Baltische Monatsschrift [36]

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Baltische

Monatsschrift, Herausgegeben von

obert Weiss.

XXXVI. Band.

Reval, 1889.

:

A.

In C Stiedn.

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i

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bei

F.

Kluge.

Leipzig

Rnd. Harttnnnn.

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Harvard College Library

APS

23

1909

Hohenzollern Collection Gift of A. C. Cooiidge

Aoniiojeno ucn3ypoio.



PeMJb, 15

ro

C.Jruilit boi Lln.Jfon»' Erbon in

HoiiGpa 1889

II,

r.

v.u.

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1

I

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Inhalt. A

A.

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1

u u g

e

uml Aufsatz

n

g.

Seite

Kin Blatt der Erinnerung an Otto Müller Ein abenteuerlicher Anschlag. Von Tb. Schiemann

Heinrich Otto Reinhold (iirgensohn,

W

1

21

General Superintendent von Livland.

Von A d o 1 p h ge rod e Die Stellung der Reformation zu den Mitteldingen. Von J. Lütkens Aphorismen zur baltischen Polizeireform. Von Dr. Joh. Ken aale r 66 "\Velrhc9

Volk hat an

Kniland

dm

i

1

1

i

Küsten des Rigiachen Meerbusens und

Wjggfr

die historische Priorität, die indogermanischen Letten

die mongolischen Finnen

Von

?

Dr. A.

Aus dem Briefwechsel Von Hans Sf.hmiilt

Eines Dichters Kind.

Freunden. Julius

in

.

von Schruder.

Bielenstein ,

,

,

,

,

,

Von

,

87

,

,

Uli

eines

QeorgRathlef

175

Ans dar neuesten Statistik Livlandtt. Von D M—n. Wanderungen durch nnsere Provinzialhauptstadt. Von Dr.

söhn Blatt am dem

.

.

,

,

Zur Erinnerung an das Leben und Wirken

baltischen Schulmannes.

oder

.

.

mit zweien

Carl Petersens ,

35 47 lOft

,

,

Jos.

,

,

G

,

,

i

g

r

e

,

n

204



232

531

Ein Tagelmche eines Kurländere. Von C a r 1 B o y Aua Alt- Rigas Bürgerthum. Eine aus den Erbebüchern geschupfte Studie.

246

Von

Cand.

bist,

»

.

E.

.

.

Seraphim

Die französische Revolution. Papierrnbel oder Silberrubel

?

257

Von Dr. AI. Bergengrün Von Prof. Dr. H. Dietzel der Architektur. Von W. Nenmann

276

Barocco, Rococo und Zopf in . . Die numerische Entwicklung der evangelischen und griechisch orthodoxen

Bevölkerung Livland« seit der letzten Volkszählung Die Gegenreformation in Livland. I n. II. Von T. Christiani Ein vergessener livlandischer Dichter, a Offene

Wnnden.

806 337 855

366

Eine socialpathologische Betrachtung

567

406 431

Die Hanptstrumungen der Literatur Alt-Livlands. I. Von Th. Riekhoff Der Componist und Dichter August Heinrich von Weyrauch. I. Der Componirt. Von P. Th. Falck Riga* Schulwesen im Jahre 1888. Von N. C

478

Von W. (ireiffenhagen

631

Jost Clodt

als

Staatsmann und Diplomat.

553 612

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Seite

Von

Johannes Janssen über die Reformation. Pobedonoszew über Familiengrundstücke

Au» den Wanderjahren

Von

Prof. Dr. C.

Notizen

B.

F.

Herrn.

Da

0 n

(besprochene

748 755

Von H.

H0

1 1

an d e r

.

Beitrage zur Geschichte der evangelischen Kirche

in Rnssland.

II.

Urkundeubuch der evangelisch reformirten Kirche

in Russland,

(iotha, F.

Martens,

1

A. Perthes.

Rccucil des TraiUs

et

avec Us Puissances Etrangbres. T.

Von

Beruh.

Von

1889.

B

164

Conventions conclus

I— VII.

par

la

Bussie

Petersburg, 1875- 1885.

C. Schirren

A.

170

Hollander,

Die livländischen Städtetage

bis

zum Jahre

Von Bgn

1500.

172

Graf Leo Tolstoi,

«Luzern»

und «Familienglück».

Zwei Erzäh

Von Dr. Bernhard Münz

lungen.

764

fcychriften).

,

1

675

708

1

Erdmann

Zur 'Abwehr. Von E. Kraus «Offene Wunden» und das Wort «Zur Abwehr».

Dr.

Bergeigrün

697

dreier estländischer Maler.

Ein provinzielles Jubiläum.

AI.

Dr.

Gust. Sodoffsky, Die

251

Immobilienstcuer in Riga

und die Gebäude-

Von N. C

steuer in Oesterreich.

256

Sitzungsberichte der kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst.

Von

1888.

J.

G.

.

332

.

Sitzungsberichte der gelehrten estnischen Gesellschaft.

Graf Leo Tolstoi, Ose. Mertens, Zur P. Jordan, Beitrag

Neue Erzählungen,

bespr.

Frage der Zufuhrbahnen

1888.

Von

J. G.

in Russland.

Von N.

C.

420

Carlberg, Statistik der Infectionskrankheiten in Riga W. Greif fenhag en, Oscar von Riesemann. Besp. von H. H. Dr. C. E r d m a n n System des Privatrechte der Osteeeprovinzen. Von H. H. Das Staaterecht des Kaiserthums Russlaud. Prof. Dr. J. E u g e m a n n N.

.

.

.

,

1

Von

0.

Jahresbericht

M

Von

J.

,

G

428 429 524

der Felliner

Arbus0w

421

,

litterarischen Gesellschaft

für

das Jahr

1888.

Von A. S L.

417

zur Geographie und Statistik des Gouvernements

Von N. 0

Estland.

334

Münz 413

von Dr. Bernhard

628 Grundriss

der

Geschichte

Liv-,

Est-

und

Kurlands.

768

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

Diu Stätte, die ein guter Mensch betrat, nach hundert Jahren klingt

Int eingeweiht;

Sein

Wort und

That dem Enkel wieder.

seine

Goethe.

und Wahrheit wollen

ichtung

Deutschlands

Strophe

nüchterner Syllogismus stellung dessen,

Denn

sollte.

recht

sinnlichen

grosser

gemeinhin nicht oder

Auch was gesungen

Dichter

poetischer Traum,

als

was wirklich

ist,

vorstehender

in

ist

,

weniger

weniger eine Dar-

was rechtmässig

als dessen,

sein

leider ist es eine unerfreuliche, die Unzulänglichkeit

Zustände

irdischer ein

sich

doch nicht vollständig decken.

,

und

die

Wahrnehmung

innerungsvermögen

Schwäche der menschlichen Natur in dass das, was der

stellende Erfahrung,

grelles Licht

sich entzieht,

weiter

festgehalten

schwer

nur wird.

So

von dem Erverblasst denn

auch nur allzu bald, ja schwindet aus unserem Gedächtnis das Bild der unserem

während

leiblichen

Auge durch den Tod Entrückten, welche

ihres Daseins und

Wirkens doch von einem grösseren oder Fug und Recht bewundert und

kleineron Kreise ihrer Mitwelt mit verehrt,

gefeiert

und

gepriesen

wurden.

Allerdings

pflegt

der

wohlerworbene Klang eines guten Namens nicht sofort mit dem Träger desselben begraben zu werden, aber der Entstehungsgrund dieses guten Namens, der nähere Begritf von dem Wesen seines Erwerbers ist einer allzu frühzeitigen Erlöschung meist preisgegeben. Wo auch die äussere Gestalt eines uns werth und theuer gewordenen Haltischo Honatuchrlft. nd.

XXXVI, Heft

I.

1

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto MneUer.

2 Freundes doch

unserer Erinnerung mitunter

in

die innere Gestalt desselben

sicli

allmählich

von uns ungewollt nicht selten immer

tiefer

wiederspiegelt, tritt

uns in

unbewusst und

den Hintergrund.

So wird es denn erklärlich, dass schon von den Coätanen die doch von ihnen selbst mit einigem Nimbus umgebenen und auf ein höheres Piedestal gestellten

Männer

von den Epigonen

vollends,

in einigen

Jahren vergessen, dass

wenn auch dazwischen

sie

gelegentlich

hergebrachter Hochachtungsbezeugung genannt doch in Wahrheit eigentlich nicht gekannt werden. Ein nicht günstigeres Loos ist denn auch Otto Mueller zugefallen, einem Manne, welcher zu den Besten aller Zeiten seines Heimatlandes zählte und für welchen in den seit seinem Heimgange verflossenen nunmehr vollen zwei Jahrzehnten kein die Lücke genügend ausfüllender Ersatz gefunden worden. Wer selbst in unter

,



den Cirkeln der höheren Intelligenz



weiss heute noch Zutreffen-

seinem Wesen und seiner Eigenart, von seinem Walteu und Wirken, von seinen Leistungen und Verdiensten ? Gewiss wird in den Gesprächen derer, welche ihm befreundet gewesen, jetzt

des von

aber nur in geringer Zahl unter den Lebenden weilen und sämmtlich fast

zu Greisen ergraut sind,

seiner in treuer Anhänglichkeit

auch heutzutage vorübergehend gedacht, gewiss wird

in

der Presse

vorkommender Gelegenheit auch heutzutage auf ihn hingewiesen als einen «Unvergesslicheiu. Ist er bei allem dem aber im eigentlichen Sinn des Wortes nicht doch vergessen ? Ist jenes Epitheton bei

der Presse nicht doch nur ein leerer Schall,

hervorgerufen

durch

das unklare Bewusstsein, dass, keineswegs durch das richtige Verständnis,

warum er dem Gedächtnis nicht entschwunden sein ? Wie aber der Ton einer Glocke nicht deshalb,

und dürfte

sollte

dass,

sondern weil er erschallt, für den Hörer Bedeutung zu haben pflegt, so gewinnt auch der Klang eines guten Namens nur durch die Kenntnis seines Erwerbsgrundes den wahren Werth und die volle

Weihe.

Hienach wird es denn kaum ungerechtfertigt erscheinen, wenn zu unserer eigenen Aufrichtung und Erfrischung uns

wir zugleich

pietätvoll wieder

einmal in die Persönlichkeit Muellers versenken.

Freilich ist der Verfasser der zu solchem

Zweck von ihm entworfenen

nachfolgenden nur knappen uud dürren Skizze, obwol er schon von der Universität her bis dahin,

brochen zu denen gehörte,

um Mueller

wo

welche

der in

Tod das Band

löste,

ununter-

engerem Freundeskreise sich

bewegten, und obwol er allezeit zu dessen unbedingten

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

Anhängern ristik

3

zählte, nicht in der Lage, eine tiefer in seine Charakte-

eindringende Biographie des verewigten Freundes zu schreiben.

Zu einem solchen Unternehmen, wie wünschenswerth immer dessen Durchführung wäre, bedarf es einer lebendigeren Geistesfrische, als welche dem Verfasser an seinem eigenen späten Lebensabend vergönut geblieben, bedarf es einer geübteren und styl volleren Feder, als

welche ihm zu Gebote

Immerhin wird

steht.

es



macht doch

Gabe den Geber — vielleicht um des Zweckes Entschuldigung finden, wenn auch bei dem Vollbewusstsein

der Wille, nicht die

willen

Ungenügenden nur in einigen schlichten, Farben entbehrenden Strichen eine Silhouette des Mannes gezeichnet wird, der innerhalb der Grenzen unseres des Mangelhaften

und

allerdings der lebhaften

Heimatlandes

der Auffassung der uns auf

in

dem Gebiet

des öffent-

Lebens obliegenden Aufgaben uns überall ein eben so ideal wie real zuverlässiger Führer gewesen, in der Durchführung solcher Aufgaben ein mit festen Ankern jedem Schiffbruch wehrender lichen

Dem

Steuermann. schrift»,

engen Kreise der Leser der

c

Baltischen Monats-

an deren Begründung und jederzeitigen Förderung Mueller

regen und thätigen Antheil genommen

und

deren Censor

als

er

einige Zeit hindurch bestellt gewesen, wird denkbarer Weise auch nicht ganz unwillkommen sein. mehr dazu Berufener und Befähigter dem Manne,

ein solcher dürftiger Schattenriss

Mag

denn

ein

der wie seinen Zeitgenossen, ein

der Nacheiferung

so auch nachfolgenden Geschlechtern

würdiges

Vorbild

gewesen, einen

prunk-

reicheren und imposanteren Gedenkstein setzen. Dieses Erinnerungsblatt,

welches

nicht

den vermessenen Anspruch

ganz befriedigen zu können,

Manen

des

Verstorbenen

erhebt, voll

und

hat ja eben nur im allgemeinen den

den

wohlverdienten

Tribut

der

Aner-

kennung zollen und das Verständnis dafür wieder wachrufen wollen, was im Grunde es war, das Mueller über seine Zeit und seine Umgebung dominirend hervorhob, was es war, das ihm die treue Gefolgschaft aller derer sicherte, welche gleich ihm das Ringen in redlicher Arbeit

um uud

für das

Gemeinwohl

auf ihre Fahne ge-

schrieben hatten.

Der äussere Lebensgaug von Otto Joachim Hermann Mueller war kein aussergewöhnlicher, am wenigsten ein solcher, welcher ihm von vornherein durch Geburt oder später durch Berufsstellung an sich schon ein exceptionelles Uebergewicht über Andere verliehen hatte

geschlecht, er

Er entstammte nicht eben einem rigaschen Patricierwar der Sohn eines schlichten Landpredigers in Kur-

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

4

Johann Andreas Mueller.

Mit seinen Geschwistern wurde er da ein irgend namhaftes elterliches Vermögen nicht hinterblieben war in zartem Kindesalter von Anverwandten, welche sich seiner liebevoll annahmen, nach Riga hinübergeführt. Hier wuchs er, land, des Pastors

durch den frühzeitigen Tod



der Eltern verwaist,

-



wenn auch gut

verpflegt, doch

in

bescheidenen Verhältnissen auf.

Bezug auf die materiellen Güter des Lebens, an welche er der Noth gehorchend sich zu gewöhnen hatte, blieb ihm auch später treu. Ein Sehnen nach Gewinn von Reichthümern, ein Trachten nach dem Erwerb von Schätzen, welche über die Grenzen seines knapp bemessenen Bedürfnisses hinausgingen, lag seinem enthaltsamen Sinn allezeit fern. Dagegen machte in ihm früh sich der Drang nach Erlernung alles Wissenswerthen erkennbar. Seine für eine künftige akademische Laufbahn vorbereitende Die Genügsamkeit

in

Erziehung

er

erhielt

in

verschiedenen rigaschen Schulen, zuletzt

im Gouvernementsgymnasium zu Riga, für

künftige

eine

Im Jahre 1833 bezog

Lehranstalt.

Dorpat,

wo

er sich

als der derzeit dort einzigen

Universitätsbildung

anfangs

propädeutischen

er

die

theologischen,

mittleren

Landesuniversität

in

sodann philologischen

und zuletzt juristischen Studien widmete. Dieser mehrfältig wiederWechsel in den Facultätsfächern, verbunden mit einer begeisterten Hingabe an den damals besonders lebhaften idealen

holte

Schwung

und mit einem

des Studentenlebens

eifrigen,

aber Zeit

und Mühe beanspruchenden Streben für eine immer gesundere Ausgestaltung

des

sog.

Burschenstaats,

bedingte ein

über das sonst

Mass hinausgehendes Verweilen Muellers in der MusenErst im J. 1842 kehrte er nach Riga zurück stadt am Embach. und trat er daselbst im September jenes Jahres in den CommunalWährend er nicht früher als im dienst als Auscultant des Raths. Jahre 1845 das Diplom eines Candidaten der Rechte erwarb, wurde ihm schon ein Jahr zuvor das erste besoldete Amt, das eines Schriftübliche

führers im Cassa-Collegio, im Jahr 1849 aber das eines Secretärs des

rigaschen

Stadtconsistorii

und

er indess im Kanzleidienst.

Schon im J

Nur kurze .

Franziska,

einer

feingebildeten,

angedauertem körperliehen Leiden

Zeit

verblieb

1852, in welchem Jahre

er auch mit einer Tochter des mitauer Bürgermeisters

maglio,

Obersecretär-

gleichzeitigen

gehilfen des rigaschen Raths verliehen.

leider

Anton Zuccal-

aber

in der Bliithe ihres

nach

lange

Lebens durch



ward er zum Rathsden Tod dahingerafften Dame, sich vermählte gliede erwählt und dem Landvogteigericht als Assessor beigesellt.

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

Wiederum nur wenige Jahre

später,

5

nämlich im Jahre 1856,

fiel

auf ihn, den jüngsten Rathsherrn, gegen die bisherige vorzugsweise das

Dienstalter

gericht,

sonach

später und

,

war ihm auch, obschon

die Wahl zum dem Landvogtei-

Cassa-Collegio, in dessen Dienst

das

so

er

präsidirte

Ende

er

amtlichen Berufs-

seiner

Ernennung zum Bürger-

Gleichzeitig mit seiner

tätigkeit gipfelte. meister

dem

zuletzt

der Anfang

wie

Gepflogenheit

berücksichtigende

In dieser Stellung

Bürgermeister.

vier Bürger-

der

der jüngste

meister war, das Vicepräsidium im Rath und damit bei der Kränklichkeit des derzeitigen

tation der Stadt

Wortführers

Riga nach aussen

in vielen

Fällen die Repräsen-

zu

welcher er sich vor-

hin,

züglich eignete, sowie eines der drei Syndicate übertragen worden.

Im Verein mit diesen fortlaufend nicht geriugen Zeit- und Arbeitaufwand erheischenden Hauptämtern bekleidete er, wie das der Brauch im städtischen Communaldienst, noch eine grössere Anzahl von theils judiciären,

Nebenämtern, mag, da

bei

sie

der

Stoffes doch nur auf

hinauslaufen

und zwar vorwiegend administrativen

theils

deren einfache Herzählung

des gegebenen

eine an sich ziemlich werthlose

Indess

könnte.

kann

dieser beiläufigen Thätigkeitsgebiete

umgangen werden,

hier indess unterbleiben

noth wendigen Beschränkung

doch

die

um

Nomenclatur

Erwähnung

einiger

deswillen hier nicht ganz

weil ihnen Mueller zur Förderung ihrer Inter-

warme Zuneigung und wohlwollende Fürsorge So hat er vor allem als zeitweiliges Glied des evan.-

essen eine besondere

zuwendete.

das

lutherischen Generalconsistorii

Wohl

unserer

ev.-luth.

Kirche

und deren Geistlichkeit so sehr auf seinem von Gottesfurcht und gläubigem Sinn durchdrungenen Herzen getragen, dass ihm zu deren Gunsten manches bisher unerreichbar Erschienene zu erringen

So hat er das baltische Polytechnikum, über dessen Begründung und Organisirung hauptsächlich durch ihn unten Näheres

gelang.

zu berichten sein wird, als lebenslänglicher Präses des Verwaltungsraths wie sein des

Kind gehegt und

rigaschen Armendirectii

So

gepflegt.

das Armen-

und

hat

er

als

Präses

Sanitätswesen

auf

Entwicklung gehoben, demselben durch die städtischen Krankenhauses und die Gründung

eine höhere Stufe der

Neugestaltung

des

eines Central Vereins für die

Armenpflege eine

festere, solidere Basis

Auch seinen Bemühungen vorzugsweise ist es zu danken, behufs Gewinnung einer zuverlässigen Grundlage für die Be-

gegeben. dass

urteilung verschiedener wirtschaftlicher Angelegenheiten der Stadt

Riga das städtische

statistische

Comite

ins

Leben gerufen

ward.

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I

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

6

Wiederholt war er zur städtischen Vertretung auf den livläudischen delegirt, ebenso wiederholt vom rigaschen Rath zu Verhandlung in wichtigen Angelegenheiten mit dem Ministerium und anderen höheren Autoritäten in die Residenz des Reichs ent-

Landtagen

directer

Wie

sendet.

er in solchen ausserordentlichen Fällen zeitweilig, so hat

dagegen unausgesetzt während seiner ganzen Amtsdauer als Glied und später Präses des wesentlich mit der Competenz in Sachen des

er

städtischen Immobilienbesitzes und der Bewilligung grösserer ausser-

etatmässiger Ausgaben ausgerüsteten extraordinären Cassa-Oollegii

dem gemeinen Besten zur Verfügung

seine reicheu Kräfte

Insbesondere noch hat er eine

stets

setzter Commissionen,

Angelegenheiten

,

gestellt.

oft unüber-

Rath oder den Ständen niederge-

vor-1

denen die schwierige Aufgabe gestellt war,

um

welche

Stoffes willen gründlicher

ihres

umfangreichen

oder

spröden

Berathung und Erörterung bedurften und

daher füglich nicht ohne eine

von grösseren Körperschaften kaum auf alle einschlägigen Fragen

zu bewältigende gewissenhafte und eingehende Vorarbeit

tiefer

und

der meist ihm übertragenen Leitung

treffliche Activität entfaltet bei

von Verhandlungen solcher

zielbewusste

sich

erledigen

der

Hessen,

ßeschlussnahme geeigneten Reife entgegenzuführen.

für eine

Doch auch

in

Beziehung auf die letzterwähnte Arbeitslast, welche mit und neben von ihm bekleideten Aemtern auf die breiten,

stets

willigen und unermüdlichen Schultern Muellers geladen war,

kann

den

ständig

hier erschöpfender Bericht

über den

Rahmen

gehen würde.

nicht erstattet werden,

da ein solcher

des blos beabsichtigten Contourenentwurfs hinaus-

Ist doch der

Zweck

dieser Skizze

weniger

darauf

gerichtet, alles das wieder in das Bewusstsein zurückzurufen,

was

der rastlosen und meist erfolgreichen Thätigkeit Muellers zu dauken ist,

als

vielmehr Klarheit

darüber zu

verbreiten,

welche Eigen-

schaften es waren, die Mueller zu den von ihm notorisch geleisteten

grossen Diensten befähigten.

Männern,

die

in

angespannter geistiger Anstrengung in der

Regel die Kräfte ihres Körpers rasch verzehren, pflegt nur selten

und ausnahmsweise eine längere Lebensdauer zugemessen zu sein, als bis in die Mitte oder höchstens gegen das Ende ihres siebenten Jahrzehnts, '„iuch eine solche an sich nur knappe Frist war indess Mueller nicht beschieden.

54 Jahren, Geistes



ist



in

Im Lebensalter von

nicht

mehr denn

ungeschwächter Kraft wie seines Körpers, so seines

schien es doch, als könne die Zeit

er so zu sagen in voller

Rüstung

ins

ihm nichts anhaben

Grab gesunkeu.

Am

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Google

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller. Juli

13. in

1867,

nachdem

wenige Tage zuvor,

er nur

so heftiger Weise, dass die Hoffnung auf

erkrankt war, erlag er einem

fand,

7

freilich sofort

Genesung keinen Raum

tückischen Nervenfieber.

Er,

manchen Kampf heldenmässig und siegreich durchgekämpft, dem Tode gegenüber war er waffenlos gewesen. Kaum hatte in raschem Fluge die Trauerkunde die Stadt durchschwirrt, so eilte — es mag das nicht unerwähnt bleiben als ein untrügliches Kennzeichen für die Ächtung und Sympathie, welche Mueller als haltider so

scher Patriot sich

wusst



der

auch

der Staatsregierung zu erwerben ge-

bei

Generalgouverneur Albedinsky, der

Stellvertreter

Weg

zu dem Laud-

Seiner Kaiserlichen Majestät, weder den weiten hause,

in

welchem der Entschlafene den

letzten

Lebensodem aus-

gehaucht hatte, noch die Inficirung durch den typhösen Krankheitsscheuend, an das Sterbelager, um daselbst ein stilles Gebet bewegten Herzens zu verrichten und seinen den schweren Verlust mitempfindenden Gefühlen beredten Ausdruck zu leihen. Die allstoft"

gemeine Liebe und Verehrung aber, welche dem leider so früh aus dem an sich schon kurzen Erdenleben Abberufenen folgte, sie gab

kund nicht nur in den von verschiedensten Seiten her ihm gewidmeten Worten des Nachrufs, aus denen ebenso tiefe Trauer als aufrichtige Huldigung, sondern auch in Handlungen, aus denen sich

das Bedürfnis hervorleuchtete,

Symbol Dieses

ward,

durch ein sichtbares und dauerndes

Andenkens sicherzustellen. dem auch dadurch entsprochen dass an verschiedenen Stellen seines rühmlichen Wirkens Unvergänglichkeit

die

unabweisbare

Bedürfnis

seines

,

dem Porträt Muellers ein Ehrenplatz angewiesen wurde, fand seine in einer alsbald nach seinem Tode von Anhängern veranstalteten Zusammenbringung eines Capitals von ungefähr 9000 Rbl. Solchem Capital war zunächst die Zweckbestimmung gegebeu, da in Folge der Abneigung

vorzügliche Befriedigung

seinen Freunden und

Muellers

zur

Ansammlung

irdischen materiellen Gutes

es

an den

genüglichen Mitteln zur Erziehung der drei in zartem Alter hinterbliebenen Kinder gebrach,

solche Erziehungskosten

Die erwähnte nächste Zweckbestimmung

musste

zu bestreiten.

indess fallen ge-

lassen werden, weil inzwischen die Stände der Stadt Riga,

von

ihnen

nicht

minder

empfundenen Gefühlen

um den

der Dankbarkeit

auch ihrerseits greifbare Gestalt zu leihen, sich veranlasst gesehen hatten, durch spontane Bewilligungen

ans

ständischem Vermögen

Kosten ausgiebig zu decken. Demzufolge wurde aus dem von den Freunden und Anhängern zusammengelegten Capital ein Fonds

jene

Eiu Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

8

gebildet,

um

aus dessen Erträgen unterstützungsbedürftigen Studi-

renden des baltischen Polytechnikums, als einer wesentlich aus der

hervorgegangenen Schöpfung, zur Erleichterung

Initiative Muellers

zuzuwenden.

bezw. Ermöglichung ihrer Studien Stipendien Stiftung

indem

ist

hiernach zu einer pia causa geworden,

Diese

durch welche,

Wohlthat nachfolgenden Geschlechtern

sie eine bleibende

eine Hinterlassenschaft Muellers übermittelt, den

Manen

als

desselben

würdiges uud unvertilgbares Monument gesetzt worden.

ein

In der oben kurz geschilderten Weise hatte sich der äussere

Lebensgang Muellers

vollzogen,

Befriedigung gefunden.

Um

hatte

sein

reicher

bemerkeus werther

vieles

Thatendrang

als der äussere

Erfolg, weil tiefer noch auf Verhältnisse und Personen einschneidend,

war aber der Erfolg, den Mueller durch da

erzielte,

Lage war.

wo

Wesen

sein inneres

überall

er irgend durch dasselbe Einfluss zu gewinnen in der

Schon

der Schule übte er eine gewisse Präponderanz

in

über seine Mitschüler,

weniger durch" überwiegende Gaben seines

ihm allerdings ja angeborenen klaren Geistes oder durch erworbenes grösseres Wissen, als vielmehr durch frühzeitige, der Schuljugend und daher

sonst nicht eigene

und

des

Festigkeit

um

ihr

Jedes

Charakters.

so

mehr imponirende Reife Worte war schon

seiner

derzeit getragen von sittlichem Ernst, von der vorgeschrittenen Kraft eines

ohne Selbstüberhebung doch

immer durch

selbstbewussteu,

edle Motive geläuterten unerschütterlich festeu Willens, jede seiuer

Handlungen Besiegung

schon derzeit Zeugnis ab von dem Drange, unter etwa entgegenstellender Schwierigkeiten das Ge-

legte

sich

That umzusetzen.

wollte auch in die

Diese schaften,

in

markanter Schärfe

verbunden

mit

lebhaftem

ausgeprägten Naturell

,

Charaktereigenmit

jugendlicher

Schwungkraft und Glut für Wahres, Schönes und Edles, mit klarer Ausdrucksweise des Gedankens, mit aus reinem Herzen entsprungener

Wärme

des Gefühls für alle Personen seiuer Umgebung und für Dinge seines Bereichs, sie waren es auch, welche ihm allgemeine Geltung und Beliebtheit sicherten während seiner akademialle

schen Laufbahn. tion,

welcher er

Nicht nur bei der landsmannschaftlichen Corporain

Anhänglichkeit

sich sofort angeschlossen

auch bei in

allen

hatte,

an

seine

früheren Mitschüler

der Fratcrtiitas Riyciisis, sondern

anderen Universitätscorporationen,

wie

überhaupt

der ganzen Studenten weit stand er in hohem Ansehen, in einem

Ansehen, dessen Perpetuirung auf seine ganze Lebenszeit mit Gewissheit vorausgesehen werden konnte.

Nicht immer erfreut der,

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

welcher zu allseitiger Anerkennung

emporzuschwingen weiss,

sich

gleichzeitig wahrer Zuneigung.

sich

9

Mueller aber hatte durch sein

freundliches Benehmen, seine Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit,

Hingabe an

seine opferwillige

die Interessen Anderer,

seine keine

Mühe scheuende -Hilfsbereitschaft wie mit magnetischer Anziehungskraft

auch die Herzen Aller so

sehr für sich gewonnen,

dass er

ganz allgemein einer der beliebtesten Commilitonen war und blieb.

Wie

sein zündendes

hatte, so zeitigte

Frucht.

Wenn

Wort

derzeit schon oft entscheidendes

Gewicht

auch derzeit schon seine Thätigkeit manche gute innerhalb deren Mueller der Uni-

in der Periode,

versitätsmatrikel angehörte, die dorpater Studeutenschaar bei Auf-

rechterhaltung

und berechtigter Jugend lust zuund einen für die wahre

der Jugendfrische

gleich durch ethischen Sinn sich hervorthat

Aufgabe des Lebens förderlichen Ernst, als ein unmittelbares,

so wird das freilich nicht

denn ausschliessliches Verdienst

geschweige

doch zum Theil

Muellers angesehen werden dürfen,

vielleicht als

der Nachhall eines von ihm ausgegangenen Beispiels.

Nicht gleich günstiger Erfolge Studien

oder

Lahmend auf

doch

nicht

rascher

i

seinen

wissenschaftlichen

Mueller

sich

rühmen.

solche Erfolge hatte schon der mehrmalige Wechsel

in den Facultätsfächern gewirkt.

der

in

konnte

Als

endlich sein

Uebergang zu

Zunft der Juristen» ihn auf die seiner Anlage und Neigung

wol am meisten entsprechende Bahn führte, da war auch dieser Schritt nicht geeignet, von vornherein den Reiz, welchen das ideale und bis zu einem gewissen Grade ungebundene Burschenleben auf ihn ausübte,

in so

weit

zu

dampfen,

den Eifer,

diesem Leben rastlose Thätigkeit widmete,

in so

mit welchem er weit zu erkälten,

dass er Zeit und Lust gefunden hätte, sich mehr und mehr

Pandekten zu

vertiefen.

Doch

in die

nicht allzu lange währte es, da be-

schlichen ihn, der bei aller Nachsicht gegen Andere doch mit sich

selber stets streng ins Gericht ging, beängstigende Gewissensbisse.

Er

rüstete

selben,

zum Gradualexamen.

weil

in

vielen

Fächern

Da

aber die Vorarbeit zu dem-

vorzugsweise die Gedächtniskraft

in Anspruch nehmend, ihm unbehaglich ward, tauchten in ihm hange Zweifel auf, ob er nicht überhaupt die Befähigung zu gründ-

licher wissenschaftlicher Arbeit eingebüsst habe.

Um

aus solchen

quälenden Zweifeln zur Klarheit zu gelangen und einen Prüfstein för sein

Leistungsvermögen auf wissenschaftlichem Gebiet zu ge-

winnen, fasste er den für einen von Examennöthen umschwirrten jugendlichen Studenten wahrlich nicht wenig heroischen Entschluss

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

10

zur Abfassung

Materien

liche

sich bei solchem

um

so weniger

staatsrechtlicher

zugleich

einer

in staatsrecht-

Eindringen

tieferes

rechtshistorischen Abhandlung.

erheischenden

Unternehmen darbietende Schwierigkeit Hess überwinden,

leicht

Doctrinen

wol

als,

wenn auch

die

Die sich

Kenntnis

aus Lehr- und Handbüchern

ge-

doch nothwendig umfangreiche archivalische Nachforschungen vorauszugehen hatten, solche Nachforschungen aber nicht nur an sich grossen Aufwand an Zeit und schöpft werden konnte, der Arbeit

Mühe

sondern

beanspruchten,

äusserlichen Hindernissen be-

auch

Gewahrsam

gegneten, weil die Archive, in deren

prüfenden Urkunden sich befanden,

die eiuzelnen zu

zu jener Zeit noch wenig ge-

und Fremden nicht ohne weiteres zuDoch die Durchführung dessen, was von ihm beschlossen worden, war Muellers Stärke, die Ueberwindnng sich entgegenthürmender Hemmnisse war Muellers Freude. So Hess er

ordnet,

meist verschlossen

gänglich waren.

von seinem Vorhaben durch nichts Probestück gelang nicht nur, es bewährte zur Meisterschaft, ohne dass er sich doch Dieses Probestück, als die Frucht hätte.

sich

zurückschrecken.

Sein

auch seine Tüchtigkeit je

ihm gebrüstet

mit

seiner eben so emsigen

wie einsichtsvollen Studien, wurde denn durch den Druck vervielfältigt und erschien im Jahr 1841 zu Leipzig im Verlage von Otto Wigand anonym unter dem Titel: cDie Livländischen Landesprivilegien

und deren Confirmationen». für den schon

Charakteristisch

keine ständischen Vorurtheile, .durch

in

seiner

Jugend durch

keine particularistische Eng-

herzigkeit getrübteu höheren politischen Standpunkt Muellers ist das der Abhandlung vorausgeschickte Vorwort, an dessen Sdiluss um auch den Schein eines Kampfes pro domo von sich er abzuwälzen, ausdrücklich zu betonen sich veranlasst sieht, dass ,

er

kein

Stande

Edelmann des

sei.

Reichsadels,

Ja

freilich

geschweige

gehörte des

Mueller

specifisch

nicht

dem

livländischen

Adels an; er war einfach bürgerlicher Herkunft; die Stadt Riga, welche ihn als Kind bei sich aufgenommen und versorgt, verehrte er als seine Mütter, ihr hing er an mit allen Fasern seines Herzens. Nichts desto weniger wählte er, ein Feind jeder Kirchthurmspolitik, galt zum gemeinen Nutzen durch literarische Arbeit eine Frucht zu gewinnen, das Thema zu solcher Arbeit aus Forschungen, welche in erster Reihe Livland, nicht Riga angingen. Die Aristokratie des livländischen Adels und das Patriciat

als es

des rigaschen Bürgerstandes

hatten in beiderseits stolzem Selbst-

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Ein Blatt der Erinnerung au Otto Mueller. bewusstsein bei

oft

kühl und ablehnend,

lange Jahre hindurch fremd,

Diesem verhängnisvollen Misstande Endschaft zu

gestanden.

ja

nur scheinbar collidirenden Interessen nicht selten nahezu feindselig und kampfbereit einander gegenüber-

auch

schroff, selbst

musste als

reiten,

11

patriotische Pflicht erkannt werden.

be-

Nachdem

durch seinen Eintritt in den rigaschen Rath Mueller eine

einfluss-

gewonnen hatte, ist er denn auch unausgesetzt bemüht gewesen, jenem verderblichen, aus Engherzigkeit hervorreichere Stellung

gerufenen Verhältnis

nach Kräften

zu steuern,

von einander

die

getrennten Factoren in geeigneten Fällen zu einem einzigen Factor

Zu

zu verschmelzen.

der Rolle

Parteien und deren Gegensätzen

er

an

sich

rufen, nicht nur durch seine überhaupt versöhnliche die

deu

zwischen

eines Vermittlers

schien

auch wie be-

Gesinnuug und

von ihm immerfort vertretene Anschauung von einer Ersprieß-

lichkeit,

ja

Notwendigkeit des Zusammenwirkens beider Stand-

schaften, sondern auch durch die von ihm bald inmitten des Adels

gewonnene persönliche

Stellung.

Hatte er schon durch sein eben so

wie mass volles Auftreten als Delegirter zu den

entschiedenes

liv-

ländischen Landtagen, auf denen er nicht nur ausschliesslich die Rechte

der Städte und der Landsassen wirksam verfocht, sondern auch an den Berathungen über allgemeine Landesangelegenheiten lebhaften

Antueil nahm, sich vielseitigen Anhang verschafft,

so erlangte er

bald noch mehr Ansehen und Geltung in ritterschaftlichen Kreisen

durch einen von

ihm nicht

minder

tretern des Adels,

mehr

der Landtage

ausserhalb

suchten und gepflegten Ideenaustausch

welche sich bisher

dem Bürgerthum gegenüber

ausschliessend als annähernd verhalten hatten.

seine Beziehungen

zu

ge-

mit den bewährtesten Ver-

dem hochgebildeten und

Waren doch

liberal

gesinnten

Landmarschall Fürsten Lieven geradezu nahe und freundschaftliche. So gelang es denn Mueller auch nicht nur manche Unebenheiten auszugleichen,

manchen Zwistigkeiten vorzubeugen, eingetreteneu

Zerwürfnissen

die Spitze

Seiten hin

Scharfblick



abzubrechen,

sondern

es ist das nicht das kleinste der

zu

wecken und zu

dankenden fördern,

Verdienste

dass



die

Land und Stadt

auch

nach

allen

seinem politischen

üeberzeugung zu sich nicht scheiden,

sondern den gemeinsamen Cultur- und Rechtsboden auch in gemeinsamer Arbeit neben und zu einander stehend beackern mussten, eine üeberzeugung, welche als Frucht seiner Bemühungen sich Es ist glücklicherweise bis auf den heutigen Tag erhalten hat. freilich von Seiten seiner Standesgenosseu Mueller der Vorwurf

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

12

Wünsche und Bestrebungen

einer zu grossen Nachgiebigkeit gegen

immer

des Adels nicht

ja selbst in krankender Weise

erspart,

Mag

dieserhalb Tadel ausgesprochen worden.



an sich kein Fehler

Mueller

mag

breiteten gehuldigt,

er

ist

was doch

Fragen des Mein und Dein an

in

weniger krassen Anschauungen

Biechten



indess

selbst

gemeinhin ver-

den

als

üufehlbarer hin

als ein nicht

und wieder geirrt haben, jedenfalls ist er über niedrige Verdächtigungen erhaben und vor ihnen durch die notorisch unanfechtbare

Augen

Lauterkeit seines Denkens und Handelns in den

aller nicht

durch einseitige Parteilichkeit Verblendeten hinreichend geschützt.

An

der

Knüpfung

eines

Adel und Rigas Bürgerstand nügen. sche

Sein

engereu Bandes

weitschweifender Blick

waren

Innerlich

Gebiet.

zwischen Livlauds

indess Mueller

liess

durch

sich

nicht ge-

das ganze balti-

umspannte

Gleichartigkeit

ihre

die

Schwesterprovinzen Liv-, Est- uud Kurland zwar unlöslich mit ein-

ander verbunden, leicht aber konnte

ihre äussere

sammengehörigkeit verwischt werden. derartigen

Um

äusserlichen Trennungsprocesses

erschien ihre Zusammenschtirzung

durch

und lockere Zu-

den Nachtheilen

eines

entgegen zu arbeiteu,

einen

sichtbaren Knoten

Mit einer dahin zielenden Tendenz verband Mueller zugleich die Ausführung eines ihm schon seit einiger Zeit vorschwebenden Problems. Bei dem Aufschwung, welchen neuerdings erstrebens wertb

.

gewonnen,

die Realwissenschaften

wurde der Mangel einer

techni-

schen Hochschule in den baltischen Landen schmerzlich empfunden.

Diesem Maugel

abhelfen und gleichzeitig

liess sich

die Erkennbarkeit

geeigneter Boden

Zusammenhanges der

eines

durch

schaffen

die

von

drei

ihnen

liess

sich

für

Provinzen ein

gemeinsam aus-

gehende Begründung und Unterhaltung eines baltischen Polytechni-

kums.

Der Plan war

ein unbestreitbar grossartiger,

schulen pflegen überall für Rechnung

des Staates

denn Hoch-

luudirt uud er-

Umfang

halten zu werden, hier aber sollten Geldmittel in grösstem

und für die Dauer immer wiederkehrend zusammengebracht werden einzig

von

Corporationen

verschiedenen

Mueller schreckte

und

Commuuen.

Doch

der Lösung solcher Aufgabe.

nicht zurück vor

Sehr bald hatte er wie die rigasche Stadtverwaltung, so die rigasche Kaufmannschaft die

andere

erklärten

lichen,

sondern

Opfern

bereit.

auch

für

sein

sich

Vorhaben erwärmt.

nicht nur

zu jährlich

Gleiche

zu

Die

eine wie

einmaligen sehr ansehn-

wiederkehrenden beträchtlichen

Unternehmungslust

konnte begreiflich ausserhalb Rigas, als dem

in

und

Opferwilligkeit

Aussicht genommenen

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13

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

des Polytechnikums, nicht vorausgesetzt werden. Doch aber mussten Land und Städte aller drei Provinzen nothwendig dafür

Sitz

gewonnen werden, theils

Der

theils zur

ihrer

Zusammengliederung,

Als nun aber aus einzig baltischen Quellen

auch dieser Gewinn. die

Erwirkung

auch zur Verstärkung der erforderlichen materiellen Mittel. unermüdlichen Anstrengung hauptsächlich Muellers glückte da

Geldmittel gesichert waren,

nach erlangter Genehmi-

trat,

gung der Staatsregierung zur Begründung des Instituts, an den Urheber des kühnen Unternehmens die nicht minder schwierige Arbeit

der

Organisation

Hochschule

der

Auch

heran.

dieser

wesentlich ihm zugemutheten Arbeit zeigte Mueller sich gewachsen,

wenn

er dabei auch selbstverständlich

des Beistandes anderer ihm

gleichgesinnter, sowie einiger im Schulfach kundiger

Im Verein

entbehren konnte.

Männer

nicht

einem Freunde, welchen das für

mij,

die Begründung einer polytechnischen Schule in Riga lebhaft sich verwendende rigasche Börsencomite' ihm zugesellt hatte, begab er

sich nach Deutschland,

um

die dortigen vorzüglichsten technischen

Hochschulen aus persönlicher Anschauung näher kennen zu lernen, orientirte er sich daselbst Über die Einrichtungen, Modalitäten und

Bedürfnisse

derartiger Lehranstalten,

Schuldirigenten

ausfindig und

unter Zuziehung geeigneter Kräfte

massgebender Stelle vorläufigen

bestätigten

So

Studienplan.

machte er einen

entwarf er zugleich

denn

mit

seiner

tüchtigen

Heimkehr

einem später an

einen Organisations-

Statut

ist

nach

mit

und

neben

und

dem auf

Namen gestifteten Stipendienfonds auch das 'baltische Polytechnikum an sich schon zu einem Denkmal Muellers geworden, von dem zu hoffen ist, dass es auch nach Jahrhunderten noch nicht

Muellers

zerbröckelt sein wird.

Im Uebrigen

lag auch

für Mueller,

wie

überhaupt wol für

jeden, der Schwerpunkt seines Wirkens nicht so sehr in den bisher

erwähnten nebenherigen,

seine Schaffenskraft allerdings

besonders

geeignet hervorhebenden Bestrebungen, als vielmehr in seiner regel-

mässigen amtlichen Thätigkeit.

Diese Thätigkeit war, wie gemein-

hin bei allen gelehrten Gliedern des Raths, eine aus zwei durchaus

heterogenen Elementen

und eine

zusammengesetzte,

nämlich eine judiciäre

administrative.

In "der Eigenschaft eines Richters

kann Mueller

ein

ständig uneingeschränktes Lob füglich nicht gespendet werden. der Abfassung von Entscheidungen cirteren Rechtsfällen

— er

in

schwierigeren

voll-

Bei

und compli-

hatte als Syndikus auch in der zweiten

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

14



Instanz Erkenntnisse in grösserer Anzahl auszuarbeiten

konnte

er einer gewissen Befangenheit, Schwerfälligkeit und seinem sonst

Wesen durchaus fremden Unentschlossenheit sich Um bei der Auffassung und Anwendung privatrechtlicher Rechtsnormen einen aus dem Labyrinth leitenden Faden zu finden, sah er, zumal wo auch die juristische Literatur ihn im Stich zu lassen schien — nicht selten durch sein Schwanken

so entschiedenen nicht

immer erwehren.

Rath von Freunden,

sich veranlasst, den

er

subjectives Vertrauen

zu deren Rechtskenntnis

einzuholen.

hatte,

Diese

Natur

seiner

Grund in an sich Gewissenhaftigkeit, zum Theil aber

widerstreitende Zaghaftigkeit hatte sicher ihren

anerkennenswerther peinlichster

doch wol auch darin, dass seine Vorliebe für das öffentliche Recht

genugsam

ihn behindert hatte,

des Privatrechts

täten

in die

tief

Feinheiten und Subtili-

Dagegen

einzudringen.

war

er

vermöge

seines raschen und klaren Ueberblicks und der ihm eigenen autori-

tativen Sicherheit Meister in der äusseren Leitung der Processe und

der

Handhabung des mündlichen Verfahrens. einfachere Bagatellsachen durch

trefflich,

welcher den Sachen meisten gedient

ist,

dieser

Auch verstand

und Ganzen am

Gattung im Grossen

zum Abschluss zu

er es

rasche Entscheidung, mit

bringen.

Endlich darf ihm

auch eine der Haupttugenden eines Richters nachgerühmt werden, vollständigster

Maugel an jeder subjectiven Voreingenommenheit

und Parteilichkeit,

uneingeschränkte

Objectivität

allen

Personen

und allen Sachen gegenüber.

Das

Arbeitsfeld aber, auf welchem Mueller eine wahre Muster-

wirtschaft

war und Schwung doch

führte,

allem idealen

blieb

die Administration.

nicht minder

und Verhältnisse des materiellen

Sein bei

auch die Bedingungen

communalen Wohlstandes durch-

dringender Scharfblick, sein klarer praktischer Sinn, sein schöpferisches Organisationstalent, sein alle Verfolgung egoistischer

streng perhorrescirender Eifer Rechtschaffenheit,

seine

für

Zwecke

das Gemeinwohl, seine lautere

Pünktlichkeit

und

Ordnungsliebe,

seine

minutiöse Sorgfalt auch für relativ geringfügigere und unwichtigere

Dinge,

Schon

sie

in

Zeugnis

befähigten ihn zu einem Administrator

Denn obwol blosser Schriftführer des in den zur Bekämpfung der Cholera fungirenden Gouvernementscomitö war doch er die belebende Seele,

abgelegt.

Jahren 1847 livländisehen die nur

ersten Ranges.

noch untergeordneter Stellung hatte er dafür glänzendes

bis

1849

wenig durch Andere unterstützte Trieb- und Schaffenskraft Allerdings usurpirte er als der eigentliche Urheber

dieses Comite.

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

der heit

fast

15

zur Behinderung weiterer Ausdehnung der mörderischen Krankgetroffenen wirksamen Massregelu eine ihm nicht zuständige, dieser Uebergriff fand an Alleinherrschaft grenzende Macht Umständen, so in den Er;

indess seine Rechtfertigung wie in den

Ebenso

folgen.

verstand

auch

es Mueller

als Schriftführer

des

den Behörden des Raths dem

Cassacollegii schon einen sonst von

Kanzleipersonal nicht so leicht eingeräumten massgebenden Einfluss zu gewinnen.

Als er dann später

und

extraordinären Cassa-Collegio als

er

im Lauf der Jahre

den

dem Armendirectio

die Arbeiten

Massstab

leitete,

präsidirte,

zahlreicher für die ver-

schiedensten Verwaltungszweige niedergesetzten

missionen

ihm unter-

verschiedenen

wie insbesondere dem ordinären und

Verwaltungsorganen,

stellten

Umfang ausgenutzte Gelegenheit geboten

und

Com«

zeitweiligen

da war ihm vollauf die von ihm auch im grössten ,

sein

eminentes Administrationstalent in weithin leuchtender Weise, zum

Besten der Commune, welcher

seine Kräfte gewidmet, zu ver-

er

werthen.

Es war rollendem

keineswegs

indess

Gemeindewesen

solches,

als

Gang zu

erhalten

das

ausschliesslich

Räderwerk und dessen Achsen dessen

städtische

glatt

in

dahin

so weit angäng-

Uch zu verstärken und zu verbessern Mueller trachtete,

auch den

bäuerlichen Verhältnissen hat er seine Antheilnahme nicht entzogen.

Diese Antheilnahme hat er ausgiebig

bethätigt

ständiges Glied des Patrimonial-Kreisgerichts,

Einführungscommission, einer

sondern

auch durch

Uraschätzung des Gehorchslandes

treue Mitarbeit

ordnung und

an

an

der

im

in

nur als be-

nicht

der Bauern-

sowie seine

Durchführung

Patrimonialgebiet, seine

Jahre 1860 neuredigirten

der Landgemeindeordnung,

endlich

Agrarver-

auch

durch

seine wohlmotivlrten Anträge wegen Verkaufs von Bauerl ändereien

auf den Stadtgüteru.

Das letzte Werk der in allen Verwaltungssachen so fleissigen Hände Muellers, ge Wissermassen das letzte seine hohe Verwaltungsbegabung bekundende Epitaphium war der von ihm persönlich ausgearbeitete, nur wenige Wochen vor seinem Tode erstattete Bericht einer unter seinem Präsidio eingesetzten Commission

Aufklärung der zerrütteten

städtischen

Finanzen.

zur

näheren

Was

dieser

gründliche und lichtvolle Bericht an Verbesserungsvorschlägen enthielt,

konnte erst nach seinem Tode zur praktischen Durchführung aber die Richtigkeit und Zweckmässigkeit der von

gelangen, hat

ihm projectirten

Massnahmen hinreichend dargethan.

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

16

Ueberhaupt hat Muellervon jeher es des Bestehenden

als seine Pflicht erachtet,

einer Reformirung

sich

nicht

zu

verschliessen,

Ueberzeugung nach mehr oder minder die Erspriesslichkeit oder gar Notwendigkeit einer Neu- und UmgeSchon zu einer Zeit, da er noch staltung geltend gemacht hatte. im Kanzleidienst stand, hatte sich ihm der freilich von aussen her

wenn

seiner

sich

gegebene Anlass geboten, aus der Staatsrechtswissenschaft darüber Belehrung zu schöpfen, welche Formen und Principien, welche Einrichtungen pflege

die

und

Institutionen

zweckmassigsten

Folge der

bekannten

für

Chanykow

communale Wohlfahrts-

Stackelbergschen

-

der Stadt Riga

inneren Verwaltung

die

Denn im Jahr 1849 war

seien.

Revision

in

der

dieser Stadt

der Vertretung

dem Geist der Neuzeit und den im Reich herrschenden Verordnungen mehr entsprechenden Municipal Verfassung der Staatsregierung zur Prüfung und Genehmigung vorzustellen. Die Erfüllung dieser schwerwiegenden Aufgabe war zum Theil Mueller zugefallen. Den auf diese Anordnung erfolgten Vorschlägen, deren Verwirklichung übrigens kaum gewollt ward, wurde zwar kein weiterer Verfolg gegeben, immerhin hatte zugemuthet worden, Vorschläge

Mueller für

sich

durch

zu

einer

erforderlich

gewesene

tiefer

eingehende

manche bestehenden Unzulänglichkeiten und wünschenswerte Neuerungen gewonnen. Aus dem Schlummer, in welchen daun hinterher die Reformfrage ver sunken war, wurde sie wiedererweckt durch einen unter der Studien werth vollen Aufschluss

über

so

Ueberschrift:

tDas schwere Herz wird nicht durch Worte leicht, Doch können Worte uns zu Thaten führen» in

den «Rigaschen

Stadtblättern» (Nr. 44

des Jahrganges

1861)

erschienenen wohlgemeinten Aufsatz, in welchem der Unerlässlichkeit einer Reorganisation der städtischen Verfassung unter Ersatz

des Ueberlebten durch

modernere Institutionen,

insbesondere aber

Verwaltung Worte geliehen Dieser Aufsatz erregte durch seinen Freimuth einige waren. Sensation im Publicum, fand lebhafte Anerkennung von Seiten der Tagespresse, wurde namentlich seines grösseren Umfanges uner-

der

Trennung der Justiz

von

der

achtet von der Rigaschen und Revalschen Zeitung

abgedruckt, darin

die

begegnete aber

Tendenz

zu

Machtvollkommenheit andere

Auffassung

bei einigen

einer

erblickten,

war

die

Schmälerung feindlichem

Muellers,

sofort wörtlich

Vätern der Stadt, welche

obwol

seither

Groll.

doch

genossener

Eine

ganz

auch er auf

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J

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller. einer sella curulis

Kaum

thronte.

17

hatte er den Verfasser, sei es

entdeckt, sei es errathen, als er un verweilt zu ihm eilte und seine volle

Zustimmung kundgab mit der Versicherung, dass

er sich au-

gelegen sein lassen wolle, den hingeworfenen Funken zur

Flamme

anzublasen, den ausgesprochenen Gedanken in die That der Wirk-

Und wie

lichkeit umzusetzen.

jedes

Worte

seiner

hielt er

auch

Mochte er nun auch bei der Bekämpfung des ihm in dieser Beziehung von einigen Seiten, wie vorherzusehen war, entgegen-

dieses.

gestellten Widerstandes

in dem auch Drängen nach jedenfalls wurde

eine Unterstützung

später

seitens der Staatsregierung wieder laut gewordenen

einer Reorganisation der Stadtverfassung die

Reformarbeit

nommen.

auf seinen Antrieb

Nach Verständigung

aus je zehn Gliedern der

sammengesetzt,

drei

finden,

ernstlichen Angriff

in

des Raths

Stände ein

Gilden

den

aus diesem aber ein Ausschuss von fünf Personen

Das

erwählt zur Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs.

Präsidium

wie

im Berathuugskörper den Scheffel

wie selbst thätig,

so

stellend,

dessen Ausschuss

in

Hier arbeitete

vertrauensvoll Mueller übertragen. nicht unter

seiuem

mit

zur Thätigkeit

regierung nicht fand,

ist

keinenfalls

wurde

sein Licht

er,

unlähmbaren Eifer

anspornend.

solcher Arbeit hervorgegangene Project

Er

ge-

ward berathender Körper zumit

Dass

die Billigung

das

aus

der Staats-

eine Verschuldung Muellers.

und

hatte es an Beschleunigung nicht fehlen lassen,

um

er hatte,

Weisungen der Staatsregierung, die conservativen Begehrnisse der Stände und die modernen Principien der Communalwirthschaft in einigen Einklang zu bringen.

so viel an ihm lag, Alles aufgeboten,

die radicalen

Geringeren Antheil nahm Mueller an den Arbeiten, zu denen der ersten Hälfte der

gleichfalls in

hunderts behufs Herstellung

sechziger Jahre

Provinzialrechts auf Initiative der Staatsregierung

dem Zweck aus Juristen der

dieses Jahr-

eines vierten und fünften

drei baltischen

Bandes des

durch

eine zu

Provinzen zusammen»

gesetzte Centraljustizcommission geschritten ward.

Doch stand

er

auch diesen Codificationsmühen nicht ganz als müssiger Zuschauer gegenüber. er sich

zwar

Mit der Processgesetzgebung nicht,

auf deren Gestaltung

Winnen suchte.

als

solcher beschäftigte

wol aber mit der künftigen Justizverwaltung, er,

wenn auch nur

indirect,

Einfluss zu ge.

Insbesondere aber war es die Gerichtsorganisation,

für welche thätig einzutreten er dirte den auf diese bezüglichen Haitisch« Momit*«clinfl

IM.

XXXVI, H«ft

veranlasst

war.

Denn

er präsi-

Verhandlungen der Delegirten der 1.

O

Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

18

baltischen Städte und vertrat deren Desiderien gegenüber den

abweichenden

Theil

Intentionen

der

einerseits

zum

Staatsregierung,

andererseits des Adels.

Im

Verkehr war Mueller eine sofort jeden ganz Von einer ihm angeborenen und deshalb unnachahmlichen, nie aber in Unnahbarkeit ausartenden geselligen

für sich einnehmende Persönlichkeit.

Würde war

nichtsdestoweniger

er

Nichts lag ihm ferner

als

schlicht

in

die Unaufrichtigkeit

nicht natürlichen Wesens, nichts

ferner

seinem Auftreten.

gemachten,

eines

persönliche Eitelkeit,

als

Selbsttiberschätzung oder auch nur besondere Hervorhebung seines

Weil er nie von der Absicht

Ich.

geleitet wurde, eine prävalirende

Stellung zu behaupten oder so zu sagen sich «als Löwe» geltend zu

machen, so fühlte auch

Wer

niemand

sich

durch seine Nähe bedrückt.

nicht umhin konnte, seine Ueberlegenheit anzuerkennen, trug

wol Bedenken,

seiner

in

Gegenwart

sich

in

Abgeschmacktheiten

gehen zu lassen," suchte aber auf der Stufenleiter

der Veredelung ihm nachzukommen, anstatt in Neid sich zu verzehren. Wie selbständig und unabhängig auch Muellers Denkweise, verbunden mit dem instructiven Vermögen, war, auf den ersten Blick in jeder

Sache die charakteristischen Seiten und Züge aufzufassen und zur

Anschauung zu bringen, so hörte er doch stets gern und willig Entwicklung der den seinigen gegenüberstehenden Meinungen an und wenn er durch sie überzeugt wurde -- aus blosser Gefällig-

die

keit

gab er

freilich sein eigenes

er das ohne weiteres an,

ohne

Dafürhalten nie auf

— so erkannte

nach Scheingründen

zur Aufrecht-

haltung des von ihm Ausgesprochenen und Verfochtenen zu suchen.

Streng gegen dass

er

besassen.

sich,

nicht

Es

war

selten ist

er

in

der Beurtheilung Anderer so mild,

ihnen Vorzüge andichtete, welche sie

von ihm zum öfteren behauptet worden,

kaum

dass er

allzu leicht, durch oberflächliche Aussenseite geblendet, Personen

Aemtern herangezogen und zu Stellungen befördert habe, hinterher als wenig dazu geeignet erwiesen

hätten.

hauptung begründet oder unbegründet gewesen,

Ob

entzieht

selbst weiterer Beurtheilung wie Erörterung, jedenfalls fest,

dass Mueller gewiss niemand begünstigt hat,

Gunst nicht werth

erachtete.

Wie ihm überhaupt

diese

Be-

sich

von

aber steht

den er solcher die

Manier und

Politur aalglatter Diplomaten in keiner Weise eigen war,

abscheute Mueller auch

eine

die

enthüllende, geschweige denn eine

im

Gegentheil

immer,

weil

er

zu

die sich

so ver-

mehr verhüllende als zweizüngige Sprache. Er redete

Gedanken durchaus

in

jeden Verhältnissen

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

wahr war, gerade

was

heraus,

erschien dabei eher aber derb,

er meinte.

mitunter

19

Seine Ausdrucks weise

sogar

anscheinend

rauh,

nicht selten indess gewürzt durch eine kleine Dosis einer gewissen

Burschikosität,

welche er sich bis

leider nur kurzen Lebens

bewahrt

in

die

spätesten Jahre seines

Andererseits

hatte.

liebte

er

wol auch, über menschliche Schwächen sich in scherzhafteu Sarkasmen zu ergehen. Absichtlich wurde indess nie jemand durch ihn verletzt. Wusste doch auch jedermann, ein wie wohlmeinendes, ehrliches und braves Herz in seiner Brust schlug, ein Herz ohne Arg und Falsch. Die Verehrung, welche Mueller gezollt wurde, war nicht

es

vorübergehende Modesache, auch nicht Schwarmgeisterei vereinzelter der

Gesellschaftsschichten

Gesinnungscoterien,

gerufen keit.

durch

sie

in sich abgeschlossenen

war

seine Alle unwillkürlich

beherrschende Persönlich-

Die jüngere Generation sah sich an

Mann,

Meinungs- und

eine dauernde und allgemeine, hervor-

geradezu bestrickenden Zauber,

sie

den bereits reifen

ihn,

gefesselt durch den aus seinem inneren

Wesen ausgehenden

sah sich hingerissen und über-

wältigt durch die Elasticität seines jugendfrisch gebliebenen Geistes,

durch

die Lebendigkeit

seines

empfänglichen Gefühls,

durch

die

Klarheit seiner wohlüberlegten Gedanken, durch die zündende Kraft seiner freimüthigen, von Adel der Gesinuung und Ueberzeugungstreue durchwobenen Rede.

Seine Altersgenossen und Freunde aber,

Anerkennung seiner geistigen und Vorzüge vornehmlich doch zu ihm sich hingezogen durch die Wärme seines an allen Freuden und Leiden Anderer innigsten Er war seinen Freunden ein Antheil nehmenden guten Herzens. treuer, aufrichtig anhänglicher Kamerad, allezeit, wo es galt, werkthätig, hilfsbereit und aufopferungsfähig. Mit Wucherzinsen gab er an Liebe wieder, was er an Liebe empfing. Legen wir uns aber nun die naheliegende Frage vor, was es nan doch im tiefinnersten Grunde war, das Mueller zum centralisie fühlten

bei

völligen

aller

sittlichen

stischen Mittelpunkt aller der Kreise,

zum Führer

ihn über seine Zeit und

Uebergewicht zu

gleiterin

er sich bewegte,

was

es war,

das

so dürfte es darauf

Die Grossartigkeit seiner natürlichen

Geisteskräfte, die Vielseitigkeit seiner thatsächlichen

Leistungen, wol waren ein

denen

Umgebung emporhob,

wol nur eine Antwort geben.

Anlagen und

in

auf verschiedenen Gebieten machte,

aller

ihm einen Bewunderungszoll, Die edle Humanität, welche dieBeund Handlungen war, die Liebens-

sie geeignet,

sichern.

seiner Reden

2*

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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.

20 Würdigkeit

seines

ersetzlichen

werden.

persönlichen Wesens,

Anhänger an ihn zu

zahlreiche

konnte kaum

»

aber

waren

wol

ketten.

dadurch

allein

geeignet,

sie

Das Prädicat

t Unerworben

eines

schon

Gesinnungstüchtigkeit, selbstlose Hingabe an das Gemein-

warme Heimatliebe,

Rechtschaffenheit und Biederkeit, sittund unverdrossene Arbeit, diese Eigenschaften, wenn vielleicht auch nicht alle in gleichem Mass wie bei Mueller individuell vereinigt, sie werden Gott sei gedankt nicht eben

wohl,

licher Ernst



!



Landen gefunden. Auch sie würden daher kaum ausgereicht haben zur Begründung eines uuverwelklichen Nachruhms. Was aber Mueller auf eine höhere Stufe stellt als uns Andere, was ihn mit vollem Recht der Unvergäuglichkeit und Unvergesslichkeit überliefert, das war der von keiner Menschenselten in unseren baltischen

von keiner Rücksichtnahme auf sich selbst beMannesmuth, der in jedem seiner Worte in erfreuliche Erscheinung trat, das war die vor keiner Schwierigkeit zurückfurcht beeinflusste,

irrte

schreckende

zähe Energie in der thatsächlichen Ausführung des ihm nach reiflicher Ueberlegung als recht und richtig Erkannten und damit zugleich stets ernstlich Gewollten. Mueller mit seinem, wo es irgend darauf ankam, kräftigen und grossen Eingreifen war eben an Kopf und Herz, in Wort und That ein

von

ganzer Mann.

Der

ganzen Männer

aber hat es zu allen

Zonen der Erde unter den vielen Berufenen Was Mueller der in immer nur wenige Auserwählte gegeben seiner Jugend verfassten rechtshistorischen Abhandlung als Motto Zeiten und in

allen

!

vorgeschrieben

:

tne quid iemere, ne quid titnide*, das

der Wahl- und Wahrspruch seines ganzen Lebens. nicht die Signatur seines Wesens.

er sich nicht als Optimist als

Pessimist

selbst treu,

Recht für

in

energielose

hielt er

alle

in

Besonnen und

eitlen

Hoffnungen,

Verzagtheit.

war und blieb Schwäche war

furchtlos,

wiegte

gerieth er nicht

Unerschütterlich

sich

mannhaft ans im Kampf für Wahrheit und

idealen Güter

des

menschlichen Lebens.

Mögen

wir, von seinem Beispiel durchleuchtet und durchglüht, seinen Pfaden folgen, sie

werden keine Irrwege sein

!

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I

Ein abenteuerlicher Anschlag.

fl^Bfie Säcularisation des Deutschen Ordens der Zusammenbruch des wenig über

gjji^y länger

stehenden Ordensstaates

aufrecht

in

in

ein

Preussen

und

Menschenalter

Livlaud

um

hat

die

Mitte und gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts einer ganzen Reihe von politischen Abenteurern den Anlass geboten, durch bald mehr, bald minder weit

angelegte Pläne den

vielumstrittenen

und

viel-

begehrten Boden Livlauds zum Gegenstande ihrer politischen Speculationen zu machen.

Ganz abgesehen von den Bemühungen seinem Orden

des Deutschmeisters,

übergegangene Preussen zurückzugewinnen, kommen hier die Anschläge in Betracht, das

polnische

in

Lehnsherrlichkeit

mit welchen Herzog Albrecht von Brandenburg, meister und erste Herzog Preussens,

der letzte Hoch-

schon vor der Säcularisation

des Ordensstaates und dauacli während des ganzen Verlaufs seiner

Regierung sich trug,

um Livland

zu

sich herüberzuziehen.

Sein

Bruder, der Coadjutor und spätere Erzbischof von Riga, hat dann

den Versuch gemacht, in Livland ein weltliches Regiment, zu beAber wie Albrecht an der Wachsamkeit Wolters von so Wilhelm an der eigenen Unfähigkeit Plettenberg scheiterte gründen.

1

,

und der Abneigung eines Theiles der livländischen Stände eben so wenig aber vermochte der Coadjutor Wilhelms, Christoph von Mecklenburg, festen Fuss zu fassen. Schweden, Dänemark, Polen ;

1

Ueber

die Intriguen Albrechts conf. meine Geschichte Russlands, PolenB

mal Livlauds, Bd.

II, p.

215

ff.

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Ein abenteuerlicher Anschlag.

22

dem Schutze

und, unter

Polens, Gotthard Kettler, der ganz die

Albrechts von Brandenburg gewandelt

ist,

Wege

theilten sich in die Beute.

Nur vorübergehend vermochte der von Iwan dem Schrecklichen von Russland installirte Herzog Magnus von Holstein ein ephemeres Königthum über Livland von den Gnaden Moskaus zu behaupteu. Als das Werkzeug sich unbrauchbar erwies, ward es bei Seite geworfen und « König > Magnus konnte noch von Glück sagen, dass es ihm gelang, den Händen des Wütherichs zu entkommen und in einem Winkel Kurlands sein an Wechsel reiches, an Ehren armes Leben zu beschliessen. Das alles sind bekannte Dinge, die hier nur des Zusammenhanges halber berührt werden.

Weniger bekannt schon

ist

Friedrich von Spedt sich trugen

bringen

Dieser Gedanke

1 .

:

ist

man damals,

solle die

und der Söldnerführer

sie wollten Livland an Frankreich 1575 von König Heinrich III. von

Frankreich wieder aufgenommen worden. so plante

Der Herzog von Alencon,

Tochter Gustav Wasas, Elisabeth,

heiraten und als französischer Statthalter das

verwalten.

Man

um 1558

der Plan, mit welchem

der livländische Edelmann Conrad Uexküll

Herzogthum Livland

wollte von Frankreich aus Kolonisten und Truppen

nach Livland senden und hoffte durch Livland die Niederlande zu zwingen, deren Nahrung von den stets gefüllten Kornkammern Livlands abhängig

auch der an

sie

sei.

Da

die Heirat

nicht zu Stande kam,

geknüpfte Plan in sich zusammen.

kraft hatte er ohnehin nicht.

Nur

in

den Acten

brach

Innere Lebens-

haben

sich die

Spuren desselben erhalten.

Von zwei

weiteren Anschlägen auf Livland erfahren wir aus

den Acten des geheimen Staatsarchivs zu Berlin.

Im Jahre 1600 fühlte sich Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg durch eine Gesandtschaft lebhaft beunruhigt, welche der Zar Boris Godunow an Kaiser Rudolf abgefertigt hatte. Der Kurfürst fürchtete, dass Russland die Absicht habe, die Subsidien zurückzufordern, die es dem

HM.

Albrecht von Brandenburg während

Kampfes mit Polen gezahlt hatte. Er schickte daher seinen vertrauten Rath Ruprecht Lins von Dorndorf und Kaspar Klein nach Prag, um zu erkunden, was der eigentliche Zweck jener Geseines

sandtschaft

*

sei.

Durch

ein Schreiben Lins', d. d.

Eger 1600 März

9,

Von Dr. Moellerun nach Acten des geheimen Archivs zu Kopenhagen Mittheil, zur Livl. Gesch. XII 3, p. 477 ff.

mitgetheilt.

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Ein abenteuerlicher Anschlag

23

Der russische Gesandte alle Befürchtungen beseitigt. Afanasi Iwanowitsch Wlasiow hatte der Subsidien nicht gedacht, im Laufe des Gespräches aber eine merkwürdige Mittheilung gemacht, welche Ruprecht seinem Herrn überbrachte. «Sider 4er

wurden nun

jetzige Grossfürst

redung



ist

regiert



so berichtet Lins

wann Markgrafen Hans von

als

über seine Unter-

des Hauses Brandenburg änderst nicht gedacht worden,

Cüstrin das Leben

gehabt hätte,

wäre das ganze Livland unter dem teutschen Reich.

Denn der Grossfürst Johannes

Friedrich von Denmarck

haben

wollen

Basilides,

abtreten,

auch König

der König von

Schweden desgleichen. Allein habe ihm (doch wol dem Könige von Schweden ?) 3 Tonnen Gold erlegen sollen. Die Polen haben damals, als 1570, nicht mehr als ein Schloss in Livland gehabt, aber Ihre F. Gn.

sei

anno 71, do man mit Kaiser Maximiliano in verfahren, da sei die Sach alles

voller Tractation stunde, Todes

stecken plieben. Ihre F. Gn. haben sollen Statthalter und der Grossfürst Schutzherr sein.»

Ueber diese ganze,

höchst,

merkwürdige Angelegenheit hat

sich trotz eifriger Nachforschung im geheimen Staatsarchiv weiter

keine Spur gefunden.

Auch drängen

sich allerlei

Bedenken gegen

diese russische Mittheilung auf.

1571.

Markgraf Johann von Küstiin starb schon am 13. Januar Es ist nicht wol denkbar, dass Iwan der Schreckliche mit

ihm in Verhandlungen getreten sein sollte, so lange noch Magnus von Holstein bei ihm in Gunst stand. Nun begannen die Verhandlungen mit Magnus gerade 1570. Im März dieses Jahres schliesst er mit Iwan jenen Vertrag ab, durch welchen ihm Russland gegenüber genan die Stellung zugewiesen wurde welche Wlasiow für Johann von Küstrin in Anspruch nimmt vom 20. Aug. 1570 bis zum 16. März 1571 lagert König Magnus vor Reval im Juli 1570 aber wurde zu Stettin der Friedenscongress zwischen Schweden und Dänemark eröffnet, an dem auch Polen, der Kaiser and Frankreich theilnahmen und der am 13. Dec. 1570 zu dem bekannten Friedensschluss führte, durch welchen Friedrich von Dänemark seinen Bruder desavouirte und Johann III. von Schweden seine Besitzungen in Livland auf Kaiser und Reich übertrug. Der Kaiser verlieh dann die Schutzherrschaft über die Bisthümer Reval und Oesel, sowie über Padis, Sonneburg und Hapsal an Dänemark, während Schweden die Städte Reval und Weissenstein zunächst noch als Pfand für seine Auslagen behalten sollte. Unwahr endlich ,

;

r

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Eiu abenteuerlicher Anschlag

24

dass Polen im Jahre 1570

ist es,

sessen habe, so schwach

ist die

nur

ein Schloss in

Stellung Polens

in

Livlaud be-

jenen Jahren

überhaupt nie gewesen. In der Stadt und im Erzstift Riga vermochte es sich dauernd zu behaupten. Es bleibt demnach, wenn dass was doch unwahrscheinlich ist man nicht annehmen will





der Gesandte

ganze Angelegenheit

die

erlogen

habe,

nur

übrig

anzunehmen, dass die Verhandlungen mit Johann von Küstrin entweder in die Zeit vor dem März 1570 fielen, oder eine Phase der stettiner Friedensverhandlungen bildeten.

um

3 Tonnen Goldes

geneigt

gewesen

Dass König Johann wäre,

III.

auf Reval und das

übrige Estland zu verzichten, ist an sich nicht unwahrscheinlich, auch Kaiser Maximilians Zustimmung darf nicht ohne weiteres als

undenkbar bezeichnet werden. Auch ist zu beachten, dass sich bis 1600 in Rassland die Kenntnis von dem wohlgefüllten Schatz des Markgrafen Hans von Küstrin erhalten hat. Wir wissen, dass der Brandenburger allerdings zu den reichsten Fürsten

jener Zeit

Durch Vermittelung der zahlreichen deutschen Abenteurer Diensten Iw ans des Schrecklichen mochte dieser davon erfahren

gehörte. in

r

und so ein Plan entstanden

haben

sein,

der entweder schon vor

dem März 1570

vom Markgrafeu abgelehnt, oder während der die Iwan den Schrecklichen arg verstettiner Verhandlungen stimmten, aufgenommen, aber wegen des gerade einen Monat nach ,

Abschluss des Friedens erfolgten Todes des Brandenburgers fallen

Aus einem

im geheimen Staatsarchiv Königs Magnus vom Jahre 1572 «Gründlicher und wahrhatftiger bericht, was gestallt der Durch-

gelassen wurde.

erhaltenen 1

Schriftstück

ebenfalls

des

leuchtige hochgeborene Fürst und Herr, Herr Magnus &c. erstlich an den Reussischen Khaiser gefurt, zum Khunig er wellt und nun endlich sich wieder nach Darpt und auf Ire Frl. Gn. Hauss und

Feste Arnsburg begeben» ergiebt in

der Stellung Iwans

ihm

sich, dass

Magnus

gegenüber vor allem

die

Wandlung

von dem Tage

da Iwan von den stettiner Abmachungen erfahren hat. Konnte Iwan nicht unmittelbar, sondern nur durch einen deutschen

datirt,

Fürsten

über Livland

russischen Politik

Brandenburger

seit

herrschen,

so

die Traditionen

der einen

hin.

Aus der Correspondenz

des Kurfürsten Joachim II. von Branden-

burg nach Polen hin ergiebt sich nur so



wiesen

dem Anfang des Jahrhunderts auf

Rep. XI. Kuiwlaiul

1

viel,

dass Sigismund August

f.

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Ein abenteuerlicher Anschlag.

25

den Jahren 1569 and 1570 über den Markgrafen Johann von Küstrin sehr erbittert war und dass Joachim dabei als Vermittler auftrat. Ob jener Livland betreffende Anschlag Grund der Verstimmung war, muss dahin gestellt bleiben, bis reicheres Material

in

vorliegt.

Weit

besser sind wir über

einen noch viel abenteuerlicheren

Plan unterrichtet, mit welchem sich zu Ende der 70er Jahre Georg Hans, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in ßaiern und Graf zu Veldenz trug. Pfalzgraf Georg Hans ist eine nichts weniger als anmuthende Persönlichkeit gewesen. Als einziger Sohn des trefflichen Herzog Ruprecht von Veldenz am 11. April 154H geboren, verlor er, noch nicht 1'/, Jahre alt, den Vater. Der Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken übernahm die Sorge seiner Erziehung. In Heidelberg,

wo er Dann

als

1

ljähriger

Knabe den

Rectortitel führte, ist er erwachsen.

hat es ihn weit herumgetrieben, bis er

am

23. Oct. 1563 sich

mit Anna, einer Tochter Gustav Wasas vermählte, der Schwester jener Elisabeth, an welche die oben erwähnten französisch-polnischen

Georg Hans

Pläne anknüpften.

trat gleich nach seiner

Vermählung

die Regierung seiner Erblande an, begann aber sofort einen äusserst kostspieligen Process gegen seinen Vetter, den Kurfürsten, weil er sich in seinen Erbansprüchen verkürzt glaubte. Dieser Process, der ihn in endlose Schulden stürzte, ist das Verhängnis seines Lebens geworden Um zu Geld zu kommen, griff er einen abenteuerlichen Plan nach dem anderen auf: aus keinem derselben ist etwas Dauerndes hervorgegangen, aber in ihrer Gesammtheit charakterisiren sie die Persönlichkeit des Fürsten, der eine merkwürdige Verbindung von unsteter Phantasie und zäher Beharrlichkeit, von praktischem Sinn und Verkennung des Möglichen und Erreichbaren Friedrich Backe in seinem schönen Buch über (Nr. 44, 1888) die in meinem Artikel in der «Riga-

Anlehnung an

«Randbemerkungen zur Haus-

Zeitung* (Nr. 164 und 165, 1888):

schen

Polizeireform >, dargelegte Charakterisirung dieser Rechte als

Wir meinen aber den

recht.

Verpflichtung,

amtlichen Charakter

auf Angelegenheiten

alle

Forderungen der staatlichen Polizei zu

lichen

erfüllen, die amtliche

dem Umstände zu erkennen, dass

Veantwortlichkeit aber schon in

Besch werdeinstanz die Gouvernementsregierung

die

der

in

u. a.

des Polizeiwesens bezüg-

wobei die

ist,

Aufhebung der gutspolizeilichen Anordnung durch die Kreispolizei den

Charakter einer provisorischen Massregel

(d.

i.

bis die

Gouv.-

Regierung je nach Ausfall ihren Spruch gethan) zu tragen scheint.

Eine andere Aenderung, in

zusteht,

auf den Pastoraten

auf

den Gemeindeältesten

unsere Gutspolizei erfahrt,

die

neuen Gestalt

ihrer

dass sie

nur sie

ist

ist

für

Ausdruck gewählt:

Besitzer

zum

bäuer-

Grundbesitz), dass auch Besitzer von Hofslandparcellen als

jenem Recht bedacht erscheinen

Gegen

konnten.

diese Auf-

Recht bestehende Stellung des

fassung spricht aber die bei uns zu

Rittergutes (Landtagsberechtiguug &c), auch findet sich keine

eines

aewieBJiaA'hJibmi

im Gegensatz

(Gutsbesitzer, überhaupt Grundbesitzer lichen

mit

ist,

fernerhin

ganz beseitigt und geht hier

Freilich

über.

Rittergutes ein so unbestimmter

den Rittergütern

im Gesetz

Andeutung darüber, dass neue Gutspolizeien geschaffen werden;

endlich

läge iu solchem Falle keine Veranlassung zur Beseitigung

Pastore vor &c.

der Gutspolizei, der

sich die Frage über die Zukuuft der Dass der geringe Rest belassener Befugnisse seiue Begründung nicht in jenem Conservatismus findet, der, wenn es sich um die Beseitigung einer den Anforderungen der Zeit nicht

Naturgemäss drängt

Gutspolizei

auf.

mehr entsprechenden Institution handelt, wenigstens ein Zipfelchen

auch

zu erhalteu strebt, liegende stutzt in

Wünsche

nicht

in

dem Umstände, dass

fern ab-

Erhaltung dieser Einrichtung bei uns unter-

haben, sondern in den thatsächlichen Bedürfnissen des Landes

seiner heutigen

hat,

die

Entwickelungsphase

das ersehen wir

auderer

Staaten,

in

seiue

lebenskräftige Basis

dem aualogen Entwickelungsprocess welchen die agrarische und die gesammte u. a.

in

social-ökonomische Gestaltung der ländlichen Verhältnisse ziehungen der unsrigen

ähnlich

und zwar in seinen östlichen bezirken

ist.

So

Provinzen

vor mit

allem

und Be-

in Preussen,

seinen grossen Guts-

und seinen abgesonderten Landgemeinden

:

auch hier wurde

Aphorismen zur baltischen Polizeireform.

126

(Kreisordnung vom

Dec. 1872) die Gutspolizei beibehalten, die

13.

auf dem Gutsbezirk die übrigens sehr begrenzten Rechte meindepolizei

Die

coordinirt. in

diese beiden sind einander

ausübt,

Es erlangt der Guts-

wegen der Thatsache

besitzer jenes Recht nicht schon

sondern,

von

abgesehen

diesem Amte, bedarf er

ernannten

der Ge-

sonst ganz

letztere trägt daher hier ihren amtlichen Charakter

weit schärferer Ausprägung als bei uns.

sitzes,"*

auch

Landraths,

der Bestätigung

Im

des

seines Be-

Qualilication

zu

von der Regierung

Zustimmung des Kreisausschusses

mit

die

(Selbst Verwaltungsorgans) versagt

Amtsantritt vereidigt.

geforderten

der

werden kann, und wird vor seinem

Falle seiner Nichtbestätigung steht dem

Gutsbesitzer die Bestellung eines Stellvertreters zu, der in gewissen

vom Landrath unter Beistimmung des Kreisausschusses, und zwar auf Kosten des Gutsbesitzers ernannt wird, während bei uns Fällen

solchen Falls die Gutspolizei auf den Gemeindeältesten

Es

übergeht.

scheint uns keinem Zweifel zu unterliegen, dass die Guts-

polizei daher

auch

in ihrer

neuen Gestalt sich lebenskräftig erweisen

und eine vielgestaltigere Thätigkeit zeigen wird, als die Gesetzgebung vor Augen gehabt hat. Nichtsdestoweniger meinen wir nicht,

wie der beregte Artikel der

Land- und Forstw. Ztg.», dass

c

unsere Verhältnisse

Und an Dumpf: Der freundliche Engel, der Licht und Glanz

«Bruder!

mein dunkles Leben

hat mich

brachte,

auf ewig verlassen.

dem Todel»

bin schrecklich verwaiset und sehne mich nach

Und

Stimmung war

diese

in

in

Ich

ihrer Heftigkeit keine vorüber-

gehende. Einige Zeit danach heisst es
Und an den anderen Freund t Mein Bruder Gestern Nachmittag um 2 Uhr ging mein laubte

!

!

:

!

himmlischer liegt

ins als

Aemil zu

Schwester Malvine!

seiner

Möge

schwer auf mir.

sie

Gottes

Hand

Dir und den Deinigen leichter sein!»

Es war ein fürchterlicher Schlag für den zum zweiten Mal Herz Getroffenen; die Briefe deuten, was er litt, nur mehr an, dass sie es aussprächen. So wenn er von sich sagt: «Die schöne innere Welt, an der ich lange und mit gläubiger

Liebe gebaut, Eis wird die

ist

mir zerstört auf ewig.

Trümmer

Und von der Gattin

:

«Pauline hat einen himmlisch schönen Glauben in seliger

Ergebung

liegt

sie da,

wie

Gott und Aemil, und beide sind langsam zu Tode.»

Und « Es

unschmelzbares

Starres

überdecken.»

eins

Ohne Thränen,

!

eine Heilige und denkt in

ihr

und

sie

an

sehnt sich

ferner:

Da dass der Gram an ihrem Leben zehrt. kann kein Arzt helfen, kein Freund, kein Trost, keine Ermuthigung Die Zeit ? 0, wenn die jeden Verlust vergessen macht, was hätte dann wol noch Werth für uns Für meine arme Pauline und für mich hat das Leben keine reine Freude mehr.» ist sichtlich,



!

Und endlich in Beantwortung des Trostbriefes vom PastorFreunde am 8. März 1816 «Dein kräftiger männlicher Brief, geliebter Bruder, hat mich :

Schultern

und dränge die Klage ohne Trost

Tiefe zurück.

Trost



in

der

auf.

in

auf starken

meines Herzens

Lieg' da, bis es bricht! Pauline sucht und findet

ist ein

tolles

poetisch,

Humor,

Wirkung



Gott und wird vielleicht

Bruder! es

eigentlich

Kummer

Ich trage meinen ewigen

ermuthigt, gestärkt.

der

— Ist

d. h.

Leben!

bald



ihren

Wird

tragisch,

auf der Spitze

Aemil wiedersehen.

der

Jammer

so hebt die

des Tragischen

so recht

Ironie,

gaukelt,

es nicht aber auch närrisch, dass ich

alle

Dir auf

Dicjitized

by

Eines Dichters Kind.

derselben

des Briefblattes

Seite

für

145 übersaudte

freundlich

zwei

Löf feiner Gerstengrütze danken muss, auf dem ich Dir den innig-

Dank sage für Dein treues brüderliches Mitempfinden meines Das Leben ist eine Farce. Aber das Gefühl, das über dem Leben steht und waltet, ist heilig und ewig — O mein Bruder, wie hast Du richtig empfunden bei dem Anblick der Kreuze, sten

Schmerzes?

!

die

mein Engel-Aemil,

kindischem Spiele

ahnend

Kirchhof



wohl

auch

unverletzt.

welches

-

Wie

!

0

wehmüthig!

machte

oft

jetzt

,

der zerrissenen Brust

in

erfüllt!

ist's

ist

in ernst-

mich der kleine

die Liebe



Lebe

und Treue

sehr

danach noch

er

in

dem Andenken

dieses

heiss-

Kindes gelebt, davon zeugte unter anderem ein Päckchen, man nach seinem Tode in seinem Pulte fand, und das

unter der Aufschrift

cAemil» ausser einem Bildchen,

dem Vermerke

Kleine,

noch im Licht wandelte,

er

>

Wie geliebten

als

aufrichtete

nach,

nur wenige Tage

vor

welches der seinem Ende

gezeichnet hatte, alles an Briefen von Freunden, sowie an sonstigen

Erinnerungen gesammelt enthielt,

was auf das frühe Hinscheiden Knaben irgend Bezug hatte. Der einzig wirksame Trost für solch herben Verlust: Ersatz für das Verlorene, winkte dem Geprüften diesmal früher, als es nach dem Tode der Tochter der Fall gewesen war. Schon im

des

Winter des nämlichen Jahres sah er einer abermaligen Niederkunft seiner

Gattin entgegen, ohne dass ihn diese Aussicht schon gleich

anfangs ihn

mit Freude

zu erfüllen vermocht hätte.

Daran hinderte

ausser der im allgemeinen zu tief verdüsterten Seelenstimmung

noch im besonderen einmal der schwer leidende Zustand der ihrer

Entbindung licher

entgegengehenden Frau,

wesen befand.

sodann die sich immer kläg-

wirtschaftliche Lage,

gestaltende

War

kömmliche gewesen,

dieselbe schon von

dass

sich

in

jeher

sich

das Haus-

eine so

wenig aus-

der

Dumpf im Verein

mit

noch, zwei

anderen Gleichgesinnten bereits vor längerer Zeit bewogen gettihlt hatte,

dem Freunde mit einem jährlichen pecuniären Zuschuss zu kommen, welcher in einer die Geber wie den Empfänger ehrenden Weise sowol angeboten als angenommen wurde,

Hilfe zu gleich

so hatten sich die

der

Verhältnisse bei der andauernden Kränklichkeit

Hausfrau im Laufe der Jahre

nur noch

mehr verschlimmert.

Mit schönem Zutrauen wandte sich denn auch jetzt der Bedrängte an

den

stets

sprechend:

erprobten Freund,

am

6.

Nov. 1816 die Bitte aus-

140

Eines Dichters Kind.

t

Sende mir, wenn 's möglich

Es

nächstens kreissen.

man schon

grösseren entrathet

kennst mich nicht

200 Rbl.

ist,



Das Weib

sind der kleinen Bedürfnisse so viel

eher und ohnehin.

Bruder,

will

der

;

Du

ver-

1>

Mit der näher rückenden Entscheidung beginnen denn auch Hoffnung und Freude allmählich doch wieder zu erwachen. Heisst es anfangs noch

«Ich weiss nicht, ob ich darüber froh

arme Pauline trägt

ihre neue Hoffnung

Auch

darf?

sein

mehr

die

in schmerzlicher Re-

signation, als in hoffender Freude.»

So lautet es bald darauf: cJa, auch ich erkenne, dass hier ein Höheres waltet, als der blosse Zufall.

Gott

wolle

gut

es

Mir

enden!

ists

schwül

um

die Seele.»

Der

gleiche

innige Wunsch,

möge, hatte mittlerweile auch

und

naclihaltig beschäftigt

Entschluss fassen lassen.

dass

diesmal tgut enden»

es

den sorgenden Freund

ihn

War

in

Euseküll

schliesslich einen eigenthtimlichen

der frühe

Tod der beiden voran-

gegangenen Geschwister von den Aerzten allgemein mit einer ungesunden Neigung zur Corpulenz in Zusammenhang gebracht worden,

ihm vor allem geboten, für das neuerwartete Kind Art der Ernährung zu ersinnen, welche dieser unheilvollen Tendenz entgegenarbeitete. Während er die Wahl der hierbei so schien es eine

am

besten einzuschlagenden Behandlung noch unschlüssig bei sich

erwog,

traf es sich,

Dame, Frau

v. U.,

dass

im

zu Besuch

benachbarten Pastorat Hallist eine

eintraf, die allerlei

ausgesetzt unter anderem zu Zeiten verfiel,

aus dem heraus

sie sich

in einen

nervösen Zufällen

magnetischen Schlaf

sowol auf Befragen

als freiwillig

auf mancherlei Art hellseherisch und prophetisch vernehmen Hess.

Propst Berg,

von dem Geheimnisvollen

der Erscheinung auf

das

mächtigste berührt, widmete sich mit voller Hingebung dem Studium

wie

dieser mysteriösen Zustände,

sondere Schrift

über

seine

er

hierbei

denn

auch

gemachten

später

eine be-

Erfahrungen

ver-

Auch Dumpf fühlte sich mit lebhaftem Iuteresse von der räthselvollen Macht angezogen, und rasch reifte iu ihm der Plan, von der Somnambule die zu ergreifende Behandlung des erwarteten neuen kleinen Weltbürgers bestimmen zu lassen. Frau öffentlicht hat.

v.

U. blieb die Antwort auf die ihr vorgelegte Frage nicht schuldig,

und ihr Ausspruch wurde nun

in

einem versiegelten Einschluss an

Petersen gesaudt mit der feierlichen Verwarnung,

das Blatt nicht

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Eines Dichters Kind.

früher zu eröffnen,

selbst

147

sondern es zu dem

Zweck

erst

der

in

Geburt dem behandelnden Arzte einzuhändigen, welcher zuvor geloben mttsste, sich in allem genau nach der in demselben

Stunde der

enthaltenen Vorschrift richten zu wollen.

den

Welchen Eindruck diese Botschaft «aus einer anderen Welt> auf Empfänger machte, zeigt seine Antwort vom 22. Nov. 18 16 deutlich:

die

versiegelte Inlage bezieht.

von

Deiner unwandelbaren Treue und Liebe so mächtig

«Tiefgerührt hat mich die Stelle Deines Briefes, die sich auf

worden, als nun,

Thränen

seine

was

dem

die

bei

Noch

war

nie

das überquellende Herz

und

Gefühle

unaussprechlichen jetzigen Zustand

Ueberzeugung in mir ge-

die

konnte Dir nur

hinströmen.



meiner Seele undenkbar

in

Wenn, auch

ist,

quälendste Neugier auf den Inhalt dieses versiegelten Schreibens

zu übermannen drohte, so würde ich doch Deinen Willen und

mich

Entsagung und (Du begreifst es !) mit geheimem Ja, Du mein ewig theurer und ewig treuer

Dein Siegel mit

verehren

Schauder

Bruder, ich

!

habe unbegrenztes Vertrauen zu Dir!

