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German Pages 216 Year 2008
Holden Härtl Implizite Informationen
studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf
studia grammatica 68
Holden Härtl
Implizite
Informationen Sprachliche Ökonomie und interpretative Komplexität bei Verben
Akademie Verlag
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ISBN 978-3-05-004502-3 ISSN 0081-6469
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2008 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: MB Medienhaus Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
10
1
Wegbeschreibung
11
2
Kosten-Nutzen-Rechnungen einer mentalen Grammatik
22
2.1
Das Aufgabengebiet
22
2.2
Komplexität und Ökonomie
28
2.3
Informationstransfer zwischen den Ebenen
37
2.4
Und wo ist die Pragmatik?
46
3
Implizite Ereignispartizipanten 3.1
Was ist ein implizites Argument?
51 54
3.2
Die Begrifflichkeiten
57
3.3
Dekausative Verben
64
3.3.1
Grammatische Dekausativität
66
3.3.2
Unakkusativität und der Dativ-Causer
74
3.3.3
von selbst als Implikatur-Annulierer bei Dekausativa
77
3.3.4
a«-/ww?er-Phrasen als Umstands-Angaben
79
3.3.5
Konzeptuelle Kausalität dekausativer Verben?
81
3.3.6
Schnittstellenrechnung für dekausative Verben
87
3.4
Partikelverben
90
3.4.1
Grammatische Eigenschaften
92
3.4.2
Konzeptuelle Eigenschaften
94
3.4.3
Exkurs: Der Status sortal-lexikalischer Information bei Verben eine RZ-Studie
3.4.4
Kontextuell gesteuerte Reanalyse der Argumentstelle
98 106
6
Inhaltsverzeichnis 3.4.5 3.5
Nicht realisierte Thema-Argumente
114 116
3.5.1
Typen intransiti vierter Verben und grammatische Eigenschaften
116
3.5.2
Der lexikalisch-semantische Status
118
3.5.3
Nicht realisierte Themen sind lexikalisch inaktiv: eine RZ-Studie
121
3.5.4 3.6
Schnittstellenrechnung für intransitivierte Verben Middles
3.6.1
129 133
Die grammatischen Bedingungen
134
3.6.2
Der Status des nicht realisierten Agens-Arguments
140
3.6.3
Lexikalisch-semantische Repräsentation
146
3.6.4
Diskurswert und Schnittstellenrechnung für Middles
152
3.7
Erstes Resümee
155
3.8
Schnittstelle Informationsstruktur: Identifizierbarkeit und Aktivation
157
4
Implizite Propositionen 4.1
161
Implizite Kausalität psychischer Verben
163
4.1.1
Grammatische Eigenschaften
163
4.1.2
Konzeptuelle Eigenschaften
169
4.1.3
Diskurswert und Schnittstellenrechnung
176
4.2
Typenverschobene Verbkomplexe
178
4.2.1
Strukturelle Eigenschaften
179
4.2.2
Interpretative Variabilität und die Stereotypizität impliziter Information
186
4.2.3
Konzeptuelle und diskursstrukturelle Eigenschaften: Schnittstellenrechnung
188
4.3
5
Schnittstellenrechnung fur Partikelverben
Zweites Resümee
Ergebnisdiskussion und Ausblick
192
194
Anhang
201
Literaturverzeichnis
205
Abbildungsverzeichnis
Abbildung l:f(SD) = RA
33
Abbildung 2: f(INF) = RA
34
Abbildung 3: f(SD) = 1 - INF
34
Abbildung 4: Verteilung lexikalisch-semantischer und konzeptueller Informationen nach verschiedenen Modellen
39
Abbildung 5: Versprachlichung eines propositionalen Gehalts
44
Abbildung 6: Unakkusative Syntax mit Dativ-DP/ApplP
75
Abbildung 7: Syntax der Kopula-Adjektiv-Konstruktion mit werden
77
Abbildung 8: Verhältnis von SD : INF bei unakkusativen Verben
88
Abbildung 9: Bild-Targets in Härtl (2003b)
96
Abbildung 10: Reaktionszeiten in den einzelnen Bedingungen
97
Abbildung 11 : RZ (Mittel) in Ms für die Kategorisierung der kongruenten und inkongruenten Bilddarstellungen
105
Abbildung 12: Skalierte Antworten für Ja (=1) und Nein (=5)
113
Abbildung 13: Verhältnis von SD : INF im Vergleich
115
Abbildung 14: RZ (Mittel) in Ms für die Kategorisierungs-Aufgabe
127
Abbildung 15: RZ (Mittel) in Ms für die Kategorisierungs-Aufgabe
128
Abbildung 16: Verhältnis von SD : INF im Vergleich von Dekausativa, Partikeln und intransitivierten Activity-Verben
132
Abbildung 17: Verhältnis von SD : INF im Vergleich von Dekausativa, Partikeln, Middles und intransitivierten Activity-Verben
154
Abbildung 18: Vorwärts- und rückwärtsgerichtete Bezugnahme
156
Abbildung 19: Verhältnis von SD : INF in der Übersicht
195
Abbildung 20: Thematischer Prozessor
197
Abkürzungsverzeichnis
AP AppIP AvP CB CF CP CS CT D DO DP DUR ELAN FE GB IKON INF INST INT Κ KON LOC MEG N400 Ρ P600 PA PET PRÄP PP
Q RA RZ SD SF SR
Adjektivphrase Applikativphrase Adverbialphrase backward-looking center forward-looking center preferred center konzeptuelle Struktur kontextuelle Struktur Diskurs Activity-Prädikat Determiniererphrase durativ early left anterior negativity funktional erweitert Government and Binding Theory inkongruent Inferenzaufwand Instanti ierungsfunktion Interpretationsfunktion kompositional kongruent Lokalisierungsrelation Magnetoenzephalographie Negativität 400 Ms Prädikat Positivität 600 Ms Partikel Positronen-Emissions-Tomographie Präposition Präpositionalphrase Qualia-Struktur Rechenaufwand Reaktionszeit Strukturdichte semantische Form semantische Repräsentation
A
bkürzungsverzeichnis
TEL TP U VBL VP
telisch Thematischer Prozessor Äußerung Verbalisierungsfunktion Verbphrase
9
Vorbemerkung
Diese Studie ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Mai 2007 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Den letztendlichen Zustand dieser Arbeit verantworte natürlich ich. Ihre Existenz ist aber auch sehr vielen Kolleginnen und Kollegen und den Gesprächen mit ihnen zu verdanken, daneben einer Menge wichtiger Kooperationen, auch über kontinentale Grenzen hinweg, Projekten finanziert aus Dritt- und Haushaltsmitteln, Diskussionen bei Workshops und Unterhaltungen bei Konferenzen. Und ganz gewiss nicht zuletzt bin ich Freunden, einer hervorragenden Betreuung, den Gutachtern, meiner Familie, den studentischen Mitarbeitern, einer Vielzahl von Studierenden in Berlin, Leipzig und Odense und natürlich meinen „Informanten" zu herzlichem Dank verpflichtet. Habilitieren ist zwar, wie ich finde, ein mitunter aufreibendes, aber nach wie vor und trotz aller Wirren ein sehr einträgliches Unterfangen. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch auch, dass der schier endlose Sommer im Berlin des kritischen Jahres mir so manche der finalen Strecken nicht unwesentlich erleichtert hat.
1 Wegbeschreibung
„Silence is not just an absence of sound" Madeleine Peyroux In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, was wir sagen, wenn wir etwas nicht sagen. Zur Beantwortung dessen werden stumme, sprachlich scheinbar entleerte Sequenzen untersucht. „Leer" bedeutet nicht immer semantisch leer. Vielmehr können manche dieser Leerstellen bei der Interpretation eines Ausdrucks eine ganz wesentliche Rolle spielen. Um diese Leerstellen geht es in der vorliegenden Arbeit. Es sollen jene sprachlichen Einheiten identifiziert werden, die zwar strukturell um bestimmte Anteile reduziert, aber trotzdem in der Lage sind, ganz konkrete Informationen zu übermitteln. Dazu muss zunächst geklärt werden, wie und wo die Grenze zwischen explizit und implizit Gesagtem und überhaupt nicht Gesagtem zu ziehen ist. Dann kann die globale Zielsetzung ins Auge gefasst werden. Sie besteht darin, offenzulegen, welche speziellen linguistischen Bedingungen vorliegen, damit solches sprachliche Material, das mitverstanden werden soll, ausgespart wird. Ein gutes Beispiel für das Wechselspiel zwischen Auslassung und Mitverstehen von sprachlichen Informationen ist der Passivsatz in ((l)b): (1)
a. b. c.
Der Einbrecher zerbrach die Fensterscheibe. Die Fensterscheibe wurde zerbrochen. Die Fensterscheibe zerbrach.
Der Passivsatz in ((l)b) enthält, relativ analog zu dem ausfuhrlicheren Satz in ((l)a), die sprachlich ausgesparte Information, dass ein bestimmtes Individuum (oder möglicherweise auch ein Objekt) das Fenster zerbrochen hat. Im Vorgangspassiv ist das Agens des Verbkomplexes nicht explizit realisiert, vielmehr ist jenes offensichtlich implizit in der semantischen Struktur des Ausdrucks vorhanden. Das Agens der Handlung, welches das Zerbrechen der Fensterscheibe verursacht hat, wird in ((l)b) demnach mit dem reduzierten Ausdruck mitverstanden. Für Passiva scheint das verhältnismäßig einleuchtend. Wie verhält sich das nun aber mit dem Ausdruck in (( 1 )c)? Auch hier wird ein Zustandswechsel - der des Zerbrechens eines Fensters - beschrieben. Ein Agens jedoch wird augenscheinlich nicht bezeichnet. Das sieht man u.a. daran, dass die Angabe eines Instruments, das die Handlung eines vorstellbaren Agens näher beschreibt, in ((l)c) nicht möglich ist, in ((l)b) hingegen schon:
1 Wegbeschreibung
12
(2)
a. b.
Die Fensterscheibe wurde mit der bloßen Faust zerbrochen, *Die Fensterscheibe zerbrach mit der bloßen Faust.1
Auch eine Ursache-Wirkung-Relation scheint aus der eigentlichen Semantik des Ausdrucks in ((l)c) völlig ausgeblendet. Vielleicht ist nun aber eine solche Relation zwar nicht in der grammatischen Struktur selbst, sondern in der zugrunde liegenden nichtsprachlichen Struktur des konzeptuellen Wissenssystems vertreten. Interpretieren wir demnach möglicherweise mit einem Ausdruck wie in ((l)c) extra-linguistisch mit, dass ein solcher Zustandswechsel stets in irgendeiner Form durch eine bestimmte Ursache bewirkt wird? Dafür könnte immerhin sprechen, dass man eine Ursache bei Verbkomplexen dieses Typs überhaupt versprachlichen kann, was bei unstrittig nicht-kausativen Verben wie etwa den Positionsverben stehen oder liegen gänzlich ausgeschlossen ist: (3)
a. b. c.
Die Fensterscheibe zerbrach unter dem Druck. *Die Tasse steht unter dem Druck auf dem Tisch. *Die Zeitung liegt unter dem Druck auf dem Schrank.
Kann aus dieser Sachlage geschlossen werden, dass das reduzierte zerbrechen in ((3)a) also in irgendeiner Weise informationsreicher ist, als es die beiden Verbkomplexe in ((3)b) bzw. ((3)c) sind? Wir werden uns diesen Aspekt später noch genauer zuwenden. Neben solchen Verbformen wie dem eben besprochenen dekausativen zerbrechen in ((l)c) werden wir mit analoger Absicht andere strukturell reduzierte Ausdrücke betrachten: Middle-Konstruktionen (Das neue Buch verkauft sich gut), intransitiv verwendete Activity-Verben (Karl liest gerade) und einstellig realisierte präpositionale Relationen (Peter streicht die grüne Farbe auf). Es wird dabei geprüft, inwiefern hier Information über implizite nominale Ausdrücke (also Ereignispartizipanten oder „implizite" Argumente) enthalten ist. Das Bild vervollständigen Überlegungen zu impliziten Sachverhalten (bzw. implizite Propositionen), wie sie bei typenverschobenen Ausdrücken (Der Autor begann sein neues Buch) und bei psychischen Verbkomplexen (Die Touristen bewundern den Prachtbau) angenommen werden können. Bevor wir damit beginnen, möchte ich aber zunächst einmal die inhaltliche Zielstellung dieser Arbeit konkretisieren. Schauen wir uns dazu die Aussage in (4) an: (4)
Die umfassende Interpretation eines Ausdrucks resultiert aus der Zusammenarbeit zwischen linguistischen und nicht-linguistischen Sub-Systemen der Kognition, welche das Gesagte und das nicht Gesagte in einer ausbalancierenden Weise berechnen.
Definitionen dieser Art, die die Verstehensseite von Sprache zu erfassen suchen, trifft man häufiger bei der Lektüre an, so etwa bei Perkins (1998) oder Sperber & Wilson (1986). Nun ist dies nicht der Ort, den Produzenten einer solchen Beschreibung Fahrlässigkeit zu unterstellen, aber in gewisser Weise wird hier eine linguistische Büchse der Ich verwende das Asterisk-Symbol * für grammatisch und sprachsystemisch basierte Abweichungen.
1
Wegbeschreibung
13
Pandora geöffnet. Man handelt sich damit nämlich gleich zwei sehr komplizierte Angelegenheiten ein. Zunächst einmal muss die durchaus schwierige Frage geklärt werden, wo denn überhaupt die Grenze zwischen linguistischer und nicht-linguistischer Kognition zu ziehen ist. Und wie werden die Strukturen des einen Systems übersetzt in das Format des anderen Systems? Welche Rolle spielt dabei das mentale Lexikon? Das zentralere Problem besteht jedoch in der Grenzziehung zwischen Gesagtem und nicht Gesagtem. Zur Klärung dessen muss zunächst „das, was gesagt wird" von „dem, was grammatisch kodiert wird" präzise unterschieden werden. Was sagen wir implizit und was explizit? Welche empirischen Techniken haben wir zur Verfügung, um diesen Unterschied auszuloten? Eine weitere Voraussetzung zur Klärung der Sachlage ist, dass bei der Untersuchung impliziter Information nicht nur einfach implicature und explicature2 gegenübergestellt werden, wie bei Sperber & Wilson (1986: 182), oder dass die Balance berechnet wird zwischen „the proportion of information which is linguistically encoded and that which the hearer is required to reconstruct inferentially", Perkins (1998: 297). Vielmehr muss auch geklärt werden, welche Arten von Strukturen eine bestimmte Information überhaupt nicht, weder explizit noch implizit, ausdrücken. Zum Beispiel könnte es sein, dass der Satz Die Fensterscheibe zerbrach in ((l)c) eine Verursachungsrelation in gar keiner Weise ausdrückt, oder jedoch aber auf eine solche implizit, wenn auch nicht grammatisch kodiert, verweist. Etwas formeller ausgedrückt lässt sich das Problem so zusammenfassen: Verweist ein reduzierter Ausdruck tatsächlich auf Informationen der Art, dass diese zwar nicht materieller Teil der grammatischen Struktur selbst sind, aber Teil der Interpretationsbedingungen und damit ein notwendiger Teil der Bedeutung des Ausdrucks? Spätestens an dieser Stelle muss eine wichtige Beschränkung vorgenommen werden. Ich beschäftigte mich in dieser Arbeit ausschließlich mit Informationen, die tatsächlich mit konkretem sprachlichem Material assoziiert werden können. Ungesagtes, wie es etwa mit Schweigen in einem Diskurs assoziiert ist, wird hier nicht behandelt. Die hier behandelten Inferenzen über implizit kommunizierte Informationen hängen demzufolge vom tatsächlich Ausgedrückten, das gewissermaßen als Wirt für die zu ziehenden Schlussfolgerungen dient, ab, s. hierzu u.a. Recanati (2004). Das heißt natürlich nicht, dass nicht wesentliche Schlussfolgerungen auch aus Schweigen gezogen werden können. Hawley (2002) zum Beispiel verweist auf die Bedeutung von Schweigen auf die Frage Hast du dich gestern mit deinem Mann gestritten? und ordnet die gezogene Schlussfolgerung sogar als konversationelle Implikatur 3 ein. Ob diese Einschätzung angemessen ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden, wesentlich ist zunächst aber ohnehin nur die Feststellung, dass diese Art geschlussfolgerter Information im Weiteren nicht berücksichtigt werden wird. Die Grenze zwischen implizit Gesagtem und nicht Gesagtem muss empirisch sorgsam definiert werden. Dazu ist es notwendig, den sprachlichen und referentiellen Status des Mit-Interpretierten aber nicht Gesagten genau festzulegen. Dafür muss natürlich zum 2
3
Eine Explikatur definiert sich nach Sperber & Wilson (1986: 192) so: „An assumption communicated by an utterance U is explicit if and only if it is a development of a logical form encoded by U." Als eine konversationelle Implikatur wird nach Grice (1989) jener Typ Schlussfolgerung definiert, der löschbar ist, d.h. sich nicht notwendigerweise aus einem Ausdruck ergibt. In Abschnitt 3.2 werden die einzelnen Begrifflichkeiten noch detailliert behandelt.
14
1 Wegbeschreibung
einen die betreffende Struktur selbst untersucht werden. Es müssen Testverfahren wie in (2) entwickelt werden, mit denen sich die Existenz impliziter Information überprüfen lässt. Eine ganz wesentliche Rolle spielt hier aber auch das Verhalten des Impliziten in seiner globaleren sprachlichen Umgebung: Ist implizite Information im Diskurs zugänglich bzw. identifizierbar, sodass in irgendeiner Weise sprachlich darauf zugegriffen werden kann? Im Verlauf der Arbeit wird deutlich werden, wie wir auf diese Art in die Lage versetzt werden, implizite Information aufzuspüren und ihr sprachliches Verhalten zu deuten. Wesentlicher Grundgedanke bei den anzustellenden Überlegungen wird es sein, dass eine Reduktion von sprachlicher Struktur stets mit dem Rechenaufwand und den Schlussfolgerungen, die fiir einen Ausdruck aufgebracht werden müssen, in Zusammenhang zu bringen ist. Ein ökonomisch gestaltetes Sprachsystem versucht hier, ein optimales Verhältnis durchzusetzen: Die höchstmögliche Informationsdichte soll unter einem geringstmöglichen Berechnungsaufwand erreicht werden. Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Devise in (4) unter Berücksichtigung der soeben skizzierten Verpflichtungen mit Leben zu füllen. Dazu werde ich die folgende Frage beantworten: (5)
Eine Leitfrage: Unter welchen Umständen kann sprachliche Information, die mit dem betreffenden Ausdruck mitverstanden werden soll, reduziert werden?
Diese Frage scheint auf den ersten Blick recht schlichter Natur zu sein. Ich möchte hier auch gleich die Antwort liefern, die nicht weniger simpel wirkt: (6)
...und die Antwort darauf: Mitzuverstehende sprachliche Information kann immer dann ausgespart werden, wenn sie im Kontext identifizierbar ist.
Es deutete sich beim Blick in Pandoras Büchse schon an, dass der Weg zur Antwort auf die genannte Frage ein durchaus steiniger ist. Er besteht hauptsächlich daraus, die Vokabeln mitverstehen und identifizierbar aus (6) einzukreisen und möglichst wasserdicht zu definieren. Weiterhin gilt es, die Vorgabe in (6) vor Übergenerierung zu bewahren. Diese Gefahr bestünde, wenn die Regel unter Ausblendung grammatischer Prinzipien angewendet würde, denn es kann ja nicht alles, was im Kontext identifizierbar ist, auch ausgespart werden. Die Regel greift also nur unter der Maßgabe, dass nicht andere, unabhängige grammatische Bedingungen eine Aussparung verhindern. Im Folgenden möchte ich der Leserin bzw. dem Leser die zu bewältigende Wegstrecke erleichtern und die hier absolvierten Etappen etwas ausführlicher abstecken. Jenen, die sich diesem „Spoiler" entziehen möchten, sei das Weiterlesen ab Seite 20 empfohlen. Vorab ist festzuhalten, dass ich hier ein Modell des Sprachsystems zugrunde legen werde, dass sich möglichst nahe an kognitiven und psychologischen Realitäten orientiert. Das bedeutet nicht, dass eine Beschreibungsgröße wie etwa ein semantischer Operator ein neuronales Korrelat aufweisen muss. Auch geht es nicht darum, bestehende Theoriegebäude dann und wann durch experimentelle Daten ins Wanken bringen zu wollen. Es bedeutet vielmehr, dass kognitiv- und performanz-orientierte Aspekte in die systemische Beschreibung sprachlicher Strukturen einfließen. Dies ist zum Beispiel immer dann sinn-
1 Wegbeschreibung
15
voll, wenn uns die theoretische Überlegung nicht weiterbringt. Dem wohnt die Einsicht inne, dass Performanzdaten zur Formulierung einer Theorie, die sprachliche Kompetenz beschreibt, verwendet werden können und manchmal eben müssen. Die genannte Einstellung impliziert, dass beim Vorliegen eines Konflikts zwischen theoretischer Erwägung und prozess-basierter Diagnose letzterer der Vorrang zu geben ist. Demgemäß halte ich die Auseinandersetzung mit tatsächlich mentalen Repräsentationen für zielgerecht und verzichte wenn nötig auf theoretische Eleganz. Methodisch betrachtet wird die Analyse im Wesentlichen auf drei empirischen Säulen ruhen. Zum einen sind hier sprachliche Tests zu nennen, die direkt mit impliziter Information in Zusammenhang gebracht werden können und uns Hinweise auf deren grammatischen Status geben. Zu denken ist hier u.a. an bestimmte Adjunkte, die innerhalb der betrachteten Verbphrasen implizite Informationseinheiten aufgreifen und jene explizieren oder auch modifizieren können. Wichtigen Aufschluss über den Status impliziter Information in der mentalen Repräsentation wird uns zum zweiten eine Reihe experimenteller Befunde liefern. Hier sind vor allem verschiedene Reaktionszeitstudien, aber auch EEGund Fragebogenstudien zu nennen. Und schließlich wird uns das Verhalten der untersuchten Strukturen in ihrer globaleren sprachlichen Umgebung beschäftigen. Dies liefert uns wichtige Indizien zur referentiellen Wertigkeit impliziter Größen, wie sie sich in informations- und diskursstrukturellen Konstellationen niederschlägt. In Bezug auf den untersuchten Phänomenbereich erlangen wir damit umfassende Kenntnis des komplexen Zusammenspiels expliziter und impliziter Information und sind in der Lage, sprachliche Reduktionen bei der Generierung eines sprachlichen Ausdrucks vorhersagbar zu gestalten. Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden nach einer ausfuhrlicheren Darlegung des Untersuchungsbereichs die Begriffe der Komplexität und Ökonomie definiert. Die beiden Größen korrelieren dahingehend, dass Komplexität sich in einem möglichst effizient zu haltenden Rechenaufwand niederschlägt, der fìir eine Struktur aufgebracht werden muss. Sprachliche Strukturen weisen demnach unterschiedliche Grade an Strukturdichte auf. Es wird davon ausgegangen, dass mentale Repräsentationen sparsam zu modellieren sind dies gilt insbesondere bei der hier vertretenen Annahme dekomponierter Lexikoneinträge. Ein Dekompositionsansatz sieht grammatisch relevante Klassen lexikalischer Konzepte vor, die in ihrer inhärenten Konstitution unterschiedlich komplex gestaltet sind. Das Verhältnis von Komplexität und Ökonomie wird in Abhängigkeit vom inferentiellen Aufwand modelliert, der für die angesteuerte Interpretation einer Struktur aufzuwenden ist. Die beiden Faktoren des komputationellen und des inferentiellen Aufwands werden in ein Modell der Sprachgenerierung implementiert, das zwischen grammatischer und nicht-sprachlicher Bedeutung unterscheidet. Pragmatische Einflussnahme wird im Modell lokalisiert und zwischen den Ebenen vermittelt als Schnittstelleninstanz ein sogenannter thematischer Prozessor, der den Transfer der Informationen regelt bzw. überwacht und fur eine ökonomische Gestaltung sprachlicher Ausdrücke sorgt. Wichtig für die in Kapitel 3 folgenden Überlegungen wird es sein, dass Implizitheit keine absolute Eigenschaft ist. Vielmehr kann implizite Information sich an verschiedenen Stellen in der Repräsentation eines sprachlichen Ausdrucks niederschlagen. Einerseits kann implizite Information direkt lexikalisch kodiert sein und bspw. in der PrädikatArgument-Struktur auftreten. Entsprechend implizite (bzw. implizierte) Argumente können nun ihrerseits thematisch gebunden sein oder als ungebundene, freie Variablen eine
16
1 Wegbeschreibung
schwache referentielle Wertigkeit aufweisen. Zum anderen kann implizite Information überhaupt nicht Teil der lexikalischen Struktur selbst sein. In diesem Falle können aber immer noch bestimmte Implikaturen greifen, die auf der begrifflichen Wissensebene Schlussfolgerungen in Richtung der angesteuerten Interpretation auslösen. Zur Beantwortung der Leitfrage in (5) widmen wir uns in den Kapiteln 3 und 4 den nachstehenden Einzelfragen: (7)
(i)
Welche Informationen sind sprachlich nicht realisiert?
(ii)
Welches Signal ist dafür auf der jeweiligen Berechnungsebene gesetzt und welcher Typ von Schlussfolgerung ist damit verknüpft?
(iii) Welche Schnittstellenregeln lösen die Rekonstruktion von Informationen aus? Dazu werden wir uns in einem ersten Schritt Ausdrücke anschauen, von denen angenommen werden kann, dass sie implizite nominale Information, also Informationen über implizite Ereignispartizipanten (sprich „implizite Argumente") enthalten. Dazu müssen wir zunächst einmal den Begriff des „impliziten Arguments" definieren. Dem folgt eine Bestimmung und für unsere Belange relevante Abgleichung der verschiedenen Begrifflichkeiten, zuvorderst der einzelnen Typen von Schlussfolgerungen (Implikation, konversationelle und konventionelle Implikatur etc.) die systematisch mit lexikalischen Konstellationen interagieren. Als erstem zu behandelnden Phänomenbereich werden wir uns den oben bereits angesprochenen Dekausativa der Art der Teller zerbrach zuwenden. Dekausativa bezeichnen meist Zustandsveränderungen und sind unakkusativen Verbkomplexen zuzurechnen. Ich durchleuchte ihre grammatischen und konzeptuellen Eigenschaften und formuliere die Schnittstellenkalkulation, die die lexikalische Struktur und die inferierte Information ins Verhältnis setzt. Dieses generelle Vorgehen wird auch in den anderen Abschnitten schematisch Anwendung finden. Für den Bereich der Dekausativa werden wir anhand verschiedener grammatischer Tests (PRO-Umgebungen, Dativ-DPn) feststellen, dass diesen aus lexikalisch-semantischer Sicht tatsächlich keine kausale Bedeutung innewohnt und eine implizite (Causer-) Argumentstelle lexikalisch nicht präsent ist. Dieser Sachverhalt schlägt sich u.a. darin nieder, dass ein Aufgreifen einer entsprechenden Entität im Diskurs nicht möglich ist. In verschiedenen sprachlichen Konstellationen nun scheint jedoch auch bei den Dekausativa eine kausale Bedeutungskomponente zum Ausdruck zu kommen, wie es etwa durch von-selbst-Phrasen sichtbar wird. Ich werde zeigen, dass dies auf eine konversationeile (d.h. löschbare) Implikatur zurückzuführen ist, die in der grammatischen Struktur der Ausdrücke selbst nicht verankert ist. Vielmehr fußt diese Implikatur auf begrifflichem Wissen, welches besagt, dass Veränderungen stets in einen kausalen Zusammenhang zu setzen sind, diese also stets als in irgendeiner Weise verursacht zu interpretieren sind. Diese implizit gegebene bzw. k-implizierteA kausale Informa4
Ich verwende im Folgenden den Begriff „k-implizieren" als das vom nominalen Ausdruck der (konversationeilen und konventionellen) Implikatur abgeleitete Verb. Die wenigen vorliegenden Alternativen wie etwa implikieren, k-implizieren o.ä. erscheinen mir unschön. Ich folge damit einem Vorschlag von Manfred Bierwisch.
1
Wegbeschreibung
17
tion nun erlaubt es verschiedenen Adjunkten wie den durch- und an-lutiter-Phrasen, an dekausative Verbkomplexe anzudocken und die verursachende Größe zu versprachlichen. Schließlich wird erläutert, in welcher Weise die Schnittstellenkalkulation zu gestalten ist, die bestimmt, dass eine k-implizierte Ursache-Größe, die referentiell unspezifisch ist, von der Grammatikalisierung in der lexikalisch-semantischen Struktur auszuschließen ist. In empirisch ähnlicher Weise wird im nächsten Abschnitt untersucht, wie sich einstellige präpositionale Relationen hinsichtlich unserer Fragestellung verhalten: Liefert eine Konstituente wie klebt den Sticker auf implizite Informationen über das Ziel, d.h. das Referenzobjekt, des Lokalisierungsereignisses? Verben wie aufkleben, i.e. Partikelverben, werden hier als morphologische Produkte angesehen, die ein präpositionales Element aufweisen, welches lexikalisch intransitiviert ist. Verschiedene grammatische Tests und theoretische Erwägungen fuhren zu dem Schluss, dass Partikeln in ihrer PrädikatArgument-Struktur, also lexikalisch-semantisch, zwar zweistellig sind, in deren ThetaRaster aber nur eine Position zu sättigen ist. Auch auf konzeptueller Ebene sind Partikeln einstellig. Das wird bestätigt durch eine Reaktionszeitstudie mit Objektkategorisierung, deren Ergebnisse keinerlei Hinweise auf eine konzeptuelle Aktivierung eines Referenzobjekts bei Partikeln - im Vergleich zu „vollen" PPn - liefern. Für das kontextuelle Verhalten zeigt sich Folgendes: Die bei Partikeln nicht realisierte Argumentstelle kann diskursstrukturell nicht als Antezedens für „rückwärtsgerichtete" Referenz dienen. Jedoch kann diese Argumentstelle einen Referenten im informationsstrukturellen Hintergrund vertreten, wie es etwa in John ging zum Briefkasten und warf einen Brief ein deutlich wird. Dieses Verhalten wird vor dem Hintergrund eines ce«ter/«g-theoretischen Ansatzes motiviert, mit dem sich die Herstellung optimaler Diskurse gut modellieren lässt. Mit ihm lassen sich Präferenzen für Diskursübergänge in einen systematischen Zusammenhang zu Diskurstypen und der Bereitstellung bzw. Aktivierung lexikalisch-semantischer Information setzen. Die verhältnismäßig unproblematische diskursstrukturelle Bezugnahme auf ein mögliches Referenzobjekt wird mit den lexikalisch-semantischen Konstellationen in Zusammenhang gebracht: Partikeln implizieren eine interne Argumentstelle der P-Relation, die bei Bedarf informationsstrukturell und kontextuell rekonstruiert werden kann. Partikeln weisen demnach hinsichtlich der sprachlich nicht realisierten Entität eine höhere Strukturdichte als Dekausativa auf, was den mit Partikel-Ausdrücken verbundenen Inferenzaufwand auf diskurs- und informationsstruktureller Ebene senkt. Ein erster Vergleich zwischen den beiden bisher untersuchten Verbformen zeigt, wie kontextuelle Aufgreifbarkeit in einem systematischen Zusammenhang zum Typ der Schlussfolgerung gesetzt werden kann: Während die konversationeile Implikatur bei den Dekausativa diskursstrukturell betrachtet keine referentiellen Ankerpunkte bietet, liefert bei den Partikelverben eine argumentstrukturelle Implikation (d.h. eine logische Folgerung) hier spezifischere Information, die selbst zwar keine kanonische konzeptuelle Wertigkeit erlangt, aber pragmatisch rekonstruierbar ist. Im nächsten Schritt dieser Arbeit wird diese Systematik auf den Bereich intransitiv verwendeter Activity- Verben des Typs in Karl liest gerade ausgeweitet. Es wird dabei gefragt, ob ein implizites Thema, zum Beispiel BUCH, Teil der Wahrheitsbedingungen dieser Ausdrücke ist. Einen ersten Hinweis wird uns das grammatische und ereignisstrukturelle Verhalten dieser Verbkomplexe liefern. Konkreten Aufschluss über den lexikalischen Status des nicht realisierten Themas gibt uns dann wiederum eine Reaktionszeitstudie, welche zeigt, dass ein sortal pas-
18
l
Wegbeschreibung
sendes Nomen in intransitiv verwendeten Verbkomplexen im Vergleich zu transitiven Umgebungen lexikalisch nicht aktiviert wird. Trotzdem weisen Entitäten dieser Art einen hohen Grad an diskursstruktureller Zugänglichkeit auf, was auf einen geringen inferentiellen Aufwand, der mit den Ausdrücken verknüpft ist, hinweist: Mit ihnen ist sowohl ein rückwärtsgerichtetes Wiederaufgreifen einer Entität mittels der nicht realisierten Thema-Argumentstelle möglich, s. ((8)a), als auch ein pronominales Wiederaufgreifen des nicht realisierten Themas mittels einer sogenannten £nc/gz«g-Konstruktion mit der Anapher das, ((8)b): (8)
a. b.
Karl kaufte den Bestseller und las die ganze Nacht lang. Thomas liest zwar, aber das ist sicherlich nur eine Illustrierte.
Dieses hohe Maß an diskursstruktureller Zugänglichkeit wird hier motiviert mit einem spezifischen Typ von Schlussfolgerung, der mit den Verbkomplexen verknüpft ist. Ich argumentiere, dass hier eine konventionelle (d.h. nicht löschbare) Implikatur vorliegt, die das nicht realisierte Thema auf eine bestimmte Weise bindet und ihm so eine prototypische Referenz zuweist. Als Resultat liegt eine ,,Ρ-defínite" Entität vor, die auf pragmatischer Ebene erschlossen wird und diskursstrukturell konstant aufrufbar ist. Dies wird in Zusammenhang gebracht mit einer hohen Strukturdichte intransitiv verwendeter Activity-Verben, was seinerseits ein vergleichsweise geringes Maß an inferentiellem Aufwand zur Folge hat. Den nächsten Untersuchungsbereich bilden die Middle-Konstruktionen. Gemeint sind damit generisch referierende Ausdrücke wie Das Buch liest sich leicht, die aus einem Verb gebildet sind, deren agentives Argument, hier also der Leser, sprachlich ebenfalls unrealisiert bleibt. Es wird sich zeigen, dass diese Information hinsichtlich ihren sprachlichen Verfügbarkeit einen Zwischenstatus einnimmt: Einerseits müssen Middles stets eine agentive Semantik aufweisen - Middles ohne agentive Bedeutungsanteile sind nur sehr marginal möglich. Grammatisch regulär realisierbar - etwa analog zu der èv-Phrase bei den Passiva - ist diese agentive Entität allerdings nicht. Das nicht realisierte Argument ist kontextuell aber durchaus bezugfahig wie etwa durch ein Maat im Beispiel ((9)a). Dekausativa etwa sind nicht geeignet, Entsprechendes in einer ähnlich unmarkierten Weise zu leisten, s. ((9)b): (9)
a. b.
Holzboote versenken sich verhältnismäßig leicht, sogar ein Maat bekommt das hin. ?? Holzboote versinken verhältnismäßig leicht, 5 sogar ein Maat bekommt das hin.
Zur Klärung der ambivalenten Umstände lege ich zunächst die Bedingungen, denen die Middle-Derivation unterworfen ist, fest. Es zeigt sich, dass die Middle-Option sich aus einer Hierarchie lexikalischer Faktoren ergibt, welche die Bedingungen der Agentivität, der Generizität und der Durativität in ihrer Restriktivität fur die Middle-Bildung ordnet. Daraus folgt zum Beispiel, dass nicht-durative Verben, die keine agentive Semantik
5
Das Fragezeichen (?/??) wird hier verwendet, um eingeschränkte sprachliche Akzeptabi Iität, die auf sprachsystemische oder aber auch pragmatische Faktoren zurückzuführen ist, zu markieren.
1 Wegbeschreibung
19
annehmen können, als am markiertesten eingestuft sind, wenn sie in einer MiddleKonstruktion auftreten. Für das im Middle nicht realisierte Argument zeigt sich dann, dass die die externe Argumentrolle des verbalen Prädikats selbst - also etwa das Agens von sich versenken in ((9)a) - lexikalisch nicht vertreten ist. Vertreten ist vielmehr das externe Argument einer ereignisstrukturellen Konstante: Middles werden (präferiert) aus Activities bzw. Accomplishments abgeleitet, welche ereignisstrukturelle Komponenten aufweisen, die Agentivität logisch implizieren. Diese Analyse leistet zweierlei: Einerseits ergibt sich nun die notwendige Agentivität von Middles aus den logischen Wahrheitsbedingungen und andererseits motiviert sie die eingeschränkte sprachliche Verfügbarkeit und kontextuelle Zugänglichkeit der impliziten Entität. Hinsichtlich des durch sie ausgedrückten Maßes an impliziter Information zeigt es sich, dass Middles zwischen Partikeln und Unakkusativa anzusiedeln sind. Schließlich wird für die nun diagnostizierten Daten eine Zwischenbilanz gezogen. Es wird eine erste Bedingung für die informationsstrukturelle Zugänglichkeit nicht realisierter Information formuliert. Die Ergebnisse werden dazu vor dem Hintergrund informationsstruktureller Funktionen sprachlicher Information gedeutet. Diese Funktionen resultieren aus der Interaktion der beiden kognitiven Kategorien der Identifizierbarkeit und Aktivation von Information. Dies liefert uns die Möglichkeit, das diskursstrukturelle Verhalten nicht realisierter Informationen klar zu definieren. Unter Inbeziehungsetzung der Faktoren der Diskurszugänglichkeit, der Identifizierbarkeit nicht realisierter Informationen und der ermittelten Schlussoperationen wird für den fraglichen Phänomenbereich festgestellt: Die Diskurszugänglichkeit einer morpho-syntaktisch nicht realisierten Argumentstelle ist gesichert, wenn diese entweder auf der Grundlage einer logischen Implikation oder einer proto-typischen Bindung als Resultat einer konventionellen Implikatur identifiziert werden kann. Im nächsten Kapitel werden wir die bisherigen Ergebnisse auf den Bereich der impliziten propositionalen Information anwenden. Propositionen drücken Sachverhalte aus und man kann ihnen einen Wahrheitswert zuweisen. Wir betrachten zwei Typen: Implizite Verbkausalität psychischer Verben und implizite Ereignisse bei typenverschobenen Verbkomplexen. Zunächst einmal zeige ich, dass psychische Verben generell nicht-kausativer Natur sind. Dies ist nicht unstrittig. In der Literatur findet sich des Öfteren die Annahme, dass Verben wie ängstigen im Gegensatz zu ßirchten aus grammatischer Sicht einen Verursacher aufweisen, der mit der Subjekt-Position gelinkt ist. Grammatische und ereignisstrukturelle Tests aber demonstrieren, dass sich ängstigen-Verben vielmehr wie Activities und fürchten-Verben wie Zustände, also in jedem Falle nicht-kausativ, verhalten. Die intuitiv aber richtige Annahme von Kausalität bei psychischen Verben ist auf das konzeptuelle Merkmal der impliziten Verbkausalität zurückzuführen, was für beide Verbtypen gleichermaßen gilt. Implizit kausal bedeutet, dass in einem psychischen Komplex die Ursache für den psychischen Zustand in einer bestimmten Eigenschaft einer der beiden beteiligten Individuen, es ist dies der Experiencer, zu suchen ist. Dies drückt sich etwa in we/7-Sätzen aus, welche sich bei psychischen Verbkomplexen typischerweise auf die Ursache-Größe beziehen und diese näher spezifizieren: (10)
a.
Viele Menschen bewundern George Lucas, weil er sich auch im Rentenalter ein kindliches Gemüt bewahrt hat.
20
1 Wegbeschreibung b.
Eric Clapton fasziniert sein Publikum immer wieder, weil er sein Instrument so perfekt beherrscht.
Das Merkmal wird - wie bei den Dekausativa - auf der Basis einer konversationellen Implikatur erschlossen. Die Implikatur ist auch kognitiv real, dies zeigt sich an verschiedenen experimentellen Daten, u.a. in einer EEG-Studie. Mit dieser wurden Verarbeitungsspezifika von Konstruktionen getestet, die - im Kontrast zu den Sätzen in (10) - der kanonischen Ursachenzuschreibung entgegen laufen. Die ermittelte kausale Größe ist allerdings nicht diskursfahig und sie ist informationsstrukturell entwertet. Psychische Verbkomplexe erlauben eine Versprachlichung der k-implizierten6 ursächlichen Relation mittels verschiedener Adjunkte. Sie verhalten sich somit analog zu den dekausativen Verbkomplexen, bei denen eine kausale Relation ebenfalls auf der Basis ausschließlich nicht-sprachlicher Informationen erschlossen wird. Als letzten Phänomenbereich schließlich untersuche ich typenverschobene Verbkomplexe wie Der Schüler begann den Aufsatz, welche wiederum ein Ereignis, hier etwa SCHREIBEN, unausgedrückt lassen. Ich zeige, dass Typenverschiebungen dieser Art und ihre Interpretation im (grammatisch) kompositionalen Strukturaufbau eines Ausdrucks zu verankern sind: Das nicht realisierte Ereignis ist in der lexikalisch-semantischen Struktur des Ausdrucks impliziert. Verschiedene ereignisstrukturelle Restriktionen werden erörtert, die für Ausdrücke dieser Art mit implizitem und explizitem Ereignis unterschiedlich gelten. Die Überlegungen fuhren zur Formulierung einer Stereotypizitäts-Anforderung. Diese besagt, dass implizite Information immer analog zur unmarkierten expliziten Realisierungsform interpretiert werden muss. Mit Blick auf die konzeptuellen Eigenschaften zeigt es sich, dass zur vollständigen Interpretation typenverschobener Komplexe eine zusätzliche konversationelle Implikatur notwendig ist. Diese erschließt den ontologischen Typ des implizit gelassenen Ereignisses. Für die diskursstrukturelle Wertigkeit dieses Ereignisses wird festgestellt, dass es einen gültigen, d.h. identifizierbaren Teil der Diskursmenge konstituiert und informationsstrukturell zugänglich und aktiv ist. Resümierend werden im abschließenden Teil der Arbeit die erörterten Ergebnisse ins Verhältnis gesetzt und es wird eine allgemeine Definition formuliert, vgl. hierzu die Aussage in (6) oben. Sie besagt im Kern, dass sprachliche Information, die selbst nicht realisiert aber mitverstanden werden soll, immer dann linguistisch lizenziert ist, wenn sie diskursstrukturell identifizierbar ist. Identifizierbar ist semantische Information dann, wenn sie das Produkt entweder einer logischen Implikation oder einer konventionellen Implikatur mit proto-typischer Bindung ist. Die demgemäße Kalkulation der sprachlichen Strukturen und die dazu notwendige Interaktion an der Schnittstelle zwischen begrifflichem und grammatischem Wissen wird aus der neuen Sichtweise erörtert und im Modell lokalisiert. Gleich zu Beginn dieser Arbeit muss noch eine wesentliche Einschränkung vorgenommen werden. Selbstredend lassen sich die gewonnenen Ergebnisse vorerst nur für den hier untersuchten Phänomenbereich generalisieren. Es soll aber davon ausgegangen werden, dass die ermittelten Regeln und Repräsentationen gewissermaßen die semantischen Mindestanforderungen an mitzuverstehende implizite Information verkörpern. In diesem Sinne mögen die diagnostizierten Befunde als theoretischer Unterbau für weitere Überle6
S.Fußnote4.
1 Wegbeschreibung
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gungen dienen, die den geplanten Erlös dieser Arbeit aufgreifen und ihn systematisch erweitern können. Es bleibt zum Schluss dieser Wegbeschreibung noch anzudeuten, in welchen sprachinteressierten Domänen - so hoffe ich - konkreter Nutzen aus dieser Arbeit gezogen werden kann. Zunächst ist natürlich der große Bereich der Lexikonmodellierung zu nennen. Hierfür können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu den Fragen nach dem semantischen Gehalt lexikalischer Konzepte, der Produktivität des lexikalischen Systems und dessen Funktion als Schnittstelle zwischen grammatischem und begrifflichem Wissen beitragen. Wahrheitskonditionale Ansätze der Semantik, die sprachliches Verhalten kompositioneil motivieren und die nach empirischer Objektivität streben, sind hier ebenso gemeint wie kognitiv orientierte Arbeiten, die sprachliche Semantik als Teil des globalen Wissenssystems gestalten. Insbesondere die Beziehung zwischen lexikalischen und diskursstrukturellen Informationen wird weiter und mit Blick auf den untersuchten Phänomenbereich ausformuliert. Dabei kann es nicht darum gehen, die Grenze zwischen Lexikon und Diskurs zu nivellieren oder eine Theorie des Diskurses als Teil der Grammatik zu implementieren, vielmehr werden diskursstrukturelle Konstellationen hier ausgewertet und fiir die Modellierung des lexikalischen Systems genutzt. Ferner können die gewonnenen Einsichten auch vor dem Hintergrund prozessorientierter Modelle interpretiert und implementiert werden. Dies ist besonders in Hinblick auf die Frage relevant, welche Informationseinheiten welchen Prozess-Ebenen sprachlicher Strukturbildung zuzuordnen sind. Dies umfasst Themen wie: Welcher Typ semantischer Information ist sprachsystemisch verankert und damit in vorgelagerten Zeitfenstern der Sprachverarbeitung angesiedelt? Und welcher Typ erschließt sich erst auf der Basis nicht-grammatischer, pragmatischer Kalkulationen? Und schließlich: Welche Informationen einer Äußerung sind später noch mental zugänglich und befinden sich auf einem hohen kognitiven Aktivationsniveau? Besonders letztere Frage ist auch für Konzeptionen der komputationellen Linguistik von Bedeutung, die den Informationsgehalt sprachlicher Äußerungen in Hinblick auf deren diskursstrukturelle Wertigkeit modellieren. Hier spielt die Frage nach der Anwesenheit bestimmter Informationseinheiten im Diskursmodell ebenso eine Rolle wie das Problem der unterschiedlichen Grade von Zugänglichkeit bestimmter Informationen, auf die in größeren textuellen Umgebungen zugegriffen werden soll. Der Überblick zeigt, dass diese Arbeit letztendlich all jene Adressaten ansprechen möchte, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Sprache und ihr lexikalisches System als Ausdruck kognitiver Kreativität im Allgemeinen zu beschreiben.
2 Kosten-Nutzen-Rechnungen einer mentalen Grammatik
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? In diesem Kapitel werde ich die Implizitlassung sprachlicher Information aus systemischer Sicht weiter eingrenzen und definieren und so die Beschreibungsgrundlage für die Behandlung der einzelnen Phänomene schaffen. Ich werde anhand verschiedener empirischer Daten die Frage angehen, wie das Wechselspiel von Komplexität und Sparsamkeit in der sprachlichen Strukturbildung zu betrachten ist. Es wird damit den kognitiven Ökonomieprinzipien Rechnung getragen, die maßgeblich die Aussparung sprachlicher Informationen bestimmen. Ich konzentriere mich hier auf zwei Faktoren: den des komputationellen und den des inferentiellen Aufwands. Diese beiden Faktoren werden in ihrer Korrelation betrachtet und in ein Modell der Sprachgenerierung implementiert, das zwischen grammatischer und nicht-sprachlicher Bedeutung unterscheidet. Zwischen den beiden Ebenen vermittelt eine Abbildungsinstanz, die den Transfer der Informationen regelt bzw. überwacht und für eine ökonomische Gestaltung eines linguistischen Outputs sorgt. Auf diese Weise wird sich zeigen, wie das Wechselspiel der einzelnen ganz unterschiedlichen Faktoren genutzt werden kann, um den traditionell als „pragmatisch" charakterisierten Einfluss nicht unmittelbar sprachlicher Größen in einem modularen Modell zu systematisieren.
2.1
Das Aufgabengebiet
Nicht alles, was wir denken, drücken wir aus, vieles bleibt unausgesprochen, und trotzdem werden wir meist im gewünschten Maße verstanden. Folglich ist es eine der zentralen Aufgaben sprachlicher Strukturen und der Grammatik, die sie erzeugt, mindestens den Teil einer Proposition explizit zu kodieren, der notwendig ist, um den kommunikativen Akt gelingen zu lassen. Dieses Minimum deutet auf die Existenz eines Maximums und damit gleichzeitig auf die Fähigkeit der Grammatik, über die reichhaltigen konzeptuellen Strukturen - also die Inhalte - zu abstrahieren und diese auf jenes sprachliche Minimum zu reduzieren. Bei der Produktion eines Ausdrucks werden also an der Schnittstelle zwischen konzeptueller Struktur und Grammatik die in irgendeiner Form überflüssigen Informationen erkannt und von der Versprachlichung ausgeschlossen. Gleichzeitig muss garantiert sein, dass die konzeptuelle Struktur und die beabsichtige Botschaft stets rekonstruierbar bleibt und zwar in der Weise, dass der Inhalt gemäß des kommunikativen Ziels transportiert wird.
2 Kosten-Nutzen-Rechnungen
einer mentalen
Grammatik
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Eine solche Rekonstruierbarkeit bedingt zweierlei: Einerseits, dass die Grammatik dekodierbare Signale für zu rekonstruierendes Material setzt und andererseits dass, wann immer dies misslingt, Verkürzungen explizit angezeigt werden. Das folgende Beispiel illustriert dieses Wechselspiel am Beispiel zweier Typen von intransitivierbaren Verben: (11)
a. b. b.'
John brachte den Vertrag mit und Jim unterzeichnete sofort, John brachte den Vertrag mit und Jim las sofort. John brachte den Vertrag mit und Jim las ihn sofort.
Mit einem intransitivierten Verb des Typs unterzeichnen verweist die Grammatik auf die Existenz eines spezifischen impliziten Arguments, s. hierzu Abschnitt 3.5. Ein solcher spezifischer nominaler Ausdruck wird in ((ll)a) in der Kontextdomäne gegeben, weshalb der Verbalkomplex im zweiten Konjunkt so interpretiert wird, dass Jim genau den Vertrag unterzeichnet, den John mitbringt. Verben wie lesen verhalten sich hier anders. In intransitiver Form fokussieren sie - im Sinne des imperfektiven Aspekts - auf die Verbalhandlung und ihren Verlauf. In ((1 l)b) liegt daher im Gegensatz zu ((1 l)a) nicht notwendigerweise eine solche Interpretation vor, bei der Jim genau die vorerwähnte Entität der betreffenden Verbalhandlung, d.h. lesen, unterzieht. Es könnte sich hier wenn auch sprachlich vielleicht etwas unglücklich - um ein vom ersten Konjunkt unabhängiges Ereignis handeln. Die Grammatik setzt hier also kein Signal für eine referentielle Konstruktion des nicht ausgedrückten Themas, was - wenn es die Proposition erfordert - die Einsetzung des pronominalen Ausdrucks ihn wie in ( ( l l ) b ' ) nötig macht. Wiederum nicht notwendig aber wird die Einsetzung einer Anapher, wenn spezifische außersprachlich-ontologische Prinzipien in die Interpretation des sprachlichen Ausdrucks eingreifen. Der Kontrast in den diskursstrukturellen Optionen, die die folgenden Beispiele eingehen können, illustriert dies: (12)
a. b. b.'
Der Professor druckte gerade ein Manuskript aus und las. Der Professor hielt gerade ein Buch in der Hand und las. Der Professor druckte gerade ein Manuskript aus und las darin.
((12)b) wird anders als ((12)a) präferiert so interpretiert, dass der Professor genau das Buch liest, das er in der Hand hält. Hier handelt sich um eine elliptische Konstruktion, deren Interpretation durch ein Prinzip der räumlichen Kontiguität gesteuert wird. Es besagt, dass ein LESEN-Ereignis die Existenz eines räumlich und visuell zugänglichen und damit kognizierbaren Themas (ein Buch) erfordert. Erfüllt wird diese Vorgabe durch das im ersten Konjunkt gegebene direkte Objekt, welches durch in der Hand unzweideutig als dem Agens zugänglich identifiziert wird, was den Einsatz eines entsprechenden pronominalen Ausdrucks im zweiten Konjunkt, wie in ((12)b') illustriert, überflüssig macht. Es stellt sich nun die Frage, welches Signal in einem Verbalkomplex wie ((1 l)a) gesetzt ist, sodass die nicht realisierte interne Argumentstelle von unterzeichnen mit der kontextuell gegebenen Determiniererphrase der Vertrag identifiziert wird. Einen Ansatzpunkt zur Klärung dessen bietet die lexikalische Dekompositionsstruktur der entsprechenden Verben. Unterzeichnen ist ein prinzipiell telisches Verb, das einen Zustandswechsel bezeichnet.
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2 Kosten-Nutzen-Rechnungen
einer mentalen Grammatik
Dies drückt sich in der verbalen Dekompositionsstruktur durch die Konstante BECOME aus, welche ihrerseits über einen Zustand (STATE) prädiziert. Dieses Zustandsprädikat verfugt über eine Argumentstelle - das Thema - , welche obligatorisch gebunden werden muss. Ein anderes Bild ergibt sich hier bei Verben wie lesen. Sie bezeichnen prinzipiell atelische Aktivitäten und erlauben eine Fokussierung auf die Verbalhandlung, ohne dass ein Zustandswechsel eines Themas ein in irgendeiner Form notwendiger Teil der Bedeutung sein müsste. Wir können also davon ausgehen, dass in Fällen wie (11) das Signal, welches die Rekonstruktion impliziter Information auslöst, mit den argumentstrukturellen Bedingungen zu assoziieren ist, die sich aus der dekomponierten Ereignisstruktur 7 der fragliche Verben ergeben. Anhand der festgestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Verbtypen muss sich auch die Frage beantworten lassen, warum Verben vorliegen, die - ähnlich den Achievements wie unterzeichnen - sich in keinem Falle intransitivieren lassen und bei denen selbst ein kontextuell bestimmbares Argument die Struktur nicht retten kann. Dies sei an dieser Stelle nur kurz mittels eines Beispiels skizziert: (13)
a.
* John brachte den Teller mit und Jim zerbrach sofort.
Mit dem umrissenen Problemfeld bewegen wir uns an der Schnittstelle zwischen lexikalischer Semantik und Syntax und müssen die (Linking-) Mechanismen definieren, welche die Abbildung der Informationen zwischen den beiden Ebenen regeln. Dieselbe Domäne ist bspw. im Falle syntaktischer Ellipsen wie den Koordinations-Reduktionen, bei denen identisches lexikalisches Material aus einer sprachlichen Struktur gelöscht wird, betroffen. Bei diesen Ellipsen ist bei vorwärts gerichteter Reduktion (s. (14)a) Form-Inkongruenz erlaubt, bei rückwärts gerichteter jedoch nicht (s. (14)b/b'); s. hierzu u.a. Maling (1972): (14)
a. b. b.'
Ich trinke Tee und Joan trinkt Whiskey. *Ripley weiß, dass Joan Whiskey trinkt und ich Tee trinke, Ripley weiß, dass wir Tee und sie Schnaps trinken.
