwendung des Bail-in-Instruments als durchaus problematisch. Folglich besteht in diesem Themenfeld noch umfassendes Weiterentwicklungspotenzial für die Wissenschaft, die Bankindustrie sowie die Aufsichtspraxis.

Literatur Bafin (2015), Bafin Journal, 1/2015. Bafin (2017a), Rundschreiben 09/2017 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement - MaRisk vom 27.10.2017. Bafin (2017b), Auslegungshilfe zur Institutsvergütungsverordnung. DSGV (2014), Mindestanforderungen an das Risikomanagement – Interpretationsleitfaden vom Februar 2014. FSB (2013), Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services vom 15.07.2013. Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (Sanierungsund Abwicklungsgesetz) vom 10.12.2014. Pfandbriefgesetz vom 22.05.2005 (BGBl. I S. 1373), das zuletzt durch Art. 24 Ab. 38 des Gesetzes vom 23.06.2017 (BGBl. I S. 1693) geändert worden ist. Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/ EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und

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Kritische Personen und Prozesse in einer Bankenabwicklung

(EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates Text von Bedeutung für den EWR. SRB (2018a), Guidance on the Critical Functions Report, abrufbar unter: https:// srb.europa.eu/sites/srbsite/files/2018_guidance_cft.pdf. SRB (2018b), Public Resolution Plan of Banco Popular, abrufbar unter: https:// srb.europa.eu/en/content/banco-popular. Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010. Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten (Institutsvergütungsverordnung) vom 25.07.2017.

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Abwicklungsstrategien und -instrumente

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten Florian Pflüger/Sven Warnecke

1 Einleitung 2 Grundlagen 2.1 Einordnung der Bestimmung der Abwicklungsstrategie in das SRB Resolution Framework 2.2 Anwendungsbereich der Abwicklungsstrategie 2.3 Definition der Abwicklungsansätze 2.3.1 Singulärer Abwicklungsansatz (SPE) 2.3.2 Multipler Abwicklungsansatz (MPE) 2.4 Definition der Abwicklungsinstrumente 2.4.1 Wandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital (Bail-in) 2.4.2 Unternehmensveräußerung 2.4.3 Brückeninstitut 2.4.4 Ausgliederung von Vermögenswerten (Vermögensverwaltungsgesellschaft) 3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsstrategie 3.1 Wechselbeziehung zwischen Abwicklungsansatz und Abwicklungsinstrumenten 3.2 Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes 3.3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsinstrumente 4 Anwendungsbeispiele 4.1 Anwendungsbeispiel 1: Kriseneintritt über ausländische Tochter 4.2 Anwendungsbeispiel 2: Marktbedingte systemweite Krise bringt Mutterinstitut in Schieflage 4.3 Anwendungsbeispiel 3: Marktweite Krise verursacht in einer Funktion hohe Verluste 5 Fazit

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1 Einleitung Zielsetzung der neuen Regulierung um die Sanierungs- und Abwicklungsplanung ist, dass durch ein frühzeitiges Eingreifen oder durch Sanierungsmaßnahmen die Risikotragfähigkeit des Instituts wiederhergestellt wird.1 Für Extremfälle, in denen dies nicht genügt oder ein Sanierungsversuch von vornherein aussichtslos ist, wurde durch die G-20Staats- und Regierungschefs unter den Eindrücken der Finanzkrise ein eigenes Insolvenzrecht für Finanzunternehmen aufgesetzt. Damit soll den erlebten Ansteckungseffekten ausgefallener Instituten, dem Moral-Hazard-Phänomen der jederzeit zu stützenden Finanzindustrie und der bis dato fehlenden internationalen Zusammenarbeit der Aufsichts- und Abwicklungsbehörden entgegengewirkt werden.2 Ein wesentliches Element der neuen Regulierung ist der Abwicklungsplanungsprozess. Im Rahmen dieses Prozesses analysieren die Behörden die Praktikabilität und die Glaubwürdigkeit von Abwicklungsstrategien, um ggf. proaktiv bestehende Hemmnisse zu beseitigen und für die Krise eine Orientierungshilfe vorzuhalten. Zusätzlich soll der Planungsprozess der Institute dazu dienen, die eigene Handlungsfähigkeit in der Krise zu verbessern und Erfahrung über die eigenen Abhängigkeiten aufzubauen. Der nachfolgende Beitrag erörtert zwei Kernelemente der Abwicklungsstrategie genauer: Zum einen ist dieses die Wahl des angemessenen Einstiegspunktes für die Abwicklungsbehörde innerhalb der abzuwickelnden Institutsgruppen (Abwicklungsansatz). Zum anderen ist dieses die Wahl der Vorgehensweise zur Betriebssicherung der kritischen Funktionen (Abwicklungsinstrument). Es werden daher in Abschnitt 2 diverse Grundlagen der aktuellen regulatorischen Vorgaben in einem praxisnahen Rahmen betrachtet. Neben der Definition des Anwendungsbereichs der Abwicklungsstrategien (Stichwort: Abwicklungseinheiten) erfolgt eine Erörterung der Ausprägungen der Abwicklungsansätze (Stichworte: Single Point of Entry (SPE)/Multiple Point of Entry (MPE)) und der Abwicklungsinstrumente (Stichworte: Bail-in, Brückeninstitut, Unternehmensveräußerung, Vermögensverwaltungsgesellschaft) sowie eine Einordnung der Bestimmung der Abwicklungsstrategie in das Resolution Framework des Single Resolution Board (SRB).

1

2

Deutsche Bundesbank Monatsbericht, Juni 2014, Die neuen europäischen Regeln zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, S. 36. Rede von Andreas Dombret anlässlich der Münsteraner Bankentage 2012, Aktuelle Aspekte der Finanzstabilität: Neue Abwicklungsregeln für Banken, 21.05.2012.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

In Abschnitt 3 werden Vorgehensmodelle in Form von Entscheidungsbäumen vorgestellt, welche auf Basis der regulatorischen Vorgaben die Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes und der angemessenen Abwicklungsinstrumente in Ablaufdiagramme überführen. Abschnitt 4 vereinigt die Darstellungen aus den Abschnitten 2 und 3 und diskutiert exemplarisch drei Anwendungsbeispiele für Musterorganisationen. In Abschnitt 5 wird abschließend in einer Schlussbemerkung der aktuelle Status Quo gewürdigt und ein Ausblick auf mögliche Auswirkungen der Abwicklungsplanung auf die Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Unternehmensstrukturen der Institutsgruppen gegeben. U.a. erfolgt eine Einschätzung, ob es sich beim SRB Resolution Framework um ein One-size-fits-all-Ansatz handelt und ob das Prinzip der Proportionalität angemessene Würdigung findet.

2 Grundlagen 2.1 Einordnung der Bestimmung der Abwicklungsstrategie in das SRB Resolution Framework Die Bestimmung einer angemessenen Abwicklungsstrategie steht im Mittelpunkt des SRB Resolution Framework. Bevor dieses erfolgen kann, sind drei Schritte zu durchlaufen: • Strategische Unternehmensanalyse: Wie bei der Sanierungsplanung erfordert die Abwicklungsplanung eine Erläuterung des Geschäftsmodells und der Geschäftsfunktionen, den Finanzstatus auf Gruppen- und Einzelebene der wesentlichen rechtlichen Einheiten sowie der internen und externen Abhängigkeiten. Im Verhältnis zur Sanierungsplanung erfolgen die finanziellen und strukturellen Angaben deutlich detaillierter. • Ausschluss der Angemessenheit eines regulären Insolvenzverfahrens: Es ist zu überprüfen, ob die Abwicklungsmaßnahme im öffentlichen Interesse ist. Hierfür ist der Nachweis erforderlich, dass die Erreichung der Abwicklungsziele eine Abwicklung erfordert, da dieses nicht im vergleichbaren Umfang in einer Liquidation der Institutsgruppe im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens der Fall gewesen wäre.3

3

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Vgl. Art. 25 Abs. 1 Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 der Kommission vom 23.03.2016.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

• Untersuchung wesentlicher Grundlagen für die Abwicklungsstrategie: Auf Basis der strategischen Unternehmensanalyse erfolgt eine weiterführende Analyse der Separierbarkeit der kritischen Funktionen und eine Analyse des Umfangs und Transferierbarkeit der Verlustabsorptionsfähigkeit. Beide Analysen sind eine Verdichtung der Ergebnisse aus der strategischen Unternehmensanalyse. Sie sind die Ausgangslage, um den passenden Abwicklungsansatz zu bestimmen. Abbildung 1: Einordnung des Abwicklungsansatzes in das SRB Resolution Framework

Die Ausgestaltung der Abwicklungsstrategie hat auf zwei Arbeitsblöcke Auswirkungen, die dem Planungsprozess nachgelagert sind: • Ausarbeitung der Handlungsfähigkeit in der Abwicklung: Abhängig vom gewählten Ansatz und den einzusetzenden Abwicklungsinstrumenten muss die Untersuchung der finanziellen und operativen Handlungsfähigkeit auf Gruppenebene oder auf Einzelinstitutsebene erfolgen. Auch die Untersuchung der relevanten Zugänge zu Financial Market Infrastructures (FMI) muss abhängig vom Abwicklungsansatz entweder auf zentraler Gruppenebene oder auf dezentraler nationaler Ebene untersucht werden. • Informations- und Kommunikationsplan: Ebenfalls stark abhängig vom Abwicklungsansatz ist die Ausgestaltung der operativen Infrastruktur bzgl. der Kommunikation und der Informationsbereitstellung. Diese kann sich entweder auf die Rolle der Gruppe in Abwicklung oder aber auf die Rolle der einzelnen rechtlichen Einheiten in den relevanten nationalen Standorten beziehen.

2.2 Anwendungsbereich der Abwicklungsstrategie Das vorrangige Ziel der Abwicklungsstrategie ist die Vermeidung von Ansteckungsrisiken bedingt durch den Ausfall eines Marktteilnehmers in der Finanz- und Realwirtschaft. Die Abwicklungsstrategie fokussiert sich daher auf die Fortführung kritischer Funktionen und auf die Unternehmensteile, die für die Finanzstabilität relevant sind.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

Um dieses Ziel zu erreichen, erfolgt eine Einteilung der Unternehmensgruppe in einzelne Segmente, den Abwicklungseinheiten. In jeder Abwicklungseinheit befindet sich mindestens eine kritische Funktion. Der Zuschnitt der Abwicklungseinheit ist dabei von den zwingend erforderlichen Unterstützungsleistungen und den nicht abtrennbaren verbundenen weiteren Geschäftsfunktionen abhängig. Beides wird ebenfalls der gleichen Abwicklungseinheit zugeordnet und vergrößert deren Zuschnitt. Abhängig von der jeweiligen Auslegung der regulatorischen Anforderungen können zudem weitere, eigentlich unabhängige, aber ertragsreiche Geschäftsfunktionen der Abwicklungseinheit zugeordnet werden, um die Liquiditätssituation der Abwicklungseinheit zu stützen und ggf. sogar eine eigenständige Betriebsfähigkeit zu ermöglichen. Die Unternehmensteile, die keiner Abwicklungseinheit zugeordnet werden, befinden sich grundsätzlich nicht im Anwendungsbereich der Abwicklungsstrategie. Sie sind gemäß dem Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) in einer angemessenen Frist zu liquidieren, was in Abhängigkeit von der verfügbaren Liquidität ggf. in einem regulären Insolvenzverfahren erfolgen muss.4 Trotz dieser Fokussierung auf die kritischen bzw. relevanten Unternehmensteile bietet das Resolution Framework mit der Vermögensverwaltungsgesellschaft (teilweise auch als Asset Separation bezeichnet) ein Instrument an, das nicht die Fortführung einer kritischen Funktion bezwecken soll, sondern auf die Auslagerung von nicht bewahrenswerten Aktivitäten auf eine Zweckgesellschaft ausgerichtet ist.5 Wie beschrieben, kann eine Institutsgruppe bei einer eingeschränkten Separierungsfähigkeit ggf. nur über wenige oder sogar nur eine sehr große Abwicklungseinheit verfügen. Um die Komplexität einer Abwicklung zu reduzieren und sicherzustellen, dass kritische Funktionen durch Anwendung der Abwicklungsinstrumente rechtlich und operativ von anderen Funktionen getrennt werden können, ist die Abwicklungsbehörde bevollmächtigt, Änderungen der rechtlichen oder operativen Strukturen des Instituts oder eines unmittelbar oder mittelbar ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmens der Gruppe zu verlangen.6

2.3 Definition der Abwicklungsansätze Entscheidend für den Erfolg einer Abwicklungsstrategie ist, dass die Maßnahmen dort im Unternehmen durchgeführt werden, wo ausreichende Mittel und Durchgriffsrechte vorliegen. Insbesondere bei grenzüberschreitenden oder stark dezentral organisierten Unternehmensverbünden ist dieses kein zentraler Punkt bspw. beim Mutterinstitut.

4 5 6

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Vgl. EU-Richtlinie 2014/59/EU vom 15.05.2014, Erwägungsgründe, Abs. 60. Vgl. Deutscher Bundesbank, Monatsbericht, Juni 2014, S. 38. Vgl. Art. 17 Abs. 5g BRRD.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

Die Anzahl der als Entry Point bezeichneten Koordinationsstellen für die Ausführung der Abwicklungsstrategie leitet sich aus der Analyse zum angemessenes Abwicklungsansatz ab. Gemäß dem SAG steht den Instituten mit dem singulären und dem multiplen Abwicklungsansatz ein Spektrum von zwei unterschiedlichen Ansätzen zu Verfügung.7

2.3.1

Singulärer Abwicklungsansatz (SPE)

In diesem Ansatz ist vorgesehen, dass die Umsetzung der Abwicklungsstrategie von einer Stelle innerhalb der Holding oder der Gruppe zentral umgesetzt werden kann. Es ist daher zur Begleitung der Abwicklungsstrategie nur eine Abwicklungsbehörde i.d.R. vom Sitzland der Muttergesellschaft bzw. der Holding (Home Supervisor) erforderlich.8

2.3.2

Multipler Abwicklungsansatz (MPE)

Bei einer grenzüberschreitend tätigen Gruppe kann es erforderlich sein, dass Abwicklungsinstrumente bei mindestens zwei regionalen oder funktionalen Untergruppen oder Unternehmen angewendet werden müssen. In diesem Ansatz führen daher mindestens zwei Abwicklungsbehörden in den Sitzländern der einzelnen Entitäten (Host Supervisor) weitgehend unabhängig voneinander Maßnahmen einer übergreifenden Abwicklungsstrategie durch. Dies kann sogar bedeuten, dass unabhängige Abwicklungsanordnungen formuliert werden. Auch wenn es nicht explizit in den regulatorischen Veröffentlichungen formuliert ist, wird die Unternehmensgruppe bei diesem Ansatz zerschlagen. Neben diesen beiden Ansätzen werden keine weiteren Ansätze im SAG genannt. Das Financial Stability Board (FSB) hat jedoch in seinen Ausführungen zur Entwicklung einer effektiven Abwicklungsstrategie bereits angemerkt, dass es zwischen SPE und MPE keine binäre Entscheidung gibt. In der Praxis kann es zu Kombinationen aus beiden Abwicklungsansätzen kommen. So kann es z.B. im Rahmen von MPE-Strategien zu einzelnen nachgeordneten SPE-Abwicklungen kommen, um regionale Segmente voneinander abzugrenzen.9

7

8

9

Vgl. FSB, Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Developing Effective Resolution Strategies, S. 12 f. Wird im Folgenden von einem Konzern bzw. einer Konzernmutter gesprochen, ist hierbei ebenfalls eine Holdingstruktur bzw. die Holding gemeint. Vgl. FSB, Guidance on Developing Effective Resolution Strategies, vom 16.07.2013, S. 13.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

Ein erstes Praxisbeispiel dieser Sonderform des „multiplen singulären Ansatzes“ gibt es bereits. Es handelt sich um eine stark dezentral organisierte, über mehrere europäische Länder verteilte Bankengruppe ohne dominierendes Zentralinstitut. Sämtliche Einheiten innerhalb der Gruppe sind aufgefordert, eine stand-alone-Abwicklungsplanung vorzunehmen und sich hierfür an einem SPE-Ansatz zu orientieren.

2.4 Definition der Abwicklungsinstrumente Dem Institut steht ein Spektrum von vier Abwicklungsinstrumenten zur Verfügung. Hierbei sind die strukturellen Abwicklungsinstrumente (Unternehmensveräußerung, Brückeninstitut, Ausgliederung von Vermögenswerten/Vermögensverwaltungsgesellschaft) etablierte Methoden, die sich bereits in den Restrukturierungsgesetzen finden. Das finanzielle Abwicklungsinstrument (Bail-in) stellt eine neue Möglichkeit dar und ist erst durch eine deutliche Erweiterung der Abwicklungsbefugnisse der Behörden ermöglicht worden.

2.4.1

Wandlung von Verbindlichkeiten in Eigenkapital (Bail-in)

Innerhalb des Bail-in ist zwischen der Beteiligung der Inhaber relevanter Kapitalbestandteile sowie der Inhaber berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten zu unterscheiden. Zielsetzung des Bail-in ist zunächst die Absorption von Verlusten. Ist ein Nettovermögenswert von Null erreicht, kann die Rekapitalisierung in Form einer Wandlung von noch vorhandenen relevanten Kapitalbestandteilen höherer Haftungsklassen oder berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten in Eigenkapitalbestandteile erfolgen. In Abhängigkeit der Abwicklungsstrategie braucht eine Rekapitalisierung nicht zwingend zu erfolgen. Dem Bail-in schließt sich die Aufforderung zur Erstellung eines Reorganisationsplans an, der die Restrukturierung der Gruppe zur Folge hat. Der Bail-in stellt damit das Instrument dar, dass dann zur Anwendung kommt, wenn strukturelle Abwicklungsinstrumente am Abwicklungswochenende nicht in ausreichend definierter Form für eine Abwicklungsanordnung zur Verfügung stehen bzw. anwendbar sind. Eine in den ersten Workshops mit der Abwicklungsbehörde kennengelernte Art des Bail-in stellt der Open Bank Bail-in dar. Bei dieser Form erfolgt keine Differenzierung zwischen einzelnen Abwicklungseinheiten, sondern die gesamte Institutsgruppe wird berücksichtigt.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

2.4.2

Unternehmensveräußerung

Bei dem Instrument der Unternehmensveräußerung handelt es sich um eine Übertragung an einen Dritten. Die Übertragung der Abwicklungseinheit hat die Zielsetzung, die darin enthaltene Funktion weiterhin aufrecht zu erhalten, unabhängig davon, von wem sie betrieben werden.

2.4.3

Brückeninstitut

Das Brückeninstitut wird als juristische Person verwendet, um eine Abwicklungseinheit aus der bestehenden rechtlichen Struktur herauszulösen. Die Übertragung auf ein Brückeninstitut kann daher die Übertragung eines Teiles oder des gesamten Unternehmens umfassen. Diese Herauslösung kann zum einen erforderlich sein, wenn die Abwicklungseinheit veräußert werden soll, aber zum Zeitpunkt der Abwicklungsanordnung noch kein Käufer kommuniziert werden kann. Zum anderen kann es angewendet werden, um in der Abwicklungseinheit kritische Funktionen von nicht erforderlichen Teilen weiter zu separieren. Auf diese Weise kann der zum Verkauf stehende Teil weiter auf das Relevante für die Finanzstabilität eingeschränkt werden. Für diesen Fall bietet sich die Anbindung einer Vermögensverwaltungsgesellschaft für den nicht relevanten Teil der Abwicklungseinheit an. Das Brückeninstitut wird zwar von dem in Abwicklung befindlichen Institut gegründet und kapitalisiert, die Abwicklungsbehörden sind diesem gegenüber allerdings weisungsbefugt bzw. können Einfluss auf die Ausrichtung des Instituts nehmen. Zielsetzung des Brückeninstituts ist primär die Aufrechterhaltung von kritischen Funktionen. Da das Instrument mit dem Zweck der Fortführung zur Anwendung kommt, muss das Brückeninstitut mit ausreichend Kapital rekapitalisiert werden.

2.4.4

Ausgliederung von Vermögenswerten (Vermögensverwaltungsgesellschaft)

Das Instrument der Übertragung auf eine Vermögensverwaltungsgesellschaft umfasst die Übertragung einer Abwicklungseinheit auf eine speziell dafür gegründete Vermögensverwaltungsgesellschaft. Das Instrument der Übertragung an eine Vermögensverwaltungsgesellschaft darf nur angewendet werden, wenn eine der folgenden drei Bedingungen zutrifft:10

10

Vgl. § 132 Abs. 1 SAG.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

• eine Verwertung der Übertragungsgegenstände würde im Rahmen eines Insolvenzverfahrens angesichts der Lage auf dem Markt negative Auswirkungen auf einen Finanzmarkt oder mehrere Finanzmärkte haben, • die Übertragung ist erforderlich, um das ordnungsgemäße Funktionieren des in Abwicklung befindlichen Instituts oder des Brückeninstituts sicherzustellen, oder • die Übertragung ist erforderlich, um die entsprechenden Verwertungserlöse zu maximieren. Die Anwendung der Vermögensverwaltungsgesellschaft bezweckt damit nicht den dauerhaften Erhalt der Abwicklungseinheit (Gone-Concern-Ausrichtung).

3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsstrategie 3.1 Wechselbeziehung zwischen Abwicklungsansatz und Abwicklungsinstrumenten Der Abwicklungsansatz entscheidet darüber, ob die Abwicklungsinstrumente der jeweiligen Abwicklungseinheiten zentral durch das Mutterinstitut oder dezentral und unabhängig zueinander an unterschiedlichen Stellen der Gruppe eingesetzt werden. Im Fall des Abwicklungsinstruments des Verkaufs einer Abwicklungseinheit bzw. der Gesamtgruppe stellt der Abwicklungsansatz keinen bedeutenden Einfluss dar. Bei den Abwicklungsinstrumenten des Brückeninstituts und des Bail-in bestimmt der Abwicklungsansatz jedoch, auf welcher Ebene die Rekapitalisierung durchgeführt wird. Im Fall des SPE würde dieses die Ebene des Mutterinstituts sein, auf die die Verluste übertragen wurden. Im Fall des MPE, müsste die Rekapitalisierung auf Ebene der betroffenen einzelnen Unternehmensebene stattfinden. Daraus ergibt sich der deutliche Unterschied, dass bei einem SPE die Gruppe in einer unveränderten Struktur unter neuen Eigentümern weiter bestehen würde. Bei einem MPE wird das einzelne Unternehmen aus der Gruppe herausfallen und separat unter den neuen Eigentümern betrieben werden. Die bestehenden gruppeninternen Geschäftsbesorgungen würden sich im Anschluss auf dann externe Unternehmen beziehen.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

3.2 Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes In diesem Abschnitt werden Kriterien für die Bestimmung eines Abwicklungsansatzes erläutert. Basis hierfür sind die delegierte EU-Verordnung zu Inhalten von Abwicklungsplänen der European Banking Authority (EBA),11 die Vorgaben des FSB zur Entwicklung von Abwicklungsstrategien12 und das SAG. Die Abwicklungsbehörde bewertet bei der Ermittlung des Abwicklungsansatzes insbesondere, ob dieser zur Struktur und dem Geschäftsmodell der Institutsgruppe passt und die Erfüllung der Abwicklungsziele ermöglicht.13 Das FSB macht die Anwendbarkeit eines SPE-Ansatzes insbesondere davon abhängig, dass auf Ebene des Mutterinstituts ein Bail-in durchgeführt werden kann. Es steht die Fähigkeit der zentralen Zusammenführung von Mitteln für die Rekapitalisierung sowie der anschließenden Verteilung im Fokus. Ergänzend wird auch die erforderliche Abstimmung zwischen Host und Home Supervisor herausgestellt.14 Beim MPE-Ansatz betrachtet das FSB eine weitreichende Separierbarkeit von kritischen Funktionen als Voraussetzung. Es ist daher wichtig, dass die Gruppe in zwei oder mehr Teile aufgeteilt werden kann, ohne die Beendigung kritischer Funktionen zu riskieren. Zudem muss die Gruppe ein gewisses Maß an rechtlicher, finanzieller und operativer Trennung leben, was u.a. Service Level Agreements (SLAs) für kritische Shared Services erfordert.15 In der EU-Verordnung16 werden die nachfolgenden Kriterien aufgeführt, die zusätzlich um eine Auslegung für den SPE oder einen MPE ergänzt sind.

11 12

13 14

15

16

Vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 der Kommission vom 23.03.2016. Vgl. FSB, Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Developing Effective Resolution Strategies, vom 16.07.2013. Vgl. Art. 25 Abs. 1 Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 der Kommission vom 23.03.2016. Vgl. FSB, Consultative Document about Recovery and Resolution Planning: Making the Key Attributes Requirements Operational, November 2012, Annex II, S. 15. Vgl. FSB, Consultative Document about Recovery and Resolution Planning: Making the Key Attributes Requirements Operational, November 2012, Annex II, S. 16. Vgl. Art. 25 Abs. 2 und 3 Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 der Kommission vom 23.03.2016.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

Tabelle 1: Kriterienkatalog zur Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes Kriterium Generell

Ausprägung SPE

Verfügbarkeit und AnwendVerfügbarkeit und Anwendbarkeit der Ab- barkeit beim Mutterinstitut oder Holding wicklungsinstrumente

a.

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Verfügbarkeit bei mehreren rechtlichen Einheiten

Verteilung der Verlustabsorptionsmasse innerhalb der Gruppe

berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten wurden im Mutterunternehmen oder der Holding in ausreichendem Umfang begeben

berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten wurden von mehr als einem Unternehmen oder regionalen oder funktionalen Untergruppen innerhalb der abzuwickelnden Gruppe begeben

vertragliche oder andere Regelungen für die Übertragung von Verlusten

Übertragung auf das Mutterunternehmen oder die Holding ist durch Ergebnisabführungsverträge oder Patronatserklärungen auch unterjährig sichergestellt

Übertragung ist nicht vertraglich sichergestellt

operative Struktur und Geschäftsmodell des Instituts oder der Gruppe

stark integriert und Funktionen des Liquiditätsmanagements, des Risikomanagements, der Liquiditätssteuerung oder IT-Funktionen und andere kritische gemeinsame Dienste zentralisiert

dezentrale Struktur mit weitgehender Trennung zwischen zwei oder mehr eindeutig bestimmbare Untergruppen der Gruppe, die finanziell, rechtlich oder operativ unabhängig von anderen Teilen der Gruppe sind, und kritische operative Abhängigkeiten von anderen Teilen der Gruppe auf soliden Regelungen basieren, die im Falle einer Abwicklung Kontinuität gewährleisten

Durchsetzbarkeit der Abwicklungsinstrumente in Drittländern

Abwicklungsmaßnahmen können zentral angeordnet und über Ländergrenzen (insbes. bei Drittländern) gesteuert werden (nur relevant, falls kritische Funktionena betrieben werden)

Abwicklungsinstrumente müssen dezentral durchgeführt werden

Notwendigkeit unterstützender Maßnahmen anderer Behörden

Abwicklungsstrategie kann durch den Home Supervisor zentral angeordnet und lokal umgesetzt werden

Abwicklungsstrategie erfordert lokale Involvierung des Host Supervisor, um bspw. lokale Sonderregelungen vergleichbar zu den SAG-Sondervollmachten durchzusetzen

Bail-in

Grad der Separierbarkeit

Ausprägung MPE

Die Scorecard zur Bewertung der Kritikalität muss aus diesem Anlass berücksichtigen, wie relevant eine Funktion für die jeweiligen Märkte ist.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

Da die Kriterien nicht immer überschneidungsfrei sind, wurde ein Transfer in einen Entscheidungsbaum vorgenommen. Der Entscheidungsbaum orientiert sich an einem MPE als optimalen Abwicklungsansatz im Sinne einer bestmöglichen Absicherung gegen Ansteckungsrisiken. Abbildung 2: Vorgehensmodell zur Bestimmung des angemessenen Abwicklungsansatzes

Der Entscheidung für den SPE-Ansatz bei den Entscheidungspunkten 1. und 2. basiert auf der Annahme, dass im Fall von nur einer Abwicklungseinheit die Abwicklung bei der relevanten rechtlichen Einheit der kritischen Funktion durchgeführt wird. Ähnlich ist es bei der unter 3. abgeprüften strukturellen Streuung der Abwicklungseinheit über Rechtsräume. Dies geschieht u.a. vor dem Hintergrund, dass in Drittstaaten17 andere Regelungen bei einer Abwicklung gelten können.18 Es kann aber auch unter dem Hintergrund erfolgen, dass innerhalb der Europäischen Union (EU) z.B. beim Insolvenzrecht national abweichende Regelungen bestehen oder andere nationale Schwerpunkte für den Wirtschaftsraum von Bedeutung sind. Die Entscheidungspunkte 4. und 5. überprüfen die zentrale Anwendung einer Verlustabsorption mit anschließender Rekapitalisierung (Bail-in). Sollte diese nicht möglich sein, wird jeweils der MPE-Ansatz der angemessene Ansatz sein.

17

18

In diesem Fall handelt es sich um alle Staaten außerhalb der EU, die die BRRD nicht umgesetzt haben. Vgl. den Beitrag von Weh/Schwegler.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

Neben der Separierbarkeit sind hierfür insbesondere die Marktanteile der kritischen Funktionen am lokalen Markt und die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Verträge innerhalb der Gruppe (u.a. Ergebnisabführungsverträge, Patronatserklärung) relevant. Dezentral organisierte Gruppen werden i.d.R. eine spezifische Abwicklungsstrategie auf dezentraler nationaler Ebene zusammen mit der nationalen Abwicklungsbehörde (MPE) mit unabhängigen Abwicklungsanordnungen zur Anwendung bringen. Zentral organisierte Gruppen wählen i.d.R. die Anwendung der Abwicklungsstrategie, die unter Unterstützung eines zentralen Managements der Abwicklungsbehörde am Sitzland des Mutterinstituts (SPE) eine übergreifende Abwicklungsstrategie für sämtliche Einheiten zur Anwendung bringt. Eine starke Integration sowie ein Geschäftsmodell mit voneinander abhängigen Konzernentitäten ist das Kernargument für die Anwendung des SPE-Ansatzes. Operativ bedeutet dies, dass das Liquiditätsmanagement, die IT oder kritische Dienste zentralisiert sind und von einer Einheit bzw. von der Konzernmutter erbracht werden. Eine separate Betrachtung der verschiedenen Entitäten des Konzerns ist somit nicht zielführend, da gerade im Bereich der grundlegenden Bankdienstleistungen eine starke Abhängigkeit zu der Mutter besteht und die Institute ohne die Bereitstellung dieser nicht überlebensfähig wären. Im Rahmen eines MPE-Ansatzes hingegen wäre eine zu starke Abhängigkeit und Zentralisierung hinderlich. Hier sollten die verschiedenen Entitäten somit autark voneinander operieren und jeweils bspw. ein eigenes Liquiditätsmanagement zur Refinanzierung aufweisen. Dieses fördert ebenfalls das Vorhandensein von ausreichend berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten. Darüber hinaus sollte das Geschäftsmodell für die einzelnen Entitäten klar voneinander getrennt sein. Bei dem eingangs verwendeten Beispiel zur Beschreibung des MPE-Ansatzes würde dies über die regionale Trennung der einzelnen Einheiten erfolgen. Sofern dies für eine effektive Umsetzung einer SPE-Strategie erforderlich ist, sollte die Finanzierung von Tochterunternehmen durch das oberste Unternehmen der Gruppe einen angemessen nachgeordneten Rang haben, nicht Gegenstand von Aufrechnungen sein und/oder angemessene Regelungen zur Übertragung von Verlusten auf den Rechtsträger beinhalten, auf den Abwicklungsinstrumente anderer Mitglieder der Unternehmensgruppe anwendbar würden, so dass die entsprechenden operativen Unternehmen der Gruppe existenzfähig bleiben. Die Finanzierung sollte so strukturiert sein, dass die Gruppe oder die Teile der Gruppen, die kritische Funktionen ausüben, nicht nach einer Herabschreibung und Umwandlung eines erheblichen Teils der Instrumente, die Gegenstand der Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnisse sind, aufgespalten werden. Sofern die Abwicklungsstrategie von der Neuzuteilung von Eigenkapital und liquiden Mitteln innerhalb der Gruppe

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

abhängt, sollten sich das Eigenkapital und die liquiden Mittel in einem Rechtsgebiet befinden, in dem die Neuzuteilung innerhalb lokaler aufsichtsrechtlicher Grenzen zulässig ist.19 Vereinfacht lässt sich zunächst sagen, sobald das betrachtete Institut nur Entitäten in der EU aufweist und alle Entitäten in Ländern tätig sind, für die die BRRD gilt, sowie das SRB zuständig ist, deutet alles auf einen SPE-Ansatz hin. Bleibt man in dieser einfachen Gedankenwelt, lässt sich daraus schließen, dass ein Institut, welches in mehreren verschiedenen Rechtsräumen Entitäten hat und somit in Drittstaaten tätig ist, einen MPEAnsatz verwenden sollte. Bei einer SPE-Strategie sollten die für den Verlustausgleich berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten ausreichen, um Verluste in allen Teilen der Gruppe auszugleichen und gemäß der Abwicklungsstrategie die Integrität und Betriebsfähigkeit derjenigen Teile der Gruppe zu gewährleisten, die kritische Funktionen wahrnehmen. Bei einer MPE-Strategie sollten an jedem Ansatzpunkt ausreichende, für den Verlustausgleich berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten vorhanden sein, um die Verluste aller in die MPE-Abwicklungseinheit einbezogenen Unternehmen auszugleichen.20 Wie eingangs erwähnt, ist die Entscheidung bezogen auf die Abwicklungsstrategie allerdings nicht schwarz-weiß, sondern enthält ebenfalls viele verschiedene Graustufen. Ein Kernelement hierbei sind die Crisis Management Groups für global agierende Bankengruppen. In diesen sind die verschiedenen Abwicklungsbehörden vertreten. Hier muss der Home Supervisor den Host Supervisors ausreichend und glaubwürdige Tatsachen präsentieren, wie im Rahmen eines SPE-Ansatzes mit den Entitäten bei den Host Supervisors umgegangen wird. Darüber hinaus müssen die Host Supervisor darlegen, was die Bedingungen dafür sind, dass sie von individuellen Abwicklungsmaßnahmen der Entitäten in ihren Ländern absehen. Sind diese Rahmenbedingungen erfüllt, kann ebenfalls für einen global agierenden Bankenkonzern – auch wenn er in mehreren Drittstaaten mit anderen Rechtsregimen tätig ist – ein SPE-Ansatz im Rahmen der Abwicklungsstrategie verwendet werden.21 Die Rahmenbedingungen für das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Home und Host Supervisorn sollen in Cross-border Operation Agreements niedergelegt werden. In diesen soll ebenfalls dargelegt werden, wie – in Abhängigkeit des Abwicklungsansatzes – das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Behörden zu erfolgen hat.

19 20 21

Vgl. EBA/GL/2014/11, Titel III, Tz. 13j. Vgl. EBA/GL/2014/11, Titel III, Tz. 15c. Vgl. FSB – SPE – Nr. 6.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

3.3 Bestimmung der angemessenen Abwicklungsinstrumente Die Abwicklungsstrategie dient zur Erreichung der Abwicklungsziele gemäß § 67 SAG. Die dafür zur Verfügung stehenden Instrumente orientieren sich an diesen gleichgewichteten Zielen. Als Herausforderung stellt sich die zeitliche Vorgabe dar, dass die Instrumente nach dem Abwicklungswochenende kommuniziert werden und das Institut je nach Ausprägung wieder öffnet und somit seine kritischen Funktionen weiterhin erbringt. Eine Abwicklungsstrategie beginnt generell mit der Absorption der Verluste auf dezentraler (MPE) oder zentraler Ebene (SPE) und setzt sich nachfolgend aus den einzelnen Teilstrategien der jeweiligen Abwicklungseinheiten zusammen. Für die Absorption der Verluste reicht i.d.R. eine vollumfängliche oder teilweise Herabschreibung bestehender Kapitalbestandteile aus. Sollte das eingetretene Szenario zu einem negativen Nettovermögenswert geführt haben, wäre zusätzlich eine Wandlung von Fremdkapitalbestandteilen gemäß der Haftungskaskade mit anschließender erneuter Herabschreibung nötig. Nach erfolgreicher Verlustabsorption stehen je nach Fortführungsperspektive unterschiedliche Abwicklungsinstrumente zur Verfügung. Bei der Wahl des Abwicklungsinstruments (vgl. Abschnitt 2.3) ist insbesondere relevant, ob die Gesellschaft eine Rekapitalisierung oder einen Transfer bezwecken will. Tabelle 2: Übersicht der Abwicklungsinstrumente gemäß Fortführungsperspektive Fortführungsperspektive

Abwicklungszweck

Instrument

Gone Goncern

• Transfer

• Vermögensverwaltungsgesellschaft

Going Concern

• Rekapitalisierung

• Bail-in (Wandlung Fremdkapital in Eigenkapital)

• Transfer

• Verkauf • Brückeninstitut

Betrachtet man auch bei der Bestimmung des angemessenen Abwicklungsinstruments je Abwicklungseinheit wesentliche Kernfragestellungen, so kann ein Entscheidungsmodell wie das nachfolgende zu Grunde gelegt werden. In diesem erfolgt zu Beginn die Überprüfung, ob nach erfolgreicher Verlustabsorption ein potenzielles Angebot für eine Übernahme einer oder mehrerer Abwicklungseinheiten ggf. sogar für die gesamte Organisation vorliegt. Ist dieses nicht der Fall, scheidet das Instrument des Verkaufs aufgrund der damit einhergehenden, zeitintensiven Prozesse aus. Im Folgenden ist grundsätzlich der Aspekt der Fortführungsperspektive relevant.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

Abwicklungseinheiten ohne Fortführungsperspektive, bei denen zur Aufrechterhaltung der kritischen Funktion eine Bestandsverwaltung und stufenweiser Auslauf ausreicht, können unter Anwendung einer Vermögensverwaltungsgesellschaft abgewickelt werden. Ist für die Aufrechterhaltung der kritischen Funktion die Fortführungsperspektive unter Einhaltungen der regulatorischen Anforderungen (u. a. Kapitalquoten) erforderlich, stehen der Abwicklungsplanung zwei Instrumente zur Verfügung. Abhängig von dem Bedarf der Abspaltung der Abwicklungseinheit von der restlichen Organisation, bspw. zur Reduzierung der Kernkapitalanforderungen für den Betrieb, ist das Brückeninstitut das angemessene Instrument. Ist eine Separierung für die Fortführung nicht erforderlich, kann eine Rekapitalisierung der bestehenden Organisation durchgeführt werden. Die Anwendung eines Brückeninstituts scheint hier als nicht zielführend, da die Kapitalerfordernisse identisch zu denen eines Open Bank Bail-in wären. Abbildung 3: Vorgehensmodell zur Bestimmung des angemessenen Abwicklungsinstruments je Abwicklungseinheit

4 Anwendungsbeispiele Die zuvor erläuterte Theorie soll anhand von drei hypothetischen Beispielen erläutert werden.

4.1 Anwendungsbeispiel 1: Kriseneintritt über ausländische Tochter Erläuterung der Organisation: Im Anwendungsbeispiel 1 handelt es sich um eine Holdingstruktur mit funktioneller und länderspezifischer Ausrichtung der jeweiligen Töchter. Die einzelnen Töchter sind grundsätzlich dezentral ausgerichtet und verfügen über eigenständige IT-Systeme. Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Töchtern sind gering.

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Zwei Funktionen (A und C) sind relevant für die Stabilität des Finanzsystems im jeweiligen Land. Aufgrund der geringen Marktdurchdringung von Funktion A im europäischen Musterland 1 ist die Funktion A nur in Deutschland als kritisch eingestuft. Abbildung 4: Anwendungsbeispiel 1: Kriseneintritt über ausländische Tochter

Erläuterung der Krise: Im Anwendungsbeispiel verursacht die Funktion C der Tochter im EU-Ausland einen idiosynkratischen Verlust, dessen Kompensation die Kernkapitalreserven der Tochter stark reduziert. Ein Einhalten der Kernkapitalvorgaben ist für die Tochter nicht weiter möglich. Potenzielle Abwicklungsstrategien: Die Holding hat nun vier strategische Handlungsmöglichkeiten, um das Abwicklungsziel der Aufrechterhaltung des Betriebs der kritischen Funktion A und insbesondere C sicherzustellen: a) Verlusttransfer von der Tochter „EU-Land 1“ auf die Holding, da dort ausreichende Kapitalreserven zur Verlustkompensation vorhanden sind, ohne die Kapitalanforderungen unter Stress kommen zu lassen; b) Verlustkompensation auf nationaler Ebene von „EU-Land 1“ durch Herabschreibung von Kapitalmittel und Wandlung von Verbindlichkeiten (lokaler Bail-in); c) Herabschreibung der Verluste auf nationaler Ebene von „EU-Land 1“ und Verkauf der Funktion an einen Wettbewerber; d) Herabschreibung der Verluste auf nationaler Ebene von „EU-Land 1“, Transfer der Funktion C auf ein Brückeninstitut und Kapitalisierung des Brückeninstituts durch Wandlung der Verbindlichkeiten. Die Durchführbarkeit der einzelnen Strategien ist von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Erfordert die Abwicklungsstrategie a) tragfähige rechtliche Haftungsbrücken, hängen die Abwicklungsstrategien b) und d) von einer ausreichenden Menge an wandelbaren Verbindlichkeiten bei der Tochter „EU-Land 1“ ab. Bei beiden Abwicklungsstrategien kann von einer Separierung von der Holding ausgegangen werden, da die Holding als ursprünglicher Eigentümer herabgeschrieben wurde und die ehemaligen Gläubiger die neuen Eigentümer sind.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

Festlegung Abwicklungsansatz: Legt sich die Holding auf a) als präferierte Abwicklungsstrategie fest, handelt es sich um eine zentrale Abwicklung durch den Home Supervisor und damit um einen SPE-Ansatz. Bei den Abwicklungsstrategien b) bis d) erfolgt bei der Abwicklungsplanung eine Einbindung mehrerer Abwicklungsbehörden, um lokale Abwicklungen mit eigenständigen Abwicklungsanordnungen vorab zwischen Home und Host Supervisor abzustimmen. Es handelt sich daher um einen MPE-Ansatz. Unklar ist an dieser Stelle, ob sich im Rahmen der Abwicklungsplanung auf einen Ansatz festzulegen ist.

4.2 Anwendungsbeispiel 2: Marktbedingte systemweite Krise bringt Mutterinstitut in Schieflage Erläuterung der Organisation: Im Anwendungsbeispiel 2 handelt es sich um eine Gruppenstruktur mit funktioneller und länderspezifischer Ausrichtung der jeweiligen Töchter. Die einzelnen Töchter sind grundsätzlich funktionell dezentral ausgerichtet, verfügen aber über zentrale Unterstützungsleistungen durch das Mutterinstitut. Die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Töchtern sind gering. Mit dem Mutterinstitut regeln Ergebnisabführungsverträge die Liquiditätsflüsse, und Waiver-Regelungen haben die Töchter von Kapitalanforderungen befreit, die nur auf Gruppenebene einzuhalten sind. Zwei Funktionen (A und D) sind relevant für die Stabilität des Finanzsystems im jeweiligen Land. Aufgrund des hohen Marktanteils im europäischen Musterland ist die Funktion A nur in diesem als kritisch eingestuft. Abbildung 5: Anwendungsbeispiel 2: Marktbedingte systemweite Krise bringt Mutterinstitut in Schieflage

Erläuterung der Krise: Im Anwendungsbeispiel leidet das Mutterinstitut unter den Folgen einer marktbedingten systemweiten Krise (bspw. allgemeine Wirtschaftskrise der EU), in deren Folge aufgrund erneutem Abschreibungsbedarfs das Mutterinstitut nicht mehr die Kernkapitalanforderungen einhalten kann.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

Potenzielle Abwicklungsstrategien: Das Mutterinstitut hat nun drei strategische Handlungsmöglichkeiten,22 um das Abwicklungsziel der Aufrechterhaltung des Betriebs der kritischen Funktion sicherzustellen: a) Herabschreibung der Verluste und Durchführung einer Wandlung von Verbindlichkeiten auf nationaler Ebene des Mutterinstituts; b) Verkauf von Unternehmensteilen/-Portfolien zur Reduzierung von Risk Weighted Assets (RWA); c) Herabschreibung der Verluste und Verkauf der Gruppe als Ganzes. Da es sich wahrscheinlich um ein langsam wirkendes Szenario handelt, kann von einer vorgelagerten Sanierungsphase ausgegangen werden. Die strategische Handlungsmöglichkeit b) wird daher bereits als Handlungsoption gezogen worden sein. Festlegung Abwicklungsansatz: Bei den Möglichkeiten a) und c) handelt es sich um Alternativen, die nur die Unterstützung einer Abwicklungsbehörde – in diesem Fall des Home Supervisor – benötigen. Es handelt sich daher jeweils um SPE-Ansätze.

4.3 Anwendungsbeispiel 3: Marktweite Krise verursacht in einer Funktion hohe Verluste Erläuterung der Organisation: Im Anwendungsbeispiel 3 wird auf der Gruppenstruktur aus Anwendungsbeispiel 2 aufgesetzt. Abbildung 6: Anwendungsbeispiel 3: Marktweite Krise verursacht in einer Funktion hohe Verluste

22

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Eine Übertragung der Funktionen B und C auf ein Brückeninstitut zur RWA-Entlastung wird nicht betrachtet, da ein Brückeninstitut ebenfalls kapitalisiert und Eigenkapitalanforderungen einhalten muss. Es würde daher ebenfalls die Durchführung eines Bail-in (Lösung a)) voraussetzen.

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

Erläuterung der Krise: Statt einer marktbedingten systemweiten Krise wird eine produktgruppenspezifische Krise (bspw. Schiffsfinanzierungen) betrachtet. Diese führt sowohl beim Mutterinstitut als auch bei der Tochter im europäischen Musterland zu hohen Wertberichtigungen. Ein Ausfall der Gruppe hätte auf nationaler Ebene des europäischen Musterlandes wirtschaftliche Auswirkungen auf die Branche, die die stark unter Druck geratene Konzentration im Kredit-Portfolio darstellt. Auf Gruppenebenen führen die kumulierten Verluste zu einer Unterschreitung der Kernkapitalanforderungen. Die kritischen Funktionen müssen in diesem Fall nicht weiter Neugeschäft betreiben, eine Bestandsverwaltung und langsamer Abbau der Portfolien ist ausreichend. Potenzielle Abwicklungsstrategien: Die Unternehmensgruppe hat nun drei strategische Handlungsmöglichkeiten,23 um das Abwicklungsziel der Aufrechterhaltung des Betriebs der kritischen Funktion sicherzustellen: a) Verlusttransfer von nationaler Ebene des europäischen Musterlandes „EU-Land 1“ auf das Mutterinstitut und Durchführung einer Wandlung von Verbindlichkeiten zur Rekapitalisierung der Gruppe; b) Verlusttransfer von nationaler Ebene des europäischen Musterlandes „EU-Land 1“ auf das Mutterinstitut, Herabschreibung der Verluste und Verkauf der Gruppe als Ganzes; c) Verlusttransfer von nationaler Ebene des europäischen Musterlandes „EU-Land 1“ auf das Mutterinstitut, Herabschreibung der Verluste, Gründung einer Vermögensverwaltungsgesellschaft und Übertragung der Portfolien von beiden Standorten, abhängig von der Refinanzierung der Vermögensverwaltungsgesellschaft bzw. der Möglichkeit auf Garantien des Single Resolution Funds (SRF) kann zusätzlich noch ein Bail-in zur Rekapitalisierung der Holding erforderlich sein, um ein mögliches Eigenrisiko für die ausgelagerten Kredit-Portfolien zu übernehmen. Festlegung Abwicklungsansatz: Möglichkeiten a) bis c) beschreiben erneut zentrale Maßnahmen, die durch den Home Supervisor zentral zu koordinieren sind. Es handelt sich daher um SPE-Ansätze.

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Eine Übertragung der Funktionen B und C auf ein Brückeninstitut zur RWA-Entlastung wird nicht betrachtet, da ein Brückeninstitut ebenfalls kapitalisiert und Eigenkapitalanforderungen einhalten muss. Es würde daher ebenfalls die Durchführung eines Bail-in (Lösung a)) voraussetzen.