Dann

O

wollte Gott,

Angst mich entmannen. Meine und Paulinens letzte Hoffnung würdest Du treu bewahren und in Aber wem soll ich hier verdauernde Freude verwandeln trauen ? Von den Universitätsärzteu, ausser Moier, kann ohnehin keine Rede sein Aber auch dieser, obgleich er sonst ganz der Mann dazu wäre, ist jetzt so zerrissen in seinem Innern durch Liebesqual und Liebesdrang, dass ihm wol die nöthige Besonnenheit und Stätigkeit mangeln möchte. Dennoch habe ich ihn (ohne das versiegelte Schicksal so muss ich wohl Deinen Brief nennen zu erwähnen) durch Lenz sondiren lassen, und wenn er mir nicht sein heiliges Ehrenwort giebt, dass er sich der Sache mit ganzer Seele annehmen will so wird nichts daraus. L o h m a n n, Du wärest hier!

sollte keine



:

!









ein freundlicher Hausarzt,

sonst

dass er



Herz zu ihm,

weil

er

so ich

mir ein

mich

die

Wahl

nur

erst

Anhänger der

alten

— Sahmen? Er Freundschaft für mich — aber



Sieh,

des Arztes viel Kämpfe.

mich schnell entsch Hessen,

Hätte ich post

starrer

doch noch gar zu arm an Erfahrung.

kostet

als

zu sein scheint.

Kenntnisse, Gemüth, wohl auch

er ist

weitlich und windig,

Du

medicinischen Humoral-Schule hat

zu

ihm geben würdest, nur erst zu lassen Stegmann? Ein wackerer Mann, aber ich habe

die Ansicht, die

vermöchte. kein

ist

denn es

ist

Antwort wegen Moier!

mein Bruder,

Und doch muss

Gefahr im Zögern



!



Mit der Sonntags-

melde ich Dir meinen Entschluss.»

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148

Eines Dichters Kind.

Wie

derselbe ausfiel, theilt der Brief

vom

Dec. 1816 mit:

3.

«Ich sollte und wollte Dir schon heute vor acht

Entschluss wegen

aber nicht.

Moier

Wahl

der

Endlich

eines Arztes

vorgestern



am

Tagen meinen

konnte

melden,

Busstage



ging

den ich durch Lenz hatte sondiren lassen und der

hin,

von Herzen willig erklärte, meine Bitte

Zwei Tage

meldet

später,

«Jesaia IX, mir,

Du

gesunder

und

3»/»

Ohr

Uhr

Am

des Vaters.

Uns

Kind geboren!

Schwedenkopf!

kleiner Kerl

frischer

er

ein

ist

alter treuer

schrie

Flöten-

Dec.

7.

Der

Brief

:

6.

die

glücklich von Statten,

O

December 1816, begrüsste *der

5.

die Freudenbotschaft den beiden Freunden.

er

an Bergmann lautet mit

am

ersten Kinderstimme > das

der

sich

;

mit Hand und Mund und Ehrenwort. Deinen Schicksalsbrief und bin nun ruhiger.» '

es

zn

und er beIch gab ihm

zu erfüllen

stätigte dies

ton

ich

Welt



du verhülltes Schicksal

die !

au.

!



Freue Dich

Junge

Vorgestern

ist

ist's,

ein

Nachmittag

Es ging Alles gar

Mutter

sei



Ein

leicht und

überaus wohl und

selig.

mir wieder hold und lass mir den

Knaben! Ich habe ja überschwänglich gebüsst!» Und der an Dumpf: i

Vorgestern,

Du

mein geliebter Bruder,

um

3'/4

Uhr Nachm.

schlug die verhängnisvolle Stunde und meine treue Pauline eines

gesunden

Knäbleins

frischen

!

Moier

genas

auf meinen

erschien

Wink, sprach lange geheim mit der Hebamme, und heute ordnete

Amme,

dass das Bürschlein

i 1

i

Morgen oder schon heute wird

gezogen werden

sollte.

thea anlangen.

Versteht

zögernd,

ver-

«weder mit Mutter, noch sondern wieJupiter m i t Z e g e n m c h» auf-

er,

sich,

doch als ein verständiges Weib

in

den Beschluss

das Geschäft des Tränkens selbst besorgen wird.

überaus wohl und

grttsst

die

Amal-

dass die Mutter, die sich, obgleich fügte,

Sie befindet sich

Dich herzlich.»

Der Knabe erhielt in der Taufe den Namen «Freimund». Gross und allgemein äusserte sich die freudige Theilnahme am Glücke des allbeliebten Mannes. Nicht nur von Seiten der nächsten Freunde, wo z. B. Bergmann schreibt -

«Tra— ra

— ra — ra— ra— rah! Gelobt Gott über — möge er auch ein Hoffnungsreis, sei

Freudensprössliug,

den neuen nicht blos

Laub und Blätter, sondern auch Blüthen und Früchte tragen, — möge das Bäumchen fröhlich emporschiessen und mögen wir uns Alle

im

sorgenlosen Alter

an

seinem Schatten

freuen

können!

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Gqogle

149

Eines Dichters Kind.

Die Hoffnung

Sela!

das Reich des Wunderbaren

und

leben

soll

uns einen Stab reichen, der uns kräftig über trübe Erfahrungen

soll

hin wegführt.

>

sondern auch aus weiteren Kreisen,

wo dem

beglückten Vater be-

Zuspruch eines Mannes von hohem, bedeutungsvollen Werthe war; trat doch in ihm ein Dichter an die Wiege des Kindes, demselben gleichsam seinen poetischen Segen fürs Leben

sonders der

Er

ertheilend.

am 10. Dec. 1816 an Bergmann: am Tage nach der Geburt meines

berichtet darüber

«Shukoffsky brachte mir Söhnleins folgende Verslein

:

H upeACKa3are.ib! PaAocrb sa ropem> npmiija! ^aMtiiino tto othato nMi»! EyAb-iHe

Ht,6o,

yT-feiueu-b

OTeui!

tu tmLenib cuhobi,! Tßofl M.iajuuiA c*b to6ok>, tboA Byxen, Ea^ anre.ib, et Heoecb Miuaro 6paTa xpanrnb!

ÄByxT,

crapiuifi

welches ich, zu seiner Zufriedenheit, so Ubertragen habe: Leid wird Freud'

Was

Ich hab' dirs verkündet

!

Zwei nun hast du der Söhne Wird,

zum Engel Und Dumpf

Der Himmel

!

ersetzt dir,

Väterchen, sei nun getrost,

er dir früher entriss.

!

Der jüngere bleibt dir, der ält're dem Brüderchen sein.»

verklärt, Schutzgeist theilt er

mit

«Recht brüderlich danke ich Dir für Dein Anerbieten:

mir

noch einige mir fehlende Goethesche Meisterwerke zu verschaffen

Aber das hat nicht Noth! Nächstens werde ich Besitzer oder doch Geniesser

Bände) er

!

der neuesten Ausgabe von Goethes Werken sein (20 Als nämlich Shukoffsky im Juli in Reval war (von wo

mir das Conversationslexikon als Gostünza brachte) pränumerirte

Kosegarten

er bei

den eleganten

auch

auf den Goethe (Exemplar auf weissem

Einige Monate

Druckpapier).

darauf erhielt er

und correcten wiener Nachdruck

Werke und am Tage nach der Geburt er

den

diesem

Kosegartenschen

aus Petersburg

aller

Goetheschen

meines Söhuleins brachte

Pränumerationsschein

zum An-

gebinde!»

Im

selben

Schreiben

er

berichtet

über

den Neugeborenen

weiter

Dieses unbedingte schöne Vertrauen

Vater

Sie aber

lasst sich das Ge-



wenigstens

nicht

von

gar

zu



sollte übrigens

langem Bestände

beim sein

seinem gesunden klaren Sinn musste das mystische, nächtige Wesen

Zwar

auf die Dauer auf das Entschiedenste widerstehen. er gegen

Dumpf

nicht, doch

seine Empfindungen

nach

dieser Seite

äussert

hin noch

macht er Bergmann gegenüber schon jetzt seinem geam 22. Febr. 1817 ausruft: «Das

pressten Herzen Luft, indem er

sakramentische Clairvoyanten- und Somnambülen-Wesen

im Inneren

tief

verletzt

hat

mich

und wird seinen gespenstischen Einfluss

auf mein und meines Söhnchens Leben -- ich fühle es mit Schauder



nie aufgeben.



O

dass Berg den Kluge gelesen

hat!

Ihne

mihi prima mali labes!*

Noch sucht

ihn der Freund fürs erste zu beschwichtigen und

Bezug nehmend auf

thut das in einem Briefe, der

einige weitere

Auslassungen des erregten Vaters nach verschiedener Seite hin so charakteristisch

«Wozu gegeisselt? losfahren

ist,

dass er hier gleichfalls folgen

mit solchen Scorpionen

Du

und

könntest ja geifern,

die

mag:

unschuldige Frau

mit gleichem Recht auf

der durch

seine Teufeleien

sie

zu

nerven8üchtigen Patientin werden Hess, ja auf die Eltern, nicht mit rüstigerem Gekröse begabten, ja

v.

ü.

Mann

ihren

einer

die sie

auf Gott selbst,

dass

Magnetismus in die Welt setzte! Du erkennst die Kraft des Magnetismus und kannst nur das Orakeln nicht ertragen ? Einmal das Wunderliche bis hierher und nicht weiter? zugegeben, wer darf dann sagen er

Clairvoyance



und Somnambulismus und

:

Orakulirt wird ja

aber

auch

in

den

einfachsten Erscheinungen

Ohne magnetische Orakel keine Genesungsohne diese keine Hilfe, keine Rettung von Tod und schwerer Mögen auch Visionen unterlaufen und ihren Spuk treiben,

dieses Wundergebiets. mittel,

Noth.

so darfst ihre

Du

doch bei aller Befangenheit eben so keck bauen auf

Aussagen für Deinen Seehund,

als der

besonnene

Dumpf

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für

Gp pg

l
Jedes geringste Unwohlsein des so ängstlich gehegten Kindes

schöpfendes

brachte



völlig

an

mann

am

wie leicht erdenklich

den Rand der Verzweiflung.

cMeiu Junge sein

!

befindet

Leben 6.

März 1817

Da

au Berg-

zum

Besten. wird's

Es

ist

ein

auch

nicht

krank,

hatte

:

acht Tagen recht

seit

Schlaf- und Appetitlosigkeit



o Bruder,

wie

war mir

Muth!>

Und an Dumpf in

er

schreibt

droben

nicht

sich

hienieden!

tMein Jüngelchen war za

So

»

Und am Fieber,

nunmehr jedesmal

den Vater

22. Jan. 1817:

erbärmliches besser

'



berichtet er, noch im

rührender Ausführlichkeit

am

15.

«Die Krankheit meines lieben gehalten, früher

zu

hatte ein

Deinen Brief vom beantworten,

kleinen

19. Febr.,

geliebter

Rückgedenken

März 1817

zitternd,

:

Jungen hat mich

ab-

der mich innig gefreut hat,

Bruder.

Das arme Kuäbchen

starkes Fieber, dabei fast gänzliche Schlaf- und Appetit-

Wir zitterten bei dem Gedanken, dass es ein Nervenwerden könnte Moier verschrieb ihm Extr. Chin. &c. alle Die Arzenei that gut, denn der Stunden 1 Theelötfel.

losigkeit. fieber

vier

!

»Wtwb* MonatiMclmfl. Rund XXXVI,



lieft ü.

1

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Eines Dichters Kind.

152

Bursche schlief wie ein Murmelthier, verlor allmälig sein Fieber und bekam seinen Appetit wieder. Moier muss seiner Sache gar gewiss

gewesen

sein,

denn

dem

seit

4.

März, da er die Arzney

Wenn

es einem Arzte

Wirkung

des verordneten

verschrieb, ist er nicht wieder hier gewesen.

Ernst

so pflegt er sich doch nach der

ist,

Er

Mittels zu erkundigen.



Markt und

Was

doch

der



denn für Noth?

hat's

fährt

mehrere Mal über den

täglich

ßursch

ist

Was

ja

nun

meinst

wieder

Du

hergestellt.

aber dazu,

raein

Junge gar so wenig schläft? Nur während des Gebrauchs der erwähnten Arzney schlief er gut. Jetzt aber wieder wenig bei Tage höchstens 3 mal, nie über Stunden, bei Nacht Lieber, dass der

;

nur

3—4

und nicht mehr. Ist das nicht ein deutlich Die arme Mutter, die auch nur ?

Stunden



Zeichen krankhafter Schwäche

rapHm

schlafen kann,

und

unerquicklich,

aufs

Spiel.

während er

setzt

ihr

schläft

letztes

und auch dann unruhig

Restchen

von

Gesundheit

>

Der nämliche Brief berührt



zum

ziemlich

Der Dichter Böhlendorf war 14 Tage

cHör!

uns manchen schönen Abend durch Vorlesung

Der

lichen Gedichte* verschafft.

Mal

letzten

auch noch ein poetisches Interesse, indem es zum Schluss

in

ihm

und hat

hier

seiner



heisst

handschrift-

zarte, meist elegische Geist seiner

Dichtungen kontrastirt wunderbar mit seinem bettelhaften Wander-

Du

eben von der FussGustav hineintrat: zerlumpt, schmutzig, cder Fleischer kuckte bei dem Schumacher aus dem Fenster > Gustav stutzte ihn gleich von Kopf bis zu Fuss neu auf; wir sammelten Pränumeration auf seine Gedichte, und so zog er vorgestern, recht schmuck bekleidet und einiges Geld in leben.

hättest ihn sehen sollen,

wanderung aus Kurland ankommend,

wie

er,

bei

!

der Tasche, gen St. Petersburg, hinzieht,

um

— das Osterfest

wo

ihn ein unüberwindliches Sehnen

zu schauen und zu besingen

!

Er war

übrigens diesmal besonnener wie früher und schien etwas bekannter

und versöhnter mit dem wirklichen Leben.»

Wol damals auch

schrieb

unter

sich Petersen

den vorge-

tragenen Gedichten jene zwei Lieder ab, die unbegreiflicher Weise später in öffentlicht

seinem

worden

t

poetischen Nachlass> unter sind.

beiden unverkennbar.

Das

Die

Autorschaft

seinem

Namen

Böhlendorf^

ist

ver-

bei

erste:

Ungestilltes Sehnen. Soll ich

immer weiter wandern, nimmer ruh'n?

Selten rasten,

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Gflßgle

153

Eines Dichters Kind.

Ach! da komm' ich nur zu Andern, Aber nimmer zu den Meinen Weiss von Keinen, Die mit Lust mir Liebes thun. Zieht der Schwan in gold'nen Kreisen

Durch

die blauen Himmelshöh'n,

Denk'

ich: könnt' ich mit dir reisen

!

Liebend findest du die Lieben

Mich im trüben Nebel will kein Herz versteh'n!

Heimath ist mir längst entschwunden, Lieb' und Frieden sucht mein Herz, Hat sie nimmer doch gefunden; Ach, es sucht bis zum Ermüden



Lieb' und Frieden!

Werd' nicht mtid\ mein armes Herz ist

eine

stimmungsvolle

Schilderung

unstäten

seines

Daseins,

während das andere:

Einsamkeit. Mich

treibt ein unerklärlich tiefes

Durchs Leben

Sehnen

hin;

Ich suche Frieden, ach! und finde Thränen,

Wo

ich

auch

bin.

Kein Weib, kein Kind beschwichtigt meinen Busen Im Lebensdrang,

Und

es versagen selbst die holden

Musen

Mir den Gesang. Mich führt kein

O Nimm

Weg zum

heimatlichen Herde,

traurig Loos!

du mich auf, du heirge Mutter Erde, In deinen Schooss

eine

ergreifende

berbeigefiihrten

Vorahnung seines Endes giebt.

Ueber das Befinden kann

am Schluss des

«Mein Freimund

.

jygÄtjt,.

in

die

trostlosen,

durch

eigene

Hand

des einzigen Sorgen- und Freudenkindes

ersten bange dahingebrachten Jahres folgender

befriedigende Rechenschaftsbericht

entsetzlich

!

ist

an

Dumpf abgehen:

tüchtig und wacker.

Länge nnd

Breite

und

Der Junge wächst baum-

verspricht einen

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154

Eines Dichters Kind.

Die Grütznahrung hat

haften Müllersknecht.

Er bekommt nun

aufgehört.

brühe und zweimal Zwieback

Er wird wol

Wasser geweicht mit Ziegenmilch.

in

sehr mässig gefüttert. Sein Fleisch

nie.

ist

er noch nicht und wirds

und gesund.

Vier Zähne hat er

Er

zwei oben, zwei unten.

bereits, Schneidezähne,

originellste Art,

Fett

derb

ist

indem

sich auf

er,

Wochen

seit einigen

innerhalb 24 Stunden zweimal Fleisch-

die

Hände

kriecht auf die

mit den

stützend,

weitausschreitendeu Beinen eiuen halbeu Kreis beschreibt, sich dann

mit einem Schwung hinsetzt, halben

seinen

Kreis

macht,

so

dass

sein

dann wieder

und

einen Prallsprung

Gang ungefähr

diese

Figur giebt:

An

Stühlen und Tischfüssen richtet er sich auf,

mitunter

Amme

Lebhaft

frei.

ist die

steht

auch wohl

kleine Bestie und verleugnet seine

nicht.»

Trotzdem erging von der Somnambüle einer neuen Verhaltungsmassregel: deihlich weiter zu entwickeln,

jetzt die Weisung zu Knabe müsse, um sich gehalbe Jahr zu Ader gelassen

der

alle

werden.

Auf

diese

Verordnung antwortet Petersen am

24. Jan.

1818:

«Ich habe den gehörigen Passus Deines letzten Briefes,

den

Aderlass betreffend, Moier gleich nach seinem Empfang mitgetheilt.

Er meinte

:

Knaben Er setzte

der körperliche Zustand des

er durchaus keines Aderlasses bedürfe.

sei

der Art, dass

das physiologisch

und Gott weiss wie noch aus einander (wozu ich nur ein Bähmachen konnte) und sagte: wenn Dumpf einem Kinde in diesem zarten Alter eine Ader zu öffnen im Stande ist, so soll er gesicht



Er Hess sich dann von meiner Frau dem Buben den linken Rockärmel ausziehen, hiess uns den Hemdärmel in die Höhe streifen, schlang das Band um den. Oberarm und schnürte diesen tüchtig zusammen, und weder mit noch ohne Brille war es uns allen Dreien mög«Wo soll lich, auch nur eine Spur von einer Ader zu entdecken. mir magnus Apollo sein

ein

breites

!

Band geben,

Hess



ich

nun

die Lanzette eindrücken ?»

wusste darauf nichts das Aermchen Gesicht, als

in

den Aermel hinein,

ob er sagen wollte:

Dass mir übrigens ist,

wäre

begreifst

Du

fragte er und

zu antworten.

bei alledem leicht,

ein Christ, so

würde

was

schwül

— ich wenigstens

ihm husch und der Junge machte ein schob

Pauline

das

für Streiche

und unheimlich

mein geliebter Bruder. ich blindlings,

!

wie

Ich

sind!

zu



Muthe

wollte,

ich

ein frischgeborenes

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155

Eines Dichters Kitid.



Hündlein vertrauend, aller Sorge um die Zukunft Eins pfeifen aber so es ist ein Gefühl, um das mich kein Satan beneidet \> Allein der Freund blieb fest auf seiner Forderung bestehen.



Am

12.
Der Vater, in dieser Weise hart bedrängt, schüttet sein schwerbeladenes Herz abermals in einem Briefe an Bergmann iu folgenden Zeilen vom 25. Mai 1818 aus «Von Dumpf habe ich einen Brief, der mich in Rücksicht meines Freimund fast toll gemacht hat. Glaube mir, alter Bruder, dass ich vor dem Beelzebub in der schrecklichen Pracht seines

ebenso

;

!

:

Flammenthroues, seiner sechs Drachenflügel, seiner glühenden Tiara

und

der leben verdorrenden Gluth winde



die aus seinen Nüstern sausen dieser seiner Halbtochter

!

Smum, Samiel und

Sirocco,

keine solche Scheu habe als vor

Vor jenem

kann

ein passabler Christ

sich schützen durch ein tüchtiges Kreuz an Brust und Stirn

aber

im Halb- und

selbst,

durch Traum

Helldunkel

und Ahnung

nichtet heimlich nur

um

;

diese

Unwesen unter der Aegide des Heiligen

treibt ihr gespenstisch

;

sich

der

Psyche

unausforschbaren

selber

unbewusst

so unwiderstehlicher Heil und

(?)

uud

ver-

Leben anderer



Menschen. Und dahin soll ich auch mein Kindlein mitbringen, dessen Dasein auch von den Zauberkünsten dieser Hexe bedingt ach, Bruder, lass mich das nicht ausdenken Es ist, scheint



uro au Gott zu verzweifeln

!

!

Und diesmal widersprach ihm der Freund nicht. Die Correspondenz mit Dumpf indess weist in dieser AngeDer nächste ist vom legenheit noch eine Reihe von Briefen auf. 9.

Mai

1818:

ich dem wackeren Zustimmung gegeben, dass meinem kleinen Bursch zwei Blutigel au die subclavia des linken Armes c

Doctor

Endlich und endlich (und das verdanke Holst) hat Moier seine

gesetzt werden. Iudication sei keineswegs da, behauptet er; zu meiner Beruhigung aber möge es geschehen und (da Holst schon fort ist) Sahmen wird in diesen Tagen die Operation verrichten. Pauline

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Eines Dichters Kind.

156

au allen Gliedern, wenn

zittert

daran denkt, und ich

sie

Der Junge wird blöken

dabei sein.

wie ein

mag

nicht

wenn

Stierlein,

die

Windungen um seinen Arm und an seiner Brust schwänzeln werden Wär's nur schon vorüber! Die folgenden Male wird's dann leichter gehn. Ob ich in diesem Sommer in Eure Gegend komme, steht noch dahin. Und dann kann ich Dir nicht Ich habe heidnisch zu arbeiten. beiden schwarzen Schlangen in bestialischen



!



bergen, dass

auch

ich

der

zur Last

sei,

Schweden, Holländer,

und haben

recht.

festen

Ueberzeugung

dass ich,

nennen

auch die Schweizer)

Ich fühle,

wo

ich

dumm

taub

meine ursprüngliche Dummheit

dass

uud Däsigkeit unsäglich zugenommen bin.

bin,

Die nordischen Sprachen (die Engländer,

falle.

seitdem

hat,

harthörig

ich

Ich spreche schlechter, seit ich mich selber nicht mehr recht sage mattes

hören kann;

elendes

Zeug

her,

schäme mich dessen,



kurz, ich tauge nichts und bringe werde verlegen, befangen Euch nur lange Weile und fühle mich dadurch höchst unglücklich.

Gieb Dir keine Mühe, mir diese fixen Ideen auszureden zu fix, weil sie auf Wahrheit gegründet sind.»

Es

folgt einer

cAm

9.

Mai

am

1(>.

schrieb

Um

bluten müssen,

sie sind

Mai 1818: ich Dir,

dass Moier

gewilligt habe, wie Dr. Holst berichtete.

ansetzen.

;

in

Sahmen

die ßlutigelei

sollte die Bestieu

jedoch zu wissen, wie lange die Natternbisse nach-

damit die beabsichtigte Wirkung erreicht

werde,

Der aber wollte von jenen Prämissen nichts Dr. Holst habe ihm zwar gesagt, er möge zu meiner Be-

ging ich zu Moier. wissen.

ruhigung einwilligen, das habe er aber nicht gethan, weil es gegen

Ueberzeugung sei. Da Pauline bald mit dem Kind gen so mögest Du selber urtheilen, ob Indikation zum Blutabzapfen da sei. Beharrtest Du auf Deiner Meinung auch nach der Autopsie, so mögest Du ihm Blutigel ansetzen quantum Schaden werde es dem Kinde nicht; er könne aber den velles. Dabei bleibt es nun, mein Bruder. SoNutzen nicht einsehen. bald Berg antwortet, werde ich ihn um Entgegensenden der Pferde Dann nimm bitten je eher je lieber, so etwa in der Plingstwoche. Dass meinen Knaben in Deine Obhut und thu, was Dir gut dünkt. seine

Hallist ziehe,



;

hier

vorwalten

nicht obstinatio scntetUiae

wird,

dafür

bürgt

mir

Du

nun

Dein Herz.>

Und «Ja,

ein weiterer

am

mein Bruder,

31. es

Mai

freut

1818.

mich unsäglich,

endlich recht bald meinen kleinen lieben armen

dass

Jungen mit eigenen

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Eines Dichters Kiud.

157

Der Erfolg wird und muss heilsam sein, für dass M oi er einen Brief schreiben soll Da kennst Du ihn Bekannt oder unbekannt. Und wenn der hochselige Boerhave aus dem Grabe auferstünde und an ihn schriebe Äugen

seilen

für uns.

ihn,

wirst.



Doch, !

-

Diese Briefscheu

er antwortete nicht.

ist

bei

ihm charakteri-

Den 1. Brief schrieb er als Knabe an seinen Vater, vi eoaetus zum Geburtstage gratulirend, denn hinter ihm stand die den 2. schrieb er aus Pavia, abermals in Matter mit dem Scheit höchster Noth, denn mit dem letzten Dukaten sollte er auf die Post gesandt werden. Den 3. musste er als Antwort schreiben,

stisch.

;



ihm die Professur angetragen wurde

als



selber nicht auspressen.

Am

wenn kein Unheil dazwischen

13.

tritt,

;

den

4. soll

Juni also

ihm der Teufel meine Frau,

trifft

der 14.

in Hallist ein;

ist ein

Mir wirds an diesem Tage sehr wohl sein, mein geliebter Bruder, das Herz voll Dankgebet! Und bald folge dann auch ich ich wollte zwar nicht reisen und suchte aber der und fand auch Gründe genug zum Zuhausebleiben; Zug zu Euch hin ist unwiderstehlich!» Doch als der 14. uaht, ist dem zärtlichen Vater sehr wenig wohl, wie ein Schreiben vom selben Tage bekundet: «Heut Abend wird mein anner lieber Freimuud unter den mörderischen Bissen von Vampyren und Blutsaugern schreien und Wunderlich bluten, und mir blutet das Herz bei dem Gedanken. Freitag, der

auch Dich hinführt.

;





immer, dass der kleine Schäker selber darnach verlangt hat

ist's

Ahnung, ist's Instinct? Aber es wandelt alte Grauen und Grausen vor dem Gespenstischen an! Gott erhalte mir den Jungen!» Wenn die Briefe von jetzt ab immer trüber und grämlicher

Auch

ich

mich

dabei

frage:

ist's

wieder

das

klingen, so erklärt sich das

zum grossen

Theil aus den

vom

bejammems-

Juli 1819 Antwort auf den von Dumpf geäusserten Wunsch, seinen Sohn Gustav während seines dorpater Schulbesuchs beim Freunde

werthen

häuslichen Zuständen,

von denen die

8.

datirte

in

Pension zu geben, ein ergreifendes Bild entrollt:

«Meine Frau

ist

kränklich,

leider

nur zu

oft

krank.

Ich

habe im letzten Semester, während Bergs Karl mein Tischgeuosse war, oft mit

Sorge der

um

Bekümmernis gesehen, wie

den Tisch

sie angriff.

Regel ein Gericht,

nächsten Mittag wieder

dasselbe

die nur so gering scheinende

Sind wir

allein, so

haben wir in

kommt Abends und wohl auch

zum Vorschein bis und tres coda carambe t man liebe Gäste hat. Das Kochen ;

Das geht aber keineswegs, wenn

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Eines Dichters Kind.

158

.

und Braten muss dann methodisch getrieben werden mit gehöriger Beachtung möglicher Variationen. Es war also, wäre Dein Gustav mein Tischgenoss geworden, unerlässliche Bedingung noch eine Magd als Köchin anzunehmen. Solch ein Ding kann man aber wahrhaftig jetzt in Dorpat nicht unter 300 Rbl.

jährlich

halten.

In einer grösseren und wohleingerichteten Haushaltung (die meine

kann das aus vielen Gründen nie werden) macht der geringere Aufwand, den ein hinzugekommener Tischgenoss veranlasst, auch bedeutend weniger Unterschied in den täglichen Ausgaben.

Ich ge-

genügsam das gute Kind auch ist, mir doch eine diftercnz in der Haushaltung verursacht, die wir durch manche andere Entbehrung ausgleichen müssen, wenn nur das ungefähre Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben erhalten werden soll. Dazu kommt der fast tägliche Aerger einer unglücklichen Hausfrau über Fleischer uud Köchin. Ich habe in diesen vergangenen Monaten den Jammer angesehen und mit hinabwürgen müssen. Ferner: Wenn Pauline kränkelt, schläft sie, um eine schlechte Nacht einzuholen, länger als gewöhnlich. Ich muss mitunter um 9 Uhr auf die Bibliothek gehen, stehe Dir sub rosa, dass Auguste M., so



Das dürfte wenn Dein Gustav früh vor 8 zum Frühstück Das arme und Sie hätte sich Zwang angethan.

ohne mein Schlückchen Kaffee genossen zu haben. nicht

stattlinden,

gekommen wäre. doch

wahrhaftig!

brave

reizbaren Zustande gar

Weib

ist

bei

ihrem

zu wenig Herrin

kränklichen höchst

ihrer Lauue.

Dagegen

nun aber alle Vernunft so wenig, wie bei Tiecks gestiefeltem Kater gegen das Spinuen und ich möchte jenes, wie er dieses,

Die Antwort Dumpfs auf diesen Brief bildet einen so schönen dieses Hauptcapitels des Briefwechsels zwischen den

Abschluss

Freunden, dass

sie

Scharlach

zählung schliessen kann, recht sehr aus Herz,

mag.

hier wol eine Stelle finden

«Deines Freimunds

ihn noch drei

leicht.

ist,

wie

ich

Nur das

Wochen vor

Er

schreibt:

aus Deiner

Er-

lege ich Dir recht

jeder noch so leichten

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Eines Dichters Kiud.

Erkältung,

jedem Zuglüftchen

vor

ja



Nachkrankheit vermieden werde.

dem

Heros,

kleinen

bürgt

halten

Schauder

herrlich

für

innig

schon

früh

strichene Beiwort

ihm

ob

das zarte

möge Dir

und

Männlichkeit

von sein

gegeu F.s

sein Widerwille

oder

viel

festes Ver-

Sein

erfreute.

künftige

die

damit jede

bewahren,

zu

Hesse erzählte mir

dem Nussknacker, wie

vor

Liebkosungen (gleichviel enthüllt

mich

das

161

der coeur-damc gespendet)

und ä d

1

e

Das unter^Erwäge

Gemüth.

nicht pathetisch erscheinen.

Gemüth, das Schmeichelei verachtend ablehnt und von Sinnlichempört wird, so fiudest Du jenes Beiwort gewiss nicht zu hoch. Schon ist die Zeit der Gefahr vorüber (wie sie einst die Somuambule verküudete) und des Knaben schlanke Gestalt, sein wie ich vernehme entschiedener Mangel an Fett verkünden sein

ein

keit







Bleiben

bei

Dir.

dann solltest

Du

Wenn ihn

nächsten

seinen

er

Victor

gangenheit, die Dir so viel genommen,

Geburtstag

feiert,

zum Gedächtnis der

nennen,

Ver-

wie zu freudiger Hoffnung

der Zukunft, die Dir so viel zu halten verspricht.

Mein Bruder

Dieses Kind wird dein Leben verschönen, wird eine lange schwere

Vergangenheit ein

herrlich

vergelten!

zertrümmertes Gemüth wieder



Und

seine

geheilt werden,

Kann

Mutter! o

so wird das

Mutterherz genesen, das zweimal brechen sollte!»

So sehr nach und aus dem Herzen diese schöne Prophezeihung dem Vater und Gatten auch gewiss gesprochen war, so sollte sie doch für keinen von Beiden in Erfüllung gehen. Die nervöse Zerrüttung der unglücklichen Frau hatte sich allmählich, genährt durch den Einfluss falscher Freunde, zu einer Art religiöser Schwärmerei gesteigert,

die schliesslich

offenbare Wahnsinns-Paroxismen

in

aus-

Das Kind konnte nicht länger bei der Mutter bleiben, es nmsste aus dem Hause gegeben werden und fand beim Freunde Berg in Hallist herzliche Aufnahme. Wie entsetzlich der unglückliche Vater unter diesem neuen Elend litt, bezeugt manch herzzerreissender Aufschrei in den Briefen. So an Bergmann am 3. Aug. 1822:

artete.

«Paulinens Zustaud hat bessert, eher verschlimmert.

Ka3aKb

!

Aber

bei

Und am

13.

Gott

!



sich

bis

Ich

hilf

Himmel,

Grundeis

mir

noch

um

täglich

nichts ge-

zu

:

Tepuii

mir schwindet allmälig Kraft und Geduld

Aug. 1822.

«Mit der unglücklichen Pauline

0

jetzt

rufe

hilf!

ist's

fortdauernd schlimm.





Mir armen Teufel geht Haupt und Herz mit

!

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Eiues Dichters Kind

162

Was

Jammer noch

ihn allein in diesem namenlosen

manche andere

spricht

hielt,

Briefstelle

aufrecht

So wenn

aus.

es

am

29. Oct. 1822 heisst:

dch werde

tragen, so lange ich kann,

Natur

die stärkste



endlich bricht auch

Noch aber habe

Muth

ich

Frei m und!»

den giebt mir

Und am



Trümmer.

in

2.

Nov. 1822

O

wenn mein Freimund nicht wäre, ich hätte mich längst ausgespannt und den Karren zertrümmert!» Schon drohte die Sehnsucht nach dem abgöttisch geliebten Kinde den armen Vater in der langen Trennung fast zu verzehren, als das Eintreten einer ruhigeren Periode in dem Zustande der Kranken ihm die Aussicht ermöglichte, den Knaben zu Weihnachten in Hallist besuchen zu dürfen. Er schreibt darüber am 16. Nov. 1822 :


beliebte. Dort sind die Behörden einfach alphabetisch geordnet, hier sind sie nach den Ressorts zusammengefasst innerhalb der ;

einzelnen

Ressorts

herrscht

die

systemloseste

Buntscheckigkeit.

Hier wenigstens wäre doch wol eine alphabetische Gliederung am Der Satz ist bei der Eiligkeit der Veröffentlichung

Platze gewesen.

vom Einfliessen des Stoffes abhängig gewesen, ein wenig mehr Ordnung wäre denn aber doch trotzdem möglich gewesen. Es macht sich jedenfalls, gelinde gesagt, sonderbar, wenn im

vermuthlich vielfach

c

Nachschlagebuch » im Ressort

des Ministeriums

des Inneren der

Personalbestand der Gensdarmerie dicht bei dem Comite

wärtige Censur Platz gefunden.
, der Einfluss der Cistercienser

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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt. unverkennbar hervor.

Im Ornament und

239

den Bogenlinien des

in

Ganges und der an denselben stossenden Gebäude macht sich eine

dem Uebergangsstil von Der Nachwird an dem Bauwerk weiter

grössere Zierlichkeit geltend, die zugleich der

romanischen zur gothischen Architektur entspricht.

folger des Bischofs Albert, Nicolaus,

gearbeitet haben

;

im Jahre 1264, unter der Regierung Albert Suerund ersten Erzbischofs von Riga, ist in

beers, des dritten Bischofs

einer

Urkunde von dem Kreuzgange wie von einem schon

vor-

handenen Bauwerk zuerst die Rede.

Wie durch Anbauten Laufe der Zeit

auch

das Aeussere des Domes,

das Innere

Jahrhunderte trat das Bedürfnis riss die Seiten wände ein

man

stehen,

so erlitt im

Im

starke Veränderungen. ein,

die Kirche

und verlegte

15.

zu vergrössern

wo

sie dahin,

;

sie jetzt

an das Ende der äusseren Strebepfeiler.

So wurden nördlich an den Seitenschiffen Kapellen gebildet, und die Seitennoch weiter von dem Mittelschiff gerückt. Das Mittel-

und südlich fenster schiff es

man

konnte nicht mehr genügend Licht empfangen,

erhöhte

daher weit über die Seitenschiffe und brachte die Rosetten über

den Seitendächern an.

Bischof Albert hätte seine Kirche kaum wiedererkannt, wäre etwa um die Zeit der Entdeckung Amerikas in sie eingetreten. Die Zeit war eine andere geworden, und mit ihr hatten sich die Anschauungen und die Einrichtungen der Kirche verändert. Die frühere Einfachheit in den Ceremonien und der Ausstattung der Kirchen war überwältigender Mannigfaltigkeit und strahlendem Prunk gewichen. In alter Zeit hatte e i n Altar zur Verehrung Gottes und der Heiligen, namentlich des Schutzheiligen einer Kirche genügt. Jetzt füllten sich die Wände und Kapellen der vorer

nehmeren Gotteshäuser mit Altären unser

Dom

der der

Mutter Gottes,

weiht worden war. in

und zwar der

Am Ende

fast


» Auf welche Worte der Herr Meister nach seinem Schwerte gegriffen und auf Herrn Hartwich Segefried Worüber Herr Hartwich auf die Seite gebracht eingedrungen. und dem Herrn Meister zugeredet worden. Indessen entstand ein Getümmel im Volke, die Kirchenthüren

auf

:

wurden gesperrt

und die Sturmglocken

Der Rath, der

gezogen.

vernommen, Volk um Gottes Willen einzuhalten und Friede geboten, wie denn auch kein Mensch von des Herrn Meisters Seiten beleidigt

hierdurch überrascht gewesen, habe, alsbald er solches das

worden.

Allein der

solches

Der Chronist längeren

geritten

;

voller

hernach

und den Rath deswegen besprechen

schildert

hat

Uner

geklagt, welcher seine Abgesandten

zum Schluss

Verhandlungen die

Landtag kommt,

den Seinen

mit

ist

Schlosse

dem Herrn Erzbischof

nach Riga geschickt,

nach

Herr Meister

und Zornes nach dem

muth

lassen.

dieses Abschnittes,

>

wie

ganze Angelegenheit vor den

der die Stadt schuldig findet

und

ihr auferlegt,

Altar zu Ehren der Mater dolorosa zu erbauen und für dessen Bedienung einen Vicarius anzustellen, der 12 Mr. jährlich aus der

einen

Die Stadt musste sich fügen, der Altar

Stadtkasse erhalten solle.

wurde errichtet, und zwar halle,

an der nördlichen

Die

Schuld

rigaschen

Rathes

oder

in

der Marienkapelle, der jetzigen Altar-

Wand

gleich

Unsehuld

lässt sich heute

am

nicht

ganzen Erzählung interessirt vor allein zwischen

Eingange.

Hermann Klempows, mehr das

feststellen.

resp.

An

des

der

gespannte Verhältnis

dem Orden der Mönchsritter und der Bürgerschaft.

Der

17*

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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

242

schlimme Betrug mit den 6 Last Salz bildete hier die kleine Ursache zu unverhältnismässig grossen Wirkungen. Die Erbitterung des greisen Ordensmeisters wird durch den Widerspruch des Rathes so gesteigert,

dass

er

oder Unschuld dass alsbald

nimmt an dem

lübecker ßürgersohnes

des

die

Sturmglocke

gezogen

Angriff auf des Meisters Person

Kaum

Hand

mit bewaffneter

Die Bürgerschaft

eindringt.

nur

auf seiuen Gegner

Streit

um

die Schuld

lebhaften Autheil,

so

und der Rath

wird

einen

Mühe abwehren

mit

kann.

dass die Weissmäntel das Schloss erreicht haben, rüstet sich

Der Tod Spanheims und

die Stadt zu offenem Krieg.

die mildere

Persönlichkeit seines Nachfolgers Cysse von Rutenberg ermöglichten

Mal noch

für dieses

eine Versöhnung.

Die Volksphantasie beschäftigte sich aber

dem Vorgang und

wusste,

wie

uoch

lebhaft mit

auch noch geschieht,

es heute

zu

den allgemeinen Motiven der streitenden Parteien allerhand person

Man

hinzuzufügen.

liehe

brachte

beim Wiedererzählen

der

Be-

gebenheit in den Trinkstuben und bei Gildenversammlungen romanEinzelheiten

tische

Zwistes.

an

und vergass darüber den

Nicht das prosaische Salz

Ursprung

den Anlass

sollte

des Ritters gegeben haben, sondern ein schönes Weib.

dem Tode Spanheims in die

verbreitete

sich

des

zum Zorn Bald uach

der ausgeschmückte Bericht

anderen Städte der Ostsee.

Nicht lange, und ein lübecker Chronist gab folgende Novelle

zum Besten «

Darna des mandages na mydvasten

de meister van Lyfflande,

eines

starff Syfridus

varliken dodes.

Spanheim,

Dat quam

also

Dar was ein junck copman bynnen der stad to Rige, genomet Marquard klempowe, eines borgers sone van Lubeke, woll beruchtet und lefftalich'. Desseme copmanne wolde de sulve meister ein wif tho:

me

geven, de van boseme ruchte was, und, also

sprack, sine mejer-

und he wolde erer nicht hebben. Also de vrowe, Odele genomet, horde, dat de knape se vorsmade und upwarp, dat toch se sche,

sick seer to hone und ginck vor den meister unde clagede ene vor

eren deeff».

Des

hechte 1 setten to der galgen

;

de meister ene to band anngripen und

leet

darna des richtedages

leet

vordomen, also einen vorwunnen«

openbarliken sine

unschult bewysede.

Do

in

de

he ene vorordelen und deeff,

woll dat he

arme man by de

de

galgen quam, dar he inne sterven scholde, do reep he luder stempne»



1

Liebreizend.

5

Mit lauter Stimme.

*

Dieb.



Gefiinpnis.



'

überfübrten.

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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

em ginck und weneden van medelicNach dem male ick

over alle dat volk, des vele mit

wente se

dinge,

nute

sine unschult wüsten

alle

byn

vorrichtet»

243

:

deme dode unschuldichliken van deme

to

erdeschen richtere, so lade ick vor dat gotlike, strenge, rechtverdige

den sulven

richte

my dar antworde gotlike

wäre

hadde,

do

ordell

dat

he

/

deme drutteynden 3 dage, unde höre dar dat Do he dat gesecht over myne und syne sele » !

he

leet

meister Siverde van Spanheim,

richter, in

Also

willichliken hengen.

sick

ladinge vor den meister quaraen,

eme

de gingen

de

rede

der

nicht to herten,

men he was vrolick mit siner leven vrouwen,

de den armen myndeme lyve bracht. Des drutteinden dages, also sad ann der tafelen und wolde eten, do word em ovele to mode

schen hadde van he

he vill

tohand

in

kranckheit und sprack to sinen vrunden

my! mynes

god vor

levendes

is

nicht mer!»

« Byddet darmede vorkerede he :

ogen und in grezeliker bere» gaff he den geist up.»

sine

Eine solche Scene, wie

sie der rigasche Chronist glaubwürdig und eine solche tendenziöse Ausschmückung der Thatsache im Munde des Volkes waren nur in Zeiten möglich, wo das

uberliefert,

den einzelnen Gruppen

Verhältnis zwischen total

anderes geworden war,

der Bevölkerung

ein

wie in der Zeit des Bischofs Albert

und Wilhelms von Modena.

Die Ordensritter waren fühlten sich als die berufenen

volk des

der

Städte.

Sie

und mächtig geworden,

reich

rekrutirten

sich

meist

aus

deutschen Adels und fassten ihren Beruf auf,

den Familien

wie die grosse

Mehrzahl der Prälaten jener Zeit den ihrigen auffasste: Linie als gute

Versorgung.

sie

Landesherren gegenüber dem Plebejer-

Wol

in erster

hat es an klugen und energischen

Leitern der Ordenspolitik auch in der letzten Zeit des Mittelalters nicht gefehlt, aber,

wie alle geistlichen Institutionen, die der Geist

Kreuzzüge ins Leben gerufen, verfiel auch der Deutsche Orden in Livland und Preussen beim Anbruch der neuen Zeit in Erstarrung und Schwäche. Es war eine jener Corporationen, die

der

sich

nicht

umändern

und

reformiren

Hessen.

Unabweislich war

auch hier das Bewusstsein eingedrungen, dass die Gelübde veraltet waren, dass

dass

die Statuten

man neue Regeln

sich

überlebt

hatten.

Es

half

wenig,

ausarbeitete, die neue Zeit ging über diese

conservativen Bestrebungen hinweg.

Allgemein brach sich in den Staaten Europas

1

Cterichtet.



1

Dreizehnten.



3

die

Tendenz

Gebertie.

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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

244

Bahn, aus den verwickelten Verhältnissen des ständischen Organis,

mus zu den Formen des

Einheitsstaats

sich hindurchzuarbeiten.

In Preussen

monarchischer Spitze

mit hat

Entwickelung

diese

in

der Säcularisation des Ordens und der Begründung des Herzogthums

Brandenburg

von

durch Albrecht

Livland kamen ähnliche,

zum

gewiss

Vollendung gefunden,

ihre

Ziel.

Neben der mönchischen Genossenschaft des Ordens hat und Synodalbeschlüsse ihr

verschärfte Strafen

erneuern

Davon

wollen.

des livländischen Klerus

Versammlung fand

fall

in

eine

unserem

J.

1428 Zeugnis; der Vor-

statt.

Tagen Es enthält neben der Wieder-

erhalten und verdient wol, in unseren

ist

Erinnerung gebracht zu werden.

holung der Normen

Dom vom

Leben Zusammenkunft

ei-schlafftes

interessante

also nur wenige Jahre später als

mit Sifrid voik Spanheim dort

Das Protokoll in

giebt

die

so auch hier in Livland durch

wie in aller Welt,

Priesterschaft,

die

in

Bestrebungen nicht

zeitgemässe,

des

gemeinen kanonischen Rechts eine Reihe

eigentümlicher Bestimmungen, welche durch die locale Lage hervorNamentlich erscheinen die Paragraphen beachtens-

gerufen waren. werth, welche

widmet

sind.

dem Verkehr mit der Der § 3 z. B. lautet

örtlichen

Da

:

Landbevölkerung

ge-

Nichts der Kirche Gottes

mehr schaden kann, als dass unwürdige Pastoren in dem Seelsorgeramt angestellt werden, und da in dieser neuesten Zeit (früher also nicht) nicht nur unwissende, sondern auch, was abscheulicher ist,

stumme Hirten,

die das Idiom ihrer Schafe nicht verständlich

zu reden wissen, zu ihres eigenen Heiles und vieler Seelen Unter-

gaug

zu seelsorgerischen Aemtern

schieht,

dass

dem

christlichen

Gotteswortes entzogen wird) Personen,

die die

werden

.

zugelassen

Volke .

.

die

sind (woher es ge-

nothwendige Speise des

bestimmen wir, dass nur solchen

Sprache der Eingepfarrten kennen,

Pfarren ge-

und dass diejenigen schon angestellten Pfarrer, welche nicht der Landessprache mächtig sind, Capläne halten, die

geben

;

sie in

der Predigt vertreten können.

Amte

removirt werden.

Zuwiderhandelnde sollen vom

Der § 27 schreitet gegen den Perkonscult und die Anbetung von Schlangen und Bäumen ein. Andere Artikel nehmen

sich der

Bauern an; gewähren ihnen

Schutz im Handel, verbieten die Heranziehung derselben zur Arbeit

an Sonn- und Feiertagen, bewahren probe, auch

wenn

sie selbst sich

sie

vor der Wasser- und Feuer-

dazu erbieten.

Digitized b)

le

Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

Wie

in diesen,

so spricht

sich

auch

245

den anderen Theilen

in

der Beschlüsse sowol das Bekenntnis aus, dass es viele Misbräuche gebe, als auch der ernste Wille, dieselben

kannt, ist das auf diesem

Wege

abzuschaffen.

nicht gelungen.

Wie

be-

Die Kirche konnte

nicht durch einzelne Massregeln gebessert werden, es mussten neue Grundlagen ihrer Existenz, ihres Lebens geschaffen werden. Als Luther diese Aufgabe erfüllte, war Riga unter den allerersten

Werk

Städten des Reiches, die für sein

und es annahmen.

Freilich im

Dom

ernstes Verständnis zeigten

wurde der

alte Gottesdienst

noch längere Zeit beibehalten, es blieben die Altäre, die Heiligenbilder, die Reliquienschreine.

Sie

wurden verschont von den Bilder-

stürmern, wie die vielen alten Gräber, unter denen die der Bischöfe

und Erzbischöfe durch kunstvollen Schmuck hervorragten.

Eine kurze Zeit schien

Domplatz

seine vorher angedeutete

der

(Zivilisation die

nur so. die,

Richtung

zu geben,

es,

auf den Grabsteinen

als sollte der

Dom

und

Bestimmung, der baltischen

verleugnen.

Doch

es schien

In Wirklichkeit vollzog sich auch hier die Umwandlung,

gleich wie an anderen Orten, eine geistig gehobene, den Inter-

essen der Literatur und

Kunst zugewandte Periode

einleitete.

Joseph Girgensohn.

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Google

T

dem Tagebuche

Ein Blatt aus

eines Kurländers.

nachstehenden kurzen Aufzeichnungen sind einem grösse-

ie

ren Tagebuche entnommen, welches den als Schriftsteller

bekannten

Freiherrn



Otto

Am

Joh.

Heinr.

December

von Mirbach zum

1776 geboren, empfing Mirbach eine sorgfältige Erziehung und begab sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zur Vollendung seiner Studien auf verVerfasser hat.

schiedene

deutsche

20.

Hochschulen,

d. J.

zunächst

nach

Schilderung seiner Studentenzeit

Jena

für weitere Kreise unserer Landsleute vielleicht nicht

esse sein dürfte, so

wurde

Da

Jena.

in

die

auch

ohne Inter-

die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses

kurzen Abschnittes von den jetzigen Besitzern des Tagebuches in dankenswertester Weise gewährt, eine weitere Publication des-

Der Ver-

selben aber aus mehrfachen Gründen vorläufig verbeten. fasser,

ein

Mann von

hervorragender Begabung,

tiefer

Bildung,

lauterem Charakter, von wärmster Liebe zur Heimat beseelt, diente

dem Lande Jahre hindurch

in

stunden den Wissenschaften

verschiedenen Stellungen, seine Musse-

widmend, und starb

am

6.

Mai 1855

hochbetagt als Kreismarschall, Staatsrath, Kammerherr und Ehrencurator des

Gymnasium

illustre

Ein bleibendes Denkmal die von

zu Mitau.

er sich selbst gestiftet durch ihm hinterlassenen werthvollen Werke, durch seine Römi-

hat

schen Briefe (2 Theile, Mitau, Lucas, 1835; neue Folge, 2 Theile, 1841) und besonders durch seine vorzüglichen, noch heute viel gelesenen

Briefe aus und nach *

Kurland

(2 Th., Mitau, 1844).

*

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Ein Blatt ans dem Tagebuche eines Kurländers.

247

Von meiner Reise über Memel und

die kurische Nehrung mehr zu sagen, als dass das jämmerliche Land und die traurige Gegend nicht gemacht waren, um meine freundliche Heimat aus meinem Gedächtnisse zu verwischen. In Königsberg nahm ich die ordinäre Post, die damals neun Tage und eben so viel Nächte ununterbrochen und in einem Zuge bis Berlin fuhr oder vielmehr sich schleppte. Oft sah ich den Schwager zu Fuss ganze Stunden lang und zwar recht langsam neben dem Fuhrwagen einhergehen und mehr als ein ganz gewöhnlicher, mit schwarz eingetheerter Leinwand überzogener und mit hölzernen Bänken versehener Fahr- oder Frachtwagen war die vielleicht ex contrario so

weiss ich wenig

Die Zeit drängte mich, ich beschleunigte

genannte Diligence nicht. daher meine Reise,

eilte

nach einem ganz kurzen Aufenthalt durch

Berlin, das ich später besser kennen

kam noch

zu lernen mir vornahm, und

Da war

ich

Tage vor dem Anfange des Semesters denn nun in dem berühmten, zum Theil

auch berüchtigten Jena,

wo

ich

in

Jena

glücklich



an.

einige

mich nun ausbilden und recht

fleissig

studiren wollte, hoffentlich mich auch schlagen und ausserhalb der

Collegien

ein

und werden

braver Bursche

wollte.

die sich sogleich des



und

echter Jenenser

werden

sollte

Ich fand mehrere Landsleute in Jena vor,

Ankommenden annahmen, mich

einrichteten,

Art von kurischer Herberge, ein Quartier besorgten und mir allerlei Anweisungen in Rücksicht der zu hörenden Collegien ertheilten. Meine Empfehlungen an die Professoren Ilgen, Niethammer, Schütz hatte ich abgegeben, die von Dr. Rink an den Professor Ilgen muss dringend gewesen sein, da der Herr Professor mir sogleich seinen Tisch, versteht sich für gehörige Bezahlung, anbot, was ich auch mit Dank annahm. Das Leben in Jena war zu meiner Zeit ausserordentlich wohlMein Quartier z. B., zwei recht hübsche Zimmer, kosteten nur feil. 50 Thaler jährlich, mein Tisch, noch dazu im Hause eines Professors, 4 Thaler monatlich. Er war nun freilich nach dem Preise eingerichtet und von Herzen schlecht. In meinem Leben habe ich, mit Ausnahme in den entlegenen Hütten des schottischen Hochmir

in

der sogenannten

Schraney,

einer



landes,

Als

nicht schlechter gegessen als in Jena.

meinem Hause

6 Thaler

für mich

monatlich einrichtete,

Jena unerhörten Luxus. Kleider, was man zu nennen

pflegt,

trug

ich

später in

und ein paar Landsleute einen Tisch zu schrie

man über

so eigentlich Kleider

man

in der

Regel

in

nicht,

einen

bisher in

der Gesellschaft

sondern blos eine

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248

Eiu Blatt aus dein Tagebuche eines Kurländers.

leichte

Art von Mänteln, eine sogenannte Chenille, bisweilen mit aber immer ohne Beinkleider, da diese unter der

einer Weste,

weiten Chenille ohnehin nicht zu sehen waren. Die Kurländer machten von dieser Regel eine kleine Ausuahme, ich machte eine grosse, denn ich erschien stets im Frack und in den bei einem

Frack wenigstens unentbehrlichen Beinkleidern. Ich war für Jena mein Vormund hatte mir nämlich 200 Ducaten für das Jahr ausgesetzt, eine Summe, mit der ich anfänglich oft nicht was anreich,

zufangen wusste.

Das fand

sich aber in der Folge, wie

man denn

über dergleichen Uebelstände, zumal in der Jugend, leicht hinweg-

kommt. Jena war damals eine hochberühmte und starkbesuchte UniSie zählte unter den 5000 Einwohnern 1100 bis 1200 Studirende, oder Studenten, oder Burschen, wie mau sie mit einem versität.

Ausdruck nannte, und

technischen

Griesbach,

dem

unter

den

Professoren

seine Kritik des neuen Testaments

einen

einen

grossen

Namen gegeben hatte, und Paulus, der noch lebt und in Heiidelberg an der Spitze der rationalen Theologen Deutschlands steht. Professoren

Haupt als

waren ferner: die beiden Hufeland, Fichte,

das damalige

einer nagelneuen Philosophie, Schmidt als Psychologe, Schütz

gelehrter

Schiller,

Grieche,

Ilgen

als

Lateiner

bekannt

und endlich

der aber nicht mehr Vorlesungen über Aesthetik hielt

uud nur seinen Namen zur Verherrlichung des Lectionskatalogs Ausserdem lebten in Jena als Privatleute und wahrscheinlich durch Goethes und Schillers Ruf hingezogen die beiden Schlegel und die beiden Humboldt, die man ohne weiteren Zusatz nur zu nennen braucht. Selbst Goethe sah man öfter in Jena als in dem nahen Weimar, diesem damals durch Goethe, Wieland, Herder berühmten Saal-Athen; so nannte man Weimar unter dem Herzoge Ernst August und seiner Mutter Anna Amalia, hergab.

die als

dienste

um

sich

Vormünderin ihres minderjährigen Sohnes sich grosse Verum das Land erworben, jene Koryphäen der Dichtkunst versammelt und den Grund zu dem weit verbreiteten Rufe

Weimars gelegt

hat.

In der Gesellschaft

war

ich sehr bald be-

kannt geworden, besonders durch die Bälle auf der Rose und durch die Einrichtung, die ich in Gemeinschaft mit einem Herrn H. .

für diese Bälle traf.

Es war

Sitte in Jena, dass stets zwei

.

.

.

junge

Leute aus dem Studentenheer zu Vorstehern gewählt wurden, die und, wenn es noth wendig, wie denn der Fall

auf Ordnung halten

öfter eingetreten war,

auch diese Ordnung mit

dem Degen

in der

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l

I

Eiu Blatt aas dem Tagebuche eines Kurländers.

249

Wahl traf mich und Herrn H immer noch Fuchs, wurde Ordnungs-, mein Freund Tanz-Director. Wir waren Beide in unserem Element, entsprachen auch vollkommen den von uns gehegten Hoffuungen und übertrafen Faust vertbeidigen mussten. Die

ich,

;

obgleich



Wir Hessen

sie sogar.

sogleich,

versteht sich auf unsere Kosten,

den

sonst sehr hübschen Saal statt der bisher üblichen Talglichte

hell

und herrlich mit Wachskerzen erleuchten,

und

die

Pauken und Trompeten aus Weimar Professoren nebst Familien

zwar

wesen war und die Veranlassung wurde, ball mit hiess,

zusammt ihren

der Eröffnung der

Herren

persönlich, die

was bisher auch

ein,

den alten Perrücken erschienen

Zu

holen.

diesjährigen Balle luden wir Beide, und

bohnen

die Dielen

ausgezeichnet schöne Musik

herzogliche

dass

nicht üblich ge-

wirklich

viele

von

Als wir das erste Mal den Rosen-

.

einem Dreher, wie damals der äusserst langsame Walzer

eröffneten,

war

ungewöhnlich zahlreiche Versammlung

die

erstaunt und bis in den dritten Himmel,

der

in

Jena eben nicht

Ich erhielt mehr als einen recht

sehr hoch hing, entzückt.

warmen

Händedruck, namentlich von meiner hübschen Wirthin und bekam mehr als einmal den lieben und liebsten Herrn Baron auf gut

Für

Sächsisch zu hören.

Jena.

Nur

die Gesellschaft geschah sonst

die Hofräthin Schütz

wöchentlich ein Mal,

wenig

in

versammelte während des Winters

einen Cirkel in ihrem Hause,

der einzig in

Jena und einzig in seiner Art war. Damen, die Wirthin des Hauses ausgenommen, sah man gar nicht, dafür aber die berühmtesten Köpfe Deutschlands, wie sie sich nur sehr selten, vielleicht nie mehr beisammen finden. Man sah hier Goethe und Schiller, die beiden Humboldt,

Wieland

die beiden Schlegel, Fichte, Paulus, oft auch und Herder, die aus dem nahen Weimar herüberkamen.

Goethe war mehr

Jena

in

als in

Weimar, um, wie es wenigstens Herausgabe der «Hören» zu

hiess, gemeinschaftlich mit Schiller die

besorgen, wie

den Hof zu

man aber

allgemein glaubte,

Mir war woi noch höher stellende Goethe machen.

Die übrigen, damals

freilich

die beiden Schlegel und

dieser

der hübschen Paulus sich

selbst

einem hohen Grade zuwider.

in

noch nicht so

die beiden

um

hochgestellte,

hell leuchtenden Gestirne,

Humboldt,

selbst Paulus

und

Fichte, Hessen sich denn doch bisweilen zu uns herab und würdigten

uns dann und wann eines Wörtchens, Ich weiss nicht,

ob der stolze

einen gnädigen Blick

ohnehin

nur wenige,

Mann

der

stolze

jemals

Goethe niemals.

mehr

als

an einen Studenten verloren hat, ein

höchstens

von denen

paar Reichsgrafen von Loevenstein, ein

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250

Ein Blatt aus dem Tagebuche eines Kurländers.

und den nachmals als Philosophen bekannten Herbart ausgenommen, Zutritt zu diesem Oirkel hatten. Ich ge-

paar Reichsbarone

hörte zu den Auserwählten, zufällig oder

vielleicht weil

weilen auf den Bällen mich zu einem Dreher mit der reits alternden

Da

Hofräthin Schütz herbeiliess.

schien ich ihn gar nicht zu beachten,

seinen

Lieblingsdreher

nämlich Tanzdirector

Chacun ä son

mit Mad. Paulus und,

sogar

in der

oft

unterbrechen.

wie schon gesagt,

be-

Würde sogar

Auf den Bällen Hess

bis-

war, wie Goethe

auf dem seinigen, ich auf meinem Platz, den ich mit

gegen Goethe zu behaupten wusste.

ich

dicken,

Rose

absichtlich

Ich

war

auf meinem Platz.

tour.

Carl Boy.

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Notizen. Zwei Erzählungen von Graf Leo Tolstoi. Lnzern. Familienglück. Aus dem Russischen von Wilhelm Lange. Leipzig. Philipp Reclam jnn. des berühmten russischen Romanwarme, eindringliche Plaidoyers für die Einfachheit des vollkommenen Naturzustandes gegen die vermeintlichen Segnungen der Cultur, welche sich durch ihre Entweihung der heiligsten Empfindungen des Menschen als eine Ausgeburt der Hölle zu erkennen gebe. Der Gedanke, dass der Mensch besser daran thäte, die Bildung von sich abzustreifen und eine Rückwartsconcentrirung nach dem Ausgangspunkte seiner Entwickelung zu vollziehen, kann natürlich keinen Anspruch auf Neuheit erheben. Doch hat er wol noch nirgends eine so ursprüngliche, unmittelbare, kindliche und unschuldige Begründung erfahren, wie ie

meisten Erzählungen sind

schriftstellers

bei

Leo Nikolajewitsch Tolstoi.

eben er

ist

rein,

wahr, lauter, keusch,

ohne jedes

Sein Weltschmerz

nicht reflectirt, sondern tief und innig empfunden

sich ihm nicht auf raffinirten

unumwunden

auf;

er

stücken, sondern aus

vollen

sich auch in der Erzählung

Einfachheit aber

um

so

;

er drängt

Umwegen, sondern geradeswegs und von dialektischen KunstLeben geschöpft. So gründet er

keine Frucht

ist

dem

ist

selbstische Beiwerk;

auf die einfache, in ihrer

erschütterndere Thatsache

:

Am

7.

J

u

1 i

1857 sang in Luzern vor dem Hotel «Schweizerhof»,in welchem mehr als hundertreicheMen sehen, zumeist Engländer, wohnten, ein fahrender armer

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252

Notizen.

Sänger eine halbe Stande lang seine Lieder und begleitete sie auf seinerGuitarre. Ueber hundert elegante Personen lauschten ihm. Der Sänger bat sie dreimal um eine Gabe. Nicht einer von ihnen reichte ihm ein Scherflein und viele lachten ihn aus. Diese haarsträubende Rohheit gilt unserem welches die Geschichtschreiber mit un-

Erzähler als ein Ereignis,

auslöschlicher Flammenschrift in ihre Jahrbücher eintragen sollten.

Es

ist

welche

ihm von grösserer, ernsterer Bedeutung, als die Vorfälle, die Zeitungen und die Geschichte berichten. Er knüpft

an dasselbe die Folgerung, von Menschen

welche

ist,

dass

Menge nur

die

lediglicli

die

eine

Vereinigung

abscheulichen Bedürfnisse

Lebens zusammenführen, eine Vereinigung, welche nur die Schwäche und Grausamkeit der menschlichen Natur zum Ausdrucke bringt: t Warum ist ein solches unmenschliches Factum, das in einem grossen deutschen, französischen oder italienischen Dorfe unmöglich wäre, hier möglich, wo die Civilisation, die Freiheit und

des

Gleichheit auf die höchste Spitze getrieben sind, sten sich

wo

die civilisirte-

Menschen der civil isirtesten Nationen auf ihren Wanderungen zusammengefunden haben ? Warum haben diese gebildeten

humanen Menschen,

die sich für jede

allgemeine

humane That

zu begeistern vermögen, kein menschliches, wahres Gefühl für eine gute persönliche That ? Warum haben diese Menschen, welche in ihren

Palästen,

wärmen

für die

Chinesen

oder

in

Cultur

finden diese

Menschen

unter

den

des Christenthums

afrikanischen Völkern,

in ihrer Seele nicht

er-

wohnenden

fern stehenden in Indien

die Verbreitung

für

europäischen

und Gesellschaften sich

ihren Meetings

Lage der ihnen

oder



der

warum

jene einfache, ursprüng-

Mensch gegen den Menschen im unverdorbenen Naturzustande fühlt? Giebt es denn eine solche Empfindung nicht mehr, und haben deren Stelle die Prahlerei, der Ehrgeiz und der Eigennutz eingenommen ? Und kennen diese Menschen liche

Empfindung,

in ihren Palästen,

die der

Meetings und Gesellschaften keine anderen Trieb-

Hat denn die Kräftigung des Ehrgefühls, die Verbreitung der Bildung, die Uebung der Verstandeskräfte, der Ausbau gesellschaftlicher und staatlicher Zustände, kurz das, was wir Civilifedern ?

sation nennen, das Bedürfnis, unsere innersten Herzensregungen zu befriedigen, in uns erstickt?

.

.

.

Gleichheit

ob sich das ganze Leben der Menschen

bewegte

I

Nur

vordem Gesetz? Als

Sphäre des Gesetzes Lebens untersteht dem

in der

ein tausendstel Theil unseres

Digitized by

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263

Notizen.

Gesetz, der übrige Theil bewegt sich ausserhalb desselben,

und Anschauungen

Sphäre der Sitten liegt

einige Menschen

armen Teufels durch

heit

nicht die

um

hundert

der

Es

selbstsüchtiger,

Mensch-

Es widerspricht

verantwortlich gemacht werden kann.

Logik,

in

&c>

dass für die elende Behandlung eines

der Hand,

jedoch auf

der Gesellschaft

Bürger des

fühlloser

aller

sprich-

wörtlich stolzen meerumgürteten Albion willen alle Welt zu verdammen. Am allerwenigsten hätten wir eine solche Parodoxie aus dem Munde Tolstois erwartet, in dessen Drama «Die Macht der Finsternis! wir in Blut waten, obwol die in ihm auftretenden und handelnden Personen von des Gedankens Blässe nicht im mindesten angekränkelt sind. Jenes für das Volk und in der

meisterhaft

stück .

Sprache

getroffenen

des

Volkes

botschaft:



Selig

Armen im

sind die

geschriebene

Volks-

Widerlegung der Heils-

eine unwiderstehliche, zwingende

ist

Geiste».

unnachahmlich gezeichnete Knecht Mitritsch

in

Urtheilt doch der

dem

während

sich

Ermordung von Akulinas Kind abspinnenden Zwiegespräche mit einem Madchen über die Landbevölkerung: < Niederträchtiges Volk, diese Weiber! Auch von den Männern ist nicht viel Gutes Wie die wilden Thiere Nichts zu sagen, aber die Weiber erst. der

.

ist

ihnen heilig

als

Schmutz

.

.

Was

.

ist

.

!

.

denn solch ein Bauernweib

Nichts

Millionen giebts Burer im Lande, und alle seid

ists.

Die Kühe einräuchern

wie die Maulwürfe und unwissend.

ihr blind

?

damit sie nicht crepiren, und kleine Kinder unter die Hühnersteige tragen und andere Hexereien dieser Art

kennen.

.

.

.

und Alles wie sie.

Nichts hat

die

was

vom

es

ist Alles,

was

sie

Der Bauer kann wenigHerrn im Und das Weib was? Nicht nur,

lernen, oder gelegentlich beim

Schloss oder bei den Soldaten.

Hunde

das

zählt

sie gesehen, nichts gehört.

stens in der Schenke

dass



man Euch, Weiber wie Mädchen, wilden Thiere. Wie sie aufwächst, so stirbt

Nach Millionen

lieben Gott nichts weiss



.

.

blind wie die jungen

.

immer mit den Köpfen in den Mist Wer 'rein. Freilich kann mans von Euch nicht verlangen. bringt Euch denn etwas bei ? Höchstens mal ein betrunkener Bauer .

kriechen sie .

.

mit der Pferdeleine. bis

herum,

zum Aeussersten

.

.



.

Eine Viehheerde ohne Hirten, und frech

weiter sind sie nichts

;

die

dümmste, über-

Traum von dem unverdorbenen Sohne der Natur ein Ritt in das märchenhafte Reich der phantastischen Romantik und das gerade Widerspiel der

flüssigste Gesellschaft.»

Wirklichkeit.

In der That

ist

Die Naturvölker haben, da

der poetische

in

der Entwickelung des

254

Notizen.

Invididuums sich die Eutwickelung der Art spiegelt, mit dem Kinde den vollständigen Mangel an Selbstbeherrschung uud die rückhalt-

Hingabe

lose

an

James Cook,

die

jeweilige

welcher

Stimmung

deckungsreisen im Stillen ücean

Stunde zur Schau tragen.

den Be-

wechselnde Farbe der

der geringsten Veranlassung ver-

Bei

und ergaben sich ohne Vermittelung wieder

Andere Beobachter haben seither

der ausgelassensten Lustigkeit.

Dumont d'Urville

ähnliche Erfahrungen gemacht.

von einem

sie die

seine Ent-

von

meldete

ausführte,

völkerungen der dortigen Inseln, dass gossen sie Thränen

Lieutenant

gemein.

den Jahren 1768—1771

in

wie

welcher

Neu-Seeländer,

mit Mehl

Kind

ein

berichtet

weil

weinte,

Indem die Naturvölker von dem Augenblicke beherrscht werden, ganz und gar im Banne der plötzlichen Eingebung stehen, ist ihnen das Pflichtgefühl, das Gewissen völlig fremd, und darin liegt der Schlüssel zu ihrer Wildheit und Treulosigkeit. die Matrosen

sein Kleid

Freilich

giebt

es

bestaubt

noch

heute

Wer

Schlechtigkeit.

was

ist,

wer

die

aber sine ira

den an der Spitze des

unter

Fortschritts marschirenden Völkern

gar

hatten.

Ungerechtigkeit und

viel

et studio prüft,

Extreme der Menschheit

in

war und

was

ihrem seelischen und

das Leben der unsterblichen

körperlichen Zustande vergleicht und

Fackeitrager verfolgt, an denen es keinem grossen Volke und keiner

Epoche gefehlt hat, den ergreift Dankbarkeit und Bewunderung. Er vernimmt den Triumphgesang des Erfolges, welcher aus der Tiefe der Jahrtausende heraufrauscht die

Gemeinsamkeit

Menschheit

erfüllt

unseres sein

Blüthe; in der Sonne allein

Herz.

reift die

selbst ein ehrenwerthes

dieser grossen

In

er empfindet die

und

der Sonne

Frucht;

spriesst Lebensfreudigkeit

Wunsch,

;

Geschlechts,

zur

sich

die

entfaltet

in diesen

sonnigen Gefühlen

und Arbeitslust und

und zugleich

arbeitenden Gemeinsamkeit

zeugender, sieghafter Weise streitet und ringt

zu

Würde und

erhöhte Liebe

der

ernste

ein nützliches

Glied

In

über-

werden.

Wilhelm jordan

für seine edlen, sinnigen Verse:

«War nur

ein holder

Traum das

Paradies,

Traum, der Höchstes wünschen Hess. Wir sind erwacht des Traumes Bild erblicken Wir immer noch, nur vor uns statt im Rücken Ein Eden, langsam wachsend aus der Saat Der Wissenschaft, der Arbeit und der That.» Den gleichen Zweck wie fLuzern» verfolgt die zweite ErSo wars

ein



:

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255

Notizen.

«Familienglück>.

zählang

Frau, welche

still,

Sie

Zurückgezogenheit und Verborgenheit Gatten lebte,

enthält

den

Roman

einer

zufrieden und glücklich in ländlicher, idyllischer

dem Dorfe mit ihrem

auf

Glück im Strudel der grossstädtischen Verwelchen sie der heisse Drang, den in ihr schlummern-

dieses

gnügungen, in

den Ueberschuss von Kraft

zu bethätigen,

ihr Gefühl

nicht

vom

Leben leiten zu lassen, sondern vielmehr das Leben durch ihr Gefühl

zu leiten, hereingerissen, verscherzte und zu

nüsse des

Lebens selbst

erst

dann gelangte,

Lebens durchgekostet hatte.

des

dem wahren Ge-

als sie die

ganze Thorheit

Dieser Erzählung liegt eine Ver-

wechselung des Spruches: ein uns, nicht ausser uns liegt das Glück mit in

dem Grundsatze, wonach der Mensch nur auf dem Lande, nicht

der Stadt sich zur Erfüllung seines Berufes emporringen kann,

zu Grunde.

Es wird schlechterdings von der Oberfläche auf

Tiefe geschlossen; der sation

die

Schein wird mit dem Sein, die Talmi-Civili-

mit der echten, unverfälschten Civilisation für eins erklärt.

die

Noch hätten wir an dieser Erzählung auszusetzen, dass sie Verlobung von Mascha und ihrem Vormunde Sergei Michailitsch

-

dies die

Helden des Romans

kommen



auf eine ganz

eigenthümliche

Mascha wird, nachdem sich beider Herzen in einer herrlichen Sommernacht gefunden haben, ohne sich indess zu entdecken, von einem uns ganz seltsam anmuthenden Weise zu Stande

mystischen Geiste erfüllt, mit

lässt.

welcher

sie

zu Schritten

treibt, die sich

unserem Begriffe von dem Ewig- Weiblichen durchaus nicht

Einklang bringen lassen.

Sie fasst den Entschluss,

bis

in

zu ihrem

dem sie beichten will, zu fasten und an demselben um jeden Preis Sergeis Braut zu werden. Sie versetzt sich durch Geburtstage, an

ihr

frommes, gottestürchtiges, demüthiges Thun in einen jener glück-

seligen

Träume, wo man gewissermassen einen hellen Blick

in die

Vergangenheit und Zukunft zu werfen vermag, ja sogar zu wissen glaubt,

w

i

e etwas geschehen wird.

stande bekennt sie

dem

In diesem hellseherischen Zu-

sie anlässlich ihres

Geburtsfestes beglück,

wünschenden Geliebten, den sein biederer Charakter und sein feiner Tact von einer offenen

Annäherung an das

kindliche, weltfremde

Mündel abhält, ihre stürmische Liebe, die nur in der ewigen Vereinigung mit ihm ihre Befriedigung finden werde.

Dr.

Haltiich« Nonatn«rhrift.

IM. XXXVI. 11*1»

3,

Beruhard Münz.

18

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4

256

Notizen.

Die ImmobilienHteuer

in

Riga und

Sodoffsky,

die

oand.

Gcbäudesteuer

Gustav

Oenterreich von

in

Riga

merc.

rer.

1888.

Verlag

von Ale

xander Stieda.

Die kleine Schrift zieht eine Parallele zwischen den genannten Steuern,

welche,

ausgehend,

sichtspunkten

wenn wir

von

obgleich

mit

viel

beiden

sehr verschiedenen Ge-

Wir

gemein haben.

einander

im vorliegenden Falle mit einer Diplomandeuarbeit eines Jüngers Mercurs zu thun, die, weil diehaben

es,

nicht irren,

selbe sowol durch Fleiss sich auszeichnet, als auch der behandelte

allgemeineres

Stoff

empfohlen worden

Interesse

Der

ist.

beansprucht,

Zusammenstellung

schätzenswerthe

von

schichte der Immobiliensteuer in Riga

liegenden Jahre.

der Immobiliensteuer

in Oesterreich,

Er

Weise.

sehr generell abgefasst

Zahlenmaterial

für

zur

Ge-

die einzelnen zwischen ein

kriti-

Riga mit der (iebäude-

in

Verfasser

der

löst

in

recht

interessanter

dessen lmmobilienschätzungsinstructionen

Riga,

stellt

Veröffentlichung

Seine Hauptaufgabe,

1866 und 1837 scher Vergleich steuer

zur

erste Abschnitt der Schrift bringt eiue

die

seien,

Österreichischen Gebaudesteuer-

und die dem Ermessen der Beamten nur wenig Spielraum übrig lassen, als

vorschriften, welche durchaus casuistisch abgefasst sind freien

Vorbild hin. Allen denjenigen, welche für Steuerwesen Interesse haben,

das

Schi iftcheu

verhältnisse



,

über

das

die

österreichischen

wenigstens über die wesentlichsten

sei

Gebäudesteuer-

Momente



in

der That gut zu iuformiren vermag, bestens empfohlen.

Zu berichtigen: Auf

S.

121 Z. 4

v.

o.

ist

zu leaen

21 pOt. (vom Hauerland

in

Estland

verkauft) statt 2 pCt.

Auf

S.

H«>rans?;eWr

:

12b'

R.

berühmter» Entwurf

statt

Weis h



berührter.

Verantwortlicher Redacteur

Jlo3ROjeiio neusypo».



Pcbcjii,,

1-ro

Andruckt hni Mndfors' Erbf>n

H.

AnptJH 1889

Holländer.

i.

in Rnval.

Digitized

Cj^^lt'

Aus

Alt

Rigas Bürgerthum.

(1384-1579.) Eine ans den Erbebüchern geschöpfte Studie von cand. bist Ernst Seraphim.

Svh

Jahrhunderten zahlt fortwandttad der Geist der Geschichte

Sicher

gelangt

an?

er

Ziel

,

doch

.

Geschlechter

die

vergehn.»

ehr denn der

wendet

je



in

vom Fach

Historiker

Bemerkens werthes

sich

auch

sondern

unseren Tagen nicht nur



unser

wäre auch nichts gesammtes gebildetes

das

Publicum der Erforschung der vergangenen Zeiten unserer Heimat deren Geschichte eben erst

zu,

worden

dargestellt

in

Als

ist.

meisterhafter Weise vou Schiemann

dauerndes

ein

deutschen Fleisses und historischer Akribie frist

Werk

ist

Denkmal ein vor

anzusehen, das den Titel führt

baltisch-

etwa Jahres-

«Die ErbeHerausgegeben von der Gefür Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen

erschienenes

:

bncher der Stadt Riga 1384—1579. sellschaft

Russlands.

Riga, Kymmelsche 500 Seiten starken Band

Bearbeitet von J. G. L. Napiersky.

Buchhandlung 1888».

Wer

den

über

aufschlägt, findet ausser einer gediegenen rechtsgeschichtlichen Ein-

nur kurze erst lateinische, später niederdeutsche Augaben Kauf uud Verkauf, Tausch und Verpfändung, Erbschaft und Erbtheilung, kurzum über vermögensrechtliche Handlungen, wie sie

leitung

über

vor

fünf Jahrhunderten

pflegten,

wie heutzutage

unsere Bürger in

eben so

zu

beschäftigen

unserem materiellen Jahrhundert.

Die

vorgedruckten Zahlen lassen uns erkennen, dass die Bestimmungen sich

auf einen Zeitraum von

tUKw-b« MmtMekrift.

tid.

xvxvi.

fast lieft

4

zwei Jahrhunderten erstrecken, Iii

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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.

258

nämlich vom Ende des 14. Säculums

bis

fast

zwei Menschenalter



Wie viele schon dem Durchbruch der Lehre Luthers. mögen das Buch kopfschüttelnd bei Seite gelegt haben mit dem Bemerken, es sei wieder ein Beweis mehr für den unfruchtbaren nach

deutschen Fleiss, der alte Pergamente zu durchstöbern

liebe,

aus

denen für das wirkliche Leben, seine Bereicherung und Veränderung

trost

dem Moder

ziehe, was man gemögen wol mit Faust

und der an das Licht

nichts zu gewinnen sei,

überlassen könne.

Diese

fragen

«Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?» der scheinbar dürre, unfruchtbare Doch dem ist nicht so Boden, auf dem das Ackern unlohnende Arbeit scheint, zeitigt bei richtiger Behandlung doch Frucht, die dem Arbeiter nicht nur, sondern auch denen zu gute kommt, die über, grossen Haupt- und Staatsactionen Herz und Sinn für die Leiden und Freuden, die kleinen Sorgen und Mühen unserer Väter und Altvordern nicht :

haben

verloren

mehr



sein, als sie

diesen

Sinne als Wagner, können

geben

:

werden jene Namen

allen

zu sein scheinen und, wenn auch sie getrost

in

und Zahlen einem edleren

den Fragenden zur Antwort

.

t

Verzeiht! es

ist

ein gross Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen!»

Der Verfasser

will

es

nun

versuchen,

an der Hand jener

Edition die Freunde der ruhmvollen Vergangenheit der alten trutzi-

gen Hansastadt an der Düna

hineinzuführen in das Treiben und Leben derselben vom Ausgange des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 16. Eine reiche Fülle von Anregung bietet dem Keuner unserer

Heimatgeschichte die Menge der Namen, die

in bunter Reihe an uns Frage soll aus denselben hier der Lösung näher gebracht werden und zwar: Aus welchen Elementen setzte sich eigentlich die Bevölkerung Rigas 1384—1579 zusammen, welche

vorüberziehen.

Eine

Nationen haben ihre überschüssigen Kräfte unserem Boden zur culturellen Arbeit abgetreten

und

welche Geschicke

haben

ihrer

hier

gewartet ? I.

Bekannt

ist,

dass eine grosse Zahl

unserer indigenen Adels-

Ursprung nachweisbar aus Westfalen, ein anderer Theil aus den eigentlich rheinischen Gegenden ableitet, ja dass familien

ihren

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259

Aus Alt-Rigas Bürgerthum. Thatsache sogar

diese

in

einer

äusserst gegensätzlichen Stellung

Gruppen zu einander, insbesondere innerhalb des Ordens, ihren Ausdruck fand. Aber auch das streitbare Bürgerthum Rigas zog seiue besten Kräfte aus denselben Gegenden, und denselben Städten, die in der Geschichte der Entwicklung bürgerlicher Freiheit einen so trefflichen Klang haben, begegnen wir in den Namen von Rigas Bürgern. Nicht weniger denn fünfzig Ortsnamen West, faleus, neunundvierzig Hannovers lassen sich constatiren, denen die in Summa dürfte rheinischen Gegenden mit etwa dreissig folgen beider

;

Zahl der Familien, deren Ursprungsort nachweisbar

die

zwei-

ist,

Welchen Einfluss mussten solch neue Elemente in der zweiten Heimat erringen denn in ihnen allen, in diesen Rheinländern und Westfälingern und nicht minder in denjenigen, die in hartem Kampf auf slavischer Scholle, in Pommern, Preussen, Mecklenburg deutsches Bürgerthum zu Ehren gebracht, die Wälder gelichtet, die Aecker gerodet und die Strassen gebahnt, einhalbhundert übersteigen.

!

in

ihnen allen

ein

lebte



energischer Geist, der nach

urkräftiger,

In dem gesegneten Rheingau, von

neuer Bethätigung sich sehnte.

Worms nach Norden, wo heute zu beiden

des Stroms

Seiten

die

Essen der Fabrikstädte rauchend, menschliche Arbeit und menschlichen

Erfindungsgeist

Speier

und

Worms

bezeugen,

stand die

wuchs ein Geschlecht

hier

auf, das treu

und doch nach Entwickelung

Köln. Dortmund,

in Soest,

Wiege deutschen Bürgerthums, und

zäh

am

Alten

strebend, Anhänglichkeit

hier

haltend

an Kaiser

Widerwehr gegen landesfürstliche Prätensionen zu verbinden verstand. Lag doch namentlich in dem «heiligen» Köln seit den Tagen Konrad von Hochstadens (1248), der den Grundstein gelegt hat zu Deutschlands herrlichstem Dom, die Bürgerschaft mit dem geistlichen Oberherrn in steter Fehde, während sie bereit war für den Kaiser grosse Opfer zu bringen. AVer wüsste es nicht, dass das Bürgerthum seit den Tagen Heinrichs IV. eine Macht geworden, mit der zu rechnen war Wormser waren es gewesen, die zuerst für Heinrich eingetreten, Köln erhob, als sein tragisches Leben sich dem Ende zuneigte, für ihn die Fahne, Speier ist mit seinem Ausgange unlösbar verknüpft. In der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit war dann zum Schutz der Wege und und Reich wol mit der

;

des

Handels

gewaltige

nm

viele

gegen

die Uebergriife

der

Ritter

und Fürsten

der

Bund der Hanse entstanden, der sein einigendes Band Gemeinwesen von der holländischen See hinauf bis zur

Narowa schlang.

Nicht gering 4st

die Zahl

derjenigen,

die

aus

Hl*

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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.

260

diesen rheinischen Gebieten in die Ferne ziehend, in den «Lieflanden»

Heimat fanden uud an ihrem Theil dazu mithalfen, deutsche und Arbeit zu Ehren zu bringen. 1887 lässt urkundlich ein aus dem Aachenschen, aus Grefenberg, Einge-

eine neue

Bürgertüchtigkeit sich

wanderter nachweisen, 1388 erscheinen Duisburger, 1393 treten aus

Köln stammende Bürger vor es heisst

von denen

die Gerichte Rigas: Leute,

Colonia, Kolne finden

de Köllen,

:

sich mehrfach

noch

;

1526 heisst einer Heinrick van Köllen, zwischen 1355 und 1372 ein anderer Franz Kolner, ja noch ein Jahrhundert später ersehen wir

aus

einer

W.

von

rigaer Goldschmiede

Stieda kürzlich

veröffentlichten Liste

der

Das folgende Jahr-

einen Franz von Köln.

hundert lässt die Einwanderung aus den Rheinlanden grösser werden:

Dornik,

Kalkar,

Welling,

Boeckhold,

Scheven,

Kenten,

Trier,

Angermünd, Lennep, Kamphausen, Kleve u. a. m. begegnen uns in rigaschen Bürgernamen, denen das 16. Jahrhundert neue zugesellt wie Stoppenberg, Ringenberg, Strahlen, Bellinghausen

wo die kölner Erzbischöfe Hof hielten, wanderten in

in

aus Bonn,

;

dem kastanienbeschattenen

der zweiten Hälfte

des

16.

Schloss

Seculums

Berendt und Moritz von Bonnen nach Nordosten, während aus Goch der Heimat des gelehrten Vorläufers der Reformatoren Johann Pupper von Goch, Dirick und Jost von Goch entstammten ,

die Betheiligung

von

Worms

lässt sich nicht

was wir von

diesen

haben ihren Herd

ganz sicher eruiren,

Nicht gerade viel

wahrscheinlich deuten Spuren auf 1404.

Männern und deren Familien erfahren

am

gastlichen Ufer

Düna

der

oder weniger hat ihnen das Glück gelächelt

:

;

ist es,

sie alle

mehr

errichtet,

mancher

Name

ver-

schwindet schon nach kurzer Zeit, weist nur spärliche Glieder auf, mancher erscheint schon in der Blüthe des Einflusses, mit dem Prädicat «dominus, her»,

was

die Angehörigkeit

zum

städtischen

Patriciat und somit eine verdienstvolle Vergangenheit voraussetzt 1

Worin

diese Verdienste bestanden, ob sie in tapferem

die stets lauernden Feinde, den

ob

sie

in

Orden oder

ehrenvoller Friedensarbeit

zu

Kampf

.

gegen

die Prälaten, erworben,

der

Commune Wohl

er-

rungen, davon freilich meldet uns nicht Sage noch Lied, sind doch,

um

mit dem Dichter zu sprechen Auch die Kränze des Ruhms nur Gunst und Gnade der Götter, Die sie dem Glücklichen nur unter den Würdigen lei'hn». «

1

Ein eigentliches Patriciat hat Riga nie gehabt

wird nur Kathsgliedern, Geistlichen und Rittern beigelegt.

Das

Priidieat dominus

D. Red.

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Gqggle

Aus Alt-Rigas Bürgerthum. Nach den Gegenden

der Mosel

jensei ts

261 uns Stephan

führt

Lützelburg (1547), auf die Grafschaft Flandern weisen Lembcke, Seveneeken, Stenhuys und Sluis, auf Brabant Zevenbergen, Ryssen,

Ryp und Grave, während Buren und Eiden Ufer des Niederrheins

wandernd

ist

in

Gelderland liegen

;

auf dem

aus

nördlichen

dem Uferland

ein-

Johann Hol laut 1395 Bürger der nordischen Hanse-

stadt geworden.

Aus dem bischöflichen Gebiet von Münster, das im Süden seine in dem Lauf der Lippe hatte, im Norden bis zum Sudfuss

Grenze

Dorsten

,

Essen

,

Koesfeld,

der Grafschaft Mark, die

und aus

des Teutoburger hinaufreichte,

Ruhr

sich zu beiden Seiten der mittleren

stammen

ausbreitete,

Lüdinghausen,

Middendorf,

die

Münster,

Staden, Tecklenburg, Uhlenbrock, Uhlentrop, Uphoven, Warndorp,

Westerrodde,

Bochum

,

Borken

,

Brekenfeld

,

Dahle

Dortmund,

,

Drechen, Eppenhausen, Ergest, Helden, Iserlohn, Kamen, Mecklinghausen, Overberg, Sandbochum, Sauerland, Scharfenberg,

Speding-

hausen, Thülen, Unna, Wattenscheid, Witten, Wittgenstein.

Anderer

Geschlechter Wiege

stand in

dem

eigentlichen

Herzogthum West-

falen, das seit der Stauferzeit einen Theil der Herrschaft des kölner

Erzbischofs

heutigen

bildete.

Von

hier



etwa dem östlichen Theil



Regierungsbezirks Arnsberg

siedelten

die

Blankenstein, Büninghausen, Soest, Thülen, Westfal u.

a.

des

Arnsberg, m. in die

nordische neue Heimat über, während auf die nord-östlichen Lande heutigen Provinz Westfalen, von der Lippequelle über den die damaligen Osuiug hinüber bis jenseits der Porta Westfalica Familien ihren Ursprung zurückBisthümer Paderborn, Minden

der





konnten, wie die Borgentreich, Bredebeke, Deppenbrock, Korvey, Minden, Altenbergen, Wewer, zu denen noch die Brock-

führen

husen und Lünen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu zählen

Fünfundzwanzig Glieder dieser Familen etwa sind in dem Zeitraum von 200 Jahren Rathmannen der Stadt Riga gewesen.

sind.

Die

Amsbergh,

deren 138(5 angeführter Vertreter, dominus Goswinus, schon patricischen Charakter hat, sind in Riga in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder erloschen, andere Zugewanderte, so das Geschlecht, das seinen Namen nach der alteu

Stadt der rothen Erde,

Dortmund,

1385 schon Johann van Dorpmunder,

trug und als dessen Haupt

ein

Rathmaun

des wohledlen

Raths der Stadt Riga, urkundet, blühte noch zu Ausgang des 16. Jahrhunderts: 1567 wird bemerkt, dass Berendt von Dortmunde, «der

ersame

und

wolweisse

her» als

Vormund vor Gericht

.

er-

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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.