Wir sehen an diesem Beispiel, wie syntaktische Konstellationen Einfluss auf Reduktionsoptionen nehmen können und so die Rekonstruierbarkeit impliziter Information regulieren. Wichtiger ist aber, dass im Falle der Ellipsen wie in (14) das ausgesparte Element konzeptualisiert und damit notwendiger Teil der Bedeutung des Ausdrucks ist. Ähnliche 7
Hier wird ein „weiter" Ereignisbegriff verwendet. Er bezeichnet im Prinzip das, was Bach Eventualitäten nennt, der hierunter sowohl „states" als auch „non-states" zählt (s. Bach (1986: 6)). Im Gegensatz dazu steht der enge, keine Zustände und Prozesse umfassende Ereignisbegriff, der nur „Geschehnisse" umfasst, also zeitlich gebundene Veränderungen, die ausgedehnt oder punktuell sein können. Veränderungen bzw. Geschehnisse umfassen das, was Pustejovsky (1991a) als transitions bezeichnet. Zu weitergehenden Überlegungen verweise ich die Leserin an die einschlägige Literatur, s. Higginbotham (2000); Larson & Segal (1995); Maienborn (2003); Pifión (1995); Verkuyl (2000). Mit „ereignisstrukturell" sind hier stets die zeitstrukturkonstituierenden Merkmale von Verben gemeint, die sich in den verschiedenen Aktionsarten (i.e. State, Activity, Achievement und Accomplishment) ausdrücken, s. Vendler (1957). Eine modernisierte Version des Vendler-Klassensystems findet sich bspw. in Ehrich (1992) oder Herweg (1990).
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einer mentalen
Grammatik
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Konstellationen können wir auch an der Schnittstelle zwischen konzeptueller und lexikalisch-semantischer Ebene beobachten. Psychische Verben wie fiirchten oder ängstigen zum Beispiel drücken implizit aus, dass eine Entität für den denotierten psychischen Zustand verantwortlich zeichnet, ihn also verursacht (s. etwa Brown & Fish (1983)). Diese kausale Relation bleibt jedoch sprachlich stets implizit und wird nicht in der linguistischen Kette kodiert. Wir sehen dies zum Beispiel daran, dass Verben wie ängstigen nicht das für kausative Accomplishments - welche eine kausale Relation lexikalisch explizit kodieren - typische Verhalten in Hinblick auf ereignisstruktursensitive Modifikationen aufweisen: Psychische Verben tolerieren keine Zeitrahmenadverbiale 8 (s. (15)a), welche bei echten kausativen Ausdrücken erlaubt sind (s. (15)a'). Auch der Anschluss eines Mittel-/Instrument-Ausdrucks erzeugt bei psychischen Verben eine Abweichung (s.(15)b): (15)
a. a.' b. b.'
7?
Skipper ängstigte Brick in fiinf Minuten. Skipper überzeugte Brick in fiinf Minuten. ?7 Skipper ängstigt Brick mittels eines interessanten Tricks. Skipper überzeugte Brick mittels eines interessanten Tricks.
Dieses Verhalten liefert uns Hinweise darauf, dass psychische Verben Kausalität nicht sprachlich ausdrücken. Gleichzeitig ist diese jedoch ein relevanter Teil ihrer Bedeutung, s. Abschnitt 4.1. Evidenz dafür liefern verschiedene empirische Studien zur Kausalattribution in psychischen Ausdrücken, s. u.a. Härtl (2001a); Rudolph (1997): Es wurde nachgewiesen, dass kausale Nebensätze mit weil, die sich mit einem Pronomen - entgegen der kanonischen Konstellation - auf die Experiencer-Entität (d.h. auf Brick in (16)a)) und nicht auf den verursachenden Stimulus (Maggie) beziehen, bestimmte Verarbeitungsschwierigkeiten auslösen. Dies ist bei nicht-kausativen Activity-Verben wie beobachten nicht der Fall: (16)
a. b.
Maggie fasziniert Brick, weil !er/sie aufgeschlossen ist. Maggie beobachtet Brick, weil er/sie aufgeschlossen ist.
Die für ((16)a) beobachteten Verarbeitungsschwierigkeiten hängen damit zusammen, dass psychische Verben implizit eine Zuweisung kausaler Attribute an den Stimulus auslösen. Dies zeigt sich, wenn der we/7-Satz dieser Erwartung zuwider läuft und einen kausalen Zusammenhang mit der Experiencer-Entität expliziert. Ungeklärt ist noch, wie bei psychischen Verben eine Konstruktion dieses impliziten kausalen Zusammenhangs abgesichert wird. Da dieser mit dem Verb selbst ja sprachlich nicht expliziert wird, müssen also für die Schnittstelle zwischen grammatischer und konzeptueller Struktur Regeln Ich verwende die klassischen Ereignisstrukturtests mittels der bekannten Adverbiale (in zwei Minuten, zwei Minuten lang etc.) zum Nachweis der Vendler-Klassen hier ohne weiteres Hinterfragen. Die in der in der Literatur häufiger geäußerten Zweifel an der Gültigkeit des Testverfahrens (wie etwa mit den Schlüssel in fünf Minuten finden beobachtet, vgl. Heyde-Zybatow (2004), Piñón (1997)) sind durchaus essentiell, hinterfragen aber meist deren Gültigkeit in Sachen temporaler Punktualität und stellen die generelle Anwendbarkeit für die Mehrheit der Verben nicht in Frage.
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definiert werden, die das Verarbeiten entsprechender Schlussfolgerungen auslösen. Als Übersetzungsanweisungen zwischen den einzelnen linguistischen Ebenen spielen Regeln dieser Art die entscheidende Rolle in der Rekonstruktion nicht ausgedrückter Informationen. Ziehen wir ein Zwischenfazit: Für eine theoretische Beschreibung implizit gelassener Informationen ergeben sich also eine Reihe von Fragen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: (17)
(i)
Welche Informationen sind sprachlich nicht realisiert?
(ii)
Welches Signal - falls überhaupt eines - ist dafür auf der Output-Ebene gesetzt?
(iii) Welche Schnittstellenregeln lösen die Inbeziehungsetzung von Signal und Information bzw. die Rekonstruktion von Informationen aus? Die Frage unter (ii) bezieht sich auf die Art der linguistischen Kodierung von Hinweisen auf implizit gelassene Information. Diese liefern die Daten, über welche die in (iii) erfragten Regeln operieren, um die Aufbereitung impliziter Informationen zu gewährleisten. Mit Blick auf die Frage in (i) ist zunächst einmal wichtig, dass Implizitheit kein atomares Charakteristikum ist, das an eine feststehende strukturelle Einheit geknüpft ist. Vielmehr ist Implizitheit eine heterogene Eigenschaft, die an verschiedenen Stellen im System ihren Niederschlag finden kann. Es können etwa nicht realisierte, „implizite" Argumente in einer lexikalisch-semantischen Struktur überhaupt nicht vertreten sein die fragliche Prädikat-Argument-Struktur ist dann einstellig. Oder ein nicht overt realisiertes Argument kann zwar in der Prädikat-Argument-Struktur eines Ausdrucks vertreten sein, die dem entsprechende Variable aber bleibt thematisch ungebunden, d.h. es wird der Variable keine thematische Rolle zugewiesen. Die verschiedenen Kodierungsmöglichkeiten werden im nächsten Kapitel noch genauer erörtert werden. Die Frage in (i) ist keineswegs trivial. Sie verweist auf den eigentlichen Kern dieser Arbeit und hängt damit zusammen, was hier an einigen Stellen mit dem Begriff „mitverstehen" umschrieben wird. Mitzuverstehende Information umfasst all jene semantischen Anteile eines Ausdrucks, denen eine Anweisung zu ihrer obligatorischen Interpretation zugrunde liegt. Eine Beantwortung der Frage in (i) erfordert eine detaillierte Prüfung der Bedeutungs- und Informationsanteile des untersuchten Ausdrucks. So können wir bei dekausativen Verben wie in der Teller zerbricht - anders als bei psychischen Verben entgegen unsereflntuition nicht davon ausgehen, dass Kausalität überhaupt notwendiger Teil ihrer Bedeutung ist. Dagegen spricht u.a., dass kausale Nebensätze, die eine direkte Ursache für den im Hauptsatz bezeichneten Sachverhalt ausdrücken, bei dekausativen Verbkomplexen ((18)a) akzeptabel, mit passivischen kausativen Verbkomplexen jedoch abweichend sind ((18)b): (18)
a. b.
Der Teller zerbrach, weil Peter ihn unsanft behandelte. Der Teller wurde zerbrochen, weil Peter ihn unsanft behandelte.
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einer mentalen
Grammatik
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Eine mögliche Erklärung dieser Daten beinhaltet, dass der weil-Satz in ((18)b) unakzeptabel ist, weil bereits im Hauptsatz eine kausale Relation ausgedrückt wird. Eine solche ist mit dekausativen Verbkomplexen wie in ((18)a) nicht gegeben. Damit erklärt sich die Akzeptabilität des weil-Satzes, welcher den im Hauptsatz ausgedrückten Zustandswechsel erst in eine kausale Beziehung zu einem verursachenden Ereignis setzt. Auf diese Weise können uns die empirischen Daten Aufschluss über die Existenz impliziter Information liefern. Sie klären uns über die Unterschiede in der linguistischen Kodierung auf, wie sie sich in den variierenden Graden an implizit gelassener Information bspw. bei dekausativen, passivischen und medialen Konstruktionen zeigen. In Abschnitt 3.3 wird diese Thematik noch detaillierter erörtert werden. Angesprochen wurden bereits drei der Generierungsebenen, die an der Verarbeitung einer linguistischer Kette beteiligt sind und die für das hier untersuchte Problemfeld von zentralem Interesse sind: i.) die nicht-sprachliche, konzeptuelle, ii.) die lexikalisch-semantische und iii.) die syntaktische Ebene. Bei einer erklärungsadäquaten Beschreibung impliziter Informationen sind nun noch die Ebenen der informations- und der diskursstrukturellen Gliederung von Ausdrücken zu berücksichtigen. Wir sehen an dem in (19) wiederholten Beispielen in (11) wie die unterschiedlichen Typen von Auslassungen von Informationen und ihre Rekonstruktion mit diskursstrukturellen Konstellationen korrelieren, sodass jeweils unterschiedliche Textrelationen erzeugt werden: NARRATION ( α , α ' ) :
(19)
a.
John brachte den Vertrag mit und Jim unterzeichnete sofort.
b.
John brachte den Vertrag mit und Jim las sofort.
ENUMERATION ( α , β): NARRATION ( α , α ' ) :
b.'
John brachte den Vertrag mit und Jim las ihn sofort.
Die diskursstrukturellen Prädikate (vgl. Lascarides & Asher (1991)) in (19) identifizieren die unterschiedlichen Diskursrelationen, die zwischen den Konjunkten der angeführten Sätze herrschen. Sowohl in ((19)a) als auch ((19)b') liegt im zweiten Konjunkt eine Konsequenz vor, die sich aus dem Sachverhalt des ersten Konjunkts ergibt, was mit einer Rekonstruktion eines Topiks (der Vertrag) einhergeht. In ((19)b) kann eine Diskursrelation - es ist dies eine ENUMERATION - etabliert werden, die nicht notwendigerweise konsequentieller Natur, sondern Ausdruck einer Folge zweier propositional nicht abhängiger und lediglich zeitlich sequentieller Ereignisse ist. Ein konsequentieller Zusammenhang wie bei einer NARRATION kann zwar auf der Basis von nicht-sprachlichem Weltwissen geschlussfolgert werden: Jim könnte demnach durchaus auch hier genau den Vertrag lesen, den John mitbrachte. 9 Dies ist aber in keiner Weise, anders als in ((19)a), eine bindende Lesart. In ((19)a) könnte eine ENUMERATION nur unter sehr speziellen Bedingungen konstruiert werden, wobei dann also irgendein Dokument unterzeichnet würde und nicht unbedingt das, welches mit der Verbalhandlung des ersten Konjunkts eingeführt wird. Es stellt sich die Frage nach der Ursache für die kanonische Etablierung einer 9
Eine andere mögliche Diskursrelation für ((19)b) drückt sich in einer kausalen Interpretation der beiden Konjunkte aus: Jim las sofort, weil John den Vertrag mitbrachte. Es könnte dies sogar die hier bevorzugte Relation sein, da sie aufgrund ihrer Informativität die relevanteste ist.
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2 Kosten-Nutzen-Rechnungen einer mentalen Grammatik
in solchen Umgebungen: Zeichnen dafür die argumentstrukturellen Bedingungen des beteiligten Prädikats verantwortlich oder ist es vielmehr eine diskursstrukturelle Hierarchie, die i m Falle einer Ambiguität eine NARRATION bevorzugt gegenüber einer ENUMERATION etablieren lässt? Solche diskursstrukturellen Einflüsse werden, auch vor dem Hintergrund eines centen'wg-theoretischen Ansatzes (s. Abschnitt 3.4.2), noch detaillierter untersucht. Festzustehen scheint in jedem Falle, dass die referentielle Rekonstruktion des internen Arguments von unterzeichnen weniger kostspielig ist, als die Etablierung einer ENUMERATION fur ((19)a) und die damit zusammenhängende Konstruktion einer unspezifischen nominalen und proto-typischen Thema-Entität. Dies wiederum ist unerwartet und wirft die Frage nach der Bedeutung von Komplexitätsgraden bei der Verarbeitung eines sprachlichen Ausdrucks auf. Dieser Aspekt wird im nächsten Abschnitt diskutiert. Dort gehe ich der Frage nach, was Komplexität überhaupt ist und welchen Einfluss die Komplexität eines Ausdrucks und seiner linguistischen Repräsentation auf deren Berechnung hat.
NARRATION
2.2
Komplexität und Ökonomie
Im Idealfall lassen sich aus den Annahmen, die über die sprachliche Grammatik getroffenen werden, verarbeitungsbezogene Sachverhalte ableiten. Dies erfordert zunächst einmal keine Aufhebung des Unterschieds zwischen sprachlicher Kompetenz und Performanz, hat aber zur Folge, dass das Grammatikmodell für zeitliche und kognitiv-komputationelle Einflussnahmen sensitiv sein muss, um somit eine Online-Anwendung grammatischer Prinzipien zu ermöglichen. Entsprechende Vorschläge wurden u.a. von Fanselow, Schlesewsky, Cavar & Kliegl (1999) aus optimalitätstheoretischer Perspektive; von Gorreil (1995) aus GB-Sicht oder von Kempen & Harbusch (2003) aus Sicht der Performance Grammar unterbreitet. Schauen wir uns die konzeptionelle Grundlage eines solches Gedankenganges hinsichtlich des hier interessierenden Problembereichs etwas genauer an. Prinzipiell besteht weitreichender Konsens darüber, dass bei der Interpretation sprachlicher Strukturen Komplexität und Ökonomie als zwei sich bedingende Faktoren in die linguistische Analyse einfließen. Dabei werden diese Faktoren zum einen meist in irgendeiner Form mit dem Maß an notwendiger Information assoziiert. Einbezogen werden dabei zum anderen die Vermeidung redundanter Information und entsprechende Belastungen, wie sie durch zusätzliche Annahmen entstehen, die im Verlauf des Interpretationsprozesses angestellt werden müssen. Hobbs, Stickel, Appelt & Martin (1993) formulieren dies für den Verstehensprozess so (s. ebd., S. 70): (20)
10
To interpret a sentence:10 Prove the logical form of the sentence, together with the constraints that predicates impose on their arguments, allowing for coercions,
Die Absatzgestaltung in (20) ist aus der Quelle übernommen.
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einer mentalen
Grammatik
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Merging redundancies where possible, Making assumptions where necessary. Wenn wir diese Maximen auf den Generierungsprozess anwenden, ergibt sich Folgendes: (21 )
Um einen Satz zu produzieren: Erzeuge eine logische (i.e. lexikalisch-semantische) Form, unter Berücksichtigung der argumentstrukturellen Bedingungen, mit den entsprechend möglichen Anpassungen, Vermeide Redundanzen, wann immer möglich, Mute Schlussfolgerungen zu, wann immer nötig.
Wir sehen, dass Komplexität die Kerndeterminante für strukturbildende Prozesse darstellt: Redundanzen sollen vermieden werden, was zu einer Verdichtung der Struktur führt, fur die wiederum ein höheres Maß an Inferenzen aufgebracht werden muss. Doch was ist Komplexität? Es scheint grundsätzlich ja so zu sein, dass Komplexität stets mit einem Mehr an Struktur in ihrem allgemeinsten Sinne verknüpft ist und dieses Mehr in irgendeiner Form zu erhöhtem Aufwand - sei es bei der Kodierung oder der Dekodierung der Struktur - fuhrt. Es zeigt sich jedoch schnell, dass eine solche Sichtweise nicht immer zweckdienlich ist: So könnten zwei Strukturvorkommen zwar unterschiedlich komplex sein, aber in einer durchaus identischen Weise verarbeitet werden. Können wir hier - da doch kein VerarbeitungsefFekt verzeichnet würde - dann noch von unterschiedlicher Komplexität ausgehen? Nähern wir uns dieser Fragestellung mit einer ersten Klärung des Begriffs "Komplexität". Eine traditionelle Definition umfasst etwa Folgendes: Komplexität ist eine Eigenschaft eines Systems bzw. Objekts, welche die Berechnungen seines Gesamtverhaltens erschwert, selbst wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und deren Wechselwirkungen besitzt. Allgemein betrachtet spiegelt also ein Komplexitätsgrad die Menge an Eigenschaften eines Objekts wider. Ein Komplexitätsgrad korreliert demzufolge mit dem Rechenaufwand, der notwendig ist, um eine Kette von Daten zu erzeugen bzw. zu analysieren (vgl. u.a. Barton et al. (1987)). Wir können hierfür jedoch nicht immer von einer linear ansteigenden Funktion ausgehen, d.h. wir müssen zwischen struktureller und komputationeller Komplexität strikt unterscheiden. Dies liegt darin begründet, dass Strukturen mit identischen Komplexitätsgraden durchaus unterschiedliche Rechenkapazitäten erfordern können, welche mit systemexternen Faktoren zu assoziieren sind. Ein Beispiel aus der Sprachverarbeitung hierfür liefern empirische Daten, die daraufhinweisen, dass Faktoren wie Vorstellbarkeit ( Jmageability') oder Frequenz die Verarbeitungszeiten für strukturell identisch komplexe Verben beeinflussen können (vgl. James (1975); Gennari & Poeppel (2003)). So sind zuständliche Verben wie bezweifeln in ihrer lexikalisch-semantischen (und auch morpho-syntaktischen) ähnlich komplex im Vergleich zu transitiven ActivityVerben wie betrachten, da beide jeweils durch eine zweistellige Prädikatskonstante repräsentiert werden. Beide verbrauchen jedoch unterschiedliche Rechenkapazitäten: Activity-Verben weisen einen hohen Vorstellbarkeitswert auf und werden daher schneller verarbeitet als Verben, die hier einen niedrigen Wert aufweisen wie die zuständlichen
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Verben des oben angeführten Typs, die eher abstrakte, kognitive Sachverhalte bezeichnen (vgl. Gennari & Poeppel (2003)). Können wir nun überhaupt prinzipiell davon ausgehen, dass die menschliche Kognition bei der Verarbeitung mentaler Repräsentationen nach einem möglichst niedrigen Maß an Rechenaufwand strebt und dass ein erhöhter Rechenaufwand als Reflex einer strukturellen Markiertheit der mentalen Repräsentation zu interpretieren ist? Oder ist es vielmehr so, dass wir - wie man es häufiger in der Literatur hört - reichlich kognitive Kapazitäten zur Verfügung haben und wir deshalb auch durchaus kostspielige und manchmal redundante mentale Repräsentationen annehmen könnten? Dieser Frage widmet sich u.a. Penke (2002), die zu dem Schluss kommt, dass „Aussagen über die geringe Belastung [i.e. Auslastung] 11 der Speicherkapazität unseres Gehirns einer wissenschaftlichen Grundlage" entbehren (s. Penke (2002: 13)). Sie verweist dabei u.a. auf Berechnungen zur Speicherkapazität des menschlichen Gedächtnisses (etwa Schmidt (1987)). Diese Berechnungen legen nahe, dass lediglich 1 Prozent der verarbeiteten Informationen im Langzeitgedächtnis gespeichert werden kann. Ähnliches gilt fiir das Kurzeitgedächtnis, also den Arbeitsspeicher der menschlichen Kognition. Spätestens seit Miller (1956) haben wir auch eine empirische Basis für die Annahme, dass die Kapazitäten des Kurzzeitgedächtnisses tatsächlich limitiert sind. Demnach kann jeweils nur eine bestimmte Anzahl von Informationseinheiten (nach Miller ca. sieben chunks, die ganz unterschiedlicher Größe sein können) eines Datenflusses aktiv gehalten werden. Baddeley, Thomas & Buchanan (1975) entwickeln ein Modell des Kurzzeitgedächtnisses, in welchem der Zerfall einer Gedächtnisspur an zeitliche Faktoren gebunden wird. Sie zeigen, dass Information nur dann korrekt reaktiviert werden kann, wenn die Reaktivierung vor dem Zerfall der Gedächtnisspur - im Falle des in der Studie dargebotenen auditiv-verbalen Materials nämlich nach maximal 2 Sekunden - beendet wird. Somit wird die uns vertraute Sichtweise gefestigt, dass wir mentale Repräsentationen sparsam modellieren sollten. Ein psychologisch adäquates kognitives Modell muss diesen Restriktionen Rechnung tragen und verschiedene Ökonomisierungsstrategien bereithalten, mit welchen sich bspw. die Größe der chunks erhöhen lässt. Dies stellt seinerseits einen wichtigen Faktor in der Beschreibung der Umstände dar, die zur Aussparung von Informationen fuhren. Das Wechselspiel der unterschiedlichen, oben skizzierten Faktoren wirft eine weitere Frage auf: Können wir überhaupt davon ausgehen, dass komplexere linguistische Strukturen grundsätzlich mit einem höheren Aufwand an Rechenkapazität verarbeitet werden? Die Antwort hierzu scheint vorerst trivial: Je mehr Algorithmen zur Erzeugung einer Struktur notwendig sind, desto höher ist eben der Rechenaufwand. Darüberhinaus ist diese Relation aus kompetenz-orientierter Sicht eigentlich irrelevant, da die Größe des Rechenaufwands eine performanz-basierte Variable darstellt, der in ausschließlich beschreibungsadäquaten linguistischen Repräsentationen keine besondere Bedeutung zukommt. In Grammatiken jedoch, in denen Performanz-Faktoren eine strukturbildende Rolle spielen, wie in der Performance Grammar von Kempen & Harbusch (2003), fließen entsprechende Größen in die Generierung ein, um so etwa Wortstellungsphänomene herzuleiten. Aber auch für theoretische Arbeiten, die den Anspruch auf psychologische Adäquatheit erheben, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen komputa-
1
' [Einschub] d.A.
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tioneller und struktureller Komplexität: Liefern uns Daten zum Rechenaufwand, der fur eine Struktur aufgebracht werden muss, Hinweise auf die repräsentationeile Beschaffenheit dieser Struktur? Diese Frage wird immer wieder mit Überlegungen zur Adäquatheit lexikalischer Dekompositionsstrukturen in Zusammenhang gebracht. Dekompositionstheorien fußen auf der Annahme, dass lexikalische Einheiten in eine strukturierte Anordnung semantisch motivierter Grundbausteine zerlegt sind. Die Existenz und Art lexikalischer Dekompositionsstrukturen wird häufig mit dem Maß an Rechenaufwand für ein bestimmtes Item in Verbindung gebracht. Die Hypothese dabei ist, dass ein erhöhter Rechenaufwand - beobachtet etwa für einen bestimmten Verbtyp - Beleg dafür ist, dass dieser Verbtyp eine höhere strukturelle Komplexität, also eine komplexere lexikalische Dekompositionsstruktur, aufweist als ein Kontroll-Item. Ein erhöhter Rechenaufwand würde damit auch - so die Idee - die Existenz lexikalischer Dekompositionsstrukturen überhaupt beweisen. In der psycholinguistischen Literatur hierzu wird eine Reihe spannender Daten vorgelegt: Gennari & Poeppel (2003) schließen aus einem Vergleich zwischen zuständlichen Verben (wie lieben) und Verben mit „internal causal structure" (wie etwas entfernen) und den für letztere zu verzeichnenden höheren Verarbeitungszeiten, dass die entsprechenden in der lexikalisch-dekompositionellen Semantik getroffenen Unterschiede tatsächlich auch kognitiv motiviert seien. Ähnliches schlussfolgern McKoon & Macfarland (2000) aus Studien, in denen die Lesezeiten für Verben wie aufwachen, die eine externe Verursachungsrelation bezeichnen, und Verben wie erblühen, die eine interne Verursachungsrelation bezeichnen, verglichen werden: Für Verben der externen Verursachung werden längere Lesezeiten aufgebracht als für Verben der internen Verursachung. Dies sehen die Autoren als Indiz dafür an, dass die von Levin & Rappaport-Hovav (1995) auf dekompositionaler Ebene getroffene Unterscheidung zwischen den beiden Verbtypen psychologoisch adäquat ist. Am anderen Ende des Spektrums der Überlegungen hierzu stehen Arbeiten, die hier keine Rechenaufwandsunterschiede ermitteln, was als Beleg für die Atomizität lexikalischer Konzepte gedeutet wird. Ein Dekompositionsansatz könne daher der psychologischen Realität nicht gerecht werden, s. u.a. De Almeida (1998), (1999); Fodor et al. (1975); Roelofs (1997); Fodor & Lepore (1998). Mit Blick auf Schlussfolgerungen dieser Art verweist Jackendoff (1983) wiederum darauf, dass komplexere Struktureinheiten eben nicht notwendigerweise mit einem erhöhten kognitiven Aufwand zu assoziieren seien. Der Jackendoff sehe Erklärungsansatz beinhaltet, dass einzelne Informationssequenzen zu größeren Einheiten (also chunks) zusammengefasst werden können - wie etwa bei trainierten Musikern im Falle komplexer tonaler Sequenzen - und diese daher einen gleich hohen kognitiven Aktivationsaufwand erfordern wie weniger komplexe Strukturen. In neueren Arbeiten zum Streit um die Charakteristik lexikalischer Konzepte und deren Komplexität wird mittlerweile aber auch ein differenzierteres Bild gezeichnet. So wird heute kontextueller Information eine wesentliche Rolle bei der Berechnung von Wort- und Satzbedeutungen zugeschrieben. Im Sinne dieses Tenors zeigen sich etwa bei Mobayyen & De Almeida (2005) Verarbeitungseffekte, die mit der semantischen (i.e. lexikalisch-dekompositionalen) Klasse in Verbindung zu bringen sind, nur bei isolierten Wörtern. Unter einer kontextuellen Einbettung jedoch verschwinden die Verarbeitungseffekte, was die Autoren darauf zurückführen, dass semantische Verbmerkmale und
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inferentielle, pragmatische Informationen aus der Satzsemantik unmittelbar miteinander verrechnet werden. Dies zeige sich nach De Almeida (2004) auch bei sogenannten typenverschobenen Ausdrücken wie in (22): (22)
Hans begann den Aufsatz.
Typenverschobene Verbkomplexe sind nur mittels einer Operation zu interpretieren, die traditionellerweise als komputationell kostspielig angesehen wird und die mit einer angereicherten semantischen Komposition assoziiert ist (i.e. enriched composition, s. u.a. Jackendoff (1997); Pustejovsky (1991a), 1995); Piñango (2003)). Dieser komputationeile Mehraufwand entsteht dadurch, dass das Komplement des Verbs (= der Aufsatz in (22)) nicht seinem kanonischen semantischen Typ entspricht: Die Individuenentität AUFSATZ muss in die Lesart eines Ereignisses, wie hier ein SCHREIBEN- (womöglich aber auch ein LESEN-Ereignis) verschoben werden. Nach De Almeida (2004) werden nun die in der Literatur beobachteten erhöhten Verarbeitungskosten aufgehoben, wenn ein typenverschobener Komplex in einen Kontext eingebettet ist, der eine mögliche Interpretation für den Ausdruck unterstützt. Ein Beispiel hierfür liefert der folgende Satz: (23)
Der Schüler griff zum Stift und begann den Aufsatz.
Wir werden uns Ausdrücke dieser Art in Abschnitt 4.2 noch genauer anschauen. Wichtig ist zunächst einmal, dass das beobachtete Verhalten im Diskurs De Almeida zu folgender Annahme führt: Semantische Berechnungen seien hier (und im Allgemeinen) allein auf eine Menge inferentieller Prozesse des konzeptuellen Wissenssystems zurückzufuhren, die jenseits der logischen Form, d.h. des kompositionalen Strukturaufbaus, und der komplexen lexikalischen Information angesiedelt werden müssten. Eine solche Schlussfolgerung sei - so der Autor - am besten kompatibel mit der Annahme atomarer lexikalischer Konzepte. Nun spricht die Existenz einer systematischen Interaktion zwischen kontextueller und lexikalischer Information m.E. nicht zwangsläufig für die Atomizität und gegen eine Zerlegung lexikalischer Konzepte. In Abschnitt 4.2 wird sich zeigen, dass - auch unter kontextueller Einbettung - die Interpretationsmöglichkeiten von typenverschobenen Ausdrücken signifikant eingeschränkt sind, was nur mit deren dekompositionalen (und zwar den ereignisstrukturellen) Eigenschaften in Verbindung gebracht werden kann. So kann z.B. ein Satz wie in (24) nie im Sinne eines zeitlich nicht strukturierten, atelischen Ereignisses des CHEVROLET-FAHRENs interpretiert werden, was pragmatisch und konzeptuell ja durchaus prominient sein dürfte: (24)
Der Lackierer begann den Chevrolet.
Vielmehr wird ein Satz wie in (24) stets als zeitlich strukturiertes Ereignis (wie LACKIEREN oder SÄUBERN) mit fokussierbarer Anfangs- und Endphase interpretiert - eine ereignisstrukturelle Eigenschaft, die FAHREN nicht aufweist. Wir sehen, wie hier trotz einer konzeptuellen Ausrichtung unveränderliche Dekompositionsmerkmale existieren, die in der Ereignisstruktur der lexikalischen Konzepte verankert sind und die Interpretation von Ausdrücken regelhaft steuern.
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Aus kognitiver Sicht spricht also einiges eher für die Existenz lexikalischer Dekompositionsmerkmale als dagegen. Eine der soeben erörterten ähnliche Debatte findet sich auch in der theoretischen Semantik: Wir wissen, dass bestimmte semantische Operatoren Zugriff auf identifizierbare Teile von Wortbedeutungen haben, wie das Adverb wieder, welches in seiner restitutiven Lesart den Resultatszustand von kausativen Achievementbzw. Accomplishment-Ausdrücken {zertrennen, öffnen) modifiziert (s. Dowty (1979)). Dies kann als ein Reflex der Zugänglichkeit einer Dekompositionsstruktur angesehen werden. 12 Wichtig dabei ist die Einsicht, dass sich einzelne grammatische Eigenschaften lexikalischer Konzepte unter Zuhilfenahme der lexikalischen Dekomposition systematisch aus ihrer internen Struktur ableiten lassen. Gemeint sind hier Eigenschaften wie die Aktionsart von Verbkomplexen und die daraus ableitbare thematische Struktur von Verben (s. u.a. Bierwisch (1986); Härtl (2001a); Jackendoff (1983)) oder ihre argumentstrukturelle Charakteristik. Auch die Linking- und Kasus-Konfigurationen werden hier häufig in einem systematischen Zusammenhang vermutet, s. bspw. Wunderlich (1997); vgl. aber Fanselow (2000) für eine syntaktisch motivierte Erklärung von Kasus-Verteilungen. Die lexikalische Dekomposition und die damit zusammenhängende strukturelle Komplexität sprachlicher Strukturen scheinen also theoretisch und kognitiv real zu sein. Legen wir für die weiteren Überlegungen daneben die Einsicht zugrunde, dass die mit den Dekompositionsstrukturen assoziierten Rechenkapazitäten systematisch in die Beschreibung eines sprachlichen Ausdrucks einbezogen werden können. Strukturelle Komplexität misst sich nun aber nicht einfach an der bloßen Anzahl zu berechnender Strukturelemente, sondern an der Anzahl der Algorithmen prinzipiell, welche ihrerseits von systemexternen Bedingungen wie Frequenz oder Vorstellbarkeit (s.o.) abhängen kann. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass sich dieses Zusammenspiel als eine Funktion Strukturdichte über die verschiedenen, im Einzelfall zu bestimmenden Faktoren beschreiben lässt. Festzuhalten ist dabei zunächst, dass die Strukturdichte (SD) direkt proportional mit dem Rechenaufwand (RA) korreliert, d.h. je dichter eine Strukturkette ist, desto höher ist der fur diese Struktur aufzubringende Rechenaufwand, s. Abbildung 1 :
Abbildung l : f ( S D ) = RA
12
An dieser Stelle sei aber auch auf die kritische Diskussion zur Thematik in Jäger & Blutner (2003) und von Stechow (2003) verwiesen.
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Diese Funktion blendet allerdings eine Variable aus, die mit der Menge Stärke auszuführender Inferenzoperationen (INF) zusammenhängt. Je geringer die Strukturdichte - d.h. je weniger Informationselemente eine Struktur aufweist - desto höher ist die Zahl an Inferenzoperationen, die der Empfanger ausführen muss, um die kommunikative Zielsetzung des Senders umsetzen zu können. Als Menge an Inferenzoperationen bzw. als Inferenzaufwand wird im Folgenden die Menge der speziellen Schlussoperationen und Präsuppositionen 13 bezeichnet, die berechnet werden müssen, um den Inhalt einer Äußerung korrekt zu entschlüsseln. Wir können davon ausgehen, dass hier wiederum ein proportionaler Anstieg des Rechenaufwands zu verzeichnen ist. Dies illustriert die folgende Abbildung:
Es wird deutlich, dass zwischen der Menge an Inferenzoperationen und der Strukturdichte ein Zusammenhang besteht und dieser mit dem für eine Struktur aufzubringenden Rechenaufwand korreliert. Hierfür müssen wir von einem umgekehrten Verhältnis bzw. von einer indirekten Proportion ausgehen: Je niedriger die Strukturdichte, desto höher ist die Menge der anzusetzenden Inferenzoperationen, s. Abbildung 3:
Schauen wir uns das Wechselspiel zwischen Strukturdichte und Menge der Inferenzoperationen etwas genauer an. Grice (1975) hat es im Sinne seiner Maxime der Quantität als eine der Anforderungen, welche das Cooperative Principle an den kommunikativen Akt stellt, erfasst, s. Grice (1975: 45f): 13
Zu den Begrifflichkeiten s. Abschnitt 3.2 unten.
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1. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange). 2. Do not make your contributions more informative than is required. Spätestens seit Horn (1984) geht man davon aus, dass fur pragmatische Maximen der Quantität zwischen hörer- und sprecherbestimmter Ökonomie strikt zu unterscheiden ist. So empfiehlt etwa das Q-Prinzip (s. Horn (1984)) dem Sprecher, eine maximal informative linguistische Alternative zu wählen, was wiederum der Hörer als gegeben voraussetzt. Und Levinsons I-Prinzip (s. Levinson (2000)) gibt dem Sprecher vor, nicht mehr linguistische Struktur als für das kommunikative Ziel ausreichend zu produzieren. In der optimalitätstheoretischen Ausspezifizierung der pragmatischen Maximen (s. u.a. Blutner (2000)) werden diese mit einer EVAL-Funktion assoziiert. Diese bewertet das Set möglicher zu versprachlichender Kandidaten unter Berücksichtigung der Bidirektionalität, womit eine Ausgleichung der gegenläufigen Ökonomieprinzipien erreicht wird. Somit lassen sich Grade von Markiertheit bestimmen, die die morpho-syntaktische Komplexität, die Spezifizität, die Frequenz oder auch die Registerbezogenheit alternativer Kandidaten reflektieren. Anhand der Markiertheitsgrade lassen sich so zum Beispiel Vorhersagen über die Adäquatheit periphrastischer Kausativa treffen: (25)
a. b.
David verursacht, dass Goliath stirbt, David tötet Goliath.
Da das atomare Kausativ in ((25)b) in seiner lexikalisch-semantischen Dekompositionsstruktur ohnehin auf eine Verursachungsrelation verweist, ist eine explizite morphosyntaktische Realisierung durch eine Periphrase wie in ((25)a) markiert und nur für nicht-stereotype KILL-Situationen anzuwenden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine indirekte Verursachung bezeichnet wird und von einem zeitlich ausgedehnten Intervall zwischen Ursache und Effekt - zum Beispiel bei einer Vergiftung - auszugehen ist: (26)
Der Verräter verursachte am Morgen, dass Napoleon am Abend stirbt.
Markiertheit beschreibt Levison (2000) mit einem Prinzip M, das die Hörer-SprecherDichotomie bewahrt: Es schreibt dem Sprecher vor, dass nicht-kanonische Situationen mit Ausdrücken zu bezeichnen sind, die im Kontrast zu denen stehen, die fiir kanonische Situationen eingesetzt werden. Diese Verwendung einer markierten Bezeichnung verweist wiederum den Empfanger darauf, dass mit dem linguistischen Ausdruck eine nichtstereotype Situation ausgedrückt wird. Analoges gilt für die Interpretation von Implizitem, welches stets auf unmarkierte Entitäten verweist. So kann bspw. ein Satz wie Kaspar isst gerade nicht im Sinne etwa von Kaspar isst gerade Gras verstanden werden, da Gras ein sortal markiertes ESSEN-Thema darstellt. Mit diesem Aspekt werden wir uns in Kapitel 4.2.2 noch intensiver auseinandersetzen, wo eine entsprechende Stereotypizitäts-Anforderung an implizite Information formuliert werden wird. Zunächst einmal ist es aber wichtig, dass das genannte Verfahren sich auf den ersten Blick auch gut auf die oben bereits einmal angeführten Beispiele ((1 l)b/b') anwenden lässt:
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2 Kosten-Nutzen-Rechnungen (27)
a. b.
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John brachte den Vertrag mit und Jim las sofort. John brachte den Vertrag mit und Jim las ihn sofort.
Mit dem intransitiv verwendeten Verbkomplex liest sofort in ((27)a) wird auf die Existenz eines „unmarkierten", proto-typischen Themas verwiesen. Dies können klassische Entitäten wie etwa BUCH oder ZEITSCHRIFT sein. ((27)b) nun beschreibt eine „markierte" Situation: Hier wird kein proto-typisches Thema gelesen, sondern die kontextuell konkrete Entität VERTRAG. Dies erfordert es, die Referenz der leer gelassenen Argumentstelle von lesen unzweideutig abzusichern: Dazu wird ein Ausdruck - das Pronomen - eingesetzt, der eine spezifische Bindung der entsprechenden Argumentstelle erreicht. Es stellt sich jetzt sofort die Frage, weshalb ähnliche Mechanismen bei Ausdrücken wie in ((1 l)a) offensichtlich nicht wirken. Das Beispiel sei hier wiederholt: (28)
John brachte den Vertrag mit und Jim unterzeichnete sofort.
Hier verweist, wie bereits erörtert, der unterzeichnen-Komp\ex ausschließlich auf die vorerwähnte Entität, d.h. den Vertrag - ein Bezug auf eine andere, nicht-vorerwähnte Entität ist nur schlecht möglich. In (28) wird implizit ein referentieller Bezug hergestellt, der in ((27)a) nicht notwendigerweise erzeugt wird, obwohl die Konstruktionen morphosyntaktisch analog sind. Ein Ansatz zur Erklärung dieses Kontrastes ergibt sich, wenn man die oben erläuterte Variable des komputationellen Aufwands in die Bewertung möglicher Alternativen einbezieht. Ein Rechenaufwand kann als das Produkt von Strukturdichte und Inferenzaufwand angesehen werden, s. Abbildung 3 oben. Auffällig ist, dass eine Variable, die den Rechenaufwand beschreibt, in den skizzierten theoretischen Ansätzen á la Grice oder Horn stets implizit bleibt und sich dort nur als eine abstrakte Größe der Ökonomie bzw. Quantität wiederfindet. Sie bezeichnet damit die Zielvorgabe der skizzierten Prinzipien aber wird nicht als deren Berechnungsgrundlage verstanden. Der Faktor des komputationeilen Aufwands lässt sich am ehesten mit Ansätzen verknüpfen, die davon ausgehen, dass das Maß der Zugänglichkeit direkt mit der Entschlüsselung der intendierten Botschaft korreliert: So argumentieren Sperber & Wilson (1986), dass eine linguistische Kette kognitiven Relevanzprinzipien folgend entschlüsselt wird und dass die gewünschte Interpretation stets die relevanteste ist, was mit „the most accessible interpretation" verknüpft wird. In einem Fall wie ((27)a) vs. (28) nun könnte der Rechenaufwand bspw. mit argumentstrukturellen Konstellationen korreliert werden unter folgender Annahme: Die Überschreibung eines impliziten proto-typischen Themas wie BUCH, wie sie etwa in ((27)a) notwendig wäre, wenn Referenz zum vorerwähnten Vertrag hergestellt werden soll, ist kostspielig. Daher wird hier präferiert ein implizites proto-typisches Thema interpretiert. Und eine solche Überschreibung ist offensichtlich kostspieliger als die Herstellung von Referenz einer ohnehin obligatorisch zu besetzenden Argumentstelle wie bei unterzeichnen in (28). Daher wird in (28) bevorzugt die zu füllende Argumentstelle kontextuell identifiziert. Ich werde auf diesen Aspekt in Abschnitt 3.5 genauer eingehen. Halten wir an dieser Stelle zunächst noch einmal fest, dass sich die Variable des komputationeilen Aufwands sinnvoll in die Berechnung auszusparender Information einbeziehen lässt. Auf diese
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Weise können wir Konstellationen beschreiben, bei denen bei angenommener identischer Strukturdichte Effekte zu verzeichnen sind, die mit komputationeilen Kapazitäten zu assoziieren sind. Eine solche Konstellation zeigt sich auch - wie in den hier wiederholten Beispielen in (16) - bei einem Vergleich von we/7-Sätzen, die psychischen Verben angeschlossen sind, mit solchen bei transitiven Activity-Verben: (29)
a. b.
Maggie fasziniert Brick, weil !er/sie aufgeschlossen ist. Maggie beobachtet Brick, weil er/sie aufgeschlossen ist.
Wie schon oben bemerkt, handelt es sich bei psychischen Verben um Ausdrücke, die Kausalität implizit beschreiben: weil-Sätze werden hier präferiert als Anzeiger einer direkten Ursache fur den psychischen Zustand interpretiert. Dies wird durch das Pronomen er, welches auf den EXPERIENCER (= Brick) in ((29)a) referiert, nicht bestätigt, was eine komputationeil kostspielige Reanalyse des we/7-Ausdrucks im Sinne einer nun indirekten Verursachungsrelation zwischen zwei Sachverhalten auslöst (s. u.a. Härtl (2001a), vgl. Long & De Ley (2000)): Brick ist jetzt also aufgrund der Tatsache, dass er selbst aufgeschlossen ist, von Maggie fasziniert. Die Kostspieligkeit dieser Reanalyse der weilSemantik schlägt sich, wie bereits angeführt, auch in verschiedenen empirischen Daten nieder, auf die ich in Abschnitt 4.1 noch einmal genauer eingehen werde. Wesentlich ist an dieser Stelle zu vermerken, dass Inferenz-Typ, Default-Interpretation und Art bzw. Kosten der Reanalyse hier in einen systematischen Zusammenhang stehen. Wie genau dieser Zusammenhang aussieht, schauen wir uns im folgenden Kapitel an. Bevor wir uns nun einzelnen Phänomen der Implizitlassung von Informationen im Detail widmen, wird noch geklärt, wie das in diesem Abschnitt erläuterte Zusammenspiel verschiedener sprachlicher Faktoren modelliert werden kann, sodass auch unter der Annahme einer modularen Grammatik-Konzeption diese systematisch in die Berechnung sprachlicher Ausdrücke einfließen können.
2.3
Informationstransfer zwischen den Ebenen
Für die nachfolgenden Überlegungen werde ich davon ausgehen, dass sich das Zusammenspiel der im vorigen Abschnitt illustrierten Faktoren unter der Annahme restriktiver Linking-Regeln adäquat beschreiben lässt. Die Linking-Regeln bilden den Teil lexikalischer Konzepte, die grammatisch sichtbar sind, auf syntaktische Strukturen ab. Dies setzt zum einen die Annahme einer autonomen Beschreibungsebene der Bedeutung voraus, die zwischen den nicht-sprachlichen konzeptuellen Strukturen einerseits und den syntaktischen Strukturen andererseits vermittelt. Daneben muss angenommen werden, dass auch Teile lexikalischer Konzepte linguistischen Berechnungen zugänglich sind, diese also analysiert und zerlegt werden, was das oben diskutierte Verfahren der lexikalischen Dekomposition nahelegt. Eine Vielzahl von Analysen setzt ähnliche Grundmaximen voraus, die sich in ihrer dialektalen Ausprägung jedoch in einem durchaus relevanten Maße unterscheiden. So gehen Rappaport & Levin (1988) davon aus, dass das morpho-syntaktische Verhalten von Lexemen auf die internen strukturellen Konstellationen, wie sie auf den repräsentationeilen Ebenen der Prädikat-Argument- (PAS) und der lexikalisch-konzeptuellen
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Struktur (LCS) herrschen, zurückzufuhren ist. In gleicher Weise unterscheiden auch Booij (1992) und Lieber (1998) zwei Ebenen dieser Art und unterwerfen morphosyntaktische Operationen den Regeln, die den Aufbau der jeweiligen Repräsentationen bestimmen: Die lexikalisch-konzeptuelle Struktur (LCS) spezifiziert die semantische Struktur des Lexems und erfasst die Situationspartizipanten. Die Prädikat-ArgumentStruktur (PAS) hingegen enthält nicht nur die Anzahl der Argumente, sondern auch eine syntaktische Annotation, die den syntaktischen Status der Argumente als extern bzw. intern beschreibt (s. Booij (1992: 49)). Mittels der Unterscheidung zwischen LCS und PAS lässt sich zum Beispiel die Existenz eines impliziten generischen Subjekts in Adjektiven, die mit -bar aus Activity-Verben abgeleitet sind, gut beschreiben. Booj setzt hier einen generischen Operator ein, der auf der Ebene der LCS angewandt wird, da - so das Argument - argumentstrukturelle Derivationen auf PAS allein diesen Bedeutungsbestandteil solcher Adjektive nicht erzeugen könnten. Vage bleibt hier jedoch oft, wo genau die fur uns wesentliche Grenzziehung zwischen sprachlicher und nicht-sprachlicher Informationsverarbeitung zu erfolgen hat. Obwohl das nicht expliziert wird, scheint es sich bei den lexikalisch-konzeptuellen Strukturen des obigen Typus um Schnittstellenrepräsentationen zu handeln, über die das konzeptuelle mit dem Sprachsystem kommuniziert. Demnach ist die Prädikat-Argument-Struktur rein grammatischer Natur. Unbeantwortet bleibt unter der Annahme dieser Dichotomie jedoch die Frage, ob nicht bestimmte grammatische Aspekte eines Ausdrucks aus bestimmten abstrakten Bedeutungsbestandteilen stammen und wir somit von einer zusätzlichen, grammatisch ausgerichteten aber nicht ausschließlich konzeptuellen Strukturbildungsebene auszugehen haben. Eine deutliche Antwort auf diese Frage wird in den kognitiv orientierten Arbeiten von Bierwisch (1987); Bierwisch & Lang (1987) und Jackendoff (1983) formuliert. Entsprechend der Zwei-Ebenen-Theorie der Semantik (s. Bierwisch & Schreuder (1992)) lässt sich aus grammatischer Sicht ein kompositionaler Kern (die semantische Repräsentation SR) eines lexikalischen Konzeptes identifizieren, der kontextfrei und in abstrakter Weise die sprachlich relevanten Bedeutungsanteile des Konzeptes beschreibt. Dementsprechend werden die Bedeutungsausprägungen, die ein lexikalisches Konzept annehmen kann, erst bei Einbettung dieses kompositionalen Kerns in die Strukturen des außersprachlichen episodischen Wissens (CS) etabliert: Grammatisch relevante, semantische einerseits und nicht-sprachliche, konzeptuelle Strukturen andererseits sind komputationeil also strikt voneinander getrennt. Dieser Annahme hält Jackendoff (1983) entgegen, dass die Ebene der Bedeutungsbeschreibung stets auch mit den nicht-sprachlichen Berechnungsebenen wie etwa der haptischen oder der visuellen - des kognitiven Systems kompatibel sein muss. Daher gestaltet Jackendoff seine conceptual structure als direkte, unvermittelte Schnittstelle zwischen außersprachlicher und morpho-syntaktischer Strukturbildung bei gleichzeitiger Ablehnung eines vermittelnden lexikalisch-semantisch determinierten Repräsentationsebene wie der oben skizzierten SR. Jackendoffs conceptual structure übersetzt also außersprachliche Informationen in grammatische direkt und wird dabei als der Teil außersprachlicher Repräsentationen anzusehen, der dem Sprachsystem zugänglich ist. Die folgende Übersicht illustriert die Verteilung der repräsentationeilen und komputationellen Verantwortlichkeiten bei den Abbildungsoperationen, welche zwischen den
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kognitiven Ebenen der außersprachlichen konzeptuellen Wissensbasis und dem Sprachsystem nach den oben dargestellten Auffassungen ablaufen:
u.a. Rappaport & Levin (1988)
Jackendoff (1983)
u.a. Bierwisch & Schreuder(1992)
Abbildung 3: Verteilung lexikalisch-semantischer und konzeptueller Informationen nach verschiedenen Modellen
Mit Blick auf den hier angestellten Vergleich ist wesentlich, dass die Berechnungsaspekte in den LCSen und PASen der o.g. Ansätze sich prinzipiell in einem repräsentationellen Format erfassen lassen und wir hier daher nicht gezwungenermaßen von unterschiedlichen Repräsentationsformen ausgehen müssen. Dieser Einsicht kommt die von Bierwisch & Schreuder (1992) konzipierte SR am nächsten. So erfasst sie bspw., dass kausative Verben stets mindestens transitiv sind, also mittels einer lexikalischen Konstante [CAUSE χ ... y] über ein externes und ein internes Argument prädizieren, sodass deren argumentstrukturelle Eigenschaften nicht gesondert - etwa in einer PAS - aufgeführt werden müssen. Verfolgt man nun das Vorgehen Jackendoffs, müssen wir eine Verletzung des Modularitätsprinzips in Kauf nehmen: Fodor (1983) folgend wird hier jedoch davon ausgegangen, dass die Berechnungen eines Systems bzw. Moduls informationell eingekapselt (,informationally encapsulated) ablaufen. Jackendoffs conceptual structure aber kann einer modularen Konzeption nur mit einigem Erklärungsaufwand gerecht werden: Bei ihm muss bei der Versprachlichung einer Botschaft die konzeptualisierende Komponente, welche ja grundsätzlich außersprachlicher Natur ist, grammatikalisierbare Teile aus der außersprachlichen Struktur auszuwählen und verarbeiten. Das heißt, es
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müssen - in einer nicht-modularen Arbeitsweise - grammatische Strukturanteile in der konzeptuellen Wissensbasis sichtbar sein.14 Das hier gewählte repräsentationeile Format der SR weist neben den genannten Charakteristika einen entscheidenden Vorteil auf, der mit den prädikatenlogischen Bedingungen, denen die lexikalisch-semantische Repräsentation unterworfen ist, zusammenhängt. Demgemäß erlangen Prädikate ihren kombinatorischen Status nicht allein durch die Zahl der ihnen zugeschriebenen Argumente. Vielmehr ist die Prädikat-ArgumentStruktur als das Produkt einer funktorbildenden Operation, der λ-Abstraktion, gestaltet, welche Argumentstellen eröffnet und diese syntaktischen und thematischen Bindungsoperationen zugänglich macht (s. etwa Lohnstein (1993); Partee et al. (1993)). Schauen wir uns dazu das Beispiel eines zweistelligen Activity-Verbs wie lesen an: (30)
a.
Transitive Activity-Verben: lesen·, λ y λ χ λ ε [e INST [DO(x) & LESEN(x,y)]] 15
Die grundlegende Einsicht ist hier, dass λ-Operatoren prädikatsbildende Funktion haben, indem sie über die in der Grammatik zu realisierenden Variablen der semantischen Dekompositionsstruktur abstrahieren. Gleichzeitig nehmen λ-Operatoren einen Schnittstellen-Status hinsichtlich der syntaktischen Ebene ein, da die syntaktische Position eines thematisch markierten Arguments aus der Position des Arguments relativ zum Prädikat ableitbar ist. So ist etwa das erste Argument des ereignisstrukturell determinierten Prädikats DO als Ausdruck einer Activity immer das Agens-Argument, welches in der syntaktischen Position des Subjekts realisiert wird. 16 Darüberhinaus bieten die λ-Operatoren in einer Erweiterung des formalen Apparates des Lambda-Kalküls hinsichtlich linguistischer Bedürfnisse - den Ankerpunkt für verschiedene Typen referentieller Bindung wie etwa bei Artenreferenz des Arguments in generischen Ausdrücken. Wir wollen Folgendes festhalten: Sprachliche Argumentinformationen finden sich also an unterschiedlichen Positionen mit jeweils unterschiedlicher linguistischer Wertigkeit in den lexikalisch-semantischen Repräsentationen. Zum einen kann eine entsprechende Argumentinformation im thematisch determinierten λ-Raster des Prädikats erscheinen, zum anderen kann eine Argumentstelle in der Prädikat-Argument-Struktur selbst auftauchen bzw. aus ihr gelöscht sein. Diese Auffassung ist sicherlich nicht unumstritten, sie impliziert nämlich, dass die semantische Struktur eines Prädikats prinzipiell variabel ist, was konventionellen Grundsätzen einer formal-logischen Herangehensweise zunächst einmal widerspricht. 17 Dies rührt daher, dass logische Strukturen an sich meist als stabile Entitäten angesehen wer14
)5
Die Diskussion zu diesem Thema ist damit natürlich längst nicht abgeschlossen. Dies zeigen bspw. die Arbeiten zum angenommenen Einfluss grammatischer Informationen auf die nichtsprachliche Strukturbildung wie sie u.a. in Carroll et al. (2004) behandelt wird, s. auch Härtl (2008). Das Prädikat INST verankert eine Ereignisvariable in der semantischen Repräsentation des verbalen Komplexes, INST ist vom logischen Typ Flasche) nicht bahnen („primen"). Die Rekonstruktion der betreffenden 29
30
Mit „sortal" ist hier die ontologische Kategorie der Entität gemeint, die mit den (konzeptuellen) Selektionsbeschränkungen des Prädikats zusammenhängen und von der entsprechenden Entität zur Erzeugung begrifflicher Wohlgeformtheit erfüllt sein müssen (s. u.a. Chomsky (1965); Lang (1994)). S.Fußnote 4.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
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Argumentstelle im Diskurs wird erleichtert durch deren referentielle Bindung als ADefinitum, d.h. je nach kontextueller Umgebung kann eine spezifische Bindung der betreffenden Argumentstelle oder auch keine vorliegen. Verantwortlich für die kontextuell gesteuerte Rekonstruktion der Argumentstelle zeichnen spezielle diskursstrukturelle Prinzipien, die die Herstellung kohärenter Textstrukturen sichern. Es wird gezeigt, dass bestimmte Diskursverläufe präferiert sind und dass dies in eine systematische Beziehung zur Interpretation sprachlicher Strukturen gesetzt werden kann. Im berichteten Experiment zeigte sich ein unerwarteter Effekt: Kongruente Objekte werden bei Präpositionen langsamer verarbeitet als inkongruente. Diesem Phänomenbereich widme ich mich in einem etwas ausfuhrlicheren Exkurs und komme dabei zu dem Schluss, dass die ermittelte Inhibition mit der Art des Prädikats, also dem präpositionalen Ausdruck in Zusammenhang gebracht werden muss. Bei den wenig restriktiven sortalen Bedingungen der präpositionalen Ausdrücke wird ein vergleichsweise großes Set an möglichen Referenzobjekten aktiviert, gegen welche sich die präsentierte, kongruente Objektdarstellung komputationell durchsetzen muss. Bei Prädikaten mit rigiden sortalen Restriktionen wie etwa bei backen, rauchen oder öffnen hingegen ist die Menge und Art der möglichen Entitäten wesentlich eingeschränkter - ein komputationeller Wettbewerb herrscht in diesen Umgebungen nicht vor, sondern der Objekttyp wird tatsächlich voraktiviert und der Bahnung entsprechend schneller verarbeitet. Diese Annahme wird in einer weiteren Reaktionszeitstudie getestet, welche schließlich die formulierte Hypothese bestätigt. In nächsten Abschnitt werden nicht realisierte Thema-Argumente wie etwa Buch in intransitiv verwendeten Activity-Ausdrücken wie Sue liest gerade untersucht. Es wird gezeigt, dass diese Argumentstellen lexikalisch-semantisch gänzlich entwertet sind und auch thematisch nicht präsent sind. Grundlage dieser Einsicht ist einerseits, dass intransitivierte Activity-Verben sich parallel zu ursprünglich intransitiven Activity-Verben wie tanzen verhalten. Daneben zeigen die Ergebnisse aus einer Reaktionszeitstudie mit einer Nomen-Kategorisierungsaufgabe, dass in intransitiv verwendeten Verbkomplexen ein sortal passendes Nomen im Vergleich zu transitiven Umgebungen auf lexikalischer Ebene nicht gebahnt wird. Die Erklärung hierfür ist, dass die Aktivation argumentstruktureller Informationen die Verarbeitung eines kongruenten Nomens nur in transitiven Kontexten erleichtert, aber nicht bei intransitiv verwendeten Verben. Es folgt der Schluss, dass bei letzteren keine Argumentposition in der lexikalisch-semantischen Struktur des entsprechenden Ausdrucks präsent ist. Im Kontrast dazu stehen inhärent telische Verben wie abladen, fur die gezeigt wird, dass auch bei deren intransitiver Verwendung die betreffende Argumentstelle lexikalisch bzw. grammatisch vertreten sein muss. Wird dagegen ein nicht realisiertes Thema-Argument bei intransitiv verwendeten Activity-Verben des o.g. Typs rekonstruiert, dann handelt es sich dabei stets um eine konventionell implizierte Entität, die auf der Basis konzeptuellen Wissens über den ontologischen Typ des entsprechenden Ereignisses geschlossen wurde. Daraus resultiert ein spezieller Typ von konzeptueller Bindung: Die entsprechende Argumentstelle wird konzeptuell als prototypische Individuenentität (sog. P-Bindung) gebunden, woraus sich eine verhältnismäßig hohe Informationsdichte fur die fragliche Struktur ergibt. Dies ist reflektiert im kontextuellen Verhalten der Ausdrücke, welches sich vor allem durch eine einfache diskursstrukturelle Rekonstruktion der sprachlich nicht realisierten Individuenentität auszeichnet.