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Florian Pflüger/Sven Warnecke

5 Fazit Das Abwicklungsvorgehen mit nur einem Ansatzpunkt (SPE) lässt sich aktuell als der am Markt etablierte Standard bezeichnen, der selbst von G-SIBs befolgt wird. Betrachtet man die Gründe für eine Bevorzugung eines SPE – u.a. die zentrale Steuerung – bzw. die Hürden für die Anwendbarkeit eines MPE – gute Separierbarkeit sowie ein international koordiniertes Vorgehen – entspricht der Status Quo auch dem aktuellen Stand der Organisationsstrukturen. Da der SPE vor dem Hintergrund der nicht ganz eindeutigen Separierbarkeit die zentrale Durchführung eines Bail-in und damit primär die Rekapitalisierung gegenüber einer Restrukturierung präferiert, muss das Hinterfragen der Wirksamkeit des SPE als Ansatz zur nachhaltigen Krisenbewältigung erlaubt sein. Die Ausgestaltung einer Restrukturierung erfolgt erst zeitlich versetzt auf Basis eines nach Durchführung des Bail-in zu erstellenden Reorganisationsplans. Organisationen mit einem MPE-Ansatz sollten im Sinne der Sicherung der Finanzstabilität die nachhaltigere Stabilisierung der Finanzwirtschaft ermöglichen. Die nötigen Separierungsanforderungen als Anwendungsschwelle eines MPE garantieren eine schnelle Isolierung der kritischen Funktionen vom Rest der Organisation. Da beim MPE die verbleibende Organisation nicht explizit auf Sonderrechte der Abwicklungsgesetzgebung zugreifen kann, besteht hierbei jedoch das höhere Risiko, dass in der Konsolidierung der Marktteilnehmer Werte zerstört werden. Bezüglich des MPE muss angemerkt werden, dass aktuell wenige Anreize für eine Ausrichtung auf diesen Ansatz bestehen, da bezüglich der Anwendung der strukturellen Abwicklungsinstrumente noch zahlreiche Fragen offen sind und vermutet werden kann, dass frühere Anreize wie Staatsgarantien für Vermögensverwaltungsgesellschaften (Bad Banks) nicht weiter bereitwillig proaktiv zugesagt werden, was die Anwendbarkeit des Instruments weiter verkompliziert. Zusätzlich muss auch bezweifelt werden, ob die Organisationen die Investitionen für einen Wechsel von einem SPE zu einem MPE in Zeiten von budgetverzehrenden regulatorischen Projekten stemmen kann. Zudem setzen einzelne regulatorische Initiativen (IFRS 9, BCBS 239) aktuell gegenteiligen Impulse und fördern eine weitere zentrale Ausrichtung der Organisationen. Es bleibt abzuwarten, wie die Unternehmensgruppen die Chancen eines MPE für sich bewerten. Zu diesen zählt, dass man durch eine passende Ausrichtung der Unternehmensstruktur Krisen auf einzelne Unternehmensteile beschränken kann, ohne den Rest des Unternehmens zu gefährden. Auch wäre es Eigentümer und Gläubiger deutlich transparenter, welches Risiko sich hinter ihrem Investment befindet. Eventuell sind die

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Bestimmung der Abwicklungsstrategie unter Berücksichtigung von Abwicklungsansatz und -instrumenten

aktuellen Diskussionen über Restrukturierungen zu Holdingstrukturen erste Anzeichen dieser Entwicklung. In Kombination mit einer sinnvollen Verteilung von MREL-fähigen Verbindlichkeiten innerhalb der Holding könnte mit dieser Entwicklung die Krisenresistenz der Unternehmen auf jeden Fall gefördert sowie der too-big-to-fail-Problematik begegnet werden.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick Stephan Kolmann

1 Einleitung 2 Rechtsquellen 3 Grundlagen 3.1 Technik, Formen und Funktionsweise des Bail-in 3.2 Haftungskaskade beim Bail-in 3.2.1 Allgemeines 3.2.1.1 Insolvenzrechtliche Verteilungsrangfolge als Referenzrahmen 3.2.1.2 Haftungskaskade des Bail-in als umgekehrte Insolvenzrangfolge 3.2.1.3 Verteilungskriterien innerhalb der Haftungskaskade 3.2.2 Stufen der Bail-in-Haftungskaskade 3.3 Von der Bail-in-Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten 3.3.1 Allgemeines 3.3.2 Kraft Gesetzes von der Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten 3.3.3 Einzelfallausnahmen aufgrund Ermessensentscheidung 3.3.3.1 Voraussetzungen 3.3.3.2 Auswirkungen 3.3.4 Zugriff auf Mittel aus dem Restrukturierungsfonds 3.3.4.1 Grundsatz 3.3.4.2 Ausnahme: Auffanglösung beim Bail-in 3.3.4.3 Voraussetzungen des Ausnahmefalls 3.3.4.4 Umsetzung der Beteiligung des Restrukturierungsfonds 3.4 Bewertungsfragen 3.5 Bail-in-Betrag, Umwandlungsquote 4 Zusätzliche (regulatorische) Hinweise

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1 Einleitung Das Instrument der Gläubigerbeteiligung1 (Bail-in) stellt das eingriffsintensivste hoheitliche Abwicklungsinstrument sowie einen wesentlichen Kern der Abwicklungsregelungen dar.2 Die entsprechenden Vorschriften bringen den Paradigmenwechsel des Regelungsgebers im Umgang mit kriselnden Finanzinstituten zum Ausdruck. Hiernach soll entgegen der bisherigen Praxis nicht mehr der Steuerzahler einspringen (Bail-out). Vielmehr sind die Verluste und Abwicklungskosten eines Instituts künftig zunächst von den Inhabern relevanter Kapitalinstrumente, die als regulatorische Eigenmittel nach Art. 25 ff. Capital Requirements Regulation (CRR) anzusehen sind, sowie anschließend von den Gläubigern nach Maßgabe der geltenden Haftungskaskade zu tragen. Positiv formuliert bedeutet dies, dass zunächst die Eigentümer und ggf. noch die Gläubiger in der Rangfolge ihrer Haftung Sanierungsbeiträge leisten sollen/müssen, bevor das Institut eine Unterstützung von dritter Seite erhalten kann. Die Regelungen des Bail-in ermöglichen eine unmittelbare Verlustabsorption und sollen dadurch einerseits den in der Finanzkrise aufgrund der too-big-to-fail-Problematik verlorengegangen Gleichlauf zwischen Handlung und Haftung wiederherstellen. Andererseits liegt ein präventives Steuerungsziel des Bail-in darin, die Banken zu einer nachhaltigen Geschäftspolitik hinsichtlich ihrer Risikobereitschaft zu bewegen. Auf diese Weise sollen die Regelungen einen positiven Anreiz zur Finanzstabilität leisten.3 Diese Anreizstruktur ergänzen die Finanzbeiträge (§ 2 Restrukturierungsfondsgesetz (RStrukFG)), welche zur Abwicklung auf nationaler Ebene von den Banken erhoben werden, d.h. die Banken sollen sich zunächst untereinander finanzieren, bevor die öffentliche Hand haften soll. In seiner Funktionsweise orientiert sich der Bail-in an den ökonomischen Ergebnissen eines hypothetischen Insolvenzverfahrens, die die Referenzgröße und materiell-rechtliche Grenze dieses Abwicklungsinstruments darstellen. Im Rahmen des Bail-in soll den Anteilsinhabern und den Gläubigern nur das weggenommen werden können, was sie auch im Rahmen der Liquidation des Instituts in einem hypothetischen Insolvenzverfahren zu erdulden hätten. Die Vorschriften zum Instrument der Gläubigerbeteiligung enthalten

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Gläubigerbeteiligung ist insofern unscharf, weil neben den Gläubigern vorrangig die Inhaber des Instituts herangezogen werden. Zur Diskussion z.B. Deutsche Bank, Monatsbericht 6/2014, 39; Dohrn, WM 2012, 2033, 2037 f.; Engelbach/Friedrich, WM 2015, 662, 666; Hübner/Lienert, ZIP 2015, 2259, 2261; Binder, ZHR 179 (2015), 83, 104. Vgl. Erwägungsgrund 73 SRM-Verordnung.

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deshalb zum Schutz der Betroffenen ein Schlechterstellungsverbot, d.h. kein Anteilsinhaber oder Gläubiger muss größere Verluste tragen als er sie im Rahmen der Liquidation innerhalb eines hypothetischen, regulären Insolvenzverfahrens zu tragen hätte, das zum Zeitpunkt der Anordnung der Abwicklung (§ 73 Abs. 1 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)) eröffnet worden wäre (No-Creditors-Worse-Off (NCWO)).4 Dies lässt sich bereits aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie ableiten.5 Der zentrale Vorteil des Bail-in im Vergleich zu einer Liquidation im Insolvenzverfahren besteht v.a. darin, dass die Verlustabsorption und Rekapitalisierung mittels Bail-in, die im Unterschied zu einem Insolvenzverfahren im Idealfall an einem Wochenende vollzogen werden kann, die Gefahr eines systemischen Risikos abwenden hilft. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf ausgewählte Aspekte.6

2 Rechtsquellen Die wesentlichen Vorschriften zum Bail-in ergeben sich primär aus der Bankenabwicklungsrichtlinie (Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)); ferner aus der die BRRD konkretisierenden Single-Resolution-Mechanism-Verordnung (SRM-Verordnung). Sie werden ergänzt durch die Verordnung (EU) 2016/1075 vom 23.03.2016, die u.a. technische Regulierungsstandards zur Bewertung von Sanierungs- und Abwicklungsplänen festlegt. Deutschland hat die Bestimmungen der BRRD im SAG mit Wirkung zum 01.01.2015 umgesetzt. Dabei hat der deutsche Gesetzgeber das Instrument der Gläubigerbeteiligung sowie die Kapitalinstrumentebefugnis, die nach europarechtlichen Vorgaben kein Abwicklungsinstrument im engeren Sinne darstellt,7 zusammengefasst.

4 5 6

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BT-Drucks. 18/2575, S. 166. Vgl. Steck/Petrowsky, DB 2015, 1391, 1393. Der Beitrag geht insbesondere nicht ein auf Fragen der Gruppenabwicklung in einem Multiple-Point-Of-Entry-Modell, auf die Anerkennungsproblematik im Ausland sowie auf Rechtsschutzfragen. Sie sind einem Abwicklungsverfahren vorgelagert und dürfen bereits ausgeübt werden, ohne dass die sämtlichen Voraussetzungen einer Abwicklungsmaßnahme erfüllt sein müssen. Kapitalinstrumentebefugnisse bestehen somit europarechtlich auch unabhängig vom Abwicklungsverfahren.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick

Da die Regelungen der BRRD, der SRM-Verordnung sowie des SAG inhaltlich nahezu identisch sind und praktisch keine Unterschiede aufweisen, legen die nachfolgenden Ausführungen ihren Schwerpunkt auf die Normen des SAG.8

3 Grundlagen 3.1 Technik, Formen und Funktionsweise des Bail-in Der Sache nach entspricht der Bail-in einem Forderungserlass und/oder einem Debt-toEquity-Swap, beides klassische Sanierungsinstrumente. Während der Forderungserlass den Ausgleich eines Bilanzverlusts bezweckt, stärkt die Umwandlung von Verbindlichkeiten die Eigenkapitalposition. Schon hieraus wird deutlich, dass der Bail-in für die in Sanierungsfällen häufig auftretende Notwendigkeit, das Unternehmen mit frischer Liquidität für den operativen Geschäftsbetrieb auszustatten, keinen Lösungsansatz bietet. Sein Regelungsanliegen setzt vielmehr bei einem reinen Vermögensvergleich an. In der Bail-in-Terminologie, die aus Sicht der Abwicklungsbehörde formuliert, wird die Wirkungsweise des Forderungserlasses durch Herabschreiben (Write-off) und die des Debt-to-Equity-Swap durch Umwandlung (Conversion) erreicht. In der Kombination ähnelt der Mechanismus einer vereinfachten Kapitalherabsetzung im Gesellschaftsrecht: Frei werdende Mittel können zur Verlustabsorption verwendet werden; die Umwandlung relevanter Kapitalinstrumente in hartes Kernkapital dient der Rekapitalisierung. Die Herabschreibung, ausgehend vom jeweiligen Nennwert des Anteils bzw. der Verbindlichkeit, erfolgt bis zur Erreichung eines Nettovermögenswertes des Instituts von null, bis also nominal alle verbleibenden Verbindlichkeiten durch (die mit Liquidationswerten anzusetzenden) Vermögenswerte der Aktivseite gedeckt sind. Die von einer Herabschreibung erfassten Anteilsinhaber, die aufgrund der Rangklasse ihrer Forderungen mangels hinreichender Haftungsmasse auch im Insolvenzverfahren nicht mit Zahlungen hätten rechnen dürfen, scheiden kompensationslos aus; die entsprechenden Positionen gelten als grundsätzlich dauerhaft „beglichen“ (§ 99 Abs. 3 S. 1 SAG). Das Gesetz fingiert also den Eintritt der Erfüllungswirkung.

8

Zum Verhältnis zur SRM-Verordnung vgl. § 1 SAG. Im SAG nicht umgesetzt wurden die BRRD-Regelungen der Art. 56 (Staatliche Stabilisierungsinstrumente), Art. 57 (Instrumente der staatlichen Eigenkapitalunterstützung) sowie Art. 58 (Instrument der vorübergehenden staatlichen Übernahme); ebenso wenig Art. 44 Abs. 8 Buchst. a BRRD.

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Die Umwandlung ist der nach der Verlustabsorption logisch zweite Schritt. Um mindestens die aufsichtsrechtlich geforderten Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen oder – insoweit im Umfang weitergehend – Marktvertrauen wiederherzustellen, werden ggf. verbleibende Kapitalinstrumente sowie berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten im Wege der Sacheinlage eingebracht, so dass die Forderung durch Konfusion erlischt.9 Es entsteht dadurch hartes Kernkapital10 mit den bisherigen Gläubigern als Kapitalgeber zum Zwecke der Rekapitalisierung des Instituts. Die Abwicklungsbehörde muss bei der Ausgabe neuer Anteile die bisherigen Anteilsinhaber von ihrem Bezugsrecht ausschließen. Die bisherigen Anteile des harten Kernkapitals kann die Abwicklungsbehörde löschen oder auch im vorstehenden Zusammenhang auf den neuen Inhaber übertragen (unechter Debt-to-Equity-Swap). Die Erlöschenswirkung gilt dabei nicht nur gegenüber dem jeweiligen Gläubiger, sondern auch im Verhältnis zu Mitschuldnern, Bürgen und sonstigen Rückgriffsberechtigten, da andernfalls die Entlastungswirkung für das Institut nicht eintreten kann. Sicherheiten, die ein Dritter dem Gläubiger eingeräumt hat, bleiben jedoch unberührt.11 Im Hinblick auf die Eingriffsintensität besteht zwischen Herabschreibung und Umwandlung ein erheblicher Unterschied. Denn nur bei der Umwandlung gibt es die (zumindest theoretische) Chance, über die Eigenkapitalposition am künftigen Unternehmenserfolg teilzuhaben. Folglich darf die Abwicklungsbehörde die Herabschreibung nur anwenden um sicherzustellen, dass der Nettovermögenswert des Instituts gleich null ist oder um im Falle eines (eingetretenen oder drohenden) Verlusts sicherzustellen, dass der Nettovermögenswert null nicht (mehr) unterschreitet.12 In anderen Fällen, also bei einem positiven Nettovermögenswert, ist nur die Umwandlung zulässig. Die Anwendung des Bail-in bewirkt, dass ein andernfalls womöglich ausfallendes Institut am Markt bleibt. Der Eingriff durch die Abwicklungsbehörde hat damit wettbewerbsrechtliche Relevanz,13 und zwar unabhängig davon, ob zusätzlich zur Anwendung des Bail-in Fondsmittel eingesetzt werden. Die Rekapitalisierung muss deshalb mit einer langfristigen Perspektive erfolgen, um finanzielle Solidität herzustellen und die langfris-

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10

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Zutreffend Thole, ZBB 2016, 57, 63; nach abweichender Ansicht soll analog § 99 Abs. 1 SAG gelten, z.B. Engelbach/Friedrich, WM 2015, 662, 667. Vgl. EBA, Consultation Paper CP/2014/39, Consultation Paper CP/2014/40 sowie Consultation Paper CP/2015/10, 7 und Consultation Paper CP/2014/29, 9, wonach eine Umwandlung in zusätzliches Kernkapital oder Ergänzungskapital nicht in Betracht kommt. Vgl. § 254 Abs. 2 S. 2 InsO zur Parallelproblematik im Insolvenzplanverfahren. Grieser, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 286 Rn. 59. Brandt/Ilgmann, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 324 Rn. 36.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick

tige Überlebensfähigkeit des Instituts zu erreichen. Die Anwendung des Bail-in geht vor diesem Hintergrund typischerweise einher mit der Pflicht, einen Restrukturierungsplan zu erstellen und zu implementieren, häufig mit einem geänderten Management (§§ 102, 103, 105, 87 SAG). Der Bail-in kann allerdings nicht nur zum Zwecke der Rekapitalisierung des sich in Abwicklung befindlichen Instituts eingesetzt werden (§ 95 Nr. 1 SAG),14 sondern auch zur Rekapitalisierung eines aufnehmenden Rechtsträgers, also im Zusammenhang mit der Unternehmensveräußerung, mit der Übertragung auf ein Brückeninstitut oder auf eine Vermögensverwaltungsgesellschaft (§ 95 Nr. 2 SAG). Die Vorschriften des Bail-in werden dann in Kombination mit den Übertragungsinstrumenten angewandt. In diesen Fällen wird nicht das Institut, sondern der aufnehmende Rechtsträger fortgeführt. Verfahrenstechnisch setzt die Abwicklungsbehörde den Bail-in durch gestaltenden Verwaltungsakt um. Der Zustimmung der betroffenen Anteilsinhaber bzw. Gläubiger bedarf es nicht. Dies mag im Falle der Herabschreibung noch verständlich sein, weil sie sich letztlich am wirtschaftlichen Wert der Forderungen orientiert. Anders verhält es sich jedoch bei der Umwandlung, die selbst im Insolvenzverfahren nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betroffenen möglich ist (§ 225a Abs. 2 S. 2 Insolvenzordnung (InsO)). Im Rahmen eines Bail-in können Gläubigern somit Anteile am Institut gegen ihren Willen aufgedrängt werden.15

3.2 Haftungskaskade beim Bail-in 3.2.1 3.2.1.1

Allgemeines Insolvenzrechtliche Verteilungsrangfolge als Referenzrahmen

Das insolvenzrechtliche Verteilungsregime gibt die Rangfolge für die Verteilung von Erlösen im Insolvenzverfahren vor. Derjenige, der an unterster Rangstufe steht, erhält als letzter eine Befriedigung aus den Verwertungserlösen, und zwar nur, wenn alle vorrangigen Gläubiger in ihren jeweiligen Rangstufen vollständige Befriedigung erlangt haben.

14 15

BT-Drucks. 18/2575, S. 174. Vgl. zur Durchbrechung des Prinzips des Individualrechts bei einem Mehrheitsbeschluss auch § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG.

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Insolvenzrechtlich die letzte Rangstufe hat der Anteilsinhaber inne (§ 199 S. 2 InsO). Im Übrigen richtet sich die Reihenfolge der Verteilung nach den §§ 38, 39 InsO. Hinzu kommen weitere Regelungen des Sonderinsolvenzrechts für Banken.

3.2.1.2

Haftungskaskade des Bail-in als umgekehrte Insolvenzrangfolge

Die Haftungskaskade, die für den Bail-in gilt, entspricht letztlich der umgekehrten Insolvenzrangfolge: Derjenige, der im Insolvenzverfahren als letzter befriedigt wird, muss im Rahmen des Bail-in als erster einen Sanierungsbeitrag leisten bzw. die aufgelaufenen Verluste absorbieren; die zweitletzte insolvenzrechtliche Rangstufe wird beim Bail-in als Zweiter herangezogen etc.

3.2.1.3

Verteilungskriterien innerhalb der Haftungskaskade

Dabei gelten beim Bail-in gleiche Verteilungskriterien wie im Insolvenzverfahren, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Die nächsthöhere Rangstufe in der Haftungskaskade des Bail-in darf folglich erst heranzogen werden, wenn die vorherige Rangstufe bereits vollständig in Anspruch genommen wurde (vertikale Beteiligung (§ 97 Abs. 1 S. 2, 3 SAG)). Innerhalb derselben Rangklasse gilt das pari-passu-Prinzip, d.h. die Betroffenen derselben Rangstufe sind untereinander gleichmäßig pro rata (im Verhältnis ihrer Forderungen) heranzuziehen (horizontale Beteiligung). Die Eingriffsintensität des Bail-in hängt vom Umfang des eingetretenen Verlusts ab. Nur, wenn das Institut noch über einen positiven Nettowert verfügt, wenn also das Vermögen16 die bestehenden Verbindlichkeiten übersteigt, kann es genügen, das harte Kernkapital durch Umwandlung der nächsthöheren Stufe(n) zu verwässern. Freilich wird dies ein praktisch seltener Fall sein. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen darf eine Verbindlichkeit höherer Seniorität umgewandelt werden, ohne dass zuvor die Möglichkeiten der Umwandlung nachrangiger Verbindlichkeiten ausgeschöpft sein müssen, wenn nämlich entweder generell oder im konkreten Einzelfall die Anwendung des Bail-in auf die weniger senioren Verbindlichkeiten ausgenommen ist. Entsprechendes gilt bei Gleichrangigkeit (§ 97 Abs. 2 S. 2 SAG).

3.2.2

Stufen der Bail-in-Haftungskaskade

Im theoretischen Ausgangspunkt erfasst das Gläubigerbeteiligungsinstrument als potenzielle Eingriffsobjekte zunächst einmal sämtliche Verbindlichkeiten eines Instituts (mit

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176

Zu den Bewertungen und Bewertungsansätzen vgl. Abschnitt 3.4.

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Ausnahme relevanter Kapitalinstrumente, die freilich vorrangig im Rahmen eines Bail-in einbezogen werden). Eingeschlossen sind auch die ausländischem Recht unterliegenden Verbindlichkeiten.17 Rechtswahlklauseln können deshalb die möglichen Eingriffsobjekte nicht reduzieren. Allerdings wird dieser Grundsatz praktisch in erheblichem Umfang in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: So sind bestimmte Verbindlichkeiten kraft gesetzlicher Anordnung (§ 91 Abs. 2 SAG) aus der Haftungskaskade ausgenommen und deshalb nicht bail-in-fähig. Darüber hinausgehend kann die Abwicklungsbehörde durch einzelfallbezogene Ermessensentscheidung der Abwicklungsbehörde für einzelne, eigentlich berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten oder sogar die ganze Kategorie eine Ausnahme bestimmen (§ 92 SAG). Folglich sind die systemischen Folgen eines Bail-in von vornherein begrenzt. Das Gesetz definiert die von einem Bail-in erfassten Rechtspositionen als „berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“ (Legaldefinition in § 91 Abs. 1 SAG). Von der in der BRRD enthaltenen Ausnahmeregelung betreffend Verbindlichkeiten aus Steuern sowie gegenüber Sozialversicherungsbehörden hat Deutschland im SAG keinen Gebraucht gemacht – entsprechend der insolvenzrechtlichen Grundentscheidung, dass es auch in einem Insolvenzverfahren für derartige Forderungen keine Privilegien gibt. Sie sind somit bail-in-fähig.18 Die Haftungskaskade enthält diverse Stufen, die im Einzelfall natürlich unbesetzt sein können. Mit dieser Maßgabe wird die Haftungskaskade für den Bail-in unter Einbeziehung von Kapitalinstrumenten im Folgenden beschrieben.19 Stufe 1 Auf der höchsten Stufe der Haftungskaskade stehen gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 SAG die Anteile und andere Instrumente des harten Kernkapitals (Common Equity Tier 1 (CET 1)). Dies sind je nach Rechtsform des Instituts bspw. Aktien (in welcher Form auch immer), GmbH-Geschäftsanteile oder Anteile an Kommanditgesellschaften oder Genossenschaften.

17

18 19

Zur hier nicht vertieften Anerkennungsproblematik und zu dem sich ergebenden Handlungsbedarf des Instituts vgl. § 55 SAG und zu der etwaigen Sanktionierung vgl. § 49 Abs. 3 SAG; vgl. hierzu Köhling, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 372 Rn. 88 ff.; Lehmann, in: Jahn/Schmitt/ Geier, S. 471 Rn. 44 ff. BT-Drucks. 18/2575, S. 173. Vgl. auch die vom FSMA herausgegebene Übersicht über die Haftungskaskade im Rahmen der Bankenabwicklung, Stand: 21.06.2016.

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Stufe 2 In zweiter Rangstufe stehen die Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals (Additional Tier 1 (AT 1) (§ 97 Abs. 1 Nr. 2 SAG)). Beispiele sind unbesicherte, unbefristete nachrangige Schuldverschreibungen mit Umwandlungs- bzw. Herabschreibungsklausel. Stufe 3 Auf der dritten Rangstufe stehen die Instrumente des Ergänzungskapitals (Tier 2 (T 2) (§ 97 Abs. 1 Nr. 3 SAG)). Hierunter fallen bestimmte nachrangige (i) Darlehen, (ii) stille Einlagen und (iii) Genussrechte. Soweit es sich bei dem Ergänzungskapital rechtlich um Schuldtitel handelt, müssen in der vertraglichen Ausgestaltung bereits bei Ausgabe und somit unabhängig vom Abwicklungsfall Regelungen zum Nachrang in einem etwaigen Insolvenzverfahren enthalten sein. Soweit es sich bei dem Ergänzungskapital rechtlich um Schuldtitel handelt, müssen in der vertraglichen Ausgestaltung bereits bei Ausgabe und somit unabhängig vom Abwicklungsfall Regelungen zum Nachrang in einem etwaigen Insolvenzverfahren enthalten sein.20 Stufe 4 Auf der vierten Rangstufe stehen andere vertraglich mit einem Rangrücktritt gemäß § 39 Abs. 2 InsO versehene Verbindlichkeiten, bei denen es sich nicht um zusätzliches Kernkapital (AT 1) oder Ergänzungskapital (T 2) handelt. Beispiele sind die mit vertraglicher Rangrücktrittsklausel versehenen (i) Darlehen, (ii) stille Einlagen, (iii) Genussrechte, die jeweils nicht die Anforderungen an AT 1 oder T 2 erfüllen. Stufe 5 Fünftrangig sind Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich vergleichbare Forderungen im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, die bereits vor Anordnung einer Abwicklungsmaßnahme gewährt waren. Hierzu zählen auch die vom Institut emittierten Schuldtitel, die ein Anteilsinhaber erworben hat, auch wenn die Schuldtitel als solche eigentlich einer höheren Stufe der Bail-in-Haftungskaskade zugehören würden. In der praktischen Anwendung wird diese Rangstufe höchstwahrscheinlich auf Schwierigkeiten stoßen, weil die Inhaberschaft von Schuldtiteln in aller Regel anonymisiert sein dürfte.

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Art. 73, 28, 52, 54, 63 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 vom 26.06.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (CRR).

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Stufe 6 Auf der sechsten Stufe stehen im Einzelfall Geldstrafen, Ordnungsgelder, Zwangsgelder sowie die zu einer Geldzahlung das Institut verpflichtenden Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit (§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Stufe 7 Infolge der Änderungen durch das Abwicklungsmechanismusgesetz (AbwMechG) stehen mit Wirkung seit dem 01.01.2017 auf der siebten Stufe die Schuldtitel im Sinne von § 46f Abs. 6 S. 1 Kreditwesengesetz (KWG). Als Beispiele gelten Inhaberschuldverschreibungen, Orderschuldverschreibungen, vergleichbare, an den Kapitalmärkten handelbare andere Schuldtitel, Schuldscheindarlehen und Namensschuldverschreibungen, die nicht unter § 46f Abs. 4 KWG fallen. Es handelt sich dabei typischerweise um langlaufende, einfach strukturierte (plain vanilla) Schuldtitel.21 Mit dem AbwMechG hat der Gesetzgeber innerhalb der allgemeinen insolvenzrechtlichen Rangstufe des § 38 InsO speziell für Bankeninsolvenzen Untergruppen im Rang des § 38 InsO mit unterschiedlicher Seniorität geschaffen. Damit entschied er sich zugleich gegen eine Umqualifizierung einzelner Schuldtitel in nachrangige Verbindlichkeiten im Sinne von § 39 InsO. Kraft Gesetzes erfahren also die deutschem Recht unterstehenden (unbesicherten) Schuldtitel deutscher CRR-Kreditinstitute auch ohne vertragliche Regelung eine Schlechterstellung im Rang gegenüber der bisherigen, bis zum 31.12.2016 geltenden Rechtslage. Bestehende Schuldtitel sind nicht ausgenommen, d.h. auch auf sie findet seit dem 01.01.2017 die niedrigere insolvenzrechtliche Seniorität Anwendung.22 Die Zielrichtung der Regelung besteht darin, die mit weniger schwierigen Problemen zu bewertenden Verbindlichkeiten in der Bail-in-Haftungskaskade hochzustufen, d.h. diese Verbindlichkeiten insbesondere vor dem Hintergrund des in § 67 Abs. 1 Nr. 2 SAG genannten Abwicklungsziels23 leichter in die Abwicklung einbeziehen zu können. Als Kehrseite rutschen diejenigen Verbindlichkeiten, bei denen die Anwendung des Gläubi-

21 22

23

Zur Abgrenzung vgl. die Ausführungen unten unter Stufe 8. Einen alternativen Weg sind bspw. Frankreich/Spanien gegangen, indem sie eine neue NonPreferred-Senior-Klasse mit vertraglicher Nachrangigkeit eingeführt haben. Die EUKommission begrüßt diesen Weg im Rahmen der Überlegungen zur europaweiten Vereinheitlichung der Bail-in-Haftungskaskade. Gemäß ersten Vorschlägen vom 23.11.2016 muss für die Qualifizierung als Non-Preferred Senior der Titel drei Voraussetzungen erfüllen: (1) anfängliche Vertragsmindestlaufzeit von einem Jahr; (2) keine Merkmale von Derivaten; (3) expliziter Hinweis auf den insolvenzrechtlichen Rang in den Emissionsunterlagen. Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Finanzstabilität und Erhaltung von Marktdisziplin.

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gerbeteiligungsinstruments unter Berücksichtigung der im Abwicklungsfall knappen Zeit voraussichtlich mit erheblichen praktischen, rechtlichen oder technischen Schwierigkeiten verbunden wären und Ansteckungsgefahren oder Gefahren für die Finanzstabilität zur Folge haben könnten,24 in der Bail-in-Haftungskaskade eine Stufe nach unten (vgl. nachfolgend zu Stufe 8). Es handelt sich typischerweise um Verbindlichkeiten aus operativer Geschäftstätigkeit. Stufe 8 In der achten Stufe stehen die unbesicherten, nicht-nachrangigen Verbindlichkeiten, die keine Schuldtitel im Sinne des § 46f Abs. 6 S. 1 KWG sind. In diese Gruppe fallen, und zwar jeweils gleichrangig: • strukturiere Finanzprodukte nach § 46f Abs. 7 KWG, d.h. Schuldtitel, bei denen die Rück- oder Zinszahlung nicht in Geld erfolgt oder der Höhe bzw. dem Grund nach von einem künftigen, unsicheren Ereignis abhängt, es sei denn, die Zinszahlung oder deren Höhe ist ausschließlich von einem festen oder variablen Referenzzins abhängig und die Erfüllung erfolgt durch Geldzahlung. Beispiele solcher strukturierten Finanzprodukte sind (verbriefte) Derivate, insbesondere Zertifikate, strukturierte Schuldtitel und Kombinationen hieraus. Die Herausnahme aus der Rangstufe 7 beruht auf der Befürchtung, dass es insbesondere bei der Bewertung der Bilanzpositionen zu starken Verzögerungen einer Bail-in-Maßnahme kommen könnte. Diese Befürchtung – daher die Gegenausnahme – gilt jedoch nicht bei der Bindung an einen Referenzzins (praktisch relevant sind insoweit nur Euribor, Eonia und Libor). Die Abgrenzung, ob ein Schuldtitel in die Rangstufe 7 oder als strukturiertes Finanzprodukt in die Rangstufe 8 fällt, bereitet im Einzelfall Schwierigkeiten. Deshalb haben die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA), die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und die Deutsche Bundesbank in einer gemeinsamen Auslegungshilfe vom 03.06.2016 maßgebliche Kriterien aufgestellt. Für eine Einordnung als strukturierte Finanzprodukte im Sinne der Stufe 8 spricht bspw., dass die Berechnungsgrundlage für Zinszahlung/Rückzahlung enthält: Derivate; indexierte Anleihen; Verpflichtungen in nicht lieferbaren Fremdwährungen, deren Verzinsung/ Rückzahlung in anderen lieferbaren Währung erfüllt werden; Änderung der Verzinsung zwischen Verzinsungstypen/-perioden gemäß der Entwicklung eines Index.

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Vgl. hierzu BT-Drucks. 18/5009, S. 76.

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Andere Kriterien führen allerdings nicht zu den vorstehend erwähnten Bewertungsschwierigkeiten. Als solche genügen sie also nicht für die Qualifizierung als strukturierter Schuldtitel gemäß § 46f Abs. 7 KWG, d.h. die entsprechenden Schuldtitel zählen dann zur vorherigen Rangstufe 7. Beispiele sind: feste Verzinsung; eine variable Verzinsung auf Grundlage eines Referenzzins; Nullkupon; Schemata auf- oder absteigender fester Zinssätze; fest vereinbarte individuelle Zins- und Rückzahlungsströme; Verpflichtungen in einer Fremdwährung mit „sicherer“ und bewertbarer Verzinsung und Rückführung; Inversfloater; Faktorisierungen; Kündigungsrechte; • Schuldtitel von nicht insolvenzfähigen (§ 12 InsO) Anstalten des öffentlichen Rechts wie insbesondere Förderbanken; • Geldmarktinstrumente gemäß § 1 Abs. 11 S. 2 KWG mit einer Laufzeit von weniger als 365 Tagen. Es handelt sich um ein Instrument der Liquiditätssteuerung. Die Ausnahme beruht auf der Befürchtung, dass im Falle einer insolvenzrechtlichen Rückstufung und dementsprechend umgekehrt bei einer früheren Einbeziehung in einen Bail-in nicht nur die Emissionsfähigkeit der Geldmarktpapiere beeinträchtigt würde, sondern auch Ansteckungsrisiken bestünden, gerade bei der Realwirtschaft, die Liquiditätsreserven in Geldmarktinstrumenten hält; • Darlehen von anderen Banken, soweit nicht insgesamt aus der Haftungskaskade ausgenommen; • Termingeschäfte (Futures), Optionsgeschäfte, Swapgeschäfte; • Verbindlichkeiten gegenüber Kunden aus Aktivgeschäft der Banken, z.B. aus dem Garantiegeschäft, dem Akkreditivgeschäft oder dem Kreditgeschäft; • nicht „gedeckte“ Einlagen: Einlagen über 100.000 EUR von Großunternehmen; dies ergibt sich aus einem Gegenschluss zu § 46f Abs. 4 Nr. 2 KWG; • sonstige Verbindlichkeiten aus Steuern sowie gegenüber den Sozialversicherungsträgern. Stufe 9 Auf Stufe 9 stehen gemäß § 46f Abs. 4 Nr. 2 KWG die entschädigungsfähigen Einlagen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 18 SAG (bzw. § 2 Abs. 4 Einlagensicherungsgesetz (EinSiG)) von Privatpersonen, Kleinstunternehmen, kleinen und mittleren Unternehmen,25 die über die Deckungsgrenze von 100.000 EUR hinausgehen (vgl. auch Art. 108 BRRD).

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Vgl. zur Abgrenzung Art. 2 Abs. 1 Nr. 107 BRRD i.V.m. Art. 2 Abs. 1 der Anlage der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission.

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Stufe 10 Stufe 10 betrifft einen Sonderfall. Im Insolvenzfall haftet für die gedeckten Einlagen bis zu 100.000 EUR das Einlagensicherungssystem. Für die Zwecke der Bail-in-Abwicklung werden die gedeckten Einlagen vollständig durch eine Art Super-Privileg (§ 91 Abs. 2 Nr. 1 SAG) aus der Bail-in-Haftungskaskade herausgenommen. An deren Stelle soll nunmehr eine Kostenbeteiligung des Einlagensicherungssystems in der Abwicklung treten. Wegen des dargestellten Super-Privilegs ist die praktische Einbeziehung in der Bailin-Abwicklung freilich eher unwahrscheinlich. Mit dieser Maßgabe haftet das gesetzliche Einlagensicherungssystem nur für die Verluste des Instituts im Rahmen des Bail-in, die gemäß Art. 46 Abs. 1 Buchst. a BRRD von der Einlagensicherung zu tragen wären, wenn gedeckte Einlagen in den Anwendungsbereich des Bail-in einbezogen und in gleichem Umfang herabgeschrieben worden wären wie bei Gläubigern mit demselben Rang nach dem nationalen Insolvenzrecht. Einen Beitrag zu den Kosten der Rekapitalisierung des Instituts oder eines Brückeninstituts muss das Einlagensicherungssystem jedoch nicht leisten (Art. 46 Abs. 1 Buchst. b BRRD). Zum Schutz vor Überforderung des Einlagensicherungssystems muss die Einlagensicherung vor einer Einbeziehung in den Bail-in angehört werden. Ferner gilt eine Höchstgrenze der Inanspruchnahme. Die Haftung, oder positiv: der Sanierungsbeitrag, wird durch Zahlung eines Geldbetrages an das sich in Abwicklung befindliche Institut geleistet.

3.3 Von der Bail-in-Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten 3.3.1

Allgemeines

Die Diskussionen darüber, in welchem Umfang Rechtspositionen aus dem Anwendungsbereich des Bail-in ausgenommen sind, verliefen kontrovers.26 Am Ende der Verhandlungen stand ein Kompromiss. Bestimmte Kategorien von Verbindlichkeiten des Instituts dürfen hiernach auf keinen Fall einbezogen werden, sie bleiben also kraft Gesetzes vollständig und einschränkungslos aus dem Anwendungsbereich des Gläubigerbeteiligungsinstruments ausgeklammert. Der hierzu verfasste Katalog (§ 91 Abs. 2 SAG) ist eng gefasst und abschließend. Dies stärkt die Bestrebungen, eine gerechte Belastung der Gläubiger durch Verteilung der Nachteile auf möglichst viele zu erreichen und erhöht somit die Wirksamkeit des Bail-in-Instruments.

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Nachweise bei Geier, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 203 Rn. 435; Brandt/Ilgmann, in: Jahn/ Schmitt/Geier, S. 326 Rn. 41.

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Darüber hinausgehend besteht die Möglichkeit, im konkreten Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen einzelne (Kategorien von) eigentlich berücksichtigungsfähige(n) Verbindlichkeiten von den Wirkungen des Gläubigerbeteiligungsinstruments auszunehmen. Insoweit gilt jedoch eine hohe Rechtfertigungsschwelle. Denn Abweichungen von der eigentlich maßgeblichen „umgekehrten“ insolvenzrechtlichen Rangstufe haben nicht nur eine Mehrbelastung der verbleibenden Gläubiger zur Folge, sondern sie gehen zwangsläufig einher mit einer Ungleichbehandlung der Gläubiger. Gleichwohl können im Einzelfall Abweichungen von der Grundregel sinnvoll sein, wenn andernfalls das Gesamtziel einer stabilisierenden Abwicklung gefährdet würde.

3.3.2

Kraft Gesetzes von der Haftungskaskade ausgenommene Verbindlichkeiten

Außerhalb der Bail-in-Haftungskaskade stehen die in § 91 Abs. 2 SAG genannten Positionen, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Recht eines Mitgliedstaates oder eines Drittstaates unterliegen: • Einlagen, die der gesetzlichen Einlagensicherung unterliegen (§ 91 Abs. 2 Nr. 1 SAG); • besicherte Verbindlichkeiten27 einschließlich der besicherten Verbindlichkeiten aus gedeckten Schuldverschreibungen, soweit diese gedeckt sind (§ 91 Abs. 2 Nr. 2 SAG); dahinter dürfte die Einschätzung stehen, dass insolvenzrechtlich der Gläubiger über sein Absonderungsrecht geschützt ist. Dieser Schutz kann allerdings nicht weiterreichen als der Liquidationswert der Sicherheit. Im Umfang des überschießenden Teils handelt es sich trotz der damit einhergehenden Bewertungsschwierigkeiten also um eine berücksichtigungsfähige Verbindlichkeit.28 Umstritten ist, ob bereits die Absicherung durch eine persönliche Sicherheit wie etwa eine Garantie genügt.29 Jedenfalls bedarf es einer durch das Institut selbst gestellten Sicherheit, d.h. die Sicherheitsleistung eines Dritten reicht für den Anwendungsbereich der Ausnahmebestimmung nicht aus.30 Ausgenommen sind jedoch besicherte Derivate, wenn alle im Rahmenvertrag enthaltenen Finanzleistungen/Derivate vollständig auf Nettobasis besichert sind und bei Glattstellung/Kündigung keine bail-in-fähigen Verbindlichkeiten entstehen würden.31

27 28 29

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Vgl. zum Begriff Art. 2 Abs. 1 Nr. 67 BRRD. Ebenso Thole, ZRR 2016, 57, 62. Dagegen EBA in Abstimmung mit der insoweit involvierten Kommission, Question ID 2015_1779 v. 06.02.2015. EBA, Question ID 2015_1779 v. 06.02.2015; Geier, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 202 Rn. 419. Geier, in: Jahn/Schmitt/Geier, S. 206.

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• Verbindlichkeiten aus der Verwahrung von Kundenvermögen oder Kundengeldern, für die insolvenzrechtlicher Schutz in Form eines Aus- bzw. Absonderungsrechts besteht, einschließlich bestimmtes Kundenvermögen oder Kundengelder unter dem Kapitalanlagegesetzbuch (§ 91 Abs. 2 Nr. 3 SAG); • bestimmte Verbindlichkeiten aus einem Treuhandverhältnis zwischen einem Institut als Treuhänder und einer anderen Person als Begünstigter, sofern der Begünstigte im Insolvenzverfahren zur Aussonderung berechtigt wäre (§ 91 Abs. 2 Nr. 4 SAG); • Verbindlichkeiten gegenüber nicht gruppenangehörigen Instituten mit einer Ursprungslaufzeit von weniger als sieben Tagen (§ 91 Abs. 2 Nr. 5 SAG); diese Privilegierung schützt den realwirtschaftlich bedeutsamen, kurzlaufenden Interbankengeldmarkt. In Krisen ermöglicht sie, ohne ein latentes Bail-in-Risiko kurzfristig Kapital zu überlassen. • Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit von weniger als sieben Tagen gegenüber geschützten Systemen, deren Betreibern oder Teilnehmern, wenn diese Verbindlichkeiten aus einer Teilnahme an dem geschützten System32 resultieren (§ 91 Abs. 2 Nr. 6 SAG); • bestimmte Verbindlichkeiten • gegenüber Beschäftigten aufgrund ausstehender Lohnforderungen, Rentenleistungen oder anderer fester Vergütungen, ausgenommen variable Vergütungsbestandteile, die nicht tarifvertraglich geregelt sind,33 • gegenüber Geschäfts-und Handelsgläubigern aufgrund von Lieferung und Leistung, die für den laufenden Geschäftsbetriebs des Instituts von wesentlicher Bedeutung sind, und • gegenüber den Einlagensicherungssystemen34 aus Beitragspflichten (§ 91 Abs. 2 Nr. 7 SAG).

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33

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Vgl. Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.05.1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen (ABl. L 166, 45). Rückausnahme sind variable Vergütungsbestandteile von Trägern eines erheblichen Risikos, vgl. Art. 92 Abs. 2 CRD IV (ABl. L 176, 338). Vgl. Richtlinie 2014/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.04.2014 über Einlagensicherungssysteme (ABl. L 173, 149).

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3.3.3 3.3.3.1

Einzelfallausnahmen aufgrund Ermessensentscheidung Voraussetzungen

Ihre ermessensabhängige, einzelfallbezogene Ausnahmeentscheidung darf die Abwicklungsbehörde nur ausüben, wenn gemäß § 92 SAG einer oder mehrere der nachfolgenden Umstände eingetreten sind: • Für die betreffende Verbindlichkeit ist eine zeitnahe Anwendung trotz angemessener Bemühungen nicht möglich (§ 92 Abs. 1 Nr. 1 SAG), weil bspw. besondere Bewertungsschwierigkeiten bestehen.35 Damit wird anerkannt, dass im Einzelfall der Geschwindigkeit einer Abwicklungsentscheidung höhere Bedeutung zukommt als dem Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger. Als Anwendungsbeispiel kommen ggf. unbesicherte Derivate in Betracht, bei denen sich die nach Kündigung/Glattstellung (§ 93 SAG) verbleibende Verbindlichkeit kaum zeitnah bewerten lässt. • Die Herausnahme einer eigentlich berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeit aus einem Bail-in muss im Einzelfall zwingend notwendig und verhältnismäßig bzw. angemessen36 sein, um die Fortführung der kritischen Funktionen und wesentlichen Geschäftsaktivitäten sicherzustellen (§ 92 Abs. 1 Nr. 2 SAG). • Die Herausnahme ist zwingend notwendig und verhältnismäßig bzw. angemessen,37 um die Gefahr einer Ansteckung zu vermeiden, die das Funktionieren der Finanzmärkte so stören würde, dass dies die Wirtschaft eines EU-Mitgliedstaates oder der gesamten EU erheblich beeinträchtigen könnte (§ 92 Abs. 1 Nr. 3 SAG).38 • Die Anwendung des Bail-in auf diese Verbindlichkeiten würde zu einer Wertvernichtung führen, bei der die von anderen Gläubigern zu tragenden Verluste höher wären als bei Herausnahme dieser Verbindlichkeiten aus dem Bail-in (§ 92 Abs. 1 Nr. 4 SAG). Diese Umstände sind letztlich aus den Abwicklungszielen (§ 67 SAG) entwickelt. Die Regelung besagt damit letztlich, dass einzelfallbezogene Ausnahmen nur möglich und zulässig sind, wenn andernfalls die Erreichung der Abwicklungsziele in einem erheblichen

35 36

37

38

Vgl. BT-Drucks. 18/2575, S. 174. Gemäß SAG ist Verhältnismäßigkeit erforderlich, während BRRD bzw. SRM-Verordnung Angemessenheit ausreichen lassen. Gemäß SAG ist Verhältnismäßigkeit erforderlich, während BRRD bzw. SRM-Verordnung Angemessenheit ausreichen lassen. Vgl. Binder, ZHR 179 (2015), 83, 114 zur Anwendung auf Finanzkontrakte, Wertpapierdarlehen und Wertpapierpensionsgeschäften.

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Maße gefährdet wäre.39 Einzelheiten, die diese Kriterien nochmals spezifizieren und dabei den Ausnahmecharakter betonen, führt die Delegierte Verordnung (EU) 2016/860 der Kommission vom 04.02.2016 aus.40 Um dem Ausnahmecharakter nochmals Rechnung zu tragen, soll die Abwicklungsbehörde bei ihrer einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung zusätzlich bestimmten Umständen Rechnung tragen (§ 92 Abs. 2 SAG). Diese weisen insbesondere auf die Konsequenzen der Ausnahmeentscheidung hin und werfen somit im Sinne einer Warnleuchte die Frage auf, ob die Konsequenzen einer Ausnahmeentscheidung auch hinreichend bedacht sind. • Zunächst soll die Abwicklungsbehörde sich nochmals vergewissern, dass Verluste in erster Linie von den Anteilseignern und dann grundsätzlich von den Gläubigern des in Abwicklung befindlichen Instituts entsprechend ihrer Rangfolge zu tragen sind. Die Abwicklungsbehörde soll sich also nochmals vor Augen führen, dass sie einen sehr wichtigen Grundsatz einschränkt. • Ferner soll die Abwicklungsbehörde die Verlustabsorptionskapazität betrachten, über die das in Abwicklung befindliche Institut noch verfügen würde, wenn die Verbindlichkeit oder Kategorie von Verbindlichkeiten ausgeschlossen würde (vgl. dazu nachfolgend). • Schließlich soll die Aufsichtsbehörde das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Abwicklungsfinanzierung im Auge behalten. Schließlich verpflichtet § 92 Abs. 3 SAG die Abwicklungsbehörde, die beabsichtigte Einzelfallentscheidung vorab der Kommission zu melden. Vor dem geschilderten Hintergrund muss regulatorisch schon im Rahmen der Abwicklungsplanung sowie bei Festlegung der MREL-Quote (vgl. Abschnitt 4) überprüft werden, ob und inwieweit im Einzelfall eine Ausnahmeentscheidung sinnvoll erscheint.

3.3.3.2

Auswirkungen

Die vollständige oder teilweise Herausnahme von eigentlich berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten oder gar Kategorien hiervon aus der konkreten Anwendung des Bailin hat zur Folge, dass der entsprechende Betrag an Verlustabsorption bzw. Rekapitalisierung auf die übrigen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten übergewälzt wird. Insoweit gilt jedoch weiterhin als Grenze das NCWO-Prinzip. Die betroffenen Gläubiger dürfen also nicht im Vergleich zu einer (hypothetisch) zu erwartenden Insolvenzquote schlechter gestellt werden.

39 40

186

Vgl. BT-Drucks. 18/2575, S. 174. ABl. L 144/11.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick

3.3.4 3.3.4.1

Zugriff auf Mittel aus dem Restrukturierungsfonds Grundsatz

Außerhalb des Bail-in ist eine Heranziehung des Restrukturierungsfonds, um Verluste eines Instituts auszugleichen oder das Institut zu rekapitalisieren, unzulässig. Hierdurch wird nochmals unterstrichen, dass das wirtschaftliche Risiko des Instituts primär bei den Anteilsinhabern wie bei den Gläubigern liegt.

3.3.4.2

Ausnahme: Auffanglösung beim Bail-in

Ausnahmsweise, nämlich bei einer vorgenannten Ausnahmeentscheidung betreffend die Einbeziehung von eigentlich berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten in die Gläubigerbeteiligung, kommt eine Unterstützung durch den Restrukturierungsfonds für die Zwecke der Verlustabsorption bzw. der Rekapitalisierung in Betracht (§ 94 SAG). Es handelt sich dabei um eine Art Auffanglösung, die ihrerseits verschiedenen Beschränkungen unterliegt. Die Beteiligung des Fonds besagt, dass nicht nur Anteilsinhaber und Gläubiger des konkreten Instituts herangezogen werden, sondern zudem auch der Bankensektor als solcher, der den Restrukturierungsfonds maßgeblich finanziert.

3.3.4.3

Voraussetzungen des Ausnahmefalls

Eine Unterstützung im vorgenannten Sinne setzt zunächst voraus, dass die Fehlbeträge infolge der Ausnahmeentscheidung nicht vollständig in anderer Weise, also durch einen erhöhten Umfang der Herabschreibung und Umwandlung anderer berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten, ausgeglichen werden können. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn eine weitere Heranziehung von Gläubigern Ansteckungseffekte zur Folge haben könnte und damit das Gesamtziel der Abwicklung gefährden würde. Zum zweiten müssen die Inhaber von Eigenmittelinstrumenten und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten durch Herabschreibung, Umwandung oder auf andere Weise schon einen Fehlbetrag in Höhe von mindestens 8% der Summe aus Verbindlichkeiten und Eigenmitteln ausgeglichen haben (§ 94 SAG). Erst bei Überschreiten dieser Mindestverlustbeteiligung im Sinne einer Eintrittshürde besteht Zugang zu den Mitteln des Fonds. Maßgeblich ist insoweit die abschließende Bewertung. Noch keine Klarheit herrscht über die Konsequenzen, wenn sich nach Inanspruchnahme der Mittel aus dem Fonds aufgrund einer vorläufigen Bewertung herausstellt, dass die Mindesteintrittshürde eigentlich noch gar nicht erreicht war. Vieles spricht dann für eine Rückführungspflicht.