262

Haus

schienen sei; dass sein

«in der kopstraten belegen» erfahren

wir aus einer anderen Eintragung

Erbebücher.

in die

zu Hause,

schlecht

Rath

aus

erscheint, in

dem

Hermannus Zost

dessen Mitte

assumpcionis Marie

crastino

gloriose (Aug.

virginis

ein Glied der Familie, der

Zu

weit würde

genauer

führen,

es

Erwähnung

1386

in

dem

16) vor

1357 schon ab-

geschiedene Rutgerus Soest, Sitz und Stimme gehabt hatte. bereits fällt die letzte urkundliche

Soest,

In

war das Ge-

der Entstehungsstätte eines der ältesten Stadtrechte,

Auf 1409



dieser Familie.

auf die Schicksale der zahl-

Namen

reichen Persönlichkeiten einzugehen, deren

das Erbe-

uns

buch nennt, nur zwei Städte mögen noch kurz Erwähnung finden:

Münster ist,

kann

Rigas,

und

Minden;

was von

die aus erster*

r

stammten,

Stadt

nachweisbar, von da ab jedoch bis

ihren

Auswanderern gesagt Bürger

als Beispiel für viele andere Geschlechter dienen.

sind

lässt sich das

zum Schluss der Erbebücher

1455

erst

freilich

Haus

1574

bis

verfolgen: 1469 veräussert

i.

e.

cHans

Munsters zeliger gedechtnisse sine nalatenn hussfrouwe» das Haus ihres

Mannes

apostoli»

(2.

ein der santstraten

Dec.)

erhält

»

.



1513 «vridags nach Andree

Hans Munster,

des

vielleicht

vorigen

Sohn, aufgelassen ceyn hus in der sunderstraten, mit eynem hoys-

und

dage»,

1514 «ver schunen achter dem wrackhowe.

avendes naiivitatis Marie*

Vorname

erbte sich doch der fort



erwirbt 1567

bussengeter»

i.

von ceynen

garden

e.

c



der «wewerstraten».

fast

Gesehen

desseu Sohn

immer auf den

Schon

1522

Kanonengiesser,

tritt

eiu Jost

vor Gericht,

im cruczegang> «frigedages 1531

ist

Wittwe Margarethe veräussert



Sohn Haus in

ältesten

freitags vor Luciae» (19. Dec.) ein

(Nov. 28) eintragen zu lassen. seine

Wol wieder

(7. Sept.).

Munster ede

um den Erwerb nah

Katharine»

der Bussengeter gestorben,

ihres

Gemahls Haus iu der Für ihre

Sandstrasse, im folgenden Jahr heirathet sie von neuem.

Kinder hatte Lambert Starcke die Vormundschaft geführt, sein Sohn Haus Stercken war dabei mit der Wittwe bekannt geworden und hatte sie heimgeführt. Dieses Stück Menschenleben aus längst t Lambert verklungenen Tagen meldet uns das Erbebuch etwa so Starcke, vulmechtich seligen Jost von Munsters nahgelathen, hat vor eynem erbaren rade in dersulvigen vulmacht upgelaten Hans Stercken Lamberts zon, der gedachten frave Margarethen itzigen :

elicken

gange

manne eyn hus Noch

Hans Starcken

.

dosulvigest

dartho eynen garden im crutzein dersulvigen

upgedragen

vulmacht dem gemelten

und gegeven

allen

der

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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.

2(53

nah erem dode erflik und proper und tho gebrukende ane jeniges inredent.> 1574 das Geschlecht in den Rath gekommen, da Johan von Munster

gedachten fraven nahlat tho besittende ist

als der tehrwirdige edle und ehrnveste

Am

bedeutendsten von

her» bezeichnet

diesen Westfälingern



wird'.

sind wol

die

Min-

dener:

Johannes de Minda erwirbt «in vigilia Symonis et Jude» anno 1385 ein Haus in der

kirchliche

wo Roswitha

ihre

schrieb und die sächsischen Fürsten töchter als Aebtissinnen walteten,

aus dem Braunsen weigischen, aus Eimbeck,

wo

das edle Gersten-

gebräu sprudelte, aus Hannover, Göttingen, Borsum, Gelle, Verden a. d.

Aller und vielen anderen Ortschaften, Städten uud Burgflecken

zogen

sie

Leben mit

aus mit Weib und Kind, oder auch allein



sich brachte

bis

— wie

aus Lübecks Hafen

sie

es das

das hoch-

bordige Meerschiff an den gastlichen Strand der Lieflande hinüberführte.

Zu

diesen Familien, deren ursprüngliche

Provinz Hannover war,

Heimat

noch die Anderten,

sind

die heutige

Barbis,

Börse,

Brunstein, Berkhof, Beverbeck, Bullenhausen, Dreilingen, die Estorp,

Eschede, Emmern, Garze und Gladbeck, Heidorn, Kampe, Laudesbergen, Meinershagen, die Ochte, Over, Portenhagen, Raven, Rethen,

Reinhausen, Schardingen, Scheden, Schouingen, Schwinde, Wylsche,

Wittingen und Woltersburg

zu

Bei

rechnen.

denen Antonius 1524 als Rathsherr verzeichnet

Abstammung aus

Bremen

behaupten, während seiner Stieftochter

der Kürschnermeister Dirik Bremer zweiter

Haus Bremer

Herkunft angeben.

Lüneburg

(+ vor 1525),

(1577) schon

Jenseits der

Hier sowol wie

in

fassend,

mit

wenn auch nicht bestimmt Mann, Hans Bremer, ferner durch

sowie

ihren

Weser erstrecken

die weiten Haidekrautflächen der

an die Elbe. in



von

lässt sich die

ist,

auf Familientradition

grösster Wahrscheinlichkeit annehmen,

ein

den «Tiling»,

endlich

Namen

ihre

sich bis über

Lüneburger Haide bis

den Laudeu ostwärts der Elbe,

den fruchtbaren Niederungen Holsteins, dem seenreichen, bucheuauf eine Anzahl menschlicher

belaubten Mecklenburg stossen wir

Wohnstätten,

deren Bezeichungeu

am Dünaufer

sich

unverändert

wiederfinden.

So erscheint 1404 Johannes Luuenborghe, so erinnern an das Kehdinger Land an der linkeu Elbmündung Heinrich und Konrad Kehdiug (ca. 1400). Schon 1385 urkundet Wulfhardus de Stadis, ein hoch angesehener Rathmann Rigas, mit stattlichem Grundbesitz innerhalb der städtischen Mauern, stirbt er vor 1410.

Einer seiner

Söhne hat sich dem gelehrten Stande gewidmet: mayister Johannes heisst es 1411 von ihm; Tidekinus, wol der älteste Sohn, erbt den

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Aus

während

väterlichen Besitz,

265

Alt- Rigas Bürgerthum.

Jacobus de Stadis,

ein dritter Stadenser,

wiedernm als Gelehrter, dominus presbyter Rigensis, auch mit

Gut

schem

Stade als Besitzer



erwähnt.

Auf

urkundlich

der Schaalstrasse

in

tiberel bischen

Gegenden

Namen wie

weisen

Gudow, Holste, Holstein, Holsten, Hamburg, Hagenow,

Grossenberg,

Beck,

Hauses

eines die

irdi-

Noch 1514 wird Johann vam

reich gesegnet, auftritt.

Segeberg, Lübeck, Mecklenburg, Gadebusch, Wittenberge,

Ripen,

Lenzen,

Rostock

und

Krakow, Säbel, Spornitz und

Süderau,

Warnow

denen

Kothendorf,

sich

anreihen, während noch 14

Angaben mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf MecklenWeiter nach Süden lag die Heimat der BischofAken, Burg, Halle, Kremkau, Salzwedel, Salza, Suhl und

andere locale

burg hinweisen. rode,

üeber

Nordhausen,

Angaben

die Familie

des Erbebuches

1386

:

wir

entnehmen

der Holste

folgendes

Holste der Nachweis dieses Geschlechts, dessen Angehöriger (f

1390) «her»,

raanu,

*

dominus*, also Rathmann

Johannes, gegen Ende des

Nicolaus (1494), von

Wege: der

Ahn, Raths-

sein

Dessen Stiefsöhne betreten verschiedene

ältere, Nicolaus,

güterter Magister

Tymrao

folgen Tyde-

Jahrhunderts Hartwich und

denen letzterer 1501, wie

und Kämmerer wird.

herr

15.

Es

ist.

den

mit Nicolaus

beginnt

gleich

noch 1536,

dem Vater,

der zweite

lebt

als

wohlbe-

wohlnährende

das

hat

Geschäft der Brauerei erwählt: «de Hoppenbruwer» nennt ihn das

Die verwandtschaftlichen

Erbebuch. bis

nicht

Jahre darauf bricht

dem

sich

dass

wir

Jahrhunderte zu verfolgen, bis 1576

unsere Quelle



ab.

Hamburg und Lübeck im

1543

freilich

Lübeck

gleichfalls

nur anno 1398,

:

— drei

Eigentümlich berührt

Verhältnis

deutung nur sehr spärlich vertreten finden 1472,

zu

lassen

mehr genauer bestimmen, immerhin vermögen wir das Ge-

schlecht so durch zwei

es,

Beziehungen

1576 mehrfach Urkundenden Hans Holste

zu ihrer Be-

Hamburg nur

einmal,

wo Johannes van Lubeke,

.



welche unter der Stadt Rostock



wird.

Zufall

wie

Nur

uns die Heimat

aus

a

Richtigkeit

1 1

e

i

aufgeführt

durch einen

verrathenden Angaben,

der

n wir nahe

nur

diesen

einzelner Bürger

wenig der absoluten

nach deD Namen

uthgangen>

ingesegel

allzu deutlich erhellt

Bevölkerungsstatistik

kommen können.

Diese

bieteu uns eben nur einen Anhalt zu wenigstens

relativ

Schlüsseu auf die Herkunft der Bürger Rigas,

namentlich für die

Wende

zum

währeud später Städtenamen nur noch erscheinen, wenn Familiennamen geworden sind. des

14.

Aus den

15.

Jahrhundert,

ein sie

sicheren

Jahrhundert

festen

zu

Gebieten, die ursprünglich slavisch gewesen

und mit

hartem Ringen der germanischen Cultur gewonnen wurden, aus den

Pommern uud Preussen ist der Strom der Einwanderung verhältnismässig gering gewesen. In erster Reihe steht noch Pommern, wohin in Summa fünfzehn Namen führen auf den Ostseeländer!], wie

:

heutigen

Regierungsbezirk

Kösliu

entfallen

die

Bursin,

Gribor,

Grüssow, Gustkow, Küssow, Schlochow und Steglin, auf Stralsund

:

Greifswalde, Hiddense, Kiesow, Schaprode, Zinkendorf und Wolgast,

auf Stettin

sicher

nur zwei

:

Steven, Treptow, mit welch letzterer

Stadt zu Beginn der Reformation Rigas lernende Jugend in reger

Beziehung stand.

Der Name Rüge entstammt wol der

Insel

Rügen,

Benennungen: Korner, Scharpau.Trampenau.Kammiu, Dammerau, Heilsberg, Soldau und Sperling entstammen dagegen Ost- und West-

die

Angaben entfallen: 1530 Hans Meier, borger Memel und Matthis Fredeland wanhaftig tho Zintheu in Prusen. — Den bis hierher untersuchten Gebieten stehen die übrigen deutschen Länder erheblich nach, nur sehr spärlich sind die Namen, preussen, wohin noch die

tho

der

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Aus Alt-Rigas ßürgerthum. die

in Mittel-

sich

267

und Süddeutschland, Oesterreich

und

anderen

Ländern nachweisen lassen, so Dillenberch (wol bürg) im Nassauschen,

Kynast und ßreslowe

in Schlesien

und 1437

her Johann Saxe.

:

Von

den grossen Handelscentren Süddeutschlands tritt nur Nürnberg in den Vordergrund

Dünastadt er

143? erhalten wir Kunde von Tonies Norenberg

:

Nachkomme Hans

1510 spielt sein

in der Reichstrasse,

:

;

der alten

eine grosse Rolle in

wie in der Sünderstrasse

1

besitzt

Häuser, 15*22 erwirbt er dazu einen Garten, der noch 1541 in seiner

Hand

Im

ist.

selben Jahr

Haus, das

sein

in Stefan

er wol auch gestorben

ist

seinem Garten veräussert; mehrfach

und auch nach

richt,

zu

schliessen,

den

gehört

tritt er als

wird sein

Bürgern

und Heinrich Boier

für

iu

der

ersten Hälfte

Bezeichnungen Tideke nachweisbar sind für

Sonst

Kempten, Offenberg, Speier, Tressau und Wildenberg; Wieden, für Würtemberg: Altensteig, Braunschweig

Baden:

:

Gandersheim und Gerenrade.



Eine

zweite Gruppe

wanderten umfasst die skandinavischen Völker. wie

mit be-

1570, Petrus Osteriker 1407

ca.

and Johann Osteriker notarius 1409.

Baiern:

stets

Auf Süddeutschland weisen

haben.

ferner Oetting (1503), sowie die allgemeinen

Beger 1476

Vormund vor Ge-

Name

Er muss, nach dem Erbebuch zu

angesehensten

Jahrhunderts

des 16.

seinem Tode

Achtung genannt.

sonderer

1547 wird

;

Lützelburgs Besitz übergegangen, sammt

aus dem

eben

edirten

Wittschopbuch

der Einge-

Während

für Reval

hervorgeht, zahlreiche

zwischen Dänemark, Schweden Gotland und Reval andererseits bestanden, ist die skandinavische Einwanderung nach Riga eine überaus spärliche, denn sie umfasst Familienverkntipfungen

,

einerseits

Namen Gotland, Kalmar, Kopenhagen, Schweden und Die Insel Gotland, über welche hinaussegelnd die Kauf-

nur die fünf

Wiborg.

Düna angesegelt, eine Zeit lang durch den Transithaudel dem Osten zu gewaltiger Macht und hohem Glanz emporge-

fahrer die

mit

hatte diese Blütlie in der Zeit, in die uns die Erbebücher

stiegen,

führen, freilich schon längst hinter sich,

Wisby mit

seine Schätze an

1

Trotzdem hat

waren

sich die

Erinnerung an die Abstammung von

Die rikestrate und suuderstrate

rikeatrate

wurde

beide

und

Walderaar Atterdag IV., den verschlageien Dänenmüssen das Eiland war schon eine halbtodte



könig abtreten Stätte.

das thürmereiche goldene

seiner trutzvollen Bevölkerung hatte seine Freiheit

in

späterer Zeit

sind nicht

verschiedene Strassen.

suuderstrate genannt,

Benennungen neben einander

üblich.

längere Zeit

Vgl. Runge,

Die

hindurch

Riga, S. 69. D.

Red.

Aus Alt-Rigas

268

Bttrgertlium.

derselben noch bis gegen Ende des 15. Seculums wol erhaltet)

veräussert Johannes de Gotlandia ein Haus, 1404 urkundet

de Gotlandia, 1434 Peter Gotlande, 1471 Merten Gotlande erscheint der

Name

der skandinavischen Union ein Geschlecht

als

— später

Aus Kalmar, dem Geburtsorte

gegen Ende des

zog

14. Jahrhunderts,

dem schon 1385 Johannes de dominus und Rat man Rigas auttritt. Kopen-

nach Livlaud,

Kalmern (Calmaria)



nicht mehr.

1387

:

Werner

aus

hagen wird 1390 durch Arnoldus Copenhaven repräsentirt, wol

ein

Sohn des 1385 schon verstorbenen Hermannus. Auf skandinavische Herkunft weist endlich die Familie Wiborch (Wyborges) die zwischen 1500—1577 in acht männlichen Repräsentanten vorkommt. Grösser schon sind die Beziehungen zu Russland, das damals noch



Moskaus Fahnen geeint, wesentlich eine commercielle namentlich seit dem verschärften wenn es auch an Hineinziehung Gegensatz zwischen Orden und Erzbischof von Nowgorod und Pleskau in die innere Politik nicht fehlen mochte. Schon die topographischen Notizen, die uns überkommen,

nicht unter

Bedeutung



hatte,



beweisen die nicht geringe Zahl Russen, die freilich fast durchgängig arme Kleinhändler waren und in einem gesonderten StadtSchon 1394 wird theil, der heutigen Moskauer Vorstadt, lebten.»

de Russche Kerkhof oder das Cymiterium Ruthenorum, 1447 de Russche covent oder de caveut in der Russenstrate, 1453 auch die Russche kerke erwähnt; nicht weniger als 38 Mal kommt die Be-

zeichnung €p1atea Rutenorum, de Russche strate» vor, 1467 heisst es ()

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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.

274 t

Grothus, der sadelmaker\

Holstein, Kamphussen,

(der durchleuchtige fürste

und

her,

her Gothardt Ketler,

Ketler herthog

Lydiugkhusen, Mhedem (Christof vou Mhedem, Me ydel, Moltke (her Johann Moltke Moltke 1504—5), Nolde, Offenberg, Samsson,

in Curlandt),

Churischer Mannricltter),

und Peter

W

i 1

k



e n.

Namen

Alle diese

tauchen meist nur

zweimal auf; öfters begegnen uns noch die

Rosen

höchstens

ein,

und

Oe 1 1

i n g Letztere erscheinen in den drei Gliedern

(Oetken, Otting, Oting).

Hermann; Peter Otken hat 1529 nebst Heuschlag «gelegen achter S. Jürgens howe aver der Dune», ferner einen «garden yn dem crutzegange» und endlich «twe schunen>. Der Besitz wechselt dann in der Folgezeit sehr häufig: bald lässt Peter ein Haus einem anderen auf, bald geschieht ihm dasselbe 1569 wird Jasper Meier als Vormund seiner Kinder genannt. Everdt Oetting 1548—77 und Hermen 1573 Peter, Everdt,

Haus und Hof

:

sind offenbar seine Söhne, deren Schicksale

zu verfolgen

das Ab-

brechen der Erbebücher leider verhindert.

Jedoch nicht nur der Abkunft einzelner Familien

und

Be-

ziehungen zwischen Adel und Bürgerschaft nachzugehen, ermöglichen

auch manche andere, noch heute in unseren Landen blühende bürgerliche Familie stösst beim Durchblättern der Erbebücher auf Altvorderen, von denen die meist wenig sorgfältige

uns die Erbebücher,

Tradition nichts erhalten hatte; ganz sichere Schlüsse freilich sind

schwerer zu machen, als bei den adeligen Geschlechtern,

hier weit

damals

schon

weil

stammungsorte

die

oft

Beschäftigungen

gleichen

verschiedenen

Familien

und

Ab-

gleiche Namen

und Meyer schon in Immerhin kann der sollte so z. B. die 1400 vorkommenden Versuch gemacht werden B u rs i n 1400 Hintze Borsin und 1439 Arndt ßursiu der in Kurland verbreiteten Familie Bursy entsprechen, sollten nicht die gaben, so dass die Zahl der Schulze, Müller

jenen Tagen

so zahlreich

war,

wie

heute.

;

,

He

rd er

heute

(1413),

möchte

in

Hoppe

Familien

lebenden

einem Fall, bei

(1387—1534), identisch

den

sein?

Horst Eine

Hoppener,

(1455) mit noch solche

Identität

wol kaum

zweifel-

1386 sind urkundlich Conrad Hoppener, seine Gemahlin Gulteke und Schwester bezeugt auch sein Vater Bernhard haft erscheinen

:

;

Hoppener ist nachweisbar. Fast ein Jahrhundert uach ihm erwähnen unsere Quellen 1482 Jacob Hoppener, den wir noch 1526 antreffen bald darauf muss die Familie aus Riga weggezogen sein vielleicht nach Estland, wo sie heute blüht». Ich will zum ;





Di«-

Hoppenere (Hopfenhftndler) mit den estlündischen Hüppener

in

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275

Aus Alt-Rigas Burgerthum. Schlau dieser kleinen Untersuchung her setzen,

gelingt

vielleicht

oder jene Notiz

diese

Johannes

Mumme

140(5,

Margarethe Krussen

es

für

eine

Namen

die auffälligsten

hier-

auf Familientradition,

gestützt

es,

verwerthen:

einzelne Familie zu

Kruse 1391—1479, von deren einem Glied heisst «uth dem stiett Monster» (1548);

in das Erbebuch 1579 betrifft Peter Krussen Johannes Schilling de Wenden 1391, Sontag 1384 1401 (Hinricus Sundach, dominus), Vrese (Fresse) 1498 1516, German (Gehrmann) 1497 1571, Härder 1517, Hartmann 1532 76, Helmsing

die letzte

Eintragung

;



es folgen





1571, Stoffregen Ist



1527—50, Tiling 1518—62, Tonagel 1572

m.

u. a.

-

auch bei der grösseren fluctuirenden Beweglichkeit des Bürger-

thums die Zahl der Familien, die sich etwa aus den Tagen der Reformation bis in sich

unsere Zeit erhalten haben, eine recht geringe, so lässt

doch manches Band,

das

mit

uns

der Epoche

verbindet, da

Luthers Lehre in unserer Heimat Eingang tand, zurück verfolgen

Ich breche hier ab

die



nicht

etwa weil die Erheblicher Rigas

Aufschlüsse geben, im Gegentheil, je vertrauter einem

nicht weitere

um so mehr Fragen drängen sich zur Lösung Mein Zweck war jedoch nicht, erschöpfend alle Seiten

Blätter werden,

entgegen.

zu beleuchten, sondern nur

welche Belehrung jeder

nach

dem grösseren Publicum zu erweisen,

den verschiedensten Richtungen

zu holen vermag, der nur selbst

mir dieses gelungen sein, so wäre der

dazu gewillt

hin

sich

ist.

Sollte

Zweck vorstehender

kleinen

Stndie erfüllt.

Fe

l'imlung rigiwrheii

1

1

i

n

,

zu bringen,

im Februar 1889.

scheint

uns doch etwas gewagt,

Familie diene* Namens, die daselbst noch

eher

vielleicht mit einer

existirt.

I).

Ked.

20*

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Die französische Revolution.

|en 14. Juli feiert das französische

Volk

üj4|^JP'j sten Festtag mit einem Gepränge,

als seinen wichtigalle Kirchenfeste

das

der Christenheit und jede Staatsfeier in einer modernen europäischen

Monarchie weit

in

den

Schatten

Jahrestag des Bastillesturmes,

kund werdende Zeugnis Revolution

gilt.

Frankreich

stellt.

der ihm

als

das

seiner Wiedergeburt durch

Diese Wiedergeburt sieht

rung einer despotischen Monarchie,

in der

müssigen privilegirten Gesellschaft und

in

es

den

feiert

aller

Welt

eine glorreiche

der Zertrümme-

in

Vernichtung einer frivolen, der Wiederaufrichtung des

Staates auf zeitgemässen, modernen Grundlagen.

Jubiläum der Revolution, desseu Feier wir ist

erste

Das hundertjährige

in diesen

Tagen

erleben,

dazu bestimmt, noch eindringender und deutlicher mit seinen gross-

artigen Festlichkeiten vor ganz Europa den ungeheuren Fortschritt

zu documentiren, den Frankreich

seit

der Revolution gemacht

Jiat.

Die Aufforderung an alle Staaten zur Betheiligung an der pariser Weltausstellung von 1889 bedeutet aber nicht viel weniger als das Verlangen, auch das gesammte übrige Europa möge in gemein-

samer Feier der Revolution bezeugen, wie Fast

und so

alle ist

es

im wesentlichen Frankreich

Grossthaten der Revolution

Regierungen

viel

Dank

es ihr schulde.

Regierungen haben sich dieser Aufforderung versagt,

wird jeder

feiert.

billig

allein,

das heute

die

Diese Stellungnahme der alten

Denkende

in

der Consequenz der

Voraussetzungen, auf denen die gesetzliche Ordnung ihrer Staaten ruht, begründet finden.

Aber auch abgesehen von

dieser politischen

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277

Die französische Revolution.

Erwägung, darf die Frage aufgeworfen werden, ob

die grosse Re-

volution wirklich die Verherrlichung verdient, welche ihr zu Theil

ob

wird,

Rühmt man den ungeheuren

dem Ende

seit

Grossthaten vollbracht hat,

sie die

schreibt.

man

welche

ihr zu-

Fortschritt der Civilisation

des vorigen Jahrhunderts, so wird sich ja niemand

der Bedeutung der Thatsachen

verschliessen,

und

mit

welche

in

Folge der Revolution eintraten, aber man wird, sich auch die Frage vorlegen müssen, wie weit den Trägern der derzeitigen Geschichte

nach

Hat

ihren

fuhrt,

Leistungen

positiven

die

Entwicklung der Menschheit

hältnismässig erfreuliche,

wenn

und Thaten

hätte ziehen wollen.

Das

noch

so bliebe

hätte eintreten können,

den Absichten

aus

zeugung zu wecken,

V

eine ver-

zu untersuchen,

die Geschichte die

ob

die-

Consequenzen

der Revolutionsmänner von 1789

Frankreich huldigt noch heute

officielle

um auch

eigentlich nichts unterlassen,

1789

seit

einer optimistischen ßeurtheilung der Revolution in

und hat

seit

1830

den Massen die Ueber-

dass jeder Fortschritt der Gesittung auf den

War

Principien der Revolution von 1789 beruhe.

der vielen Regierungen

jede

sei.

zu Ergebnissen ge-

welche ganz andere waren, als die von jenen beabsichtigten

Nennen wir selbe

zuzumessen

Verdienst

ein

der Lauf der Ereignisse

nicht vielleicht

gewaltsam

und

doch

seit

revolutionär

1830*

empor-

gekommen. Die Gründe und Stimmungen, welche für die Politik und die Massen ausschlaggebend sind, kann aber die gebildete Welt Indessen hat auch das wissenschaft-

nicht

ohne weiteres acceptiren.

liche

Urtheil lange geschwankt, ja es

schwankt

wol

noch heute.

Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts hat im Grossen und der

Eindruck vorgeherrscht,

Ganzen

dass die französische Revolution eine

grosse befreiende That verübt habe, deren herrliche Resultate nur

Greuel

vorübergehend

durch

worden

Seitdem wurde aber

seien.

Actenmaterial zu Tage

die

gefördert,

entsetzlicher ein

Barbarei

gewaltiges

welches

von

getrübt

authentisches

erhebenden That-

sachen gar nichts, von trostlosen deprimirenden Erscheinungen daso mehr zu berichten wusste. Man begann zu ahnen, Dinge in Wirklichkeit doch ein anderes Aussehen gehabt haben mögen, als sie in den Declamationen von Theoretikern und

gegen

um

dass die

den begeisterten Schilderungen schlecht unterrichteter Zeitgenossen erschienen.

Nachdem Sybel

zuerst mit einer kritischen Geschichte

des Revolutionszeitalters hervorgetreten ville

ausführlich,

gründlich

und

von

war,

untersuchte Tocque-

wahrhaft staatsmännischen

Gesichtspunkten aus die Ursachen, deren Wirkungen

sich

in der

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278

Die französische Revolution. Seinen Bahnen folgte auch Taine, der neueste

Revolution zeigten.

Diese und andere epochemacheu-

Geschichtsschreiber der Revolution.

den Arbeiten lassen darüber keinen Zweifel, dass wir in der französischen Revolution

wol

weltgeschichtliches

ein

durch

neue Ideen in die Welt getreten, noch hat

sie

nicht

Ereignis,

Weder sind

aber eine grosse verdienstvolle That zu sehen haben.

durch ihre

sie

Thaten Frankreich aus materiellem Elend, sittlicher Versumpfung und staatlicher Zerrüttung erlöst. Sie hat diese Uebelstande auf

Wir

die Spitze getrieben.

Frankreich

durch

Wer

denken.

eine

sind gewöhnt, uns das vorrevolutionäre

weite Kluft von

sich eingehender mit den

d. J. 1789 geschieden zu Bedingungen der Revolution

und den Ereignissen von 1789 beschäftigt, staunen

Kluft

diese

sich

schliessen.

sieht

Für

die

seinem Er-

zu

Beurtheilung

einschneidendster Wichtigkeit sein. in erster

Linie eine völlige,

wesens war,



der

immer vou

Revolution wird die Betrachtung des alten Frankreich

Sie ergiebt, dass die Revolution

allseitige

Auflösung des alten Staats-

und gleichsam von selbst vollzog, und dass ihre Bedeutung nicht in der Begründung eines neuen Zustandes zu suchen ist, sondern eben in der Vollendung eines Zersetz ungsprocesses, dessen Beginn in die glänzendste Periode des die sich unaufhaltsam

französischen Königthums hinaufreicht.

aus erscheint die Revolution weit eher laufenen,

Von

diesen Gesichtspunkten

das Ende einer

als

abge-

denn als der Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung.

Es kommt

also zunächst darauf an,

das Bild

uns

des

vor-

revolutionären Frankreich zu vergegenwärtigen.

I.

Ich bringe nichts Neues

Schäden der alten Monarchie

vor.

wenn

ich

den Misbrauch

als

schwersten

die

der Amtsgewalt

im

weitesten Sinne des Wortes und die systematische Ausbeutung der

überwältigenden Mehrheit des Volkes durch die privilegirten Stände

So empfindlich das Rechtsgefühl des Einzelnen verletzt

bezeichne.

wurde, lastete

so unerträglich



Verhältnisse nicht

der Druck

auf dem

nothleidenden Volke

zu einer gewaltsamen Auflehnung gegen die bestehenden konnte

es

aber

erst

mehr im Bewusstsein des

kommen, wenn

Einzelnen

die

blieben,

Misstände

sondern

Kenntnis derselben ein Besitzthum der ganzen Nation wurde.

die

Dieses

dem nämlichen Drucke seufze, der besonderen Form, wie den Massen mitgetheilt worden.

Gefühl, dass ganz Frankreich unter ist

sie

durch die Aufklärungsliteratur in

Frankreich

heranreifte

,

in

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279

Die französische Revolution.

Wenn uun heit

Aufklärung der allgemeinen Unzufrieden-

die franzosische

Worte

und

lieh

sie

dadurch steigerte,

so

hat sie es anderer-

dass niemand an die eigene Brust schlug.

seits verschuldet,

Alle

Schuld wurde auf die anderen Stände und Berufsklassen abgewälzt.

So standen sich im

18.

Provinzialadel, Klerus,

uud Landvolk

und

sondere Privilegien

Jahrhundert Regierung und Volk, Hofadel, der

privilegirte

von

Richterstand, Bürgerthum

wieder die durch be-

dieser Kreise

innerhalb

geschiedenen Unterabtheilungen

einander

der Stände und Berufsklassen in unversöhnlicher Feindschaft gegen-

Die Exclusivität der persönlichen und Standesinteressen hatte

über.

den höchsten Grad erreicht.

gegen

Wie

alle.

Ihre

Wirkung war der Krieg

ist diese trostlose

Erscheinung zu erklären

aller ?

Man wird der machtvollen Regieruug Ludwigs X£V. seine Bewunderung niemals versagen können. Sein persönliches Regiment schenkte Frankreich ein Gut, nach dem es sich bis dahin vergeblich gesehnt hatte, den inneren Frieden, der in erstaunlich kurzer Zeit die grossen Hilfsquellen des reichen

Landes entwickelte und

einer nie geahnten wirtschaftlichen Blüthe brachte.

es zu

Seit der Mitte

Bürgerkriege mehr. Die Macht war gewaltsam gebrochen. Ein unermessl icher Fortschritt lag in der Zusammenfassung aller Kräfte für die grossen Zwecke nationaler Wohlfahrt. Der Zersplitterung in eine Unzahl von Kirchthurmsinteressen war ein Ziel gesetzt. Ueberall sehen wir die grossen Gedanken auf Seiten der Krone; des 17. Jahrhunderts

des

herrischen,

sie schützt

gab

es keine

trotzigen Adels

mit ihrer Allmacht

die

unteren Volksklassen

selbstsüchtigen Willkür der adeligen,

Aristokratien.

Klassen

hielt

Dem

geistlichen

fortgesetzten materiellen

oder

vor der

städtischen

Druck der niederen

der grössere Rechtsschutz und ein hochgeschwelltes

Nationalgefühl, das bewundernd zu der glänzenden Politik des Königs aufschaute, ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht. So hoch man nun auch das organisatorische Geschick Ludwigs XIV. und der grossen französischen Minister anschlagen mag sie alle begnügten sich mit der thatsächlichen Ausübung ihrer alles erdrückenden Macht. Es fehlte dieser Regierung alles, was ihre Macht für die Dauer verbürgte, und alles, was sie selbst vor dem Misbrauch derselben schützte. Niemals, urtheilt Sybel, hat



nämlich eine Herrschaft

bestanden,

gewaltig

und

gefürchtet wie

jene Ludwigs XIV., welche über so schwache Rechtsmittel und so spärliche Organe verfügt hätte.

der

modernen

königlichen

Nirgends waren die Competenzen

Behörden

den

rechtlich

noch

immer

Die französische Revolution. bestehenden feudalen Gewalten gegenüber wirklich abgegrenzt

anfangs

wohlthätig die königliche Allgewalt

t

hat sächlich

;

so

wirkte,

so gering waren die Rechtstitel, auf welche sie sich berufen konnte.

Der Glaube an den

göttlichen Ursprung des Königthums und die Ueberzeugung, dass Gott den Königen die schrankenlose Verfügung

über ihre Unterthanen verliehen habe,

an

treten

wohin diese Anschauungen diente

ihm zu Gebote standen

:

sieht

eines leicht,

Der Despotismus

führen mnssten.

zur Durchführung

sich

die Stelle

Man

auch für die Regierung verbindlichen Rechtes.

seiner Absichten aller Mittel,

be-

die

menschlicher Leidenschaften und Schwächen

Und er brach auch allen Dass nur ein Monarch von ganz ausserordentlich sittlicher Energie den Versuchungen widerstehen wird, welche in der schrankenlosen Ausübung einer blos thatsächlichen Gewalt liegen, als olfenbarer Gewalt.

nicht weniger,

Widerstand.

ist

selbstverständlich.

Und

erlag ihr.

So

die Geschicke Frankreichs

geiz zu drehen

Ludwig X[V. je mehr sich

Grosse.

der

Friedrich

je länger seine Regierung dauerte,

begannen,

um um

königliche Launen, königlichen Ehr-

grösser

so

wurde der Gegensatz

und dem Rechte der Krone Denn die masslose Verschwendung des zur Ausübung derselben. Hofes und die völlig unproductiven, alle Einnahmen im Voraus

zwischen der thatsächlichen Gewalt

verschlingenden Kriege führten, nachdem eine Erhöhung der Steuer-

in

mehr möglich schien, zu dem Verkauf der Staatsämter. mehr und mehr ihren staatlichen Charakter und wurden Wo die Regierung jetzt auch privates Eigenthum verwandelt.

in

heilsamer Absicht in den

last nicht

Sie verloren

letzte

sie

Gang

der Staatsmaschine eingriff, ver-

einen wohlerworbenen Besitz,

tastete Eigenthumsrechte

der Franzosen an und rechtfertigte die Opposition gegen den willkürlichen Despotismus.

Unter diesen Kämpfen

litt

das moralische

Ansehen der Krone um so mehr, als sie bald, der ewigen Reibungen müde, sich der Sorge für die allgemeine Wohlfahrt entschlug und die Dinge so gehen Hess, wie sie eben gingen. Nur ein grosser Herrscher, ausgestattet mit den Vorzügen Ludwigs XIV. und ohne dessen sittliche Mängel,

hätte Frankreich wieder

zurückführen können, dessen es sich

Regierung

erfreute.

Aber

es

kam

in

in

den Zustand

der ersten Hälfte von jenes

anders.

Die

sittliche

Verkommen-

Regenten Philipp von Orleans und Ludwigs XV. übertraf was man je an dem Hofe einer europäischen Grossmacht

heit des alles,

erlebt hatte. sie

Sie verloren die Kraft, über den Parteien thronend,

wenn auch gewaltthätig zu beherrschen.

Die ganze innere und

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281

Die französische Revolution. auswärtige Politik stellte sich in den Dienst der jeweilig

nm Hofe

dominirenden privilegirten Klassen.

Wenn

Regierung des Landes das Steuer

so in der wirklichen

Händen der Krone mehr und mehr entglitt und den feudalen Parteien zufiel, so war doch der Znstand vor Ludwig XIV. damit den

Einestheils blieben ja immerhin auch die

wieder hergestellt.

nicht

Aemter noch Organe der königlichen Verwaltung, andererwar die Entwürdigung der Privilegirten so gut gelungen, dass

verkauften seits

diese, keit

das Streben nach politischer Machtstellung und die Freudig-

Prälaten sonnten sich in der Hofgunst; bedeuteten,

tisch

alle

fast

sie poli-

ihre gesellschaftliche Stel-

alle

Das wäre

auf den Hinweis,

hier

den

Steuern

vielleicht

dass

ärmsten Klassen

noch erträglich gewesen,

Mühe genommen, das Mass der Leistungen zu umschreiben und vom Einzelnen nicht mehr zu fordern,

man

genau

mich

alle Lasten,

aufgebürdet wurden. hätte

denn je weniger

die Vorrechte der Privilegirten waren, ist be-

Ich beschränke

Arbeit,

war

desto glänzender

Welcher Art

lung.

kannt genug.

als

Adelige und

an politischer Arbeit fast gar nicht mehr kannten.

wozu

sich nur die

Thatsäehlich

er verpflichtet war.

herrschte

jedoch

der

Wille des königlichen Intendanten und der Steuereinnehmer unum-

Schutz- und rechtlos standen die

schränkt und ohne jede Controle.

Beamten und Aristokraten gegenwie das Volk das 18. Jahrhundert

niederen Klassen den habsüchtigen

Es

über.

Aenderung in

erscheint räthselhaft,

überdauern

hat

allen Staaten.

da

können,

diesen

in

Analogien

eintrat.

Im

solcher

alten Preussen,

einen privilegirten Stand,

gegen

gar

Verhältnissen

Verfassungen in

England

dessen Vorrechte

keine

finden

gab sich

sich

auch

es

der Stolz

mündig gewordenen Bürgerthums murrend auflehnte. Aber Druck ihrer feudalen Privilegien wurde erträglich gemacht

eines

der

durch der

Gegenleistungen

Armee oder

girten

in

auf dem Gebiete localer Verwaltung,

der Gentraiverwaltung,

durch Sitte und Gesetz

im alten Frankreich.

verpflichtet

in

zu denen die Privilewaren.

Nichts

davon

Die hohe Aristokratie war eine schmarotzende,

genusssüchtige, gesinnungslose Gesellschaft geworderi, die sich

Mark des Volkes nährte, den Zweck

ihres Daseins

vom

im Genuss sah

und nur der ungemessenen Erweiterung ihrer persönlichen Vortheile lebte. sie

Im

Besitz von zwei Dritteln des

weder ihre weiten Gebiete,

geudete ihre Einkünfte Hess sie sich

in

Grund und Bodens, kannte

noch deren Bevölkerung.

Paris und Versailles

nur zur Jagd sehen.

Sie

wusste

;

Sie ver-

auf ihren Gütern daher auch nichts

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282

Die französische Revolution.

von dem Elend der Landbevölkerung.

Verschwindend waren die Ausnahmen, dass ein grand-scigneur, dem sein Reichthum den Zutritt zum Hofe ermöglichte, auf seinen Gütern residirte und selbst nach dem Rechten sah. Wo das stattfand, erfreuten sich die Bauern auch erträglicherer Verhältnisse. Der König selbst sah es ungern, wenn der Adel sich nicht um seine Person schaarte, und für andauernde Abwesenheit vom Hofe gab es gar keine EntDie Minister Hessen

schuldigung.

dem König

weigern,

mehr

nicht

den Intendanten

von

sich

be-

«welche Edelleute es lieben zu Hause zu bleiben und sich

richten,

Bald

Huldigung darzubringen >.

ihre

für staudesgemäss, die

niedere Verwaltung

fortwährend

da sich die plebejischen Intendanten

zu

gilt es

leiten,

hineinmischen.

Man

Die Bewirtschaftung der Güter wird zu langweilig.

eilt

an

die offenen Tafeln der Residenz.

So wird der Adelige ein Höfling,

Der Hof

ist ein

Am

der Franzosen.

und

alles,

was

Mann

ein

des Salons.

Ort, wie geschaffen tür die geselligen Talente

Hofe

findet

Königreichs

des

die Elite

sich

Mode, Eleganz und Geschmack tonangebend

in

ist.

Herr Devardes zu Ludwig XIV., wenn man von Ihnen entfernt ist, ist man nicht nur unglücklich, sondern auch Sire,

sagte

ein

Nur

lächerlich.

bleibt in der Pro-

die arme, verbauerte Noblesse

Verbannung auf seine eigenen Güter ist die höchste Ungnade. Die Verbannung allein, erzählt der Reisende Yong, zwingt den französischen Adel zu thun, was der englische mit Vorliebe thut auf seinen Domänen zu wohnen, um sie zu verschönern. So spielt denn der Hof und die Hofgeschichte in Frankreich noch eine ganz andere Rolle, als im übrigen Europa. Der geschäftige Müssiggang vinz.

desselben

der Politesse,

das

den Memoiren jener Zeit

von dem Talleyrand die

Wonne ergriff

nicht

Volkes. sie

vor 1789

haben,

gelebt hat,

Diese Salonbildung,

gebildeten Kreise

des

vom

französischen

Denn Formen des Verkehrs, sondern durch-

Sie verdient eine gauz ausserordentliche Würdigung.

beherrschte nicht nur die

setzte

nicht

des Lebens!» alle

von dem wir

und

hat

begeisterte Schilderungen

«Wer

ausrief:

Hofe ausgehend,

kennt

so

demokratisches Jahr-

unser

hundert nicht mehr zu erreichen vermocht in

geselligen Verkehrs,

nur jene Virtuosität des

erzeugt

jenes Raffinement

thatsächlich

Gesellschaft

das ganze Leben

in allen seinen

sondere Verdienst des Taineschen contemporaine»

,

die

an

der

Aeusserungen.

Wirkungen

Werkes

«

ihr

Es

ist

theilnehmenden das ganz be-

Lcs origines de la France

dieser Salonbildung auf die franzö-

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283

Die französische Revolution. auch

damit

und

sische Literatur

auf die

Schicksale

politischen

Frankreichs in geistreichster Weise nachgewiesen zu haben. in allen

seinen Nüancirungen,

haltung,

um

die

Oede

die

Angelpunkte,

um

eines arbeitsscheuen

welche

das

sich

Lebens auszufüllen, sind

Salonleben

Krieg und

Politik,

Der

bewegt.

freudige und

Unterhaltung dienen alle Vorkommnisse des Lebens, traurige,

Genuss,

grobsinnlicher und geistiger, Unter»

Das Leben

Kunst und Wissenschaft.

im Salon fordert Gleichförmigkeit, keine überragenden Eigenschaften, die

äusserliche Unterdrückung

vollkommene Selbst-

alier Aflecte,

Denn wo Vergnügen und

beherrschung.

leichte freie

Unterhaltung

das oberste Gesetz bilden, muss natürlich alles verbannt sein,

was

verstimmen kann, was ärgerlich, unschicklich oder anstrengend

Das Natürliche

findet hier

gar keinen Raum.

natürlichen Gefühls, schreibt ein Hofmann, ich

einen

Hund

bleibe,

auf der Strasse an einem Bein nagen sehe.

bleibt

Man

nicht aus.

Wesens überdrüssig, sehnt zu verweichlicht,

um

wird

wenn wenn ich Der Rück-

so gross, dass ich,

ist

von Versailles zurückkomme, zuweilen stehen

schlag

des trockenen,

gekünstelten

nach Naturwahrheit; aber man

sich

die wirkliche

ist.

Die Seltenheit eines

Natur zu ertragen,

ist

und alle

Die sog. wahren Empfindungen werden zu Empfindsamkeiten. Rückkehr zur Natur wird Modesache, bleibt aber auch nur ein Gegenstand der Salonunterhaltung. Daher die Sentimentalität. Man schwärmt aber nicht nur für eine verfälschte Natur, sondern verfälscht auch alle Wirklichkeit

;

die

wahre

zu wenig

ist

polirt,

zu

unbequem.

Der vornehmen französischen Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts hat niemand

den

war zum grossen Theil man an sie stellte, war

Ruhm

überbildet.

hoher Bildung bestritten,

Aber

ja sie

die erste Forderung, die

die leichter Fasslichkeit.

Zum

guten Tone

gehörte es nicht, sich mit Dingen zu befassen, die über die gewöhnlichsten Schlussfolgerungen des gewöhnlichsten

hinausgingen.

Und nur

habt, welche diesem Bedürfnis

schaft eines mageren,

Menschenverstandes

diejenigen Schriftsteller haben Erfolg ge-

entgegen kamen.

blassen Rationalismus,

merkmal der Aufklärungsliteratur

bildet.

Daher

die Herr-

welcher das Haupt-

Sie schuf

eine

humane

Gesinnung, welche ängstlich vor jeder Roheit und Gewaltsamkeit zurückschreckte

und dem Individuum die Selbständigkeit wieder-

zugeben gedachte, die ihm eine verkehrte geschichtliche Entwickelung entrissen

haben

sollte.

Sie

brach

die

Macht der Tradition

und schuf der Kritik eine selbständige Stellung neben jener.

Dieser

284

Die französische Revolution.

grosse Fortschritt wird ihr unvergessen bleiben

Aber der Kritik

der räsounirenden Vernunft fehlten sowol in der Wissenschaftlichkeit als auch in der Gesellschaft jener Zeit alle Voraussetzungen,

welche die schrankenlose Herrschaft derselben hätten rechtfertigen können.

Wir

stehen vor der merkwürdigen Erscheinung des französi-

Dieser war durchaus das Product der höfischen Den Forderungen der Salonbildung musste die Sprache Ausdruck und Styl entsprechen. Wörterbuch und

schen Klassicismus. Gesellschaft.

zunächst

in

Grammatik wurden im Sinne

einer Verallgemeinerung

drucks und leichterer Verständlichkeit

reformirt.

des Aus-

Die salonfähige

Sprache, in der allein die Dichter denken und reden durften, büsste alles Eigenartige ein,

sie

war im

des französischen Wortreictathums

Umfang und

Tiefe

gewann

verlor,

Jahrhundert auf ein Drittel

Was

reducirt. sie

die Sprache

an

an Klarheit und Gemein-

und nach denselben Forderungen wurde auch die

verständlichkeit;

Satzbildung und der Styl sich allgemeine

18.

Gedanken

entwickelt. so

klar

In

keiner Sprache

liessen

zum Ausdruck bringen wie

in

wurde unfähig zur Wiedergabe jedes charakteristischen Details. Die natürliche Wechselwirkung von Sprache und Denken zeitigte nun jene rednerische Literatur und jene Vorstellungsweise, die sich vornehmlich in unbestimmten Abstractionen bewegte. Zugleich trat der Gelehrte hinter den der französischen;

aber

sie

schönredenden Schriftsteller,

die Wissenschaft

hinter die populari-

sirende Literatur zurück.

Wol

in hohem AnAnregungen Newtons und einer ganzen Reihe hervorragender Naturforscher und Mathematiker waren gerade die exacten Wissenschaften in den Vordergrund des Interesses geDie inductive Methode der Forschung hatte hier so getreten. waltige Resultate geliefert, dass die gebildete Welt, geblendet und den Kern der Sache nicht prüfend, sie sofort auch für die wissenschaftliche Behandlung der Psychologie und der Moralwissenschaften verwandte. Die strengen Schlussfolgerungen der Mathematik wirkten wie die Ordnung der sinnlichen Welt durch wenige berauschend klar formulirte Sätze begriffen zu werden schien, so sollten auch die Welt des Intellectes und die Erscheinungen der sittlichen Welt-

sehen.

standen

auch wissenschaftliche Studien

Seit den mächtigen

;

ordnung unter wenige allgemeine üeberschriften gebracht werden. ist bekanntlich England.

Die Heimat dieser Wissenschaftlichkeit

Aber

hier hielt

mau auf halbem Wege

inne.

In Frankreich

zog

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Die französische Revolution.

285

diese Wissenschaftlichkeit ihre letzten Consequenzen.

entsprangen die Lehren der Revolution. liche Gelehrsamkeit,

Sie stiess hier

und aus dieser Berührung Mühselige Studien, gründ-

auf den sogenannten klassischen Geist,

also die unerlässlichen Voraussetzungen

d. h.

Verwendung des inductiven Verfahrens, geriethen Alles meinte man mit Hilfe des gesunden Menschen-

für eine fruchtbare fast in Verruf.

Jeder halb-

verstandes verstehen, vor allem beurtheilen zu können.

wegs

Gebildete,

dünkte aber

dem

die Schlagworte

ein Philosoph

sich

in ihren Schlüssen

zu

sein.

seit

fehl,

der Zeit

waren,

gelaufig

Die inductive Methode ging

die Kenntnis

der Wirklichkeit

auf den Gebieten der Geschichte, Nationalökonomie und des Staats-

Von wenigen

rechts der räsonnirenden Gesellschaft abhanden kam.

allgemein verständlichen Sätzen,

ungenügend

die

beobachteten Thatsachen

man

aus

einseitig

wenigen,

ausgehend, con-

abstrahirte,

struirte

man nach mathematischem Muster auch

System,

das allein gerecht und vernunftgemäss

das

sein

politische

Wie

sollte.

Formeln verfuhr, ohne Kenntnis der besonderen Verhältnisse, so waren auch die positiven Leistungen des pseudo-klassischen Geistes und der herrschenden Ideologie Luftgebilde, welche die Probe der Erfahrung nie bestanden haben und bestehen konnten. Am revolutionärsten waren diese Anschauungen die Kritik nur nach allgemeinen

auf

dem Gebiete

der socialen und staatlichen Wissenschaften

;

sie

fanden in Rousseau ihren beredtesten Vertreter, dessen Lehren von der Verwerflichkeit der Civilisation überhaupt, von der angeborenen

Güte des Menschen, der absoluten Freiheit und Gleichheit derselben von den höchsten

Wie

bis in die untersten

Schichten der Nation drangen.

aber konnte es geschehen, dass einer Nation, deren ganze

gesellschaftliche Gliederung durch

ja verbrecherisch bezeichnet wurde,

diese

zugeführt, sondern auch begierig von ihr

den

unteren Klassen

ist

Lehren

unvernünftig,

Kost nicht nur verschlungen wurde ? Von

verständlich.

es

als

diese geistige

Wo

bleiben

aber

der Boden entzogen werden

sollte,

auf dem allein

sie ihr

die

denen

oberen, jene Verweichlichten, Geniessenden, Arbeitsscheuen,

üppiges

Leben

führen

reicher

und witziger Darstellung widerstandsloser hin als das franzöWitzig und geistreich war aber die Aufklärungsliteratur.

sische.

Sie

diente

konnten

wie alles Diese

?

Kein Volk giebt

andere

sich

zur Unterhaltung

dem Reize

einer

geist-

unthätigen

und Regierung keinen Theil. Ohne thätiges Interesse an ohne Liebe und Achtung für sie, wurde sie zu einem unzu-

Aristokratie.

hatte

an

der

Arbeit

der

despotischen

centralisirten ihr,

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Die französische Revolution.

286

ewig krittelnden Publicum.

friedenen,

des Adels

Die Opposition

gegeu die Regierung wurde immer heftiger, je schroffer der Widerspruch der humanitären Anschauungen des Zeitalters zu dem ganzen

Charakter der absoluten französischen Monarchie hervortrat.

Alle

Schuld und Verantwortung wurde auf die Krone und die Minister gewalzt.

Selbst lebte

man

Anwandlungen, wollte

in sentimentalen

gern alle Welt beglücken, aber von den süssen Gewohnheiten des eigenen Daseins auch nicht eine aufgeben.

daran dachte niemand.

lungen verpflichten,

lichem Ernst verschloss

eine furchtbare Waffe in die

Es klärung

ist

gegen

wenigsten

mit

bekannt,

sie

Hand geben welcher

weil

dass

Einsicht,

einem erbitterten Volke

spielte,

konnten.

Feindseligkeit

sich

wandte,

positive Christenthum

jedes

deshalb,

vor der

die Gesellschaft

mit denen

dieselben Lehren,

Dass Worte zu HandDer Mangel an sitt-

das Christenthum Pflichten

die Auf-

zum

nicht

die

fordert,

Betonung der Rechte aber dem Geschmack der Zeit weit mehr zusagte. Nun handelte die gesammte Staatsphilosophie des vorigen Jahrhunderts nur von den Rechten des Individuums; andererseits kannte die feudale Staatsanschauung nur Rechte der Privilegirten.

Also weder die Neuen noch die Alten redeten

So

von Pflichten.

kam es, dass sich zur Aufrechterhaltung einer gegebenen Ordnung um ihrer selbst willen niemand für verpflichtet hielt. Und das war es, was auch die Haltung der Mittelklassen bestimmte. Der dritte

Stand hatte im

gespielt.

Er nahm

den Adel

stellte,

Im

18.

17.

Jahrhundert so gut wie gar keine Rolle

die sociale

als

Rangordnung, welche ihn

etwas Gegebenes,

unter

Jahrhundert ging aber eine grosse Veränderung mit ihm

Das Merkantilsystem Ludwigs XIV.,

vor.

tief

als selbstverständlich hin.

indirecten

und

Steuern

die

ewige

die

Verpachtung der

Geldbedürftigkeit

schwenderischen Hofes waren schliesslich

nur

eines

ver-

der Bourgeoisie

zu

war wirklich reich geworden, die einzige Bevölkerungsklasse, welche Grund hatte, mit den materiellen Ergebnissen der Bourbonenherrschaft zufrieden zu sein. Mit dem Reichthum wuchs ihre Bildung. Diese wurde auch aufgeklärt und streifte alle ehrwürdigen Vorurtheile ab. Bald war sie oppositionell man verlangte sociale Gleichstellung mit dem Adel; vor gekommen.

gute

Sie

:

allem aber Garantien für eine vernünftige Finanzwirthschaft Millionen hatte der Staat von ihr geborgt,

wurde

das

Capital

in

den

Händen

der

denn und immer unsicherer verschuldetsten

;

aller

Monarchien, an deren Spitze gewissenlose Finanzkünstler standen.

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Die französische Revolution.

287

Den Ansprüchen der Bourgeoisie kam nun keine Lehre so entgegen, wie die Philosophie Rousseaus,

des Apostels

der Menschenrechte.

Gestützt auf seine Lehren, bezeichnete sich der dritte Stand schlecht-

weg als die Nation denn der dritte Stand umfasste 9 »/ioo derselben. Wie konnte man ihn da nur eine Klasse nennen? Man leugnete ;

die

Berechtigung

man

Staates;

Einwurf,

historisch

aller

zählte die Menschen,

dass

die

gewordenen anstatt

unbedingte Herrschaft

sie

des

Der

aus der

der Majorität

Nation eine Horde mache, fand taube Ohren. heit

Organisation

zu schätzen.

Freiheit und Gleich-

waren hier nicht mehr aristokratische Redensarten, sondern

mit leidenschaftlicher Heftigkeit gestellte Forderungen. Staatsrechtlich gehörte

Die Bourgeoisie

Volk.

schaft mit demselben.

zum

dritten Stande auch das gemeine

fingirte freilich

Kaum

aber

trat

auch eine Interessengemeindie ersehnte Freiheit

und

Gleichheit ins Leben, so sonderte sich das Volk als vierter Stand

von keiner anderen Regung gedem Hasse gegen jeden Höhergestellten und besser Situirten und dem Verlangen nach gleichem Besitze. Um das Volk für seine nächsten Zwecke zu gewiunen, mussten die Führer des

von den besitzenden Klassen ab, trieben

als

dritten Standes dieselben zündenden Schlag worte in dasselbe werfen, die das revolutionäre Feuer auch in den höheren Schichten zum Ausbruch gebracht hatten. Das aber geschah erst im letzten Stadium der allgemeinen Auflösung. Erst wenn man die Einwirkung des Rationalismus und der Humanität, welche das Jahrhundert bewegten, auf den social und moralisch bankerotten Staat

erwägt, lich,

wird

auch

seine politische Auflösung begreiflich, begreif-

wie der Monarchie eine Waffe nach der anderen

in

Hand

der

zerbrach, mit welcher sie bisher ihren Bestand geschützt hatte oder

Fortdauer verbürgen wollte. Mit Ludwig XVI. kam die Humanität des Zeitalters auf den französischen Thron. Seine wohlwollende Regierung war eine Kette von Reformversuchen, die

ihre

alle

an

der

Unfähigkeit

der

diesem Monarchen verkörpert

Regierungsorgane sich

die

scheiterten.

In

politische Unfähigkeit der

letzten Zeit des ancien regime der humanen Gesinnung fehlte ebensowol die Klarheit des Urtheils als die Energie des Handelns. ;

So wurde in einer

die

denn

die Auflösung

unvermeidlich.

Wir erkennen

Reihe deutlich wahrnehmbarer Thatsachen.

Regierung der zügellos entfesselten Presse gegenüber machtlos.

Die bisher streng gehandhabte Censur versagte ihren Dienst, die

sie

Zunächst war

Censoren und die Regierung

selbst von den

Gedanken

seil

erfüllt

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288

Die französische Revolution. gegen die

waren,

sie

kämpfen

sollten.

Rückhalt in der öffentlichen Meinung

Um

Reformen einen

ihren

und die Selbstsucht der privilegirten Klassen, die sich gegen jede Reform auflehnten, blosszustellen, veröffentlichte die Regierung selbst Flugwelche

und Berichte,

schriften

die

zu sichern

Aufregung steigerten

und die

revolutionäre Gesinnung schürten.

In diese allgemeine Gährung der Geister

welche

1787 eine Reform, neue Grundlagen lichen

zu

stellen

Meinung weichend,

der Intendanten

fiel nun im Jahre Verwaltung des Königreiches auf unternahm. Dem Druck der öffent-

die

entschloss sich die Regierung, die

wesentlich

zu

beschränken,

Macht

Verwaltung der

die

Provinzen und ihre fiscalischen Interessen der Nation selbst anzu-

Kaum

vertrauen.

die

traten

neuen Provinzialversammlungen, in

denen die Vertreter des dritten Standes gemäss

den Forderungen

der Zeit den überwiegenden Einfluss hatten, zusammen, so begann

Die Macht der Intendanten, so weit

die Auflösung.

zustand,

gesetzlich

konnte nicht

war

geschaffen

völlig

gelähmt;

werden,

eine

da die Voraussetzung,

Stände würden einträchtig zusammenwirken, nicht suchte

die

ihm

in

theile auszubeuten,

den Schoss gefallene Freiheit jeder suchte

noch Verwaltung

sie ihnen

neue

die

eintraf.

drei

Jeder

zu seinem Vor-

durch Vorspiegelungen und Ver-

Masse des Volkes für sich zu gegekommen, mit der Durchführung der Die radicalsten Rousseauschen Theorien den Anfang zu machen. Aufregung der Wahlen zu den Provinzialversammlungen gab zum ersten Mal ehrgeizigen Strebern, Winkeladvocaten und obscuren Schreibern ein weites Feld agitatorischer Thätigkeft, die nur den Umsturz des Bestehenden im Auge hatte. Das morsche Staatsgebäude ging überall aus den Fugen. Mit dem Aufhören jeder ordentlichen Verwaltung begann auch die Steuererhebung, welche die Intendanten bisher hart und grausam, aber wirksam geleitet führungskünste

aller

winnen.

Die Zeit

hatten,

zu stocken.

Art

die

schien

Und das zu

einer Zeit,

Staat zu den verzweifeltsten Mitteln

griff,

da

um

der verschuldete seine

finanziellen

Die offenbare Anarchie musste eintreten, wenn auch die bewaffnete Macht zerfiel und die Rechtsprechung Bedürfnisse zu decken

aufhörte.

Beides trat

!

ein.

Noch unterhielt Frankreich eine grosse Armee von 150000 Mann. Aber gerade da, als die Monarchie in ihr die letzte Stütze zu sehen gezwungen war, zeigte es sich, dass sie es nicht mehr war. In der Armee spiegelte sich die sociale Rangordnung des

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1

280

Die französische Revolution.

Eine unüberbrückbare Kluft trennte

Frankreich wieder.

offiziellen

von der Mannschaft

die adeligen Offiziere

;

jene waren

vom Staat

46 Millionen; diese darbten im grössten Elend. Der Unterhalt der Soldaten kostete nur 44 Millionen. Aufgeklärt, kränkelten auch die Offiziere an der humanen Bildung und Anschauung eines Zeitalters, dem Blutvergießen schrecklicher war als Zuchtlosigkeit. Den Soldaten blieb die politische Geüberreich ausgestattet, sie bezogen

sinnung ihrer Vorgesetzten nicht verborgen. im selben Masse den Gehorsam, der Regierung

zu räsonniren begannen.

einer Autorität

war

in

ist,

dort,

wo

Sie

wie diese über

ihnen

versagten

den Despotismus

Die unbedingte Geltung

der Grundpfeiler jedes Erfolges

sie

der Armee, nicht weniger in Frage gestellt als im übrigen

Es

Frankreich

ist

dass

bezeichnend,

die

Armee

in acht

Jahren

60000 Mann an Deserteuren einbüssen konnte. Laut erklärten die Soldaten, gegen das Volk, ihre Brüder, würden sie nicht kämpfen. Schon mehrere Jahre vor 1789 konnte die Regierung nicht mehr wagen, ihre Befehle

tiberall

durch die Bayonnette zu unterstützen.

Und doch reizte jede Kundgebung der gesammten Bevölkerung.

Von

Schwäche den Widerstand

jeher hatten die zwölf obersten Gerichtshöfe der Monarchie,

Parlamente,

die

ihrer

beansprucht,

mehr zu

sein,

als

waren.

sie

Die

Pflicht der Registrirung königlicher Gesetze suchten sie durch Ver-

weigerung derselben in thatsächliche Mitwirkung an der Gesetzgebung zu verwandeln. Königlichen Machtsprüchen gegenüber

immer nachgeben müssen. Aber die Opposition war selbstsüchtig und engherzig. Auf die Erhaltung des Privilegienstaates kam es ihm an. Als nun die Rehatten sie

bisher

dieses Richteradels

Hand

gierung

an

denselben

Gerichtsreform begann, alle

legte,

konnte

eine

grossartige zeitgemässe

das pariser Parlament

es

wageu,

Gerichtshöfe des Landes zur Einstellung ihrer Thätigkeit aufso dass monatelang die Rechtsprechung vollständig auf-

zufordern,

Das geschah unter dem ermunternden Zuruf der ganzen

hörte.

So verkehrt waren

Nation.

die Verhältnisse, dass die Vertheidiger

des verrottetsten Feudalsystems als die Helden der Freiheit gefeiert

werden konnten. Adel, Bürgerliche und Volk schaarten weise räthe. in

um

sich gleicher-

wegen ihres Widerstandes gemassregelten ParlamentsDarüber brachen in mehreren Provinzen Aufstände aus, so die

der Bretagne,

äussersten

in

Mittel

der Dauphin^.

greifen

,

Hess

sie

Die Regierung musste marschiren.

Die

zum

Soldaten

weigerten sich zu kämpfen; sie schämten sich Schergendienste für ßaftiadw HftnfttnekrifL

Rd. XXXVI, Haft

4.

21

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Die französische Revolution.

290

den Despotismus zu thun.

Da

ständischen Pöbel.

Wie im Triumph

Offen

fraternisirten

mit

sie

dem

auf-

verzichtete die Regierung auf jede Reform.

kehrten die Parlamente zu ihrer alten Thätigkeit

Das geschah in den Jahren 1787 und 1788. Seitdem kam das Land nicht mehr zur Ruhe. Die allgemeine Anarchie war eingetreten. Die Zahl der Erneuten des aufgereizten, dazu durch Hungersnöthe gepeinigten Volkes war endlos; fast keine Die Banden der Räuber Provinz wurde von denselben verschont. und Vagabunden aller Art mehrten sich so, dass ihnen fortwährend Monate vor dem pariser Schlachten geliefert werden mussten. zurück.

Bastillesturm hatte die Sicherheit des Eigenthums,

auf dem Lande so gut wie aufgehört.

Es gab

ja



des Lebens

thatsächlich

keine

Regierung mehr. II.

So

im Frühling d. J. 1789 die itols und sich zur Nationalversammlung erwirklichen Zustande Frankreichs änderte sich

die Dinge,

lagen

als

generaux zusammentraten klärten.

An dem

Die Unordnung

zunächst gar nichts Wesentliches. grösser, die Geldnoth

welchen die

alten

nahm

zu,

und der

Gewalten noch besessen

Der

reissender Schnelligkeit dahin.

wurde immer

Rest von Autorität, schmolz mit

hatten,

lehrreiche Versuch

macht, die Ideen des contrat social in

einem Volk mit

letzte

wurde

alten Monarchie,

einer

gebei

Leben treten zu lassen. An die Wahrheit dieser Ideen glaubte man, ebenso an die Güte der menschlichen Natur wie sollte man an der Durchführbarkeit derselben zweifeln So wurde eine Reihe allgemeiner Grundsätze unter dem Namen der Menschenrechte zum Gesetz erhoben, reichen

einer

Geschichte

ins

;

!

man auch nur

bevor

entfernt darüber einig war, welchen Inhalt die

Einzelbestimmungen der Verfassung haben würden.

Die Menschen-

rechte proclamirten nicht nur die Souveränität des Volkes, sondern

auch die des Individuums.

Sie

gaben jedem einzelnen Franzosen

jeder staatlichen Ordnung sie sanctionirten die Anarchie, welche die Frage zu stellen letzten Jahre über geherrscht hatte. Die Menschenrechte wurden

die

Befugnis,

die Rechtsbeständigkeit

in

;

in ihrem vollen

Umfang zum

unveräusserlichen Besitz jedes Fran-

zosen erklärt; aber jeder Punkt der neuen Verfassung, welche die

Nationalversammlung anfertigte, setz,

widersprach

denn jede Verfassung, so radical

sie sein

ihrem

hin die

Unterordnung unter einen fremden Willen

rechte

schlössen

dieselbe

aus.

obersten Ge-

mag, fordert immer;

die Menschen-

Die Menschen rech te

als

Gesetz

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Goog

291

Die französische Revolution. von

machten

vornherein

dauernde Reform

jede

um

neue Verfassung trat ins Leben,

Die

unmöglich.

bald wieder zu verschwinden,

Die Wiederaufrichtung gelungen. Die Hats gencraux sollten einer rathlosen Regierung den Weg zur Herstellung eines gesunden Finanzwesens zeigen; die Revolution schritt darüber hinweg sie bereicherte den Staat durch einen ungeheuren Raub an dem Vermögen der Kirche und des Adels, um dieses Capital in wenigen Jahren bis auf den letzten Heller zu verzurückzulassen, schleudern und die ganze Nation in einer Armut gegen welche das Elend der ländlichen Bevölkerung unter der Monarchie im Lichte befriedigender Wohlfahrt erschien. Man alle folgenden.

und ihr Schicksal theilten

des Staates ist

der Revolution

keinem Punkte

in

;

Ii

glaubte

in

Frühlingstagen

den

Revolution, das

der

glücklichen Zukunft gehe über

einer

dem

Morgenroth

befreiten Vaterlande auf,

ewigen Friedens, ruhigen Geniessens, der Bildung,

das Zeitalter des

Tugend und Nächstenliebe, der allgemeinen Wohlfahrt sei gekommen. Statt dessen wurde das Christenthum verfolgt, die Schulen

der

ein allgemeiner Weltkrieg entzündet, der 25 Jahre Europa verwüsten sollte die Umgangsformen wurden roh and frivol, Habsucht und Genusssucht, jedes Zügels ledig, feierten geschlossen,

hindurch

;

schamlosesten Orgien,

ihre

banden,

der Bürgerkrieg

das

Land bedeckte

loderte

Handel, die Gewerbethätigkeit

hörten

Bebauung

schliesslich

der Felder

musste

Todesstrafen erzwungen werden.

mit Räuber-

sich

allen Provinzen

in

Als die

empor,

wie ganz auf

so gut

;

der die

Androhung von Nation nach dem Taumel unter

dieser

wilden Jahre wieder zur Besinnung kam, fand sie alles zer-

stört,

was

bis dahin ihre

durchschnitten,

welche

Chaos von Trümmern,

ausgemacht

Eigenart

sie

an

unter

ihre

dem

Im

Zerstören

alle

Bande

erschöpfte

ein

Faule und Schlechte, aber

alles

auch alles Lebensfähige und Brauchbare

graben lag.

hatte,

Vergangenheit knüpften, der

alten Monarchie be-

die Revolution

ihre

ganze

Kraft; unbarmherzig strafte sie die Sünden der Vergangenheit, für den

Wiederaufbau hat

alten

sie nichts gethan,

aus den

Trümmern

des

Frankreich kein lebensfähiges Gebilde zusammenzuschweissen

vermocht.

Revolution

Das neue Frankreich erstand erst, als dem Soldatenkaiser den Platz räumten.

die

Helden der

Ist es aber auch nur denkbar, dass alle jene furchtbaren Kämpfe und Erschütterungen, welche ein bildungsstolzes Geschlecht und ein reizbares Volk heimsuchten, ohne jede bleibende Frucht für eine glücklichere Gestaltung der Zukunft gewesen sein können ? 21*

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Die französische Revolution.

21)2

Gewiss

A

nicht.

der die Begeisterung

Besten

der

man annehmen müssen,

jniori wird

gewaltige Erhebung einen Zeit

für

positiven Gehalt dieselbe

rechtfertigte,

und ausserhalb

inner-

wurden, auch dann noch, als

dass eine so

haben

gehabt

von

Frankreichs

sie bereits ihre blutige

muss,

welcher die hingerissen

Kehrseite dem

bestürzten Europa zuwandte.

Was gebildete

ihr erwartete,

das Facit aus der geschichtlichen

was

und

die Revolution eigentlich erstrebte

Welt von

die

ganze

dem Versuch zu sehen, Entwicklung seit dem 16. Jahrin

ist

hundert nun endlich zu ziehen, das gewaltsam und von unten her-

auf ins Leben einzuführen, wozu die Menschheit durch alle Kämpfe und Erschütterungen der letzten Jahrhunderte herangezogen und herangebildet war, worauf die Voraussetzungen unseres modernen

Lebens

beruhen und das durchzuführen die alte Staatsordnung sich unfähig

Es handelte

erwiesen hatte.

sich

um

die Verwirklichung der Rechts-

überzeugungen, welche damals nicht nur in den Franzosen, sondern

auch

in

der

übrigen

ungehemmt durch setze

seiner

:

um

waren,

Natur,

sowie

um

für

um

Menschen,

Bande und getragen durch

sittlichen

Gewährleistung einer solchen Entwickelung

Es waren

mächtig

die Entfaltung des vollen

willkürliche

eigenen

Europas

Gesellschaft

Freiheit und Gleichheit

die

Ge-

rechtliche

die

jeden Menschen.

man

seit Luther auf und geistigen Lebens gestritten und Der schmähliche Misbrauch, welcher seit 1789 mit

die höchsten Güter,

welche

für

allen Gebieten des staatlichen gelitten hatte.

den Worten Freiheit und Gleichheit getrieben leicht

mit

worden,

Beigeschmack von Bitterkeit

einem

und

lässt

uns

Verachtung

Wir vergessen dabei, dass jede grosse Reform, vom Thron, aus der Stube des Gelehrten oder vom Volke

ihrer gedenken. sei sie

ausgegangen,

in

der Befreiung

Mittelalters bestanden

hatte

und

von

um

den

beengenden Fesseln des

so grösser war,

je weitere

gemacht werden konnten. Vom Kampfe gegen die willkürlichen Satzungen der katholischen Kirche ging Luthers Thätigkeit aus, und auf den Kreise des Volkes

ihren Segnungen

zugänglich

Grundsätzen der Reformation erwuchs die Gewissensfreiheit, welche

England zuerst gefordert und in Preussen zuerst durchgeführt worden ist. In Kunst und Wissenschaft bricht sich derselbe Gedanke der Freiheit von überlieferten Formen Bahn Schönheit und in

;

Wahrheit werden zu leitenden Grundsätzen die Unverbrüchlichkeit autoritärer Satzungen erhält einen Stoss nach dem anderen. Dann treten die Fürsten Europas zuerst in Frankreich, in noch höherem ;

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Die französische Revolution. Siune in Preussen

ökonomische,

an

293 welche

die Spitze aller Bestrebungen,

und gesellschaftliche Leben

politische

zur freien und ungehinderten Entfaltung bringen sollen. liche

Wohlfahrt wird

ganz anderem Sinne

in

Gedanke der Regenten und Minister.

das

ihrer Völker

Die

öffent-

als früher der leitende

Freiheit

der Gewissen und

Gedanken, Entfesselung der wirthschaftlichen Kräfte, Beseitigung aller todten Formen, die keinen echten Nutzen brachten, Freiheit der

Rechtssicherheit der Person und gleiche Rechtsfähigkeit für jeder-



mann

das waren die Ideale der Zeit.

diese

Forderungen

mehr

zum Gemeingut

radicaler

heftiger,

In keinem Lande waren

Frankreich.

Verkündigung der

als eben

und einer herrschenden Kirche gethan

fortschrittlichen

;

und humanen Gedanken des

den Widerstand der staatlichen Censur

Zeitalters stiess auf

zählige feudale

weniger

Gesetzlich war die Nation unter die Gebote einer

veralteten Staatsanschauung die

und

der Nation geworden als in Frankreich, und

nirgends entsprach ihnen der wirkliche Zustand in

worden

ausgesprochen

;

un-

Formen, an deren innere Berechtigung kein Mensch

mehr glaubte, drohten den völlig veränderten Inhalt des nationalen Lebens

zu

ersticken

;

der Absolutismus

der Krone

und die All-

macht des Beamtenthums konnten sich über jedes bestehende Recht hinwegsetzen,

hatten

in

unzähligen Fällen

Eigenthum des Bürgers bedroht in

subalternen Stellungen,

;

weil

ihre

Freiheit

was im Sinne der Zeit geschah,

niedere Geburt

boten.

Um

doch

welche

mit

so schlimmer,

überall

Bahn

einem

Wünsche zu bringen

war im

dass es sich brach.

Schlage

die

Wie

officiellen

und

verkümmerten

Fähigkeiten entsprechenden Wirksamkeit hinderte.

ihren

setz

Leben,

die tüchtigsten Kräfte

sie

au einer

Fast

alles,

Frankreich ver-

im Widerspruch zum Gesollte

Erfüllung

nun eine Bewegung, der

heissersehntesten

schien, nicht den lautesten Widerhall überall

wo noch Begeisterung für die echten Ziele menschlichen war Und keiner, der heute, wo uns die Geschichte jener Tage fast bis in ihre geheimsten Triebfedern hinein offen vorliegt, die ersten Wochen der Revolution betrachtet, wird aich einer warmen und aufrichtigen Theilnahme erwehren können. da wecken,

Strebens zu finden

!

Im Wesen dieser Revolution, die

mit solcher Hingebung

und Be-

unternommen wurde, hat es nicht gelegen, dass sie den furchtbarsten Jammer, den je ein Volk erduldet, über Frankreich brachte. Der Sturz des Feudalstaates, wie er im Jubel jener Augustnacht vollendet wurde, war ein Ereignis, das einen unermesslichen Schatz reicher Früchte in seinem Schosse barg und das

geisterung

294

Die französische Revolution.

an sich so wenig für gemacht werden kaun,

die Schrecken

wie jede

der Folgezeit

grosse Idee

verantwortlich

den Misbrauch,

für

der mit ihr getrieben wird.

Warum war es Warum

Frankreich aber nicht vergönnt, diese Früchte

zu ernten?

Nation

plötzlich

mussten fast alle die Segnungen, den Schoss geworfen

in

schienen,

welche

der

wieder ver-

kümmern, ja grossentheils wieder vernichtet werden woher das entsetzliche Fehlschlagen der grössten und berechtigtsten Hoffnungen ? Die Antwort darauf giebt uns die Betrachtung des vorrevolutio;



Die Revolution musste scheitern, weil die Nation

nären Frankreich.

mit einer alles überwuchernden Unsittlichkeit

Nie hat

eintrat.

ein

Charaktere verfügt.

Volk

in

diese

Bewegung

über weniger

Ein Lieblingswort der Aufklärung, die Tugend,

von der alle Reden der Revolutionsmänner

und wo

so gut wie gar nicht zu finden, sich breit machte,

in

grossen Zeit

einer

wurde

ihr

trieften,

war im Leben

sie stolz einherschritt

Werth zu Grunde

und

gerichtet durch die

masslose Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, mit welcher

man

sie

zur

waren nicht nur sittliche Defecte, welche die Revolution von ihrem Beginu an in falsche Bahnen drängten, sondern auch der Mangel politischer Einsicht und staatsmännischer Begabung ihrer Führer. War aber die politische Unfähigkeit fast aller Kreise und fast aller Personen ein bedauerlicher Zufall, der gerade in dieser Zeit den Franzosen den Segen grosser PersönlichSchau trug.

Freilich, es

keiten versagte?

Ich

doch nicht;

glaube

hing das eine

vielmehr

dem anderen ursächlich auf das engste zusammen. An Talenten hat es dem Anfklärungszeitalter wahrlich nicht gefehlt, und mit

mit

der Theorie des Staatsrechts und der Politik beschäftigte sich jeder-

mann.

Zum

praktischen Staatsmann gehört aber mehr als beides

ausdauernde Arbeitskraft, gerichtet,

Gründlichkeit

ein



und Sachkenntnis

:

auf bestimmte Ziele

ernster Wille,

kurzum, Charakter-

eigenschaften, ohne welche auch das Genie nichts vor sich bringt. Soll aber die

Masse der Bürger

wohl betheiligen, liche sein, ist.

wenn

Wie war

sich an der Arbeit für das GemeinMitwirkung nur dann eine gedeiheiner selbstlosen Hingabe an das Ganze fähig

so wird ihre sie

es in Frankreich damit bestellt ?

dem

Staates ein wohlmeinender König, liclien

und nothweudigen Entschlüsse

An

der Spitze des

die Kraft zu

fehlt

;

jedem raäun-

die Minister

auf Er-

haltung ihrer Macht bedacht, bald nach Popularität haschend, bald

vom engsten Standesbewusstsein und neben und

nach

ihnen

erfüllt,

treibt

schwankend, ohne Halt

die Flut der Revolution

einen

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Die französische Revolution. nach

dem anderen

in die

Höhe,

ohne jedes Gefühl

der

um

antwortlichkeit opponirt, intriguirt und wühlt,

zu gelangen,' und der,

zur Macht gekommen,

schlecht hält,

derselben

unter

sich

in

295

kein Mittel

behaupten.

zu

der Ver-

selbst zur

Macht für zu

Nicht einer

ist

während der Revolution Grösse uns Bewunderung, ja auch

die Frankreichs Geschicke

ihnen,

geleitet haben, dessen sittliche

nur Achtung abnöthigte.

wenn wir das Verhalten der fassen ? Von der Masse der Abgeordneten lässt sich sagen, dass sie momentaner Begeisterung fähig waren die Abschaffung der Feudalrechte war die That Fällt das Urtheil günstiger aus,

Kammern

oder des Volkes selbst ins

Auge

;

einer unverfälschten Begeisterung

Muth

;

die nachhaltige Energie

der Ueberzeugung fehlte den meisten.

thaten der pariser

Commune,

und der

Gewiss, die Schreckens-

die rohen Volksaufstände, die Greuel

waren das Werk einer gewalttätigen Die überwältigende Mehrheit der Nation hat an ihnen keinen Theil genommen. Um so beschämender

des Wohlfahrtsausschusses, sie

und wohlorganisirten Minderheit. für ein grosses

Volk,

dass

duldig ertrug.

Wenn

es

zum Kampf gegen

diesen Terrorismus Jahre lang ge-

es

gelang,

nicht

die

Freunde der Ordnung

Machthaber zu verwenn die Zusammensetzung der Legislation uud des Convents den Gesinnungen der meisten Franzosen keineswegs entdie Tyrannei

der

pariser

einigen, oder

sprach, an

wem

lag die Schuld,

als

an den Franzosen

selbst,

die

aus Gleichgiltigkeit oder Furcht an der Wahlurne nicht erschienen

und freiwillig das Land

denen auslieferten,

von

deren Wirksam-

Die Mehrmehr und mehr unter das eiserne Joch des Pöbels, der von den Gallerien her brummte und lärmte keit sie das

Verderben

des Vaterlandes befürchteten ?

zahl der Abgeordneten beugte sich

sie

stimmte, wie es der herrschenden Partei beliebte, uud nicht der

jener unheilvollen Beschlüsse wäre gefasst worden, wenn die Mehrheit den Muth gefunden hätte, in Rede und Abstimmung ihre Ueberzeugung zu bekennen. Nun wird ja mit Recht eine ganze Anzahl von Beschlüssen, welche gleich zum Beginn der Revolution gefasst wurden und ihr sofort eine so verhängnisvolle Wendung gaben, dem Mangel politischer Einsicht unter den Abkleinste Theil

geordneten zugeschrieben, der Herrschaft der gedankenlosen Phrase

auf welche alle Welt Wird Frankreich dadurch von dem Vorwurfe der Schwäche und Oberflächlichkeit entlastet ? Wären

und der zündenden Kraft der Schlagworte,

schwur,

ohne

sie

zu

verstehen.

Gründlichkeit, Wahrheitsliebe

und Energie

in

höherem Grade

zu

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29G

Die französische Revolution.

Verblendung

finden gewesen, nie hätte die

der Abgeordneten

der Nation dieses ans Unglaubliche streifende Mass erreicht.

dem äusseren

Pflicht ernster Prüfung, der Unterscheidung zwischen ,

dem Wesen der Sache

Schein uud

wie

in der



wurde sowol

sie

und Die Paris

in

Provinz nur vereinzelt geübt.

Aus der Masse der Abgeordneten ragte einer hervor, der sich durch Kraft des Geistes und Staatsmann ischen Scharfblick bleibenden

Ruhm

war

Ihm

erworben hat: Mirabeau.

Muth zum Handeln

noch der

kraft,

;

fehlte

weder die That-

seine feurige ßeredtsamkeit

echt und von unwiderstehlicher Wirkung.

In ihm verkörpert

sich das damalige Frankreich, sein Lebenslauf spiegelt die Geschicke

desselben

Mann,

Nichts

wieder.

Hände

in dessen

zu Grunde ging.

in

bezeichnender,

als dass dieser

zu seiu

eigenen sittlichen Verwahrlosung

Alle Schäden

der despotischen Monarchie hatte

er an seinem eigenen

gegangen bald

aber

seiner

an den Folgen

schienen,

ist

die Geschicke Frankreichs gelegt

durchkostet;

Leibe

sein

war dahin-

Leben

schrankenloser Ungebundenheit, bald in der Haft

der Staatsgefängnisse.

Mit allen Vorurtheilen und jedem Glauben

hatte er gebrochen,

dem

Raum seine

mehr. Zeit

auch ihn

Da

in

alten Frankreich

brach die Revolution

gekommen.

Wiedergeburt

-Die

verjüngen, ihm,

sittlich

aus,

,

war

und

ihn

für

nun

des Vaterlandes

im Dienste des Vaterlandes zu entfalten. wechselvollen

Stürmen

seiner

wüsten

seine Vergangenheit Hess ihn nicht los.

Fersen und hemmte ihn

Er

reich noth

that.

Regierung.

wusste.

In

in

Jugend

nun endlich

Sie hängte sich

Aber

an seine

den entscheidendsten Augenblicken seiner

was

ihm

So sehr er

Gaben

Ihn dürstete danach, aus

seinem Leben einen reicheren und reineren Inhalt zu geben.

Thätigkeit.

sollte

dem Ehebrecher und Meineidigen,

die Möglichkeit gewähren, an der rechten Stelle seine reichen

den

kein

glaubte er

er wollte, und er wusste,

lebte

die alte

abscheute er jede Anarchie

das Ideal

einer

Ordnung hasste, Nachdem

im Staate.

was Frank-

constitutione! len so

grimmig ver-

er

den

dritten

Stand zur Revolution fortgerissen, den Widerstand des Königs und der Aristokratie gebrochen hatte, forderte er vor allen Dingen eiue starke Regierung

als

den

wesentlichsten Bestandteil

der

neuen

Verfassung, er warnte vor der überstürzten Erklärung der Menschenrechte, verspottete den thörichten

auf den Trümmern

der Ordnung

Versuch, Freiheit und Gleichheit

Aber wie er nur gewonnen hatte, um, zurückgestossen von seineu Standesgenossen, in Aix sich um ein durch einen schmutzigen Handel

zu etabliren.

die Mittel

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Die französische Revolution.

297

Mandat

des

früherer

Lebenswandel auf Schritt und Tritt durch das Mistrauen,

mit

dritten

Standes

bewerben,

zu

rächte

so

sich

sein

dem man dem grossen Revolutionär begegnete und das seinen Es ist bekannt, wie seine Geldverlegenheiten zwangen, eine Pension vom Hofe zu nehmen. Wol hatte er

Einfluss untergrub. ihn

sich nicht verkauft, er Hess sich seine

mit seiner Unabhängigkeit,

war

ruhten,

mit

welcher

welche

Weg

erlitt,

Dienste nur bezahlen, aber

bis

um

seiue Erfolge

dahin

ebenso wie mit

unbekümmert

er,

durch

er

zum Hofe

doch vorbei,

es

Parteien, seinen

auf der

das Geschrei

gegangen war.

hielt.

hadernden

der

Die Einbusse an Popularität,

immer offenkundiger werdendes Verhältnis

sein

suchte er durch doppelt revolutionäre Reden wieder

mehr aus Ueber-

einzubringen, die er aus kluger Berechnung, nicht

zeugung

be-

der Unbefangenheit,

Der Hof nahm

daran Anstoss

Widerwille

der

;

Königs gegen den Atheisten und Wüstling steigerte sich, je mehr Mirabeau, seit ihm die Geldquellen reichlicher flössen, wieder des

in

die ausschweifenden

Gewohnheiten seiner J ugend zurückfiel

jeder Erfolg seiner Thätigkeit

war lahmgelegt.

So

;



starb er, auf-

gerieben durch sinnlichen Genuss und die innere Unwahrhaftigkeit

Lage,

seiner

in

der Erkenntnis,

dass

ihm

es

nicht möglich war,

den Strom der Revolution in das Bett zu leiten,

geben gemeint den

hatte.

Mirabeaus

ersten berauschenden Erfolgen

weil

schlagen,

er

trotz

das

er

ihm zu

ganze spätere Thätigkeit

war mit Unfruchtbarkeit

glänzender Fähigkeiten

des

nach ge-

moralischen

Uebergewichtes und darum des dauernden Einflusses auf die Leiter der Geschicke Frankreichs entbehrte.

So war

Was

die tüchtigste

Kraft der Revolution beschaffen.

Hess sich erst von der Anzahl

untergeordneter Geister

erwarten, die, alle in der gleichen Frivolität gross gezogen, ihren Geist nie in ernstliche

Zucht genommen hatten, mit ungeheurer An-

massung ihre Person in den Vordergrund alle

schoben und schliesslich und Robespierre den Platz räumten, Leben bedroht sahen. Heroismus wird man unter den

den Septembermördern

weil sie ihr

französischen

Volksvertretern

jener Zeit

selten

halten

war

fast

immer

wenn

rinden,

von ihnen auch anständig zu sterben gewusst hat

Theil

;

ein

ihr Ver-

ein unrühmliches.

So gewiss der Verlauf der Geschichte von der Wirksamkeit der in ihr thätigen Persönlichkeiten abhängt,

so gewiss fallen die

Thaten dieser führenden Personen auf die Gesammtheit der Nation zurück;

die

Verantwortung für

das,

was

in

dem Decennium der

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298

Die französische Revolution.

Revolution geschehen

kann unmöglich

ist,

hat das gesamnite Frankreich zu tragen; bluttriefenden Verbrecher

abgewälzt und durch faule Nation den freiesten Spielraum für ihre ungeheuren Gewalttaten eröffnete. Eben so unmöglich erscheint es aber, das Jahr 1789, in welchem

sie

werden,

welchen

auf die

die

sittlicht

durch

wenigstens Begeisterung und echter

von der Folgezeit

Schwung zu

zu verherrlichen.

Wer

finden

von

der

ist,

losgelöst

französischen

kann nicht nur ihren Beginn im Auge haben, und wer zu ihrem Andenken eine grossartige officielle Feier verRevolution spricht,

Denn

anstaltet, vergreift sich au der geschichtlichen Wahrheit.

bekennt, dass der Sturm auf die Bastille, der Versailles, die

Beraubung des Eigenthums

Septembermorde, die Ermordung

der

in

Zug

er

der Weiber nach

Stadt und Land, die

königlichen Familie, der un-

menschliche Bürgerkrieg und die Tyrannei des Wohlfahrtsauschusses, die ganze

und

materielle



nächste Resultat war

gewesen

bei

welche mit dem

sei,

wie

dies

sie

Wesen

1789 erhofft wurde

;

einem Volke, das den Massstab

die öffentlichen

loren

alles

eine

der Sache

welche das

äusserliche

hatte.

Zuthat

nichts gemein ge-

Mit der Idee einer Regeneration Frankreichs

habt habe. nicht,

moralische Verkommenheit,

dass

freilich

aber es war doch unvermeidlich sittlicher

Werthschätzung für

und einen grossen Theil privater Verhältnisse verDieselben

Menschenrechte,

deren

Proclamation

in

Nordamerika den Grund zu einem blühenden Freistaate legte, lösten den letzten Rest von Ordnung und Zucht auf, den sich die alte Mouarchie noch bewahrt hatte, nicht nur deswegen, weil in Nordamerika ein geschichtsloser Staat ins Leben trat, während auch das revolutionäre Frankreich mit allen Fasern an die Voraussetzungen seiner monarchischen Traditionen gebunden blieb sondern weil man dort von der neuen Freiheit und Gleichheit einen richtigen Gebrauch machte, während sie hier der Deckmantel für ;



die zügellose Entfesselung aller Leidenschaften wurde.

Uns Nichtfranzosen muss die Feier der französischen Revoludie Frucht einer ungeheuren Verblendung erscheinen. Zwei grosse Güter verdankt Frankreich dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts die Einheit der Verwaltung und die völlige Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Es kann keine Frage sein, dass der gewaltige materielle Aufschwung, den Frankreich in diesem tion

als

:

genommen hat, unter den revolutionären Zuständen undenkbar gewesen wäre. Der Handel war durch Monopole, Binnenzölle und eine Menge lästiger Beschränkungen nicht in der Lage, Jahrhundert

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299

Die französische Revolution. sich aber ein

gewisses Mass hinaus

das Kleingewerbe

und

zu

Die Industrie

erweitern.

Uebelständen

denselben

unter

litten

engsten zünftigen Interessen, Bevorrechtigungen

Art

aller

;

die

für be-

sondere Körperschaften, die Bevorzugung einzelner Industriezweige

lähmten die freie Entfaltung gewerblicher Thätigkeit, der der An-

Die Landwirtschaft, von welcher

sporn freier Concurrenz fehlte.

der grösste Theil der Bevölkerung lebte und

arbeitenden Klassen die Mittel darnieder.

Ein Viertel

auch

die

zum Unterhalt

pflugfähigen Bodens

des

den nichtlag

lieferte,

völlig

wüst

lag

;

der

Fruchtbau wurde nachlässig, ohne Fleiss und ohne Kenntnisse betrieben, ein unverhältnismässig grosser Theil der

Pächter und Bauern

wandte sich Nebenbeschäftigungen zu, die lohnender waren, als die eigentliche Landwirtschaft,

deren kärglicher Ertrag

und Herrenrechten aller Art

fast

von Steuern

Ein länd-

verschlungen wurde.