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3 Implizite
Ereignispartizipanten
Als letztem Phänomenbereich werde ich mich in diesem Kapitel den MiddleKonstruktionen zuwenden. Es wird argumentiert, dass in der Prädikat-Argument-Struktur des idiosynkratischen, verbalen Prädikats eine agentive Entität im Sinne eines impliziten Arguments nicht vertreten ist. Vielmehr geht die Implikation einer agentiven Beteiligung bei den Middles auf ereignisstrukturelle Konstitution der Ausdrücke zurück: Middles werden prinzipiell aus Activity- bzw. Accomplishment-Verben gebildet, was jeweils eine agentive Entität impliziert und was seinen lexikalischen Niederschlag in einer ereignisstrukturellen Konstante mit entsprechendem Argument ohne thematische Bindung findet. Daneben wird illustriert, dass die Option zur Middle-Alternation nicht auf ein singuläres Merkmal der sich an der Alternation beteiligenden Verben zurückgeht. Vielmehr ist das entsprechende lexikalische Regelwerk als Zusammenspiel der hierarchisch geordneten Faktoren der Agentivität, der Generizität und der Durativität der verbalen Ausdrücke zu gestalten. Im abschließenden Abschnitt wird fur die nun diagnostizierten Daten eine erste Bilanz gezogen. Hierfür werden die bisherigen Ergebnisse in die Schnittstelle zur Informationsstruktur eingebunden, welche auf der Grundlage der zwei kognitiven Kategorien der Identifizierbarkeit und Aktivation von Information arbeitet. Dies liefert uns die Möglichkeit, das diskursstrukturelle Verhalten nicht realisierter Informationen klar zu definieren. Unter Inbeziehungsetzung der Faktoren der Diskurszugänglichkeit, der Identifizierbarkeit nicht realisierter Informationen und der ermittelten Schlussoperationen wird eine erste Bedingung für die informationsstrukturelle Zugänglichkeit nicht realisierter Information formuliert. Bevor wir uns im Detail den verschiedenen Phänomenbereichen widmen können, muss nun zunächst noch eine - auf den ersten Blick einfach scheinende - Frage beantwortet werden.
3.1
Was ist ein implizites Argument?
Oben wurde in vorläufiger Weise formuliert, dass hier implizit gelassene bzw. nicht realisierte Informationen diskutiert werden, die mit Individuentermen bzw. -entitäten und damit grammatisch mit nominalen Argumentausdrücken zu assoziieren sind. Diese Festlegung reicht fur eine Definition „impliziter" Argumente natürlich nicht aus. Bei einer Auseinandersetzung mit diesem Problembereich stellt man nämlich schnell fest, dass die Überzeugungen zum formalen und repräsentationeilen Status eines „impliziten" Arguments weit auseinander gehen. Das breite Spektrum der Meinungen hierzu illustrieren die folgenden Zitate, s. hierzu auch Bhatt & Pancheva (2006): (1)
a.
„A ,weak' θ-criterion is all that is needed to give implicit arguments, since these are nothing more than unlinked argument roles." (s. Williams (1985: 314))
b.
„An argument is implicit only if it is in a structural position to license a thematic PP but no thematic PP occurs." (s. Roeper (1987: 274))
3 Implizite
Ereignispartizipanten
55
c.
„An implicit argument is a conceptual argument that is neither expressed syntactically nor bound to an argument that is expressed syntactically." (s. Jackendoff (1987: 409))
d.
„Implizite Argumente sind solche, die semantisch notwendig sind und mitverstanden werden, wenn man sie weglässt." (s. Ehrich (1997: 261))
e.
„[...] a verb's predicate constant has an implicit argument iff either (i) the verb has a variant with an explicit argument (i.e. an argument that gets syntactically realized) in the same semantic realization or (ii) there is a morphologically related verb with an explicit argument in the same semantic relation." (s. Engelberg (2002: 375))
Definitionen wie in ((l)a/b) legen nahe, dass eine entsprechende Argumentvariable in der linguistischen bzw. grammatischen Repräsentation des Ausdrucks enthalten ist, welche thematisch aber ungebunden bleibt. ((l)c) und auch ((l)d) hingegen besagen, dass ein implizites Argument grammatisch nicht realisiert, aber in der dem Ausdruck zugrunde liegenden konzeptuell-semantischen Struktur vertreten und zugänglich ist. Eine Charakterisierung wie in ((l)e) wiederum macht die Existenz eines impliziten Arguments von formalen, morpho-syntaktischen Aspekten abhängig und relatiert dessen Vorkommen mit dem Vorkommen einer entsprechenden linguistischen Form mit explizitem Argument. Wie sich im Weiteren zeigen wird, müssen verallgemeinernde Definitionen, die spezifische Aussagen über den repräsentationeilen Status „impliziter" Argumente und die beteiligten linguistischen Strukturbildungsebenen machen, scheitern. Eine Definition wie in (( 1 )e) bspw. sagt falschlich vorher, dass Verben wie verbrennen in ihrer dekausativen Erscheinungsform (etwa das Haus verbrannte) ein „implizites" Agens-Argument aufweisen, da eine morphologisch verwandte Form, nämlich die transitive, kausative Variante, vorliegt. In Entsprechung würden dann Verben, die keine Alternation eingehen, wie etwa verfaulen, auch kein solches implizites Agens-Argument aufweisen, was einen - wie gezeigt werden wird - ungerechtfertigten Bedeutungsunterschied zwischen diesen beiden Verbtypen hervorbringt. Wir werden sehen, dass zur Bestimmung der betroffenen Argumentstellen eine detaillierte Untersuchung deren grammatischer und konzeptueller Eigenschaften notwendig ist, was seinerseits dazu fuhrt, Typen von „impliziten" Argumenten für die einzelnen Ausdrücke zu unterscheiden. Aus diesem Grund setze ich selbst hier zunächst eine sparsame und generelle Definition ein, die für alle Typen von Argumentreduktionen Anwendung finden kann. Sie bezieht sich auf wahrheitskonditionale Aspekte und setzt daher die Definition von Ehrich (1997) in ((l)d) fort: (2)
Implizites Argument: Ein implizites Argument liegt immer dann vor, wenn eine sprachlich nicht realisierte Argumentstelle materieller Teil einer Repräsentation einer Strukturbildungsebene bzw. Teil der dieser Repräsentation entsprechenden Wahrheitsbedingungen ist.
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3 Implizite
Ereignispartizipanten
Nicht realisierte Argumentplätze finden sich in einer Vielzahl prädikativer Ausdrücke. Die Frage, ob diese Argumentplätze jeweils durch ein implizites Argument im Sinne der Definition in (2) belegt sind, wird im Folgenden beantwortet werden. Schauen wir uns dazu zunächst einmal einige Typen nicht realisierter Argumentplätze genauer an und verwenden dafür die von Bhatt (2005) eingesetzte Unterscheidung zwischen thematischen und athematischen nicht realisierten Argumenten: (3) (i)
thematische nicht realisierte Argumente nicht realisiertes Agens: ,Die Urkunde wurde verbrannt.' (Passiv) ,Die Urkunde verbrannte.' (Dekausativ) ,Urkunden verbrennen sich leicht.' (Middles)
(ii)
nicht realisierte Argumente bei Präpositionen (i.e. Partikeln) nicht realisiertes Referenzobjekte : , einen Knopf annähen' nicht realisiertes Thema: ,einen Eimer ausschütten'
(iii)
nicht realisierte Argumente bei Nomen Deverbale Nomina: ,die Verhandlungen PRO um eine bessere Schulbildung zu erreichen'
(iv)
Null-Objekte Intransitiv verwendete Verben: ,Marianne strickte den ganzen Nachmittag lang.' ,Dies fuhrt zu folgender Überlegung.' ,Dr. Bob operiert für sein Leben gern.'
(v)
nicht realisierte Argumente bei Adjektiven ,Es ist weise / ""unwahrscheinlich PRO zu gehen.' (s. Roeper (1987))
(vi)
nicht realisierte Possessoren ,Er trat ihm gegen das Schienbein.' Vs. 'Er trat ihm gegen die Skier.' (s. u.a. Hole (2005))
(4) (i)
Athematische nicht realisierte Argumente Grad-Argumente: .Günther ist groß.' ,Günther ist 1.80 Meter groß.' ,Veit ist viel größer.'
3 Implizite
Ereignispartizipanten (ii)
Nicht realisierte kontextuelle Variablen: ,Klaus besuchte eine lokale Bar.' J e d e r Dozent in Berlin besuchte eine lokale Bar.'
(iii)
Nicht realisierte „Adjunkte": Instrument: ,Gunnar schnitt das Brot (mit einem Messer).' Source/Path/Goal: ,John rannte (aus dem Haus über den Hügel zum Laden).'
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Im Folgenden werden thematische nicht realisierte Argumente näher beleuchtet. Ich konzentriere mich dabei insbesondere auf nicht realisierte Agens-Argumente (s. (3)i), nicht realisierte Argumente von Partikeln (s. (3)iii) sowie nicht realisierte Themen, sprich Null-Objekte (s. (3)iv). Es wird untersucht, inwiefern die Definition in (2) Anwendung finden kann, sodass wir in ihrem Sinne im jeweiligen Falle von einem impliziten Argument mit entsprechender formaler und repräsentationeller Wertigkeit ausgehen können. Zunächst müssen jedoch noch einige grundlegende Begrifflichkeiten geklärt werden, die mit den verschiedenen Typen zu leistender Schlussoperationen, wie sie bereits im Abschnitt 2.2 angesprochen wurden, zusammenhängen.
3.2
Die Begrifflichkeiten
An verschiedenen Stellen war hier bereits von Implikationen und Implikaturen die Rede. Das Hauptmerkmal einer Implikation, so wie ich sie hier einsetze, ist, dass das Implizierte logisch in der sprachlich systemischen (und für unsere Zwecke: der lexikalischsemantischen) Repräsentation des Ausdrucks enthalten ist. Ich verwende den Begriff der Implikation, also die logische Folgerung, damit in einem semantischen Sinne, was bedeutet, dass die implizierte Teilaussage stets in einer inhaltlichen Beziehung zur implizierenden Aussage steht. So folgt aus dem Satz Das Buch von Chomsky befindet sich auf dem Tablett der Satz Das Tablett befindet sich unter dem Buch von Chomsky. Im Gegensatz zur Präsupposition wird die implizierte Aussage (oder das Entailment) unwahr, wenn die implizierende Aussage unwahr ist: Aus Das Buch von Chomsky befindet sich nicht auf dem Tablett folgt nicht mehr Das Tablett befindet sich unter dem Buch von Chomsky. Präsuppositionen hingegen bleiben auch unter Negation wahr: Aus Das Buch von Chomsky befindet sich nicht auf dem Tablett folgt auch weiterhin Es gibt ein Buch von Chomsky. Verschiedene experimentelle Studien, wie u.a. in Eisele, Lust & Aram (1998) berichtet, die sich mit der neurologischen Manifestation von Implikation und Präsupposition beschäftigen, sprechen für die psychologische Adäquatheit einer entsprechenden Unterscheidung. Halten wir zunächst fest, dass Implikationen sich unmittelbar und notwendigerweise aus der linguistischen Repräsentation und den Wahrheitskonditionen des Geäußerten ableiten. Für Schlussfolgerungen, die sich nun nicht unmittelbar aus dem Geäußerten ableiten, wird üblicherweise das Konzept der Implikatur verwendet. Der Terminus, wie er von Grice (1975), (1989) definiert wurde, bezeichnet all jene Schlussfolgerungen, die über das mit dem Ausdruck wörtlich Gesagte hinausgehen. Implikaturen sind daher nie wahrheitskonditional. Traditionellerweise wird das Konzept in einem recht allgemeinen Sinne
58
3 Implizite
Ereignispartizipanten
fur Schlussfolgerungen, wie sie im Diskursbereich auftreten, eingesetzt. Hier ein typisches Beispiel: (5)
A: B:
Mir ist so kalt! Der Hausmeister wird gleich hier sein.
Bekanntermaßen glückt ein solcher Dialog nur, wenn dem Gesprächspartner Β die Einhaltung der Kooperationsmaxime der Relevanz (s. Grice (1975); Sperber & Wilson (1986)) unterstellt werden kann. Man schließt demnach anhand bestimmter episodischer Information und auf der Basis konzeptuell-pragmatischer Regularien aus B's Äußerung, dass die Ankunft des Hausmeisters irgendeinen relevanten Einfluss auf die Raumtemperatur haben wird - etwa durch eine Reparatur der Heizung, s. auch Levinson (1983). Eine grundlegende31 Eigenschaft dieses Typs Schlussfolgerung ist es, dass sie nicht unbedingt notwendig ist: Aus der Ankunft des Hausmeisters ergibt sich nicht zwingend eine Erhöhung der Raumtemperatur. Damit handelt es um eine konversationeile Implikatur, die Grice von der konventionellen Implikatur unterscheidet. Beide gehören zum gemeinsamen durch Sprecher und Hörer geteilten und prinzipiell unkontroversen Hintergrundwissen über eine Aussage, unterscheiden sich jedoch in ihrer Löschbarkeit. Konventionelle Implikaturen sind in der Regel nicht löschbar. Sie fußen auf der gebräuchlichen Bedeutung eines Ausdrucks, sind aber nur indirekt Teil dessen, was gesagt wurde, da sie nicht maßgeblich für die Wahrheit einer Äußerung sind. Ein klassisches Beispiel einer konventionellen Implikatur ist das Folgende: (6)
a. b.
Das Chamäleon ist intelligent, aber langsam. Das Chamäleon ist intelligent und langsam.
Die Konjunktion aber impliziert fur den Ausdruck in ((6)a) konventionell, dass zwischen hoher Intelligenz und Behändigkeit ein Zusammenhang bestünde: Je klüger, desto agiler. Es wird also mehr ausgedrückt, als das der Satz in ((6)b) tut, dessen Semantik logisch auch in ((6)a) enthalten ist. Wie gesagt, konventionelle Implikaturen sind nicht löschbar, d.h. aber verweist in Beispiel (6) notwendigerweise auf die Schlussfolgerung eines Gegensatzes. Konventionelle Implikaturen sind damit also prinzipiell Teil des Gesagten. Dies verhält sich bei konversationeilen Implikaturen anders, sie gehören nicht zum unmittelbar Gesagten, da sie grundsätzlich mit Aussagen wie Das glaube ich nicht! löschbar sind, s. u.a. Bußmann (2002); Chierchia & McConnell-Ginet (1992); Lyons (1983). Der Unterschied wird in folgenden Dialogen deutlich: (7)
KONVERSATIONELLE IMPLIKATUR:
A: B:
31
Romeo hat mit Julia ja getanzt, also muss er sie auch berührt haben. Das glaube ich nicht.
Einen Überblick über die (viel erörterten) weiteren Eigenschaften von Implikaturen, wie Grice sie im Sinne hatte, bietet Levinson (1983).
3 Implizite Ereignispartizipanten
59
KONVENTIONELLE IMPLIKATUR:
(8)
A: B:
Romeo hat Julia ja geküsst, also muss er sie auch berührt haben. Das glaube ich nicht. 32
§
Ein weiteres, verwandtes Testbett fur den Unterschied zwischen konventioneller und konversationeller Implikatur besteht in der „Zurücknahme-Probe". Sie prüft, ob der Produzent einer k-implizierenden Äußerung die Implikatur zurücknehmen kann. 33 Konventionelle Implikaturen unterscheiden sich hierbei von konversationeilen Implikaturen dahingehend, dass nur bei letzteren die Implikatur mit zum Beispiel Das habe ich nicht gesagt! sinnvoll zurücknehmbar ist: (9)
KONVERSATIONELLE IMPLIKATUR:
A: B: A: B:
Ist Peter daheim? Es brennt Licht in seinem Zimmer. Also ist er da? Das habe ich nicht gesagt!
A: B: A:
Jürgen ist Radiomoderator, er spricht aber starken Dialekt. Sprechen Radiomoderatoren denn normalerweise keinen Dialekt? § Das habe ich nicht gesagt!
( 10)
KONVENTIONELLE IMPLIKATUR:
A's Erwiderung in (10) ist widersprüchlich, da aber auf einen vorliegenden Kontrast als Teil seiner konventionalisierten Bedeutung verweist und somit grundsätzlich nicht zurücknehmbar ist. Unter anderem, weil der Unterschied zur Implikation häufig verwischt, wird die Relevanz konventioneller Implikaturen oft in Frage gestellt, s. u.a. Bach (1999); Levinson (1983: 128). Dies ist vor allem ihrem seltsam hybriden Charakter geschuldet: Einerseits sind sie Teil der gebräuchlichen Ausdrucksbedeutung, andererseits drücken sie diese aber nur indirekt aus und sind nicht maßgeblich an der Erfüllung der Wahrheitsbedingungen beteiligt. Ich plädiere aber dafür, das Konzept der konventionellen Implikatur beizubehalten. Ich schlage vor, aus ihrer Janusköpfigkeit Profit schlagen und sie als etwas ansehen, das zwar gesagt, diskurstrukturell aber eben irrelevant und nicht salient ist. Eine Instantiierung dessen werden später die intransitiv verwendeten Activity-Verben
wie lesen in Georg las gerade, als der Blitz einschlug sein. In der Gesamtschau betrachtet ergibt sich nun fur die verschiedenen Typen von Schlussfolgerungen, mit denen im Folgenden gearbeitet wird, nachstehende Klassifikation:
32
Ich verwende das Zeichen § für eine pragmatisch oder interpretativ basierte Abweichung. Diese Einsicht verdanke ich Carla Umbach.
3 Implizite Ereignispartizipanten
60
LÖSCHBAR
IMPLIKATION KONVERSATION. IMPLIKATUR KONVENTIONELLE IMPLIKATUR
TEIL DES GESAGTEN
TEIL DER WAHRHEITSBEDINGUNGEN
nein
ja
ja
ja
nein
nein
nein
indirekt
nein
Tabelle: Übersicht der Eigenschaften der verschiedenen Schlussfolgerungstypen
Das Konzept der (generalisierten 34 ) Implikatur als spezifischem Typ einer kommunikativ relevanten Schlussoperation wird also im Folgenden in wesentlicher Weise zur Anwendung kommen. Die angeführten Beispiele aus der Verbsemantik in (8) deuten bereits darauf hin, dass für die Umsetzung der Zielstellung der Begriff hier in einem globaleren Sinne eingesetzt wird: Implikaturen erfassen demnach auch alle relevante Information eines Verbkomplexes, die über das hinausgeht, das aus dessen lexikalisch-semantischer Struktur geschlossen wird und was aus konzeptuell-episodischen Wissensstrukturen abgerufen wird. Dazu gehören zum Beispiel Verursachungsrelationen, wie sie etwa bei Unakkusativa des Typs zerbrechen erschlossen werden können: (11)
Der wertvolle Porzellanteller ist zerbrochen.
Schon intuitiv betrachtet spielt bei der Interpretation eines solches Ausdrucks eine bestimmte, nicht weiter spezifizierte Ursache für das Zerbrechen des Tellers eine Rolle. Dabei handelt sich es nun - der oben eingegrenzten Definition folgend - um eine konversationeile Implikatur, die auf konzeptuellem Wissen über Veränderungen beruht: Zum einen ist mit dem Ausdruck ein Verweis auf eine konkrete Ursache-Relation durchaus möglich, wie das folgende Beispiel zeigt: (12)
A: B:
Die schöne Sammeltasse ist kaputt! Ob das wohl irgendwer getan hat? Sieht so aus! Der wertvolle Porzellanteller ist nämlich auch zerbrochen!
Zum anderen ist diese Schlussfolgerung aber problemlos löschbar etwa mittels eines Adjunkts wie von selbst: (13) A: 34
[...] Aber nein, der ist doch ganz von selbst zerbrochen!
Generalisierte Implikaturen sind solche, die über verschiedene Kontexte hinweg stets dasselbe k-implizieren.
3 Implizite
Ereignispartizipaníen
61
Die sprachlichen Bedingungen, die hier herrschen, schauen wir uns später noch genauer an. Wesentlich ist jetzt die Einsicht, dass die Ursache-Relation, die aus einem unakkusativen Verbkomplex dieses Typs geschlussfolgert wird, offensichtlich über das mit der Äußerung Ausgedrückte hinausgeht. Ähnlich verhält sich dies bei intransitiv verwendeten Activity-Verben. Wie sich in Abschnitt 3.5 zeigen wird, verweisen sie auf ein prototypisches Thema, etwa BUCH in ( 1 4 ) , ebenfalls aufgrund einer Implikatur - und zwar einer konventionellen: ( 14)
Der Student liest gerade.
Ich werde unten argumentieren, dass das entsprechende Argument in der linguistischen Struktur eines solchen Ausdrucks selbst nicht verankert ist. Eine Entität wird hier pragmatisch impliziert, was nun aber seinerseits nicht widerrufbar ist: (15)
A: B:
Der Student liest ja gerade, also muss es doch auch etwas geben, das er liest. § Das glaube ich nicht.
Fassen wir also noch einmal zusammen: Implikationen sind unmittelbar im sprachlich Geäußerten enthalten, d.h. sie sind wahrheitskonditional relevant. Implikaturen dagegen sind nicht unmittelbarer Teil dessen, was ein Sprecher mit seiner Äußerung sagt. Zwar stammen auch konventionelle Implikaturen direkt aus der sprachlichen Äußerung, sie gehören aber nicht notwendigerweise, sondern nur in einer hinreichenden Weise zu den Interpretationsanforderungen. Konversationelle Implikaturen hingegen erschließen sich nur indirekt aus der Äußerung - dieser Typ Schlussfolgerung ist widerrufbar und wird stets aufgrund unseres Weltwissens über die Äußerungssituation und die kontextuelle Einbettung ermittelt. Alle genannten Typen unterscheiden sich von der Präsupposition dahingehend, dass nur die Präsupposition unter Negation erhalten bleibt. Neben dem Implikatur-Typ wird aus den Beispielen in (8) ein anderer Sachverhalt ersichtlich: In beiden Fällen wird auf ein Ereignis des BERÜHRT-HABENS aufgrund einer Annahme geschlossen, die sich auf das Vorliegen eines Faktes (nämlich den des KÜS35 SENS bzw. TANZENS) stützt. Damit liegt hier ein reduktives Schlussverfahren vor. Zur Illustration dessen folgendes Beispiel:
35
Es handelt sich hierbei um eine Unterart des induktiven Schließens, also dem Ableiten von Schlussfolgerungen aus vorgegebenen Fakten. Der Terminus „reduktiv" kann mit dem Konzept der Abduktion, wie es u.a. von Hobbs et al. (1993) besprochen wird, assoziiert werden, s. auch Abschnitt 3.3.5 unten: Es umfasst, dass aufgrund der Gültigkeit einer Regel (A) und des Vorliegens eines Sachverhalts (B) das Vorliegen eines weiteren Sachverhalts (C) hypothetisiert wird, vgl. auch Peng & Reggia (1990) und Fußnote 36: A Autos dürfen bei Grün die Ampelkreuzung überqueren. Β Dieses Auto überquerte die Ampelkreuzung. C Die Ampel war grün.
62
3 Implizite
Ereignispartizipanten
REDUKTIVER SCHLUSS:
(16)
[Julia hat (wohl) mit Romeo getanzt] S i, weil [sie (nämlich) einen Knutschfleck hat.]S2 S1 < - S 2
Deskriptiv kann die Formel in (16) wie folgt wiedergegeben werden: Aus dem gültigen Fakt S2 wird die angenommene Gültigkeit eines zeitlich vorgelagerten Ereignisses S1 geschlossen. Sprachlich schlägt sich dieser Typ Schlussverfahren in der Möglichkeit nieder, S2 mit Unterstützungspartikeln wie nämlich und S1 mit adverbialen Partikeln wie wohl zu modifizieren. Außerdem kann S2 bei diesem Typ kausaler Verknüpfung nur schlecht in Anteposition auftreten (s. hierzu Lang (2000); Pasch (1983); Pittner (1999) u.a.): (17)
??
Weil [sie einen Knutschfleck hat] S2 , [hat Julia mit Romeo getanzt.] S i
Dies ist bei einem deduktiven Schlussverfahren ohne Problem möglich. Bei einem solchen sind zwei gültige Fakten kausal miteinander verknüpft und ein subordinierter Teilsatz mit weil kann anteponiert werden: 36 DEDUKTIVER SCHLUSS:
(18)
[Julia hat mit Romeo getanzt] S i, weil [Mercutio sie darum bat.]S2 S2->S1
(19)
Weil [Mercutio sie darum bat]S2, [hat Julia mit Romeo getanzt.] sl
Es wird deutlich, dass wir also genau unterscheiden müssen zwischen einerseits dem, was geschlossen wird und woraus es geschlossen wird und andererseits, auf welche Weise etwas geschlossen wird. Auf diese Weise lassen sich Unterschiede in den kausalen Zusammenhängen zwischen bestimmten Sachverhalten gut erklären, wie die folgenden Beispiele zeigen: (20)
Annelies verehrt den Präsidenten. IMPLIKATUR:
U r s a c h e f ü r PSYCH-STATE(annelies): PROPERTY(der p r ä s i d e n t )
36
Dies ist eine an den linguistischen Phänomenbereich angepasste Definition von Deduktion. Klassischerweise liegt ein deduktiver Schluss immer dann vor, wenn aus der Gültigkeit einer prinzipiellen Regel und dem Vorliegen eines Sachverhalts das Vorliegen eines weiteren Sachverhalts geschlossen wird (vgl. u.a. Peng & Reggia (1990)). Es wird dabei vom Allgemeinen auf das Spezifische geschlossen wie in: A Alle Hunde in Berlin sind nicht angeleint. Β Dieser Hund ist aus Berlin. C Dieser Hund ist nicht angeleint.
3 Implizite Ereignispartizipanten
63
D e r Satz in ( 2 0 ) löst eine Implikatur aus etwa der Art, dass der Präsident eine bestimmte ( p o s i t i v e ) Eigenschaft hat: (21 )
Annelies verehrt den Präsidenten, w e i l er einen Jaguar
fährt.
D i e v o m Empfanger einer solchen Äußerung geleistete Implikatur einer positiven Eigenschaft beruht auf einem reduktiven Schluss: D i e Gültigkeit einer ursächlichen Beziehung zwischen dem psychischen Zustand der Annelies und der Eigenschaft des Präsidenten wird auf der Grundlage v o n Wissen über die beteiligten Partizipanten und default ning
reaso-
konstruiert. Anders verhält sich dies bspw. bei kausativen Verbkomplexen. Hier
w i r d eine Ursache fur den bezeichneten Zustandswechsel nicht etwa auf der Grundlage einer konversationellen Implikatur geschlossen, sondern sie ist T e i l der spezifischen Wahrheitsbedingungen kausativer Verben, sie ist semantisch notwendig und nicht löschbar und damit im Sinne einer Implikation zu definieren: (22)
Annelies verbrennt das Papierbündel. IMPLIKATION: Ursache für BURNT-STATE(das papierbündel): ACTiON(annelies)
Dieser Schluss ist in j e d e m Falle deduktiv, da er nicht auf der Grundlage einer DefaultAnnahme erfolgt, sondern als notwendiger T e i l der lexikalischen (dekompositionalen) Bedeutung kausativer Verben bereitgestellt wird. V o r dem Hintergrund der in Kapitel 2 entwickelten Zielsetzungen stellt sich die Frage nach der Kostspieligkeit der verschiedenen Arten von Schlussverfahren. Intuitiv betrachtet scheint eine Implikatur einen höheren komputationeilen A u f w a n d zu erfordern, als dies bspw. bei Implikationen der Fall ist: N u r bei letzteren wird als T e i l des lexikalischen Wissens über die zu verarbeitenden Informationseinheiten grammatisch - d.h. hoch automatisiert und spezialisiert - operiert. Implikaturen hingegen erschließen sich erst auf der Grundlage bewusster kognitiver Prozesse, bei denen episodisches und konzeptuelles Wissen kalkuliert werden muss. Entsprechende empirische Hinweise finden N o v e c k & Posada (2003), die anhand ereigniskorrelierter Hirnpotentiale nachweisen, dass Implikaturen einen „late occuring, effortful step" (ebd., S. 2 1 9 ) ) im Prozess der Sprachverarbeitung repräsentieren. Ähnliche Überlegungen stellen Sperber & W i l s o n ( 1 9 8 6 ) an, die argumentieren, dass Implikaturen den Stufen der Sprachverarbeitung zuzurechnen sind, bei denen bewusste und nicht-automatisierte Prozesse die Informationen entschlüsseln, die notwendig sind, um zu einer relevanten Interpretation einer Äußerung zu gelangen. Im
Kontrast
dazu
betrachtet
etwa
Levinson
(2000)
Implikaturen
als
Default-
Interpretationen, die unveränderlich mit der verarbeiteten sprachlichen Struktur auftreten und daher nicht notwendigerweise mit einem erhöhten Kostenaufwand verbunden sind, da es nur das gelegentliche Überschreiben einer Implikatur ist, bei dem ein solcher Mehraufwand zu verzeichnen ist. Dieser Diskurs fuhrt uns dazu, die in Kapitel 2 bereits a u f g e w o r f e n e Frage nach der Korrelation v o n Strukturdichte und Inferenzaufwand hier wieder aufzugreifen: W i e muss das Verhältnis v o n expliziter Verankerung einer zu leistenden Implikation und einer Implikatur (bspw. im Sinne einer Default-Interpretation) gestaltet sein, sodass mit einer Aussparung von Information zu rechnen ist? Oder einfa-
64
3 Implizite
Ereignispartizipanten
cher, was ist kostspieliger (unter der Maßgabe eines erfolgreichen kommunikativen Aktes): Explizite Anzeigung einer Implikation oder eine Implikatur? Diese Frage wird im Zentrum der nächsten Abschnitte stehen, wobei ich mich zunächst dem Phänomenbereich dekausativer Verben widme. Sie bieten sich als Untersuchungsgegenstand gut an, da sie bei der Verbalisierung aus einer Menge von Alternativen ausgewählt werden, welche sich in Hinblick auf ihre lexikalisch-semantische Komplexität klar unterscheiden und dabei die sparsamste Variante zum Ausdruck eines Zustandswechsels darstellen.
3.3
Dekausative Verben
In diesem Abschnitt behandele ich intransitive Verbkomplexe des folgenden Typs: (23)
a. b. c. d.
Die teure Brille zerbrach bei dem Überfall. Die Wäsche trocknete in der Sonne. Die Seemänner zogen mit aller Kraft und das Seil zerriss schließlich. Das Beweisphoto war zu Asche verbrannt.
Die entsprechenden Verblexeme alternieren zwischen einer intransitiven und einer transitiven Variante. In ihrer intransitiven (d.h. dekausativen37) Variante drücken diese Verben einen Zustandswechsel aus, über dessen Herbeiführung nichts gesagt wird und welcher in Sprachen wie dem Deutschen oder Englischen auch morpho-syntaktisch nicht kodiert ist. Ich werde argumentieren, dass der intransitiven Variante - ebenso wie den nicht-alternierenden unakkusativen Verben38 wie bspw. verfaulen - auch aus lexikalisch-semantischer Sicht keine kausale Bedeutung innewohnt und eine implizite Argumentstelle im Sinne der Definition in (2) oben hier lexikalisch nicht präsent ist. Gegen diese Einsicht scheinen einige empirische Daten zu sprechen, die vermeintlich eine referentielle Bezugnahme auf implizite Information der genannten Art anzeigen. Ich werde darlegen, dass es sich dabei um konversationelle Implikaturen handelt, die auf konzeptuellem Wissen über Veränderungen beruhen. Es besagt, dass Veränderungen - also auch die durch Unakkusativa ausgedrückten Zustandswechsel - stets als in irgendeiner Weise verursacht konzeptualisiert sind, was sich in entsprechenden diskursstrukturellen Konstellationen niederschlägt. Festzuhalten bleibt noch, dass ich bei der Untersuchung dekausativer Verben den Begriff der Derivation in einem eher weiten Sinne verstehe. Ich lege mich damit weder auf 37
38
Ich ziehe diese Begrifflichkeit dem Terminus „inchoativ" vor, da letzterer den hier diskutierten Phänomenbereich auf spezifische ereignisstrukturelle Eigenschaften festlegt. Somit sind auch verbale Alternativen erfasst, die dekausativ sind, selbst aber keine inchoative Bedeutungskomponente aufweisen. Diese drücken zum Beispiel keinen Zustandswechsel, sondern vielmehr einen Zustandserhalt aus: (i) Der Wind hält den Ballon in der Schwebe. (ii) Der Ballon hält sich in der Schwebe. Alle Dekausativa (bzw. „Antikausativa") sind unakkusativ aber nicht alle Unakkusativa sind dekausativ: Im Folgenden umfasst daher der Terminus "unakkusativ" an den Stellen, wo nichtaltemierende Unakkusativa und Dekausativa gemeint sind, beide Verbtypen.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
65
eine derivationelle Richtung (etwa der Art, dass die intransitive Variante stets aus der transitiven Variante abgeleitet ist) fest, noch schließe ich damit einen syntaktischen Niederschlag der Alternation aus. Ich lege mich aber dahingehend fest, dass fur die unterschiedlichen Varianten eigenständige lexikalische Repräsentationen anzunehmen ist. Diese sind semantisch assoziiert, sodass die alternativen grammatischen Erscheinungsformen als Realisierung eines singulären lexikalischen Konzeptes angesehen werden können. Welcher Art die derivationellen Operationen sind, die zwischen den Varianten vermitteln, bleibt zunächst offen. Dieser Einsicht liegt die Annahme zugrunde, dass das lexikalische System als eine Kernkomponente produktiver Strukturbildung anzusehen ist, und dass systematische Linking-Regeln über die verschiedenen sprachlichen Ebenen hinweg sprachliche Informationen realisieren. Gegenteilige Annahmen, bei denen davon ausgegangen wird, dass die Alternation einzig auf Konstellationen in syntaktischen Dekompositionsstrukturen zurückzufuhren und hierfür von einer lexikalischen Verankerung abzusehen ist, finden sich u.a. in Alexiadou, Anagnostopoulou & Schäfer (2006). Oberflächlich betrachtet bleiben bei der intransitiven Variante schlicht eine agentive und eine kausale Bedeutungskomponente unrealisiert bzw. bleiben diese in der Denotation gänzlich unberücksichtigt. Die folgenden Beispiele zeigen, dass in Sprachen wie dem Deutschen und Englischen die transitiven und die intransitiven Varianten morpho-syntaktisch meist homophon sind: a. b. c. d. e. f.
Der Angreifer zerbrach die teure Brille. Der Wind trocknete die Wäsche besonders schnell. Die Seemänner zerrissen das Seil. The mineral-studded rope tore quickly through the wooden beam. The clothes dried in the sun. Rebecca's favorite china plate broke into bits.
Im Deutschen ist bei einer signifikanten Zahl dekausativer Verben - gemeint sind hier die medialen Verben - eine derivationelle Beziehung zwischen den beiden Varianten morpho-syntaktisch mittels eines Reflexivums angezeigt (s. (25)a). Gleiches gilt fur das Russische ((25)b) oder das Quechua ((25)c): (25)
a. b. c.
Die Tür öffnete sich. Lekcija nacalas'. ,das seminar begann + REEL' Pingu-kuna-ka paska-ri-rka. ,door-pl-top open-REFL-past+3'
Alle nicht-medialen dekausativen Verben sind unakkusativ. Wir können also der Unakkusativitätshypothese folgend davon ausgehen, dass das Nomen im Subjekt der Verbkomplexe in (23) mit der ursprünglichen Position des direkten Objekts bzw. des internen Arguments zu assoziieren ist (s. Burzio (1986); Perlmutter (1978)). Dies schlägt sich u.a. darin nieder, dass resultative Phrasen, also Phrasen, die ein eigenes (externes) Argument benötigen, bei dekausativen Verben im Deutschen ohne Reflexivum auskommen (s. (26)), während unergative Verben hier ein Reflexivum benötigen (s. (27)):
66
3 Implizite (26)
a. b.
(27)
a. b.
Ereignispartizipanten
Der fabrikneue Smart zerbrach bei dem Elchtest erwartungsgemäß in zwei Teile. Das gesamte Mobiliar verbrannte innerhalb von Minuten zu Asche. Alice weinte sich die Augen wund. Heinz Erhard lachte sich in die Herzen der frischgebackenen standsbürger.
Wohl-
Die traditionelle Erklärung impliziert (s. u.a. Haie & Keyser (1993)), dass das Resultativum bei unakkusativen Verben über sein benötigtes Argument „tiefenstrukturell" prädizieren kann, indem es an die vorhandene Position des internen Arguments des dominierenden Verbkomplexes andockt bzw. mit ihr fusioniert (vgl. hierzu auch Mateu Fontanais (2000)). Dies ist bei unergativen Verben nicht möglich, da sie über kein internes Argument verfugen, was die Eröffnung einer solchen Position mittels des Reflexivums im Objekt des Verbkomplexes erforderlich macht. Neuere, psycholinguistische Evidenz für die kognitive Realität der Unterscheidung zwischen unakkusativen und unergativen Verben kommt u.a. von Burkhardt, Piñango & Wang (2003) und Poirier & Swinney (2006). Die klassische Unakkusativitätshypothese nach Perlmutter (1978) impliziert, dass das Argument unakkusativer Verben die typischen Eigenschaften eines Themas, das der unergativen Verben hingegen eher agentive Eigenschaften aufweist. Können wir daraus bereits schließen, dass bei dekausativen Verben, die ja unakkusativ sind, „no agency is even implied", wie Palmer (1994: 143)) es formuliert, und daraus wiederum, dass bei dekausativen Verben Kausalität generell gänzlich unbezeichnet bleibt? In einer Vielzahl von Analysen wird dies positiv bzw. in Abhängigkeit von den Typen unakkusativer Verben beantwortet (s. u.a. Chierchia (1989), (2004); Levin & Rappaport-Hovav (1995); Reinhart (1991); Kallulli (2006b). Aber nähern wir uns dieser Frage zunächst einmal aus einem grammatischen Blickwinkel.
3.3.1
Grammatische Dekausativität
Einen wichtigen Hinweis auf den grammatischen Status des nicht realisierten Arguments bei Dekausativa liefern uns die Regelmäßigkeiten, die der lexikalischen Alternation zwischen transitiver und intransitiver Variante zugrunde liegen. Bhatt (2005) führt hierfür die Größe der enzyklopädischen Agentivität ein, wobei es eben genau die Verben sind, die nicht enzyklopädisch agentiv sind (bspw. break, open, tear) und daher eine intransitive, d.h. dekausative Verwendung erlauben. Enzyklopädisch agentive Verben {hit, cut, kill) implizieren in ihren Wahrheitsbedingungen Ereignisse, die nicht ohne ein Agens konzeptualisiert werden können. Allerdings bewegen wir uns mit dieser Definition dekausativierbarer Verben auf einer eher beschreibenden Ebene. Sie besagt nämlich in zirkulärer Weise, wie in (28) vorläufig formal illustriert, dass genau die Verben ohne Agens vorkommen können, die kein Agens enthalten können: (28)
a.
enzyklopädisch agentive Verben: to hit
HlT(e) & AGENT(x,e) & THEME(y,e) —> AGENT(x,e)
3 Implizite
Ereignispartizipanten b.
67
nicht enzyklopädisch agentive Verben: to break
BREAK(e) & THEME(y,e) - > ^AGENT(x,e)
Darüberhinaus handelt es sich hierbei auch nicht um eine universale Eigenschaft, da u.a. in indo-arischen und salischen Sprachen Verben, die enzyklopädische Agentivität (im Englischen) implizieren, die Dekausativ-Alternation eingehen (s. u.a. Bhatt (2005); Masica (1976); Davis (2000)). Systematischer wird die Frage nach der Regelmäßigkeit hinter der Alternation von Levin & Rappaport-Hovav (1995) angegangen. Sie argumentieren, dass nur solche Verben eine Dekausativierung erlauben, bei denen eine natural force (etwa Sturm, Felsbrocken, Erdbeben, Flut) in einer nicht-agentiven/-intentionalen Weise den beschriebenen Zustandswechsel bewirken kann: (29)
a. a.' a." b. b.' b."
Corinna zerbrach die Fensterscheibe. Der Sturm zerbrach die Fensterscheibe. Die Fensterscheibe zerbrach. Hadumod zerschnitt das Band. Das Messer zerschnitt das Band. *Das Band zerschnitt.
In der intransitiven Variante ist es demnach eine (abstrakte) Instantiierung genau dieser nicht-agentiven Entität, welche den Zustandswechsel verursacht. Diese Argumentation wird allerdings dadurch abgeschwächt, dass kausative Verben vorliegen, die eine natural force im Subjekt erlauben, nun aber nicht dekausativiert vorkommen (s. hierzu auch Härtl (2003a)): (30)
a. a.' b. b."
Der Fels erschlug beinahe das kleine Rehkitz. *Das kleine Rehkitz erschlug beinahe. Der Hurrikan Ivan verwüstete die Insel Yucatan. *Die Insel Yucatan verwüstete.
Somit muss das Kriterium der natural force - auch einer derartigen impliziten Größe als eindeutiges Determinane für die Dekausativierungsoption ausgeschlossen werden. Ein zweites Kriterium, das Levin & Rappaport-Hovav (1995) zur Erfassung der Alternation einführen, ist das der Spezifizität der bezeichneten (Teil-) Ereignisse. Demnach erlauben nur die Verben, die das Resultat des mit dem Verb beschriebenen Ereignisses spezifizieren, die dekausative Verwendung. Bei denjenigen Verben hingegen, die eine spezifische Aktivität beschreiben, ist demnach eine Dekausativierung ausgeschlossen. Der Argumentation folgend gehen also nur solche Verben, die keine spezifische Aktivität ausdrücken, die Alternation ein. Gegen diese Annahme spricht das Vorkommen von Verben, die - zumindest im Deutschen - eine Aktivität in ihrem Wesen tatsächlich nicht spezifizieren, wie etwa zerkleinern oder zerstören, aber trotzdem ausschließlich in der transitiven Variante vorkommen, also nicht alternieren. Die Unspezifizität der Aktivität bei zerkleinern und zerstören zeigt sich in den folgenden Beispielen, in denen ein durchAdjunkt die unspezifische Aktivität aufgreift und expliziert, was bei Verben mit spezifischer Aktivität wie zerschneiden prinzipiell nicht möglich ist:
68
3 Implizite (31)
a. a. ' b.
Ereignispartizipanten
Gunnar hat den Garten durch maßloses Bewässern völlig zerstört. Der Chefkoch hat heute die Gurken durch Hacken zerkleinert. Der Schüler hat die Bildchen durch Schnippeln zerschnitten.
Es scheint also, dass auch das Merkmal der Spezifizität der Teil-Ereignisse von kausativen Verben nicht als hinreichendes Kriterium zur Erklärung der Alternation eingesetzt werden kann. In Härtl (2003a) werden daher zur Erfassung der Dekausativierungsoption zwei Faktoren eingeführt, die in ihren Ausprägungen die Alternation lexikalisch steuern. Es sind die Eigenschaften der externen kanonischen Aktivität einerseits und der inhärenten Beschaffenheit andererseits. Letzteres Merkmal erfasst, ob der beschriebene Zustandswechsel in irgendeiner Weise in eine objekt-definierende, also eine zur ontologischen Konstitution eines Objekts notwendige Eigenschaft (s. Kaufmann (1995)) des Thema-Arguments eingreift. Dies ist etwa bei verbrennen der Fall, das ein Ereignis beschreibt, bei dem konstitutive Objekteigenschaften des Thema-Arguments verändert werden. Die Eigenschaft der externen kanonischen Aktivität wiederum erfasst, ob eine proto-typische Aktivität, welche den mit dem Verb ausgedrückten Zustandswechsel herbeiführt, konzeptualisierbar ist, was bspw. bei verbrennen die Aktivität des Anzündens umfasst. Bei verfaulen hingegen wird nur eine konstitutive Objekteigenschaft verändert, was aber seinerseits einer kanonischen, initiierenden Aktivität nicht zugänglich ist. Unter Verwendung einer Kreuzklassifikation mittels der beiden genannten Faktoren lassen sich in diesem Sinne die lexikalischen Alternationsoptionen für Verben des Zustandswechsels vorhersagen. Wohnt den Dekausativa semantisch eine kausale Entität inne? Oft werden zur Beantwortung der Frage, ob bei dekausativen Verben eine kausale Größe als implizites Argument vertreten ist, PRO-Umgebungen herangezogen. Sie enthalten ein kovertes logisches Subjekt, das sich referentiell auf eine kontextuell gegebene Individuenentität beziehen kann. Roeper (1987) führt dazu Beispiele wie die folgenden an (vgl. auch Levin & Rappaport-Hovav (1995)). Sie enthalten passivische Verben, die über ein implizites Agens prädizieren, was den Anschluss eines infiniten Zweckgliedsatzes (,purpose clause') erlaubt: (32)
a. b.
Die Brille wurde zerbrochen, um PRO die Versicherungssumme zu kassieren. Das Seil wurde zerrissen, um PRO die Geschichte glaubwürdig zu machen.
Genau dies ist bei den dekausativen Varianten nicht möglich: Sie enthalten - im Gegensatz zu den passivischen Strukturen - kein implizites Argument, das PRO binden könnte: (33)
a. b.
*Die Brille zerbrach, um PRO die Versicherungssumme zu kassieren. *Das Seil zerriss, um PRO die Geschichte glaubwürdig zu machen.
Verschiedentlich wurde überlegt, ob das hier dargestellte Testverfahren, welches die grammatische (bzw. die syntaktische) Präsenz eines impliziten Arguments belegen soll, denn Gültigkeit haben kann. Bedenken werden u.a. aus semantischer Richtung geäußert, die ausdrücken, dass Kontrollphänomene auf der Basis semantischer oder konzeptueller
3 Implizite
Ereignispartizipanten
69
und nicht syntaktischer Verhältnisse erklärt werden müssen, s. u.a. Chierchia (1984); Farkas (1988), Wurmbrand (2002). Auch Williams (1985) hinterfragt den Test, indem er auf Umgebungen verweist, die ein PRO enthalten, bei denen aber offensichtlich überhaupt gar kein implizites Argument existent sein kann: (34)
Grass is green PRO to promote photosynthesis.
Es sind dies Fälle nicht-obligatorischer Kontrolle, die ein arbiträres PRO aufweisen. Williams zufolge wird PRO in Adjunkten (d.h. in Zweckgliedsätzen) durch den gesamten Matrix-Satz „kontrolliert" und nicht nur durch eine Argument-Entität. Die Strukturen belegen, dass (arbiträres) PRO auch ohne nominales Antezedens lizenziert ist, was gleichzeitig die Gültigkeit des Tests in (32) bzw. (33) in Frage stellen könnte, da hier bei der Interpretation offensichtlich externe konzeptuelle und kontextuelle Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Andere Beispiele beinhalten Fälle von Uminterpretationen, 39 als deren Ergebnis auch ein unakkusativer Verbkomplex im Kontext eines Zweckgliedsatzes zugelassen ist, s. Williams (1985): (35)
a. b.
The boat sank in order PRO to impress the queen and move her to murder her husband by the end of Act iii. Die Fregatte versank einzig, um den König zur Abdankung zu bewegen.
Hierbei handelt es sich allerdings klar um markierte Strukturen, sodass kontextuelle Mehrinformation notwendig ist, um die Strukturen zu lizenzieren. Eine Auslassung der Fokuspartikel einzig in ((35)b) zum Beispiel fuhrt zu einer wesentlichen Verschlechterung des Ausdrucks, 40 was zeigt, dass hier eine pragmatisch geleitete Interpretation vorliegt. Ferner muss die Semantik des Zweckgliedsatzes in Betracht gezogen werden. Er impliziert die Intention eines „Agens", die mit der im Matrix-Satz ausgedrückten Handlung realisiert werden soll. Eine pragmatische Rekonstruktion eines externen (also arbiträren) Kontrolleurs im Kontext von Zweckgliedsätzen kann in vielen Fällen durch eben diese Interpretationsanweisung gesteuert werden. Zum Beispiel erlauben bei entsprechender Einbettung auch Middle-Sätze eine Modifikation mit einem Zweckgliedsatz: (36)
Nutella streicht sich vermutlich nur so schön leicht aufs Brot, um den Verkauf anzukurbeln.
Aber auch hier liegt eine Markierung vor. Üblicherweise wird Middles-Konstruktionen ja die Fähigkeit abgesprochen, Zweckgliedsätze zu beherbergen, s. Abschnitt 3.6. Dies wird etwa von Hoekstra & Roberts (1993) angeführt, um zu zeigen, dass Middles kein syntaktisch aktives Agens aufweisen, das PRO kontrollieren könnte. Ich möchte den generellen Gehalt dieser Überlegung auch hier voraussetzen und weiterhin (später allerdings nicht uneingeschränkt) davon ausgehen, dass in kanonischen Fällen lizenzierte Zweckgliedsät39
Zum Problemfeld begrifflicher Uminterpretationen s. u.a. Maienborn (1996), die entsprechende Vorgänge prinzipiell als nicht-kompositionale Operationen der konzeptuellen Ebene sprachlicher Strukturbildung zuordnet. Ich danke Claudia Maienborn für diesen Hinweis.
70
3 Implizite
Ereignispartizipanten
ze auf ein implizit oder explizit gegebenes Agens verweisen. Dies drückt sich u.a. darin aus, dass PROs in Zweckgliedsätzen bei Existenz eines logisch impliziten Agens-Arguments dieses auch stets als Antezedens nutzen und nie arbiträr interpretiert werden: (37)
*Das Boot wurde versenkt, PRO ARB um die Versicherung zu kassieren.
Das heißt, es besteht eine Präferenz dahingehend, in Zweckgliedsätzen PRO präferiert mit einem logisch impliziten Agens-Argument und nicht mit einem externen bzw. arbiträren PRO zu assoziieren. Daher bleibt in Null- bzw. neutralen Kontexten, wie die Beispiele in (33) und (38) zeigen, PRO in dekausatien Umgebungen eben unkontrolliert sie weisen kein implizites Agens auf: (38)
* Es sank PRO um etwas zu bewirken.
Eine weitere kritische Überlegung in Williams (1985) zu den genannten Tests betrifft implizite Agens-Argumente von Nomina. Es wird argumentiert, dass in einer DP wie in ((39)b) PRO legitim, also offensichtlich kontrolliert ist, obwohl hier yesterday die syntaktische Position des impliziten Agens besetzt. (39)
a. b.
attempts PRO to leave yesterday's attempts to leave
Dies spricht nach Williams dafür, dass auch hier ein Agens PRO kontrollieren kann, ohne grammatisch (i.e. syntaktisch) überhaupt realisiert zu sein. Bhatt & Pancheva (2006) allerdings bezweifeln die Legitimität dieses Einwands und verweisen darauf, dass yesterday nicht die Position des externen Arguments besetzen kann, da es neben einem explizit syntaktisch realisierten Agens auftreten kann: (40)
yesterday's teachers' strike
Ein anderer Typ von Einwand an dem besprochenen Testverfahren hängt mit den folgenden Beispielen zusammen: 41 (41 )
a. b.
*The ship was sunk PRO to become a hero. *The song was composed PRO to become an idol.
Ähnliche Abweichungen lassen sich auch im Deutschen konstatieren: (42)
a. b.
*Der Tresor wurde geknackt, PRO um ein Held zu werden. *Ein solcher Song wird geschrieben, PRO um ein Superstar zu werden.
Strukturen wie diese werden des Öfteren angeführt, um zu zeigen, dass das implizite Agens eines Passivs nicht konstant in der Lage sei, PRO zu kontrollieren, vgl. Bhatt & Pancheva (2006); s. Lasnik (1988), was den Kontrolltest in seiner Erklärungskraft wiede41
Ich danke Andrew Mclntyre für Anregungen zu diesem Punkt.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
71
rum schwächt. Nicht-lizenziertes PRO verweist demnach nicht notwendigerweise darauf, dass im Matrix-Satz kein implizites Argument existiert, wie die Beispiele in (41) und (42) nahelegen. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend, da die Lizenzierung von Kontrolle (und das gilt eben insbesondere bei Zweckgliedsätzen, s.o.) auch auf anderen sprachlichen und pragmatischen Faktoren als der Existenz eines impliziten Arguments füßt. Offensichtlich ist die in (41) und (42) beobachtete Abweichung vielmehr der Semantik des nominalen Prädikativs (i.e. a hero, ein Superstar) geschuldet bzw. den Eigenschaften der Kopula-Prädikativ-Konstruktion mit to become bzw. werden. Dies zeigt sich bei Austausch des nominalen Prädikativs mit einem adjektivischen Prädikativ, welches in der fraglichen Umgebung wesentlich besser ist: (43)
a. b.
Der Tresor wurde geknackt, PRO um reich zu werden. Ein solcher Song wird geschrieben, PRO um berühmt zu werden.
Besser werden entsprechende Ausdrücke auch unter numerischer Spezifizierung des Themas im Matrix-Satz: 42 (44)
a b.
Es müssen mindestens drei Boote versenkt werden, PRO um ein Held zu werden. In Neuseeland müssen fünf Sprachtests bestanden werden, PRO um ein staatlich anerkannter Dolmetscher zu werden.