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Stephan Kolmann

3.3.4.4

Umsetzung der Beteiligung des Restrukturierungsfonds

Aber auch wenn die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, stehen die Mittel des Fonds nicht im unbegrenzten Umfang zur Verfügung. Es gilt vielmehr eine Höchstgrenze: Im Regelfall darf die Summe der aus dem Restrukturierungsfonds zu leistenden Zahlungen 5% der Summe aus Verbindlichkeiten und Eigenmitteln nicht überschreiten (§ 94 SAG). Allerdings können im Anschluss Mittel aus alternativen Finanzierungsquellen angestrebt werden. Der Fonds kann dabei entweder an der Verlustabsorption teilnehmen, um den Ausfall der ausgenommenen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten auszugleichen, um dadurch den Nettovermögenswert des in Abwicklung befindlichen Instituts wieder auf null zu bringen. Der Fonds kann aber auch selbst Eigentumstitel oder Kapitalinstrumente erwerben, um das Institut zu rekapitalisieren. Unter außergewöhnlichen Umständen kann eine Unterstützung auch aus alternativen Finanzierungsquellen geleistet werden. Ergänzend ist denkbar, dass der Fonds im Rahmen seines allgemeinen Auftrages Mittel zur Verfügung stellt, bspw. durch die Gewährung von Darlehen zur Liquiditätsunterstützung des sich in Abwicklung befindlichen Instituts. Den Charakter einer Entschädigungsleistung für die übrigen Gläubiger hat eine derartige Unterstützung in keinem Falle (§ 7a Restrukturierungsfondsgesetzes (RStrFG)); denn sie sind bereits durch die Geltung des NCWO-Prinzips hinreichend geschützt. Vielmehr geht es darum, die Verlusttragungsfähigkeit und Rekapitalisierung des Instituts auch sicherzustellen, wenn dafür aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls keine anderen Alternativen zur Verfügung stehen.41

3.4 Bewertungsfragen Im Rahmen des Abwicklungsinstruments Bail-in kommt der Bewertung des Instituts in vielfacher Hinsicht elementare Bedeutung zu. Um dieser Bedeutung besser gerecht werden zu können, muss die Bewertung durch eine natürliche oder juristische Person erfolgen, die nicht nur über die für eine solche Bewertung notwendigen Qualifikationen in hinreichendem Maße verfügt. Zudem muss diese Person sowohl von der Abwicklungsbehörde wie vom Institut unabhängig sein und durch ein Gericht bestellt werden (§§ 70, 146 SAG).

41

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BT-Drucks. 18/2575, S. 200.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick

Die Bewertung entscheidet nicht nur darüber, ob die Eintrittshürden für die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten im Allgemeinen überhaupt erreicht sind (Level-I-Bewertung (§ 71 Nr. 1 SAG)). Die Bewertung dient zudem den in § 71 SAG festgelegten Zielen, um bspw. bei einer Unternehmensveräußerung die zu übertragenden Vermögenswerte zu bestimmen (§ 71 Nr. 6 SAG). Im Hinblick auf einen Bail-in gibt sie – gemeinsam mit den regulatorischen Zulassungsvoraussetzungen – auch den Umfang der notwendigen Eingriffsintensität vor (§ 71 Nr. 3 und 4 SAG). Denn die Eingriffsintensität fällt umso tiefer aus, je größer die Vermögensunterdeckung ist. Somit zählt die Bewertung – bezogen auf den Zeitpunkt der Vornahme der Abwicklungsmaßnahme – in Verbindung mit der Verlustursachenanalyse u.a. zu den zentralen Kriterien, ob und inwieweit der Bail-in für den konkreten Abwicklungsfall überhaupt ein geeignetes Instrument darstellt (Level-II-Bewertung (§ 71 Nr. 2 SAG)). Kann eine abschließende, vollumfängliche Bewertung wegen Dringlichkeit der Abwicklungsentscheidung nicht abgewartet werden, genügt im Sinne der Verfahrensbeschleunigung als Entscheidungsgrundlage auch eine vorläufige Bewertung (§ 74 SAG), die dann im Anschluss fertiggestellt wird. Auf dieser Grundlage können sich Nennwerte von herabgeschriebenen Forderungen oder auch Kapitalinstrumenten im Nachhinein wieder erhöhen (§ 75 Abs. 4 Nr. 1 SAG). Diese Level-II-Bewertung entscheidet auch, ob die für eine Unterstützung des Restrukturierungsfonds maßgeblichen Hürden erreicht sind. Ferner ist die Bewertung des Instituts bzw. die Befriedigungserwartung in einem hypothetischen regulären Insolvenzverfahren die referenzielle Grundlage, um einerseits nach Maßgabe der Haftungskaskade die wirtschaftliche Anteilhabe am Institut festzustellen. Andererseits folgt erst aus einer solchen Vergleichsbetrachtung, ob der jeweilige Anteilsinhaber bzw. Gläubiger in einem solchen Insolvenzverfahren besser gestellt worden wäre als durch das Bail-in-Instrument im Rahmen der Abwicklung (Level-III-Bewertung (§ 146 SAG)). Die Level-III-Bewertung dient insbesondere dem Gläubigerschutz und zielt auf die Prüfung ab, ob dem Betroffenen ein wirtschaftlicher Ausgleichsanspruch zusteht. Die Level-III-Prüfung muss deshalb getrennt von der Level-II-Bewertung durchgeführt werden (§ 75 Abs. 2 SAG); regulatorisch sprechen keine Einwände dagegen, die Prüfung durch dieselbe Person durchführen zu lassen. Bei einem Verstoß gegen das Prinzip des NCWO hat der Betroffene einen Anspruch auf Entschädigung aus dem Restrukturierungsfonds (§ 147 SAG). Eine (Teil-)Aufhebung der angeordneten Abwicklungsmaßnahme kann der Betroffene nicht erreichen. Auch wenn die Bewertungszeitpunkte jeweils unterschiedlich sind und diese im Detail zu erheblichen Unterschieden führen könnten, zeigen die vorstehend skizzierten Zwecke schon, dass es im Hinblick auf den Bewertungsmaßstab auf den stichtagsbezogenen „wahren wirtschaftlichen Wert“ ankommen muss. Dies bedeutet, die vorhandenen Ver-

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mögenswerte fair und realistisch zu bewerten, wobei aus Vorsichtsgründen auch Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten einzubeziehen sind. Die Bewertung muss also jegliche Verluste, auch außergewöhnliche Belastungen, eines Instituts zum Zeitpunkt der Anwendung der Abwicklungsmaßnahme vollständig erfassen (§§ 71 Nr. 8, 72, 74 Abs. 3 SAG). Über die Gewinn- und Verlustrechnung wirken sie sich unmittelbar auf die Kapitalposition des Instituts aus.42 Es kann sich ergeben, dass infolge der Bewertungskriterien und der sich daraus ergebenden Verluste die Kapitalposition auf null heruntergesetzt ist. Eine sich aus der Neubewertung ergebende Verlustposition kann ebenso wenig wie historische Verluste zur Erfüllung der Mindest-Bail-in-Quote herangezogen werden.43 Das zu unterstellende Szenario ist nach hier vertretener Auffassung eine hypothetische Liquidation (einschließlich der Möglichkeit einer übertragenden Sanierung bei realistischer Aussicht auf einen Drittinvestor) im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens, so dass Liquidationswerte anzusetzen sind. Denn nur auf dieser Grundlage, die auch anfallende, die Verteilungsmasse schmälernde Masseverbindlichkeiten einschließlich Verfahrenskosten (§§ 54, 55 InsO) einbeziehen muss, ergibt sich eine realistische Referenzgröße für die Anwendung der NCWO-Regel, die aber erst (und praktisch ex post) im Rahmen der Level-III-Bewertung überprüft wird. Die Prüfung muss sich richtigerweise auf denselben Zeitpunkt beziehen, in dem über die Verlustbeteiligung entschieden wird. Die European Banking Authority (EBA) erarbeitet technische Regulierungsstandards im Hinblick auf die Bewertung für Abwicklungszwecke sowie die Bewertung einer unterschiedlichen Behandlung.44

3.5 Bail-in-Betrag, Umwandlungsquote Der hier verwendete Begriff des Bail-in-Betrags bezeichnet den Betrag, den es erfordert, um in Abhängigkeit vom Abwicklungsansatz den Nettovermögenswert des sich in Abwicklung befindlichen Instituts zunächst auf Null zu heben und dann im Anschluss die erforderliche Kernkapitalquote nach Maßgabe der regulatorischen Zulassungsvoraussetzungen zu erreichen (§§ 96, 97 SAG), entweder durch Wiederherstellung beim Institut oder durch Neuschaffung beim Brückeninstitut. Letztlich hängt der Bail-in-Betrag vom Umfang der Vermögensunterdeckung ab. Er lässt sich unmittelbar aus der Bewertung ableiten.

42

43 44

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Der Bewertung sind ein Bericht über die Finanzlage wie auch eine Bilanz des Instituts beizufügen (§ 73 SAG). Vgl. Erwägungsgrund 80 SRM-Verordnung. Vgl. EBA, Consultation Paper EBA/CP/2014/38.

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Bail-in und Verlustabsorption – Ein Überblick

Die Festlegung dieses Bail-in-Betrages durch die Abwicklungsbehörde geht der Anwendung des Bail-in-Instruments voraus. Der erforderliche Herabschreibungsanteil wird dann gemäß der dargelegten Verteilungsregeln entlang der Bail-in-Haftungskaskade verteilt. Ein zusätzlicher, über die reine Verlustabsorption und die Rekapitalisierungserfordernisse hinausgehender Betrag darf angesetzt werden, um ausreichendes Marktvertrauen in das in Abwicklung befindliche Institut sicherzustellen und es in die Lage zu versetzen, mittelfristig die Zulassungsvoraussetzungen weiterhin zu erfüllen. In welchem Umfang Kapitalinstrumente oder berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten der jeweiligen Bail-in-Haftungskaskade im konkreten Fall dann in hartes Kernkapital umgewandelt werden, ergibt sich aus der jeweiligen Umwandlungsquote, die sich an der Wertangemessenheit orientiert (§ 98 SAG).45 Für die Umwandlung können grundsätzlich nur die werthaltigen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten gemäß der Haftungskaskade verwendet werden, also diejenigen, die gemäß der Bewertung noch „im Geld“ sind. Innerhalb derselben Rangstufe sind die Betroffenen, soweit sich aus der Ausnahmevorschrift (§ 92 SAG) nichts Abweichendes ergibt, grundsätzlich gleich zu behandeln. Die Umwandlungsquote ergibt sich aus dem Verhältnis des anteiligen Wertes zum Nennbetrag. Die nicht werthaltigen Rechtspositionen sind – weil wertlos – einfach nur auf Null herabzuschreiben; mathematisch beträgt die Umwandlungsquote insoweit also Null.

4 Zusätzliche (regulatorische) Hinweise Offensichtlich handelt es sich bei dem Bail-in um ein sehr komplexes Abwicklungsinstrument. Diese Komplexität dürfte sich ungeachtet einer Vielzahl bislang ungeklärter Fragen46 durch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Trockenübungen allerdings reduzieren. Damit gemeint sind die auf eine Antizipation bzw. frühzeitige Befassung aus der Exante-Perspektive ausgerichteten Abwicklungspläne, welche die Abwicklungsbehörde für jedes Institut, das nicht Teil einer Gruppe ist, zu erstellen hat (§ 40 SAG). Auch wenn es nicht möglich sein wird, jede Einzelheit einer möglichen künftigen Entwicklung bzw. eines etwaigen Krisenszenarios zu bedenken und in die Notfallplanung einzubeziehen, hilft die vorherige gründliche, generalplanmäßig vorbereitete Befassung und Auseinandersetzung aller Voraussicht nach in erheblichem Umfang, im Sinne eines Notfall-

45 46

Vgl. hierzu die Leitlinien in EBA, Consultation Paper EBA/CP/2014/39. Völlig offen sind derzeit bspw. der steuerrechtliche Umgang mit den entstehenden Sanierungsgewinnen und das Zusammenspiel mit den europarechtlichen Beihilferegelungen.

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Stephan Kolmann

plans zumindest Rahmendaten und Strukturen für eine dann ggf. sehr kurzfristig zu treffende Entscheidung zu schaffen und zu erhalten.47 Wesentliche Aspekte im Rahmen dieser Antizipation sind die frühzeitige institutsbezogene Identifikation von kritischen Funktionen und wesentlichen Geschäftsaktivitäten, die Notwendigkeit, zeitnah über die für eine Bewertung notwendigen Informationen zu verfügen, sowie das frühzeitige Erkennen möglicher Abwicklungshindernisse, ob rechtlich oder tatsächlich. Für diese gilt es dann, entsprechende Lösungen zu finden (§§ 57 ff. SAG). Praktisch handelt es sich somit um einen iterativen Prozess. Hierbei treffen das Institut umfangreiche Mitwirkungs- und Informationszulieferpflichten (§§ 42 ff. SAG). Diese können sich dahingehend verdichten, dass das Institut selbst den Abwicklungsplan bzw. wesentliche Elemente hiervon erstellt und die Abwicklungsbehörde sich auf eine aktiv prüfende und coachende bzw. moderierende Rolle fokussiert. Für die konkrete Anwendung eines Bail-in kommt es dann schließlich darauf an, dass das Institut im Falle des Falles über ausreichend berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten verfügt. Der Regelungsgeber hat insoweit erkannt, dass ein Institut seine Passivseite nicht im Sinne einer Bail-in-Untauglichkeit strukturieren darf. Dementsprechend verpflichtet § 49 SAG das Institut, auf Verlangen der Abwicklungsbehörde einen Mindestbetrag an berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten vorzuhalten. Derartige Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilites (MREL))48 setzt die Abwicklungsbehörde institutsspezifisch nach den Leitlinien der EBA und auf Grundlage verschiedener Kriterien wie bspw. Größe, Geschäftsmodell, Refinanzierungsstruktur, Risikoprofil fest und prüft deren Einhaltung (§§ 49 ff. SAG).

47

48

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Vgl. zur Parallelproblematik der Überleitung eines Sanierungskonzepts in einen Insolvenzplan im Rahmen des Schutzschirmverfahrens Kolmann, Schutzschirmverfahren, Rn. 249 ff. Vgl. Art. 45 BRRD; bei den global systemrelevanten Banken verfolgt die Total Loss Absorbing Capacity (TLAC) dasselbe Ziel mit einem noch strengeren Maßstab.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 193 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-inInstruments Andreas Igl/Sven Warnecke

1 Einführung und aufsichtliche Rahmenbedingungen 2 Grundlegende Prinzipien für die Entwicklung eines Reorganisationsplans 2.1 Bewusstsein und Verpflichtung 2.2 Glaubwürdigkeit 2.3 Angemessenheit 2.4 Konsistenz 2.5 Überwachung und Überprüfung 3 Entwicklung eines Restrukturierungsplans – ein konzeptioneller Vorschlag 3.1 Instrumente und Voraussetzungen für die Entwicklung des Restrukturierungsplans 3.2 Inhalt und Entwicklungsprozess 3.2.1 WS1: Scenarios 3.2.2 WS2: Historical Performance 3.2.3 WS3: Measures 3.2.4 WS4: New Business Model 3.2.5 WS5: Alternative Business Model 3.2.6 WS6: Definition of reorganisation strategy 3.2.7 WS7: Supporting Actions 4 Berichterstattung während der Restrukturierungsperiode 5 Fazit und Ausblick Literatur

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1 Einführung und aufsichtliche Rahmenbedingungen Durch die Veröffentlichung der Abwicklungsanordnung legen die zuständigen Abwicklungsbehörden fest, welche Strategie sie bei der Abwicklung von krisenhaften Instituten grundsätzlich verfolgen. Zentraler Bestandteil dieser Allgemeinverfügung sind Angaben zu den eingesetzten Abwicklungsinstrumenten, zum betroffenen Institut, zum Abwicklungsstichtag sowie zum Vorliegen der Abwicklungsvoraussetzungen.1 Durch die Anwendung der im aktuellen Rechtsrahmen definierten Abwicklungsinstrumente entstehen unterschiedliche Anforderungen und Pflichten für die ausgefallenen Institute und für die Abwicklungsbehörden. Mit der Anwendung des Bail-in-Instruments verfolgen die Abwicklungsbehörden das Ziel, eine Rekapitalisierung des ausfallenden Instituts zu erwirken, damit eine Fortführung der Geschäftstätigkeiten grundsätzlich ermöglicht wird. Dies kann mit der Auswechslung der Geschäftsleitung einhergehen, falls die Beibehaltung der Geschäftsleitung nicht angebracht und für das Erreichen der Abwicklungsziele nicht erforderlich wäre.2 Nach Anwendung des Bail-in-Instruments ist jedoch auf jeden Fall eine Umstrukturierung des Instituts und seiner Geschäftstätigkeiten vorzunehmen, so dass die Ursachen des Ausfalls beseitigt werden. Grundlage über die Durchführung der Umstrukturierung bildet ein Geschäftsreorganisationsplan (auch: Reorganisationsplan oder Restrukturierungsplan). Dieser Plan ist von den betroffenen Instituten nach der Anwendung des Bail-in-Instruments innerhalb einer kurzen Frist von vier Wochen zu erstellen. Gemäß Art. 52 Abs. 4 Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) werden in einem Reorganisationsplan Maßnahmen festgelegt, deren Umsetzung die langfristige Existenzfähigkeit des Instituts, der Institutsgruppe oder von Teilen der Geschäftstätigkeiten des Instituts innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens wiederherstellen sollen. Die zugrunde liegenden Prämissen der geplanten Aktivitäten hinsichtlich Wirtschaftsund Finanzmarktbedingungen müssen realistisch, plausibel und konsistent sein. Der Reorganisationsplan umfasst grundsätzlich sowohl den aktuellen Ist-Zustand als auch die erwarteten zukünftigen Aussichten auf die Finanzmärkte. Zur Veranschaulichung der möglichen Ergebnisbandbreiten von Maßnahmen sind die Annahmen sowohl für den besten als auch für den schlechtesten Fall zu konkretisieren. Bspw. können hierzu Preisabschläge (Haircuts) für ein spezifisches Kredit- oder Bond-Portfolio unter normalen und gestressten Marktbedingungen angeführt werden. Zudem sind die Prämissen mit angemessenen branchenweiten Referenzwerten (Benchmarking) zu vergleichen.

1 2

Vgl. § 136 ff. SAG. Vgl. Erwägungsgrundsatz 69 der BRRD.

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Andreas Igl/Sven Warnecke

Die Analyse von Maßnahmen unter verschiedenen Szenarien fördert die Bewertung der Erfolgsaussichten sowie die Ableitung der damit verbundenen Erwartungshaltung an die langfristige Existenzfähigkeit. Die zentrale aufsichtsrechtliche Grundlage für die Erstellung, die Anforderungen, die Bewertung und die Umsetzung von Restrukturierungsplänen (nach Anwendung des Bailin-Instrumentes) bilden die §§ 102 bis 105 Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes (SAG). Gemäß § 102 Abs. 1 SAG ist die Geschäftsleitung des betroffenen Instituts verpflichtet, innerhalb eines Monats, nachdem das Instrument der Gläubigerbeteiligung durch die Abwicklungsbehörde angewandt geworden ist, einen Restrukturierungsplan zu erstellen.3 Dieser muss den Abwicklungsbehörden zur Genehmigung vorgelegt werden und den Anforderungen gemäß § 103 SAG entsprechen. Zum Zweck der Erstellung und Umsetzung eines Restrukturierungsplans kann die Abwicklungsbehörde einen oder mehrere Sonderverwalter gemäß § 87 SAG bestellen.4 Bei der Abwicklung einer Institutsgruppe ist der Restrukturierungsplan durch die Konzernobergesellschaft zu erstellen. Die nachgelagerten Tochterentitäten sind dabei zu integrieren. Im Rahmen von grenzüberschreitenden Abwicklungen sind die Restrukturierungspläne auch an die anderen betroffenen nationalen Abwicklungsbehörden (z.B. bei einem Tochterinstitut in Luxembourg an die Commission de Surveillance du Secteur Financier (CSSF) als nationale Abwicklungsbörde) sowie das Sinlge Resolution Board (SRB) in Brüssel zu übermitteln.5 Die Ausgestaltung eines Restrukturierungsplans wird durch § 103 SAG konkretisiert. Der Plan muss mindestens eine detaillierte Analyse der Ursachen und Umstände umfassen, aufgrund derer die Bestandsgefährdung eingetreten ist. Zudem ist eine Beschreibung der zu treffenden Maßnahmen, die die finanzielle Solidität und Überlebensfähigkeit wiederherstellen sollen, einschließlich der Folgen der Maßnahmen für die Arbeitnehmer aufzuführen. Ein Zeitplan für die Umsetzung dieser Maßnahmen ergänzt den Restrukturierungsplan.6 Zur Wiederherstellung der finanziellen Solidität und Überlebensfähigkeit des Instituts oder gruppenangehörigen Unternehmen können insbesondere folgende Maßnahmen gemäß § 103 Abs. 3 SAG zur Anwendung kommen:

3 4 5 6

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Vgl. § 102 Abs. 1 SAG. Vgl. § 102 Abs. 3 SAG. Vgl. § 102 Abs. 4 SAG. Vgl. § 103 Abs. 2 SAG.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 197 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

• Restrukturierung von Geschäftsaktivitäten; • Änderungen der operativen Systeme und der Institutsinfrastruktur; • Aufgabe von verlustbringenden Geschäftsaktivitäten; • Umstrukturierung bestehender Geschäftsaktivitäten, um deren Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen; • Veräußerung von Vermögenswerten oder Geschäftsbereichen. Gemäß § 104 Abs. 1 SAG bewertet die Abwicklungsbehörde in Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde den Restrukturierungsplan innerhalb eines Monats nach dessen Vorlage. Zentraler Bewertungsgegenstand ist hierbei die Wahrscheinlichkeit, dass die Fortführung der Geschäftstätigkeit des Instituts bei Umsetzung des Plans sichergestellt werden kann. Das Ergebnis der Bewertung kann in einer Genehmigung des Restrukturierungsplans münden, wenn die Behörden überzeugt sind, dass nach Umsetzung des Restrukturierungsplans die Fortführung der Geschäftstätigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sichergestellt ist.7 Sollten die Behörden mit der Ausgestaltung des Restrukturierungsplans nicht einverstanden sein, können sie vom Verfasser eine Nachbesserung einfordern. Diese hat spätestens zwei Wochen nach Erhalt der Mitteilung über die nicht erfolgte Annahme zu erfolgen.8 Die Pflicht zur Umsetzung des genehmigten Restrukturierungsplans kann sowohl bei der Geschäftsleitung des Instituts oder bei einem bestellten Sonderverwalter liegen. Die ausführenden Parteien müssen gemäß § 105 Abs. 1 SAG mindestens halbjährlich an die Abwicklungsbehörden einen Fortschrittsbericht liefern. Im Zeitverlauf der Umstrukturierung können sich aus verschiedensten Gründen Anpassungsnotwendigkeit für den Plan ergeben.9 Eine Aufforderung zur Anpassung des Plans muss ebenfalls von der Abwicklungsbehörde an die Geschäftsleitung oder den bestellten Sonderverwalter erfolgen. Darüber hinaus hat auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) verschiedene Papiere veröffentlicht, die die nationalen Anforderungen aus dem SAG motivieren und diese z.T. weiter konkretisieren. Bei dem „RTS on Business Reorganisation Plans”10 handelt es sich um einen technischen Regulierungsstandard, in dem die erforderlichen

7 8 9 10

Vgl. § 104 Abs. 1 SAG. Vgl. § 104 Abs. 2 und 3 SAG. Vgl. § 105 Abs. 2 SAG. Vgl. https://www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/recovery-and-resolution/regulatorytechnical-standards-on-business-reorganisation-plans.

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Andreas Igl/Sven Warnecke

Inhalte eines Restrukturierungsplans sowie die Elemente des Fortschrittberichts näher ausgeführt werden. In den „Guidelines on Business Reorganisation Plans“11 konkretisiert der europäische Standardsetzer die Methoden und Prozesse zur Bewertung des Restrukturierungsplans. Zudem umfasst diese Leitlinie weitergehende Informationen zur Bewertung der Glaubwürdigkeit von Annahmen sowie zur Ausgestaltung von spezifischen Indikatoren zur Performance-Messung des umstrukturierten Instituts. Beide genannten Papiere finden auch im konzeptionellen Vorschlag Berücksichtigung, der im Abschnitt 3 dieses Beitrags dargestellt wird. Ein Geschäftsreorganisationsplan ist grundsätzlich von den aufsichtsrechtlich geforderten Sanierungsplänen (Adressat: zuständige Aufsichtsbehörden) und von möglichen Umstrukturierungsplänen (Adressat: EU-Kommission) zu unterscheiden. Grundsätzlich sind zwar alle genannten Pläne durch das Institut oder die Institutsgruppe eigenständig zu erstellen sowie regelmäßig bzw. anlassbezogen zu aktualisieren, jedoch unterscheiden sie sich in ihrem inhaltlichen Fokus sowie der zeitlichen Anwendung. In Sanierungsplänen gemäß SAG und der Verordnung zu den Mindestanforderungen an Sanierungspläne für Institute und Wertpapierfirmen (MaSanV) bereiten Institute Handlungsoptionen vor, mit deren Hilfe sie eine krisenhafte Situation in den Bereichen Kapital, Liquidität, Profitabilität und Asset-Qualität vollständig eigenständig ohne Eingriff der Aufsichtsbehörden bewältigen können. Ein Institut im Sanierungszustand stellt somit die erste Eskalationsstufe im aufsichtlichen Krisenmanagement dar. Exemplarisch sei hier als übliche Handlungsoption die Erhöhung des Eigenkapitals durch die Eigentümer genannt. Einen Umstrukturierungsplan legt das betroffene Institut der EU-Kommission vor, wenn es gemäß dem gültigen Rechtsrahmen staatliche Beihilfen beziehen möchte. Kapitalerhöhungen bei einer Anstalt des öffentlichen Rechts (z.B. Landesbanken) fallen grundsätzlich unter den Tatbestand der staatlichen Beihilfe und führen somit zur Notwendigkeit eines Umstrukturierungsplans.12 Der Plan umfasst zudem Maßnahmen zur Beschränkung der Beihilfen sowie Maßnahmen zur Begrenzung von Wettbewerbsverzerrungen. Liegt für ein ausgefallenes Institut (vor Anwendung des Bail-in-Instruments) bereits ein Umstrukturierungsplan vor, so sind die Inhalte des Reorganisationsplans hinsichtlich der geplanten strategischen Ausrichtung möglichst konsistent zu formulieren (z.B. Run-down von Non-Core-Portfolien).13

11

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Vgl. https://www.eba.europa.eu/regulation-and-policy/recovery-and-resolution/guidelineson-business-reorganisation-plans. Gleichzeitig sind die verschiedenen Maßnahmen zur Erhöhung des Eigenkapitals jedoch auch als Handlungsoptionen im Sanierungsplan des öffentlich-rechtlichen Instituts aufgeführt. Vgl. § 103 Abs. 4 SAG.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 199 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

Aufbauend auf die Einführung zum Reorganisationsplan samt der aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen gliedert sich der vorliegende Beitrag in folgende Struktur: Abschnitt 2 stellt die grundlegenden Prinzipien für die Entwicklung eines Reorganisationsplans vor. Abschnitt 3 umfasst einen ausführlichen konzeptionellen Vorschlag zur Entwicklung eines Reorganisationsplans, Abschnitt 4 beschreibt kurz die notwendige Berichterstattung des betroffenen Instituts während einer Restrukturierung, bevor Abschnitt 5 einen Ausblick auf noch vorhandene Herausforderungen im Themenfeld Reorganisationsplan bietet.

2 Grundlegende Prinzipien für die Entwicklung eines Reorganisationsplans Die EBA hat Leitlinien für Mindestkriterien veröffentlicht, die durch einen Reorganisationsplan14 erfüllt werden müssen. Die Institute sollten daher die Mindestkriterien als Grundsätze verstehen, die bei der Entwicklung von Reorganisationsplänen durch die verantwortlichen Experten der Banken zu berücksichtigen sind. Die Definition von prinzipienbasierten Mindestkriterien unterstützt die Banken zudem dabei, dass die final erstellten Reorganisationspläne alle Anforderungen der Abwicklungsbehörde umfassend erfüllen. Im Folgenden werden daher die fünf zentralen Grundsätze in Form einer kurzen Zusammenfassung beschrieben und die Verbindung zu den detaillierten Absätzen in den Leitlinien hergestellt.

2.1 Bewusstsein und Verpflichtung15 Das Leitungsorgan oder die gemäß Art. 72 Abs. 1 der BRRD bestellten Verantwortlichen sollten zu jeder Zeit ein Bewusstsein über den Reorganisationsplan sowie die damit einhergehenden Verpflichtungen besitzen, die mit der Erstellung sowie einer Umsetzung des Plans einhergehen. Dies umfasst insbesondere: 1. Die uneingeschränkte Unterstützung der Inhalte des Reorganisationsplans samt der Verpflichtung zu einer notwendigen Umsetzung. 2. Die Auswahl von einem oder mehreren Unternehmensbereichen, die für die Umsetzung des Reorganisationsplans sowie die Berichterstattung an die Geschäftsleitung verantwortlich sind.

14 15

EBA/GL/2015/21. Vgl. Title 2, Chapter 1 EBA/GL/2015/21.

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Andreas Igl/Sven Warnecke

3. Das Bemühen des Leitungsorgans oder der verantwortlichen Bereiche um eine Zusammenarbeit und Unterstützung durch die wichtigsten internen und externen Interessengruppen. Dies umfasst bspw. den Aufsichtsrat oder die zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden außerhalb der EU, sollte das Institut dort eine Niederlassung unterhalten.

2.2 Glaubwürdigkeit16 Die Glaubwürdigkeit ist einer der Hauptaspekte eines Reorganisationsplans. Sollten die Behörden und der Finanzmarkt Zweifel daran haben, dass das Institut seine Überlebensfähigkeit durch die Maßnahmen wieder erlangen kann, ist der Reorganisationsplan nicht durchführbar. Aus diesem Grund müssen unterschiedliche Prinzipien Berücksichtigung finden: • Der Reorganisationsplan sollte zeigen, wie das Institut seine langfristige Rentabilität wiederherstellen kann. Diese Analyse muss auf glaubwürdigen Annahmen, einer szenariobasierten Untersuchung sowie geeigneten (idealerweise quantitativen) Indikatoren basieren. Darüber hinaus sollten alle Annahmen und Indikatoren einem Vergleich mit branchenweiten Benchmarks, relevanten Institutionen aus der Peer Group sowie historischen Entwicklungen standhalten. • Die bei der Reorganisation berücksichtigten Risiken sollten mit den von den zuständigen Behörden identifizierten Risiken übereinstimmen. Zudem sollte der Reorganisationsplan so ausgestaltet werden, dass unter keinen Umständen eine weitere Anwendung von Abwicklungsinstrumenten notwendig wird. Darüber hinaus sollte der Reorganisationsplan nachweisen, dass das Institut die Eigenkapitalanforderungen gemäß Capital Requirements Directive IV (CRD IV)/Capital Requirements Regulation (CRR) erfüllen kann. Zudem muss das aus der Reorganisation hervorgehende ggf. neue Institut einer Geschäftsmodellanalyse standhalten, wie sie im Rahmen des einheitlichen Bewertungs- und Überprüfungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process (SREP)) der Aufsicht vorgesehen ist.

2.3 Angemessenheit17 Der Reorganisationsplan sollte in Bezug auf die Lage des Instituts und die Lage auf den Finanzmärkten angemessen sein. Die von der Institution durchgeführte Analyse, die

16 17

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Vgl. Title 2, Chapter 2 EBA/GL/2015/21. Vgl. Title 2, Chapter 3 EBA/GL/2015/21.

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Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

beschreibt, welche Auswirkungen die Krise ausgelöst haben und wie sich das externe Umfeld (die Finanzmärkte) entwickeln wird, sollte mit der Beurteilung der Entscheidung und der zuständigen Behörde übereinstimmen. Der Reorganisationsplan muss auch mögliche Hindernisse, vorhandene Abhängigkeiten, die Lage auf den relevanten Märkten sowie das Interesse der Marktteilnehmer berücksichtigen. Darüber hinaus sollte die im Reorganisationsplan genutzte Bewertung sorgfältig, zuverlässig und realistisch sein. Auf der anderen Seite sollte der Reorganisationsplan so kurz wie möglich sein, auch wenn umfangreiche Informationen zur geplanten langfristigen Rentabilität unter verschiedenen marktspezifischen Szenarien aufzunehmen sind.

2.4 Konsistenz18 Der Reorganisationsplan sollte mit anderen Geschäftsplänen übereinstimmen, die von der Konzernobergesellschaft oder ihren Tochterinstituten erstellt wurden. Maßnahmen, die bereits im Sanierungsplan aufgeführt wurden, können nur dann in den Abwicklungsplänen zur Anwendung kommen, wenn sie in der Zeit vor der Anwendung des Bail-in-Instruments nicht bereits genutzt worden sind. Zu keinem Zeitpunkt sollten die in den Art. 31 und 34 der BRRD festgelegten Abwicklungsziele und -prinzipien konterkariert werden.

2.5 Überwachung und Überprüfung19 Die definierten Maßnahmen und Meilensteine sollten konkret genug sein, um eine hinreichende Berichterstattung durch das Institut zu ermöglichen. Zudem muss es den Abwicklungsbehörden ermöglicht werden, eine Entscheidung über die ordnungsgemäße Umsetzung des Plans vorzunehmen.

3 Entwicklung eines Restrukturierungsplans – ein konzeptioneller Vorschlag Eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung eines Reorganisationsplans ist die kurze Zeitspanne, die für die Ableitung und Dokumentation eines neuen zukunftsfähigen Geschäftsmodells zur Verfügung steht. Dieser Abschnitt beschreibt daher den

18 19

Vgl. Title 2, Chapter 4 EBA/GL/2015/21. Vgl. Title 2, Chapter 5 EBA/GL/2015/21.

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Prozess und die Werkzeuge für die Entwicklung eines Restrukturierungsplans. Es ist in zwei Unterabschnitte unterteilt. Der erste Teilabschnitt beschreibt die für das Institut spezifischen Annahmen und Methoden, die bei der Entwicklung des Plans grundsätzlich berücksichtigt werden sollten. Der zweite Teilabschnitt beschreibt einen Zeitplan für die Entwicklung des Restrukturierungsplans. Dieser Prozess umfasst die konkreten Aufgaben während des vierwöchigen Erstellungszeitraums sowie die dafür notwendigen Arbeitsschritte.

3.1 Instrumente und Voraussetzungen für die Entwicklung des Restrukturierungsplans Neben quantitativen Informationen über die aktuelle Lage des Instituts oder der Institutsgruppe können die Prämissen des aktuellen Geschäftsmodells als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Restrukturierungsplans dienen. Erfolgt eine Betrachtung der Gründe, die zum Ausbruch der Unternehmenskrise und schlussendlich zum Ausfall des Instituts geführt haben, könnte die Gültigkeit einiger der ursprünglich formulierten Annahmen als nicht mehr valide gelten. Diese sollten sowohl einzeln als auch in Kombination auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft werden. Als Ausgangspunkt für diese Bewertung kann zunächst die letzte verabschiedete Geschäftsstrategie dienen, da sie c.p. das aktuellste Strategiedokument des Instituts oder der Institutsgruppe darstellt. Die im Entwicklungsprozess eingesetzten Werkzeuge sollten grundsätzlich an die Instrumente des regulären Strategieprozesses gemäß Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) angelehnt werden, da es sich hierbei einerseits um bereits etablierte Methoden handelt und andererseits infolge des hohen Zeitdrucks eine Einführung von neuen Werkzeugen nur sehr schwierig realisierbar ist. Etablierte Vertreter von derartigen Instrumenten am Markt sind insbesondere: • Zusammenfassung aktueller Markttrends, Veränderungen des Umfelds sowie innovative Chancen und Implikationen für das betroffene Institut; • Definition von strategischen Ideen (unter Berücksichtigung von Chancen/RisikoRadar); • Abgleich der neuen Ideen mit dem ggf. bereits vorhandenen Ideenspeicher; • Bewertung von Ideen aufgrund der Auswirkungen auf das Institut (unter Berücksichtigung von Chancen/Risiko-Radar); • Ideen unter Berücksichtigung von Szenarien überprüfen; • Entwicklung und detaillierte Ausarbeitung von konkreten Ideen zu Initiativen; • Bewertung von Initiativen und abschließende Entwicklung von neuen Business Cases.

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Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

Der Einsatz der strategischen Instrumente sollte in enger Abstimmung mit den für die Abwicklung verantwortlichen Behörden und Institutsvertretern erfolgen.

3.2 Inhalt und Entwicklungsprozess Der folgende Abschnitt beschreibt den Inhalt der Arbeitsschritte (Workstreams (WS)) und den Entwicklungsprozess eines Reorganisationsplans. Dieser Prozess basiert auf dem EBA/RTS/2015/12. Zunächst wurden die verschiedenen verpflichtenden Inhalte, die im RTS benannt wurden, in thematische Arbeitsabläufe unterteilt. Diese einzelnen Arbeitsschritte und ihre Inhalte wurden im weiteren Verlauf detailliert beschrieben. Basierend auf den definierten Arbeitsschritten wurde ein Flussdiagramm (Abbildung 1) erstellt. Abbildung 1: Ablaufdiagramm des Entwicklungsprozesses eines Restrukturierungsplans Week Week 1

Chapter to be finished

Workstream Workstream 1: Scenarios Workstream 2: Historical Performance

Week 2

Chapter 1 „Analysis of the current situaon“

Week 3

Workstream 7: Supporng Acons

Workstream 3: Measures Workstream 4: New Business Modell Workstream 5: Alt. Business Modell

Week 4

Chapter 2 „Descripon of measures“

Chapter 3 „Reorganized business model“ Workstream 6: Reorganisaon strategy

Chapter 4 „Timeline“

Das Diagramm teilt den Prozess der Entwicklung des Restrukturierungsplans in sieben verschiedene Workstreams auf: 1. Szenarien (WS1: Scenarios); 2. historische Leistungsfähigkeit des Instituts (WS2: Historical Performance); 3. Maßnahmen (WS3: Measures); 4. neues Geschäftsmodell (WS4: New Business Modell); 5. alternatives Geschäftsmodell (WS5: Alternative Business Modell);

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6. Strategie zur Reorganisation (WS6: Reorganisation Strategy); 7. unterstützende Aktivitäten (WS7: Supporting Actions). Nach Abschluss des Workstreams 6 sollte der endgültige Reorganisationsplan vollständig entwickelt sein. Workstream 7 enthält zudem unterstützende Maßnahmen, die während der Entwicklung des Reorganisationsplans vorbereitet und im Umsetzungsprozess verfolgt werden müssen. Im Folgenden werden die Inhalte und Ziele der verschiedenen Workstreams näher beschrieben.

3.2.1

WS1: Scenarios

Abbildung 2: Flussdiagramm für Workstream 1 Workstream 1: Scenarios

Future Macro Economic Developments

Idenficaon of a Base Scenario

Altering to Best/ Worst Case Scenarios

Chapter 1.2 „Scenarios“

Future Market Developments Reconciliaon with authority expectaons

Der RTS 2015/12 der EBA fordert die Institution auf, ein Basisszenario (Baseline-Szenario) zu entwickeln. Unter diesem Baseline-Szenario soll das Institut den Reorganisationsplan entwickeln und dokumentieren. Das Basisszenario muss um zwei weitere Szenarien, ein Best- und ein Worst-Case-Szenario, ergänzt werden. Das Flussdiagramm in Abbildung 2 beschreibt die detaillierten Schritte in WS1 für die Entwicklung der Szenarien. Ausgangspunkt hierfür bildet die erwartete zukünftige Entwicklung von zentralen makroökonomischen Variablen sowie die Situation an den Finanzmärkten. Diese Basis kann um eine Schätzung der Entwicklung auf den Warenmärkten ergänzt werden, sollten die Märkte für das Geschäfts- und Risikoprofil des Instituts relevant sein. Basierend auf diesen Erwartungen kann das Basisszenario abgeleitet werden. Anschließend muss das Basisszenario um weitere Annahmen erweitert werden, um ein Best- und Worst-CaseSzenario zu identifizieren.

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Diese Szenarien stellen keine vollumfänglichen, eigenständigen Szenarien dar, sondern beinhalten nur Änderungen des Basisszenarios.20 Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die erstellten Szenarien mit marktüblichen Benchmarks und der Erwartung der Behörden hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung übereinstimmen. Folglich findet eine Harmonisierung der Szenarien statt. Durch diesen Arbeitsschritt ist der erste Teilabschnitt des ersten Kapitels im Restrukturierungsplan abgeschlossen.

3.2.2

WS2: Historical Performance

Abbildung 3: Flussdiagramm für Workstream 2 Workstream 2: Historical Performane

Collecon of historical numbers for KPIs for each business line

Qualitave descripon of the events led to the crisis

Merger of quantave and qualitave informaons

Reconciliaon with effects of the Bail in

Situaon of the instuons pre-Bail in

Chapter 1.1 „Historical performance“

Situaon of the instuon post-Bail in

Descripon of crisis prevenon measures before resoluon

Der zweite Arbeitsschritt umfasst eine qualitative und quantitative Beschreibung und Analyse der Ereignisse, die zur Abwicklung des Instituts geführt haben (Abbildung 3). Zu Beginn können drei verschiedene Aufgaben unabhängig voneinander bearbeitet werden: • Sammlung historischer Entwicklungen von Key Performance Indicators (KPIs): Die Entwicklung der KPIs muss dargestellt werden. Es sollten mindestens Daten für die letzten drei Jahre vorhanden sein. Im Jahr vor der Abwicklung sollten die Daten auf vierteljährlicher Basis verfügbar sein. Der Detaillierungsgrad sollte mindestens auf der Ebene der Geschäftsfelder liegen. Zudem werden auch aggregierte KPIs für Entitäten oder die Institutsgruppe benötigt. • Qualitative Beschreibung der Ereignisse: Zusätzlich zu den quantitativeren Zeitreihen der KPIs sollte eine qualitative Beschreibung der Ereignisse, die zur Krise geführt

20

Aus Gründen der Lesbarkeit werden das Basisszenario und das Basisszenario mit Best- und Worst-Case-Annahmen als „drei Szenarien“ bezeichnet.

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haben, erstellt werden. Die Beschreibung sollte die Auswirkungen enthalten, die zu der Abwicklung geführt haben. Hierfür kann eine Analyse auf Basis der einzelnen Geschäftsfelder durchgeführt werden, um bereits zu identifizieren, ob die nicht vorhandene Überlebensfähigkeit des Instituts auf ein einziges Geschäftsfeld reduziert werden kann. • Krisenpräventionsmaßnahmen: Diese Aufgabe enthält eine Beschreibung, welche Maßnahmen bereits vor der Abwicklungsanordnung getroffen wurden. Wenn Maßnahmen aus dem Sanierungsplan angewandt wurden, ist eine Beschreibung der Auswirkungen erforderlich. Diese Beschreibung sollte auch Informationen enthalten, warum die veranlassten Maßnahmen (noch) nicht erfolgreich waren. Falls weitere Krisenpräventionsmaßnahmen ergriffen wurden, sollten diese ebenfalls beschrieben werden. Die Informationen dieser drei Aufgaben werden in einem gesonderten Arbeitsschritt zusammengefasst, um eine ganzheitliche Sicht auf die Situation des Instituts vor Nutzung des Bail-in-Instruments zu gewinnen. Dies resultiert in einem weiteren Abschnitt des Reorganisationsplans. Es beschreibt die Ereignisse und die Situation des Instituts oder der Institutsgruppe vor dem Abwicklungszustand. Zusätzlich muss die Beschreibung der Situation des Instituts vor der Verwendung von Abwicklungsinstrumenten um die Auswirkungen der Nutzung des Bail-in-Instruments erweitert werden. Hierbei ist eine Beschreibung der Änderung der KPIs erforderlich, die durch die Anwendung des Bail-in-Instruments verursacht wurden. Der Fokus liegt dabei auf den Verbindlichkeiten des Instituts und der Höhe des neu geschaffenen Eigenkapitals. Folglich ist ein weiterer Teil des Plans abgeschlossen: die Beschreibung der Situation des Instituts nach der Anwendung des Bail-in-Instruments. In Verbindung mit der Analyse der Situation vor dem Bail-in schließt WS2 die Beschreibung der aktuellen Lage des Instituts ab. In Kombination mit WS1-Szenarien ist der erste Meilenstein in der Entwicklung des Restrukturierungsplans erreicht. Dieser Meilenstein stellt das erste Kapitel des Plans dar. Es sollte sowohl das Institut als auch die zuständigen Behörden befähigen, die aktuelle Situation der betroffenen Bank(engruppe) umfassend und ganzheitlich zu beurteilen.

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3.2.3

WS3: Measures

Abbildung 4: Flussdiagramm für Workstream 3 Workstream 3: Measures Analysis how to prevent a repion of the event

Idenficaon of measures to change operaonal systems or infrastructure Descripon of measures on a standardised template

IT, systems, infrastructure Chapter 1 „Analysis of current situaon“

Idenficaon of measures to... Reasons for resoluon

Analysis of remaining measures from recovery plan

…reorganise the acvies of the instuon

others Usage of idenficaon process from recovery plan

Chapter 2 „Descripon of measures“

…withdrawal fom lossmaking acvies …to restructure exisng acvies that can be made compeve …to sell assets or business lines

Gegenstand von Workstream 3 ist die Identifikation von verschiedenen Maßnahmen, die möglicherweise genutzt werden können, um die langfristige Überlebensfähigkeit des Instituts wiederherzustellen. Ausgangspunkt für diesen Arbeitsschritt bilden die Ergebnisse aus WS1 und WS2. Anhand der Beschreibung der aktuellen Situation und der Analyse der Ereignisse, die zur Krise geführt haben, werden unterschiedliche Maßnahmen identifiziert. In einem ersten Schritt müssen die Gründe für die Krise in zwei verschiedenen Gruppen zusammengefasst werden. Die erste Gruppe enthält Gründe, die dem Themengebiet IT-Systeme & Infrastruktur zugeordnet werden. Beispielhafte Gründe sind der Ausfall eines IT-Systems, fehlerhafte Überweisungen, die durch Fehler der Mitarbeiter usw. begründet werden. Gründe, die sich aus einer unangemessenen Risikobereitschaft oder dem Geschäftsmodell selbst ergeben, werden einer zweiten Gruppe zugeordnet. Dies kann bspw. ein hohes NPL-Portfolio (Non-Performing Loans) oder der Fokus auf Geschäftsfelder mit zu geringer Profitabilität sein. Nach dieser Gruppierung unterscheidet sich der weitere Prozessablauf. Cluster 1 (IT, Systeme, Infrastruktur) Verursacht ein Ereignis aus dem Cluster 1 die Krise, werden das Geschäftsmodell und das Risiko des Instituts selbst nicht so sehr beeinflusst, sodass sich der Reorganisationsplan primär hierauf konzentrieren sollte. Die Gründe, die in Cluster 1 gruppiert sind, sind

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hauptsächlich betrieblicher Art oder IT-Probleme. Deshalb müssen die Ereignisse, die zur Krise geführt haben, detaillierter als im bereits vorliegenden Kapitel 1 des Restrukturierungsplans analysiert werden. Danach können die Maßnahmen zur Prävention identifiziert werden. Dies kann an einem Beispiel beschrieben werden: Eine veraltete IT-Infrastruktur kann Fehler beim Zahlungsverkehr begünstigen. In der Vergangenheit hat eine deutsche multilaterale Entwicklungsbank rund 7,6 Mrd. EUR an falsche Kunden überwiesen. Dies ist nicht als Verlust eingetreten, da der Fehler bemerkt wurde und die Zahlungen am selben Tag noch zurückgerufen worden sind. Diese falsche Überweisung wurde durch Programmierfehler ausgelöst. Sollte dieser Fehler jedoch nicht bemerkt werden, könnte dies zu einer existenzgefährdenden Krise des Instituts führen. Nach Eintritt der Krise könnten die Überprüfung der gesamten IT-Infrastruktur und die Überprüfung der Governance für die Implementierung der Softwareentwicklung als angemessene Maßnahmen veranlasst werden. Cluster 2 (Risiken und Geschäftsmodell) Dieser Cluster enthält Gründe, die auf einen falschen strategischen Fokus oder eine unangemessene Risikobereitschaft des Instituts zurückzuführen sind. In einem ersten Schritt sollten die verfügbaren Handlungsoptionen aus dem Sanierungsplan vor dem Hintergrund analysiert werden, ob sie im Rahmen einer Restrukturierung noch nutzbar wären. Parallel zu dieser Aufgabe kann der Prozess zur Ermittlung der Handlungsoptionen angepasst werden, um neue Maßnahmen unter Berücksichtigung der eingetretenen Krise zu definieren. Die Maßnahmen sollten in vier verschiedene Themenfelder unterteilt werden: • Reorganisation der Tätigkeiten des Instituts oder der Einrichtung; • Rückzug aus verlustbringenden Tätigkeiten; • Umstrukturierung bestehender Aktivitäten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit; • Verkauf von Vermögenswerten oder von Geschäftsbereichen. Der Identifizierungsprozess sollte auf den Geschäftsfeldern basieren. Wenn bspw. ein Grund darin besteht, dass das NPL-Portfolio in einer einzelnen Geschäftssparte zu hoch ist, muss die Institution die Gründe hierfür analysieren. Auf der Grundlage dieser Untersuchung priorisiert das Institut die Eignung der möglichen Maßnahmen:

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Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

1. der gesamte Geschäftsbereich wird heruntergefahren, weil nicht genügend Gewinn erwirtschaftet wird oder 2. das NPL-Portfolio wird reduziert, bis das Geschäftsfeld wieder ausreichend profitabel ist. Im Allgemeinen sollten die für die Identifizierung von Maßnahmen zuständigen Experten nicht nur eine Maßnahme, sondern unterschiedliche Handlungsalternativen entwickeln. Anschließend sollte die Auswahl so erfolgen, dass die Abwicklungsziele gemäß Art. 31 und 34 BRRD am besten erreicht werden. Nach dem Identifikationsprozess sollte jede Maßnahme in einer standardisierten Vorlage dokumentiert werden. Es ist wichtig, dass die Maßnahme unter allen drei Szenarien (Basis-, Best- und Worst-Case) analysiert und bewertet wird. Die Beschreibungen der möglichen Maßnahmen (auf Basis standardisierter Vorlagen) können als Kapitel 2 des Restrukturierungsplans angesehen werden. Um die Anforderungen zu erfüllen, sollte die Vorlage mindestens nachfolgende Inhalte umfassen: • Kategorie der Maßnahme; • Beschreibung der Maßnahme; • betroffenes Unternehmen oder Geschäftsbereich; • erwarteter Zeitplan; • Vernetzung mit anderen Maßnahmen oder Teilen des Geschäftsmodells; • Analyse der finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen in den drei Szenarien (Kosten, Gewinn, Auswirkung auf regulatorische Anforderungen usw.). Als zweiter Meilenstein während des vierwöchigen Entwicklungsprozesses sollte das zweite Kapitel des Plans mit den möglichen Maßnahmen nach diesem Arbeitsschritt abgeschlossen werden.

209

210 others

Reasons for resoluon

IT, systems, infrastructure

Current Business Model

Applicaon of different measures

No

Business modell viable?

BoomUpAnalysis

TopDownAnalysis

Yes

Chapter 2 „Descripon of measures“

No

Business modell viable?