Ungeheure Latifundien, zum ganz kleinen Farcellen an arme Meier ausgethan,

licher Mittelstand fehlte vollständig.

grossen Theil in

und die winzigen Grundstücke der bäuerlichen Eigentümer standen unvermittelt

sich

anders geworden. befindet

sich

Eigentümer.

Das

gegenüber.

Die Hälfte

heute

in

des

ist

seit der

Revolution völlig

ehemaligen Grossgrundbesitzes

den Händen

fleissiger

Frankreichs Handel, Industrie

und

wohlhabender

und Bodenbau sind

durch eine zweckmässige, vernünftige Gesetzgebung

in erfreulichster

Weise entwickelt worden erst durch die revolutionäre Beseitigung aller hemmenden Schranken wurde dem staunenden Europa offenbar, über welche gewaltigen Hilfsmittel dieses reiche Land gebiete und wie viel seine fleissige Bevölkerung zu leisten vermöge, wenn es nicht geradezu gewaltsam in seiner stillen Culturarbeit gestört wird. Mit Stolz kann der Franzose auf die grossen und kleinen Strassen, auf die Canäle und die regulirten Flussläufe hinweisen, die sein ;

Vaterland durchziehen.

Ein

und unteren Klassen

an die Stelle des Elends, der Verarmung,

ist

behäbiger Wohlstand in

den Mittel-

der Uncultur des ancien regime getreten.

Das denkbar straft

Ideal

ist;

der Gleichheit

ist

verwirklicht,

so

weit

es

nur

kein hochgeborener Herr kann sich erdreisten, unge-

von der Canaille der Bürger und Bauern zu reden oder auf seiner Geburt in einer vornehmen

Grund des dummen Zufalles

Familie eine Stellung für sich zu fordern, ist,

besoldeten die

der er nicht gewachsen

deren Einkünfte er verzehrt und deren Arbeit er einem gering

Bahn

Plebejer überlässt.

Jedem Talent, jedem Verdienst

zu freier Entwicklung und Anerkennung

in

ist

weitesten

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300

Die französische Revolution.

Kreisen geöffnet.

Unzweifelhaft

das alles in dem

ist

Zu

möglich geworden durch die Revolution.

Umfang

erst

einer ruhigen, stetigeu

Relornithätigkeit erwies sich das alte Frankreich als durchaus un-

uud wenn auch eine weise, fürsorgliche,

fähig,

die

schreiendsten

Misuräuche

Rechtscontinuität Frankreich der

den

beseitigt

liberale

an

Regierung

Wahrung

unter

umgewandelt

einen Staat

in

wichtigsten Forderungen

— so

und

der

hätte,

modernes Staatsgebilde

ein

wäre der feudale Schutt nicht weggefegt worden; es wären noch immer eine Menge von Vorrechten und Beschränkungen übrig geblieben, die der Idee

entsprochen hätte,

radical wie heute

bürgerlicher Gleichheit mehr oder weniger widersprochen hätten.

Trotzdem

hat wol noch niemand die Behauptung aufgestellt,

dass der Zustand Frankreichs nach der Revolution zu irgend einem

Zeitpunkt ein befriedigender

gewesen

Unfriede,

Unruhe und

Ungewissheit sind der Preis,

um welchen Frankreich Ob ein Land sich in

seine revolu-

tionären Güter erworben hat.

sunden Verhältnissen bewegt,

ist.

politisch ge-

wird nie von der Beantwortung der

Frage nach dem augenblicklichen Stande der materiellen Cultur abhängen. Nicht das Behagen und die Freude der Bevölkerung an einem jeweiligen Zustande sondern die Gewissheit,

das Kriterium seines Werthes,

liefert

Gewähr

dass er die

und

seines Bestehens

die Möglichkeit friedlicher normaler Fortentwickelung in sich selber trage. büsst,

Diese Sicherheit hat Frankreich seit der Revolution einge-

und wird

sie in

einmal

mit

unerhörter Gewalttätigkeit

hinwegschritt und

Es

absehbarer Zeit nicht wiedergewinnen.

der Fluch der Revolution, dass sie sich verewigt hat,

sich auf

das

über

ist

seitdem sie

formale Recht

das

natürliche Recht

der Geschichte

Es wiederholt sich in was während der Revolution in der kurzen

und der Freiheit berufen zu können meinte. grösseren Zeiträumen,

Folge weniger Jahre geschah. ist

an die Stelle

Die Herrschaft wechselnder Parteien

der erblichen

höchsten Gewalt

eine dieser Parteien ist im Stande

stürzt

und

lässt

einen

sich

Bodensatz

lange

getreten

;

zu behaupten

misvergnügter

,

nicht ;

sie

frondirender

Elemente zurück, die nur auf den Augenblick warten, wo ein neuer Wechsel der Dinge sie wieder in die Höhe bringt. Keine Partei um auf die Dauer die anderen zu völliger Beist stark genug, deutungslosigkeit oder

zum Verzicht auf jeden Herrschaftsgedanken

Keine geniesst das Vertrauen des ganzen Landes; darum hat auch keine Regierung es wagen können, ihre Herrschaft zu zwingen.

auf die edlen Triebe der Nation

zu

gründen.

Das

erste Kaiser-

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301

Die französische Revolution.

reich

fand ein ermüdetes, sittlich verwildertes, materiell verkommenes

Geschlecht vor. eine

Es gewährte ihm einen

besseren Rechtsschutz,

zweckmässige Verwaltung und die Befriedigung seiner natio-

nalen Eitelkeit und seiner kriegerischen Leidenschaft, der einzigen,

dem Schiffbruch

welche die Nation aus

um

rettet hatte,

Masslose

idealsten

Güter ge-

Ruhm, Beute, Reichthnm und Orden

überspannen.

zu

ihrer

durch die Verwirrung aller Rechtsbegrifl'e ins

sie

winkten den Franzosen, sofern

sie

nur auf die Freiheit verzichteten.

Dann kam die restaurirte Herrschaft der Bourbonen, welche nur möglich wurde durch einen ungeheuren Verrath an dem gestürzten Pietät und Treue hatten erst die Revolution, dann deren

Despoten.

So trieb eine BeBourbonen wieder aus dem Lande.

Erbe, der Kaiser, die Nation vergessen gelehrt.

wegung der Hauptstadt auch

die

Die Julimonarchie brachte die Bourgeoisie ans Ruder

;

selbstsüchtig,

ohne Idealismus, im Kampfe mit den Parteigängern der gestürzten

Regierungen und mit der keit des Volkes, sie

dem

Versprechungen nicht

ruhmloses Dasein.

mühseliges

ein

wachsenden demokratischen Begehrlich-

sie ihre

hielt,

fristete

Unter dem Scheine einer

wahrhaft constitutionellen Regierung verbarg sich Herrschaft einer kleinen Partei, deren Corruption

in

Wahrheit

die

allbekannt war

und vergiftend auf das gesammte Volksleben zurückwirkte. Und wieder beginnt das alte Spiel von neuem. Das Bürgerkönigthum des Volkes keine Wurzel geschlagen unbe weint zusammen wieder sieht sich die Nation unter die unberechenbaren Launen des hauptstädtischen Pöbels gebeugt, die Angst um Leben und Eigenthum treibt sie noch einmal in die Arme eines

hat im Herzen

;

bricht es

;

Despoten, und willig lässt die Nation sich

durch das Gaukelspiel

der Volksabstimmungen und das leere Gepränge der napoleonischen

Kammern um sie lirt

um derentwillen Und nochmals specu-

seine politische Freiheit betrügen,

doch die Revolution unternommen hatte.

der Machthaber auf die Befriedigung aller kleinlichen und ver-

derblichen Neigungen in seinem Volke. einseitig

wird von

allen

grossen,

Es beginnt

die Pflege der

Aufmerksamkeit der Nation politischen Aufgaben abgelenkt durch

materiellen Interessen:

die

Kriege, Ausstellungen und eine glänzende Wirtschaftspolitik, der

Ruhmsucht, zugeführt.

Schaulust

und Eitelkeit unaufhörlich neue Nahrung

Als dieses System abgewirtschaftet hat, bricht

in

einem

Kriege, den das gesammte Volk verschuldet hat, die napoleonische

Kaisermacht kläglich demüthigt

am Boden

;

zusammen; die Hälfte des

Frankreich

liegt

entehrt,

ge-

Landes von feindlichen Truppen

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302

Die französische Revolution.

im

überschwemmt,

Inneren

Aufruhr der beutegierigen

der

und

Alle politischen Systeme hat Frank-

ordnungsfeindlichen Gewalten.

reich gekostet, an keinem dauernd Gefallen gefunden so wird ein Compromiss geschlossen, die Republik gegründet, nach dem offenen Bekenntnis ihres ersten Präsidenten in Ermangelung einer besseren ;

ist Frankreich das Land der UeberDass die Republik 18 Jahre hindurch sich behauptet hat, will uns auch heute noch nicht als eine in den Verhältnissen begründete nothwendige Consequenz erscheinen, sondern

Regierungsform.

Seitdem

raschungen geblieben.

als das sie

das,

Auch

Ergebnis zufälliger Constellationen und Ereignisse.

und begeisterte Anhänger, denn erhofften, eine dauernde und starke

hat nur wenige entschlossene

was

die

Franzosen von ihr

Regierung, hat unbedingt

sie

ihnen nicht gebracht.

abhängig

Majoritäten in der

an

Concessionen

um

von

Kammer,

Ein Spielball der Parteien,

Abstimmungen

den

die unruhigen

zufällig

gebildeter

jedes neue Ministerium zu neuen

ist

und radicalen Elemente genöthigt

und heute wie vor 40 und vor 90 Jahren steht die Republik rathlos einem politischen Abenteurer gegenüber, der dieses Mal weder durch blendende Erfolge, noch durch den worden,

Zauber

sich zu halten,

eines glorreichen

Namens

sich

eine Partei geschaffen

hat,

sondern der die Corruption des herrschenden Parlamentarismus als

Schlagwort unter die Massen wirft und durch eine schwindelhafte

Reclame sich der Nation als Retter anbietet. Es war das Verhängnis der Revolution von vornherein, verschuldet durch die Sünden der alten Monarchie und den Radicalismus der Aufklärungsliteratur, dass man sich Regierung und Volk als zwei feindliche Mächte vorstellte. Alle Institutionen der Revolutionszeit setzen ein unbegrenztes Mistrauen gegen jede Regierungsgewalt voraus. Daher kam es, dass jeder Fortschritt der Freiheit mit einer un verhältnismässigen Schwächung der obrigkeitlichen Gewalt verbunden war. Seitdem bewegt sich das französische Staatsleben in den denkbar schärfsten Gegensätzen. Das Uebermass und der Misbrauch schrankenloser Freiheit rufen die Sehnsucht nach einer möglichst starken Regierung wach, und kommt eine solche ans Ruder, so ist es mit jeder Freiheit zu Ende.

dieser verderbliche Zwiespalt reich verewigt

worden

ihrer Arbeit gebracht

dem

sie

hatte.

;

;

sie

ist

hat

sich

sie stiess die

selbst

Nation

um

die

in einen

Auch

Frankbeste Frucht

durch die Revolution

in

Zustand,

in

immer nur zwischen Unordnung und Despotismus zu wählen Der Mord Ludwigs XVI. hat Frankreich für immer des

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Qoegle

303

Die französische Revolution. einigenden Mittelpunktes beraubt,

der Möglichkeit, zu einer wahr-

über den Parteien thronenden, versöhnenden Regie-

haft nationalen,

rung zu gelangen,

welche durch ihre

hingewiesen wäre, die Nation sich

frei in

eigensten Interessen darauf

der ihr durch Geschichte und



Temperament eigentümlichen Richtung entwickeln zu lassen. Aus Haas gegen das herrschende System und in Ueberschätzung der Regierungsformen überhaupt gewöhnte man sich im vorigen Jahrhundert, Freiheit für gleichbedeutend mit demokratischer Ver-

Nun ist eine bekannte Thatsache, dass keinem Volke demokratische Formen in der Verwaltung, in Justiz, in Handel und Wandel ferner liegen als den Franzosen. Jeder grosse Fortschritt ihrer nationalen Entwickelung war gebunden an eine entsprechende Stärkung der Monarchie. Aehnlich wie Preussen, ist Frankreich durch seine Könige zu dem grossen, achtunggebietenden fassung zu halten.

Staate geworden,

den

Selbstverwaltung,

sondern Centralisation

Bedürfnis

darin,

war

leben, so

entspricht

französischen Temperaments.

des

eines Volkes

wir in der Geschichte thätig sehen.

nach den Gesetzen

des

dem

Besteht

Nicht

innersten

die Freiheit

eigenen Wesens

zu

die Demokratisirung Frankreichs offenbar ein freiheits-

Es hat auch keine Einrichtung der Re-

mörderisches Beginnen.

volution kürzeren Bestand gehabt als die Wählbarkeit sämmtlicher

Aemter.

Sie

war durch Wahlenthaltungen und durch

die Unlust

des Volkes an politischer Arbeit schon thatsächlich beseitigt, bevor

Napoleon

Wirkung

Zu

seitigt. festigt,

Aber die war damit keineswegs behatte sich in den Massen die Ueberzeugung besouveräne Gewalt vom Volke ausgehe. War ihm

die Präfecturverfassung an ihre Stelle setzte.

verderbliche

tief

dass die

dieses Versuchs

Gewalt genommen, so wollte es doch auf den Namen mehr verzichten. Es wurden die Plebiscite erfunden, durch welche das Volk seine Souveränität scheinbar freiwillig einem Vertrauensmann übertrug, sich selbst aber den Anspruch auf die eventuelle Ausübung seiner Herrschaftsrechte in der Zukunft vorbehielt. So kam eine tiefe Unwahrheit in die französische Ver-

die wirkliche

derselben

fassung,

nicht

welche das Staatsleben nach allen Seiten

Sie hat es verschuldet, heissen sie

nun Napoleon

alle ehrlichen

nur mit

I.,

hin

vergiftete.

ehrgeizigen Köpfe Frankreichs,

der III. oder Boulanger, sich unsauberer

Hände

Lug und Trug zu

Wenn

alle

bedienten, um zur Gewalt zu gelangen, Leute sich von einer Sache zurückzogen, welche

Mittel und unsauberer

und

dass

operiren verstand.

schon überall der Staat, als die alle Lebensverhältnisse

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304

Die französische Revolution. Macht,

durchdringende

Moralität

die

Individuen fördert oder hemmt,

nie

der

und

Gesellschaft

der

ohne Beziehung zu der-

aber

selben bleibt, so wird das in ganz besonderem

Masse der Fall

sein

und unaufhörlichen Schwankungen der obersten

bei einem gebildeten

Gewalt unterworfenen Volke.

Während

der Revolution finden wir ein jeder sittlichen Trieb-

Nur

kraft baares öffentliches Leben. sittliche

Mächte lebendig;

ihren Feinden

unter

waren

die officielle Vernichtung der christlichen

Kirche schuf plötzlich aus dem Schosse eines verweltlichten, seinem kirchlichen Berufe entfremdeten Klerus eine glaubensmuthige Schaar

von Bekennern und Bewusstsein

;

festigte in der

Masse des Volkes das katholische

an ihm brachen sich die

Wogen

der Revolution

;

die

katholische Kirche Frankreichs ging neu gekräftigt aus der furcht-

baren Krisis hervor. giöse

und

kirchliche

hinaus zerrüttet. in

Trotzdem hat die Revolution auch das reliLeben der Franzosen noch für lange Zeit

Während

die Schrecken der napoleonischen Zeit

Deutschland zu einer Wiedererweckung des christlichen Bewusst-

seins führten, die nicht nur

auf die Masse des Volkes beschränkt

ergriff, wurde in Frankimmer mehr zu einer Herzensangelegenheit der unteren Volksklassen. Der grimmige Hass gegen das tempelschänderische Gebahren der Jacobiner machte aber die Masse des Volkes für die Form der Katholicität, die wir die jesuitische oder

blieb,

sondern auch die höheren Schichten

reich das Christenthum

ultramontane nennen, keit,

ganz besonders empfänglich, jene Kirchlichals der heftigste Feind Aufklärung und jeden wahren Darum haben die Monarchen Frank-

welche wie keine andere sich immer

religiöser

und wissenschaftlicher

Fortschritts

erwiesen

hat.

reichs in diesem Jahrhundert in der jesuitischen Kirche den besten

Bundesgenossen gegen den Unabhängigkeitssinn der gebildeten Besie offen oder geheim unterstützt, von oben

völkerung gefunden,

her Scheinheiligkeit

und eine

officielle

Kirchlichkeit

begünstigt,

welche mit den Gefühlen und Empfindungen der leitenden Klassen

Denn diese blieben die unverfälschten im Widerspruch stand. Nachkommen der Aufklärung, Voltairianer, spottlustig, gleichgiltig gegen alles Christenthum, ja voll Hass gegen dasselbe, seit es in den

Dienst

hat nicht

politischer Parteibestrebungen

die Revolution

gestellt

den Gegensatz einer

wurde.

bigotten

Wol

niederen

und einer kirchenfeindlichen, atheistischen gebildeten Bevölkerung auch er war vorgebildet in den Zuständen des alten Frankreich. Aber die Revolution hat nicht nur nichts gethan.

erst geschaffen

;

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Boggle

Die französische Revolution. diesen verderblichen

Gegensatz zu versöhnen, sondern

zu einem unversöhnlichen zu macheu. sche Republik

dem

Kirchen- und

der

Wenu

sich zu den Principien

so hat sie das auf

kennt,

305

um

alles,

ihn

die heutige französi-

der grossen Revolution be-

keinem Gebiet so sehr*bewiesen, wie auf

Schulgesetzgebung.

Sie

ist

dessen

sich

wohlbewusst, dass die gottentfremdete Schule der Masse eiu Greuel

fromme Katholik

sie weiss, dass jeder

ist,

sition

zu einem System befindet,

das den

sich in bewusster

Namen

republikanischen Wortschatz gestrichen hat.

kann

Sie

Oppo-

aus dem

Gottes

sich nicht

verhehle», dass damit ein trennender Keil in die Einheit des Volks-

bewusstseins getrieben wird

aber

;

sie

kann aus dem Banne ihrer

kirchenfeindlichen Traditionen

revolutionären,

nicht

ohne

heraus,

sich selbst aufzugeben.

Für jedes

Volk

revolutionäre

die

ist

Durchbrechung des

Wenn

geltenden Rechtszustandes eiu Unglück.

aber ein Volk den

Versuch gewagt hat, nicht nur diesen zu beseitigen, sondern und jedes zu verleugnen, Geschichte ausmachte,

dem reich

es allein

was

so

bis

es sich von

reisst

alles

dahin den besten Inhalt seiner

zu einem gesunden Leben

dem Boden

gelangen

los,

kann.

auf

Frank-

Anzahl krankhafter Auswüchse mit der Wurzel Aber die gewaltsame Operation hat neue und, wie es Noch hat jeder Verunheilbare Schäden hervorgerufen.

hat

eine

ausgerissen. scheint,

such, den einen oder anderen zu beseitigen,

Erkrankung geführt. Frankreich

soll

Der Mangel an

die

Nicht

für alle

Revolution

Stabilität

der

sofort

Uebelstände

verantwortlich

zu einer neuen

öffentlichen Verhältnisse

Aussichtslosigkeit, in absehbarer Zeit zu einer

modernen

des

gemacht

Gesundung

werden.

und

die

derselben,

zur Versöhnung der aufs äusserste gespannten Gegensätze in Staat,

Kirche und Gesellschaft zu gelangen, sind unzweifelhaft die Folgen der grossen Revolution. Dr. A.

Balliaek« Mon.u ;*Mt

1883

4,«o«

2,70s

1884

4,4,,

2,3.«

1885

4,io7

2,ita»

1886

4.mi

2*ii

4 )S „

2,„ 3

1887

4, is»

3,t«o

1888

4,„,

2

Das Slass der ehelichen Fruchtbarkeit bei den Protestanten kommt der durchschnittlichen ehelichen Fruchtbarkeit in Mitteleuropa ziemlich nahe.

Ueberraschend

über die eheliche Fruchtbarkeit bei

gering erscheint ihr gegen-

der griechisch-orthodoxen Be-

diese Erscheinung hat ihren Grund aber darin, Ende 1885 in Livland das sogenannte «Reversal» noch nicht bestand es werden eben bei uns nicht alle Kinder, die einer zwischen Lutherischen und Griechisch-Orthodoxen geschlossenen Ehe

völkerungsgruppe

weil

;

bis

;

entstammen,

auch nach griechisch-orthodoxem Ritus getauft.

den obigen Zahlen darf

man

schliessen, dass,

Aus

da unter anderen Ver-

hältnissen sich die eheliche Fruchtbarkeit bei den Griechisch-Ortho-

doxen ungefähr eben so

hoch

stellen

wie

müsste

bei den Prote-

stanten, etwas weniger als die Hälfte der aus allen nach griechisch-

orthodoxem Ritus geschlossenen Ehen hervorgehenden Kinder ehemals nach lutherischem Ritus getauft worden

Die Wirkung, welche in

die

ist.

Wiedereinführung des sog.

angedeuteter Beziehung ausgeübt hat,

tritt

in

«

Reversais

der namentlich

1887 stark gestiegeneu ehelichen Fruchtbarkeit bei den Griechisch-

Orthodoxen deutlich zu Tage: eine solche von mehr pro

Ehe

Im

als 3

Kindern

hatten wir hier ehedem keine Gelegenheit wahrzunehmen.

höchsten Grade auffällig

die eheliche Fruchtbarkeit bei

ist hierbei,

dass im Jahre 1888

den Griechisch-Orthodoxen, trotz des

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Qogg le

Protestanteu und Griechisch-Orthodoxe in Livlaud.

eben Dargelegten, wiederum gesunken

359

Dieses kann nur daraus

ist.

erklärt werdeu, dass theils, bei gleichgebliebener Geburtenzahl, die

Zahl der nach griechisch-orthodoxem Ritus geschlossenen Ehen sich im Jahre 1888 relativ stark vermehrt hat, theils daraus, dass eine grosse Zahl derjenigen Mischpaare, welche dereinst keine Reversale

gerade

haben,

unterzeichnet

Folge

in

sich entschlossen haben,

Reversal

ihre

der Wiedereinführung des Kinder evangelisch taufen

zu

lassen, worauf sie unter anderen Verhältnissen vielleicht weniger Gewicht gelegt hätten. Es ist recht lohnend und instructiv, die Zahl der Mischehen in ihrer Beziehung zur Gesammtzahl der Ehen etwas näher ins Auge zu fassen. Nach griechisch-orthodoxem Ritus wurden in Liv-

land getraut:

Paare überhaupt darunter Mischehen mit Lutherischeu im Mittel vou 1880-1885

1628

809

1886

1566

601

1887

?

V

1888

1648

Demnach betrug

648

= 49, = 33,,,

pCt.

7o

«

?

=

39,3,

«

also der procentuale Antheil der zwischen Griech.-

Orthodoxen und Evangelischen geschlossenen Mischehen bis etwa zur Wiedereinführung des Reversais fast die Hälfte der in den

zwar

russischen Kirchen überhaupt vollzogenen Trauungen, und

50,. pCt.

1880

zwischen

einzelnen ;

pCt.

54,,

und

48,,

;

pCt.

nach Einführung des Reversais der

relative Antheil

Auch

liess

überhaupt

der

diese

sich

beobachten,

1885 tritt

Reaction

pCt.

48,»

;

Mischehen

sondern

liegenden Jahre

eine

;

Gleich

evidente Reaction

sinkt

nicht für

für die

47,, pCt.

pCt.

49,«

;

:

ein

;

auf 38,, 7 pCt. herab.

allein

ganz

für

Stadt

jede einzelne

Livlaud

und

für

jeden einzelnen Kreis, hier in stärkerem, dort in geringerem Masse.

In den Städten 35,» pCt., auf

war

fiel

dem

der ßruchtheil der Mischehen von 49,» pCt. auf

Lande von 49, pCt. auf 39, ol pCt. Das Weniger erklärlich uud für das Fortbestehen

flachen

erklärlich genug.

t

der evangelischen Kirche Livlands bedeutungsvoll diese Reaction

schon

sich zu

verlieren

ist

dagegen, dass

beginnt, denn es hat

den Anschein, als wolle jene Procentzißer wiederum eine constant steigende Tendenz befolgen.

Sehr charakteristisch

ist

dass

dabei,

gerade die livländischen Städte sich williger der Wiedereinführung des Reversais gegenüber zu verhalten scheinen als das flache Land,

denn

auf

dem

flachen

Lande

ist

im Jahre

zu 1886 ein weiterer Rückgang der Mischehen

1888 erfolgt,

im Vergleiche (von 39, 0

i

pCt.

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360

Protestanten und Griechisch- Orthodoxe

auf

Livland.

in

pCt.), während in den Städten im vergangenen Jahr die Zahl der Mischehen sich stark der Ziffer für 1885 nähert 1888 47, 18 pCt.) und doch war gerade dort die 49,o pCt.

37,, o

relative

(1885

:

;

;

:

1880 eingetretene Reaction

viel

wahrnehmbarer

Lande zu Tage getreten. Dass das Weib sich im allgemeinen uellen Rücksichten gegenüber

religiösen

Eingehen

bei

dem

als auf

der

flachen

und confessio-

Ehe

indifferenter

Mann, ist häufig und auch in Livland beobachtet So gewahren wir ebenfalls aus den Daten für das Jahr

zeigt als der

worden.

Weib

dass das

1888,

Mischehe

eher

sich

Von

einzugehen.

als

Mann

der

sämmtlicheu

entschliesst, eine

griechisch-evangelischen

Mischehen des Jahres 1888 wurden geschlossen zwischen griech. orthod.

und

Männern

Frauen

griech.-orthod.

Frauen

luth.

und

luth.

1885

(iti,72

pC.

33 >J8

188G

83, 5 ,

«

16,» 0

1887

V

1888

84,i»

Männern i>Ct. *

V *

15,7i

«

Der Fall also, wo ein evangelischer Mann ein griechisch-orthodoxes Weib zur Ehe begehrt, will, wie es scheint, immer seltener eintreten. Innerhalb der einzelnen Städte und Kreise

Frequenz der Mischheiraten wie häufigsten sind hiernach

die

in

stellt sich die relative

der Tabelle

Mischehen

in

1

Am

angegebeu.

den Kreisen

Walk und

am seltensten in den Kreisen Werro und Oesel vertreten und zwar betrug die relative Häufigkeit der Mischehen

Riga, relativ

gewesen,

:

1885 in


war

die

Meinung,

die

Gesandten hätten lieber unverrichteter Dinge zurückkehren, als auf

Bedingungen

solche z.

eingehen

vom Erzbischof Wilhelm Generalconcil

geradezu

sollen«,

durch Zahlung

der Stadt

B. die

zu

bis

von

tausend Gulden

Entscheidung durch

einer

der Domkirche 5

überlassene Benutzung

Wenn

geboten.

einigen

,

die

ein

durch

Urkunde beglaubigt war und einem Verkauf gleichkam, nicht vom König beliebig zu treffenden Willensmeinung anheimgestellt war, so besagte das für jede vorurteilslose eine

bestätigt, sondern einer

Nachprüfung,

Was

hatte

der Bescheid

dass

dem gegenüber

günstig

nicht

ausfallen

die in einer besonderen Caution»

werde.

gewährte

Ausübung des augsburgischen Bekenntnisses noch zu bedeuten

?

Jedenfalls nicht ausschliessliche Geltung des lutherischen Glaubensbekenntnisses,

von

hätte

sonst



schub

der



und das bedeutet der Auffüglich Abstand genommen werden müssen.

Dennoch 7.

möglichen Confiscation

einer

früheren erzbischöflichen Besitzungen

legte die Stadt unter den angeführten

April 158t den Commissaren

Bedingungen

am

des Königs Demetrius Solikowski

und Wenzeslaus Agrippa den Huldigungseid ab. Wir müssen uns zu der Ansicht bekennen, dass es dem Rath die

freistand,

einfach

von den Delegirten

für null

zu

Wege

und nichtig zu erklären.

Richtige gewesen und hätte die .darauf

gebrachte Subjection

Das wäre das

einzig

folgenden Verwickelungen

Ohne Frage wäre zwar der König im Stande

unmöglich gemacht.

gewesen, das widerspenstige Riga allendlich zur Nachgiebigkeit zu zwingen, aber erstens Herrschaft

wäre

es

in

ist es

kaum

glaublich,

er damit seine

dass

den Landen hätte inauguriren wollen,

Riga dann

doch

nicht schlechter ergangen,

und zweitens wie ehemals

Danzig.

[m Jahre 1581, zu einer noch

land und Polen

in

Bathory darum zu thun •

Yalmtini

'

I).

*

Chytnui

T&i.seii

Cliytraei

Zeit,

da der Friede zwischen Russ-

weiter Ferne war, sein,

musste

es

vielmehr

mit Riga auf freundlichem Fuss

Vigensi» tumultu**, Einleitung

Chrotticau Soxnninc-»,

Angabe von Angabe

Chrnttieon Saxoiiiae», «lcntHcln«

p.

zu

VIII.

1593, p. 754.

von 1597,

II, p. 409.

Die Gegenreformation stehen.

Wenn

in

405

Livland.

Gesandten daher wagten, mit einem

es die

so un-

ihrer Instruction strict zuwiderlaufenden Bescheid nach

günstigen,

Hause zu kommen, so waren sie entweder vom Könige bestochen, den Rath von der Unmöglichkeit einer Abänderung des Vereinbarten zu überzeugen, oder sie hatten vom Rath im Geheimen mündlichen Auftrag erhalten, den Vertrag selbst unter ungünstigen Bedingungen abzuschliessen. Dagegen, dass sowol Gesandte als Magistrat sich

übertölpeln

Hessen,

spricht

vieles,

zunächst

das

schliesslich erzielte Einverständnis.

Was wonach

Viecken' von den Verhandlungen der Gesandten erzählt,

sie

— und

zwar

allein die Rathsdelegirten

— von Zamoiski

zu Mittag gebeten wurden, wobei er für die Abtretung einer Kirche

was

wirkte, ferner,

er den Syndicus Welling

der Gesandten darauf bezüglich fragen lässt J

nach

der Rückkehr

»was höre

:

ich,

Ihr

dem Kanzler eine Kirche versprochen ?», ist, bis auf das Mittagessen, an dem aber alle theilnehmen, städtischer Klatsch.

habt

Nur

kennzeichnet

er

freilich

das grosse Mistrauen der Gemeinde,

zu welchem die ganze Legation uud das Verhalten des Rathes ge-

Thatsache

rechten Anlass bot.

Unterredung


Tage

eigenen Thür > im denkbar beengherzigsten Sinne ausgelegt.

anders geworden und dass die

ragenderen Landeskinder selben vollen

sagen

zu

sind indessen

Die Versäumnisse

gewesen,

so grosse

der hervor-

grossen Theils der cBalt.

ist

danken gewesen.

Namen

drei Provinzen den-

dass

früherer

mancherlei zu thun

wenn das Wissen von uns selbst auf einige Vollsoll. Immer und allenthalben beGegenwart vor der Vergangenheit recht, und insbesondere

übrig bleibt,

ständigkeit Anspruch gewinnen hält die

des Tages durch Jahr und Tag das Interesse Lesender und Schreibender in zunehmendem Masse verzehrt. Zugleich aber hat das Wissen von dem, was wir gewesen, so sichtliche Bedeutung gewonnen, dass die Beschäftigung mit vergangenen Dingen und vergangenen Menschen Längst darüber ihre Berechtigung nicht erst nachzuweisen braucht. bei uns hat die Beschäftigung mit Sorgen

im Leben der Einzelnen wie der Gemeinschatten herauskommt und dass der Gefahr des Veraltens nur entrückt ist, «was sich nie und nirgend begeben hat>, wird das heutige Geschlecht dem Gedächtnis auch belehrt, dass es

immer nur auf

Wiederholungen

vergangener Tage eine Stelle gönnen, die mit Kämpfen und Gegensätzen unserer Wirklichkeit nichts zu

solcher Genossen

den

schaffen gehabt haben.

Von den nicht eben zahlreichen Dichtern und Sängern, die dem Lande zwischen Düna und Embach angehörten, ist keiner so gründlich vergessen worden,

wie der Componist eines Liedes, das

Z. in der gesammten gebildeten Welt gesungen worden und das noch heute unvergessen ist. Text und Weise des tiefempfundenen s.

Liedes

«Nach Osten geht, nach Osten Der Erde stiller Flug, Nach Osten hin, nach Osten Geht meiner Seele Zug»

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408

Ein vergessener livläudischer Dichter.



stammen

nicht

blättern

versichert

wie gemeinhin angenommen und

wird



August Heinrich von Weyrauch Werk

auf den Titel-

Franz Schubert,

von

von

sondern

Dass das

aus Riga.

Unbekannten dem grössten Liedersänger aller Zeiten worden und dass dieser Irrthum Bestand gewinnen konnte, will mehr sagen, als Anpreisungen und Kritiken irgend vermöchten*. Und dass es sich bei dieser Weyrauehschen Schöpfung um mehr als einen glücklichen Einfall gehandelt hat, beweisen eines

zugeschrieben

die

übrigen

ist,

Dichtungen

gebliebenen

erhalten

Dass

Lyrikers fast ausnahmslos. hat nicht sowol an

dem

die

dieses

feinsinnigen

Zahl derselben eine geringe

Dichter, wie an

dem Umstände

dass Weyrauchs Gedichte fast ausnahmslos

in

gelegen,

längst vergesseneu

Anthologien und Almanachen erschienen und dass niemals ein Versuch zur

Sammlung und Sichtung

derselben gemacht worden

ist.

Ueber die Gründe solcher Unterlassung kann au dieser Stelle eben so wenig Rechenschaft abgelegt werden, wie über die Einzel-

vom Lebensgange des von Weyrauch im

heiten

Heinrich

Der Angabe, tdass August

Dichters.

1788

J.

zu Riga

geboren,

theils

in

Riga, theils in einer St. Petersburger Erziehungsanstalt erzogen und

dem rigaschen Gou verneinen tszum Collegiensecretär befördert

einige Zeit lang als Buchhalter bei

Postcomptoir

worden»

angestellt

,

auch

(Schriftsteller-Lexikon

wenig mehr nachzutoagen,

IV,

S.

500)



Notiz

dieser

ist

Weyrauchs Vater viele Jahre Riga war und dass einer der

als dass

lang Gouvernementspostmeister in

Riga geborenen Brüder des Dichters um die Mitte der fünfziger Die zu St. Petersburg ein höheres Postamt bekleidete. fernere Angabe, nach welcher der dreiundzwanzigj ährige Collegien-

in

Jahre

secretär

a.

D. «in Dorpat Studien trieb» und nach Beendigung der-

selben von 1820 bis 1821 versität bekleidete>,

das

Amt

eines Lectors der dasigen Uni-

wird durch das Album

Academunm

bestätigt.

Unter Nr. 614 als sudiosus juris immatriculirt, hat August Heinrich während der Jahre 1811 bis 1813 unserer Landeshochschule ange1

Nach einer anscheinend

verbürgten

Ueberlieferung

Stehende Irrthum zuerst von einem pariser Verleger

ist

der

in

Rede

begnügen worden, der da»

Weyrauchsche Lied in einem von dem Fürsten Gregory Wolkonski hand&chrift lieh gesammelten Musikalienhefte fand und dem berühmten wiener Meister zu schrieb, dessen Yoealcompositioncn durch den talentvollen russischen

Kuustfreund

und geschmackvollen Sänger in der pariser vornehmen Welt bekannt gemacht worden waren. Nach Recke Napierskys Lexikon sind Weyrauchs Compositioueu zuerst in Symauckis «Fünf Heften deutscher Lieder, in Musik gesetzt > im

Druck

erschienen.

409

Ein vergessener livländischer Dichter.

Zahl zu

hurt, beiläufig bemerkt, als Zeitgenosse einer ansehnlichen

hohen Würden gelangter Männer: des General feldmarschalls Grafen Berg (stud. phil. 1810—12 sub Nr. 599), des grossen Forschers

Karl Ernst von Baer (stud. med. 1810—14, Nr. 577), bekannt gewordenen Geheimraths Peter

Schriftsteller

1810—12),

des

als

Goeze

und unvergessenen 1810—14), des Generalmajore v. S t r y c k • Heiligensee (stud. phil. 1811—12), der Diplomaten E. W. R. Baron Ungern-Sternberg und Paul Baron (stud.

thcol.

Hahn Siv

(s.

e rs

-

unvergesslichen (stud. theol.

des Landraths

Z. Civilgouverneur von Livland),

Euseküll, der Professoren Piere

Strnve, und E. C.

des

Ulmann

Bischofs Dr. E. C,

Walter

der beiden rigaschen Bürgermeister J. C.

Gro ss

zeit wissen

u. a.

m.



lieber

von

und F. G.

W.

Schwartz

Weyrauchs akademische Lehr-

wir eben so wenig zu berichten,

wie über die sieben

auf dieselbe folgenden Jahre und über die Gründe,

den drei-

die

unddreissigj ährigen Lector der deutschen Sprache bestimmten, dieses

Lehramt nach Jahresfrist in die Hände seines Freundes und Collegen Karl Eduard Raupach niederzulegen und von Dorpat nach Dresden überzusiedeln.

Als Dichter und Schriftsteller

hatte

Weyrauch

vor seiner im Jahre 1827 erfolgten Verpflanzung an

bekannt gemacht. Bereits zwanzigjährige Postbeamte

sich

bereits

das Elbufer

im Januar des Jahres 1808

war der

einem «Wochenblatt für Damen»

mit

an die Oeffentlichkeit getreten, welches den zarten Namen «Iris» führte, mit «illustrirten Kupfern» geschmückt war und in 52 auf

Nummern dem

einander folgenden

rigaer Publicum vorgelegt wurde.

Vo^i ein paar unbedeutenden Uebersetzungen aus

dem Französischen

abgesehen, sind sämmtliche spätere Erzeugnisse der Weyrauchschen

und in Almanachen erschienen. Die Zahl dem Zeitalter niedergehender Schönseeligkeit und emporstrebender Romantik eine sehr bedeutende. Alljährlich

Muse

in Zeitschriften

der letzteren

um

war

und

Weihnachten

die Zeit der

zarten

in

Gefühlen

überfliessende

und

der Jahreswende pflegten von

zumeist

stimmte «Taschenbücher» und *Almanache» das Licht der Welt zu erblicken

Düna eben Elbe,

der

Frauenwelt be-

Herren Ländern

und au der Moskwa,

Newa und

vorzukommen, wie an der Spree, der und der Themse. Beiläufig bemerkt, hat die erst seit Ende der 40er Jahre aus der Mode

so unvermeidlich

Donau

Mehrzahl dieser

gekommenen ihrer

der

in aller



Ernährer



lyrischen in

Wasserbehälter

wahrhaft

für

die

Vergessenheit

unvergleichlicher Weise gesorgt und

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410

Ein vergessener livländischer Dichter.

das Jahrzehnt ihrer Entstehung höchstens in Ausnahmefällen über-

Vor diesem Geschick

lebt.

sind die Inländischen Veranstaltungen

, das «Neujahrs-Angebinde für Damen [Dorpat 18l7j>, Tielemanns« Livona> 1812) eben so wenig verschout geblieben, wie die gleichzeitigen und gleichartigen Zeitschriften, denen Weyrauch während seiner rigaer und dorpater Periode Beiträge gönnte: Kaffkas, dieser

des

poetischen

pachs

,

Museum > und

«Zuschauer» von 1801 &c.



*

Merkels

Neues Museum»,

Nichtsdestoweniger blieb der Dichter

dieser unscheinbaren und undankbaren

auch

Rau-

Schauspielers« «Nordisches Archiv» (1808),

«Inländisches

nach seiner Niederlassung

in

Methode der Veröffentlichung Dresden

Während

treu.

der

achtunddreissig Jahre, dass er die sächsische Landeshauptstadt be-

Werk und

wohnte, hat er kein einziges selbständiges

keine

Samm-

lung seiner Dichtungen veröffentlichen lassen, sondern sich mit gelegentlichen Publicationen iu der von

gegebenen

«

Vergnügen

selligen

Das

begnügt.

nehmen,

Kind und Kraukling » heraus-

Dresdener Morgenzeitung», dem «Taschenbuch zum ge-

und anderen Zeitblättern untergeordneter Art dem wir diese Notizen ent-

^

Schriftsteller-Lexikon,

weiss von

Weyrauchs späterer Existenz wenig mehr zu

sagen, als dass derselbe theologische Studien getrieben und «privatisirt»

Dem

habe.

Freunden sehend zeitalters

in

wirklichen Leben abgewandt, die

Welt

in seinen

und nach Art der Kinder des Sentimentalitäts-

den Cultus

der eigenen Empfindung

brachte der feingestimmte Dichter seine Tage in so

versenkt,

stiller

ver-

Verborgen-

sein im Jahre 1865 erfolgter Tod nahezu unbemerkt Jegor von Sivers, der sonst genau Bescheid wusste und seinem Buche «Deutsche Dichter in Russland» einige der gelungenheit,

dass

blieb.

sten Dichtungen des talentvollen

Mannes

einverleibte, hatte in der

denselben beigefügten biographischen Notiz den Dichter und

Com-



1

Zu

iu

sechzigjährige Abenteurer er eben

Malen (1789, 1801 und 1812 bis 1815) als SchauRiga thiitig, «tarn dieser vieluwgetriebeue neunund-

drei verschiedenen

und Schriftsteller

spieler

die Ario

iu

der Garderobe des

»Der Tod packt mich schon

rigaer Stadttheaters,

am

nachdem

(aus Rochus Pumpernickel

vorgetragen hatte. *

Carl (Konstantin Kraukling

Dorpat Medicin

studirt,

des historischen

Museums

aus Kurland

nach Dresden, bis

wo

wandte

sich,

nachdem

er in

er als Secretär, ipiter als Director

zu seinem im J. 1864 erfolgten Tode

lebte.

Mit

Hell und Kind befreundet und wegen seiner Gefälligkeit gegen reisende Lauds leute bekannt, geborte Kraukling

dem

Kreise der friedlich ästhetisirenden Dichter

der Vespertina (Abendzeitutg) an.

Digitiz^ byj£flflgle

Ein vergessener livländischer Dichter.

«Nach Osten»

ponisten des



ein Irrthum,

im Jahre 1852 sterben lassen

bereits

den Beise

411

in seiner

Fortsetzung des »Lexikons»

gebührend zurechtstellte.

Den vorstehenden Daten als dass

Weyrauchs Nachlass

weiss ich wenig mehr hinzuzufügen, in

die

Hände

des (seitdem gleichfalls

verstorbenen) dresdener Malers und Akademie-Professors Baehr gelangte.

Nach

einer

Mittheilung,

die

verstorbene

der

Professor

Theodor Grass dem Schreiber dieser Blätter im Sommer 1867 machte, wurde für diese Hinterlassenschaft ein Herausgeber gesucht,

und

als dieser sich nicht finden wollte,

Sache aufgegeben und

die

ihrem Schicksal überlassen. Dieses Schicksal

ist

dasjenige einer vollständigen Vergessen-

Ueber Weyrauchs Grab wächst seit vierundzwanzig Jahren Gras und Ried, seine Verwandten und Zeitgenossen sind todt, seine Freunde Baehr und Grass längst aus den Reihen der heit gewesen.

Lebenden geschieden und des bescheidenen Mannes Spuren so

voll-

ständig verweht, dass es ausserordentlich schwer halten dürfte, über

äusseren und inneren Lebensgang desselben Ausführlicheres festzustellen.

Und doch genügt

die Bekanntschaft

den einzelneu

mit

erhalten gebliebenen Liedern des Dichters und Componisten zu der

Ueberzeugung, dass derselbe Träger eines echten, innerhalb gewisser Grenzen bedeutend zu nennenden Talents gewesen. Vollendete Herrschaft über die Sprache und poetische wie musikalische Form war bei Weyrauch mit einer Innigkeit der Empfindung gepaart, die ihn zur Wiedergabe unvergleichlicher Stimmungsbilder befähigte.

Diese

Bilder tragen den Charakter einer ganz bestimmten Zeit und einer

mit

dieser

untergegangenen Empfindungsweise



Vorzüge,

nach

denen man sich bei neueren und neuesten Poeten unseres Landes und anderer Länder vergeblich umsehen wird. Wer sich auf die «klingende Gewohnheit

des Reims

und

des

Sylbenzählens» auch

nur halbwegs versteht, wird einräumen, dass Verse von dem Reiz des

«Zwei Augen kenn' Seh' ich

heutzutage

nicht

ich,

brenn' ich»

mehr gemacht werden

apostrophe dieses Liedes, sunkenheit

sie,

in

und dass die Schluss-

welcher des Sängers traumhafte Ver-

mit der Bezauberung

des Vogels

durch

die lauernde

Schlange verglichen wird, (Er hängt ohnmächtig

Im

Strahle prächtig)

von reinstem und höchstem poetischen Gehalt

ist.

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412

Ein vergessener

livl indischer

Dichter.

«Und halb im Traume vom Baume

Fällt er

Und Noch Ihre Melodie

singt im Sterben sein Verderben.»

diese Strophen gerade so

tragen

sich,

in

jenigen des Liedes cNach Osten >, dessen getragene,

wie

die-

zugleich von

Hoffen und Fürchten bewegte Stimmung

(Dort hinter jenen Bergen

Dort über jenem Wald,

Da

weilt



ich



kanns nicht bergen

Die reizende Gestalt)

Worte und Weise gleich beredt wiedergeben und von dem sich wohl begreifen lässt, dass es das Entzücken unserer Grossväter und Grossmütter ausgemacht hat.

Der um Kreis

baitisch

ist ein so

-

Unternehmungen geschlossene Neigung zu dergleichen Unternehmungen

literarische

enger, die

eine so rege, dass die vorstehenden Blätter dazu ausreichen dürften,

den Gedanken an eine Sammlung und Neuherausgabe der Weyrauch-

um

eine einfache,

Ueber die Findeorte geben das

Schriftsteller-

scheu Gedichte anzuregen. last

mühelose Sache.

Es handelt

sich dabei

Lexikon und die Fortsetzung desselben (Bd.

II, S.

Auskunft, die namhaft gemachten Zeitschriften

und Riga unschwer beschafft

273) die nöthige

werden in Dorpat

werden können und

in

Dresden an-

sässige Landsleute unzweifelhaft gern bereit sein, Auskunft darüber

zu ertheilen, ob über die erwähnten Weyrauchschen Hinterlassen-

Wo

sich für poetisch ge-

der zweifelhaftesten Art

waghalsige Verleger

schaften irgend welche artete Experimente

Kunde

vorliegt.

beinahe regelmässig finden, kann

und Compositionen,

und

die

Herausgabe von Dichtungen

die ihrer Zeit weit verbreiteten

Ruf besassen

Weg

an die Oeffentlichkeit geAn einer funden, auf ernsthafte Schwierigkeiten nicht wol stossen. in Zeiten der Dürftigkeit

den

Feder, die den Enkeln ausführlicher, als hier geschehen, über August

Heinrich von Weyrauch Bescheid

zu geben

und

die «selige Ver-

Gemütlichkeit und Zartsinnigkeit zu schildern wüsste an einer solchen Feder wird es sicher nicht fehlen, wenn einmal unter «eine Decke» gebracht borgenheit» der alten

guten Zeit

exclusiver



ist,

was im Leben des Dichters räumlich und

einander gestanden!

zeitlich

weit aus-

—a —

Notizen. N

e n c

E

r X

ii

h

1

n n g

Von

n.

enn irgend etwas im Stande

welche

ist,

ist es seine

Leo

Tolstoi.

Tolstois Weltanschauung,

den Worten gipfelt:

in

im Geiste», zu widerlegen, so

Morgen

(iraf

*

Armen

Selig sind die

eigene Erzählung

:

«Der

des Gutsherrn».

Der Gutsherr ist der neunzehnjährige Fürst Nechljudow, welcher, von dem erhabenen Gedanken geschwellt, dass Liebe und Wohlthun Wahrheit und Glflck ist und zwar die einzige Wahrheit und das einzig mögliche Glück in der Welt,

und die Bequemlichkeiten

die Universität

Stadt verliess,

um

sich

und Genüsse der

im Dorfe anzusiedeln und daselbst mit Leib

und Seele dem Heile und der Wohlfahrt seiner siebenhundert Bauern zu leben.

Er sah vor

sich ein riesiges Gebiet für die

Betätigung

der selbstverleugnenden Liebe. Er träumte davon, auf diese schlichte, empfängliche, unverdorbene Volksklasse

einzuwirken, sie aus deni

Elend zu befreien, ihr ein genügendes Auskommen zu verschaffen, die Bildung, welche er besass,

auf sie zu übertragen,

ihre durch

Unwissenheit und Aberglauben erzeugten Fehler zu verbessern, ihre Sittlichkeit zu entwickeln

Und ausserdem, dachte glücklich zu sein

Familienlebens?

in der

Und

sie

zur Liebe des Guten anzuhalten.

Liebe

zu

wer hindert mich,

Zukunft

Einbildungskraft

vor.

stillen,

des

malte ihm

Ich und eine Frau, die ich

Welt niemals jemand jemanden

wir leben immer inmitten dieser

selbst

einem Weibe, im Glücke

die jugendliche

eine noch bezauberndere so liebe, wie auf der

und

er gleichzeitig,

geliebt hat,

idyllischen Dorfnatur mit

den Kindern, vielleicht mit der alten Tante.

Wir

erfreuen uns an

414

Notizen.

unserer

allgemeine

stützungen, führe,

und

sie

der Liebe

zu

unseren Kindern,

unser Beruf das Wohlthun

Wir Ich

in dem schlichten weissen dem wohl geformten Füsschen emporhebt, geht die Bauernschule, ins Krankenhaus, zu dem

mit ihrem lieblichen Köpfchen

den Koth

in

unglücklichen Bauer, der nach allem Recht

und überall tröstend,

hilft sie.

keine Hilfe

.

.

.

Dann kehrt

sie

verdient,

Die Kinder, die Greise, die Frauen

vergöttern sie und sehen in ihr irgend einen Engel

sehung.

ist.

Ziele.

Anordnungen, gebe allgemeine gerechte Unterdie Farmwirthschaft ein, Sparkassen, Werkstätten,

Kleide, das sie über

durch

dass

beide,

dem anderen auf dem Wege zu diesem

helfen eines treffe

an

gegenseitigen Liebe,

und wir wissen

oder die Vor-

zurück und verheimlicht mir, dass

dem unglücklichen Bauer gewesen hat, aber ich weiss alles und umarme bei

ist

und

sie

ihm Geld gegeben

sie herzhaft und küsse zärtAugen, die schamhaft erröthenden Wangen und

lich ihre reizenden

die lächelnden rosigen Lippen.

Doch die Ideale sind dazu da, um nicht verwirklicht zu werden. Träume sind Schäume. Mehr als ein Jahr war vergangen, seitdem Nechljudow sein Glück in dem Glücke anderer suchte, und was hatte er erreicht? Seine Bauern waren nicht reicher, noch gebildeter,

noch

moralischer

Laster,

Argwohn,

geworden.

Lügnerische

Hilflosigkeit spannen

von einer Bauernhütte zur anderen. dreissigj ährige

Juchwanka,

Pfeife rauchte, sich

um

welcher

Routine,

nach wie

Da war

beispielsweise der

gemüthlich

die Wirthschaft, welche

Müssiggang,

vor ihre Fäden zu

Hause

dafür mishandelte Mutter in gutem Zustande abgetreten, geringsten bekümmerte und sich höchstens

sass,

ihm die zum Danke nicht

im

damit beschäftigte, der

Krone gehöriges Holz zu stehlen und in der Kneipe zu versaufen. Da war ferner David Belij, ein ruhiger, mässiger Bauer, welcher aber schlimmer war als ein Trunkenbold; denn er rührte allen Strafen und Züchtigungen zum Trotze keinen Finger zur Arbeit, er verschlief die ganze Zeit auf dem Ofen und Hess sich von den alten, kranken Eltern ernähren, nachdem sein Weib durch Ueberanstrengung elendiglich zu Grunde gegangen war. Die Bauern aber, welche wie Dutlow mit Arbeitsfreudigkeit ihrem Berufe nachgingen und mit Bienenfleiss sich ein Vermögen zusammengescharrt, Sie hatten, begegneten dem Gutsherrn mit- grossem Mistrauen. hielten es für nothwendig, ihr Vermögen vor ihm zu verheimlichen sie gingen einem Geschäfte mit ihm aus dem Wege, weil si« fürchteten, «auf einen Schlag für immer quitt zu sein».

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415

Notizen.

Freilich ist im Grunde genommen der Held der vorliegenden Erzählung nicht der Mann darnach, die weit ausgreifende, hohe

Aufgabe,

welche er

Unternehmen

zu

gesteckt,

sich

füglich

ist

nur ein

bewusster, an Erfahrungen reicher und

bewanderter Charakter gewachsen.

dem Fürsten Nechljudow.

dem

etwas

in

nicht

Spruch:

«

gleich

männlicher,

Alle diese Eigenschaften fehlen

ist ein

schwärmerischer Utopist, ein

Thränen

die

ziel-

der Kunst des Hoffens

in

welcher sich über alles grämt,

sentimentaler Jüngling, zu Herzen nimmt,

Er

Einem solchen

erfüllen.

energischer,

seinem Sinne

sich

alles

den Augen stehen, wenn

in

Auf

verläuft.

ihn hat der

Parturiunt montes, nascitur ridicultts mus> volle Anwendung.

Sehen wir ihn doch gar am Schlüsse der Erzählung schwermüthig

warum

ein Fuhrmann geimmer weiter und weiter fliegt und unten die goldenen Städte, Übergossen von hellem Sonnenglanz, und den blauen Himmel mit den klaren Sternen und das blaue Meer

darüber brüten,

worden

sei,

er nicht wie Iljuschka

der frei und leicht

mit den weissen Segeln

sieht.

Die zweite Erzählung schildert mit haarsträubendem Realis-

mus zu Nutz und Frommen der sündigen Menschheit den «Tod

des Iwan Iljitsch, eitlem

Tand und hohlem

dessen ganzes Leben ein stetes Jagen nach

Flitter war.

Sein

Drang

nicht durch einen höheren, idealen

Thun und Treiben ward sondern

beflügelt,

nach

den Regeln des Anstandes und den Anschauungen der Vorgesetzten zugestutzt. die in der

Wie die Fliege durch das Licht, so wurde er durch Welt am höchsten Stehenden angezogen er knüpfte ;

freundschaftliche Beziehungen mit ihnen an

Manieren und Ansichten zu

was

Für

eigen.

machte sich ihre

und

seine Pflicht hielt er alles,

die Höchstgestellten als eine solche ansahen. Als Untersuchungs-

richter und später als Mitglied der

Er

weithin sich dehnende Macht. sten, selbstgefälligsten

Leute

nur eine Anklage gegen ihrer

sie

Anklagekammer besass

in seiner

Gewalt

Höhe herabzustürzen und zu

um

sie

jäh von

Er misbrauchte

zertreten.

dings nie seine Gewalt, er liebte es im Gegentheil,

aber das Bewusstsein derselben, das Bewusstsein, Belieben handhaben zu können,

und dass er

seien

zu erheben brauche,

er eine

angesehen-

fühlte, dass selbst die

sie

sie

das

bildete für ihn

aller«

zu mildern

nach seinem wesentlichste

Interesse und die Anziehungskraft seines Dienstes.

Wie seiner

bei

allen

seinen Handlungen,

so

leitete

Vermählung mit Praskowja Fedorowna

sicht auf das leichte,

ihn

lediglich

angenehme, anständige und

von

auch die

bei

Rück-

der Gesell-

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416

Notizen.

schaft

Die Ausserach tlassung

Leben.

gebilligte

Herzens rächte sich

bitter

an ihm.

der Stimme

des

Nach den Flittermonden

ent-

stand eine Entfremdung zwischen den Ehegatten,

welche mit den Jahren immer mehr zunahm und während der langwierigen schmerzlichen Krankheit des Iwan Iljitsch ihren Höhepunkt erreichte.

Frau und Tochter sahen

Krankheit des Gatten und Vaters Vergnügungen, und ihr Interesse

in der

ein unerquickliches Hindernis ihrer

für ihn concentrirte sich darauf, wie bald er die

Lebenden von der

Unannehmlichkeit, welche seine Gegenwart erzeugte, und sich selbst

So wurde

von seinen Leiden befreien werde. liches

Leid durch

Vereinsamung und Verlassenheit erheblich die

sein schweres körper-

niederschmetternde Gefühl

das

peinigenden Gewissensbisse,

welche

der

ihm

schonungslos

Lebenslauf in seiner trostlosen Nacktheit vorführten. mit

dem Aufgebote

alle

möglichen dialektischen Kunststücke und

gänzlichen

Dazu kamen

gesteigert.

Ob

seinen er auch

glänzenden Beredtsamkeit sich

seiner

durch

durch

den Hinweis

auf die Gesetzlichkeit, Regelmässigkeit, Anständigkeit seines Lebens in die Illusion zu wiegen suchte, dass dasselbe den

der Menschenwürde entsprochen habe,

so herrschte

Anforderungen ihn

doch eine

Stimme unnachsichtig an, dass es, abgesehen von der goldenen Kindheit, ein Gewebe von Lug und Trug gewesen sei, dass er im Taumel nichtiger und widriger Vergnügungen sich nicht zur Selbsterkenntnis emporgerungen habe. Diese Stimme triumphirte schliesslich, worauf ihm der unfassbare Tod in einem doppelt erschreckinnere

Von diesem Augenblicke an erhob

lichen Lichte erschien.

mehrere Tage anhaltendes Geschrei, war, dass

man

Es kam ihm

der

Er

zum Tode

in einen

engen

Thülen nicht ruhig anhören konnte. und wie

sträubte sich,

tiefen

sicli

schwarzen Sack

in den

und

giebt,

allen Kraftaufwandes

bei

hinein-

Händen des Henkers

Verurtheilte sträubt, welcher weiss,

Rettung für ihn

dass

es

keine

Minute fühlte er, dass er trotz dem Widerstande jenem immer näher in jeder

kam, was ihn mit Entsetzen

Tod

er ein

so markerschütternd

vor, als wollte ihn eine unsichtbare, unwiderstehliche

Kraft mühsam

zwängen.

es hinter zwei

welches

Doch allgemach verlor der Er beugte sich zerknirscht vor dem empfand tiefe Reue und schlummerte erfüllte.

seine Schrecken für ihn.

Spruche des Gewissens,

er

dann, von einem Strahle des gnadenreichen Gottes verklärt, in das Jenseits hinüber.

Dr.

Bernhard Münz.

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417

Notizen.

Zur Präge der Zufuhrbahnen die

Nachweisung über bewegten (Jetreidequauti tüten von

in Russland, nebst statistischer

den Jahren lHßtf— 1885

in

Oscar Mc

r t e

ns

bahngesellschaft.

Uandelsarehiv

,

1889

Riga,

aus

(Sonderabdruck

dem

«Rigaer

Jahrg. XVI).

Der auf dem Gebiete der specieller Rücksicht

Riga-Dünaburger Eisen-

der

Kanzleidireetor

Güterverkehrsstatistik, bisher mit

auf das Zufuhrgebiet Rigas,

vortheilhaft be-

kannte Verfasser hat dieses Mal einen Stotf bearbeitet, der in ganz Russland von allgemeinstem Interesse ist, woher es ihm auch an 1

einer allgemeinen

zumal

in

Anerkennung

seiner verdienstvollen jüngsten Studie,

Kreisen von Eisenbahninteressenten nicht fehlen dürfte.

Mertens

stellt

in

seiner

jüngsten Arbeit

zunächst den ge-

sammten Getreide- und Mehlverkehr in Russland überhaupt und sodann im Speciellen nach Art der Verkehrswege (Eisenbahnen, Flüsse, Landwege) dar, um des Weiteren in Text, Tabellen und sehr instructiven kartographischen Darstellungen die Resultate einer

vom Verfasser veranstalteten Umfrage mitzutheilen, welche den Zweck hatte, die Zufuhrrayons einer Anzahl Bahnen nebst den Zufuhrkosten für Getreide zu ermitteln.

Freilich sind es nicht alle

Eisenbahnen Russlands, auf welche Mertens seine Detail-Erhebungen erstreckt hat

;

er behandelt im Einzelnen nur die 16 Bahnen,

denen die*Riga-Düuaburger Bahn

Doch auch

pflegt.

ein solches

regeren

mit

geschäftlichen Verkehr

Beobachtungsgebiet dürfte bei dem

eigenartigen, detaillirten Verfahren, welches der Mertensschen Unter-

suchung eigen ihrer sich

ist,

zeitraubenden

der

um

genügen,

theoretischen Seiten

hin

Mühe

die behandelte

unterzogen,

Frage nach einer

Der Verfasser hat

zu beleuchten. die

an

die

Vorsteher

von 240 Eisenbahnstationen versandten Fragekarten aufzuarbeiten, welche Angaben darüber enthalten, von welchen in der Umgebung der Station belegenen Punkten letzterer Getreide zugeführt wird, wie weit diese Punkte von der Eisenbahnstation entfernt und wie gross die Kosten der Anfuhr einer Waggonladung (610 Pud) sich «teilen.

Aus einem

solchen Material hat Mertens das Zufuhrgebiet

für 16 russische Bahnen zu bestimmen gesucht, dasselbe graphisch dargestellt

und

gleichzeitig

die

durchschnittlichen

innerhalb der einzelnen Bahnrayons

Verfasser

kommt

zu

dem

in

Ergebnis

,

Zahlen dass

Zufuhrkosten

ausgedrückt.

jene

(2794)

Der

Punkte

durchschnittlich von der Eisenbahnstation 22 Werst entfernt sind 1

Frühere Arbeiten von Oscar Mertens sind; «Das Zufuhrgebiet Rigas für

Getreide, Mehl und Grütze», 188a und die Fortsetzung hiervon, erschienen 188. iUltiaclio MonaUiohrift. Bd. XXXVI, lieft 5. 29

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418

Notizen.

grösste

die

Entfernung beträgt 42 Werst,

durchschnittliche

die

geringste 14 Werst.

Nachdem der Verfasser

Noth wendigkeit des Baues von

die

Zufuhrbahnen zu erhärten versucht diese

Aufgabe zu

hat, berührt er die

Er

erfüllen obliegt.

Frage,

wem

spricht sich dahin aus, dass

Bau von Zufuhrbahnen mit Unterstützung zu nehmen hätten, wobei die landischeu Selbstverwaltungen das Unternehmen durch unentgeltliche Heigabe die

Hauptbahnen

den

das Staates in die

Hand

des Terrains fördern sollten.

Mit Hinweis auf

die

Erfahrungstatsache, dass nur die höher-

werthigen Getreidegattungen die Kosten eines kostspieligen Transports zu tragen im Stande sind, beleuchtet der Verfasser schliess-

Frage

lich die

cWo

Zufuhrbahnen gebaut werden

sollen

In einer entschieden geistreichen Weise

Frage theoretisch zu tualischen Antheil die

einzelnen

er für

46 Bahnen dem procen-

am Transportquantum sämmtlicher Bahneu den

Getreidearten

der einzelnen

Antheil

Indem

lösen.

?>

sucht Mertens diese

entsprechenden

Bahn zur

Seite

für

procentualischen

bezeichnet Mertens

stellt,

diejenigen Linien als die geeignetsten zur Anlage von Zufuhrbahnen,

deren Transportleistung

einen

für

Linien eine hervorragende Stelle

der behandelteu Artikel diesen

wo

anweist und

Artikel zu den bedeutendsten Producten

des

zugleich dieser

betreffenden Zufuhr-

rayons gehört.

Im

Einzelnen werden natürlich die localen Verhältnisse über die

Notwendigkeit der Anlage einer Zufuhrbahn zu entscheiden haben. Jedenfalls gebührt Mertens das Verdienst, der Lösung dieser ganzen wichtigen Frage auf theoretischem Wege nahe gerückt zu sein. Mertens hat die Frage,

werden

sollen,

theoretisch

w

o Zufuhrbahnen in Russland gebaut

entschieden

sehr

fein gelöst

So sehr

aber seine Arbeit nach dieser Seite hin Anerkennung verdient, so sehr berechtigt erscheinen die Einwände,

gegen Einzelheiten Methode,

aufdrängen.

Mertens

welche

bei

die sich bei der Leetüre

Vor allem Berechnung

sich

lässt

von

*

über

die

Durchschuitts-

entfernuugen» der Getreidesammelpunkte von der nächsten Eisenbahnstation befolgt, streiten und fragen,

warum denn

der Verfasser statt

von Durchschnittsentfernungen einfach von den Maximalentfemungen ausgeht,

aber

ist

um

das Zufuhrgebiet

doch wol

Zutuhrbahnen

in

die

einer

Bahn zu bestimmen.

ganze Frage darüber,

o b

der

Russland schon jetzt zeitgemäss und

Sodann

Bau von

volkswirt-

schaftlich lohnend erscheint, noch sehr discutabel.

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419

Notizen.

Ich wenigstens

bin

der Ansicht

gewiss nicht allein dazustehen, dass stellung guter, allzeit passirbarer

in

und

in grosser

mit derselben

durch

Landwege dasselbe

was man durch Zufuhrbahnen zu

könnte,

auch Zufuhrbahnen

glaube

Russland

erreichen

Herwerden

die

erreicht

Wenn

hofft.



Zahl gebaut würden,

blieben die

Zufuhren zu diesen so schlecht wie die Mehrzahl der gegenwärtigen

Landwege, so sich nicht in

wo

lich,

würden

alsdann

dem Masse

die Transportkosten

verringern, als

man

für Getreide

Jetzt nament-

glaubt.

unsere Course zwar stabiler, jedoch noch keine constante

geworden, dürfte es kaum rathsam erscheinen, Capitalanlage,

wie die

eine so sehr grosse

Zufuhrbahnen erforderliche,

daran zu zu wagen, um Vortheile zu erzielen, die so lange an Unvollkommen heit kranken würden, als nicht die schlechten Landwege und der für

Vampyr des russischen Bauern, der sog. Kulak >, verschwunden sind. Zudem entsteht die Frage, ob nicht volkswirtschaftlich mehr «

gewonnen werden könnte, wenn an Stelle von Zufuhrbahnen practiLandwege gebaut würden, d. h. ob nicht dadurch dem Landmanne besser geholfen wäre, dem ja doch dann ein Verdienst (Ab-

cable

eigenen Pferden) zufliessen würde,

fuhr mit

der

Eisenbahn,

zum

Theil

wenigstens,

beruft sich zwar auf das Beispiel

amerikanischen Staaten

;

der

der sonst

zu gute

der Kasse

käme.

Mertens

der westeuropäischen und nord-

Bau von Landstrassen

für die

Zufuhr

Uebergangsstadium, das Russland überspringen könne.

M. Moment zum Aulegen von Zufuhrbahnen in Russland dann eingetreten sein, wenn eiue dauernde Stabilität der

sei ein

E. wird der erst

Getreidepreise

auf der Basis anderer Geldverhältnisse,

nach Einführung einer Metallvaluta,

Da

wird Platz

gegriffen

aber dieser Augenblick vielleicht noch sehr fern

liegt,

sich gerade der Eintritt in jenes Uebergangsstudium

d. h.

haben.

so dürfte

im Verkehrs-

wesen, wie es andere Staaten durchgemacht haben, eher empfehlen, als

das

Wagnis

eines

weiteren

Schrittes

in

sprunghafter

Ent-

wickeluug.

Diese bescheidenen Bedenken richten

sich natürlich lediglich

gegen die Voraussetzung, von der die Mertenssche Arbeit ausgeht, nicht gegen diese selbst, deren Werth im übrigen auch durch etwaige weitere Einwände nicht geschmälert zu werden vermag. N. C.

2«.)*

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420

Notizen.

Paul Jordan,

und Statistik

zur Geographie

Beitrag

Estland, nebnt einem

Anhange ȟber

hat

Estlands verdienstvoller Statistiker

Heimat und mehrt

:

Reval, 1HH!»

.

die Literatur seiner

um einen überaus werthvollen Beitrag verWerk ist die deutsche private Ausgabe einer

seines Faches

das obbenannte

kurz zuvor

de» Gouvernement«

BauerlmrirtMi

in russischer

Sprache erschienenen

offiziellen

Publication

des estländischen statistischen Gouvernementscomites, welche offen-

bar

Zweck

den

hatte,

im Swod

den

Sakonow den

statistischen

Aufgaben gerecht zu werden: durch Mittheilungen aus der Geographie, Archäologie und Statistik Provinzialinstitutionen

gestellten

des Gouvernements.

Der ihm gewordenen Aufgabe

um

ist

dessen Verdienste

Jordan,

Grenzen unserer Heimat hinaus Anerkennung gefunden (Jordan gehört bekanntlich dem internationalen statistischen Institute an) in geradezu gewinnen, Auf kaum 100 kl. Octavseiten giebt der Weise gerecht geworden. Jordan eine Fülle des interessantesten Zahlenmaterials, welches eine, wenn auch nicht erschöpfende, so doch sehr weitgehende Bedie statistische Wissenschaft auch weit über die

schreibung des socialen und wirtschaftlichen Zustandes des gegen-

Der Inhalt

wärtigen Estland in sich schliesst. enthält

weit mehr,

jedenfalls

des kleinen Buches

als sein bescheidener Titel in

Aus-

sicht stellt.

Auf den Inhalt des Werkes einzugehen, müssen wir unn Raummangels wegen leider versagen. Besonders verdienstvoll dass

der Verfasser

schöpfte,

und

ist

die

das neueste

Werk Jordans

zahlreichen Quellen,

sowie auch, dass überall,

angiebt,

nisse sich finden

vinzen

stets

Hessen,

anderen

Vergleiche

Staaten

dadurch,

aus denen

wo analoge

er

Verhält-

anderen russischen Pro-

mit

dem Leser an

Hand gegeben

die

werden.

Dass der Verfasser es ermöglichte, auch durch Veranstaltung Ausgabe seines Werkes ein weiteres Publicum seiner Kenntnisse theilhaftig werden zu lassen, wird ihm den lebhaftesten Dank des letzteren sichern. Durch das ganze Werk weht ein

einer deutschen

Hauch

echt deutscher Gründlichkeit und der Geist strenger Wissen-

schaftlichkeit,

wie er nicht immer

statistischen Publicationen eigen

Besonders

erwähnt

saubere Ausstattung

.

vielmehr

um

nur eine

welcher sich zu helfen ohn-

mächtig oder des guten Willens ermangelnd

Hass

«Du

:

beschwichtigen und zur Zufriedenheit mit ihrem

zeigt, in erster Linie

dem

denn ihn macht man und zwar nicht ganz ohne Be-

Es ist sehr beachtenswerth, Bewegung unter den «Enterbten» immer mehr die Züge

rechtigung vor allem verantwortlich. dass die

des Anarchismus annimmt, ein beredtes Anzeichen für die Discrediti-

Noch behauptet

rung der staatlichen Gewalt und Ordnung. ihren Platz,

dass aber

die

Unterminirung

derselben

und immer erschreckendere Ausdehnung gewinnt,

schreitet

diese

rührig

fort-

lehren

Punkten und in der mannigfaltigsten Weise aufblitzenden Eruptionen. Die oberen Zehntausend aber

die an den verschiedensten

wissen

dem gegenüber

nichts

Anderes und Besseres zu thun,

als

und Militärmacht zur gewaltsamen Unterdrückung aufDass diese im einzelnen immer noch gelingt, wiegt sie

die Polizei-

zubieten.

zum nächsten Ausbruch in erneute Sicherheit. Man damit die Spannung im ganzen nur mehr und mehr gesteigert wird und dass die bei dem bisherigen Verfahren wenigstens bis

will nicht begreifen, dass

unausbleibliche

dadurch

um

allgemeine

so furchtbarer

Inzwischen

thut die

Entladung der unterirdischen Wetter und vernichtender ausfallen muss. herrschende Klasse

Weiterverbreitung des Geistes Sie handelt dabei nach

der Geist,

welchen

weiss nicht,

Genusssucht,

was

zu sorgen,

dem Gesetz

sie

sie thut

predigt, ;

denn

der Mammonsliebe

der

alles,

um

denn Aber sie

den

Geist der

der Geist,

und

soll.

ihr eigener Geist.

innerer Nothwendigkeit

ist

die

für

das vollenden

sie als

;

der Herrschbegier in ihrem

Busen hegt, wandelt sich bei der Uebertragung auf die Massen in Dämon des Umsturzes und der Vernichtung, der seine eigenen

den

So in Blut und Greuel aller Art zu ersticken trachtet. manche Apostel des neuen Evangeliums mögen übrigeus wol durchErzeuger

schauen, welche Ernte aus der von ihnen ausgestreuten Saat reift,

Digitize*

Wunden.

Offene

nnd doch in

bei

449

ihrem verderbenbringenden Werke beharren.

Sie sind

diesem Falle jenem geheimnisvollen Zauber der Bosheit verfallen,

welcher zu einem unlösbaren Banne geworden

gegen besseres

ist,

Wissen und Gewissen zur Vollendung des Bösen treibt, zur Vollendung in der eigenen Vernichtung und der Vernichtung aller, wenn Kitzel

absolute Nihilismus

Dieser

möglich.

der

ist

dem Geiste der

welche sich

derer,

dämonische

letzte,

Verneinung

steten

er-

geben haben.

Dass aber dieser Geist

der

in

der

Gesellschaft

modernen

Culturwelt immer weitere Kreise zieht, kann niemand ernstlich in

Abrede

der mit einiger Aufmerksamkeit die Entwickelung

stellen,

Kunst, presse im

Literatur

der

der

besonderen

im allgemeinen und der

Es

verfolgt.

fehlt

Aber

nicht ganz an Zeugnissen der Wahrheit.

doch noch leider immer

Gott

ja,

Ta sei

gesDank,

fürs erste steht es

dem grossen Der Geist der Lüge,

dass derartige Stimmen in

so,

allgemeinen Chorus fast ungehört verhallen.

der das Sichtbare und Vergängliche als das allein Werthvolle preist, beherrscht die ungeheure Mehrheit, und ob sich das für dieses Ge-

hohem Masse

schlecht überhaupt noch umkehren wird, muss als in fraglich erscheinen.

seinen Organen

den

offenen,

Dinge,

mit

!

Und welche Orgien

Mit satanischer Nacktheit und Schamlosigkeit

brutalen Verneinern

der

der

in

Wehe

über

oder

bei

in

Israel

gewesen

sein

Aber wie verderbt seine

und wie weit

der diabolischen Kunst der Verdrehung und

heit gebracht

weiss nicht,

und aus Licht Finsternis machen, die aus

sauer süss und aus süss sauer machen». in

— man

Einer der alten Propheten

diesen.

welche «Böses gut und Gutes böse heissen,

die,

die aus Finsternis Licht

Zeitgenossen

bei denen,

der Lüsternheit pikanter

und abstossend

erscheint, moralisch verwerflich

ob mehr bei jenen

Form

bei

Ordnung der

überlieferten

mehr oder weniger gleissender Verhüllung

welchen die Schamlosigkeit

ruft sein

der Lügengeist in

feiert

haben mögen,

es

kann

sie es speciell

Umkehr

das Mass,

das

der

sie

Wahr-

erreicht

doch nicht entfernt herangereiciit haben an das, bis zu welchem es die moderne Presse gebracht hat. Ist die Entschiedenheit und Energie in der Feindschaft gegen die Wahrheit intensiv dasselbe gewesen, was ja dahingestellt bleiben muss, so wird man haben,

doch mit Bestimmtheit sagen dürfen,

extensiv,

in der Geltend-

machung, gebührt der Lüge unserer Zeit die Palme, weil sie eben gedruckt lügen kann und deshalb unvergleichlich viel weiter greifen muss. Dass die Wahrheit im material-christlirhen Sinne verleugnet,

Digitized by

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450

Offene Wunden.

angefeindet und in den Staub zu ziehen gesucht wird,

darf natür-

wunder nehmen und brauchte kaum hervorgehoben zu werden. Dass sie aber auch in dem formalen Sinne der blossen Thatsächlichkeit so absolut misachtet und mit Füssen getreten wird, bedarf docli noch der besonderen Anmerkung. Es giebt nichts Harmloses, das man dem Gegner nicht zur giftigsten Beschuldigung zurechtzudrehen verstände edel und gut Gemeintes wird durch eine völlig unbedenkliche Dialektik und im Nothfall durch die nicht

lich

;

dreisteste Erfindung zur Gemeinheit gestempelt; selbst das Heiligste ist

das Höchste

nicht heilig,

Kothwurf aus Bubenhand

nicht

erhaben

sicher zu sein.

genug,

Dabei

um

vor dem

erscheinen

diese

Herolde der heimtückischsten Lüge und der brutalsten Verleumdung

dem weiten Faltenwurf des

nie anders

als

Wahrheit,

geberden

Humanität,

in

sie

stets

Sittlichkeit, Freiheit,

treter des Rechts, kurz, stellt,

sich

unentwegten Ver-

als die allzeit

den Kopf ge-

es wird alles geradezu auf

zunächst

so dass der Unerfahrene

erfasst fühlt

Priesterkleides der

die Verfechter der echten

als

und zweifelnd an

wie vom Schwindel sich

seine Stirn greift, ob er denn anch

ihm die Augen für den wahren Sachverhalt aufgehen und er, von unaussprechlichem Ekel erfüllt, sich wegwendet. Den Preis in dieser systematisch betriebenen Fälschungskunst dürfte leicht eine gewisse Species der deutschen Presse da von tragen. wirklich wache,

bis

Das hängt einmal

vielleicht damit zusammen, dass der Deutsche worauf er sich legt, es am gründlichsten treibt, sodann aber hat es wol besonders darin seinen Grund, dass nirgendwo sonst in so breiter Ausdehnung wie hier fremde Elemente ihren in allem,

corrumpirenden Einfluss ausüben. schnell vergessenden Zeit

Selbst unserer schnelllebigen und

wird die Erinnerung

an

die Walpurgis-

nacht nicht so bald abhanden kommen, welche von diesem Gelichter

dem unglücklichen Kaiser Friedrich III. in Scene gesetzt ist Solche Tage des Rausches können natürlich nur selten kommen und kurz währen. Jedoch wenn auch in herabgestimmunter

worden

terer Tonart geht gleichwol

die Melodie unverändert

und tactfest

Die Sicherheit blendet aber selbst manchen, der innerlich von diesem Reigen geschieden sein sollte. Von den zahlreichen weiter.

offenen

Wunden am

siechen Körper

der modernen Gesellschaft ist

die in der schlechten Presse zur Erscheinung

allerschlimm8te,

weil

ununterbrochen das feine, unsichtbare

sie

die

verderblichste

tödtliche Eitergift

Aederchen weiter,

kommende wol die Aus ihr strömt

ist.

und dringt durch

bis alles inficirt

tausend

und zum Ab-

Digi

Oft'ene

sterben reif

Am

ist.

ist dabei, dass man wirklich dem Uebel Einhalt zu thun wäre. An

Dammsetzen und Schrankenziehen

Man

nicht zu denken.

451

betrübendsten

nicht zu sagen wüsste, wie ein

Wunden.

in

äusserlicher

Weise

ist

müsste sonst die freie Meinungsäusserung

überhaupt knebeln, wovon

in den modernen Culturstaaten ja nicht Rede sein kann. Es bliebe also nur die Gegenwirkung durch Begründung und Aufrechterhaltung einer guten Presse. Gewiss kein zu verachtendes Mittel. Wo und soweit noch gesunde Elemente vorhanden sind, wird es dadurch vielleicht noch möglich

die

sammeln und zu bewahren. Auf Ueberzeugen und Bekehren darf man nicht allzu viel rechnen, um so weniger als man sich nicht wird verhehlen können, dass, wo die Liebe zur

sein sie zu

Wahrheit nicht angenommen worden reden, die schlechte Presse lichen

Vorsprung

mehr

in

einer

als

Braucht jene sich doch schon

Zwang

in der

mit

dem Apostel zu

immer einen beträcht-

ßeziehuug voraushaben wird.

Auswahl des

Stoffes gar keinen

aufzuerlegen, und die drastischsten Darstellungsmittel sind

ihr stets unbedenklich

strömung

der

in

gerade

öffentlichen

ohne Sorge

um

Volkes, denu

wo

die

ihr.

Sie

recht.

schmeichelt jeder Zeit-

Meinung und wendet

rechnung jedesmal an die gerade

selbst

um

ist,

der guten

vor

am

mit Be-

sich

stärksten erregten Instinkte,

Folgen für das Wohl des Vaterlandes und des

einziges Interesse

sie in allen diesen

ist

Aber

der eigene Erfolg.

Stücken noch einen gewissen Austand

beobachtet, hat sie auf ihrem Standpunkte nach der formalen Seite

immer von vornherein einen grossen und zu Regiren,

leichter zu kritisiren

Auf

rechtfertigen.

zu

Es

ist

verteidigen

eben viel

und zu

jener Seite wird immer der Eindruck des Neueu,

Interessanten und Pikanten sein,

hältnismässig billig

Vortheil. als

und

leicht

Verfechter des Positiven,

der Schein des Geistreichen versich

erzielen lassen,

des Historischen

während die

von Hause aus

in der

üblen Lage sich befinden, gewissermassen nur «Olle Kamellen» auf-

Es gehört auf

zutischen.

dieser Seite

schon

eiu

hervorragendes

Begabung dazu, um Aufmerksamkeit zu erregen, geschweige denn auf die Dauer zu fesseln. Dort liegt der Reiz schon in dem Stoffe und in der Schablone, nach welcher er leicht von jedem Stümper mundgerecht zu formen ist hier muss er ausgehen von der Persönlichkeit und einer bemerkens-

Mass von

eigenartiger geistiger

wertheren Geistesgewalt lichkeiten

dünn

?

gesäet,

in derselben.

Wo

sind aber diese Persön-

wenn überhaupt vorhanden, jedenfalls sehr und man darf über ihr Vermögen, den Lauf des Stromes

Sie

sind,

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Offene Wunden.

452

Sie

aufzuhalten oder abzulenken, nicht allzu optimistisch denken.

kämpfen einen ungleichen Kampf, ungleich in Ansehung des numerischen Verhältnisses, der Mittel und der natürlichen Vortheile des Solche Erkenntnis darf selbstverständlich

beiderseitigen Standortes.

nicht

müde und

lass

machen,

dazu dienen,

aber

sie soll

vor Illu-

sionen und Täuschungen zu bewahren.

So

rollt

denn das Verhängnis weiter. In immer grösserem so dass die Ernte nur der alles um-

Umfange wird Wind angesäet, stürzende Sturm werden kann.

Dabei

ist

Gedauke, dass ja sicherlich nicht

alle in

modernem Geiste gehaltenen

Organe der Presse auch

«

es ein

wenig tröstlicher

extrem > oder «radical» gesinnt sind,

d. h.

Consequenzen der von ihnen vertretenen Voraussetzungen ziehen wollen, und dass solches bei denen, welche mehr oder weniger

die vollen

Nahrung aus ihnen entnehmen, zweifelist. Das ist so wenig ein beruhigendes Moment in der Lage der Dinge, dass man vielmehr sagen muss, es trage nur noch zur Erschwerung und Verausschliesslich ihre geistige los verhältnismässig

noch weniger der Fall

schlimmerung derselben

Im anderen

bei.

würde wenigstens

Falle

Klarheit herrschen und je länger je mehr eine reinliche Scheidung

gegenwärtigen Umständen gedankenlos auf dem breiten Wege mittrottet und sich weiter und weiter schieben lässt, stutzig würde, um zu bedenken, was zu seinem und des Ganzen Frieden dienet. Nun aber bleibt

sich vollziehen, bei welcher so mancher, der unter deu

es eben vor den

der prickeluden

Wahne, dabei

Augen der meisten verborgen Man giebt sich Anregung des süssen und feinen Giftes hin, in dem

die volle Objectivität

Man merkt

wahren.

die

mählich vollzieht, nicht,

leise

weil

des

man

sein

zu be-

eigenen Urtheils

Verschiebung

,

welche

sich

all-

Augenmerk nur auf den

Radicalismus als die drohende Gefahr gerichtet hält und sich gegen

Inzwischen

diese für gefeit erachtet.

dass

man

erlegen.

übt

es auch

nur

gemerkt

hätte,

aber

ist

der

viel

man

bereits,

ohne

ernsteren Gefahr

Die Weisheit, unter deren Einfluss man sich gestellt hat,

eine Wirkung ganz

Glaube an

unfehlbar aus,

d

die alte Wahrheit, welche nicht

i

e

dass der

nämlich,

von dieser Erde

seiner Festigkeit und Gewissheit erschüttert wird.

ist,

in

Damit schwindet

aber überhaupt die Kraft unwandelbarer Ueberzeugung, sowie die klare und bestimmte Entschiedenheit.

skopisch wechselnden Tagesineinungen

drängenden, unwiderstehlich

In

dem Gewoge der

kaleido-

und dem Gewirre der sich

bald hierhin,

bald

dorthin ziehenden

Tagesereignisse fehlt ein für allemal der absolut sichere Compass.

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Offene Wunden.

Es

ist

die Stelle

als nützlich

und Stetigkeit

priucipieller Zielbewusstheit

Schwanken und

m

ein Ausspähen nach dem, und zweckmässig erscheint, möglich.

nur noch ein haltloses Laviren,

was augenblicklich

An

453

ganze ünzuverlässigkeit des

die

ist

das

Opportunis-

u s getreten, der verbreitetsten und zugleich unseligsten Geistes-

Diese Art

unserer Zeit.

richtung

dem staatsmännischen

glaubt

Genie unserer Epoche was abgeguckt zu habeu. Darin, dass dieses sichs zur Maxime gemacht bat, lediglich mit realen Factoren zu rechnen uud seine Ziele stets innerhalb der Grenzen des Möglichen

und

zu

Erreichbaren

stecken,

sieht

Grundsatzlosigkeit

sie

und

schmeichelt sich deshalb, in dieser den politischen Stein der Weisen

Jeder andere Standpunkt wird als

entdeckt zu haben.

c

unpolitisch»

mit einem Hochmuth und Eigendünkel abgethau, die geradezu possir-

Man kann aber nicht einmal herzlich lachen, Grunde gar so traurig ist. Wer den moralischen Ekel überwinden kann und sich ein deutliches Bild der vollen Charakterlosigkeit des Opportunismus vor Augen stellen will, der lasse sichs nicht verdriessen, ein paar Jahrgänge eines opportunistischen Pressorgans durchzublättern. Es ist erstaunlich, ja geradezu verblüffend, was da alles geleistet wird; wie man heute verwirft, was man gestern als allein heilbringend gepriesen, oder umgekehrt lich sich

ausnehmen.

weil die Sache im

wie man an der einen Person als bewundernswerth herausstreicht,

was man an eiuer anderen zum Verbrechen stempelt wie man in Athemzuge ja und nein sagt, ein und dasselbe schlecht ;

einem und

gut, bitter und süss, heiss

und kalt

findet u.

Und das

w.

s.

will

sich als die echte, alleinige Weisheit aufspielen, das will der Sphinx

des Jahrhunderts

kommene blos

ihr Räthsel

lächerlich,

sie

allzeit mit grosser

ist

!

Aber

auch sehr

Emphase

und

lösen

Zeit wieder einrenken

für

aus den Fugen ge-

die

diese Modethorheit ist nicht

gefährlich.

das

Obgleich sie sich

wahre Gegengift gegen den

umstürzlerischen Radicalismus und Nihilismus anpreist, thut sie in

Wirklichkeit

doch

bricht und ihm die

halten kann.

nichts Anderes,

Wege

ebnet,

Natürlich

ist

als

diese

sich eine Linie zu ziehen,

über hinaus aber nicht.

zu wollen,

Ruhe und

ist

eine

demselben Bahn

so

ist

es

umsonst,

man gehen möchte,

dar-

Einen solchen willkürlichen Halt macheu

im Leben ein vergeblicher Vorsatz.

des Friedens

Triumphzüge

unbeabsichtigte,

Hat man einmal den

ändert. verlassen,

bis zu welcher

sie

er seine

Wirkung

was aber leider an der Sache nichts Grund der ewigen Wahrheit

festen

dass

auf denen

mag

es

allenfalls

gelingen.

In Zeiten der

Nicht aber,

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454

Offene Wunden.

wenn der Kampf wogt, wie

jetzt bereits der Fall ist oder wenig-

stens allenthalben droht.

Da

und

die

Schwankenden,

wie

können die Halben, die Zaudernden Erfahrung aller Zeiten

lehrt,

Ganzen und Entschiedeneren gegenüber nur den Kürzeren

den

ziehen.

Sie werden eine willenlose Beute der entschlossenen Negation, mit

der sie ja

grundsätzlich

diesen Leuten von

auf demselben Boden

einem Grundsatz

stehen,

noch

anders

die

wenu bei Rede sein

So machen sie durch ihre Unfähigkeit in der Stunde der Gefahr diese allemal erst zu einer wirklich kritischen. Im Verkann.

trauen auf ihre Zahl, welche immer die grösste gewesen

Aergste immer noch abwenden zu können, bis

sich, stets

zum Siege

wollten.

wo

halfen,

werden uns nichts

Sie

retten,

halten, diese blinden Blindenleiter

am

eigentlich

sie es

sie

man

kennen und beherzigen wollte, dass

und

allerwenigsten

doch

erhalten

das

zu spät,

werden uns nichts

Wenn man

!

bilden

wurden

herausstellt, dass die zu schieben meinten, geschoben

dort

ist,

Hand zu haben und

Entscheidung in ihrer

sie sich ein, die

er-

endlich

er-

nur kann,

ein

Conservativer zu sein und conservativ zu wirken nur vermag, wenn

mau etwas

und hegt, was des Conservirens ernstlich Werth Ewiges mehr hat, was will denn der überhaupt im unvermeidlichen Wechsel der Zeiten festhalten? Was nicht an sich beharrlich ist, das lässt sich gar nicht conserviren, wenn sich ist

!

Wer

besitzt

nichts

auch alles mit einander zu diesem Zwecke verschwören wollte.

w

Grunde sind

i

ihrerseits

gar nicht, die

r es

werden

sondern die conservirt

durch

alles,

sie sich

lassen.

an ihr

was

noch

Mit

besteht,

erheben

fällt,

und

aus den Ruinen

ihr zu erfüllen

Es haudelt

wenn Trümmern würde

über der Welt in

was an

ihr aber bleibt nur,

theil hat.

die einzige conservative

Diese muss bleiben,

Macht, die es giebt, die ewige Wahrheit. auch

sich

Im

conserviren,

neues Leben blühen

ihr theil hat,

lediglich

also

soweit es

darum, sich mit

und sich von ihr durchdringen zu lassen, um allen sichere und feste Zuversicht

Eventualitäten gegenüber die ruhige,

zu gewinnen, der ein

Mann

Arndt

wie E. M.

schöner Weise Ausdruck verliehen hat, Ich weiss, an

wen

wenn

in

unvergleichlich

er singt

:

ich glaube,

Ich weiss, was fest besteht,

Wenn Wie

alles hier

im Staube

Asch' und Rauch vergeht.