Man beachte, dass in (44) neben der Quantifizierung auch ein generische Interpretation vorliegt. Generizität ist eine Eigenschaft, die Einfluss auf die temporale Festlegung eines Satzes hat. Aus ähnlichem Grund ist offensichtlich auch folgender Satz wesentlich besser als jene in (42): (45)
Das Studium wurde schnell beendet, PRO um ein gut bezahlter Arzt zu werden.
Die Angelegenheit kann an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. 43 Sie macht aber grundsätzlich deutlich, dass hier externe Faktoren jenseits der Argumentrealisierungen im Matrix-Satz eine entscheidende Rolle spielen. Die Beispiele wie in (41) oder (42) können daher mitnichten eingesetzt werden, um zu zeigen, dass das genannte Testverfahren nicht zum Nachweis eines impliziten Agens eingesetzt werden kann. Vielmehr zeichnen für die Abweichung die spezifischen Eigenschaften der Zweckgliedsätze, d.h. der Kopula-Prädikativ-Konstruktion mit nominalem Komplement verantwortlich. 42
Diese Einsicht verdanke ich Angelika Wöllstein. Eventuell spielt das semantisch-konzeptuelle Kriterium der Kontrolle hier eine Rolle: werdenKonstruktionen scheinen eine Interpretation zulassen zu müssen, nach welcher die bezeichnete Situation unkontrolliert ist, vgl. Die Eintrittskarte wurde wertlos (unkontrollierter Zustandswechsel möglich) vs. *Die Eintrittskarte wurde kostenlos (Zustandswechsel nur kontrolliert möglich). Die Unakzeptabilität von (42) könnte damit in Zusammenhang gebracht werden, dass hier stets nur kontrollierte Situationen vorliegen, vgl. Härtl (2005). Ich will es bei dieser Überlegung hierzu bewenden lassen.
72
3 Implizite Ereignispartizipanten
Die besprochenen Einwände an dem Testverfahren mittels PRO-Umgebung sind also nicht haltbar und wir können auch den Kontrast zwischen (32) und (33) tatsächlich als Evidenz dafür werten, dass dekausative Verben ein implizites agentives Argument auch grammatisch nicht ausdrücken. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung führt die Ungrammatikalität von ¿/wrc/z-Adjunkten bei dekausativen Verbkomplexen, welche bei Passiva wiederum legitimiert sind: (46)
a. b.
*Die Brille zerbrach durch den Angreifer. Die Brille wurde durch den Angreifer zerbrochen.
Dieser Typ von Adjunkt realisiert das in der Projektion des verbalen Prädikats implizit gelassene externe Argument, was bei dekausativen Verbkomplexen nicht möglich ist, da sie - so der Schluss - kein solches implizites Argument beinhalten (vgl. Levin & Rappaport-Hovav (1995), s. hierzu auch Abschnitt 3.3.5 unten). Dass ebenso wenig Kausalität Bestandteil der grammatischen, lexikalisch-semantischen Struktur dekausativer Verben ist, legt der folgende Bedeutungskontrast nahe: (47)
a. b.
Dem wenig begabten Assistenzarzt ist gestern eine Ampulle zerbrochen. Dem wenig begabten Assistenzarzt wurde gestern eine Ampulle zerbrochen.
Der Kontrast zeigt etwas Wesentliches: Die DP dem Assistenzarzt, ein Dativus Incommodi, in ((47)a) wird als (nicht intentional handelnder) Verursacher des bezeichneten Zustandswechsels interpretiert. Ein solcher „Dativ-Causer" ist bei der passivischen Struktur in ((47)b) nicht möglich. Hier ist es stets ein externer Verursacher - nämlich das zurückgestufte Agens - , der für den Zustandswechsel verantwortlich zeichnet. In Härtl (2003a) wird dieser Unterschied damit motviert, dass dekausativen Strukturen eben kein kausales Prädikat inhäriert und somit eine (Re-) Integration einer kausalen Bedeutungskomponente möglich ist. Genau dies ist unter der gewünschten Lesart bei passivischen Strukturen unmöglich, da sie bereits ein kausales Prädikat enthalten und die Integration eines weiteren kausalen Prädikats zu einer illegitimen Dopplung dieser Bedeutungskomponente führen würde. Die folgenden SRen erfassen diesen Kontrast, der freie Dativ wird hier im Sinne von Olsen (1997); Wunderlich (1996) als lexikalisch hinzufugbares Prädikat [CAUSE ... POSS] repräsentiert: (48)
a.
b.
nicht-akzeptable Interpretationsanweisung im Passiv-Komplex: * λy λχ λε [e INST [CAUSE(x, BECOME [BROKEN(y))]] & [CAUSE(x, -POSS(x,y))]] korrekte Interpretationsanweisung im Passiv-Komplex: λ y λ ζ 3 x λ ε [ e INST [ C A U S E ( X , B E C O M E [ B R O K E N ( y ) ) ] ] &
(49)
a.
[^POSS(z,y))J]
Interpretationsanweisung im Dekausativ-Komplex: λy λζ λε [e INST [BECOME [BROKEN(y)]] & [CAUSE(z, ^POSS(z,y))]]
3 Implizite
73
Ereignispartizipanten
Man sieht, dass im Passiv in ((48)a) die Konstante CAUSE doppelt auftritt. Die entsprechende SR gibt eine ungültige Interpretation wieder, die für den passivischen Verbkomplex in einer regelwidrigen Weise impliziert, dass das Dativ-Argument auch der Verursacher des Zustandswechsels sein soll. Soriano (1999) argumentiert, dass ein freier Dativ bei dekausativen Verben mit einer ja unbelegten - externen Argumentposition des Dekausativs assoziiert sei. Auch Levin und Rappaport-Hovav (1995) meinen, dass das externe Argument bei dekausativen Verben lediglich zurückgestuft und „lexically bound" und die kausative Komponente Teil der Verbbedeutung sei. Dies legt eine SR wie die folgende nahe: (50)
λγ 0X λε [e
INST [CAUSE(X, BECOME
[BROKEN(y))]] & [-'POSS(x,y))]] 4 4
Diese Annahme kann den Wahrheitsbedingungen von Sätzen wie ((47)a) allerdings nicht entsprechen: Einerseits ist eine externe Argumentstelle in dekausativen Komplexen eben nicht disponibel (s. die Beispiele in (33) oben), was den Unterschied zur passivischen Alternative ausmacht. Daneben zeigt ein Vergleich mit nicht-alternierenden unakkusativen Verben (s. (51 )a), dass eine SR wie in (50) nicht korrekt sein kann. (51)
a. b.
Schon wieder ist dem ungeschickten Günther ein Luftballon zerplatzt! Schon wieder ist dem jungen Assistenzarzt eine Ampulle zerbrochen!
Bei nicht-alternierenden Verben wie zerplatzen erzeugt die Hinzufiigung eines freien Dativ eine Interpretation parallel zu einem alternierenden dekausativen Verb wie in ((51)b). Nicht-alternierende Unakkusativa verfügen aber in jedem Falle weder über ein CAUSE-Prädikat noch ein externes Argumment, weshalb für einen Verbkomplex wie in ((51)a) eine zu (50) analoge SR nicht angenommen werden kann. Bliebe also die Annahme zweier unterschiedlicher Repräsentationen für ((51 )a) versus ((51 )b), was wiederum aufgrund der semantischen Parallelität der beiden unschlüssig scheint. Analysen, aus denen (50) folgt, können daher nur bedingt als korrekt angesehen werden: Die Position des externen Arguments ist bei Dekausativa tatsächlich nicht belegt, da bei ihnen jedoch das gesamte Prädikat CAUSE aus der semantischen Repräsentation gelöscht ist, ist diese Position auch prinzipiell grammatisch unzugänglich. Diese semantische Konstellation kann auch der Bedeutungskomponente der Nicht-Intentionalität des Dativ-DP Rechnung tragen. Eine Repräsentation wie in (50) hingegen würde - besonders bei Belebtheit des externen Arguments - in ihrer kanonischen Interpretation eine intentionale Lesart hervorbringen. Insgesamt betrachtet führt dies zu dem Schluss, für dekausative Verben wie auch für unakkusative, nicht-alternierende Verben eine sparsame semantische Repräsentation wie in (52) anzunehmen, die ausschließlich einen Zustandswechsel bezeichnet: (52)
Unakkusative Verben: Xy λ ε [e INST [BECOME [BROKEN(y)]]]
44
0 steht für „lexically bound" mit vorläufig formalem Status.
74
3 Implizite Ereignispartizipanten
Schauen wir uns nun einige grammatische Konstellationen, in denen unakkusative Verben des genannten Typs vorkommen können, einmal etwas genauer an und prüfen die Umgebungen, die auf eine scheinbare Kausalität bzw. Kausativität auch bei dekausativen Verben deuten und damit gegen die lexikalisch-semantische Struktur in (52) sprechen könnten.
3.3.2
Unakkusativität und der Dativ-Causer
Zunächst einmal ist zu klären, wie sich lexikalische Anschließbarkeit einer Dativ-DP mit der Interpretation eines Verursachers wie in (47) syntaktisch niederschlägt. Der (In-) Commodi-Dativ wird j a traditionellerweise als Ausdruck einer Person oder Sache, zu deren Vor- bzw. Nachteil etwas geschieht, definiert (s. Bußmann (2002); Wegener (1985), (1991)). In Ansätzen zur syntaktischen Dekomposition nun (u.a. Haie & Keyser (1993); von Stechow (1995)) wird dieser Dativ häufig als affected dative bzw. affected applicative bezeichnet (s. u.a. Cuervo (2003a), (2003b); Mclntyre (2006)). Die semantische Komponente der Betroffenheit ist auch durch den anderen, hier interessierenden Typ von Dativ-DP, i.e. dem Dativ-Causer impliziert (s. u.a. Härtl (2003); Kallulli (2006a); Schäfer (2005)). Zusätzlich steht bei diesem jedoch das bezeichnete Individuum in einer ursächlichen Relation zum mit dem Verbkomplex ausgedrückten Zustandswechsel. Für beide Typen von Dativ ist in jedem Falle das Vorhandensein eines affizierten bzw. effizierten Objekts ((53)a) und ((53)b) vonnöten, weshalb also bspw. unergative Strukturen wie in ((53)a') und ((53)b'), die kein solches Objekt aufweisen, einen entsprechenden Dativ nicht lizenzieren (vgl. Wunderlich (1996)). Die Lesart eines Vemrsachers erhält die Dativ-DP immer dann, wenn keine salientere (etwa eine intentional erreichte) Verursachungsrelation im Verbkomplex bezeichnet ist ((53)c). Falls eine solche ausgedrückt ist, weicht die Interpretation fur die Dativ-DP entsprechend auf die einzig mögliche Incommodi-Lesart aus ((53)c'): 45 (53)
a. a.' b. b.' c. c.'
Der kleine Junge heulte der Mutter die Ohren voll. *Der kleine Junge heulte der Mutter. Die Mutter kochte dem Sohn eine Suppe. *Dem Sohn kochte eine Suppe. Die geheime Akte verbrannte dem Novizen. Der Abt verbrannte dem Novizen die geheime Akte.
Die Beispiele machen deutlich, dass zum Anschluss einer Dativ-DP an eine einstellig prädikative Struktur das entsprechende Argument als ein internes Argument - im Sinne der Unakkusativitätshypothese lt. Burzio (1986) oder Perlmutter (1978)) - fungieren muss. Und wenn wir nun den neueren Analysen zur syntaktischen Dekomposition folgen 45
Diese Systematik liefert uns übrigens auch die pragmatisch motivierte Begründung für die Interpretation der Nicht-Intentionalität für Dativ-DPn dieses Typs: Die Verwendung einer nichtkanonischen Konstruktion - wie der Dativ-DP zum Ausdrucks eines Verursachers - erzeugt eine Interpretation, welche von der der kanonischen - in diesem Falle eine, die Intentionalität impliziert - abweicht (zu den Regularitäten im Ausdruck markierter Situationen s. u.a. Horn (1984); Blutner (2002); McCawley (1978)).
3 Implizite
75
Ereignispartizipanten
und annehmen, dass eine Dativ-DP in der Spezifizierer-Position einer Projektion eines Applikativkopfes (i.e. ,applicative head', s. u.a. Cuervo (2003a); Marantz (1993); McGinnis (2000)) bzw. eines VDAT, wie ihn Mclntyre (2005) vorschlägt, lizenziert ist, projizieren (unakkusative) Komplexe mit Verben wie zerbrechen oder auch kaputt gehen und Dativ-DP wie folgt: (54)
... der Anne der Teller zerbricht / kaputt geht. ^become
DPdat
Appi'
DPobj
V obc
+root
(state) der Anne
der Teller
kaputt geh- / zerbrech-
Abbildung 5: Unakkusative Syntax mit Dativ-DP/ApplP
Die Annahme ist, dass der dativlizenzierende Kopf Appi 0 nur die Art von v-Projektion selegieren kann, die auf der Oberfläche als unakkusative Struktur erscheint. Bei den entsprechenden transitiven, kausativen Komplexen ist die ApplP strukturell zwischen den v-Projektionen für das verursachende und das verursachte Ereignisses eingeordnet, s. Cuervo (2003b); McGinnis (2000). Die Interpretation der DP als Causer geht also systematisch mit strukturellen Konstellationen einher und die Lesart der DP als Dativ-Causer ergibt sich demzufolge nicht bei Strukturen, die keine unakkusative Syntax aufweisen. Dies ist bspw. bei antikausativen, medialen Verben der Fall, die syntaktisch transitiv sind und die Interpretation der DativDP in die einzig mögliche (In-) Commodi-Lesart verweisen: (55)
a. b.
Dem Freundlichen öffnen sich Tür und Tor. Feindseligen Menschen verschließen sich die Herzen.
Hier wird die Dativ-DP nicht als Causer interpretiert. Komplett ausgeschlossen ist die Dativ-DP demgemäß bei Verben, wenn diese die (In-) Commodi-Lesart aufgrund spezieller ontologischen Bedingungen überhaupt nicht zulassen: (56)
a. b.
?? ??
Dem Chefkoch erhitzte sich die Suppe. Das Wasser kühlte sich der Köchin binnen einiger Minuten ab.
76
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Auch Schäfer (2005) und Steinbach (2002) ordnen antikausative Verben, die über ein reflexives Pronomen verfugen, als syntaktisch transitiv ein.46 Die Transitivität dieses Verbtyps zeigt sich nicht nur an der semantischen Interpretation der Dativ-DP, sondern auch daran, dass diese Verben die typischen Unakkusativitätstests nicht bestehen, was die Wahl des Perfekt-Auxiliars (s. (57)) oder auch adjektivische Partizipien (s. (58)) betrifft: (57)
a. b.
Die Kirchentore haben/*sind sich geöffnet. Der Wecker hat/*ist sich von selbst verstellt.
(58)
a.
Tür sich öffn- die geöffnete Tür Buch les- das gelesene Buch aber: Kind wein- *das geweinte Kind
b. c.
Dass die Dativ-DP mit Causer-Lesart nur mit unakkusativer Syntax verträglich ist, sehen wir u.a. auch daran, dass Kopula-Prädikativ-Konstruktionen, die einen Zustandswechsel analytisch mittels der Kopula werden ausdrücken, mit einem Dativ-Causer nicht kombinierbar sind: (59)
a. k
Dem Sammler ist unglücklicherweise die teure Briefmarke eingerissen, "Dem Sammler ist unglücklicherweise die teure Briefmarke wertlos geworden.
Kopula-Prädikativ-Konstruktionen - obwohl sie eine „unakkusative" Semantik aufweisen und daher die typischen Tests bestehen - figurieren syntaktisch nicht als Unakkusativa, sondern spannen eine eigenständige verbale Projektion auf, in deren Spezifizierer das Subjekt der Konstruktion generiert wird (s. Härtl (2006); Löbel (2000)):
46
Man vergleiche hierzu auch Haider (1985), nach dem das Reflexivum aber die externe Rolle des verbalen Prädikats sättigt. Etwas anders verfährt Bierwisch (2006a): Auch er behandelt mediale Verben des Typs sich ändern als zweistellige Verben. Ihre externe Argumentrolle ist jedoch „leer", d.h. sie weist keine ihr zugehörige Variable in der Semantischen Form der betreffenden Verben auf. Diese semantisch leere externe Rolle (i.e. x) ist daher ein „unechtes" Argument und die Position y wird per definitionem morpho-syntaktisch mit einem Reflexivum assoziiert, s. ebd., S. 30 (Index REFL ist durch mich hinzugefugt): (i) / änder / { y^·,., χ } [ BECOME [ DIFFERENT y ]]
3 Implizite
77
Ereignispartizipanten
(60)
... die Marke wertlos wird. VP
AP
Vo
I A° die Marke
wertlos
werd-
Abbildung 6: Syntax der Kopula-Adjektiv-Konstruktion mit werden
Somit ist erklärt, wie die Anschließbarkeit der Dativ-DP mit der Lesart eines Verursachers mit bestimmten syntaktischen Konstellationen einhergeht, die mit den semantischen Vorgaben korreliert werden müssen, um die Distribution der Konstruktion vollständig erfassen zu können.
3.3.3
von selbst als Implikatur-Annulierer bei Dekausativa
In einigen Arbeiten wird die Modifizierbarkeit von Dekausativa mit Modifizierern wie von selbst (s. bspw. Chierchia (1989); Levin & Rappaport-Hovav (1995)) herangezogen, um nachzuweisen, dass - entgegen der hier formulierten Annahme - eine kausale Komponente Teil der grammatisch determinierten Bedeutung von Dekausativa wie in ((61)a) ist. Demnach sind bei einer vow-se/òs/-Modifikation das externe (Causer-) Argument und das interne Argument koreferentiell. Dem entgegenzuhalten ist auch hier, dass nichtalternierende Unakkusativa (s. (61)b) semantisch analog auf diese Art modifiziert werden können, bei ihnen eine CAUSE-Komponente jedoch lexikalisch-semantisch überhaupt nicht in Betracht kommt: (61)
a. b.
Der Teller ist von selbst zerbrochen, Der Reifen ist von selbst zerplatzt.
Man beachte die Parallelität in der Bedeutung der beiden Beispiele. Ein Unterschied in kausalen Bedeutungsanteilen lässt sich nicht konstatieren, was bei den o.g. Ansätzen die Folge wäre. Piñón (2000) merkt zu o.g. Ansätzen daneben an, dass eine Integration einer CAUSE-Komponente hier inkorrekte Schlussfolgerungen über Ausdrücke dieser Art erzeugt, da sie nicht bedeuten, dass das Thema „intentionally did something that caused it to get broken", s. Piñón (2000: 12). Hinzuzufügen ist an dieser Stelle, dass von selbst sich auch deshalb nicht als Diagnostikum eignet, da mit ihnen ein breites Spektrum auch an nicht-kausativen Ereignisausdrücken modifiziert werden kann: (62)
a. b. c.
Helen schrieb von selbst los. Berti erreichte ihr Ziel ganz von selbst. HP-Drucker drucken manchmal von selbst.
78
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Die aus Ausdrücken wie in (62) zu ziehende Inferenz ist einzig, dass das Ereignis ohne Hilfe bzw. Anweisung von außen abläuft. Daher können Ausdrücke, die ein Ereignis bezeichnen, das ausschließlich ohne äußere Initiation erfolgt, auch nicht mit von selbst modifiziert werden, da dies eine unerwünschte Tautologie erzeugen würde (s. hierzu Härtl (2004)): (63)
a. b. c.
??
Das Nachbarskind wurde ganz von selbst ziemlich groß. Die unbehandelte Frucht verfaulte schnell von selbst. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel von selbst.
Die Anschließbarkeit von von selbst bei unakkusativen Ausdrücken des Typs in (61) ist also auf andere Weise zu begründen. Ich plädiere dafür, diesen Fall aus der Grammatik auszulagern und hierfür stattdessen die spezifischen konversationeilen Implikaturen, welche Verben des Zustandswechsels auslösen, verantwortlich zu machen: Von selbst ist genau bei den Konstruktionen erlaubt, die einen Verursacher bzw. eine Verursachungsrelation in irgendeiner Weise nahe legen bzw. pragmatisch implizieren. (64)
Proposition: Der Teller ist zerbrochen. Implikatur: Also hat den Teller jemand/etwas zerbrochen.
Unterstützung für die Annahme, dass Verursachungen auch pragmatisch impliziert (im Gegensatz zu logisch impliziert wie bei den Passiva) sein können, kommt aus der Kognitionspsychologie. Bereits Houssiadas (1964) hat festgestellt, dass Veränderungen stets als verursacht wahrgenommen werden, auch dann, wenn keine solche Verursachungsrelation explizit angegeben bzw. wahrnehmbar ist (s. auch Hecht & Kerzel (1999)). Wir werden diesen wichtigen Aspekt im nächsten Abschnitt noch genauer unter die Lupe nehmen. Eine typische Eigenschaft konversationeller Implikaturen ist es, annullierbar zu sein (s. Grice (1975), Abschnitt 3.2)). Genau dies leistet von selbst: Es annulliert die k-implizierte Verursachungsrelation und löscht diese aus der konzeptuellen Bedeutungsrepräsentation. Der Modifizierer von selbst ist also immer dann möglich, wenn eine entsprechende Implikatur vorliegt bzw. vorliegen kann und auch löschbar ist. Von selbst wiederum impliziert seinerseits, dass keine konkrete Individuengröße für den bezeichneten Zustandswechsel verantwortlich zeichnet. Folgende Beispiele zeigen, dass der Anschluss von von selbst bei einer Vielzahl von Typen von Verbkomplexen (i.e. Activity-, Zustande- und nicht-kausativen AchievementVerben) möglich ist und zwar auch dann, wenn eine entsprechende Verursachungsrelation semantisch erzwungen werden kann bzw. muss: (65)
a.
Klaus hat heute ganz von selbst ein Buch gelesen. Gelöschte Implikatur: Jemand hat ihn dazu angeregt.
b.
Thomas wusste die Antwort diesmal ganz von selbst. Gelöschte Implikatur: Jemand hat sie ihm gesagt.
c.
Das marode Hüttchen ist von selbst eingestürzt. Gelöschte Implikatur: Jemand hat es abgerissen.
3 Implizite
79
Ereignispartizipanten
Entsprechend weniger gut möglich ist der Anschluss, wenn eine Verursachungsrelation nur schlecht k-impliziert 47 werden kann, wie etwa bei den folgenden Beispielen von individual level predicates (s. (66)a/b) oder solchen, bei denen die Konzeptualisierung einer Verursachung etwa aus bio-physischen Gründen erschwert wird ((66)c/d): (66)
a. b. c. d.
??
Robert hat ganz von selbst blaue Augen. Annabelle ist ganz von selbst ein intelligentes Mädchen. ?? Der Apfel ist von selbst verfault. Der Schnee ist über Nacht von selbst getaut.
Es zeigt sich also auch für diesen Phänomenbereich, dass die Annahme einer kausalen Komponente in der lexikalisch-semantischen Repräsentation dekausativer Verben ungerechtfertigt ist. Dies fuhrt zu dem Schluss, dass wir die grammatische Repräsentation in (52) weiterhin als beschreibungsadäquat ansehen können.
3.3.4
a«-/w«ter-Phrasen als Umstands-Angaben
Auffallig ist, dass in einigen unakkusativen Konstruktionen diese mit einem Adjunkt mit an bzw. unter modifiziert werden können, welches - ähnlich der voM-Phrase bei Passiva - eine externe Ursache für den ausgedrückten Zustandswechsel scheinbar grammatisch auszudrückt. Das englische Äquivalent hierfür ist die/rom-Phrase: (67)
a. b. c. d.
König Arthur starb an Herzversagen. Die Große Koalition zerbrach unter dem Druck des Beethoven died from lead poisoning. The walls cracked from the detonation.
Bankenskandals.
Nach Kallulli (2006b) bspw. identifiziert dieser Typ von Modifizierer den externen Verursacher in Unakkusativa, was die Autorin zu folgender Schlussfolgerung führt: Sowohl vort-Phrasen in Passiva als auch Phrasen des Typs in (67) unterscheiden sich nicht sich in ihrer Fähigkeit, (implizite) Causer-Argumente zu identifizieren. Ähnliches meinen Alexiadou et al. (2006: 201), die davon ausgehen, dass Adjunkte der Art in (67) „point to the presence of an implicit causer" in den betreffenden Verbstrukturen. Aus diesem Grunde - so die Autoren - könne der Unterschied zwischen Passiv und Dekausativ/Unakkusativ nicht an der Existenz eines impliziten Arguments festgemacht werden. Vielmehr sei es lediglich das Merkmal der Agentivität, dass den Unakkusativa im Gegensatz zu den Passiva fehle, und welches dann nur bei letzteren die typischen von-Phrasen lizenziere. Diese Generalisierung wird m.E. jedoch in Frage gestellt, wenn man bedenkt, dass Konstruktionen des Typs in (67) in ihrer Distribution stark eingeschränkt sind und bei weitem nicht das Maß an Kompositionalität wie das der von-Phrasen aufweisen. So erlauben bspw. einige semantisch nah verwandte Ausdrücke keine solchen Angaben des Umstandes bzw. Grundes fur den denotierten Zustandswechsel, s. ((68)a). In ähnlichem Maße scheinen w«ter-Phrasen auf einen bestimmten Typ von Umstands-Angabe festgelegt zu sein. Sie legitimieren daher nicht jede beliebige, an sich konzeptualisierbare Entität im Komplement der Präposition, s. ((68)b): 47
Siehe Fußnote 4.
80
3 Implizite (68)
a. b.
Ereignispartizipanten
*König Arthur entschlief an Herzversagen. Die wertvolle Lampe zerbrach unter dem Stoß.
??
Darüberhinaus kann das Komplement der Präposition einer Umstands-Angabe - anders als das bei den Passiva und den dazu gehörigen von-Phrasen der Fall ist - nur schlecht im Subjekt eines entsprechenden aktiven Verbkomplexes auftreten: (69)
a. b.
??
Herzversagen tötete den Patienten. Der Druck der Explosion zerbrach die Fenster.
Es scheint sich hier also weniger um ein systematisches Aufgreifen eines implizit gelassenen Arguments bzw. Verursachers zu handeln, sondern vielmehr um eine Spezifikation der eigentlich internen Ursache fur den Zustandswechsel bzw. um eine Angabe der situativen Umstände, in die der beschriebene Zustandswechsel eingebettet ist. Die Plausibilität dieser Annahme zeigt sich daran, dass die Versprachlichung einer tatsächlich externen Verursachungsrelation mittels einer Umstands-Angabe nicht möglich ist: (70)
a. b.
"König Arthur starb an Erstechen. Die Glasplatte zerbrach unter dem Getrampel.
Ein weiteres Indiz fur die genannte Annahme ist, dass ein Dativ-Causer neben einer Umstands-Angabe gut existieren kann: (71)
a. b.
Der Patient starb dem Arzt an Herzversagen. Unter dem starken Druck ist dem Mechaniker die Glasplatte zerbrochen.
Würde die Umstands-Angabe tatsächlich die externe Ursache für den Zustandswechsel beschreiben, würde eine weitere Explizierung dieser Ursache in eine Unakzeptabilität bzw. Re-Interpretation fuhren, wie dies bei den Passiva der Fall ist, bei denen eine DativDP stets nur als (In-) Commodi, aber nicht als Causer interpretiert werden kann (vgl. hierzu Abschnitt 3.3.2): (72)
a. b.
Die wichtige Urkunde ist der Erbin verbrannt worden, Dem Kapitän ist das stolze Schiff versenkt worden.
Insgesamt sehen wir also, dass die Adjunkte des genannten Typs keine externe Verursachungsrelation aufgreifen, sondern vielmehr als Modifizierer aufzufassen sind, die den Zustandswechsel in seiner internen Wirkstruktur bzw. dessen situative Umstände näher beschreiben. Die hier behandelten Ausdrücke ähneln in diesem Sinne den bei Dekausativa möglichen durch-Phrasen, die ebenfalls eine Ursache-Wirkung-Beziehung episodisch auf konzeptueller Ebene kodieren und daher mit einer Vielzahl von Veränderungsprädikaten kompatibel sind, was im nächsten Abschnitt genauer diskutiert wird. Ein systematischer Zusammenhang mit der Argumentstruktur der hier interessierenden Verbkomplexe ist demnach also nicht zu verzeichnen, was es uns erlaubt, die Hypothese weiterhin aufrechtzuerhalten, dass dekausative bzw. unakkusative Verbkomplexe tatsächlich nicht-
3 Implizite
Ereignispartizipanten
81
kausativ und monadisch in ihrer Argumentstruktur sind. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob wir fur die außersprachliche konzeptuelle Struktur von einer identischen Konstellation ausgehen sollen oder ob es vielmehr so ist, dass ein kausaler Zusammenhang bei dekausativen Verben vielleicht tatsächlich konzeptualisiert ist, der dann fur die grammatische Repräsentation herausgefiltert werden muss. Dieser Frage widme ich mich im folgenden Abschnitt.
3.3.5
Konzeptuelle Kausalität dekausativer Verben?
Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir in einem ersten Schritt außersprachliche konzeptuelle Eigenschaften von Ausdrücken mit ihrem kontextuellen Verhalten und den Informationen, die sie in den Diskurs einzubringen in der Lage sind, assoziieren. Dabei wird deutlich werden, dass bei Dekausativa - anders als bspw. bei intransitivierten Verben mit stereotypischem internen Argument 48 oder bei Passiva - ein diskursstrukturelles Wiederaufgreifen eines etwaigen Argumentausdrucks nicht erlaubt ist. Dies zeigt sich in den kontrastiven Folgesätzen der Beispiele in (73): (73)
a.
b.
c.
Sieh mal an, der Sven liest mal. Aber das ist nicht etwa ein Buch, sondern natürlich ein BoulevardBlatt! Wer hätte das gedacht, Joan Collins wird doch bewundert. Aber das sind nicht etwa die Fans, sondern vielmehr die Rechtsanwälte! Die Angelsehne ist nun doch zerrissen. Aber das war nicht etwa die Helen, sondern der Leo!
In Korrektur-Konstruktionen dieser Art wird eine Entität, d.h. das Corrigendum, als falsch markiert und mittels einer so«zg-Konstruktionen nicht notwendigerweise ein Interrogativ und eine Argument-Position in Beziehung gesetzt werden. Vielmehr kann sich das Interrogativ auf einen beliebigen Typ von anschließbarem Ausdruck beziehen, es erzwingt somit in jedem Falle eine Anpassung des Ausdrucks im Vortext, wie auch die folgenden Beispiele zeigen: (8)
a. b.
Dornröschen schlief, aber der König sagte dem Prinzen nicht, wie. Der Kandidat kannte die Antwort, aber der Quizmaster wusste nicht, warum.
Die einzige Anforderung an das Interrogativ ist es, sich nicht auf grammatisch nicht anschließbare Ausdrücke zu beziehen: (9)
a. b. c.
*Der Fußgänger stürzte, aber der Polizist wusste nicht, was. *Der Spiegel zerbrach, aber der Butler wusste nicht, wer/von wem. Paul hat unglaublich blaue Augen, aber keiner weiß, wie.
Frazier & Clifton (1998) und Dickey & Bunger (2003) haben festgestellt, dass SluicingKonstruktionen, die eine Argument-Position betreffen, einen Verarbeitungsvorteil haben gegenüber solchen, die eine Adjunkt-Position betreffen. Dies kann damit begründet werden, dass Argument-Positionen bereits mit der Verarbeitung der grammatischen Struktur des ersten Gliedsatzes aktiviert sind, was für Adjunkte nicht gilt, und eine Koindizierung zwischen der Anapher und dem Antezedens damit erleichtert wird. Auch in Hirotani (2003) wird ein entsprechender Effekt berichtet. Der Untersuchung wurde allerdings ein wesentlicher Faktor hinzugefügt: Es zeigt sich nämlich, dass immer dann, wenn ein entsprechender nominaler Ausdruck sich durch Vorerwähnung bereits in der Diskursdomäne befindet, der Verarbeitungsvorteil für die Argument-Anapher aufgehoben wird. Dann werden Adjunkt- und Argument-S/uzc/rtg-Konstruktionen wie die folgenden gleichermaßen schnell verarbeitet (s. Hirotani (2003)):
3 Implizite (10)
Ereignispartizipanten a.
109
ADJUNKT-SCLUICING MIT VORERWÄHNUNG:
Where did the secretary type? She typed but I don't know where. b.
ARGUMENT-SCLUICING MIT VORERWÄHNUNG:
What did the secretary type? She typed but I don't know what. Die Aufhebung des Verarbeitungsunterschiedes kann auf das Wirken eines diskursstrukturellen Prinzips - und zwar das der Diskurskohärenz - zurückgeführt werden: Laut Centering-Theorie60 (s. u.a. Grosz & Sidner (1986)) ist die Herstellung eines kohärenten Diskurses immer dann gut realisierbar (und damit weniger kostspielig), wenn bei der referentiellen Bindung eines anaphorischen Ausdrucks auf ein in irgendeiner Form salientes Antezedens zugegriffen werden kann. In Konstruktionen wie in (10) ergibt sich dies sowohl fur die Argument- als auch die Adjunkt-Anapher durch die Vorerwähnung im Fragesatz. In gescluicten Ausdrücken ohne Vorerwähnung ist Diskurskohärenz nur in den Fällen gegeben, bei denen sich der anaphorische Ausdruck auf eine bereits mit der grammatischen Struktur und der kompositionalen Semantik analysierten Entität bezieht, wie es beim Argument-5/«/c;'ng aber nicht beim Adjunkt-S/w/czng der Fall ist. Genau dieses Verhalten können wir nun auch bei Partikelverben erwarten und damit die Adäquatheit der Konstruktionen in (2) und ((4)a)/(5) vorhersagen. Modellieren wir dies einmal entsprechend der center/«g-theoretischen Konzeption nach. Unter der Bedingung, dass Diskurskohärenz erzeugt werden muss, wird also offensichtlich die mit der Partikel bereitgestellte Argumentstelle, d.h. die Variable u in ( 118), (re-)aktiviert und mit dem entsprechenden in der Diskursmenge befindlichen Referenten identifiziert. Das heißt, der rückwärtsbezogene Teil der Äußerung, i.e. das rückwärtsbezogene Zentrum (backward-looking center CB) einer Äußerung U n+i in einem Diskurs D (= CB(U n+ i, D) wird mit einem in Äußerung U„ zugänglich gemachten Diskursreferenten identifiziert (vgl. bspw. Walker, Joshi, Aravind & Prince (1998)). Schauen wir uns zur Verdeutlichung dessen einen Diskurs wie in ((2)a) noch einmal genauer an: (11)
U n : George ging zum Briefkasten. U„+i: Er warf eine Postkarte ein.
In Un umfasst das vorwärtsgerichtete Zentrum (= CF) zwei Referenten - ein rückwärtsgerichtetes Zentrum wird nicht ausgewiesen: ( 12)
CF(U n , D):
Die Ordnung dieser Liste gibt den Salienzgrad der nominalen Ausdrücke in Bezug auf ihren Status im vorwärtsgerichteten Zentrum wieder und leitet sich aus der grammati60
Die Centering-Theorie ist eine dynamische Diskurstheorie, die mittels der Bestimmung diskursstruktureller Signifikanzgrade von Referenten vor allem die Auflösung von Pronomina gut erfasst hat. Hier wird der Anwendungsbereich im Sinne von Poesio, Cheng, Henschel, Hitzeman, Kible & Stevenson (2000) auf andere nominale Ausdrücke ausgeweitet.
110
3 Implizite
Ereignispartizipanten
sehen Kodierung bei der Zuweisung syntaktischer Funktionen ab. Man beachte, dass George daher gleichzeitig das präferierte Zentrum CP der Äußerung repräsentiert. In Un+1 ergibt sich hier für das vorwärtsgerichtete Zentrum Folgendes: (13)
CF(U n+ i, D):
Unter Berücksichtigung einer sog. Übergangsregel wie in (14), welche besagt, dass Koindizierung von Referenten unter Berücksichtigung ihrer Salienzgrade erfolgt, ( 14)
TRANSITION RULE I
SALIENCE[CBx(Un+i, D)] = SALIENCE[CFv(Un, D)]
wird das Pronomen er in Un+i als rückwärtsgerichtetes Zentrum ausgewiesen und mit dem Subjekt George aus U„ identifiziert: (15)
CB er (U n+ ,, D) = C¥george(Un, D) by
TRANSITION RULE I
Diese Möglichkeit ergibt sich für das direkte Objekt eine Postkarte aus Un+1 und Briefkasten aus Un+i nicht, da hier zwei referentiell eigenständige und sortal unabhängige Entitäten koindiziert würden, was durch Prinzip C der Bindungstheorie (i.e. 'R-Ausdrücke müssen frei sein') ausgeschlossen ist. Wendet man nun die Übergangsregel in (14) aber erneut an, kommt man erwartungsgemäß zu dem Ergebnis, dass das unspezifische LOC {eine postkarte) mit dem spezifischen Briefkasten aus U„ koindiziert werden kann, da beide mit dem jeweils niedrigsten Salienzgrad (s. (12) und (13)) ausgezeichnet sind: (16)
CBLOc[...](Un+1, D) = CFbr¡eflas¡e„{On, D) by
TRANSITION RULE I
Nun ergibt es sich allerdings, dass U n+i in (11) auch unter einer - zwar unwahrscheinlichen aber durchaus möglichen - Interpretation wahr ist, bei der die Postkarte in einen beliebigen und nicht unbedingt den im Vortext eingeführten Briefkasten eingeworfen wird. In diesem Falle würde die Übergangsregel in (14) eine fehlerhafte Interpretation ausgeben. Es muss also eine sog. Präferenzregel implementiert werden, die absichert, dass die Interpretation in (16) lediglich die wahrscheinlichste ist. Eine solche Möglichkeit ergibt sich mit der Präferenzordnung für Typen von Diskursübergängen, wie sie u.a. in Brennan, Friedman & Pollard (1987) und Strube & Hahn (1999) formuliert ist: (17)
PRÄFERENZORDNUNG CONTINUE > RETAIN > SMOOTH-SHIFT > ROUGH-SHIFT
Prinzipiell ist bspw. ein ROUGH-SHIFT dadurch charakterisiert, dass das rückwärtsbezogene Zentrum über einen Diskurs hinweg variiert und auch nicht mehr das präferierte Zentrum einen neuen Aussage ist: (18)
ROUGH-SHIFT(U„, Un+1)
CB(U„, D) * CB(U n+ ,, D)
3 Implizite
111
Ereignispartizipanten
Ein solcher Diskurs liegt zum Beispiel in (19) vor: (19)
i.) ii.) iii.)
Un-i: Die Nachbarstochter bewundert Nicolas Kiefer. U n : Sie verehrt ihn geradezu abgöttisch. U n+ i : Tanja mag ihn gar nicht.
In Satz (iii) im Vergleich zu (ii) wird das rückwärtsbezogene Zentrum verändert - es ist nun Nicolas Kiefer und nicht mehr die Nachbarstochter - und es ist auch nicht mehr das präferierte Zentrum der Aussage, da Tanja diesen Status erlangt. Eine ganz ähnliche Konstellation liegt vor, wenn in Sätzen wie in (11) LOc(die postkarte) nicht mit dem im Vorsatz gegebenen Diskursreferenten Briefkasten koindiziert wird: Zum einen würde die Parallelität der Salienzgrade beider Entitäten ignoriert. Andererseits würde das im vorwärtsgerichteten Zentrum gelistete Briefkasten nicht adäquat durch eine entsprechende Größe im rückwärtsgerichteten Zentrum (i.e. LOC[die postkarte]) wiederaufgegriffen werden, da dieses ein neues vorwärtsgerichtetes Zentrum (also den beliebig anderen Briefkasten) etabliert. Zur Illustration dessen ein weiteres Beispiel für diesen Typ von Diskurs: (20)
i.) ii.) iii.)
Die Rentnerin brachte dem Schneider den Mantel. Er nähte sogleich die Knöpfe an. Damit war das Hemd endlich fertig.
Grob gesagt besteht auch hier der ROUGH-SHIFT darin, dass das vorwärtsgerichtete Zentrum Mantel in (i) nicht im rückwärtsgerichteten Zentrum durch LOC(die knöpfe) in (ii) wiederaufgegriffen wird, da dieses selbst ein vorwärtsgerichtetes Zentrum und damit den referentiellen Ankerpunkt fur den definiten Ausdruck das Hemd, der seinerseits ein backward-looking erfordert, bereitstellt. Die damit einhergehende diskursstrukturelle ROUGH-SHIFT-Interpretation zwischen den Sätzen (i) und (ii) aus (20) ist aufgrund des niedrigen Präferenzgrades mit einem entsprechend niedrigen Wahrscheinlichkeitsgrad ausgezeichnet. Das System steuert aber eine möglichst hohe Diskurskohärenz an, was hier mit einer Reanalyse der Argumentstelle der Partikel erreicht werden kann. Zur Erzeugung eines diskursstrukturellen Übergangs CONTINUE bzw. RETAIN muss der Status von LOC {die knöpfe) als rückwärtsgerichtetes Zentrum erhalten bleiben, was auf lexikalisch-semantischer Ebene durch eine referentielle Abbindung der Argumentstelle des vorwärtsgerichteten Zentrums aus Satz (ii) und einer Koindizierung mit der definiten DP aus (i) erreicht wird: (21)
i x : . . . [mantel(x)] ... & 3u¡ λν
[BECOME [LOC(V, PRÄP(U))]]
Ausgelöst wird dies wiederum durch die hier wiederholte Übergangsregel in (14): (22)
TRANSITION RULE I S A L I E N C E [ C B X ( U „ + 1 , D ) ] = SALIENCE[CF V (U„, D ) ]
112
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Sie kann in der Art interpretiert werden, dass für eine skaliert geordnete Entität im vorwärtsgerichteten Zentrum auch eine entsprechend skalierte Entität im rückwärtsgerichteten Zentrum auffindbar sein muss, wenn eine hohe Diskurskohärenz erreicht werden soll: (23)
CONTINUE(U n ,
Un+i) ->
[TRANSITION RULE
1=1]
Das in der Präferenzordnung in (17) ausgedrückte Bestreben des Systems nach Diskurskohärenz lässt sich mit einer in Tappe, Härtl & Olsen (2004) formulierten Konzeption in Verbindung bringen, nach der Diskurse in möglichst spezifizierender Weise fortgeführt werden. Diese Vorstellung geht auf die Arbeiten von Lascarides, Copestake & Briscoe (1996) zurück, die beinhaltet, dass rhetorische Verknüpfungen nach ihrer „tightness of connection between discourse segments" gerankt sind (s. Tappe et al. (2004: 161)). Demnach ist bei entsprechender Wahl bspw. eine NARRATION - also eine konsequentielle Beziehung zwischen Diskurssegmenten - gegenüber einer ENUMERATION - also einer lediglich zeitlich sequentiellen Beziehung - präferiert. Wir sehen an dieser Stelle, wie sich zur Herstellung optimaler Diskurse die Präferenzen fur Diskursübergänge in einen sinnhaften Zusammenhang zu Diskurstypen und der Bereitstellung bzw. Aktivierung lexikalisch-semantischer Information setzen lassen. Eine Bestätigung dafür lässt sich aus den empirischen Daten ableiten, wie sie in Tappe et al. (2004) berichtet werden. Hier wurde die diskurssensitive Interpretation kompositionaler mit der funktional erweiterter Partikelverben verglichen. Man erinnere sich an dieser Stelle, dass funktional erweiterte Partikelverben bis zu einem gewissen Grad lexikalisiert sind insofern, als dass bei ihnen in der P-Relation nicht über ein beliebiges, sondern ein festgelegtes Referenzobjekt prädiziert wird (s. 3.4). Wir können also davon ausgehen, dass bei diesem Typ Partikelverb die Restriktion in Bezug auf die Wahl des Referenzobjekts lexikalisch vermerkt sein muss. In einer Fragebogenstudie wurde nun getestet, welchen Einfluss die Vorerwähnung eines potenziellen Referenzobjekts auf die Interpretation der beiden Verbtypen hat: (24)
a.
FUNKTIONAL ERWEITERT (FE):
An der Haltestelle steht ein Briefkasten und Regina wirft eine Karte ein. Wirft Regina die Karte in den Briefkasten ? b.
¡COMPOSITIONAL ( κ ) :
Auf dem Fußboden steht eine Weinflasche und Thomas klebt ein Etikett auf. Klebt Thomas das Etikett auf die Weinflasche? Die 19 Teilnehmer waren angehalten, die in (24) ersichtliche Frage zu den 2 x 1 0 Sätzen auf einer Skala zwischen 1 (= Ja) und 5 (= Nein) zu beantworten. Folgende Darstellung erfasst die Resultate (s. Tappe & Härtl (2003)):
3 Implizite
Ereignispartizipanten
113
A b b i l d u n g 11: Skalierte Antworten für Ja ( = 1 ) . . . Nein (=5)
Die Daten zeigen, dass im Falle der funktional erweiterten Partikelverben (FE), die Frage signifikant häufiger (p < .01) als bei den kompositionalen Partikelverben (K) mit ,Ja' beantwortet wird. Wir können dies als Reflex einer Strategie interpretieren, zwei aufeinanderfolgende Propositionen in einer spezifizierenden Weise in ein Diskursmodell zu integrieren, sprich, die Aussage im zweiten Konjunkt auf den im ersten Konjunkt eingeführten Referenten zu beziehen und das implizit gelassene Referenzobjekt der P-Relation mit genau diesem Referenten zu koindizieren. Wir können aus den Ergebnissen schließen, dass wann immer im sprachlichen Signal die Möglichkeit geboten wird, einen kohärenzstiftenden Rückbezug in der Diskursstruktur herzustellen, diese in jedem Falle genutzt wird. Fassen wir zusammen: Der lexikalische Eintrag eines (kompositionalen) Partikelverbkomplexes sieht keine referentielle Bindung der nicht realisierten Argumentstelle vor. Aus diesem Grund ist das Referenzobjekt im Theta-Raster entwertet. Auch für die konzeptuelle Ebene haben wir keine Anhaltspunkte dafür gefunden, von einer ontologischen Aktivierung eines Referenzobjekts auszugehen. Weil die der Partikel zugrunde liegende P-Relation jedoch durch ein obligatorisch zweistelliges Prädikat repräsentiert ist, hat das System die Möglichkeit, in einer kohärenzstiftenden Weise im Diskurs eine Reanalyse dieser Argumentstelle vorzunehmen und diese somit zu binden, was sich jedoch nicht grammatisch niederschlägt.
114
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Wir sehen an dieser Stelle bereits, wie die diskursstrukturelle Identifizierbarkeit einer Entität auf der einen Seite und deren sprachliche Weglassbarkeit auf der anderen in einem offenbar systematischen Zusammenhang stehen: Bestimmte Information, die semantisch mitverstanden werden soll, kann immer dann reduziert werden, wenn sie in bestimmten diskursstrukturellen Bedingungen auffindbar ist. Die dem zugrunde liegende Schnittstellenrechnung schauen wir uns im nächsten Abschnitt an.
3.4.5
Schnittstellenrechnung für Partikelverben
Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass sich die grammatischen und diskursstrukturellen Eigenschaften von Partikeln grundlegend von dekausativen (bzw. unakkusativen) Prädikaten, wie sie in 3.3 beschrieben wurden, unterscheiden. Wir hatten festgestellt, dass bei Partikelverben eine referentielle Bindung der betroffenen Argumentstelle zwar nicht vorgesehen ist, diese aber in der grammatischen Struktur trotzdem vertreten ist. Dies schlägt sich in der vergleichsweise einfachen Rekonstruierbarkeit einer entsprechenden Entität im Diskurs nieder: In neutralen Kontexten ist ein Referenzobjekt des präpositionalen Prädikats nicht konzeptualisiert, aufgrund seiner Bindung als A-definite Individuenentität jedoch kann eine entsprechende Größe diskursstrukturell rekrutiert werden. Der Vergleich zwischen Dekausativa und Partikelverben hinsichtlich ihres Verhaltens in Messer). Man beachte aber, dass dieses globale Priming sowohl für die transitiven als auch die intransitiven (schlafen —> Bett) Verbformen anzunehmen und somit statistisch irrelevant ist, da es sich in sämtlichen fraglichen Bedingungen zu den argumentstruktur-sensitiven Primingeffekten hinzuaddiert.
3 Implizite
125
Ereignispartizipanten
de dies für transitive Verben mit D P - A r g u m e n t überprüft, w o b e i sich ein ähnliches Bild zeigte: Kongruente Objektdarstellungen werden im Kontext einer konzeptuellen A u f g a b e schneller verarbeitet als inkongruente. Hier nun soll nicht die konzeptuelle, sondern die lexikalisch-semantische Ebene überprüft werden. Daher wurde in der hier berichteten Studie auch nicht bildhaftes, sondern lexikalisches Target-Material verwendet, und die V P e n sollten eine lexikalisch-semantisch basierte A u f g a b e zur Belebtheit der präsentierten Targets lösen.
Versuchspersonen.
Es nahmen 26 Versuchspersonen an der Studie teil. A l l e Teilneh-
mer waren unter 30 Jahre alt und Studierende der H U Berlin. D i e Teilnahme wurde auf im B A - M o d u l - P r o g r a m m zu erbringende Leistungen angerechnet.
Material.
Für die Testsätze wurden 20 Verbstrukturen verwendet, welche ihre transiti-
ven vs. intransitiven Varianten realisieren, und welche j e w e i l s mit einem kongruenten b z w . einem inkongruenten Target dargeboten wurden (s. Anhang fur die komplette Übersicht): (58)
a.
TRANSITIV MIT KONGRUENTEM TARGET:
b.
TRANSITIV MIT INKONGRUENTEM TARGET:
C.
INTRANSITIV MIT KONGRUENTEM TARGET:
D i e strenge Chefin las den {BUCH} Bericht und ... D i e strenge Chefin las den {HAUS} Bericht D i e strenge Chefin las w e i l {BUCH} sie d.
INTRANSITIV MIT INKONGRUENTEM TARGET: D i e strenge Chefin las w e i l {HAUS} sie
D i e Konjugation
weil
fuhrt den Parser in die Projektion einer intransitiven Verbstruktur,
der Determinierer hingegen löst die Etablierung einer transitiven V P aus. Unter der A n nahme, dass der Parser unmittelbar operiert und argumentstrukturelle Information direkt nutzt, sollte sich also in der transitiven Bedingung eine signifikante Verschnellerung bei der Kategorisierung des kongruenten Target-Nomens feststellen lassen. Geeignete Targets wurden in einer Vorstudie ermittelt. Dazu wurden die Daten des W O R T S C H A T Z Korpus (www.wortschatz.uni-leipzig.de) genutzt, welches Auskunft über signifikante Kollokationen von Lexikoneinträgen gibt. A l s kongruente Targets wurden die j e w e i l s signifikant als Nachbarn der V e r b f o r m e n auftretenden N o m e n ausgewählt (also bspw. BUCH fur
lesen).
D i e inkongruenten Targets (etwa HAUS für
lesen)
zeigen keine solche
signifikante Nachbarschaftsbeziehung zu den kritischen Verben. A l l e Targets in den kritischen Bedingungen waren unbelebt, was zur F o l g e hat, dass ein Set von 4 χ 20 Filler-Sätzen erzeugt werden musste, welche belebte Targets enthielten. D i e Silbenlänge der Targets wurde pro Verbstruktur über die Bedingungen hinweg gleich gehalten. A l s w e i tere Bedingung galt, dass das Genus der Targets nicht mit dem Genus des Artikels in der transitiven Bedingung übereinstimmt. A u f diese W e i s e wurde eine Balancierung der grammatischen b z w . syntaktischen Nicht-Integrierbarkeit 6 3 der Targets in die laufende
63
Somit stand also in allen Bedingungen mit der Präsentation des Targets die syntaktische Position eines Nomens zur Verfügung. Daneben stimmten in allen Bedingungen die Kongruenzmerkmale dieser Position nicht mit denen des Targets überein: In der transitiven Bedingung ist es das syntaktische Genus-Merkmal in der DP, welches im Konflikt zum Genus des Targets
126
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Satzpräsentation über alle Bedingungen hinweg erreicht (s. auch die Diskussion in Härtl (2003b) hierzu). Die 4 χ 20 kritischen Satzstrukturen wurden rotiert in zwei Versionen, sodass den VPen nur jeweils zwei Bedingungen pro Verbform präsentiert wurden. Versuchsablauf. Das Präsentationsschema fur die einzelnen Trials ist hier exemplarisch sowohl für die transitive als auch die intransitive Bedingung dargestellt: +
Die
Chefin
las
den
TARGET
Bericht
und
FRAGE
+
Die
Chefin
las
weil
TARGET
dann
noch
FRAGE
20 0
300
300
1300
300
300
2500
200
300
200
300
5 0
200
Tabelle 2: Trial-Schema mit Darbietungszeiten in Ms
Die Sätze wurden visuell (wortweise und zentriert) auf dem Bildschirm eines MSWindows-PCs präsentiert. Der Beginn jedes Trials wurde durch einen zentrierten Fixationspunkt signalisiert. Jedes Wort - außer dem Target, welches 1300 Ms lang präsentiert wurde - erschien für 300 Ms gefolgt von einem leeren Bildschirm fur 200 Ms. Die Sätze wurden in Arial (30 Punkt, schwarz auf weißem Hintergrund), das Target in Courier (35 Punkt, blau auf weißem Hintergrund) präsentiert. Letzteres wurde im oberen Drittel des Bildschirms dargeboten. 50 Ms nach Erscheinen des Wortes, welches dem Verb folgt (i.e. den bzw. weil) wurde das Target präsentiert. Unmittelbar nach Erscheinen des Targets sollten die VPen innerhalb von 1300 Ms mittels Tastendruck - es wurde hierfür die PST Serial Response Box eingesetzt - entscheiden, ob das Nomen eine belebte Entität bezeichnet. Nach Ablauf der dafür vorgesehenen Zeit wurde der Trial ohne Datenaufzeichnung fortgesetzt. Nach jedem Trial wurde den VPen eine weitere Ja-/Nein-Frage präsentiert, die sich auf den Inhalt des (vorderen oder hinteren Teil des) Satzes bezog. Die VPen wurden mittels eines Instruktionsblattes über den Ablauf informiert und durchliefen eine Trainingssitzung, in der eine Rückkopplung über die Korrektheit und Dauer der Reaktion erfolgte. Das gesamte Experiment dauerte ca. 15 Minuten. Ergebnisse. Für jedes kritische Target wurde die Reaktionszeit aufgezeichnet, die die VPen benötigten, um die Nomenkategorisierungs-Aufgabe zu lösen. In die statistische Analyse ( 2 x 2 ANOVA) flössen nur die Daten ein, die als Resultat korrekter Reaktionen sowohl auf die Kategorisierungs- als auch auf die Inhalts-Frage aufgezeichnet wurden. Es erfolgte eine Fehleranalyse, die Aufschluss darüber gab, ob in einer bestimmten Bedingung unerwarteterweise häufiger Fehler auftraten und ob sich das in den Reaktionszeiten niederschlägt (Regression). Zwei VPen wurden aus der Analyse ausgeschlossen, da sie eine Fehlerrate von über 20 Prozent aufwiesen. Die Varianzanalyse weist auf eine signifikante Interaktion der Faktoren TARGET TYP χ VERB TYP in der VP-Analyse, Fi(l,23) = 9.22,ρ < .003. Es wurde kein Haupteffekt ermittelt. Die Interaktion zwischen 64 FEHLERRRATE χ BEDINGUNG erreichte das statistische Signifikanzniveau nicht. Geplante
steht. In der intransitiven Bedingung ist es das Numerus-Merkmal, was den Konflikt zwischen syntaktischer Position und Target auslöst. Hier wurde ein Haupteffekt ermittelt: Kongruente Targets wiesen prinzipiell eine höhere Fehlerrate auf als inkongruente Targets, ^ ( 1 , 2 3 ) = 4.3, ρ < .04. Eine Regressions-Analyse allerdings
3 Implizite
Ereignispartizipanten
127
paarweise Vergleiche (Bonferroni Simultan-Tests) über die Faktorenstufen hinweg verweisen darauf, dass kongruente Targets in transitiven Kontexten signifikant schneller verarbeitet wurden als in intransitiven Kontexten, //(23) = 3.18, ρ < .01. In intransitiven Kontexten w u r d e n kongruente Targets signifikant langsamer verarbeitet als inkongruente Targets, t¡(23) = 3.18, ρ < .01. Inkongruente Targets w u r d e n in der transitiven als auch der intransitiven Bedingung gleich schnell verarbeitet.