Yes

Development of implementaion plan for different measures

…target duraon of reorganisaon

…descripon of the overall effects of the measures

…descripon of funding requirements

…descripon how the instuon will operate covering it costs

…projecon of key financial metrics including PnL & balance sheet

…impact on crical funcons

Descripon of new business model including…

Beginning WS5

Chapter 3.1 „Reorganized (new) business model“

3.2.4

Chapter 1 „Analysis of current situaon“

Workstream 4: New Business Model

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WS4: New Business Model

Abbildung 5: Flussdiagramm für Workstream 4

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Workstream 4 ist der Kern der Entwicklung des Reorganisationsplans (Abbildung 5). In diesem Arbeitsschritt werden die Informationen aus den vorherigen Workstreams aggregiert, um ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Der Ausgangspunkt ist wiederum das Ergebnis von WS1 und WS2. In ähnlicher Weise wie in WS3 wird auch für WS4 eine Unterscheidung zwischen den Gründen für die Krise getroffen. Zunächst wird der Prozess beschrieben, falls die Gründe für die Krise aus dem Themenfeld „IT, Systeme oder Infrastruktur“ stammen. Der erste Schritt in diesem Prozess besteht darin, zu überprüfen, ob das derzeitige Geschäftsmodell noch realisierbar ist. Daher können die Informationen aus der aktuellen Geschäftsstrategie (vgl. Abschnitt 3.1) berücksichtigt werden. Ist das Institut aufgrund der Analyse der vorherigen Kapitel solide, so dass der Grund für die Krise nicht mit dem aktuellen Geschäftsmodell (z.B. Betrug eines Mitarbeiters) in Verbindung gebracht wird, und ist das Institut nach wie vor profitabel, umfasst der Umstrukturierungsplan einen Umsetzungsplan für die Maßnahmen des Kapitels 2. Dieses befasst sich mit den identifizierten Gründen für die eingetretene Krise. Wenn das Geschäftsmodell nicht mehr lebensfähig ist oder die Investitionen zur Umsetzung der Maßnahmen zu einem Geschäftsmodell mit sehr geringer Profitabilität führen würde, muss der Prozessverlauf hinsichtlich der anderen Gründe für die Krise befolgt werden. Ausgangspunkt für diesen Prozess ist das bisherige Geschäftsmodell in der aktuellen Situation. In Kapitel 1 werden die Schwächen und Gründe für die Krise beschrieben. Eine Kombination mit den Maßnahmen aus Kapitel 2 sollte zu einem erneuerten, langfristig tragfähigen Geschäftsmodell führen. Resultiert bspw. die Krise aus einem spezifischen Geschäftssegment, könnte eine Maßnahme darin bestehen, dieses Segment zu schließen. Die Durchführbarkeit des neuen Geschäftsmodells ohne Geschäftsfeld muss in einer Top-down- und einer Bottom-up-Analyse überprüft werden. Basierend auf diesen Analysen nimmt das Institut eine Bewertung der Überlebensfähigkeit vor. Sollte die Überlebensfähigkeit nicht ausreichen, müssen die Experten den Prozess erneut von vorne beginnen und die möglichen Maßnahmen auf andere Weise kombinieren. Daher kann dieser Prozess verschiedene Iterationen umfassen. Die Bewertung der Überlebensfähigkeit sollte unter verschiedenen Szenarien erfolgen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen unter den verschiedenen Szenarien voneinander abweichen können. Nach erfolgter Identifikation sind eine abschließende Beschreibung des neuen, tragfähigen Geschäftsmodells zu erstellen sowie die Auswirkungen auf die Abläufe des alten Geschäftsmodells zu prüfen.

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Folglich sollten nachfolgende Inhalte in allen drei Szenarien detailliert beschrieben werden: • Beschreibung des erneuerten Geschäftsmodells; • Beschreibung der erwarteten Auswirkungen der Maßnahmen und Begründung für ihre Auswahl; • Auswirkungen auf kritische Funktionen; • Beseitigung von Mängeln hinsichtlich des Betriebsablaufs (Operations) und der Leistungsfähigkeit des Instituts; • Projektion von Finanzkennzahlen (Bilanz, Auswirkung der Reorganisation auf die Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz des Instituts oder der Einrichtung etc.); • Beschreibung der Kostenrechnung (die Art und Weise, in der das Institut in der Lage sein wird, seine gesamten Kosten zu decken, einschließlich Abschreibungen und finanziellen Belastungen, und eine annehmbare finanzielle Rendite bis zum Ende der Reorganisationsperiode zu erwirtschaften); • zeitlicher Horizont der Reorganisation; • Beschreibung, wie regulatorische Anforderungen zu erfüllen sind; • Beschreibung der Refinanzierung des neuen Geschäftsmodells (Beschreibung der Refinanzierungsanforderungen während der Reorganisationsperiode und potenzielle Finanzierungsquellen). Neben dem neuen Geschäftsmodell muss ein alternatives Geschäftsmodell identifiziert werden. Nach Abschluss des WS4 sollte der erste Unterabschnitt des Kapitels 3 des Reorganisationsplans geschrieben sein. Es sollte mindestens die oben genannten Themen enthalten.

3.2.5

WS5: Alternative Business Model

Workstream 5 zielt darauf ab, ein alternatives Geschäftsmodell zu identifizieren und kurz zu beschreiben. Es kann auf dem neuen Geschäftsmodell basieren, das im Workstream 4 abgeleitet worden ist. Als alternative Geschäftsmodelle können auch Ansätze genutzt werden, die im WS4 zwar als langfristig tragfähig identifiziert wurden, aber im BaselineSzenario (im Vergleich zum gewählten neuen Geschäftsmodell) mit mehr Unsicherheit verbunden sind.

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Für die Umsetzung sollten ebenfalls die im WS4 genannten Themenfelder ausgeführt werden. Die erstellte Beschreibung muss bei den zuständigen Behörden ein Verständnis erzeugen sowie eine Beurteilung ermöglichen, warum das Institut das alternative Geschäftsmodell nicht als seinen bevorzugten Ansatz ausgewählt hat. Am Ende des fünften Workstreams sollte das Kapitel 3 des zu erstellenden Restrukturierungsplans abgeschlossen sein.

3.2.6

WS6: Definition of reorganisation strategy

Die Reorganisationsstrategie ist, wie eingangs definiert, eine Kombination aus dem neuen Geschäftsmodell, den dafür notwendigen Maßnahmen und einem Zeitplan für deren Umsetzung. Folglich ist WS6 ein Workstream mit geringer Komplexität, da alle benötigten Informationen bereits verfügbar sind. Basierend auf diesem einfachen Ansatz wird kein weiteres Flussdiagramm zur Veranschaulichung benötigt. In diesem Arbeitsschritt muss ein Zeitplan für den Restrukturierungsplan festgelegt werden. Dieser Zeitplan sollte verschiedene Meilensteine definieren, die es dem Institut selbst und den zuständigen Behörden ermöglichen, den Fortschritt bei der Reorganisation zu überwachen. Der letzte Meilenstein sollte den Abschluss der Umstrukturierungsperiode darstellen. Als Ergebnis dieses Workstreams sollte Kapitel 4 des dokumentierten Reorganisationsplans formuliert sein.

3.2.7

WS7: Supporting Actions

Workstream 7 umfasst verschiedene unterstützende Maßnahmen während der Entwicklung des Reorganisationsplans. Die Aktivitäten beziehen sich nicht zwingend auf ein bestimmtes Kapitel des Plans. Die Verantwortlichen für die interne und externe Kommunikation sind in den Prozess eingebunden, um den Restrukturierungsplan durch eine maßgeschneiderte Kommunikationsstrategie zu ergänzen. Alle Aktivitäten werden in der gesamten Umstrukturierungsphase fortgesetzt. Daher werden die Aktivitäten nicht mit der Übergabe des endgültigen Reorganisationsplans an die Behörden enden. Kommunikation mit den verantwortlichen Abwicklungs- und Aufsichtsbehörden Die Intensität der Interaktion mit den Behörden nimmt in einer Krise tendenziell stark zu. Vom Ausgangspunkt der Krise an sollten die betroffenen Institute die Interaktion mit den Behörden suchen, um sicherzustellen, dass das Dokument alle Anforderungen erfüllt. Die Verantwortung für die Kommunikation sollte bei einem eigenen Kommunikationsteam liegen.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 214 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

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Strategie hinsichtlich externen Stakeholdern (insb. Arbeitnehmervertretern) Um weitere Komplikationen während der Reorganisationsphase zu vermeiden, müssen verschiedene Stakeholder informiert oder eher daran beteiligt werden. Diese Informationsbereitstellung sollte auch vom Kommunikationsteam erfolgen, um eine konsistente Außendarstellung zu ermöglichen. Wenn Maßnahmen die Reduzierung von Personalkosten durch betriebsbedingte Entlassungen beinhalten, muss ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation mit den Arbeitnehmervertretern gelegt werden. Kommunikationsstrategie für den Umsetzungsplan Auf der Grundlage der Maßnahmen muss eine Kommunikationsstrategie entwickelt werden, die eine spezifische Sicht auf das krisenhafte Institut einnimmt. Sie muss Prozesse und Werkzeuge für die interne und externe Kommunikation enthalten. Als zuständige Stelle sollte ein Kommunikationsteam zum Einsatz kommen.

4 Berichterstattung während der Restrukturierungsperiode Während des Restrukturierungszeitraums muss den zuständigen Abwicklungsbehörden ein Fortschrittsbericht vorgelegt werden. Die abzuwickelnde Institutsgruppe sollte in diesem Zusammenhang versuchen, den gleichen Bericht zu nutzen, den sie auch für das interne Berichtswesen an die verantwortliche Geschäftsleitung verwendet. Um die Erfordernisse der Abwicklungsbehörden zu erfüllen, sollte der Fortschrittsbericht zumindest folgende Aspekte umfassen: 1. die erreichten Meilensteine, die umgesetzten Maßnahmen sowie ein Abgleich der Auswirkungen mit denen, die im Geschäftsreorganisationsplan vorgesehen sind; 2. die Performance der Institutsgruppe oder rechtlichen Einheit sowie ein Vergleich mit den Prognosen des Restrukturierungsplans und früheren Fortschrittsberichten; 3. die Gründe, warum Meilensteine oder Leistungsindikatoren nicht erreicht wurden und Vorschläge zur Behebung der Verzögerungen oder Mängel; 4. alle anderen Fragen, die sich aus der Durchführung des Reorganisationsplans ergeben, die die Wiederherstellung der langfristigen Überlebensfähigkeit des Instituts; 5. die bevorstehenden Maßnahmen und Meilensteine sowie eine Bewertung, wie wahrscheinlich sie erfüllt werden; 6. aktualisierte Prognosen der Finanz- und Liquiditätsausstattung.

214

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 215 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Restrukturierungsplan nach Anwendung des Bail-in-Instruments

Soweit erforderlich und gerechtfertigt kann zudem ein Vorschlag für die Anpassungen einzelner Maßnahmen, Meilensteine oder Leistungsindikatoren gemäß Art. 5 Abs. 2 des EBA RTS 2015/12 aufgeführt werden.21

5 Fazit und Ausblick Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Erstellung eines Restrukturierungsplans nach Anwendung des Bail-in-Instruments alle daran Beteiligte – egal ob Institutsvertreter, zuständige Aufsichts- und Abwicklungsbehörden sowie sonstige Akteure – vor sehr große Herausforderungen stellt. Alle Akteure müssen zusammen in einem Spannungsfeld aus existenziellen strategischen Entscheidungsnotwendigkeiten, vergleichsweise kurzen Zeiträumen und unter strenger Beobachtung von (neuen) Eigentümern, Gläubigern und anderen Finanzmarktteilnehmern agieren. Insbesondere die (institutionellen) Teilnehmer des Kapitalmarkts werden die Erstellung des Restrukturierungsplans und seine anschließende Umsetzung sehr genau verfolgen, um u.a. die eigene Position stets auch gegenüber den Auswirkungen eines regulären Insolvenzverfahrens zu überprüfen (NCWO-Prinzip (No Creditor Worse Off)). Andererseits wäre es vor dem Hintergrund der aktuellen Vorbereitungen auf die ersten Abwicklungspläne (Stand: Ende 2017) noch deutlich zu früh, Restrukturierungspläne im Detail auszuarbeiten, da eine operative Umsetzung von grundlegenderen Fragenstellungen noch weitaus konkreter erörtert und geregelt werden müsste (z.B. Liquidität in der Abwicklung, Bewertung, Finanzmarktinfrastruktur-Zugänge). Vielmehr sollten die grundsätzlich betroffenen Institute die noch vorhandene Zeit nutzen, um die bereits vorhandenen Elemente des regulären Strategieplanungsprozesses gemäß MaRisk weiter für die Zwecke eines Restrukturierungsplans vorzubereiten. Insbesondere müssen die für den Umstrukturierungsplan wirklich notwendigen Prozessschritte, die dafür notwendigen Daten- und Informationsquellen sowie die zu beteiligenden Ressourcen in den Instituten identifiziert werden. Hierbei ist zu beachten, dass in vielen deutschen Instituten für gewöhnlich sich der etablierte Strategieplanungsprozess gemäß MaRisk zu einem Ganzjahresprozess entwickelt hat. Vor dem Hintergrund eines gewöhnlich vierwöchigen Erstellungszeitraums können schon heute eindeutige Prioritäten gesetzt werden, um nur die für den Restrukturierungsplan notwendigen Informationen zu erlangen.

21

Vgl. Art 6 No 1 EBA/RTS/2015/12.

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Andreas Igl/Sven Warnecke

Unabhängig davon muss sich in der Geschäftsleitung der Institute eine Kultur etablieren, in der auch größere Korrekturen strategischer Art grundsätzlich kurzfristig möglich sind. Eine mögliche, jedoch noch nicht praktizierte strategische Neuausrichtung (z.B. fokussierte Reduktion im Geschäftsmodell, den Geschäftsaktivitäten, den Kunden = „verkürzter Plan B“) sollte daher zumindest in Instituten mit offener Risikokultur regelmäßig Gegenstand einer Diskussion im Leitungs- und Aufsichtsorgan sein. Besteht hier keine Bereitschaft von Seiten der Mandatsträger, besitzen die zuständigen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden zahlreiche Möglichkeiten, die verantwortlichen Mitglieder von ihren Pflichten zu entbinden, ohne sie dabei von ihren Entscheidungen aus der Vergangenheit zu entlasten.

Literatur BRRD (2014): Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. Guidelines on Business Reorganisation Plans (EBA/GL/2015/21): https://www.eba. europa.eu/regulation-and-policy/recovery-and-resolution/guidelines-on-businessreorganisation-plans. RTS on Business Reorganisation Plans (EBA/RTS/2015/12): https://www.eba.europa.eu/ regulation-and-policy/recovery-and-resolution/regulatory-technical-standards-onbusiness-reorganisation-plans. SAG: Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 217 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL versus TLAC – ein Überblick Tanja Koehler/Christian Stepanek

1 Einleitung 2 MREL im Detail 2.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen 2.2 Methodik 2.3 Mindestanforderung 2.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben 3 TLAC im Detail 3.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen 3.2 Methodik 3.3 Mindestanforderung 3.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben 4 Vergleich von MREL und TLAC 5 Fazit Literatur

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 218 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

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1 Einleitung Wird für ein Institut festgestellt, dass es ausgefallen ist bzw. wahrscheinlich ausfallen wird, können die zuständigen Behörden bzw. die Abwicklungsbehörde in der Europäischen Union (EU) gemäß Art. 32 Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)1 eine Abwicklung des betroffenen Instituts einleiten. Hierbei können unterschiedliche Abwicklungsinstrumente zum Einsatz kommen. Ziel dieser ist es, möglichst ohne den Einsatz von Steuergeldern kritische Funktionen des betroffenen Instituts aufrechtzuerhalten und somit die Finanzmarktstabilität zu gewährleisten. Eines der im Art. 37 Abs. 3 BRRD beschriebene Abwicklungsinstrumente ist der Bail-in, der eine Gläubigerbeteiligung im Rahmen der Abwicklung des betroffenen Instituts vorsieht. Hierbei werden nach den Eigenkapitalinstrumenten bestimmte Verbindlichkeiten herabgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt. In Art. 44 BRRD wird genauer spezifiziert, welche Arten von Verbindlichkeiten als bail-in-fähig klassifiziert werden. Um eine effektive Umsetzung dieses Abwicklungsinstruments zu gewährleisten, müssen die Institute über ein ausreichendes Maß an bail-in fähigen Passiva verfügen, was durch die Einführung neuer aufsichtsrechtlicher Kennzahlen sichergestellt wird. In der EU sind hierzu die Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL)) nach Art. 45 BRRD einzuhalten. Erstmals im Jahr 2016 wurde Instituten, die dem Single Resolution Board (SRB) zugeordnet sind, eine individuelle MREL-Zielquote vorgegeben. Zudem wurde im Jahre 2013 auf dem G-20-Gipfel in St. Petersburg der Grundstein für die Einführung der Mindestanforderung an die Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit von global systemrelevanten Banken (G-SIB), die Total Loss Absorbing Capacity (TLAC), gelegt. Das Financial Stability Board (FSB) hat daraufhin in Abstimmung mit dem Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) im Jahr 2015 Prinzipien der Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeit im Rahmen der Abwicklung2 vorgelegt. Die Mindestanforderungen an TLAC sind von G-SIBs nach einer im Jahr 2019 beginnenden, dreijährigen Übergangsphase in voller Höhe einzuhalten. Die Anforderungen an TLAC sollen in der Überarbeitung der Capital Requirements Regulation (CRR) (CRR II) umgesetzt werden.

1

2

Richtlinie 2014/59/EU des europäischen Parlaments und des Rates, 15.05.2014, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0059&from=de. Vgl. FSB (2015), Principles on Loss-absorbing and Recapitalisation Capacity of G-SIBs in Resolution.

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Tanja Koehler/Christian Stepanek

Grundsätzlich wird mit MREL und TLAC ein vergleichbares Ziel verfolgt. Im Rahmen dieses Beitrags werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Kennzahlen herausgearbeitet. Technische Unterschiede bestehen z.B. in der Quotenberechnung oder den Anrechnungskriterien für Passiva. Weiterhin unterscheiden sie sich im Anwendungsbereich sowie in ihren Mindestanforderungen. Zudem wird in diesem Beitrag auf das zentrale Thema der Haftungskaskade eingegangen. Diese legt fest, in welcher Rangfolge unterschiedliche Arten von Verbindlichkeiten im Fall eines Bail-in herangezogen werden. Im Fokus aktueller aufsichtsrechtlicher Neuerungen (z.B. BRRD II) stehen hierbei nachrangige Senior-Instrumente und die Behandlung von nicht gedeckten Einlagen. Aufgrund der Tatsache, dass wesentliche aufsichtsrechtliche Regelungen (insbesondere BRRD II und CRR II) zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags noch nicht abgeschlossen sind, besteht bei einigen Aspekten noch Unsicherheit über die endgültige Ausgestaltung der MREL- und TLAC-Anforderungen.

2 MREL im Detail 2.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen Die neue aufsichtsrechtliche Kennzahl MREL ist von sämtlichen Banken zu erfüllen, welche in den Anwendungsbereich der BRRD fallen. Gemäß Art. 45 Abs. 1 BRRD wird MREL als eine jederzeit einzuhaltende Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten definiert. Dabei basiert MREL konzeptionell auf individuellen Zielvorgaben, die in Abhängigkeit zum Risikoprofil, dem Geschäftsmodell und der Abwicklungsstrategie des Instituts stehen sollen. Die Mindestanforderung wird dabei institutsindividuell auf Basis des Abwicklungsplans durch die zuständige Abwicklungsbehörde festgelegt. Diese Vorgehensweise wurde bewusst vor dem Hintergrund der heterogenen Bankenlandschaft in Europa und der möglichen Adjustierung zugunsten der Proportionalität vom Gesetzgeber avisiert.

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MREL versus TLAC – ein Überblick

2.2 Methodik Die MREL-Quote wird aus der Summe MREL-fähiger Verbindlichkeiten und der Eigenmittel im Zähler berechnet. Diese wird ins Verhältnis zur Summe der Verbindlichkeiten und Eigenmittel im Nenner gesetzt. Eigenmittel + MREL-fähige Verbindlichkeiten MREL = ------------------------------------------------------------------------------------------------Eigenmittel + Gesamtverbindlichkeiten

Die Eigenmittel bestehen gemäß der CRR aus der Summe des harten Kernkapitals, des zusätzlichen Kernkapitals und des Ergänzungskapitals. Im Rahmen der Quotenberechnung kommt der Ermittlung der MREL-fähigen Verbindlichkeiten entscheidende Bedeutung zu. Diese werden nachfolgend dargestellt, bevor anschließend die einzuhaltenden Mindestanforderungen geschildert werden. Zur Berechnung der individuellen MREL-Quote erfolgt eine Einteilung der Verbindlichkeiten anhand ihrer Berücksichtigungsfähigkeit. In Abbildung 1 ist der Zusammenhang zwischen Gesamtverbindlichkeiten, bail-in-fähigen und MREL-fähigen Verbindlichkeiten schematisch dargestellt. Abbildung 1: Schematische Untergliederung der Verbindlichkeiten nach Bail-in und MREL-Fähigkeit sowie entsprechende aufsichtsrechtliche Bezugsquellen aus BRRD und Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)

Gesamtverbindlichkeiten

• Menge aller Verbindlichkeiten

Bail-in-fähige Verbindlichkeiten

• Ausschluss von nicht-bail-infähigen Verbindlichkeiten • Art. 44 Abs. 2 BRRD bzw. § 91 Abs. 2 SAG

MREL-fähige Verbindlichkeiten

• Ausschluss von nicht-MRELfähigen Verbindlichkeiten • Art. 45 Abs. 4 BRRD bzw. § 49 Abs. 2 SAG

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Tanja Koehler/Christian Stepanek

Die bail-in-fähigen Verbindlichkeiten ergeben sich aus der Menge der Gesamtverbindlichkeiten unter Anwendung der in Art. 44 Abs. 2 BRRD aufgeführten Ausschlusskriterien. Hieraus ergibt sich bspw., dass durch ein Einlagensicherungssystem gedeckte Einlagen oder besicherte Verbindlichkeiten vom Bail-in ausgenommen sind. Die MREL-fähigen Verbindlichkeiten bilden wiederum eine Teilmenge der bail-in-fähigen Verbindlichkeiten. Laut Art. 45 Abs. 4 BRRD sind bail-in-fähige Verbindlichkeiten auch MREL-fähig, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind:3 • Das Instrument ist vollständig eingezahlt. • Es handelt sich um keine Verbindlichkeiten des Instituts gegenüber sich selbst. • Dem Erwerb des Instruments liegt keine direkte oder indirekte Finanzierung durch das Institut zu Grunde. • Die Restlaufzeit des Instruments beträgt mindestens ein Jahr. • Es handelt sich um keine Verbindlichkeiten aus Derivaten. • Es handelt sich nicht um Einlagen für die nach Art. 108 BRRD eine Vorzugsstellung in der nationalen Insolvenzrangfolge besteht (d.h. ungesicherte Einlagen ggü. Privatpersonen oder KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) sind nicht MREL-fähig). Kommt es zum Abwicklungsfall, legt die nationale Haftungskaskade fest, in welcher Rangfolge die unterschiedlichen Arten von Verbindlichkeiten herangezogen werden.

2.3 Mindestanforderung Die Höhe der MREL-Quote wird institutsspezifisch durch die zuständige Abwicklungsbehörde festgelegt. Als Zielgröße fordert die European Banking Authority (EBA) in ihren finalen MREL-Report eine Mindestanforderung von 16% der Risk Weighted Assets (RWA)4 im Jahr 2019 und einen Anstieg dieser Quote auf 18% im Jahr 2022 für G-SIBs. Für Other Systemically Important Institutions (O-SIIs) wird eine Anforderung von 13,5% der RWA vorgeschlagen.5

3

4

5

222

Weitere Anforderungen hinsichtlich Verbindlichkeiten, die dem Recht eines Drittlandes angehören, ergeben sich aus Art. 45 Abs. 5 BRRD. Vgl. Abschnitt 2.4 hinsichtlich des Vorschlags der EBA, die MREL-Quote zur Angleichung an die Anforderungen aus TLAC in Bezug zu den RWAs anzugeben. Vgl. EBA (2016), Final report on MREL, S. 14.

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MREL versus TLAC – ein Überblick

Bei der erstmaligen informativen Festlegung im Jahr 2016 für Institute, die dem Zuständigkeitsbereich des SRB unterliegen, wurde die Quote „mechanisch“ aus drei Komponenten zusammengesetzt. Sie bestand aus dem Verlustabsorptionsbetrag, dem Rekapitalisierungsbetrag und dem Marktvertrauenszuschlag:6 • Verlustabsorptionsbetrag: Ziel des Verlustabsorptionsbetrags ist es, unerwartete Verluste abzudecken und im Zuge eines Bail-in ein ausreichendes Maß an Eigenmitteln und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten zur Verfügung zu haben. Der Verlustabsorptionsbetrag setzt sich grundsätzlich aus den Mindesteigenkapitalanforderungen (Pillar 1 (Art. 92 CRR)), den institutsspezifischen Säule-II-Anforderungen (Pillar 2 (Art. 104 CRD)) sowie den Kapitalpufferanforderungen (Combined Buffer Requirements (CBR) (Art. 128 CRD)) zusammen. Als Mindestbetrag wird zudem die Höhe des Basel-I-Floors (Art. 500 CRR) angesetzt. • Rekapitalisierungsbetrag: Der Rekapitalisierungsbetrag soll eine ausreichende Kapitaleindeckung des Folgeinstituts sicherstellen. Damit das Folgeinstitut überlebensfähig ist und eine Banklizenz erhält, muss der Rekapitalisierungsbetrag die Mindesteigenkapitalanforderungen abdecken. Konkret setzt sich der Rekapitalsierungsbetrag aus der Summe aus P 1 und P 2 zusammen. Auch hier wird als Mindestbetrag jedoch der Basel-I-Floor angesetzt. • Marktvertrauenszuschlag: Zur erfolgreichen Etablierung des Folgeinstituts ist es zudem notwendig, dass dieses von den Marktteilnehmern als solvent eingestuft wird. Aufgabe des Marktvertrauenszuschlags ist es, durch ein Kapitalpolster den Erhalt kritischer Funktionen, den Schutz der Kundengelder und die Stärkung der Finanzmarktstabilität zu gewährleisten. Berechnet wird dieser aus der Kapitalpufferanforderung CBR abzüglich 125 Basispunkte.

2.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben MREL unterliegt zahlreichen Weiterentwicklungen; so empfiehlt die EBA in ihrem Bericht „The Implementation and the Design of the MREL Framework“ eine generelle Annährung an die internationale Kennzahl TLAC im Sinne einer konsistenten global einheitlichen Vorgehensweise. Im Folgenden werden zwei wesentliche Aspekte herausgearbeitet.7

6 7

Vgl. SRB (2017), MREL – Approach taken in 2016 and next steps. Vgl. EBA (2016), Final Report on MREL, S. 10-18.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 224 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Tanja Koehler/Christian Stepanek

Zur Diskussion steht v.a. die Berechnung des Nenners der MREL-Quote. Die EBA präferiert die Verwendung risikogewichteter Aktiva, begrenzt durch den Leverage Backstop, anstelle der Summe aus Eigenmitteln und Gesamtverbindlichkeiten. Die letztgenannte, aktuell in der BRRD definierte Bezugsgröße der MREL-Berechnung wird derzeit weiterentwickelt, wobei der Hauptkritikpunkt ihre nicht risikosensitive Ausgestaltung ist. So argumentiert die EBA,8 dass nicht nur das Volumen der Bilanzsumme ausschlaggebend sein sollte, sondern vielmehr die risikogewichteten Aktiva. Ein Anstieg der RWAs bei unveränderter Bilanzsumme würde nach der aktuellen Umsetzung keine Erhöhung der Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten bewirken. Durch eine Umsetzung dieser Empfehlung würde die MREL-Methodik zudem an die TLAC-Methodik angeglichen werden. Es wird zudem empfohlen, den Stacking Order Approach zu implementieren. Dieser adressiert die Problematik einer doppelten Berücksichtigung von hartem Kernkapital zur Abdeckung der Anforderungen aus MREL und den regulatorischen Kapitalpuffern. Nach geltender regulatorischer Praxis werden die Kapitalpuffer zur Ermittlung der institutsspezifischen Mindestanforderung an MREL verwendet. Die Mindestanforderung an MREL muss zu allen Zeitpunkten erfüllt sein. Auf der anderen Seite müssen die Kapitalpuffer nicht zu allen Zeitpunkten eingehalten werden. Hieraus ergibt sich ein Wiederspruch, der u.a. die Wirksamkeit der Kapitalpuffer als regulatorisches Werkzeug einschränkt. Die EBA empfiehlt in diesem Zusammenhang den Stacking Order Approach, bei dem die Kapitalpuffer auf die MREL-Anforderungen aufgeschlagen werden. Eine doppelte Verwendung von hartem Kernkapital wird hierdurch vermieden und der Erfüllung der MREL-Anforderungen wird Priorität eingeräumt. Dieser Ansatz orientiert sich ebenso an der Herangehensweise für TLAC.

3 TLAC im Detail 3.1 Überblick über derzeitige aufsichtsrechtliche Anforderungen Die Anforderungen an die Verlustabsorptionsfähigkeit TLAC für global systemrelevante Banken gehen auf die Beschlüsse des G-20-Gipfels in St. Petersburg im Jahre 2013 zurück, die anschließend durch das FSB ausgearbeitet wurden. Der finale TLAC-Standard

8

224

Vgl. EBA (2016), Final Report on MREL, S. 70 ff.

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MREL versus TLAC – ein Überblick

wurde im November 2015 verabschiedet und beinhaltet grundlegende Prinzipien sowie das TLAC Term Sheet. Für die EU rechtsverbindlich wird TLAC mit der Umsetzung in der CRR, die aktuell noch aussteht. Zum Status Quo liegt ein Vorschlag der Europäischen Kommission zur Implementierung des TLAC-Standards vom November 2016 vor. Der Anwendungsbereich von TLAC beinhaltet formal nur G-SIBs. Die TLAC-Anforderungen gewinnen jedoch auch für O-SII zunehmend an Bedeutung. TLAC kommt die Verwendung als internationale Benchmark-Größe für Investoren zu und hat gleichzeitig eine Vorreiterfunktion in Bezug auf die Überarbeitung der MREL-Anforderungen im Zuge einer internationalen Harmonisierung.

3.2 Methodik TLAC ist der monetäre Wert der zur Verlustabsorption bereitstehenden und anrechnungsfähigen Instrumente. Zur Ermittlung der TLAC-Quote wird dieser Betrag ins Verhältnis zu den RWAs bzw. dem Leverage Exposure des jeweiligen Instituts bzw. der Abwicklungseinheit gesetzt. Generell wird zwischen interner und externer TLAC differenziert. Die Mindestanforderung an externer TLAC gilt für alle Abwicklungseinheiten eines G-SIB, wohingegen die internen TLAC Vorgaben alle wesentlichen Tochterunternehmen betreffen, welche Teil einer Abwicklungseinheit sind und bspw. kritische Funktionen ausüben. Ziel des internen TLACs ist es, Verluste an die Mutter zu transferieren, sodass im Abwicklungsfall zunächst die Forderungen der Mutter gegenüber der Tochter herangezogen werden, bevor andere Gläubiger Verluste tragen müssen. Zur Identifikation wesentlicher Töchter werden verschiedene qualitative und quantitative Kriterien herangezogen, von denen mindestens eines erfüllt sein muss. Qualitative Kriterien sind systemische Relevanz im Hinblick auf kritische Funktionen und die Umsetzung der Abwicklungsstrategie der gesamten Abwicklungsgruppe. Quantitative Faktoren sind die Anteile der Tochter an den konsolidierten RWAs, dem Betriebsergebnis und dem Leverage Exposure der G-SIB-Gruppe. Die Wesentlichkeitsschwelle liegt jeweils bei 5%. Externes TLAC gilt demnach nur für eine oder mehrere Abwicklungseinheiten und ist somit auf die konsolidierte Bilanz zu beziehen. Internes TLAC kann auf Basis des Einzelabschlusses berechnet werden.

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Tanja Koehler/Christian Stepanek

TLAC-fähige Verbindlichkeiten müssen im Insolvenz- oder Abwicklungsfall Verluste vor den Nicht-TLAC-fähigen Verbindlichkeiten tragen und müssen daher i.d.R. nachrangig sein. Hierbei unterscheidet man zwischen strukturellem, vertraglichem und gesetzlichem Nachrang: • Strukturelle Nachrangigkeit ist gesellschaftsrechtlich bedingt und entsteht z.B. bei Emission von Instrumenten durch Holdings. • Vertraglicher Nachrang ist zurückzuführen auf eine vertragliche Vereinbarung, welche die nachrangige Bedienung gegenüber anderen Gläubigern vorsieht. • Gesetzlicher Nachrang ist an die nationale Insolvenzregelung angelehnt und weicht zwischen verschiedenen Jurisdiktionen erheblich ab. Allgemein ist eine Verbindlichkeit TLAC-fähig, wenn das Instrument folgende Eigenschaften hat: • Es wurde direkt von der Abwicklungseinheit emittiert. • Es ist vollständig einbezahlt. • Es ist unbesichert. • Es ist nicht Gegenstand einer Netting-Vereinbarung. • Es hat eine Restlaufzeit von mindestens einem Jahr und keine Option auf eine vorzeitige Kündigung durch den Gläubiger vor Ablauf der Frist von einem Jahr. • Der Erwerb des Instruments durch den Gläubiger ist i.d.R. weder direkt noch indirekt durch die entsprechende Abwicklungseinheit finanziert. Demnach sind gedeckte Einlagen, Sichteinlagen, kurzfristige Einlagen, Derivateverbindlichkeiten und strukturierte Schuldverschreibungen sowie Verbindlichkeiten, die nicht aus einem Vertrag entstehen, wie Steuerverbindlichkeiten, nicht TLAC-fähig.

3.3 Mindestanforderung Erstmalig einzuhalten sind die TLAC-Anforderungen mit der im Jahr 2019 beginnenden Übergangsphase. Zu diesem Zeitpunkt ist externes TLAC in der Höhe von mindestens 16% der RWA bzw. 6% des Leverage Exposures einzuhalten. Es erfolgt ein Anstieg der Quote bis zum Jahr 2022 auf mindestens 18% der RWA bzw. 6,75% des Leverage Exposures. Die interne TLAC-Mindestanforderung wird sich auf 75% bis 90% der externen TLAC-Quote belaufen.

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MREL versus TLAC – ein Überblick

Bei einer Skalierung von 75% bis 90% von interner TLAC-Anforderungen im Vergleich zur externen TLAC-Anforderungen ist zu erwarten, dass nicht das gesamte TLAC bei wesentlichen Teilkonzernen vorgehalten wird. Die verbleibende TLAC ist als Surplus TLAC bei der Abwicklungseinheit vorzuhalten. Sie soll zur Vorsorge gegenüber Risiken auf Einzelbasis und auch zur Rekapitalisierung von Töchtern herangezogen werden. Demnach könnte Surplus TLAC in Form vom Assets vorgehalten werden, die schnell liquidierbar und unabhängig von Marktstress sind. Zudem wird in der letzten FSB-Konsultation vorgeschlagen, mindestens 33% der internal TLAC Anforderungen mit Schuldinstrumenten (also kein Eigenkapital) zu erfüllen. Sowohl die externe als auch die interne TLAC-Quote stellen lediglich Mindestanforderungen dar und können bei internationalen Gruppen durch die Host Authority in Rücksprache mit der Home Authority in einem angemessenen und notwendigen Maße erhöht werden.9 Es muss zudem sichergestellt sein, dass keine Doppelanrechnung des CET-1-Kapitals erfolgt. Die kombinierten Kapitalpuffer müssen unabhängig von der TLAC-Quote eingehalten werden. Somit kann die Funktionsweise der Puffer erhalten bleiben (Stacking Order Approach). In Stresssituation dürfen diese unterschritten werden, wohingegen TLAC zu jeder Zeit einzuhalten ist.

3.4 Weiterentwicklung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben Durch die Verabschiedung des finalen TLAC-Standards auf globaler Ebene steht derzeit noch die finale Transformation in europäisches Recht aus. Hierzu liegt ein Vorschlag der Europäischen Kommission vor, eine baldige finale Umsetzung in die CRR wird angestrebt.

4 Vergleich von MREL und TLAC Primär verfolgen TLAC und MREL ein vergleichbares Ziel, wobei bei der TLAC-Quote eine erfolgreiche grenzüberschreitende Abwicklung explizit sichergestellt werden soll. Unterschiede zeigen sich v.a. in den zu berücksichtigen Verbindlichkeiten, wie in Tabelle 1 dargestellt wird.

9

Vgl. FSB (2017), Guiding Principles on the Internal Total Loss-absorbing Capacity of G-SIBs (Internal TLAC), S. 13.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 228 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Tanja Koehler/Christian Stepanek

Tabelle 1: Vergleich der Anforderungen aus MREL und TLAC10 Kriterium

MREL

TLAC

Betroffene Institute

Alle Institute in der EU im Anwendungsbereich der BRRD

Alle G-SIBs und wesentliche Töchter

Kalibrierung

• Die Anforderungen werden institutsspezifisch auf Basis des Abwicklungsplans durch die Abwicklungsbehörden festgelegt

01.01.2019 (2022): 16% (18%) RWA plus Puffer und 6% (6,75%) Leverage Exposures

• Beziehung zwischen MREL und Puffer aktuell nicht explizit in der BRRD aufgeführt Säule I/II-Bezug

• Aktuell kein Säule-I-Bezug • Säule II institutsspezifisch laut SREP

• Einheitliche Säule-I-TLACAnforderung • Säule-II-Add-on

Bezugsgröße Nenner

Eigenmittel + Gesamtverbindlichkeiten (ein Wechsel zu den RWAs ist aktuell in Diskussion)

RWA und Leverage Exposures

Zusammensetzung

Keine Restriktionen

Abdeckung von mindestens 1/3 der Mindestanforderung durch Fremdkapital

Inkrafttreten

Die Abwicklungsbehörden bestimmen eine Übergangsfrist

• Erste Phase: 2019 • Zweite Phase: 2022

5 Fazit Die neuen Anforderungen an TLAC und MREL beeinflussen bereits heute die betroffenen Institute auf vielfältige Weise. Gemäß einer Schätzung der Bank for International Settlements (BIS)11 beträgt der weltweite Shortfall an TLAC-Instrumenten über 700 Mrd. USD.12 Trotz der bis heute anhaltenden Unsicherheit über die endgültigen regulatorischen Anforderungen in vielen Jurisdiktionen werden TLAC/MREL-fähige Instrumente emittiert. Ein Beispiel hierfür ist die frühzeitige Emission eines Senior-Non-Preferred-Bonds durch Banco Santander im Januar 2017.13 Weitere Institute planen die Emission entsprechender Papiere in der Folgezeit.14

10 11 12 13 14

228

In Anlehnung an EBA (2016), Final Report on MREL, S. 154 ff. BIS (2015), Assessing the economic costs and benefits of TLAC implementation. Bei einer Mindestanforderung von 16% der RWAs oder 6% des Leverage Exposures. Reuters (2017), Santander to sell debut euro senior non-preferred bond. Reuters (2017), Santander tackles TLAC deficit with senior non-preferred surrogate.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 229 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL versus TLAC – ein Überblick

Es zeichnet sich ab, dass TLAC- und-MREL Instrumente zu einer teureren Refinanzierung führen. Die Refinanzierungskosten mit diesen Instrumenten liegen derzeit zwischen Tier-2-Instrumenten und Senior-Unsecured-Bonds. Weiterhin muss durch die IT-Systeme und den Datenhaushalt in den Instituten sichergestellt werden, dass ein regelmäßiges Reporting sowie Ad-hoc-Anfragen der Behörden mit einer Frist von 24 Stunden beantwortet werden können. Derzeit werden derartige Abfragen (z.B. SRB Data Collection 2016 und 2017) jährlich mit einer Bearbeitungszeit von mehreren Monaten durchgeführt. Eine entsprechende IT-Umsetzung ist daher dringend erforderlich, um eine automatisierte, kurzfristige Meldefähigkeit der Institute sicherzustellen.

Literatur BIS (2015), Assessing the economic costs and benefits of TLAC implementation, www.bis.org/publ/othp24.pdf. EBA (2016), Final Report on MREL, Report on the implementation and design of the MREL Framework, https://www.eba.europa.eu/documents/10180/1695288/EBA+Final+ MREL+Report+(EBA-Op-2016-21).pdf. FSB (2015), Principles in Loss-absorbing and Recapitalisation Capacity of G-SIBs in Resolution, Total Loss-absorbing Capacity (TLAC) Term Sheet, http://www.fsb.org/ wp-content/uploads/TLAC-Principles-and-Term-Sheet-for-publication-final.pdf. FSB (2017), Guiding Principles on the Internal Total Loss-Absorbing Capacity of G-SIBs (Internal TLAC), http://www.fsb.org/wp-content/uploads/P060717-1.pdf. Reuters (2017), Santander tackles TLAC deficit with senior non-preferred surrogate, 11.01.2017, https://www.reuters.com/article/idUSL5N1F13N4, (abgerufen am 25.10.2017). Reuters (2017), Santander to sell debut euro senior non-preferred bond, 25.01.2017, http://www.reuters.com/article/banco-santander-bonds/santander-to-sell-debut-eurosenior-non-preferred-bond-idUSL5N1FF5UR, (abgerufen am 25.10.2017). SRB (2017), MREL: Approach taken in 2016 and next steps, 17.02.2017, https://srb.europa.eu/en/node/201.

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MREL im Detail mit Fallstudie Kim van Dyk/Mario Sonneborn

1 Einleitung 2 SRB-Datenabfrage 2.1 Rahmenbedingungen und Anforderungen 2.2 Durchführungsplanung 2.3 Meldeformulare im Überblick 2.4 Möglichkeiten der Automatisierung 2.4.1 Datenbasis und -anreicherung 2.4.2 Datenverarbeitung 2.5 Befüllung der Meldeformulare 2.5.1 Formulare im Einzelnen 2.5.1.1 T00.01 – Identification of the Report 2.5.1.2 T01.00 – Liability Structure 2.5.1.3 T02.00 – Own Funds 2.5.1.4 T03.0x – Intragroup Data 2.5.1.5 T04.00 – Securities 2.5.1.6 T05.00 – Deposits, not covered and not preferential 2.5.1.7 T06.00 – Financial Liabilities 2.5.1.8 T07.00 – Derivatives 2.5.1.9 T08.00 – Secured Finance 2.5.2 Einzelinstituts- und Konzernmeldung 2.6 Validierung und Qualitätssicherung 3 Fazit Literatur

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1 Einleitung Dieser Beitrag soll als Praxisleitfaden einen kurzen Überblick über die Erstellung der Meldebögen zur Datenabfrage des Single Resolution Board (SRB) einer meldepflichtigen Institutsgruppe geben. Dabei dienen die Erfahrungen aus dem Jahr 2017 als Grundlage. Es wird davon ausgegangen, dass keine komplett automatisierte Lösung zur Verfügung steht und somit projekthaft eine Befüllung der Meldebögen auf Basis einer weitestgehenden Eigenentwicklung erfolgen muss.

2 SRB-Datenabfrage 2.1 Rahmenbedingungen und Anforderungen Das SRB führt als Teil der europäischen Bankenunion die jährliche Erhebung der Daten durch, die als Grundlage für die Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities (MREL) und die weitere Abwicklungsplanung dienen. Das SRB wird von den nationalen Abwicklungsbehörden unterstützt.1 In Deutschland wird dies von der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) wahrgenommen.2 Die für die Datenabfrage 2017 anzuwendenden Vorgaben und Meldebögen veröffentlichte das SRB am 22.12.2016: • Leitfaden für den Liability-Data-Report (29 Seiten); • Excel-Formularset für den Liability-Data-Report (elf Formulare). Ein grober Überblick über die Formulare und Inhalte erfolgt im Abschnitt 2.3. Ergänzt wurden diese Vorgaben durch die laufend fortgeschriebenen und veröffentlichten Question & Answers (Q&A), welche gegen Ende der Datenerhebung dutzende Fragen enthielten.

1 2

Vgl. SRB (2016). Vgl. FMSA (2016).

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Kim van Dyk/Mario Sonneborn

Die Daten waren auf Grundlage des Jahresultimo 20163 zu ermitteln und bis zum 15.05.2017 an die Abwicklungsbehörden zu melden. In den Folgejahren werden die Abgabefristen weiter verschärft:4 • Für den Stichtag 31.12.2017 sind die Daten bis zum 30.04.2018 zu melden. • Für den Stichtag 31.12.2018 und die nachfolgenden Jahre sind die Daten bis zum 31.03. des Folgejahres zu melden. Die Daten sind in unterschiedlicher Granularität sowohl auf Einzelinstituts- als auch auf Gruppenebene zu erheben.5 Im Vergleich zur Datenerhebung des Jahres 2016 wurden die Meldeanforderungen ausgeweitet und gleichzeitig die zeitlichen Vorgaben gestrafft. Somit wird eine professionelle Planung, Umsetzung und Qualitätssicherung der SRB-Datenabfrage für 2017 und die Folgejahre unerlässlich.

2.2 Durchführungsplanung Damit die fristgerechte Abgabe der Meldung mit der geforderten Qualität sichergestellt werden kann, bietet sich ein projektmäßiges Vorgehen an. In diesem Zuge ist zunächst die Organisation und Struktur festzulegen. Im Anschluss daran sind die zeitlichen Abläufe für die wichtigsten Arbeitspakete und Meilensteine zu definieren. Ein exemplarisches Team von drei Vollzeitmitarbeitern wird bei dem Mutterinstitut für die Erstellung der Abfrage über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr benötigt. Diese werden durch Spezialisten aus einzelnen Abteilungen und den relevanten Tochterinstituten unterstützt. Es ist darauf zu achten, dass folgende Rollen während der Durchführungsphase besetzt werden: • Koordination/Steuerung; • fachliche Konzeption; • technische Umsetzung; • Meldungserstellung und Qualitätssicherung.

3 4 5

234

Stichtag war somit der 31.12.2016, unabhängig von Wochenenden oder Feiertagen. Vgl. SRB (2016), S. 4. Vgl. SRB (2016), S. 3.

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MREL im Detail mit Fallstudie

Folgende Meilensteine werden für die Datenabfrage 2017 definiert: • Initialisierung und Set-up: 15.01.; • fachliche Konzeption: 15.03.; • technische Umsetzung: 22.03.; • Probelauf: 31.03.; • Meldungserstellung Einzelinstitut und Gruppe: 15.04.; • Qualitätssicherung: 10.05.; • Abgabe: 15.05. Die hier genannten Termine sind exemplarische Endtermine der jeweiligen Phasen. Die Aktivitäten müssen – insbesondere bei der fachlichen Konzeption und technischen Umsetzung in Teilen parallel erfolgen.

2.3 Meldeformulare im Überblick Tabelle 1: Meldeformulare im Überblick6 Kürzel T00.01

Bezeichnung Identification of the Report

Beschreibung Generelle Information über das meldepflichtige Institut bzw. die Gruppe und die Meldedaten: • Name, • Rechnungslegungsstandard, • Stichtag, • Sitzland.

T01.00

6

Liability Structure

Zentrales, aggregiertes Formular zur Darstellung der Verbindlichkeitenstruktur, welches die relevanten Produktkategorien je Kontrahentengruppe widergibt. Dabei darf jedes Rechtsgeschäft und der dazugehörige Betrag nur einmal einer Produktkategorie zugordnet werden. Ausgenommen hiervon sind explizit wenige Positionen betreffend Derivateverbindlichkeiten.

Vgl. SRB (2016), S. 6 ff.

235

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 236 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kim van Dyk/Mario Sonneborn

Kürzel

Bezeichnung

Beschreibung

T02.00

Own Funds

Detaillierte Darstellung der Eigenmittel unter Beachtung des aktuellen institutsindividuellen SREPa-Beschlusses und der COREPb-Vorgaben.

T03.01

Intragroup Liabilities

Detaillierte Darstellung aller bilanziellen IntragruppenVerbindlichkeiten. Maßgeblich für die Gruppenzugehörigkeit einzelner Unternehmen ist die handelsrechtliche, nicht die aufsichtsrechtliche Abgrenzung.

T03.02

Intragroup Guarantees – Received

Detaillierte Darstellung von erhaltenen Finanzgarantien aus der eigenen Gruppe.

T03.03

Intragroup Guarantees – Provided

Detaillierte Darstellung von gegebenen Finanzgarantien innerhalb der eigenen Gruppe.

T04.00

Securities

Detaillierte Darstellung der (emittierten) Wertpapiere im Sinne von handelbaren Finanzinstrumenten. Exklusiv der unter T03.01 als gruppenintern gemeldeten Papiere.

T05.00

Deposits, not covered and not preferential

Detaillierte Darstellung von ungedeckten und nicht bevorzugten Termineinlagen, sofern die Restlaufzeit ein Jahr übersteigt. Exklusiv der unter T03.01 als gruppenintern gemeldeten Einlagen.

T06.00

Financial Liabilities

Detaillierte Darstellung der restlichen finanziellen Verbindlichkeiten (bspw. Darlehen), die nicht bereits in einem anderen Detailformular gemeldet werden.

T07.00

Derivatives

Detaillierte Darstellung von Derivatetransaktionen, die zu Verbindlichkeiten führen.

T08.00

Secured Finance

Detaillierte Darstellung der besicherten Refininanzierung (bspw.: Repos oder besicherte Zentralbankgeschäfte). Exklusiv der unter T03.01 als gruppenintern gemeldeten Refinanzierung.

a.

Supervisory Review and Evaluation Process. Common Reporting Framework.

b.

In den Detailformularen T03 bis T08 ist es erforderlich, den Insolvenzrang zu melden,7 womit die Ermittlung der Haftungskaskade, bezogen auf die Verbindlichkeiten des Instituts und der Gruppe, möglich ist.

7

236

Vgl. SRB (2016), S. 5.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 237 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL im Detail mit Fallstudie

2.4 Möglichkeiten der Automatisierung 2.4.1

Datenbasis und -anreicherung

Im vorliegenden Fallbeispiel liegt keine umfangreiche und ad hoc nutzbare Datenbasis vor. Aus diesem Grund wird zunächst eine möglichst breite und qualitativ hochwertige Datengrundlage identifiziert, die im zweiten Schritt mit Zusatzinformationen angereichert wird. Für Ersteres, die Datengrundlage, bietet sich die Nutzung bestehender Datenbanken aus Datawarehouses an, welche bereits für interne oder externe Berichterstattung genutzt werden. So stellen bspw. die einzelgeschäftsbasierten Informationen, die bereits für regulatorische Meldezwecke vorgehalten werden, eine solide und qualitativ hochwertige Grundlage dar. Als Vorteil hierbei hat sich herausgestellt, dass die Daten sowohl inhaltlich als auch qualitativ weitestgehend bekannt sind, so dass schnell Lücken und offene Punkte identifiziert werden können. Da diese Datenbasis in aller Regel für die vollständige Erstellung der SRB-Datenabfrage nicht ausreichen wird, müssen weitere Quellen hinzugezogen werden, die für eine Anreicherung genutzt werden können. Diese Datenquellen werden einerseits genutzt, um die Datenbasis horizontal zu erweitern,8 andererseits auch, um die bestehende Basis vertikal zu veredeln.9 Zulieferungen hierfür sind vielfältiger Art und erfolgen zum größeren Teil als technisch verarbeitbare Dateien (bspw. im CSV-Dateiformat), aber auch als manuell zu übernehmende Informationen.