Ich weiss, was ewig bleibet,

Wemi

alles

wankt und

fällt,

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Gf)£gle

455

Offene Wunden.

Wenn Wahn die Weisen treibet Und Trug die Klugen hält. Ich weiss, was ewig dauert, Ich weiss, was nie verlässt,

Auf ew'gen Grund gemauert Steht diese Scliutzwehr

Es

fest.

sind des Heilands Worte,

Die Worte

An

und klar

fest

diesem Felsenhorte 1

Halt ich unwandelbar. Hier

ist

die Erfüllung des Horazischen

Si fractus illabatur orbis

Impavidum Muth, hier

ist

heit,

hier ist Hoffnung, hier

allein.

Kann

ist

ist alles,

was wir brauchen, und

hier

Wahl geben? Und doch, wie wenige Wahl treffen Auch hier wird es heissen, wie

es hier noch eine

werden die rechte zu allen Zeiten

!

Wandelung

weltgeschichtlicher Entscheidung und

«Mit

sehenden Augen

hören

sie nicht;

dem Zeugnis

ferient ruitute.

Klarheit, hier ist Gewissheit und Entschieden-

Hier

denn

sehen

sie

nicht

und

sie verstehen es nicht.

historischer

mit

hörenden Ohren

Wäre

>

der Welt mit

Erfahrung oder mit unwidersprechlichen

zum Glauben zu helfen, sie müsste ihn Daran hängt's eben nicht. Wo aber die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen wird, da sendet Gott selbst kräftige der Logik

Deductioneu

längst haben.

Irrthümer,

dass

sie

glauben

der Lüge,

scheint unserer Zeit widerfahren

dieses Gottesgericht

und

zu sollen.

Wiederholt

ist sie in

Weise auf cdas Eine, was noth thut» hingewiesen worden, wie das ähnlich klar uud unzweideutig selten im Kreislauf der Jahrhunderte vorgekommen sein mag, und doch wendet sie sich mehr und mehr davon ab, um Schemen nachzujagen, mit der Lüge eiuer

zu kokettiren und im Materialismus das bessere Selbst zu ersticken.

Schon huschen am hellen Tage geschäftige Lemuren hin und wieder, der Verblendung, welche sich auf

Höhe der Lebensentfaltuug

die

und -bethätigung träumt, das Grab zu graben, sinken

soll.

Wird

sie endlich

das

sie

hiuab-

merken, was im Werke ist?

Wird

in

Einkehr halten und umkehren, um die Kraft zum Widerstande gegen die Mächte des Abgrundes und die Bürgschaft des Sieges dort zu suchen, wo sie zu finden sind ? Wer kann es wagen, darauf sie

mit einem herzhaften nicht.

Ja zu antworten

Wahrscheinlich

ist

vielmehr,

?

Wahrscheinlich

ist es

eben

dass alles beim Alteu bleibt

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Offene Wunden.

456

und deshalb immer schlimmer wird. die,

Die Gebildeten und noch mehr

welche sich dafür halten und gerne dafür gelteu, werden

fahren, sich an

zu berauschen,

seligkeit

fort-

dem Evangelium des Weltgenusses und der Weltweil

des Jahrhunderts

die Weisheit

sie

darin erblicken und weil es mit seiner Vorspiegelung selbstherrlicher

und Freiheit dem menschlichen Dünkel schmeichelt. Evangelium des Glaubens und der Liebe ist darüber um

Erkenntnis

Das

alte

so leichter und schneller vergessen, als dasselbe mit seinen unbequemen Mahnungen an Pflicht und Rechenschaft nur die weltfrohe Behaglichkeit stört. Darum wird man nicht müde, sich selbst und

andere zu versichern, es

sei

unvereinbar mit den Fortschritten der

modernen Wissenschaft, ja es sei culturfeindlich Der Chor der Evangelisten des modernen Evangeliums in der Presse wird fortfahren, dessen Lehren von allen Dächern zu predigen, und das um !

so ungestörter

und

erfolgreicher

servative und Christen es

dass das es die

Wort Gottes

fein

dem

ja nicht

als

so viele Con-

Hauptregel erachten,

beschränkt bleibe auf die Kauzein,

Massen längst nicht mehr

desselben

thun können,

für die praktische

erreicht,

wo

und dass die Verkündiger

und der Apostel folgen, ihre Ehre nicht für verihnen mit Schmähungen und

Beispiel Christi

welche auf die Gassen hinausgingen und loren

wenn

erachteten,

Steinwürfen

antwortete.

Amtes können

die

Menge

Die

bittersten

Feinde

des

geistlichen

genug thun im Ereifern für die Heiligkeit desselben welche fordere dass die Träger desselben von der Staubatmosphäre des öffentlichen Lebens und Treibens fernbleiben. Thörichte Christen reden das nach, und doch haben wir hier genau denselben Kniff, wie wenn die liberale Doctrin das Königthum, sich nicht

,

,

angeblich

hoch ist.

im

stellt

,

Diffxälc

Interesse

dass est

von

der

Majestät

demselben

desselben,

rein

satiram non scribere,

nichts

so

mehr

schwindelnd

zu spüren

das bleibt eine ewig junge

Wahrheit.

Indem aber

die neue Weisheit

sich selbst nach Kräften pro-

pagirt und die alte Wahrheit nicht ohne Verschuldung der eigenen

Jünger derselben

iu

den Winkel drängt, arbeitet

sie,

ohne es zu

wollen, auch schon an ihrem Verderben und bereitet sich das

Ge-

richt. Es lässt sich nicht vermeiden, dass ihre Predigt auch vor die Ohren kommt, für welche sie eigentlich nicht bestimmt ist und von denen man wol voraussetzt, dass ihnen mit der Bildung das nöthige Aber wenn die Massen Verständnis und Interesse dafür abgehe auch nicht im Sinne der systematischen Schulung gebildet sind, so

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Googl«

Offene Wunden.

sind sie doch gewitzigt genug,

was ihnen

aufzufassen,

des Lebens ein

Zweck

sei

unveräusserliches,

in

um

457

und

richtig herauszuhören

das

Dass

der neuen Lebensphilosophie passt.

zu gemessen, dass jeder Mensch als solcher heiliges

Daseinsfreude besitze und

Recht

an

auf seinen Antheil

machen dürfe:

geltend

der

hören die

das

Freudlosen, die Gedrückten, die Vergessenen gerne, welche die modernen Verhältnisse auf der einen Seite vielfach unter das Niveau einer noch gerade menschenwürdigen Existenz hinabgestossen und

auf der anderen Seite es früher

vorhanden

mit war,

einem für

dieses Zustandes erfüllt haben. je

viel empfindlicheren Gefühl, als

das Unerträgliche Sie hören

mehr man ihnen den Gedanken an

um

eine göttliche

Dinge, an eine göttliche Weltregierung und

genommen, und

sie

ihre praktischen

Folgerungen daraus.

und Unwürdige

so begieriger darauf,

Ordnung der

an ein ewiges Leben

hören nicht nur, sondern sie ziehen ungesäumt

Worin

diese bestehen, braucht

Zusammengefasst bilden sie als Socialismus, Communismus und Anarchismus das gefürchtete Schreckbild der modernen Culturwelt, denn sie bedrohen dieselbe mit radicaler nicht wiederholt zu werden.

Vernichtung,

in

der richtigen Erkenntnis, dass bei der bestehenden

Gesellschaftsordnung die Ideale des vierten Standes die gewünschte

Verwirklichung schlechterdings uicht finden können. sind zweifellos eben so utopisch, dieses Urtheil

hat seinerseits

wie

eine Berechtigung

Was man

punkte der alten göttlichen Wahrheit.

Diese Ideale

Aber vom Stand-

sie unberechtigt sind.

nur

aber von den Voraus-

setzungen der Atheisten und Eudämonisten des Diesseits aus gegen jene Ansprüche sollte einwenden können, bleiben, diese

muss jedem

unerfindlich

der noch über eine folgerichtige Logik verfügt.

Leute nicht vielmehr, wenn

wollten, bekennen

:

die Socialisten

sie

Müssten

der Wahrheit die Ehre geben

haben ganz

recht.

Freilich,

die

darum im Voraus Geschlagenen verschliessen gegen jede unbequeme Erkenntnis standhaft die Augen. Sie trösten sich immerdar mit der vagen Hoffnung, dass es zum innerlich Entwaffneten

Aeussersten nicht

und

kommen

werde.

Steht

doch bei dem Siege des

Umsturzes die ganze Bildung in Gefahr. Mit dem Chaos, welches dann käme, müsste auch eiue unausdenkbare Barbarei hereinbrechen.

Kanu das das Ende unserer stolzen Culturent Wickelung sein ? Wird man solch ein Verbrechen gegen die schönste und heiligste Errungenschaft der Zeit wagen ? Wir meinen, dass das müssige Fragen sind. Die Umstürzler, die nichts zu verlieren haben, werden sich an solche

Erwägungen wenig kehren.

Gesetzt

aber selbst,

sie

Hessen sich

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Offene Wuuden.

458

und dachten daran, sich zu

zu solcher Sentimentalität herbei

be-

welcher auf Grund des

scheiden, so sorgt schon der Capitalismus,

modernen Actienwesens dem Arbeiter als unpersönlicher, mitleidsund erbarmungsloser Herr gegenübersteht, dafür, dass die Unzu-

immer wieder von neuem angefacht wird und sich zur Hier liegt die Schraube ohne Ende, welche namentlich von einem gewissen genus hominum in Bewegung gesetzt wird und den Leuten, die mit ihrer Leistung nur als Waare in Betracht kommen, das Mark auspresst. Kann die staatliche Reformgesetzgebung, selbst wenn sie gelingt, diese Uebel beseitigen und ihrer Wiederkehr vorbeugen? Dahinter gehören gewiss mehrere Wird der weitere Fortschritt der Bildung die GeFragezeichen. müther so weit massigen, dass sie von revolutionären Gewaltsamfriedenheit

Verzweiflung auswächst.

keiten abstehen

trägt?

!

Eine Bildung, welche die Revolution im Schosse

Wir antworten mit dem Ergebnis

der Betrachtungen eines

tiefblickenden Beurtheilers der socialen Verhältnisse in der Gegen-

Rudolf Sohm,

wart.

der Jurist, schreibt

essanten Kirchengeschichte

*

:

Eins

am

ist sicher

:

Schluss seiner internicht unsere Bildung

Wohl! Es wird Aber schwerlich ohne erbitterten, auch äusserlich auszufechtenden Kampf. Der Organismus der moderneu Gesellschaft schwärt aus vielen Wunden. Menschlichem Ermessen nach kann

wird uns retten, sondern allein das Evangelium^ uns retten.

es nur eine

Frage der Zeit

bekanntem Munde

fiel

sein, dass er,

sich selbst zu

ins Innerste geschüttelt,

vor einiger Zeit

nächste grosse, die

Lage der Dinge

an der Aeusserung sie in

in

nichts

Weissagung hat vielmehr

wenn

bis

Aus

im Augenblicke etwas

Wort: es könne wol kommen, dass der Welt in Brand setzende Krieg entzündet werde

unter Vorantragung der rothen Fahne. die

ein

begiunt.

klingendes

räthselhaft

samer

vom Fieberwahnsinn

zerfleischen

Ueberblickt

der alten Culturwelt,

so Befremdliches

mehr

man aufmerkso wird mau findeu.

alle Wahrscheinlichkeit für sich.

Erfüllung gehen

sollte, alle

Diese

Möchten,

erhaltenden Elemente, alle

der Ordnung

und Vertreter der christlichen Gesittung unerschütterlich und treu zusammenstehen, um mit vereinten Kräften Factoren

den Geist der Lüge und seinen Heerbann zu dämpfen

!

von dorther ausgestossen unserem Erden Winkel zunächst nur wie das

Die tosenden Schlachtrufe,

welche

werden, klingen uns in dumpfe Rauschen femer Meeresbrandung, welche bis zu uns nicht herüberreicht und von der wir deshalb nichts zu fürchten haben.

Es

ist

jedoch schon auseinandergesetzt

worden, wie

falsch

unter

Offene Wunden.

den heutigen Verhältnissen der Culturwelt ein solches Sicherheits-

Niemand kann vorausberechnen, wie weit der Strom,

gefühl wäre.

wenn

er einmal die

schützenden

Dämme

durchbrochen

hat,

seine

Auch wir haben daher

verheerenden Fluthen ausdehnen mag.

bei

Zeiten unsere Vorkehrungen zu treffen und uns namentlich innerlich

zu wappnen mit der standhaltenden und bleibenden Wahrheit, haben, so viel an uns

ist,

auch dafür zu sorgen,

erkannt und bewahrt werde

Vor der Hand scheinen

dass

sie

möglichst weit

einem guten und feinen Herzen.

in

freilich

dass das zersetzende Gift in den

wenig Anzeichen vorzuliegen,

Massen

unserer Bevölkerung einen

vorbereiteten und dankbaren Boden finden könnte.

Wer

Gelegenheit

gehabt hat, mit dem Volke zu verkehren und dasselbe zu beobachten, der wird, ungeachtet aller unvermeidlichen Gebrechen im einzelnen,

im ganzen mit Dank gegen Gott zur Freude gestimmt worden sein dass kirchlicher Sinn und evangelische Sitte,

darüber, pfeiler

gut conservativer Gesinnung,

In der Masse

des Volkes

aber,

wo

noch

die

ungebrochen

Grund-

dastehen.

die Individualitäten nicht so

herausgebildet werden wie in den oberen Schichten der Gesellschaft

und

die

persönliche Ueberzeugung

reflectirte

eine miudere Rolle spielt, ist die Bedeutung der

Sitte

eine

um

deshalb

herrschenden

Dass wir eine solche von ausgeprägter

so grössere.

Bestimmtheit, die auf dem Grunde des Evangeliums ruht, besitzen, ist ein

nicht hoch genug zu veranschlagender Vortheil der Situation.

Immerhin darf

Wahrnehmung keine Veranlassung zur SorgEs wird sich vielmehr auch auf diesem Punkte,

diese

losigkeit werden.

wo

eine günstige Grundlage vorhanden

ist,

um unermüdliche

Be-

Stärkung und Förderung handeln, wenn wir unserer Aufgabe gerecht werden wollen, um so mehr als es an räudigen Schafen nirgend fehlt, welche die Träger der Zersetzung werden können festigung,

Hat

diese erst begonnen,

wie weit

sie

Fehlt

um es

so

ist

im Voraus gar nicht abzusehen,

sich greifen kann.

nach dieser Seite

immerhin auch

besorgniserregenden Erscheinungen, so steht es

um

die

ist

nicht

ganz an

doch die Hauptfrage

:

wie

um die oberen Schichten der Gesellschaft, Träger der Intelligenz selbst ? Anderen predigen und selbst wäre auch hier von den verhängnisvollsten

verwerflich werden,

Folgen.

man

Nie kann man daran denken, Anderen beizubringen, was

selbst nicht hat.

ist hier nichts

gethan

Mit dem blossen Gebieten und Ermahnen Unter dem Einflüsse des Zeitgeistes ist das

Auflehnen oder wenigstens das Widerstreben gegen

jede unmittel-

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Offene Wunden.

460

bare Beeinflussung, sowol seitens der qualificirten Autoritäten, als

auch seitens der social Höhergestellten

Um so mehr Gebahren hin, um es

aber

ordnung.

Beispiel

gegebene

überhaupt,

man auf

schielt

an der Tages-

deren

eigenes

aufs sorgfältigste zu copiren, und

wenn das

im Guten manches Erfreuliche wirken kann,

im Schlimmen alles verderben. Es ist daher die oben Frage von der entscheidendsten Bedeutung für die Entwicklung des gesunden Geistes und Sinnes unter uns. Natürlich verbietet es sich bei einer öffentlichen Berührung dieser Frage von so

muss

es

gestellte

selbst,

welche allerdings erst ein lebensvolles

in Details einzugehen,

und erschöpfendes Bild zu entwerfen gestatten würden. Man muss sich begnügen, auf einige hervorstechende Punkte ein flüchtiges Schlaglicht

Einzelnen

zu

fallen

lassen

und

ausführlichere Prüfung im

die

dem eigenen Nachdenken der Leser

anheimzustellen.

Dieselbe kann keine Schwierigkeiten bieten und muss an der

Hand

und gewonnen wurden, manche gewohnte und darum meist nicht mehr erwogene Eigenthümlichkeit unserer heimiwelche

der Kriterien,

früher

aus

der

Betrachtung

fremder

Verhältnisse

weiterer

schen Zustände

in

frappirende

eine

und

lehrreiche

Beleuchtung

rücken. Begreiflicherweise begegnen wir in den gebildeten Kreisen unserer viel zahlreicheren, ausgedehnteren und tiefer gehenden Spurender modernen Weltanschauung als in deren unteren Schichten. Die Bildung selbst macht die unvermeidliche Vermittlerin, und der natürliche Sinn kommt der neuen Weisheit überall mehr oder weniger entgegen. Namentlich das sog. Literatenthum hat das Bekenntnis zu ihr seinerzeit und theil weise noch heutigen Tages für den unerlässlichen Stempel wahrhafter Bildung erachtet und

Bevölkerung

um

so eifriger auf denselben gehalten, je weniger tief in Wirklich-

Die Verheerungen wären hier

keit die Bildung ging.

nach

scheinlichkeit

noch

grösser,

viel

als

wäre nicht unsere ganze besondere, zum Theil so Existenz, die aber doch nun eben

die begeistertsten -

Schwärmer

praktischer

man

für die

Bethätigung

conservativ geben konnten. spruch, dass

Wahr-

sonderbare

Existenz bleibt, dermassen

einer unauslöschlichen eigenartigen Geschichte, dass

verkettet mit

politisch

unsere

aller

thatsächlich sind,

sie

in der

moderne

daheim

liberale Theorie in

sich

unwillkürlich nur

Dieser merkwürdige klaffende Wider-

Theorie und etwa

noch

in der sittlichen

Lebensführung,

für

welche die neue Weisheit manchem bequemer

liberalisirt

und

in

ist.

der Auffassung und Behandlung der öffent-

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Offene Wunden.

liehen

Dinge

der Heimat eine mehr oder weniger streng ennser-

in

Richtung

vative, ja kirchliche

und ein

4GI

verfolgt, spiegelt sich besonders klar

Unbewusstheit

in naivster

in unserer

Tagespresse wieder, wie

im «Rigaschen Kirchenblatte* vor einiger Zeit

Aufsatz

aus-

führlicher (kriegte.

Diese steht in

Presse,

Bezug auf

soweit

als

sie

die

unsere

die heimatlichen Verhältnisse

anzusehen

ist,

durchweg auf dem

Boden des ungefärbtesten Conservatismus und tritt namentlich auch Kirche und Christenthum christliche Sitte und christliche Ordnungen mit Entschiedenheit ein Nach allen übrigen Richtungen für

,

dagegen zieht

eben so durchgehend ihre Nahrung ausschliess-

sie fast

aus liberalistischen Organen

lich

Die Folge davon

über dieselben Dinge, die sie bei uus verficht,

hämischsten und

Anfeindungen

giftigsten

kurzem war, um auf Gerathewohl einem

rigaschen Blatte

welche unter anderem zur

Bekämpfung der

berichtete.

Man

Mann

aber

man

Noch

vor

abgedruckt,

des Männerbundes

nur jeder christlich gesinnte,

müsste einem solchen Unternehmen seine

es

in

;

dem genannten Verein

zahlreich vertreten sind, so

hier aber

wurde dem-

gegen die bürgerlichen Kreise gegen die höhergestellten Sünder

nur

sei

und wolle Connivenz

Da nun

dass

Prostitution in der deutschen Reichshauptstadt

und ungetheilte Sympathie zuwenden

üben.

kann.

Correspondenz

berliner

die Bestrebungen

über

selben untergeschoben, gerichtet

lesen

ist,

ihren Spalten die

ein Beispiel herauszugreifen, in

sollte meinen, nicht

sondern jeder ernste volle

eine

in

wurde

die «Höhergestellten»

die weitere boshafte

Bemerkung

hinzugefügt, diese Herren pflegten, so lange die Jugendkräfte reichten,

gründlich auszutoben, die Unsittlichkeit

der Befürchtung,

um dann fromm

zu bekämpfen. es

könnte

zu werden und an Anderen Daran schloss sich der Ausdruck

demnächst auch

laseiven

Literatur-

erzeugnissen zu Leibe gegangen werden, wie Spielhagen mit seiner



Angela bereits widerfahren wahrlich eine betrübende Perspective] und endlich der Hinweis, nach diesen Symptomen könne unter



den gegenwärtigen Verhältnissen noch allerlei «Erbauliches» erlebt

Man

werden. rüchtigter ist

eo ipso

in seiner

voll

sieht,

es

Einfältigkeit in

ist

ganz die

liberalistische

oder Böswilligkeit:

Schablone be-

der «Höhergestellte»

seiner ersten Lebenshälfte sittenloser Wüstling

zweiten bigotter Heuchler,

der «Pfaffe» aber

zeigt

und sich

Nachsicht gegen die Sünden seines Patrons und benutzt dessen

frömmelnde Anwandlungen zur Hilfeleistung beim Vorgehen gegen den braven Bürger.

Die Krone setzte der geistreiche Herr Corre-

1 462

Wunden.

Offene

spondent seinen Auslassungen auf, indem er eingestand

an sich

sei

die

:

Sache

ja nur billigenswerth, sie müsse aber verurtheilt werden,

weil sie in der

Hand

kirchlich gesinnter

Männer ruhe

!

(NB. diese

sind die ersten und bis hierzu die einzigen, die sich zur Inangriff-

nahme

dieses dornenvollen

Werkes herbeigefunden.)

4)as Hervor-

treten dieser Elemente sei hierbei wie bei der .Ittnglingsvereinssache

— wir wissen nicht mehr, ob

unangenehm

oder

unbequem!

Solche Kuckukseier lässt sich ein hiesiges Blatt in sein Nest legen

!

Dasselbe Blatt wäre sicherlich entrüstet, wenn jemand den durchaus «kirchlichen» Pastoren Rigas bei entsprechenden Unternehmungen solche

oder

verleumderische Verdächtigungen

ähnliche

anhängte,

was doch so nahe liegt, dass es nämlich unbeanstandete Wiedergabe derartiger Faseleien aus der

es sagt sich aber nicht,

durch die

Fremde

urtheils-

gedankenlose Leute

und

Mehrzahl der Zeitungsleser, dazu

dahier,

anleitet, in

leider

wol

die

analogen Fällen auch

ähnlich über einheimische Personen und Verhältnisse zu urtheilen,

und dass es im besten Falle eine heillose Verwirrung der Begriffe

So arbeitet man gegen die eigene bessere Absicht gedankenzum Schaden der Heimat und verbreitet die ganze destructive

fordert. los

Welt- und Lebensanschauung des vulgären Liberalismus.

Bisher

Anstand,

so dass

Auch das

fängt an

hielten unsere Blätter wenigstens auf

man

sie

ruhig im Hause liegen lassen konnte.

Hat doch

anders zu werden. Feuilleton

den

«Arme Mädchen» in

sittlichen

sittlich

vor einiger Zeit im

derselben

eins

gänzlich verrotteten

Roman Paul Lindaus

gebracht, in welchem die verlottertsten Personen

den unzweideutigsten Verhältnissen

und Situationen mit einer nur so sein. Zeitung ein

mttsste das alles vom Roman rührte in derselben

Manier geschildert werden,

als

Aber auch abgesehen von manchen (aus der Klasse, die nicht weiss, was sie thut) sogar gefeierter Correspondent in seinen Berichten über das berliner Leben und Treiben

allerlei

Gewürze

an,

die

ein

unverkennbares

Parfüm, Patschuli und Knoblauch, ausströmten.

Jeden Augenblick

musste man auf eine Zweideutigkeit gefasst

welche durch eine

witzig sein sollende Redensart

mit

sein,

unglaublicher Unverfrorenheit

und Zudringlichkeit die Sache zugleich scheinbar anständig v e r und faunisch-lüstern enthüllte. Nur als Curiosum 1 1 1 e

h ü

möchten wir erwähnen, glücklicherweise

in

dass der Leiter eines Blättchens,

einem Winkel

unserer Heimat

welches

erscheint

und

auf diesen Winkel beschränkt bleibt, es für seine Aufgabe ansieht, den Darwinismus zu cultiviren, dabei aber erklärt hat, er wolle

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aus Opportunitätsgründen

bis

463

Wunden.

Offene

auf

der Kirche

weiteres

und dem

Christenthum nicht zu nahe treten, ja ihnen sogar manche Unterstützung gewähren, wenn ihre Vertreter sich in der Oeffentlichkeit

Doch Scherz

nicht zu breit machten.

unsere Zeitungspresse

grossentheils

und Zwiespältigkeit bewegt, dass

nur

unsere Zustände wirken kann,

dass

Tagesblatt

deutscher Sprache

in

und zielbewusst

Erwägt man, dass

!

solcher Haltlosigkeit

in

sie urtheilslos sich

der

rohr eines Geistes macht,

beiseite

sich

wir

kein

besitzen,

zum Sprach-

und auflösend auf einziges namhaftes

zersetzend

welches

grundsätzlich

Richtung verträte

die christlich-conservative

und

vom Lebensinteresse des Landes gebieterisch wird man uns beipflichten müssen, wenn wir

pflegte, obgleich diese

gefordert wird,

so

keiueu Anstand nehmen, unsere Pressverhältnisse als eine der bedenklichsten offenen

Wunden

krankt.

Um

auch

unserer Mitte

in

so

mehr

ist

zu bezeichnen, an denen unsere Heimat

das zu bedauern,

als es ja zweifelsohne

so viel giebt, «das sterbeu will», und die

Presse das mächtigste und wirksamste Mittel werden könnte, dasselbe zu stärken,

Wege

es auf diesem

mühungen aber wird man grundsätzliche, stetige

zu erhalten und zu neuem,

Durch

frischem Lebenstriebe zu bringen.

schlechterdings

und

casuistische äussere Be-

nichts

zielbewusste Pflege

Davon kann jedoch

Geistes wäre im Stande zu helfen.

Presse im ganzen nicht die Rede

erreichen.

seiu.

Nur

des conservativen bei unserer

Statt dessen colportirt sie

vielmehr eine Welt- und Lebensanschauung, durch welche der Sinn für den Kern im Erbe der Väter mehr und mehr abgestumpft und

unmerklich immer weiter entleerten

in eine

negirende Stellung zu demselben

Die ihres beseelenden und belebenden Geistes

hineingeleitet wird.

Formen der Vergangenheit wird man aber

werth gehaltene Reliquien

und

stilvolle

Raritäten

als noch so

wahrlich nicht

dauernd erhalten. Unter diesen Umständen ist es wol begreiflich, wenn sich einem die besorgte Frage nahelegt werden wir die dem Fortschritte ;

der Zeit entsprechende gesteigerte Leistungsfähigkeit bewähren, die

von den Vätern so ruhmvoll begründete und so bewundernswerth entwickelte evangelische Cultur, welche wir überkommen haben, zu fördern, wie es von uns erheischt wird, denn ohne Förderung keine Erhaltung, sondern unaufhaltsamer Rückschritt und Verlust? wird vollends die folgende Generation

unter

stets

erschwerenderen Be-

dingungen ihrer Aufgabe gewachsen sein? Eins

ist sicher:

Baituche MonaUncbrift.

sie

wird es nicht

Bd. XXXVI, Heft

6.

sein,

wenn

sie sich nicht

32

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Offene Wunden.

464

mit

dem Geiste

durch die Jahrhunderte und Jahr-

erfüllt zeigt, der

und unwiderleglich als Lebensmacht bewährt hat, der die unveräusserliche, bleibende Wahrheit festhält, dadurch die Continuität tausende der Geschichte sich unzweideutig

die alleinige schöpferische

der

Entwicklung verbürgt und

nannt zu werden verdient,

liberal und

in dieser Hinsicht conservativ ge-

aber

der

äusseren Gestaltungen überhaupt nur

in

auch erst

fortschrittlich ist,

bedingten

einen

misst und unter veränderten Verhältnissen gerade

servative Interesse

zu lebensvoller

zu beidem

sich

liberal

alte,

durch

bei-

das con-

bleibender Bedeutung

zu

genannte Geist der neuen

erwiesen

hat,

insofern

er mit

ewig junge Wahrheit aufgiebt und

mehr im Stande

nicht

allen

Bewahrung der unvergänglichen Güter der Formen ange-

unfähig

den alten Formen auch die darnach

er

Werth

lebensfähiger Erneuerung

während der vulgo

trieben wird,

Weisheit

für die

und

Wahrheit

insofern

ist,

leisten.

hauptsächlichste Bedingung vor.

irgend

Hier

etwas Positives

von

erste

und

die

also

liegt

mehr formaler

Die andere aber,

Natur, besteht darin, alle verfügbaren Kräfte in ernstester Arbeit

und heissestem Ringen an die Erreichung des Zieles zu setzen, welches uns die Zeit und der in ihr sich vollziehende Werdeprocess stecken.

Es

heisst hier wahrlich

Werdet

ihr nicht treulich ringen,

Sondern träg und lässig

sein,

Eure Neigung zu bezwingen, So bricht eure Hoffnung ein Ohne tapfern Streit und Krieg :

Folget niemals rechter Sieg.

Wahren Siegern wird die Krone Nur zum beigelegten Lohne.



In Bezug auf beide Punkte liegen nun mancherlei Symptome

um

vor, welche

eine günstige Prognose,

erschweren.

Greifen wir, ohne viel zu suchen, ein zufällig gerade

sich Darbietendes heraus.

Vor uns

es

liegt eine

diesem Jahre

auszudrücken,

milde

Broschüre von über

ist und den «Zur Duellfrage». Der bekannte Verfasser ist zwar Mann der Wissenschaft und Lehrer an unserer heimatlichen

hundert Seiten,

welche

in

erschienen

Titel führt: ein

Hochschule, das Schriftchen aber

trägt unbeschadet seiner wissen-

schaftlichen Basis keinen «akademischen» Charakter,

Inhalte

noch

seiner

praktisch sich fühlbar

Abzweckung

weder seinem

von einem machenden Uebelstande angeregt und vernach,

sondern

ist

Offene

folgt sehr

Wunden.

465

bemerkenswerthe praktische Tendenzen. Es gehört hinwelche wieder einmal gegen

ein in die Reihe der Anstrengungen, die

in

länger

unserer Mitte

grassirende Zweikampfsleichtfertigkeit

werden

unterlassen

Ihr

konnten.

nicht

Wieder-

periodisches

auftauehen zieht zeitweilig den Schleier von einer unablässig bluten-

den

Wunde

hinweg,

ohne

Dauer etwas gebessert

auf die

dass

Einen Augenblick schaudern wol die Ernsteren, dann thun

würde.

Gewöhnung, Apathie und der zerstreuende Tageslärm ihre SchuldigHandelt es sich doch um etwas, was immer dagewesen ist, so weit Menschengedenken reicht, und die Gewohnheit ist für nur zu viele an die Stelle der Wahrheit getreten. Findet sich einmal ein eindrucksvollerer Zeuge für die letztere, so fehlt es auch nie an einem Ritter, der dafür eine Lanze bricht, dass alles hübsch beim Alten bleibe, der mit gebührender Verachtung für des Wesens Tiefe und vollendeter Hingebung für Schein und Worte beweist, keit.

dass in der Unsitte der Väter gerade

das Geheimnis

und ihrer Erfolge liege. « Die Kinder, Professor ist die Sache entschieden.

sie

hundertsten Male die

Mühe

gegeben,

v.

ihrer Kraft

hören es gerne.

Dettingen

hat

Damit

»

sich

zum

umständlicli geschichtlich und

dogmatisch-philosophisch die logische Ungeheuerlichkeit, die morali-

und die religiöse Frevelhaftigkeit des Duells Es bleibt Danaidenarbeit. Wäre das Duell und mit diesen Mitteln zu beseitigen, es wäre

sche Verwerflichkeit auseinanderzusetzen.

Wege

auf diesem

Im Grunde bringt man ja nur Ausflüchte So dankeuswerth derartige Belehrungen sind, sie

längst verschwunden.

dagegen erreichen

vor.

ihren

Zweck

praktischen

nicht,

weil

Uebels

des

sie

Wurzeln nicht treffen, das trotz alledem sich weiter ausbreitet. Ein ziemlich zuverlässiges und deutliches Barometer zur Beurtheilung der herrschenden sittlichen Zustände bietet der Lebenszuschnitt und

Treiben unserer akademischen Jugend. Von dorther aber werden einsichtige und ernste Beobachter einen Eindruck gewinnen,

das

der sie zweifellos dazu bestimmen muss, unserem oben ausgesproche-

nen Urtheil beizupflichten.

Im

vorigen Jahrgange

schrift ist uns ein Bild studentischer

.Jahren an der dorpater Universität

mehr

formeller

einem Vergleich

man

desselben

als

mit

den vierziger

entworfen wordeu,

sittlicher

den

dieser Monatsin

leider mit

Entschiedenheit.

heutigen Verhältnissen

Bei

muss

dass trotz der Errungenschaften der damaligen Tage,

sagen,

bestehend

Gewandtheit

Strömungen

in

der Aufhebung des Duellzwanges, der Anerkennung

der Gewissensfreiheit, der Errichtung von Ehrengerichten

u. d. m.,

32*

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46ß in

Offeue

so

mancher Beziehung

Wunden.

seither Rückschritte

gemacht worden

sind.

uns als das Schlimmste die immer mehr über-

Darunter erscheint

handnehmende Neigung für die Schusswaffe Dadurch wird das Verschwinden besonders grotesker Erscheinungen der Duellmanie, welche die

hervorgebracht

frühere Zeit

wähnten Aufsatze geschildert i

sind, in

und

welche

Ganz abgesehen von der

Zeitalter reichlich aufgewogen.

dem

in

er-

unserem äusserlich glatteren

oder geringeren Lebensgefährlichkeit erscheint

grösseren

uns das Pistolen-

auch moralisch als das ärgere üebel. Man kann Professor Oeningen unbedingt zugeben und wir thun es dass grundsätzlich die Mensur auf Schläger eben so verwerflich sei wie die auf Pistolen, und doch in der letzteren noch eine Abstufung in Die Führung des Schlägers setzte doch immer noch 2)ejus sehen. eine gewisse Uebung und Ausbildung voraus, sie forderte die Betätigung einer Reihe von an sich mehr oder weniger schätzensduell





v.

werthen Eigenschaften,

sie

bot vor allem die Möglichkeit der Ver-

teidigung und führte so durch Angriff und

zu nennenden Kampf,

lich so

mit

all

solchen freilich, aber doch auch mit den

dem Ringen Mann an Mann

Abwehr zu einem wirk-

den schlimmen Seiten

hervortreten

guten

konnten.

der Pistolenmensur keine Rede mehr.

ist bei

Scheibe

dem Gegner

Man

eines

die

desselben,

in

Von alledem hat

als

sich

Korn zu

aufzustellen und ihn als solche aufs

Schnelligkeit im Schuss bei scharfem Auge, fester Hand und einiger Kaltblütigkeit streckt den « Parten > im Grunde wehrlos

nehmen.

Der jämmerlichste Wicht erlangt den ihm noch

nieder.

so

sehr

Helden mit Hilfe jener Eigenschaften, über welche jeder wilddiebende Bauerbursch verfügt. Jene Kaltblütigkeit rühmt überlegenen

man

Muth.

freilich als edlen

Allein

nur zu häufig

ist sie

nichts

weiter als die verdienstlose Beigabe eines stumpfen Fischnaturells,

oder Leichtfertigkeit

und Gleichgiltigkeit einer moralisch

unter-

wühlten Existenz, also der falsche Einsatz eines Spielers, der nichts zu verlieren hat.

ausserdem

zu

dem

Und wie Treffer

Willen Unheil anrichtet reicht,

!

oft gestaltet sich der

Lauf der Kugel

des blinden Hödur, der gegen

Es wäre daher ohne Zweifel schon

wenn man zunächst

für die Universität es dahin

seinen viel

er-

zurückbringen

könnte, dass lediglich die Schlägermensur zugelassen würde.

Wer

wirklich so leibesschwach sein sollte, dass er die Waffe zu führen verhindert wäre, welche die altüberlieferte Burschensitte vorschreibt

und

bei

deren

ausschliesslicher

nichts entbehrt haben,

sollte

Handhabung

frühere Generationen

den Nachtheil davon,

wenn

es einer

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Wauden.

Ott'ene

467

wäre, ganz allein für seine Person tragen und sich mit der Wort-

begnügen

satistaction

um

ohne

müssen,

Gebreste

seiner

willen

Rechte beanspruchen zu dürfen, welche so unberechenbaren Schaden schwachheit,

Rücksichtnahme

sentimentalen

der

In

stiften.

hinter

wol

welcher dann

angekränkelten

Blässe

Gleichheit

den Rechten

in

auch

und

der von des Ge-

liberalistischen

Gleichmacherei

welche vergisst oder übersehen

unserer Zeit,

Leibes-

Zug

Frivolität eine Zuflucht suchen, erscheint ein

dankens

auf die

auch Bequemlichkeit

dass

will,

absolute

völlige Gleichheit

eine

der

in

Leistungsfähigkeit unbedingt fordert.

Es

ist

Unfug des Duellantenthums

ja nun bekannt, dass der

an unserer Hochschule allmählich derartige Dimensionen angenommen

Bewegung

dass vor kurzem unter den «Philistern» eine

hatte,

in

Fluss kam, welche sich namentlich gegen das Pistolenduell richtete

und zum Zwecke der Beseitigung oder wenigstens möglichsten Ein-

schränkung desselben auf die Studentenwelt zu influiren suchte. Dabei ist aber nicht nur innerhalb der letzteren eine wahrhaft verbissene, alle Rücksichten starrsinnig und pietätlos beiseite setzende Opposition zu Tage getreten, sondern, was vielleicht noch betrübender war, auch in der älteren Generation unserer gebildeten Gesellschaft,

von Männern

in

Amt und Würden,

vielfach eine

Anschauungsweise

documentirt worden, welche bewiesen hat, dass wir noch auf lange

dem Offenbleiben

hinaus mit

sei's

Wunde zu

dieser

auch nur des Pistolenduells, konnte mancher Orten kaum ernst-

haft zur Discussion gebracht werden. rein

uns be-

rechnen

Eine grundsätzliche Verwerfung des Zweikampfes,

scheiden müssen.

opportunistisch

Pistolen, so weit es

achtens

ein

in

die

immer anginge, zu vermeiden

reiner Schlag

augenblicklich

Das Resultat

begründete Ermahnungen,

Wasser,

ins

diesem Sinne

wie

gefasster

die

bildeten

Mensuren



dann auf

unseres Er-

Erfahrung trotz

Beschlüsse seitens

der

Burschenwelt bald genug lehren wird.

Was

soll

man nun

bei

inneren Stellung

dieser

zur Sache,

welche unsere höhere Gesellschaft einnimmt, über die Macht und

Wirkung

des christlichen Geistes in ihr und

über die Reife ihrer

Entwickelung zu humaner Bildung auch nur urtheilen? Wo ein Unwesen, das in so schneidendem Widerspruche zu den Grundgedanken des Evangeliums steht, nicht nur hartnäckig sich erhält, sondern, wie gesagt, gewissermassen Fortschritte macht,

doch nicht die Rede davon unseres

Wesens Wurzel

sein, dass

gefasst,

da kann

das letztere im tiefsten Grunde

wie

es

sein

sollte,

bei

Gefahr

Offene Wunden.

468 unseres

Lebens

Schlimmste nach

und

Es

ist

Zukunft sein müsste. Und das kommenden Generation allem Anschein

unserer

dass bei der

Verirrungen

die

drohen.

ist,

in

dieser Richtung

sich

noch

geradezu verblüffend, welchen Ideen

Knaben darüber begegnet, was

ihre vermeintliche

zu steigern

man

bei halben

«Ehre» fordere

und gebiete, mit welcher unbelehrbaren Starrköpfigkeit sie dieselben verfolgen und mit welcher Brutalität gegen ihre Opfer gegebenenDarnach müssen wir uns leider auf noch falls sie vorgehen. mancherlei unliebsame üeberraschungen gefasst halten, die freilich

zu der alten Wahrheit bieten müssen, dass Sünden der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins

mir eine Illustration die

und vierte Glied.

dritte

Woher stammt

dieses unausrottbare Uebel und woraus zieht immer neue Nahrung ? Professor v. Oettingen will es geschichtlich ableiten aus dem «alten Faustrecht, der Blutrache, der Familienfehde, dem richterlichen Gottesurtheil, dem patriotisch-politischen Ehrenzweikampf und endlich dem turnierartigen Kampfspiel >. In der ihm eigenthümlichen geistreich pointirten Ausdrucksweise stellt er das moderne Duell demnach hin als einen «grausigen Ratten-

es

unheimlich verschlungenen Schwänzen», als einen

könig mit sechs «

vornehmen Wechselbalg*, welcher, wenn auch nicht gerade sechzehn,

so

doch

wenigstens «sechs ebenbürtige Ahnen aufzuweisen habe»,

und meint: «Wenn irgendwo das Gesetz der «Heredität» oder der «Atavismus» sich geltend macht, so ist es in dem Antlitz und dem

Gebahren dieses evfant

terriblc der Fall,

welches, von

dem ancien

regime des feudalen Aristokratismus erzeugt, aus dem Mutterschosse

welscher Minne und Romautik

herausgeboren,

hinein von der französisch angehauchten ist.



mehr

Wir möchten annehmen, geschichtliche

P

a

r

a

1

1

dass e

1

e n

bis

in unsere Zeit

Mode grossgezogen worden

sich in jenen

darstellen,

«sechs

als

dass

Ahnen» ein

un-

Zusammenhang zwischen ihnen und dem modernen Zweikampf bestände. Um das Letztere in seinem Wesen zu genetischer

mittelbarer,

beleuchten,

mag

ja immerhin die Heranziehung jener geschichtlichen

Analogien sich empfehlen. in unserer will, so

Wenn man

aber den Wurzeln desselben

gegenwärtigen Gesellschaft nachspüren und

wird

man

sein

Hauptaugenmerk

sie blosslegen

nicht sowol darauf, als auf

und sociale Zuständlichkeit der letzteren zu richten Dabei scheint sich uns der namentlich hier zu Lande auffallend stark vorhandene und gepflegte Zug zu einem pseudoaristokrati sehen Gebahren als der originirende Hauptfactor darzubieten. die psychologische

haben.

D igitiz edj|^g^figle

Offene Wunden.

Was man lässt sich

469

unter Pseudoaristokratismus nicht

freilich

leicht

auch ohne das ein Misverständnis

Indess

ist

da

Erfahrung jedem unter uns nur zu

die

Richtung an die Hand giebt.

habe,

verstehen

zu

ausreichender Weise definiren.

in

kaum zu

befürchten,

viele Beispiele in dieser

Das Hauptmerkmal

dieses falscheu

Aristokratismus möchte darin zu suchen sein, dass er so zu sagen bevorrechtete Stellung auf Kosten Anderer zu

a priori

sich

eine

schaffen

und

durch

Nicht

trachtet.

bereitwillig

Verdienst,

persönliches

man

unterordnen, strebt

sich

behaupten

zu

Rücksichtslosigkeit

ungenirte

durch

dem Andere

innerlich

selbst

sich

zu

er-

heben, sondern durch allerlei vermeintlich vornehme gesellschaftliche

Praktiken Andere herabzudrücken und

Es

verweisen.

auch

,

ist

wo etwas

darauf

in eine inferiore Stellung

psychologisch interessant wird,

geleistet

zu

beobachten,

zu

dass

mau doch verschmäht, gerade

Ansprüche zu gründen, vielmehr bezüglich jener oft wirklich bescheiden denkt. Letztere sollen eben auch in dieser Weise nicht bedingt sein sondern gewissermassen gesellschaftliche

,

absolut gelten, als eine

Darin

inhärirende Prärogative. ristische

ruhen

tritt

denn deutlich

Kennzeichen des Aristokratismus hervor, der

will

das charaktein sich selbst

und Stellung und Ansehen ohne weitere Legitimation

beansprucht.

In

dieser

Pseudoaristokratismus

und

von Hause aus

der betreffenden Existenz

Eitelkeit

dar,

Schilderung

allgemeinen

als

eine Erscheinungsform

welche

in

den

stellt

sich

der

der Eigensucht

mannigfaltigsten Gestaltungen

wo es Menschen giebt. Es wird aber für den Kenner unserer Geschichte und der aus ihr hervorgegangenen heimatlichen Verhältnisse nicht überraschend concret ausgeprägt überall sich

findet,

sein,

dass dieser falsche Aristokratismus gerade unter uns einen besonders fruchtbaren Boden gefunden hat und ungewöhnlich üppig ins Kraut geschossen ist. Die ständische Gliederung der Bevölkerung unseres Landes, durch die Anfänge seiner Geschichte von

Hause

aus

Gegensätze

verschärft in

und

durch

ihrer Schroffheit

das

erhalten,

Hineinspielen hat

sich

in

nationaler

Folge

der

nothgedrungenen Stagnation der politischen Zustände in neuerer Zeit kastenartig verknöchert. Dadurch ist bei etwaigen Reibungen für Mistrauen und Verbissenheit hinreichend gesorgt. An Gelegenheiten und Veranlassungen aber kann es nicht fehlen. Wo eine Schicht der Bevölkerung ausschliesslich politisch privilegirt erscheint, während alle übrigen rechtlich nach dieser Seite in der Unmündigkeit verharren müssen,

wird

es nicht zu vermeiden sein, dass bei

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470

Offene

Wunden.

den so ausserordentlich Bevorrechteten ein Standesbewusstsein sich entwickelt, welches auch im Privatleben und

im gesellschaftlichen Verkehr die Anderen nicht für cvoll» ansieht und behandelt, zum wenigsten

Reservatrechte

Anspruch nimmt. so nehmen natürlich alle, die zu dem Stande gehören, auch an demselben theil, selbst die, welche nach ihren Leistungen und ihrem inneren Werthe nichts zu bedeuten hätten, ja es kann nicht Wunder nehmen, dass

Und da

gerade

allerlei

um

sich

es

diese,

in

für

sich

in

ein Standesbewusstsein

dem Masse,

als

handelt,

Wahrheit des

sich von der

sie

Spruches nicht haben anfechten lassen:

Was

du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb jenes Bewusstsein sich angelegen

um

es,

es zu besitzen

drastisch

und



bis zur Caricatur

zu bethätigeu

In diesem Bestreben werden wol die

sein lassen.

elementarsten Forderungen gebildeten Anstandes und selbstverständlichster Schicklichkeit ausserhalb des eigenen Kreises nicht als ver-

bindlich

Es wäre

angesehen.

z.

B. ein durch

Erfahrung als

die

unter Umständen verhängnisvoll erwiesener Irrthum,

wenn

gebildete,

aber nicht der höchsten Schicht der Gesellschaft angehörige

annehmen wollten, feinste

die

der ersten Wagenklasse

in

Rücksicht

für

sich

zu

rechnen

Damen

der Eisenbahn auf* Sie könnten

dürfen.

dabei gelegentlich schlimmer fahren als in der dritten Klasse. ist

deshalb die von Professor

Frage, ob die Rohheit

arge

sei,

in

v.

Oettingen

(a. a.

O.

p.

Es

74) gestellte

unseren gesellschaftlichen Kreisen eine so

dass wir von einer unumgänglichen Nothwehr reden oder

einen Krieg aller gegen alle annehmen dürfen, keine so unbedingt

zu verneinende, wie

der geehrte Autor sie hinstellt.

Der pseudo-

aristokratische Kitzel ist in der That vielfach stark genug,

um

zu

seiner Befriedigung vor einem Terrorismus nicht zurückzuschrecken, der, falls

man

nicht einmal

schimpflich

kämpfen. errungen

nicht ganz

vom Schauplatz

immer thunlich

abtreten will, was doch

nur die

sein dürfte,

Wahl

lässt, sich

zu ducken oder sich den erforderlichen Respect zu er-

Auf dem

letzteren

Wege

wordeu, der wenigstens

gesellschaftlichen

Berührungen

mit

gewisser modus vivendi

ist ein

deu

akademisch Gebildeten

der

«

Aristokratie >

einen Verkehr auf gleichem Fusse gewährt.

Aber man

immer noch en verfette und schüttelt über dem aus dem Gürtel hervorguckenden

sich höflich

lich

für die guten Beziehungen sicherlich

mcmento dauernd vermisst werden

nicht

sollte.

steht eigent-

Pistolenlauf. förderlich,

Im

übrigen

bei

äusserlich

die

Hand

Es wäre wenn dies wollen wir

471

Offene Wanden.

zu bemerken versäumen,

keinesfalls

dass wir durchaus nicht alle

Schuld und alle Schande nur der einen Seite

möchten.

zuschieben

Ist der Pseudoaristokratismus ein natürlicherweise in der obersten

frühzeitig alle

genug

die

Gelegenheit

sich

es

doch

und

angeeignet

geb erden

schimpfen,

aber

sich,

wenn

Wenn man

und noch ärger.

ebenso

bietet,

Was

so haben diese sich es

auf Junker und Junkerei

weidlich

sie

ist

Form.

der

sogenannten Literaten anlangt,

ziemlich unverfälschter Gestalt

während

so

anderen verpflanzt und durchzieht dieselben

in die

mannigfaltigsten Variationen

den

in

speciell die in

entsprossenes Gewächs,

der Gesellschaft

Schicht

beobachtet, welch eine Miene gegen alles Nichtliteratische

(sit

venia

Ton gar gegen Dienstboten, Kutscher und Kellner angeschlagen wird, so wird man mit Beund

aufgesetzt

verbot)

welch

ein

dauern urtheilen müssen, dass auch hier das Verhalten wenig, sehr

Menschen in dem Hier aber gerade müssen wir das doppelt und dreifach anrechnen und können die nicht ausbleibende Nemesis nur gerecht und billig finden. wenig

von

christlich-humaner

Würdigung

des

gesellschaftlich niedriger Gestellten spüren lässt.

Natürlich

geworden

ist,

ein solcher Geist,

ruft

nur

nicht

Conflicte

wo

er

einmal herrschend

auf dem Gebiete des Klassen-

haders hervor, sondern auch von Person zu Person

innerhalb des-

Das Böse muss eben nach

selben Gesellschaftskreises.

allen Seiten

hin fort wuchern.

Welche traurigen Folgen aus solchen Zuständen sich im einist häufig genug erörtert und männiglich bekannt. Wir können uns ein Eingehen auf dieselben um so mehr ersparen, als es uns in diesem Zusammenhange nach dem oben Dargelegten nicht auf das Duell an sich ankommt, sondern dasselbe uns nur zelnen ergeben,

insofern

interessirt,

als

selben beherrscht

und

ein

es

Geist unsere Gesellschaft,

Symptom

namentlich

Das

leitet.

die

Urtlieil

welch ein

dafür bildet,

höhereu Schichten derergiebt

sich

aus

dem

Es kann nur dahin lauten, dass das besprochene Symptom jeden ernst Denkenden beim Blicke in die Zukunft mit lebhaftester Besorgnis erfüllen muss. Wo solche Vervorhin Gesagten von selbst.

hältnisse wie die berührten bestehen, ja sich gar noch

meren

davon

zu entwickeln sein,

drohen,

dass das Evangelium

Gesammtheit durchdringende

mehr

oder

da

noch

nicht V

und

Wir

zum Schlim-

kann jedenfalls nicht

die

Rede

eine die Oeffentlichkeit und die

bestimmende Macht hoffen das Letztere

ist.

Nicht

und rechnen

darauf, dass die erörterte kritische Situation, in welcher die Gesell-

472

Wunden.

Ofl'ene

Welt schwebt, mehr und mehr mit unwiderMacht zur Einkehr in sich selbst und zur Besinnung auf das Eine, was noth thut, treiben wird. Es ist hohe Zeit, die elfte Stunde fast vorüber. Vor der Hand freilich ist von einer inneren schaft der gebildeten stehlicher

Umkehr noch wenig zu bemerken. unseren Musensöhnen

schauung

zu

Tage

Pistolenduells erblickt.

Freude

über

doch noch neuerdings unter grossen Schaar

An-

die

Einschränkung des

der

in

Antastung des Palladiums der Burschikosität erwähnten Stellung der «alten Herren»

schon

der

zur Sache kein

welche

getreten,

eine

Bei

Ist

nur zu

einer

bei

Wunder

Schmunzelt doch mancher Vater dazu, in

!

den mannhaften Trotz

Wer

des Sprossen.

versteht

heute den kernhaften Mann, bewährt in den Zeiten schwerster Noth. der gesungen

Wer

Mann ?

ist ein

Wer beten kann

Und Gott dem Herrn

vertraut:

Wann alles bricht, er zaget nicht; Dem Frommen nimmer graut. Doch wie fördern wir die Einsicht? Wie stürzen wir Götzen

Veranstaltungen, nicht mit Antiduellantenvereinen,

am Ende Abscheu

vor

dem

nicht

Ehrengericht, abgesehen davon,

Wege

weiteren Kreisen gute

Pflanzung

die

bewusster,

in

deren Mitte

Duell, aber nicht so sehr vor der dazu

führenden Gesinnung blüht,

in

die falschen

mit irgend welchen äusseren Mitteln und

¥ Sicherlich nicht

einmal mit dem

viel

gerühmten

mit seiner Einbürgerung

dass

es

hat.

Was

allein helfen kann,

christlich-humaner

grundsätzlicher

sinnung und ihre Entwickelung zu einer Macht,

ist

Ge-

welche unbedingt

Auch dann wird

das Allgemeingefühl und die Sitte bestimmt.

es

ja freilich an Ausschreitungen im einzelnen nicht fehlen, wie auch

Mord und Diebstahl das

ist

ein anderes

geworden

Sache wird dieselbe rücken.

nie völlig verschwinden werden, aber

das Entscheidende

Nicht so

brandmarkt werden,

sein, in

sehr



das Urtheil

und

ein



und

der Gesammtheit wird

die Stellung der Gesellschaft zur

völlig

und

neues

das einzelne Duell

als vielmehr die frivole

gebührendes Licht

wird beklagt und ge-

Nichtachtung der gegneri-

schen Persönlichkeit, der Einbruch in die Rechte derselben, der sich in

einem brutalen, meist vom Zaun gebrochenen Ueberfall vollzieht,

wie derselbe zur Vorgeschichte fast aller blutigen Conflicte gehört.

So lange eine derartige ignoble Gesinnung und das daraus hervorgehende excessive Verhalten so gut wie gar keine Ahndung von

dem

gesellschaftlichen Urtheil

findet,

sondern

wol

gar

als

tfixi

Offene Wunden.

angesehen wird, eintritt,

nur

falls

473

der Betreffende

dafür auf der Mensur

Mord und Todtschlag an

so lange wird

der Tagesordnung

bleiben.

Eine Aeuderung kann erst erhofft werden, wenn die Pro-

vocation

der

wie

anderen

Umständen

allen

ein

als

welches durch die Mensur

Dann wird auch

immer gearteten Persönlichkeit unter Vergehen geächtet wird,

moralisches

werden kann.

keineswegs ausgeglichen

Verwirrung der sittlichen Begriffe schwinden, welche jedes Unrecht für erlaubt ansieht, weil man ja dem Gekränkten freistellt, sich mit der Waffe Satisfaction zu holen. Weich die

Hohn auf das Evangelium, zu dem wir uns doch bekennen wollen Aber davon zu geschweigen und lediglich die humane Bildung anzusehen (welche freilich im Grunde ohne Christenthum gar nicht

ein

vorhanden wäre):

es nicht ein Faustschlag ins Angesicht der-

ist

Mit welcher Begeisterung schwärmen unsere Jünglinge für den Triumph der edlen Menschlichkeit, den Goethe in der Iphigenie selben

?

auf Tauris dramatisch verkörpert

?

Ist

es

nicht

beweinenswerth,

dass sie dem «So gehe hin und thue desgleichen», welches doch in

Weise

ihrer Seele dabei vernehmlich werden müsste, in dieser

ent-

sprechen? Sind das die Früchte unserer Erziehung und Schulung? Wahrlich, es darf nicht so bleiben, wenn nicht bald alles verloren sein

soll.

Freilich, der

Weg

zur

Wandelung des unhaltbaren Zustande«

der Dinge, der angegeben worden

ist,

ist

kein

und schnell

leicht

Von heute auf morgen darf man

zu durchmessender.

hier keine

Aber von einer Generation zur anderen lässt sich doch schon manches erzielen, namentlich wenn das Leben selbst so ernst und verständlich predigt. Aber eins ist unerlässErfolge zu ernten hoffen.

lich,

dass nämlich die Alten mit

beginnen, dass

sie

der Reformation

an

sich selbst

den falschen Aristokratismus, der seine Befriedi-

gung im Geltendmachen äusserer Ueberordnung sucht, fahren lassen und dem echten Adel nachstreben in wahrhafter Humanität gegen alle,

doppelt

feiner

Rücksicht

gegen

die,

welche

das

Schicksal

äusserlich tiefer gestellt und denen es doch als Menschen die gleiche

Würde im Lichte der Ewigkeit bestimmt, in Geduld und ähnlichen Tugenden, welche freilich ohne Herzenschristenthum nicht gefundeu werden können.

Uns

will es bedünken, der wirklich

edle

Mensch

dürfte sich in eine Unterstellung anderer Menschen unter sich nur in der Seele finden und, wo das Leben mit Notwendigkeit dazu führt, sich getrieben fühlen, das durch besondere Güte wieder auszugleichen, sowie deutlich merken zu lassen, dass

mit Widerstreben

474

Offeue Wunden.

er weit entfernt

sei,

seine Person über die andere erheben zu wollen.

Empfindungen und Anmehr und mehr der Jugend ein-

Sollte es so schwer werden, sich derartigen

um

schauungen aufzuschliesseu, zuflössen,

damit

Besseren,

das uns

Hand

sicht hat,

Keim

die Barbarei im

endlich

Zur Erreichung

sie

dieses Zieles aber

muss

und dem

erstickt

Raum

so dringend noth thut,

geschafft

werde?

jeder, der die bessere Ein-

anlegen, müssen namentlich die Väter und Familien-

haupter das Ihre thun, durch Beispiel und Zeugnis. Leider

weit verbreitet,

die Gepflogenheit

ist

dieser Be-

in

ziehung sich aller Pflichten für erledigt zu erachten, sobald

Kinder

Schulgeld,

wenn man

man

die

Wofür bezahlt man das theure

Schule gebracht.

in die

sich ausserdem noch anstrengen soll ? Ist es

doch viel bequemer, der Schule alle Verantwortlichkeit aufzubürden

und seinerseits nicht nur nichts zu thun, sondern wol gar die von der Schule aufrecht erhaltene Zucht

durch Gewährung schranken-

loser Freiheit, durch schlechtes Beispiel

gewisser ziemlich

wird

ja, sie

es

und rücksichtslose Krittelei

Und doch kann

auf die Probe zu stellen.

in

erziehend

immer weniger thun

Zukunft

nur innerhalb

die Schule

eng gezogener Grenzen

wirken,

und die recht«

Charakterentwickelung immer mehr von der sittlichen und religiösen

Atmosphäre im Hause abhängen. kann aber

Man kann

auch einen Trost darin finden, je

bedauern,

das

nach dem,

ob

man man

Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit über alles schätzt, oder

man

ob

lich

der hier unzweifelhaft einem selbst in erster Linie gestellten

am

Pflicht

liebsten

Mühen

aller

als

Schwerstes eine gewisse Selbstzucht,

die die erste Voraussetzung für den

Wer

verbunden.

Damit sind natür-

auch selbst genügen möchte.

Art und

Erfolg

bildet,

reichlicher sich belohnt fiuden.

unzertrennlich

wird auch immer

aber diese Opfer nicht scheut,

Die Schule wird dann

zu einem

bis

gewissen Grade modelnd einwirken, weiter aber reicht ihre Macht

Es

nicht.

einen

ihr

ist

eine Illusion,

eigenthümlichen

wenn man

glaubt,

die Schule

dass

besonderen cGeist> präpariren

und in

werdenden Persönlichkeiten der Schüler gleichsam wie in leere Krüge füllen könute. Sie ist immer auf das ihr aus den Häusern

die

dargebotene Material angewiesen, und das Entscheidende bleibt der c

Geist», welcher die sie

Die Aufgabe und

An

wie schöne.

Man vielfach

umgebende Gesellschaft

Pflicht der Familie ist

und bewegt.

ihrer Erfüllung aber fehlt leider noch viel.

wird bei näherer Prüfung

die

erfüllt

also eine eben so grosse

häusliche

Erziehung

nicht

leugnen

namentlich

bei

können, uns

dass

zahlreiche

475

Wunden.

Offene

Es hängt mit dem schon berührten Pseudo-

wunde Punkte aufweist.

aristokratismus zusammen, dass in gewissen Kreisen die Ruthe die

gebührende Rolle bei der Erziehung zu spielen ganz oder fast

ihr

Man

ganz aufgehört hat. frei

erachtet körperliche Züchtigung für eines

und edel Geborenen unwürdig und befürchtet von

Urtheilsverirruug

Ertödtung des

derselben

in

merkwürdiger

so

notwendigen

Die unausbleibliche Folge davon ist eine später häufig gar nicht mehr gut zu machende Zuchtlosigkeit und eine bis zur Narrheit gesteigerte Einbildung bezüglich der angeborenen BeEhrgefühls.

deutung

in

Nach

Person.

eigenen

der

herrschen übrigens

den Kreisen

unseren

Wahrnehmungen

der Geburtsaristokratie gerade

nach dieser Seite vernünftigere, conservativere Grundsätze und wird in

der angegebenen Weise

bei

denen

wol auch

namentlich

von

Literaten

c

gesündigt,

>

modernen Zeit eigene sentimentale

der

die

Humanitätsduselei mitwirkt.

Man

jungen Bäumchen

lässt aber die

und Neigungen

ihren Trieben

nach

verwöhnt und verweichlicht gethan wird, da

Hause von

Jahrzehnten

in

bringt

doch

es

als

nur

-er vielfältig

mit

Kinder mit Ansprüchen

sich in

Unter diesen Umständen wachsen

au

das Leben

nur

in

heran,

von Hause aus

wie

sie

ihn von

gesichert

ihren

deren Be-

Die Leistungs-

Mühen

:

Pflicht-

in treuer Arbeit,

werden gar nicht oder nur sehr mangelhaft entwickelt und anderen Natur gemacht.

Wie

Leichtsinn der Jugend klagen, die

Folgen davon,

die

Die

Jugend auf gewohnt

uuerlässlichen Voraussetzungen

bewusstsein und Selbstüberwindung zum

ist.

die Fortsetzung eines

gewesen, durch eigene Leistung erst zu beschaffen. aber in

für

den seltensten Fällen

weitem meisten sind darauf hingewiesen,

derartigen Lebensgenusses,

fähigkeit

den letzten

Anspannung der Mittel

äusserster

der Zukunft ja

nöthige materielle Grundlage bei

gerade dafür

der herrschende Lebenszuschnitt

etwas Selbstvei-ständliches eingebürgert,

aufrecht erhalten werden kann.

in

nichts Uebriges

man

Zukunft

bedauerlichem Masse gesteigert und in dieser Steige-

rung mehr und mehr

friedigung

völlig frei

sondern

in einer für ihre

Der Luxus hat

selbst mit sich.

obgleich

die

wo

unheilvollen Weise, und

höchst

im

auch noch

sie

nur

nicht

emporschiessen,

zur

man über Genusssucht und Wie viele durch und mit Recht.

viel hört

I

durch Schuldenmachen

und Arbeitsscheu,

ver.

bummelte und heruntergekommene Existenzen auf unserer Hochschule

!

Und doch

trägt nicht so sehr diese, wie viele kurzsichtige

Väter jammern, die Schuld daran und

auch nicht

das Corpsleben

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476

Offene

Der üppige und träge Geist mit

der Studentenschaft.

Krankheitssymptomen, wie treten,

lebhaftesten beklagt

sicht

sie ja allerdings

wird nicht erst dort

und hat seinen Ursprung

am

anzubahnen

Was

Weise

tragischer wird.

Tage

bereits mitgebracht

wo

gerade da,

oft

Wird man zur

er

erforderlichen Ein-

Hand am

mit fester

seinen

all

dort besonders zu

sondern

erzeugt,

kommen und wird man

die vergifteten

Wunden.

und vergiftenden Wunden ausbrennen,

eigenen Fleisch

um

die

Heilung

?

muss jedenfalls schnell und entschieden zwar unter allen Umstanden für ewig vorüber und werden es immer mehr sein, wo es gegeschehen

D

geschehen.

i

soll,

e Zeiten sind zweifellos und

nügte, sich als zur Adelsmatrikel gehörig auszuweisen oder

wie

zu gewinnen, bot.

um

die Universität absolvirt zu haben,

welche

einer Familie

irgend-

mühelos eine Stellung

fast

nöthigen Subsistenzmittel

die

Das Dasein auf der Basis der Phäaken

ist für die

Schichten unserer Gesellschaft unwiederbringlich dahin.

höheren

Ob

sie sich

auch ferner ihre Stellung bewahren oder auch nur ein einigermassen standesgemässes Fortkommen sichern werden, diese Frage wird sich

darnach beantworten, ob

sie sich in die veränderte

zu finden und zu schicken wissen, keit

ob

Lage der Dinge

eine kernhafte Tüchtig-

sie

und leistungsfähige Arbeitsamkeit zu beweisen im Stande

sind,

welche sich jeder Concurrenz tiberlegen zeigt und alle Hindernisse Die Mahnung, die sich an alle richtet, ist deutlich überwindet.

und

Wohin wir

ernst.

deren engen Kreis

blicken, in die eigenen

hinaus

in

die

Zustände oder über

weltumspannenden Verhältnisse,

Punkte

überall tauchen vor unseren Blicken dunkele, unheildrohende auf.

Die Zeit erfordert ein Geschlecht von eiserner Festigkeit, und

doch starrt uns überall aus unseren eigenen Zügen heit an.

Es

botenes und viel verschmähtes.

brauchen werden

?

Ob

Im Augenblicke

wir

es

man

liest

jetzt

aus

an

unserem

socialer

Jeden Augenblick verheerendes Wetter über

kann der Sturm losbrechen und ein ganzen Erdtheil hinwegfegen, alles wirbelnd.

Flammen

dem Boden emporzttngeln.

umkehrend

den

einander

annehmen und

wieder, wie in weiten

Gebieten des westlichen Europa hier und dort die Feindseligkeit

die Zerfahren-

giebt ein Mittel, sich zu festigen, ein altes, oft ange-

Gottes Gnade

Vaterlande

mag

vorilberführen

ja ,

wol

aber

und

durch

auch den Orkan haben

trotzdem die Pflicht uns auf das Schlimmste zu rüsten?

wir

Wenn

nicht alle

gewohnten Stützen brechen und der Boden selbst, auf dem man steht, wankt, was kann uns Halt gewähren, was durch das Wirrsal

Offene Wunden.

477

leiten und unsere Füsse auf unerschütterlichen Felsen stellen ? Der Glaube an das Evangelium der Kirche giebt die nothwendige innere Gewissheit und Sicherheit. Er verleiht Klarheit des Blickes und Entschiedenheit des Willens, indem er die Gewissen schärft und keinen Zweifel über die zu treffende Wahl lässt, während die in den Dingen dieser Welt befangene Weisheit vor lauter Bemühen, das in jedem Falle Nützlichste und Klügste zu treffen, hin und her getrieben wird, um au der eigenen Rathlosigkeit und

Der Blick auf das ewige Ziel, das nicht gewährt Festigkeit, und Entschlossenheit, Muth, Hoffnung alles Dinge, welche zum last, not hast

Kurzsichtigkeit zu scheitern.

umstürzen

kann,

Geduld und





Hindurchkommen



unerlässlich sind und doch denen fehlen müssen, die in dem allgemeinen Werden wir uns dem Anker, dessen

die Sigualstaugeu ihrer

ephemeren Wissenschaft

Umsturz verschwinden

sehen.

Haltbarkeit voller

durch

die Geschichte

Hingebung vertrauen

Wetterfahnenpolitik halten

und

NB!

voll

und ganz

?

oder

erwiesen

wir es

Von der Entscheidung,

treffen,

lieber

ist,

mit

mit der

die wir treffen

wird es abhängen, ob wir als Bau-

Neubau der Zukunft oder ob wir den Wassern versinken auf ewig. 'O 'avnyivüjöxojv voHrv!

steine mit hineinkommen in den in

aller Zeiten

werden

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

führend

ist,

das Gebiet geschichtlicher Forschung seit jeher

unseren Provinzen

in

was

so dass Livland,

mit Vorliebe

bearbeitet

worden Ver-

die Erforschung seiner historischen

gangenheit anbetrifft, wol einen Ehrenplatz einzunehmen berechtigt erscheint,

für

ist

das

wenig geschehen.

literatur-historische Gebiet nur sehr

weite

Vor allem

treten uns

zusammenfassende Dar-

stellungen, sei es eines bestimmten Zeitraumes,

Verlaufes

der

literaturgeschichtlichen

sei es

Strömungen

des ganzen

nur

vereinzelt

entgegen und nur wenig zahlreicher sind die Arbeiten, welche einzelne poetische Erscheinungen

Aus

handelu.

busch:

oder

einzelne Dichtergestalten

be-

ihnen und aus Werken, wie Friedrich Konrad Gade-

Bibliothek, Recke - Napiersky: Allgemeines und Gelehrten-Lexikon, E. Winkelmann: Bibliotheca

Livländische

Schriftsteller-

Livoniae

Historien,

Ostseeprovinzen von

Rehbinder:

1800—1852

ein reiches bibliographisches

Die belletristische (Inland 1853 Nr.

Literatur

45— 48),

und biographisches Material

in

der

welche alpha-

mnss der Stoff mühsam zusammengesucht werden, und auf ihnen beruhen denn auch die einen grösseren Zeitraum umfassenden Abhandlungen. betischer

oder

chronologischer Anordnung

Diese geben aber fast alle nur

zum grossen Theil

veraltet

kurzgefasste Uebersichten,

sind,

da durch

Kenntnis der Dichtung Livlands gerade sehr gefördert

ist.

Neus:

geben,

Die Poesie

in

welche

neues Material

die

den letzten Jahrzehnten

des Inlandes in der

ersten

Hälfte des 17. Jahrhunderts (Inland 1845 Nr. 46) bietet uns das

zusammenfassende Referat eines Vortrages,

in

welchem nur kurz die

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479

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands. einzelnen Erscheinungen

der Literatur erwähnt

während

werden,

der Schwerpunkt auf das Bemühen der Deutschen, den Letten und

Esten

Bildung und Cultur zu vermitteln,

die christlich-germanische

auch nach einleitenden Worten und Altlivlands naher Wechselbeziehung, nach kurzer Erwähnung der sogenannten Reimchronik Ditleb von Aln-

So

gelegt erscheint.

wird

denn

über Deutschlands

pekes. einiger kürzlich von Ed. Pabst gefundenen Minnelieder, deren

Veröffentlichung

und

Dichter

man entgegensehen

sclilesische Schule,

erste

könne, und einzelner Chronisten

(Russow, Kelch, Lenz, Merkel) Paul Flemming, die Gelegenheitsdichtung

die

des

17.

Jahr-

Sammlung abgethan. Im Jahre

hunderts, die der Revaler Gymnasialbibliothek gehörige

an Hochzeitsliedern auf wenigen Seiten rasch

1848 erschien dann eine kleine Schrift, die viel zu wenig bekannt geworden ist und die doch mit das Beste, wenigstens für den Zeitraum und das Gebiet der Poesie, welches der Verfasser zu behandeln sich

vorgenommen,

Undeutschen

gedichtete Liedlein

über

nach Form

livländisch-deutsche Volksdichtung,

wandtes überhaupt.

«Das alte auf unsere und Inhalt, so wie

giebt, nämlich

Volkssprache

und

Ver-

Ein Beitrag zur Culturgeschichte des älteren

Livlands> von Ed. Pabst.

Die

Ed. Meyer gewidmete Schrift,

Neus und zurückkommen

seinen Freunden Alex.

auf die

wir

öfters

werden, geht von den bekannten Versen Ick bin ein Liffländisch Bur,

Min Levend werdt my sur aus,

um dann auf

u. s.

w.

historische Volkslieder, auf Minnelieder und geist-

Gesänge einzugehen und bei einer Fülle von Material feinBemerkungen über die Entstehung unserer baltischen Volksdichtung und ihre Beziehung zu Deutschland, über den niederdeutschen Dialekt und seine Verbreitung in den Ostseeprovinzen, über Landsknechtlieder &c. zu machen. Der Zeit nach folgte darauf 1855 das im In- und Auslande am meisten gekannte Werk über baltische Dichtung, Jegör von Sivers Deutsche Dichter in Russland. Studien zur Literaturgeschichte, ein Werk, das für die ältere Zeit baltischer Dichtung nur kurze Notizen giebt, welche an Vollständigkeit Manches vermissen lassen». Schon der Rahmen, von welchem diese umschlossen sind, ist durch das Unzusammenhängende seiner Ausführung eigenthümlich Tacitus, Diodor, Karl der Grosse, Otfried, überhaupt die Literatur Deutschlands, der liche

geistige

:

:

1

Vgl. die absprechenden, aber

sachlichen Kritiken

von F.

v.

R(ickhoff)

and H.

Inland 1856, Nr. 16 u. 17. Niens«. BiltUcho Monatsschrift, XXXVI. Band, Heft 6.

33

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480

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

Kurverein

von Rense,

die

goldene Bulle,

die

Entdeckungen

der

Portugiesen, die Einfuhr schwarzer Sklaven in die neue Welt, der

Reineke Fuchs, Rosenplut, die Erfindungen und Wissenschaften, Albrecht Dürer, Iwan IL der Grausame, Macchiavelli, Ariosto,

Raphael &c. &c ziehen in buntem Gemisch an uns vorüber, und dazwischen sind die wenigen erwähnten dichterischen Denkmäler Livlands gefügt.

So werden der Gesang zu ßeverin,

tische Spiel zu Riga,

livländische Reimchronik,

die

das die

in

drama-

Reval

neu entdeckten Minnelieder, die Buhlenlieder bei Russow und Kelch, die Spottverse auf den Erzbischof

vier im Archiv

von Riga, Burchard Waldis, die

von E. Pabst edirten historischen Lieder und Timaun

Brakel nur kurz angeführt und geben

kein vollständiges Bild der

alten literatur- und culturhistorischen Verhältnisse unserer Heimat.

In neuester Zeit hat denn noch Th. Schiemann in den Mittheilungen«

dem

unter

Titel Altlivländische

Dichtungen flüchtig

in

einer

ein-

leitenden Ueberschau zu den von ihm herausgegebenen lateinischen

und deutschen Dichtungen

die Literatur früherer Zeit gestreift,

und

daher erscheint der Versuch, der in den folgenden Blättern gemacht wird, zumal neue Quellen hinzugeströmt

nicht

sind,

nämlich einen Abriss der Geschichte der Literatur Selbständigkeit Livlands oder vielmehr bis

hunderts zu geben, welcher es erreichbar war,

unberechtigt,

in der Zeit

znm Ende

der

des 16. Jahr-

einschlagende Material, so weit

alles

berücksichtigt und, auf

die

verschiedenen Vor-

was über diese Zeit bekannt zusammenfasst und zu einem Gemälde verarbeitet. Dem Vorwurf, als ob von einer auf livländischem Boden

arbeiten gestützt, das Wenige,

Rede

ist,

ent-

könne und somit eine Specialgeschiclite der livländischen Literatur ein Unding sei, möchte sprosseneu Literatur

ich hier entgegnen,

beziehung

dass

die

dieser

und

dass

sein

Vorwurf

zur Gesammtheit jede

muss

treffen

nicht

der regen Wechsel-

bei

provinzielle

Literaturgeschichte

Werke, wie Wiechmann Entwurf Literatur, oder Pisanski

verdienstvolle

Mecklenburgs altniedersächsische

:

der preussischen Literärgeschichte, demselben Vorwurf unterliegen.

Es ist ja natürlich, dass neben der selbständig auf livländischem Boden entstandenen Poesie auch Vieles aus dem deutschen Mutterlande eingedrungen ist und dass manche und vielleicht gerade die bedeutendsten Dichtergestalten nicht in Livland geboren sind.

aber

die

1

Bd.

an

einen

XIH, IMi

Ort geknüpfte

4.

Geburt

ist

Nicht

ausschlaggebend,

481

Die Haupt-Strömungen der Literatur Altlivlands.

Ideen empfängt

sondern in so weit der Mensch wirkt und schafft,

und zu solchen wieder anregt, gehört er einer Heimat an, wie wir z.

Burchard Waldis

ß.

zweifelsohne

Unsrigen

der

einen

für

Der Zweck der Literaturgeschichte

halten berechtigt sind.

ist,

zu das

geistige Leben, wie es sich in den literarischen Erscheinungsformen offenbart, zu schildern

spielen

und

und

alle

die Literaturen

Fäden, welche herüber- und hinüber-

Und

verknüpfen, blosszulegen.

Gegenden

verschiedener so

mögeu

und Völker

folgenden Blätter,

die

wie sie sich aus überarbeiteten Vorträgen entwickelt, hervortreten

und ein Zeichen dessen Altlivland unter

sein,

dass die deutsche Cultur, die sich in

Kämpfen und Ringen

dem

festigte, zugleich

Ideal

zugewandt war und auch unter schweren Verhältnissen Knospen und Blüthen zeitigte.

Obgleich über siebenhundert Jahre in

Leid und Freud hingegangen

kommenden Colonisten

sind,

es betraten

das baltische Land

über

die ersten von

seit

Westen

und christliche Cultur und

christ-

Glauben ihren Einzug hielten, stehen wir doch noch jetzt in Sitte und Sprache, in unserem ganzen Dasein gegründet auf dem unserer Vorfahren da. Denn wenn auch das wechselnde Geschick licher

unsere Heimat nach

dem Verlust

bald unter

ihrer Selbständigkeit

Polens, bald unter Schwedens, dann Russlands Herrschaft brachte,

zu Deutschland waren die Beziehungen stets rege und unser geisti-

ges Sein und Leben erhielt von

lehnung und

in

östliche Colouie

die

Riese Antäos,

kam, sog

um

sie

seine Richtung.

dorther

wenn

stets

er

neue

mit

Culturelemente

und

so

aus der Beziehung

engen geistigen Zusammenhang

zum Mutterlande zeigt

dass eine Geschichte der baltischen Literatur

stets

gespeist

nur

fliesst

rischer Production in Altlivland reichlicher,

strömen,

der

neue Kraft, Diesen

allem die Dichtung, so

vor

deutscher Ideen sein kann, denn nur dann

aus Deutschland

wie

der mütterlichen Erde in Berührung

dieselbe im Gebiete des culturellen Lebens zu bethätigen.

die

In An-

Verarbeitung der überkommenen Ideen erwarb sich

ein Spiegelbild

der Strom dichte-

wenn er von Quellen, Daneben bedingen

wird.

natürlich ein Aufblühen oder einen Verfall die heimatlichen politi-

schen Verhältnisse, indem sie den günstigen oder ungünstigen Boden für die aus

also

zwei

Deutschland

verpflanzten

Bedingungen

vereinigen

,

Keime

so dass

bieten,

einerseits

der

Literatur Deutschlands, andererseits die jedesmalige

sich

Eintluss

Lage des

der

balti-

33*

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482

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

Von

sehen Landes.

einer selbständigen organischen

Entwickelung

der Dichtung, die allmählich fortschreitet, kann so nicht die Rede sein

nicht

;

tritt

uns

Lebensepochen des

den

eine

sprechende Fortentwickelung der Poesie entgegen,

dem

ereigniserzählenden, noch

sprechenden Epik

die

um

fühlende Lyrik,

alter entsprungenen

der

Volkes

nicht

ent-

folgt der

nicht reflectirenden Kindesalter ent-

empfindungsvollen Jünglingszeit

schliesslich der aus

dem

nach-

thatenkräftigen Mannes-

Dramatik Kaum zu geben, sondern unvermittelt

liegen die verschiedenen Gebiete der Dichtung, das lyrische, epische

und

dramatische,

Mutterlande

neben einander, je nachdem die Anregung vom Ist doch die selbständige Entfaltung

sie hervorgerufen.

der Kunst und Wissenschaft an Bedingungen geknüpft, welche unserer

Heimat

gefehlt haben

!

Nur auf einem gesunden

national gewordenen Volksboden blüht die Poesie,

nationalen oder

und

wie sollte

das auf der Grundlage fremder Nationalitäten aufgebaute Livland

zumal Livlands GeConcentrinund der ununterbrochene Kriegszustand mit den Nachbarn und EingeDazu kam, dass borenen eine stete Kampfbereitschaft verlangte. eine Blüthe

aus

eigener Kraft

hervorrufen,

im Staatsleben

schichte sich fast ausschliesslich

Livland

und Westfalen gegründet

von Niedersachsen

war,

deren

Volkscharakter, rauh wie die rauhe Natur ihrer Heimat, mehr der mit Erfolg verbundenen That, als der Pflege des geistigen Lebens

So tritt uns, besonders in frühester Zeit, eine Armuth an dichterischen Denkmälern entgegen, zumal manches verloren ist

zuneigte».

im

Kampf

der Zeit oder

Und

Archiven harrt.

erst

doch

seiner

reizt

Wiedererweckung aus alten

es,

diesen

wenigen Zeugnissen

der Poesie nachzugehen, da sie das Bild unserer Heimat und ihrer

Vergangenheit vervollständigen, und so will ich versuchen,

in skizzir-

ten Umrissen die Strömungen baltischer Dichtung, deutschen Geistes

und Lebens früherer Zeit zu «Fast

um

schildern.

dieselbe Zeit, da Saladins Heldenthaten den

Orient mit Staunen und Bewunderung erfüllten und auf die

von

seinen

Abendland

Schlachten, Siegen sich schon

und Eroberungen

von neuem

zu

Dünaufer der

Kunde

europäische

einer bewaffneten Wallfahrt

nach dem Grabe des Erlösers vorbereitete, nordischen

das

ganzen

gründete

Augustinerpriester

am einsamen aus dem

Meinhard

Kloster zu Segeberg in Holstein, ein schlichter Greis

mit

gottes-

fürch tigern Sinn und würdigem grauen Haar, der sich in Begleitung 1

Vgl. die

Bunge« Archiv,

Inländischen III.

Städte

im

Mittelalter

von Georg von Brevem.

483

Die Haupt Strömungen der Literatur Altlivlands. des Cisterciensermönchs Dietrich

nach Livland

einigen

fahrenden

Handelsleuten angeschlossen hatte, eine christliche Schule und Kirche in

Wort dem Evangelium Der

der Hoffnung, durch sein

bei den dortigen

Landesbewohnern Eingang zu verschaffen'.»

erste

bleibende

Anfang der Colonisirung Livlands fällt so der Zeit nach zusammen mit dem höchsten Aufschwung Deutschlands, da durch die Kreuzzüge neues Leben und neues Schaffen erblühte. Denn nicht nur, dass diese eine Vertiefung

zur Folge hatten,

religiöser

in

und

sittlicher

Berührung mit einander und zum Austausch schauungen.

Beziehung

brachten auch die einzelnen Völker in enge

sie

Das Ritterthum, welches

bildung erhalten hatte,

trat

Romanen

seine Aus-

neben den Geistlichen

jetzt

An-

ihrer Ideen und

bei den

den

in

Vordergrund des socialen Lebens, da ihm die Kämpfer Christi angehörten und «geistige Regsamkeit, lebhafter Verkehr, der aus dem

und Leben auf

Uebertragung Minne» schufen einen Boden, auf welchem «rasch und lieblich, wie die Blumen des Frühlings», die höfische Poesie des Mittelalters entspross. Aber eben so rasch welkte sie wieder dahin. Die sonnigen Frühlingstage mit ihrer Romantik waren nur zu schnell vorübergegangen, nüchtern Mariendienst sich entwickelnde Frauencult

des Dienstverhältnisses

vom

staatlichen

und

und grau trat die Wirklichkeit hervor

praktische Richtungen erfüllten die Gemüther.

die

die

weltliche Interessen,

Der Adel gab

sich

durch die Ungunst der Verhältnisse, da die deutsche Dichtung nicht

mehr an den Fürstenhöfen gepflegt wurde und allgemein Verrohung um sich gegriffen hatte, dem Strassenraub, dem Stegreifh and werk hin, die Geistlichkeit versank immer mehr und mehr in Ueppigkeit und Unglücksfälle lasteten ver-

und Trägheit, furchtbare Seuchen düsternd auf

dem Lande und an

ritterlichen Dichter

Stelle

der reizvollen Poesie der

dreizehnten .Jahrhunderts

des

Blütheepoche Kreuzfahrten

und

die

trat

Jungfrau Maria,

das ewige und doch wechselvolle Leid

die

haus-

Und wenn im Beginn

backene des städtischen Bürgerstandes.

der Minne und

der

später aber 4

ihre Lust,

Abenteuer der bretonischen Tafelrunde und die kühnen Thaten volkstümlicher Recken den Hauptinhalt der Dichtung

die romantischen

ausmachten, wandte

sich

jetzt

schwankhaften Erzählung

dem

und

das Interesse

dem

oft

moralisch-religiösen Meistergesänge und

schen Lehrgedichte zu. 1

Knril

von Schlözer:



Diesen

Livland

Gang

nnd

die

der novellenartigen,

derben Fastnachtsspiele,

dem

didaktisch-satiri-

der Dichtung spiegelt im Anfüuge deutschen Lebeni im

Norden.

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Die Hauptströmuugen der Literatur Altlivlauds.

484

grossen und ganzen

unsere baltische Heimat

auch

Verhältnisse denen Deutschlands

zum

Nachdem der Bischof Albert au Idee

existirenden Bisthums

christliches Staatswesen, die lieber ihr Ziel

mit jedem

im Nordosten

Frühling

kamen

die Scharen

als

grösstenteils wieder zu scheiden,

immer

bis mit der

um

bald

sich

ein

der Kreuzpilger,

und die

sahen

Palästina

in

Allerdings galt es einen lange dauernden

aber im schweren Ringen

bildete

um im Herbst

,

des nur in der

die Spitze

war,

getreten

das durch

deren

wieder,

Theil analog waren.

wie

die

Zugvögel

fester

gegründet wurde.

Kampf

mit den Heiden,

die Existenz festigte sich die Colouie,

Niederwerfung des grossen Estenaufstandes

des vierzehnten Jahrhunderts und der Vereinigung

in der

Mitte

der drei balti-

schen Provinzen die Unterwerfung der Eingeborenen vollendet und

der zähe Widerstand gegen Christenthum und deutsche Herrschaft

Gerade aber

gebrochen war.

in

der Anspannung aller geistigen

und materiellen Kräfte blühte Livland empor,

und ein glänzendes

Zeugnis dieses Aufschwunges bilden die herrlichen Kunstdenkmäler, wie der

Dom

zu Riga und Dorpat, vor allem aber das rege geistige

Leben, die juristische und theologische Bildung der Ordensherren, die kreuzpredigende, das Christenthum ausbreitende Thätigkeit der

Geistlichkeit

und

die Dichtung».

Von Niederdeutschland aus war

die

Colonisirung Livlands

gleichsam in einem Kreuzzuge, in einem Vordringen des Christen-

thums gegen das Heidenthum erfolgt, und das drückte den Anfängen baltischer Dichtung sein Gepräge auf, welche die begeisternde Verherrlichung einerseits des Glaubenskampfes, andererseits der katholischen Kirche

und ihrer Heiligen aufweist.

Gesängen, die

in

Neben den

den Gotteshäusern erklangen,

lateinischen

erstand im Mittel-

alter ein geistlicher, gewöhnlich mit einem Refrain endigender

Ge-

sang, welcher der religiösen Erregung der sangesfreudigen Deutschen

auch ausserhalb der Kirche Ausdruck verlieh. die Kreuzfahrer

und wer sonst zu

Schiffe

Mit Gesang fuhren

ging,

hinaus ins Meer,

mit Gesang wenn die Schlacht begann, wie einst die alten Germanen, Todesmuth und Siegesgew issheit von oben und dankten Gott und der Jungfrau Maria, wenn der Sieg erfochten 1 So erscholl bei der Belagerung von Beverin 1208 vom Walle herab mit Gesang wallten sie und die Pilger

durchs Land,

holten sich die Krieger,

.

1

a

[, p.

Th. Schiemann, Rn&daad, Polen und Livland bis ins Vgl.

888.

W. Waekernagel,

(iexeliielite

17. Jahrli.

der deutschen Literatur,

1.

II, p. 84.

Aullage,

485

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

den stürmenden Esten Gottes Preis entgegen, wie uns dies Heinrich

tAueh

der Lette berichtet:

wenig

bekümmert,

ihr Priester,

um den Sturm

auf den Schlosswall,

stieg

der Esten

während

und

die

Anderen kämpften, spielte er auf einem musikalischen Instrumente und flehte zu Gott. Und die Barbaren hielten an, als sie den süssen Gesaug und den scharfen Klang des Instrumentes vernahmen, denn sie hatten dergleichen in ihrem Lande nicht gehört und Hessen ab vom Streite und fragten nach der Ursache so grosser Freudigkeit. Die Letten aber erwiderten, sie seien froh und lobeten Gott, den Herren, weil sie, nachdem sie kürzlich die Taufe empfangen, sähen, dass Gott für sie streite. Da machten die Esten Vorschläge zur Herstellung des Friedens«. * Und als das Heer der Christen mit drei Bannern gegen die Sehaar der heidnischen Littauer am Flusse Scheneu in Kurland anrückte, da stimmte dasselbe den Sang Ihr, der «edelen unde an: «hilf uns Saueta Marlä zu vromen'». vrien» Herrin und Himmelskönigin, der Schutzpatronin des Ordens, zu deren Dienst der Ordensmeister den neu aufgenommenen Bruder weihte, indem er beim Seil wertschlag auf die Schulter ihm zurief: Dies Schwert empfang von meiner Hand Zu schützen Gottes und Marien Land 3 ,

der Kirche Livlands,

der Schutzgöttiu

ihr,

Lob und

Kriegsthaten.

Preis

uud

verliehenen Sieg

für

Fast eine stehende Formel bilden so

Heimkehr des Heeres

die

der

derentwillen

und dem Sohne Gottes erscholl

gläubige Pilger das Kreuz nahm, andererseits

um

Worte der

glückliche

bei siegreicher

livländischen Reimchronik

dö wart gelobet Jhesus Christ, der alles lobes wirdie

und die

liebe

müter

ist,

sin

Maria, die vrowe min«,

Worte, die sich allerdings auch auf eine zu celebrirende Messe beDass aber auch das ganze Kreuzheer in gemeinziehen Hessen.

samem Gesang Gott Heinrichs 1

*

für den Sieg pries, berichtet uns die

Scriptorcs rerum Uron.

mächtigen Gottes

Maria zogen

Chronik

Nowgorod

sieg-

p. 129.

herauf von Leo Meyer, V. 11917. Vgl. eine «Unter Anrufung der Hilfe de« all1, p. 127: und der heiligen Mutter Gottes, der unbefleckten .Jungfrau Rigiaehen nach Treiden» &c

die

Strip, rer. Uo.