755 750 745 740 735 730
Í¡11·mm .1
jgfigppaüEg
•
: • TRANSITIV
•SHBKHB^S!
Β INTRANSITIV
725 720 715 710 INKONGRUENT
KONGRUENT
Abbildung 13: RZ (Mittel) in Ms für die ICategorisierungs-Aufgabe
VERB TYP
Intransitiv
Transitiv
Kongruent
752 [128] (88)
715 [110] (90)
Inkongruent
716 [124] (94)
729 [111] (91)
TARGET TYP
Tabelle 3: RZ in Ms mit Standardabweichung [SD] und (Fehlerrate in Prozent)
Diskussion. Die Resultate demonstrieren, dass der Parser unmittelbar auf die argumentstrukturellen Bedingungen eines sprachlichen Ausdrucks reagiert und die Projektionen entsprechend akkomodiert: Eine Argumentstelle wird, w e n n sie in der Strukturbildung nicht vorgesehen ist, direkt entwertet und ist somit weiteren Operationen nicht mehr zugänglich. Dies zeigt sich an den Reaktionszeiten für kongruente Targets, welche in der intransitiven Bedingung signifikant langsamer (752 Ms) verarbeitet wurden als in der transitiven Bedingung (715 Ms). Die in (57) formulierte Hypothese kann somit teilweise
zeigte, dass dies keinerlei Einfluss auf die Reaktionszeiten weder für die kongruenten noch die inkongruenten Targets hatte.
128
3 Implizite
Ereignispartizipanten
akzeptiert werden in dem Sinne, dass nur bei vorliegender Kongruenz des Targets argumentstrukturelle Sensitivität zu verzeichnen ist: Ein argumentstruktureller Effekt zeigt sich bei kongruenten Targets, nicht aber bei inkongruenten Targets (s.u.). Unvorhergesehener Weise wurde nun kein Unterschied in den Reaktionszeiten für kongruente (715 Ms) vs. inkongruente Target-Nomen (729 Ms) in der transitiven Bedingung festgestellt. Zwar werden letztere in dieser Umgebung langsamer verarbeitet, dieser Effekt erreicht jedoch nicht das konventionelle Signifikanzniveau. Darüberhinaus wurde ein signifikanter Unterschied zwischen kongruenten und inkongruenten Targets in intransitiven Kontexten verzeichnet: In dieser Umgebung werden inkongruente Targets schneller verarbeitet (716 Ms) als kongruente Targets (752 Ms). Und inkongruente Targets wurden in beiden Bedingungen gleich schnell verarbeitet (716 bzw. 729 Ms). Es ist dieser letztgenannte Umstand, der uns eine Motivation fur die vorliegende Konstellation liefert: Offensichtlich hat das Vorhandensein einer Argumentstelle bei inkongruenten Nomina keinen Einfluss auf deren Kategorisierung. Die Kategorisierung inkongruenter Nomina dauert also in transitiven und intransitiven Umgebungen gleich lange. Die Argumentstruktur beeinflusst demnach nur die Kategorisierung kongruenter Nomina - und da die Nicht-Existenz einer Argumentstelle die Verarbeitung kongruenter Nomina signifikant verlangsamt, ergibt sich in intransitiven Umgebungen ein Unterschied zu den inkongruenten Nomina. Der Fakt, dass in transitiven Umgebungen kongruente und inkongruente Nomina gleich schnell verarbeitet werden, ergibt sich demnach daraus, dass bei vorliegender Kongruenz und bei Vorhandensein einer Argumentstelle ein RZUnterschied offensichtlich nivelliert wird. Zum besseren Verständnis dieses Verhältnisses sind die ermittelten Reaktionszeiten in der folgenden Graphik noch einmal in einem Liniendiagramm mit dem Faktor TRANSITIVITÄT auf der X-Achse angegeben:
TRANSITIV
INTRANSITIV
Abbildung 14: RZ (Mittel) in Ms für die Kategorisierungs-Aufgabe
Insgesamt betrachtet lässt sich nun Folgendes konstatieren: Ein Verarbeitungsvorteil für kongruente Nomen wird in transitiven Umgebungen im Vergleich zu intransitiven Umgebungen erzeugt: Die Aktivation argumentstruktureller Informationen beschleunigt die
3 Implizite
Ereignispartizipanten
129
Kategorisierung eines kongruenten Nomens in transitiven Kontexten. Wir können daraus schließen, dass bei intransitivierten Verben keine Argumentposition in der lexikalischsemantischen Repräsentation des betreffenden Ausdrucks zur Verfügung steht. Ein entsprechendes implizites Thema ist damit nicht Teil der lexikalisch-semantisch determinierten Wahrheitsbedingungen intransitiv verwendeter, accomplishment-fahiger Verben. Dies fuhrt zu dem Schluss, dass die den Ausdrücken zugrunde liegende Repräsentation eine entsprechende implizite Argumentstelle nicht vorsieht: (59)
Intransitive Activity-Verben: lesen: λ χ λ ε [e INST [DO(x) & LESEN(x)]]
3.5.4
Schnittstellenrechnung für intransiti vierte Verben
Führen wir uns das kontextuelle Verhalten der verschiedenen Typen von Intransitivierungen noch einmal genauer vor Augen. Wir hatten bereits festgestellt, dass intransitiv verwendete, accomplishment-fáhige Verben auf eine Entität im Hintergrund verweisen können, dies aber nicht notwendiger Teil ihrer Wahrheitsbedingungen ist. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies noch einmal und zeigen, dass nur bei intransitiv verwendeten Activities (s. (60)) eine Annullierung eines möglichen Bezuges auf eine im Kontext gegebene Argument-Entität erlaubt ist: (60)
intransitive (accomplishment-fähige) Activities: Karl kaufte sich einen Bestseller und las dann, und zwar eine Zeitschrift.
Bei inhärenten Achievements (61) ist dies wesentlich markierter: (61 )
intransitive (inhärente) Achievements: John brachte den Vertrag mit und Jim unterzeichnete dann, und zwar ein Zeugnis.
Ebenso verhält sich dies bei den inhärenten Accomplishments: (62)
intransitive (inhärente) Accomplishments: Günther fuhr den Möbelwagen vor und Peter lud dann ab, und zwar eine Schubkarre.
Dieses Verhalten inhärent telischer Verben weist daraufhin, dass bei ihnen das nicht realisierte interne Argument lexikalisch tatsächlich repräsentiert ist und die Auslassung nur unter der Bedingung der Rekonstruierbarkeit erfolgen kann. Jacobs (1993) spricht hier von spezifischen, impliziten Argumenten, die obligatorisch auf Entitäten referieren, die in der Diskursmenge in irgendeiner Weise bereits präsent sind. Auch die oben bereits besprochene Modifizierbarkeit mit einem Rahmenadverbial legt eine solche Annahme nahe - die Telizität des Ausdrucks ist durch die gebundene (und inkrementelle) Semantik des internen Arguments gegeben:
130
3 Implizite
(63)
Ereignispartizipanten
Günther fuhr den Möbelwagen vor und Peter lud in zehn Minuten ab.
Eine solche Modifizierung lassen intransitive Activities nicht zu, da sie über kein implizites internes Argument verfugen: (64)
*Karl kaufte sich einen Bestseller und las in zehn Minuten.
Insgesamt wird somit die Annahme weiter gestützt, dass wenn ein nicht realisiertes Thema bei Activities interpretiert wird, dies stets als das Produkt einer pragmatisch gesteuerten Implikatur anzusehen ist. Anders als bei den Dekausativa jedoch, fur die in Abschnitt 3.3.6 gezeigt wurde, dass k-implizierte Ursache-Relationen prinzipiell löschbar sind, ist hier die Implikatur, wie zu Beginn dieses Abschnitts bereits deutlich wurde, aber grundsätzlich nicht annullierbar: (65)
a.
#Karl las, aber es gab nichts, was er las.
b.
#Jens rauchte, aber es gab nichts, was er rauchte.
Der Schluss auf ein beteiligtes Thema bei einem intransitiven Activity-Verb wie lesen ist also nicht Teil der lexikalisch-semantisch determinierten Wahrheitsbedingungen, aber nichtsdestotrotz Teil der konventionellen Bedeutung des Ausdrucks und seiner spezifischen konzeptuellen und ontologischen Beschaffenheit. Das Thema wird also als ein nicht löschbarer Teil der gebräuchlichen Bedeutung des Ausdrucks erschlossen. Diese Implikatur ist Produkt eines deduktiven Schlussverfahrens (dkvl), das sich auf die spezifischen mit dem Verb verknüpften Bedeutungspostulate verlässt: (66)
Konventionelle Implikatur: LESEN(e) & AGENS(x,e)
THEMA(y,e)
Die konventionelle Implikatur schlägt sich interpretativ bspw. darin nieder, dass bei Implizitlassung des Thema-Arguments stets die Entität mit dem höchsten Stereotypizitätsgrad konzeptualisiert wird. So kann der folgende Satz nur sehr schlecht etwa so interpretiert werden, dass Maria hier Geldscheine oder eine Urkunde glatt bügelt - was ja prinzipiell konzeptualisierbar ist - , sondern bevorzugt ein Kleidungsstück als kanonisches BÜGELN-Objekt: (67)
Maria bügelt gerade.
Diese Stereotypizitäts-Anforderung schlägt sich auch anderer Stelle im System nieder und wird im Abschnitt 4.2.2 noch einmal etwas detaillierter erörtert. Hier genügt es, wenn wir feststellen, dass wir es bei impliziten Themen - im Vergleich zu den Dekausativa - also offensichtlich mit spezifischerer impliziter Information zu tun haben. Dies liefert uns auch die Erklärung dafür, dass im Kontext intransitivierter Activités - anders als bei Dekausativa und auch Partikelverben - im Diskurs eine referentielle Bezugnahme auf das nicht realisierte Thema mittels des Bridging-Pronomens das erlaubt ist (vgl. hierzu Abschnitt 3.4.2):
3 Implizite
Ereignispartizipanten
(68)
131
Gunnar liest tatsächlich, aber das ist doch sicher wieder nur eine Illustrierte!
Auch das Bridging-Pronomen es ist zulässig - oben wurde festgestellt, dass es via Ereignis-Bezug konstruiert wird. Das entsprechende Beispiel sei hier noch einmal wiederholt: (69)
Ich habe vor einer Stunde e¡ gegessen und es¡ war sehr sättigend.
Im Unterschied zu Partikeln also, deren Referenzobjekt konzeptuell als A-Definitum gebunden ist (s. Abschnitt 3.4.5), gestatten intransitivierte Activities grundsätzlich pronominales Wiederaufgreifen des konventionell implizierten Themas. Wir wollen davon ausgehen, dass diese referentielle Zugänglichkeit als das Produkt einer speziellen, P(roto-typischen)-Bindung anzusehen ist, die auf der Grundlage der in (66) dargestellten Implikatur erfolgt. Eine proto-typische Bindung basiert auf pragmatischen Faktoren wie Zugänglichkeit und ontologischem Fit: Je (materiell bzw. diskursstrukturell) zugänglicher eine im Kontext gegebene Entität ist, desto wahrscheinlicher ist eine Koindizierung der P-definiten Entität mit dieser Entität: (70)
a. b.
Der Professor druckt gerade ein Manuskript, aus und liest eP_DEF/¡. Der Professor hält gerade ein Buch¡ in der Hand und liest eP.DEF/i.
Es ergibt sich damit fur die Verbalisierung intransitivierter Activities die folgende Regelmäßigkeit: (71 )
Anweisung des TP für intransitivierte Activities: LESEN(e) & AGENS(x,e) . . . & P-DEF(THEMA(y,e)) = λ χ λ ε [ e INST [DO(X) & LESEN(X)]]
Intransitivierte Activities weisen aufgrund der konzeptuellen Bindung der nicht realisierten Argumentstelle als P-Definitum und den verbundenen Algorithmen eine höhere Strukturdichte (SD) als Partikeln bzw. Dekausativa auf, was gleichzeitig aber mit dem höchsten Maß an diskursstruktureller Zugänglichkeit der entsprechenden Entität - sprich dem niedrigsten Maß dafür notwendiger Inferenzoperationen (INF) - einhergeht:
132
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Abbildung 15: Verhältnis von SD : INF im Vergleich von Dekausativa, Partikeln und intransitivierten Activity-Verben
Es wird deutlich, dass die vergleichsweise hohe Strukturdichte der intransitivierten Activity-Verben mit deren Verhalten in den verschiedenen kontextuellen Konstellationen in Verbindung gebracht werden kann. Das geringe Maß an inferentiellem Aufwand erlaubt demnach sowohl ein rückwärtsgerichtetes Wiederaufgreifen einer Entität mittels der nicht realisierten Thema-Argumentstelle (s. das Beispiel (28) oben) als auch ein pronominales Wiederaufgreifen des nicht realisierten (und P-definiten) Themas in einer Bridg/wg-Konstruktion (s. (68) und die Diskussion zu (50)). Referentielle Zugänglichkeit der Argumentstelle beruht auf einer P-Bindung, welche auf einer Implikatur wie in (66) basiert, die ihrerseits auf der Grundlage konzeptueller und ontologischer Informationen erfolgt. Die referentielle Zugänglichkeit der Argumentstelle via P-Bindung schlägt sich auch in den bereits oben besprochenen 5/«zci«g-Konstruktionen nieder, bei denen die nicht realisierte Argumentstelle eines intransitivierten Verbs mittels eines Interrogativums aufgegriffen wird: (72)
a. b.
Der Ehebrecher las e p . / ¡ , aber der Detektiv konnte nicht erkennen, was¡. Pavarotti sang offensichtlich eP_DEF/¡, aber der Dirigent konnte nicht hören, was,. DEF
Wir können nun also die zu Beginn dieses Abschnitts gestellte Frage nach dem grammatischen und konzeptuellen Status nicht realisierter Thema-Argumente beantworten: Einerseits haben wir Evidenzen dafür gefunden, dass nicht realisierte Thema-Argumente von intransitivierten Activity-Verben lexikalisch-semantisch entleert sind. Für diese Annahme sprechen einerseits die linguistischen Konstellationen, die zeigen, dass intransitivierte Activity-Verben sich analog zu per se intransitiven (durativen und atelischen) Activity-Verben verhalten. Daneben sprechen die Daten aus einer RZ-Studie mit NomenKategorisierungsaufgabe dafür, dass ein Priming-Effekt fur kongruente Nomen nur in
3 Implizite
Ereignispartizipanten
133
transitiven U m g e b u n g e n im Vergleich zu intransitiven U m g e b u n g e n erzeugt wird. Die Aktivation argumentstruktureller Informationen beschleunigt also offensichtlich die Verarbeitung eines kongruenten N o m e n s nur in transitiven Kontexten, woraus geschlossen werden kann, dass bei intransitivierten Verben keine Argumentposition in der lexikalisch-semantischen Repräsentation des entsprechenden A u s d r u c k s zur V e r f u g u n g steht. Daneben w u r d e festgestellt, dass ein nicht realisiertes T h e m a - A r g u m e n t bei den inhärent telischen Verben lexikalisch b z w . grammatisch vertreten sein muss, da an dieses auch sprachlich bspw. ein Rahmenadverbial andocken kann. W e n n hingegen ein nicht realisiertes T h e m a - A r g u m e n t auch bei intransitivierten Activity-Verben interpretiert wird, dann handelt es sich - so die Argumentation - u m eine konventionell implizierte Entität, die auf der Grundlage konzeptueller Default-Informationen geschlossen wurde. Als Resultat wird die entsprechende Argumentstelle konzeptuell einer P - B i n d u n g unterzogen, w a s eine im Vergleich hohe Strukturdichte erzeugt. Dies korreliert seinerseits mit d e m vorzufindenden diskursstrukturellen Verhalten der fraglichen Ausdrücke. Im Gegensatz zu den bislang in diesem Abschnitt behandelten Problembereichen, ist der Status des nicht realisierten A r g u m e n t s bei Middle-Konstruktionen der Art sich gut lesen, sich gut schreiben, sich gut trinken ein vergleichsweise gut untersuchtes Phänomen. N e b e n den Regularitäten, die die Alternation von transitivem V e r b zu Middle bestimmen, sind es hier vor allem die referentiellen Eigenschaften des implizit gelassenen A r g u m e n t s und die ereignisstrukturellen Charakteristika des bezeichneten Sachverhalts, die in der dazu vorliegenden Literatur besprochen werden. V e r s c h a f f e n wir uns dazu im nächsten Abschnitt zunächst einen Überblick und erörtern die grammatischen Bedingungen, die der Alternation zugrundeliegen.
3.6
Middles
In diesem Abschnitt zeige ich, dass in der lexikalisch-semantischen Repräsentation einer Middle-Konstruktion 6 5 die agentive Entität im Sinne eines impliziten A r g u m e n t s des idiosynkratischen verbalen Prädikats selbst nicht vertreten ist. V i e l m e h r ist f ü r Middles eine logische Implikation anzunehmen, die auf den ereignisstrukturellen Typus des Ausdrucks zurückgeht: Middles werden (präferiert) aus Activity- bzw. AccomplishmentVerben gebildet, was j e w e i l s eine agentive Entität impliziert. Daneben wird deutlich werden, dass f ü r die Middle-Bildung von einem lexikalischen Z u s a m m e n s p i e l mehrerer Faktoren (i.e. Durativität, Generizität und Agentivität) auszugehen ist, die in einer hierarchisch geordneten Weise die Option der Middle-Alternation restringieren. Das diskursstrukturelle Verhalten von Middles in ihrer Eigenschaft als generische, nicht-episodische A u s d r ü c k e und der mit ihnen kodierten impliziten Information schließlich weist darauf, dass Middles ein höheres M a ß an Individueninformation als Unakkusativa bzw. D e k a u sativa denotieren. Im Vergleich zu den intransitivierten Präpositionen, den Partikeln, zeigt sich j e d o c h , das letztere aufgrund ihrer lexikalisch-semantischen Beschaffenheit
65
Ich verwende den Terminus „Middle-Konstruktion" synonym für „Medialkonstruktion" und grenze damit den hier behandelten Phänomenbereich von den medialen Verben (sich öffnen, sich schließen) ab. Einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Typen bietet Kaufmann (2004).
134
3 Implizite
Ereignispartizipanten
eine Individuenentität mit einem höheren Diskurswert, als er fur Middles angenommen werden kann, aufweisen.
3.6.1
Die grammatischen Bedingungen
Ich gehe aufgrund der speziellen lexikalischen Bedingungen, denen Middle-Konstruktionen unterworfen sind (s.u.), u.a. mit Kaufmann (2001) davon aus, dass diese das Produkt einer lexikalischen Regelanwendung sind.66 Auf den ersten Blick scheinen Middles hinsichtlich ihrer morpho-syntaktischen Eigenschaften eine homogene Klasse zu bilden: (73)
a. b. c. d.
Harry-Potter-Romane lesen sich besonders gut. Glattes Holz streicht sich wesentlich einfacher. Nutella streicht sich leicht a u f s Brot. Im Deutschen schreiben sich viele Wörter ohne Bindestrich.
Middle-Konstruktionen im Deutschen enthalten neben dem Verb ein (nicht referentielles) Reflexivum und meist ein evaluatives Adverb der Art und Weise wie gut, leicht oder einfach, das die Einschätzung einer Eigenschaft wiedergibt bzw. eine Eigenschaft des Thema-Arguments selbst bezeichnet (vgl. u.a. Keyser & Roeper (1984)). Es ist das letztere Charakteristikum, das Middle-Konstruktionen formal von medialen Verben wie sich öffnen unterscheidet. 67 Eine Middle-Konstruktion wird oft modal interpretiert in dem Sinne, dass fur die nicht ausgedrückte Agens-Entität die Möglichkeit dahingehend besteht, das mit dem Verb ausgedrückte Ereignis auch ausführen zu können. Fagan (1992) weist daneben darauf hin, dass unpersönliche Middle-Konstruktionen neben dem evaluativen oft ein weiteres Adverbial fordern, das als das „Objekt" fungiert, dem die denotierte Eigenschaft zugewiesen wird (s. Fagan (1992: 191)): (74)
a. b.
Über dumme Fehler schimpft's sich leicht. Auf der neuen Autobahn fahrt es sich hervorragend.
Middle-Konstruktionen werden ferner meist als stativ und hinsichtlich einer zeitlichen Einordenbarkeit als nicht-episodisch und somit als generische Ausdrücke eingestuft (zu den Details s. etwa Steinbach (1998)). Ich folge dieser Einsicht hier ohne tiefergehende Diskussion, da es sich bei den zeitlichen Angaben, wie sie manchmal bei Middles vorzu-
66
Gegen eine lexikalische Ableitung und für eine „postsyntaktische", semantische Ableitung der Middle-Konstruktion spricht sich u.a. Steinbach (2002) aus. Ich selbst verweigere mich einer solchen semantischen Sichtweise nicht (und auch einer syntaktischen nicht, s. etwa Stroik (1999)), gehe aber davon aus, dass die Ableitung im lexikalischen System ausgelöst wird und mittels systematischer Linking-Mechanismen ihren Niederschlag auf den verschiedenen Ebenen findet bzw. finden kann. Man beachte allerdings, dass für die betreffenden Ausdrücke eine systematische Ambiguität zwischen medialer und Middle-Lesart zu verzeichnen ist: (i) Die Tür öffnet sich leicht. Middle-Lesart: Die Tür lässt sich leicht öffnen Mediale Lesart: Die Tür öffnet sich ein bisschen.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
135
finden sind und die scheinbar gegen die Generizitäts-Annahme sprechen, meines Erachtens um ein vorhersagbares sprachliches Verhalten handelt: (75)
a. b.
Über die Fehler der Politik lachte es sich in den 80ern noch wesentlich besser. Gestern schnitt sich das Brot noch viel leichter.
Die Beispiele zeigen, dass in bestimmten Umgebungen auch bei Middles eine Bezugnahme auf eine bestimmte spezifische Zeitlichkeit des Ausdrucks möglich ist. Allerdings handelt es sich hier meist um eine Einschränkung des zeitlichen Geltungsbereichs einer Eigenschaft, die eben aus einem generischen Ausdruck abgeleitet ist. Solche Einschränkungen des Geltungsbereichs finden wir auch bei unstrittig generischen Ausdrücken: (76)
a. b.
Vor etwa 2 Millionen Jahren waren hominoide Primaten noch Vierbeiner. In Märchen sprechen Tiere oft.
Ich folge der grundlegenden Annahme, wie sie bspw. in Fagan (1988); Ackema & Schoorlemmer (2006) formuliert ist, dass Middles generische Ausdrücke sind. Auch das Vorkommen von Middles im progressiven Aspekt wie in (77) entkräftet diese Annahme nicht: (77)
a. b.
This manuskript is reading better every day. Unterbrich mich doch nicht, das Buch liest sich gerade so schön.
Fagan (1992) argumentiert, dass Middles in der Verlaufsform auftreten können, da sie Veränderungen zwischen aufeinander folgenden Zuständen ausdrücken können, was bei genuinen Zuständen, wie sie durch Eigenschaftsausdrücke bezeichnet werden, ebenfalls möglich ist (s. Fagan (1988: 182); Bland (1988); Sag (1973)): (78)
a. b.
The baby's resembling his father more and more every day. Young kids are knowing more and more about sex these days.
In diesem Sinne sind also Middles und auch Eigenschaftsausdrücke in der Verlaufsform als Ausdruck einer Qualität eines Zustands, der sich über ein bestimmtes Zeitfenster hinweg verändert, und nicht etwa als Activities einzustufen. Ereignisstrukturelle Faktoren spielen auch bei der Frage eine Rolle, welcher Verbtyp die Middle-Alternation überhaupt eingeht. Dies ist eine notorisch problematische Frage, deren Behandlung in der Literatur zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. Ich möchte mich ihr im Folgenden etwas ausführlicher zuwenden. Ich werde überlegen, was wir gewinnen, wenn wir die lexikalischen Bedingungen, denen die Middle-Konstruktion unterworfen ist, hierarchisch ordnen. Relevant sind hier die Faktoren der Agentivität, Generizität und Durativität. Ihre hierarchische Ordnung könnte uns systematisch unterschiedliche Vorhersagen über mögliche Middle-Konstruktionen liefern und die verschiedenen Akzeptabilitätsgrade bei vorliegenden Verletzungen der Bedingungen erklären.
136
3 Implizite
Ereignispartizipanten
In der einen oder anderen Form besteht weitgehender Konsens darüber, dass sowohl Accomplishments und Activities in einer kanonischen Weise als Middles auftreten können (s. Ackema & Schoorlemmer (2006); Fagan (1992)). Diese beiden Verbtypen zeichnen sich durch das ereignisstrukturelle Merkmal der zeitlichen Ausgedehntheit aus. Im Sinne einer ersten Annäherung legt dies nahe, den Faktor der zeitlichen Ausgedehntheit, d.h. der Durativität, als das zentrale Kriterium zur Erklärung der Middle-Option anzusehen, vgl. u.a. Zwart (1998)). Dies scheint zunächst auch einleuchtend: Weder eine reine Telizitätsbedingung (s. u.a. Hulk & Cornips (2000)) noch eine Bedingung hinsichtlich Affiziertheit bzw. Effiziertheit des grammatischen Subjekts im Middle, wie verschiedentlich vorgeschlagen (s. u.a. Hoekstra & Roberts (1993); Roberts (1987)), können fur sich allein die empirische Sachlage in ausreichendem Maße erfassen: Sowohl atelische Verbkomplexe ((79)a) als auch Verben mit affiziertem und effiziertem Subjekt ((79)b/c) treten unkompliziert im Middle auf: (79)
a. b. c.
Der Charleston tanzt sich relativ gut. VWs fahren sich bekannterweise ziemlich einfach. Ein Ölbild malt sich naturgemäß ein bisschen schwerer.
Der Faktor der Durativität hingegen erklärt zunächst die allgemeine Distribution von Middles in VP-Komplexen wie den folgenden, zertrennen als Ausdruck eines nicht-durativen, punktuellen Ereignisses erzeugt im Middle eine eindeutige Markierung, zersägen mit seiner durativen Semantik hingegen nicht: (80)
a. b.
??
Die vereisten Holzscheite zertrennen sich ziemlich schwer, Die vereisten Holzscheite zersägen sich ziemlich schwer.
Auch (Kim'sche) Zustände treten aus diesem Grund nicht im Middle auf, da deren Wahrheitsbedingungen ebenfalls keine zeitliche Dauer implizieren:68 (81)
*Die Brigitte aus Wolfenbüttel kennt sich nicht gut.
Hier spielt aber offensichtlich noch etwas anderes eine Rolle. Auch einige durchaus durativ referierende Verben können nämlich trotzdem nicht im Middle auftreten. Dies sind zum Beispiel unakkusative Verben wie in (82), die keine transitive Variante aufweisen: (82)
a. b. c.
*Ein Fahrrad verrostet sich schneller als ein Auto. *Reife Früchte verfaulen sich im Spätherbst leicht. *Ein Blockhaus verfallt sich schwer.
Der Faktor der Durativität kann also nicht allein als Bedingung fur die Middle-Option gelten. Der Grund für die Ungrammatikalität ist hier ganz klar in der fehlenden Agentivität zu suchen (s. auch die Diskussion hierzu im nächsten Abschnitt). Daher gehen unakkusativ realisierbare Verben, die über eine kausative Alternative verfugen und in ihrer 68
Dies ist bei den Activities wie Die Kinder tanzen anders: Sie sind notwendigerweise ausgedehnt.
zeitlich
3 Implizite
Ereignispartizipanten
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transitiven Variante über eine Agens-Entität verfugen, die Middle-Konstruktion vergleichsweise gut ein: (83)
a. b. c.
Dünnes Papier zerreißt sich deutlich einfacher als Pappe. Trockenes Holz verbrennt sich wesentlich besser als feuchtes. Chinesisches Porzellan zerbricht sich hervorragend.
Auch Verben, die nicht zwischen transitiver und unakkusativer Variante alternieren und ausschließlich kausativ realisiert werden, kommen aus diesem Grund im Middle vor: (84)
a. b.
Schwarze Pfefferkörner zerstoßen sich mysteriöserweise besser als weiße. Holzboote zerstören sich wesentlich leichter als Torpedo-Kreuzer.
Middles sind also präferiert durativ und müssen agentiv interpretierbar sein sein, was bei Unakkusativa ausgeschlossen ist. Ein oft angeführtes Gegenbeispiel zu der Einsicht, dass Unakkusativa nicht im Middle auftreten können, findet sich in (85), s. Ackema & Schoorlemmer (2006: 175); Brinker (1969: 9), womit konstatiert wird, dass Agentivität tatsächlich keine Bedingung bei der Middle-Bildung darstellen könne. (85)
So leicht stirbt es sich nicht.
Für einen solchen Satz ist allerdings ganz klar eine Markiertheit zu vermerken: Der mit ihm vermittelte sprachliche Effekt beruht eben auf der Tatsache, dass hier Agentivität in einen ursprünglich nicht-agentiven, unakkusativen Verbkomplex interpretiert wird. Ähnlich verhält sich dies im ebenfalls markierten Beispiel in (86), das in gleicher Weise agentiv uminterpretiert werden muss: (86)
In Einkaufs-Zentren verblödet es sich besonders schnell.
Weitere Beispiele kommen von Steinbach (1998: 17): (87)
a. b. c.
Bei hellem Licht schläft es sich nicht so gut ein. Dann reist es sich besser. Es fahrt sich gut auf der Autobahn.
Auch für diese unakkusativen Beispiele stellt man fest, dass sie jeweils eine agentive bzw. Intentionalität implizierende Bedeutungskomponente aufspannen, die die Übernahme der Middle-Konstruktion ermöglicht. Halten wir also fest, dass Middle-Bildungen von echt unakkusativen Verben nicht als Produkt einer kanonischen Regelanwendung angesehen werden können und diese daher aus einer globalen Definition zunächst auszuklammern sind. Durativität und Agentivität sind somit als zwei kritische Bedingungen bei der Bildung eines Middle-Komplexes anzusehen. Middles bei Unakkusativa sind das Produkt einer Uminterpretation. Bei genauerer Betrachtung fallt auf, dass die Bedingung der Durativität bei der Bildung eines Middles vergleichsweise schwach ist. Das Verb zerbrechen in (83) zum Bei-
138
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Ereignispartizipanten
spiel bezeichnet ein punktuelles Ereignis, was sich in seiner Modifizierbarkeit mit einem Zeitpunkt-Adverbial zeigt: (88)
Die vererbte Sammeltasse zerbrach seltsamerweise genau um 13:13 Uhr.
Ähnlich verhält sich dies mit gewinnen oder finden, die ebenfalls in Middle-Konstruktionen auftreten. Sie sind zwar nicht vollständig unmarkiert, aber durchaus als mögliche Ausdrücke einzustufen, obwohl ihre Verben nicht durativ sind: (89)
a. b.
In dem schicken neuen Spiel-Casino gewinnt es sich besonders gut. Pfifferlinge finden sich nun mal nicht so leicht!
Die Beispiele zeigen, dass, obwohl die Bedingung der Durativität bei der Alternation einen deutlichen Einfluss hat, ein weiterer Faktor hier offensichtlich Einfluss nehmen kann. Es ist dies ein Faktor, der damit zusammenhängt, ob die fraglichen Ausdrücke als generische Sätze interpretierbar sind und ob an das Middle-Subjekt eine entsprechend charakteristische Eigenschaft zugewiesen werden kann: Middles müssen als generischer Ausdruck einer Eigenschaft interpretierbar sein. Dies ist u.a. dann erschwert, wenn das Middle-Subjekt définit gebunden ist. Dann ist die Etablierung einer generischen Lesart aufgrund der blockierten Artenreferenz - erschwert, s. den deutlichen Kontrast zwischen den Konstruktionen (89) und (90): (90)
a. b.
?? ??
Das Skat-Spiel im Verein letzte Woche gewann sich nicht so leicht! Mein Haustürschlüssel fand sich heute eigentlich ganz schnell.
Ich schlage demgemäß vor, dass der genannte Faktor der Zuweisbarkeit einer generischen Lesart in der Middle-Formation als stärker wirksam - symbolisiert durch '>' - im Vergleich zum Faktor der Durativität einzustufen ist. Die folgende Hierarchie illustriert diese Ordnung: (91)
Lexikalische Bedingung für die Middle-Α Iternation: GENERICITY . . . > . . . DURATIVITY
Diese Bedingung besagt Folgendes: Sobald ein Middle-Ausdruck generisch interpretiert werden kann, ist die Durativitätsbedingung signifikant abgeschwächt. Auch an anderer Stelle zeigt sich die Stärke des Einflusses der Generizitäts-Bedingung. Ein u.a. in Fagan (1992) und Ackema & Schoorlemmer (2006) besprochener Unterschied hinsichtlich der Middle-Option fur semantisch parallele Verben wie kaufen vs. verkaufen zeigt sich in folgenden Beispielen: (92)
a. b.
Der neue Grass-Roman verkauft sich erstaunlich gut. Der neue Grass-Roman kauft sich erstaunlich gut.
??
Fagan (1992) fuhrt zur Erklärung dieses Unterschieds eine zusätzliche responsibility condition ein. Diese besagt, dass das Subjekt einer Middle-Konstruktion als verantwort-
3 Implizite
Ereignispartizipanten
139
lieh fur die mit dem Prädikat ausgedrückte Handlung zeichnen können muss. Meines Erachtens ist diese Erklärung zu spezifisch und nur bedingt sinnvoll. Betrachtet man nämlich Ausdrücke wie in ((92)b) genauer, dann wird deutlich, dass bei ihrer Einbettung in Kontexte mit generischem Agens bzw. Ereignis, die Akzeptabilität in signifikantem Maße steigt: (93)
Manolo-Blahnik-Schuhe kaufen sich in der 5th Avenue einfach besser als bei Ebay.
Die Begründung für die in ((92)b) beobachtete Abweichung ist also demnach vielmehr in der Tatsache zu suchen, dass ein Ausdruck wie den neuen Grass-Roman kaufen sich präferiert auf ein singuläres Ereignis bezieht. Den neuen Grass-Roman verkaufen hingegen bezieht sich auf ein stetig wiederkehrendes Ereignis, aus dem nun - via generische Quantifizierung - eine charakteristische Eigenschaft des Thema-Arguments leicht abgeleitet werden kann. Diese Einsicht wiederum unterstützt die Aufnahme einer Generizitäts-Bedingung in die in (91) ausgedrückte Hierarchie. Eine Ordnung wie in (91) und die oben genannten Einschränkungen geben uns einen ersten Eindruck davon, wie die verschiedenen, in der Literatur oft zu gegensätzlichen und heterogenen Analysen fuhrenden Bedingungen für die Middle-Alternation in einem hierarchisch geordneten Regelwerk systematisch und nach ihren grammatischen Eigenschaften geordnet erfasst werden könnten. Eine weitere, strukturelle Bedingung, der die Middle-Bildung unterworfen ist, bezieht sich auf den Status des Arguments in der Argumentstruktur: Zum Middle-Subjekt promoviert werden kann - unter Berücksichtigung der o.g. Bedingungen - stets nur das am tiefsten eingebettete Argument einer verbalen Argumentstruktur, wenn es ein direktes Objekt ist. Damit erklärt sich die Ungrammatikalität von ((94)a): Das grammatische Subjekt dieser Middle-Konstruktion ist „tiefenstrukturell" das indirekte Objekt (das Dativ-Objekt) und damit weniger tief eingebettet als das direkte Objekt, was - wie ((94)a') zeigt - die Mittel-Altemation problemlos eingeht: (94)
a. a. ' b.
*Kleine Kinder lehren sich ja noch verhältnismäßig einfach. Nadelarbeit lehrt sich ja noch verhältnismäßig einfach. Kleine Kinder unterrichten sich ja noch verhältnismäßig einfach.
Aus genau diesem Grund ist auch - das semantisch ansonsten ja parallele - ((94)b) grammatisch, da hier das direkte Objekt des verbalen Prädikats von der Middle-Formation betroffen ist.69
69
Mit dieser Analyse weiche ich von der für diesen Phänomenbereich häufiger - zumindest für das Englische - zu findenden Annahme ab, dass es Goals sind, die von der Middle-Formation prinzipiell ausgeschlossen sind (s. u.a. Hoekstra & Roberts (1993)). Diese semantischkonzeptuell orientierte Erklärung kann - zumindest für das Deutsche - der empirischen Faktenlage offensichtlich nicht gerecht werden, da unterrichten parallel zu lehren ein ebensolches Goal enthält, dieses jedoch bei unterrichten durchaus zum Middle-Subjekt promoviert werden kann, wie sich in (94) zeigt. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch noch auf die Grammatikalität von Middles mit to teach im Englischen:
140
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Einen weiteren Hinweis auf die Art der Bedingungen, denen die Alternation unterliegt, liefern uns die folgenden Beispiele. Sie zeigen, dass auch unter einer kontextuellen Einbettung, die eine generische Lesart in starkem Maße unterstützt, nicht-agentive Verben im Middle trotzdem nur unmerklich akzeptabler geraten. Dies zeigt sich u.a. an den scheiternden Middles mit Kognitionsverben, also Verben, die nie eine agentive Lesart annehmen, in ((95)a/b): (95)
a. b.
Nicht-generischer Kontext: *Das gelbe Objekt sieht sich heute Nacht ziemlich gut. Generischer Kontext: *Gelbe Objekte sehen sich bei Nacht ziemlich gut.
Das agentive Äquivalent betrachten akzeptiert die Middle-Konstruktion sowohl in generischen als auch nicht-generischen Kontexten hingehen ohne Probleme: (96)
a. b.
Das gelbe Objekt betrachtet sich heute Nacht ziemlich gut. Gelbe Objekte betrachten sich bei Nacht ziemlich gut
Wir können also festhalten, dass die Bedingung der lexikalisch-semantischen Existenz eines Agens-Arguments weniger gut überschrieben werden kann, als dies für Durativität der Fall ist. Die dem entsprechende hierarchische Einordnung ist in (97) wiedergegeben: (97)
Lexikalische Bedingung für die Middle-Alternation : AGENTIVITY > GENERICITY > DURATIVITY
Der Faktor der Agentivität ist bei der Middle-Alternation als hierarchisch am prominentesten eingeordnet: Es gehen also nur die Verben die Alternation ein, die über ein agentives Argument verfügen. Verben, die sowohl die Bedingung der Agentivität als auch die der Durativität nicht erfüllen, sind demzufolge als am markiertesten einzustufen: (98)
a. b.
*Der Gipfel des Kilimandscharo erreicht sich nicht so einfach, Der Gipfel des Kilimandscharo erklimmt sich nicht so einfach.
Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob ein Agens-Argument auch in der lexikalischsemantischen Struktur von Middle-Komplexen vertreten ist und welche empirischen Evidenzen hierfür vorliegen. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt geklärt.
3.6.2
Der Status des nicht realisierten Agens-Arguments
Schauen wir uns die skizzierte Agentivitäts-Anforderung einmal etwas genauer an. Es wurde bereits in einer Vielzahl von Arbeiten zur Middle-Konstruktion argumentiert, dass ihr ein implizites (Agens-) Argument im Sinne der Definition in (2), Abschnitt 3.1, innewohnen muss, s. bspw. Abraham (1986); Fagan (1988), (1992); Roberts (1987): (i) ΒΑ-students teach quite easily. Die Angelegenheit kann hier nicht weiter verfolgt werden.
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Ereignispartizipanten
(99)
141
Agentivity condition (s. Ackema & Schoorlemmer (2006: 174)) The logical subject in a middle must be an agent.
Kaufmann (2001: 1) sagt Folgendes: ( 100)
Die Medialkonstruktion schreibt dem [... ] Subjekt [... ] die Eigenschaft zu, von einem beliebigen Agens auf die durch das Modaladverb spezifizierte Art verwendbar zu sein.
Wie bereits schon im vorigen Abschnitt gezeigt, erklären Definitionen dieser Art eine Vielzahl der empirischen Konstellationen. Zum Beispiel ist der Kontrast in der Akzeptabilität zwischen ((101)a) und ((101)b) eben genau darauf zurückzuführen, dass belauschen als agentives Verb die Middle-Alternation eingeht, hören als nicht-agentives Kognitionsverb hingegen nicht: (101)
a. b.
*Das Gespräch der Tischnachbarn hört sich diesmal nicht so einfach, Das Gespräch der Tischnachbarn belauscht sich diesmal nicht so einfach.
Auch die intransitiven, unergativen Verben - im Gegensatz zu den unakkusativen Verben - können ganz problemlos im (unpersönlichen) Middle auftreten, eben weil sie eine agentive Semantik aufweisen: (102) a. b.
Mit netten Freunden lacht es sich beim Fernsehen ganz besonders gut. Mit netten Freunden fallt es sich beim Skifahren weitaus weniger schmerzhaft.
Wir sehen, dass beim Middle eine agentive Entität tatsächlich in irgendeiner Weise implizit sein muss: Bei transitiven Verben wird diese unterdrückt und das direkte Objekt in die grammatische Subjekt-Position promoviert. Auch bei unergativen Verben bleibt die agentive Entität unrealisiert, und es wird stattdessen ein Expletivum in der Position des Subjekts realisiert. Kanonische unakkusative Verben weisen keine agentive Bedeutungskomponente auf und können daher nicht in einer Middle-Konstruktion realisiert werden. Evidenz für die grammatische Verankerung einer agentiven Entität in einem MiddleKomplex liefern uns auch Instrument-Phrasen. Bekanntermaßen fordern diese von ihrem Gastgeber die (willentliche) Aktivität eines Agens ein. Diese Bedingung ist mit der Middle-Semantik und der eines Passivs kompatibel, mit der eines Dekausativs hingegen nicht (s. Marelj (2004)): (103)
a. b. c.
Mit Torpedos versenken sich feindliche Kreuzer leicht. Mit Torpedos wurden feindliche Kreuzer versenkt. *Mit einem Torpedo versinken feindliche Kreuzer.
Eine Instrument-Phrase kann auch nicht als Modifikator innerhalb der AvP charakterisiert werden, da sich Instrument-Phrasen auch an Middles ohne adverbialen Ausdruck anschließen:
142
3 Implizite
( 104) a. b.
Ereignispartizipanten
Richtig starke Pappe schneidet sich mit einer Schere fast gar nicht, sondern nur mit einem scharfen Messer, Das neue Bleikristall schneidet sich auch mit einem Glasschneider eher nicht.
Wir können dies als weiteren Hinweis auf die semantische Existenz einer agentiven Entität in Middle-Komplexen werten. Eine gänzlich andere Auffassung wird hierzu u.a. von Condoravdi (1989) vertreten, der feststellt, dass Middle-Konstruktionen überhaupt keine Bedingung hinsichtlich des Vorkommens einer agentiven Entität stellen und daher also auch unakkusative Verbkomplexe im Middle auftreten können (s. Condoravdi (1989: 20), s. auch die Diskussion im vorigen Abschnitt): (105)
These raisins blacken slowly in the dark.
Nun wird hier allerdings der Unterschied zwischen Middle und Unakkusativ nivelliert: Den gängigen Definitionen zufolge handelt es sich bei einem Verbkomplex wie (105) nicht um eine Middle-Konstruktion. Die Aufhebung des Unterschieds zwischen Unakkusativ und Middle ist von Condoravdi (1989) aber durchaus beabsichtigt, vgl. auch Haie & Keyser (1987); Schäfer (2006). Demzufolge sind jegliche Argumentreduktionen, wie wir sie im Middle, Dekausativ oder auch Passiv vorfinden, einer singulären und generellen Operation der lexikalischen Transitivitätsalternation zuzuordnen. Es wird dazu u.a. argumentiert, dass im Middle - analog zum Passiv - das nicht realisierte Argument an anderer Stelle problemlos versprachlicht werden könne. Dies gelte fur das Griechische (s. (106)a), ebenso wie fur das Russische, wo das Äquivalent der passivischen Aj/-Phrase mit einer Instrumental-DP ausgedrückt wird. Ähnliches zeigt sich im Englischen und marginal auch im Deutschen:
3 Implizite (106)
Ereignispartizipanten a.
b. c.
143
Afto to psomi kovete efkola akoma ki apo pedia. ,This bread can be cut easily even by children' (s. Condoravdi (1989: 25)) This book reads easily for John. Für Kinder liest sich ein solches Buch wirklich nicht besonders einfach.
Ich gehe auf Konstruktionen dieser Art gleich noch genauer ein. Zunächst einmal ist die Entscheidung darüber, ob für den Middle tatsächlich keine eigenständige „rule of middle formation" zur Erzeugung einer „distinct lexical category" (Condoravdi ((1989): 26)) vorliegt, an die Einsicht darüber zu koppeln, wie autonom Alternations-Regeln im Lexikon formuliert werden. Fest steht, dass sich Middles, Passiva und Dekausativa grundlegend in ihrer kompositionalen Semantik unterscheiden und daher also jeweils unterschiedliche lexikalisch-semantische Struktureinheiten von den operativen Eingriffen in jeweils ganz unterschiedlicher Weise betroffen sind. Eine Vereinheitlichung der genannten Typen von Verbkomplexen kann daher nur Übergeneralisierung zur Folge haben. Und übrig bleibt damit die uns interessierende Frage nach der sprachlichen Charakteristik des nicht realisierten Arguments in den einzelnen Konstruktionen. Wir halten also daran fest, dass die Middle-Semantik notwendigerweise eine agentive Entität aufweist. Zur Erfassung des grammatischen Status dieser Entität müssen wir nun mehrere Teilfragen beantworten. Zunächst einmal muss festgestellt werden, ob die agentive Bedeutungskomponente möglicherweise auf die Semantik des adverbialen Ausdrucks (i.e. gut, leicht, einfach), welcher unter Umständen Agentivität bereits selbst impliziert, zurückzufuhren ist. Bhatt & Pancheva (2006) lehnen dies ohne weitere Diskussion ab, indem sie vermerken, dass die Präsenz eines Adverbials in Sätzen wie (107) eine agentive Interpretation ja keineswegs erzwingen würde: (107)
The ship sank easily.
Die Feststellung, dass hier nicht notwendigerweise eine agentive Semantik vorliegt, mag zwar wahr sein, lässt aber keine Rückschlüsse auf die kompositionalen Eigenschaften einer Middle-Konstruktion zu: Im Fall einer nicht-agentiven Lesart von ( 107) liegt dann - analog zum Beispiel (105) - eben keine Middle-Konstruktion, sondern wiederum eine unakkusative (hier eine dekausative) Konstruktion mit adverbialer Modifikation der Art und Weise des durch das Prädikat ausgedrückten Ereignisses vor. Im Deutschen, wo sich der Unterschied zwischen Middle ((108)a) und Dekausativ ((108)a) morpho-syntaktisch anhand der Präsenz des Reflexivums manifestiert, wird dies gut deutlich: (108) a. b.
Das Schiff versank leicht. Das Schiff versenkte sich leicht.
Bislang kann also der adverbiale Ausdruck als Stifter semantischer Agentivität im Middle noch nicht ausgeschlossen werden. Einen wichtigen Hinweis liefert uns aber die Tatsache, dass im Middle neben den evaluativen Adverbien wie leicht, gut, einfach auch nicht-evaluative Zeitspannenadverbiale auftreten und Middle-Konstruktionen mit Negation auch gänzlich ohne Adverbial auftreten können:
144 (109) a. b.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Eine Urlaubskarte schreibt sich doch in zwei Minuten! Ganz altes Brot schneidet sich fast gar nicht.
Ausdrücke wie in zwei Minuten bzw. die Negation in sich schneiden weisen keine agentiven Eigenschaften auf. Trotzdem wohnt den Ausdrücke in (109) eine agentive Semantik inne. Es muss hier also tatsächlich der lexikalisch-semantische Verbkomplex selbst sein, der eine agentive Bedeutungskomponente enthält. In diesem Sinne argumentiert bspw. Pitz (1987). Dort wird festgestellt, dass Adverbiale wie easily in ihrer thematischen Struktur vielmehr eine Benefaktiv-Rolle aufweisen und diese mit der impliziten Agens-Rolle des Verbkomplexes identifiziert wird. In ähnlicher Weise charakterisiert Fellbaum (1986) Middle-Adverbien als solche, die die Existenz eines verbalen Agens vom Verb einfordern. Sie argumentiert, dass das Adverb im Middle stets die aktive und absichtsvolle Involviertheit eines Agens voraussetzt. Demnach ist also in den MiddleVerben selbst ein Agens semantisch enthalten. In gleicher Weise meint Kaufmann (2001: 281), dass „die Funktion des Adverbs darin besteht [...] die Kontrollierbarkeit der Situation durch einen Agens einzubringen" und das Adverb somit für die Bindung der im Middle-Komplex enthaltenen Agens-Rolle notwendig sei. Dieser Analyse zufolge weist die prädikative Struktur eines (transitiven) Middle-Komplexes die betreffende Argumentstelle als lexikalisch-semantisch existent, aber thematisch ungebunden aus. Stattdessen wird hier ein als Reflexivum ausgezeichnetes, nicht thematisches Argument eingeführt, s. Kaufmann (2001: 283): (110)
9REFLÀy>.s [ACT(x,y)] (s)70
Die Frage, welchen grammatischen Status das logische Subjekt einer Middle-Konstruktion einnimmt, beantworten Hoekstra & Roberts (1993) ihrerseits anhand verschiedener Pro-Umgebungen. Diese zeigen eine „quasi-universale" 71 Interpretation der Agens-Entität als arbiträres Pro an (s. hierzu auch Cinque (1988)). Demgemäß erlaubt eine MiddleKonstruktion ein Aufgreifen dieses quasi-universalen Pros durch ein singuläres Individuum (= John in (111)) scheinbar nicht: (111)
?* Bureaucrats bribe easily; even John managed it. (s. Hoekstra & Roberts (1993: 187))
In einer ähnlichen Weise zeigt den Autoren gemäß die Unfähigkeit der nicht realisierten Argumentstelle, ein PRO zu kontrollieren, dass dieses Argument syntaktisch nicht aktiv ist: (112)
*In this country, bureaucrats bribe easily [PRO to avoid paying taxes]. (s. Hoekstra & Roberts (1993: 192))
Folgen wir den Autoren, dann wird ein Middle-Pro lediglich thematisch realisiert: Mittels Theta-Identifikation wird das Argument des Adverbs mit der externen Argumentstel70
Die Repräsentation wurde aus Gründen des besseren Verständnisses leicht angepasst. Mit „quasi-universal" ist generisch referierend gemeint.
3 Implizite
Ereignispartizipanten
145
le des Verbs im Middle identifiziert, was dessen Lizenzierung zur Folge hat. Parallel dazu schlägt Fagan (1988) vor, dass die komplette Theta-Struktur des Verbs beim Middle erhalten bleibt, da die syntaktisch koverte Argumentstelle stets „mitverstanden" wird: Die externe Argumentstelle der verbalen Eingabestruktur wird demnach lediglich generiseli gebunden und bleibt damit notwendiger Teil der Bedeutungsrepräsentation. Die skizzierten Analysen lassen allerdings einiges offen. Zum einen sind zumindest im Deutschen Konstruktionen äquivalent zum Beispiel in (111) durchaus möglich:72 (113)
Weißbrot schneidet sich ja nun wirklich nicht schwer, sogar Hannes schafft das.
Zum anderen liegt im Englischen und Deutschen die oben bereits angesprochene forKonstruktion vor, die - ähnlich der òy-Phrase im Passiv - das nicht realisierte Argument zu explizieren scheint, s. auch die Beispiele in (106): (114) a. b.
These books read easily for John. Für den Metzger schneidet sich auch Schweinefleisch einfach.
An verschiedenen Stellen wurde vorgeschlagen, dass die /or-Phrase ein zurückgestuftes, „implizites" Argument eines Middle-Verbs realisiert (Bature (1989); Stroik (1992), (2004), (2006)). Kaufmanns (2001) Analyse legt Ähnliches für das Deutsche nahe: Sie besagt, dass eine ywr-Phrase das agentive Argument des Komplexes, welches durch das Adverb gebunden wird, realisieren kann. Stroik (2006) argumentiert analog, indem er konstatiert, dass dieyör-Phrase als Realisierung des grammatisch aktiven, wenngleich zurückgestuften externen Arguments anzusehen sind. Er fuhrt dafür folgendes Beispiel an, s. ebd., S. 306: (115) a. a.' a."
No Latin text translates easily for me. People in general translate no Latin text easily for me. I (generally) translate no Latin text easily.
Stroik argumentiert, dass ((115)a) nicht mit ((115)a'), sondern mit ((115)a" paraphrasiert werden muss. Dies zeige, dass eine for-Phrase und ein overtes externes Verbargument (d.h. people in (115)a')) bei der Interpretation einer Middle-Konstruktion nicht koexistieren können. Dies ließe seinerseits darauf schließen, dass die yör-Phrase mit dem grammatisch aktiven, externen Argument von translate assoziiert sei. Ich habe hier ebenso wie Ackema & Schoorlemmer (2006) allerdings meine Bedenken. Sie halten einer solchen Annahme entgegen, dass semantisch parallele /or-Phrasen eben doch auftreten können, auch wenn alle Argumentstellen overt gesättigt sind (s. ebd., S. 189)). Die forPhrase expliziert demgemäß kein Argument, sondern einen Bedeutungsanteil, der jenseits eines (impliziten) Agens-Ausdrucks anzusiedeln ist:
72
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Feststellung einer UngrammatikalitätZ-akzeptabilität auch für das englische Beispiel in (111) meinen Informanten zufolge zumindest diskutabel scheint.
146 (116)
i Implizite a. b.
Ereignispartizipanten
In counseling, he was not able to express feelings for himself. He was suprised the arrangements went so smoothly for himself, his wife, and four children.
Analoges ist mit den passivischen òy-Phrasen nicht möglich, da sie tatsächlich ein implizit gelassenes Argument des Verbs realisieren. Bei expliziter Sättigung aller Argumentplätze erzeugt der Anschluss einer ¿ry-Phrase daher - durchaus trivialerweise - eine Ungrammatikalität: (117)
a. b.
John read the Time Magazine (*by Peter). Ennis kissed Alma (*by Jack).
Dass die/or-Phrasen nicht als reguläre Realisierer einer nicht realisierten Argumentstelle angesehen werden können, zeigt sich auch daran, dass eine Negation des Gesamt-Komplexes in einem adversativen Nebensatz keinen Widerspruch erzeugt: (118)
Für John liest sich ein solches Buch doch leicht, aber er hat es trotzdem nicht gelesen.
Ähnliches ist bei passivischen Verbkomplexen nicht möglich - in solchen Umgebungen wird eine Kontradiktion ausgelöst: (119)
#Von John wurde ein solches Buch gelesen, aber er hat es trotzdem nicht gelesen.