2.4.2

Datenverarbeitung

Für die SRB-Datenabfrage oder die MREL-Meldung sind bereits einige Softwareprodukte am Markt verfügbar. Trotzdem fällt die Entscheidung, wie die Datenverarbeitung erfolgen soll, in dieser Fallstudie zu Gunsten einer Eigenentwicklung. Hierfür haben folgende Argumente den Ausschlag gegeben: • mittlere Komplexität und überschaubarer Umfang der SRB-Meldung; • einfachere und schneller Modifikationsmöglichkeiten sowie bessere Berücksichtigung von Institutsspezifika;

8 9

Z.B. durch Hinzuziehung weiterer Sekundärdatenquellen. Z.B. durch die Erhöhung der Granularität schon vorhandener Datenfeldausprägungen.

237

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 238 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kim van Dyk/Mario Sonneborn

• keine stark ausgereifte externe Software verfügbar; • noch „junge“ Berichtspflicht mit regelmäßigen Anpassungen seitens der Aufsicht. Herzstück der eigenentwickelten Berichtslösung bildet Microsoft Access als schnell verfügbare Datenbanklösung, in welcher die erforderlichen Datenbankstrukturen und Kalkulationsfunktionen programmiert werden. Abbildung 1: Datenverarbeitung Liability Structure

Datenbasis (Einzel-geschäfte)

Vorverarbeitung

MS Access/ VBA-Tool

Aufbereitete und kalkulierte Datenbasis

Befüllung/ Allokation Befüllte Templates MS Access/ VBA-Tool

Datenanreicherung

Diese Lösung ermöglicht es, das Liability-Structure-Template als Basis für alle weiteren Formulare zu erzeugen.

2.5 Befüllung der Meldeformulare 2.5.1 2.5.1.1

Formulare im Einzelnen T00.01 – Identification of the Report

In dem Meldebogen T00.01 – Identification of the Report sind wesentliche Angaben zu dem meldenden Institut vorzunehmen. Resultierend aus der Meldeverpflichtung besteht die Möglichkeit, dass eine Konzernmutter sowohl die Institutsmeldung als auch die Gruppenmeldung einreicht. Darüber hinaus ist bei den Einreichungen der Institutsmeldungen der Töchter die Zugehörigkeit der Gruppe im T00.01 zu nennen.

238

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 239 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL im Detail mit Fallstudie

Wesentlich für den Umfang der von dem jeweiligen Institut einzureichenden Templates ist der Status in der Abwicklung. Während Unternehmen mit dem Status „Point of Entry“ sämtliche Meldeformulare auf Institutsebene einzureichen haben, erstreckt sich der Umfang bei „Other“ lediglich auf die Bögen T01.00 bis T03.03. Die restlichen Angaben, wie Legal-Entity-Identifier-Code (LEI), Name des meldenden Unternehmens, sollten bereits aus anderen Meldungen hinreichend bekannt sein.

2.5.1.2

T01.00 – Liability Structure

Der T01.00 – Liability Structure ist die Datengrundlage für sämtliche nachfolgende Detail-Templates, die teilweise auf das T01 referenzieren. Inhalt des Meldebogens ist die gesamte Passivseite des meldenden Instituts, aufgegliedert in der Spaltenebene nach Kontrahenten und in der Zeilenebene grob nach Bail-in-Fähigkeit, detaillierter dann weiter nach einzelnen Produktkategorien. Die Zuordnung der Geschäftspartner in die einzelnen Spalten kann weitestgehend auf Basis der Bundesbankbranche erfolgen. Unabhängig von der Branchenzuordnung sind Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) in Spalte c02x sowie Unternehmen innerhalb des bilanziellen Konsolidierungskreises in Spalte c08x auszuweisen. Für die Konzernmeldungen ist der Umfang der Geschäfte, die dem aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis unterliegen, hier zu eliminieren. Nicht zuzuordnende Geschäftspartner sind in einer weiteren Iteration auf Börsenfähigkeit des Geschäftes zu untersuchen und nach Sitzland ggf. als „außerhalb der EU“ zu zeigen. Neben der reinen Kontrahentenzuordnung sind je Kontrahentengruppe jeweils der Carrying Amount und der Outstanding Amount zu ermitteln. Dabei entspricht der Carrying Amount dem Bilanzierungswert gemäß Rechnungslegung und sollte mit dem melderelevanten Financial-Reporting-Wert (FINREP) übereinstimmen und der Outstanding Amount mit dem relevanten Wert, der für Abwicklungszwecke (Bail-in) verwendet werden kann. Dies bedeutet, dass der Wert, welcher im Insolvenzfall zum Tragen kommt, zu verwenden ist. Auf Basis der Geschäftsarten erfolgt die Zeilenzuordnung. Diese kann sich z.B. an Produktschlüsseln oder anderen eindeutigen Identifikatoren orientieren. Besonderheiten bei diesem Vorgehen stellen die Geschäfte, welche der Einlagensicherung unterliegen, dar. Der gesicherte Anteil ist in der Zeile „r110 – covered deposits“ zu melden, während der Überhang Kontrahenten spezifisch in den Zeilen r310 und r320 ausgewiesen werden soll. Bei repurchase-Geschäften findet eine analoge Aufteilung statt. Der abgesicherte Anteil ist in Zeile r120 zu melden, der Überhang jedoch in Zeile r340. Weitere besicherte Verbindlichkeiten, die in Zeile r120 auszuweisen wären, lassen sich analog dem Asset-Encumbrance-Meldebogen „F 32.04 – Source of Encumberment“ ermitteln.

239

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 240 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kim van Dyk/Mario Sonneborn

Eine weitere Herausforderung stellen die eigenkapitalfähigen Geschäfte dar, da diese durch das Grandfathering anteilig zur Residuallaufzeit in dem Eigenkapital, also in den Zeilen r500 ff., angerechnet werden und der nicht angerechnete Anteil zumeist in die Zeile „r370 – subordinated liabilities“ fließt.

2.5.1.3

T02.00 – Own Funds

Die geforderten Angaben im T02.00 – Own Funds sind in einigen Bereichen deckungsgleich mit den Angaben, die in der Own-Funds-Meldung aus dem Common Reporting (COREP) gefordert werden. Darüber hinaus ist die Angabe des Prozentsatzes der Leverage Ratio auf Basis des meldenden Instituts anzugeben. Auf Spaltenebene erfolgt eine Differenzierung in „fully-loaded“ und „transitional“.

2.5.1.4

T03.0x – Intragroup Data

Das SRB fordert in den Templates T03.01 bis T03.03 eine granulare Aufgliederung der innerhalb der Unternehmensgruppe bestehenden Verbindlichkeiten und Garantien. Das T03.01 umfasst sämtliche Intragruppen-Verbindlichkeiten, unabhängig von der Art des zugrunde liegenden Geschäftes. Verbindlichkeiten, die in dem T03.01 gezeigt werden, dürfen nicht noch zusätzlich in den noch nachfolgend erläuterten Bögen T04, T06 oder T08 ausgewiesen werden. Als Gruppe wird auch in diesem Fall der bilanzielle Konsolidierungskreis gefordert, was dazu führt, dass für die Konzernmeldung lediglich die Geschäfte anzusetzen sind, die im aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis enthalten sind, nicht jedoch im bilanziellen. Eine Identifikation kann seitens der Aufsicht über die anzugebende LEI des Schuldners erfolgen. Darüber hinaus ist anzugeben, in welcher Zeile des T01.00 das jeweilige Geschäft allokiert wurde. Weitere Angaben erstrecken sich auf das Sitzland sowie auf das Volumen des Geschäftes. Zahlreiche Angaben sind eventuell nur bei den Marktbereichen vorrätig, so dass eine enge Abstimmung notwendig wird. Eine Überleitung der als „secured“ bzw. als dem Eigenkapital angerechnet gekennzeichneten Geschäfte sollte zum T01.00 möglich sein. In den Meldebögen T03.02 und T03.03 sind die innerhalb der Unternehmensgruppe gewährten und erhaltenen Garantien sowie Kreditzusagen auszuweisen. Zwischen diesen Bögen bestehen Abhängigkeiten, die zu einem ggf. hohen Abstimmungsbedarf zwischen den Einzelinstituten der Gruppe führen können, da ein Institut meldet, eine Garantie gewährt zu haben, was zu einem Meldeausweis im T03.03 führt, das empfangende Institut diese Garantie in der Institutsmeldung hingegen im T03.02 als „erhalten“ melden muss.

240

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 241 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL im Detail mit Fallstudie

Neben den Patronatserklärungen, weiteren Globalgarantien und direkt gewährten Garantien sind in den Bögen T03.02 und T03.03 auch Garantien zu melden, die einem Kreditnehmer eines anderen MREL-meldepflichtigen Instituts gewährt wurden. Für die Konzernmeldung sind sämtliche Geschäfte innerhalb des aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreises zu eliminieren. Für die Bögen T03 bis T08 sind je Eintrag Angaben zum Insolvenzrang zu treffen. Basis für diese Zuordnung stellen die Produktarten in Kombination mit weiteren Attributen, wie bspw. „gedeckt“ versus „ungedeckt“, dar. In Abhängigkeit der Standorte relevanter Tochterunternehmen ist neben der deutschen Haftungskaskade die der jeweils anderen Nation zu berücksichtigen, so dass es zu einer Vermengung der Insolvenzränge bei den Detail-Templates kommen kann.

2.5.1.5

T04.00 – Securities

Sämtliche vertragliche Finanzinstrumente, die einen finanziellen Wert repräsentieren, sind in dem T04.00 um Detailinformationen anzureichern. Neben dem Verweis, in welcher Position im Liability-Structure-Template das jeweilige Instrument ausgewiesen wird, sind im Wesentlichen das Volumen der Gesamtemissionen, Verwaltungsstelle, Art der Platzierung, Zinscoupon, Insolvenzranking und Geschäftspartner anzugeben. Dieses kann dazu führen, dass dasselbe Finanzinstrument mehrfach ausgewiesen wird, da es von diversen Investoren gehalten wird. Eine enge Abstimmung mit den Marktbereichen ist auch in diesem Fall für eine Qualitätssicherung empfehlenswert. Darüber hinaus sind im Vergleich zum Vorjahr sämtliche Securities zu melden und nicht nur eine begrenzte Anzahl.

2.5.1.6

T05.00 – Deposits, not covered and not preferential

Einlagen, die nicht durch ein Einlagensicherungssystem abgedeckt sind und nicht bevorzugt behandelt werden, mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr sind detailliert in dem T05.00 auszuweisen. Diese Eingrenzung sorgt dafür, dass lediglich die Geschäfte, die im T01.00 in Zeile r320 infrage kommen, sobald das Kriterium der Restlaufzeit eingehalten wird, in dem T05.00 auszuweisen sind. Zu diesen Geschäften sind weitere Angaben wie z.B. Zinssätze, Datum einer frühest möglichen Rückgabe und Absicherung durch ein weiteres Konzernunternehmen anzugeben.

2.5.1.7

T06.00 – Financial Liabilities

Verbindlichkeiten, die nicht in den Meldeumfang der Bögen T04.00 und T05.00 fallen, sind in diesem Detail-Template auszuweisen. Im Wesentlichen handelt es sich um Kredite.

241

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 242 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Kim van Dyk/Mario Sonneborn

Aufgrund der Eigenschaft des Meldebogens, eine Art Auffangbecken für zahlreiche Verbindlichkeiten zu sein, die keinem anderen Template zugeordnet werden können, sind die geforderten Details wie Garantiegeber, Zinssätze und Fälligkeitsdatum neben den Betragsangaben eher allgemein gehalten. Nach Rücksprache mit der FMSA über den Verband der öffentlichen Banken wurde abgegrenzt, dass die Sichteinlagen, die explizit nicht unter T05.00 zu zeigen sind, auch hier keinen Einzug in die Detaildarstellung erhalten, was die Komplexität und Anzahl der Geschäfte in Abhängigkeit des Geschäftsmodells der Bank drastisch reduzieren kann.10

2.5.1.8

T07.00 – Derivatives

Die in dem T07.00 aufgelisteten Geschäfte stellen den nach FINREP gemeldeten Gesamtbestand derivativer Verbindlichkeiten dar. Zu den dort gemeldeten Transaktionen sind, neben der Art des Netting-Vertrages, die Anzahl der durch diesen Vertrag abgedeckten Einzeltransaktionen anzugeben. Darüber hinaus sind weitere Angaben zum Betrag im Falle einer erwarteten, früheren Glattstellung zu machen sowie die Höhe der gestellten Sicherheiten zu melden.

2.5.1.9

T08.00 – Secured Finance

In dem T08.00 werden im Wesentlichen Repurchase Agreements erwartet, zu denen, neben dem Rang im Insolvenzfall der Standard, nach dem das Geschäft geschlossen wurde, sowie das Volumen der erhaltenen Mittel und gestellten Sicherheiten gefordert werden. Da in dem T01.00 der Ausweis der Geschäfte aufgrund der Überdeckung in mehreren Zeilen erfolgt, ist im T08.00 lediglich der Verweis auf die Spalte im Liability Structure anzugeben.

2.5.2

Einzelinstituts- und Konzernmeldung

Neben der Konzernmeldung nach dem aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis sind für Einzelinstitute ebenfalls bestimmte Meldeformulare einzureichen, sofern diese einen Anteil von mehr als 5% an den Risk Weighted Assets (RWA), dem Leverage Exposure oder den betrieblichen Erträgen auf Konzernebene ausmachen oder kritische Funktionen erbringen. In der Praxis führt dieses dazu, dass diverse Konsolidierungskreise zu beachten sind.

10

242

Vgl. SRB (2017): QnA Nr. 27; 02.03.2017.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 243 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL im Detail mit Fallstudie

Die Konzernmeldung orientiert sich an dem aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreis, die Meldebögen umfassen jedoch z.B. in der Spalte c07x des T01.00 sowie im T02.00 den bilanziellen Konsolidierungskreis. Je nachdem, ob es sich um die Erstellung der Institutsmeldung handelt oder um die Konzernmeldung, gilt der Konsolidierungskreis nach Handelsgesetzbuch (HGB) für die genannten Positionen oder der nach International Financial Reporting Standards (IFRS). Für die Konzernmeldung sind darüber hinaus schließlich die Geschäfte mit Gruppenunternehmen nach Aufsichtsrecht aus sämtlichen Meldebögen zu eliminieren. Die Zulieferungen der Tochterunternehmen zur Konzernmeldung sollte einseitig konsolidiert erfolgen, damit die Zusammenführung der zugelieferten Bögen für das einreichende Mutterunternehmen leichter erfolgen kann.

2.6 Validierung und Qualitätssicherung Gemäß Leitfaden für den Liability-Data-Report sind allein die gemeldeten Daten bindend und dienen als Diskussionsgrundlage für Analysen, Nachfragen und Diskussionen mit dem oberen Management.11 Aus diesem Grund ist eine Qualitätssicherung und Plausibilisierung zwingend notwendig, welche sowohl internen, selbstentwickelten Vorgaben wie auch externen Anforderungen genügen muss. Somit werden zunächst von den verantwortlichen Spezialbereichen der Bank die jeweiligen Detailformulare und die entsprechenden Positionen des Liability-Structure-Templates auf Korrektheit, Konsistenz und Überleitbarkeit geprüft. Weiterhin werden die Daten aus FINREP als Referenz für die Einzelinstituts- und Gruppenformulare des Bogens T01 herangezogen. Hierbei ist zu beachten, dass ggf. Anreicherungen und Überleitungen hinsichtlich des verwendeten Rechnungslegungsstandards erfolgen müssen. Analog wird mit den Eigenmitteldaten der COREP-Meldung verfahren, welche insbesondere für den Bogen T02 benötigt werden. Als externe Qualitätssicherungsvorgaben sind insbesondere die formularimmanenten Logiken und Abhängigkeiten zu beachten. Dazu kommen die vom SRB veröffentlichten Validierungsregeln und die Q&A, welche Eingang in die finale Meldung finden sollen. I.d.R. werden aus diesen Qualitätssicherungsmaßnahmen Anpassungen und Korrekturen notwendig, welche einerseits vergleichbar einfachen Formularänderungen nach sich ziehen, es andererseits aber auch erforderlich machen können, die entwickelte Software-

11

Vgl. SRB (2016), S. 3.

243

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Kim van Dyk/Mario Sonneborn

lösung anzupassen. Aus diesem Grund muss für die Qualitätssicherung ausreichend Zeit eingeplant werden (mindestens drei Wochen). Darüber hinaus ist eine Dokumentation der getätigten Anpassungen unerlässlich.

3 Fazit Die SRB-Datenabfrage 2017 hat erneut gezeigt, dass eine solide Planung und strikte Umsetzung der Meldungserstellung erforderlich ist. Die Rahmenbedingungen werden in den kommenden Jahren, bspw. durch Verkürzung der Abgabefristen, weiter verschärft. Zudem gewinnt die MREL-Quote nach Meinung der Autoren sowohl für die interne Banksteuerung als auch für das externe Meldewesen, die Aufsicht und die Öffentlichkeit an Bedeutung. Aus diesen Gründen ist es erforderlich, dass zukünftig die Meldeerstellung, Qualitätssicherung und Steuerung weiter optimiert wird. Die Datengrundlage spielt dabei eine wichtige Rolle. Und – auch wenn ein größerer Teil der Informationen bereits in den Datenverarbeitungssystemen der Bank erfasst ist – es ist erforderlich, dass diese in Puncto Qualität und schnelle Verfügbarkeit zukünftig stetig weiterentwickelt wird. Nicht zuletzt müssen die Daten, die zur Anreicherung genutzt werden, konsequent in die vorhandenen Datenbanken aufgenommen werden. Nur so ist eine adäquate Ausrichtung der Bankprozesse auf die neue Steuerungs- und Meldeherausforderung MREL möglich.

Literatur FMSA (2016): Öffentlichkeit > Bankenabwicklung > Aufgaben, https://www.fmsa.de/ de/oeffentlichkeit/b_bankenabwicklung/Aufgaben/Aufgaben.html (abgerufen am 11.09.2017). SRB (2016): Guidance on the Liability Data Report. SRB (2017): Resolution > Reporting > Liability Data Report, https://srb.europa.eu/en/ content/liability-data-report (abgerufen am 11.09.2017).

244

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 245 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL in der Gesamtbanksteuerung Henning Heuter

1 Einleitung 2 Einordnung wichtiger Begriffe 3 Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung 4 Kennzahlensystem für die Gesamtbanksteuerung 5 Bilanz des Beispielinstituts Literatur

245

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 246 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

246

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 247 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

1 Einleitung Ein ganzheitlicher Ansatz ist schon seit längerem ein wesentliches Ziel der Gesamtbanksteuerung, welches auch regulatorisch entsprechend forciert wird. Dabei konnte man über die letzten zehn Jahre eine wesentliche Weiterentwicklung beobachten. Waren in der Vergangenheit wenige ausgewählte Kennzahlen im Fokus und andere, insbesondere Liquiditäts- und Strukturkennzahlen, nur eine Nebenbedingung, haben sich viele Größen mittlerweile zu Engpassfaktoren entwickelt. Mit der MREL kommt eine weitere Größe dazu, die den Umfang der Kennzahlen und möglicherweise auch den der Engpassfaktoren erhöht. Dazu ordnet der Beitrag wichtige Begriffe in der Steuerung ein, stellt ein typisches Kennzahlensystem zur ganzheitlichen Steuerung der Gesamtbank vor, in dem Kapital-, Liquiditäts-, Risikotragfähigkeits- und Strukturgrößen behandelt werden. Anhand eines illustrativen Beispiels werden wichtige Wirkungszusammenhänge vorgestellt, die mit der Erweiterung auf die MREL einhergehen.

2 Einordnung wichtiger Begriffe Als Grundvoraussetzung für jegliche Aktivität muss ein Institut über eine ausreichende Eigenkapitalausstattung verfügen, ebenso muss die Zahlungsfähigkeit laufend sichergestellt werden. Dies ist einerseits ein internes Ziel des Risikomanagements, andererseits fordert aber auch die Bankenaufsicht, dass ein Institut über eine angemessene Kapitalausstattung und eine effektive Steuerung der Risikotragfähigkeit verfügt.1 Der klassische Risikomanagementprozess umfasst dabei die Identifikation, die Beurteilung, die Steuerung sowie die Überwachung/Kontrolle und Kommunikation der Risiken. Er ist eingebettet in den Rahmen der institutsspezifischen Geschäfts- und Risikoziele sowie Risikoneigung und -toleranz (Risikopolitik).2 Im Sinne der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) ist das Risikomanagement als Teil einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation zu verstehen. Die Gesamtbanksteuerung stellt übergeordnet darauf ab, mittels diverser Zielvorgaben und Geschäfts- und Risikostrategien einen Rahmen dafür und Kontrollnormen zur Steuerung des gesamten Instituts zu schaffen. Die genannten Strategien fokussieren dabei auf Liquiditäts- oder Finanzkennzahlen aus Risiko- und Ertragssicht, ebenfalls

1 2

Vgl. Rose. Vgl. MaRisk AT 1 Tz. 1.

247

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 248 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Henning Heuter

sind organisatorische Größen von Bedeutung. Typische Kennzahlen sind der Value at Risk (VaR) für die wesentlichen Risikoarten und RAPM-Kennziffern3 wie der Return on Risk Adjusted Capital (RORAC) für eine integrierte Betrachtung von Risiken und Erträgen. Häufig wird darüber hinaus auch die Gesamtbankrisikosteuerung als Begriff verwendet. Dabei wird in Abgrenzung zur Gesamtbanksteuerung der Fokus auf die Risikokennzahlen gelegt, Ertragsgrößen sind dabei Nebenbedingungen. Im aktuellen Umfeld ist diese engere Betrachtung weit verbreitet. In diesem Kontext ist auch der Begriff Risikosteuerung zu sehen, der im Sinne der MaRisk die frühzeitige Erkennung, vollständige Erfassung und ein angemessenes Reporting der wesentlichen Risiken umfasst und der die frühzeitige Erkennung von Risiken durch effektive Risikosteuerungs- und -Controlling-Prozesse durch die Definition und Beobachtung von Frühwarnindikatoren zur rechtzeitigen Erkennung von Risiken und risikoartenübergreifenden Effekten sicherstellen muss.4 Diese Anforderungen finden sich neben den MaRisk auch in den Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) Guidelines5 der European Banking Authority (EBA), in denen sehr detaillierte Anforderungen an die Ausgestaltung der Risikosteuerungs- und -Controlling-Prozesse formuliert sind. In den Guidelines wird neben dem Begriff Internal Capital Adequacy Assessment Process (ICAAP) für die Beschreibung des Risikotragfähigkeitsprozesses auch der Begriff Internal Liquidity Adequacy Assessment Process (ILAAP) geprägt, der zusätzlich gesonderte Anforderungen an die Steuerung der Liquidität stellt. Der ICAAP bzw. der Risikotragfähigkeitsprozess soll über alle Risiken hinweg „auf der Grundlage des Gesamtrisikoprofils […] sicherstellen, dass die wesentlichen Risiken des Instituts durch das Risikodeckungspotenzial, unter Berücksichtigung von Risikokonzentrationen, laufend abgedeckt sind und damit die Risikotragfähigkeit gegeben ist.“6 Wie bereits oben beschrieben sind die Strategien als Rahmen für die gesamten Steuerungsprozesse von herausgehobener Bedeutung. Diese müssen auf der Grundlage der Risikoinventur Aussagen dazu enthalten, welche Risikoarten für das Institut wesentlich sind, in welchen Geschäftsaktivitäten diese auftreten können und mit welchen Methoden diese quantitativ oder zumindest – in Form von Expertenschätzungen – qualitativ bestimmt

3 4 5 6

248

Risikoadjustierte Performance-Maße. Vgl. Rose. Vgl. EBA/GL/2014/13, 2014, Tz. 91 ff. Vgl. MaRisk.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 249 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL in der Gesamtbanksteuerung

werden können. Ebenso ist in der Strategie zu betrachten, wie die zur Deckung der Risiken eingesetzten Kapitalbestandteile bestimmt und zusammengesetzt sind und inwieweit diese geeignet sind, die mit den festgelegten Methoden ermittelten Risikobeträge aufzufangen. In der Praxis ist der Detailgrad der Strategien ein bedeutendes Spannungsfeld. Die Institute verfolgen durch möglichst globale Vorgaben das Ziel, bei der Umsetzung ein hohes Maß an Flexibilität zu behalten; aus Sicht der überwachenden Einheiten und auch aus der der Prüfer sollen Strategien möglichst konkret formuliert werden, um ein frühzeitiges und gezieltes Eingreifen im Risikomanagementprozess sicherzustellen. Die im Umfeld der Steuerungsaktivitäten vergebenen operativen Limite für eine einzelne Einheit oder Risikoart sind dabei letztendlich Resultat davon, wie auf der Grundlage der Risikostrategie ausgehend von der gesamten Deckungsmasse Kapital auf der Ebene der für die Gesamtbank relevanten Risikoarten allokiert wird. Damit werden die wesentlichen Risiken entsprechend ihrer Bedeutung im Risikomanagementprozess berücksichtigt. Die Strategie muss – basierend auf dieser Analyse – Aussagen dazu enthalten, welche Risiken aus den jeweiligen Geschäftsaktivitäten resultieren können und inwieweit die Methoden geeignet sind, das Risiko angemessen zu bestimmen. Auch operative Limite für Segmente, Teil-Portfolien oder bestimmte Produkte müssen damit eindeutig im Kontext der Gesamtbank betrachtet werden.7

3 Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung Aus aufsichtsrechtlicher Perspektive bestehen große Freiheitsgrade bei der Ausgestaltung der Gesamtbanksteuerung. Grundsätzlich gilt es in der Praxis, die Bedeutung der Strategie und der damit verbunden Risiken herauszustellen. Maßgeblich dafür ist die mehrdimensionale Steuerungsperspektive. Diese stellt auf der einen Seite die Ertrags- bzw. die Ergebnis- und die ökonomische Perspektive bei der Risikomessung sicher, auf der anderen Seite eine dazu konsistente Deckungsmasse für den Fall der Fortführung (Going Concern) und der Liquidation (Gone Concern).

7

Vgl. Heuter.

249

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 250 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Henning Heuter

Abbildung 1: Aktuelle Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung

Im Fokus der ergebnisorientierten Sichtweise steht die Frage, inwieweit Verluste oder zumindest Mindererlöse zu verkraften sind, die den vom Eigentümer oder Träger vorgegebenen Mindestgewinn vermindern oder einen geplanten Verlust weiter erhöhen. Die Bezugsgröße ist dabei die laufende Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) bzw. das Eigenkapital des Instituts. Eine Aussage zur Risikotragfähigkeit wird bei dieser Sichtweise typischerweise für einen Going Concern getroffen. Der Fokus der Risikomessung liegt grundsätzlich bei einem Jahr. Der wichtigste limitierende Faktor dieser Methode ist die Sicherstellung des aufsichtlichen Mindestkapitals. Es darf nur das freie Eigenkapital auf die Risiken allokiert werden, also der Teil, der nicht zur Erfüllung der Capital Requirements Regulation (CRR) erforderlich ist. Die barwertige Sichtweise stellt verglichen dazu eine mögliche Verminderung des Vermögenswertes des Instituts in den Fokus der Betrachtung. Dieses Vermögen wird i.d.R. bestimmt, indem die Zahlungsströme aller Geschäfte des Instituts auf den Zeitpunkt der Betrachtung diskontiert werden, womit in dieser Sichtweise alle Geschäfte wie ein Kapitalmarktprodukt behandelt werden. Hierbei wird demnach im Gegensatz zur ergebnisorientierten Sichtweise nicht ein Geschäftsjahr betrachtet, sondern die Totalperspektive, die den Wert eines Geschäfts über dessen gesamte Laufzeit bemisst. Das Eigenkapital des Instituts ist dabei vollständig berücksichtigt und kann zur Risikodeckung eingesetzt werden. Diese aktuell etablierten Begriffe und die in den Instituten etablierten Methoden werden laufend weiterentwickelt. In diesem Kontext werden durch die Aufsicht8 neue Begriffe und damit auch Änderungen in den Methoden der Gesamtbanksteuerung etabliert. Es wird künftig zwischen einer normativen und einer ökonomischen Perspektive unterschieden.

8

250

EZB, Mehrjahresplan für die SSM-Leitfäden zum ICAAP und zum ILAAP, Scheiben vom 20.02.2017; Bafin/Deutsche Bundesbank, Risikotragfähigkeit: Neuer Leitfaden zur aufsichtlichen Beurteilung, Konsultationspapier vom 06.09.2017.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 251 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL in der Gesamtbanksteuerung

Abbildung 2: Künftige Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung Going Concern

Gone Concern

Ergebnisorientiert Ertragssichtweise

Barwertorientiert Ökonomische Sichtweise

Normative Perspektive

Ökonomische Perspektive

In der neuen normativen Perspektive wird das regulatorische Eigenkapital des Instituts gegen die Risiken der Säule I und die Puffer gehalten, die das Institut im Ergebnis aufsichtlicher Entscheidungen zusätzlich vorhalten muss. Durch die Berücksichtigung der Säule-I-Risiken ist der Ansatz dem etablierten Going Concern ähnlich. Der wesentliche Unterschied ist darin zu sehen, dass künftig eine dreijährige Betrachtung erforderlich ist. In der neuen ökonomischen Perspektive liegt der Fokus analog zum bisher etablierten Gone Concern auf den institutsinternen Methoden. Die einjährige Sichtweise bleibt hier zunächst Priorität, um die mehrjährige normative Sichtweise aber vollumfänglich betrachten zu können, ist auch in dieser Perspektive eine Betrachtung über ein Jahr hinaus zu etablieren. In dieser mehrjährigen Sicht ist eine der größten Herausforderungen zu sehen. Voraussetzung für die Berücksichtigung der einzelnen Risikogrößen in der Gesamtbanksteuerung ist die Messbarkeit. Über die letzten Jahre haben sich verschieden komplexe Quantifizierungsverfahren entwickelt und in der Praxis etabliert, problematisch wird es, wenn für bestimmte Risikoarten bzw. Sichtweisen keine oder nur ungenügende Modelle zur Verfügung stehen, etwa für Reputations- und politische Risiken ganz grundsätzlich oder für das Zinsänderungsrisiko, für das es zwar in nahezu allen Instituten barwertige Messmethoden gibt, ergebnisorientierte Ansätze aber nicht überall implementiert sind. Für andere Risikoarten sind dagegen Methoden zu installieren, die entweder auf Expertenschätzungen beruhen bzw. die Risiken über Szenarioanalysen ermitteln, wenn keine ökonomischen Quantifizierungsverfahren wie ein VaR vorliegen.9

9

Vgl. Bafin/Deutsche Bundesbank, Risikotragfähigkeit: Neuer Leitfaden zur aufsichtlichen Beurteilung, Konsultationspapier vom 06.09.2017.

251

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 252 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Henning Heuter

Die Ausführungen zeigen, dass sich die Gesamtbanksteuerung zunächst auf Risikomethoden für die verschiedenen Perspektiven, im Going Concern zusätzlich auf Ertragsgrößen und darüber hinaus die Eigenkapitalanforderungen als limitierenden Faktor, fokussiert. Dabei gibt es noch weitere Perspektiven: Zusätzlich sind weitere Themenfelder zu berücksichtigen, die sich auf Liquiditäts- und Strukturkennzahlen beziehen. Für letztere haben sich Größen wie die Distance to Illiquidity und die Liquidity Coverage Ratio (LCR) etabliert bzw. wurden durch die Aufsicht vorgegeben. Für die Steuerung der Struktur gibt es auf der Adressrisikoseite mit Kredit-Portfolio-Modellen implizite Ansätze oder explizite Vorgaben wie etwa die Vorschriften für Großkredite. Auf der Passivseite werden mit der Net Stable Funding Ratio (NSFR) Vorgaben etabliert, die Auswirkungen auf die Produkte haben werden.10 Die MREL wird eine weitere Strukturkennzahl, die in die Gesamtbanksteuerung eingebunden werden muss, was im Abschnitt 4 anhand eines Beispiels erarbeitet wird.

4 Kennzahlensystem für die Gesamtbanksteuerung Die bisherigen Ausführungen zeigen den Bedarf zur Weiterentwicklung der Gesamtbanksteuerung hin zu einem mehrdimensionalen Limit- und Reporting-System. Ökonomische und Kapitalgrößen sind dabei ebenso zu berücksichtigen wie Ertrags, Liquiditätsund Strukturkennzahlen. Ein erfolgreiches Steuerungssystem stellt dabei sicher, dass alle relevanten Größen ganzheitlich und ex ante (und nicht nur ex post) gemessen, reportet und gesteuert werden können. Im Folgenden werden dafür anhand eines einfachen Beispiels Perspektiven und dazu im Detail ausgewählte verschiedene Kennzahlen vorgestellt, wobei der Fokus auf die Wirkungsweise der MREL gelegt wird. Das Beispielinstitut hat die für die interne Steuerung relevanten Kennzahlen den Perspektiven Kapital, ICAAP, Struktur, Liquidität und Rentabilität zugeordnet. Damit werden nicht nur die Kennzahlen der klassischen Steuerung bedient, sondern ein breiteres Spektrum.

10

252

Auf internationaler Ebene ist durch den Basler Ausschuss die NSFR bereits final definiert, auf europäischer Ebene ist mit einer verbindlichen Vorgabe nicht vor 2020 zu rechen.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 253 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

MREL in der Gesamtbanksteuerung

Als Instrument im Risikomanagementprozess nutzt das Institut Ex-ante-Simulationen für alle strategischen Maßnahmen und auch für taktische Maßnahmen, wenn diese einen intern definierten Transaktionsrahmen überscheiten, etwa bei einer Verbriefung von mehr als 5% des Portfolios oder bei einem neuen Refinanzierungsprodukt, welches ebenfalls einen Anteil von 5% des Portfolios übersteigt. Die Ausprägungen aller Kennzahlen in den relevanten Perspektiven bilden die in Abbildung 3 dargestellte dunkle Linie. Ein im Rahmen der Strategie festgelegtes internes Limit wird ebenso dargestellt wie ein externer, durch den Regulator festgelegter Wert wie etwa für das Kapital. Abbildung 3 zeigt wesentliche Wirkungszusammenhänge in der Steuerung auf einen Blick. Abbildung 3: Kennzahlenbereiche der Gesamtbanksteuerung

Das Beispielinstitut ist eine Hypothekenbank und verfügt über die in Abschnitt 5 dargestellten Bilanzpositionen. Die MREL liegt bei etwas unter 10%. Eine externe Vorgabe gibt es für unser Beispielinstitut im ersten Schritt nicht, als interne Grenze für die Steuerung wird zunächst ein Wert von 8% angenommen.11

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Vgl. SRB: Hier wurde der Wert von 8% als Floor verwendet.

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Henning Heuter

Ausgangswert: berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten + Eigenmittel 135.000 MREL = -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- = ----------------------- = 9,47% Gesamtverbindlichkeiten + Eigenmittel 1.425.000

Auch alle weiteren Kennzahlen liegen innerhalb der internen Strategie bzw. der regulatorischen Vorgaben, wobei die Ertrags- und die Eigenkapitalgrößen sowie die NSFR nicht so komfortabel liegen wie die Risikogrößen aus dem ICAAP- und dem ILAAPUmfeld, was das Kennzahlenbeispiel zeigt. Als Ertragsgrößen werden ein bilanziell und ein ökonomisch ermittelter Return on Equity (RoE) sowie eine Cost-Income-Ratio verwendet, für das Kapital die Common Equity Tier 1 (CET 1), das Gesamtkapital (Total Capital (TC)) und die Leverage Ratio (LR), für den ICAAP ein Going- sowie ein GoneConcern-Ansatz, für die Steuerung der Struktur die MREL, die Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC) und die NSFR, für die Liquidität die LCR, die Distance to Illiquidity und ein Wert für die Beobachtung der Bruttoabflüsse. Abbildung 4 zeigt die insgesamt gute Ausgangslage des Instituts. Für alle Kennzahlen sind interne Schwellenwerte festgelegt, externe Grenzen gibt es nur für Kapital, ICAAP, LCR und in unserem Bespiel auch für die NSFR, da das Institut die Vorgaben des Basler Ausschusses für die NSFR bereits einhalten muss. Die Kennzahl liegt bei etwas unter 102%. Abbildung 4: Kennzahlenbeispiel – Ausgangslage

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MREL in der Gesamtbanksteuerung

Neben der MREL betrachtet das Institut zusätzlich auch die TLAC, die das internationale Pendant zur MREL darstellt. Die TLAC betrifft nur die global systemrelevanten Institute. Da die LCR einen extrem hohen Wert erreicht hat, wird intern simuliert, wie sich die Kennzahlen verändern, wenn der Bestand an Bundesanleihen und sehr gut gerateten Pfandbriefen zugunsten von höher verzinsten Bankanleihen oder auch Unternehmensanleihen reduziert wird. Der Umfang der Transaktion wird mit 100 Geldeinheiten angenommen. Einzig die Ertragskennzahlen verbessern sich, alle anderen bleiben unverändert oder verschlechtern sich. Bei der Strukturkennziffer NSFR kommt es zu einer Unterschreitung der für unser Beispiel angenommen Quote von 100%. Grund dafür sind die deutlich höheren Anteile, zu denen eine Bank- oder Unternehmensanleihe verglichen mit einer Staatsanleihe oder einem Pfandbrief stabil zu refinanzieren ist. Wert nach LCR-Maßnahme: stabile Refinanzierung 1.144.750 NSFR = ---------------------------------------------------------------------------- = ----------------------- = 101,57% erforderliche stabile Refinanzierung 1.127.000 1.144.750 ----------------------- = 94,84% 1.207.000

Das Beispielinstitut kann diese ertragssteigernde Maßnahme demnach nicht umsetzten. Durch eine Simulation im Vorfeld ist allerdings die Optimierung möglich. Diese zeigt, dass bei einem deutlich geringeren Volumen von 20 Geldeinheiten die NSFR bei 100% liegt und damit innerhalb der regulatorischen Vorgaben. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass der Umfang der Steuerungsgrößen und der Engpassfaktoren die Durchführung von Maßnahmen deutlich erschwert. In der Vergangenheit wurden wenige Engpassfaktoren wie die ICAAP-Limite und die Kapitalgrößen betrachtet, gleichzeitig war deren Steuerung einfacher, weil bspw. die Beschaffung neuen Kapitals weniger problematisch war. Ein modernes Gesamtbanksteuerungssystem umfasst deutlich mehr Kennzahlen, die auch häufiger Engpassfaktoren darstellen, weil die Steuerung von Strukturkennzahlen nur vergleichsweise träge erfolgen kann oder die Kapitalbeschaffung erschwert bzw. gar nicht möglich ist. In einem weiteren Szenario wird nun angenommen, dass für das Institut durch den Regulator eine MREL-Quote festgelegt wird. Diese soll bei mindestens 13% liegen. Die Zielgröße liegt deutlich über der im Ausgangsbeispiel festgelegten Quote von 9,47%.

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Henning Heuter

Abbildung 5: Kennzahlensystem – Anpassung

Das Kennzahlentableau zeigt die deutliche Veränderung klar an, es besteht unverzüglicher Handlungsbedarf. Die Steuerung der Quote kann über verschiedene Wege erreicht werden, indem Zähler oder Nenner durch Maßnahmen verändert werden. Auf der einen Seite können die Eigenmittel im Zähler der Kennzahl für eine Erhöhung der Kennzahl herangezogen werden. Für unsere Musterbank wäre allerdings die Erhöhung des Eigenkapitals um 60% erforderlich (von 100 Geldeinheiten auf 160), um die MREL von über 13% zu erreichen.12 Die massive Erhöhung hat auf die Ertragskennzahlen deutlich negative Auswirkungen, alle anderen Kennzahlen entwickeln sich positiv oder verhalten sich neutral. Aufgrund der verhältnismäßig sehr großen Kapitalmaßnahme ist eine Einhaltung der Kennzahl (allein) durch die Erhöhung des Eigenkapitals aber wenig realistisch. Ebenfalls im Zähler der MREL ausgewiesen werden die berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten, die das Institut erhöhen könnte. Hier bietet sich auf der einen Seite an, neue Verbindlichkeiten aufzunehmen, die für unser Beispiel in Staatsanleihen investiert

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Der Hebel ist nicht zuletzt deshalb so groß, da die Eigenmittel im Zähler und im Nenner berücksichtigt sind.

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MREL in der Gesamtbanksteuerung

werden. Bei einem niedrigen Zinsniveau wird damit kein oder sogar ein negativer Ertrag generiert, andererseits müssten nachrangige Verbindlichkeiten oder andere anrechenbare Verbindlichkeiten vergleichsweis hoch verzinst werden. Das Institut hat im Ausgangsbeispiel nur 20 Geldeinheiten von nicht einlagengesicherten Einlagen, die über die erforderliche Restlaufzeit verfügen. Um neben dem extern vorgegebenen Wert von 13% auch einen für die interne Steuerung gesetzten Wert von bspw. 16% zu erreichen, müssten die Einlagen um 120 Geldeinheiten erhöht werden, auch das stellt wie die Option Eigenkapital einen erheblichen Eingriff in die Position dar. Alternativ könnte das Institut versuchen, nicht berücksichtigungsfähige Instrumente zugunsten berücksichtigungsfähiger zu verringern, etwa durch die Emission eines MREL-Instruments und die Reduzierung der Einlagen mit Laufzeit unter zwölf Monaten oder der Pfandbriefe. Bleibt als dritte Option noch Verringerung der Gesamtverbindlichkeiten. Um aber ohne neues Kapital und ohne die Erhöhung berücksichtigungsfähiger Verbindlichkeiten mit Hilfe der Simulation eine MREL von über 13% zu erreichen, wäre eine Bilanzverkürzung von 400 Geldeinheiten erforderlich, in dem ca. die Hälfte der Maßnahme aus dem Rückkauf von Pfandbriefen und der Ausplatzierung der Kredite und die andere Hälfte aus dem Abbau von Sichteinlagen und Termingeldern besteht. Abbildung 6: Kennzahlensystem – Simulation

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Henning Heuter

Auch hier zeigt sich, dass die Umsetzung nur durch massive Eingriffe erfolgen kann. Die Aussteuerung der MREL auf das regulatorische Mindestmaß gelingt zwar, gleichzeitig ist durch die Verringerung der stabilen Refinanzierungen aber die NSFR unter der Zielgröße, so dass die simulierte Maßnahme so nicht durchgeführt und weiter angepasst werden müsste. Eine extreme Auswirkung hat die dritte Option auf die Ertragskennzahlen. Da die Bilanzsumme deutlich reduziert wird, geht der RoE deutlich zurück, so dass der verhältnismäßig hohe Preis für die Steuerungsaktion deutlich wird. Zusammenfassend zeigt sich für das Beispielinstitut, dass die Aussteuerung einer Kennzahl wie der MREL viele Seiteneffekte mit sich bringt und massive Eingriffe in das Portfolio nötig sind, um entsprechende Effekte zu erzielen. In der Praxis zeigen die Erfahrungen mit der NSFR, dass die Steuerung von Strukturkennzahlen vergleichsweise schwierig ist und Änderungen nur vergleichsweise träge realisiert werden können. Ebenfalls wird deutlich, dass bei der Durchführung von Maßnahmen eine Simulation im Vorfeld sehr sinnvoll ist. Dies gilt für die im Fokus stehende Kennzahl wie in unserem Beispiel der MREL, dies gilt aber auch für alle weiteren Kennzahlen, denn so wird das Ausmaß ungünstiger Seiteneffekte frühzeitig transparent und kann bei der tatsächlichen Umsetzung der Steuerungsmaßnahme berücksichtigt werden. Die Kennzahlensimulation für das Beispielinstitut ist vergleichsweise einfach aufgesetzt. Bei der Umsetzung in der Praxis ist die Komplexität deutlich höher, aber es empfiehlt sich auch da, mit vereinfachenden Annahmen zu arbeiten, um ein performantes Kennzahlensystem etablieren zu können. Übergeordnet wird mit den Ausführungen dieses Beitrages deutlich, dass die Gesamtbanksteuerung laufend weiterentwickelt werden muss. Wenn in der Vergangenheit die Risikosteuerung häufig im Fokus stand, werden in modernen Gesamtbanksteuerungssystemen Risikotragfähigkeits-, Kapital-, Ertrags-, Struktur- und Liquiditätskennziffern integriert betrachtet. Erschwerend kommt hinzu, dass der Regulator eine längerfristige Betrachtung relevanter Steuerungsgrößen fordert. Die Ausführungen zu den Perspektiven in der Gesamtbanksteuerung haben gezeigt, dass künftig eine mehrjährige Betrachtung der Risikotragfähigkeit und der Kapitalgrößen erforderlich ist. Schlussfolgerung aus dieser Forderung sollte sein, das gesamte Steuerungssystem darauf auszurichten. Erfahrungen mit der Strukurkennzahl NSFR zeigen, dass eine Steuerung von ökonomischen bzw. Risikogrößen allein nicht ausreicht, so dass für einzelne Produkte oder Portfolien Limite oder andere Steuerungsgrößen festgelegt werden müssen. Ebenso zeigen die Erfahrungen, dass die Umsetzung von Maßnahmen teilweise nur über einen längeren Zeitraum erfolgen kann, so dass die Steuerung eher strategisch und nicht allein taktisch erfolgen kann.

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MREL in der Gesamtbanksteuerung

Die Steuerung der MREL wird einen vergleichbaren Raum in der Gesamtbanksteuerung einnehmen. Ähnlich wie in der NSFR wird auch hier die Produkt- und Portfolio-Ebene im Fokus stehen, um ein ausreichendes Maß an berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten sicherzustellen und um eine ungünstige Entwicklung der Gesamtverbindlichkeiten des Instituts zu verhindern. Entsprechende Anpassungen an den Geschäfts- und Risikostrategien sind jedenfalls erforderlich. Abschließend kommt bei der MREL mit der Transparenz für berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten ein weiterer Aspekt dazu, der Auswirkungen auf das Reputationsrisiko haben kann. Kunden werden im Zweifel wissen wollen, ob ihre Einlagen berücksichtigungsfähig sind und wo sie in der Haftungskaskade stehen. Es wird ebenso großes Interesse daran bestehen zu wissen, inwieweit das Institut die Anforderungen an die MREL-Quote mit Eigenmitteln erfüllen kann und wie groß der Anteil an Fremdkapital für den Fall einer Haftung sein wird. Schlussendlich wird es auch Auswirkungen auf das Pricing der Refinanzierungsprodukte haben. So wie sich in der Vergangenheit ein Markt für Nachrangmittel entwickelt hatte, wird auch das Pricing der im Sinne der Regulierung als berücksichtigungsfähig geltenden Einlagen sehr differenziert erfolgen. Erste Erfahrungen aus Großbritannien zeigen, dass sich die Preise für TLAC-Instrumente zwischen den Senior-Unsecured-Emissionen und den Nachranganleihen (T2-Kapital) bewegen.

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Henning Heuter

5 Bilanz des Beispielinstituts Abbildung 7: Bilanz des Beispielsinstituts

Literatur EBA: SREP [European Banking Authority] (2015b): Leitlinien zu gemeinsamen Verfahren und Methoden für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP), EBA/GL/2014/13, deutsche Übersetzung vom 25.09.2015, London. Heuter: Heuter, H./Braun, H., Rahmenbedingungen des Treasury im Kontext der Gesamtbanksteuerung, in: Braun, H./Heuter, H.: Handbuch Treasury, Schäffer-Poeschel, 2011. MaRisk: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk. Rose: Rose, M./Heuter, H., Risikomanagementprozess, in Gruber, W./Schöche, L./ Rose, M.: Prüfungsleitfaden interne Revision, Frankfurt School Verlag, 2016.

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Geschäftsbetrieb in Abwicklung

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Finanzielle Kontinuität Sascha Janus

1 Einleitung 2 Status quo des Liquiditätsrisikomanagements und der Funding-Planung des betroffenen Instituts bzw. der Institutsgruppe 3 Kurzfristiger Liquiditätsbedarf 4 Allgemeiner Funding-Plan 4.1 Prozess zur Durchführung der beschleunigten Funding-Planung 4.2 Verfügbare Funding-Instrumente 5 Informationsbereitstellung zu Sicherheiten 6 Fazit und Bedeutung der Abwicklungsstrategie Literatur

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1 Einleitung Problemstellung Die Betrachtung der Liquiditätsdimension im Kontext der Abwicklungsplanung ist insbesondere aus den folgenden zwei Gründen von hoher Bedeutung: • Die Zahlungsunfähigkeit mündet in der Bestandsgefährdung: Die Bestandsgefährdung ist eine Abwicklungsvoraussetzung in Bezug auf Institute.1 Eine Bestandsgefährdung liegt u.a. vor, wenn „das Institut zahlungsunfähig ist oder objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Institut in naher Zukunft nicht mehr in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“2 I.d.R. zielen die im Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) beschriebenen Abwicklungsmaßnahmen primär auf eine Verbesserung der Kapitalausstattung ab. Wenn die Abwicklung jedoch nicht durch eine unzureichende Kapitalausstattung, sondern durch die Zahlungsunfähigkeit (Illiquidität) angeordnet wird, sind für diesen Fall geeignete Abwicklungsmaßnahmen zu entwickeln. • Sicherstellung der finanziellen Kontinuität während und nach der Abwicklung: Unabhängig von den Gründen, welche zur Bestandsgefährdung und in der Folge zur Anwendung von Abwicklungsmaßnahmen in Bezug auf ein Institut geführt haben (z.B. unzureichende Kapital- oder Liquiditätsausstattung), ist die Sicherstellung der finanziellen Kontinuität eine Grundvoraussetzung für die Funktionalität des Abwicklungsregimes und der Umsetzung der jeweiligen Abwicklungsstrategie.3 Die folgenden Aspekte machen die grundsätzliche Notwendigkeit der Betrachtung von Liquiditätsrisikomanagement und Funding in der Abwicklung deutlich: • Wenn es zur Anwendung von Abwicklungsmaßnahmen kommt, ist für Institute, die über ein Rating verfügen, davon auszugehen, dass diese ein Downgrade tief in den Non-Investmentgrade-Bereich erfahren werden oder das Rating sogar gänzlich verlieren. Die Refinanzierung über den Interbanken- und Kapitalmarkt dürfte somit schwer möglich oder gar unmöglich sein. In Folge dessen müssen neue Refinanzierungsquellen erschlossen werden.