Joh. Christ. Brotze 4

I,

der König von

LivliindiHchp Rchnchronik,

ähnliche Angabe

,

Als 1218

des Letten.

.

:

.

.

Rückblick

in die

Vergangenheit,

7.

Stück,

p. 5.

Livl. Reimchronik, V. 9498, 12015, 44«.

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486

Die Hauptströmuugen der Literatur Altlivlands.

reich bestanden war, «kehrten die

den

Weg

über

Deutschen gesund und unversehrt

zurück» (Teutonici vero sani

singend

per viam cantantes redierunt),

und

dieser

Gesang

weiter unten folgenden Worten «und sie lobten alle die Erlösers, der

und

zurückführte

sie

den Händen

aus

incolumes

et

findet

in

den

Gnade des der Feinde

omnes Salvatoris clementiam qui reduxü Uberavit de manibus inimicorum) seine nähere Erklärung».

befreite» eos et

(et

Leben fand eben

Geistliches

wenn

denen,

laudaverunt

nicht

anders

so

stetem

in

Kampf

mit den

dem Schwerte, der

mit

Heiden,

christliche

Glauben gepredigt ward, eine Vertiefung, und zahlreich mögen die Mundart und wechselvollsten Inhaits gewesen sein, von denen sich leider so wenig erhalten hat. Dass das geistliche Element auch zu Situationen in Beziehung gebracht worden ist, in denen es uns widerspruchsvoll erscheint, ja ganz eigentümlich berührt, kann man aus den alten Schrägen ersehen. So heisst es in den Schrägen der revaler Tafelgilde vom Jahre 1363: «10) des Dienstags nach Ostern sollen die gemeinen Brüder zusammenkommen wegen der heiligen Aufgeistlichen Lieder niederdeutscher

und eine gute Tonne Biers zusammen ist auferstanden», und eine Instruction für die Jahresfeier der Tafelgilde lautet: «12) Wenn die Mahlzeit aus ist, so fragt man den ältesten Bürgermeister, ob man das unseres Herren

erstehung

trinken und singen

«Grotoi

singen

:

Christus

Alsdann gehen die sechs Vorsteher vor der

soll.

Brauttafel zu stehen

nach der Seite des

bei einander, die ältesten

Raths, und alle die Brüder stehen aufrecht und singen mit Freuden «Christus

ist

auferstanden von der Marter

froh sein, Gott will unser Trost sein.

brauch hat sich

bis in das Zeitalter der

des sollen wir alle

alle,

Kyrie

eleison.

»

Dieser Ge-

Reformation erhalten, wie

denn die im Jahre 1514 von Wolmer Brockhusen angefertigte Haudschrift dieselbe Instruction enthält

:

«

12)

Wenn man

dreimal herum

und wieder herum getrunken hat und ein jeder fröhlich ist, so hebt «Christus ist aufder Kirchherr an zu singen mit allen Brüdern Das singt man dreimal 1 .» -- Der um die Erforschung erstanden». :

der

baltischen Geschichte

und Literatur

hochverdiente Oberlehrer

Ed. Pabst thut in seiner Schrift Das alte auf gedichtete Liedlein &c.» alter 1

Script, rcr. Ur.

'

Engen von Nottbeck: Die

Iteval lHSo. •

p.

49

p. 36, 65, ff.

I,

p.

unsere Undeutschen

geistlicher Lieder

in

plattdeutscher

223.

69 and

71.

alten Schrägen «ler grossen Gilde zu Reval.

Die Hauptstroniungen

Sprache Erwähnuug, die im Rathsarchiv

und die

Zusammenhang

im

Wie

in

dem späteren

obgleich sie

ich,

der

487

Literatur Altlivlands.

de»-

Reval vorhanden

erwähnen

Dichtung

geistlichen

seien,

Mittelalter angehören, hier

möchte.

aus mehreren Notizen, bei Netis», im Bungeschen Archiv 3 &c,

hervorgeht, hat Pabst die Absicht gehabt, dieselben herauszugeben, nicht, oder nur theilweise ausgeführt, was um so mehr zu bedauern ist, als die Handschriften augenscheinlich verloren gegangen sind, da sie nach mir gewordener freundlicher Mittheilung sich nicht mehr im Archiv finden, ebenso wie die Liebes-

dieselbe aber

welche an derselben Stelle angeführt sind.

lieder,

zum

jedoch und

welche im Jahresbericht

der felliner literarischen Gesellschaft pro

1888 vollständig im Druck erscheinen sollen,

welche

unserer baltischen Heimat aus gläubig sehnenden Herzen erklang,

Diese Dichtung hat in engster Beziehung, wie sich das

gewinnen. besonders

zwei

bei

Liederu

erweisen

lässt,

zu Deutschland

ge-

Eins der allbeliebtesten allegorisch-mystischen Motive des

standen.

katholischen

Kirchenliedes

von

das

ist

der

dem bekannten Mühlenliede uns

welches

Mühle,

Barthel Regenbogen» und Muscatblüt« verarbeitet in

uud lassen

erhalten

in die katholisch-religiöse Dichtung,

uns so einen Einblick in

In Abschriften»

Theil in Abdruck* sind glücklicherweise die Lieder,

entgegentritt,

bei

und welches

ist

das in

hoch-

deutscher, niederländischer und niederdeutscher Version bereits viel-

zum Abdruck gekommen

fach

ist 7

Dieses Motives

.

Kunst bemächtigt und

die bildende

Dichtung und Malerei

hang zwischen den

ist

man wol

berechtigt, einen engen

der

Zusammen-

vielfach in Kirchen vorhandenen Mühlenbildern

und den Mühlenliedern anzunehmen.

Wiechmaun

burgs altniedersächsische Dichtung

neun Bilder

drei in Cistercienserkirchen,

"fuland

hat sich auch

der Wechselwirkung

bei

1849, Nr. 46.

und meint, dass

-

führt in

:

Mecklen-

unter

an,

für das berner

diesen

Münster

919.

III,

In der Pabstschen Haudschriftensammlung,

welche

sich

im Besitz der

W.

Schlüter nach dieser

angefertigten Abschrift, die mir in liebenswürdigster Weise

zur Verfügung ge-

cstländischen Ritterschaft befindet, und in einer von Dr.

stellt

worden 4

Das Mühleulied

ratorlll,

und

An 8

p.

231

1

ff.

Annen

l'h.

"Wackcrnagel

a.

a.

17. ().

in

Wiethmanns

in

Mecklenburgs altniedeisächsische Lite

E. Bähst*: Bunte Bilder :

I,

p.

gemachten Abschrift

116.

Das deutsehe Kirchenlied von der ältesten Leipzig IW7. Bd. 11, Nr. 419.

Zeit bis zu

Jahrhunderts. Nr. 651.

Vgl. Jahrbuch des Vereins

gang 1883.

:

nach einer vom Archivar C. Kusswurm

St.

Anfang des c

sind.

Bd. IX.

Herrn

für niederdeutsche Sprachforschung.

Brandes

:

Zum

Mühlenliede

p.

49

Jahr

ff.

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488 der

Die Hauntstromungen der Literatur Altlivlands.

Name

Wahl

des

Stifters

Kaspar von Mülinen

des Gegenstandes gewirkt

thätige Vorsteher

der

und zwar nach Pabsts Urtheil 1 lung

gilt,

in einer Schrift, die

,

die

Reval, Marcus von

Beziehung gestanden, mag dahin-

in

Dieses befand sich auch

gestellt bleiben.

in

für

vom Jahre 1476

der

Nikolaus-Kirche

St.

Moleu\ zu unserem Liede

der

bestimmend

Ob

habe.

der revaler

in

Sammlung Samm-

welches für alle Lieder der

auf die zweite Hälfte des fünfzehnten

Jahrhunderts zu deuten scheine, so dass die revaler Fassung, welche

Anordnung der Verse der Uhlandschen, wie sie in den Volksmit geringen Abweichungen gleichkommt, neben der niederländischen die älteste sein würde Damit fällt die Annahme K(rauses)«, dass vielleicht der Verfasser Ecbert Hadem, der in

liedern* vorliegt,

in

und dreissiger Jahren

den zwanziger

Rostock Professor gewesen,

des 16. Jahrhunderts zu

zusammen, während

schauung, die Herrn. Brandes vertritt,

sich für die

des fünfzehnten Jahrhunderts verlegt, ein Beleg mehr ergiebt die

Angabe Winnigstedt», dass

zu Höxter war,

einem

in

er das Lied,

sehr

alten

An-

das Lied in die Mitte

der

als er

und

noch Pfarrer

Buche der Corveyer

Stifts-

bibliothek gefunden habe, an Bedeutung gewinnt.

Eyne mole jck buwen wyl, wormede

her got, wüste jck

vn hedde jck hantgerede, vn wüste wor fan, her got, so wolde jck heven an,

Dem

mit diesen Worten beginnt das Lied.

gemäss

soll

das

Baumaterial

nöthige

(Libanon) herbeigeschafft werden

am Werke,

helfen

dem Walde Libanus

hohe, an Künsten reiche Meister

;

vor allem Moses,

im Alten Testament gelegt

Charakter der Dichtung

aus

hat, auf

welcher

den

untersten Stein

welchem das Neue Testament,

als oberer Stein, ruht.

Do nyen

e den oversten sten

den legge nu up den olden, dat he lope bolde

1

1

Preua.s.

i».

*

Jahrbücher, Bd. 59, Hott

E. l'abst

8

:

alte

Liedlein u.

(i.

s.

Tli.

w.

Schiemann,

St. N'icolaus in Reval.

p. 50.

888.

Beilage zu Nr.

Jahrb. de« Vereins 1

Das

a. a.

f.

0. p 50.

183 der Kostocker Zeitung

nd. Spracht". IX, p. 49.

vom

8.

August 1879.

Vgl.

Die Hauptströmungen der Literatur Althvlands.

na meysters

489

kirnst

dat isz des hylgen gestes guust.

Im Bau

stehen weiter bei Hieronymus, Ambrosius, Gregorius und

Augustinus, welche das

von

den

Kammrad

bewahren, damit die Muhle, welche

Strömen Geon, Phison,

vier

trieben wird, desto besser läuft;

Gang,

sie,

die in aller Christen

Gy

und Tigris« ge-

Euphrates

die zwölf Apostel bringen

Land ausgesandt

sind,

sie in

zu mahlen.

twelf apostel gat hervor

brynget uns de molen gande dat se nycht blyve bestände

gy synt gesant malen jn alle crysten lant. Ferner wird von einer Jungfrau berichtet, die to

Weizen

bringt

sie

;

ist

der Jesaias geweissagt hat, sich

alle

«fruwen

vn

Mutter

die

man»

mit

ist

über dessen Geburt

.Jesu,

Das

treuen.

brochte en reyne junckfruwelyo»,

Weizensäcklein,

könnte

tissime exponebatur), so

niederdeutsch gewesen

qui

in

sei,

scheint (comocdiae materia

aderant,

per

Interpretern diligen-

man annehmen, dass das Drama dem Falle das erste Beispiel eines

nicht lateinischen Stückes.

Eine Mittelstellung zwischen geistlicher und weltlicher Dichtung nimmt die mitteldeutsche livländische Reimchronik ein, ein Werk, das am Ende des 13. Jahrhunderts entstanden, ein unverkennbar engstem Zusammenhange mit der Geschichte der Poesie in Deutschland steht, deren schönste mittelalterliche ßlüthe damals bereits im

Abwelken es,

begriffen

obgleich

eine

war J *.

Gervinus rühmt diesem Epos nach, dass doch den blühenden

streng historische Chronik,

Vortrag der Ritterromane mit so

viel

Geschick festhalte,

einem solchen Gegenstande zu erwarten

sei.



eben nicht, nur Geschichte in Reimen, sondern

Kampf

als

bei

Der Dichter giebt eine leitende Idee

dem Heidenthum und dessen Bekehrung zieht durch das Ganze, dem Inhalt der Dichtung die poetische Färbung eines Kreuzzuges, an welchem die Hilfe der Jungfrau Maria und die Wunder Gottes sichtbar geworden, ver-

der

leihend.

des Christenthums

Dieses historisch-epische Gedicht,

Lücke der rigaer Handschrift, 1

'

mit

Goedeke, Gmndriss,

'2.

Leo Meyer.

die

N. F. III, 353

Uebcr

das dadurch,

dass

die

welche sich im Besitz der livländi-

Aufl., I, 474.

Livl.

Ueimchronik.

«Baltische

Monatsschrift»

ff.

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Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

494

sehen Ritterschaft befindet,

durch die Heidelberger Handschrift

war früher chronik des Ditleb von Alnpeke bekannt. Nachdem

gänzt wird, uns vollständig erhalten Autorschaft

desselben

welche

,

ist,

auf der

als die

er-

Reim-

sich aber die

apokryphen Unterschrift

kumentur zu rewel durch den Ditleb von Alnjar> beruhte, als Fälschung erwiesen, wandte sich der Scharfsinn der historischen Forschung der Lösung Während der Frage zu, wer etwa der Verfasser sein könne. Schirren' der Meinung ist, dass er nicht Mitkämpfer und nicht Ordensbruder gewesen, da er die Ordensbrüder aus Fellin und «geschriben

in der

MCOLXXXXVI

im

peke

Weissenstein «fremdet Brüder

sondern

nennt,

dass

da sind zwei Gestalten abgebildet, unbekleidet, die andere in Gewändern, uud zwar nach

so durch närrische

zu erregen gesucht. die

eine

ritterlich mittelalterlicher Sitte halb roth, halb

grün; auf Stecken-

pferden reiten sie dahin, mit Lanzen, an deren Spitzen statt Fähn-

chen kleine Windmühlen, wie man Diese Deutung, welche

sind.

sie bei

Kindern

W. Seelmann dem

sieht, befestigt

Bilde

am

Schluss

«Des Minners Anklagen» in seiner Einleitung zu < Gerhard von Minden > giebt, scheint mir nicht zutreffend zu sein. Die angebliche Lanze,

zwar

nachreitet,

ist

dem

hängt

augenscheinlich

Zudem

trägt die Frauengestalt

mit

einen ritterlichen Tjost nicht Liebesstreit



der anderen nackten und

mit welcher die bärtige Gestalt weiblichen

V««ra

zwischen

Ii*

dem

wol

doch Inhalt

der

Dichtuug

eben eine solche,

denken

lässt;

-clager» und

und zusammen. so dass sich an

eine Liebeswaffe

vielmehr

ist

der «frauwe»,

es

der

IV.

Digi

der hier

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

Ueberhaupt war der Gegensatz

seine Darstellung findet.

land nicht so

der

schroft*

— man denke nur an die

Schwarzenhäupter,

pflegten 1



an

denen

wenn trotzdem

und

Niederdeutschland

in

503

auch

ritterlichen

der Dichtung zeigte,

auch

Liv-

theilzunehnien

Edelleute

wie er

der Charakter,

in

Uebungen sich

in

der livläudischen

Gepräge aufdrückte, so lag das in der Abhängigkeit der vom Mutterlande und in den nahen Beziehungen des baltischen Landes zu dem Norden Deutschlands. Daher war die Heldensein

letzteren

sage ein den bürgerlichen Dichtern entzogener in spätester Zeit in

Stoff,

während das Lehrgedicht und

die poetische

Erzählung das grösste

Interesse fauden und in den zahlreichen niederdeutschen

durch den arbeitsvollen Beruf Städte leicht zu verstehen

mann, wenn

er,

Sammlungen

Diese allgemeine Pflege oder Vorliebe

vertreten sind'.

uns nur

der

Bearbeitungen hochdeutscher Vorlagen begegnet,

;

gern lauschte

ist

bei der

der Bürger

beschränkten Zeit

man dem fahrenden

mit den hansischen Schiften zu

der

Spiel-

den Stapelplätzen

des deutschen Handels gekommen, mit schwankartigen Erzählungen

und lehrhaften Allegorien seine Zuhörer ergötzte. Und wenn sich Reval und Riga in den ausgedehnten Höfen der Hansa au langen Winterabenden die deutschen Kaufleute vereinigten, wurden diese Dichtungen nach Sammlungen, die zu dem Zwecke angelegt worden, wie z. B. die livländische, mit gleichem Beifall vorgelesen, ja bei in

den Vereinigungen

in den Gildenstuben und im Artushofe hat der Vortrag poetischer Erzählungen sicher nicht gefehlt, wie deun das gemüthliehe Element in den alten Schrägen in ganz besonderer

Betonung hervorgehoben wird. Zu einem eigentlichen Meistergesang mit zünftigem Betrieb, mit handwerksmässiger Ueberkünstelung und Handwerksneid scheint es trotz der nahen Beziehung zwischen Deutschland und den Städten der Ostseeprovinzen nicht gekommen zu sein, denn die weitesten Ausläufer der holdseligen Kunst des Meistergesanges lassen sich nur in Mitteldeutschland bis Magdeburg und bis ins Hessische und im Nordosten bis Danzig nachweisen. So fehlt den Ostseeprovinzen das weite Gebiet der Meisterlieder, abgesehen von diesen weist die Dichtung, welche aus dieser

Zeit

vorliegt, eiuen ähnlichen

Charakter wie

in

Deutschland auf;

das didaktisch-satirische Lehrgedicht, die schwankartige Novelle, das Fastnachtsspiel und gegen Ende der Periode das Volkslied 1

*

alter.

F. Aiuelun^, tiesehichte der Schwarzenhäupter, Lief.

Vgl, die Einleitung zu Oesterley:

Dresden 1871.

I,

p. .48,

Niederdeutsche Dichtung

im Mittel-

504

Die Hauptström fingen der Literatur Altlivlands.

treten uns auch hier entgegen, und

auch

sind die Verfasser

hier

Dichter bürgerlichen Standes.

So bearbeitete

in

zweiten Hälfte

der

des vierzehnten Jahr-

hunderts das Schachbuch des Jacobus de Cessoles

Versen der Schulmeister Stephan

in

niederdeutschen

widmete es dem

und

1

dorpater

Bischof Johann vou Fif Imsen, seinem leuen werden heren

Uau darpte dein vorsten her Johanne Euem bisschope vnde enem manne Uau wysheyt vnde uan dogheden rike Also dat betueghet

al gelike

name de iohanues ist Godes gnade al sunder list Uan vytt'husen al dar by. &c. In diesem Werke, welches Tugenden und gute Sin

neben

Sitte

dem

Schachspiele lehren will,

Van dogheden vnde van guden zeden secht dyt boek wol dat vakeu ouerlest de wert ok des schaekspeles klok, lehrhaft-allegorischer Weise auf das sittliche, gesellige und staatliche Leben der Menschen ausgelegt und Beispiele und Erzählungen moralischen Inhalts, wie die Bürgschaft, Lucretia und

ist letzteres in

Sextus Tarquinius,

die treuen Jakobsbrüder, oder

über dessen Haupte an einem

Haar

wie Dionysius,

Schwert schwebt &c. &c.

ein

t

werden in reicher Fülle geboten. Die Vorliebe für* Lehre im Gewände der Allegorie zeigt auch das in der bereits mehrfach erwähnten livländischen Sammlung aufbewahrte Gedicht von der Bedeutung der Farben in der Liebe», das einen Stoff, die Farbensymbolik, verarbeitet, der im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert allgemein beliebt war und sich in Liedern, Fastnachtsspielen und Meistergesängen Deutschlands vorfindet, wie sich denn dasselbe Gedicht in einer Sammlung niederIndem mehrere in verdeutscher Dichtungen in Wien wiederholt. '

Meister

Stephans Schachbuch.

vierzehnten Jahrhunderts.

von Dr. Dorpat. 1

VIII.

W.

Theil

I,

Bd.

XI

u.

Ein

Text. 1883.

Schlüter (Verhandlungen

der

mittelniederdentsches

Gedicht

dos

Theil II. Glossar, herausgegeben

gelehrten

estnischen

Gesellschaft

zu

XIV).

Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jahrg. 1882. Farbendeutuug, heransg.

v.

W.

Seehnann.

p.

73

ff

505

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

schiedene Farben gekleidete Frauen an den Dichter, der von sehnsuchtsvoller Liebe ins Freie getrieben

ist,

herantreten, wird dieser

1

im Gespräch über

die Pflichten

und Eigenschaften eines getreuen

Die braungekleidete «Swich jummermer>,

grünem Gewände, «Höpen vor trureu» in in Roth und die in Blau gekleidete «Twiuele nummer nicht» geben ihm die ihren Farben entsprechenin

Weiss, «de Leue entzünde» den Lehreu,

den

welche ihren Inhalt in

künstlichen

an welcher

wird

in

.alle salde

lijt»

Namen

Die Hoffnung

einzelnen Frauengestalten ausgeprägt haben.

und «dar vau syk

z.

der B.,

minne entzündet»

folgenden Versen gepriesen

Höpen ys vor troren gud, Höpen geuet bogen mud, Höpen leyt vortriuen kan, Van hopen junget wol eyn man.

Wat Dat

dar twiuel voget

pin,

bringet hopen weder jn.

Mauich moste steruen, Hopede he nicht to irweruen, Dat yd beter worde.

Hopen nyinpt

alle borden,

De dar nemant kan Des hope du ane

Nachdem

der Dichter,

entladen.

allen schaden

der sich schon

einer schwarz gekleideten

hoch

!

&c.

erhoben

gefühlt, von Frau an einen Block geschmiedet und

Qualen und Schmerzen unterworfen worden, diese aber standhaft im Gedenken an seine Geliebte überwunden hat ruft er am ,

Schluss aus:

Myne truwe Vor

Yk

allen

wil nem,andes sin

God geue tritt

uns

hier

se here.

wen

ere.

or suluen suten segen

Unde dusent So

volget or alleyne

vrauwen ys

engele, de or plegen.

eine allegorisch-didaktische Dichtung entgegen,

welche, wie im Mittelalter so häufig, in der Gesprächsform abgefasst ist,

wie auch Wackernagel sagt: «In der Mehrzahl der Fälle jedoch

bleibt die Allegorie bei der einfachsten

Zurüstung stehen, bei einem Spaziergang oder Traum des Dichters und Gesprächen, die er so mit der Minne oder

anderen Personificationen führt.» Denselben Charakter tragen noch zwei andere Dichtungen der livländischen

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!

Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

506

Sammlung an sich, so dass die baltische Literaturgeschichte noch mehr Beispiele für diese in Deutschland beliebte Form bietet, und zwar in dem « Gespräch über Glück oder Unglück der Liebe» > und In ersterem Gedichte eilt der in des t Minners Anklagen v. Dichter, der seinem beliebt

der

Volk

den Frühlingsanfang gefeiert und die sich ja

einst

heidnischen

Lustbarkeiten,

waren

es

dies

denen

mit

Ueberreste

alten

und

namentlich das «schodüvel lopen»,

in

das

einzelnen

Gebräuchen, wie der üblichen Maskerade, den Heetweggen, unseren Fastnachtskuckeln &c. bis iu die Neuzeit erhalten. Auch den Städten Livlands war diese Feier eigen, und interessant

noch im Jahre 1548

Rath

als

in

heidnischer

Teufelsgebrauch

bei

einer Strafe

sechs Thalern für jeden Erwachsenen verboten wurden Kinder, aber, denen die Eltern

und

ist es,

die sie nicht selbst bestrafen wollten,

sollten

von dem

sie in

ünfuge betreffenden Rathsdiener gezüchtigt werden. cfastelavend» eilten die jungen Burschen iu allerlei Gestalten '

n. 1

Vgl. K. Th. Gaed« rtz, Da«

W.

tii«

des deutschen Volksliedes,

Mit

vor.

ist

besonders reich an Zeuguissen volks-

aber auch

mässigen Gesanges,

für

frühere Zeit liegen solche

die

ältesten Volkslieder

die

sind

diejenigen,

die

sich

als

Trink- oder Schlemmerlieder an die Tage ausgelassener Lust- und Festlichkeit

Lande

anknüpfen,

gefehlt haben,

so

und so wenig die Feste im baltischen wenig auch die Lieder. In den ältesten

Schrägen 1 der Gesellschaft der Schwarzenhäupter zu Riga vom Jahre 1416 lesen wir: «Item de schatfers, de dar schaffen vp sunte mertens dach, de scollen hebben yn sunte mertens auende dre tortytzen (Fackeln), elk (jede) van

sunte mertens

by synget»,

loff

enen

\v2e

markpunt wasses, dar men

auch im deutschen Mutterlande

Eben

Martinslieder gerade nicht ernsthaften Inhalts erklangen.

wenig werden

die

Männer fanden

sich,

Fastnachtslieder

während

die

gefehlt

jüngeren

haben.

so

Die älteren

verkleidet

die Stadt

Frauen zu Gelagen zusammen, die vornehmsten in dem Weinstüblein des Raths, die Angehörigen der Aemter in den Gildenstuben, und hier erschollen dann gleichfalls

durcheilten, mit oder ohne ihre

in

ausgelassener

haben sich aus

Fröhlichkeit

gesellige

Liebeslieder volkstümlichen Charakters

der bereits

Von

Lieder.

dem fünfzehnten Jahrhundert nur erhalten,

erwähnten revaler Handschrift,

aus

all

einige

diesen

wenige

und zwar nach der Ed. Pabst

in

Abhandlung , stimmt, abgesehen von den beiden ersten Verszeilen, welche den

Anfang

eines

hundert weit verbreiteten Tageliedes geben, übereiu

,

1

in

im

fünfzehnten Jahr-

Strophe eins und zwei

während die dritte Strophe einem Bergreihen nachklingt: Die Sonne steht im Osten, Der Mond hat sich unter than, Ich leide grosse Schmerzen Von diesem Winter kalt, Vom Reif und von dem Regen

Und vom

kalten Schnee;

Reicher Gott, wo

Dass 2.

soll ich

mich hinkehreu,

mein Feinslieb seh?

ich

Die Schönste will mich lehren,

Wie

ich ihr dienen soll

In Züchten und in Ehren;

Das weiss

Was Wer

gar wohl,

sie ja

heimliche Liebe bringet.

Buhlen thut rühmen,

sich seines

Der hat weder Preis noch Ehr. 3.

lu meines Buhlen Garten

Da

stehn drei Baumelein,

Das eine trägt Muskaten, Das andere Nägeleiu.

Das

War

dritte Vergissnichtmein.

ich bei

meinem Buhlen,

Wie könnte mir Schwerer sind

zu geben.

besser sein.

für die beiden anderen Lieder die

Beziehungen

Das eine Ick wyl

my

suluen trösten

vn wessen n wol gemeyt behandelt das oft variirte

Thema

der treulosen Geliebteu,

de jn der leve swevet recht szo de kolde wynt.

Der Liebende jedoch vermag ihr,

ihr nicht zu zürnen, sondern vergiebt

da er das Gefühl eigener Schuld empfindet:

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Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.

520

myn egen

dat ys

schult

noch wyl jck et er vorgefen

vn weszen er van Herten

Von der Hand

und Frauenliebe gegenüber

holt.

eines Anderen, welcher das Unsichere der Herrenhuld

und

erfahren

ihneu

satirischer Resignation

mit

dann der Schluss hinzugefügt: Eyn yder man leue was he wyl dat rede jck openbar

steht, scheint

heren hulde vn fruwen leue

vme

het syck balde

Etwas späterer

gestreuten B'remd Wörtern als Krankheit

sucke,

in

eigentümlicher Weise

Der Dichter hat

schildert.

Bücher, den Galenus, Avicenua

manche Krankheit und lehrt wird,

dan.

Zeit« gehört das dritte Lied au, das mit vielen ein-

vergebens

und Serapion,

die Liebe als vieler

gelesen,

Meister

in

denen

ihre

Heilung myt cruder der arzetyen ge-

aber

er nach der Heilung von einer von welcher er befallen wurde, als Wolgemut* einsog, das wie die anderen

hat

schweren Krankheit geforscht, er den Duft des Blümlein

Blumen

folgenden

worden


, und seine Freunde kannten seine zarte Empfindlichkeit. Wie es wirklich mit seiner angeblichen Abneigung gegen die glückten Herzens.

Rigenser stand, geht sicher hervor aus der Ablehnung, mit der er wiederholt verlockenden Rufen begegnete.

Hamann

übermittelte

im November 1766

Hofmeister in das Szöge von Blanken feldsche

Herder seine «Absicht zu reisen hätte an Herder, 1766)

:

Diese vielein

erfüllen

den 21. Nov./l. Dec. 1766).

als

wo

können > (Hamann

Herder antwortet (Dec.

«Wer nicht vorwärts geht, geht zurück, mein Warnung verbeut mir eine Veränderung, die freundschaftlichen Eifer empfehlen.

Angebot,

einzutreten,

ein

Haus

lieber

Hamann.

Sie mir mit so

Ich nehme mir alsdann

1

Der Rector Göttlich Schlegel hat übrigens der Schule nur genützt. 8. die alte Domschule (Riga 1885), S. 39. * Er wohnte anfange in der Gegend der heutigen Klosterstrasse hinter der russischen Kirche, hei einer Frau Hartmaun, die eine Tischgesellschaft bei sich

Schweiler,

unterhalten zu haben scheint. Im Herbst 1767 zog er aus, wahrscheinlich in Domsgang (an Hamann 6. Aug. 1765, und an denselben o. Monatsdatnm 1765; Hamann an Herder 11. Februar 1766; an Hamann n. Monat 1766; an denselben

den

5. Sept.

1767).

38*

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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

550

muthwilliger Weise das

und

einzige Gut,

das

Freiheil

habe:

ich

Unabhängigkeit,

dass ich obngeachtet aller

und das ich jederzeit so hoch geschätzt, drückenden Bedürfnisse auf der Akademie

vor jedem Privatengagement gezittert.

wenn

stens fest und sicher,

Fruchtbaumes,

.

.

Hier bin ich doch wenig-

.

dem Schatten des

nicht unter

reichen

Hier hängt

so doch des friedlichen Ahorns.

raein

Beifall von vielen ab, dort von einem einzigen, und meine Zufriedenheit ist so viel unsicherer.»

Wie

er sich im J. 1767 nicht nach Petersburg locken Hess,

ist

erwähnt worden.

bereits

Auch

bekannte Herausgeber der

als der

callg.

deutschen Biblio-

thek», Nicolai, ihm die Stelle eines ersten Inspectors bei der Real-

schule und zugleich eines zweiten Predigers bei der Dreifaltigkeits-

kirche in Berlin

1769)

«

:

.

.

.

Aussicht

in

aber unabhängig, ruhig und

gegen mich

stellte,

Meine hiesige Situation

leimte Herder ist

ab (10. Jan.

nicht durch Titel brillant,

persönlicher Achtung

mit wenigstens

Die erste vacante andere Stelle

begleitet.

nicht entstehen, und Sie wissen, wie Riga

wo noch

ist,

kann mir wenigstens

so ein Schatten des Hanseatischen übergeblieben, das Stadt-Ministe-

rium einen wartet

ansehnlichen Theil

sehr

man von

achtzig- fast

neunzigjährigen Greises,

Oberconsistoriums,

Prediger bei

man von der Stadtkirche ist:

um

mir die

der Stadt

Stelle,

der

Anbei

ausmacht.

Tod

Seiten des Gouvernements recht auf den

Mitglied

des

eines

hiesigen

der sogenannten Cronskirche

(die

unterscheidet) und Rektor der Ritterschule

nach deren Erwartung ich zu keinem Ein-

zigen einen Fusstritt weder gethan, noch thun werde, zu couferiren.

Und

so sehen

Euer Hochedl., dass ich mich

Desperatiou meiner gegenwärtigen

wegwünsche.

Es

ist lediglich

noch

hier weder aos

von

künftigen Umstände

.

.

.

aber ein um

Bedürfnis des Geistes,

so drückenderes Bedürfnis, je weniger mir mein Stand erlaubt, jedes schlechtere

Vergnügen dafür zu wählen. Und da ich eben geistig so weniger werde ich mich in jeder einzelnen

unzufrieden bin

;

Schwierigkeit fassen. er mich nährt,

wenn

wenn

Wenn

ein

Posten houorable

ist

.

.

.,

wenn

er Arbeiten enthält, denen ich gewachsen

er mir Zeit lässt

auch meines Geistes

etwas

zu pflegen

bin,



Das Uebrige hängt von der Bestimmung des Orts Sind in Berlin Stellen, wo der Prediger dem anderen Posten Ist dies; Gewicht gibt, wo beide sich nicht stossen wohl!

gut, vortrefflich. ab. ein



;

so eins von beiden.

Ich kenne Berlin nicht,

wählen zu können.

Und

übrigens

ist

um

in

solchem

Falle

mir der Beruf Gottes immer

Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt welchem Stande ich ihm dienen möge Bestimmung noch weniger zu gedenken, die sich

gleich, in

Ort selbst

Sehen

richtet.

Herzens, aber so stammelnd,

Sie,

:

au

die

551 äussere

völlig nach einem

mein Fr., die Sprache meines

sie zu mir selbst spreche. Winke, Vorfälle, Situationen müssen seyn, die auch selbst bei mir dies Stammeln berichtigen.» Und als nun endlich im Mai 1769 Herder seine Entlassung

Welt

ich

Bedauern ausdrückenden Worten

mit ehrenden und die

als

erhält und in

hinaussteuert, da empfindet er tief die Liebe, die ihn mit

der Stätte verbindet,

in

welcher er

zuerst

als

Mann im Gemein-

wesen seine Kräfte erprobt, zuerst als Schriftsteller das sich geistig erhebende

Zagen,

Deutschland

doch

endlich

Genius erfasst hat.

überrascht,

zuerst

Enthusiasmus

mit

Schwanken und

Grösse

eigenen

was ihm Riga und Liv-

In seinem Journal, das er auf der Reise von Riga

nach Frankreich führt, bricht er in die jünglinghaften «Liefland,

des

Er empfindet aber auch warmes Daukgefühl,

zugleich die Verpflichtung, zu vergelten, land geschenkt.

unter

die

Worte aus:

du Provinz der Barbarei und des Luxus, der Unwissen-

und eines angemassten Geschmacks, der Freiheit und der wäre in dir zu thun? zu thun, um die Barbarei zu zerstören, die Unwissenheit auszurotten, die Kultur und die Freiheit auszubreiten, ein zweiter Zwinglius, Calvin und Luther

heit

Sklaverei, wie viel

Nächte und Tage darauf denken, Jüngling! das alles schläft

dieser

Provinz zu werden

dieser

Genius Lieflands zu werden!

in

?

.

.

.

.

nicht

.

Noch Jahre nachher hat Herder aus dem Auge gelassen, bis in

rigaschen Freunden durch brieflichen mit

.

Dir! ...»

Rückkehr nach Riga

die

sein Alter ist er mit den

Verkehr verbunden gewesen,

Hartknoch, Joh. Christoph Schwartz, Jakob Friedrich Wilpert.

Letzterer

ist

seiner

Wittwe

in

trüber Zeit

ein

rettender Helfer

geworden!

So

steigt die

Erinnerung an Herder an der Stelle seiner Wirk-

samkeit im Kreuzgange unseres

Domes

in

uns auf, nicht blos als

Bethätigung des Gedächtnisses, als Repetition der aus der Literaturgeschichte bekannten Daten, sondern als Empfindung von der Grösse

der nimmer Gentige hat an dem schon Ergriffenen, der sich stets hinaussehnt aus der nächsten Umgebung, um neue Bahnen in unbekannte Fernen einzuschlagen, immer weiter und höher zu steigen, immer rastloser zu streben nach dem Unerreichbaren, dem Idealen! Es bewegt uns stark und und zugleich der Tragik des Genius,

Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.

552

grössten Geister

der

Nation seine originellsten uud kühnsten Gedanken gebildet und

ver-

tief,

dass

hier

in

unserer Stadt

einer

der

kündigt, nicht ohne Verdienst und Antheil

unserer Vorfahren und

unseres ganzen nun vergangenen Gemeinwesens.

Was

Herder,

so

zu sagen, zum Motto seines Lebens erwählte: Licht, Liebe, Leben!

Was

diese

Worte bedeuten,

er

hat

es

im alten Riga zuerst

er-

fahren und empfunden und vielleicht nirgendwo anders so lebendig

Der junge Herder ist, wie Georg Berkholz sich io Rede zur Enthüllung des Herderdenkmals (1864) ausdruckt, ein gewissem Sinne der Beitrag, welchen Riga zu dem grossen Aufschwung der deutschen Literatur geliefert hat>. und stark. seiner

Digü

Der Componist und Dichter August Heinrich von Weyrauch. Eiu Beitrag zur deutschen Kunst- uud Literaturgeschichte der baltischen Provinzen Russlands.

I.

r

Hefte der «Baltischen Monatsschrift >

bekanntes



den vergessenen Compo-

über

und Dichter August Heinrich

nisten 5.

Der Componist.

Verfasser des Aufsatzes

wie

er

selbst

zugesteht

d.



von Weyrauch

im

wenig Un-

J. bietet uns

aber viel Irrthümliches,

wofür er jedoch zum grössten Theile nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, da er seine

Quellen-,

phischen und bibliographischen Angaben

aus denen er die biograüber Weyrauch schöpfte,

wie es sich gebührte, anzeigte, nämlich die Sammelwerke von Recke,

Napiersky, Beise (baltisches Schriftsteller-Lexikon) und J.

(Deutsche Dichter seit

in Russland).

v.

Sivers

— Wer indessen wie Unterzeichneter

Decennien mit der Sammlung biographischer und bibliographi-

scher Daten einigermassen

vertraut

ist,

weiss,

wie schwierig bei

Angaben die Scheidung der Wahrheit vom Irrthume Manches auf Treu und Glauben hingenommen wird,

uncontrolirbaren ist

was

und wie so

bei näherer

Prüfung

Indem wir nun

Nonsens erweist. merkwürdige Irrthümer in Sachen Wey-

sich als ein

einige

rauchs hier aufdecken wollen, soweit controliren konnten,

werke, können,

wo

wünschen

die Verfasser

nur ein kleines

wir

wir für

die angezeigten Quellen alle

zukünftigen Sammel-

die Quellen selbst nicht prüfen Zeichen, um den späteren Forschern viel

zeitraubende und unnütze Arbeit zu ersparen. der

ungenannte Verfasser x

in

der

Anmerkung

So behauptet z. B. dass die S. 408 :

August Heinrich von Weyrauch.

554

zuerst inSyrmanskys

Weyrauchschen Compositionen Heften deutscher Lieder »,

wären



1

Nun,

er

Musik

in

Angabe

correct

sei

;

fremden

Weyrauchs

im

Samm-

noch dass überhaupt Weyrauchsche Lieder

existirt hat,

e

i

nach

jedoch

einer mühevollen Untersuchung ergab sich, dass eine solche

lung n

Sammlung

sondern

erschienen,

alle

Selbst Verlage dem Druck

Lieder

übergeben

Selbst seine nachweisbar früheste Liedercomposition

wurden.

Fünf

wie viele andere Forscher vor ihm,

glaubte,

dass diese Recke-Napierskysche

in einer

c

im Druck erschienen

gesetzt,

:

«Es

blüht in einem Hüttchen dort ein Mädchen engelschönt von Wilhelm Graf zu Löwenstein findet sich als Beilage zur 2. Nummer seiner 1808 in Riga im Selbst verlage «Iris»

erschienenen

Wochenblatt für Damen).

(illustrirtes

Indessen noch merkwürdiger

rarischen

ist es,

dass in

keinem

lite-

musikalischen

Sammelwerke, d. Ii. weder in Recke-Napiersky (IV, 500 fi'.), noch Beise (II, 273 f.). noch K. Goedeke (Grundriss III, 202, 197 u. 1402), noch N. Graf Rehbinder wie

(Die belletristische Literatur der Ostseeprovinzen Russlands. Dorpat, 1853. laud.

S.

IG

f.),

noch J.

Berlin, 1855. S.

Stuttgart, 1877.

Sivers (Die deutschen Dichter in Russ-

v.

254

ff.),

II, 41)(5),

Brummer (Dichter-Lexikon.

noch Fr.

noch im musikalischen Katalog von A.

Hofmeister, Leipzig, 1844 und im Lieder-Katalog von in Berlin

1875),

wo von Weyrauch

«Fünf Hefte» oder

richtiger

:

Emst Cliallier

Rede ist, die Titel dieser «Fünf Sammlungen deutscher Lieder», die

enthaltend 54 Liedercompositionen Weyrauchs, angegeben sind.

Und

zwar ist diese Thatsache um so merkwürdiger, als gerade diese «Fünf Sammlungen» nach J. v. Sivers von 1855 Weyrauchs ganzen musikalischen

Weyrauch

in

Ruhm

ausmachen, denn

in

Folge dieser Lieder war

den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts der

populärste Componist der baltischen Provinzen Russlands, wie uns ein

noch jetzt lebender Zeitgenosse Weyrauchs, der Besitzer von

Schloss Dahlen, bestätigte.

Dennoch verschwanden diese Lieder so

zu sagen spurlos vom Erdboden, da alles Nachforschen selben in unseren öffentlichen Bibliotheken

handlungen befremdete,

als hätte ein solcher

Endlich nach jahrelangem Suchen gelang diese

Weyrauchschen Lieder

Riga



ist

die

in

es

Druck n e existirt. dem Unterzeichneten i

der Müllerschen Leihbibliothek in

einige seltene Baltica beherbergt

daher hier der Ort, dieses

nach den-

und Antiquariats-Buch-

Unicum



aufzufinden.

Es

bibliographisch genau zu

verzeichnen.

Digitize

August Heinrich von Weyrauch.

555

Die «Fünf Sammlungen deutscher Lieder» erschienen nicht zusammen, sondern im Verlauf von 7 Jahren als 5 einzelne, für sich bestehende Werke, die folgenden Titel und Inhalt haben 1

.

Sammlung

I.

«Zwoelf deutsche Lieder

:

Goethe, Schiller, Wetzel und Arndt,

wohlgeb. Frau Julie von Reutern, geb.

v.

August Heinrich

v.

geeignet von

gedruckt

und

gestochen

Kosten des Verfassers.

Schwärzet, ergebenst zu-

Weyrauch.

Dorpat,

der akademischen Buchhandlung

in

25

von

Musik gesetzt und der hoch-

in

Den Druck genehmigt,

S.

auf

Prof. ß. G-

Dorpat, den 10. Januar 1820.» Der Jünger: Ahnend steh' ich an der Schwelle,

Jäsche, Censor,

1*

*

das Heiligthum verschliesst » von A.

Der Harfner aus Wilhelm Meister:

2*

Glückliches Geheimnis:

3 *

Wenn

4.

K.

F. G. 5.

die

Wetzel Auge:

hoffe,

W. Goethe.

liebes

«Ein blosses Auge, wenn ich wär\

Nachts:

Wetze

F. G.

Wer

«Ueber meines Lieb-

Leute» von J.

Rosen blühen,

war mein Loos» von K. 6.

alle

«

W. Goethe.

nie sein Brod mit Thränen ass> von J.

chens Aeugeln stehn verwundert

die

Weyrauch'.

v.

Herz, von wie seelig

1.

«In stiller Nacht, wenn alles ruht, ich finde

Wetzel. Vergänglichkeit: «Sagt, wo

keinen Frieden» von K. F. G. 7. *

sind die Veilchen

Inn, die so freudig glänzten» von J. G. Jacobi. 8 * den Frühling: « Willkommen schöner Jüngling,

An

du Wonne



Die

der Natur» von

mit

* (Stern)

entrissen zu werden.

F

S

r.

leicht fasslich für den Siuurer

zu

i

1

1

Lieder

bezeichneten

Sie haben

c h

e

r.

sind

wertli

der Vergessenheit

vorzüglich«* Eigenschaft, melodierei« h

die

und

sein

in

und

der einfachen und doch lieblich

klingenden Begleitung keine Schwierigkeiten zu bieten. ' Dieses Lied erschien fast, gleichzeitig als Ankündigung der ganzen Samm-

lung in Carl Raupachs «'Inländischem Museum- (Dorpat, 1820, Heft 1, S. 139) mit dem redact ioneilen Bemerken S. 134 «Diese neuen Lieferungen (»1. h. 12 Jjiederj des auch als Cumponisten so a g e m e n b «lieht e n Verfassers der *8ix Menuett pott r l- P. F.» Nr. 1 und Xr. 2, in dem Styl der Mozart lind Haydenschen Qtiart< ttmenuetten Six March es pour le P. F., einer Vuver tu r c ä 4 main* und anderer kleinerer Sachen [wie z. B. der in der «Iris» 1808 Beilage zu Nr. 7 abgedruckten Artg l a isc* und «Fe cos a isc*, wie der in St. Petersburg bei Kfich & Co. erschienenen tDiff, Van* es* cah. 1 und Mazurka] bedürfen gewiss keiner weiteren A n :

1

1

i

;

-

preis«

q g.»

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August Heinrich von Weyrauch.

ftftß

Dithyrambe:

9.

nimmer

die Götter,

allein»


62

cFür Pianoforte zu

2)

Art übergehen wir Haslinger und

die beiden

geben

Händen».

2

oben augeführten

Bei dieser

von Döhler und

Reihenfolge die übrigen 6

in alphabetischer

von Nottebohni angeführten Transscriptionen für 2 Hände: a)

von

b)

von W.

c)

v.

d) v.

He Ku

St.

F

L

r.

e) v.

F.

Fr.

s z t

i

e r (30 Lieder Nr.

1

Schloss in Cöln;

b.

1),

139 Nr. 2) b. Siegel in Leipzig; (6 Melodien Nr. 1) b. Schlesinger in Berlin (Op. 369 Nr. 19) b. Siegel in Leipzig

h e (Op.

;

Oesten

Tb.

f) v.

1

0

v.

s t e n

(Op. 4 Nr. 2)

Spindler

b.

Hamburg

Schuberth in

(Op. 183 Nr. 22)

Siegel in Leipzig.

b.

Dabei hat Nottebohm, wie ich soeben ersehe (nach Ernst Challiers Doppel-Handbuch der Gesang- und Ciavierliteratur. Berlin 1881 und 1883), eben so

Liedes für 2 Hände

viel Transcriptionen dieses

übersehen, nämlich:

von J. B.

g)

von R.

i)

h) v.

Ro

n d r 6 (Op. 25)

(— )

Barth

b.

b.

Cranz

Berlin

in

;

Hamburg

in

L e d u c (Op. 193 Nr. 2) b. Leduc in Paris; m e r (Nr. 2) b. Lebeau in Paris de V b a c (Nr. 67) b. Litolff in Braunschweig

v.

e

von R.

l)

A

Delacour

h) von V.

1

i 1

W

a g n e r (Nr. 1) b. Schlesinger in Berlin. m) von E. D. Es ist aber durchaus nicht gesagt, dass die Literatur über dieses Lied damit erschöpft ist, denn im Hofmeisterschen Musikalien-Katalog, Leipzig 1844,

finde

ich,

Wagner

dass wie E. D.

dieDöhlersche

Trausscription des Liedes «Adieu» für Kinder-

finger vereinfachte, F.

MockwitzdieDöhlerscheTrans-

scription variirteund für te

4

Hände bearbei-

(Alle 3 Transscriptionen sind bei Schlesinger in Berlin er-

t e.

schienen.)

Aus diesem complicirten Apparat, welcher sich nur um ein Weyrauch dreht, geht für jeden klar und deutlich hervor, dass es nicht so leicht ist, alles Weyrauchsche zu sammeln und unter «eine Decke» zu bringen, «was im Leben des

einziges Lied von

Dichters räumlich und zeitlich weit auseinander gestanden», wie es sich

der Verfasser

«m ttbelosi heit

B

1

o s

ohne ts

fe

x.

der «Balt. Monatsschr.»

in

vorstellte, besonders

Noth Dunkelheit h

1 r>r>

ihren Füssen,

ich hielt

Mosen. 2. Der erste Kuss: «Das Röslein gar verborgen in seiner Knospe sitzt Mosen. von J u Der Abschied nach Heinrich von Mo3. «0 weh des Scheidens, das er that» von Fr. Hücker r u n g e wohl ihre Hand» von J u

1.

>

1.

t.

:

Freundesgruss:

4.



so lind» von ?

Brennende Liebe:

5.

manch Blümlein

klar und

rotli

Auf der Alm:

6.

didu, taradido

!

von

>

>

«In meinem Gärtchen lachet

von J u

»

n s

t.

Der träumende See:

7.

Mosen.

1.

Auf der Alm

Ernst G o

Abend, so lau und

«Still ist der

bin

icli

g'stande Tara-

Ilgen «Der See

ruht

blauen Traum, von Wasserblumen zugedeckt» von Jul.

Wir haben

lich

— wenn

uoch

im

Wey-

somit 70 gedruckte Liedercompositionen von

rauch vor uns und wie viele sich

bergen

tief

Mosen.

seinem Nachlasse ver-

in

er überhaupt noch vorhanden



können wir natür-

nicht sagen, da wir ihn nicht kennen'.

Was

nun die Iustrumentalcompositionen Weyrauchs anbelangt,

so sind sie uns, bis auf die oben verzeichnete Eccossaise, nur

Namen nach

Anm. 2 auf

bekannt* (vgl.

dem

Sollte irgend ein

S. 555).

Leser dieser Zeilen genannte, wie etwa andere hier nicht verzeichnete Compositionen Weyrauchs besitzen, so möchten wir höflichst bitten, dieselben der Redaction dieses Journals

behufs

Einsichtnahme

zeit-

weilig zuzustellen.

über Weyrauch den Componisten, von dem

So

viel

S.

255 sagt:

1855

.1.

Sivers

v.

darf Weyrauch nicht nach dem bewas er unter dem Titel: «Der neuen Lieder erste und zweite Sammlung» von Dresden aus im Selbst vertage herausgegeben hat, sondern wenn man gerecht sein und ihn

«Als

urtheilt

Liederkomponist

werden,



1

Der

zuerst in die

Bähr

[geb.

Weyrauchs gelangt« nach dem Verf. a. S. 411 Hände de« «dresdener Miller« und Akademie-Professor* Kurl Job.

literarische Nachlass

1801 in Kiga, f 1HH9 in Dresden],

einen

Hera mgeber

jetzt

den Weyrauch sehen,

[?

wissen wir nicht und bitten, Zeilen lesen



wie

Bährschen

den

die

in

Dresden

darnach Nachforschung

Monatsschrift» gefällige Mittheilungen

Die Anglaise

n.

der

für

«Ii

e

Hinterlassenschaft

d.h. wol Verleger] suchte und nicht fand.»

in

St

s.

Wer

besitzt,

die diese

zu halten und der Redaction der

zukommen zu

Mazurka stammen von

rauch («eh. ITSfi in Kiga, f 1866



literarischen Nachlass

lebenden Lamlsleute

Balt.

lassen

Bruder Johann Ed.

v.

Wey-

Petersburg als wirk). Staatsrath). 39*

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666 nach

August Heinrich von Weyrauch.

dem

Lebens

was

achätzen will,

geleistet,

nach

nicht

auf der Höhe seines geistigen

er

den

und

dürftigen



ducten eines unfrohen und gebrochenen Alters

frostigen

fünf Sammlungen deutscher Lieder, in seiner in

jugendlichen Periode

Dorpat erschienen.

faltet er eine

Gewalt

in

Pro-

einzig nach den

welche

der akademischen Buchhandlung

in

In diesem einzig schönen Liedercyklus ent-

überraschende Fülle origineller, mit unwiderstehlicher

Gemüth eindringender und im Gedächtnis haftender

das

Melodien, die fast durchgängig von einem ihm eigenen romantischidealen

Hauch

G

e 8

e n

i

sind

beseelt

von den

scharf sich unterscheiden.

Ausbildung auf halbem

Ergüsse des

und durchaus als

reflectirten

Machwerken

Unberufener

Leider blieb er in seiner künstlerischen

Wege

kam

und

stehen

nie über geistreichen Dilettantismus

hinaus.

der Setzkunst

in

Aber gerade

dieser

dem Kenner sofort einleuchtende Mangel stellt die natürliche Begabung in ein um so helleres Licht, da man von den charakteristischen, sinnvollen Begleitungen des Naturalismus oft mehr überrascht und gefesselt wird,

als

den Ausarbeitungen

von

der voll-

kommensten aber genielosen Kunstfertigkeit.» wie uns Herr Moritz Rudolph, Verfasser Dennoch wollte



des «Rigaer Theaterv.

und Tonkünstler-Lexikons»

mittheilte



geben und eröffnete in Folge dessen sogar eine Subscription Riga, über deren Erfolg uns aber nichts bekannt ist.

Wenn

J.

sämmtliche Weyrauchsche Lieder von neuem heraus-

Sivers 1865

sich

Herr M. Rudolph

hier nicht irrte,

so

in

haben sich

nach Weyrauchs Tode in Dresden (f den 24. Februar 1865) zwei Herausgeber: Karl ßähr und Jegor von Sivers vergebens abgemüht, seine Dichtungen wie Compositionen zu veröffentlichen, und

dem Verfasser a. Weyrauch zu finden,

jetzt sollte es nach

Verleger

für

S.

412 so

dass

Schwierigkeiten nicht wol stosseu> wird!?

Wir



leicht sein,

man

«auf

einen

ernsthafte

wollen in Weyrauchs Interesse hoffen, dass der Herr

Recht behält und der schöne

Wunsch

der

Rehabilitation

durchaus originellen Componisteu und beacbtenswerthen Dichters



auf den wir



nicht abermals zu

in

«.

eines



einem zweiten Artikel zu sprechen kommen werden

Wasser wird,

eines Dichters,

welcher 1812

von sich sagte:

«Im Wort der Nachwelt einst zu leben, Das hofft ich stets mit stolzem Sinn!» 1

Paul Fa

1

c k.

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Die Gegenreformation

Livland.

in

Ii.

1.

m

Das verhängnisvolle Jahr März 1582

12.

in

Riga zu

fast

zweimonatlichem Aufenthalte an, begleitet

von Gotthard Kettler von Kurland.

Eine

grosse Zahl polnischer

und namentlich littauischer Magnaten befand sich t

1582.

langte Stephan Bathory von Wilno aus

in

seinem Gefolge.

Einhundertsechzig Bürger und Rathsverwandte, alle hoch zu

dem Könige entgegen

Ross, zogen

;

voran der Burggraf, der

Bürgermeister und der Syndicus Gotthard Welling.

Düna begegneten •

(sie)

Jenseit der

dem Könige, der mit Gotthard Kettler und Mann herbeikam. Fünf Bürger standen auf dem Eise der Düna, je Fähnlein mitten auf dem Markt, und auf den

sie

einem Gefolge von etwa einhundertfünfzig Fähnlein gerüsteter zwei und zwei, ein

Wällen und Basteien dicht gedräugt undeutsche Bauern mit Helleund Spiessen. Während des Einzugs ward des Königs Fahne (mit dem polnischeu Adler) von Trabanten vorangetragen, dann folgten die Hotleute Herzog Gotthards, der alte Herzog selbst,

barden

die rigischen Hofleute, Burggraf, letzt

an

1

D

r.

a

cf.

der König

und dann

selbst

seiner

in

>

d. a. d. b

'

i

langen Spiessen,

ihren

Kutsche*.

b

Bürgermeister uud Syndicus. zu-

das reisige Volk des Königs, meist Ungarn mit kleinen Fahnen

T 1

1

Ii. i

Scliiemauu * c

Ii.

Ci

«C h & r a k

e s c h.» u.

s.

w.

p.

t

u rk ü n f« u n U

111 und 112.

8

Schiel».,

i

1 1

dem

c

n

-

uli

Die Gegenreformation

568

Der Einzug die Sandpforte.

Livlaud.

in

erfolgte, unter dem Donner der Geschütze, durch Auf dem Wege zum Markt zog man durch eine

prächtig ausgeschmückte Triumphpforte, auf welcher sich der Cantor

«mit seinen Knaben und Instrumentisten» postirt hatte und die Ankommenden mit einem von ihm selbst componirten Musikstück

Als der König hindurchzog, beugte Knabe zu ihm herab und setzte ihm

begrüsste.

gekleideter

gütete Krone*

drei

wobei er jedesmal ausrief:

auf,

Engel

sich ein als

Mal

eine «ver-

Salve Stephanus,




eignete sich dabei der scherzhafte Umstand, dass auf

zu früh

ein

gegebenes Signal die Hälfte bereits abgebrannt war, ehe der König

herankam.

Man

sieht, die

Rigenser gaben sich Mühe, ihren König würdig

und dieser

zu empfangen,

hat

böses Gesicht dazu gemacht,

kein

denn «gnädigst», erzählt der Chronist, nahm er die ihm zahlreich Suppliken

überreichten *

und

schleunig

guten

entgegen,

las

sie

Wohnuug, der Reichskanzler Zamoiski

hier vcrtrnuensvoJl folge, citirt,

die mir vorliegt t i

m

o r u

.

Da



aber, der



wie es scheiut

,

Ii

eint

i

o n

Da

n

i

e

l

He

r

*A

m

nämlich an, dass Citat 8 und 7 fälschlich vertauscht sind.

risch

am

Schloss

anderen Tage

wenigstens nach der

für die Empfangsfeierlichkeiten die

n zig

und gab jedem

durch

Er nahm auf dem

Bescheid».

c

t

a I n

a n n a»

;

I.

Aufl.,

er n u n ich nehme t

Iu seinen

«Histo-

Darstellungen und archivaliache Studien»,

p. 109 und 110 giebt J)r. Th. Sehiemann eine ziemlich gleichlautende Schilderung des glänzenden Empfanges, diesmal ganz ohne (Quellenangabe. Ueberhaupt empfindet

man

e

in dieser l'nblication sehr lästig

Th. Seh. schwert.

dun Forscher



das Fehlen der Qnelleucitatv, wodurch Dr.

die wissenschaftliche Beuutzbarkeit seiner Arbeiteu sehr er-

Meinerseits füg« ich der Schiemannschcn Darstellung den sie ergänzen-

den Bericht Gotthard Vieckens (Manuscript Nr. 27 der dorpater U.

Bibl.)

hinzu.

Hermann, Augenzeuge und für äussere Vorgänge gut unterrichtet, sonst aber unzuverlässig und verworren. Eiue Discrepanz zwischeu Sehiemann und Viecken. welcher letztere nur den Einzug in die Stadt selbst schildert, den Dan. Herrn, wieder übergeht, besteht darin, dass nach Schiemanu der Konig seinen Einzug iu »seiner Kutsche hielt, nach Viecken «reifend.-. Es ist kaum anzunehmen, dass Viecken sich verscheu hat daher löst sich der Widerspruch wol so auf, dass sich der Konig beim Einzug in die Stadt selbst aufs Viecken

ist,

gleich Daniel

»

;

Pferd setzte,

um

von Allen gesehen zu werden.

des Königs sehr genau an, was ihm,

wenn

Kutsche befand, unmöglich gewesen wäre

Viecken giebt

z.

B. die Kleidung

König iu einer doch gedeckten auch hätte dann der Vorgang bei der

sich der ;

Triumphpforte unterbleiben miisseu.

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Die Gegenreformation

569

Livland

in

aus Dorpat eintraf«, stieg im Hause des Secretärs Tastius ab, das

von besonderer Schönheit und dazu

da es in polnischer Zeit

mehrfach

gewesen sein muss,

geeignet

als Absteigequartier

von ange-

sehenen Personen benutzt wird.

Die Stadt war durch die vielen Fremden, das

in

den Bürger-

häusern einquartierte Militär, den in grosser Zahl hier versammelten

Adel des Landes ungewöhnlich

Stadt und Land hoffte sehn-

belebt.

süchtig auf ein gerechtes und mildes Königswort, das allen Zweifeln

über die noch schwebenden Fragen, das Schicksal der in Russland

Hof

gefangenen Livländer, der von Haus und

vertriebenen Guts-

manchem unbeEnde machte, Erlösung brachte von der quälenden Ungewissheit, die allen cHerz und Kehle zusammenpresste>>. Aber nur wenige mochten ahnen, welche böse Wetterwolke über dem Lande schwebte. Zwar war besitzer, der

in

schweren Noth der Zeit

der

sonnenen Schritt verführten Parteigänger,

ßathory

entschlossen,

den

ein

schreckensreichen Zeiten

den

in

zu

der

verkümmerten Zustäuden aufzuhelfen, sich in Livland eine Provinz zu schaffen, die als gesunder Theil dem grossen Ganzen nach Massgabe seiner Mittel den nöthigen Zuschuss an letzten Jahrzehnte

Kräften brächte;

er

wollte

das Land

nicht

ausbeuten,

sollte eine echte

und rechte polnische Provinz werden.

gesse es nicht, er

war kein

in

seinem Reiche.

war

Pole, er

Und durch

eine

selbst doch

aber es

Man

ver-

immer Fremder

Bevorzugung der littauischen

und poluischen Elemente gewann er ebensowol grössere Popularität im Reiche, als er damit auch dem neuen Erwerb unlösbaren Bestand zu geben vermeinte.

Im Katholicismus

der die heterogenen Bestandtheile

einte,

glaubte er den Kitt,

gefunden zu haben, eine

oniformirende Macht, der sich nichts Gleiches in der Welt au die Seite

stellen

Deshalb

liess.

setzte

er

auch

an

dem Baum der

Kirche zuerst den Hebel, nein, die Axt an. Seine Pläne blieben nicht lange im Dunkeln. beschied er alle Stäude des Landes öffnete ihnen,

im Lande

dass er gesonnen

neben

zu

19.

März

augsburgische Confession

Für die römisch-katholische Land Schulen und Pfarren gründen

Remhoiii Hcidenstcinii «Herum Polonicar. ab execssu Sujfanundi AuXII*, Francofurti 1(!72, p. 190 a. Dr. Th. SehitMiiaim, Uht. Darstellungeu u. archivul. Stud. «'f. i». 109, der Ausdruck findet.

libri *

wo

Am

aufs Schloss und er-

gestatten.

Religion wolle er in Stadt und '

die

sich

der katholischen zu dulden und ganz und gar

keine anderen Secten

gitsti

sei,

zu

sich

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570 und

Die Gegenreformation dieselben

(Iber

einen

Livlaud.

in

katholischen Bischof

setzen.

untertänigste Bitte der rigaschen und übrigen Stände,

Auf die davon ab-

zustehen, gab er zur Antwort: eu Beweis

hierfür

meiner (Juelleuübersicht zu erbringen.

die hier behandelten Ereignisse folge ich dennoch diesem Rathsbericht, so

weit er mir von einer Fälschung freigeblieben zu sein scheint. 1

*

cf Reckmanns Diarium in Rungcs Archiv, R. IV, p. 280. So Chytraeus, deutsche Ausgabe von 1597, II, p. 410. Nach Lorenz MüUer Historien» p. 81, gab Herzog Gotthard selbst diesen Rath.

Septcntrionalische

Die Gegenreformation

571

in Livland.

Der Rath giebt hierauf die Erklärung ab, dass er die vom König gegebene Interpretation auch gar nicht erwartet habe; es wider die Caution, Katholiken

dulden, sondern

sei

aber nicht

sei

nach derselben die augsburgische Confession zugleich

zu

neben

Dass man durch einen Fussfall den König umzustimmen versuche, damit sei der Rath einvei-standen, auch solle man «durch der Frauen und Jungfrauen Geschmeide» eine Summe Geldes zusammenbringen und sie dem König darbringen. Dazu versprach jetzt der Herzog von Kurland,

der päpstlichen gemeint

sein Möglichstes

zu

und verstanden.

thun,

wenn

dass damit

nur hoffen dürfe,

er

etwas erreicht werde.

Was er in dieser Angelegenheit mit Bathory geredet hat, ist zwar nicht bekannt geworden, doch kennen wir aus einem Schreiben Kettlers an den König, worin er diesen

um

Schutz für den luthe-

rischen Glauben uud seine Bekenner in Livland angeht,

Land wichtigen Ausspruch, den ich an dieser schalten möchte. Der Herzog sagt nämlich, nachdem unser

einen für

Stelle

ein-

er auf

das

Privilegium Sigismundi und die heiligen Versprechungen der polnischen Könige hingewiesen hat: «Hierzu kommt, dass die Augsburgische Confession selbst in den Kirchen und Schulen dieser Provinz

mit

allen

ihren Cerimonien

Wurzeln geschlagen und in

schon

seit

60 Jahren

bald

dass

sich so gefestigt hat,

so

tiefe

kaum jemand

der ganzen Provinz gefunden werden könnte, der in irgend einer

anderen Religion unterwiesen oder erzogen

Nach

diesen

Berathungen

sendet

Welling «und einige andere» zum König,

ist'.»

der

um

Rath den Syndicus alle Dinge (so sagt

«wie sie berathschlaget, fürzubringen und allen müglichen Fleiss in der Sachen anzuwende n».

der Rathsbericht im Chytraeus),

Wir Nachkommen vermögen

jetzt,

nach 300 Jahren, diesen

und unklugen Schritt nicht zu begreifen.

feigeu

man zur Anuahme gar nicht begriff,

geneigt, ein

wie

trauriges Zeugnis

Stadt mit dieser Mittheilung ausstellten,

zu

sache

Unwillkürlich

ist

dass der Verfasser des Rathsberichts

verschweigen vergass.

Chronik und aus dem Chytraeus

So

viel

dass

sich

die

Väter der

er daher die That-

geht doch aus Vieckens

Ausgabe von 1593 deutlich hervor, dass Tastius und Welling während dieser Kirchenfrage oft mit dem Reichskanzler verhandelt haben. Wenn also Welling 1

in der

in der

Salomon Henning in Scriptorcs rerum Livonicarum, B. Ausgabe von Kallmeyer, p. 117.

II, p.

309 nnd

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572

Die Gegenreformation

Mund

seinen

derartige Botschaft

eine

für

Vermuthung nahe,

in Livland.

so liegt die

hergiebt,

er habe sie aucn veranlasst,

um

damit im voraus

den Eindruck der Massenpetition

unmöglich

man den König

zu einer solchen Petition meine,

so

musste

So

sinken.

hernach

diese viel

was

vorher,

zu

er

einer

Fragte

machen.

zu

lacherlichen

Komödie herab-

Klugheit dürfen wir Welling mit vollem Recht zu-

erkennen.

ßathorys Antwort

auch einer solchen Diplomatie würdig

fiel

er seine Religion ums Geld verwäre unnütz, er hätte das Recht, welche Kirchen ihm beliebten aus königlicher Macht seinen Glaubensbrüdern anzuweisen daher solle man es als eine besondere Gnade betrachten, dass er nicht mehr als eine Kirche verlange. Wieder tritt der Rath in eifrige (Konferenzen mit der Geistlichkeit, die nun ob freiwillig oder dazu gezwungen, bleibe unentschieden zur Erkenntnis kommt, dass man keine andere Wahl habe, als sich zu fügen, damit nicht die Domkirche, nach

aus

er

:

käuffte»,

sei nicht

Judas,

tdass

ein Fussfall

;





der,

wie

man

gehört

hatte,

die Jesuiten

Verlangen

trttgeu,

ver-

loren gehe".

So willigen denn Rath und Geistlichkeit in die Abtretung der unter folgenden Bedingungen: dass keine Jesuiten vom Könige zugelassen würden, dass das jus patronatus beim Rath bliebe, dass eine bestimmte Zahl von Häusern den katholischen Jacobi-Kirche

Geistlichen

würden und

angewiesen,

dass

keine Schulen

endlich, dass unter des

Caution ertheilt werde,

wonach

von

ihnen

errichtet

Königs Siegel der Stadt eine

alle übrigen Klöster

und Kirchen

mit ihren Einkünften und Besitzungen der Stadt verbleiben. Mittlerweile bringt Solikowski,

der König wolle

am

am

28.

nächsten Sonntag in der

katholischen Gottesdienst halten lassen.

März,

die Nachricht,

Dom- oder Peterskirche

Ei-schrocken

wendet sich

nun der Rath an mehrere Grossen aus des Königs Gefolge, deren Hinneigung oder Zugehörigkeit zur reformirten Religion bekannt war, und bittet sie dringend um Betheiligung an dem Fussfall der Gemeinde. Sie erklären sich auch dazu bereit, aber die Sache kommt dem König zu Ohren und giebt er

in ärgerlicher

Weise zu verstehen, dass er

einmal gesagt habe, er wolle sich mit einer Kirche zufrieden geben, es sei also die Jacobikirche

rinnen 1

;

damit

möge man

und

eo ipso das Kloster der Cisterciense-

sich

EteckmiiniM Diarium, Arrhiv,

Ii

begnügen und keine näheren BeIV,

p.

2H0.

Der

oftirielle

Rathslurieht

erwähnt dieser neuen Bcsprcchungiu mit ihr Geistlichkeit nicht.

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I

Die Gegenreformation dingungen



stellen,

573

Livland.

in

die übrigen Kirchen

und Klöster

werde er

der Stadt bestätigen».

zum

Bis

zu keinem

7.

man im Rath und

April kann

Da

rechten Beschluss kommen.

in der

erhält

Gemeinde

der Burggraf,

ist, vom König die wenn die Jacobikirche nicht bald abgetreten gezwungen sähe, die Domkirche mit Gewalt

während man gerade im besten Deliberiren Nachricht, dass

werden würde,

er,

sich

einzunehmen.

Darüber, was nun geschehen

Die Darstellungen

einander.

ist,

gehen die Berichte sehr aus

der Mitte

aus

weisen sich sämmtlich als ungenügend Details

widersprechend

meine Viecken,

(ich

der ßiirgerpartei er-

informirt

und sich in den

Lorenz Müller und

Wenn aber der offizielle Rathsbericht überChytraeus von 1593). haupt etwas beschönigt und verschweigt, so gewiss an dieser Stelle. Daher bleiben die Vorgänge des 7. April so lange im Dunkel, bis ein neutraler und wohlunterrichteter Berichterstatter gefunden wird,

der die Fackel der Wahrheit entzündet. ist,

seine

dass

der Rath

Zustimmung

am

7.

April

ertheilte,

Unanstreitbare Thatsache

zur Abtretung

dass die Katholiken

der Jacobikirche

am

selben

Tage

in feierlicher Procession die Kirche einnahmen und dass die Bürgerschaft Rigas davon überzeugt war, Dr. Gotthard Welling habe den Priestern die Schlüssel eingehändigt». Nach dieser plötzlichen Eiunahme der Jacobikirche durch die

1

Erdmaun Tolgsdorf

(Archiv, B. V,

als Welling uud Taatins noch

zum

letzten

p.

Mal

86) erzählt,

dass

in ihn drangen,

König Stephan, doch von «einem

Vorhaben abzustehen, gesagt habe: *Üt et dicite istis bestiui, wie hodie höh tiumptuntm eibum, dorne tcmplum, quod volo, ingrediar.» Dr. Th. Schieniann hat diese "Worte in den Text aufgenommen, ich glaube mit Unrecht, denn Erduiatin Tolgsdorf

ist

Jedenfalls halte ich ßathory einer solchen

nicht zu trauen.

Tactlosigkeit nicht für fähig und stütze mich hierbei darauf, dass der

oftiriclle

Raths-

wenn sie wirklich gesprochen worden wären, aufgenommen hatte, um den Zwang, unter dem man stand, zu illustriren. D. Verf. 1 Nach Chytraeus' deutscher Ausgabe (1597) Th. II, p. 412 wird die Ab

bericht diese schnöden Worte,

tretung der Kirchen also geschildert

:

Als der Burggraf die obige Nachricht

be-

kam, wurde dem Ausschluss des Käthes die Weisung ertheilt, zum König zu gehen und zum letzten Mal mit Bitten in ihn zu dringen. Wenn alles vergeblich «ei, so möge sich der Ausschuss vom König, ehe die Kirche eingeräumt worden, eine Oantion für freie Ausübung der augsburgischen Religion und den Besitz der übrigen Kirchen uud Kirchengüter ausstellen lassen. Dr. Welling vertrat in dieser letzten Verhandlung mit grosser Entschiedenheit die Rechte der Stallt und riss den König zu hellem Zorn hin. Die Kirchen wurden aber von den Katholiken eingenommen, ohne dass ihnen jemand die Schlüssel überreichte.

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574

Die Gegenreformation

in Livland.

Katholiken wurden zwischen Rath und König noch

am

selben

Tage

Bedingungen der Abtretung vereinbart nnd zwei Urkunden darüber aufgenommen». die näheren

Danach übergiebt der König

und die

die Jacobikirche

Marien-Magdale nenkirche

dem ganzen Kloster

nebst

der Cistercienserinnen und allen an ihnen haftenden Besitzungen, Einkünften 7

und Rechten,

Häusern

Nähe

zum Besten

gelegenen, sowie den

dem Kirchhof der

mit

also

in unmittelbarer

Jacobikirche,

und einem weiter ab-

derselben

der Kirche verpachteten Gebäuden

— der katholischen Kirche auf Grund

freiwilliger Cession

Diese Kirchen sollen unter dem besonderen

der rigaschen Bürger.

Schutz

des jeweiligen Königs stehen, der das freie Patronatsund Collationsrecht an ihnen erhält. Sie gemessen die kirchliche

Immunität und darf sich die Stadt nicht die Jurisdiction über sie Dafür schenkt der König alle übrigen Kirchen und

anmassen.

Klöster mit allen Rechten und Gerechtsamen auf ewige Zeiten



Zugleich wird das Asylrecht der katholischen Kirchen

der Stadt.

und dem Magistrat das Recht

aufgehoben

ertheilt,

unter Heran-

ziehung des Schlosspräfecten oder des Officials, aber ohne Störung des Clerus,

brauchen.

übung

in

und Wohnorte

der Kirchengüter

Zum

seine

Macht zu

ge-

Sehluss wird den Lutheranern ungehinderte Religions-

ihren

Kirchen

zugesichert

Katholiken

und

sowol

als

Lutheranern unter Androhung harter Strafen Verboten, sich gewalt-

samer Mittel

Bekehrung Andersgläubiger zu bedienen.

zur

Die

Einführung anderer Secten aber wird vollständig untersagt. In einer besonderen, gleichfalls

am

7.

April ausgestellten Ur-

kunde schenkt der König der Stadt Riga, zur Belohnung für die der Krone Polen bewiesene Treue und ihr geleisteten Dienste, auch den erzbischöflichen Hof sammt allen übrigeu Klöstern und Kirchen (auch denen des griechischen Glaubens), allen Häusern der Canoniker und Capitularen,

Gründen mit

allen

allen

wüsten

zu

im Umkreise

keiner Zeit

der Stadt

belegenen

widerruflichen Rechten,

Ein-

künften &c. gegen eine alljährlich der Jacobikirche an 2 Terminen

zu zahlende Abgabe von 100 Gulden. Beide

Urkunden

sind

vom König und den

angesehensten

Personen aus seinem Gefolge unterschrieben und wurden

am

16.

Nov.

1582 von dem Warschauer Reichstage bestätigt.

So hatten denn

1

die

Dogiel T. V, Nr. 185,

Verhandlungen

p.

316

u. 316.

zwischen der Stadt Riga

575

Die Gegenreformation in Livland.

nnd dem polnischen Könige nach mehr

als

Ende

einer

einem Monat damit ihr

Kirche schliesslich Die Schuld hierfür trifft den Rath in seiner Gesammtheit, nicht blo? die Tastius und Welling, die freilich im Vordergrunde der unrühmlichen Action standen und deshalb, als hernach im Kalenderstreit der See raste und sein Opfer gefunden,

zwei

dass

die Stadt

statt

Kirchen abtreten musste.

haben wollte, von den ergrimmten Bürgern zur Verantwortung gezogen wurden. Aber doch will es mir scheinen, als ob diese beiden Männer fast scheut man vor dem Ausdruck zurück am meisten





belastet sind, dass ihre feige Willfährigkeit, ihre Liebedienerei den

ganzen Rath mit sich licher erkennen.

riss

wir werden

;

Dafür sprechen

das späterhin noch deut-

auch die ihnen beiden nach Be-

endigung dieses Kirchenhandels vom König zuertheilten Belohnungen.

Wurden

sie doch beide in den Adelsstand erhoben und erhielt doch Welling vom König ein jährliches Salarium aus dem Zoll, Tastius

einige Bauernfamilien«.

Die Annahme Büttners», dass handelt zu haben, nur weil

sie bei

auch

sie,

ohne unredlich ge-

den Unterwerfungsverhandlungen

die Hauptrolle spielten, nach glücklicher Beendigung derselben für die polnische Krone

einer anerkennenden Auszeichnung werth gewesen wären, lässt sich nicht halten. Erstens sind diese Belohnungen gar nicht so unbedeutend, wie Büttner meint, und zweitens: wenn eine Belohnung in diesem Sinne stattfinden sollte, so hätten mehrere andere auch Anspruch darauf gehabt. Ueberdies war Welling bei der letzten Legation nicht activ betheiligt, dafür aber Caspar zum

Bergen, Ecke und der Aeltermann Schroeder. Nein, diese lohnungen müssen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem

Beriga-

schen Kirchenhandel gebracht werden.

Es

ist ein

wahres und

treffendes

Wort,

das

einer

unserer

Geschichtsforscher für diese Zeit äussert: , die Execution habe der Moskowiter und nicht er gemacht, er habe vielmehr alle Lande dem Rachen des Feindes entrissen und sei deshalb wohl berechtigt, einen Unterschied zu machen zwischen solchen, die stets treu zu Polen gehalten, und solchen, die Polen Russland,

Besitzstandes

Revision des

gerechte

eine

1

feindlich gewesen.

Erstere wolle er durch

Eigenthum wieder einsetzen, des Reichstages.

.

.

Revisoren

.

.

ihr

in

letztere verweise er auf die Entscheidung

Von einem Vorzug der Deutschen

bei

Besetzung

der Aemter könne vollends nicht die Rede sein, dagegen verspreche er, sie

«

nicht gar zu excludiren».

Wer

den wolle er wie

seine

qualiticirt

sei,

unter ihnen tauglich und

Uuterthauen be-

übrigen

fördern»^

Den dörptschen Adligen

der König sogar,

erklärte

gar nicht zur Restitution ihrer Güter verpflichtet

sei,

dass

er

da ihm dieser

Landstrich durch Feuer und Schwert zu Händen gekommen wäre».

Und

nun noch Antonio Possevino in den letzten Tagen des Riga eintraf und im Auftrage des Königs denjenigen, welche zum katholischen Glauben übertreten würden, die Restitution ihrer Güter in Aussicht stellte 4 da keimte wol in manches als

April

in

,

1

n.

1

cf.

das

oben

eitirte

Buch Dr. Th. Schiemanns,

ohne die Quelle zu kennen

ich wieder vertrauensvoll folge,

wieder eine dnnziger (lesandtschaftsrelation zu

sein.



;

p.

dem

111 u. 112,

es scheint

mir aber

Nyenstaedt berichtet auch

über diese Dinge, aber ungenau. s

und

85.

lich auf.

Monum.

Nyenstaedts «Livlandische Chronik» in

Nach ihm

sollen

auch

sein; einige andere, denen der

Auf

i».

die meisten

Konig

8G aber bekennt, er

sieh

im

Stift

Liv. ant.

Riga

offen, dass er

B. II,

restitniret»

damals gnädig erwies,

ziihlt

84

p.

worden

er nament-

nur schlecht nnU-rrichtet

ist,

D. Verf. 4

Lirotn'ac

Cummcntarius von Ponsevino,

p.

21.

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Die Gegenreformation Livländers Brust der

Wunsch

auf,

577

Livland.

in

beim glaubensverwandten schwedi-

schen Nachbarn Schutz und Zuflucht zu suchen

1 .

In solchen drangvollen Zeiten durchschwirren alle möglichen

Wahrheit und Dichtung > gemischt, und ängstund dorthin, nur zu geneigt, seinem gerechten Zorn in irgend einer Form Luft zu machen. So erzählte man sich, dass der König alle livländischen Güter an Ungarn vertheilen wolle 1 und aus Schweden kam die Nachricht, der polnische Gesandte Warszewitzki habe während seines Aufenthalts in Stockholm König Johann III. gerathen, die Livländer auszurotten, denn es wären leichtfertige Leute, und erzählt, sein König werde ebenso handeln, wenn Johann mit gutem Beispiel voranginge». Als daher Warszevitzki auf der Heimreise Riga berührte, entging er nur der König selbst musste für ihn eindurch schleunige Flucht Gerüchte die Luft,

man

lich horcht

c

dahin

,





treten

der Volkswuth*.

Wenn Bathory

die definitive Entscheidung über die so wichtige

auf den Winterreichstag dieses Jahres

Güterrestitutionsfrage schob, so geschah

das

ver-

aus schlauer Berechnung, theils aus

theils

Noth wendigkeit denn indem er dem Adel nicht alle Hoffnung raubte, entschloss sich die Majorität noch zu warten, und

politischer

;

zweitens war er nicht

in

Provinzialverhältnisse

von

der Lage, sich bei der Reorganisation der

der Mitwirkung

züglich aber der littauischen Stände

der

polnischen,

vornehmste Prärogativ des polnischen Königs bestand

Zwang

besetznng, hierbrauchte er sich keinen

ernannte

er

am

1.

Georg Radziwill, Wilno,

Sohn

Tag

Mai, einen

Wahl

der Stellen-

aufzuerlegen.

seiner Abreise

vor

Herzog von

Olyka» und

Daher

aus Riga,

Bischof von

zum Lange Zeit hatte der König

des letzten Administrators Nicolaus Radziwill,

Statthalter von Livland. in der

in

vor-

Das

zu emancipiren.

völlig

einer passenden Persönlichkeit geschwankt.

Am

15.

dem Kanzler: «Schon lange und vielfach haben Wir darüber nachgedacht, wen Wir in Livland an die Januar 1582 schrieb er

1

n.

*

cf.

z.

B.

KoajiOBHTb Nr. 193

Bathory aus dieser

Zeit).

Es

p.

519

heisst darin

ihren Interessen nach Schweden.

Das

(d.

ein

i.

;

alle

ist

aher

Memorandum Zamoiskis au

ohne Ausnahme gravitiren mit unrichtig:,

übrigens

auch vor

«einer Ankunft in Riga geschrieben. *

U Müller,

Sept.-H. p. 36.



n.



Radziwill war auch

Herzog von «Niesvics»

Schreibweise kann ich zur Zeit nicht angeben. einen aus dem Krasinski will von

in

meinen

Wilno war,



I.

er

1).

(lateinisch,

Verf.)

;



die polnische

ich corrigire zugleich

Art, übertragenen Fehler,

wonach Radzi

war dort nur Bischof.

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Die Gegenreformation

578

in Livland.

Wir bis jetzt auf niemanden Ew. Erlaucht, Uns mitzutheilen, wer

Spitze stellen sollen, und dennoch sind verfallen

.

.

Wir

.

ersuchen

Ew. Meinung nach dazu geeignet ist.» Im pleskauschen Lager cursirten hierüber die verschiedensten Gerüchte, von denen dem Verfasser des früher erwähnten Tage-

am

buchs

wahrscheinlichsten schien, dass entweder Zamoiski selbst

Herzog dem Reichsaus, wen er wol

oder der Neffe des Königs, Andreas Bathory, livländischer hatte ein launiges Gespräch

Er

werden würde.

mit

Der Kanzler holte ihn zum Gubernator von Livland

kanzler über diese Frage. für

am

passendsten

antwortete

t

:

Mann magnac

Es gehöre dazu ein

und

halte,

er

praeterea

autoritatis,

und dem Könige ergebener Diener.» Nachdem mehrere vom Kanzler genannt worden waren, stellte er an

ein treuer

Persönlichkeiten die Frage:

ihn

caber

nehmen wollteu?» rief

wenn Ew. Gnaden



also

worden.

ihm der Statthalterschaftsposten wol Welche Gründe aber die Wahl gerade

ist

auf Georg Radziwill lenkten,

nicht bekannt.

ist

Das eben

weise wiedergegebene Gespräch belehrt uns des weiteren, dass einen

Mann

war; selbstverständlich musste

er

während seines Aufenthalts

gewünschter Weise des

1.

nachkam*.

Mai 1582

denn er Livland einer gewissen

in

Die ihm

ertheilte Instruction

Wir geben

daher

den

;

Königs immer

vom König

unzweideutigsten Weise Auskunft darüber, was langte.

Ver-

strenger Katholik sein.

Beliebtheit, obgleich er den heiklen Befehlen des

Datum

man

wünschte, der gut deutsch sprach und leutseliger Natur

muthlich vereinigte Radziwill diese Eigenschaften in sich erfreute sich

theil

unter

in

dem

in

der

man von ihm

ver-

giebt

grössten Theil

uns

derselben

in

der

Uebersetzung wieder: 1

NyeiiHtaedt tLivl. Chronik»

p. 8f»,

mnl L. Müller an

fiuem

«pitter cit.

O.

Die Gegenreformation

cVor Allem

Mühe

der Statthalter

soll

darauf achten, dass die von uns

in der

579

Livland.

in

darauf verwenden und

Stadt Riga gelegten Funda-

katholischen Religion von Tag zu Tag an Wachsthum zunehmen und zwar so, dass sie sich in Kurzem über ganz Livland ausbreiten. Das hat so zu geschehen, dass das, was

mente der heiligen

ordentlich begonnen worden

mit Ernst aufrecht erhalten und ist, bewahrt werde, nicht blos durch häufigen Gebrauch, sondern mit jeglicher Vorsicht, auf dass nichts anderes geschähe, als was diesem Zweck und dieser heiligen Sache förderlich ist. Des Statthalters Autorität darf denen nicht fehlen,

welchen von uns die Sorge für

die Kirchen uud kirchlichen Dinge anvertraut

Femer

derselben bedürften.

man

tragen, dass die Priester, welche

Verzug an

als möglich und ohne

man

anderen Orten

von

sie

zu

herschicken wird, so schnell

die Orte

wo Wolmar und

befördert werden,

aber nach Wenden,

namentlich

sie nöthig hat,

wo immer dafür Sorge

ist,

der Statthalter

hat

Ebenso

solcher Bedeutung.

er unserem

soll

Befehl gemäss für die Kirchen Vorsorge treffen mit allen nöthigen

Dingen, als da sind

viaticum, Kelche, Ornamente,

:

Bücher

u. s.

w.

In Allem aber, was zur Förderung der katholischen Angelegenheiten geschieht, soll er mit Mässigung und Vorsicht verfahren, damit nicht dieGegner oder wenigstens ihreP rediger einen willkommenen Vorwand erhaschen zu tumultuiren und Unruhen im Volke zu erregen. Wenn es sich

einmal ereignen

dass

sollte,

etwas Derartiges

und Ankömmlingen begangen wird,

was dem

von Fremden

öffentlichen Frieden

und ein Magistrat dem kann oder auch Ausflüchte sucht, dann soll der Statthalter unter Beirath unseres Burggrafen gegen die Delinquenten verfügen, was recht und der Gerechtigkeit gemäss

der Katholiken zu widersprechen scheint,

entweder

keine Abhilfe

thun

und Ruhe

ist

und Frieden

ea,

quae &c.) wird

dem

bewahrte

Sodann (sccundo

Statthalter die

loco sunt

inappellabel Jurisdiction

über Verbrechen gegen die Person, nicht aber Verbrechen das Eigenthum (immobilia

et

mobilia) zuerkannt.

Vom

gegen

letzteren

sind jedoch die Klostergüter ausgenommen, über die der Statthalter

zu entscheiden sein sollte.

In

hat,

wenn der König daran irgendwie verhindert wird ihm die militärische Gewalt

dritter Stelle

über ganz Livland eingeräumt. den Worten «Alles Uebrige :

RaltUrb«. MunatH«rbrift.

Dd.

XXXVI,

Die Instruction schliesst mit folgenaber,

lieft f.

was

so

beschaffen

ist,

dass

40

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Die Gegenreformation in Livland.

580

mehr

bierfür

können,

die

Dinge

als dass wir

selbst,

möge der Herr

möchten,

Zeit und Gelegenheit Rath

in unserer Instruction

es

Statthalter mit Geist,

geben

zu umfassen ver-

Wachsamkeit und

Fleiss versehen, damit er in keiner Angelegenheit und schwierigen

wo

Lage,

es gilt, gut und im Interesse des Staates zu handeln

das versprechen wir uns von ihm





zu fehlen scheinen

Es sind vornehmlich zwei Momente, die beim Lesen

dieser Instruc-

Erstens überwiegt das kirchliche Interesse in ausser-

tion auffallen.

ordentlichem Masse, so sehr, dass sich die vorgeschlagenen Mittel

zur Förderung des Katholicismus beinahe in Gegensatz zu der

bis-

vom Könige vertretenen rechtlichen Parität beider Bekenntnise Wird doch mit keiner Silbe dem Statthalter angerathen, stellen. auch den evangelischen ünterthanen sein Ohr zu leihen denn dort, wo Recht und Gerechtigkeit und Ruhe und Frieden gewahrt sollen, her

;

auch gegen die Evangelischen, als

richtet sich die Spitze doch

man

eine Störung

Ruhe

die-

und lässt sich zwischen den Zeilen lesen, dass es weniger auf wahre Zweitens lässt Gerechtigkeit, als auf ihren Schein ankommen soll. sich aus der Instruction deutlich des Königs Angst vor Tumulten

jenigen,

denen

von

der

warum

befürchtet,

Riga im Durch die ganze Instruction weht aber ein Hauch des Jesuitismus, und ein Jesuit ist es auch, der ihr seinen Geist, vielleicht auch seine Feder geliehen hat Antonio Possevino, als er sich dem König für einige Tage in Riga zur Disposition stellte und, wie er rühmend hervorhebt, bei ihm meist bereitwilliges Entgegenkommen für seine erkennen, ein Erklärungsgrund dafür,

Grossen und Ganzen doch mit wenigem

er sich in

begnügt hat



Vorschläge fand.

Am Gorka aus schaft, die

war Possevino nämlich von Kiwerowa Moskau eingetroffen und von dort mit jener Gesandtdem Papst für seine Bemühungen um den Friedenssehl uss

15. Febr. 1582« in

Dauk zu sagen

hatte», über

auf dieselbe Gesandtschaft

Riga^ nach durch Polen

zum zweiten Mal nach Riga und 1

Starczewski, B. II,

p. 80.

1

Zedier« Lexikon,

1778.

3

Possevini

Ort gewesen

als dass

Als er

gereist.

zurtickgeleitete,

verblieb

daselbst,

thivoniae Commcntarius Gre.gorio XITI»,

andere Deutung zn, pasairte, also zwei

p.

Rom

.p.

Possevino schon auf der Hinreise

Mal (wahrend des Aufenthalts Bathorns

in

hier-

kam

er

etwa vom

keine

lässt

21,

nach

Rom

Riga) in

Riga

diesem

ist.

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Die Gegenreformation

581

in Livland.

27. April ab«, nicht länger wie der König, also bis spätestens 2.

zum

Mai».

Er wollte sich offenbar davon überzeugen, ob und in welchem Masse ßathory seinen Versprechungen nachgekommen war, auch mag es ihn gereizt haben, persönlich auf den König einzuwirken jedenfalls brachte er den Vorgängen in Livland das lebhafteste

Das

entgegen.

Interesse

durch Kurland

zeigt

schon

der Frühlingszeit,

in

seine

über angeschwollene Flüsse und Bäche. als

ihm

ein

gleich für

beschwerliche Fahrt

auf grundlosen

Wie

freute

Wegen und er

sich

da,

Edelmann im Illuxtschen Gebiete einen von zehn Söhnen die Schulen von Braunsberg oder Olmütz anvertraute

und noch zwei andere

in Aussicht stellte,

rische Prediger» seinen

Sohn

gleichfalls

vollends als der «luthe-

ihm zu übergeben bereit

war. Noch mehr aber frohlockte sein Herz, da er schon drei Jünger der Societät Jesu in Riga vorfand (Scarga, Martin Lauten) a und Georgius Vicerius). Bathory Hess eben anstandslos Jesuiten in Riga za, obgleich er den Rigensern nur von Weltgeistlichen (plebani) im Kirchenpact geredet hatte 1 .