Deshalb handelt es sich m.E. bei den /or-Phrasen wie in (114)/(118) keineswegs um eine lexikalisch basierte Realisierung einer „impliziten" Argumentstelle des Verbs, sondern lediglich um eine Einschränkung des Geltungsbereiches eines generischen Ausdrucks auf die im Komplement der Präposition gegebene Entität. Ähnliches wurde oben bereits fur den Bereich der zeitlichen Einschränkung generischer Ausdrücke festgestellt (s. Abschnitt 3.6.1). Wir müssen hier also offensichtlich einen Zwischenweg einschlagen. Einerseits weisen Middles eine eindeutig agentive Bedeutungskomponente auf, die entsprechende Rolle ist semantisch präsent. Andererseits ist das externe Argument bei den Middles zwar zugänglich, aber wesentlich eingeschränkter als das etwa für Passiva zu vermerken ist. Eine vermittelnde Lösung könnte nun folgendermaßen aussehen: Die von der Alternation betroffene Argumentstelle selbst, also bspw. der READER im idiosynkratischen Bedeutungsanteil eines /&se«-Komplexes, ist im Middle lexikalisch-semantisch vollständig unterdrückt. Semantisch realisiert dagegen ist das externe, agentive Argument der ereignisstrukturellen Konstante des Verbs, die ohnehin in die semantische Repräsentation integriert werden muss. Schauen wir uns diese Möglichkeit einmal etwas genauer an.
3.6.3
Lexikalisch-semantische Repräsentation
Die oben besprochene Datenlage zeigt, dass in Middle-Konstruktionen die von der Alternation betroffene Argumentstelle selbst linguistisch nicht realisiert ist, sie aber trotz-
3 Implizite
147
Ereignispartizipanten
dem aufgrund der ereignisstrukturellen und thematischen Restriktionen notwendiger Bestandteil der kompositionalen Semantik einer Middle-Konstruktion sein muss. Dies legt nahe, die obligatorische Interpretation der agentiven Entität im Middle an den ereignisstrukturellen Typus der Konstruktion zu binden. Oben wurde festgestellt, dass (in einer präferierten Weise) Activities ebenso wie Accomplishments die Middle-Alternation eingehen. Sowohl Activity- als auch (transitive) Accomplishment-Ausdrücke implizieren in ihren Dekompositionsstrukturen die Existenz einer agentiven Entität auf konzeptueller Ebene: Der thematische Wert einer Argumentstelle ergibt sich demnach konfigurationell, d.h. aus der Position, die das Argument relativ zu seinem Prädikat einnimmt (s. hierzu u.a. Bierwisch (1986); Härtl (2001a); Jackendoff (1987)). So wird bspw. das am höchsten eingebettete Argument (= x) der ereignisstrukturellen Prädikatskonstante DO bei einem Activity-Verb stets als Agens interpretiert. Ähnliches gilt für das Individuen-Argument von CAUSE bei einem Accomplishment-Verb: (120)
a.
Activity-Verben: λχ λε [e INST [ D O ( X )
ΛY
& PRED(x,Y)]]
PRED(e) & AGENT(x,e) ...
b.
Accomplishment-Verben: λy λζ λχ λε [e INST [CAUSE(x, BECOME [PRED(y)]]] PRED(e) & AGENT(x,e) ...
Halten wir uns die oben diskutierte Datenlage noch einmal vor Augen: Eine MiddleKonstruktion weist (i) implizite Agentivität auf; (ii) die externe Argumentrolle des verbalen Prädikats ist lexikalisch nicht realisiert und wird daher nicht in die Syntax projiziert, und (iii) sie ist stets aus einem Activity- bzw. Accomplishment-Verb abgeleitet. Aus dieser Konstellation lässt sich eine lexikalisch-semantische Repräsentation wie in ((121)a) für das Activity-Verb lesen in einer Middle-Konstruktion des Deutschen ableiten: (121)
a.
Middle-Verben: lesen: λy ye [e* INST [DO(x) & LESEN(y)]]: y = [+REFL]73
73
Ich nehme ohne tiefergehende Diskussion an, dass das Reflexivum syntaktisch im Komplement des Verbs realisiert wird und dort den Akkusativ-Kasus absorbiert. Lexikalisch-semantisch ist diese Position durch den Ausdruck des internen Arguments (y) gebunden, welcher via EPP in die Subjekt-Position verbracht wird. Die vorgeschlagene Repräsentation in (121) ist prinzipiell kompatibel mit der von Bierwisch (2006b): Bei ihm jedoch wird bei den Middles wie in Das Buch liest sich leicht eine unechte Argumentstelle (z) zur Argumentstruktur hinzugefugt, wodurch die verbleibende echte Argumentstelle (y) ihrerseits mit einem Reflexivum assoziiert wird, ebd., S. 13: (i)
/ les /
{ yuEFL, ζ }
[ χ READ y ]
Zum Vergleich noch einmal die Repräsentation für die medialen Verben wie in Das Erbrecht ändert sich, s. Bierwisch (2006a) und Fußnote 46: (ii)
/ änder /
{y^, χ }
[ BECOME [ DIFFERENT
y ]]
Der Unterschied zwischen Middles und medialen Verben besteht bei Bierwisch (2006a) lediglich in der Motivation für die unechte Argumentstelle (z bzw. x), deren Existenz bei den Midd-
148
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Da Middle-Konstruktionen - prinzipiell betrachtet - generische Ausdrücke sind, was sich auch grammatisch niederschlägt (s. die Diskussion hierzu im Abschnitt 3.6.1), wird hier ein generischer Operator (i.e. γ) im Sinne von McCawley (1993) eingesetzt. Dieser bindet die Ereignisvariable generisch und bildet somit eine Ereignisart mit k als kind, ,Art' ab, s. u.a. Krifka et al. (1995); vgl. Steinbach (1998); Streik (2006)). Zum Vergleich sind in ((122)a/b) die in Abschnitt 3.5 erörterten intransitiv verwendeten Activity-Verben und die Repräsentation ihrer transitiven Pendants noch einmal wiedergegeben: (122) a.
Intransitive Activity-Verben: lesen: λ χ le [e INST [DO(x) & LESEN(x)]]
b.
Transitive Activity-Verben: lesen: l y λ χ Xe [e INST [DO(x) & LESEN(x,y)]]
Die Repräsentation der Middle-Konstruktion in (121) leistet die notwendigen Aufgaben, um die kompositionalen Eigenschaften der Struktur zu erfassen: Zum einen ist der ereignisstrukturelle Typus (hier eine Activity) kodiert. Es ergibt sich aus dem konzeptuellen Postulat in (120) die implizite Agentivität der Middle-Konstruktion. Gleichzeitig bleibt das Argument des Ereignis-Prädikats DO lexikalisch ungebunden, woraus sich die quasiuniversale bzw. unspezifische Interpretation ergibt. Daneben ist die vormals externe Rolle des idiosynkratischen verbalen Prädikats (LESEN) aus der Argumentstruktur eliminiert, d.h. ihre reguläre Realisierung mittels eines präpositionalen Adjunkts, wie das etwa beim Passiv möglich ist, ist blockiert: Die entsprechende Argumentstelle ist lexikalisch nicht präsent. Mit einer eigenständigen lexikalisch-semantischen Repräsentation fur Middles wird die Annahme gefestigt, dass Middles das Produkt einer lexikalischen Regelanwendung sind. Dies ist im Sinne von Fagan (1988) und wendet sich gegen die u.a. in Hoekstra & Roberts (1993) formulierte Annahme, dass Middles stets als das Produkt einer NPBewegung in der Syntx anzusehen sind.74 Gegen letzteres sprechen m.E. die oben diskutierten lexikalischen Einschränkungen fur die Middle-Alternation und die speziellen semantischen Eigenschaften, mit denen eine Middle-Konstruktion ausgestattet ist. Fagan formuliert im Sinne von Williams (1981) demgemäß für die Middle-Bildung die folgende lexikalische Regel:
le-Konstruktionen stipuliert werden muss. Die Angelegenheit kann hier nicht entschieden bzw. vertieft werden, zu weiterführenden Überlegungen sei aber noch an Bierwisch (1996) und Steinbach (1998) verwiesen. Diese Angelegenheit wird hier aber nicht weiter vertieft. Die Leserin sei auf die relevante Literatur und die dortigen Referenzen zur Thematik verwiesen, s. u.a. Abraham (1987); Pitz (1987); Fagan (1992). Angemerkt sei noch, dass sich die Problematik wesentlich entschärft, wenn man annimmt, dass syntaktische und lexikalisch-semantische Repräsentationen das Produkt wohldefinierter Linking- und Abbildungsregeln sind und eine Festlegung sprachlicher Phänomene auf die eine oder andere Ebene der linguistischen Strukturbildung sich überhaupt nicht als zweckdienlich erweist.
3 Implizite (123)
149
Ereignispartizipanten a.
Middle-Verben: Externalize the direct θ-role. (s. Fagan (1988: 198))
Die Repräsentation in (121) kann nun als das (nicht weiter formalisierte) Produkt dieser Regel angesehen werden. Daneben ist die oben formulierte Repräsentation kompatibel mit der in Fagan (1992) artikulierten Annahme, dass das (nicht referentielle) Reflexivum in Middle-Konstruktionen des Deutschen eine Argument-Position (= y) besetzt und syntaktisch den Akkusativ-Kasus absorbiert und nicht etwa als Klitikum anzusehen ist: Syntaktisch betrachtet sind Middles im Deutschen transitiv, d.h. das interne Argument des Prädikats ist strukturell gebunden, und zwar mittels des Reflexivums. Damit klärt sich auch die in Stroik (2004) aufgezeigte Widersprüchlichkeit, die damit zusammenhängt, dass Middles trotz einer unterdrückten externen Rolle des verbalen Prädikats im Deutschen eben syntaktisch transitiv sind. Für die Annahme, dass die betreffende agentive Argumentstelle im ereignisstrukturellen Teil der Middle-SR präsent ist, sprechen auch die folgenden Daten: ( 124) a. b. c.
Dem Bauer verbrannte Getreide im Wert von mehreren tausend Euro. Trockenes Getreide verbrennt sich gut. Trockenes Getreide verbrennt sich dem Bauer gut.
Schauen wir uns zur Erläuterung des in ((124)c) sichtbaren Effektes das repräsentationelle Format einer Middle-Konstruktion mit einem kausativen Verb wie verbrennen an: (125)
Middle-Komplex mit kausativem Verb: λ y yek [e* INST [CAUSE(x, BECOME [BURNT(y))]]]
In den Abschnitten 3.3.1 und 3.3.2 wurde festgestellt, dass Unakkusativa einen DativCauser - wie in (124) durch die DP dem Förster vertreten - mit der Interpretation eines (nicht-volitionalen) Verursachers erlauben. Im Gegensatz zu bspw. Passiva kodieren Unakkusativa keine eigene ursächliche Relation. Diese Argumentation greift in ihrer Umkehrung hier auch: Accomplishment-Middles drücken eine generiseli verankerte Eigenschaft aus, welche aus einer ursächlichen Relation zwischen der (willentlichen) Aktivität eines Agens und einem Zustandswechsel abgeleitet ist. Aus diesem Grund kann keine weitere ursächliche Relation, wie sich sie eben in einer Dativ-DP ausdrückt, in den Middle-Komplex integriert werden. Dies hätte, wie in (126) sichtbar wird, eine illegitime Dopplung der CAUSE-Bedeutungskomponente bzw. ihres agentiven Bedeutungsanteils zur Folge: ( 126)
Middle-Komplex mit kausativem Verb: * λ y YE K [ E * I N S T [ C A U S E ( X , B E C O M E [ B R O K E N ( y ) ) ] ]
&
[CAUSE(x, ^ P O S S ( x , y ) ) ] ]
Genau dieser Umstand bietet uns auch die Erklärung für die Ungrammatikalität der Konstruktion in ((124)c): Wäre die ereignisstrukturelle Konstante der VerursachungsRelation aus der SR einer Middle-Konstruktion gelöscht, dann sollte eine Dativ-DP mit
150
3 Implizite
Ereignispartizipanten
agentiver bzw. kausaler Interpretation ohne Schwierigkeiten anschließbar sein. Dass dies nicht möglich ist, zeigt uns, dass der entsprechende Bedeutungskomplex in der fraglichen Repräsentation bereits präsent sein muss. 75 Falls das vorgeschlagene repräsentationelle Format fur Middles in (121) und (125) beschreibungsadäquat ist, dann sollte es auch bei Strukturen anwendbar sein, die lexikalisch selbst zwar nicht intrinsisch agentiv, aber ereignisstrukturell betrachtet als Activties bzw. Accomplishments realisiert werden können. Diese Konstellation liegt zum Beispiel bei psychischen Verben vor, die als Activities auftreten können. Sie verfugen über eine Stimulus-Entität im externen Argument und die DO-Konstante als Ausdruck ihrer möglichen Realisierung als Activity (s. hierzu Härtl (2001a) und Abschnitt 4.1 unten): (127) (128)
Der Clown erfreute die Zirkusbesucher zwei ganze Stunden lang! Psychische Stimulus-Experiencer-Verben: erfreuen·,
λ y λ χ λ ε [e INST [DO(x) & PSYCH-STATE(y,x)]]
Aufgrund der Activity-Komponente sollten Stimulus-Experiencer-Verben also im Middle vorkommen können. Dies bestätigt das Beispiel in (129), welches nur eine leichte Markierung aufweist: (129)
(?)
Zirkusbesucher erfreuen sich besonders leicht.
Sehen wir uns im Kontrast dazu Experiencer-Stimulus-Verben an. Diese können grundsätzlich nicht als Activities realisiert werden, wie sich unter Anbindung eines Rahmenadverbials zeigt: (130)
Gunnar liebt Matheaufgaben (*ganze zwei Stunden lang).
(131)
Psychische Experiencer-Stimulus-Verben: lieben:
λ y λ χ λ ε [e INST [PSYCH-STATE(x,y)]]
Aufgrund ihrer lexikalisch-semantischen Eigenschaften als genuine Zustände sind Experiencer-Stimulus-Verben im Middle nun tatsächlich wesentlich markierter als ihre agentiv verwendbaren Pendants. Dies begründet den deutlichen Akzeptabilitäts-Kontrast zwischen (129) und (132): (132)
75
??
Matheaufgaben lieben sich besonders gut.
Dies ist allerdings nur ein Teil der Story hierzu. Man beachte, dass der konzeptuell-semantische Aspekt der (Nicht-)Willentlichkeit einen weiteren Erklärungsansatz für die Ungrammatikalität von ((124)c) bietet: Middles drücken die volitionale Beteiligung des Agens am Ereignis aus, Dativ-DPn des diskutierten Typs hingegen werden stets nicht-willentlich interpretiert, was eine weitere Inkompatibilität erzeugt. Ferner sind Middles nicht unakkusativ, sie sind synatktisch transitiv (s. Fußnote 73), was seinerseits die Anschließbarkeit eines Dativ-Causer verhindert, s. Abschnitt 3.3.2.
5 Implizite
Ereignispartizipanten
151
Es scheint also, dass psychische Stimulus-Experiencer-Verben, also jene, die auch als Activities verwendbar sind, aufgrund ihrer ereignisstrukturellen Eigenschaften mit dem Middle-Schema kompatibel sind. Als Resultat der Middle-Bildung bei diesem Verbtypus liegt also eine Repräsentation wie in (133) vor, vgl. hierzu die Repräsentation in (121): (133)
Psychische Stimulus-Experiencer-Verben im Middle: erfreuen:
Xy yé
[e* INST [DO(x) & PSYCH-STATE(y)]]
Der vorgeschlagenen Vorgehensweise liegt die Einsicht zugrunde, dass sich die kompositionalen Eigenschaften der Middle-Konstruktion aus der ereignisstrukturellen Kompatibilität des Input-Verbs mit dem Middle-Schema ergeben - auf eine Formulierung der entsprechenden Wahrheitsbedingungen im Sinne einer Regel, die kompatible Verben in die Middle-Konstruktion überfuhrt, wollen wir an dieser Stelle verzichten. Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der in (134) wiederholten Middle-Repräsentation noch zu berücksichtigen ist, betrifft die modale Interpretation einer Middle-Konstruktion.76 (134) a.
Middle-Verben: lesen:
λ y ye* [e* INST [DO(x) & LESEN(y)]]
Die entsprechende Frage lautet, ob sich aus dieser Repräsentation die modale Lesart, welche bei Middles häufig anzutreffen ist, ableiten lässt. Die modale Lesart impliziert die für die implizite Agens-Entität bestehende Möglichkeit, das mit dem Verb ausgedrückte Ereignis ausführen zu können·. (135)
Kinderbücher lesen sich gut. —> Kinderbücher sind gut lesbar. —» Kinderbücher können gut gelesen werden. Middle: „y ist V-bar", „y kann ge-V-t werden"
Bei generiseli verwendeten Passiva liegt eine solche modale Interpretation offensichtlich nicht vor: (136)
Kinderbücher werden gelesen.
Leistet die Repräsentation in (134) die Absicherung des interpretativen Unterschiedes zwischen Passiv und Middle? Meines Erachtens ist die modale Lesart beim Middle nicht im Verb selbst zu verankern, sondern als das kompositionale Produkt einer MiddleAbleitung anzusehen. Demnach entsteht die fragliche Interpretation bei Verrechnung der generischen Semantik der Ereignisvariablen mit der Semantik des adverbialen Ausdrucks. Dabei liefert die generische Bindung der Ereignisvariable (ye*) der Interpretation den Bedeutungsanteil, der sich mit Adverbien wie typischerweise, meistens, üblicherweise assoziieren lässt - also den Teil einer modalen Semantik, der das Zulassen von Aus76
Ich danke Andrew Mclntyre für den Hinweis hierzu.
152
3 Implizite
Ereignispartizipanten
nahmen betrifft. Der verbleibende Bedeutungsanteil der modalen Semantik, der seinerseits die Komponente der Möglichkeit bzw. der Fähigkeit betrifft, wird durch den bialen Ausdruck und seine konzeptuell-semantischen Bedeutungsbestandteile beiteuert. Deshalb geht die modale Lesart auch verloren, wenn das klassische evaluative Adverb durch einen nicht-evaluativen Ausdruck wie in ((13 7)b) ersetzt wird: (137) a. b.
Schulaufsätze schreiben sich seit der Rechtschreibreform einfacher. Viele Komposita schreiben sich seit der Rechtschreibreform mit Bindestrich.
Ebenso verloren geht die modale Lesart, wenn die betreffende Middle-Konstruktion spezifisch referiert und die Ereignisvariable daher nicht generisch gebunden ist wie in ((138)b): (138) a. b.
Der neue Roman von Houellebeqc liest sich richtig gut. Der neue Roman von Houellebeqc liest sich gerade richtig gut.
Wir können insgesamt schlussfolgern, dass die modale Lesart als das Ergebnis einer Kalkulation aller beteiligten semantischen Faktoren anzusehen ist und nicht den lexikalischen Eigenschaften der verbalen Struktur selbst zuzulasten ist. Ich will aus diesem Grund von einer expliziten Verankerung einer entsprechenden Bedeutungskomponente in der lexikalischen Repräsentation des Middle-Verbs absehen. Schauen wir uns nun im nächsten Abschnitt noch einmal einige diskursstrukturelle Konstellationen an, die mit dem lexikalischen Konzept einer Middle-Konstruktion einhergehen, und fuhren wir die gewonnenen Erkenntnisse in einer abschließenden Kalkulation semantischer und konzeptueller Informationen der Konstruktion zusammen.
3.6.4
Diskurswert und Schnittstellenrechnung für Middles
Im Vergleich zu bspw. Passiva weisen Middles eine eingeschränktere Diskurswertigkeit hinsichtlich ihrer nicht realisierten Argumentstelle auf. So kann eine betreffende Entität nicht mit einem Bridging-Pronomen (i.e. das) aufgerufen werden, was bei Passiva gut möglich ist: (139) a. b.
A: Die Super-Illu liest sich leicht. B: Ja, aber das sind doch nur Fanatiker, A: Die Super-Illu wird gelesen. B: Ja, aber das sind doch nur Fanatiker.
Es wurde aber andererseits auch festgestellt, dass Middles in bestimmten Umgebungen einen kontextuellen Bezug auf die nicht realisierte Agens-Rolle zulassen. Dies zeigt das Beispiel in (113) hier wiederholt: ( 140) a.
Weißbrot schneidet sich ja nun wirklich nicht schwer, sogar Hannes schafft das.
3 Implizite
Ereignispartizipanten b.
153
Holzboote versenken sich verhältnismäßig leicht, sogar ein Vize-Admiral bekommt das hin.
Hier besteht ein klarer Kontrast zu den unakkusativen Verben, bei denen eine agentive Entität ja in keiner Weise vertreten ist. Bei ihnen ist eine Bezugnahme des Typs in (140) nicht möglich: (141)
Holzboote versinken verhältnismäßig leicht, sogar ein Vize-Admiral bekommt das hin.
??
Eine kontextuell gesteuerte Reanalyse der betroffenen Argumentstelle in einer SluicingKonstruktion, wie sie für die intransitivierten Activity-Verben vermerkt werden kann, ist wiederum weder bei Middles noch bei Unakkusativa erlaubt: (142) a. b.
Laubreste verbrennen sich angeblich einfach, aber keiner weiß, *wer. Laubreste verbrennen schnell, aber keiner weiß, *wer.
Sowohl bei intransitivierten Activity- als auch bei Partikelverben ist dies möglich: (143) a. b.
Karl hatte gelesen, aber keiner weiß, was. Max klebte den Sticker auf, aber keiner weiß, worauf.
Dieses Verhalten von Middle-Konstruktionen ist nach der Untersuchung der Befunde im vorigen Abschnitt auch erwartet. Einerseits verweisen Middles auf die Involviertheit einer agentiven Entität: Der dem Thema-Argument zugeschriebenen Eigenschaft wird ein Wahrheitswert stets in Relation zur Handlung eines Agens zugewiesen. Darüberhinaus aber handelt es sich bei einem Middle um einen nicht-episodischen Ausdruck einer generischen Eigenschaft, was seinerseits den sprachlichen Zugang zu genau dieser agentiven Entität blockiert. In diesem Sinne handelt es sich bei Ausdrücken wie (140) und dem Beisatz sogar Jens schafft das dort lediglich um eine Konkretisierung der in einen Ereignistyp eingebundenen quasi-universalen Agens-Entität. Aufgrund dieser Konstellation wollen wir davon ausgehen, dass bei Middles mit Verben wie lesen die logische Implikation eines quasi-universalen Agens vorliegt: ( 144)
Implikation bei Middles: PROPERTY(y) . . . & LESEN(e) . . . & THEMA(y,e) - > GN(AGENS(x,e))
Die Implikation besagt für unser Beispiel mit lesen Folgendes: Wann immer eine Eigenschaft einer Entität y (etwa B U C H ) beschrieben wird der Art, dass diese Entität Thema eines Lesen-Ereignisses ist, liegt ein quasi-universales (= GN) Agens, der Leser, vor. Man beachte, dass sich die Implikation einer quasi-universalen agentiven Entität bei Middles nicht aus dem Vorliegen einer generischen Eigenschaft einer Individuenentität ergibt. Vielmehr geht dies auf eine Eigenschaft wie des S I C H - L E S E N - L A S S E N S zurück, aus dessen
154
3 Implizite
Ereignispartizipanten
ontologischer Sorte sich eine agentive Entität obligatorisch ableitet (s. hierzu Abschnitt 3.6.3 und hier die Definition in (120)). In (145) nun ist demgemäß die Verbalisierungsregel fur eine Middle-Konstruktion wiedergegeben, bei der die implizierte Agens-Entität mit generischer Interpretation in eine lexikalisch-semantische Struktur überfuhrt wird, in der kein eigener Argument-Slot für diese Entität vorgesehen ist. Die logische Präsenz des Agens ergibt sich sprachlich also einzig aus dem ereignisstrukturellen Typ des Middle-Prädikats, das seinerseits einen generischen Ausdruck ohne konkreten episodischen Bezug abbildet: (145)
Anweisung des TP für Middles: VBL(PROPERTY(y) & LESEN(e) & THEMA(y,e) ... & GN(AGENS(x,e))) = Xy ye* [e* INST [DO(x) & LESEN(y)]]
Insgesamt können wir nun schlussfolgern, dass Middles hinsichtlich des durch sie ausgedrückten Maßes an impliziter Information zwischen Partikeln und Unakkusativa anzusiedeln sind: Zum einen erlauben sie - im Gegensatz zu den Unakkusativa - eine diskursstrukturelle Konkretisierung der quasi-universalen agentiven Entität. Andererseits ist mit Middles ein systematisches Wiederaufgreifen der reduzierten Argumentstelle, wie es etwa bei Partikeln sichtbar wurde, nicht möglich: INF
Abbildung 16: Verhältnis von SD : INF im Vergleich von Dekausativa, Partikeln, Middles und intransitivierten Activity-Verben
Die Graphik zeigt das Verhältnis von Strukturdichte SD und inferentiellem Aufwand INF, der fìir die (Re-) Konstruktion der betroffenen Argumentstelle bei den Middles aufgewendet werden muss. Die wesentliche Einsicht hierbei ist, dass die bei den Middles
3 Implizite
Ereignispartizipanten
155
implizierte Entität, die generiseli gebunden ist und daher quasi-universale Referenz aufweist, eine höhere Strukturdichte zur Folge hat als eine k-implizierte Ursache-Größe, die für den durch Dekausativa bzw. Unakkusativa beschriebenen Zustandswechsel verantwortlich zeichnet. Andererseits ist - so die Argumentation - bei den Middles diese Entität nur konzeptuell vertreten und nicht lexikalisch verankert - es wurde argumentiert, dass auf lexikalisch-semantischer Ebene lediglich der Ereignistyp einer MiddleKonstruktion auf die Präsenz einer agentiven Entität weist. Diese Konstellation wiederum platziert die Strukturdichte eines Middles unterhalb der einer Partikel, bei der die betroffene Argumentstelle auch lexikalisch vertreten ist.
3.7
Erstes Resümee
Wie in diesem Kapitel deutlich wurde, kann Implizitheit von sprachlicher Information nicht als absolute Eigenschaft eingestuft werden, es muss hierbei vielmehr hinsichtlich (i) der Kodierungs- und Präsenzart in der (lexikalisch-semantischen) Struktur, (ii) den mit der Kodierung verknüpften Schlussoperationen und (iii) der referentiellen Bindung, wie sich u.a. diskursstrukturell niederschlägt, unterschieden werden. Schauen wir uns nun die verschiedenen Struktureinheiten einmal in der Übersicht an. In Tabelle 4 sind die einzelnen in diesem Kapitel besprochenen Ausdrücke mit den entsprechend vorgeschlagenen lexikalisch-semantischen Repräsentationen zusammengefasst. Aus ihnen ergibt sich, ob implizite Partizipanteninformation lexikalisch-semantisch (i.e. in der PrädikatArgument-Struktur mit oder ohne thematische Funktion) präsent ist. Angegeben ist daneben die Art der Schlussoperation, aus der sich die verschiedenen Interpretationen impliziter Partizipanteninformation ergeben, und schließlich der Typ der referentiellen Bindung, der der implizite Ereignispartizipant ausgesetzt ist. Zu den einzelnen Details sei die Leserin an die jeweiligen Abschnitte verwiesen.
156
3 Implizite
Ausdruck
Ereignispartizipanten
LSPräsenz
Schlussoperation
nein
CAUSE [CHANGE(y), CHANGE(x)]
Referenztyp
Konversationelle Implikatur:
Dekausativa Xy Xe [e INST [BECOME [BROKEN(y)]]]
< - CHANGE(x)
Middles Xy yek [e* INST [DO(X) & LESEN(y)]]
(ja)
Ereignisstruktur-Implikation
GEN
ja
Implikation
A-DEF/
Partikeln X\ [BECOME [LOC(V, PRÄP(U))]]
Intrans.
"•SPEZIFISCH
Konventionelle Implikatur:
Activity
nein
Xx Xe [e INST [DO(X) & LESEN(X)]]
PROTO/ LESEN(e) & AGENS(x,e)
^SPEZIFISCH
- » THEMA(y,e)
Tabelle 4: Struktureinheiten mit impliziter Partizipanteninformation und den lexikalisch-/konzeptuell-semantischen Bedingungen
Eine wesentliche Grundeinsicht der angestellten Überlegungen war es, dass sich die Art der Kodierung implizit gelassener Information in den verschiedenen diskursstrukturellen Konstellationen niederschlägt. Ganz grundsätzlich gilt es hier zunächst einmal, zwischen vorwärtsgerichteter und rückwärtsgerichteter Bezugnahme auf ein nicht realisiertes Argument zu unterscheiden. Im nächsten Abschnitt wird deutlich werden, dass für eine detaillierte Erfassung der kontextuellen Optionen sich eine Einbeziehung der jeweils herrschenden informationsstrukturellen Bedingungen notwendig macht. Was mit vorwärtsgerichteter und rückwärtsgerichteter Bezugnahme gemeint ist, illustriert die folgende Darstellung. Bei rückwärtsgerichteter Bezugnahme ist der Ausdruck, welcher ein nicht realisiertes Argument enthält, vorerwähnt, Umgekehrtes gilt bei Vorerwähnung eines Ausdrucks mit entsprechendem explizitem Ausdruck, s. hierzu die nachstehende Übersicht: Ausdruck mit nicht realisiertem Argument
explizites Argumentäquivalent
rückwärtsgerichtet
Ausdruck mit nicht realisiertem Argument
vorwärtsgerichtet á>
Abbildung 17: Vorwärts- und rückwärtsgerichtete Bezugnahme auf implizite Argumente
(146)
RÜCKWÄRTSGERICHTET:
Gunnar liest tatsächlich, aber das ist doch sicherlich nur wieder eine Illustrierte. VORWÄRTSGERICHTET:
Karl kaufte den Bestseller und las die ganze Nacht lang.
3 Implizite
157
Ereignispartizipanten
Die folgende Tabelle dient einer ersten Erfassung der hier vorherrschenden Systematik, wie sie für die unterschiedlichen diskursstrukturellen Optionen bei der kontextuellen Einbettung impliziter Argument-Ausdrücke festgestellt wurde. Es sind hier auch noch einmal die verschiedenen Möglichkeiten einer Grammatikalisierung des nicht realisierten Argumentausdrucks (wie es etwa kanonischerweise mittels è_y-Phrase bei den Passiva erfolgt) wiedergegeben. Zu berücksichtigen sind allerdings die hierbei geltenden Einschränkungen, die in den einzelnen Abschnitten diskutiert wurden, und die sich etwa bei den Dekausativa bspw. darin zeigen, dass Umstands-Angaben hinsichtlich ihrer Distribution limitiert sind und nicht das gleiche Maß an Produktivität wie die όν-Phrase aufwiesen: Ausdruck
Grammatische Aufnahme
Diskursverhalten
Dekausativa
Umstands-Angaben, Dativ-DPn
-
Middles
-
rückwärtsgerichtet, s. ((147)a)
Partikeln
pleonastisches Direktional
nur vorwärtsgerichtet, s. ((147)b)
Intrans. Activity
-
rückwärts- und vorwärtsgerichtet, s. ((147)c & c')
Tabelle 5: Grammatische und diskursstrukturelle Realisierungsoptionen
(147) a. b. c. c.'
Weißbrot schneidet sich ja nur wirklich nicht schwer, sogar Hannes schafft das. Michael ging zum Brieflcasten und warf einen Brief ein. Gunnar liest tatsächlich, aber das ist doch sicherlich nur wieder eine Illustrierte, Karl kaufte den Bestseller und las die ganze Nacht lang.
In welcher Weise die gesammelten Daten nun mit informations- und diskursstrukturellen Konstellationen in Zusammenhang zu bringen sind, wollen wir uns im letzten Abschnitt dieses Kapitels anschauen.
3.8
Schnittstelle Informationsstruktur: Identifizierbarkeit und Aktivation
Die Beispiele in (147) machen bereits deutlich, dass vorwärtsgerichtete und rückwärtsgerichtete Diskursbeziehungen zwischen explizitem Argumentäquivalent und nicht realisiertem Argument nicht einfach mit einer informationsstrukturellen Gliederung wie der
158
3 Implizite
Ereignispartizipanten
Fokus-Hintergrund-Gliederung 201 assoziieren sind. Dies sei anhand der folgenden beiden Beispiele verdeutlicht: (148) a. b.
Nudeln kochen sich ja nun wirklich einfach. Das schafft sogar ein GrundschülerT0K. Der schwache Abiturient liest nun tatsächlich einmal. DasBACK ist allerdings wieder nur ein Comic.
Die Beispiele zeigen, dass der Ausdruck, der das sprachlich nicht realisierte Argument expliziert, sowohl Hintergrund- als auch Fokuswertigkeit (i.e. BACK vs. FOK in (148)) annehmen kann. Daher halte ich es fur sinnvoll, für unsere Belange ein breiter angelegtes System einzusetzen, das als Schnittstelle zwischen Grammatik, konzeptueller Ebene und Informationsstruktur fungiert. Ein solches System wird u.a. in Chafe (1976) und Lambrecht (1994) vorgestellt, die Gebrauch von den beiden kognitiven Kategorien der Identifizierbarkeit und der Aktivation machen. Mittels dieser beiden Kategorien wird der Status der mentalen Repräsentation von Referenten und deren Diskurswertigkeit erfasst. Hinsichtlich der Aktivation von Diskursreferenten unterscheidet Chafe (1987) drei Aktivationszustände: ACTIVE, SEMI-ACTIVE (bzw. ACCESSIBLE) und INACTIVE. Diese Zustände spiegeln die kognitive Stellung einer Entität im Bewusstsein eines Sprechers wider, was seinerseits mit den kognitiven Systemen des Arbeits- und des Langzeitgedächtnisses assoziiert wird. Identifizierbarkeit ist nach Lambrecht (1994) daran geknüpft, inwiefern ein Referent Teil des durch die Gesprächspartner geteilten Wissens ist: „... an identifiable referent is one for which a shared representation already exists [...] at the time of the utterance, while an unidentifiable referent is one for which a representation exists only in the speaker's mind.", Lambrecht (1994: 77f). Die beiden Kategorien korrelieren bekanntermaßen mit grammatisch realisierten Eigenschaften wie Definitheit oder Prosodie. So sind etwa identifizierbare Entitäten ( + I D E N T ) oft définit markiert und aktive Entitäten (+ACTIVE) typischerweise nicht-akzentuiert positioniert. Die Kombination der beiden Merkmale erlaubt - anders als etwa die traditionelle Gegeben-Neu-Unterscheidung - die systematische Erfassung von Fällen, bei denen eine Entität zwar als nicht aktiv, aber identifizierbar und damit prosodisch prominent {Heute traf ich deinen LEHRER) realisiert ist. Der skizzierten Vorstellung folgend ist eine Entität also dann nicht identifizierbar, wenn situativ und inferentiell keine Möglichkeit besteht, diese weiteren Diskursoperationen zugänglich zu machen. Dies ist etwa bei Dekausativa der Fall, bei denen - wie in Kapitel 3.3.5 argumentiert - lediglich ein reduktiv k-implizierter ursächlicher Zusammenhang zum beschriebenen Zustandswechsel konstruiert wird. Bei allen anderen sprachlichen Ausdrücken, die hier bislang behandelt wurden, hat es sich gezeigt, dass der nicht realisierte Argumentausdruck identifizierbar und hinsichtlich seines Aktivationsgrades zugänglich ist. In der Kombination mit der für den jeweiligen Ausdruck angenommenen Schlussoperation ergibt sich die folgende Klassifikation:
3 Implizite Ereignispartizipanten
159
Ausdruck
Schlussoperation
Dekausativa
Konversationelle Implikatur:
λγ λε [e INST
CAUSE [CHANGE(y),
[BECOME [BROKEN(y)]]]
CHANGE(x)]
Identifizierbarkeit/ Aktivation NON-IDENT/ INACTIVE
CHANGE(x)
Middles
Ereignisstruktur-Implikation
IDENT/ ACCESSIBLE
λ y ye* [e* INST [DO(x) & LESEN(y)]]
Partikeln
Implikation
IDENT/ ACCESSIBLE
λ ν [BECOME [LOC(v, PRÄP(u))]]
lntrans. Activity λ χ λ ε [e INST [DO(x) & LESEN(x)]]
Konventionelle
IDENT/
Implikatur:
ACCESSIBLE
LESEN(e) & AGENS(x,e) THEMA(y,e)
Tabelle 6: Struktureinheiten mit impliziter Partizipanteninformation: Schlussoperation und Diskursstatus
Der globale Aktivationswert ACCESSIBLE ist nun mit dem j e w e i l i g e n T y p der Schlussoperation zu assoziieren, der für die einzelnen Konstruktionen identifziert wurde. A u f diese W e i s e können w i r das diskursstrukturelle Verhalten schließlich klar definieren: Z u m Beispiel ist bei intransitiven Activities die betroffene Entität zugänglich via einer konventionellen Implikatur. Dies hat eine proto-typische Bindung der Entität zur F o l g e hat, was seinerseits in einer hohen diskursstrukturellen Zugänglichkeit, w i e sie aus Tabelle 5 ersichtlich ist, resultiert. W e n n w i r also die Tabellen 4 - 6 entsprechend zusammenfassen, kommen w i r zu dem Schluss, dass eine nicht realisierte Argumententität immer dann diskursstrukturell zugänglich ist, wenn sie entweder logisch impliziert ( w i e bei den Partikeln und den M i d d les) oder aber konzeptuell proto-typisch gebunden, w i e bei den intransitivierten A c t i v i ties, ist.
( 149)
Diskurszugänglichkeit von nicht realisierten Argumentstellen D i e Diskurszugänglichkeit einer morpho-syntaktisch nicht realisierten Argumentstelle ist gesichert, wenn diese entweder auf der Grundlage einer logischen
Implikation
oder einer proto-typischen
Bindung
als R e -
sultat einer konventionellen Implikatur identifiziert werden kann. W i r können uns auf der Basis der hier resümierten Ergebnisse nun bereits ein recht einträgliches Bild v o n den Antworten auf die am Ende des Kapitels 2 (s. dort ( 4 4 ) ) gestell-
160
3 Implizite
Ereignispartizipanten
ten Fragen verschaffen. Eine Verknüpfung mit dem hier angenommenen Modell steht bislang aus. Bevor wir uns diesem Aspekt zuwenden, wird im Folgenden untersucht, inwiefern sich die jetzt vorliegenden Ergebnisse auf einen anderen Typ impliziter Information anwenden lassen. Gemeint ist hier das, was üblicherweise als propositionaler Referent bezeichnet wird, was Situationen, Zustände und Ereignisse im weiteren Sinne umfasst. Ich grenze damit lediglich propositionale implizite Information von impliziten Individuengrößen ab und lege mich auf keine spezielle Ereignisontologie fest. Es wird auch weiterhin ein weiter Ereignisbegriff im Sinne der Bach'schen Eventualitäten verwendet (s. Bach (1986)). Für weitergehende Überlegungen sei der Leser an die einschlägige Literatur verwiesen, Higginbotham (2000); Larson & Segal (1995); Maienborn (2003); Verkuyl (2000), s. auch Fußnote 7.
4 Implizite Propositionen
In diesem Kapitel werde ich mich den implizit gelassenen bzw. nicht realisierten Informationen zuwenden, die mit propositionalen Einheiten und damit grammatisch mit Prädikatsausdrücken zu assoziieren sind. Ich gebrauche „Proposition" hier im traditionellen, logischen Sinne: Eine Proposition (bzw. eine Aussage im Aristotelischen Sinne) ist eine verbale Struktur, von der es sinnvoll ist zu fragen, ob sie wahr oder falsch ist. Propositionen sind also Sätze, die Sachverhalte ausdrücken und denen man damit einen Wahrheitswert zuweisen kann. Unter impliziten Propositionen verstehe ich sprachlich nicht realisierte Aussagen, die mit einem Ausdruck mitverstanden werden. Gemeint sind hier nicht auf pragmatischer Basis inferierte Aussagen, wie etwa bei indirekten Sprechakten, bei denen das illokutionäre Ziel nicht aus der Äußerung selbst erkennbar ist, oder thetische Sätze ohne TopikKommentar-Gliederung, denen eine „mitgedachte" Frage bzw. Aufforderung vorangestellt ist. Gemeint sind hier vielmehr solche Propositionen, die sich aus den lexikalischen und semantischen Eigenschaften der betreffenden sprachlichen Ausdrücke (entweder grammatisch oder konzeptuell) ergeben und die damit notwendiger Teil ihrer Bedeutung sind. Ein Beispiel hierfür bilden die psychischen Verben: (1)
a. b. c.
Johanna verehrt ihren Mathematiklehrer regelrecht. Viele Menschen bewundern George Lucas. Eric Clapton fasziniert sein Publikum immer wieder.
Wie sich zeigen wird, drücken psychische Verben implizit aus, dass eine bestimmte Eigenschaft für den denotierten psychischen Zustand verantwortlich zeichnet, ihn also verursacht (s. bspw. Brown & Fish (1983)). Diese kausale Relation bleibt jedoch sprachlich stets implizit und wird in der VP selbst nicht kodiert. Hierbei handelt es sich um eine Eigenschaft 77 der Stimulus-Rolle des psychischen Verbkomplexes. Diese Eigenschaft kann u.a. in kausalen Nebensätzen expliziert werden. Kausale Nebensätze dieser Art beschreiben den causa efficiens, also die direkte Wirkursache für den psychischen Zustand der Experiencer-Rolle:
77
Die Bezeichnung „Eigenschaft" ist hier in einem allgemeinen Sinne zu verstehen. Dass es sich dabei auch um eine Aktivität - die im Sinne einer einen psychischen Zustand auslösenden Eigenschaft interpretiert werden kann - handelt, wird in den folgenden Abschnitten deutlich werden.
162 (2)
4 Implizite a. b. c.
Propositionen
Johanna verehrt ihren Mathematiklehrer regelrecht, weil er stets freundlich und verständnisvoll ist. Viele Menschen bewundern George Lucas, weil er sich auch im Rentenalter ein kindliches Gemüt bewahrt hat. Eric Clapton fasziniert sein Publikum immer wieder, weil er sein Instrument so perfekt beherrscht.
Ein weiterer Ausdruck, bei dem propositionale Information implizit bleibt, liegt in der Gruppe von Verben vor, die eine Typenverschiebung (type-shifting) auslösen dahingehend, dass das Komplement des Verbs in eine Ereignislesart verschoben wird: (3)
a. b. c.
Günther Grass hat gerade sein neuestes Buch beendet. Steven Spielberg beginnt seinen neuen Film im nächsten Monat. Der Angestellte genießt den Apfelstrudel.
Je nach kontextueller Sachlage bezeichnen Verbkomplexe wie in (3) implizite Ereignisse: ein Buch beenden etwa impliziert ein SCHREIBEN-Ereignis, einen Film beginnen impliziert ein DREHEN- und Apfelstrudel genießen schließlich ein ESSEN-Ereignis. Mit diesen beiden Typen impliziter Information wollen wir uns im Folgenden genauer auseinandersetzen. Vor dem Hintergrund der im vorangegangenen Kapitel erörterten Problembereiche stellen sich die folgenden Fragen: (4)
(i)
Welcher sprachlichen Ebene ist die nicht realisierte propositionale Information zuzurechnen?
(ii)
Welche Schlussoperationen gewährleisten die Aktivation entsprechender impliziter Informationen?
(iii) Welchen diskursstrukturellen Wert weisen die nicht realisierten propositionalen Informationen auf? Im nächsten Abschnitt werden zur Beantwortung dieser Fragen in einem ersten Schritt psychische Verben des o.g. Typs behandelt. Es wird sich zeigen, dass bei ihnen eine konversationeile Implikatur vorliegt, welche die Ursache für den bezeichneten psychischen Zustand angibt. Diese Information ist informationstrukturell entwertet und diskursstrukturellen Operationen nicht zugänglich. In einem zweiten Schritt werde ich mich den typenverschobenen Verbkomplexen der Art DP beginnen zuwenden. Die lexikalischesemantische Struktur von Verben wie beginnen impliziert ein prädikatives Argument, das ein zeitlich intern strukturiertes Ereignis denotiert. Zur vollständigen Interpretation des Ausdrucks ist eine zusätzliche Implikatur notwendig, welche den ontologischen Typ des Ereignisses schließen lässt. Es zeigt sich, dass das implizit gelassene Ereignis bei typenverschobenen Komplexen im Kontext identifizierbar und informationsstrukturell nicht nur zugänglich, sondern dort auch aktiv und damit u.a. durch einen pronominalen Ausdruck aufgegriffen werden kann. Resümierend wird festgestellt, dass implizite Information im Diskurs nur dann aktiv ist, wenn die entsprechende argumentstrukturelle Anforderung - wie bei den typenverschobenen Komplexen - lexikalisch-semantisch gesättigt ist.
4 Implizite
4.1
Propositionen
163
Implizite Kausalität psychischer Verben
In diesem Abschnitt zeige ich zunächst, dass psychische Verben generell nicht-kausativer Natur sind. Ich widerlege damit die in der Literatur des Öfteren anzutreffende Annahme, dass Verben wie ängstigen im Gegensatz zu fürchten aus grammatischer Sicht einen Causer aufweisen, der mit der Subjekt-Position gelinkt ist. Vielmehr verhalten sich Verben wie ängstigen ereignisstrukturell parallel zu den Activities. Verben wie fürchten hingegen bezeichnen Zustände. Die damit zusammenhängenden grammatischen Eigenschaften wie die Modifizierbarkeit mit /«//-Adjunkten bei Verben des Typs ängstigen werden in einen systematischen Zusammenhang zu den identifizierten lexikalischsemantischen Merkmalen der beiden Verbgruppen gesetzt. Ich werde zeigen, dass die intuitiv durchaus richtige Annahme von Kausalität bei psychischen Verben auf das konzeptuelle Merkmal der impliziten Verbkausalität zurückzufuhren ist, was fur beide Verbtypen gleichermaßen gilt. Dieses Merkmal wird - wie der k-implizierte ursächliche Zusammenhang bei den Dekausativa, s. Abschnitt 3.3.5 oben - auf der Basis einer (reduktiven) konversationeilen Implikatur erschlossen. Dass diese Implikatur der Kausalität auch kognitiv real ist, zeigt sich an verschiedenen experimentellen Daten. Sie zeigen, dass Kausalattributionen, die den Prinzipien der impliziten Verbkausalität bei psychischen Verben entgegenlaufen, mit einem erhöhten Verarbeitungsaufwand einhergehen. Diese kausale Größe ist - wie sich im Verlauf der Untersuchung zeigen wird - allerdings nicht diskursfahig und informationsstrukturell entwertet. Psychische Verbkomplexe erlauben eine Versprachlichung der k-implizierten ursächlichen Relation mittels verschiedener Adjunkte und verhalten sich somit analog zu den unakkusativen, dekausativen Verbkomplexen, bei denen eine kausale Relation ebenfalls auf der Basis nicht-sprachlicher Informationen erschlossen wird.
4.1.1
Grammatische Eigenschaften
Die grammatischen Eigenschaften psychischer Verben sind verhältnismäßig gut untersucht. Die hier interessierende Untergruppe psychischer Ausdrücke, die eine NominativAkkusativ-Struktur aufweisen, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Stimulus-Experiencer- und Experiencer-Stimulus-Verben (S-E und E-S). Die syntaktische Realisierung hinsichtlich der Platzierung ihrer thematischen Argumente variiert systematisch, wie im Folgenden deutlich wird: (5)
a. b.
E-S: [Viele Menschen]EXPERIENCER bewundern [George Lucas]STIMLLLS. S-E: [Eric Clapton]STIMULUS fasziniert [sein Publikum]EXPERIENCER immer wieder.
Besonders vor dem Hintergrund von UTAH, der Uniformity of Theta Assigment Hypothesis von Baker (1988), (1997) stellt das Überkreuz-Linking der thematisch augenscheinlich identischen Argumente bei psychischen Verben ein Problem dar. So konstatiert etwa Piñango (2006) fur den in ((5)b) illustrierten S-E-Verbtyp ein Missverhältnis zwischen thematischer Funktion der beteiligten Entitäten in der von ihr angenommenen lexiko-konzeptuellen Struktur und der grammatischen Funktion dieser Entitäten. Voraussetzung fur eine solche Überlegung ist die Annahme einer thematischen Hierarchie. Eine
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Propositionen
solche Hierarchie regelt u.a., dass eine Experiencer-Rolle eine Stimulus-Rolle dominiert und daher in einer syntaktisch prominenteren Position, hier der Subjekt-Position, realisiert werden muss. Der Autorin zufolge schlage sich der illustrierte Mismatch auch aus psycholinguistischer Sicht nieder, was sich in der erschwerten Verarbeitung der „nichtkanonischen" S-E-Verben bei Broca-Patienten zeige. Verschiedene Analysen wurden vorgeschlagen, um die unterschiedliche syntaktische Positionierung der Argumente aus linguistischer Sicht zu motivieren. Belletti & Rizzi (1988) bspw. vertreten die Meinung, dass die beiden Verbgruppen tatsächlich identische thematische Relationen aufweisen. Die beiden Gruppen unterscheiden sich den Autoren zufolge jedoch hinsichtlich der Auszeichnung eines externen Arguments: E-S-Verben wie temere (,furchten') zeichnen demgemäß das Experiencer-Argument als extern aus, weshalb dieses in der Subjekt-Position realisiert wird. S-E-Verben wie preoccupare (,erschrecken') weisen kein Argument als extern aus, weshalb hier dem Experiencer die Funktion des direkten Objekts im Komplement der VP zugewiesen wird. Die genannten Ansätze gehen in der einen oder anderen Form davon aus, dass S-Eund E-S-Verben semantisch prinzipiell synonym sind. Dem gegenüber stehen Arbeiten, die für die beiden Verbtypen einen semantischen Unterschied vermerken, wie etwa Bierwisch (2006). In verschiedenen anderen Arbeiten wird vorgeschlagen, den LinkingUnterschied mit semantischer Kausativität in Zusammenhang zu bringen. So meint Grimshaw (1990), die auch von einer Identität der involvierten thematischen Rollen ausgeht, dass die Gruppe der S-E-Verben als kausativ zu charakterisieren sei. Aus diesem Grund würde dann die Stimulus-Entität bei S-E-Verben in einer aspektuellen Hierarchie höher platziert als bei E-S-Verben. Für E-S-Verben, die nicht-kausativ sind, gilt der Autorin zufolge, dass das Experiencer-Argument nun sowohl in der aspektuellen als auch der thematischen Hierarchie als höher als die Stimulus-Entität ausgezeichnet sei. Ähnliche Analysen schlagen u.a. Croft (1993) und Pesetsky (1995) vor, s. auch Primus (2006) und Rapp (1997a), bei der S-E-Verben wie faszinieren sogenannten Wirkungsverben, die eine CAUSE-Konstante lexikalisch aufweisen, zugerechnet werden. Jüngstes Beispiel für dieses Vorgehen ist die Analyse von Bentley (2006), die für Verben wie to bore oder to amuse, also S-E-Verben, die folgende Repräsentation vorschlägt, s. Bentley (2006: 103): (6)
to amuse [[do' (χ, 0 ) ] CAUSE [BECOME pred' (y)]]
Zur Untermauerung der Kausativitäts-Hypothese, die dieser Repräsentation zugrunde liegt, wird oft vermerkt, dass S-E-Verben mit kausativen Konstruktionen paraphrasierbar seien (s. Grimshaw (1990: 22f); Bentley (2006: 102)): (7)
Der Sturm ängstigt uns. —» Der Sturm verursacht, dass wir Angst haben.
Dem gegenüber stellt Grimshaw fürchten-Verben, die stets zuständlich seien und niemals ein „event reading" wie die ängstigen-Verben annähmen. Auf dieser Basis wird argumentiert, dass S-E-Verben mit den kausativen Accomplishments vergleichbar seien, die die Aktivität einer Individuenentität und einen daraus resultierenden Zustand einer ande-
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Propositionen
ren Individuenentität bezeichnen. Die Stimulus-Entität ist bei S-E-Verben demnach mit dem ersten Teilereignis assoziiert und wird deshalb in einer höheren Position der aspektuellen Hierarchie platziert. In einer ähnlichen Weise äußert Dowty (1991), dass nur S-EVerben die inchoative Lesart eines durch den Stimulus verursachten Zustandswechsels zuließen. Dies statte den Experiencer mit den Eigenschaften eines Proto-Patiens aus, für das eben die syntaktische Objekt-Position vorgesehen sei. In Härtl (2001a), (2001b) wird die Hypothese, dass S-E-Verben das Merkmal der lexikalisch-semantischen Kausativität aufweisen und sich damit in dieser Hinsicht von ES-Verben unterscheiden, jedoch widerlegt. Gegen die Kausativitäts-Annahme sprechen zum einen die homogenen Teilintervalleigenschaften, die S-E-Komplexe eindeutig aufweisen: Jedes Teilereignis eines S-E-Ereignisses entspricht in seinen Wahrheitsbedingungen dem Gesamtereignis. Dies ist bei tatsächlich kausativen Verbkomplexen, also Achievements oder Accomplishments mit telischer Ereignisstruktur, nie der Fall. Aus diesem Grund bestehen S-E-Verben auch die typischen ereignisstrukturellen Tests mit Rahmenadverbialen nicht: (8)
a. b.
??
Der Sturm ängstigte uns in fünf Minuten. Eric Clapton faszinierte sein Publikum in einer halben Stunde.
Verantwortlich hierfür ist die Tatsache, dass Komplexe mit Verben wie ängstigen und faszinieren eben keinen (zeitlich ausgedehnten) Zustandswechsel, also kein telisches Ereignis bezeichnen. Es könnte nun argumentiert werden, dass zur Erklärung der Abweichungen in (8) lediglich auf die Nicht-Durativität der Verbkomplexe verwiesen werden müsste. Die Beispiele in (8) wären demnach ausgeschlossen, weil die Verbkomplexe kausative Achievements, also punktuelle Ereignisse bezeichnen, welche nicht mit einem Rahmenadverbial modifiziert werden können. Man beachte allerdings, dass die betreffenden Verben einer solchen Argumentation gemäß zwar tatsächlich mit einem punktuellen Zeitadverbial kompatibel sind (s. (9)a)). Anders als unstrittig kausative AchievementVerben wie erschrecken (s. (9)b)) nehmen erstere hierbei allerdings eine progressive Lesart an: (9)
a. b.
Die Kollegen ängstigten die Sekretärin genau um 11:11 Uhr. Die Kollegen erschreckten die Sekretärin genau um 11:11 Uhr.
In ((9)a) wird ein Ereignis bezeichnet, auf dessen Verlauf fokussiert wird, dieses also im Gegensatz zum punktuellen, kausativen Achievement in ((9)b) - mit Verstreichen des genannten Zeitpunkts nicht beendet sein muss. Damit verhält sich die hier diskutierte Verbgruppe analog zu den nicht-kausativen Activities, s. ((10)a). Aus diesem Grund erlauben die psychischen Activity-Verben ((10)b) genau wie kanonische Activity-Verben ((10)c) eine Modifizierung mit einem Spannenadverbial, was ausschließlich bei den psychischen Achievements ((10)d) eine iterative Lesart auslöst: (10)
a. b. c. d.
Die Die Die Die
Kollegen Kollegen Kollegen Kollegen
tanzten genau um 11:11 Uhr bereits auf den Tischen. ängstigten die Sekretärin eine halbe Stunde lang. tanzten eine halbe Stunde lang. erschreckten die Sekretärin eine halbe Stunde lang.
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4 Implizite
Propositionen
Daneben können S-E-Komplexe, parallel zu den Activities, nur schlecht mit einem durch-Adjunkt modifiziert werden, s. ((1 l)a & b). Dies ist bei unbestritten kausativen Verben gut möglich (s. hierzu auch Abschnitt 3.3): (11)
a. b. c.
??
Der Gastgeber langweilt seine Verwandten durch Musizieren,78 Die ältere Schülerin erzählt die Grusel-Geschichte durch Flüstern. Der Felsenpython tötet seine Opfer durch Erdrosseln.
??