1 2 3

Vgl. § 62 Abs. 1 S. 1 SAG. Vgl. § 63 Abs. 1 S. 3 SAG. Vgl. Single Resolution Board (2016), S. 32.

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Sascha Janus

• Im Zuge der Abwicklung kommt es im Gegensatz zu einem ordentlichen Insolvenzverfahren nicht zu einer vollständigen Liquidation eines Instituts. Daher muss, wenn zumindest Teile eines Instituts und im Falle eines Open Bank’ Bail-in4 das gesamte Institut als fortführungswürdig erachtet werden, für den Geschäftsbetrieb in Abwicklung sowie für die Zeit danach ausreichend Liquidität zur Verfügung stehen. Dies erfordert ein funktionierendes Liquiditätsrisikomanagement sowie eine durchsetzbare Funding-Planung. • Sollte es zu Zahlungsschwierigkeiten gegenüber externen Dienstleistern kommen, so sind derartige Ereignisse regelmäßig Auslöser (Trigger-Events) von Vertragsklauseln, die ein Beendigungsrecht (Walk-away Clauses oder Termination Rights) seitens des Anbieters der jeweiligen Leistung zur Folge haben. Durch zusätzliche Sicherheitenstellung oder Liquiditätslinien können diese Mechanismen ggf. verhindert werden. Dies ist insbesondere für externe Dienstleister (IT und Non-IT) sowie Zugänge zur Finanzmarktinfrastruktur relevant und gewinnt mit Blick auf die Aufrechterhaltung von kritischen Funktionen an Bedeutung.5 Zielsetzung und Vorgehensweise In diesem Beitrag werden die wesentlichen Inhalte eines Abwicklungsplans zum Thema Liquiditätsrisikomanagement und Refinanzierung/Funding aufgeführt und beschrieben. Damit soll eine Grundlage für eine mögliche Struktur zur Erstellung eines entsprechenden Kapitels für die individuelle Abwicklungsplanung von Instituten geschaffen werden, welche als Hilfestellung für die praktische Erstellung dienen kann. Die im Folgenden behandelten Inhalte eines solchen Kapitels sind also eher generischer Natur und erlauben keine Beschreibung institutsindividueller Eigenheiten. Gerade vor dem Hintergrund der in Bezug auf die deutsche Bankenlandschaft sehr unterschiedlichen Größen, Geschäftsmodelle, Unternehmens- und Eigentümerstrukturen sowie Rechtsformen ist eine entsprechende Individualisierung in der Praxis mithin von hoher Bedeutung.6 Zudem ist anzuführen, dass auch die jeweils verfolgte Abwicklungsstrategie wesentlichen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung des Kapitels hat (vgl. Abschnitt 6). Die Ausführungen dieses Beitrages basieren auf Erfahrungen aus der praktischen Erstellung von

4 5 6

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Vgl. Avgouleas/Goodhart (2015), S. 4. Vgl. Single Resolution Board (2016), S. 32-34. Vgl. http://www.bundesbank.de (Das Banken- und Finanzsystem – Die Banken in Deutschland).

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 267 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Finanzielle Kontinuität

Abwicklungsplänen, dem Austausch innerhalb der Branche sowie mit Behörden und entsprechen der gängigen Bankpraxis. In Abschnitt 2 werden zunächst die Hintergründe für das Erfordernis einer umfangreichen Erläuterung des Status quo in Bezug auf das Liquiditätsrisikomanagement sowie die Refinanzierung des jeweiligen Instituts erläutert, darüber hinaus wird auf die wesentlichen Aspekte, die in diesem Teil enthalten sein sollten, eingegangen. Abschnitt 3 befasst sich mit der kurzfristigen Sicherstellung von Liquidität in der Abwicklung. In Abschnitt 4 wird die mittel- bis langfristige Sicherstellung von Liquidität behandelt. Dabei geht es um die Aufstellung einer durchsetzbaren Funding-Planung sowie der potenziellen Liquiditätsquellen. Es folgt eine Darstellung der Bedeutung des Collateral-Managements im Zusammenhang mit der Abwicklungsplanung in Abschnitt 5. Abschließend wird in Abschnitt 6 auf die Bedeutung der Abwicklungsstrategie für das Thema finanzielle Kontinuität und auf den Umgang mit Abwicklungshindernissen eingegangen.

2 Status quo des Liquiditätsrisikomanagements und der Funding-Planung des betroffenen Instituts bzw. der Institutsgruppe Der Abwicklungsplan sollte ein Kapitel enthalten, in welchem dargestellt wird, wie das Liquiditätsrisikomanagement sowie die Funding-Planung in der normalen Geschäftstätigkeit in die Aufbau- und Ablauforganisation integriert ist. Ziel ist es dabei, bei Personen, welche fachkundig, aber gegenwärtig nicht Angestellte des Instituts sind, ein Verständnis für die wesentlichen Strukturen und Prozesse zu schaffen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund von zwei im Zuge der Abwicklung absehbaren Entwicklungen von Bedeutung: Nach Erlass der Abwicklungsanordnung ist zum einen damit zu rechnen, dass viele Mitarbeiter das Institut verlassen werden, da sie bei einem Institut in Abwicklung keine persönliche Zukunft mehr sehen, zum anderen hat das bisherige Management der betroffenen Bank ggf. nur noch eingeschränkte oder gar keine Befugnisse mehr und kann von seinen Aufgaben entbunden werden. So können die Geschäftsleitung, aber auch Angestellte der nachgelagerten Führungsebene eines in Abwicklung befindlichen Instituts abberufen oder ersetzt werden.7 Unabhängig von den Ursachen, durch die ein kurzfristiger Abgang von personellen Ressourcen und damit ein Wissensabfluss ausgelöst wird, kann dieser dazu führen, dass die finanzielle

7

Vgl. § 78 Abs. 1 S. 5 SAG.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 268 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Sascha Janus

Kontinuität in der Abwicklungsphase eingeschränkt oder nicht aufrechterhalten werden kann. Ein solcher Zustand kann ein Abwicklungshindernis darstellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Abwicklungsziele bedroht sind, z.B. im Zusammenhang mit Einschränkungen in Bezug auf die finanzielle Kontinuität, welche die Fortführung einer kritischen Funktion gefährden und dadurch Gefahren für die Finanzstabilität oder negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft nach sich ziehen würde. Da am Abwicklungswochenende nur wenig Zeit zur Verfügung steht, sollte die Abwicklungsplanung bereits Informationen zum bestehenden Liquiditätsrisikomanagement sowie zu der Funding-Planung enthalten.8 In diesem Kontext sind insbesondere die im Folgenden dargestellten Aspekte zu berücksichtigen. Strategien, Strukturen, Prozesse und Aufgaben Die wesentlichen bestehenden Strukturen, Prozesse und Aufgaben zur Durchführung des Liquiditätsrisikomanagements und der Funding-Planung sind zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang ist deskriptiv insbesondere auf die folgenden Aspekte und Fragestellungen einzugehen: • Welche Strategie wird in Bezug auf Liquiditätsrisikomanagement und Funding-Planung durch das Institut verfolgt? • Welche Kennzahlen und Instrumente werden in der Steuerung und im Risikomanagement verwendet und wie werden diese gemessen (z.B. Liquidity Coverage Ratio (LCR), Net Stable Funding Ratio (NSFR), Liquiditätsablaufbilanz)? • Umfangreiche quantitative und qualitative Informationen über das Asset Liability Management (ALM) (z. B. Zusammensetzung des Liquiditätspuffers, Sicherheiten, Refinanzierungskonzentrationen, wer sind die wichtigsten Gläubiger etc.). • Die wesentlichen Hauptprozesse zur Durchführung des Liquiditätsrisikomanagements und der Funding-Planung sind darzustellen. • Die einzelnen Aufgaben dieser Hauptprozesse sind den aktuellen Organisationseinheiten klar zuzuordnen. • Vorhandene Arbeitsanweisungen sind vorzuhalten oder dem Abwicklungsplan als Anlage beizulegen.

8

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Vgl. Single Resolution Board (2016), S. 16.

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Finanzielle Kontinuität

• Bei Konzernen ist darüber hinaus die Betrachtung folgender Fragestellungen vorzunehmen: • Wie erfolgt das Liquiditätsrisikomanagement und die Funding-Planung im Konzern? • Wie ist die Verteilung der liquiden Mittel im Konzern? • Gibt es Vereinbarungen zum Liquiditätsrisikomanagement und der Funding-Planung unter den Konzernunternehmen? Notfallregime Der Abwicklungsplan sollte Informationen darüber enthalten, welche Krisenreaktionsmaßnahmen bezüglich eines möglichen Liquiditätsnotfalls im Institut bereits existieren. Dabei sollten die folgenden Aspekte hinreichend dargestellt werden:9 • Darstellung der Verantwortlichkeiten im Krisenfall (z.B. Liquiditätsnotfallkomitee); • Verweise auf die Formalisierung von Verantwortlichkeiten und Prozessänderungen (z.B. Liquiditätsnotfallrichtlinie); • Überblick über die bestehenden Frühwarnindikatoren, deren Überwachungsintervalle und Eskalationsprozesse; • Darstellung des für Liquiditätsnotfälle zur Verfügung stehenden Maßnahmenkatalogs. In diesem Zusammenhang ist auch die Sanierungsplanung des Instituts nach Maßnahmen und Regelungen zu Liquiditätsnotfällen zu untersuchen. Ziel ist es dabei, bestehende Prozesse und Vorkehrungen für die Abwicklungsplanung zu verwenden oder darauf aufzusetzen und diese weiterzuentwickeln. Dies dient der Integration der Abwicklungsplanung in die bestehende Gesamtbanksteuerung und verhindert Parallelwelten im Institut.

9

Vgl. Bodemer (2012), S. 260-261.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 270 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Sascha Janus

Personelle Ressourcen und interne Abhängigkeiten Es sind die für einen reibungslosen Ablauf benötigten personellen Ressourcen zu ermitteln (im Kontext der finanziellen Kontinuität). Dabei soll die benötigte Anzahl der Personen benannt und die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten beschrieben werden. Auf Basis der bestehenden Aufbauorganisation werden die Organisationseinheiten institutsweit bzw. konzernweit benannt und die aktuellen Inhaber mit Schlüsselpositionen für die Durchführung der wesentlichen Aufgaben mit Klarnamen identifiziert. Infrastruktur In diesem Teil ist die für die Sicherstellung der finanziellen Kontinuität notwendige Infrastruktur zu benennen. Der Begriff Infrastruktur bezieht sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die folgenden Themen: • Welche IT-Systeme werden benötigt? • Welche Systeme der Finanzmarktinfrastruktur werden benötigt? • Gibt es spezielle Anforderungen an die Arbeitsplätze bzw. die Ausstattung dieser? Externe Dienstleister An dieser Stelle ist die Frage zu beantworten, welche externen Dienstleister für die Sicherstellung der finanziellen Kontinuität benötigt werden. Ein Beispiel wären in diesem Kontext externe Unternehmensberater mit speziellem Wissen oder Outsourcing-Anbieter. Wie mit der Sicherstellung von personellen Ressourcen, Infrastruktur und externen Dienstleistern im Detail zu verfahren ist, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags, da dies dem Themenkomplex „operationelle Kontinuität“ zuzuordnen ist.10

3 Kurzfristiger Liquiditätsbedarf Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es bei Bankinsolvenzen – abhängig von der Bedeutung des jeweiligen Instituts – zu großen Verwerfungen an den Finanzmärkten und zu

10

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Vgl. dazu den Beitrag von Krüger.

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 271 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Finanzielle Kontinuität

negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft kommen kann. Auch Privatanleger reagieren auf derartige Ereignisse i.d.R. mit dem schnellen Abzug ihrer Einlagen (Bank Run).11 Vor diesem Hintergrund ist es von hoher Bedeutung, dass die Abwicklungsanordnung und die im Rahmen der Abwicklung zu treffenden Grundsatzentscheidungen (z. B. Abwicklungsmaßnahmen) kontrolliert ablaufen. Idealtypisch finden diese Vorgänge daher an einem obligatorischen Abwicklungswochenende statt, da z.B. Börsen an Wochenendtagen i.d.R. geschlossen sind und diese auch keine Bankarbeitstage sind.12 In Bezug auf die Sicherstellung der finanziellen Kontinuität ist es erforderlich, dass das von der Abwicklung betroffene Institut am Abwicklungswochenende ad hoc in der Lage ist, den kurzfristigen Liquiditätsbedarf zu ermitteln. Hierbei geht es um die an und unmittelbar nach dem Abwicklungswochenende zu bedienenden finanziellen Verpflichtungen; dabei sind insbesondere die folgenden Abflüsse von besonderer Bedeutung: • Löhne und Gehälter zur Sicherstellung personeller Ressourcen; • Bezahlung von IT und non-IT Dienstleistungen zur Sicherstellung der operationellen Kontinuität; • Zahlung von Mieten zur Sicherstellung des Zugangs zu Gebäuden; • Bedienen der Forderungen zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung (z.B. Sicherstellung der Energieversorgung, wichtiger Lizenzen etc.). Die obige Aufzählung orientiert sich an der Frage: Welcher Liquiditätsbedarf existiert im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs in Abwicklung? Diese Frage muss im Detail institutsindividuell beurteilt werden. Im Zusammenhang mit der kurzfristigen Sicherstellung von Liquidität sollte der Abwicklungsplan detaillierte Informationen zu den in Tabelle 1 dargestellten Themen enthalten.

11 12

Vgl. http://www.faz.net (Northern Rock. Lange Schlangen, abstürzende Kurse). Vgl. Single Resolution Board (2016), S. 16.

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 272 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Sascha Janus

Tabelle 1: Informationsbereitstellung zum kurzfristigen Liquiditätsbedarf Aufgabe

Status

Zeithorizont

Verantwortlich

Darstellung einer Ablaufbilanz für den ersten Monat auf Basis von täglichen Zahlungsströmen

Verfügbar (beispielhaft)

Innerhalb von zwei Stunden (beispielhaft)

Organisationseinheit A (beispielhaft)

Darstellung von Zu- und Abflüssen der erwarteten täglichen Zahlungsströme des ersten Monats inklusive Angaben zu Währungen

Verfügbar (beispielhaft)

Innerhalb von zwei Stunden (beispielhaft)

Organisationseinheit A (beispielhaft)

• Welche Wertpapiere können kurzfristig als Sicherheit dienen?

Verfügbar (beispielhaft)

Innerhalb von zwei Stunden (beispielhaft)

Organisationseinheit A (beispielhaft)

Verfügbar (beispielhaft)

Innerhalb von zwei Stunden (beispielhaft)

• Welche sind zentralbankfähig? • Kann gedeckte Refinanzierung am Kapitalmarkt eingeworben werden? • Aussagen zur Höhe des möglichen Zuflusses Überprüfung: Wie können zusätzliche Sicherheiten geschaffen werden?

Die Abwicklungsplanung dient in wesentlichen Teilen dazu, die Bereitschaft für einen potenziellen Abwicklungsfall herzustellen. Sollte im Zusammenhang mit der obigen Analyse auffallen, dass Informationen gar nicht oder nicht innerhalb einer angemessenen Zeit (am Abwicklungswochenende) verfügbar sind, kann dies als Abwicklungshindernis eingestuft werden. In diesem Fall ist es wichtig, im Abwicklungsplan Transparenz über diesen Zustand zu schaffen und hinreichend darzulegen, wie das jeweilige Institut gedenkt, das Abwicklungshindernis zu beseitigen. Sollte das Vorgehen des Instituts hier nicht überzeugend sein, steht der Abwicklungsbehörde die Befugnis zu, den Instituten konkrete Vorgaben zu machen, wie diese die Abwicklungshindernisse zu beseitigen haben.

4 Allgemeiner Funding-Plan Neben der Sicherstellung des kurzfristigen Liquiditätsbedarfs gilt es, einen allgemeinen Funding-Plan zu entwickeln. Ziel ist es dabei, mit Hilfe einer dauerhaft durchsetzbaren Funding-Planung die Rückkehr an den Interbanken- und Kapitalmarkt und auch Prolongationen von Tages- und Termingeldern zu ermöglichen.

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Finanzielle Kontinuität

Der allgemeine Funding-Plan soll für einen Zeitraum von einem Jahr nach dem Abwicklungswochenende erstellt werden. Wichtig für die Erstellung des Funding-Plans ist es, dass nicht angenommen werden darf, dass eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erfolgt. Im besten Fall führt eine erfolgreiche Umsetzung dieses Funding-Plans zu einer Stabilisierung der externen Ratings und ermöglicht durch eine Rückkehr an den Interbanken- und Kapitalmarkt und in den Investment-Grade-Bereich, wieder auskömmliche Margen zu erwirtschaften und eine langfristige Profitabilität der Bank zu erreichen. Die Entwicklung dieses Funding-Plans ist stark von der jeweiligen Abwicklungsstrategie und dem nach der Abwicklung angestrebten Geschäftsmodell abhängig (vgl. Abschnitt 6). Unabhängig davon sollten im Abwicklungsplan insbesondere Aussagen zum Prozess zur Durchführung einer beschleunigten Funding-Planung sowie zu den verfügbaren Funding-Instrumenten enthalten sein.

4.1 Prozess zur Durchführung der beschleunigten Funding-Planung In Abschnitt 2 wurde bereits beschrieben, dass umfangreiche Informationen zur Aufbauund Ablauforganisation der Funding-Planung im Status quo in den Abwicklungsplan aufgenommen werden sollten. Auf diesen Ausführungen zum prozessualen Ablauf basierend wird an dieser Stelle ein deutlich beschleunigter Prozess beschrieben. Dabei sind grundsätzlich die gleichen Aspekte zu betrachten, wesentliche Änderungen können aus der schnelleren Durchführung resultieren. So können im Vergleich zum regulären Planungsprozess bspw. Schritte vorgezogen werden oder erst nachgelagert erfolgen. Evtl. ist es auch möglich, dass Expertenschätzungen zu zeitintensiven Aspekten vorgenommen werden oder einzelne Schritte sogar vollständig entfallen.

4.2 Verfügbare Funding-Instrumente Wie bereits erläutert, ist während und nach einer Abwicklungsphase von einem stark eingeschränkten Zugang zu bestimmten Liquiditätsquellen auszugehen – insbesondere zu solchen, die zuvor ein wesentlicher Bestandteil der Refinanzierungsstruktur waren. So ist es voraussichtlich sehr schwer oder gar unmöglich, dass sich ein Institut unbesichert langfristig über den Kapitalmarkt oder im Interbankengeschäft refinanziert. Dieses Kapitel ist daher ein bedeutender Bestandteil der Abwicklungsplanung und soll eine Auflistung aller aus aktueller Sicht verfügbarer Funding-Quellen enthalten, die zur Sicherstellung der kurz- und mittel- bis langfristigen Liquidität beitragen können. Die Grundidee liegt darin, einen „Werkzeugkasten“ vorzustellen, welcher unterschiedliche

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Sascha Janus

Funding-Instrumente und eine Quantifizierung der positiven Wirkung auf die Liquiditätssituation sowie eine Aussage zu den Refinanzierungskosten enthält. Nachfolgend werden beispielhaft potenzielle Maßnahmen aufgeführt, welche im Rahmen einer Funding-Planung nach dem Abwicklungswochenende unter den besonderen Umständen mögliche Funding-Instrumente darstellen. Ungenutzte Sanierungsoptionen aus der Sanierungsplanung Für Liquiditätsnotfälle verfügen Institute i.d.R. über Notfallregime mit einer Auswahl an Instrumenten, die zur Bewältigung eines Liquiditätsengpasses zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind, auch im Rahmen der aufsichtsrechtlich geforderten Sanierungsplanung, Sanierungsoptionen zu entwickeln und aufzunehmen, welche eine positive Wirkung auf die Liquiditätsdimension haben.13 Es ist als wahrscheinlich anzusehen, dass ein Institut auf dem Weg in die Bestandsgefährdung bereits alle zur Verfügung stehenden Sanierungsoptionen eingesetzt hat. Insbesondere bei einer Bestandsgefährdung, die durch die Zahlungsunfähigkeit ausgelöst wurde, ist davon auszugehen, dass alle Sanierungsoptionen mit positiven liquiditätsmäßigen Auswirkungen bereits eingesetzt wurden. Eine Ausnahme könnten solche Sanierungsoptionen darstellen, die eine hohe Dauer bis zur vollständigen Wirkungsentfaltung aufweisen. Diese können in einer konkreten Liquiditätskrise ggf. nicht schnell genug zum Einsatz gebracht werden und stehen auch in der Abwicklung nach wie vor zur Verfügung und können nun als Teil des allgemeinen Funding-Plans dienen. Beispiele für solche ungenutzten Handlungsoptionen für die Sanierung können z.B. die Folgenden sein:14 • accessing central bank liquidity facilities with routine collateral, • accessing central bank emergency liquidity facilities, • rollover/attract more commercial paper, • Repo or pledge high-quality liquid assets,

13 14

274

Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2014), E. 3.4. European Banking Authority (2017), S. 41.

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Finanzielle Kontinuität

• replace, sell, repo or swap non-high-quality liquid assets, • create and pledge new retained covered bonds and internal securitisations, • issuance of covered bonds and RMBS, • monetisation of unencumbered securities, • secured funding of assets, • Central bank pledging of own issued bonds. Der Abwicklungsplan sollte neben einer Aufzählung der im konkreten Abwicklungsfall wahrscheinlich noch ungenutzten Sanierungsoptionen nach dem obigen Beispiel mindestens eine Kurzbeschreibung enthalten, die liquiditätsmäßige Auswirkungen und Aussagen zur Dauer bis zur Wirkungsentfaltung benennt. Es ist sinnvoll, die Ausführungen der betroffenen Sanierungsoptionen aus dem Sanierungsplan des betroffenen Instituts dem Abwicklungsplan als Anlage beizufügen. Öffentliche Refinanzierungsquellen Laut Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) ist eine außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln nicht vorgesehen und kommt einer Bestandsgefährdung gleich, „es sei denn, die außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erfolgt zur Abwendung einer schweren Störung der Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats und zur Wahrung der Finanzstabilität in Form • einer staatlichen Garantie für Liquiditätsfazilitäten, die von Zentralbanken zu ihren Bedingungen bereitgestellt werden, • einer staatlichen Garantie für neu emittierte Verbindlichkeiten oder • einer Zuführung von Eigenmitteln oder des Kaufs von Kapitalinstrumenten zu Preisen und Bedingungen, die das Institut nicht begünstigen, wenn weder die Voraussetzungen nach Buchstaben a, b oder c dieses Absatzes noch die Voraussetzungen nach Artikel 59 Absatz 3 zu dem Zeitpunkt gegeben sind, in dem die Unterstützung aus öffentlichen Mitteln gewährt wird.“15

15

Vgl. Art. 32 Abs. 4 Buchst. d der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates.

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Beitrag des Restrukturierungsfonds (Single Resolution Fund (SRF)) Der Restrukturierungsfonds verfügt über Mittel, welche in einer Liquiditätsnotfallsituation zur Verfügung gestellt werden könnten. Die folgenden Möglichkeiten bestehen im Detail:16 • die Garantie von Aktiva oder Verbindlichkeiten; • Kreditvergabe oder Ankaufen von Aktiva; • Beteiligung an einem Brückeninstitut oder einer Vermögensverwaltungsgesellschaft; • Beteiligung an dem Institut in Abwicklung anstelle eines Bail-in bestimmter Gläubiger unter bestimmten Bedingungen; • Entschädigungszahlungen an Eigentümer oder Gläubiger, welche im Zuge der Anwendung von Abwicklungsmaßnahmen schlechter gestellt wurden als in einem regulären Insolvenzverfahren. Der SRF soll grundsätzlich nicht zur Verlustabsorption oder Rekapitalisierung eines Instituts eingesetzt werden. Es gibt Ausnahmen, wenn bestimmte Verbindlichkeiten von der Anwendung des Bail-in-Instrumentes ausgenommen wurden. Die Konditionen, zu denen ein Beitrag des SRF erfolgt, werden von der Abwicklungsbehörde festgelegt. Beitrag des Institutssicherungssystems Am Beispiel des Sicherungssystems der Sparkassen-Finanzgruppe lässt sich dieser Sachverhalt verdeutlichen: Gemäß § 17 Abs. 3 der Rahmensatzung für das Sicherungssystem der Sparkassen-Finanzgruppe kommen insbesondere die folgenden Stützungsmaßnahmen in Betracht:17 1. Zuwendung von Haftungsmitteln, auch in Form verlorener Zuschüsse (Eigenkapitalzufuhr); 2. Übernahme von Garantien oder Bürgschaften;

16 17

276

Vgl. https://srb.europa.eu (What is the single resolution fund?). Vgl. § 17 Abs. 3 der Rahmensatzung für das als Einlagensicherungssystem anerkannte institutsbezogene Sicherungssystem der Sparkassen-Finanzgruppe.

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Finanzielle Kontinuität

3. Übernahme verzinslicher Schuldversprechen; 4. Erfüllung gegen die Mitgliedssparkasse gerichteter Ansprüche Dritter gegen Übertragung der Ansprüche auf den Sparkassenstützungsfonds. Beim Sicherungssystem der Sparkassen-Finanzgruppe handelt es sich um eine Maßnahme des privaten Sektors im Sinne des SAG. Diese sind zunächst auszuschöpfen, bevor die Abwicklungsvoraussetzungen gegeben sind. Sollte ein Institutssicherungssystem zur Abwendung von Abwicklungsmaßnahmen nicht in der Lage sein, können auch in und nach der Abwicklung stabilisierende Maßnahmen ergriffen werden. Das Sicherungssystem der Sparkassen-Finanzgruppe könnte bspw. bei der Aufstellung eines neuen Refinanzierungsmixes insbesondere mit den oben genannten Maßnahmen 2. und 3. einen wertvollen Beitrag zur Sicherstellung der finanziellen Kontinuität leisten. Beitrag des Einlagensicherungssystems In der BRRD heißt es: „Da der Schutz der gedeckten Einleger zu den wichtigsten Abwicklungszielen gehört, sollten gedeckte Einlagen nicht vom Bail-in-Instrument betroffen sein. Das Einlagensicherungssystem sollte jedoch zur Finanzierung des Abwicklungsverfahrens beitragen, indem Verluste in Höhe der Nettoverluste ausgeglichen werden, die es bei einem regulären Insolvenzverfahren nach Entschädigung der Einleger zu tragen gehabt hätte. Die Ausübung der Bail-in-Befugnisse würde sicherstellen, dass Einleger weiterhin mindestens im Rahmen des Deckungsniveaus Zugang zu ihren Einlagen haben, denn aus eben diesem Grunde wurde das Einlagensicherungssystem geschaffen. Würden diese Systeme in solchen Fällen nicht einbezogen, würde dies einen unfairen Vorteil im Hinblick auf die übrigen Gläubiger darstellen, die der Ausübung der Befugnisse der Abwicklungsbehörde unterlägen.“18 Dies bedeutet somit konkret, dass der mögliche Beitrag des Einlagensicherungssystems nur im jeweiligen Abwicklungsfall zu beurteilen ist. Er hängt davon ab, welche Gläubigergruppen im Falle eines Bail-in von einer Abschreibung oder Wandlung betroffen sind. Fazilitäten der Europäischen Zentralbank (EZB) Hauptrefinanzierungsgeschäft „Das Eurosystem stellt Zentralbankgeld im Normalfall größtenteils über befristete Geschäfte – besicherte Kredite oder Repos – mit kurzer Laufzeit bereit. Diese Haupt-

18

Vgl. Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, Erwägungsgrund 71.

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refinanzierungsgeschäfte haben eine Laufzeit von sieben Tagen. Bei der Zuteilung eines neuen Geschäfts kann das Eurosystem berücksichtigen, ob sich der Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld verändert hat, beispielsweise weil die Wirtschaft wegen des Weihnachtsgeschäfts mehr Bargeld benötigt. Der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft ist einer der Leitzinsen. Nur der EZB-Rat kann über seine Veränderung entscheiden. Oft hebt bzw. senkt er dann aber auch die anderen Leitzinsen, d.h. die Zinssätze für die ständigen Fazilitäten, in gleichem Ausmaß.“19 „Im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise hat das Eurosystem Zentralbankgeld von 2008 an verstärkt über länger laufende Refinanzierungsgeschäfte bereitgestellt. Der Zins für das wöchentliche Hauptrefinanzierungsgeschäft behielt gleichwohl seine Funktion, den geldpolitischen Kurs des Eurosystems zu signalisieren. Hebt der EZB-Rat die Leitzinsen an, wird dies oft als ‚Straffung‘ der Geldpolitik bezeichnet. Bei einer Zinssenkung ist von einer ‚Lockerung‘ die Rede.“ 20 Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte „Die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte dienen dazu, dem Bankensystem längerfristig Zentralbankgeld zur Verfügung zu stellen. Vor Ausbruch der Finanzkrise hatten diese Geschäfte mit ihrer Laufzeit von drei Monaten nur einen kleinen Anteil am gesamten Refinanzierungsvolumen. Im Zuge der Finanzkrise hat das Eurosystem den Anteil der längerfristigen Liquidität vorübergehend deutlich ausgeweitet. Umgesetzt wurde dies über die Einführung von Geschäften mit Laufzeiten von sechs und von zwölf Monaten sowie von Refinanzierungsgeschäften, die jeweils die Laufzeit einer Mindestreserveperiode abdecken. Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise und des weitverbreiteten Misstrauens der Banken untereinander ging das Eurosystem Ende 2011/Anfang 2012 noch einen Schritt weiter und stellte den Geschäftsbanken über zwei Geschäfte Zentralbankgeld sogar mit einer Laufzeit von drei Jahren zur Verfügung.“21 Devisen-Swap-Vereinbarungen „Bei einer Devisenswap-Vereinbarung einigen sich zwei Zentralbanken darauf, ihre jeweiligen Währungen miteinander zu tauschen. Dadurch hat eine Zentralbank die Möglichkeit, sich Liquidität in Fremdwährung bei der Zentralbank zu beschaffen, die die jeweilige Währung ausgibt. In der Regel tut sie dies, um die Fremdwährungsnachfrage von Geschäftsbanken in ihrem eigenen Land zu befriedigen. Durch eine Swap-Vereinbarung mit der US-amerikanischen Notenbank (Federal Reserve System – Fed) können z.B. die EZB und alle nationalen Zentralbanken im Euroraum (die zusammen das Euro-

19 20 21

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Vgl. http://www.bundesbank.de (Die Geldpolitik des Eurosystems – Offenmarktgeschäfte). Vgl. http://www.bundesbank.de (Die Geldpolitik des Eurosystems – Offenmarktgeschäfte). Vgl. http://www.bundesbank.de (Die Geldpolitik des Eurosystems – Offenmarktgeschäfte).

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Finanzielle Kontinuität

system bilden) US-Dollar bei der Fed aufnehmen. Dafür stellen sie ihr den entsprechenden Gegenwert in Euro zur Verfügung. Derartige Vereinbarungen gehören bereits seit Jahrzehnten zu den geldpolitischen Instrumenten der Zentralbanken.“22 Spitzenrefinanzierungsfazilität „Bei der Spitzenrefinanzierungsfazilität kann eine Bank ‚über Nacht‘ auf eigene Initiative einen Kredit bei der Zentralbank aufnehmen, um einen kurzfristigen Bedarf an Zentralbankgeld abzudecken. Sie muss aber auch diesen Kredit durch Hinterlegung von Pfändern besichern. Am nächsten Tag muss der Kredit getilgt werden. Der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität ist höher als der Satz des Hauptrefinanzierungsgeschäfts. Er bildet im Allgemeinen die Obergrenze für den Tagesgeldzins. Denn keine Bank, die über ausreichend Sicherheiten verfügt, wird einer anderen Bank für einen Übernachtkredit einen höheren Zins zahlen, als sie bei der Zentralbank für einen Übernachtkredit zahlen muss.“23 Beitrag des Bail-in-Instrumentes Das Bail-in-Instrument leistet insofern einen Beitrag zur Sicherstellung ausreichender Liquidität, als dass die Wandlung von bisherigen Fremdkapitalinstrumenten dazu führt, dass das bisher befristete Fremdkapital in unbefristetes Eigenkapital umgewandelt wird. Es besteht im Gegensatz zu vielen Fremdkapitalinstrumenten, im extremsten Fall bei Sichteinlagen, welche täglich fällig sind,24 folglich auch keine vertragliche Verpflichtung seitens des Instituts, die Eigenkapitaltitel zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Preis zurückzunehmen. Dies hat positive Auswirkungen auf die Liquiditätsablaufbilanz. Rückkehr an den Interbanken- und Kapitalmarkt, Optimierung der Aktivseite und Normalphase Die vorgenannten Maßnahmen sind geeignet, um zunächst den kurzfristigen Liquiditätsbedarf zu bedienen und im zweiten Schritt einen mittel- bis langfristig orientierten Funding-Plan aufzustellen. Dieser Funding-Plan enthält eine spezifisch z.B. aus den oben genannten Instrumenten zusammengesetzte Planung und sollte nach dem Abwicklungswochenende glaubhaft die Durchsetzbarkeit vermitteln und im anschließenden Zeitverlauf durch die Umsetzung überzeugen. Diese Funding-Planung sollte dabei insbesondere von den folgenden Instrumenten und Tätigkeiten flankiert werden:

22 23 24

Vgl. https://www.ecb.europa.eu (Was sind Devisenswap-Vereinbarungen?). Vgl. http://www.bundesbank.de (Ständige Fazilitäten). Vor dem Hintergrund der Bodensatztheorie nach Wagner ist dieses Beispiel zu relativieren.

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• Die Bank muss sehr schnell in der Lage sein, eine Aussage über die verfügbaren Sicherheiten zu treffen. Diese können anschließend für gedecktes Funding wie z.B. Repos, besicherte/gedeckte Schuldverschreibungen, Asset Backed Securities (ABS) oder Zentralbankfazilitäten verwendet werden (vgl. Abschnitt 5). • Es ist zusätzlich zu prüfen, ob durch z.B. Verbriefungen kurzfristig zusätzliche Sicherheiten zum vorgenannten Zweck geschaffen werden können. • Einwerben von Refinanzierungsmitteln über private funding. Geeignete Gegenparteien sind hierfür renditeorientierte Anleger wie z.B. Hedgefonds oder Private-EquityGesellschaften. • Zusätzlich ist die Aktivseite unmittelbar nach dem Abwicklungswochenende hinsichtlich ihres Liquiditätsbedarfes zu untersuchen, bei Geschäftsaktivitäten oder Beteiligungen, welche einen hohen Liquiditätsbedarf aufweisen, ist zu überprüfen, ob diese veräußert oder beendet werden können oder ob ein Ersetzen durch weniger liquiditätsintensive Anlageformen möglich ist. Eine denkbare Möglichkeit für die Passivseite wäre, mit ausgewählten Gegenparteien Stundungen oder Streckungen der Auszahlungen zu verhandeln. Die in diesem Abschnitt aufgezählten Instrumente stellen eine geeignete Grundlage dar, um den in Abschnitt 4.1 beschriebenen Prozess zur Ad-hoc-Aktualisierung der FundingPlanung anzustoßen und einen geeigneten Funding-Plan aufzustellen. Ziel der Funding-Planung nach der Abwicklung ist es z.B. für kapitalmarktorientierte Institute, über ein Rating-Upgrade wieder den Investmentgrade-Bereich für langfristige Verbindlichkeiten zu erhalten und damit die Rückkehr an den Interbanken- und Kapitalmarkt zu ermöglichen. Hierbei kann stufenweise vorgegangen werden (zunächst eher kurzfristiges und gedecktes Funding und über den Zeitverlauf hin zu langfristigen und ungedeckten Funding-Instrumenten). Wenn die Rückkehr an den Kapitalmarkt erfolgreich verläuft, ist davon auszugehen, dass auch das Einlagengeschäft eine Wiederbelebung erfährt. Sollte das Interbankgeschäft, ungedecktes Kapitalmarkt-Funding und das Einlagengeschäft zu marktüblichen Preisen wieder möglich sein, ist dies ein Zeichen für die Rückkehr in die Phase der normalen Geschäftstätigkeit, und die Bank bzw. die nach der Abwicklung vorhandenen Bestandteile können nachhaltig profitabel betrieben werden.

5 Informationsbereitstellung zu Sicherheiten Im Abschnitt 4 wurde die Bedeutung von gedecktem Funding bereits beschrieben. Sicherheiten sind während und nach der Abwicklung sowie für die Umsetzung einer Vielzahl der im Rahmen von Abschnitt 4.2 beschriebenen Maßnahmen essentiell. Daher ist es von

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Finanzielle Kontinuität

hoher Bedeutung, dass das jeweilige Institut kurzfristig (am Abwicklungswochenende) in der Lage ist, detaillierte Informationen in Bezug auf die Aktivseite mit Blick auf die Eignung als Sicherheit bereitzustellen.25 Dies betrifft alle Positionen, die ggf. als Sicherheit dienen können. Die in Tabelle 2 aufgeführten Informationen sollten kurzfristig verfügbar sein, die Verantwortlichkeit für die Bereitstellung der Informationen sollte eindeutig zugeordnet sein (z.B. Organisationseinheit), die benötigten IT-Systeme oder Systeme der Finanzmarktinfrastruktur sollten benannt werden und es sollte eine Aussage zum Zeitraum, innerhalb dessen die benötigten Informationen erhoben werden können, getroffen werden. Tabelle 2: Überblick zur Informationsbereitstellung für Sicherheiten Überblick über verfügbare Sicherheiten

Erläuterung

Aktivaklasse

Es muss eine Aussage zum Instrumententyp aller Aktiva getroffen werden können. Dabei können Klassen gebildet werden. (z.B. Aktie, ungedeckte Inhaberschuldverschreibung, Pfandbrief, Kredit etc.)

Volumen

Es sind Angaben zum Volumen notwendig, um Aussagen zur Bewertung oder zu stillen Reserven und Lasten treffen zu können. Daher ist i.d.R. die Angabe des Nominalwerts, Buchwerts und Fair Value angemessen.

Bewertung

Z.B. Levelangaben nach IFRS 13 (mark-to-market, markto-matrix oder mark-to-model)

Rating

Internes und/oder externes Rating

Fälligkeit



Jurisdiktion



Emittent und Sitz des Emittenten



Währung



Belastet/Unbelastet

Z.B. gemäß Asset Encumbrance

Liquiditätslevel

Z.B. gemäß Liquidity Coverage Ratio

Grenzüberschreitende Verfügbarkeit

• Können Aktiva, die bspw. im EU-Ausland gebucht sind, als Sicherheiten bei der EZB verwendet werden? • Stehen Aktiva als Sicherheit bei EU-ausländischen Zentralbanken zur Verfügung?

Quelle: European Banking Authority (2015), Annex VI – Pledged Collateral

25

Vgl. European Banking Authority (2014), Art. 3 Buchst. e und Art. 10 (3) Buchst. b.

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Sascha Janus

6 Fazit und Bedeutung der Abwicklungsstrategie Wie eingangs beschrieben, wird in diesem Beitrag ein generisches Vorgehen zur Erstellung des Kapitels finanzielle Kontinuität im Zuge der Abwicklungsplanung beschrieben. Der konkrete Abwicklungsplan eines bestimmten Institutes sollte detailliert auf die institutsindividuellen Besonderheiten eingehen und darauf zugeschnittene Lösungen finden. Neben diesem Aspekt ist anzuführen, dass auch die Abwicklungsstrategie für die konkrete Ausgestaltung dieses Kapitels eine bedeutende Rolle spielt. So könnte ein Institut bspw. den Multiple-Point-of-Entry-Ansatz (MPE) verfolgen und die verschiedenen Abwicklungseinheiten dabei einer Kombination der unterschiedlichen Abwicklungsmaßnahmen unterwerfen.26 Dabei ist der Liquiditätsbedarf für jede Abwicklungseinheit sowie in Bezug auf die Anwendung der jeweiligen Abwicklungsmaßnahme individuell zu ermitteln. Auch die Liquiditätssteuerung und die Funding-Planung müssen für die Abwicklungseinheiten separat aufgestellt werden. Ein Abwicklungsszenario, welches eine Bestandsgefährdung durch Illiquidität simuliert, könnte in dieses Kapitel integriert werden, da die Anforderungen an die Ausgestaltung im engen Kontext mit diesem Kapitel stehen. Wie bereits ausgeführt, soll das Kapitel finanzielle Kontinuität des Abwicklungsplans die Bereitschaft zur Sicherstellung der finanziellen Kontinuität in einem hypothetischen Abwicklungsfall sicherstellen. Es geht in vielen Fällen nicht darum, Daten zu erheben und diese in den Plan aufzunehmen, vielmehr sollen die Voraussetzungen und die Bereitschaft dafür geschaffen werden, dass die Abwicklungsstrategie im konkreten Abwicklungsfall reibungslos umgesetzt werden kann. Sollten im Zusammenhang mit den vorstehenden Analysen zu den verschiedenen Aspekten Hindernisse identifiziert werden, die eine Umsetzung oder Wirksamkeit der Abwicklungsplanung behindern können, so sind entsprechende Lösungswege zur Beseitigung dieser Hindernisse in den Plan aufzunehmen.

Literatur Avgouleas, Emilios/Goodhart, Charles (2015): Critical Reflections on Bank Bail-ins; in: Journal of Financial Regulation Advance Access.

26

282

Vgl. Single Resolution Board (2016), S. 30.

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Finanzielle Kontinuität

Bodemer, Sebastian (2012): Liquiditätsnotfallplanung in der Bankpraxis; in: Modernes Liquiditätsrisikomanagement in Kreditinstituten. So können die erhöhten Anforderungen sachgerecht und nutzbringend erfüllt werden. Schöning, Stephan/Ramke, Thomas (Hg.), Köln. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2014): Rundschreiben 3/2014 (BA) – Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Sanierungsplänen (MaSan). http://www.bundesbank.de (Das Banken- und Finanzsystem – Die Banken in Deutschland): https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Standardartikel/Service/Schule_und _Bildung/die_banken_in_deutschland.html, Abrufdatum 08.10.2017. http://www.bundesbank.de (Die Geldpolitik des Eurosystems – Offenmarktgeschäfte): https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Dossier/Service/schule_und_bildung_ kapitel_6.html?notFirst=true&docId=145088#chap, Abrufdatum 08.10.2017. http://www.bundesbank.de (Ständige Fazilitäten): https://www.bundesbank.de/ Navigation/DE/Aufgaben/Geldpolitik/Staendige_Fazilitaeten/ staendige_fazilitaeten.html, Abrufdatum 08.10.2017. European Banking Authority (2017): EBA Recovery Planning: Comparative Report on recovery options, vom 01.03.2017. European Banking Authority (2014): EBA RTS on the content of resolution plans and the assesment of resolvability, vom 19.12.2014. European Banking Authority (2015): ITS on procedures, forms and templates for resolutions plans, vom 07.07.2015 – Instructions to complete the templates in annexes I to XII. https://www.ecb.europa.eu (Was sind Devisenswap-Vereinbarungen?): https://www.ecb.europa.eu/explainers/tell-me-more/html/ currency_swap_lines.de.html, Abrufdatum 08.10.2017. http://www.faz.net (Northern Rock. Lange Schlangen, abstürzende Kurse): http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/northern-rock-lange-schlangenabstuerzende-kurse-1232954.html, Abrufdatum 08.10.2017. Gesetz zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen (Sanierungsund Abwicklungsgesetz – SAG): Zuletzt geändert Art. 3 G v. 23.12.2016 I 3171. Gem. Art 10 Abs. 3 G v. 10.12.2014 I 2091 tritt § 146 Abs. 6 an dem Tag außer Kraft an dem die technischen Regulierungsstandards gemäß Artikel 74 Absatz 4 der Richtlinie 2014/59/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines

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Sascha Janus

Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 190) in Kraft treten; das Bundesministerium der Finanzen gibt diesen Tag im Bundesgesetzblatt bekannt. Rahmensatzung für das als Einlagensicherungssystem anerkannte institutsbezogene Sicherungssystem der Sparkassen-Finanzgruppe: Beschlossen in der Mitgliederversammlung des Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V. vom 21.05.2015, geändert durch Beschluss der Mitgliederversammlung im September 2015. Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/ EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates. Single Resolution Board (2016): https://srb.europa.eu/sites/srbsite/files/intro_ resplanning.pdf.pdf, Abrufdatum 08.10.2017. https://srb.europa.eu (What is the single resolution fund?): https://srb.europa.eu/en/ content/single-resolution-fund, Abrufdatum 08.10.2017.

284

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 285 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung Marcel Krüger

1 Operationalisierung von Abwicklungsstrategien 2 Elemente der operativen Fortführung des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung 2.1 Identifikation von Schlüsselmitarbeiter 2.2 Notwendige IT-Systeme und FMI-Zugänge 2.3 Aufrechterhaltung externer Vertragsbeziehungen 3 Operationalisierung der Bewertung von Vermögensgenständen und Verbindlichkeiten 3.1 Anforderungen der Abwicklungsplanung an die Bewertung 3.2 Rollenkonzept für die Bewertung während der Abwicklung Literatur

285

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 286 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

286

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 287 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

1 Operationalisierung von Abwicklungsstrategien Neben der Entwicklung von Abwicklungsstrategien ist ein zweites zentrales Element von Abwicklungsplänen die Operationalisierung der Abwicklungsstrategien. Wird erkannt, dass ein Instituts ausfällt oder droht auszufallen, müssen innerhalb kürzester Zeit Abwicklungsstrategien umgesetzt werden. Es soll das (finanzielle) Vertrauen in ein gefährdetes Institut im Laufe eines Abwicklungswochenendes wiederhergestellt oder das Institut in eine geordnete Abwicklung geführt werden.1 I.d.R. müssen die hierfür benötigten Prozesse bei den meisten Instituten im Rahmen der erstmaligen Entwicklung von Abwicklungsstrategien implementiert werden. Insbesondere Anforderungen zur Umsetzung des Abwicklungsinstrumentes der Gläubigerbeteiligung stellen organisatorische Herausforderungen dar. Eine Beteiligung der Fremdkapitalgeber an Verlusten und zur Rekapitalisierung war während des laufenden Geschäftsbetriebs bisher nicht möglich. Des Weiteren ist v.a. die Bewertung eines ausfallgefährdeten Instituts innerhalb kürzester Zeit kritisch. Da im Vergleich zur Ermittlung der regulatorischen Eigenmittelquote im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Meldewesens deutlich weniger Zeit zur Verfügung steht, müssen neue Prozesse entwickelt werden. Neben der grundsätzlichen Anwendbarkeit von Abwicklungsstrategien zählt insofern der Geschäftsbetrieb im Rahmen der Umsetzung der Abwicklungsstrategien zu den wesentlichen Aspekten hinsichtlich der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit eines Instituts. Gemäß § 57 Abs. 2 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) ist ein Institut abwicklungsfähig, sofern entweder ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann oder die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten zur Sicherstellung der allgemeinen Finanzmarktstabilität und Fortführung bzw. Trennung von kritischen Funktionen und wesentlichen Geschäftsaktivitäten möglich ist. Konkrete Anforderungen sind durch den Verweis aus § 57 Abs. 3 SAG auf den Abschnitt C des Anhangs der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) im Gesetz verankert. In diesem Abschnitt werden 28 Kriterien aufgeführt, die insbesondere Anforderungen an Methoden und Prozesse zur Umsetzung der Abwicklungsstrategien umfassen. In der Praxis ist zur Umsetzung der Abwicklungsstrategie eine besondere Organisationsstruktur notwendig, die sicherstellt, dass einerseits der ordinäre Geschäftsbetrieb fortgeführt wird und anderseits die zur Abwicklung notwendigen Prozesse durchgeführt werden können. Hierfür werden z.B. Resolution-Teams oder Workstreams für einzelne

1

Vgl. Wallenborn (2015).

287

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 288 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Marcel Krüger

Themengebiete definiert, innerhalb derer Prozesse strukturiert und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. In Abbildung 1 ist die Umsetzung einer Abwicklungsstrategie schematisch zusammengefasst. Abbildung 1: Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung als Fundament für die Umsetzung von Abwicklungsstrategien

Umsetzung der finalen Abwicklungsstrategie Kommunikaon Anordnung der finalen Abwicklungsstrategie durch die Abwicklungsbehörde

Bewertung von Vermögensgegenständen Idenfikaon von Gläubiger Finanziell Forührung des Geschäsbetriebs

Schlüsselmitarbeiter

IT-Systeme und FMI-Zugänge

Wiederherstellung der finanzielle Solidität

Geordnete Abwicklung des Instuts

Ext. Vertragsbeziehungen

Sicherstellung der operaven Forührung des Geschäsbetriebs

Im Rahmen des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung wird die Abwicklungsstrategie durch eine Anordnung der Abwicklungsbehörde festgelegt. Mit dieser Abwicklungsanordnung beginnt die operative und technische Umsetzung der jeweiligen Abwicklungsinstrumente bzw. des Insolvenzverfahrens. Abhängig vom Abwicklungsziel wird mit dem Abschluss der Umsetzung entweder die finanzielle Solidität des Instituts wiederhergestellt oder eine geordnete Abwicklung des Instituts durchgeführt. Notwendige unterstützende Prozesse sind in der Sicherstellung von Liquidität und Refinanzierung im Rahmen der finanziellen Fortführung des Geschäftsbetriebs zu sehen. Die Identifikation von Gläubigern des Instituts, die Bewertung der Vermögensgegenstände zur Quantifizierung der Verluste und eine begleitende Kommunikationsstrategie vervollständigen die Prozesse zur Umsetzung von Abwicklungsinstrumenten. Als Fundament ist die operative Fortführung des Geschäftsbetriebs zu sehen, da hierdurch sichergestellt wird, dass alle Schlüsselmitarbeiter verfügbar und IT-Systeme bzw. Zugänge zu Financial Market Infrastructures (FMI) vorhanden sind sowie externe Vertragsbeziehungen aufrechterhalten werden können. Im Beitrag von Janus wurden bereits Methoden und Konzepte zur Sicherstellung der finanziellen Fortführung des Geschäftsbetriebs erläutert. Gegenstand dieses Beitrags bildet die Sicherstellung der operativen Fortführung des Geschäftsbetriebs. Im Abschnitt 2

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Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 289 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung

werden dazu die wesentlichen zu berücksichtigenden Aspekte beschrieben. Im Abschnitt 3 wird beispielhaft die Analyse zur operativen Fortführung in Hinblick auf die Durchführung der Bewertung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten skizziert.