Gleichwie Possevino den Jungfrauen des berühmten Klosters

Wadstena

in

Schweden

einst geistlichen Trost gespendet hatte, so

Zweck jetzt auch das Jungfrauenkloster Von den Nonnen desselben waren nur noch drei am Leben Anna Netken, Anna Töpel und eine gewisse Ottilia*. Alle drei waren fast unglaublich alt (Anna Töpel z. B. nach Tolgsdorf 130 Jahre) * und dem katholischen Glauben treugeblieben, trotzdem besuchte er zu demselben

in

Riga. :

die lutherischen Prediger sich grosse sie

zum *

Uebertritt zu bewegen.

Mühe gegeben haben

Possevinos Schreiben an den Jrsnitengeneral (Riga,

cf.

sollen,

Viele Jahre hindurch hatten d. 28.

sie,

April 1582)

im Supplementbande von Turgenjews *Historica Russiae Monimenta^.

Dr. Th.

und Sittenbilder a. d. b. Gesch.» p. 115—117 eine Uebersetzung. Doch giebt Schiemann Possevinos Reiseroute falsch au. D. Verf. 1 Possevino schreibt dem Zaren aus Wibio Starczewski, B. II, p. 83. unter dem 14. Mai 1582: «postquam autem cum rege Stephane Riqae aliquot dies fui in Livonia veni Wilnam ac cum eo egi, ut Mosci in libera custodia Schieinann giebt in

c Charakterköpfe

.

.

.

essent.»

im

Citat alleg. Uebersetzung Schiemanns.

*

cf.

die

*

cf.

für diesen Besuch

1.

Erdmann Tolgsdorfs Gesch.

des Marien Magdaleuenp. 80 u. 89. annuae societatis Jesu», die ich hernach an a. O. werde, geben au, dass sie beim Tode über 100 Jahre

Juugfernklosters in Riga, Archiv, B. V,

Die

sog. c Litterae

mit vollem Titel citiren alt

war, sind also vorsichtiger.

40*

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582 da

Die Gegenreformation in Livland.

Livland

in

alten lich

Mönch

kein katholischer Priester

in

Hasenpoth

war,

einem

und ebenso

schrift-

anzutreffen

schriftlich gebeichtet

Absolution erhalten.

Anna Netken, deren Glaubenstreue und KlugErdmann Tolgsdorf in überschwänglicher Weise

Possevino wollte heit

der

Jesuit

zur Aebtissin weihen, aber sie verzichtete demüthigst darauf

preist,

zu Ehren ihrer alteren Schwester im Herrn,

Anna

Töpel.

Letztere

während Anna Netken noch bis zur Rückkehr der Jesuiten nach ihrer Vertreibung im Kalenderstreit

starb übrigens bald darauf',

gelebt haben

Auch Stephan Bathory

soll'.

stattete

Anna Netken

einen Besuch ab und wurde von

dem

Kloster

in einer glänzenden

Rede, worin sie ihrer unaussprechlichen Freude

über das Wieder-

Es war nur wenn der König damals den Nonnen ihren ganzen auf Grund der Stiftungsurkunde des Klosters

aufleben des alten Glaubens Ausdruck gab, begrüsst. selbstverständlich,

Besitz

restituirte,

vom Jahre

Da

1256».

mit dem

baldigen Tode

voraussichtlich

dieser Heroinen

(im jesuitisch- katholischen Sinne) die letzten Vertreter des Jungfern-

ordens

der Cisterienserinnen

dahinschwanden

und keine Aussicht

vorhanden war, den Orden im Flor zu erhalten, so beschloss Bathory, den ganzen Güterbesitz dieses Klosters einem noch zu gründenden Jesuitencolleg zu überantworten

das

;

die Solikowski ertheilt wurde*.

erhellt

aus der Vollmacht,

Freilich verhehlte Bathory diesen

Plan vor den Rigensern.

Der königliche Secretär Demetrius Solikowski, jener eitle Mann, der sich rühmte, Bathory zum katholischen Glauben bekehrt zu haben, wurde, gleichfalls am l. Mai, von Bathory zum sog.

Curatorder katholischen Kirchen Rigas Es

ernannt.

aus seinem Emennungsdecret folgender Passus in der Ueber-

sei

setzung

angeführt:

«Vor Allem

wir hiermit Johannes von Wladislawow und Lesiao

erheben

Demetrius Solikowski, Scholasticus

zum Curator und General-Provisor des gesammten Klosters vorerwähnter Nonnen und auch der Kirche zn St. Jacob und übergeben diese Kirchen nebst dem Kloster seiner und unsern Secretär,

'

*

Nacli obigen Litterae ao. 1589.

Dan wird auch durch

ob.

Mittheilungen B. VIII,

p.

Litt.

mm.

bestätigt.

444.

4

sog. cf. die curatio templorum catliolicorum Jligae commissa /?. D. Joanni Demetrio Solikowski, secretario Ttrijine Majestatis* in Posaevini

rechtmässig erwiesen werden können &c.

Das Decret

schliesst

«Worüber wir in einer anderen Urkunde, wo wir, so Gott will, eine vollständige Gründung und Anordnung zu treffen gedenken, Zeugnis ablegen werden. mit den verheißungsvollen Worten

Am

Mai 1582

:

Stephan Bathory

aus Riga

ab,

die

Quellen aber berichten uns nichts über Abschiedsfeierlichkeiten.

Es

2.

reiste

war auch keine Feiertagsstimmung, mit der ihn unser Land heimkehren sah. Zwar hätte er ja noch mehr, als womit er sich begnügte, fordern und nehmen können. Aber wer nicht blind war, dem entging nicht der klaffende Riss, den sein Aufenthalt im Gebäude des Landesstaates hinterliess, der erwartete von dem bevorstehenden Reichstag keine Heilung des entstandenen Schadens, der befürchtete mit Fug und Recht eine Vergrösserung des Spalts, den Glaubens

die Gleichberechtigung des katholischen

rischen Bekenntuis

geschaffen.

die rechtliche Parität

Die Gesinnung

beider Bekenntnisse

friedlichen Nebeneinander, sondern des

tischen Rekatholisirung Und ganda

dem

luthe-

Hess

im Lichte eines

nicht

Beginnes einer

systema-

erscheinen.

der erste Mann, der seine Thätigkeit mit eifriger Propa-

für

Solikowski.

den

katholischen Glauben

eröffnete,

heisst Demetrius

Bathory hatte ihu bei seiner Abreise als «Curator der

rigischen katholischen Kirchen» als

mit

des Königs

uud, wie er selbst erzählt»,

auch

Administrator des von Einwohnern ganz entblössten Städtchens

Wolmar

zurückgelassen. Vielleicht hoffte

man

in

Wolmar

diejenigen

katholischen» Colonisten anzusiedeln, welche eiu königliches Universale

würde.

vom

29.

Januar 1582 zur Ansiedelung

werkern und Kaufleuten,

1

in

Livland verlocken

Darin versprach der König den etwaigen Bauern, Hand-

Sulikovii

Kommentar,

die,

unter der Leitung eines verständigen

brevia

rerum Polonic., Danzig, 1647,

p. 143.

584

Die Gegenreformation

in

Livlaud.

Mannes, herkommen wollten, auf den ihnen erb- und eigenthümlich zu

verleihenden Gründen

und

zehnjährige Abgabenfreiheit

Handelsrecht, stellte der zukünftigen Colonie,

im Falle

freies

sie grösser

geworden, städtische Gerechtigkeit in Aussicht

und

katholischen Pürsten zur Unterstützung

Unternehmens

dieses

forderte

alle

das der ganzen Christenheit zum Vortheil gereichen werde«.

auf,

Wir

berühren diese Colonisationsfrage noch an anderem Ort. Solikowski aber will mit Hilfe einiger Jesuiten in Riga und ein paar Priestern des Braunsbergschen Collegs, die Cromer, der Bischof vou Ermlaud,

im Geheimen nach Livland

Land

sandte

und welche sich übers

flache

zum

zerstreuten, in sieben Districten die ganze Bauernschaft

katholischen Glauben bekehrt haben». versteht, ist nicht

ganz einleuchtend,

Was

er unter «7 Districten»

vielleicht Hesse

die Thätigkeit von 7 Priestern entnehmen, so dass er

eben so

viel grössere

sich daraus

dann damit

Wirkungskreise der erwähnten Priester, deren

Zahl kaum grösser gewesen sein kann, verstünde.

Es

zudem

ist

wahrscheinlich, dass sich diese Geistlichen zunächst innerhalb Lett-

lands und nicht allzu

weit

wir finden

einen

z.

B. 1584

von Riga aufgehalten haben

von ihnen

iu Smilten.

werden

Denkt mau

nun daran, dass diese Geistlichen der lettischen Sprache unkundig waren und sich bei ihren geistlichen Functionen der Dolmetscher bedienen mussten», dass der Visitationsbericht von 1584 von keinem erheblichen Erfolge der Katholiken zu berichten sich bei der ausgesprochenen

Wirksamkeit das

weiss,

Neigung Solikowskis, über

hellste Licht

so

sein Bericht

auszubreiten,

stellt

seine eigene

als die

Phantasie eines hochmüthigen und gloriensüchtigen Pfaffen dar.

Am 4. Oct. 1582 trat der Reichstag von Warschau zusammen. Die Stadt Riga erlebte die Freude, dass ihre Privilegien vom Reichstage bestätigt wurden«, dem livländischen Adel aber erwiesen sich König und Reichstag ungnädiger, als je zu erwarten gewesen war. Die Ueberlieferung, so weit sie den Forschern bis jetzt zugänglich

gewesen, belehrt uns nicht darüber, in wie weit aus der Mitte des

1

Dogiel, T. V, Nr. 183.



cf.

die

-

vorige Anmerkung.

" Snlikowski, Br. Comm. p. 144 und 145. Der Jesuit Erdmaun Tolgsdorf war auch

einer von deu Braunsbergischen Priestern

und

Recke-Napierskys «Schriftstellerlexikon» B. IU. (ScriptorrM alle

rer. Liv.

B. II, p. 154)

zum Jahre

Städte und Dörfer gedrungen seien

schen Priester gemeint sein. *

Dogiel T. V, Nr. 184.

;

hielt

sich

Russow 1582,

in "Wolinar

auf.

cf.

erzählt in seiner Chronica

dass

die Jesuiten

in

darunter können nur die Braunsbergi-

Die Gegenreformation

etwa von

polnischen Reichstags,

doch einst Hilfe

drängte Nachbarprovinz Ii

geworden

laut

littauischen Landboten, die

für

die

be-

Der Delegation der

sind.

welche nach läugerem Harren

v ländischen Kitterschaft,

dem König

den

versprachen, Stimmen

der Noth

in

585

in Livland.

am

29.

Nov.

dieselben Bitten und Klagen, wie zuvor in Riga, dies-

mal durch eine Glied der Familie Ducker vorbrachte, ortheilte im Namen des Königs der Grosskanzler den Bescheid: die köuigl. Majestät wolle erst mit den Ständen sich beratheu und zu gelegener Zeit sie zu sich rufen lassen

Was

Königs gesagt haben, es,

dass

1



die Reichsstände zu den geplanten Vergewaltigungen des

wir wissen

diejenigen Littauer

es eben nicht;

und Polen,

aber wir ahnen

Rechtsgefühl Ein-

deren

sprache erhob, an Zahl verschwindeud klein war gegenüber denen,

welchen die Aussicht auf Aemter und Güter

in

Livland den

Constitution es Livoii iae vom December 1582 beweisen es. Die

schloss».

3.

Mund

und

4.

In ihnen erhielt Livland eine neue Verfassung, deren Charakter

Otto Müller, Julius Eckardt, Hermann Baron Bruiningk

Theodor Schiemann 3 ich

in so treffender

und Dr. Weise gezeichnet haben, dass

mich für meine Zwecke kurz fassen

etwaige Speciali-

darf, für

täten auf Julius Eckardt verweisend*.

Die neue Verfassung lehnte sich an die im Unionsdiplom von 1566 gegebene an, jedoch mit dem

ins

Gewicht fallenden Unter-

schiede, dass alle einzelnen mit den Landesprivilegien (Unionsdiplom

Punkte als Ausflüsse Mit dem Erlass dieser

und Privilegium Sigismundi) harmonirendeu der königlichen

Constitutione

Gnade

kommen

als

früher

die

gar nicht mehr

in polnischer Zeit

tiones annulliren

betrachtet wurden.

in

den

erlassenen Privilegien Livlands in Betracht,

denn die Constitu-

meisten Fällen sowol

das Uuionsdiplom,

War

das Privilegium Sigismundi.

noch in ersterem der Aus-

dem lutherischen, festPunkt der Constitutioues die Lutheraner

schluss jedes anderen Bekenntnisses, ausser gesetzt, so

werden im

II.

1

Dr. Tb. Schiemann «Historische Darstellungen



L. Müllers Sept. H.,

Wort der

littanischen

p.

40-43

polnischen Stande

oder

sondern blos davon, dass sie wol für •

für

ihre Rechte

und

archiv. St.» p. 115.

von keiuem fürsprechendeu die

bedrängten Livländer,

einzutreten verstanden.

anf dessen schonen, von patriotischem Hauche gesell wellten Artikel «ein

Gedenktag» ich merksam zu machen brauche

die Leser der «Balt. Monatsschr.^ doch

livländischcr



berichten

J. Eckardt, «Livland

nicht auf

D. Verf.

?

im

18.

Jahrhundert»,

p.

41

51.

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586 als

Die Gegenreformation

c

Dissidenten >

bezeichnet.

Punkt

iu

2,

Livlaud.

«rfe

Dissidivtitms

in reli-

«Wir haben den Bitten der Stände livläudischer Provinz, die uns zu Riga und hier vorgetragen wurdeu, nachgegeben und ihnen die freie Uebuug der augsburgischen Co nfession, die einzig und allein nach der katholischen Religion in d ese r Pr o vi n z eingeführt ist,

gione*, überschrieben, lautet'

:

i

gewährt.» Aus den 25 Artikeln der Constitutione, in denen das Wort Mal vorkommt', sei hier Folgendes hervorgehoben:

«Privileg» kein

Au

erster Stelle ist zu bemerken,

dass Livlaud in drei sog.

Das wendensche Präsidiat umfasste das Land zwischen der Aa und Düna bis an die russische Grenze Präsidiate eingetheilt wurde.

und mit Einsehluss der Schlösser Marienhausen, Ludzen sitten bis

;

und Ro-

das dörptsche Präsidiat den ganzen östlichen Theil Livlands

zum Wirzjärw im Westen und im Süden

bis

nach Marien-

hausen; das peruausche Präsidiat reichte südlich bis zur Aa. drei standen unter je einem Präses, der die militärische

gewalt

seinen

in

Händen

hatte

und

den Palatiuen

in

Alle

und CivilPreussen

entsprach.

In jedem Präsidiat befand sich ein Landgericht, das im Jahr

zwei Juridiken

sog.

hielt.

Die städtischen und die Landgerichte appel-

an einen jährlich zwei Mal in Wenden

lirten

zusammentretenden

»Gerichtslandtag», conventus judicialis, der eine

thumliche Zusammensetzung erhielt, unter

dem Vorsitz

halters oder eines Commissars abgehalten werden

Appel lationsinstauz bilden

Die

Landtage

sehr

eigen-

des Statt-

und die oberste

sollte.

blieben unabhängig von diesem Gerichts-

landtag und werden im Unterschiede zu diesem

*

conventus necessi-

UUis imblicae causa* (Landtage für öffentliche Verhältnisse) genannt. solcher Landtag tritt auf Befehl des Kölligs zusammen, nach vorhergehender Wahl der Deputirten auf unter dem Vorsitz

Ein

des Präses

abgehaltenen Präsidiatconventen (Kreisconventen), und

von städtischen Abgeordneten beschickt, von Riga durch zwei, von Pernau, Wenden, Dorpat durch je einen. Auch sollte eiu Abgesandter des Herzogs von Kurland an ihm theil-

auch

wird

nehmen. 1

Die Abgeordneten aber sollten aus

den drei Nationen

Dogirl, T. V, Nr. 187.

1 :

Das Wort Privileg», «da« nun einmal von dein historischm Livlaud Dr. TU. Schumann im alleg. Art. und Otto Müller.

nicht zu trennen int.»

Die Gegenreformation der

Littauer

Polen,

587

iu Livland.

und Livländer zu

gewählt

Theilen

gleichen

weiden.

Dass auf den Gerichten nach livländischem Landrecht gerichtet sollte, war eine «dankenswerthe Verheissung» denn der

werden

1

Dr. David Hilehensche Landrechtsentwurf



deutung erlaugt,

die Existenz obiger

eiue polnische Fiction, die

in

drei Nationen

wir auf ein,

Doch genug von

Hess.

den

für

aber war

das Reich der Wirklichkeit zu ver-

pflanzen sich die polnische Regierung freilich sein



praktische Be-

hat nie

diesen unseligen

uns wichtigsten

I.

angelegen

dringeud

Bestimmungen

;

gehen

Abschnitt der Constitutiones

darin von der Gründung eines livlandischen Bisthums in

Wenden

gehandelt wird.

Wir

sahen, wie Bathory bereits im pleskauschen Lager

Gedanken,

in

Livland ein katholisches Bisthum zu

gründen,

deu aus-

Darauf war durch Possevino dem Papste mittheilte. einem königlichen Universale, das die Bildung einer katholischen

sprach und in

Livland in Anregung brachte, auf die beabsichtigte Gründung hingewiesen wordeu». Sodann wurde der königliche Wille den livländischen Ständen am 1 J. März in Riga vorgetragen und jetzt, auf dem Warschauer Reichstage, wirklich vollzogen. Anfänglich schwebte dem König wol noch der Plan vor, Colonie in

(

mehrere Bisthümer zu errichten, wie ihn denn Possevino dazu aufder russischen Geistlichkeit in Dorpat

die Kirchengüter

forderte,

Aber die Armuth des Landes und die Abwesenheit opferwilliger Gemeindeglieder machten für ein dörptsches

Bisthum zu verwenden.

es gerathener, sich zunächst mit

einem

Episcopat zu begnügen.

Der canonischen Regel zuwider, wonach Bisthümer blos an hervorragenden Orten des Landes fundirt werden sollen, wählte der König das kleine und im Kriege fast ganz zerstörte

Wenden

dazu». Erstens

hätte sich ein katholischer Bischof in Riga, inmitten einer

durchweg

protestantischen Bevölkerung, nur geringen Ansehens erfreut, nicht gar einer gewissen Gefahr ausgesetzt; sich das mitten im

Lande belegene Wenden

wenn

zweitens aber erwies für die Intentionen der

Regierung, vorerst auf die Bauernschaft einzuwirken, weit geeigneter, als eine

Riga.

fremden Einflüssen ausgesetzte, grosse Handelsstadt,

Mittlerweile 1

Otto Müller, Dr. Tb.

"ursprünglich

Für

dieae

p. 1>9.

Schumann

war

wie

war der Curator Solikowski dem ihm gegebeneu

Werro

-

*

Dogicl, T. V, Nr. 143.

in «Histor. Darst. Q. arch. Stud.», (seil,

ab

Sita

des Bischofs,

in

i».

IIS gicbl an:

Sicht

genommen.«

interessante Mittheilung bedurfte v» doch wol einer Quellenangabe!

Die Gegenreformation

588

Auftrage nachgekommen und hatte

Livland.

in

in

Nicolaus Firley eine für die Fundation

Begleitung des

des Castellans

projeetirteu

passende Auswahl unter den Landgütern getroffen.

Bisthums

Sie wurde

vom

König zu Grodno im wesentlichen approbirt und nur das ehemals seiner Liste gestrichen. erzbischöfliche Schloss Ronneburg von Nachdem hierauf durch den Bischof von Polozk, Petrus Doninus Wolski, die päpstliche Bestätigung für die vorgenommene «Descriptio>

eingeholt worden war«, wurde die Stiftungsurkunde

ausgefertigt.

zusammen aus:

cus, Custos

3.

Dec.

Wenden und Kathedrale die Das wendensche Capitel setzt

Sitz des Bisthums ist die Stadt

St hlosskirche (primaria aedcs oppidi). sich

am

Sie enthält folgende Bestimmungen':

Propst, Decan, Archidiacon, Cantor, Scholasti-

und sechs Cauonicis. und Gutem:

Dotirt wird der Bischof mit den

Wolmar, Trikaten, Burtneck,

Odenpäh, Wrangelmois und Rodenpois« in ihrem vollen Umfang nebst allen Appertinentien und Rechten, ohne irgend eine Einschränkung (ausgenommen die dem Könige auf allen übrigen Bisthümeru zustehenden Befugnisse, so z. B. dass der Bischof ohne des Königs Consens Die Güter sollen steuernichts vertauschen oder verkaufen darf). Zur frei sein und dem Bischof die Jurisdiction auf ihnen zustehen. Wohnung erhält der Bischof Häuser* in Wenden, Dorpat und Pernau. Das Capitel aber erhält in Wenden eine ganze Strasse (die nach Solikowski 24 Häuser« enthielt 5 ) angewiesen. Der Bischof wird vom König ernannt und erhält für drei Canonicate und deu Custos Das Patronatsrecht für das Decanat und das freie Collationsrecht. ein Canonicat schenkt der König seinem Kanzler Zamoiski mit dem Recht freier testamentarischer Verfügung für deu Fall, dass keine Für die übrigen Capitularen leiblichen Rrben vorhanden sind. Aus den Einkünften reservirt sich der König das Patronatsrecht. der Bisthumsgüter ist der Bischof verpflichtet, dem Propst, Decan, Archidiacon je 300 Gld., dem Cantor, Scholasticus und Custos je 200 Gld. p. W. alljährlich am Tage des Märtyrers Stephan auszu-

Schlössern

Demetr Sulikovii »Commcntarius brems

1

J.

s

Dogiel T. V, Nr. 186.

3

In der Urkunde

Wrangelmois,

Bergmann, 4

p.

cf.

steht

Archiv B.

I,

:

«

Wrangel,

Auflage

Moza

:

«Versuche

in d. livl.

samkeit, Stück I «von den Bischöfen in

Polonk.»

et

Rodenpoist,

Sulik. Br.

c&mm.

offenbar

tur

(Script, rer. Liv. IT, p. 483.)

Geschichtekunde und Rechtegelehr-

Wenden»

p.

5 und 6 übersetzt *domo$*

mit eherrschaftliche Häuser und Schlösser», was nicht richtig 5

p. 141.

Dionysius Fabridus (Editio

2, p. 279.

145) fügt noch Zarnikan hinzu.

(Jadebuseh in

rer.

ist

rer. Polonic. p. 142.

Dig

Die Gegenreformation

Von den Einkünften aus

zahlen. z.

589

in Livland.

geistlichen

Amts Verrichtungen,

gemäss den Vorschriften des

B. Begräbnissen, hat der Bischof,

canonischen Rechts, aliquote Theile an die Capitularen zu vergeben,

über den Rest kann er zum Nutzeu der Kirche

Die Rechte des Bischofs von Wenden

frei

verfügen.

im allgemeinen

sollen

dieselben sein, auf die jeder polnische Bischof Anspruch hat (also

Stimme im Senat), und

Sitz und

dem

Statthalter.

an und Tür

Zum

ßisthum

sich das

in erster Stelle nächst

er

stellt

Schluss verspricht der König, so reich auch

im Falle der Gewinnung

dotirt sei,

Estlands, noch mehr hinzuzufügen, und wird den Capitularen strenge

ausgenommen

Residenzpflicht vorgeschrieben,

die

zwei Präbenden

Zamoiskis, wenn ihre Inhaber legale Gründe für die Non-Residenz

und dem Bischof aufgetragen, sich in Wenden, Pernau, Dorpat und Fellin Vicare und Oificiale zu halten, die ihn in seiner Abwesenheit vertreten können, und Kirchen und Schulen in den genannten Städten zu fundiren. haben,

Es

Bathory das neue Bisthum

scheint, dass

angeboten hat, wenigstens

erzählt

dieser

selbst

dem Solikowski davon« und fügt

zur Antwort gegeben habe, er was Gott über ihn bestimme. Sein Ehrgeiz war eben darauf gerichtet, Erzbischof von Lemberg zu dass er auf diesen Antrag

hiuzu,

wolle damit zufrieden

sein,

Schon auf dem Decemberreichstag ging sein Wunsch

werden.

in

Erfüllung und verliess er daher Livland im Anfang des folgenden Jahres, «zur Betrübnis der Livländer»

Zum ersten Bischof von König den Gnesen),

reichen und glaubenstreuen

war

Laufe des Jahres 1583

ereilte,

Zu

hatte.

2.

so sagt er

Wenden

selbst. ernannte der

Abt von Trzemes (Erzdiöcese

Alexander Mielinski».

liche Confirmation und



Derselbe erhielt die päpst-

bereits consecrirt, als ihn der

Tod im

noch ehe er seine Diöcese betreten

seinem Nachfolger

wurde Patritius Nidecki

designirt».

Antonio Possevino und sein *Livoniae Commentar ins Gregorio XIII». Possevino hielt sich noch volle vier Jahre nach dem Frieden

von Kiwero wa Gorka 1

1

in

Polen auf, ununterbrochen thätig für die

SalikowBki, «Comment. bret. rer. Polonic* u.



R. Heidenstein, «Ä«r. Volonte.

fälschlich «Plievinscius»

Collegii» in

genannt

Jkc.

131 und 148. X//», p. 210, wo

p.

libri

er aber

Die «Annaich des Rigischen Jesuitcrzu Riga nennen ihn (p. 115), ebenfalls Durch Nr. 186 im T. V. von Dogiel wird bewiesen, da«s wird.

der RitterBchaftsbibliothek

unrichtig, «Milacky».

obige Lesart die

allein richtige

1582 oder an diesem Tage

ist

erfolgt

und dass

die

Ernennung vor dem

3.

Die

ist.

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590

Die Gegenreformation

iu Livland.

Interessen der katholischen Kirche und seines

an Einfluss

ttfglich

zuuehmenden Ordens, bis ihn der Ordensgeneral Claudias Aquaviva nach dem Tode Bathorys abberief'. Mit regster Theiluahme verfolgte er in dieser Zeit die Geschicke seiner Glaubens- und Ordens-

brüder iu Livland und war, so

ihm Gelegenheit

viel sich

bot, stets

Kaum

bemüht, ihre Bestrebungen bei König und Papst zu fördern.

war der Abt von Trzemes er ihn in einem Schreiben»

zitn Bischof von Livland

vom

ernannt, als

22. Dec. 1582 in väterlich salbungs-

vollem Tone ermahnte, die Exercitia spiritualia vorzunehmen, damit er sich in rechter Weise

für

schweres

sein

Amt

vorbereite.

Er

weist in diesem Mahnschreiben besonders darauf hin, wie schwierig

Wenden haben werde, da er in ein welchem vier Sprachen gesprochen würden und sich ausser einigen wenigen Jesuiten in Riga und einigen Alumnen der Societät Jesu keine anderen katholischen Geistlichen befänden, die der schwierigen Aufgabe gewachsen wären. Der General habe Mielinski es als Bischof von

Land komme,

in

ihm zwar 12 andere Patres nach Livland zu bringen aufgetragen, wären schon da, andere erwarte er noch; aber was habe

einige

das unter so vielen Völkern zu bedeuten? Er land ein

eigenes Seminar

Livländer

in

gründen

oder

möge daher

wenigstens

das Colleg zu Wilno schicken.

Er

für Liv-

Anzahl

eine

ihm

zählt

eine

ganze Reihe von Büchern auf, die er mitzunehmen habe, vorzüglich solche, in denen die Häresie gründlich

bekämpft werde; und dürfe

er seine Wirksamkeit nicht auf die Livländer beschränken, sondern

Dass dem Cardinal von Como die Sache des wendenschen Bisthums dringend ans Herz gelegt habe, war im Eingange des Briefes erwähnt worden. Am Schluss theilt er mit, dass er zur Zeit mit der Abfassung eines Commentars über

er habe sie auch auf die benachbarten Russen auszudehueu. er

auf Bitten

von Mielinskis Netten

Livlaud beschäftigt

sei,

den er noch auf seiner gegenwärtigen Reise

zu vollenden hoffe und ihm dann übersenden wolle,

vorausgesetzt,

dass ihm damit gedient wäre.

Dieser *Livoniac Commentarius Gregorio XIII» wurde jedoch erst

am

30.

März 1583 zu Bartfa»

die Rathschläge, ertheilt, für

Ungarn

vollendet.

Bieten auch

den mit den jesuitischen Praktiken im Gegen reformations-

1

Zediere Lexikon,

1

Possev. Liv. Comm., p.



in

welche Possevino darin dem Papste Gregor XIII.

p.

1778.

30— 34.

leb greife

Partita» von Posnevino genannt.

vorzüglichen Ausgabe des L. C.

'forte

mir das Wichtigst*' heraus.

Dr. C. E. Napieraky

nagt

in

seiner

Bartfa».

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Google

Die Gegen reformntion vertrauten Geschichtskenner

Zeitalter sie

doch einerseits einen Einblick

in

591

in Livland.

nichts Neues,

so

gewähren

und umfassenden

den Geist

Gesichtskreis des fesselnden Mannes und enthalten andererseits manche Thatsachen, von denen wir sonst keine Kenntnis besässen. Der Hauptzweck des M e m o i r e s ist darauf gerichtet, den Papst von der Bedeutsamkeit gegen reformatorischen Wirkens in den Baltenlanden zu überzeugen und dementsprechend zu energischer ßethätigung seiner Machtmittel zu bewegen. Ich gebe daher wenigstens den Inhalt des Theiles der Denkschrift wieder, der die Mittel und

Wege

zum gewünschten

bezeichnet, welche

Ziele führen.

Wiedergewinnung Livlands

Sei auch schon vieles bis jetzt zur

geschehen, so dürfe doch keineswegs nach

irgend

einer Seite

hin

Lässigkeit des Wirkens eintreten, wenn nicht alles wieder in Frage

von dem Lande abwenden

werden und Gott seine Gnade

gestellt

Hierbei empfiehlt der apostolische Vicar sich namentlich der

solle.

Bauern anzunehmen, von denen der cSame der alten Frömmigkeit fester als von den Adligen bewahrt worden wäre, die sich durch die



Wie leicht aber könnte nach Umschwung zu Ungunsten der Katholiken

Kirchengüter bereichert hätten.

dem Tode des Königs

ein

Tumulte

eintreten durch Einfall von Russland her oder auch durch

der Ketzer, die mit nichten

Augen haben, wo schnell zum Nachtheil

Beispiel Englands vor

Tode Marias,

so

geändert habe,

eben

weil es

Vorkehrungen

durch

Man möge

eingeschlafen seien.

passende

sich

auch

alles,

das

nach dem

des katholischen Glaubens

verabsäumt worden

sei,

Personen, Bücher &c.

rechtzeitige

zu

treffen.

Unbeugsamen Sinnes habe man weder Menschen noch Geldmittel Am zu sparen und keine Mühe zu scheuen, wenn es nöthig sei. besten freilich wäre es, wenn Se. Heiligkeit der Papst selbst hierherkäme und um des Glaubens willen selbst Blutvergiessen nicht scheute.

Da

das aber nicht geschehen könne, so möchte Se. Heilig-

keit wenigstens allen möglichen Eifer auf diese Provinz verwenden, cdie durch ein besonderes

seiner Sorge gehört »' die Stelle ich



«

zu Gott,




oder exclusive zu verstehen

in-

«Der Kanzler gab ihnen,»

sei.

Munde

zählt Lorenz Müller, «mit lachendem

König kein Mistrauen setzen

sollten in den

sondern

nicht allein dies dubium,

ganz gnädigst

wenden

ob

es würd' Se. Majestät

;

auch derer mehr hätten,

sie

sich

damit

flösste

ihnen

Die Livländer aber gaben

»

Das sarmatische Lächeln Zamoiskis

nicht zufrieden.

er-

gut' Vertröstung, sie

kein Vertrauen ein, sie erhoben vielmehr gegen diesen «Abscheid»

Protest

und

Hause.

Ein kleines Häuflein aber

zogen

nach und erwirkte

für

sich

Herzen»

betrübtem

grösstentheils «mit reiste

nach

dem Känig nach Krakau

theure «Schreibergebühren» und Ge-

schenke an Zamoiski und den Grosssecretär ßaranowski neue Be-

lehnungen mit Gütern,

welche sich jedoch

hernach als werthlose

«Sandhügel» herausstellten oder aber auch

schon

geben waren, vermuthlich durch die ersten commissionen,

die

ihre

Arbeit

im

an

andere ver-

polnischeu Revisions-

Maimonat 1582

nach

(gleich

des Königs Abreise aus Riga) begannen

und auf das Aaplateau beschränkten». Sie hätten, wie Lord Strafford zwei Menschenalter später, sagen können: «Verlasset Euch nicht auf Fürsten und Menschenkinder, denn bei ihnen

ist

Es begannen

kein Heil.*

die ersten livländischen Emigrationen: die Familie Ducker,

einige,

wie

zu Schweden nach Estland, wo sie bald von Johann III. mit Gütern versehen wurden, «uugeachtet sie nicht demselben, sondern zogen

in die Niederlande»,

audere gingen

den

den Polen gedienet»*. '

Ausgabe 1

cf.

v. cf.

theilungcn, p.

L. Müller, S. H.

\i.

4t

44 und (Miytraens

R. Hausmanns «Archivstudien zur p.

116

u.

117.



livl.

Dr. Th. Schicmann

113 giebt an, da«« die eben erwähnten Bittsteller

Das

ist ein

von 1593

p.

715

(in

der

1597, Th. II. p. 428). (ieseh.» in

im XII. B. der Mit

«Histor. D. u. arch

dem König ans Riga

St,

folgten.

Trrthnm.

'

Nyenstaedt« Livl. Chr. {Monum. Liv. ant. B.

4

L. Müllers Sept. H.

Uexküll und Dönhoff

als

p.

46,

nach

Emigranten.

ihm

Hiärn.

II, p. 87).

Müller nennt auch

die

Die Gegenreformation

Als nun

in

Livland.

(303

bedeutsame Landtag zusammengetreten war, da

«1er

gab der Statthalter Georg Radziwill den versammelten Ständen die

Erklärung

er

ab',

Majestät berufen,

Landtag auf Befehl

habe diesen

um

ihnen

sich mit

Sr. Königl-

über verschiedene Dinge zu

berathen.

Wie

Warschau König den Livländern freie Ausübung der augsburgischen Confession zugestanden, wogegen er, wenn er auch nicht er aus der ihm übersandten «Capitulation> von

ersehe, habe der

im

Stande

diese

sei,

königliche

protestiren müsse.

Im Namen

umzuändern,

Erlaubnis

Amtes und Gewissens» wegen

«Standes,

seines

auf einen Reichstag

bis

der Kgl. Maj. habe er den Ständen

mitzutheilen, dass die Verlehnungen und Schenkungen des Administrators Johannes Chodkiewicz

von Stephan Bathary

nicht

aner-

wenn sie nicht vom König Sigismund II. August bestätigt seien. Dagegen wolle die Kgl. Maj. alle auf die Herrmeister und Erzbischöfe zurückgehenden Besitztitel «bis auf werden

kannt

würden,

Mar kgraf Wilhelm^,

jedoch

«exclusive»,

Ferner wünsche die Kgl. Maj., dass der

Allel der

zahl der festen Schlösser iu Livland schleifen lasse,

müsse, wie nachtheilig diese Burgen im Kriege

gewesen

seien,

indem sich der Feind

ihrer

hierdurch die Wiedergewinnung des Landes

gelten lassen.

Provinz die Mehr-

da er wissen

gegen die Russen

bald

bemächtigt

und

sehr erschwert hätte.

Der König gedenke mit einigen Schlössern selbst den Anfang zu Im Ausgang seiner Rede brachte er des Königs Absicht, vor, zur Prüfung der Besitztitel der gegenwärtigen Gutsbesitzer des Landes Revisionscommissiouen zu ernennen. machen.

Bis auf diesen letzten Punkt, dem

man

die Billigkeit nicht

versagen kann, sind diese königlichen Forderungen von Anfang bis zu Eade Vergewaltigungen gleicht sie mit

der

Man

allerschlimmsteu Art

Fug und Recht mit den schwedischen

ver-

Reductionen.

Schon die Erklärung Radziwills, dass er gegen die vom König gewährte Freiheit der augsburgischen Confession Protest, erheben

Verhöhnung der Rechte des Landes. Da wenn mit dem Bescheid, dass die Güter Verleihungen des letzten Erzbischofs und des Statthalters Chodkiewicz null und nichtig sein sollten, vielleicht mehr müsse,

war

ist

eine schreiende

es denn kein grosser Schritt mehr,

als die

Hälfte des livländischen Adels von der Liste der Besitzer

gestrichen wurde; denn in der laugen Reihe schwerer Kriegsjahre 1

leb

folge

dem L Müller

in «einen Sept. Hist.., p.

bat «ich in seiner Reproduktion nur

45— 49

u.

ff.

Hiiim

ganz geringfügige Armierungen erlaubt.

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Die Gegenreformation

G04

in

Livland.

hatten die meisten ihre Briefladen eingebüsst, ihre herrmeisterlichen

und erzbischöflichen Lehnbriefe verloren.

Unser Gewährsmann berichtet uns

w

königlichen Weisungen angehört,

e

i

nicht,

wie



sie

die

Stände die

geschwiegen haben.

Eine rechte Herzenserquickung aber bereitet uns heute, nach

mehr sie

Form

der

Sie ist zu bekannt,

Man

Wiedergabe nöthig erschiene. Hier

sei

im Fall

dass

sie

aber im wissen

Reichstag verschoben

einen

eine eingehende

im Otto Müller!

der Documente

des Verlorengegangenseins

auf

dass

die

von Rechts-

mit

der vorzu-

für einverstanden erklären, vorausgesetzt, dass

Zeugen Beweiskraft habe;

alles

als

lese sie

sich die Stände

nur bemerkt, dass

nehmenden Revision drei

aber durchdrungen

einer Petition,

gefühl, einbringen.

Antwort,

die Leetüre ihrer schriftlichen

300 Jahren,

als

in

von

der Eid

übrigen wieder

wollen.

Einen

Abschnitt der ständischen Entgegnungen müssen wir aber wörtlich in unseren

Text aufnehmen, weil

er,

die

Antwort auf den Radziwill-

schen Protest, einen unumstösslichen Beweis dafür abgiebt, dass der

lutherisch« Glaube

damals das ausschliessliche Bekenntnis

war und dass der livländische Adel vor 300 Jahren, auch gegen die Begründung eines Bisthums in Wenden

aller Livländer

mochte er

nicht mit voller Entschiedenheit aufgetreten sein, in

ihm

die Pfahl-

Der

wurzel seiner menschlichen und politischen Existenz erblickte. Abschnitt

leitet

cDass

das Antwortschreiben ein und lautet»

die königl. Majestät sich

die Augsburgisehe Confession

und zu schützen, nähmen

sie

:

nochmals gnädigst erklärteu,

der Proviuz Livland

in

zuzulassen

mit unterthänigste(r) Danksagung an

und zweifelten auch nicht, Gott der Allmächtige würde

dem

König desto mehr segnen.

der Herr

Cardinal wollte seinen Eifer,

Aber dagegen bäten den

darwider geschöpft, gnädig fallen

Gnaden nur Ihrer Königl. Maj. und

derselben

kein

in

er

sie,

(sie)

angezogenen Amtes halben

lassen.

Sintemal Se. Fürstliche

denselben Landen Locumtcntns

Erbherr noc(h)

Patronus Eccksiarum

wäre.

Da doch

die augsb. Conlessionhiebevor bei ihrer Erbherren und bei der Herr - Meister Zeit über Menschengedenken derer Örter bei Jung und Alt

dermassen, Gott Lob, eingepflanzt und eingewurzelt, dass niemand von einer anderen Religion oder Bekenntnis wüsste.» '

L. Müller,

p.

47

u.

48.

Digitizec

Die Gegenreformation

Der Statthalter versuchte

606

in Livland.

Einwendungen

die

der Stände zu

widerlegen, konnte aber dagegen nichts vorbringen, dass diese schrift-

Antwoit durch Boten werden sollte. Bald nach Schluss commissionen

Livländer dem König

der

liche

Landtages

des

begannen

in allen drei Präsidiaten ihre

Die

fort.

Leitung

oberste

hatte

die Revisions-

Arbeit und setzten

Rechtsbruch an Rechtsbruch knüpfend, auch weiter

übersandt

iu

sie,

den nächsten Jahren

der

Starost

Stanislaus

und seine Gehilfen waren der königliche Fiscal Bal-

Pekoslawski,

thasar Schnell und der Secretär Georg Radziwills, jener bekannte

Humanist Daniel Hermann aus Danzig, der in Riga seine zweite Heimat fand und nachdem er, des Staatsdienstes überdrüssig, seinen Abschied genommen hatte, ganz seinen dichterischen Neigungen 1

nachging,

«um Gottes

der König

möge doch

willen sein Fürhaben mit Cassirung ihrer alten Brief(e)

und Siegel(n) einstellen und ihr väterlich

Erbe

bewegen;

in

Ungeachtet der Verwendung mehrerer jedoch Bathory

sich

Revisionscommissioneu

die

wiederum

die arme(n) Verjagte(n)

restitu>ren>.

evangelischen Fürsten Hess giebigkeit

der Stände,

Eine Gesandt-

den König in Wilno

im Jahre 1584

Namen

auf und pctitionirte im



unter Unglücklichen.

ein Glücklicher

schaft der Livländer suchte

zu keiner Nachverrichteten

ihr

Todtengräberwerk unverdrossen weiter 1 Wie konnte man auch von einem König, dessen energische Natur auf den einmal einge.

schlagenen Pfaden unbeirrt weiter zu schreiten pflegte, eine

erwarten?

Die

an

erlassene Instruction machte es diesem zur Hauptaufgabe,

katholische Kirchen zu gründen

Leuten auszustatten»-; da Erfolges

sich

Umkehr

obersten Revisionscommissar Pekoslawski

den

und

sie

fällt es nicht

der livländische Adel


in genügender Zahl vorhanden, noch vermochten die vorhandenen, des relativ hohen Schulgeldes wegen, eine genügend grosse Anzahl Schüler heranzuziehen ja nicht einmal

solche

;

in allen jenen sog. Mittelschulen entsprach der Lehrplan ihrer eigent-

lichen

Zweckbestimmung, indem

die meisten unter ihnen

mehr den

Charakter von Vorbereitungsklassen fürs Gymnasium an sich trugen. Dies waren u. a. die hauptsächlichsten Ergebnisse der Enquete

vom Jahre

1883, Ergebnisse,

die einst

dem verdienten

Statistiker

so viel unverdiente Misgunst eintrugen.

Doch genug des

Tadels.

Die Zeiten, auf welche

sich

der-

Gegenwart für Irrthümer und Fehler der Vergangenheit verantwortlich machen? selbe

bezieht, sind

vorüber,

und wer

wollte

die

42*

>*

I

i'*'-

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Rigas Schulwesen im Jahre 1888.

614

Sehen wir von der Vergangenheit ab und Blick auf die

Gegenwart. Man

hört

werfen wir einen

nicht

selten

den Vor-

nachdem der Mangel an städtischen Elementarschulen erkannt worden, zu wenig solcher Schulen. Die Frage, ob zu wenig oder genügend städtische Elementarschulen vorhanden, kann m. E. doch nur darnach beantwortet werden, ob die Frequenz wurf,

gäbe,

es

der vorhandenen städtischen Schulen wächst, ob eine Ueberfüllung derselben einzutreten droht oder nicht.

liegenden Materials wurden

Auf Grund

des

uns vor-

städtischen Elementarschulen be-

die

sucht von

Anfang 1888 Ende 1888 Hier sehen wir die

;

692

1514

769 Frequenz

zusammen 2273 2283.



Mädchen

bei den

die

sind aber gegenwärtig noch lange nicht

Frequenz der Knabenelementarschulen dagegen

keineswegs, sondern

Es

Mädchen

1581

ein Steigen der

Mädchenelementarschulen tiberfüllt

Knaben

steigt

fällt.

ja selbstverständlich, dass, wollte die Stadt Riga ihre

ist

der Zudrang ein

Schulen in vollständige Freischulen verwandeln,

enormer werden würde.

Einen solchen Idealzustand

im Einste niemand verlangen.

Auch

ist

wird jedoch

das Schulgeld

in

den

rigaer Elementarschulen keineswegs ausnehmend hoch, und ist zu-

dem

die

Zahl der

sei

es totalen oder partiellen Freischüler daselbst

eine keineswegs geringe.

Weit grösser

als

nach öffentlichen Elementarschulen

scheint

uns im Augenblicke das Bedürfnis nach Privatelementarschulen zu Seit 1883 sind allein dreizehn private Elementarschulen in Riga entstanden, und wie gross der Zudrang zu ihnen ist, ersieht

sein.

man

daraus,

dass

1.

bereits

neuen Privat467 Kinder, am 531 Kinder betrug.

scheint uns daher die

Gründung weiterer

Schülerbestand

der

am Anfang

elementarschulen

Januar des folgenden Jahres dagegen

Der gegenwärtige Moment öffentlicher

13

wo doch dem Bedürfnisse mit Erfolg Rechnung trägt.

Elementarschulen

Privatinitiative

dieser

des Jahres 1888:

nicht

zu

erheischen,

Ein seltsames Zeichen der Verhältnisse

ist es,

die

dass die Frequenz

der öffentlichen Elementarschulen sich nahezu gleich bleibt, während ein Steigen der

Frequenz bei privaten Lehranstalten zu Tage tritt, das Schulgeld geringer sein kann, als in

wo doch unmöglich

den öffentlichen Schulen.

Uud

sonst?

Wie

steht es

mit jenen Lehranstalten, welche,

615

Rigas Schulwesen im Jahre 1888. zwischen Elementarschule und Gymnasium stehend, f

Gymnasium»? Ganz wie

Wie

haben?

bezeichnet

Mittelschulen»

Was

wir

dem

mit

«

oben

als

Drang zum

Mädchenschulen an1883 Überhaupt nicht eingetreten; indessen unter den Knabenschulen (II. Ordnung) gewahren wir allerdings eine ganze Reihe von Neugründungen so

langt,

seit

zuvor.

1883 sind solcher Schulen allein

kaum

eine, die

dem Charakter

genannt) entspräche weiterter

;

anstalten fürs

Gymnasium.

theils fünf klassige, theils

6,

allen giebt es

einer Kreisschule (jetzt Stadtschule

tragen

alle

sie

Elementarschulen

seit

Aber unter ihnen

Leben getreten.

dreiklassige, ins

die

die emittieren»

wesentliche Veränderungen

sind

oder

entweder das Gepräge

von

dasjenige

Noch heute

er-

Vorbereitungs-

Mängel vorhanden,

sind die

vor fünf Jahren Jung-Stilling nachgewiesen und beklagt

Wer

Der «Drang nach oben» besteht nach wie vor. sich mit einer, wenn auch nicht weitgehenden,

hat.

denkt daran,

so doch

dem Lehr-

plane nach abgerundeten Bildung zu begnügen? Die Vergünstigung,

welche die Wehrpflichtgesetzgebung demjenigen der ein

Gymnasium oder gar

die

Palme,

die

Losung auch

der Jüngling

die

in

eine Hochschule

zu

für die Eltern,

Aussicht

stellt,

absolvirt hat, ist

erhaschen

sucht.

welche sich

aber

«Hinauf»

ist

nur selten ge-

nügende Rechenschaft darüber geben, weder ob die Begabung ihres Kindes, noch ob die Mittel zu seiner Ausbildung ausreichen werden, ans hohe Ziel zu gelangen.

Hat

nicht auch die Regierung,

ausgehend, vor 2 Jahren

sprechende Verordnungen doch will

es,

anschaulichen rigaer.

wie

uns

diesen in

Schranken

scheint,

analogen Anschauungen

von

«Drang nicht

nach zu

oben» durch

halten

Wir

anders werden.

zum Belege nachstehend den Schülerabgang aus den Im Laufe von 1888 verliesseu: nach Absolvirung

des Cursus

des Cursus

Gouv.-Gymnasium

98

26

«

Alex.-

66

.16




dem

gedulden

Jahrhunderte thun!). Verf.,

Bd. XII, Col. 68

ob



obige

Deutung

(er musste

«Doch darin» richtig

heisst «vereflncn» uo viel

Ist

In

wie «zu

Schanden machen».

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670

Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.

— schliesst Clodt



seinen Brief

«steht alles in Gottes

auch mitten im Tode erretten

die Seinen

kann,

der

Hand, der

auch allein

Tyrannen Hochmuth stürzen kann > Wieder kommen wir zu einem Zeitabschnitte in Clodts Leben, von dem wir, was seine politische Wirksamkeit betrifft, wenig wissen. Die Chronisten Salomon Henning» und Arndt 5 melden uns, dass Clodt im Jahre 1568 nach Stockholm gereist sei, um dem Könige Johann III. zu seiner Thronbesteigung zu gratuliren. Dass er diese Mission im Namen des Königs von Polen übernommen und ausgeführt hät, bemerkt Henning ausdrücklich. Wenn aber Arndt hinzufügt, Clodt sei bis in den Sommer 15 7 0 dort geblieben, so haben wir dem keinen Glauben zu schenken. Denn war Clodt, wie wir schon gesehen haben, bei den Schweden unbeliebt, ja seinerzeit geradezu verhasst, so lässt sich, wenn ihm auch als Realler

präsentanten eines mächtigen Herrschers in der schwedischen Hauptstadt keinerlei Gefahr

doch

drohte,

seinen Aufenthalt in Stockholm tion hinaus unnöthig auf

zusehen,

wie

wichtigsten

Lebensaufgaben

Friedens,

Dieser Abschluss

ihm

Jahr verlängert, noch ist es einkönnen, da ihn eine seiner

ein

sein

der

,

annehmen, Clodt habe

Abschluss

des

Stettiner

wieder nach Hause rufen musste. ist

Action Clodts gewesen. satz, der

etwa

das habe möglich

nicht

über die kurze Zeit der Gratula-

seit

die

letzte bedeutende staatsmannische

Sie besiegelte seinen politischen Glaubens-

Untergang des Ordens

stets

vorgeschwebt hatte,

und DäneHansa die beste Gewähr gegen das VorDer Stettiner Friede vom 13. December

dass in einer Tripelalliance zwischen Polen, Schweden

mark mit Einschluss

der

dringen Russlands liege.

1570 beendigte bekanntlich den sog. «gothischen» Krieg zwischen Schweden, Dänemark und der Hansa. In Livlands Geschicke griff er dadurch ein, dass er die Ansprüche Dänemarks resp. des Herzogs Magnus auf Oesel, die Wiek und Reval regelte. Das heilige römische Reich spielte dabei mittlers,

die

etwas klägliche Rolle eines Ver-

der alles aufgiebt und nur den Schein zu wahren sucht.

Dieser Schein sollte in einem schattenhaften Vorbehalte des domi-

nium directum an den vom Reiche losgelösten Laudestheilen seinen Ausdruck finden. Polen war als üferstaat an der Ostsee und Frankreich

nur

als schifffahrende

Nation

dabei

interessirt.

Der

Vertrag selbst in der Ratificationsform, die er einerseits zwischen Schweden und der Hansa am 16. Januar und 24. Februar 1571 in 1

Salomon Uemriug,

a. a.

O. S. 255.



»

Arndt,

a. a.

0. S. 212 Anmerk. k.

Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.

671

Lübeck, andererseits zwischen Dänemark und Schweden gefunden, abgedruckt worden so bei Rydberg, Marquard und

ist wiederholt

im Archiv

;

für

Geschichte Liv-, Est- und

die

Clodt

Kurlands«.

war, wie aus dem Abdrucke in Marquard hervorgeht, neben Johannes Demetrius Solikowski als Rath und Stephan Letz als zweiter

Commissar des Königs von Polen.

Secretär,

Friedensvertrag mit unterschrieben

Dass er den

erfahren wir,

hat,

bez.

schon

wie

oben erwähnt, aus Arndt. So umständlich auch das Verhalten der dänischen, schwedischen und lübischen Vertreter bei den Friedensverhandlungen in den Verträgen selbst angegeben ist, so wenig ergeben

wie sich die polnischen Commissare, unter ihnen also

sie,

Clodt, zu den einzelnen Fragen verhalten haben.

Vielleicht findet

sich in polnischen Archiven etwas Genaueres darüber.

Auch

bei diesen Friedensverhandlungen gedachte Clodt seiner

Dafür spricht das letzte Schreiben an den revaler Rath, das uns im hiesigen Stadtarchive von seiner Hand aufbewahrt wird. Es ist vom 2 9. M ä r z 1571 aus Jürgensburg datirt. Er beglückwünscht im Eingange desselben den Rath zu der heldenmütliigen Verteidigung Revals gegen die Russen (erste Belagerung von 1570 und 1571) So habe Gott, fügt er hinzu, auch Jerusalem errettet. Er bittet, der Rath möchte dafür Sorge tragen, dass der Jugend diese mannhafte That zum ßewnsstsein gebracht und das Andenken an sie für alle Zeit gewahrt werde. Ferner benachrichtigt er den Rath davon, wie er bei den stettiner Verhandlungen es erreicht habe, dass die Narvafahrt für die Zukuuft aufhöre. Doch wolle er bei der am 2 4. a i in Rostock stattfindenden Zusammenkunft mit Vertretern der Hansa diese AngelegenVaterstadt und ihrer Interessen.

M

heit

noch

weiter

besprechen.

polnischen Gesandten

mit

Zu Johannis

Baptistae sollten die

auch

zusammentreffen;

den dänischen

Er getröstet sich dessen, dass durch alle diese Schritte und Bemühungen Revals Handel und Schifffahrt wesentlich aufgeholfeu werden würde sonst würde aus dem Rosengarten ein Trauerberg. Auch der Befestigungen Revals gedenkt er; man möge doch die grosse Strandpforte und

dann werde er

die Narvafahrt zur

Sprache bringen.

;

das Rundel bei derselben wieder in tüchtigen baulichen Stand setzen

dann

sei der

so leicht aus '

Ort und Hafen bewahrt. Das Material dazu dem Kalkofen beim Steinberge zu holen.

Rydberg, Sverges Tractater, Bd. 4 S. 380

torum, S. 263 Kurland».

ff.

Georg

v.

Brevem, Archiv für

ff.

die

sei

doch

Marquard, De jure mercaGeschichte Liv-, Est und

Bd. VII, S. 272-287.

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672

Jost Clodt als Staatsmaun und Diplomat.

Das letzte Schreiben Clodts an den revaler Rath ist aus Riga vom 6. Juni 1571 datirt. In diesem kündigt er die Ankunft des cachtbareu, hochgelehrten und ehrenfesten > Dr. Jona Offenburger in Reval an. Der sei von der kaiserlichen römischen Maj. aus t väterlicher 8orge> als Vorbote einer grösseren Gesandt1

Man möge

schaft zunächst nach Polen geschickt worden.

doch iu

Reval für ein gutes «LosemenU für den gelehrten Herrn sorgen. Man würde es nicht zu bedauern haben, da auch er, Offenburger, später

wo

nach Rostock zu geheu beabsichtige, stützung

den Verhandlungen

bei

seine Unter-

Clodt,

er,

den Vertretern

mit

der

Hansa

uöthig haben werde.

ßald darauf endigte Clodts staatsmännische und diplomatische

Er

Wirksamkeit mit seinem Leben.

Arndt

im Jahre

berichtet,

kennen wir.

den Todestag

5 7

1

Da

wie uns der Chronist

starb,

Weder das Geburtsjahr noch

2.

aber

er

im Jahre 1558 als Ver-

Revals an dem Wolmaer Landtage theilnahm und,

treter

aus einem dem revaler Stadtarchive

wie wir

angehörigeu Briefe eines Dr.

Johannes Funck ersehen, im Jahre 1552 Syndicus war, so anzunehmen, dass

er,

damals ein Dreissiger,

durchschnittliche Mittagshöhe

Tod

in

Riga und

geworden

alt

ist

ist

Tode

wol die

Menschenlebens überschritten

eines

und etwa mehr als fünfzig Jahre erfolgte sein

bei seinem

er auch

Nach Arndt

ist.

in dortiger

Domkirche

begraben worden.

Ein Grab- oder Gedenkstein, der uns Kuude von seiner letzten Ruhestätte geben könnte,



daher vorläufig

d. h.

existirt

nicht

Gegenteiliges nicht erwiesen

ist

Setzen

mehr».

wir ihm

Forschungen etwas

so lange durch neuere

— einen solchen mit der einfachen

Inschrift:

«Er war ein deutscher Mann!» 1

den

Russow

(in

Juni 1571

14. 1

Wie

wir

Pabbts Ausgabe S. 181) nonut ihn Offenbürger und bezeichnet als

den Tag seiner Ankuut't

einer

uns

Jost Clodt, der

am

4.

iu

von dem Herrn C.

Theil gewordenen Mittheilung entnehmen,

September 1621

als

ist

Reval. v.

Löwin of Menar gütigst zu gleichnamigen

ein Leichensteiu des

schwedischer Oberst vor Riga gefalleu,

aus der rigaer Domkirche nach Jürgeusburg gebnvht worden, wo er sich augenEine weitere i'reuudliche Mittheiluug des Herrn livläudiblicklich befindet.



schen

Ritterschaftssecretars

Baron liruiningk bezeichnet

Kirchenbücher der rigaschen Domkirchc, beine

des

seines

worden

in

dieser

gleichnamigen sind.

begrabenen Jost Enkels nach

als

Clodt

es

,

auf Grund

der

höchst wahrscheinlich, dass die (Je

zugleich

Jürgensburg

mit

gebracht

dem Leichensteine und dort begraben

Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.

Das auf

S.

673

640 erwähnte Gedicht lautet Epicedion.

Livoniam patriam vastae dum barbarus Moschus et hic regni sollicitamus spem, Cum soeiis funetum leyati munere rebus

Jam

benc confectis

Officium

Cum

meum

me

hostis

fera Parca rapit.

prosit tibi patria,

patre grandaevo tu

mea

Conjux

casta vale

Et tibi sint curae socialis pignora lecti! Dormio de Tiesenhaus hic Fabianus ego. Dazu die in der betr. Quelle befindliche freie Uebersetzung: Der unmilde Reusse mein Vaterland Verheert mit Nahm», Raub und Brand. Dasselbe zu retten schickt

Und meine

man mich

Gesellen an dieses Reich.

Da

wir verrichtet, was uns geziemt, Nach Gottes Willeu der Tod mich nimmt,

Gott gebe, dass dieser erhaltene Schutz

Meinem Vaterlande gerathe zu Nutz. Mein frommes Weib und Vater alt, Der liebe Gott euch aus Gnade erhalt. Meine nachgelassenen Kindlein klein Lass ich euch zum Resten befohlen

Von Tiesenhausen

ich

seiu.

Fabian

Schlaf hier und werde wiederum aufstan.

Vorstehendes «Leichenlied» (Epicedion) hat

in seiner

einzigen

Aufzeichnung iu dem Conceptprotokolle des revaler Raths der Jahre 1558 und 1559 die Ueberschrift: Es redet Fabian v. Tiesenhausen der Jüngere, estländisclier Edelmann, gestorben

und

iu

Kopenhagen Anno 1558 den

5.

September,

die Unterschrift

Septembris horam inter quintam

Obiit

Der jüngere

et

sextam.

hiess unser Tiesenhausen, weil sein Vater, welcher

1557 Ritterschaftshauptmann war und mit seinem Sohn

Vornamen

hatte,

noch

am Leben

Ueber die Entstehung

des

steigen billig einige Zweifel auf.

1

«Nahm»

weil gleich

denselben

war, sein Sohn starb. Gedichts

Wann

und

ist es

seinen Verfasser verfasst

und wer

«Diebstahl, vou «nehmen».

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Jost Clodt als Staatsmami und Diplomat.

674 ist

der Verfasser?

und

wie

es

ist

revalschen Raths gekommen, muss nicht Abgesandter der Stadt, ist

ja

kaum anzunehmen,

gerade

man

in

das Protokoll des

sich fragen,

sondern

da Tiesenhausen

der Ritterschaft

Es

war.

dass Tiesenhausen im Vorgefühl seines

herannahenden Todes sich selbst ein Leichenlied gesungen habe. Auch spricht die am Schlüsse angegebene Todesstunde für einen

Da

anderen Verfasser.

möchte die Vermuthuug Pabsts

auf einem Blättchen mit ßleistift

notirt,

handschriftlichen Aufzeichnungen Pabsts

schen Ritterschaft

befindet



es



sie steht

das sich mitsammt anderen

im Besitze

habe sich

der estlandi-

Freund des in dessen Gedanken und ein

Kopenhagen Verstorbenen und Begrabenen in Stimmung kurz vor seinem Tode versetzt und aus ihnen heraus den Grabgesang angestimmt, wol viel für sich haben. Ja, diese Vermuthung erhebt sich fast zur Höhe der Gewissheit, wenn man die Thatsache,

dass

das

Gedicht

sich

in

einem Rathsprotokolle

dem Umstände in Verbindung bringt, dass niemand anders der drei nach Dänemark Abgesandten, nachdem auch Wettberg gestorben, Tiesenhausen so nahe gestanden haben kann wie Clodt. Der lateinischen Sprache auch in ihrer poetischen Bevorfindet mit

handlung mächtig, lag es ihm als Rathsbeamten nicht Concept des

Protokolls

zur

Aufzeichnung

des

fern,

das

zu

cEpicedion>

benutzen.

W. Greiffeubage

n.

DiqitizeC

-

V.

.

.

.

.

p

.

Ufr**'

v

»

*

7>

tu

Johannes Janssen über die Reformation.

schwankt

verwirrt,



Von

Wort:

£as Schillersche

Hass und Gunst

der Parteien

sein Charakterbild in der Geschichte

wird bis zu einem gewissen Grade auf die ßeurtheilung jeder

grossen Persönlichkeit anzuwenden sein, die entscheidend, anregend,

umgestaltend

auch nur

oder

zerstörend

in

den Gang der Welt-

Je gewaltiger sie gewirkt hat, um so werden Liebe und Hass, Verehrung und Verachtung be-

geschichte eingegriffen hat. eifriger

müht

sein,

das Bild dieser Persönlichkeit in ihrem Sinne geschicht-

lich festzulegen.

Urtheil

zu sein.

eine grössere

Am

wenigsten objectiv pflegt das zeitgenössische

Erst

Menge

späteren Zeit gelingt

einer

es,

nachdem

authentischen Materials der wissenschaftlichen

Verwerthung zugänglich gemacht worden und die persönliche Theilnahme dem Bedürfnis nach Erforschung der reinen Wahrheit Platz gemacht hat, die Personen und Ereignisse der Vergangenheit in annähernd richtigem Lichte zu sehen. So ist es der geschichtlichen Forschung gelungen, über eine ganze Reihe bedeutsamer Männer der

Vergangenheit

zu

schliessenden Urtheil zu

Alexander der Friedrich II. sind

einem

Grosse,

Karl

schaft

der

Grosse

solche Persönlichkeiten,

Wirksamkeit und Bedeutung im der gebildeten

menschlichem

nach

Welt

Ermessen ab-

kommen.

existirt.

Man

,

Ludwig XIV.,

über deren Charakter,

wesentlichen nur ein Urtheil in

erkennt

und die durch diese erzeugte

leicht,

öffentliche

dass die Wissen-

Meinung da am

ehesten zu einstimmiger Beurtheilung gelangen werden,

um Fragen

handelt,

wo

es sich

welche für das praktische Leben der Gegen-

>y

Google

676

Johannes Janssen über die Reformation.

wart nicht mehr von so acutem Interesse giltige

Lösung

sind,

oder die ihre

Wo dagegen

bereits gefunden haben.

früherer Ereignisse noch unmittelbar in der

end-

Wirkungen

die

Gegenwart empfunden

werden, da sind auch heute noch die Meinungen schärfer gespalten, da werden unwillkürlich die lebhaften und sich bekämpfenden Ueber-

Zeugungen der gegenwärtigen Generation zum Massstabe Beurtheilung der Vergangenheit.

— Auf keinem Gebiet

für

die

des mensch-

Lebens wird das deutlicher zu Tage treten als auf dem ewig doch jedem Menschenkiude ewig neuen der Religion. Eben so wenig wie religiöse Meinungsverschiedenheiten je aus der Welt schwinden werden, eben so wenig wird sich die Welt je zu lichen

alten und

einem

gleichlautenden,

unumstösslichen Urtheil

Auspräguug der

die Männer

über

und Ereignisse verständigen können, welche für die

geschichtliche

religiösen Ideen im Gemeinschaftsleben der Menschen

von massgebendem Einflüsse gewesen

sind.

Die gewaltigsten Persönlichkeiten der Religionsgeschichte

von Christus selbst abgesehen,

Da

Luther.

zurückgeht,

ganzes Christenthum

unser so

werden die Differenzen

sind,

Paulus

und Martin auf Pauli Wirksamkeit

der Apostel

der Beurtheilung

in

des

Apostels innerhalb der christgläubigen Menschheit verhältnismässig

nur geringe sind

hier

und

Christliche

sein.

unchristliche Weltanschauung

die entgegengesetzten Pole

über Luther

:

ist

aber

die

katholische Christenheit selber in getrennte Confessionen aus einander

gegangen.

halb

Hier finden wir die gegensätzliche Beurtheilung inner-

Dass

der christlichen Weltanschauung.

die Reformations-

geschichte in katholischer Darstellung sich ganz anders ausnimmt, als wie wir sie kennen, ist ja wol selbstverständlich

wir uns nicht wundern

dürfen,

;

ebenso werden

wenn Luther den Katholiken

als

ein ruchloser Frevler erscheint, der die göttlich geordnete Einheit

der Kirche zerrissen und ihrer Autorität

legung der Bibel habe.

in

seine

menschliche Aus-

vermessener Selbstüberhebung entgegengesetzt

Trotzdem können wir von Luther getrost sagen,

Charakterbild in der

was von

Geschichte

feiudlicher Seite über ihn geschrieben

Geschichte, sondern

worden

das

Denn

nicht schwankt.

ist,

sein

das,

ist keine

aus Unwissenheit, Verblendung oder Bosheit

entsprungene Entstellung, beziehungsweise Fälschung ganz evidenter

Thatsachen und Verhältnisse. aller

Herzen

lebt,

Dass der Luther,

der geschichtlich wahre

ist,

wie

er in unser

daran können

wir

ruhig festhalten, ohne uns den Vorwurf einseitiger Parteigesinnung

machen zu müssen.

Denn, wenigstens

in

Deutschland,

hat es

nie

677

Johannes Janssen über die Reformation.

eine andere als eine auf protestantischem Boden erwachsene Wissen-

nur eine protestantische Geschichtswissenschaft, Was von Katholiken

schaft, also auch

Namen

die diesen

wirklich verdient, gegeben.

auf geschichtlichem Gebiete Achtungswerthes geleistet worden ist, rauss doch immer ein Kind protestantischen Geistes genannt werden, der

der Reformation auch auf die katholische Welt befruchtend

seit

gewirkt

Es

hat.

liegt

sie eine vorurteilslose,

Wer

an

die

verlassen.

Katholicismus

Luthers

ßeurtheilung

Schlechtigkeit seines bereits

im Wesen der

dass

katholischen Kirche,

unbefangene Forschung nicht gestatten kaun.

Thuns

Dieser

gegenüber

einem

mit

Zweifel

an

herantritt, hat den katholischen

der

Boden

scholastischen Wissenschaftlichkeit des

wir

haben

also

das

volle

Resultate der protestantischen Geschichtsforschung

gebenden für unsere Auffassung

in

Recht,

als

die

Anspruch zu nehmen.

die

mass-

Wissen-

Kenutnisnahme des gegnerischen Standpunktes von keinem grossen Werthe. Dagegen hat es für uns doch ein eigentümliches, ich möchte sagen praktisches Interesse,

schaftlich

ist

daher

die

zu wissen, wie sich die ärgsten Feinde der Reformation diese und ihren Urheber vorstellen.

Denn der

literarische

Kampf gegen

die

geschichtliehe Person Luthers ist nur eine Seite des heute mit er-

neuerter Heftigkeit wieder ausbrechenden Kampfes zwischen Katholicismus und Protestantismus.

Auf

die Person Luthers ist seit seinem Auftreten aller Schmutz Verleumdung und Lüge gehäuft worden, die der leidenschaftliche Hass seiner Gegner nur immer zu ersinnen vermocht

und

alle

haben.

Was

früher auf diesem Gebiete geleistet worden, soll jedoch

hier nicht weiter berührt werden. sich lediglich mit

auch

bedeutendsten

geschichte.

Die folgenden Zeilen beschäftigen

dem jüngsten und darum

für unsere Generation

Werk über die ReformationsWerk von Johannes Janssen:

ultramontanen

Es handelt

sich

um

das

Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgange des Mittelalters. Eine Besprechung dieses Buches kommt im Jahre 1889 etwas

spät,

und

vielleicht dürfte der

stand bis zu einem gewissen Grade antiquirt es bereits einige

Jahre her

rische

Fehde

sache

gegenüber,

in

zu nennen

Gegen-

sein,

da

sind, dass derselbe eine erbitterte litera-

Deutschland hervorrief. dass Janssens Buch

Dem in

aber steht die That-

weiten Kreisen unserer

Heimat nur vom Hörensagen bekannt oder völlig unbeist. Es kann das niemand wunder nehmen. Der Natur der Sache nach musste dieses Buch dort am meisten Auf-

baltischen

kannt geblieben

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678

Johannes Janssen über die Reformation.

wo

sehen und Aufregung hervorrufen,

auf engem

Räume neben

Protestantismus und Katholi-

einander wohnen

und sich den Boden gegenseitig streitig machen. Da musste die Geschichte des deutschen Volkes wie ein Signal zum Angriff wirken und den streitbaren Protestantismus zur Gegenwehr unter die Waffen rufen. Dies praktische Moment, der im täglichen Leben sich fühlbar machende Gegensatz zu der römisch-katholischen Kirche, fällt bei uns weg; darum konnte auch eine literarische Erscheinung, wie Janssens Werk, bei uns so wenig von sich reden machen. Dass cismus

aber die Bekanntschaft mit Janssen auch für uns von

Werth

sein

kann und dass wir mehr als ein blos wissenschaftliches Interesse an ihm nehmen dürfen und müssen, wird jedem am Schlüsse unserer Auseinandersetzungen einleuchten. Ausserdem hat Janssens Buch seine grosse Bedeutung für die Gegenwart noch keineswegs eingebüsst, wie die steigende Zahl seiner Auflagen beweist, deren bis jetzt zwölf erschienen sind.

Johannes Janssen lehrer seit

am

städtischen

ist

und Geschichts-

katholischer Priester

Gymnasium zu Frankfurt

langer Zeit schriftstellerisch thätig.

a.

Er

M.

ist bereits

Eine ganze Reihe

histori-

scher Arbeiten legt Zeugnis ab von seinem rastlosen Pleiss, seiner

grossen Gelehrsamkeit und seiner ultramontanen Gesinnung.

Von

seinem Hauptwerk: Geschichte des deutschen Volkes &c. erschien der

erste

Band 1877.

Ihm

andere gefolgt, jeder etwa

sind

im Laufe

500— 600

der

Zeit

noch

fünf

grosse Octavseiten stark; ein

siebenter Band, der bis in den dreissigj ährigen Krieg hineinreichen soll,

steht in Aussicht.

Buch allgemeines und

Sofort bei seinem Erscheinen erregte dieses

Es

berechtigtes Aufsehen.

ist

des deutschen Volkes im 15. und 16. Jahrhundert

ultramontaner Färbung.

Es

unterscheidet

sich

eine Geschichte iu

schwärzest-

aber dadurch von

Werken ähnlicher Art, dass es scheinbar ganz leidenschaftsund mit scheinbar grösster Objectivität geschrieben ist. Der Verfasser redet in diesem Buche fast nur in Citaten. Man wird nur wenige Sätze in demselben finden, welche frei von Anführungsallen los

So

zeichen sind.

lässt

Janssen scheinbar die Quellen selber reden,

verzichtet auf eigenes Urtheil.

ihm gefunden,

Werk

Der Erfolg des Buches war geradezu

Die katholische Presse

und Wissenschaft hatten in Hier war endlich einmal ein erschienen, streng wissenschaftlich, ohne Schimpfereien und

ungeheuer.

was

sie

brauchten.

grobe Ausfälle, strotzend von Gelehrsamkeit,

das geeignet schien,

dem berühmtesten Geschichtswerke über jene

Zeit,

der deutschen

679

Johaunes .Janssen über die Reformation.

Geschichte Rankes, jenem Kleinod deutsch-protestantischer Geschichtschreibung, die

Wage

zu halten.

gesetzt,

Buch

in

dieses

Alle Hebel wurden weiten Kreisen

möglichst

Bewegung

in

zu verbreiten,

und das Erstaunliche geschah: das umfangreiche, gelehrte Werk wurde in allen Kreisen der katholischen Bevölkerung Deutschlands gelesen. Schreiber dieser Zeilen machte selbst eine in Bezug auf die Verbreitung

Buches

des

höchst

dem Schlossberg zu Baden-Baden

Erfahrung.

belehrende traf

an

er

einem

junge Kautieute aus Rastatt.

Frühlingstage zwei

Sie priesen die

Schönheit ihres badischen Ländchens, doch klagten sie die Preussen nicht

wären.»

drin

einem politischen Gespräch,

mit welcher Verehrung

sie

in



:

Wenn

nur

Das gab dann Gelegenheit zu

welchem

sie

unter anderem erzählten,

an Janssen hingen.

Frage, ob sie denn das grosse, gelehrte

Werk

Auf

die verwuuderte

käunten,

gestanden

uoch mit der Leetüre desselben beschäftigt zu sein uud zwar

sie,

in

Auf

prächtigen

einem Kränzchen junger Leute, die sämmtlich von dem gleichen

Enthusiasmus

für

katholische

die



Sache

und die

geschichtliche

wurden durch es wurde als die bestechenden Aussenseiten des Buches gewonnen unparteiische Darstellung angepriesen und noch im J. 1882 von dem lllustrirten Weihnachtskatalog jedem Gebildeten als passeudstes Weihnachtsgeschenk empfohlen. Auf protestantischer Seite konnte diese besonders durch den ersten Band hervorgerufene Wahrheit beseelt wären.

Ja, auch Protestanten

;

Täuschung nicht lange vorhalten. Bald war der wahre Charakter des Buches erkannt, und es begann eine erhitzte Polemik gegen Janssen.

Am

meisten Verbreitung fand eine Schrift des berühmten

Köstlin aus Halle: Luther J.Janssen, der deutsche Reformator und ein ultramontaner Historiker. In schlichter sachlicher Lutherbipgraphen, des Professor

und

,

gegen Luther vorgebrachten Beschuldigungen und Verdächtigungen überzeugend zurück zeigte Darstellung

wies Köstlin

hier

alle

;

aber auch,

dass Janssen

nicht nur aus Unkenntnis oder Flüchtig-

ihm überhaupt auf geschichtliche Wahrheit nicht ankomme. Seitdem musste in protestantischen Kreisen und in der gesammten wissenschaftlichen Welt das Urtheil keit geirrt habe, sondern dass es

feststehen, dass Janssen mit ausgesuchtestem Geschick,

vollendeter Perfidie

alle die Stellen

aus Luthers

aber auch

eigenen

Werken

und Briefen, aus den Berichten von gut und schlecht unterrichteten Zeitgenossen zusammengetragen hat, welche für seine Auffassung zu sprechen scheinen. B.hiacbe Monatsschrift. IM

Er hat dabei XXXVI, Heft

S u. 9.

alles,

was gegen

ihn zeugen

47

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680

Johannes Janssen über die Reformation. seinen Lesern

könnte,

indem er durch

sie

aus dem

gewandte

brachte,

verschwiegen,

Gruppirung

in

riss,

einen

in

seinen Citaten,

andererseits

Zusammenhang

den

sie gehören,

und

Zusammenhang

falschen

einen gefälschten Sinn untergeschoben.

Selbst

ganz

an

Tage liegenden Entstellungen und willkürlichen Auslassungen fehlt es nicht. Aber obgleich Janssen vor dem Forum der ernsten Wissenschaft langst gerichtet ist, so sind die Wirkungen offenbar zu

seines Buches auch

Denn der Schein

heute

noch

besticht

vor Jahren.

wie

dieselben,

fast

der Unparteilichkeit

heute noch jeden,

der mit gutem Vorurtheil und nicht geschützt durch ein grösseres

Rüstzeug wissenschaftlicher Bildung an

diese Leetüre herantritt.

Die Wirkung der zahlreichen Widerlegungen, auch der Köstlinschen, ist

aber als eine ausserordentlich geringe zu bezeichnen.

denjenigen, welche das Janssensche

Denn von

Buch gelesen haben und durch

dasselbe tiberzeugt worden sind, werden nur die wenigsten sich die

Mühe

geben,

aus der Masse

und

wissenschaftlicher Zeitschriften

Broschüren eine protestantische Kritik desselben aufzusuchen und durchzuarbeiten.

Janssen

einen Schriftsteller, dessen

kann nur überwunden

Werke

werden

durch

denselben Reiz auf die Massen

ausüben und ebenso ins Volk dringen.

An

solchen

Kämpen

fehlt

es aber zur Zeit noch vollständig.

Auf den ganzen

Inhalt

der

umfangreichen

Geschichte

des

deutschen Volkes einzugehen, verbietet uns die Rücksicht auf den

Raum; auch würde das

Interesse des Lesers für diesen Stoff bald

Es genügt, wenn wir uns zur Charakterisirung des Gesammtwerkes auf einige einleitende Bemerkungen über die

erlahmen.

Geschichtsauffassung Janssens im Allgemeinen beschränken, um uns dann denjenigen Partien zuzuwenden, auf welche es uns am meisten ankommt, der Darstellung von Luthers Leben und Wirken.

Die Quintessenz

der

Janssenschen Weisheit

besteht

darin,

dass ihm das fünfzehnte und das beginnende sechzehnte Jahrhundert als die schönste Zeit der deutschen Geschichte erscheint,

als

eine

Zeit voll froher Hoffnung, welche die schönsten Früchte der Zukunft in

ihrem Schosse barg.

begriffeu.

Politisch

Alles

und

war

kirchlich

in

Umbildung und Entwickelung

näherte

sich

Deutschland dem

Ziel seiner Bestimmung. Unter den Kaisern Maximilian

und Karl V.

wurde das weltumfassende Kaiserthum deutscher Nation wieder neu ins Lebeu eingeführt; die ideale des Mittelalters fanden wieder Gestalt, sie befruchteten das gesammte Leben der deutschen Nation, die zugleich auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Entwickelung

>

Johannes Janssen über

Wol waren

anlangte.

081

die Reformation.

der Misstände und Schäden, an welchen das

und private Leben der Deutschen krankte, nicht wenige. Janssen berührt auch den Misbrauch der geistlichen Amtsgewalt

öffentliche

zu weltlichen Zwecken, das üppige, gottlose Treiben eines grossen Theiles

der Prälaten,

die Verweltlichung

selbst

der

päpstlichen

Aber das waren vorübergehende Auswüchse, Krankheiten der äusseren Erscheinung, die den gesunden Kern nicht berührten, schon damals auf dem besten Wege, durch die wahrhaft katholische Frömmigkeit des Volkes und durch die trotz allem ungeschwächt wirkenden sittlichen Kräfte der Kirche überwunden zu werden. Da trat plötzlich eine allgemeine Revolution ein. Die Humanisten Curie.

zerstörten

einheitliche Bildung

die

Luther und

des Mittelalters,

seine Genossen die Einheit der Kirche in zwei feindlich geschiedene Heerlager.

und spalteten

Von

die Nation

jener fast unbewusst,

war nun nicht mehr die Rede mit dem Glück und der Blüthe Deutschlands wie Europas war es vorbei; das Ende der dreissigj ährige Krieg! Es wird nicht uuzweckmässig sein, an dieser Stelle daran zu geräuschlos sich vollziehenden Reform ;



erinnern, wie die wissenschaftliche Ueberzeugung des Protestantismus sich

zu dieser Frage

stellt.



formation vorausgehende Zeit

Wir

fast

alle wissen,

dass die der Re-

auf allen Gebieten

eine

voll-

ständige Auflösung der alten Ordnungen, auf denen das Mittelalter beruhte,

mehr

Die kaiserliche Würde

erblicken lässt.

Reiches, in

dem ihnen

eine so geringe gesetzliche

wurde, kein sonderliches Interesse ein

reichung

Ziele

besonderen

und Maximilian waren

die

denen« das deutsche Reich

;

nicht

viel

Macht zugestanden

der Einfluss, den sie als Kaiser

willkommenes Werkzeug

noch besassen, war ihnen der

war

Träger hatten an dem Gedeihen des

als ein leerer Titel, ihre

ihrer Hauspolitik.

jener

ersten

für die Er-

Friedrich

habsburgischen

gerade gut genug

war,

I

IT

Kaiser,

die Mittel für

Erhöhung und den Glanz des Hauses Oesterreich zu liefern. Maximilians Grosssohn, Karl V., war alles audere eher als ein Deutscher er besass ein Gebiet, in dem die Sonne nicht unterging Deutschland war nur einer der vielen Factoreu in seinen politischen

die

;

Berechnungen

:

es sollte

ihm

helfen,

teidigen, resp. zu begründen.

Das

seine Weltherrschaft zu ver-

politische

Leben des deutschen

Volkes pulsirte an den Fürstenhöfen und in den Städten. Durch einen der verkehrtesten und merkwürdigsten Entwickelungsprocesse

war

es dahin

gekommen, dass

diese

particularen Kräfte,

von jeher einer starken Reichsgewalt widerstiebt

hatten

welche

und auf

47*

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Johanues Janssen über die Reformation.

082

deren Kosten emporgekommen waren, doch die nationale Idee gegen-

über

dem

österreichisch-burgundisch-spanischen Kaisertliam repräsen-

Aber wie eigennützig, nüchtern, un patriotisch dachten und handelten auch diese Fürsten, in deren Hände die Zukauft des deutschen Volkes gelegt schien. Der Blick auf das Ganze, von tirten.

dem

sie einen Tlieil bildeten,

leerer Prunk,

Genusssucht, roher

fehlte ihnen allen

Mangel edlerer Empfindungen



das

ist

druck, den die deutschen Fürstenhöfe jener Zeit machen. verhält

es

mit

sich

den Städten.

Sie

sind

im

Kampf

der Ein-

Anders mit

den

Fürsten und dem Adel emporgekommen, reich und mächtig geworden.

Im ßürgerthum

hat sich die nationale Kraft des deutschen Volkes

Aber so erfreulich der gewaltige Aufschwung der Städte uns vor Augen tritt was an ihnen tüchtig, achtunggebietend ist und eine reiche Zukunft verheisst, bleibt doch dem coucentrirt.



grossen politischen Leben ist

der Gesichtskreis;

Privatleben in

liegt

die

der Nation

entfremdet.

die Verhältnisse

sind

Kraft der Deutschen.

den ehrbarsten Städten eine Sitteulosigkeit,

Reichthum noch zunimmt,

eine

klein,

Eng

begrenzt

gleichsam

im

Dazu herrscht auch die mit dem steigenden

politische Gesinnungslosigkeit, die

So war das staatliche Leben der Deutscheu

uns erschrecken muss.

überaus traurig, ja hoffnungslos musste es allen Patrioten erscheinen,

nachdem

die Versuche,

dem Reiche

eine wirksame, den Zeitverhält-

nissen entsprechende ständische Verfassung zu geben, ebensowol an

dem Uebelwollen

des Kaisers,

wie

an der Selbstsucht der Stände

gescheitert waren.

Denselben Eindruck gewinnen wir kirchlichen Verhältnisse.

Der Papst,

bei

einem Blick auf die

das Oberhaupt

der katholi-

schen Christenheit, hatte sich seiner geistlichen Aufgabe entfremdet.

Nicht die Leitung der Kirche,

nicht die Sorge für das Seelenheil

der ihm unterstellten Gemeinde Christi waren die Triebfedern .sei uer

Handlungen

Ein italienischer Territorialherr

war

er

geworden,

der mit allen Mitteln einer unsittlichen Staatskunst seine fürstliche strebte. Die Kirche mit Glaube und Aberglaube der Christen, die Macht, zu lösen und zu binden, sie waren in den Dienst der allerweltlich-

Macht und den Kirchenstaat zu erweitern

allen ihren Idealen,

Und vom Haupte ergoss gesammte Kirchenverfassung, bevorzugte Stellung der Geistlichkeit waren

sten, halb heidnischen Interessen gestellt.

sich das Gift

in

alle Glieder.

das Kirchenrecht, die

Die

herabgesunken zum Mittel niedrigen Gelderwerbes.

Nicht dass es

keine achtbaren, von Pflichtbewusstsein und christlicher Gesinnung

083

Johannes Janssen über die Reformation. durchdrungenen

Geistlichen

grosse Menge.

Aber gerade

gegeben

Es gab deren

hätte.

waren

sie

Wehe

welche

es,

eine riefen

über die Verderbnis der Kirche uud nach einer Reform an Haupt und Gliedern verlangten. Das Durchschnittsmass sittlicher Lebens-

führung der Geistlichkeit war unter das Niveau des Normalen gesunken. Auch hier hatte es au Reform versuchen nicht gefehlt.

Die grossen Concilien zu Constanz und Basel waren hervorgerufen durch das Bedürfnis der Christenheit nach gründlicher Besserung. Was hatten sie gefruchtet? Einzelne Misbräuche waren abgestellt worden, um bald darauf wieder fröhlich emporzu wuchern. Die Zeit der grossen Reformconcilien war sie sich an den

wie

sich,

wir

nur eine Episode gewesen,

sagen würden,

heute

weil

die Lehre, nicht gewagt, sondern

Kern der Sache,

mit einer Revision der Ver-

Von einem Reformconcil war der Reformator Huss verbrannt worden. Und doch ging ein tiefes Sehnen nach

fassung begnügt hatten.

Aber auch

Religion und Religiosität durch die Zeit.

hier schien

die Zukunft hoffnungslos zu sein

Denn was half

es nun,

dass sich auf so vielen Gebieten ein

neuer, frischer, freudiger Geist

dürren

ihres

antiker Bildung

Kunst

das Kunstgewerbe

in

Welttheile entdeckt

Es

Baumgartens führen:

e

dass

vor den freudetrunkenen

sich aufthaten, die

schwung nahm!

regte,

Gewandes

mittelalterlichen

in Italien ihre

Deutschland

wurden, sei

mir gestattet,

die

Schätze

Augen der Humanisten

höchsten Triumphe feierte,

seine Blüthezeit

der Haudel

aus seiner

die Wissenschaft sich

entledigte,

erlebte,

neue

einen grossartigen Aufhier

die

schönen Worte

Geschichte Karls

V. 1 anzu-

Gewiss, es war eine herrliche Zeit geistigen und künstleri-

schen Schaffens und Aufstrebens.

Die späteren Jahrhunderte werden wol immer mit andächtiger Dankbarkeit und wahrer Erhebung vor den Schöpfungen der erhabenen Geister sich verneigen, welche damals die Welt mit den Gaben ihrer reinen und grossen Kunst beglückten, nirgends reiner und grösser als in Rom, an dem Hofe

Wenn man aber von den Personen absieht und die Epoche ins Auge fasst konnte alle Herrlichkeit der italienischeu Kunst und alle Regsamkeit des Humanismus das tiefe Leid der Zeit heilen ? Kounte diese ästhetische und literarische Blüthe auch Leos X.

.

.

.

:

nur

in

denen

selbst,

welche an ihr regen Antheil nahmen, die Ver-

kümmerung' des sittlichen und religiösen Elements ersetzen? Und was bedeutete gar alle diese Blüthe für die Millionen, welche '

Bd.

I,

p.

334

u.

335

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Johauues Janssen über die Reformation.

Ü84

nichts von ilir vernahmen ? Nur zwei Mächte reichen an den Grund des allgemeinen menschlichen Daseins: Staat und Kirche. Alles, was jene Zeit in Kunst

und Wissenschaft Ausserordentliches

hervorbrachte,

war doch

es

ausser Stande, der vereinigten Macht des entsittlichteu Staates und

der entheiligten Kirche die

Wage

Es musste vor allem

zu halten.

das Innerste, was den Menschen trägt und treibt, verfälschter

Ueberlieferuugen

und

aus dem Wust

vergiftender Einflüsse

befreit,

den unwahren Lebenszwecken und den schlechten Mitteln die echten Ziele menschlichen Strebeus und die reinen

Wege, welche zu ihnen

und zwar durch eine Persönlichdem klugen, die damalige Welt beherrschenden

führen, gegenübergestellt werden, keit,

welche von

all

von

Calculiren,

all

den Listen und Schlichen

kirchlichen Staatskuust nichts wusste und

mit

Rücken kehrte,

Seele befreit hatte. ist die

ihr!

Er

>

protestantische Auflassung

Was macht nun

ihren Aufgaben.

alle

geradezu auf den Kopf.

stellt sie

von

hänglichkeit an

fangenen,

alte Kirche,

heiteren Volksseele,

der

Städte

Darstellung liehen,

die

Es

ist

jener

Zeit

zufriedenstellenden

so

,

mit

namentlich

sie

sich blind zeigen

Beweisen

den

Zustandes

zu

warum Janssen und oder

Es handelt

Kirche.

stellen

für

um Fragen

An-

unbe-

das behäbige

und

dieses

eine

glück-

dass die

durchflechten,

Es hat aber eiuen gauz

seine Gesinnungsgenossen

das Hauptelend

sich hier weniger

schaftlicher Forschung, als

seine einer

zusammenzustellen

Schatteuseiten darüber ganz zurücktreten.

besonderen Grund,

nicht schwer, für

Aeusserungeu

alle

wie

hervorbrachte

und

dieser Zeit

der ultramontaue Historiker aus

Zeugnisse für das religiöse Leben des Volkes,

Leben

sondern

wollte,

Hingebung an das Seeleuheil der Welt den um dann die Welt zu vergeistigen, wie sie die

ganzer

voller

Das

der weltlichen und

nichts

um

in

Staat und

die Ergebnisse wissen-

der Ueberzeugung, der Welt-

Janssen selbst nennt seine Weltanschauung die christ-

anschauung.

lich-germanische, eine Phrase, mit der schon viel Unheil augerichtet

worden

ist,

definirbar

weil sie einen Begriff

ist.

Was

aber Janssen

der

bezeichnen

soll,

meint,

einerseits

ist

ganz unjene

un-

unwahre und gestaltlose Geschichtsbetrachtung, in welcher die Romautiker schwärmten, andererseits der Herrschaftsgedanke Danach giebt es nur eine der einen unveränderlichen Papstkirche. einen Papst, der als unfehlbarer gottgewollte Ordnung der Welt

politische,

:

und untrüglicher Stellvertreter Christi

die

Welt

regiert

und den

Johannes Janssen über

profanen Theil dieser Arbeit dem Kaiser übergiebt, Jahrhunderts, des

13.