S-E-Verben verhalten sich grammatisch also analog zu transitiven Activity-Verben. Darin ist auch die Motivation dafür zu sehen, dass die Stimulus-Entität, ereignisstrukturell also ein Agens, in der Subjekt-Position realisiert wird. E-S-Verben hingegen bezeichnen genuine Zustände. Die potenzielle Aktivität des Stimulus, die bei S-E-Verben den psychischen Zustand des Experiencers herbeiführt, lässt sich grammatisch mit einem Adjunkt spezifizieren, das die Aktivität näher beschreibt: (12)
a. b. c.
Der Clown erheiterte die Zuschauer mit lustigen Grimassen. Die Gastgeber langweilen die Besucher mit endlosen Diavorträgen. Die indische Austauschstudentin erfreute die Partygäste mit exotischen Tänzen.
Das Tw/i-Adjunkt spezifiziert die im Verbkomplex selbst nicht angegebene Aktivität. Ein durch-Adjunkt wie in ((1 l)c), analog zu einer mittels-Phrase, hingegen spezifiziert eine ursächliche Relation. Die hier offen bleibende Frage ist, ob die Einordnung der S-E-Verben als ereignisstrukturelle Activities auch für Phrasen mit unbelebtem Stimulus gilt. Bei ihnen ergeben sich einige grammatische Unterschiede zu S-E-Komplexen mit belebtem Stimulus, die daraufhindeuten könnten, dass bei unbelebtem Stimulus die Activity-Komponente aus der lexikalischen Struktur eliminiert ist. Bspw. sind dann die /w/i-Adjunkte, die prinzipiell mit Instrument-Angaben gleichzusetzen sind, nicht mehr möglich: (13)
a. b. c.
??
Die Vorstellung erheiterte die Zuschauer mit lustigen Grimassen. Die Ausstellung langweilt die Besucher mit endlosen Diavorträgen. ?? Die Vorführung erfreute die Partygäste mit exotischen Tänzen. ??
Ist die Activity-Komponente auch bei solchen Strukturen lexikalisch präsent? Rapp (1997a) geht davon aus, dass w//-Adjunkte stets ein 'primäres' Prädikat spezifizieren. Gemeint ist damit ein von der Autorin angenommener verursachender Vorgang bei den S-E-Verben, in deren lexikalischer Struktur dementsprechend ein CAUSE erscheint. Wann immer dieser Vorgang im Subjekt eines S-E-Komplexes selbst bereits spezifiziert sei, sei ein mit-Adjunkt nicht mehr erlaubt. Dies erkläre die Abweichung in ((14)b), s. Rapp (1997a: 79): (14)
a. b.
Der Clown erheitert mich mit dem Musizieren. *Musizieren erheitert mich mit dem Musizieren.
Hier ist die mittels- und nicht die wegen-Lesart von durch anvisiert, s. Abschn. 3.3.5
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Abgesehen davon, dass die Ungrammatikalität in (( 14)b) auch auf eine Tautologie zurückzufuhren ist, halte ich aber solche Sätze schlicht deshalb für ungrammatisch, weil w/i-Adjunkte unabhängig vom ereignisstrukturellen Verbtypus eben ein belebtes Subjekt einfordern. Das gilt generell sowohl für psychische Verben ((15)a) aber auch für kausative Verben, s. ((15)b) vs. ((15)c), und auch für nicht-kausative Activity-Verben, ((15)d) vs. ((15)e): (15)
a. b. c. d. e.
??
Die Zeitschrift erheitert mich mit ihren guten Witzen. Der Koch schneidet das Fleisch mit einem scharfen Messer. Die Maschine schneidet das Fleisch mit einem scharfen Messer. Der Junge wackelt mit dem Kopf. Die Waschmaschine wackelt mit dem Deckel.
Wir müssen demnach nicht davon ausgehen, dass bei S-E-Verben mit unbelebtem Stimulus die Activity-Komponente aus der lexikalisch-semantischen Struktur entfernt ist. Es spricht also nichts dagegen, eine Activity-Komponente, an die Adjunkte wie in (12) als Instrument-Phrasen andocken können, in der grundlegenden grammatischen Struktur von S-E-Verben zu verankern: (16)
Psychische Stimulus-Experiencer-Verben: erfreuen: λγ λ χ λ ε [e INST [DO(x) & PSYCH-STATE(y,x)]]
M7-Adjunkte fordern eine (implizite) Aktivität ein. Daher sind sie bei ausschließlich zuständlichen Ausdrücken nicht erlaubt: ( 17)
*Der Förster sieht die Rehe mit dem Fernglas.
Bei den konzeptuell parallelen Kognitionsverben beobachten oder betrachten, die im Gegensatz zu sehen aber eine Aktivität bezeichnen, ist demgemäß der Anschluss eines /mY-Adjunkts möglich: (18)
Der Förster beobachtet / betrachtet die Rehe mit dem Fernglas.
Erwartungsgemäß ist bei E-S-Verben aufgrund deren zuständlicher Eigenschaften ein vergleichbares Aufgreifen einer etwaigen Aktivität des Stimulus nicht möglich. (19)
79
a. b. c.
??
Jost fürchtet Vögel mit ihrem Geflatter.79 Die Geigenspielerin hasst den Dirigenten mit seiner herrischen Art. ?? Margaret liebt das Hündchen mit seinen treuen Augen.
Die Adjunkte in (19) sollen VP-Adjunkte repräsentieren und sind nicht als DP-Modifizierer zu verstehen, die hier grammatisch wären.
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Propositionen
Die genannten Eigenschaften und die Tatsache, dass E-S-Verben nicht progressivierbar sind, sprechen dafür, ihnen eine lexikalisch-semantische Struktur wie die folgende zuzuweisen: (20)
Psychische Experiencer-Stimulus-Verben: lieben·, λγ λχ λε [e INST [PSYCH-STATE(x,y)]]
An dieser Stelle soll noch ein letztes Argument dafür, dass psychischen Verben das Merkmal der Kausalität lexikalisch-semantisch nicht inhäriert, angeführt werden. In Abschnitt 3.3 wurde bereits gezeigt, dass nicht-kausative Ausdrücke einen weil-Satz erlauben, der die direkte Wirkursache - also einen causa efficiens - bezeichnet: (21)
a. b.
Der Spiegel zerbrach, weil die böse Königin einen Schuh dagegen warf. ?? Der Spiegel wurde zerbrochen, weil die böse Königin einen Schuh dagegen warf.
Der Argumentation zufolge ist ein weil-Satz mit causa efficiens in ((21)a) statthaft, da im Matrix-Satz selbst keine konkurrierende Ursache für den bezeichneten Zustandswechsel angegeben ist. Dies ist in Passiv-Sätzen wie in ((21 )b) der Fall, was zur Unakzeptabilität der Struktur fuhrt. Man beachte nun, dass sich psychische Verbkomplexe hinsichtlich dieser Konstellation analog zu den Dekausativa verhalten. Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt ersichtlich, erlauben beide Verbtypen nämlich einen weil-Satz mit causa efficiens ohne Schwierigkeiten: (22)
a. b.
Johanna verehrt ihren Mathematiklehrer regelrecht, weil er stets freundlich und verständnisvoll ist. Viele Menschen bewundern George Lucas, weil er sich auch im Rentenalter ein kindliches Gemüt bewahrt hat.
Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass sich aus dem Vorliegen von Diathesen wie in ((23)a/a'), eine Art Anti-Passiv, oder ((23)b/b'), eine Art psych-movement, nicht systematisch auf lexikalisch-semantische Eigenschaften der beteiligten Verben schließen lässt. (23)
a. a. ' b. b.'
Ralf fürchtet Fledermäuse. Ralf fürchtet sich vor Fledermäusen. Blumen erfreuen Ralf. Ralf erfreut sich an Blumen.
Konstruktionen wie in ((23)a') sind in ihrer Distribution stark limitiert. Viele semantisch und strukturell analoge Verben gehen die Diathese nicht ein: (24)
a. a. ' b. b.'
Ralf hasst Fledermäuse. *Ralf hasst sich vor Fledermäusen. Blumen beeindrucken Ralf. * Ralf beeindruckt sich an Blumen.
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Interessant ist, dass die wenig produktive Diathese, wie sie sich in ((23)b/b') darstellt, zusätzlich durch eine pragmatische Restriktion eingeschränkt ist: Der mit dem abgeleiteten Verbkomplex (i.e. ((23)a'/b') bezeichnete Vorgang muss einen positiven Effekt fur die Experiencer-Entität hervorbringen. Dies verdeutlicht sich in dem folgenden Kontrast: (25)
a. a.' b. b.'
Die Fotos erfreuen Ralf. Ralf erfreut sich an den Fotos. Die Fotos erschüttern Ralf. *Ralf erschüttert sich an den Fotos.
Die betreffende Alternation ist also einer konzeptuellen Bedingung unterworfen, die vorgibt, dass die Experiencer-Entität in der abgeleiteten Form mit zusätzlichen Benefaktiv-Eigenschaften ausgestattet werden muss. Es zeigt sich damit, dass die skizzierten Diathesen kein verlässliches grammatisches Diagnostikum bereitstellen, welches zur Identifikation systemischer Eigenschaften psychischer Verben eingesetzt werden könnte. Wir gehen also nun davon aus, dass weder den S-E- noch den E-S-Verben Kausativität grammatisch inhäriert. Dann müssen also die oben aufgezeigten Effekte, die in der Literatur mit Kausativität in Zusammenhang gebracht werden, einen anderen Ursprung haben. Eine Möglichkeit besteht darin, dass dem Ausdruck das Merkmal der Kausalität pragmatisch zugewiesen wird. Als erstes Indiz dafür, dass die Zuweisung eines solchen Merkmals für beide Verbgruppen gleichermaßen erfolgt, kann das folgende Beispiel gewertet werden. Es zeigt, dass sich auch E-S-Verben in der in (7) aufgezeigten Weise paraphrasieren lassen: (26)
Wir furchten den Sturm. - » Der Sturm verursacht, dass wir Angst haben.
Die sich nun stellende Frage ist, welcher Art die beobachtete Kausalität der psychischen Ausdrücke ist und welche Art von Schlussoperation ihr zugrunde liegt. Diesem Aspekt werde ich mich im nächsten Abschnitt zuwenden.
4.1.2
Konzeptuelle Eigenschaften
Psychische Verben werden in der kognitionspsychologischen Literatur zu einer Gruppe von Verben gezählt, die systematisch darüber Auskunft geben, welcher der beiden beteiligten Partizipanten den mit dem Verb bezeichneten Zustand verursacht (s. u.a. Brown & Fish (1983)). Dies drückt sich bei den psychischen Verben darin aus, dass der Verursacher-Entität, also dem Stimulus des evozierten psychischen Zustands implizit bestimmte Attribute - was sowohl eine Eigenschaft aber auch eine Aktivität umfassen kann - zugeschrieben werden. Auch bereits intuitiv betrachtet scheint dies richtig, wenn man zum Beispiel kausale Nebensätze betrachtet, die an einen psychischen Verbkomplex angeschlossen sind. Mit ihnen wird präferiert ein bestimmtes Attribut der Stimulus-Entität bezeichnet - bei umgekehrter Attribution ergibt sich demgemäß eine kontextuelle Markierung, s. ((27)a') und ((27)b'), im Vergleich zu den anderen beiden Beispielen, welche nicht markiert sind:
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(27)
4 Implizite
a. a.' b. b.'
Propositionen
Onkel Franz erfreut Lisa, weil er humorvoll ist. Onkel Franz erfreut Lisa, weil sie humorvoll ist. Der Student bewundert die Professorin, weil sie so umsichtig ist. Der Student bewundert die Professorin, weil er so umsichtig ist.
!
Keine stereotypisch festgelegten Kausalattributions-Verhältnisse liegen bei kausativen Verben oder bei einfachen Activity-Verben vor. Eine analoge Markierung ergibt sich hier also nicht: (28)
a. a.' b. b.'
Onkel Franz fotografiert Lisa, weil er humorvoll ist. Onkel Franz fotografiert Lisa, weil sie humorvoll ist. Der Student grüßt die Professorin, weil sie so umsichtig ist. Der Student grüßt die Professorin, weil er so umsichtig ist.
Woher stammt diese Zuweisung von Kausalattributen an die Stimulus-Entität eines psychischen Verbkomplexes? Eine Antwort auf diese Frage findet sich in den Annahmen der klassischen Attributionstheorie. Die Theorie besagt, dass kausale Attributionen auf der Grundlage eines Kovariationskalküls erfolgen, mittels dessen die Eigenschaften von Entitäten geprüft und in stereotypischen Ursache-Wirkung-Relationen interpretiert werden, s. u.a. Fiedler (1978); Kelley (1967), (1973); Rudolph (1997). So zeichnet bspw. für einen positiven Effekt bzw. positiven psychischen Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit eine positive Ursache verantwortlich. In ((29)a) liegt eine solche balancierte Verteilung in der Ursache-Wirkung-Verknüpfung vor: (29)
a. b.
Gaby bewundert Peter, weil er wirklich klug ist. Gaby bewundert Peter, weil er wirklich arrogant ist.
Eine unbalancierte Kausalattribution wird in ((29)b) ausgedrückt, sie löst einen kognitiven Mehraufwand aus, der sich in der Markiertheit des Ausdrucks niederschlägt, s. Heider (1958); Rudolph & von Hecker (1997). Grundlegende Einsicht dabei ist es, dass solche Kovariationsinformationen bei psychischen Verben in der Eigenschaft der impliziten Verbkausalität,80 die diese Verben auszeichnet, sprachlich verankert sind: „... covaration information is an integral of the meaning of interpersonal verbs", Rudolph & von Hecker (2006: 4). Ein weiterer Typ Information wird berechnet in einem Kovariationskalkül, mittels dessen die Eigenschaften von Entitäten auf ihre Generalisierbarkeit hin geprüft werden können. Dieses Kalkül erfolgt der Theorie zufolge auf der Basis zweier Faktoren - CONCENSUS und DISTINCTIVENESS. Der Faktor CONCENSUS legt die Generalisierbarkeit der Aussage für die Experiencer-Entität fest:
80
Die Verwendung des Terminus „implizit" verweist nicht auf den Typ der Schlussfolgerung. Es handelt sich bei „implizite Verbkausalität" um den usualisierten Begriff, wie er in der Literatur üblicherweise verwendet wird.
4 Implizite (30)
171
Propositionen CONCENSUS:
Trifft der bezeichnete Effekt nur auf eine Person zu? ( = LOW CONCENSUS)
Trifft der Effekt auch auf andere Personen zu? ( = HIGH CONCENSUS)
Mit dem Merkmal Entität festgelegt: (31)
DISTINCTIVENESS
hingegen wird dieses Verhältnis für die Stimulus-
DISTINCTIVENESS:
Trifft der bezeichnete Effekt nur auf diese eine Entität zu? ( = HIGH DISTINCTIVENESS)
Trifft der Effekt auch auf mehrere andere Entitäten zu? ( = LOW DISTINCTIVENESS)
Durch eine Kalkulation der Kovariationsfaktoren kann der Rezipient einer Aussage Inferenzen darüber ziehen, welche Eigenschaft von welcher Entität für den bezeichneten Effekt verantwortlich ist. Schauen wir uns hierzu einmal ein Beispiel an: (32)
Der ältere Student findet das Einfuhrungsseminar langweilig.
Nehmen wir an, dass für einen Satz wie in (32) eine Werte-Kombination von LOW CONCENSUS - LOW DISTINCTIVENESS identifiziert wird: Der betreffende Student ist einer der wenigen, die das Einführungsseminar langweilig finden, und er findet auch eine verhältnismäßig hohe Anzahl von anderen Seminaren langweilig. Die führt zu einer Schlussfolgerung der folgenden Art: Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass die Ursache für den in (32) beschriebenen Sachverhalt bei dem Studenten zu suchen ist. Brown & Fish (1983) zeigen nun auf der Basis verschiedener experimenteller Studien, dass für psychische Verben das Kovariationsmuster HIGH CONCENSUS - HIGH DISTINCTIVENESS gilt. Das heißt, der Interpretation eines Satzes wie Das Kind mag den Welpen liegt ein kanonisches Wissensmuster zugrunde der Art, dass (i) ein „Mögender" nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Individuen mag und (ii) dass das "Gemochte" von einer verhältnismäßig großen Anzahl anderer Individuen auch gemocht wird. Wesentlich ist, dass dieses kanonische Kovariationsmuster zu einer spezifischen Schlussfolgerung führt: Der Stimulus-Entität werden bestimmte Attribute zugeschrieben, welche den bezeichneten psychischen Zustand der Experiencer-Entität auslösen. Die beschriebenen Inferenzen sind reduktiv geschlossen: Aus dem Vorliegen eines Sachverhaltes (der bezeichnete psychische Zustand) wird das Vorliegen eines anderen Sachverhaltes (die kausalen Attribute) geschlossen. Daneben handelt es sich hier um Implikaturen des konzeptuellen Wissenssystems: Die Verursachungsrelation gehört nicht - wie sich im vorangegangenen Abschnitt zeigte - zum unmittelbar sprachlich Geäußerten, sie ist darin also nicht impliziert. Darüberhinaus kann - wenn auch nur markiert, wie sich in (27) zeigte - die geschlussfolgerte Verursachungsrelation durchaus gelöscht werden, da Konstruktionen wie in ((27)a'/b') eben keine Kontradiktion, sondern lediglich
172
4 Implizite Propositionen
eine kontextuelle Markierung erzeugen. Dies spricht dafür, die wahrscheinlichkeitsbasiert geschlussfolgerten Verursachungsrelationen bei psychischen Komplexen den konversationellen Implikaturen zuzurechnen: (33)
Karl fürchtet Peter. Konversationelle Implikatur: CAUSE [PROPERTY(peter), PSYCH-STATE(karl, peter)] < - PSYCH-STATE(karl, peter)
Die Implikatur besagt, dass wann immer ein psychischer Zustand einer Entität (Karl) bezogen auf eine andere Entität {Peter) vorliegt, auf das Vorliegen einer Eigenschaft von Peter geschlossen werden kann, die den bezeichneten Zustand verursacht. Wir werden später sehen, dass diese k-implizierte Ursache-Beziehung - ähnlich wie die UrsacheBeziehung bei den Dekausativa - diskursstrukturell entwertet ist. Schauen wir uns aber zuerst einmal einige verarbeitungsbezogene Effekte an, die mit impliziter Verbkausalität in Verbindung gebracht werden können. Im vorangegangen Abschnitt wurde bereits angedeutet, dass sowohl E-S- als auch SE-Verben gleichermaßen eine Kausalitäts-Implikatur der Art in (33) auslösen. Grundvoraussetzung für diese Annahme ist, dass die Kausalitäts-Implikatur bei beiden Verbtypen vom selben semantischen Typ ist. Ein gutes Testkriterium hierfür liefern die oben bereits eingesetzten weil-Sätze. Sie wiesen bestimmte satzstruktur-sensitive Eigenschaften auf. So sind etwa reduktive Kausalsätze nur schlecht anteponierbar, s. Pasch (1983): (34)
a. b.
?? Weil ?? Weil
Pfützen auf der Straße sind, hat es geregnet, die Blätter gelb sind, ist es Herbst.
Deduktive weil-Sätze können dagegen gut in Anteposition auftreten: (35)
a. b.
Weil es geregnet hat, sind Pfützen auf der Straße, Weil es Herbst ist, sind die Blätter gelb.
Bei beiden Typen psychischer Verben nun kann ein we/7-Satz in jeweils gleicher Weise gut anteponiert werden, bei beiden Typen liegt also ein deduktiver we/7-Satz vorliegt:81 (36)
a. b.
Weil sie so bezaubernd ist, bewundert Peter Maria, Weil sie so bezaubernd ist, fasziniert Maria Peter.
Ihre empirische Untermauerung findet die Annahme, dass beiden Typen psychischer Verben das Merkmal der impliziten Verbkausalität inhäriert, auch in verschiedenen experimentellen Daten. In einer Vielzahl von Studien werden Verarbeitungseffekte berichtet, die mit inkonsistenten Kausalattributionen in Verbindung zu bringen sind. Mittels ver81
Man beachte, dass der Typ des wei7-Satz hier keinen Hinweis auf die Art der Schlussfolgerung bei psychischen Verben gibt. In isolierten psychischen Komplexen ohne we¡7-Satz wird die Kausalitätsschlussfolgerung - wie bereits erörtert - reduktiv ermittelt.
4 Implizite
Propositionen
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schiedener experimenteller Methoden, etwa Reaktionszeitstudien mit selbstgetriebenem Lesen (s. Stewart, Pickering & Sanford (2000)), Augenbewegungs-Experimenten (s. Koomneef & Van Berkum (2006)) oder Wortwiedererkennungsstudien (s. Long & De Ley (2000)), wurden psychische Komplexe mit inkonsistenten weil-Sätzen des folgenden Typs getestet: (37)
a. b.
Johannes fasziniert Carola, weil sie ... Lisa bemitleidet Anton, weil sie ...
In Härtl (2001a), (2001b) wird von einer EEG-Studie zur Erhebung von ereigniskorrelierten Hirnpotentialen berichtet. Die Daten zeigen, dass unmittelbar nach der Verarbeitung des Pronomens im Nebensatz, welches die Inkonsistenz der Kausalattribution auslöst, bei beiden Typen von psychischen Verben ein spezifischer Effekt auftritt: Im Kontext von S-E-Sätzen löst das inkonsistente Pronomen eine N400 und im Kontext von E-S-Verben eine P600 aus. Wie bereits in den Abschnitten 3.4 und 3.5 angesprochen, spiegelt die N400-Komponente lexikalisch-semantische, aber auch diskursbasierte Integrationsvorgänge wider, welche in einem engen Zusammenhang zu interpretativen, lexikalisch-semantischen und diskursstrukturellen Eigenschaften des jeweiligen Ausdrucks stehen (s. Bornkessel (2002); Kutas & Hillyard (1980); Kutas, Lindamood & Hillyard (1984); Van Berkum, Brown, Zwitserlood, Kooijmann & Hagoort (2005)). Die P600Komponente hingegen reflektiert generelle Integrations- und vor allem Reanalyseprozesse, die eher mit Vorgängen, die strukturelle und interpretative Informationen aufeinander abbilden, zu assoziieren sind. Die Positivierung tritt in verarbeitungsterminalen Zeitfenstern nach ca. 600 Ms auf (s. Friederici (1997); Osterhout & Holcomb (1992); Urban (2001)). Die Ergebnisse zeigen, dass die beschriebenen Eigenschaften der impliziten Verbkausalität psychologisch real sind und dass entsprechende Inkonsistenzen bei beiden Verbtypen Verarbeitungsschwierigkeiten auslösen. Zwei Aspekten muss an dieser Stelle besondere Beachtung geschenkt werden: Zum einen zeigt die berichtete EEG-Studie, dass Effekte impliziter Verbkausalität unmittelbar mit dem Auftreten einer Inkonsistenz, aus einer Verarbeitungssicht also verhältnismäßig früh, auftreten: Die Effekte wurden durch das inkonsistente Pronomen ausgelöst, eine Erwartungshaltung des Parsers wurde an dieser Stelle verletzt. Dieser reagiert also offensichtlich sofort auf die konzeptuelle Inkonsistenz und nicht etwa erst zu einem späteren, bspw. satz-finalen Zeitpunkt. Damit sprechen die vorgestellen Ergebnisse für eine Annahme, die in der Literatur u.a. oft als focusing account bezeichnet wird, s. u.a. die Diskussionen in Stewart et al. (2000); Long & De Ley (2000). Diese Annahme besagt, dass die Verarbeitung von Strukturen wie in (37) unmittelbar mit dem ersten Anzeichen einer Inkonsistenz, d.h. mit dem Auftreten des Personalpronomens, das die KausalitätsImplikatur in (33) verletzt, erschwert wird, wie auch in Koornneef & Van Berkum (2006) berichtet. Die gegenteilige Annahme, die mitunter als integration account bezeichnet wird, besagt, dass Informationen der impliziten Verbkausalität spätere Stufen der Satzverabeitung betreffen, s. Stewart et al. (1999). Dieser Annahme folgend, nach der Verarbeitungsschwierigkeiten erst bei der Integration sämtlicher in den Satzteilen verfugbarer Informationen auftreten, dürfte sich auf dem Pronomen in (37) kein kognitiver Effekt ermitteln lassen. Dies widerlegen die berichteten EEG-Daten, welche damit auch neuere Erkenntnisse stützen, die zeigen, dass Informationen, die für unmittelbare Parsing- und
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4 Implizite
Propositionen
Interpretationsprozesse essentiell sind, bereits in sehr frühen Zeitfenstern zur Verfügung stehen können, s. etwa Van Berkum et al. (2005). Ein zweiter Aspekt, der im Zusammenhang mit den oben berichteten EEG-Daten diskutiert werden muss, hängt mit dem beobachteten Verarbeitungsunterschied zwischen SE- und E-S-Verben zusammen: Inkonsistente Pronomen lösen im Kontext von S-EKomplexen eine N400, im Kontext von E-S-Komplexen hingegen eine P600 aus. In der Literatur zur Thematik liegt hierzu ein nicht unbedingt einheitliches Bild vor: Long & De Ley (1999) berichten von einem ähnlichen Unterschied. Die in den Worterkennungsaufgaben beobachteten Effekte finden sich nur bei sogenannten NP 2 -Verben, welche den ES-Verben entsprechen. 82 Die Autoren erklären diesen Unterschied auf der Basis einer Korpusstudie damit, dass E-S-Verben stärkere Prädikatoren für die explizite Angabe einer Ursache für den bezeichneten psychischen Zustand seien. Dem gegenüber stehen die Daten aus Koornneef & Van Berkum (2006), die numerisch stärkere Effekte bei den NP]-Verben, also den S-E-Verben berichten. Die Datenlage stellt sich also etwas uneinheitlich dar. Ich plädiere dafür, die beobachteten Unterschiede mit den in Abschnitt 4.1.1 erörterten ereignisstrukturellen Eigenschaften in Verbindung zu bringen. Es wurde gezeigt, dass S-E-Verben sich grammatisch analog zu den Activities verhalten. Das heißt, S-E-Verben sind (bei belebtem Stimulus) im Gegensatz zu den E-S-Verben zusätzlich mit agentiven Eigenschaften ausgestattet. Ein Indiz dafür, dass der ereignisstrukturelle Unterschied zwischen den beiden Verbgruppen in einem systematischen Zusammenhang zu den Verarbeitungseffekten steht, findet sich in einer in Härtl (2001a) berichteten Fragebogenstudie. Dort wird untersucht, welche ereignisstrukturelle Lesart - also Activity vs. Zustand - durch S-E- bzw. E-SVerben bevorzugt realisiert wird. Den Probanden wurden dazu Konstruktionen mit Ergänzungen der folgenden Art vorgelegt: (38)
(39)
24 S-E-Verben: Kathrin befremdet Michael, weil... ... sie gerade etwas tut. ... sie eine bestimmte Eigenschaft hat.
(= Activity) (= Zustand)
24 E-S-Verben: Luise vergöttert Ronny, weil... ... er gerade etwas tut. ... er eine bestimmte Eigenschaft hat.
(= Activity) (= Zustand)
Die Teilnehmer waren angehalten, auf einer 5-stufigen Skala einzuschätzen, welcher der beiden Nebensätze jeweils zutreffender ist. Zur statistischen Auswertung wurden die fünf Skalenpositionen mit numerischen Werten versehen, Activity = 1 ... Zustand = 5. Die Daten zeigen einen signifikanten Unterschied dahingehend, dass S-E-Verbkomplexen präferiert Activity-Nebensätze zugeordnet wurden (Mittelwert 2.8), E-S-Verben hingegen eher zuständliche Nebensätze (Mittelwert 3.8). 82
Long & De Ley (1999) berichten daneben von einer Korrelation dahingehend, dass sich Effekte der impliziten Verbkausalität unmittelbar mit dem Auftreten einer semantischen Inkonsistenz, d.h. unmittelbar zum Zeitpunkt eines inkongruenten Pronomens, nur bei erfahrenen Lesern ('skilled readers') zeigten.
4 Implizite
175
Propositionen
Die Daten unterstützen die Annahme, dass S-E-Komplexe ihre Stimulus-Entität zusätzlich zur Eigenschaft der impliziten Verbkausalität mit agentiven bzw. Activity-Eigenschaften ausstatten. Dies hat zur Folge, dass die Diskurssalienz der Stimulus-Entität bei S-E-Verben im Vergleich zur Salienz der Stimulus-Entität bei E-S-Verben erhöht ist. 83 Dies impliziert, dass die Zugänglichkeit der entsprechenden Entität bei S-E-Verben zum Zeitpunkt einer erforderlichen Pronomen-Interpretation höher ist als bei E-S-Verben. Zur Illustration dessen hier noch einmal die Beispiele aus der EEG-Studie aus Härtl (2001a): (40)
a. b.
Johannes fasziniert s .E Carola, weil sie ... Lisa bemitleidet E -s Anton, weil sie ...
(= N400) (= P600)
Der ermittelte Verarbeitungsunterschied, wie er sich in den beiden Hirnpotenzialen N400 vs. P600 niederschlägt, lässt sich also systematisch mit den semantischen Eigenschaften der fraglichen Ausdrücke in Verbindung setzen: Während bei S-E-Verben eine auch lexikalisch-semantisch basierte Abweichung, die mit den ereignisstrukturellen Eigenschaften in Zusammenhang steht, zu verarbeiten ist, liegt bei den E-S-Verben eine ausschließlich konzeptuell basierte Markierung vor, die kontextuelle Reanalyse-Operationen anstößt. Unterstützt wird diese Annahme durch Grammatikalitätsurteile, wie sie für Konstruktionen der Art in (40) erhoben wurden, s. Härtl (2001c). In der dort berichteten Studie zur Erhebung von Grammatikalitätsurteilen zeigte sich nämlich, dass inkonsistente S-EKonstruktionen wie in ((40)a) von 16 Prozent der Teilnehmer als ungrammatisch eingeschätzt wurden, wofür durchschnittlich ca. 450 Millisekunden nötig waren. Inkonsistente E-S-Komplexe wie in ((40)b) hingegen wurden nur von fünf Prozent der Teilnehmer als ungrammatisch eingeschätzt, wofür auch nur ca. 400 Millisekunden aufgebracht werden mussten. Zusammenfassend bestätigt sich also auch aus verarbeitungsorientierter Perspektive, dass psychische Verben auf der Basis konzeptueller Wissensstrukturen eine Implikatur auslösen, auf deren Basis dem Verursacher des bezeichneten psychischen Zustands bestimmte kausale Attribute zugeschrieben werden. Diese Verursachungsrelation ist nicht versprachlicht und somit nicht in der lexikalisch-semantischen Struktur der Ausdrücke vorzusehen. Damit verhalten sich psychische Verben ähnlich den in Abschnitt 3.3 beschriebenen Dekausativa. Auch ihnen wohnt aus lexikalisch-semantischer Sicht keine kausale Bedeutung inne und die verschiedenen sprachlichen Bezugnahmen auf eine scheinbar implizite kausale Größe bei den Dekausativa wurden auf das Wirken einer konversationeilen Implikatur zurückgeführt. Die Implikatur besagt, dass Zustandswechsel stets als in irgendeiner Weise verursacht interpretiert werden. In analoger Weise gilt also - so die Argumentation hier - auch für psychische Verben, dass ein psychischer Zustand stets auf die Existenz einer bestimmten, den Zustand verursachenden Eigenschaft einer (Stimulus-) Entität zurückzuführen ist. Es stellt sich jetzt noch die Frage nach der diskursstrukturellen Wertigkeit dieser konzeptuell implizierten Verursachungsrelation. Diesem Aspekt wollen wir uns im nächsten Abschnitt zuwenden.
83
Zum Zusammenhang zwischen Pronomen-Auflösung und kausaler Gewichtung möglicher Antezedenten s. u.a. McDonald & McWhinney (1995).
176
4.1.3
4 Implizite
Propositionen
Diskurswert und Schnittstellenrechnung
Wir hatten in Abschnitt 4.1.1 bereits festgestellt, dass die Aktivität des Stimulus, die bei S-E-Komplexen den psychischen Zustand des Experiencers herbeifuhrt, mit einem Adjunkt spezifiziert werden kann, das die implizit gelassene Aktivität näher beschreibt (vgl. auch Rapp (1997a)): (41)
Die indische Austauschstudentin erfreute die Partygäste mit exotischen Tänzen.
Es sei noch einmal daraufhingewiesen, dass das /«//-Adjunkt nicht die Verursachungsrelation selbst beschreibt, es konkretisiert lediglich eine (unspezifische) Aktivität, die mit S-E-Verben ausgedrückt wird. In diesem Sinne handelt es sich bei dem m/i-Adjunkt um eine Instrument-Angabe, wie wir sie bei einer Vielzahl von Ausdrücken, die eine Aktivität bzw. Intentionalität bezeichnen, vorfinden. Ist nun aber ein direkter Zugriff auf die implizit gelassene Aktivität bei psychischen Verben im Diskurs möglich? Bekannterweise kann auf propositionale Referenten mittels eines Pronomens, i.e. einer Sachverhaltsanapher zugegriffen werden (s. u.a. Clark (1975); Lambrecht (1994)): (42)
Die indische Austauschstudentin erfreute die Partygäste [mit einer verrückten Aktion] ¡. Es\ handelte sich dabei um eine Vorführung exotischer Tänze.
Eine analoge Bezugnahme ist bei einer sprachlich nicht realisierten Aktivität, welche den psychischen Zustand bewirkt, nicht möglich, wie dieses Beispiel zeigt: (43)
Die indische Austauschstudentin erfreute die Partygäste. Es handelte sich dabei um eine Vorführung exotischer Tänze.
v
Ohne an dieser Stelle dem nächsten Abschnitt zuviel vorweg nehmen zu wollen, zeigt das folgende Beispiel, dass eine Bezugnahme auf einen implizit gelassenen propositionalen Referenten an anderer Stelle - wenn auch vielleicht nicht in einer kanonischen Weise - durchaus möglich ist: (44)
Die Professorin aus Finnland begann die Konferenz. Es handelte sich dabei aber interessanterweise nicht um einen Vortrag, sondern um ein Lied!
Typenverschobene Verbkomplexe wie in (44) bezeichnen ein implizites Ereignis, in diesem Falle etwa ein REDEN- oder VORTRAGEN-Ereignis. Zwar erfordert es einigen inferentiellen Aufwand, aber eine Konstruktion wie in (44) ist nicht sonderlich markiert, was zeigt, dass auch auf ein implizit gelassenes Ereignis mittels eines pronominalen Ausdrucks zugegriffen werden kann. Dies ist bei psychischen Verben, wie in (43) gezeigt, offensichtlich nicht möglich. Ebenso kann auf eine den psychischen Zustand verursa-
4 Implizite
Propositionen
177
chende Eigenschaft, also einen zuständlichen Ausdruck, weder bei S-E- noch bei E-SVerbkomplexen zugegriffen werden, s. (45): (45)
a.
Die Besucher bewunderten das Gemälde. Dabei handelte es sich weniger um dessen Farben, sondern vielmehr um die geschickte Bildkomposition, Die neue Luxuslimousine hat die Messegäste sehr fasziniert. Dabei handelte es sich weniger um dessen ausgefallenes Design, sondern vielmehr um die Motorleistung. ??
b.
Wir sehen also, dass eine Bezugnahme auf die mit psychischen Verben ausgedrückte Eigenschaft bzw. Aktivität im Diskurs nur schlecht möglich ist. Grundsätzlich konstruierbar sind konsequentielle Zusammenhänge (s. (46)a) oder die Angabe von Zweckursachen für einen zu erreichenden psychischen Zustand, s. ((46)b): (46)
a. b.
Das neue Gemälde war ziemlich skandalös. Besucher aus aller Welt kamen und bewunderten es. Der Bergsteiger stürzte, um seine neue Freundin zu ängstigen.
Eine diskursstrukturelle Wertigkeit erhält die implizite Ursache aber nicht - die verschiedenen sprachlichen Konstruktionen greifen lediglich, wie im vorangegangen Abschnitt gezeigt, auf das Merkmal der impliziten Verbkausalität zu und realisieren diese. Neben den we/Y-Sätzen sind dies bei den S-E-Verben die besprochenen /«/'/-Phrasen, die bei E-S-Verben aufgrund deren fehlender Activity-Lesart ausgeschlossen sind. Dort können nur wegew-Phrasen eingesetzt werden, um die implizite Ursache zu explizieren: (47)
a. b. c.
Der Dozent langweilt die Studenten mit seinen endlosen Ausföhrungen. Der Dozent langweilt die Studenten wegen seiner endlosen Ausföhrungen. Die Studenten fürchten den Dozenten wegen seiner endlosen Ausföhrungen.
Auf der Grundlage der vorgestellten Daten können wir den Schluss ziehen, dass psychische Verbkomplexe keine diskursfahige kausale Größe in den Kontext einführen. Sie erlauben eine Versprachlichung der k-implizierten ursächlichen Relation mittels verschiedener Adjunkte und verhalten sich somit analog zu den unakkusativen, dekausativen Verbkomplexen, bei denen eine kausale Relation ebenfalls auf der Basis nichtsprachlicher Informationen k-impliziert ist.84 Die sprachlich implizit bleibende Information ist damit hinsichtlich ihrer diskursstrukturellen Verfügbarkeit mit den Werten NONIDENT und INACTIVE auszuzeichnen, s. hierzu Abschnitt 3.8:
84
Wegen dieser Analogie aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier auf die Formalisierung der Abbildungsfunktion und die Visualisierung von Strukturdichte : Inferenzaufwand verzichtet. Die Leserin sei hierfür an die entsprechenden Abschnitte verwiesen.
178
4 Implizite Propositionen
Ausdruck
Schlussoperation
Identifizierbarkeit / Aktivation
Psychische Verben erfreuen:
Konversationelle Implikatur:
ky λ χ λ ε [e INST [DO(X) & PSYCH-STATE(y,x)]]
CAUSE
NON-IDENT/
[PROPERTY(x),
INACTIVE
PSYCH-STATE(y,x)]
lieben'. λ χ λ γ λ ε [e INST
< - PSYCH-STATE(y,x)
[PSYCH-STATE(y,x)]] Tabelle 7: Implizite Verbkausalität - Schlussoperation und Diskursstatus
Es zeigt sich damit, dass die in Abschnitt 3.8 (und s. dort ((149)) formulierte vorläufige Bedingung zur Absicherung der Diskurszugänglichkeit auch fur den hier besprochenen Phänomenbereich Gültigkeit hat. Wir sind nun in der Lage, die Definition auszuweiten: (48)
Zugänglichkeit sprachlich nicht realisierter Information: Die Diskurszugänglichkeit sprachlich nicht realisierter, aber interpretierter Information ist gesichert, wenn diese entweder auf der Grundlage einer logischen Implikation oder einer proto-typischen Bindung als Resultat einer konventionellen Implikatur identifiziert werden kann.
Sprachlich nicht realisierte Information ist also immer dann diskursstrukturell verankert und entsprechenden Operationen zugänglich, wenn diese Information im Kontext identifizierbar ist. Und Identifizierbarkeit knüpft sich demnach an die beiden Schlussoperationen der logischen Implikation und der konventionellen Implikatur. Im nächsten Abschnitt wollen wir testen, inwiefern sich diese Regelmäßigkeit auch für typenverschobene Verbkomplexe der Art Der Autor begann sein neues Buch Gültigkeit hat.
4.2
Typenverschobene Verbkomplexe
In diesem Abschnitt zeige ich, dass eine semantische Typenverschiebung der genannten Art im kompositionalen Strukturaußau eines Verbkomplexes verankert ist. Wir konzentrieren uns dabei auf typenverschobene Komplexe mit beginnen. Es zeigt sich, dass das nicht realisierte Ereignis in der lexikalisch-semantischen Struktur des Ausdrucks impliziert ist. Es werden verschiedene ereignisstrukturelle Restriktionen aufgedeckt, die für die untersuchten Ausdrücke mit implizitem und explizitem beginnen-Ereignis gelten. Dies fuhrt zur Formulierung einer Stereotypizitäts-Anforderung an implizite Information, welche besagt, dass implizite Information stets analog zur unmarkierten expliziten Realisierungsform interpretiert werden muss. Mit Blick auf die konzeptuellen Eigenschaften zeigt es sich, dass zur vollständigen Interpretation typenverschobener beginnen-Komplexe eine zusätzliche konversationelle Implikatur notwendig ist, welche den ontologi-
4 Implizite
Propositionen
179
sehen Typ des implizit gelassenen Ereignisses erschließen lässt. Hinsichtlich der diskursstrukturellen Wertigkeit dieses Ereignisses wird festgestellt, dass es einen gültigen, d.h. identifizierbaren Teil der Diskursmenge konstituiert und informationsstrukturell zugänglich und aktiv ist, wofür verschiedene empirische Daten sprechen.
4.2.1
Strukturelle Eigenschaften
Eine generelle Bestimmung von typenverschobenen Verbkomplexen wie in (49) muss erfassen, dass diese ein implizites Ereignis bezeichnen, mit dem das Komplement des Verbs - also das direkte Objekt - als Argument im Zusammenhang steht.85 In den folgenden Beispielen sind dies etwa die Ereignisse des SCHREIBENS, SEHENs oder BESTEIGENs:
(49)
a. b. c.
Der angesagte Schriftsteller hatte einen neuen Roman begonnen. Brandauer genoss das Stück von seinem Platz im Publikum aus. Der Bergsteiger wird morgen den Gipfel an der Südseite versuchen.
Das Komplement des Verbs entspricht nicht seinem kanonischen semantischen Typ: Der ursprüngliche semantische Typ der Individuenentität ROMAN zum Beispiel in ((49)a) muss daher in die Lesart eines SCHREIBEN-Ereignisses verschoben werden. Auffallig ist, dass sich die verschiedenen Verben, die üblicherweise mit einer Typenverschiebung in Verbindung gebracht werden und die in der Literatur meist durchweg als einheitliche Klasse behandelt werden, morpho-syntaktisch ein durchaus heterogenes Verhalten aufweisen. So erlaubt bspw. nur beginnen ein Adjunkt, das die Objekt-Entität sprachlich realisiert. Bei beginnen handelt es sich hierbei um eine m/7-Phrase, welche bei den anderen beiden Verbformen ausgeschlossen ist: (50)
a. b. c.
Der angesagte Schriftsteller hatte mit seinem neuen Roman begonnen. * Brandauer genoss mit dem Stück von seinem Platz im Publikum aus. *Der Bergsteiger wird morgen mit dem Gipfel an der Südseite versuchen.
Daneben erlaubt genießen im Gegensatz zu versuchen86 und beginnen keine Ausbuchstabierung des eingebetteten Ereignisses in einer Infinitiv-Konstruktion ohne PlatzhalterEs in Objekt-Position. Versuchen hingegen erlaubt beide Varianten:
85 Eine andere Art von Typenverschiebung liegt bei aspektuell verschobenen Ausdrücken vor, wie sie sich in der Iterativität von Der Jockey gewann das Pferderennen einen ganzen Monat lang zeigt. Dieser Typ wird hier nicht behandelt, der Leser sei hierzu u.a. an Dölling (2003); Moens & Steedman (1988); Piñango (2003) verwiesen. Man beachte, dass die Verben versuchen und probieren eine Lesart haben, die synonym zu essen ist: (i) Hans probierte / versuchte den Kuchen. Diese Variante wird hier nicht behandelt. Es handelt es sich dabei nicht um Typenverschiebungen, da sie kein zusätzliches implizites Ereignis (etwa ein Konsumptionsereignis) aufweisen.
180 (51)
4 Implizite Propositionen a. b. c.
Der angesagte Schriftsteller begann (*es), seinen Roman zu schreiben. Brandauer genoss *(es), das Stück zu sehen. —1|—• Der Bergsteiger versucht (es), den Gipfel zu besteigen.
Zumindest im Falle von genießen könnte man m.E. auch von einem Synonym zu einem entsprechenden Perzeptions- bzw. Konsumptionsverbkomplex ausgehen (vgl. Fußnote 86). Dafür sprechen die strukturellen Wahrheitsbedingungen, die beinhalten, dass ein Stück genießen den Ausdruck ein Stück sehen logisch impliziert: (52)
a. b.
Brandauer genoss das Stück. Brandauer sah das Stück.
•
Ähnliches gilt weder für beginnen noch fur versuchen, wie die folgenden Beispiele zeigen: (53)
a. b.
Der Schriftsteller begann den Roman. —H—• Der Schriftsteller schrieb den Roman.
(54)
a. b.
Der Bergsteiger versuchte den Gipfel. —§—• Brandauer bestieg den Gipfel.
Aufgrund dieser heterogenen Datenlage, die unabhängiger Überlegungen bedarf,87 werde ich die folgenden Überlegungen auf das Verb beginnen beschränken, das einen kanonischen Fall von Typenverschiebung repräsentiert. Nur stellenweise wird, bei der Erörterung konzeptueller und begrifflicher Konstellationen, auf die anderen Fälle eingegangen. Gegen eine generelle Behandlung spricht auch die Tatsache, dass im Englischen Konstruktionen vorliegen, die sich nicht ohne Weiteres auf das Deutsche übertragen lassen. Beispielsweise kann das Verb beenden im Deutschen, anders als das englische finish nicht mit infinitem Verbkomplex auftreten: (55)
a. b.
Goethe beendete den Brief an Lotte. *Goethe beendete, den Brief an Lotte zu schreiben.
(56)
a. b.
Goethe finished the letter to Lotte. Goethe finished writing the letter to Lotte.
Dies zeigen die folgenden Beispiele, die keine gültigen Entsprechungen der beiden Sätze in (i) sind: (ii) Hans probierte/versuchte, den Kuchen zu essen. Für einen Schritt in eine entsprechende Richtung s. etwa Kriempardis (2005), die aus prozessorientierter Perspektive drei Typen von typenverschobenen Verbkomplexen identifiziert: begin, enjoy und want. Eine Typenverschiebung ist der Autorin zufolge nur bei dem begin-Typ obligatorisch.
4 Implizite Propositionen
181
Dem englischen finish in (56) scheint eher das deutsche aufhören zu entsprechen, dass seinerseits allerdings eine Typenverschiebung wie in (49) nur schlecht eingeht: (57)
a. b.
Goethe hörte auf, den Brief an Lotte zu schreiben. Goethe hörte den Brief an Lotte auf.
??
Wir wollen dies als weiteren Anlass werten, die Überlegungen hier exemplarisch auf typenverschobene Verbkomplexe mit beginnen zu konzentrieren. Schauen wir uns dazu zunächst einmal die vorliegenden linguistischen Beschreibungen typenverschobener Verbkomplexe wie in (49) an. Die Analysen spalten sich in zwei Lager. Zum einen sind hier Vertreter der Annahme zu nennen, bei der davon ausgegangen wird, dass Typenverschiebungen mit dem sprachlichen Strukturaufbau - also der Grammatik - zu assoziieren sind. Alternative Überlegungen gehen meist davon aus, dass Typenverschiebungen Resultate pragmatisch-konzeptueller Kalkulationen sind und daher aus dem Bereich kern-sprachlicher Strukturbildung auszulagern sind. Betrachten wir die erstgenannte Ansicht etwas genauer. Meist spricht man hier von enriched composition und meint damit, dass die Komposition von Ausdrücken wie (49) an die speziellen wahrheitskonditionalen Erfordernisse angepasst ist (s. Jackendoff (1997); Pustejovsky (1991a), 1995)). Typenverschiebungen werden demnach als Erweiterungen einer Repräsentation um neues semantisches Material angesehen, das in der strukturellen Repräsentation selbst nicht enthalten ist. Pustejovsky (1991a) bspw. macht hierfür Gebrauch von den von ihm angenommen Qualia-Strukturen, auf die im Verlauf der Komposition zugegriffen wird. So enthält die lexikalische Qualia-Struktur eines Nomens wie Roman die Information, dass das Objekt den Zweck hat gelesen zu werden (s. (58)a) und dass es durch Schreiben erzeugt wird (s. (58)b):
a.
Qualia-Strukturen fur Roman nach Pustejovsky (1991a: 429):88 QT(novel) = λy λε [READ(x,y,e)]
b.
Q T (novel) = λy λε [WRlTE(x,y,e)]
(58)
Demgemäß wird bei der Komposition είηεβ Ausdrucks wie ((49)a) nach dieser QualiaInformation gefahndet. Sie wird aufgerufen aufgrund der Forderung des Verbs beginnen nach einem („Transitions"-) Ereignis89 als seinem prädikativen Argument: gg Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurden die Repräsentationen in (58) leicht angepasst. Falls ich Pustejovsky (1991a) hier richtig verstehe, sind mit transitions Ereignisse gemeint, die eine interne zeitliche Strukturierung aufweisen, und die damit eine Fokussierung auf ihre Anfangs· bzw. Endphase erlauben, s. auch Fußnote 7. Allgemein betrachtet handelt es sich dabei also um die klassischen Accomplishments, die mit den Merkmalen +DURATIV und +TELISCH ausgestattet sind. Für die folgenden Überlegungen wird es wesentlich sein, dass hier auch transitive, traditionell als Activities eingeordnete Komplexe wie den Chevrolet fahren oder den Walzer tanzen relevant sind. Letztere bezeichnen keinen Zustandswechsel, sind aber trotzdem inhärent telisch. Wesentliches Kriterium ist somit das Merkmal der zeitlichen Begrenztheit, welches durch das prädikative Argument von beginnen erfüllt sein muss. Verbkomplexe, die keinen Zustandswechsel implizieren, zeitlich aber trotzdem begrenzt sind, werden u.a. von Egg (1995) ausfuhrlich besprochen.
182
4 Implizite Propositionen
(59)
beginnen λ Ρ λ χ [BEGIN'(P T (x))]
Das prädikative Argument, das das Ereignis liefert, kann einerseits durch einen verbalen Ausdruck ((60)a) aber auch durch eine Ereignisnominalisierung ((60)b) gesättigt werden: (60)
a. b.
Der Maurer hatte die Gipsbetonwand bereits am Montag begonnen zu bauen. Die örtliche Polizei begann die Zwangsräumung der besetzten Häuser.
In diesen beiden Beispielen ist der argumentstrukturellen Anforderung des Verbs beginnen nach einem Ereignis-Ausdruck explizit Rechnung getragen, d.h. eine Typenverschiebung muss hier nicht vorgenommen werden. Im Falle einer Typenverschiebung wie in den Roman beginnen hingegen muss dieser Anforderung durch die in (58) angegebenen Struktureinheiten entsprochen werden: Die Qualia-Informationen von Roman erfüllen die Anforderung nach einem prädikativen Argument des Verbs beginnen, wodurch dieses schließlich ebenfalls gesättigt werden kann: (61 )
den Roman beginnen λ y λ χ Xe [BEGIN'(WRITE(x,y,e))] (a novel)
Die resultierende Struktur entspricht nun den wahrheitskonditionalen Anforderungen der Grammatik, was die Interpretierbarkeit des Ausdrucks gewährleistet. Kalkulationen, bei denen ebenfalls Informationen kompositional aus unterschiedlichen Wissensquellen zur Interpretation typenverschobener Ausdrücke berechnet werden, finden sich u.a. in Egg (2003), vgl. auch Egg & Striegnitz (2003). Überlegungen dieser Art zugrunde gelegt ist die prinzipielle Annahme, dass die skizzierte Operation grammatisch basiert ist und dass zur Fahndung nach der notwendigen Information und ihrer Integration zusätzliche Strukturanpassungskosten erforderlich sind. So formuliert etwa Jackendoff (1997: 61) aus formaler Sicht zwei zusätzliche kompositionale Schritte, die zur Interpretation typenverschobener Ausdrücke angesetzt werden müssen. Dieser komputationelle Mehraufwand schlägt sich nach McElree, Traxler, Pickering, Seely & Jackendoff (2001) und Traxler, McElree & Pickering (2002) auch prozedural nieder, s. hierzu außerdem Pifiango (2003); Pylkkänen & McElree (2007). In mehreren Augenbewegungs- und Lesezeit-Studien wurde festgestellt, dass TypeshiftingKonstruktionen wie in (49) mit einem erhöhten Verarbeitungsaufwand einhergehen was auch unter variierenden kontextuellen Einbettungen stabil ist - im Vergleich zu kanonischen, nicht typenverschobenen Konstruktionen. Es wird daraus geschlussfolgert, dass kompositionale Ansätze im Generellen, die reiche lexikalische Operationen zur Interpretation sprachlicher Ausdrücke vorsehen, auch aus einer psychologischen Sicht adäquat sind. Die dargestellten Überlegungen fußen auf der Einsicht, dass die hier interessierenden Typenanpassungen durch eine logische Implikation ausgelöst sind - das Verb beginnen enthält in seiner Semantik ein prädikatives Argument und typenverschobene Verbkomplexe wie in (49) implizieren daher ein Ereignis. Der erläuterte komputationeile Mehr-
4 Implizite
183
Propositionen
aufwand ist demzufolge mit der Erzeugung einer kompositionalen Lesart fiir typenverschobene Verbkomplexe verknüpft. Während bei der soeben skizzierten Annahme Bedeutungsanteile des verbalen und des nominalen Lexikoneintrags miteinander kompositional verrechnet werden, geht man bei alternativen Überlegungen davon aus, dass die betreffenden Schlussoperationen rein pragmatischer Natur sind und nicht Teil der logischen Implikationen des Ausdrucks. Ich werde im weiteren Verlauf dieses Abschnitts für eine Mischanalyse plädieren: Verben wie beginnen implizieren ein Ereignis - dieser Umstand löst beim Vorliegen eines (inkrementellen) Objekts eine konversationeile (deduktiv geschlossene) Implikatur aus, welche das Objekt konzeptuell uminterpretiert bzw. um bestimmte Bedeutungsanteile erweitert. 90 Schauen wir uns aber zunächst einmal die Grundeinsicht der letztgenannten Überlegungen an. De Almeida (2003) argumentiert auf der Basis zweier Studien mit selbstgetriebenem Lesen, dass eine Typenverschiebung eine Reihe von inferentiellen Prozessen auslöst, die mit unseren Intuitionen und unserem nicht-sprachlichen Wissen über die beteiligten Objekte zusammenhängen. Damit wendet er sich gegen dekompositionale Ansätze der Semantik, bei der lexikalische Dekompositionsinformationen in der oben beschriebenen Weise die Interpretation von typenverschobenen Ausdrücken lenken. Vielmehr würden die genannten inferentiellen Operationen bei Konstruktionen der Art DP beginnen, DP genießen ausgelöst durch eine Verletzung der Grice'schen konversationeilen Maximen der Quantität und der Modalität. Demnach weise ein Ausdruck wie John began the dictionary einen zu niedrigen Informationsgehalt auf, was seinerseits beim Hörer eine Uminterpretation des Ausdrucks bewirke. Für eine außerhalb der Grammatik angesiedelte Analyse spricht die Kontextsensibilität typenverschobener Ausdrücke. Die folgenden Beispiele illustrieren dies anhand des Beispiels des Verbs versuchen: (62)
a.
Der Bergsteiger setzte sich ein neues Ziel.
b.
Der berühmte Maler setzte sich ein neues Ziel.
Er wollte am nächsten Morgen den Gipfel an der Südseite Er wollte als nächstes ein monumentales Ölgemälde
versuchen.
versuchen.
Die Beispiele zeigen, dass unterschiedliche kontextuelle Einbettungen jeweils unterschiedliche Interpretationen der VP-Komplexe hervorbringen. Lascarides & Copestake (1998: 390) liefern folgendes Beispiel, das zeigt, dass auch präferierte Lesarten - bei to enjoy a book ist dies die LESEN-Lesart - in einem entsprechenden Kontext leicht zu überschreiben sind: (63)
a.
My goat eats anything. He really enjoyed your book. —> The goat enjoyed eating your book.
90
Eine Festlegung auf einen bestimmten Typ semantischer Operation wird hier nicht erfolgen, zu einer formalen Ableitung eines strikt monotonen Uminterpretationsprozesses fur das Objekt siehe etwa Egg (2000).