2 Elemente der operativen Fortführung des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung 2.1 Identifikation von Schlüsselmitarbeiter Für die Identifikation von Schlüsselmitarbeiter können Mitarbeiter des Instituts in zwei Gruppen eingeteilt werden: • Einerseits sind Schlüsselmitarbeiter solche Mitarbeiter, die für die Aufrechterhaltung des operativen Betriebs von wesentlichen und kritischen Geschäftstätigkeiten notwendig sind; • andererseits sind Schlüsselmitarbeiter solche Mitarbeiter, die bei der Umsetzung der Abwicklungsstrategie zwingend einbezogen werden müssen. Es ist zu beachten, dass es ggf. zu Überschneidungen zwischen diesen beiden Gruppen kommen kann, da Mitarbeiter einerseits für die Ausführung einer kritischen Geschäftsaktivität verantwortlich sein können, andererseits aber unmittelbar bei der operativen Umsetzung eines Abwicklungsinstrumentes unterstützen. Ziel der Identifikation von Schlüsselmitarbeitern ist die Entwicklung eines Rollenkonzepts, aus dem deutlich wird, welche Personen für die durchzuführenden Tätigkeiten erforderlich sind. Idealerweise sind die hierfür notwendigen Informationen bereits Gegenstand der strategischen Unternehmensanalyse2 und müssen lediglich aufbereitet werden. Tätigkeiten, die für wesentliche bzw. kritische Geschäftsaktivitäten notwendig sind, können vereinfacht in drei Kategorien eingeordnet werden: • Aufrechterhaltung der Funktionen durch das Management des Bestandes, • Initiierung von Neugeschäft bzw. allgemein die Abwicklung von neuen Aufträgen und • Back-Office-Tätigkeiten.

2

Vgl. den Beitrag von Krüger/Schupp.

289

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Marcel Krüger

Als Ergebnis der Analyse sind nur die Tätigkeiten zu erfassen, die eindeutig einer wesentlichen bzw. kritischen Geschäftsaktivität zugeordnet werden können. Dienstleistungen, die für mehr als eine Geschäftsaktivität erforderlich sind, werden im Rahmen der Untersuchung von Unterstützungsdienstleistungen berücksichtigt. Als Ansatzpunkt zur Analyse von Unterstützungsdienstleistungen wird in der Praxis i.d.R. die „Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services“ des Financial Stability Board (FSB)3 herangezogen. Hierin ist eine Übersicht enthalten, die bankbezogene Prozesse in finanzielle und operative Dienstleistung unterteilt. Zu den finanziellen Dienstleistungen zählen insbesondere die Treasury-Funktion, der Handel und das Management von Vermögensgegenständen, das Risikomanagement und die Bewertung von Vermögensgegenständen, die Buchhaltung und z.B. der physikalische Zahlungsverkehr in Form von Banknoten oder Münzen. Die operativen Dienstleistungen umfassen das Personalmanagement, die IT, den Zahlungsverkehr, das Gebäudemanagement und die Rechtsabteilung. Zusammen mit den wesentlichen und kritischen Dienstleistungen stellen die Unterstützungsdienstleistungen die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs während der Umsetzung einer Abwicklungsstrategie sicher. Im nächsten Schritt ist es notwendig, das Rollenkonzept um die Personen zu erweitern, die im Rahmen der Abwicklung die Vorgaben der Abwicklungsbehörde operativ umsetzen. Hierbei ist die konkrete Ausgestaltung des Rollenkonzepts von der gewählten Abwicklungsstrategie abhängig. Bei einem Multiple-Point-of-Entry-Ansatz4 sind Schlüsselmitarbeiter für jede relevante Institutsgesellschaft zu identifizieren. Dagegen ist bei der Wahl eines Single-Point-of-Entry-Ansatzes5 nur die Identifikation von Schlüsselmitarbeitern auf Ebene der Institutsobergesellschaft erforderlich. Analog dazu enthält das Rollenkonzept unterschiedliche Anforderungen je nach Wahl des Abwicklungsinstruments. Beim Instrument der Gläubigerbeteiligung müssen bspw. Tätigkeiten ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Gläubiger des Instituts aufgrund der Verlustbeteiligung oder ihres Beitrages zur Rekapitalisierung nicht schlechter gestellt werden als im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens. Demgegenüber ist es bei Ausübung einer strukturellen Maßnahme, wie z.B. der Separierung eines wesentlichen Geschäftsbereiches mit dem Instrument der Unternehmensveräußerung (ohne die Verlustbeteiligung bzw. Rekapitalisierung durch Gläubiger),

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Vgl. FSB (2013) Kapitel 2. Dies bedeutet, dass Abwicklungsinstrumente bei mehreren Unternehmen der Institutsgruppe gleichzeitig angewendet werden. Dies bedeutet, dass Abwicklungsinstrumente ausschließlich auf Ebene der Institutsobergesellschaft angewendet werden.

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Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung

wichtiger sicherzustellen, dass IT-System oder FMI-Zugänge für alle betroffenen Gesellschaften vorhanden sind.

2.2 Notwendige IT-Systeme und FMI-Zugänge In Hinblick auf die operative Fortführung der Geschäftstätigkeit im Rahmen der Abwicklung ist zu untersuchen, welche IT-Systeme und FMI-Zugänge notwendig sind, um die wesentlichen und kritischen Geschäftsaktivitäten und Unterstützungsfunktionen durchzuführen. Bei IT-Systemen umfasst die Analyse die Aufrechterhaltung von Eigenentwicklungen und von externen Dritten erworbene Lizenzen. In Bezug auf die Aufrechterhaltung von FMI-Zugänge sind insbesondere Zugänge zu externen Anbietern zu identifizieren. FMI-Zugänge beziehen sich v.a. auf den Zahlungsverkehr (z.B. Target2, Swift), das Settlement (z.B. Cascade), das Clearing (z.B. LCH.Clearnet), Handelsplattformen (z.B. Eurex), Informationssysteme (z.B. Bloomberg) und Transaktionsregister (z.B. Regis-TR). Im ersten Schritt der Analyse von IT-Systemen werden mögliche Auswirkungen untersucht, die durch die Anwendung der europäischen Abwicklungsinstrumente oder eines regulären Insolvenzverfahrens auf die operative Anwendung und die vertraglichen Vereinbarungen auftreten. In Hinblick auf die operative Anwendung ist es hilfreich, die ITSysteme den jeweiligen Anwendern zuzuordnen, um daraus abzuleiten, welche Systeme von den jeweiligen Schlüsselmitarbeitern zur Sicherstellung der operativen Fortführung des Geschäfts benötigt werden. Dies ist v.a. wichtig, sollten strukturelle Maßnahmen als Abwicklungsinstrumente angewendet werden, da diese i.d.R. eine Separierung der Geschäftsaktivitäten vorsehen. Wird bspw. ein IT-System für mehrere kritische Geschäftsaktivitäten benötigt und eine kritische Geschäftsaktivität mit Hilfe des Instrumentes des Brückeninstituts aus der Institutsgruppe heraus geschnitten, ist z.B. über Service Level Agreements (SLA) sicherzustellen, dass die kritische Geschäftsaktivität auch nach der Veräußerung fortgeführt werden kann. Bei den vertraglichen Vereinbarungen sind die Auswirkungen in Abhängigkeit von der relevanten Rechtsgrundlage (nationales Insolvenzrecht, europäisches Abwicklungsrecht) zu bewerten. Hier ist es denkbar, dass aufgrund der Ausrufung eines Insolvenzoder Abwicklungsverfahrens bestimmte Lizenzen nicht mehr rechtskräftig sind. Analog zu IT-Systemen stehen bei den Zugängen zu FMI die operative Anwendung und die vertragliche Vereinbarungen im Mittelpunkt der Analysen. Sollten strukturelle Maßnahmen Gegenstand der Abwicklungsstrategie sein, muss sichergestellt werden, dass für die betroffenen Geschäftsaktivitäten trotz Separierung weiterhin Zugang (ggf. über indirekte Mitgliedschaften) zu den notwendigen FMI-Systemen besteht. Bestandteil der

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vertraglichen Vereinbarungen können ebenfalls Regelungen sein, die durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Wechsel des Eigentümers zur Auflösung der Vertragsbeziehung führen können. Wird festgestellt, dass die Anwendung der präferierten Abwicklungsstrategie negative Auswirkungen auf IT-Systeme oder FMI-Zugänge hat, müssen geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Diese können einerseits die manuelle Ausführung oder andererseits die Identifikation von möglichen Substituten darstellen. Sofern eine manuelle Ausführung nicht möglich ist und es keine Substitutionsmöglichkeiten gibt, liegt es im Ermessen der Abwicklungsbehörden zu bewerten, ob es sich hierbei um ein Abwicklungshindernis handelt. In einem solchen Fall wäre die Abwicklungsbehörde in der Lage anzuordnen, dass die Ursachen für das Abwicklungshindernis zu beseitigen sind.6

2.3 Aufrechterhaltung externer Vertragsbeziehungen Neben Schlüsselmitarbeitern und IT-Systeme bzw. FMI-Zugängen stellen externe Vertragsbeziehungen ein weiteres Element für die Aufrechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebs in der Abwicklung dar. Relevante externe Vertragsbeziehungen können bspw. bei der Leihe von Personal vorliegen, wenn es innerhalb der Institutsgruppe Mitarbeiter gibt, die für mehr als eine Institutsgesellschaft tätig sind. Sollte es zu einer Separierung der Gesellschaften kommen, ist diese Form der Personalleihe nicht mehr ohne vertragliche Anpassungen fortführbar. Insbesondere wenn es sich um Schlüsselmitarbeiter handelt, muss vorab geregelt sein, welcher Institutsgesellschaft der jeweilige Mitarbeiter zukünftig angehört und wie dieser bei der anderen Institutsgesellschaft ersetzt werden kann. Häufig existieren zwischen Instituten der Gruppe Kapital-, Refinanzierungs- und Liquiditätsvereinbarungen. Insbesondere wenn eine Tochtergesellschaft über keinen direkten Zugang zum Kapitalmarkt verfügt, wird z.B. von der jeweiligen Obergesellschaft Kapital zur Verfügung gestellt. Ähnlich kann es sich mit Vereinbarungen zur Refinanzierung und Liquidität verhalten. Ist die Obergesellschaft zukünftig nicht mehr in der Lage, ausreichend Kapital, Refinanzierung oder Liquidität zur Verfügung zu stellen, ist das Geschäftsmodell der Tochter u.U. gefährdet. Vereinbarungen zum Transfer von Risiken können z.B. beim Kauf oder Verkauf eines Portfolios geschlossen werden, wenn es nicht möglich war, einzelne Kredite physisch

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Vgl. z.B. § 56 SAG zur Beseitigung von verfahrenstechnischen Hindernissen für das Instrument der Gläubigerbeteiligung.

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Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung

zwischen den Kontrahenten zu transferieren. Die Vereinbarungen ermöglichen den Transfer von den aus den Vermögensgenständen resultierenden Risiken. In solch einem Konstrukt wird häufig auch ein SLA zwischen den Kontrahenten geschlossen. Das SLA kann festlegen, dass der Kontrahent, bei dem die Kredite physisch liegen, ebenfalls für das Kreditmanagement verantwortlich ist. Im Rahmen der Abwicklung kann es dazu kommen, dass solche Verträge z.B. aufgrund eines Change-of-Control-Sachverhaltes keine Gültigkeit mehr besitzen und daher negative Auswirkungen auf die Risikosituation auftreten können. Weitere externe Vertragsvereinbarungen können u.a. in Form von Cross-Default- und Cross-Collateral-Klauseln vorliegen. Cross-Default-Klauseln erlauben es, einen Kredit zu kündigen, sobald der Kontrahent bei einem anderen Kredit vertragsbrüchig geworden ist. Der betroffene Kredit muss dabei nicht zwangsläufig mit dem originären Institut geschlossen sein. Darauf aufbauend erlaubt es die Cross-Collateral-Klausel, Sicherheiten auch von noch nicht ausgefallen Verträgen heranzuziehen, um den Verlust aus dem ausgefallenen Kredit zu mildern. Diese Art von Vereinbarungen ist v.a. wichtig, wenn das betroffene Institut nicht in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. In der Folge wären Gläubiger mit entsprechenden Klauseln fähig, eine unverzügliche Rückzahlung einzufordern. Vereinbarungen dieser Art sind insbesondere bei der Aufstellung der Haftungskaskade im Rahmen der Umsetzung des Instrumentes der Gläubigerbeteiligung zu analysieren.

3 Operationalisierung der Bewertung von Vermögensgenständen und Verbindlichkeiten In diesem Abschnitt wird bespielhaft erläutert, welche Schlüsselpersonen, IT-Systeme und FMI-Zugänge sowie externe Vertragsbeziehungen bei der Bewertung von Vermögensgegenständen während des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung relevant sein könnten. Zunächst werden im Abschnitt 3.1 die Grundlagen für die Bewertung aus Sicht der Abwicklungsplanung aufgezeigt. In Abschnitt 3.2 wird anschließend auf Ebene von banktypischen Abteilungen, Kategorien von IT-Systemen und FMI-Zugängen und Arten von externen Verträgen ein Rollenkonzept für die Durchführung einer Abwicklung gemäß den europäischen Vorgaben unter Anwendung des Instrumentes der Gläubigerbeteiligung entworfen.

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3.1 Anforderungen der Abwicklungsplanung an die Bewertung In Hinblick auf die Prozesse zur Abwicklung nach europäischen Regelungen (Single Resolution Mechanism (SRM)/BRRD) stellt die Bewertung von Vermögensgegenständen einen zentralen Workstream zur Operationalisierung der Abwicklungsstrategie dar. Gemäß § 71 SAG dient die Bewertung u.a. zur Sicherstellung, dass jegliche Verluste in Bezug auf Vermögenswerte des Instituts oder des gruppenangehörigen Unternehmens zum Zeitpunkt der Anwendung von Abwicklungsinstrumenten vollständig erfasst wurden. Darüber hinaus wird durch die Bewertung der Verbindlichkeiten das vorhandene Volumen zur Verlustabsorption und Rekapitalisierung bestimmt. Der europäische Abwicklungsmechanismus sieht vor, dass ein unabhängiger Bewerter mit der Bewertung zu beauftragen ist. Gemäß dem regulatorisch technischen Standard der European Banking Authority (EBA) zu aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Durchführung der Bewertung7 ist vor der Abwicklung des Instituts zu überprüfen, ob die Vorrausetzungen für die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten gegeben sind (Bewertung 1). Des Weiteren sind die Folgen der Anwendung eines oder mehrerer Abwicklungsinstrumente abzuschätzen, so dass die Entscheidung für eine Abwicklungsstrategie herbeigeführt werden kann (Bewertung 2). Nach Durchführung der Bewertung muss gewährleistet werden, dass weder Anteilseigner noch Gläubiger durch die Anwendung europäischer Abwicklungsmaßnahmen schlechter gestellt wurden als im Vergleich zur Umsetzung eines nationalen Insolvenzverfahrens (Bewertung 3). In Hinblick auf die operative Fortführung des Geschäftsbetriebs in der Abwicklung sind Schlüsselmitarbeiter, IT-Systeme, FMI-Zugänge und externe Vertragsbeziehungen für die Durchführung zu identifizieren.

3.2 Rollenkonzept für die Bewertung während der Abwicklung Für den Workstream der Bewertung können auf Basis der regulatorischen Anforderungen drei Teilprozesse abgeleitet werden: Bewertung 1, Bewertung 2 und Bewertung 3. In einer ersten Analyse müssen für diese Teilprozesse nun einzelne Prozessschritte identifiziert werden. In Abbildung 2 ist ein vereinfachtes Rollenkonzept skizziert, welches in den folgenden Abschnitten erläutert wird. In der Praxis würde für Schlüsselmitarbeiter mindestens eine Auflistung auf der niedrigsten Hierarchieebene unter Angabe der Mitarbeiterkapazität erfolgen. Bei externen ver-

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Vgl. EBA (2015).

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Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung

traglichen Beziehungen sind Kontrahenten und eine detaillierter Beschreibung des Vertragsinhalts erforderlich. Hinsichtlich IT-Systeme und FMI-Zugängen sind konkrete Systeme bzw. Anbieter zu benennen. Für die Feststellung, ob das Instituts ausfällt oder auszufallen droht, ist es im Rahmen der Bewertung 1 wichtig, auf Basis einer ersten Analyse belastbare Aussagen in Hinblick auf das Ausmaß der eingetretenen Verluste tätigen zu können. Eine genaue Quantifizierung der Verluste oder die Identifikation möglicher Maßnahmen ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht erforderlich. Insofern bietet es sich an, die Berechnung zunächst auf PortfolioEbene durchzuführen, um so eine erste Indikation für das Ausmaß der Krise zu erhalten. I.d.R. werden hierfür die Bereiche Finanzen und Risiko-Controlling bereits im Rahmen von Ad-hoc-Anfragen der Aufsicht beteiligt sein. Für die Berechnung werden auf ITSeite die gängigen Buchhaltungs- und Risikomanagementsysteme benötigt. Marktwerte werden häufig durch Back-Office-Einheiten zur Verfügung gestellt und über Informationssysteme abgefragt. Relevante externe Vertragsbeziehungen könnten in Form von Risikotransfervereinbarungen vorliegen und müssen ebenfalls berücksichtigt werden.

Ext. Vertragsbeziehungen

Abbildung 2: Vereinfachtes Rollenkonzept zur Operationalisierung der Bewertung in Hinblick auf das Instrument der Gläubigerbeteiligung

Cross-Default- und Cross-Collateral-Vereinbarungen

FMI-Zugänge

Risikotransfervereinbarungen

IT-Systeme

Informaonssysteme

Risikomanagementsysteme Front-Office-Systeme

Schlüsselmitarbeiter

Buchhaltungssystem

Back-Office Kreditmanagement Risiko-Controlling Finanzen

Bewertung 1

Bewertung 2

Bewertung 3

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Sofern Bewertung 1 zu dem Ergebnis kommt, dass das Instituts ausfällt oder auszufallen droht, sind im Rahmen der Bewertung 2 genauere Berechnung durchzuführen. Es reicht dabei nicht mehr aus, eine grobe Kalkulation vorzunehmen. Vielmehr ist eine aktualisierte Bilanz auf Basis bilanzieller Vorgaben und aktualisierter regulatorischer Kennzahlen auf Basis des aufsichtsrechtlichen Meldewesens bereitzustellen. Im Rahmen der umfassenden Aktualisierung sind ebenfalls die finanziellen Auswirkungen unterschiedlicher Abwicklungsstrategien in Szenariorechnungen zu berücksichtigen. I.d.R. sind die Bereiche Finanzen und Risiko-Controlling sowie das Back-Office analog zur Bewertung für die Berechnung der Auswirkungen einzubinden. Neben Vereinbarungen zum Risikotransfer sind in Hinblick auf externe Vertragsbeziehungen mögliche Cross-Default- oder Cross-Collateral-Vereinbarungen zu würdigen, um insbesondere auf der Passivseite festzustellen, bis zu welchen Ausmaß Gläubiger an Verlusten und zur Rekapitalisierung herangezogen werden können. Die Umsetzung der Abwicklungsstrategie ist nicht Gegenstand des Teilprozesses Bewertung. Nachgelagert zur Umsetzung sind jedoch weitere Tätigkeiten durchzuführen. Beim Instrument der Gläubigerbeteiligung ist sicherzustellen, dass Gläubiger nicht schlechter gestellt werden als im Rahmen eines nationalen Insolvenzverfahrens. I.d.R. liegt die Kompetenz zur Simulation von Insolvenzquoten im Bereich Finanzen, welcher durch das Kreditmanagement bei der Durchführung unterstützt werden könnte.

Literatur Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): Rundschreiben 10/2012 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, 2012. Delegierte Verordnung (EU) 2016/1075 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards, in denen der Inhalt von Sanierungsplänen, Abwicklungsplänen und Gruppenabwicklungsplänen, die Mindestkriterien, anhand deren die zuständige Behörde Sanierungs- und Gruppensanierungspläne zu bewerten hat, die Voraussetzungen für gruppeninterne finanzielle Unterstützung, die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Bewerter, die vertragliche Anerkennung von Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnissen, die Verfahren und Inhalte von Mitteilungen und Aussetzungsbekanntmachungen und die konkrete Arbeitsweise der Abwicklungskollegien festgelegt wird. Directive 2014/59/EU of the European Parliament and of the Council of 15 May 2014 establishing a framework for the recovery and resolution of credit institution and investment firms and amending Council Directive 82/891/EEC, and Directives 2001/24/EC,

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Operative Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen der Abwicklung am Beispiel Bewertung

2002/47/EC, 2004/25/EC, 2005/56/EC, 2007/36/EC, 2011/35/EU, 2012/30/EU and 2013/36/EU, and Regulations (EU) No 1093/2010 an (EU) No 648/2012, of the European Parliament and of the Council Text with EEA relevance. European Banking Authority (EBA) (2015): Regulatory Technical Standards on valuation for the purposes of resolution and on valuation to determine difference in treatment following resolution under Directive 2014/59/EU on recovery and resolution of credit institutions and investment firms (EBA/RTS/2017/05 und EBA/RTS/2017/06). Financial Stability Board (FSB) (2013): Recovery and Resolution Planning for Systemically Important Financial Institutions: Guidance on Identification of Critical Functions and Critical Shared Services. Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10.12.2014 (BGBl. I S. 20191), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetztes vom 02.11.2015 (BGBl. I S. 1864). Wallenborn, I. (2015): Bankenabwicklung: Vorrang nicht bail-in-fähiger Verbindlichkeiten in der Insolvenz erleichtert das Verfahren, in: Bafin-Journal, Dezember 2015, S. 22.

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication Stephan Greiner

1 Einleitung 2 Widerstand und Kommunikation 3 Kommunikation durch Passivität 4 Kommunikationsprozess 5 Kommunikationsverantwortlichkeiten 6 Veränderungsziele und Storytelling 7 Kommunikationsinstrumente 8 Fazit Literatur

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1 Einleitung Gute Kommunikation ist zielgerichtet und einfach. Das macht es so schwierig. Viele Kommunikationstheorien und Axiome gelten als veraltet, weil sich alles im Wandel befindet und verbindet und kein Bereich davon unberührt bleibt. Digitalisierung, Globalisierung oder auch Automatisierung machen Wandel zur Regel und nicht mehr zur Ausnahme. Die beschleunigten Paradigmenwechsel in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verleihen den Veränderungen zunehmend disruptiven Charakter. Gesetzmäßigkeiten sind häufig nicht nur für einen gewissen Zeitraum außer Kraft gesetzt, sondern im Kern erschüttert. Spotify für die Musikindustrie, E-Books für das Verlagswesen, Amazon und Ebay für den Handel, Tesla und Google für die Automobilbranche, Trump für die Politik, es gibt zahlreiche Beispiele aus unterschiedlichen Sektoren und Bereichen, die belegen, dass die Rahmenbedingungen sich im ständigen Wandel befinden und immer neue Herausforderungen an Unternehmen und Institute stellen. Charles Darwin formulierte in der Evolutionstheorie das fundamentale Prinzip der Adaptation, die Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen, als entscheidendes Selektionskriterium im biologischen Konkurrenzkampf der Spezies. „Survival of the fittest“ bezieht sich dabei nicht auf die Stärke, sondern die Anpassungsfähigkeit. Dieses Prinzip gilt auch für Unternehmen im Wandel und die Bedeutung dieses Prinzips rückt immer stärker in den Fokus von Managern und Entscheidern. Zu oft sind Organisationen zu starr und komplex strukturiert und Ideen zu fixiert, um in dynamischen Systemen Anpassungsfähigkeit und Flexibilität zu gewährleisten. Nachhaltiger Erfolg ist kein spezifischer Zustand, der nach einer bestimmten Abfolge von Schritten erreicht wird und dort endet, sondern ein stetiger Prozess, dessen Zweck nicht etwa darin besteht, einen Endpunkt zu erreichen. Vielmehr handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess des Wachstums und des Entdeckens neuer Wege, Chancen und Lösungen, die zu Innovationen führen. Dennoch sind Widerstandsfähigkeit und Beständigkeit wichtige Faktoren eines erfolgreichen Unternehmens, da nicht jede Veränderung und entsprechende Konsequenzen positiver Natur sein müssen, sondern auch Risiken mit sich bringen. Es gilt hier die richtige Balance zwischen Agilität und Kontinuität zu finden. Innovation beinhaltet deutlich mehr Evolution als Revolution. Der Wille zum Wandel und die gezielte, strategische Führung in Veränderungsphasen sind wesentliche Grundelemente einer

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Stephan Greiner

flexiblen und effizienten Unternehmenskultur. Es empfiehlt sich ein gelassener, aber keinesfalls gleichgültiger Umgang mit zukünftigen Veränderungen.1 Es kommt nur selten zu einer totalen Substitution des „Alten“ durch das „Neue“. Ein erfolgskritisches Instrument, um Wandel nicht als Risiko und Bedrohung darzustellen, sondern als Möglichkeit zur Verbesserung, ist Kommunikation. Laut den Ergebnissen der Befragung des McKinsey Global Survey2 gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die in Kombination implementiert die Erfolgsquote von Transformationsprojekten von 26% auf bis zu 79% erhöhen kann. Insbesondere das regelmäßige Kommunizieren von Projektfortschritten ist demnach erfolgskritischer Faktor. Change-Management hat immer mehr an Bedeutung gewinnen können, weil professionelle Führungskonzepte und Strategien sowie veränderungsbegleitende Maßnahmen einen nachweisbaren Nutzen und wichtigen Beitrag zum Erfolg von Veränderungsprojekten liefern – und noch immer beachtlich viele Projekte zu Misserfolgen führen. Ein komplexes Beispiel für Kommunikation im Change-Management ist die Anforderung an Finanzinstitute im Rahmen einer Abwicklung, ein Konzept zur internen und externen Kommunikationsstrategie für die Maßnahmen in Krisensituationen zu erstellen. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen liefern nur eine oberflächliche Beschreibung von Verantwortlichen und möglichen Zielgruppen, bleiben aber an vielen Stellen unspezifisch.

2 Widerstand und Kommunikation Keine noch so gute Planung und Vorbereitung wird Widerstände verhindern können. Klaus Doppler und Christoph Lauterburg beschreiben in ihrem Buch3 „Change Management“ vier Prinzipien zum Umgang mit Widerstand: • Es gibt keine Veränderungen ohne Widerstand: Im Normalfall führt Veränderung zu Ablehnung. Das Fehlen jeglicher Abwehrreaktionen hingegen gibt Anlass zur Sorge, da die Umsetzung der Veränderungsmaßnahme nicht ernst genommen werden könnte. • Widerstand enthält immer eine verschlüsselte Botschaft: In den meisten Fällen sind Veränderungen notwendig und stellen Verbesserungen dar. Der Widerstand begründet sich nicht durch die Maßnahmen an sich, sondern durch emotionale Faktoren. Eine präzise Analyse, warum Mitarbeiter solche negativen Gefühle entwickeln, lohnt sich.

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Vgl. Horx (2013), Hohe Luft. Vgl Jacquemont et al. (2015), McKinsey. Vgl. Doppler/Lauterburg (2014).

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

• Die Nichtbeachtung von Widerstand führt zu Blockaden: Das Management sollte versuchen, die Ursache für den Widerstand zu ergründen, und dabei auch prüfen, ob die Bedingungen für den geplanten Veränderungsprozess tatsächlich gegeben sind. Bloße Verstärkung des Drucks auf die Mitarbeiter mündet nur in Reaktanz und steigert den Widerstand. • Mit dem Widerstand gehen, nicht gegen ihn: Führungskräfte sollten Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, ihre Emotionen und Kritik zu äußern, um sie so zu kanalisieren. Dies verbessert eher die Maßnahmen und verringert den Widerstand. Außerdem sind viele Prozesse und Strukturen so komplex, dass die Kompetenz und das Wissen von Mitarbeitern unverzichtbar sind, deshalb sollen Mitarbeiter involviert werden. Die betroffenen Angestellten sollten die Möglichkeit zur aktiven Partizipation erhalten, besonders in der Kommunikation. Bottom-up-Kommunikationskanäle und Ansprechpartner für Fragen, Kritik, Bedenken und Befürchtungen sind keine Gefahr für Topdown-Strategien, sondern sinnvolle Ergänzung, mit denen Kommunikationsbedarf, Konfliktpotenzial, Informationsmangel und Widerstand lokalisiert und bestimmt werden können. Konflikte und Auseinandersetzung werden häufig gescheut, genau das sind jedoch die Anforderungen und Herausforderungen an die Führungskräfte aller Ebenen während der Veränderungsphase. Allerdings sind es gerade die Führungskräfte, insbesondere der mittleren Ebene, und Projektleiter, die bei Veränderungen am meisten zu verlieren haben. Wer um seinen Einfluss und seine Machtposition fürchtet und von der Notwendigkeit der Veränderung nicht überzeugt ist, wird leicht zum Gegner des Wandels. Online-Plattformen ermöglichen einen direkten Dialog zwischen Chief Executive Officer (CEO) oder Vorstand und Mitarbeitern ohne Vermittler. Es gibt allerdings einige Punkte zu beachten, Wolfgang Jenewein et al. geben dazu neun Tipps:4 1. Agieren Sie schnell, informell und interaktiv; 2. setzen Sie ständig neue Akzente; 3. seien Sie authentisch und kommunizieren Sie auf Augenhöhe; 4. zeigen Sie Ihre Vertrauenswürdigkeit; 5. nehmen Sie auch scheinbar unwichtige Themen ernst; 6. nutzen Sie das Wissen in Ihrer Organisation; 7. kümmern Sie sich um die Anliegen Ihrer Mitarbeiter;

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Vgl. Jenewein et al. (2016), Harvard Business Manager.

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Stephan Greiner

8. stellen Sie einen kompetenten Kommunikationsmanager ein; 9. werben Sie für einen virtuellen Dialog im Unternehmen. Es geht v.a. darum, Distanz ab- und Vertrauen aufzubauen. Keine Angst vor vermeintlichen Fehlern oder dem Einsatz von Videos, dies ist häufig authentisch und lässt Vorstandsmitglieder menschlicher wirken. Diesen Kommunikationskanal auf Monologe an die Mitarbeiter zu reduzieren und bspw. in Videos hauptsächlich imperative Botschaften und Appelle zu verlesen, ist ein Fehler, da dies nicht hilfreich für die Mitarbeiter ist, die gehört werden wollen. Ohnehin wissen viele Mitarbeiter vor dem Management von Problemen, umso bedeutender ist es, sie und ihre Fähigkeiten an Lösungen zu beteiligen und durch strategische Kommunikation früh den Fokus weg vom Problem und auf den Lösungsweg hin auszurichten.

3 Kommunikation durch Passivität Es wird oft vergessen, wie wichtig Zuhören im Kommunikationsprozess ist. In der Psychologie und der Pädagogik wird aktives Zuhören schon lange methodisch eingesetzt.5 Im direkten Gespräch sollte Schweigen als strategisches Mittel eingesetzt werden. Am besten man stellt eine Frage möglichst prägnant und wartet dann auf eine Antwort und hält während einer Pause, falls nötig, auch eine Stille aus. Es ist häufig zur Unart geworden, bei nicht sofort erfolgender Antwort Rückfragen oder Paraphrasierungen derselben Frage zu nutzen, was lediglich zu Unschärfe in den Antworten führt. Es ist normal, dass durchdachte, klare Antworten auch Bedenkzeit benötigen und man kann versuchen, zu knappe Antworten auch mit offenen, nicht wertenden Fragen zu erweitern. Aktives Zuhören, wie beschrieben, funktioniert im persönlichen Gespräch. Aber haben E-Mails nicht schon längst das persönliche Gespräch zwischen Manager und Mitarbeiter abgelöst? Karrierecoach Martin Wehrle6 nennt Führung per E-Mail eine „Unsitte“. Wichtige Botschaften müssen im persönlichen Gespräch überbracht werden und können nicht durch digitale Möglichkeiten ersetzt werden, bestenfalls ergänzt. Der Karrierecoach zieht einen prägnanten Vergleich: stellen wir uns vor, der Trainer würde in der Halbzeit nicht zu seiner Mannschaft persönlich sprechen, sondern eine E-Mail an die Spieler mit seinen Analysen senden.

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Vgl. Gordon (1974). Vgl. Wehrle (2016), Der Spiegel.

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

Ein weit verbreiteter – und fataler – Fehler ist der Irrtum, man könnte bestimmte Fragen und Kommunikationsmaßnahmen aufschieben oder vernachlässigen, totschweigen statt unangenehme Botschaften verteidigen zu müssen. Oft steht eine Entscheidung noch aus und man kann keine entsprechenden Informationen weitergeben. Durch ein solches Informationsdefizit können Spekulationen und Gerüchte entstehen, die Angst, Unsicherheit und Widerstand konstituieren. Deswegen sollte bei einem solchen Defizit auch klar kommuniziert werden, und zwar, dass zu diesem Zeitpunkt keine Entscheidung getroffen ist, bis wann voraussichtlich eine Entscheidung gefallen sein wird und über welchen Kommunikationskanal dies zum gegebenen Zeitpunkt bekanntgegeben wird. Unbedingt zu beachten ist, dass zuerst intern und immer über den jeweiligen angekündigten Informationskanal konsistent kommuniziert wird, da man sonst das Vertrauen zerrüttet und die Folgen von Informationsdefiziten wieder ihre volle Zerstörungskraft entwickeln können. Paul Watzlawick7 formulierte die Unmöglichkeit der Kommunikationsverweigerung als ein pragmatisches Axiom seiner Kommunikationstheorie: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ Es ist schwer, einen Fehler, der durch das Unterlassen von Kommunikation entsteht, zu erkennen. Man kann dem mittels der Bereitschaft entgegenwirken, sich ständig selbst an seine Kommunikationsziele zu erinnern und zu evaluieren, welche Botschaften tatsächlich ankommen.

4 Kommunikationsprozess Entscheidende Fragen, die beim Veränderungsprozess von Management, Führungskräften und Projektleitern beantwortet und kommuniziert werden müssen, sind: • Warum ist der Wandel notwendig? • Was wird verändert? • Wohin soll der Wandel führen? • Was bedeutet dies für jeden einzelnen Mitarbeiter, individuelle Aufgaben und Arbeitsabläufe? • Wie lange wird der Wandel voraussichtlich dauern?

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Vgl. Watzlawick et al. (1969).

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Jede Kommunikationsmaßnahme benötigt ein Kommunikationsziel und eine entsprechende Kommunikationsstrategie sowie eine Evaluation der Maßnahme. Die Phasen eines Veränderungsprozesses können für Kommunikationsprozesse übernommen werden: • Situationsanalyse und Identifizierung von Kommunikationsbedarf, • Definition der wichtigsten Inhalte und Ziele, • ausführliche Ausarbeitung der Kommunikationsmaßnahmen, • Implementierung der Maßnahmen und • Erfolgsevaluation der Kommunikation. Wichtige Prinzipien des Change-Managements8 gelten auch für die begleitende Kommunikation: • Relevanz: Ziele und Vision des Wandels vermitteln, dabei auch Chancen, Vorteile und Bedeutung der geplanten Interventionen herausstellen und die volle Unterstützung der Unternehmensleitung versichern; • Mitarbeiterorientierung: Verständnis für die individuellen Erwartungen und Emotionen der Angestellten und Kommunikation detaillierter Maßnahmen und konkreter Konsequenzen mit dem Ziel, Widerstände ab- und Sicherheit aufzubauen; • Commitment und Involvement: reine Information über Ergebnisse, Sanierungsziele und Entscheidungen reichen nicht aus, um Angestellte zu motivieren; sie müssen von Betroffenen zu Beteiligten werden mittels Wertschätzung, Anreizsystem und Unterstützung durch direkte Vorgesetzte (Kritikfähigkeit, offener Dialog, Reputationssystem); • Geschwindigkeit: Das Erarbeiten eines strikten und realistischen Zeitplans umfasst auch die Planung der Kommunikation, abgestimmt auf das jeweilige Vorgehen; dabei sollten interne und externe Kommunikation in Einklang stehen, d.h. schnelle Projekterfolge sollten auch schnell intern und extern kommuniziert werden können, so dass wichtige Informationen Stakeholdern simultan durch verschiedene Quellen präsentiert werden; • Transparenz: Etablierung einer rechtzeitigen, zielgruppenspezifischen und ehrlichen Informationskultur und Nutzung der passenden Kommunikationskanäle (fördert das Vertrauen in den Wandel);

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Vgl. Zimmermann/Hauptmann (2012).

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

• Monitoring: Feedback und Evaluation der Kommunikation sind notwendig, um den Erfolg aller Maßnahmen zu sichern und weiteren Kommunikations- oder Handlungsbedarf zu erkennen.

5 Kommunikationsverantwortlichkeiten Kriterien zur Erreichung von Meilensteinen, Definition und zeitliche Abgrenzung von Teilprozessen und Allokation von Verantwortlichkeiten und Ansprechpartnern (Change Agents) für einzelne übergeordnete Ziele, Meilensteine, Prozesse sowie Veränderungsinstrumente und -fertigkeiten sind klar und eindeutig vom Change-Management zu kommunizieren. Damit wird eine lähmende Verantwortungsdiffusion vermieden und es werden Barrieren für die Mitarbeiterpartizipation abgebaut (Dissonanzreduktion). Je nach hierarchischer Stellung übernimmt der Change Agent nicht nur die Verantwortung für den Teilprozess oder Meilenstein, sondern auch für die Kommunikation. Change Agents sollen den Dialog nicht nur ermöglichen, sondern aktiv einfordern. Change Agents sollten Entscheidungen stets erklären, auch warum ggf. die Einbindung jedes einzelnen Mitarbeiters oder eine Berücksichtigung von Beiträgen, insbesondere von kritischen, zum jeweiligen Zeitpunkt nicht möglich ist. Trotzdem sollten Beiträge und Kritik immer anerkannt werden. Ferner ist es die Aufgabe von Change Agents, Fertigkeiten und Veränderungsinstrumente zu vermitteln, die für die erfolgreiche Sanierung entwickelt wurden. Die Change Agents berichten nicht nur von Fortschritten, sondern fordern auch von einzelnen Mitarbeitern Feedback ein, bspw. ob zeitliche Vorgaben eingehalten werden können. Konkret könnten Change Agents vier Tage der Arbeitswoche an Sanierungskonzepten arbeiten und freitags in ihren jeweiligen Bereichen von den Fortschritten berichten, Feedback einholen und neue Maßnahmen implementieren.9 Eine angemessene Richtgröße für die Zahl der Mitarbeiter, die als Change Agents eingesetzt werden sollten, ist nach John Kotter 10% der Mitarbeiter aus Management und einfacher Belegschaft.10 Ein wichtiger Bestandteil ihrer Kommunikationsaufgabe besteht darin, eher abstrakte Sanierungsziele zu konkretisieren und den einzelnen Abteilungen und Mitarbeitern zu erklären, was die Implementierung spezifisch für sie und ihren Arbeitsplatz bedeuten wird.

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Vgl. König (2009), Manager Magazin. Vgl. Kotter (2012), Harvard Business Manager.

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Stephan Greiner

Für Change Agents, speziell aus der mittleren Führungsebene besteht hier jedoch die Gefahr, dass bei Zielsetzung und Evaluation Prozesse mit Ergebnissen vertauscht werden,11 bspw. erwartet die Abteilung, dass 85% der Belegschaft ihren Job behalten darf, falls die vorgegebenen Ziele erreicht werden. Das Topmanagement beschließt dann aber dennoch, nur 75% der Belegschaft zu halten. Mittlere Führungskräfte müssen dann mit der Unzufriedenheit umgehen können, weil die Mitarbeiter der Abteilung nicht den harten Kampf (Prozess) gegenüber dem Topmanagement bewerten, sondern das nicht erreichte Ergebnis von 85%. Ein hilfreiches Instrument, um Mitarbeiter verschiedener Ebenen weiterhin zu motivieren, ist der Aufbau eines positiven Reputationssystems. Für intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die dem strategischen Wandel offen begegnen, ist Wertschätzung meist wertvoller als extrinsische Anreize, wie etwa Boni. Ein positives Reputationssystem hebt die Leistungen und das Engagement einzelner Mitarbeiter hervor und verzichtet dabei auf die Herabsetzung von Negativbeispielen. Als Kommunikationsziel ist zu vermitteln, dass es sich lohnt, den Wandel positiv zu begleiten und Vorbilder zu zeigen, die Erfolge durch Veränderung vorweisen können. Diese Vorbilder können konsistent in eine Change Story eingearbeitet werden.

6 Veränderungsziele und Storytelling Eine einheitliche Change Story, die Manager in ihrer Organisation verbreiten, ist nicht gewöhnlich, aber äußerst hilfreich bei Transformationsprojekten. Nahezu die Hälfte der befragten Führungskräfte der globalen McKinsey-Befragung12 wünschte sich eine besser kommunizierte Change Story. Das Topmanagement sollte keinen Zweifel daran lassen, dass die Veränderungsmaßnahmen auf allen Ebenen umgesetzt, nicht durchgesetzt, werden. Außerdem müssen Führungskräfte Veränderungsbereitschaft fordern und fördern und klare Ziele definieren. Es sollte sich an alle Mitarbeiter richten, möglichst persönlich, in großen Unternehmen könnte bspw. eine Videokonferenz eingesetzt werden, um den Veränderungsprozess als überzeugende Erfolgsgeschichte aufzuzeigen und den positiven Interpretationsrahmen festzulegen (Wandel als Chance, nicht als Verschlechterung). Wer zuerst und schnell kommuniziert besitzt die Deutungshoheit über den Veränderungsprozess, hier können Führungskräfte von Politikern lernen, weil es ihr Tagesgeschäft ist,

11 12

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Vgl. Robbins (2009), Harvard Business Review. Vgl Jacquemont et al. (2015), McKinsey.

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

kontrovers diskutierte Entscheidungen im komplizierten Machtgefüge von Befürwortern, Gegnern und Presse durchzusetzen. Torsten Oltmans und Ralf-Dieter Brunowsky liefern vier Regeln politischer Kommunikation für Manager und bestimmen die Vermittelbarkeit als Grundprinzip für die Machbarkeit von Maßnahmen:13 • Wer viel kommuniziert, kann viel gewinnen, wer wenig kommuniziert, verliert auf jeden Fall. • Persistenz. Erfolgreiche Kommunikation braucht konsistente, auf Dauer angelegte Kernbotschaften, die dem Markenkern des Unternehmens entsprechen. • Visionär denken, aber pragmatisch handeln. (um trotz Kernbotschaft kurzfristig auf Stimmungen eingehen zu können). • Be prepared (bei Angriffen auf die Deutungshoheit). Die Autoren beziehen ihre Regeln v.a. auf externe Kommunikation mit Medienvertretern, die Regeln sind aber auch auf interne Kommunikation übertragbar. Zudem liefern erfolgreiche Unternehmen häufiger einen inspirierenden Ausblick auf eine langfristig bessere Zukunft und betonen gemeinsame Bedrohungen für Erfolge von außen.14 Wurde die Veränderungsvision als Erfolgsgeschichte präsentiert, ist ein Mittel der Mitarbeitereinbindung auf Ebene der Kommunikation, entlang der Führungskaskade die Arbeitnehmer an der Erfolgsgeschichte mitschreiben zu lassen und für den jeweiligen Bereich mit ihren Ideen und Wissen auszudifferenzieren, d.h. jeder Mitarbeiter liefert einen Beitrag zur Erfolgsgeschichte und stellt diesen seinem direkten Vorgesetzten (und Kollegen) vor. Bei der erfolgreichen Kommunikation der Veränderungsvision und der zugehörigen Ziele sind einige Punkte zu beachten: • Keine Angst vor Redundanz: Der Wandel soll in die Köpfe der Mitarbeiter und muss deshalb immer wieder betont werden, bis der Prozess abgeschlossen ist. • Programmatisches, einprägsames und konkretes Motto, das von Führungskräften gelebt werden kann und auch gelebt wird: Die Wahl eines Mottos für den Wandel soll nach innen motivierend wirken und sich an den Unternehmensstärken ausrichten und nicht vom Zeitgeist und modischen Power-Sprüchen bestimmt sein. Auf zwanghafte Suche nach Akronymen sollte verzichtet werden, um aussagelose Botschaften zu vermeiden, stattdessen: keep it short and simple (KISS).15

13 14 15

Vgl. Oltmans/Brunowsky (2009), Manager Magazin. Vgl. Isern/Pung (2006), The McKinsey Quarterly. Vgl. Werle (2014), Der Spiegel.

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Stephan Greiner

• Eine ungewöhnliche Kommunikationsmaßnahme signalisiert den Veränderungswillen und erhöht die Erinnerungsquote beim Implementieren der Vision: Alan Mullaly, Chef des US-Autoherstellers Ford von 2006 bis 2014, führte Ford vom angeschlagenen Konzern zum profitablen Unternehmen, trotz Finanzkrise und ohne Staatshilfen. Mulally gab vier strategische Ziele aus und lies jedem Mitarbeiter eine scheckkartengroßes Laminatkärtchen drucken mit den Zielen und erwartetem Verhalten, eingeteilt in vier Themen mit je vier Merksätzen, auf der Rückseite. Bei jedem Lernmoment holten alle, von ihm vorgelebt, das Laminatkärtchen hervor, um sich an die Grundsätze zu erinnern.16 Taten sprechen mehr als Worte, deshalb müssen Manager angekündigten Handlungen auch Taten folgen lassen und die kommunizierten Ziele konsistent in Schlüsselprozessen, wie Budgetierung und Rekrutierung, verankert und integriert werden. Für jedes Ziel könnten bspw. Paten aus der Führungsebene verpflichtet werden, die persönlich für die Umsetzung stehen und so das Vertrauen fördern. Ein Hybridansatz aus vertrauensbasierter und autoritätsbasierter Führung ist zukunftsweisend in modernen Organisationsstrukturen. Wenn Arbeitnehmer das Gefühl haben, beteiligt zu werden und Vertrauen in die Führung haben, sind sie eher bereit, Innovationen anzunehmen, sie mitzugestalten und sich anzupassen.

7 Kommunikationsinstrumente Als Grundsatz kann gelten: mit den direkt Betroffenen einer Maßnahme oder Entscheidung so persönlich, frühzeitig, proaktiv und transparent wie möglich, mit anderen Arbeitnehmern so persönlich, frühzeitig, proaktiv und transparent wie nötig kommunizieren. Interessanterweise entstehen bei Veränderungsprojekten immer wieder Situationen, in denen Beteiligte über ein Informationsdefizit und eine Informationsflut gleichermaßen klagen. Erfolgreiche Kommunikation besteht darin, relevante Informationen den richtigen Zielgruppen zukommen zu lassen. Nicht alle Mitarbeiter sollten per E-Mail darüber informiert werden, dass das neue Firmenlogo am Eingang der Filiale erfolgreich angebracht wurde, weil jeder, der unmittelbares Interesse daran hat, in der Filiale arbeitet. Allerdings kann der Filialleiter diese Information nutzen, um die Belegschaft auf den Veränderungswillen des Managements hinzuweisen und in kurzen Gesprächen mit Meinungsführern eine Rückmeldung über die Veränderungsbereitschaft in dieser Filiale zu erhalten. Führungskräfte sollten sich immer bewusst machen, dass jede Botschaft verschiedene Wirkungsebenen besitzt (informativ, emotional, motivational) und die Wirkung vom Empfänger abhängig ist.

16

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Vgl. Miller Caldicott (2014), Forbes Magazine.

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

Geeignete Kommunikationsinstrumente können den Veränderungsprozess beschleunigen und vereinfachen. Kerstin Stolzenberg und Krischan Heberle bestimmen vier Kriterien zur Auswahl von Kommunikationsmedien:17 • Geschwindigkeit der Kommunikation: Mit welchen Medien kann kurzfristig kommuniziert werden? • Turnus der Kommunikation: Mit welchen Medien kann regelmäßig kommuniziert werden? • Tiefe der Kommunikation: Mit welchen Medien kann ein erster Überblick kommuniziert werden, mit welchen ausführlich und detailliert? Mit welchen Medien kann dauerhaft kommuniziert werden? • Grad der Interaktion: Welche Medien ermöglichen Dialog und Diskussion? Selbstverständlich sollten mehrere Kommunikationsmedien und -kanäle genutzt werden, um zielgruppenspezifische Kommunikation erfolgreich zu gestalten. E-Mails sind hervorragendes Instrument zur informativen Kommunikation, lassen aber zu viel Interpretationsspielraum wenn es darum geht, Unsicherheiten und Ängste abzubauen. Über 70% der Mitarbeiter in mittelständischen Unternehmen halten laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos persönliche Besprechungen für die effizienteste Gruppenkommunikationsform.18 Dennoch können Manager nicht ständig vor Ort zu persönlichen Gesprächen anwesend sein. Deutliches Alternativpotenzial bieten in diesem Zusammenhang Video-, Online- und Telefonkonferenzen. Ein E-Mail-Newsletter, der sich an den Meilensteinen des Veränderungsprojekts orientiert, kann z.B. regelmäßig einen Überblick über den Fortschritt eines Veränderungsprozesses informieren. Kurzfristige Erfolgsmeldungen und Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse ermöglicht eine Wandzeitung, Standortzeitung bzw. Info-Screens. Ein Beispiel für regelmäßige Kommunikation, die auch interaktiv gestaltet werden kann, ist die wöchentliche Teamrunde, an der auch Change Agents beteiligt werden sollten. Workshops und Infomärkte bieten sich an, wenn Mitarbeitereinbindung und Wissenstransfer sowie direkte Reaktionen auf Botschaften im Fokus des Kommunikationskonzeptes stehen. Social-Business-Lösungen, wie „Connections“ von IBM, oder eine moderne Art von Intranet stellen einen Transfer von Social-Media-Netzwerken in die Geschäftswelt dar und werden zunehmend interessanter für Unternehmen. Detaillierte Diskussionen und Weiterentwicklungen bspw. von Veränderungswerkzeugen werden dauerhaft archiviert und stehen so neuen Projektteilnehmern immer zur Verfügung. Ferner bieten Social-Business-Lösungen die Möglichkeit zur Evaluation von Maßnahmen.

17 18

Vgl. Stolzenberg/Heberle (2013). Vgl. Hockling (2012), Süddeutsche Zeitung.

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Stephan Greiner

Dem Vorschlag von Kotter folgend, der Unternehmen empfiehlt, neben einer hierarchischen Unternehmensstruktur (dem ersten Betriebssystem) eine netzwerkartige Struktur von intrinsisch motivierten Mitarbeitern (zweites Betriebssystem) aufzubauen,19 sind Social-Business-Lösungen ausgezeichnet geeignet, um solche Netzwerkstrukturen zu etablieren und zu fördern. Um Veränderungen zu kommunizieren und Ausrufezeichen zu setzen, können auch ungewöhnliche Maßnahmen Signalwirkung entfalten, Laminatkärtchen oder einheitliche Bildschirmschoner mit klarer Botschaft, eine Wandzeitung an der Toilettentür oder auch ein persönlicher, handgeschriebener Brief. Ein Kommunikationswerkzeugkasten muss in jedem Fall mehr enthalten als einen Hammer, um nicht in jedem Problem einen Nagel zu sehen.

8 Fazit Wer in diesem Beitrag ein fertiges Kommunikationskonzept für Sanierungsprozesse erwartet hat, sollte seinen gedanklichen Rahmen für Veränderungsprozesse überdenken. Adaptation und Flexibilität sind Eigenschaften, die man sich ständig erarbeiten muss. Die Wandlungsfähigkeit des Unternehmens ist abhängig von der Anpassungsfähigkeit des Managements. Die Etablierung von vertrauensfähigen Kommunikationskanälen, über die Mitarbeiter eingebunden und motiviert werden, ist zu jeder Zeit sinnvoll und Kommunikation ist immer ein erfolgskritischer Faktor mit adaptivem Wert, nicht nur zu Krisenzeiten. In einer Krise werden die Systemfehler lediglich sichtbar, weil sie nicht mehr ausgeglichen oder überschattet werden können. Wandlungs- und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind abhängig von der Anpassungsfähigkeit des Managements. Jedes Projekt birgt eigene Gefahren und Chancen und erfordert spezifische, individuelle Strategien und Konzepte. Die Mehrzahl der Veränderungsprojekte scheitert noch immer viel zu häufig (nur 26% werden als sehr oder völlig erfolgreich eingestuft).20 Kommunikation ist ein Schlüsselelement eines erfolgreichen Veränderungsmanagements und ein Bewusstsein dafür trennt erfolgreiche von erfolglosen Unternehmen. In diesem Beitrag wurden lediglich Grundprinzipien interner Kommunikation besprochen. Die große Herausforderung bei Kommunikation und Veränderung der Unternehmensstruktur allgemein bleibt die erfolgreiche, flexible Umsetzung, weil eben keine vorgefertigten, maßgeschneiderten Lösungen existieren. Kein Unternehmen, Mitarbeiter oder Manager kann sich dem Wandel verweigern. Man kann die Transformation lediglich

19 20

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Vgl. Kotter (2012), Harvard Business Manager. Vgl Jacquemont et al. (2015), McKinsey.

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Operationalisierung einer Abwicklung – Communication

verpassen. Oder, wie Georg Christoph Lichtenberg einst anmerkte: „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“

Literatur Doppler, Klaus/Lauterburg, Christoph (2014): Change Management, 13. Auflage, Frankfurt: Campus Verlag. Gordon, Thomas (1974): Lehrer-Schüler-Konferenz. Wie man Konflikte in der Schule löst, München: Heyne Verlag. Hockling, Sabine (2012): So lösen Chefs Konflikte, http://www.zeit.de/karriere/beruf/ 2012-03/chefsache-konfliktmanagement/komplettansicht, Abruf: 24.07.2014. Horx, Matthias (2013): Entspannt in die Zukunft, in: Hohe Luft, Ausgabe 12/2013. Isern, Joseph/Pung, Caroline (2006): Organizing for successful change management, in: The McKinsey Quarterly, Ausgabe: 06/2006. Jacquemont, Dave/Maor, Dana/Reich, Angelika (2015): How to beat the transformation odds, https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/howto-beat-the-transformation-odds#0, Abruf: 05.11.2017. Jenewein, Wolfgang/Morhart, Felicitas/Heuschele, Fabian (2016): 9 Tipps für SocialMedia-Dialoge zwischen CEOs und Mitarbeitern, http://www.harvardbusinessmanager.de/extra/artikel/9-tipps-fuer-social-mediadialoge-zwischen-ceos-und-mitarbeitern-a-1087184.html, Abruf: 02.11.2017. König, Andrea (2009): Change-Management: Besser wandeln, http://www.managermagazin.de/unternehmen/it/a-637816.html, Abruf: 25.07.2014. Kotter, John (2012): Die Kraft der zwei Systeme, in: Harvard Business Manager, Ausgabe: 12/2012. Miller Caldicott, Sarah (2014): Why Ford’s Alan Mulally Is An Innovation CEO For The Record Books, http://www.forbes.com/sites/joannmuller/2014/05/02/the-simple-managementsecrets-behind-mulallys-ford-turnaround/, Abruf: 04.11.2017.

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Stephan Greiner

Oltmanns, Torsten/Brunowsky, Ralf-Dieter (2009): Kommunikation: Was Manager von Politikern lernen können, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/a628629.html, Abruf: 29.07.2014. Robbins, Stever (2009): Seven Communication Mistakes Managers Make, http://blogs.hbr.org/2009/03/seven-communication-mistakes-m/, Abruf: 26.07.2014. Stolzenberg, Kerstin/Heberle, Krischan (2013): Change Management, 3. Auflage, Berlin: Springer-Verlag Watzlawick, Paul/Beavin, Janet/Jackson, Don (1969): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, Bern: Huber. Wehrle, Martin (2016): Der Chef ist der Typ aus den E-Mails, http://www.spiegel.de/ karriere/management-per-e-mail-wenn-der-chef-nicht-zu-erreichen-ist-a1120182.html. Werle, Klaus (2014): Nach Diktat verreist: Friedhof der Power-Sätze, http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/karriere-glosse-nach-diktat-verreistpower-saetze-von-managern-a-984071.html, Abruf: 06.08.2014. Zimmermann, Tim/Hauptmann, Maren (2012): Change Management & Communication, http://www.rolandberger.de/media/pdf/Roland_Berger_Change_Management_ 20120706.pdf, Abruf: 25.07.2014.

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Bankenabwicklungen in der Vergangenheit

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Fallstudie WestLB Stephan Lutze/Christian Stepanek

1 Einleitung 2 Strategische Unternehmensanalyse der WestLB vor der Abwicklung 3 Niedergang der WestLB und ihre Auslöser 4 Abwicklung 4.1 Angewendete Abwicklungsinstrumente 4.2 Strategische Umsetzung 4.2.1 Verbundbank für die Sparkassen 4.2.2 Erste Abwicklungsanstalt 4.2.3 Portigon AG 5 Bewertung des Falls vor dem Hintergrund aktueller Regulatorik zur Abwicklung Literatur

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1 Einleitung „Drama der Landesbanken“, „Landesskandalbank“ oder „Die WestLB ist nach 42 Jahren Geschichte“ sind nur einige der zahlreichen Pressestimmen zur Abwicklung der Westdeutschen Landesbank (WestLB). Die WestLB, welche auf die im Jahr 1832 gegründete Provinzial-Hülfskasse Westfalen zurückging, hatte zuvor den Ruf eine der „schillerndsten“ und „traditionsreichsten“ Landesbanken Deutschlands zu sein. Warum kam es letztendlich zu einer Abwicklung der WestLB und wie steht dieser Fall in Bezug zur heutigen Regulatorik in der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)? Diese Fragen werden im Rahmen dieses Beitrages aufgearbeitet und vor dem Hintergrund der aktuellen regulatorischen Anforderungen an die Abwicklung von Finanzinstituten beleuchtet. In Anlehnung an die behördlichen Abwicklungspläne wird in Abschnitt 2 zunächst eine verkürzte strategische Unternehmensanalyse hinsichtlich des Geschäftsmodells, der Struktur und wesentlicher Kennzahlen der WestLB durchgeführt. Danach werden in Abschnitt 3 die Gründe für den Niedergang der WestLB und Lösungsversuche dargelegt. In Abschnitt 4 wird der Abwicklungsprozess in Verbindung mit seiner strategischen und operativen Umsetzung dargestellt. In Abschnitt 5 werden die gewählten Abwicklungsinstrumente in den Bezug zur BRRD gesetzt. Es wird herausgearbeitet, wie die heute gültige Gesetzeslage auf eine Reduzierung der Kosten für öffentliche Haushalte abzielt.

2 Strategische Unternehmensanalyse der WestLB vor der Abwicklung In der folgenden kompakten Version einer strategischen Unternehmensanalyse wird die WestLB vor ihrer Abwicklung hinsichtlich ihrer Eigentümerstruktur, ihres Geschäftsmodells, ihres organisationalen Aufbaus und ihrer Finanzlage betrachtet. Die WestLB AG ist aus der Westdeutschen Landesbank Girozentrale bei deren Aufspaltung im Jahr 2002 hervorgegangen. Darüber hinaus entstand im Zuge dessen die heutige NRW.Bank als Förderbank für das Land Nordrhein-Westfalen. Die wesentlichen Eigentümer der WestLB AG waren vor dem Beginn ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten die NRW.Bank (Anteil 31,5%), das Land Nordrhein-Westfalen (17%), der Rheinische Sparkassen- und Giroverband (>25%) und der Sparkassenverband Westfalen-Lippe (>25%). Neben der Sparkassenzentralbankfunktion lag der Schwerpunkt des Geschäftsmodells der WestLB v.a. auf der Beratung und Betreuung von mittelständischen Unternehmen, Großunternehmen sowie institutionellen Anlegern im In- und Ausland. Dies erfolgte in den Bereichen des Private Banking, des Immobiliengeschäfts sowie im Corporate- und Investmentbanking.

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Stephan Lutze/Christian Stepanek

Aus organisationaler Sicht waren die unterschiedlichen Geschäftsaktivitäten auf zahlreiche in- und ausländische Niederlassungen bzw. Tochterunternehmen verteilt. Aus Sicht der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) ist hier v.a. die Westdeutsche Immobilienbank, die WestLB International S.A. in Luxemburg und die WestLB Europe Holdings Ltd. in London zu nennen. Die Erfolgsrechnung der WestLB zum 31.12.2006 zeigt einen Jahresüberschuss von 304,6 Mio. EUR (Tabelle 1). Die Eigenkapitalrendite verringerte sich im Gegensatz zum Vorjahr auf 8,7%, jedoch kann man allgemein von einer insgesamt positiven Ergebnissituation sprechen. Die Hauptertragsquelle stellte das Zinsergebnis dar, das sich gegenüber dem Vorjahr durch erhöhte Ergebnisbeiträge aus den Tochterinstituten gesteigert hat. Ein weiterer Ertragstreiber der WestLB im Jahr 2006 war das positive Nettoergebnis aus Finanzgeschäften, welches im Vergleich zum Vorjahr um 543,1 Mio. EUR deutlich angestiegen war. Die Veränderung resultierte aus dem Handel mit Aktien, Aktienderivaten und strukturierten Zinsprodukten. Der größte Anteil der Derivatgeschäfte, welche sich insgesamt auf ein Nominalvolumen von 2.750 Mrd. EUR beliefen, entfiel auf Zins-Swaps und andere zinsbezogene Produkte. Wesentlicher Treiber für die gestiegenen Aufwendungen im Jahr 2006 war ein negatives Ergebnis aus Finanzanlagen und Beteiligungen, das gegenüber dem Vorjahreswert von 321,2 Mio. EUR auf –66,5 Mio. EUR gesunken war. Des Weiteren wurden dem Fonds für allgemeine Bankrisiken 218 Mio. EUR zugeführt, und es kam zu Restrukturierungsaufwendungen in Höhe von 168 Mio. EUR im Rahmen des Lean-Bank-Programms.1 Tabelle 1: Erfolgsrechnung der WestLB in Mio. EUR 01.01.-31.12.2006

01.01.-31.12.2005

Veränderung

2.208,3

1.506,6

46,6%

1.443,5

1.391,2

3,8%

436,7

–106,4

>100,0%

1.706,8

1.076,5

58,6%

–66,5

321,2

100%

Forderungen an Kreditinstitute

18.010

19.542

–7,8%

Forderungen an Kunden

81.602

76.294

7,0%

1 2

334

Vgl. HRE (2006). Vgl. HRE (2006).

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Fallstudie zur Abwicklung der Hypo Real Estate Group

31.12.2006

31.12.2005

Veränderung

Finanzanlagen

41.287

39.139

5,5%

Restliche Positionen

9.064

11.668

–22,3%

161.593

152.339

6,1%

Bilanzsumme

Die Passivseite zeigt die große Bedeutung der verbrieften Verbindlichkeiten (ca. 100 Mrd. EUR) sowie den relativ geringen Anteil an Eigenkapital mit ca. 2% der Bilanzsumme (Tabelle 3). Tabelle 3: Auszug aus der Passivseite der Bilanz der HRE Group (Beträge in Mio. EUR) 31.12.2006

31.12.2005

Veränderung

Verbindlichkeiten ggü. Kreditinstituten

24.609

22.446

9,6%

Verbindlichkeiten ggü. Kunden

12.225

10.080

21,3%

Verbriefte Verbindlichkeiten

102.511

95.333

7,5%

Restliche Positionen

22.248

24.480

–9.1%

Bilanzsumme

161.593

152.339

6,1%

3 Der Niedergang der HRE und seine Ursachen Der Grund für die drohende Insolvenz war ein Liquiditätsengpass im Zuge des Zusammenbruchs des Interbankenhandels nach dem Ausfall von Lehman Brothers am 15.09.2008. Dieser führte zu einem nicht refinanzierbaren Liquiditätsbedarf bei der Depfa Bank plc in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags.3 Zuvor wurde zum Jahresbeginn 2008 eine außerordentliche Abschreibung in Höhe von 390 Mio. EUR aus amerikanischen Collateralized Debt Obligations (CDO) gemeldet. Als Folge dieser Meldung fiel der Aktienkurs der HRE Group (Hypo-Real-EstateHolding-Aktie) im Zeitraum vom 14. bis 28.01.2008 um rund 58%. Gemäß dem Bericht eines Bundestagsuntersuchungsausschusses wird jedoch das Immobiliengeschäft nicht als Auslöser für den Niedergang der HRE Group bewertet.4 Die Lage der HRE Group spitzte sich im September 2008 zu, sodass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) Gespräche zur Verhinderung der drohenden

3 4

Vgl. Untersuchungsausschuss (2009). Vgl. Untersuchungsausschuss (2009).

335

Bankenabwicklung-und-MREL.book Seite 336 Mittwoch, 2. Mai 2018 4:47 16

Maximilian Mümken

Illiquidität durchführte. Die zuvor bestrebten Bemühungen der deutschen Kreditwirtschaft mit der Deutschen Bank AG an der Spitze waren gescheitert. Das Treffen im Dienstsitz der Bafin in Frankfurt fand vom 26. bis 28.09.2008 statt. Aufgrund der drohenden Illiquidität der Depfa Bank plc., den Ad-hoc-Pflichten der Holding und den dadurch entstehenden Folgen für die deutschen Einheiten hätten Moratorien erlassen werden müssen, wenn bis zum 29.09.2008 keine Lösung gefunden worden wäre.5 In dieser Sitzung wurde von Seiten der HRE Group geschildert, dass eine längerfristige Refinanzierung problematisch sei. Die angespannte wirtschaftliche Lage der HRE Group wurde durch weitere organisatorische Faktoren verstärkt. Mängel in der Unternehmensführung führten zu 49 Verstößen gegen „das ordnungsgemäße Betreiben der Geschäfte und die Funktionsfähigkeit des Risikomanagements“ – wie die Bafin feststellte.6

4 Abwicklung der HRE Die Abwicklung der HRE Group umfasste diverse Maßnahmen: Zunächst stieg die Bundesregierung ein und übernahm schlussendlich die HRE Group vollständig. Daraufhin wurde eine Bad Bank gegründet, die FMS Wertmanagement. Die HRE blieb danach weiterhin in öffentlicher Hand und es wurde die Absicht verfolgt, Teile des Konzerns zu privatisieren, um mit erzielten Erlösen öffentliche Gelder zurück zu zahlen. Nachfolgend werden die einzelnen Schritte im Rahmen der Abwicklung detaillierter dargestellt. Der Einstieg der Bundesregierung belief sich auf eine Kapitalerhöhung von 20 Mio. HRE-Aktien, welche zu einem Preis von 3 EUR je Aktie erworben wurden.7 Damit betrug der Anteil, den der Bund an der HRE Group hielt, zu diesem Zeitpunkt 8,7%. Mit Erlassen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (FMStG), welches das Rettungsübernahmegesetz (RettungsG) zur staatlichen Übernahme von Banken beinhaltete, war eine bedeutende Grundlage für die vollständige Übernahme der HRE gelegt. Durch ein Übernahmeangebot an die Aktionäre der HRE Group wurden weitere Anteile durch den Bund erworben, jedoch lag die so erreichte Beteiligung immer noch bei lediglich 47,3%, was noch keiner absoluten Mehrheit entsprach. Um diese zu erreichen, berief der Bund eine außerordentliche Hauptversammlung ein, welche zum Ziel hatte, über eine weitere Kapitalerhöhung zu entscheiden. Für diese Kapitalerhöhung war vorgesehen,

5 6 7

336

Vgl. Financial Times Deutschland (2009). Vgl. Dettmer, M./Weiland, S. (2009). Vgl. Handelsblatt (30.03.2009).

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Fallstudie zur Abwicklung der Hypo Real Estate Group

dass lediglich der Bund zeichnen konnte. Mit rund 986 Mio. neu gezeichneter Aktien lag der Anteil des Bundes nun bei 90%. Als nächster Schritt erfolgte zur Hauptversammlung am 05.10.2009 ein Squeeze-out bei dem die übrigen Aktionäre ihre Anteile zwangsweise verkaufen mussten. Eines der wesentlichen Ziele nach der Komplettübernahme durch den Bund war eine drastische Verkleinerung des Konzerns in Bezug auf die Bilanzsumme, der Abbau von ca. 1.000 Stellen sowie die Schließung von Auslandsniederlassungen. An die im Zuge der Abwicklung neu gegründete FMS Wertmanagement AöR wurde anschließend ein Teil-Portfolio im Wert von ca. 173 Mrd. EUR zum 01.01.2010 übertagen. Hierin enthalten waren Wertpapiere mit einem Volumen von ca. 124 Mrd. EUR, welche durch Staatsbürgschaften abgesichert waren. Dies waren Wertpapiere, die zur Geldbeschaffung ausgegeben wurden. Die FMS hatte die Absicht, diese Wertpapiere innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums (bis Mitte 2011) durch Wertpapiere ohne Garantien zu ersetzen. Bis Ende 2010 wurden die Garantien des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) in mehreren Schritten auf ca. 15 Mrd. EUR reduziert. Die weiteren Institute der HRE Group, insbesondere die Deutsche Pfandbriefbank AG, blieben mit einem Portfolio aus Darlehen und Wertpapieren, die nicht ausgefallen oder ausfallbedroht waren, im Konzern erhalten. Die deutsche Konzerntochter, die Deutsche Pfandbriefbank AG, übernahm im laufenden Geschäftsbetrieb das Kerngeschäft der HRE Group. Nach dem Börsengang der Deutschen Pfandbriefbank am 16.07.20158 hielt die Bundesrepublik indirekt noch 20% an dem platzierten Institut.9 Im Dezember 2013 wurde die HRE AG mit Eintragung in das Handelsregister München AG in eine GmbH umgewandelt.

5 Fazit Laut einem Artikel der „Zeit“ beliefen sich die aus öffentlichen Mitteln finanzierten Gelder bis 2010 auf ca. 19,1 Mrd. EUR, was einem Betrag von ca. 237 EUR je Bürger entspräche.10 Aus diesem Grund wurde bereits zur Phase des Beschlusses Kritik aus der Opposition deutlich, dass sich die übrigen deutschen Kreditinstitute nicht ausreichend an der Rettung beteiligt haben und sich dennoch über die Liquiditätslinie und weitere Darlehen bereichert haben.

8 9 10

Vgl. Handelsblatt (2015). Vgl. HRE (2016). Vgl. Storn (2013).

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Maximilian Mümken

Eine Aussage darüber, wie eine reguläre Insolvenz ausgesehen hätte, ist in der Retrospektive mit den öffentlich verfügbaren Daten nicht zu treffen. Die angespannte Gesamtlage auf dem Interbankenmarkt sowie die enge Vernetzung durch großvolumige Transaktionen mit einer Vielzahl an anderen Instituten hätten potenziell zu weiteren Ausfällen oder Abwicklungsfällen führen können. Einen Abwicklungsplan und eine konkret ausgearbeitete und dokumentierte Abwicklungsstrategie nach heutigem Standard gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Aus heutiger Sicht korrespondiert die damals beschlossene Strategie der Bundesregierung am stärksten mit den Abwicklungsinstrumenten „Sale of Business“ in Form der Übernahme der HRE Group durch die Bundesregierung und die darauffolgende Übertragung von Vermögenswerten an die FMS Wertmanagement mit einer „Asset Separation“. Hierdurch konnte der nicht bedrohte Teil des HRE-Portfolios im Wesentlichen durch die Tochter Deutsche Pfandbriefbank AG mit dem Kerngeschäft weitergeführt werden. Durch heutige regulatorische Regelungen liegt mittlerweile ein konkreter Fundus an Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer Abwicklung vor. Sofern für ein Finanzinstitut die Abwicklungsvoraussetzungen gemäß § 62 oder § 64 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) vorliegen, kann die Abwicklungsbehörde auf unterschiedliche Instrumente zurückgreifen. Unter heute geltender Regulatorik käme nun das Abwicklungsinstrument des Bail-in in Frage, bei dem Verbindlichkeiten herabgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden, um die angemessene Ausstattung mit Eigenkapitel zu gewährleisten. Zur Zeit der Abwicklung der HRE wäre jedoch zu beurteilen gewesen, ob bei einem Bailin die ebenso durch die Krise betroffenen Gläubiger der HRE weiter belastet und u.U. in Schieflage gebracht worden wären. Da bei einem Bail-in Pfandbriefe ausgenommen sind, hätten sich die Verluste auf eine eingeschränkte Gruppe an Gläubigern fokussiert. Es wäre daher fraglich gewesen, ob bail-in-fähige Verbindlichkeiten in ausreichendem Maße vorgelegen hätten. Ein vermutlich nicht realisierbarer Ansatz zur Zeit der Finanzkrise wäre ein gesamter Verkauf der HRE an einen privaten Investor gewesen. Vermutlich wäre zur damaligen globalen Wirtschaftslage kein Käufer zu finden gewesen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Lage der HRE sehr unübersichtlich und mit viel Unklarheit bezogen auf den exakten Liquiditätsbedarf verbunden war. Neben den Abwicklungsinstrumenten sind durch die aktuellen Anforderungen bereits zahlreiche vorbereitende Maßnahmen in den Instituten zu treffen. Bspw. durch die Datenabfrage beim Single Resolution Board (SRB) zur MREL-Quote sind die Institute dazu angehalten, übersichtliche Datenstrukturen zu Verbindlichkeiten vorlegen zu können, die die Abwicklung erleichtern.

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Fallstudie zur Abwicklung der Hypo Real Estate Group

Als Gesamtfazit lässt sich abschließend festhalten, dass nicht funktionierende Risikomanagementfunktionen die drohende Insolvenz der HRE begünstigt haben. Unter heutigen Umständen und mit den nun vorhandenen Instrumenten sind Szenarien wie in der Finanzkrise selbstverständlich nicht vollständig auszuschließen, jedoch kann die Aussage getroffen werden, dass derartige Abwicklungsfälle weniger problematisch und weniger schädlich für die Gesamtwirtschaft ablaufen würden.

Literatur Buzer.de (2009), Synopse der Änderungen durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, http://www.buzer.de/gesetz/8705/l.htm (abgerufen am 15.09.2017). Dettmer, M./Weiland, S. (2009), Wie die HRE in die Katastrophe schlitterte, in: Spiegel Online, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bafin-pruefbericht-wie-die-hre-indie-katastrophe-schlitterte-a-627127.html (abgerufen am 15.09.2017) Financial Times Deutschland (2009), Zusammenfassung der Gespräche zur Stützung der HRE vom 26. bis 28. September 2008, Ausgabe vom 07.07.2009. Handelsblatt (2008), Ad-hoc Meldung HRE, http://www.handelsblatt.com/impressum/ nutzungshinweise/blocker/?callback=%2Ffinanzen%2Fadhoc%2Fhypo-real-estateholding-ag%253B1377442 (abgerufen am 15.09.2017) Handelsblatt (2009), Hypo Real Estate. Von Staates Gnaden, Ausgabe vom 29.03.2009. Handelsblatt (2015), Staat bekommt alle Pfandbriefbank-Aktien los, http://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/aktien/boersengang-staat-bekommtalle-pfandbriefbank-aktien-los/12090384.html (abgerufen am 15.09.2017). HRE (2006, 2007 und 2016), Geschäftsbericht. Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG). Storn, A. (2013), Hypo Real Estate: 237 Euro von jedem, http://www.zeit.de/2013/40/ rettung-hypo-real-estate, (abgerufen am 15.09.2017). Untersuchungsausschuss (2009), Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes, Drucksache 16/14000.

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung1 Stefan Best/Oliver Read

1 Einleitung 2 Theorie der Bankenabwicklung 2.1 Bankenabwicklungsrichtlinie und Bankenunion 2.2 Staatliche Rettung der Bankengläubiger als Normalfall in der Finanzmarktkrise 2.3 In der Theorie – Bankenabwicklung grundsätzlich ohne staatliche Unterstützung 2.4 Ausnahme zu den neuen Regeln der Bankenabwicklung 2.5 Supranationale Behörden im Euro-Raum 2.6 Prävention vor der Rettung 2.7 Abwicklungsvorbereitung in der Theorie 3 Praxis der Bankenabwicklung 3.1 Erste Bewährungsproben in der Praxis 3.2 Praxis der Bankenaufsicht bei der EZB 3.3 Wirtschaftsprüfer der notleidenden Banken in der Praxis 3.4 Praxis der Abwicklung der spanischen BPE 3.5 Präventivmaßnahmen versus politischer Druck 4 Fazit Literatur

1

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Risiko Manager, 08/2017, S. 40-45.

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1 Einleitung Die Bankenabwicklungsrichtlinie (Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD))2 bildet den Rechtsrahmen für den Umgang mit insolvenzgefährdeten Kreditinstituten in der Europäischen Union (EU). Sie soll die Liquidation oder Abwicklung systemisch wichtiger Banken ermöglichen und dabei die negativen Auswirkungen für Volkswirtschaft und Steuerzahler so gering wie möglich halten. Letzteres soll dadurch erreicht werden, dass – ähnlich wie in anderen Branchen – Verluste ohne staatliche Hilfe zunächst von den Eigentümern und danach von den Gläubigern zu tragen sind. Die jüngsten Beispiele im Umgang mit notleidenden Banken im Euro-Raum zeigen jedoch, dass Regierungen und Behörden noch nicht gewillt sind, die neuen Regeln strikt anzuwenden.

2 Theorie der Bankenabwicklung 2.1 Bankenabwicklungsrichtlinie und Bankenunion Mit der BRRD wurde infolge der schlechten Erfahrungen der Finanzmarkt- und Bankenkrise ein Rechtsrahmen geschaffen, der die Liquidation gescheiterter Banken als Normalfall und die Abwicklung systemisch wichtiger Kreditinstitute als Ausnahmefall vorsieht. Die BRRD bildet neben dem CRD-IV-Paket (Capital Requirements Directive) zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors gegenüber Krisen und der Einlagensicherungsrichtlinie ein harmonisiertes Regelwerk in der EU. Dieses ist wiederum die Grundlage für die Bankenunion der Euro-Zone mit ihrem einheitlichen Aufsichts- und Abwicklungsmechanismus sowie dem umstrittenen Plan eines gemeinsamen Einlagenversicherungssystems (European Deposit Insurance System (EDIS)).

2

EU-Richtlinie 2014/59.

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Stefan Best/Oliver Read

2.2 Staatliche Rettung der Bankengläubiger als Normalfall in der Finanzmarktkrise Zu den zahlreichen Schwächen, die die letzte Finanzmarktkrise offengelegt hat, zählen neben ungenügenden aufsichtlichen Mindestanforderungen und Überwachungsmaßnahmen die unzureichende Abwicklungsfähigkeit systemisch wichtiger Banken im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens. Zur Abwendung eines noch größeren volkswirtschaftlichen Schadens sahen sich daher Regierungen von EU-Staaten zwischen 2008 und 2015 veranlasst, Banken etwa 1,4 Bill. EUR an Eigenkapitalhilfen und Garantien für wertgeminderte Aktiva zu gewähren. Daher sollten mit der BRRD die Handlungsoptionen erweitert werden, damit im Falle einer Bankenschieflage nicht erneut Eigentümer und Gläubiger zu Lasten der Steuerzahler geschont werden.

2.3 In der Theorie – Bankenabwicklung grundsätzlich ohne staatliche Unterstützung Zu den Grundprinzipien der BRRD gehören: • Banken sind grundsätzlich nach dem regulären Insolvenzverfahren abzuwickeln. • Wenn das öffentliche Interesse es erfordert, können anstelle des Insolvenzverfahrens ausnahmsweise auch Abwicklungsinstrumente eingesetzt werden. • Bei einer Abwicklung sollten Eigentümer und Gläubiger Verluste in Höhe von mindestens 8% der um Derivate-Netting adjustierten Passiva tragen, bevor Mittel eines Abwicklungsfonds ergänzend herangezogen werden dürfen (8%-Bail-in-Regel). • Eigentümer und Gläubiger sollten keinen höheren Verlust erleiden als bei einer regulären Insolvenz (No-Creditor-Worse-Off-Prinzip (NCWO)). Entsprechend restriktiv sind die Voraussetzungen für Staatshilfen im Rahmen einer Abwicklung in der EU-Richtlinie formuliert. So ist es EU-Mitgliedstaaten laut Art. 56 BRRD bei einer als ausgesprochen seltenen Sondersituation bezeichneten Systemkrise erlaubt, Beihilfen zu gewähren, aber die 8%-Bail-in-Regel ist zu beachten.

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung

2.4 Ausnahme zu den neuen Regeln der Bankenabwicklung Die einzige Ausnahme zu den Grundprinzipien der Bankenabwicklung findet sich in Art. 32 BRRD. Demnach darf ein EU-Mitgliedsstaat einem Institut, das aktuell und in naher Zukunft auch ohne staatliche Unterstützung die aufsichtlichen Anforderungen erfüllt, Eigenmittel zuführen, sofern die Maßnahme: • der Abwendung einer schweren Störung der Volkswirtschaft und Wahrung der Finanzstabilität dient; • vorbeugend und vorübergehend Kapitallücken, die im Rahmen eines aufsichtlichen Stresstests ermittelt wurden, schließt; • nicht zum Ausgleich bestehender oder zu erwartender Verluste gewährt wird; • das Institut bezüglich des Preises und der Bedingungen der Eigenmittelzuführung nicht begünstigt; • nach den Regeln für staatliche Beihilfen genehmigt wird, was im Regelfall voraussetzt, dass sämtliche Eigenmittel zur Verlustabsorption herangezogen werden müssen bevor Beihilfe geleistet werden darf.3 Gleichzeitig dürfen die Voraussetzungen für die Herabschreibung oder Umwandlung von Kapitalinstrumenten nach Art. 59 BRRD nicht gegeben sein.

2.5 Supranationale Behörden im Euro-Raum Im Euro-Raum hat man mit der Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank (EZB) und der einheitlichen Abwicklungsbehörde (Single Resolution Board (SRB)) gemeinsame Institutionen geschaffen, die insbesondere für die systemisch wichtigen Institute zuständig sind. Wesentliches Argument für die Einrichtung beider Behörden war die Erwartung, dass die supranationale Bündelung von Ressourcen zu einer höheren Einheitlichkeit, Qualität und Unabhängigkeit der Aufgabenerfüllung führen würde. Kurz vor der Übernahme der Aufsicht durch die EZB am 04.11.2014 sollte mit einer „umfassenden Bewertung“ (Comprehensive Assessment) und einem „sehr strengen“ Stresstest sichergestellt werden, dass mögliche Altlasten aller von der EZB zu beaufsichtigenden Banken aufgedeckt und – falls erforderlich – durch die nationalen Regierungen

3

Vgl. European Commission (2013), RN 44 und 65 ff.

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Stefan Best/Oliver Read

bereinigt werden. Dass die Banken nach der Bewertung „grundsolide und vertrauenswürdig“ seien, war angesichts geringer aufgedeckter Eigenkapitallücken und schwer nachvollziehbarer Ergebnisse schon damals zu bezweifeln.

2.6 Prävention vor der Rettung Entscheidend für den Erfolg bei der Beaufsichtigung und einer möglichen Abwicklung von Kreditinstituten ist die Prävention. Hierzu haben Regierungen den jeweils zuständigen Behörden umfangreiche Aufgaben übertragen und Befugnisse eingeräumt. Bezüglich der Prävention durch die Aufsichtsbehörden sind dabei zu nennen: • die Pflicht zur aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung und die Aufsichtsbefugnisse der Art. 97 ff. (auch als Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) bzw. Säule II bezeichnet) bzw. Art 104 CRD IV,4 • die Pflicht zur Bewertung der Sanierungspläne und das Recht zur Beseitigung von Unzulänglichkeiten nach Art. 6 BRRD sowie • die Pflicht zu frühzeitigem Eingreifen nach Art. 27 BRRD. Diese Regelungen sollen das frühzeitige Erkennen einer drohenden erheblichen Verschlechterung der Finanzlage und das rechtzeitige Einleiten von Gegenmaßnahmen ermöglichen und nötigenfalls von aufsichtlicher Seite erzwingen. Dabei darf nicht von einer staatlichen Beihilfe ausgegangen werden.

2.7 Abwicklungsvorbereitung in der Theorie Zu den Pflichten der Abwicklungsbehörden gehören folgende vorsorglich zu treffende Maßnahmen: • das Erstellen der Abwicklungspläne, ohne dabei staatliche Beihilfe oder Zentralbankhilfe zu unterstellen (Art. 10 BRRD), • die Bewertung der Abwicklungsfähigkeit des Institutes und notfalls die Beseitigung bestehender Abwicklungshemmnisse (Art. 15 bis 17 BRRD) sowie • die Festlegung der Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten, die zu einer Verlustbeteiligung durch Eigentümer und Gläubiger (Bail-in) herangezogen werden können (MREL – Art. 45 BRRD).

4

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EU-Richtlinie 2013/36/EU.

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung

Zu den Abwicklungshindernissen zählen ein unzureichendes Volumen an bail-in-fähigen Eigenmitteln und Verbindlichkeiten sowie rechtliche oder technische Hindernisse, die eine Abwicklung im Einklang mit den Abwicklungszielen behindern.

3 Praxis der Bankenabwicklung 3.1 Erste Bewährungsproben in der Praxis Die jahrelange Auseinandersetzung um die italienischen Krisenbanken Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS), Veneto Banca S.C.p.A. (VB) sowie Banca Popolare di Vicenza (BPVI) ist ein besonders abschreckendes Beispiel für ein umfassendes Versagen auf politischer und behördlicher Ebene. Ein Vergleich der Fälle nach diversen Merkmalen findet sich in Tabelle 1. Obwohl die Probleme des italienischen Bankensektors seit Jahren bekannt sind und dieser als in toto überschuldet gilt, haben weder die italienische Regierung noch die Behörden das Problem wirkungsvoll adressiert. Tabelle 1: Praxis der Abwicklung notleidender Banken in der EU Banca Monte dei Paschi di Siena

Veneto Banca

Banca Populare di Vicenza

Banco Popular Español

Zuständigkeit

EZB und SRB

EZB und SRB

EZB und SRB

EZB und SRB

Entscheidung

Nicht ausgefallen

Ausgefallen

Ausgefallen

Ausgefallen

Öffentliches Interesse

Ja

Nein

Nein

Ja

Maßnahme

Staatliche Rekapitalisierung

Liquidation

Liquidation

Abwicklung durch Unternehmensveräußerung

Staatliche Beihilfe

Ja

Ja

Ja

Nein

Bail-in der Eigenmittel

Ja, aber Kompensation zumindest der Privatanleger

Ja; vermutlich Kompensation zumindest der Privatanleger

Ja; vermutlich Kompensation zumindest der Privatanleger

Ja

Bail-in der vorrangigen Gläubiger

Nein

Nein

Nein

Nein

Umfang der staatlichen Unterstützung

5,4 Mrd. EUR

4,785 Mrd. EUR Eigenkapital

4,785 Mrd. EUR Eigenkapital

Offiziell keine Beihilfe für Banco Santander

12 Mrd. EUR staatliche Garantien für Banca Intesa Sanpaolo

12 Mrd. EUR staatliche Garantien für Banca Intesa Sanpaolo

28,1 Mrd. EUR

34,4 Mrd. EUR

Bilanzsumme 2016

153,2 Mrd. EUR

147,9 Mrd. EUR

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Stefan Best/Oliver Read

Banca Monte dei Paschi di Siena

Veneto Banca

Banca Populare di Vicenza

Banco Popular Español

Buchkredite 30.06.2016

136 Mrd. EUR

26,6 Mrd. EUR

30,3 Mrd. EUR

117,9 Mrd. EUR

Ausgefallene und restrukturierte Kredite EBA per 30.06.2016

45,4 Mrd. EUR + 2,9 Mrd. EUR

7,9 Mrd. EUR + 0,7 Mrd. EUR

9,4 Mrd. EUR + 0,7 Mrd. EUR

17,3 Mrd. EUR + 6,6 Mrd. EUR

Systemisch wichtige Bank, Verantwortung für EZB und SRB

Ja

Ja

Ja

Ja

Ergebnis im Comprehensive Assessment/ Bankenstresstest 2014

Basisszenario bestanden, aber adverses Szenario nicht bestanden

Uneingeschränkte Solidität, alle Szenarien bestanden

Uneingeschränkte Solidität, alle Szenarien bestanden

Uneingeschränkte Solidität, alle Szenarien bestanden

Ergebnis im Bankenstresstest 2016 der EBA

Basisszenario bestanden, aber adverses Szenario nicht bestanden

Nicht geprüft

Nicht geprüft

Basisszenario und adverses Szenario bestanden

Wirtschaftsprüfer

EY seit 2013, Abschlüsse testiert

PWC seit 2013, Abschlüsse testiert

PWC 2016; KPMG 2013-2015, Abschlüsse testiert

PWC seit 2013, Abschlüsse testiert

EZB

Bestätigung der Solvenz als Voraussetzung für Art. 32 BRRD am 04.07.2017

Einstufung als ausgefallen am 23.06.2017, aber nur von regionaler Bedeutung

Einstufung als ausgefallen am 23.06.2017, aber nur von regionaler Bedeutung

Einstufung als ausgefallen am 06.06.2017

SRB

Keine Verlautbarung

Position der EZB abgewartet und am 23.06.2017 bestätigt

Position der EZB abgewartet und am 23.06.2017 bestätigt

Position der EZB abgewartet und am 07.06.2017 bestätigt

EU-Kommission

Genehmigung der staatlichen Rekapitalisierung

Genehmigung der staatlichen Abwicklungsbeihilfe

Genehmigung der staatlichen Abwicklungsbeihilfe

Genehmigung der Abwicklung am 07.06.2017

Aktueller Stand zur Lösung

Vorsorgliche Eigenkapitalhilfe nach Art. 32 BRRD genehmigt durch die EU-Kommission

Insolvenz nach italienischem Recht, Übertragung der gesunden Aktiva auf Banca Intesa Sanpaolo

Insolvenz nach italienischem Recht, Übertragung der gesunden Aktiva auf Banca Intesa Sanpaolo

Übertragung auf Banco Santander

3.2 Praxis der Bankenaufsicht bei der EZB Im Vorfeld der Übertragung der Aufsicht auf die EZB erhielten die meisten Euro-Krisenstaaten Kredite des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) zur Unterstützung ihrer maroden Banken. Auch wenn dieses Instrument nur halbherzig genutzt

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung

wurde, wie die anhaltend hohen Anteile ausfallgefährdeter Kredite von 15% bis 45% des Kreditvolumens in den Krisenländern zeigen,5 so trug es zumindest zu einer Reduzierung der Risiken bei. Um die Banken in Italien vor dem unmittelbaren Kollaps zu bewahren, beließ es die Regierung stattdessen bei einer gesetzlichen Umwandlung der in großem Umfang gebildeten aktiven latente Steuern in staatlich garantierte Aktiva (Deferred Tax Credits) und vereinzelten Kapitalbeihilfen. Die massiven Kapitallücken diverser Banken hätten spätestens im Rahmen der „umfassenden Bewertung“ durch die EZB auffallen müssen. Stattdessen wurden Spaniens Banco Popular Español (BPE) sowie VB und BPVI uneingeschränkte Solidität bescheinigt. Auch MPS bestand das Basisszenario. Selbst nach Übernahme der Aufsichtsfunktion durch die EZB und einem vermutlich noch besseren Zugang zu Informationen änderte sich an der Haltung der vermeintlich politisch unabhängigeren und qualitativ besseren Aufsicht nur wenig. Zwar drängte die EZB im Rahmen des Überwachungsprozesses auf eine Stärkung der Kapitalausstattung, aber die Feststellung, dass die Institute faktisch als ausgefallen zu gelten haben, blieb jedoch aus. Selbst im Stresstest der European Banking Authority (EBA) 2016, bei dem VB und BPVI nicht geprüft wurden, wurden BPE und MPS noch auskömmliche Kernkapitalquoten von 12% bzw. 13,5% im zukunftsgerichteten Basisszenario per Ende 2018 attestiert.

3.3 Wirtschaftsprüfer der notleidenden Banken in der Praxis Auch die Rolle der Wirtschaftsprüfer ist kritisch zu hinterfragen, da sie bis zuletzt die Richtigkeit der Abschlüsse der Krisenbanken testierten. Dass eine Bewertung unter der Annahme eines Going Concern zu höheren Vermögenswerten führt als unter der Annahme eines Gone Concern ist zwar nachvollziehbar. Wenn sich jedoch wie im Falle der spanischen BPE innerhalb kurzer Zeit und trotz eines verbesserten konjunkturellen Umfelds Eigenmittel von mehr als 10 Mrd. EUR in Luft auflösen und die nationale Abwicklungsbehörde plötzlich einen Unternehmenswert zwischen –2 Mrd. EUR und –8,2 Mrd. EUR feststellt, erscheint die Bilanzbewertung grob falsch. Der Fall ist im Ergebnis von einer staatlich geduldeten und von Prüfern aufgrund von Interessenkonflikten gedeckten Insolvenzverschleppung kaum zu unterscheiden. Gerade angesichts der hohen Verschuldungsgrade im Bankensektor sind solch gravierende

5

Vgl. European Banking Authority (2016), S. 21.

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Stefan Best/Oliver Read

Bewertungsunterschiede nicht akzeptabel. Wenn die Eigenkapitalgeber der Banken als Folge dieser Unvorhersehbarkeiten endgültig das Vertrauen in externe Kontrollinstanzen verlieren, dürfte es anderen Instituten schwerfallen, privates Kapital aufzunehmen.

3.4 Praxis der Abwicklung der spanischen BPE Im Falle der spanischen BPE ist die Bilanz des SRB ebenfalls keineswegs makellos. Zwar hat der SRB die Bank als ausgefallen eingestuft, ihre Eigenmittel abgeschrieben und sie dann „im öffentlichen Interesse“ mit Hilfe des Instruments der Unternehmensveräußerung auf Banco Santander S.A. übertragen (vgl. Tabelle 1). Allerdings wurde dies mit einer verschlechterten Liquiditätssituation begründet und geschah ebenfalls viel zu spät, wie die anschließende Gone-Concern-Bewertung zu Tage brachte. Das Arrangieren der Übernahme einer insolventen Bank durch eine solvente Großbank häufig gepaart mit sanftem Druck oder heimlichen Vergünstigungen gehörte bereits vor Einführung der BRRD zu dem gängigen Instrumentenkasten der Aufsicht. Insofern hätte es keiner Abwicklungsrichtlinie bedurft, um dieses intransparente, sich einer Kontrolle durch die Markteilnehmer entziehende Agieren hinter den Kulissen fortzusetzen. Da hierdurch Großbanken noch größer und komplexer werden, steht das Vorgehen ohnehin in Widerspruch zu dem Ziel der Überwindung des too-big-to-fail-Problems. Zudem stellt sich die interessante Frage, welche Vorbereitungen der SRB für eine Abwicklung der BPE getroffen hatte für den Fall, dass sich kein Käufer gefunden hätte. Da BPE den Stresstest 2016 selbst im adversen Szenario bestanden hatte, wäre es noch schwieriger gewesen als im Falle der MPS eine „vorsorgliche“ staatliche Eigenkapitalhilfe gemäß Art. 32 BRRD zu beantragen.

3.5 Präventivmaßnahmen versus politischer Druck Die ersten praktischen Beispiele seit Inkrafttreten der BRRD zeigen, wie wichtig es ist, frühzeitig einzugreifen, um eine weitere Verschlechterung der Finanzlage zu vermeiden, die Sanierungs- oder Abwicklungsmaßnahmen erschweren. Dieser Pflicht sind jedoch weder EZB noch SRB bis dato nachgekommen.

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung

Möglicherweise spielt hierbei das für Präventivmaßnahmen typische asymmetrische Chancen-Risiko-Profil eine Rolle. Während das Ergreifen unpopulärer Maßnahmen im Vorfeld ein hohes Konfliktpotenzial für die Entscheider birgt, ist die Aussicht darauf, für solche Maßnahmen belohnt zu werden, sehr gering, da verhinderte Probleme im Erfolgsfall naturgemäß als solche nicht erkennbar werden. Umgekehrt bietet eine akkommodierende Politik eine hohe Aussicht auf Zustimmung. Dabei ist das Risiko, im Nachhinein für unterlassene Präventivmaßnahmen zur Verantwortung gezogen zu werden, als gering einzustufen, solange geltenden Regeln im Rahmen des Ermessensspielraums entsprochen wurde. Die Verlagerung nationaler Aufsichtskompetenzen auf EZB oder SRB wird kaum zu objektiv nachvollziehbaren und tatsächlich unabhängigen Entscheidungen führen. Es ist vielmehr zu erkennen, dass die Behörden bei der Wahrnehmung ihrer Mandate einer mindestens ebenso starken politischen Einflussnahme unterliegen wie die EZB bei der Ausübung ihrer Geldpolitik. Aufsichtliche Maßnahmen, die die Abwicklung eines systemisch wichtigen Institutes eines Landes vorsehen, haben nämlich sehr viel direktere und somit erkennbarere finanzielle Folgen für ein Land als geldpolitische Beschlüsse.

4 Fazit Sehr lange haben nationale und supranationale Behörden auf Zeit gespielt und so die Lösung der Probleme systemisch wichtiger Krisenbanken in der EU und eine wirtschaftliche Erholung erschwert. Nun scheint die EZB endlich auf eine Bereinigung einiger der seit Jahren bekannten Fälle zu drängen. Statt jedoch konsequent Geist und Wortlaut der neuen Regeln für die Bankenabwicklung einheitlich anzuwenden, liefern die Aufsichts- und Abwicklungsbehörden und die Kommission durch willkürlich anmutendes Verhalten Beispiele für mangelnde Glaubwürdigkeit und Vorhersehbarkeit europäischer Institutionen und Rechtsnormen. Abbildung 1 zeigt die unterschiedliche Behandlung der insolvenzgefährdeten Banken im Rahmen der Bankenunion – dargestellt als Entscheidungsbaum.

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Stefan Best/Oliver Read

Abbildung 1: Abwicklung systemisch relevanter Banken in der Bankenunion Ist eine Rekapitalisierung der Bank durch private Investoren möglich? Ja

Nein MPS, VB, BPdV, BPE

Lösung außerhalb der BRRD und der EU-Regeln für staatliche Beihilfen

Ist die Bank solvent? (EZB-Entscheidung) Ja MPS

Nein VB, BPdV, BPE

Ist die Bank ausgefallen Nein bzw. wird sie wahrscheinlich ausfallen? (EZB-Entscheidung) Ja VB, BPdV, BPE

Sind die Bedingungen für die Ausnahme unter Art. 32 BRRD erfüllt? Ja MPS

Besteht öffentliches Interesse an einer Abwicklung? (SRB-Entscheidung) Ja Nein BPE VB, BPdV Abwicklung nach BRRD und nach den EU-Regeln für staatliche Beihilfen BPE: keine staatliche Beihilfe, Abwicklung durch Veräußerung an Banco Santander

Insolvenz nach nationalem Recht (Beihilfen erfordern Genehmigung der EU-Kommission) VB, BPdV: Insolvenz nach italienischem Recht, Liquidation mit Übertragung der gesunden Aktiva auf Banca Intesa Sanpaolo mit staatlicher Beihilfe

Vorsorgliche Eigenkapitalhilfe durch Nationalstaat (Genehmigung der EU-Kommission) MPS: staatliche Rekapitalisierung durch den italienischen Staat

Quelle: in Anlehnung an European Commission (2017d)

Wenn die neu geschaffenen Behörden bereits beim Umgang mit mittelgroßen Banken nicht in der Lage sind, ihren Pflichten nachzukommen, wird es ihnen bei den komplexen Bankengruppen vermutlich erst recht nicht möglich sein, die Abwicklungsfähigkeit herzustellen und eine Abwicklung unter Gläubigerbeteiligung auch tatsächlich durchzuführen. Dies gilt umso mehr, da nun Präzedenzfälle geschaffen wurden, auf die sich Gläubiger zukünftig abzuwickelnder Banken berufen werden.

Literatur European Banking Authority (2016), Risk assessment of the European Banking System, December 2016. European Central Bank (2017a), ECB determined Banco Popular Español S.A. was failing or likely to fail, 7 June 2017. European Central Bank (2017b), ECB deemed Veneto Banca and Banca Popolare di Vicenza failing or likely to fail, 23 June 2017.

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Bankenabwicklungsrichtlinie – Theorie und Praxis der europäischen Bankenabwicklung

European Commission (2013), Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften für staatliche Beihilfen ab dem 1. August 2013 auf Maßnahmen zur Stützung von Banken im Kontext der Finanzkrise („Bankenmitteilung“) (2013/C 216/01). European Commission (2017a), Statement on Agreement in principle between Commissioner Vestager and Italian authorities on Monte dei Paschi di Siena (MPS), 1 June 2017. European Commission (2017b), European Commission approves resolution of Banco Popular Español, S.A., 7 June 2017. European Commission (2017c), Commission approves aid for market exit of Banca Popolare di Vicenza and Veneto Banca under Italian insolvency law, involving sale of some parts to Intesa Sanpaolo, 25 June 2017. European Commission (2017d), How the EU rules apply to banks with a capital shortfall – Factsheet, 25 June 2017. Single Resolution Board (2017a), The Single Resolution Board adopts resolution decision for Banco Popular, 7 June 2017. Single Resolution Board (2017b), The SRB will not take resolution action in relation to Banca Popolare di Vicenza and Veneto Banca, 23 June 2017.

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