4 Implizite
184
Propositionen
Demnach spielt also kontextuell-pragmatische Information die entscheidende Rolle bei der Interpretation der Ausdrücke, die - so die Schlussfolgerung bei De Almeida (2003) damit vollständig aus der kompositionalen Grammatik auszulagern ist. In diesem Sinne gehen bspw. auch Fodor & Lepore (1998) - contra Pustejovsky - davon aus, dass die Komplexität von Lexikoneinträgen nicht für lexikalische Produktivität und Generativität verantwortlich zeichnet. Vielmehr sind Lexikoneinträge demnach atomar und holistisch und ihr sprachliches Verhalten eher vor dem Hintergrund konzeptueller Wissensstrukturen zu erörtern (s. hierzu auch Abschnitt 2.2 oben). Bei De Almeida (2003) zeigte sich eine aus Verarbeitungssicht zu den Beispielen in (62) und (63) analoge Einflussnahme des Kontexts: Der Effekt der „enriched composition" bei Typenverschiebung wird unter kontextuellen Einbettungen, die eine bestimmte Lesart promovieren, gelöscht. Es zeigt sich in den Daten, dass dann konzeptuell nichtpräferierte Lesarten (s. (64)a) und typenverschobene Verbkomplexe ((64)b) im Vergleich zu präferierten Verbkomplexen ((64)c) in identischen Zeitfenstern verarbeitet werden, s. De Almeida (2003: 260): (64) a. b. c.
The She The The Die
secretary would always be sure to work ahead of schedule. was asked to work on the memo. secretary read the memo long before it was due. secretary began the memo long before it was due. Sekretärin typed the memo long before it was due.
Eine mögliche Erklärung hierfür - so der Autor - sei es, dass beobachtete Typenverschiebungseffekte eben prinzipiell pragmatisch basiert und aus der semantisch-logischen Berechnung der Ausdrücke auszulagern sind, was mit der Annahme holistischer lexikalischer Strukturen kompatibel sei (s. auch Mobayyen & De Almeida (2005)). Demgemäß seien Typenverschiebungen nicht als intra-lexikalische semantische Operationen anzusehen, sondern ausschließlich nicht-sprachlichen Prozessen, die kontextuelle und semantische Informationen integrieren, zuzuordnen. Ich selbst halte diesen Schluss für falsch und folge der in Pickering, McElree & Traxler (2005) formulierten Überlegung, dass nivellierte Reaktionszeitunterschiede hier nicht zwangsläufig gegen eine Verankerung von Typenverschiebungen im kompositionalen Strukturaufbau sprechen. Für eine Assoziierung von Typenverschiebungen mit dem kompositionalen Strukturaufbau - wovon ich im Folgenden auch ausgehe - sprechen u.a. die eingeschränkten interpretativen Möglichkeiten der Ausdrücke. Diese sind eindeutig mit ereignisstrukturellen Merkmalen in Verbindung zu bringen, also den lexikalischen bzw. semantisch-kompositionalen Eigenschaften der beteiligten Einträge. Beispielsweise kann ein Ausdruck wie in (65) stets nur eine Interpretation wie GEBÄUDE-BAUEN (andere Möglichkeiten sind GEBÄUDE-ENTWERFEN oder GEBÄUDE-ABREIßEN) aber nie GEBÄUDEBEWOHNEN erhalten, obwohl letztere eine pragmatisch, d.h. konzeptuell durchaus prominente sein dürfte. (65)
In der letzten Woche hat der Künstler das Hochhaus begonnen. —0—• In der letzten Woche hat der Künstler begonnen, das Hochhaus zu bewohnen.
4 Implizite
Propositionen
185
Der Grund für die beobachte Restriktion ist in den lexikalischen, dekompositionalen Eigenschaften des Verbs zu suchen. Beginnen fordert einen Ausdruck, der auf ein Ereignis mit interner zeitlicher Struktur, d.h. zeitlich voneinander verschiedener Anfangs- und Endphase referiert. Als prädikative Argumente kommen demnach AccomplishmentKomplexe in Frage, welche durch das Merkmal der Durativität charakterisiert sind. GEBÄUDE-BEWOHNEN als zuständlicher Ausdruck wird dieser ereignisstrukturellen Restriktion nicht gerecht, was eine entsprechende Interpretation ausschließt. Ebenso sind Activity-Interpretationen, ausgelöst durch Ereignisse, die verbsemantisch mit dem Merkmal zeitlicher Homogenität ausgestattet sind, nicht möglich: (66)
Der Mechaniker hatte bereits den Chevrolet begonnen. —1— | • Der Mechaniker hatte bereits begonnen, den Chevrolet zu fahren.
Das Beispiel in (66) kann nie die Lesart annehmen, bei der ein implizites Ereignis CHEVROLET-FAHREN, also eine Activity, interpretiert wird, sondern nur Lesarten mit Ereignissen wie CHEVROLET-REPARIEREN oder -SÄUBERN. Die Motivation für diese Konstellation liegt in der Atelizität von fahren vs. der Telizität von reparieren bzw. säubern begründet. 91 Bei Angabe eines direkten Objekts und bei Implizitlassung des eingebetteten Ereignisses muss die Objekt-Entität stets als inkrementelles Thema interpretierbar sein, das den Ablauf des durativen Ereignisses zeitlich strukturiert. 92 Ähnliches zeigt sich im folgenden Beispiel, auch dort kann der Verbkomplex nie die ereignisstrukturell ungebundene Interpretation WERK-BETRACHTEN erhalten, die pragmatisch ebenso salient ist wie das hier präferierte WERK-ZEICHNEN: (67)
Der Zeichner begann sein Werk in den Morgenstunden.
Man beachte, dass die beobachtete ereignisstrukturelle Anforderung für beginnen nur bei der Realisierung eines direkten Objekts in der Syntax und bei Implizitlassung des eingebetteten Ereignisses gilt. Mit explizit realisierten intransitiven Verbkomplexen sind atelische Lesarten gegeben: (68)
a. b. c.
Lea begann zu weinen. Klaus begann zu husten. Alexandra begann zu tanzen.
Auch unakkusative (telische und atelisch referierende) Verbkomplexe erlauben eine Einbettung unter beginnen:
91
Damit widerspreche ich einer häufiger zu findenden Annahme, wie sie etwa in Jackendoff (1997: 61f) formuliert ist. Nach dieser wird bei einer Typenverschiebung das kanonische, ohnehin vorgesehene prädikative („Activity")-Argument des Verbs ohne weitere Restriktionen schlicht an der Schnittstelle zwischen Weltwissen und Lexikon gesättigt. Zum Zusammenhang zwischen Objektart und Ereignisstruktur s. Dowty (1991); Krifka (1989); Tenny (1994).
186 (69)
4 Implizite a. b. c.
Propositionen
Das Eis begann zu tauen. Der Apfel begann zu verfaulen. Der Baum begann zu wachsen.
In Pustejovsky (1991a) wird den illustrierten ereignisstrukturellen Restriktionen mit einer lexikalischen Anforderung an das prädikative Argument Rechnung getragen, dort nur ein Ereignis des Typs Transition (= Index T, s. auch Fußnote 89) zu erlauben. In (70) ist die Übersetzung der Pustejovsky'schen Repräsentation in das hier gewählte Format wiedergegeben: (70)
Lexikalisch-semantische Repräsentation SR: beginnen: λΡ τ λχ λε [e INST [BEGlN(x) & PT(x)]]
Im Folgenden werde ich grundsätzlich von diesem lexikalischen Format ausgehen. Wie sich aber gleich zeigen wird, ist es fraglich, ob die gewählte lexikalische Repräsentation auch fur VPn mit explizit realisiertem prädikativem Argument gelten kann. Diesem Aspekt werde ich mich nächsten Abschnitt zuwenden.
4.2.2
Interpretative Variabilität und die Stereotypizität impliziter Information
Das in (70) vorgeschlagene Format wird zunächst einmal der Tatsache gerecht, dass Verben wie beginnen mit explizitem prädikativen Argument in der Syntax Subjekt-KontrollKomplexe aufspannen (s. (71)), Bouchard (1984); Chomsky (1981)), was sich aus der Repräsentation in (70) und den darin vorgesehenen Linking-Verhältnissen ergibt. (71 )
Der Mechaniken begann, PRO¡ den Chevrolet zu reparieren.
Daneben kann so die ereignisstrukturelle Eingrenzung des prädikativen Arguments, wie sie fur die Beispiele in (65) und (66) beobachtet wurde, erfasst werden. Unklar ist bislang allerdings, ob die Repräsentation in (70) sowohl für Ausdrücke mit implizitem Ereignis als auch solche mit explizit realisiertem Ereignis (i.e. (66) vs. (71)) gleichermaßen anzunehmen ist. Oder könnte es sich als sinnvoll erweisen, zwei separate semantische Repräsentationen für die beiden Ausdrucksmöglichkeiten anzunehmen? Pustejovsky (1991) favorisiert hier die „Gleichförmigkeits-Hypothese", welcher ich mich auch anschließen werde, und nach der es nicht vorgesehen ist, fur die unterschiedlichen Realisierungsformen der Verben separate Lexikoneinträge anzunehmen. Diese Überlegung liegt aus Sichtweise einer ökonomischen und kompositional-produktiven Gestaltung des Lexikon natürlich nahe, wird aber scheinbar in Frage gestellt durch die unterschiedlichen selektionalen Restriktionen, die „volle" und „reduzierte" Verbkomplexe des hier interessierenden Typs offensichtlich aufweisen. Es wurde ja bereits angeführt, dass der Ausdruck in (65) nie eine Interpretation erlangen kann wie in (72) bei expliziter Angabe des prädikativen Arguments: (72)
Der Künstler hatte begonnen, das Hochhaus zu bewohnen.
4 Implizite
187
Propositionen
Hier scheint beginnen also in irgendeiner Weise unterschiedliche selektionale Bedingungen an sein prädikatives Argument im Vergleich zu der Konstruktion in (65) zu stellen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch sofort deutlich, dass der BEWOHNEN-Komplex in (72) eindeutig konzeptuell uminterpretiert ist. Das ursprünglich zuständliche Verb bewohnen ist hier verschobenen in das für dieses Verb nicht-kanonische TransitionSchema, also ein Ereignis mit fokussierbarer Anfangs- und Endphase, s. Fußnote 89. Ähnliches zeigt sich auch bei dem folgenden Beispiel: (73)
Der Mechaniker hatte begonnen, den Chevrolet zu fahren.
Dieser Satz ist in kontextueller Isolation nur schlecht interpretierbar, per se aber durchaus akzeptabel. Er zeigt scheinbar, dass das Verb beginnen bei Angabe eines direkten Objekts - entgegen der oben formulierten Prämissen - auch atelische Ereignisse einbettet. Schaut man sich aber die möglichen Kontexte an, in denen ein Satz wie in (73) geäußert wird, dann revidiert sich diese Einsicht. Ein möglicher Kontext für einen solchen Satz bezeichnet eine Situation, bei der der Mechaniker etwa zu Testzwecken eine Reihe von Kraftfahrzeugen eine gewisse Zeit lang fahren muss. Dies seinerseits bedingt, dass der damit in der Satzsemantik verankerte strukturierte Zeitraum die verbale Anforderung nach Telizität sättigen kann. Eine ähnliche Situation liegt in (74) vor, wo möglicherweise bei einem Tanzturnier die verschiedenen Tänze, i.e. begrenzte Objekte, durchgetanzt werden müssen, was wiederum die Telizitätsbedingung von beginnen erfüllt: (74)
Das Favoritenpaar hatte bereits den Walzer begonnen.
Eine Begründung für den Unterschied zwischen beginnen-Komplexen mit impliziten und explizitem Ereignisausdruck (vgl. nochmals etwa (66) und (73)) kann in einer Stereotypizitäts-Anforderung an implizite Informationen gesucht werden. Eine solche kam im Abschnitt 3.5.4 im Zusammenhang mit den impliziten Thema-Argumenten schon einmal zu Sprache. Sie besagt, dass nicht-ausgedrückte, aber im Ausdruck implizite Informationen immer nur in der unmarkierten Lesart des explizit realisierten Pendants interpretiert werden können: (75)
Stereotypizitäts-Anforderung
an implizite Information
Nicht realisierte sprachliche Information, die impliziter Teil der Bedeutung des Ausdrucks ist, wird gemäß ihrer unmarkierten expliziten Realisierungsform interpretiert. Dieses Prinzip erklärt, warum ein Ausdruck wie den Chevrolet beginnen nicht im Sinne des Satzes in (73) interpretiert werden kann: Hier liegt - ebenso wie bei den Beispielen in (72) und (74) - eine Markierung vor, die durch die Verschiebung der Verbsemantik in das nicht-kanonische Transition-Muster bedingt ist. Eine solche Verschiebung kann demgemäß bei sprachlich impliziter Information nicht interpretiert werden, da hier stets die unmarkierte Variante kalkuliert wird. Die Maxime in (75) schlägt sich auch an anderer Stelle im System nieder, wie im Falle der nicht realisierten Thema-Argumente, die stets in ihrer kanonischen Lesart interpretiert werden. Aus diesem Grund kann bspw. der
188
4 Implizite Propositionen
Satz in (76) nur sehr schlecht - obwohl konzeptuell durchaus unterstützt - mit einer Interpretation, bei der die Wahrsagerin etwa Gedanken liest, versehen werden: (76)
Die Wahrsagerin liest gerade.
Wir haben nun also in den vergangenen beiden Abschnitten zweierlei festgestellt: Zum einen haben wir ermittelt, dass für die reduzierte und die voll realisierte Variante bei beginnen-Verben von einem einzelnen Lexikoneintrag auszugehen ist. Dieser enthält ein prädikatives Argument, sodass bei dessen Auslassung eine Implikation auf der Basis strukturell kompositionaler Informationen ausgelöst wird. An dieses Argument werden daneben bestimmte ereignisstrukturelle Anforderungen gestellt: Bei Implizitlassung und Realisierung eines direkten Objekts der Art DP beginnen muss das Objekt ein inkrementelles Thema repräsentieren können, sodass ein zeitlich inhärent strukturiertes, telisches Ereignis abbildbar ist. Im Folgenden werde ich zeigen, dass die genannte kompositional basierte Implikation eine (deduktiv geschlossene, konversationelle) Implikatur auf konzeptueller Ebene auslöst, die Informationen über den ontologischen Typ des nicht realisierten Ereignisausdrucks aktiviert. Daneben muss geklärt werden, welchen diskursstrukturellen Wert das implizit gelassene Ereignis hat. Es wird sich zeigen, dass dieses im Diskurs identifiziert werden kann und auch informationsstrukturell zugänglich ist.
4.2.3
Konzeptuelle und diskursstrukturelle Eigenschaften: Schnittstellenrechnung
Dass es sich bei dem nicht realisierten Ereignis tatsächlich um eine logisch implizierte Bedeutungskomponente handelt, zeigt sich u.a. auch daran, dass eine Entwertung dieses Ereignisses nicht möglich ist: (77)
§
Der Lackierer begann das Fahrzeug, aber er tat nichts.
Die Negation des eingebetteten Ereignisses erzeugt eine Kontradiktion, was demonstriert, dass es sich bei dem betroffenen Ereignis um logisch notwendiges Informationsmaterial handelt. Wesentlich ist an dieser Stelle, dass nur das eingebettete Ereignis selbst nicht negiert werden kann. Selbiges gilt nicht für den ontologischen Typ des Ereignisses. Dieser ist, wie das folgende Beispiel zeigt, löschbar: (78)
Der Lackierer begann das Fahrzeug. Aber er lackierte es nicht etwa, sondern polierte es nur.
Wir sehen, dass das implizite Ereignis in seinem ontologischen Typ nicht festgelegt ist. Entsprechendes zeigte sich in der Kontextabhängigkeit, wie sie in den Beispielen (62) und (63) des vorangegangenen Abschnitts illustriert wurde. Dieses Verhalten typenverschobener Verbkomplexe spricht dafür, die Schlussfolgerung auf die eigentliche Art des impliziten Ereignisses im Bereich der konzeptuellen Implikaturen anzusiedeln: Aus dem Vorliegen eines BEGINNEN-Ereignisses wird auf das Vorliegen eines Ereignisses geschlossen, mit dem begonnen wird. Jenes Ereignis ist hinsichtlich seiner Sorte zwar durchaus auf eine präferierte Lesart festgelegt - die ist jedoch ohne weitere sprachliche
4 Implizite
189
Propositionen
Markierung löschbar. Diese Konstellation fuhrt zu der Annahme, dass hier eine (deduktive) konversationelle Implikatur vorliegt, die zusätzlich zur eigentlichen ereignisstrukturellen Implikation (s. (79)) die vollständige Interpretation des Ausdrucks sichert ((80)): (79)
Lexikalisch-semantische Repräsentation SR: beginnen:
(80)
λ Ρ τ λ χ λ ε [e INST [BEGIN(x) & P T (x)]] 93
Konversationelle Implikatur bei typenverschobenem beginnen: BEGIN(e) & AGENT(x,e) & THEME(y,e) - > e = SORT(AGENT(x,e)) X SORT(THEME(y,e))
Die Inferenzanweisung in (80) gibt vor, dass das in einem typenverschobenen beginnenKomplex enthaltene eingebettete Ereignis aus den sortalen Eigenschaften der Subjektund der Objekt-Entität (d.h. des Agens und des Themas) berechnet werden muss. So wird also bspw. in einer Umgebung der Art AUTOR Χ BUCH auf ein SCHREIBEN-Ereignis geschlossen, in einer Umgebung wie SCHÜLER Χ BUCH hingegen auf ein LESEN-Ereignis. Nachdem nun also der Schlussfolgerungstyp festgelegt ist, müssen wir uns noch der abschließenden Frage widmen, welchen diskursstrukturellen Wert das implizite Ereignis annimmt. Bereits oben und in Abschnitt 4.1.3 deutete sich an, dass dieses Ereignis tatsächlich im Kontext vertreten ist und es dort entsprechend aufgegriffen werden kann. Dies zeigt sich zum einen in seinem informationsstrukturellen Verhalten daran, dass das implizit gelassene Ereignis Teil einer Korrektur-Konstruktion mit sondern sein kann, vgl. hierzu Abschnitt 3.3.5. Die folgenden beiden Beispiele illustrieren dies - das explizierte Ereignis des ersten Satzes ist jeweils im zweiten Satz kursiv markiert: (81)
a.
b.
Der Maler hatte die Tür bereits begonnen. Er lackierte sie allerdings nicht, sondern reinigte sie nur mit Sandpapier. Die Putzfrau hatte vor dem Feierabend schnell noch die Spiegel begonnen. Sie polierte diese jedoch nicht, sondern wischte sie nur mit einem Lappen ab.
In Korrektur-Konstruktionen wird eine Proposition, i.e. das Corrigendum, als falsch markiert und ersetzt durch eine andere Proposition. Das Corrigendum wird in den Korrektur-Konstruktionen in (81) als Teil der kontextuellen Hintergrundmenge aufgefasst, die sich aus den Vortexten mit den ¿>eg/««en-Komplexen speist. Die aus dieser Hintergrundmenge „fälschlicherweise" inferierten LACKIEREN- bzw. POLIEREN-Propositionen werden also korrigiert und jeweils durch andere ersetzt. Wir können dies als wichtigen Hinweis darauf werten, dass das implizite Ereignis eines typenverschobenen ¿egm«ew-Komplexes gemäß der Definition in 3.8 in der Diskursmenge identifizierbar ist. Vergleichen wir an dieser Stelle einmal hinsichtlich dieses 93
Eine umfassende Formalisierung eines ¿>eg/««en-Komplexes muss noch widergeben, dass mit ihm lediglich ein Teil bzw. die Anfangsphase eines Ereignisses und nicht das gesamte Ereignis bezeichnet wird. Ich danke Markus Egg für diesen Hinweis, s. hierzu auch Egg (2000).
190
4 Implizite
Propositionen
Sachverhalts beginnen-Komplexe mit Verbkomplexen, die ein psychisches Verb enthalten. Die Leserin sei daran erinnert, dass letztere gemäß der Argumentation in Abschnitt 4.1.3 auf keinen identifizierbaren propositionalen Referenten verweisen. Demnach sollten psychische Komplexe in Korrektur-Konstruktionen wie in (81) also entsprechend schlechter auftreten können. Dass dies tatsächlich der Fall ist, illustrieren die folgenden Beispiele: (82)
a.
b.
Der Dozent langweilte die Studenten. § Er las ihnen allerdings nicht aus einem Buch vor, sondern hielt lange Reden über Nietzsche, Der halbwüchsige Junge ängstigte das kleine Mädchen. § Er zog jedoch keine Grimassen, sondern erzählte Gruselgeschichten.
Die Beispiele zeigen, dass die den psychischen Zustand verursachende Eventualität keinen gültigen Teil der Hintergrundmenge, auf den sich eine Korrektur-Konstruktion beziehen kann, bildet. Als Grund hierfür sind die fehlenden stereotypischen Relationen zu nennen: Ein BUCH-VORLESEN- und ein LANGWEILEN-Zustand etwa stehen in keiner vorhersehbaren, proto-typisch ursächlichen Beziehung, s. ((82)a). Eine solche stereotypische Relation ist nun bei den Beispielen in (81), wie dort etwa zwischen den Entitäten MALER und TÜR, gegeben. Auf diese k-implizierte Relation kann bei der informationsstrukturellen Kalkulation der Korrektur-Konstruktion zurückgegriffen werden, was seinerseits die Struktur gelingen lässt. Können wir nun davon ausgehen, dass das implizit gelassene Ereignis in einem beginnen-Komplex tatsächlich nicht nur identifizierbar ist, sondern auch informationstrukturell zugänglich ist? Schauen wir uns zur Beantwortung dieser Frage einmal die folgenden Beispiele an: (83)
a. b.
Die Großmutter hatte am Abend den Schal begonnen. Es bereitete ihr allerdings weitaus mehr Mühe als das Häkeln, Der Schüler begann den Aufsatz gleich nach der Schule. Es machte ihm viel mehr Spaß als das Fußballtraining.
Wir sehen, dass die Sachverhaltsanapher es sich ohne weitere Schwierigkeiten auf das implizit gelassene Ereignis eines typenverschobenen beginnen-Komplexes beziehen kann. Die Ausdrücke in (83) werden derart interpretiert, dass das Pronomen kanonischerweise nicht den expliziten èeg/n«e«-Ausdruck, 94 sondern vielmehr das eingebettete Ereignis aufgreift. Damit liegt es nahe, die entsprechende propositionale Information nicht nur als zugänglich, sondern auch als referentiell aktiv, im Sinne der Definition aus Abschnitt 3.8, einzuordnen. Demgemäß handelt es sich bei dem pronominalen Ausdruck in (83) nicht um ein Bridging-Pronomen, das sprachlich auf pragmatischer Basis konstruiert wird, s. hierzu u.a. Abschnitt 3.4.2. Vielmehr liegt hier offensichtlich ein referierendes Pronomen mit direktem sprachlichen Bezugselement vor. Falls dies so ist, dann sollten die Konstruktionen in ihrer Bedeutung identisch zu Ausdrücken sein, bei denen 94
Man beachte allerdings, dass diese Möglichkeit durchaus gegeben ist: Das Pronomen es in (83) kann sich mit einigem interpretativen Aufwand auch auf das beginnen- Ere ign i s selbst beziehen.
4 Implizite
191
Propositionen
das fragliche Ereignis explizit realisiert ist. Entsprechendes illustrieren die folgenden Beispiele: (84)
a. b.
Die Großmutter hatte am Abend den Schal zu stricken begonnen. Es bereitete ihr allerdings weitaus mehr Mühe als das Häkeln, René begann den Aufsatz gleich nach der Schule zu schreiben. Es machte ihm viel mehr Spaß als das Fußballtraining.
Die Annahme eines referentiellen Ereignisses bei typenverschobenen Komplexen ist auch aus einer formalen Sicht richtig: Das prädikative Argument, i.e. der EreignisAusdruck, eines typenverschobenen beginnen-Komplexes ist ja durch den nominalen Ausdruck gesättigt, da dieser durch die semantische Anpassung in eine Ereignislesart übertragen wurde, s. hierzu die Repräsentation in (70). Insgesamt betrachtet können wir schlussfolgern, dass bei typenverschobenen Komplexen mit Verben wie beginnen ein implizites Ereignis sowohl identifizierbar als auch diskursstrukturell zugänglich und dort auch aktiv ist.
Ausdruck
Schlussoperation
Identifizierbarkeit/ Aktivation
(•) DP beginnen beginnen: λΡγ ΛΧ /-C [e INST [BEGIN(X) &
Ρτ(Χ)]]
argumentstrukturelle Implikation (Ü)
konversationeile Implikatur:
IDENT/ACCESSIBLE
BEGIN(e) & AGENT(x,e) &
ACTIVE
THEME(y,e) - »
BEGiN(e, e,): e, = SORT(AGENT(x,e)) χ SORT(THEME(y,e))
Tabelle 8: Schlussoperation und Diskursstatus bei typenverschobenen òegmnen-Komplexen
Die Argumentstruktur des Verbs beginnen fordert ein prädikatives Argument ein, dieses ist also lexikalisch-semantisch impliziert. Der sortale Typ dieses Ereignisses wird konzeptuell auf der Grundlage einer konversationeilen Implikatur erschlossen, wozu eine begriffliche Berechnung der beteiligten nominalen Ausdrücke (i.e. der Subjekt und der Objekt-Entität) nötig ist. Typenverschobene Verbkomplexe sind hinsichtlich des durch sie ausgedrückten Maßes an impliziter Information also als informationsreicher einzustufen als psychische Verbkomplexe, s. Tabelle 7 in Abschnitt 4.1.3. Letztere lösen ausschließlich eine Implikatur aus, wohingegen typenverschobene Verbkomplexe mit beginnen auf einen morpho-syntaktisch nicht realisierten propositionalen Referenten bereits in den wahrheitskonditional relevanten, lexikalisch-semantischen Repräsentationen verweisen.
192
4.3
4 Implizite
Propositionen
Zweites Resümee
Mit Blick auf die in diesem Kapitel behandelten impliziten Informationen können wir folgende Bilanz ziehen: Psychische Verben verweisen auf der Grundlage einer konversationellen Implikatur auf die Ursache, die den psychischen Zustand der ExperiencerEntität auslöst. Diese Ursache-Relation ist in der lexikalisch-semantischen Struktur selbst nicht präsent und nimmt auch - analog zu der k-implizierten Ursache-Relation bei den Dekausativa - keinen spezifischen referentiellen Wert an. Daher ist diese Information zwar konzeptuell vertreten, kann aber im Diskurs nicht aufgegriffen werden und ist informationsstrukturell entwertet. Anders verhält sich dies bei den typenverschobenen Verbkomplexen. Bei ihnen ist ein Ereignis impliziert, das als prädiktives Argument in der lexikalisch-semantischen Struktur vertreten ist. Der Argumentausdruck wird gesättigt durch einen nominalen - typenverschobenen - Ausdruck. Hinzu kommt hier eine konversationeile Implikatur, die auf den sortalen Typ des Ereignisses schließen lässt. Das implizit gelassene Ereignis ist im Diskurs vertreten, es ist informationsstrukturell abrufbar, sodass es bspw. mit einem pronominalen Ausdruck aufgegriffen werden kann. Verschaffen wir uns nun zunächst noch einmal einen Überblick über die verschiedenen linguistischen Konstellationen, die bei den hier behandelten Typen impliziter Information vorliegen. Die folgende Tabelle fasst die ermittelten Schlussoperationen und den Diskurswert der inferierten Information für alle behandelten sprachlichen Konstruktionen zusammen: Ausdruck
Schlussoperation
Diskurswert
Dekausativa
Konversationelle Implikatur (Ursache für Zustandswechsel)
ΝΟΝIDENT/INACTIVE
Konversationelle Implikatur (Ursache für psychischen Zustand)
NONIDENT/INACTIVE
Ereignisstruktur-Implikation (Agens)
IDENT/ACCESSIBLE
Argumentstr. Implikation (Referenzobjekt)
IDENT/ACCESSIBLE
Xy λ ε [e INST
[BECOME [BROKEN(y)]]] Psychische Verben erfreuen: λ y λ χ λ ε [e INST [DO(X) &
PSYCH-STATE(y,x)]] lieben: λ χ λ y λ ε [e INST [PSYCH-STATE(y,x)]]
Middles ΛY γε* [ε 4 INST [DO(X) & LESEN(y)]]
Partikeln X\ [BECOME [LOC(v, PRÄP(u))]]
4 Implizite
193
Propositionen
Intrans. Activity λ χ λ ε [e INST [ D O ( x ) &
Konventionelle Implikatur (Thema)
IDENT/ACCESSIBLE
LESEN(x)]]
DP beginnen beginnen: λ Ρ τ λ χ λε [ e INST [BEGIN(x) & P T ( x ) ] ]
(i)
Argumentstr. Implikation (Ereignis)
IDENT/ACCESSIBLE
(ü)
ACTIVE
Konversationelle Implikatur (Ereignissorte)
Tabelle 9: Schlussoperation und Diskursstatus fur den untersuchten Phänomenbereich
Die Übersicht macht deutlich (veranschaulicht durch den Balken in der Tabelle), dass zur Absicherung einer informationstrukturellen Identifizierbarkeit sprachlich nicht realisierter Information diese entweder aufgrund einer logischen Implikation oder mittels einer konventionellen Implikatur erschließbar sein muss. Im Diskurs aktiv ist implizite Information nur, wenn die entsprechende argumentstrukturelle Anforderung - wie bei den typenverschobenen Komplexen - auch lexikalisch-semantisch gesättigt ist. Diese Regelmäßigkeit lässt sich selbstredend vorerst nur auf den hier behandelten Phänomenbereich anwenden. Es ließe sich aber spekulieren, inwiefern hier eine Systematik vorliegt, etwa im Sinne der Definition in (48), welche hier wiederholt und an die Ergebnisse aus den beiden vorangegangenen Abschnitten angepasst ist: (85)
Zugänglichkeit sprachlich nicht realisierter Information: Die Diskurszugänglichkeit sprachlich nicht realisierter, aber interpretierter Information ist gesichert, wenn diese logisch impliziert oder konventionell impliziert und proto-typisch gebunden ist.
Wie sich zeigen wird, können wir eine solche die Definition zur Implizitlassung sprachlicher Information weiter einkürzen, wenn wir zur Formulierung einer generalisierten Definition die Diskurswerte in die Beschreibung einbeziehen. Diesem Aspekt wollen wir uns im abschließenden Kapitel widmen und damit zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurückkehren.
5 Ergebnisdiskussion und Ausblick
Worin besteht nun der Unterschied zwischen „dem, was gesagt wird" und „dem, was grammatisch kodiert ist"? Und wann kann sprachliche Struktur unrealisiert bleiben? Wir hatten im vorangegangenen Abschnitt festgestellt, dass die informationsstrukturelle Identifizierbarkeit von Informationen gesichert ist, wenn - und das ist eine wichtige Erkenntnis dieser Arbeit - diese zumindest mittels einer logischen Implikation oder mittels einer konventionellen Implikatur im Diskurs aufgespürt werden kann. Unter Anerkennung der Tatsache, dass es sich bei dem hier untersuchten Bereich an sprachlichen Konstruktionen um eine Auswahl handelt, können wir mit Blick auf die Tabelle 9 (s. S. 193) und die dort festgehaltenen Diskurswerte folgenden Umkehrschluss konstatieren: Sprachliche Information, die selbst nicht realisiert aber mitverstanden werden soll, ist immer dann linguistisch lizenziert, wenn sie diskursstrukturell identifizierbar ist. Die genannte Vorgabe ist natürlich und durchaus trivialerweise vor Übergenerierung zu bewahren. Diese droht, wenn die Regel unter Missachtung unabhängiger grammatischer Bedingungen angewendet würde. So kann etwa ein Agens eines aktivischen Verbkomplexes im Deutschen, auch wenn kontextuell identifizierbar, nicht ausgespart werden. Dies aber regelt ein autonomes grammatisches Prinzip, das Extended Projection Principle (s. Chomsky (1986)): (1)
Dort spaziert Hans. *Erholt sich ein bisschen vom Habilitieren. Er erholt sich ein bisschen vom Habilitieren.
Das EPP besagt, dass Sätze Subjekte haben müssen. Dies ist eine Bedingung, die an anderer Stelle im System formuliert ist und daher, unter der Annahme eines modularen Sprachsystems, nicht in das lexikalisch-semantische Regelwerk zu integrieren ist. Die oben formulierte Schlussfolgerung greift also nur unter der Maßgabe, dass nicht andere, unabhängige grammatische Bedingungen eine Aussparung verhindern. Die folgende Darstellung setzt die ermittelte Konstellation in Relation zum Verhältnis von Inferenzaufwand und Strukturdichte für die einzelnen untersuchten Phänomenbereiche. In der Graphik wird veranschaulicht, wie das komputationeile Verhältnis von inferentiellem Aufwand und Strukturdichte gestaltet ist, sodass also die diskursstrukturelle Zugänglichkeit von Information gegeben ist:
5 Ergebnisdiskussion
195
und Ausblick
INF
unakk. Verb
Middle Partikel
psych. Verb
ìntransitiviertes Activity-Verb
typenverschobene Komplexe
implizite Partizipanten implizite Propositionen
Abbildung 18: Verhältnis von S D : INF in der Übersicht
Die Graphik zeigt, dass unakkusative Verben und psychische Verben den relevanten Strukturdichte-Wert nicht erreichen, sodass der für die fraglichen Informationen - man erinnere sich an die besprochenen Ursache-Relationen - notwendige inferentielle Aufwand überschritten wird. An dieser Stelle endet der in dieser Arbeit beschrittene Weg: Wir sind jetzt in die Lage versetzt, die zu Beginn der Arbeit gestellte Ausgangsfrage und die Antwort darauf im Licht der gewonnenen Erkenntnisse neu zu interpretieren. Zur Erinnerung hier noch einmal unsere Leitfrage: (2)
Unter welchen Umständen kann sprachliche Information, die mit dem betreffenden Ausdruck mitverstanden werden soll, reduziert werden?
Die Antwort darauf lautet: (3)
Mitzuverstehende sprachliche Information, unter der Maßgabe, das nicht unabhängige grammatische Bedingungen dies verhindern, kann immer dann ausgespart werden, wenn sie im Kontext identifizierbar ist.
Verschiedene Hürden waren zur Bewältigung der abgesteckten Ziele zu bewältigen. Wenden wir uns noch einmal kurz den Teilfragen aus Kapitel 2, die zur Beantwortung unserer Leitfrage erkundet wurden, zu. Die erste Frage lautete: (4)
(i) Welche Informationen sind sprachlich nicht realisiert, d.h., welches Verhältnis von Strukturdichte und Inferenzaujwand muss bei einer Struktur vorliegen, sodass Struktur reduziert werden kann?
196
5 Ergebnisdiskussion
und Ausblick
Hier gibt die Tabelle 9 aus dem vorangegangenen Abschnitt den entscheidenden Aufschluss. Dort sind die verschiedenen Typen sprachlich nicht realisierter Informationen zusammengefasst und ins Verhältnis zu ihren diskursstrukturellen Eigenschaften gesetzt. Die Proportion von Strukturdichte und Inferenzaufwand - wenn informationstrukturelle Zugänglichkeit gegebenen sein soll - darf dabei nicht unter einen kritischen Wert sinken, wie er in Abbildung 18 veranschaulicht ist. So sind etwa typenverschobene Komplexe informationsreicher als psychische Ausdrücke hinsichtlich der sie begleitenden impliziten Proposition, sodass diese lediglich bei ersteren auch eine diskursstrukturelle Wertigkeit erlangt. Hier die zweite Fragestellung: (ii) Welches Signal -falls überhaupt eines - ist auf der jeweiligen Berechnungsebene gesetzt, sodass Bedeutungspostulatberechnungen ausgelöst werden, um die notwendigen Schlussfolgerungen abzusichern? Welcher Typ von Schlussfolgerung ist mit dem Ausdruck verknüpft? Tabelle 9 zeigt hierfür, welcher Typ impliziter Information in welcher Weise sprachlich kodiert ist und welche Schlussfolgerung dies auslöst. So liegt bei den Middles eine Implikation vor, die mit der ereignisstrukturellen Konstante des verbalen Ausdrucks lexikalisch-semantisch assoziiert ist. Das nicht realisierte Argument bleibt thematisch ungebunden. Im Gegensatz dazu weisen etwa Dekausativa überhaupt kein "implizites" Argument auf: Die fragliche Information taucht in der lexikalisch-semantischen Repräsentation nicht auf. Eine Ursache-Relation ist hier, wenn überhaupt, dann mittels konzeptuell-episodischen Wissens k-impliziert, was die informationsstrukturelle Unzugänglichkeit der Ursache-Relation begründet. Ganz anders verhält sich dies bei den intransitivierten Activities, die auf grammatischer Ebene zwar ebenfalls kein Argument als implizit ausweisen, bei denen eine Thema-Entität aber via konventioneller Implikatur und prototypischer Bindung erschlossen wird. Dies motiviert seinerseits das verhältnismäßig hohe Maß an diskursstruktureller Zugänglichkeit der betreffenden Information. Und die dritte Frage schließlich lautete wie folgt: (iii) Welche Schnittstellenregeln lösen die Inbeziehungsetzung von Signal und Information bzw. die Rekonstruktion von Informationen aus, d.h. auf welche Informationen greift der thematische Prozessor zu, um eine ökonomische Balancierung des Rechenaufwands zu erreichen? Zur Beantwortung sind die verschiedenen Übersetzungsregeln zu nennen, auf dessen Grundlage der thematische Prozessor an der Schnittstelle zwischen grammatischem und begrifflichem Wissen operiert. Hierfür wurden Schnittstellenregeln definiert. So hatten wir u.a. festgestellt, dass eine Veränderung, i.e. CHANGE(X), für die keine spezifisch referierende Ursache-Größe (also -'SPEz(y)) vorgesehen ist, auf grammatischer Ebene in einen unakkusativen, dekausativen Komplex (d.h. BECOME [STATE(x)]) zum sprachlichen Ausdruck eines Zustandswechsels mündet. Eine wichtige Rolle spielen hier daneben die informationsstrukturellen Werte. Sie liefern die entscheidende Angabe darüber, ob Information grammatisch realisiert wird oder nicht. Wenn bspw. das Referenzobjekt einer präpositionalen Relation diskursstrukturell zwar zugänglich aber defokussiert realisiert
5 Ergebnisdiskussion
und Ausblick
197
wird, dann kann die betroffene Argumentstelle der P-Relation thematisch ungebunden bleiben. Seine grammatische Entsprechung findet dies in der Realisierung einer Partikel, s. Abschnitt 3.4. Diese werden im Kontrast zu Adverbien wie daran, darauf oder drin gewählt, welche ihrerseits auf ein diskursstrukturell aktives Referenzobjekt anaphorisch verweisen. Die Abbildung 19 verdeutlicht die Funktion des thematischen Prozessors in der Interaktion von konzeptuellem und grammatischem Wissen. Man vergleiche hierzu das in der Abbildung 4 dargelegte Modell, s. Abschnitt 2.3.
Lexikalisch-semantische Repräsentation SR
Morpho-syntaktische Repräsentation SYN
Abbildung 19: Thematischer Prozessor
Die Darstellung illustriert, welche Informationen dem thematischen Prozessor zur Berechnung grammatischer Strukturen, die das Ergebnis einer optimalen Inbeziehungsetzung von Strukturdichte und Inferenzaufwand sind, zugänglich sein müssen. Sprachliche Repräsentationen werden demnach als Produkte der Berechnungen des thematischen Prozessors angesehen, der bei der Verbalisierung eines propositionalen Gehalts lexikalische, konzeptuelle und diskursstrukturelle Informationen abruft und diese bei der Abbildung auf eine grammatische Struktur in ein möglichst ökonomisches Verhältnis setzt. Wir haben gesehen, in welcher Weise Interpretierbarkeit sprachlich nicht ausgedrückter Information also an deren Inferierbarkeit und ihre informationsstrukturelle Verankerung geknüpft ist. Vor diesem Hintergrund ist die zu Beginn der Arbeit abgegebene und hier wiederholte Erklärung jetzt neu zu verstehen: (5)
Die umfassende Interpretation eines Ausdrucks resultiert aus der Zusammenarbeit zwischen linguistischen und nicht-linguistischen Sub-Systemen der Kognition, welche das Gesagte und das nicht Gesagte in einer ausbalancierenden Weise berechnen.
5 Ergebnisdiskussion und Ausblick
198
Einige, wahrscheinlich sind es viele, Fragen bleiben unbeantwortet. Zunächst einmal ist hier anzuführen, inwiefern die ermittelten Definitionen und Regelmäßigkeiten auf andere sprachliche Bereiche übertragbar sind. Implizitlassungen finden sich auch noch an vielen weiteren Stellen des lexikalsichen Systems. Wie steht es zum Beispiel um die anderen Typen impliziter Argumente, etwa bei den deverbalen Nomina der Art in Die Befreiung brauchte drei Jahre? Sind diese impliziten Informationen hier sprachlich vielleicht weniger salient, da die nominalen Prädikate auch selbstständig recht gut referieren können? Oder nehmen wir die relativen Adjektive: (6)
Der Schal ist zu lang.
Dimensionsadjektive wie lang verweisen auf einen Skalenwert, der ins Verhältnis zu einer bestimmten, meist konventionalisierten Norm gesetzt werden kann (s. u.a. Bierwisch (1989); Lang (1989)). Die Partikel zu in (6) nimmt auf diesen Normwert Bezug und signalisiert dessen Überschreitung. Der Wert selbst wird nicht realisiert. Folgen wir Bierwisch (1989), dann ist der Normbezug notwendiger Teil der hier zugrunde liegenden semantischen Struktur. Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Information nun auch informationsstrukturell aufrufbar ist. Prinzipiell möglich ist eine Spezifizierung des Normbezugs ja mittels einer Dativ-DP: (7)
Der Schal ist dem Volker zu lang.
Somit sind diskursstrukturelle Bezüge etwa in Form einer Korrektur-Konstruktion realisierbar: (8)
Der Schal ist zu lang. Aber nicht etwa dem Volker, sondern der Sophie.
Analoges ist nun nicht möglich, wenn zu - als spezifischer Ausdruck der Normüberschreitung - nicht vorhanden ist. Dies weist darauf hin, dass die Dativ-DP als Argument des entsprechenden präpositionalen Prädikats einzubinden ist (vgl. Abraham (2006)): (9)
a. b.
Der Schal ist (*dem Volker) lang, Der Schal ist lang. *Aber nicht etwa dem Volker, sondern der Sophie.
Dieser Fall bedarf einer Klärung. Ist es vielleicht so, dass die Explizierung der Normüberschreitung (mittels zu) erst die Explizierung der Norm (mittels der Dativ-DP) ermöglicht? Welche kompositionalen Konstellationen begründen dieses Verhältnis? Solche Fragen erweisen sich als offen und müssen geklärt werden, wenn wir möglichst umfassende Bedingungen zur Implizitlassung von Informationen formulieren wollen. In diesem Zusammenhang bleibt auch zu erörtern, welche systematische Wechselwirkung zwischen dem strukturellen Typ eines Arguments und dessen informationsstruktureller Identifizierbarkeit besteht. Ist bspw. ein nicht realisiertes externes Argument schwerer aufrufbar als ein nicht realisiertes internes Argument? Wir wissen, dass syntaktische Position und informationsstrukturelle Wertigkeit direkt miteinander korrelieren.
5 Ergebnisdiskussion
und Ausblick
199
Auch zwischen thematischer Funktion und diskursstruktureller Zugänglichkeit besteht bekanntermaßen ein Zusammenhang. Und in welcher Weise spielt hier die grammatische Ebene, auf der eine Derivation stattfindet, eine Rolle? Sind morphologisch oder lexikalisch unterdrückte Argumente eventuell schwerer zugänglich als eine bloße „Weglassung"? Eine Auslassung, die den Status einer Ellipse - im Sinne einer leeren aber syntaktisch existenten Konstituente - einnimmt, liegt unter Umständen auch bei den typenverschobenen Verbkomplexen (Der Autor beginnt den Roman) vor. Dafür spricht, dass das implizite Ereignis hier lexikalisch-semantisch abgebunden und demgemäß informationsstrukturell aktiv ist, s. Abschnitt 4.2. Wie können die verschiedenen Typen von Auslassungen, d.h. lexikalische vs. syntaktische, unterschieden werden und welcher Zusammenhang besteht hier wiederum mit deren informationsstruktureller Wertigkeit? Neben diesen eher systemischen Fragestellungen bedürfen auch verschiedene Einzelaspekte noch einer detaillierteren Untersuchung. Zum Beispiel ist der Unterschied zwischen proto-typischer Bindung und A-definiter Bindung formal noch nicht eindeutig festgelegt. Proto-typische Bindung liegt bei nicht realisierten Themen vor (etwa für das BUCH in Peter liest) und wird durch eine konventionelle Implikatur verursacht, s. Abschnitt 3.5. A-definit gebunden ist das implizierte, nicht realisierte interne Argument einer P-Relation bei Partikeln, Peter klebt den Sticker an, s. Abschnitt 3.4. Ein wahrheitskonditional relevanter Unterschied zwischen diesen beiden Referenzformen manifestiert sich möglicherweise in den unterschiedlich restringierten ontologischen Optionen für die fraglichen Entitäten. In den Abschnitten 3.5.4 und 4.2.2 wurde festgestellt, dass nicht realisierte Themen von Activity-Verben einer Stereotypizitäts-Anforderung unterliegen: Ein Ausdruck wie Peter liest kann - obwohl konzeptuell vorstellbar - nur schlecht auf eine Thema-Entität wie Gedanken verweisen. Das nicht realisierte Thema ist im Diskurs also vergleichsweise konkret festgelegt. Analoges gilt fur (kompositionale) Partikeln nicht. Sie verweisen - aufgrund der schwachen sortalen Restriktionen, die P-Relationen aufweisen - lediglich auf eine unspezifische räumliche Region, deren Aufgabe es ist, eine geeignete Lokalisation für das Thema der P-Relation zu bieten. Die eigentliche ontologische Sorte des nicht realisierten Arguments ergibt sich erst aus dem kompositionalen Zusammenspiel aller beteiligten Ausdrücke. Relativ still blieb es in dieser Arbeit auch noch bei der Frage, welches Regelwerk das lexikalische System einsetzt, um die vielfaltigen Realisierungsmöglichkeiten der Einträge gewährleisten zu können. Betrachtet man die hohe strukturelle Flexibilität von sprachlichen Einheiten bei der Bildung komplexer Ausdrücke, muss daneben natürlich geklärt werden, welche Informationen in den Einträgen des mentalen Lexikons tatsächlich fest verankert sind und mit welchen Operationen das lexikalische System Anpassungen dieser Merkmale vornehmen kann. Strukturell wurde diesem Wechselspiel hier entsprochen mittels der Unterscheidung zwischen einer abstrakten semantischen Form SF und einer aktualen semantischen Repräsentation SR, die an faktische sprachliche Bedingungen angepasst ist, s. Abschnitt 2.3. Die formalen Implikationen (Oder sind es Implikaturen?), die sich aus den Ableitungen der verschiedenen lexikalischen Realisierungsalternativen ergeben, müssen ein Desiderat für zukünftige Überlegungen bleiben. Dabei muss zum einen erörtert werden, in welcher Weise strukturelle Flexibilität im Lexikon zu verankern ist. Gleichzeitig müssen dabei aber auch die Mechanismen und Informationen, wie sie etwa mit der Verwendungsfre-
200
5 Ergebnisdiskussion und Ausblick
quenz einer lexikalischen Variante zusammenhängen, also traditionell als performanzbezogen eingestufte Informationen, in das Modell sprachlichen Wissens implementiert werden. Meines Erachtens kann nur so den hohen Anforderungen, die sich aus den neuen kognitionswissenschaftlichen Sichtweisen auf sprachliche Kompetenz ergeben und die heute weitaus vielfältiger und umfassender sind, lohnend Rechnung getragen werden. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!
Anhang
(1)
Kritische Materialsätze und Bild-Targets in RZ-Studie aus Abschnitt 3.4.2
SATZ
KONGRUENT
INKONGRUENT
Die ruhige Professorin besteigt den Zug und liest die Zeitung.
Bild 39 95 Bus
Bild 150 Pilz
Der brave Junge öffnet das Tor und verlässt den Raum.
Bild 257 Fenster
Bild 130 Messer
Der junge Angestellte bäckt die Stolle und säubert den Tisch.
Bild 42 Torte
Bild 58 Zigarre
Die neugierige Leserin verspeist den Pudding und zerteilt die Kartoffeln.
Bild 89 Fisch
Bild 205 Rock
Der intelligente Autor brät die Gans und erhitzt das Wasser.
Bild 157 Zwiebel
Bild 32 Flasche
Der hektische Student leert die Kanne und öffnet den Karton.
Bild 32 Flasche
Bild 76 Tür
Die freundliche Rentnerin poliert den Löffel und flickt den Mantel.
Bild 204 Schuh
Bild 89 Fisch
95
Die Nummern in der folgenden Tabelle beziehen sich auf die von Snodgrass & Vanderwart (1980) entwickelten und entsprechend nummerierten Bildstimuli.
202
5 Ergebnisdiskussion und Ausblick
SATZ
KONGRUENT
INKONGRUENT
Die nervöse Sekretärin verbiegt die Heftklammer und locht das Papier.
Bild 97 Gabel
Bild 157 Zwiebel
Die belesene Ärztin pflückt den Flieder und betrachtet die Blume.
Bild 150 Pilz
Bild 39 Bus
Der alte Meister schleift das Rohr und repariert die Heizung.
Bild 130 Messer
Bild 36 Brot
Die hübsche Tänzerin verschließt die Kammer und bügelt das Kostüm.
Bild 76 Tür
Bild 97 Gabel
Die wohlhabende Dozentin schält den Pfirsisch und reinigt den Kühlschrank.
Bild 6 Apfel
Bild 204 Schuh
Die kluge Lehrerin verzehrt das Hähnchen und trinkt den Saft.
Bild 36 Brot
Bild 257 Fenster
Der ältere Verkäufer raucht die Pfeife und genießt die Ruhe.
Bild 58 Zigarre
Bild 42 Torte
Anhang (2)
203
Kritische Materialsätze bis Wort 6 und {Targets} in RZ-Studie aus Abschnitt 3.5.3
01a Der intelligente Lehrer putzte {FENSTER} Wagen 01b Der intelligente Lehrer putzte {GETRÄNK} Wagen 01c Der intelligente Lehrer putzte {FENSTER} an Old Der intelligente Lehrer putzte {GETRÄNK} an
den den weil weil
06a Die fleißige {HEMD} Rock 06b Die fleißige {GAS } Rock 06c Die fleißige {HEMD} der 06d Die fleißige {GAS} der
Hausfrau bügelte den Hausfrau bügelte den Hausfrau bügelte weil Hausfrau bügelte weil
02a Die kluge Fahrerin fegte den {STRASSE} Stall 02b Die kluge Fahrerin fegte den {LAMPE} Stall 02c Die kluge Fahrerin fegte weil {STRASSE} der 02d Die kluge Fahrerin fegte weil {LAMPE} der
07a Der akkurate Professor malte die {BILD} Karikatur 07b Der akkurate Professor malte die {LOHN} Karikatur 07c Der akkurate Professor malte weil {BILD} der 07d Der akkurate Professor malte weil {LOHN} der
03 a Der berühmte {LIED} Hymne 03b Der berühmte {DAMPF} Hymne 03 c Der berühmte {LIED} er 03d Der berühmte {DAMPF} er
08a Die blonde Nachbarin summte den {MELODIE} Schlager 08b Die blonde Nachbarin summte den {AUTOTÜR} Schlager 08c Die blonde Nachbarin summte weil {MELODIE} sie 08d Die blonde Nachbarin summte weil {AUTOTÜR} sie
Tenor sang die Tenor sang die Tenor sang weil Tenor sang weil
04a Die strenge Chefin las den {BUCH} Bericht 04b Die strenge Chefin las den {HAUS} Bericht 04c Die strenge Chefin las weil {BUCH} sie 04d Die strenge Chefin las weil {HAUS} sie
09a Der charmante {BIER} Tee 09b Der charmante {HEFT} Tee 09c Der charmante {BIER} die 09d Der charmante {HEFT} die
Student trank den
05a Der alte Autor schrieb die {BRIEF} Geschichte 05b Der alte Autor schrieb die {SEIL} Geschichte 05c Der alte Autor schrieb weil {BRIEF} der 05d Der alte Autor schrieb weil {SEIL} der
10a Die elegante Schauspielerin rauchte das {ZIGARRE} Kraut 1 Ob Die elegante Schauspielerin rauchte das {GARDINE} Kraut 10c Die elegante Schauspielerin rauchte weil {ZIGARRE} sie 1 Od Die elegante Schauspielerin rauchte weil {GARDINE} sie
Student trank den Student trank weil Student trank weil
204
Anhang
l i a Der schüchterne Angestellte pierte den {MANUSKRIPT} Text 1 lb Der schüchterne Angestellte pierte den {REIHENHAUS} Text 11c Der schüchterne Angestellte pierte weil {MANUSKRIPT} der l l d Der schüchterne Angestellte pierte weil {REIHENHAUS} der
kokokoko-
12a Die bekannte Autorin zeichnete den {PORTRAIT} Entwurf 12b Die bekannte Autorin zeichnete den {FAHRRAD} Entwurf 12c Die bekannte Autorin zeichnete weil {PORTRAIT} der 12d Die bekannte Autorin zeichnete weil {FAHRRAD} der 13a Der berühmte {SUPPE} Kaffee 13b Der berühmte {KANNE} Kaffee 13c Der berühmte {SUPPE} an 13d Der berühmte {KANNE} an
Meister kochte den Meister kochte den Meister kochte weil Meister kochte weil
14a Die sparsame Haushälterin die {PULLOVER} Mütze 14b Die sparsame Haushälterin die {STAUBSAUGER} Mütze 14c Die sparsame Haushälterin weil {PULLOVER} die 14d Die sparsame Haushälterin weil {STAUBSAUGER} die
strickte
15a Der ältere Sohn nähte die TÜM} Schürze 15b Der ältere Sohn nähte die BER} Schürze 15c Der ältere Sohn nähte weil TÜM} der 15d Der ältere Sohn nähte weil BER} der
{KOS-
16a den 16b den
strickte strickte strickte
{KLE{KOS{KLE-
Die hübsche Verkäuferin häkelte {DECKCHEN} Saum Die hübsche Verkäuferin häkelte {FLASCHE} Saum
16c weil 16d weil
Die hübsche Verkäuferin häkelte {DECKCHEN} der Die hübsche Verkäuferin häkelte {FLASCHE} der
17a Der junge Schüler aß die {BROT} Banane 17b Der junge Schüler aß die {LICHT} Banane 17c Der junge Schüler aß weil {BROT} es 17d Der junge Schüler aß weil {LICHT} es 18a Die charmante Kellnerin das {BODEN} Parkett 18b Die charmante Kellnerin das {ANRUF} Parkett 18c Die charmante Kellnerin weil {BODEN} im 18d Die charmante Kellnerin weil {ANRUF} im
wischte wischte wischte wischte
19a Der freundliche Hausmeister den {WIESE} Rasen 19b Der freundliche Hausmeister den {KARTE} Rasen 19c Der freundliche Hausmeister weil {WIESE} die 19d Der freundliche Hausmeister weil {KARTE} die 20a Die einsichtige den {LOCH} Zahn 20b Die einsichtige den {POST} Zahn 20c Die einsichtige weil {LOCH} die 20d Die einsichtige weil {POST} die
mähte mähte mähte mähte
Medizinerin bohrte Medizinerin bohrte Medizinerin bohrte Medizinerin bohrte
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