Thomas

heil.

der irgendwie

Es

eine Oberherrlichkeit über die Christenheit ausübt.

Theorie des

685

die Reformation.

ist

das die

Aquino, den die

v.

Katholiken zu ihreu grossen Kirchenvätern zählen.

Dieser in der

Gedankenwelt des Mittelalters existirenden Weltanschauung, die aber zu keiner Zeit in dem wirklichen Leben der Menschheit mit seinen unendlich mannigfaltigen Gegensätzen ganz in die Erscheinung getreten



ist,

ihr entspricht

auch der Geschichte

Da

stische.

hat.

welche

die Auffassung,

montanismus noch heute von der Aufgabe

Wir nennen

der Ultra-

Wissenschaft,

aller

so

diese Auffassuug die schola-

eine Aufgabe«,

hat die Geschichte lediglich die

die

ewig gleiche Heiligkeit der römischen Weltherrschaft in Staat und Kirche zu beweisen, jede Abweichung von derselben als ketzerische Lehrmeinung zu verdammen und zu zeigen, wie eine solche nur Elend und Verderben im Gefolge hatte. Danach muss auch der undeutscheste aller Kaiser, Karl V., so lange er ein gehorsamer Sohu der Kirche war, dem deutschen Historiker als die geeignetste

um

Deutschland

Persönlichkeit

erscheinen,

Bahnen

Entwicklung zu

seiner

alsdann für die Beurtheilung braucht

die

in

gottgewollten

Welche Grundsätze

leiten.

sich

der Reformationsgeschichte ergeben,

kaum gesagt zu werden.

Sie sind von

dem hervorragend-

Organ der ultramontanen Geschichtswissenschaft, dem historischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, in folgende Worte zusammengefasst worden cEin katholischer Autor muss es geradezu als sten

:

seine strenge Pflicht erkenuen,

die

allein richtige

principiell

und

deshalb objective Auffassung der Kirche von der Glaubensspaltung zum klar betonten Grundgesetz der eigenen historischen Anschauung

zu machen 2

.

>

Das bedeutet

die Herrschaft

des

Dogmas

über die

Gewissen der Einzeluen auch in der Wissenschaft, und die Wissenschaft hört hier auf. Eine wissenschaftliche Widerlegung dieses Standpunktes ist unmöglich, wie es überhaupt bei den grössteu und

darum elementarsten Fragen,

welche

den

menschlichen Geist be-

wegen, nicht auf wissenschaftliche Erkenutuis, sondern auf die gläubige Ueberzeugung ankommt. Luther verkörpert nun die absolute Verneinung der ultra-

montauen Anschauung von Staat und Kirche dort die freie Forschung in der Schrift, 1

Max

Lenz, Janssens Geschichte

1883, p. 238.

schrift '

a. a.

0.

des

hier

:

hier das ein

mit

Dogma



besonderen

deutschen Vulkes, Syhelsche Zeit-

G86

Johauues Jansseu über die Reformation.

geistlichen Gaben versehener Clerus — dort das allgemeine Priesterthum jedes Christen hier die Idee einer übernationalen Universalmacht und dort die moderne Anschauung, dass Gott die Aufgaben des Lebens zunächst im Kreise eines bestimmten Volkes verwirk;

lichen lässt

Widersprüche.

alles das unversöhnliche

;

Gedanken,

Keimen

theils völlig ausgereift, theils in ihren

Diese liegend,

Dass Janssen der Persönlich-

werden durch Luther repräsentirt.

keit Luthers nicht gerecht wird, dass sie ihm unverständlich bleibt,

wird uns nicht wunder nehmen, und wir müssen uns mit der Thatsache

und Weise aber,

Die Art

Unvermögens begnügeu.

dieses

wie er seine vorgefasste Meinung begründet, offenbart uns die

Mängel des

lichen

Wer Für

nach Janssen Luther

ist

die geschichtliche

Aber

Lüge bringt den Leser

widerlegte

Der Sohn

?

eines Todtschlägers.

Bedeutung eines Menschen

wie seine Eltern waren.

giltig,

sitt-

Verfassers.

es doch gleich-

ist

diese von Köstliu schlagend

Stimmung,

die richtige

in

mit

welcher er den Sohn des Mörders auf seinen weiteren Lebensweg begleiten

er

Luther wird zu Hause mit

soll.

Aengstlich und scheu

behandelt.

im Hause der Frau Cotta

kommt

Was

alt.

Welt.

die

zu Eisenach Aufnahme.

Meisterstück Janssenscher

ein

damals 15 Jahre

unmenschlicher Härte

tritt er in

wir

Darstellung.

über

sonst

sein Zeitgenosse und Biograph Mathesius

Da

findet

Und nun

Luther

ihn wissen,

war

erzählt

folgenden Worten

mit

«Als er daselbst eine Zeit lang vor deu Thüren sein Brot ersang,

nahm

ihn eine andächtige

dieweil

um

sie

Matrone

seines Singens

und

der Kirche eine sehnliche Zuneigung zu

macht Luther um zwei Jahre als

junge

trat,

adelige

etwa

lich eine

Dame,

älter

Wendung i

h r

ein, als ihn

H

dem Knaben

und

gegenüber.

seinem 17. Lebensjahre

in

in

Dame

zu sich an ihren

herzlichen Gebets

stellt

Er

in seinen

;

i

in

Janssen

ihm die Frau Cotta

schreibt:

Frau Cotta, e

a u s aufnahm

trug.>

Tisch, willen

ein Eisenach

Verhältnissen plötz-

ne

j

u n g e

ade lige

dort lernte er das Leben von

einer anderen Seite kennen, übte Laute und Flötenspiel und hörte

den Ausspruch liebe,

wem

sie

:

*

Es giebt kein

lieber

Ding auf Erden, denn Frauen-

zu Theil kann werden.»

Hierzu

ist

nur noch zu

bemerken, dass Janssen an einer anderen Stelle sagt, er vermeide es absichtlich, selbst die letzten

Folgerungen aus seinen Mittheilungen

zu ziehen; er überlasse dies den Lesern.

Es

folgt das Studentenleben in Erfurt.

die sittliche

Uugebundenheit der Humanisten,

Jansseu betont zuerst

um dann Luther

als

Digjtized

tsgg^oglc

Johannes Janssen über

687

die Reformation.

einen begeisterten Schüler derselben, der sich gern in ihrer Gesell-

bewegte,

schaft

zu

Gewissensängste treiben ihn ins

bezeichnen.

Kloster, in welches er, bezeichnend genug, von allen seinen Büchern

nur zwei heidnische Dichter mitnimmt.

Luther erscheint bei Janssen

ganz haltloser Charakter, der von einem Extrem ins andere verfällt. Da ihm die Demuth vollständig abgeht, so fehlt ihm auch als ein

der

wahre Beruf zum Klosterleben

er sich Gott gegenüber auf

in

den Frieden

massloser Hoffahrt beruft

Werke und Kasteiungeu, Als er

ganz unnütz übertreibt.

die er in krankhafter Nervosität

hierbei natürlich

;

seine guten

der Seele

nicht

findet,

verfällt

er

gleich ins andere Extrem, die Rechtfertigung im Glauben allein zu

Werke

suchen und alle guten

geitdem

zu verachten.

Rechtfertigung durch den Glauben allein bei

ist die

Luther eine Art fixer Idee geworden. Dass Luther den Glauben kräftig und geschäftig Ding nennt, gute Werke zu Tage zu

eiu

dass ihm der Glaube,

fördern,

offenbart und sie

Glaube

ist,

der

und

Kritik freilich

guten Werken ein

zeitigt,

Entstellungen

absichtlichen

alle

in

nicht

todter

Hier beginnen die Verdrehungen,

wird verschwiegen.

Auslassungen

sich

unausbleibliche Früchte

als

nachgewiesen

sind,

den

welche

,

von

der

unerfahrenen Lesern

aber verborgen bleibeu und der Masse derselbeu darum so gefährlich

werden.

aus einer die



Was

soll

Anmerkung

bei

Worte geschrieben

:

man

ist'.

Luther

B. von

Luther halten, wenn wir er

habe Melanchthon

sündige nur tapfer darauf

noch tapferer und freue dich

Sünde

z.

Janssen erfahren,

hat

in

diese

Christus,

los,

aber glaube

der der Sieger über die

Worte unzweifelhaft geschrieben;

aber indem Janssen dieses Citat als Beleg für die ganz aberwitzige

Lehre

von der Rechtfertigung durch den Glauben anführt und

durch gesperrten Druck hervorhebt,

sie

verlieren sie ihren schlichten,

glaubeusfreudigen Sinn, und Luther erscheint entweder als frivoler Spötter oder als ein Mann,

der wirklich im Glauben einen FreiArt von Sünde gefunden zu haben wähnt. Wir gelangen nun zu den entscheidenden Momenten im Leben des Reformators und in der deutschen Geschichte. Luther schlägt die 95 Thesen über die Kraft des Ablasses an die Schlosskirche



brief für jede

zu Wittenberg, weil ihm die Lehre der Kirche über die Verdienstlichkeit

guter

Werke

nicht

zusagt.

Nicht die Misbräuche beim

Verkauf des Ablasses, die Janssen nur an einer Stelle so nebenhin

Janssen

2, p. 73, 2.

Johannes Janssen über die Reformation.

G88

erwähnt, bewegen ihn dazu; diese können nach Janssen auch nicht besonders gross gewesen sein, obgleich er sie als arge bezeichnet'.

In dieser That Luthers soll nun heit zu sehen sein, eine

gar keine besondere Kühn-

Bemerkung, welche

ein deutscher Kritiker

mit Recht als lächerlich bezeichnet hat.

Aber Janssen geht noch weiter und spricht Luther überhaupt jeden persönlichen Muth ab. Nicht einmal sein Erscheinen und Auftreten in Worms, seine Reise als Geächteter von der Wartburg nach Wittenberg lässt er als heroische Thaten gelten. Vielmehr der Kaiser und die päpstlichen Gesandten hatten alle Ursache, vor den Anschlägen der mit Luther verbundenen Revolutionspartei auf der Hut zu sein. Denn überall

weiss er eine

Menge von

Belegstellen für die Furcht der Katholi-

einem Anschlage

vor

schen

der Anhänger Luthers beizubringen;

und diese Befürchtungen gelten ihm ohne weiteres

als eben so viel

Beweise für das Bestehen weitverzweigter Coraplotte, während über Luther schwebte, vor welcher ihn fast Freunde warnten, schweigend hinweggegangen wird.

die Todesgefahr, in welcher alle

seine

Luthers unnöthige Furcht, man könne ihm nach dem Leben trachten, soll schliesslich

zur förmlichen Monomanie geworden

sein.



Wie

ihm schon im Kloster der demüthige Sinn abging, so zeugt auch sein ganzes späteres Leben von blasphemischer Selbstüberhebung; Janssen den Schlüssel für das ganze Auftreten und Benehmen Luthers. Unzweideutig trete das hervor in den Worten, mit welchen Luther die päpstliche Bannbulle ins Feuer warf: «Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre

in ihr findet

das

dich das ewige Feuer.

des

Herrn

bezeichnet

Also Luther haben,

Christus darunter versteht. *

als

die

nommen, in

soll sich selbst als

während

dieses

den Heiligen

Bibelwort

eiufach

Im weiteren Verlauf wird dann

alles

Nicht« charaktcrisirt die Janssensche Art der Gcsehichtschreibung besser,

auf den Ablassverkauf durch

TVtzel

bezüglichen Sätze.

Einzeln

ge-

Ganzes eine grobe Unwahrheit. Ich lasse sie «Tetzel, eiu beliebter Volksredner, war nämlich vom

sind sie unanfechtbar, als

ihrem Wortlaut folgen.

zum Untercommissar ernannt worden, um im vom Papste Leo X. für den Bau der Pcterskirehc

Erzbischof Albrecht von Mainz nördlichen Deutschland

den

ausgeschriebenen Abla*B zu verkündigen

Zulauf des Volkes. Instruction

;

er predigte allenthalben unter

grossem

In der von ihm den Pfarrern und Beichtvätern zugestellten

wurde den Gläubigen, welche des Ablasses

die kirchliche Pflicht eingeschärft, zuvor zu beichten

theilhaftig

und die

werden wollten,

heilige

Comrauniou

zu empfangen, eiu ehrbares Leben zu führen, Wirthshäuser und verdächtigen Umgang zu meiden und keine unnützen Ausgaben zu machen. Gleichwol kamen schwere Misbräuche vor, und das Auftreten der Prediger, die Art der Darbietung und Anpreisung des Ablasses erregten mancherlei Aergernisse.*

DigitizecU^^jff^le

689

Johaunes Janssen über die Reformation. Ueberschwengliche

völlige

oder

thörichte

be-

zur Verherrlichung Luthers hervorgebracht

auf seine eigene Veranlassung

haben,

das

üebertriebene,

alles

,

geisterte Zeitgenossen

zurückgeführt oder

Zustimmung zu derartigen Ungehörigkeiten

seine

als selbverständ-

lich vorausgesetzt.

Ein

Mann wie

Luther, dessen Auftreten die einschneidendsten

Umwälzungen in Europa hervorrief, muss, wenn die Berechtigung dieser Umwälzungen geleugnet wird, als ein Revolutionär schlimmster Art gelteu. Man wird also mit einem Katholiken darüber, dass

Luther

Aber

war,

Revolutionär

verderbenbringender

ein

nicht

Frage ist die, ob Luther für seine Revolution gewaltsame Mittel zum Umsturz der bestehenden Ordnung in Anspruch genommen hat. Hier kommt die principielle Frage Uber die Berechtigung der Reformation gar nicht in Betracht. streiten können.

eine andere

Der Vorwurf, Luther habe

sich zuerst mit

dem unzufriedenen Adel

unter der Führung Ulrichs von Hutten und Franz'

bunden

,

dann

durch

v.

Verhetzung

systematische

Sickingen ver-

der

öffentlichen

Meinung, durch Brandschriften, die er selbst verfasst oder von seinen

Anhängern verfassen Hess, auch den fürchterlichen Bauernkrieg erregt, dieser Vorwurf ist so alt wie unsere Reformation selbst. Keiner der Vorgänger .Tanssens ist aber mit solchem Geschick bei der Begründung desselben verfahren, wie Janssen selbst. Einen directen Beweis hat freilich auch er nicht beibringen können. Er stützt sich einmal auf die Aeusserungen Luthers in Reden, Predigten und dann

Schriften,

einherschritten.

und Zerstörung,

dass Krieg

auf die Thatsache,

Gewaltsamkeit und Zuchtlosigkeit

im

Gefolge

Unzweifelhaft hat Luther

sich

Reformation

der

und seiner Sache

unendlich geschadet durch die Masslosigkeit und Heftigkeit seiner

Sprache,

dadurch

scrupulös

war und

,

dass hier

er

nur

waltigen

der

ohne

Wahl

seiner

Ausdrücke

nie

zu oft die Grenze des Erlaubteu, ja

Man kann

Anständigen überschritt. zugeben und bedauern,

in

von

diesen Fehler Luthers ruhig

seiner

Verehrung

Mann auch nur etwas zurückzunehmen.

für

Wir

den

ge-

beten ja

unseren Reformator nicht als einen makellosen Heiligen an, sondern

wissen sehr wohl,

war wie

trotzdem ein als

ebenso wie er es wusste,

die anderen,

mit

auserlesenes

Ganzes geuommen,

Menschheit

emporragt.

jedem das,

was

dass

grossen Schwächen

Werkzeug

weit

über

Gottes,

er

Mensch aber

ein Charakter,

der,

den Durchschnitt

Luthers Reden und Schriften

er in ihnen finden will.

ein

und Fehlern, der

übrigen

bieten

nun

Jansseu wollte nur das

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Johannes Janssen über die Reformation.

690

worin Luther sich von seiner unliebenswürdigsten, wildesten und abstossendsten Seite zeigt. Es ist ihm nur zu gut gelungen. Die auf Luther bezüglichen Partien seines Buches stellen nach der oben erwähnten Methode, nur die Quellen selbst reden zu lassen, eine Blüthenlese Lutherseher Kraftausdrücke und Schimpfereien finden,

dar.

Aus

diesen hat sich der Leser seine Vorstellung von Luthers

Charakter und Wirksamkeit selbst zu bilden;

sie sollen die

Summe

Anschauungen über das praktische Verhalten der katholischen Kirche Kaiser und Reich gegenüber seiner politischen Weisheit, seine

enthalten

I

Von dem uns vertrauten Bilde Luthers bleibt hier nur Aber ganz abgesehen davon, dass

eine elende Caricatur zurück.

man zu kommen

wahreu Charakteristik eines Menschen doch niemals

einer

wenn man

wird,

sich

seine

in

schlechten Eigenschaften

vertieft,

anstatt vor allem seine Vorzüge zu studiren:

Janssen

angeführten Stellen,

des Papstes,

der Bischöfe,

zur Plünderung

noch schandbareren Thaten auffordern sehr unsicher verbürgt, gerissen, in

dem

niemals,

die von

und zu

der Klöster sind

soll,

zu

einem Theil

zum anderen Theil aus dem Zusammenhange

sie sich

ganz anders ausnehmen.

ein nicht zu kleiner Rest übrig,

wenn auch



welchen Luther zur Ermordung

in

aus dem

wie .Janssen

uns

Es bleibt

man auf

freilich

eine zuchtlose,

machen will, uuwenn das das Einzige was wir aus Luthers

glauben

züchtige Gesinnung Luthers schliessen könnte,

oder auch nur das Hauptsächlichste

Munde und aus

wäre,

seiner Feder haben.

Hierüber und über den Werth der Schlussfolgerungeu, welche Janssen für die Persönlichkeit Luthers aus den erregtesten Stelleu seiner polemischen Schriften zieht,

Auseinandersetzung.

bedarf

wenn er eine schen Freunde der Wahrheit hoffen gegen Janssen:

es wol keiner weiteren

zum Schlüsse seiner Wirkung derselben auf

Köstlin sagt

dürfe, so

Streitschrift

die katholi-

wünsche er sich

dass sie einmal unbefangen Hauptschriften Luthers

aus

den

die,

ver-

schiedenen Gebieten seines Wirkens ganz läsen und selbst auf sich

wirken Hessen.

Sie

bekämen doch einen anderen Eindruck

als

aus

Janssens Excerpten. Sind aber der Bauernkrieg,

der Aufruhr

das Greuelregiment der Wiedertäufer

der Bilderstürmer,

Münster nicht in Folge der Lehren Luthers eingetreten ? Es wäre ein sehr oberflächliches Verfahren, den Spruch can den Früchten sollt ihr sie erkennen ohne weiteres hier zur Anwendung zu bringen. Nicht darauf kommt es an, ob das Elend, die Verwirrung in Folge der Reformation in

Johanues Janssen über die Reformation. eintrat, soudern ob sie als

noch

keiner

erbracht,

Folge

dass

Communismus der Wiedertäufer,

Den Nachweis

eintrat.

hat doch

Bauern,

der

Zuehtlosigkeit

die

091

der

Verwerfung jeder geschichtlich gewordenen Obrigkeit in der Consequenz Lutherscher Lehren gelegen habe. Vor dem Misverstande und dem Misbrauch zu schlechten

Zwecken

ist

die

wenn

geschützt gewesen,

aber keine grosse Idee

sie

in Staat, Gesellschaft und Kirche greifbare Gestalt gewinnen sollte.

Es war

nicht Luthers Schuld,

wenn

das,

was er

geistlich verstanden

wissen wollte, auf das Gebiet des Weltlichen hinübergespielt wurde.

Wollte man Luther daraus einen Vorwurf machen, dass die unreifen in der katholischeu Zeit an geistlicher Zucht uud religiösem Verständnis theilweise ganz gemangelt hatte, die

Volksmassen, denen es

Lehre des neuen Evangeliums in ihrem Sinne deuteten, so könnte man dem Apostel Paulus und dem Christenthum überhaupt dasselbe zur Last legen. worden,

Janssen

ist

Grund

dass Paulus

wiederholt an die Thatsache erinnert

davor

hatte,

man möge

zu warnen,

die christliche Freiheit, die er predigte, nicht zu «einem Anlass fürs

Fleisch nehmen».

Und

hat das Christenthum dadurch

etwas

von

seiner Wahrheit und seinem Segen eingebüsst, dass es die römischgriechische Culturwelt

keineswegs

sittlich

sondern

verjüngt,

die

Zersetzung derselben nur gefördert hat ? Man kann sogar zugeben, dass die ersten Wirkungen der Reformation sich auf einigen Gebieten

als

Zweifel,

ein

Niedergang

der Cultur

ödeten, ja dass auch bei den Lutherischen eine

reichern,

Annahme dass

ver-

Zunahme der

Cor-

die Versuchung, sich

alten Kirche zu be-

die weltlichen Vortheile, welche die

der neuen Lehre in Aussicht

Nonnen und

kein

Denn

war übermächtig und

diese

ist

der Zeit

der zusammenbrechenden

ruption auf sittlichem Gebiete eintrat.

aus den Trümmern

Es

offenbarten.

über den Unruhen

dass die Universitäten

Beweggründe

nicht

vielen anderen eine

bei

stellte,

Fürsten,

zu verlockend, als Städten,

Mönchen,

massgebende Rolle gespielt hätten.

Keiner aber hat gewaltiger als Luther gegen die Gefahren, welche in den Neuerungen überhaupt lagen, angekämpft, wie das seine

Ansprachen an seine

die Städte

und Obrigkeiten zu Gunsten der Schulen,

Ermahnungen zu ehrbarem

,

würdigem

Geistlichen selbst, seine Berichte über weisen.

Lebenswandel

der

die Kirchenvisitationen be-

Gerade die Berichte über die traurigen Zustände auf dem

Lande, welche die Kirchen Visitationen ans Licht brachten, sind für Janssen eine mit Vorliebe benutzte Quelle,

um

das allgemeine Ver-

derben, das durch die Reformation eingetreten sein

soll,

zu schildern.

Johannes Janssen über die Reformation.

f,92

Er verschweigt aber, dass Luther selbst doch wieder die Freude auf manchen Gebieten eine Besserung constatiren zu können, und unterlässt, worauf es ihm doch in erster Linie ankommen müsste, den Nachweis vollständig, dass es damals mit der sittlichen erlebte,

Beschaffenheit der Katholiken besser bestellt war.

Wem

Umwälzung des 16. Jahrhunderts dem religiösen Bedürfnis des Volkes sich ergebende Notwendigkeit gilt, als eine Bewegung, die ihre tiefsten Wurzeln in den letzten dunkeln Trieben des Volkslebens hat, dem kann ein die grosse kirchliche

als eine aus

Zweifel an der Berechtigung der Reformation auch dann nicht

er-

wachsen, wenn er das ganze politische und wirthschaftliche Elend der späteren Zeiten auf sie zurückführen so weniger,

suche

einer

zu müssen

glaubt;

um

wenn er sich vergegenwärtigt, wie alle anderen VerReform der Kirche bis dahin fehlgeschlagen waren

und was für Früchte die sogeuannte katholische Reformation durch

Hader

das tridentiuische Concil in den von confessionellem

wie unberührt gebliebenen Ländern Spanien hat.

War

sie sich

die deutsche Reformation wirklich

auf anderem

Wege

nothwendig und konnte

Lostrennung

als durch

so gut

und Italien gezeitigt von

der alten

Verantwortung für den dreissigden politischen Gegensatz katholischer und protej ährigen Krieg, stantischer Staaten, die ganze Zerrissenheit Deutschlands bis in unser Jahrhundert nicht ihr zur Last. Religiöse Ideen treten mit dem Anspruch auf, eine höchste Wahrheit zu besitzen und verKirche nicht behaupten, so

künden zu dürfen;

eine

fällt die

gewisse Ausschliesslichkeit

nothwendig zu ihren Merkmalen.

Sie vertragen

gehört natur-

sich

vollkommen

mit Toleranz und Gewissensfreiheit, nicht aber mit der Rücksicht-

nahme auf

blos äusserliche Vortheile

durch welche

sie in

Dass

werden könnten.

und

rein politische

Erwägungen,

der Verkündigung ihrer Wahrheit beeinträchtigt die Reformation,

um

die Einheit der

Nation

nicht zu zerreissen, ihre politische Machtstellung nicht zu gefährden

und ihre

friedliche wirthschaftliche

hätte unterbleiben

Gedanke und Gegnern sein.

müssen,

sollte es

auch für die

welche es dahin hatte

für Protestanten

unfassbarer

Denkenden

unter ihren

billig

auf die katholische Kirche zurück,

fällt

kommen

lassen,

dass

eine Besserung

ihrer

Schäden und eine Reinigung ihrer verfälschten Lehre für

einen grossen Theil der Christenheit

möglich

Eut Wickelung nicht zu stören,

Die Schuld, welche die ultramontane Wissenschaft

der Reformation aufbürdet,

heillosen

ein

ist

wurde

,

dann

auf

die

nur durch Trennung von ihr

unglückliche

Entwickelung

der

Johannes Janssen über die Reformation. welche

deutschen Verhältnisse im Mittelalter,

dem Gemüths- und

Hessen,

dass eine

aus

Volkes

urwüchsig

entspringende

geistige

es

(593

kommen

dahin

Leben

religiösen

Bewegung

des

bereits

die

eingetretene Zersplitterung Deutschlands vollenden musste, schliess-

auf diejenigen geistlichen und weltlichen Reichsstände, welche

lich

den natürlichen Lauf der Ereignisse hemmten Einsicht aus Egoismus

und

und trotz

besserer

Zeit aus Fanatismus den

in späterer

Auschluss des gesammteu Volkes an die reformatorische Bewegung gewaltsam hinderten oder, wo derselbe bereits vollzogen war, rück-

gängig machten.

Heute

vollständige Verdrängung IG.

kann

Mensch

kein

des Katholicismus

dass

bestreiten,

die

aus Deutschland im

durch Jahrhundert eiue sehr nahe gerückte Möglichkeit war der ist aus der Geschichte ;

welche Mittel das verhindert wurde,

Gegenreformation und der Thätigkeit der Jesuiten sattsam bekannt.

Der

dreissigj ährige

Krieg

ist

keine

nothwendige

Folge der

Reformation gewesen, wohl aber der katholischen Gegenreformation; dass jedoch deren

siegreiches Vordringen

in

dem Sinne

eine ge-

Notwendigkeit genannt werden müsse, dass auch ein einsichtigeres und patriotischeres Verhalten der deutschen Fürsten, katholischer und protestantischer, dasselbe nicht hätte abwenden können das wird wol niemand behaupten wollen. Es liegt ein ganz besonderer Reiz in der Beobachtung der geschichtlichen Thatsache, dass alle grossen Ideen, wenn sie auf Erden Gestalt gewinnen, zuerst etwas getrübt und mit vielen Schlacken behaftet erscheinen und nur allmählich im Kampfe mit schichtliche



alten Anschauungen,

Verhältnissen

und

Hindernissen

unzähligen

werden und die Menschen

ausreifen, bis sie endlich klar formulirt

zu Maximen ihres Handelns machen. Janssen lässt Erwägung ganz ausser Acht. In Luthers Leben erkennen wir etwas Tragisches darin, dass er um höherer Zwecke willen einen Theil der Grundsätze, auf denen sein reformatorisches Wirken

sie

bewusst

diese

beruhte,

in späterer Zeit,

als es galt,

das Gewonnene zu sichern

und auf den Trümmern des Alten einen Neubau* aufzuführen, zurückstellen musste, weil die Praxis der Zeit

war.

Erst einer viel späteren Zeit war

noch nicht es

reif

für

sie

vorbehalten, Freiheit

der Gewissen, religiöse Toleranz, freies wissenschaftliches Forschen •

als

unerlässliche

Voraussetzungen

einer

segensreichen Arbeit

Staat, Kirche und Gesellschaft zu betrachten.

der

beliebtesten Kampfmittel

nachzuweisen,

wie

oft er in

der

Es

Feinde Luthers

in

immer

eines

gewesen,

ihm

ist

seinem späteren Leben diesen Grund-

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Johannes Janssen über die Reformation.

694

Sätzen untreu geworden

Auch Janssen hat das weidlich

sei.

aus-

genutzt und darin einen Beweis seines ungezügelten Subjectivisnius gesehen,

dass

später

er

kirchlichen Angelegenheiten für sich

iu

Anspruch nahm, die er den Häuptern der kathoKirche bestritt, und unzählig oft ist es wiederholt worden,

eine Autorität in lischen

dass er den Seinen gegenüber eine papstähnliche Stellung einnahm,

jedem anderen verdammt

die er bei

Luther

Es hat aber auch kein

hätte.

Geschichtschreiber

protestantischer

vernünftiger,

geleugnet

,

dass

von einer Hartnäckigkeit war, die sich bis zur völligen

oft

Verkennung

Gegner steigern konnte und

seiner

ihm unmöglich

es

machte, den Standpunkt derselben auch nur zu verstehen.

Luther

wurde mit zunehmendem Alter reizbarer und unduldsamer. Aber es wäre doch, wenn man diesen bedauerlichen Fehler auch zugesteht,

man

die grösste Ungerechtigkeit, wollte

fügen, wie die gewaltige Verantwortlichkeit,

ihn gegen sein Wollen in

diese Stellung

hat er sie wahrlich nicht.

nicht gleich hinzu-

die auf

ihm

lastete,

Gesucht

hineindrängte.

Von seinem Verhalten

hing, wie er fest

überzeugt war,

das Seelenheil von Millionen ab.

Niemals hat er

leichtfertig eine

Entscheidung gegeben, sondern sich jedes mal nur

nach den schwersten inneren Seelenkämpfen zu seinem Standpunkt

Dann aber

durchgerungen.

der Wahrheit desselben

hielt er ihn

viel

zu

tief

auch

fest

und

durchdrungen,

um

war von uicht für

Anerkennung desselben seinen gauzen Einfluss aufzubieten, ja Dass Luther, der von der seine ganze Persönlichkeit einzusetzen. begeisterten Liebe seines Volkes getragen war wie kein anderer

die

und der

dieser Liebe

in

Wirken und gewiss

mächtigsten Autrieb

den

eine herrliche

Genugthuung

zu weiterem

fand, unbedenklich

seine ganze Popularität aufs Spiel setzte und sie zu einem grossen

weil er der Wahrheit

Theil verlor,

gedachte, wie

gegenüber



z.

das

ist

doch eine

statt

dessen

die

vor der auch die

sittliche Grösse,

Gegner den Hut ziehen müssten. nutzt

vor allem die Ehre zu geben

ß. in seinem Verhalten den aufständischen Bauern

Janssen

Selbstbekenntnisse

schweigt Luthers,

davon. dass

er

Er oft

gezittert und gezagt, ob er ein so grosses Werk auch richtig und mit Gott angefangen habe und ob er es auch werde glücklich hinausführen können, dahin aus, dass er ihn als einen von Gewissensbissen und Aengsten, über das Verbrecherische seines Beginnens

darum

heimgesuchtes, schliesslich

zwischen Reue

an diesem

kommendes Individuum

und

Trotz

inneren Zwiespalt darstellt.

hin-

und hergerissenes,

sittlich

uud geistig

ver-

695

.Johannes .Janssen über die Reformation.

Wir können welche

ihm

die

und ebenso

nnd offenbaren Lügen,

füglich die Verdächtigungen

gewöhnlichste

absprechen,

bürgerliche Moralität

Motive übergehen, welche ihm in ßezug auf seine Stellungnahme zu den Mönchs- und Nonnengelübden und zur Ehe die

untergeschoben werden, ihm, der der vollen Werthschätzung dieser innigsten Lebensgemeinschaft erst dadurch die

dass er die mittelalterlich-ascetische Ansicht

kommenen Lebensführung der Rhelosen

verwarf.

der Anfang der Lebensbeschreibung Luthers

Jeder Schnlknabe

derselben.

jähriger

Mann

der

Reise

und

erkrankte

Grafen

Humor

Ruhe

er seinem

schlafen

ist.

folgte,

um

wie er schon auf

der

von Mansfeld, ;

Widerwärtigkeiten

den Handel

kann jeder

aller

nachlesen, wie glücklich bei Luther auch

Ernst und

wie

Köstlins Lebensbeschreibung

trotz

In

beilegte.

Effectvoll

auch der Schluss

ist

wie Luther als 03Gebrechen dem Rufe seiner

einen Streit zwischen ihnen zn schlichten

glücklich

hat,

sittlich voll-

uns weiss,

bei

trotz seiner körperlichen

ehemaligen Landesherren,

Bahn gebrochen von der

in seinen

letzten

Tagen

mit einander gepaart waren, mit welch heiterer

Tode entgegensah und wie glaubensfroh er

ent-

Janssens Bericht über Luthers Tod lautet folgeuder-

massen In Eisleben erlebte er keine Freude.

Als

er

Wein auf dem Fussbodeu

gräflichen Schlosse der

sah,

floss,

wie

im

sagte

er

bekümmert: «Das wird bald Gras nachwachsen.» Er war körperlich und geistig erschöpft; seine letzte Stunde war nahe. «Vor seinem Tode,> berichtet der Arzt Ratzebergei", «als er sein Gebet zu Gott in aufgethanem Fenster gesprochen, sah er den Satan auf dem Rohrbrunnen, der ihm die Posteriora gezeigt und seiner gespottet. Abends vor seinem Ende war er mit Doctor Jonas und Michael

Cölius,

und da er

seinen

Hausgenossen,

sich nach gehaltenem

legen, hat er folgenden

heimlich

guter Dinge,

Abendmahl hat wollen zur Ruhe

Vers mit Kreide an

die

Wand

geschrieben:

«Im Leben war ich, o Papst, deine Pest, im Tode werde ich dein Tod sein.> In der folgenden Nacht, auf den 18. Febr., trat seine Seele vor den ewigen Richter.

Aus den oben bereits erwähnten Gründen wird das Janssenwenn es bei uns auch bekannter werden sollte, als es

sche Buch, jetzt

ist,

'

niemals

Ratzeberger,

eine

so

leidenschaftliche

Jahre später der Erscheinung de« Teufels Janssen,

als einer Sage.

erwähnt einige

Küstlin,

Luther und

p. 68.

Baltischo Monatsichrirt.

i.V.

Erregung hervorrufen

der sich damals nicht bei Luther befand,

Ild.

XXXVI.

lieft

8 u.

9.

48

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Johannes Janssen über die Reformation.

696

können, wie jenseits der Grenze.

Es fragt

wodurch die Be-

sich,

sprechung des Jansäenschen Buches in den Spalten der

Werk

sprochene

Kämpfe

geistigen

Besonderen

im

Monatsschrift»

gerechtfertigt

jedenfalls

ist

ein

zur

Beitrag

unseres Jahrhunderts;

es

Baltischen



Das

erscheint.

be-

Geschichte

der

von Interesse, ja

ist

was die protestantischen Glaubensgenossen ausserhalb unserer Landesgrenzen in Äthem hält ausserdem ist das Buch in vieler Beziehung sehr lehrreich, z. B. in culturgeschichtnoth wendig zu wissen,

;

und sind seine Verdienste nach

licher,

dieser Seite

von der

hin

protestantischen Kritik auch vollkommen gewürdigt worden.

das

ist

es

derartigen

nicht,

was uns Balten

Werk nahe

diejenige

entgegentritt,

die uns hier in ist,

welche

mit

Allein

einem

Umstand, dass die ultramontanem Ge-

legt; vielmehr ist es der

Beurtheilung der Reformation,

wände

die Bekanntschaft

sich

alle

Feinde

des

Protestantismus zu eigen raachen.

Eine oberflächliche Geschichts-

betrachtung

uns Stimmungen

erzeugt

selbst

unter

welche den soeben angeführten

nahe kommen

und Urtheile,

und

unsere Wider-

Aus

standskraft einem geschickten Angriffe gegenüber schwächen.

diesem Grunde

ist es

Standpunkt klar eine

und

Sollte Janssen gehofft haben,

als eine äussere

Form,

ist

be-

auch viele Prote-

dauernd

sie

Dazu ganz in

ihren

Ueberzeugungen

geschichtlichen

machen, so täuscht er sich stark. ist,

seiner haupt-

des Janssenschen Buches

stanten in sein Lager hinüberzuziehen und religiösen

einige

ihre Berechtigung zu prüfen.

besonnene Leetüre

sonders geeignet.

und

vergegenwärtigen

Momente auf

sächlichsten

aber

zu

keine verlorene Mühe, sich den gegnerischen

Wem

sein

schwankend zu Protestantismus mehr

in die er hineingeboren,

der wird durch

mancher wirklichen Schwächen und Gebrechen, deren der Protestantismus sicli auch iu der Reformationszeit schuldig gemacht hat, an dem Lügengeiste, der dies Buch durchweht, nicht

die

Erörterung

irre werden.

Vielmehr eine Stärkung des evangelischen Bewusst-

seins lässt sich von der Kenntnisnahrae der Mittel erwarten, welcher

man

bedurfte,

um Luther und

seiue Zeit zu verunglimpfen.

Dr. A.

Berge 11 grün.

K. Pobedonoszew Ober: Familienantheile.

n einem Aufsatz über die Familienantheile (ceiiefloue yqacTBu)

hat K. Pobedonoszew,

der Generalproeurator des

hl.

Synods,

im Septemberheft der Monatsschrift «Russkij Westnik» (1889) Ideen entwickelt, welche,

wenn

sie

die agrarpolitischen

sind,

auf fruchtbaren Boden

Anschauungen

fallen,

geeignet

Russland, die Werth-

in

schätzung gewisser Besonderheiten der russischen Agrar Verfassung

und zuletzt diese

Zwar

selbst bedeutenden

daran noch

fehlt

viel,

hat doch selbst die Redaction nicht überall verstanden,

eingewurzelten

den

Misverständnis

Tage

Wandelung rasch

der Zeitschrift,

Autor seine Gedanken anvertraute,

gestellte

von

Aenderungen entgegenzuführeu.

dass solche



tritt

in

wol deshalb, einer

weil

zu

Vorurtheileri

die

erfolge

hoch-

der

kurzen Darlegungen sie

lösen

redactionellen

worauf im Zusammenhange

welcher

sich nicht gleich

vermochte.

Anmerkung

zurückzukommen

Das

oö'en

zu

wird.

sein

Unsere deutsche Tagespresse hat an der Hand eines Referats der «St. Petersb. Zeitung» über den Inhalt der Arbeit von K. Pobedo-

noszew

bereits kurz referirt.

Die Bedeutung, welche wir derselben

ein nochmaliges und die Fragen schärfer hervorhebendes Eingehen. Den Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis, dass das abstracte

beilegen möchten,

rechtfertigt indessen

principiellen

Princip der Gleichheit der französischen Revolution das zerstörende

Element

sei,

welches

die

Ordnungen

Verfassungen zu zersetzen drohe. Erbrechts' und

getragen

,

der

des Veräusserungsrechts

welche

den

europäischen

Agrar-

In diese hat es Grundsätze des

Forderungen

der

am Grundbesitz Stabilität,

hinein-

welche 48«

dem

K. Pobedonoszew über: Familienantheile.

898 organischen

Charakter

Dem

sprechen.

des

Princip

setzt Pobedonosze.w

die Principien

hanges einerseits und

Gutes

landwirtschaftlichen

der Gleichheit

und

des

wider-

seinen Consequenzen

Familienzusammen-

festen

praktischen Bedürfnisse

der landwirt-

schaftlichen Betriebe andererseits entgegen, und aus

dem Gesammt-

die

zusammenhange darf man

schliessen,

diese höher stellt, als die auf jenes.

dass

er

die Rücksicht

auf

Ja, er scheint nicht abgeneigt,

das Princip der Gleichheit als eine Ausgeburt der Revolution über-

haupt zu verurteilen. In lichtvoller historischer Darlegung wird sodann ausgeführt,

wie jenes zersetzende Princip bis

auf die

neueste Zeit

in allen

herab

die

europäischen Gesetzgebungen

Agrarordnungen verderblich im Erbrecht und im freien

beeinflusst habe, wie dasselbe namentlich

Verkehr mit Grundbesitz Ausdruck gefunden habe, wie aber aus christlich - germanischen Welt herausgewachsene Grundsätze

der

anderer Art jenem Princip zuerst

passiven Widerstand

entgegen-

gesetzt haben, wie es denselben in allerneuester Zeit gelungen

sei,

Anerkennung zu erringeu, wie sie seitdem ein mächtiger Factor geworden seien, mit dem jeder Gesetzgeber auf agrarpolitischem Gebiete nunmehr zu rechnen habe, wie endlich sich principielle

die

vergleichende

Forschung

Analogien

gefunden

welche,

habe,

aus ganz anderen Anschauungskreisen entsprungen, ähnliche Grundsätze aufweisen,

was den Beweis der Allgemeingiltigkeit derselben

wesentlich unterstütze.

Folgen wir den Einzelheiten der interessanten Darlegung! In Frankreich ist es namentlich das Erbrecht gewesen, durch welches die Grundeigenthumsverhältnisse

tung sich entwickelt

stimmt

:

chacun

des

haben.

cohereditiers pcut

solche

den Erblasser,

Hände

civil

be-

natttre

Das französische Gesetz

unget heilte

seine

für den Todesfall

nach Vertrauen verdienen.

verhängnisvoller Rich-

dcmander sa part en

des meubJes et immeubles de la succession.

verhindert

in

Der Artikel 826 des code

Wirthschaft

in

zu übergeben, die seiner Meinung

Die Wirkung

ist überall,

in

Frankreich,

wie in den anderen Ländern, welche das französische Recht recipirt haben,

bedeutendes wirtschaftliches Elend, Zerrüttung

nichtung insbesondere der kleinen Wirtschaften und

und Ver-

Hand

in

Hand

damit Zerstörung des festen Farailienzusammenhanges.

Für den Staat überaus wichtig erklärt Pobedonoszew Existenz und Vermehrung sicher solcher,

die

von

Generation

zu

fundirter Familien,

Generation

mit

die

vornehmlich

den

w

i

r t

h

-

Digitiied

b^oogle

K. Pobedonoszew über: Familienautheile.

schaftlich organisirten

Gütern verbunden

Grund-

sind.

eine politische

Typus bilden seit alters und noch gegenwärtig Macht in England, auf ihnen begründeten sich seine

Institutionen,

durch

besitzer von diesem

worden.

Demokratie eigen Auflösung

der Nation

sie ist die Freiheit

Vernichtung

Die

dieses

Typus,

sichergestellt

welche der

moderneu

führt zur Atomisirung der Gesellschaft, zur

ist,

in eiufache Einheiten,

welche

bunden und vom Grund und Boden

wechselweise

nicht

ver-

losgelöst, folglich kraftlos

und

bodenlos siud.

Beim Gebrauch des Wortes Aa4a, das

hier mit

Gut

wurde, abstrahirt der Autor an dieser Stelle und so

wo

anderen Stellen,

Es

des Besitzes.

au den

der

Grösse

einer seiner Hauptgesichtspuukte,

dass das

gebraucht wird,

dasselbe

ist

übersetzt

aucli

von

gleiche Recht der wirtschaftlich organisirten Güter für alle Grössen-

Verhältnisse

Grundbesitzes

des

gelten

soll.

Offenbar

ist

es

in

diesem Sinne gemeint, wenn der Autor, trotzdem er zumeist bäuerliche Verhältnisse im

obgleich

hat,

ihm

Auge

aucli

hat, hier das Beispiel

der

bäuerliche

Englands gewählt

geschlossene Grundbesitz

Deutschlands zu Gebote stand, wie sich aus dem weiteren Verlauf

Er

seiner Darlegung ergiebt.

ist

aber gerade deshalb der Gefahr,

misverstauden zu werden, nicht entgangen, weil er seinen Gedanken, die

für Russland

vermieden

hat.

neu

sind,

einen concreten Ausdruck

zu

Aus dem Gesammtzusammenhauge geht

geben

für uns

unzweifelhaft

hervor, dass sein Ziel ist, das den Gefahren der Demokratisirung zusteuernde russische Bauernthum so gut wie die übrigen Bevölkerungsklassen, insbesondere den russischen Adel,

welche

ihren

Grundbesitz

ihrem Grundbesitz

blicken, durch seinen

organisirten Güter,

landwirtschaftlich

eine wirthschaftliche

ausnutzen und und sociale Aufgabe

in er-

Typus der nach wirtschaftlichen Rücksichten

d. h.

durch geschlossenen Grundbesitz, zu retten.

Dass dieser Grundsatz nicht

in seiner

ganzen Strenge,

d.

h

nicht

auf alles landwirtschaftlich benutzte Land augewandt werden kann,

dem Autor klar. In diesem Sinne zieht er das Beispiel Chinas wo nebeu dem geschlossenen auch solcher Grundbesitz existirt, der dem freien Verkehr unterliegt. In diesem Sinne verweist er mit mehr Nachdruck auf Nordamerika, wo die Heimstättengesetze nur den Hof uud ein Minimum des Besitzes — im Werte von 1000 Dollars der Familie sichern, den übrigen Besitz aber dem freien Verkehr, der Verschuldung und dem Zwangsverkauf überlassen. In gleichem Siune scheint dem Autor auch Russlaiids agrare ist

heran

,



700

K. Pobedonoszew über: Familienantheile.

Entwickelung wünschenswert zu sein. Zuerst gilt es ihm, die Wohnstätten nebst einem Minimalbesitz den Familien zu sichern. Russland wird sich, wie die Forschungen auf dem Gebiete der

wenn

Agrargeschichte erwiesen haben, schreitet, in

zu

entwickelteren Agrarverhältnissen

Germanen, bewegen. als

Richtung

es in dieser

fort-

den Bahnen der ihm stammverwandten Völker, welche

Der

ein

gelangt

sind

Obereigeuthum anerkennende Familienbesitz

am Hofe und

von

schreitet

Weide und Wald.

Seitdem

wie

Slaven

,

Gesammteigenthum der Gemeinschaft weiter

hier

man

fort

sich zuerst

fixirt

zu Acker, Wiese,

Einwirkung des

die

römischen

Rechtes, als dessen radicalste Conseqnenz jener französische Rechts-

grundsatz nur angeseheu werden

kann,

erkannt

man

sucht

hat,

überall die Bedingtheit jener Entwickelungsreihe des Privatbesitzes

am Grund und Boden Gesammtheit Doch,

durch die Autorität des übereigenthums der

der Agrargesetzgebung zu wahren.

in

haben

wir

Pobedonoszew fährt

vorgegriffen.

Illustrirung des Widerspruches fort,

in den

in der

das abstracte Gleich-

heitsprincip zu den praktischen Bedürfnissen der Grundeigenthums-

Ordnung gerathen

ist.

Wie sorgsam

auch,

heisst

das

weiter,

es

— dasselbe ehemals durch die Arbeit früherer Generationen worden, Schatz guter Familientraditionen — das

Familienhaupt sein Gut eingerichtet und bearbeitet hat ist vielleicht

gerichtet

nützt

;

alles

wenn nach dem Tode das Gut der Zerstückelung

nichts,

anheimfällt eine

ein-

ein

und auch die neuen Besitzer der Theile sind verurtheilt,

wirtschaftliche Arbeit

zu

d:e nach ihrem Tode Dazu kommt, dass mit jeder

erneuern,

wiederum auseinandergerissen wird neuen Zerstückelung,

wenn

erforderlich ist und solches die Schulden



ordnung zwar

erleichtert,

neu einzurichten, Capital

sich

immer schwerer zu haben

und der Credit,

verderblicher wird, das, je

schuldung trägt.

es gilt,

aber

welcher

gerade

kleiner

Die Güter geratheu

es in

durch

dadurch ist,

die

ist.

Daher

Hypotheken-

dem Gute

desto

desto schwerer die Ver-

Concurs und werden unter

So verliert allmählich mit dem Ruin der kleinen Güter die Landwirthschaft

dem Hammer

verkauft.

jeglicheA

n

ziehungskraft,

und die Bevölkerung, die ehe-

mals ansässig und mit dem ländlichen Leben zufrieden war, strömt aus den Dörfern vermehrt,

in die Städte,

wo

sich das obdachlose Proletariat

jene unzufriedene, hungrige

und von jedem zufälligen

und materiellen Interesse abhängige Masse. Der Grund und Boden, ehemals productiv in den Händen seiner Wirthe, verfällt in Massen

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GuOQle

K. Pobedonoszew über: Familienantheile.

701

den Händen von Capitalisten und wird die Beute einer RaubWirtschaft oder der Standort einer Fabrikindustrie. Derart sind die schlimmen Folgen der Zerstückelung der

Umfange schon

Erblassenschaften, in ihrem ganzen

wo

in Frankreich,

um

jetzt kenntlich

vernünftige Leute längst nach Mitteln

diesen Uebelständen durcli

suchen,

Abänderung der Gesetze über das

Erbrecht abzuhelfen.

Es

ist

zu Felde

offenbar, dass

zieht,

das Erbrecht

Pobedonoszew nicht gegen das Erbrecht

sondern gegen

in

die,

Frankreich allerdings durch

bedingten Zerstückelungen

welche keine Rücksicht haben

Grund und Bodens,

des

Charakter des

für den organischen

landwirtschaftlichen Gutes und für die Dauer des Familienbesitzes als die stärkste

sache derselben

Das

sind,

Wichtigkeit,

Frankreich,

keit

der

die Ur-

fährt

Pobedonoszew

Fragen

fort,

von

allererster

an die Oberfläche getreten sind nicht allein in Und iliese sondern mehr oder weniger überall. die

allererster

Völkern:

die rück-

ist also

der hier entgegengetreten wird;

von secundärer Bedeutung.

ist

Fragen sind nicht von

Es

Wurzel der Vaterlandsliebe.

sichtslose Zerstückelung,

Sie sind verknüpft mit einer anderen

neu.



Wichtigkeit

zu

und

Zeiten

allen

bei

Frage allen

mit der Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähig-

Familie,

welche

Hauptstütze

die

des Wohlstandes im Staate ausgemacht

Das Centruin

der Familie

ist in

diesem Sinne der häusliche Herd,

seine wirtschaftlichen Voraussetzungen das

und Boden, beide und Boden

in

Ordnung und

der

uud ausmachen wird.

hat

Haus und

enger Verknüpfung unter einander.

erfordert Pflege, Arbeit,

Grund Der Grund der

Kunst des Wartens und

die

Berechnens, erfordert ein Können, das nicht jedermanns Sache und



gemäss den

das nicht allemal

eintritt.

Herd zu bewahren,

lichen



natürlichen Verhältnissen

ohne Hilfe von aussen.

Schwer ihr

ist es

Haus und

Daher



auch

ein

Gelingen,

für viele, sich ihreu häus-

Grund und Boden

ihren

die Verschuldetheit,

daher die

verhängnisvolle Rolle, welche der Darleiher in der Geschichte der

Agrarverhältnisse seit den ältesten Zeiten

spielt.

Deshalb

ist

der

Schutz der kleinen Landwirtschaft überall Gegenstand der Sorge

und Pflege des Staates gewesen. Der Autor fordert in richtiger Erkenntnis, dass das Bauerngut Gegenstand schützender Gesetze duellen Rechtes auf

Land

stellt er

sei.

An

die Stelle des indivi-

das Recht der Familie an das

Bauerngut als Gegenstand staatlicher Fürsorge

hin.



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702

K. Pobedonoszew über

Familienantheile.

:

Ueberall, heisst es weiter, erwies es sich als nothweudig, den

Grundbesitzer in

Herd

Lage zu

solche

bringen,

dass

häuslicher

sein

Beschlagnahme bei Lebzeiten und vor Theilung im Todesfall. Um diesen Schutz auszuüben kennen die Volkssittel) und Gesetzgebungen folgende Mittel sichergestellt sei vor

,

1. Die Einrichtung des ländlichen Gemeindebesitzes. Die Gemeiude versorgt alle Glieder mit Land und verbietet allen die Veräusserung desselben. Ihr gehört das Eigenthum, dem einzelnen Gliede nur der Niessbrauch des Grund und Bodens (cf. Theil I.

meines Cursus des Privatrechts § ö6). 2. Die Ordnung des Lehnrechts, getheilten

Grundeigentum

sich aufbaut.

bekanntlich

das

auf dem

(Den historischen Excurs

des Autors übergehen wir.) 3.

Die chinesische Agrarordnung.

Aus dem ganzen StaatsLand ausgesondert mit dem Verbot, dieses

territorium Chinas sind 75 Millionen Hektaren

und in Eigenthum an Familien vergeben, Eigenthum zu veräussern oder zu verschulden, und mit der Be-

stimmung, dass ein jedes dieser Familiengüter uugetheilt auf eine u

Erben übergehe. Diese Besitztümer beiluden sich noch gegenin den Händen derselben Familien, denen sie im 7. Jahrhundert verliehen wurden, wodurch die Festigkeit des Grundeigentums in China erklärt wird. Das übrige Land des Staatsterritoriums unterliegt dem freien Verkehr und den Eiuflüssen der mannigfaltigen und zufälligen Bedingungen des Marktes. wärtig

4.

der

In neuester Zeit

ist,

Freiheit,

bürgerlichen

kommen, deuselben Zweck zu der Familienantheile auf

des Princips

unter der Herrschaft ein

neues Mittel

Das

erreichen.

ist

folgender Grundlage.

Uebung

in

ge-

die Institution

Der Eigentümer

kann, ohne übrigens die Befugnis, sein Eigenthum zu verschulden,

zu verkaufen oder zu vererben, einzubüsseu, formell erklären, dass sein Landantheil

für seine Schulden

nicht

haftet,

und verbieten,

dass dasselbe nach seinem Tode getheilt werde.

Nach

einer

für den offenen Blick

des Autors

nach Westen

zeugenden Darlegung der neueren europäischen Agrargesetzgebung, namentlich derjenigen Deutschlands die

und Oesterreichs,

in

welcher

Fragen des geschlosseneu Bauerngutes, der Höferolleu und des

Anerbeurechts ins rechte Licht Leser können verweisen



wir

in

findet der

licher Institutionen

in

gestellt

dieser Beziehung

werden auf



den deutschen

die reiche Literatur

Autor den charaktervollsten Typus

ähn-

nordamerikanischeu Freistaaten.

Am

den

K. Pobedonoszew über: Familienautheile.

703

wichtigsten sind für dessen Entwickelang die in 44 Staaten von 48 mit geringen Modifikationen eingeführten Gesetze der homestcad Das erste derselben datirt vom Jahre 1849. Danach exemption.



Eintragung ins kann der Eigentümer durch einen formellen Act sein Gut (der Autor braucht den Ausdruck wb) Grundbuch im Umfang bis 200 Acres, nebst Haus und beweglichem Inventar für untheilbar und der Beschlagnahme nicht unterliegend erklären



bis

zum Betrage von 1000

Wenn

Dollars.

bei eintretender

vollstreckung es sich durch Taxation seitens

Zwangs-

der Behörde erweist,

dass das Besitzthum höher werthet, so steht es

dem Besitzer

frei,



dieser wird abgetheilt. Durch den Ueberschuss auszukaufen oder einen zweiten Act kanu der Besitzer seineu Besitz wieder frei-

machen, dazu bedarf es aber der Zustimmung der Ehefrau. der Herrschaft dieser Gesetze

hat

Unter

Zahl der Farmer von

sich die

zwei auf vier Millionen gehoben.

Die Frage der Untheilbarkeit

und

kleinen Antheile erklärt Pobedonoszew

Ländern,

die den

besonders

aeMJieBjiaAtjiLCTO

wichtig

der in

Bauernstand von der Leibeigenschaft mit Land

Die Bedeutung des Gemeindebesitzes

befreit haben.

in

Unveräusserlichkeit

für

— für die Zeiten des

Pobedonoszew

die Freiheit erkennt



o6u;uHüoe

Uebergangs aus der Unfreiheit voll an, weil sie

den Bauer

vor der Gefahr schützt, ehe er die wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt hat, seinen Grundbesitz zu verlieren.

Nach

seiner principiellen

Darlegung führt Pobedonoszew den

interessanten Beweis, dass durch einzelne Bestimmungen der russi-

schen Emancipationsgesetzgebung die Absicht vereitelt

zu werden

drohe, den Grundbesitz des Bauernstandes durch den Gemeindebesitz

zu

Vor allem

schützeu.

ist

der Artikel 165

es

der

Loskaufs-

ordnung, welcher jedem einzelnen Bauer gestattet, nach Einzahlung seines vollen Antheils die Ausscheidung

dann

besitzt er

das Recht, Artikel

zu

als unbeschränktes

dasselbe

hat,

an der Loskaufssumme

seines Antheils

zu veräussern,

wie Pobedonoszew

in

der Kreisrentei

verlangen.

Eigenthum und

Diesen Antheil erwirbt damit

ohne Einschränkung.

sich

Dieser

überzeugen Gelegenheit

zu

gehabt, besonders grosse Verheerungen angerichtet, indem Aufkäufer

den Bauern

die

ganze Loskaufssumme

Verkaufs ihrer Antheile an

Die

Beispiele, welche

unter

der Bedingung des

sie vorstreckten.

Pobedonoszew

als besonders verderblich

herausgreift, genügen, den zersetzenden Eintiuss zu erkennen,

jeues

abstracte

Priucip

der

Gleichheit

,

das

der

den

französischen

704

K. Pobedonoszew über: Familienantheile.

Revolution entstammt,

auch

gebung ausgeübt

Wie

rechts,

wie

hat.

auf die neue in

auf dem

Deutschland

in

im

Verkehrsfreilieit

russische Agrargesetz-

Wege

Frankreich auf dem

Grundbesitz

Wege

der

durchgeführten

des Erb-

zu völliger

bis

Grundsätze

Stein-Hardenbei gschen Agrargesetzgebung, so hat auch

in

der

Russlaud

wenn auch nur durch eine Hinterthür, Eingaug Das Recht auf Land, das die russische Agrarverfassung jedem Geraeindegliede zuspricht, löst Pobedonoszew aus dem Banndasselbe Princip,

gefunden.

des

kreise

dem

abstracten

punkte betrachtet, postulirt,

das

Gleichheitsprincips

indem

,

dasselbe

er

Aus diesem

Princip des Familienantheils subsumirt.

Gesichts-

der die Untbeilbarkeit und Unveräusserlichkeit

behält der Anspruch des einzelnen Gemeindegliedes auf

Grundeigenthum

der Gemeinde

mehr bedingte Geltung,

nur

entkleidet sich der Consequenzen, welche zu den periodischen

theilungen

der

Schlüsse zieht

Um-

gesammten Gemeindeflur geführt haben. Diese der Autor allerdings nicht. Es heisst weiter:

In Russland allen bäuerlichen Grundbesitz

für

freie

Waare

erklären, hiesse die Bauern aller Mittel zur Aufrechterhaltung ihres

Besitzstandes berauben,

Unterhaltung der Wirt-

aller Mittel zur

und Hunger.

schaft, zur Sicherung vor Bettel haftigkeit

des russischen Volkes besteht

zur Zeit

aus

solchen,

Die Masse an Be-

die

reicherung nicht denken können, selbst nicht an regelmässige schaft, sondern versunken sind in

Sorgen

um

Wirt-

das Stück Brod.

Der

Grundbesitz legt auf den Besitzer so schwere bürgerliche Lasten, die einem

Menschen ohne Capital entschieden über

die Kräfte gehen,

dass die Erhaltung der Scholle leicht für die Mehrzahl sich als zu

schwer erweisen dürfte.

Vor allem stimmungen, diese

dass

fordert

Forderung befriedigt ihn

man

Autor

der

über

die

nicht.

Grundsätze

jener Be-

Beseitigung

die

Frage stellen. Aber Geleitet von der Erkenntnis,

welche den Gemeindebesitz

in

hinauszugehen habe,

Aufhebung der Leibeigenschaft wirksam waren, sagt

welche bei er weiter

Zugleich mit dieser Frage' führt eine gesunde Politik, welche entschieden die Erhaltung der Familie in ihren sittlichen Beziehungen

und ihrer wirthschaftlichen Integrität wendigkeit, dass eine

Norm

des

zu

fördern

hat,

untheilbaren

zur Noth-

(und



wenn

durch Zwangsvollstreckung nicht veräusserbareu) Die gegenbäuerlichen Haus- und Grundbesitzes festgestellt werde.

auch bedingt

1

Ks

ist

die

Frage der Beseitigung jenes Art. 165 und ähnlicher au» den

Eraancinatiunsgesetzen gemeint.

K. Pobedonoszew über: Familienantheile.

705

Das

wartig bestehenden Gesetze genügen dieser Forderung nicht. constatirt der Autor.

Nachdem

derselbe gezeigt hat, dass nicht allein der bäuerliche

Grundbesitzer derart schützender Gesetze bedarf, sondern auch alle übrigen landbauenden Klassen, es

am



Schlüsse

aber

namentlich

der Adel,

und dieser Schlusspassus bezieht sich

Westniki misversteht,

die Redaction des «Russkij

allein

auf allen Grundbesitz,

nicht bäuerlichen, sondern

des bäuerlichen Gemeindebesitzes

:

heisst

nicht,

wie

auf den

mit Einschluss

Angesichts eines so elenden Zu-

Standes entsteht unwillkürlich der Gedanke, ob es nicht auch unserer

Gesetzgebung anstände, ihre Aufmerksamkeit der Begründung eines ähnlichen Typus zuzuwenden, wie ihn Nordamerika für sich iu der

Form

Dieser Gedanke

der homestead ausgebildet hat.

ist

theilweise

und Gesuchen

bereits ausgesprochen

worden

zuerst der Poltawaer

und dann mehrerer anderer Adelsversamm-

lungen.

der

Ich sage,

und

Geschichte

arbeitet,

zum

erinnerten

in

Theil, denn diese Projecte,

westeuropäischen

der

weshalb

exclusiv adeliger Institutionen,

wurden,



auch

sie

nicht zu

jener Theoretiker des abstracten Princips

von

gedenken

ausge-

im Siune der Presse

der

Meinung

der Freiheit jeden Ver-

es unterliegt keinem Zweifel,

Aber,

kehrs.

ohne Kenntnis

Gesetzgebung

Majorate,

Zügen an

in einigen

ungünstig beurtheilt

den Vorschlägen

dass

diese ursprüng-

lichen Projecte bei fernerer Bearbeitung einen Charakter

gewinnen

können, welcher den thatsächlichen Bedürfnissen des Schutzes entspräche, nicht der grossen Güter, sondern des kleinen Grundbesitzes, d. h.

Hof

einer Normalgrösse



sind,

landwirtschaftlichen Gutes

eines

nebst

Trotzdem hier Ausdrücke gebraucht welche der Sphäre des adeligen Gutes entnommen sind ^aia (jiaia cif

ycaAbOo»).





und welche den Irrthum der Redaction des Russkij ycaAb6o» Westnik>, hier sei von kleinen Gutem des Adels die Rede, wol in erster Reihe veranlasst haben, geht aus dem Gesammtzusammen-

ct,

«

hange unzweifelhaft hervor

Ausdruckes stätigt,

Gut



und



wird

durch die Wahl

desselben

anderem Zusammenhange bedass K. Pobedonoszew auch hier, und wol in erster Reihe, für

.naia

in

den bäuerlichen Grundbesitz, also auch den Gemeindebesitz, als die normale Form des bäuerlichen Grundbesitzes in Russland, im Auge hat.

Ideen,

Unter dem Obereigenthum der Gemeinde soll, wenn wir die welche der Autor entwickelt hat, richtig verstehen, die

Familie den

in

entzogenen

und

seinem Kerne untheilbaren, der Zwangsvollstreckung

nach

dem Princip

des Auerbenrechts,

d. h.

der

K. Pobedonoszew über: Familienantheile

706

eines

Bevorzugung Grundbesitz

Erben, erblichen Grundbesitz nutzeu. landwirtschaftliches

soll als

Summe

nicht aus einer

Gut

Dieser

erfasst werden, also

von Flächenmasseinheiten bestehen, sondern

gemäss dem Charakter organischer Einheit aus allen für den landwirtschaftlichen Betrieb und im Sinne eines Familieusitzes erforderlichen Theilen bestehen. Die Form der Eintragung und Löschung im Grundbuch als Voraussetzung des besonderen Charakters dieses gebundenen Grundbesitzes, die sich in Nordamerika heraus-

gebildet hat, wird nicht betont. für

Russland passen.

Dieselbe dürfte auch

am

wenigsten

Selbst in Deutschland hat sie sich nur aus-

Denn

nahmsweise bewährt.

dem europäischen Bauers-

es widerstrebt

mann, seinem Willen durch formelle Acte Ausdruck zu geben.

Wie

welche

weit die Ideen,

Verwirklichung noch ferne

dem

verständnis,

welcher

sie

wol

derjenigen

tion

sind,

werden,

entwickelt

hier

am

illustrirt

besten

dieselben von einer Seite ausgesetzt waren,

am

Zeitschrift,

der jene

Ideen

anvertraut

wie schwer es einem

gefärbten russischen Politiker werden mag, die hier

Das

gebrachten Ideen auch nur zu verstehen. die grosse Zurückhaltung, die

es

welche

ihm

letzt:

unumgänglich,

ist

sichtsmassregeln

Dritter

wurden.

der Wolle

zum Ausdruck

rechtfertigt vollauf

mit detaillirteu

versagte,

Nur

Bemerkuug welche den Gedankengang andeutet. Es heisst

wir,

Es

in

der Autor beobachtet hat, eine

vor allem

positiven Vorschlägen hervorzutreten.

gegnen

von

von der Redac-

wenigsten vermuthet wurden,

Dieses Misverständnis zeigt,

Zurückhaltung,

ihrer

jenes Mis-

und

einer

dass bei Beobachtung

bezu-

gewisser Vor-

ohne Verletzung der Rechte

eine gesetzliche Möglichkeit gewährt werde, diese kleineu

und Zwangsvollstreckung zu schützen nach Ausscheidung aus dem für viele verderblichen Credit

Grundbesitze vor Schulden

und

sie

in ihrer

Ganzheit der

Erwähnung

Familie

verdient

es,

vorzubehalten.

dass der Autor,

der jene verfehlten

um an

Projecte einiger Landschaften herangezogen hat,

ähnliche

Bestrebungen anknüpfen zu können, bei Gelegenheit seiner Kritik der russischen Emancipationsgesetzgebung die westlichen

auch

und baltischen Gouvernements

deren Agrargesetzen

er

Bestimmungen

den Hinweis auf

nicht

unterlässt,

in

er

am

K. Pobedonoszew

er-

begegnet,

welche

Hauptkörper des Reiches ungern vermisst. Seitdem schienen

ist,

die

interessante

Arbeit

von

hat das jüngst veröffentlichte Colonisationsgesetz auf

Domänenland vom

13.

Juni

c.

gezeigt, dass seine Ideen eiuer

sym-

K. Pobedonoszew über: Familieuantheile.

pathischen

Aufnahme

doch dieses Gesetz liehene

Land

Hinsicht

ist

für

in

707

massgebenden Kreisen begegnen.

das den Colonisten

auf Grund

weder veräusser- noch verschuldbar.

dasselbe vielleicht ein Versuch.

Zu

aber werden jene Ideen dann erst gelangen, wenn der normalen Form russischen

voller sie

Erklärt

desselben ver-

In dieser

Bedeutung

in die

bäuerlichen Grundbesitzes,

Kreise in

das

Agrarrecht des Gemeindebesitzes, eindringen.

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Aus den Wanderjahren dreier

est ländischer

Maler.

I.

ie

Strassen Berlins waren festlich geschmückt.

Linden

lange Reihen

standen

von

Unter den

eroberten und rück-

eroberten Geschützen, Trophäen blutiger Schlachten und Zeugnisse

Am

der Befreiung des Volkes von der Fremdherrschaft.

war

der Zudrang

lebhaftesten

Menge zu dem Brandenburger Thor, auf

der

welchem wieder das kupfergetriebene Viergespann

stolz sich erhob,

das, vor neunzehn Jahren aus der Werkstatt des Meisters Gottlieb

Schadow hervorgegangen,

als Siegesbeute

und

worden

nach Paris

versetzt

war.

von Napoleon

Mit den

entführt

heimkehrenden

Siegern war auch die Victoria auf ihren stolzen Standpunkt auf dem Brandenburger Thor zurückgekehrt. Jetzt war sie mehr als je und in anderem Sinne dem Berliner das Symbol der siegreichen Volkskraft und Königsmacht Preussens Der Jubel, mit welchem Berlin die Rückkehr dieses schönen und bedeutungsvollen Werkes begrüsste, war ungeheuer; es schien ein Rausch der Freude des

ganzen Volkes sich bemächtigt zu haben. In dieses Gewühl traten zwei sonnenverbrannte, staubbedeckte

Wanderer, Fremdlinge von

betroffen

Volkes.

Sie

hältnissen,

der

der preussischen Hauptstadt und seltsam

in

noch

nie

gesehenen

kamen aus der Ferne, aus

einer

eigenen Begeisterung

Kunst zu erlernen, hatte

sie in

Eintritt in Berlin sie plötzlich in

freien Begeisterung eines stillen heimatlichen

folgend.

Der Drang,

Verdie

Fremde getrieben und jener das Geräusch und die Strömung

die

Aus den Wanderjahren

709

dreier estlandischer Maler.

dem sie daheim nichts geahnt. Es waren zwei Estländer, die in Deutschland einen dritten Landsmann und Strebensgenossen zu finden hofften.

eines Volkslebens gerissen, von

In den Ostseeprovinzen, namentlich in dem nördlichen Theile

wo

Begabung des estnischen Volkes Auges wol eine Rückwirkung auf die deutschen Mitbewohner des Landes üben mochte, erstehen zum derselben,

für

die

die eigenthümliche

Eindrücke

des

Schlüsse des vorigen

raschend

und im Beginne

unseres Jahrhunderts über-

Was

nach dem nordischen Kriege

viel malerische Talente.

an künstlerischem Schmucke Höfe,

wie für die

für die neu erstehenden Kirchen

gefordert und geschaffen war, rührte meist von der

scher Kunstler her.

und

wiederaufblühenden Patricierhäuser der Städte

Hand

ausländi-

Einen geregelten Kunstunterricht zu gewinnen,

war damals in den Ostseeprovinzen äusserst schwer, ja meist unmöglich. Und doch die verhältnismässig grosse Zahl der um die Wende des Jahrhunderts auf dem scheinbar für die Kunst unfruchtbaren baltischen Boden erwachsenden Künstler! Man wird kaum irren, wenn man diese Erscheinung als einen Beweis für die starke Einwirkung, welche die Geistesrichtung der deutschen Lande aut ihre nordöstlichen Nachbarn übte, ansieht.

Nach langer Abhängigkeit von

fremdem Geschmack und Können hatten

sich in den letzten

Jahren

des siebzehnten Jahrhunderts die ersten Spuren eines Strebens nach künstlerischer Selbständigkeit gezeigt.

Auch

hier hat der Kurfürst

Friedrich, noch bevor er das Königreich Preussen schuf, in seiner

Hauptstadt Berlin eine Akademie gegründet. Stand dieselbe der Leitung eines Holländers und fristete sie

zuerst unter

wenig bedeutende

Existenz,

bis Friedrich

der Grosse

sie

aucli

eine

durch

so war sie doch der erste Kunst im eigenen preussischen

Berufung neuer Lehrkräfte reformirte, staatlich geschützte Versuch,

Lande zu

pflegen,

Staaten.

Wien

stadt

war im

und wurde bald ein Vorbild für andere deutsche

Akademie im Jahre 1711. Die Kaiserund berühmter Gemäldesammlungen. und privates Wesen galt für reicher, urbaner und erhielt seine

Besitz grosser

Ihr öffentliches anregender,

die

als

das des damals noch ärmlichen Berlin.

So über-

Akademie bald die an der Spree, und von Seiten strömten noch im Anfange unseres Jahrhunderts die

flügelte auch die wiener

allen

künstlerischen Talente Deutschlands nach der Donaustadt.

In Dresden hatte zwar die Kunst an dem Hofe der Kurfürsten in so weit Pflege erhalten,

prachtliebenden als

ausländische

Künstler zur Herstellung und Ausschmückung der Paläste berufen

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Aus den Wander jähren

710 wurden

dreier estländischer Maler.

eine eigenartig deutsche Schule vermochte sich aber dort

;

noch lange nicht zu bilden.

Der fremdartige phantastische

Baustil,

Gemälde, die an Decken, Wänden und Kuppelwölbungen angebracht oder als Werke besserer Meister aus der Ferne zusammendie vielen

getragen wurden, boten immerhin späteren Generationen Anregung

und Belehrung.

Erinnern wir noch an die anderen deutschen Kunst-

schulen, welche im 18. Jahrhundert entstanden, an

Cassel &c,

ergiebt

so

München, Prag,

das Bestreben

überall

sich

selbständiger

Kunstthätigkeit in Deutschland.

In weit höherem Masse erkennen wir die gleiche Zeitrichtung in

Nicht die

deutschen Literatur.

der

noch

Lessings,

Versuche

die

bewerbung aufzuhelfen

1 ,

Werke Winkelmanns und

der Kunst durch WettAufnahme, welche ein der-

Goethes,

sondern

die

bei dem deutschen Volke fand, zeugt für einen vollkommenen Umschwung in den künstlerischen Idealen und für die erwachende Lust am Genüsse, wie am Schaffen des Schönen.

artiges Streben

Diese hochgehende

weckte

in

Deutschland

Woge

künstlerischen Sehnens und Trachtens

Reihe

eine

bedeutender^ Künstlertalente.

Unter ihnen nehmen die Maler den bedeutendsten selbe

Woge

fluthete nicht blos in literarischer

Raum

Die-

ein'.

Form, sondern noch

1

Dass die von Gönnern geübte Pflege der Malerei nicht Volkstümlichkeit hatte, beweisen u. a. die Preisaufgaben, welche die Weimarer Kunst freunde, Goethe an ihrer Spitze, den Künstlern stallten: 1800: Tod des Resos 1801 Achilleus auf Skyros, 1804 das Menschengeschlecht vom Element des

im Auge

:

:

Wassers bedrangt, 1805 Stoffe aus dem Leben des Herkules. Und doch regte Goethe ohne sein eigenes Wissen durch seine Dichtungen zu nationalem Kunst-

:

schaffen an *

den

und

:

Cornelius

Niebuhr,

jungen Künstlern sich unermüdlich

Staate beschäftigen betrachtete die

nahm Goethes Faust zum Ausgang

der beim Beginn daselbst

seiner

diplomatischen

auf das Freundlichste

seines Schaffens.

Thiitigkeit

in

Rom

entgegengekommen war

darum bemühte, die besten Kräfte unter denselben vom lassen und sie in den Dienst des Staates zu stellen,

zu

wol durch eine Reihe von Enttäuschungen veranlasst

junge deutsche Kunstwelt in

Rom

mit minder



später

freundlichen Blicken.

Er

August 1818: «Das sonst so sonderbare Phänomen, dass, wahrend für Wissenschaft und Gelehrsamkeit fast lauter taube Ohren unter den Jünglingen sind, sich so viel Talente in der Kunst zeigen, kommt zum Theil daher, weil das Lernen in Verachtung gekommen ist Und dann, weil die was ihnen gerade gefallt.» — Es muss wol eine Leute nur thun wollen Stunde tiefen Mismuths gewesen sein, die den berühmten Gelehrten zu so nnge rechtem Unheil über die Wissenschaft und Gelehrsamkeit seiner Zeit und zu der Annahme verleiten konnte, zur Kunst bedürfe es des Lernens nicht nnd das Talent könne entstehen, wenn jeder nur thue, was ihm gerade gefüllt. Das schreibt im

— — —

,

sonderbare

Phänomen

hat sicher andere Gründe.

Aus den Wanderjahren

711

dreier estlandischer Maler.

gesammte ästhetische Anschauung auch über die Ostseehin. In der Abgeschlossenheit der Güter wohlhabender Edelleute pflegten vornehmlich die Frauen den neuen literarischen Geschmack. In den Pfarrhäusern der alten Schule waren neben den Klassikern die Schriftsteller des modernen Humanismus, neben

mehr

als

provinzen

den Philosophen die Dichter der beliebteste Lesestoff des Vaters

und

der Familie.

Da

Vater jener Zeit ihre Söhne Gymnasien oder der Doraschule schon früh in die Gemüther der be-

vielfach

die

selbst für die höheren Klassen der

vorbereiteten,

sich

pflanzte

gabteren Knaben und Jünglinge eine ästhetische Weltanschauung,

welche

bei einzelnen

zum Drange wurde, auch

schöpferisch der

.Kunst zu dienen. In dem Centrum Estlands,

in Reval,

machte sich im letzten

Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ein dort fremdes Element geltend.

In

diese Stadt

bis dahin

war

vollkommen

als Assessor

des

August Kotzebue gesandt worden. Derselbe hatte sich in kurzer Zeit in Petersburg hohe Gönner zu schaffen gewusst. Der Chef der dortigen deutschen Theaterdirection, General v. Baur, hatjje ihn zu seinem Privatsecretär gemacht und in seinem Testamente der Kaiserin Katharina II. empfohlen. «Das rasche Feuer, mit dem er Alles aufnahm, das lebhafte Gefühl, das seine Theilnahme reizte, hat auf mein ganzes zeitliches Verhältnis den einCiviltribunals

wirkendsten Einfluss gehabt, und dankbar segne ich seine Asche.»

So schrieb damals Kotzebues Mitassessor, der jüngere RitterschaftsBerg (Bienemann, Statthai terschaftszeit p. 217), Wol

secretär J. G. v.

noch

einwirkenderen Einfluss übte Kotzebues lebendige Phantasie

auf die

Damen

der adeligen Kreise in Estland,

Stellung und seine Begabung

öffneten.

welche ihm seine

Insbesondere

benutzte er

seine Beziehungen zur Betreibung seiner Lieblingsidee.

Statt der

Wanderbanden, die bisher in den kleineren Stallten umhergezogen waren, gründete Kotzebue ein stehendes Privattheater und wusste wirklich in den gesellschaftlich sonst ganz geschiedenen schlechten

Ständen, in dem Adel, wie in der höheren Schicht des Bürgerthums, Interesse für die Sache zu wecken und selbst persönliche Beteiligung

an dem theatralischen Spiel zu gewinnen. gewisser Beschränkung

man

sie

gleicht,



eine



für Reval,

freilich toll,

mit

wenn

mit der früher hier herrschenden Sitte und Tradition ver-

doch selbstverständlich

von der «tollen Zeit»

so weit abstehend, als Kotzebue von

Kotzebue hat uns Baltisch.-

Es begann

tolle Zeit

in

mehreren seiner Lustspiele und

MonaUachrirt Bd. XVXVI.. H-ft Sb.!».

in

Weimar

dem jungen Goethe. 49

in

anderen

Aus den Wandeljahren

712

dreier estländischer Maler.

Schritten den Beweis hinterlassen, wie viel für ihn benutzbaren Stoff

und

er in der seitab liegenden Provinzialstadt

dem

in

gedeihlich

dahinlebenden estländischeu Junkerkreise fand, und wie rücksichts-

Schwächen der Gesellschaft zu seinen Zwecken verEr weckte Vergnügen und Beifall in einer der genannten Gruppen, wenn er mit bekannten Vorgängen und Personen der

los

er

die

wertete.

anderen den Lachreiz kitzelte, Empfindlichkeit derer, älinlichkeit

Adel

er

die

und beklagte sich von

und Iudiscretion verhöhnt

angehören

und

verspottete

bitter über die

der Bühne herab mit Porträthatte.

Er

wollte selbst

dessen Sitten;

dem

er brauchte den

Beistand des literaturfähigen ßürgerthums und carikirte dasselbe. So war er im Grunde auf beiden Seiten gefürchtet, sein «Nationaltheater» aber doch eine Quelle wenn auch nicht allzu edlen Vergnügens, jedenfalls eine Anregung zu grösserem geistigen Leben. Sein Einfluss erwies sich später auf anderem Gebiete als reiner uud werthvoller. Als er nach vielen freiwilligen und unfreiwilligen Reisen auf die von ihm erworbenen oder ihm geschenkten Güter in Estland zurückkehrte und ihm aus drei Ehen eine statt-



liche

Kinderschaar ersprossen war,

ziehung

in

grossem

einen Lehrer

Stil

zu sorgen.

für Religion.

begann er auch für deren Er-

Er

verschrieb sich aus Sachsen

einen anderen für den Unterricht im Zeichnen. fehlte es gleichfalls nicht.

und Musik

Elementarunterricht

An

Als grosser Cavalier

auf seinem Gute Schwarzen Haus,

das für

und

Sprachlehrerinnen

hielt er

namentlich

eine gewisse Zeit der

Sammelplatz der adeligen Nachbarn zu Festen und Jagden wurde. Jene beiden sächsischen Lehrer, AugustHagen und der Maler

Karl

VV a 1 1 h e r blieben' aber, auch nachdem sie ihre Aufgabe Schwarzen beendet und wie die Tüchtigkeit der Söhne Kotzebues beweist mit bestem Erfolg beendet, in Estland und erwarben sich in ihrer ferneren Lehrthätigkeit die allgemeine Achtung und den Dank von Generationen. Wir werden ihren ,



in



Namen

noch im Verlauf dieser Notizen begegnen.

Jenes «sonderbare Phänomen» des Reichthums das Niebuhr in Deutschland beobachtete,

trat

um

an Talenten,

die

Wende

des

vorigen und den Beginn unseres Jahrhunderts auch in den Ostsee-

provinzen zu Tage und zwar in grösserem Massstabe derselben,

welcher

lettischen

District.

estnische Landbevölkerung hatte,

rühmte Otto Magnus

Der

als Zeichner

in

dem Theile in dem

als

und Alterthumsforscher

von Stackelberg, Ludwig von Maydell,

fromme Freund Ludwig Richters,

Gerhard von Reutern,

be-

der

der sich

Aus den Wanderjahren

zum Maler

erst

Arm de*

nachdem ihm eine Kugel den rechten Gruppe an Karl Grass,

heranbildete,

fortgerissen hatte, gehören der ersten

;

Karl Johann Bähr,

stilvolle Landschafter,

713

dreier estländischer Maler.

der

auch

sich

um

Alterthumskunde unserer Heimat viel Verdienst erworben hat, der Kurländer Eggink, mit dem wir uns ausführlicher zu beschäftigen haben, stammen aus dem lettischen Sprach- und Volksgebiet. Als die

Bildhauer

stehen sich Baron Clodt von. Jürgensburg,

der Pferde-

und Reiter-Clodt aus Estland,

und Schmidt von der Launitz, der Schöpfer des ßuchdruckerdenkmals in Frankfurt, gegenüber. Die beiden jungen Estländer, die 1814 ihren Einzug in Berlin hielten und dort Zeugen der Siegesfreude wurden, waren Otto Ignatius und August Pezold, treffen sollten,

den

der dritte,

sie

Deutschland

in

Gustav Hippius.

Von dem Jugendleben

dieser drei geben leider unvollständige,

aber sehr ausführliche Tagebücher und Skizzenhefte ein recht anschauliches Bild.

Ergänzungen hierzu bieten Briefe und Gedichte

aus jener Zeit, Erwähnungen in verschiedenen Monographien, eine

kurze Selbstbiographie, die Hippius seinen Kindern zur Erinnerung niedergeschrieben,

Erinnerungen. die in

in

mündliche Traditionen

endlich

Die jetzt

fast

den Jahren 1828 und 1829

Reval

Ignatius

herausgegeben

wurde,

E

s t o n

an,

nicht publicirt; ihr

war das

Verfügung

gestellt,

des Blattes geblieben, blieb

a

,

Franz Schleicher

von

begann das Tagebuch

von Otto

zu veröffentlichen, brachte aber nur ein Bruchstück

kündete einen Nekrolog lass zur

und persönliche

vergessene Zeitschrift

hat denselben

;

sie

aber unseres Wissens

schriftliche Material aus seinem

Nach-

wo aber dasselbe nach dem Eingehen dem Schreiber dieses unbekannt.

Von jenen Tagebüchern giebt das von Gustav Hippius die Ausbeute. Es schildert zwar nur die Erlebnisse vom des 1. Juli 1816 bis zum 24. Mai 1818, umfasst aber einen Theil Aufenthalts in Wien, die Reisen von Wien nach München und Augsburg, von München nach Venedig, den Aufenthalt daselbst, reichste

die Weiterreise

nach

Rom

Diese Schilde-

und die dort verlebte Zeit.

rungen füllen fünf mit feinster Schrift geschriebene Büchlein als Schreibmittel,

wie auf Wanderungen

statt der Schreibfeder

oft geboten,

angewandt worden, sind

;

wo

der Bleistift

die Zeichen so ver-

wischt, dass sie sich mitunter nur mit Hilfe eines Vergrösserungs-

glases

erkennen

lassen.

Man

schrieb

zur

Zeit,

da

die

Brief

Sendungen sehr theuer und das Papier sehr stark war, mit ausserordentlicher Raumersparnis.

Gleiches lag

dem Wanderer

nahe, der

49»

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Aus den Wanderjahren

714

dreier estlandischer Maler.

seinen nöthigsten Bedarf an Kleidern, Skizzenbticher, Schirm, wol



auch Farbenkasten

15

— 18 Pfund —

auf dem Rucken trug und

sich wohl hüten musste, diese Last zu vermehren.

Aus diesem biographischen Material und

lebens zu gestalten

zugleich

ein Bild

damaligen Jugend-

einen bescheidenen Beitrag zur

Kunst- und Künstlergeschichte jener Zeit zu liefern, das soll die Aufgabe dieser Darstellung sein. Hierzu wird zuerst Herkunft und Bildungsgang der drei Estländer Hippius, Ignatius und Pezold

Erwähnung bedürfen. Etwa 40 Werst von Reval, nahe

einer kurzen

der hapsalschen Poststrasse,

liegt Nissi, das kleinste Pastorat Estlands.

Jetzt bietet der Blick

von der Bodenerhebung bei Liwa ein freundliches, ja ein überraschendes Bild. Ein iuselreicher See dehnt sich dort zu Füssen stolzen Schlossbaues

eines

Von Neu-Riesenberg

bis

in

die

Nähe

des Pastorats Nissi.

lässt sich heute fast bis zu

dem kleinen Kirch-

lein rudern.

Vor Schloss

90, ja noch vor

stand

noch nicht,

50 Jahren war das die

Das war Sumpf,

hier anders.

schöne Wasserfläche

und die kleine Kirche.

Ebene um das bescheidene Pfarrhaus Der unermüdliche Eifer einer estländischen

Dame

erstaunlich

weithin dehnte

hat

sich feuchte

später

Umwandlung

begonnen

berg

mit

geringen Arbeitskräften diese

Bau des Schlosses Neu-RiesenEnde des vorigen Jahrhunderts war

geschaffen, seitdem der

war.

Am

Nissi nicht blos das kleinste, sondern wol auch in vieler Beziehung

das ärmlichste der estländischen Pastorate.

Die Oede des väterlichen Wohnsitzes konnte dem Knaben Gustav schwerlich zum Bewusstsein kommen. Er hat keine Erinnerung an eine Entbehrung bewahrt, bis der Tod ihm, dem Siebenjährigen, die geliebte Mutter entriss. Eine dreizehnjährige Schwester leitete umsichtig und liebevoll gegen die jüngeren Geschwister den Bald wurde Gustav jedoch der Pflege fremder inneren Haushalt. Leute keine

und in Reval in die Schule gethan. Es mag verwöhnende Lebensweise gewesen sein, die er als

übergeben sehr

Pensionär führte, denn als Kostgeld wurden für ihn neun Dukaten jährlich

gezahlt.

Vom

14.

Jahre ab musste der

begabte Knabe

durch Musik- und Zeichenunterricht Kleidung, Schulgeld und Schulbücher auf,

sich

selbst

erwerben.

Lehrer zu werden,

Hier tauchte

aber die Mittel

fehlten: der Zeichenlehrer

am Gymnasium

zum

in

ihm der Wunsch

Universitätsstudiura

EduardHöppener,

dessen flippius wie seine anderen Schüler bis

in ihr

Alter hinein

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Aus den Wanderjahren

Dank

mit Liebe und

715

dreier estlandischer Maler.

ermunterte

gedachten,

der Kunst

sich

ihn,

von anderer Seite wurde ihm der militärische Dienst vermuthlich um seiner schlanken und hohen Gestalt

zu widmen, empfohlen, willen.

Entscheidend

Haggers.

für

Wahl

die

des Lebensberufs wurde die Be-

anderen Pfarrerssohn,

einem

mit

kanntschaft

Otto Ignatius von

Die Kirchspiele Nissi und flaggers liegen

die

für

in

Estland geläufigen Verkehrsmöglichkeiten nicht allzu weit von ein-

Aber Gustav und Otto kannten

ander entfernt. nicht.

Knaben

sich als

Erst bei Anlass eines Concerts in Reval, in welchem Hippius

mitwirkte

— er

sang die Cantate der Freundschaft von Mozart

knüpfte Ignatius, der

um

einiges jünger

war und

bereits die



Kunst

Lebensberuf gewählt hatte die Bekanntschaft mit Hippius und machte ihm am Tage darauf nach Betrachtung seiner Zeichnungen den Vorschlag, aufs Land zu ziehen und dort sich ganz dem Studium der Malerei zu weihen. Der Vater Ottos, der allgemein verehrte, geistesklare und gemüthvolle Propst David

als

an

,

.

Hippius

dieses Anerbieten.

Friedrich Ignatius, wiederholte

wo

den neugewonnenen Freunden ins Pastorat Haggers,

hoffte

und folgte

durch Musikunterricht sich nützlich erweisen zu können

er zwei

Jahre verbrachte.

Wie

Typus

Nissi der

eines Pfarrhauses war,

schwierigsten Verhältnissen

das Glück daselbst

steht,

hatten,

zerstört

jener glücklichen Pastorate,

wo schwere

wo

bei

so

das

unter den

Schicksalsschläge

war Haggers der Typus

Beschränkung der Bedürfnisse

und Erhebung an geistigen Genüssen,

bei Pflege

des Verstandes

und des Gemüthes sich eine kleine Welt des Friedens und Glückes

dem Eintretenden losigkeit

und

Menschenliebe. ziel

auffasst,

Wie

der Hausherr Menschenpflicht und Menschen-

beweisen

seine

Ahhandlungen

Ausserordentlich glücklich in der

. reichsten,

Welt der persönlichen Anspruchswarmer Frömmigkeit und echter

eine

öffnete,

Liebesfähigkeit,

sanftesten,

gütigsten

über

Moral

Ehe mit

in

der

einer der lieb-

und edelsten Frauen,

mit

c

einer

der Perlen der gepriesenen Frauen Estlands >, umgeben von trefflich gearteten und hochbegabten Kindern, so bot der Propst nicht blos seinen Gemeindegliedern

das Vorbild des Glückes in

christlichem

Hausstand, sondern auch Fremden eine Heimstätte zur Erziehung

und schöner Charakterentwickelung.

Hier

wurde wissenschaftlich

und künstlerisch gearbeitet und nach ernster Tagesarbeit Abends

Gesang und

Spiel gepflegt.

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Aus den Wanderjahren

716

Wie

dreier estländischer

Maler.

aber konnte diese Idylle pastoralen Lebens einem künst-

dienen, was konnten Otto Ignatius und Hippius aus ihr für den Ernst einer Malerlaufbahn schöpfen, die lerischen

Beruf8Studium

zu ergreifen damals noch mehr als jetzt unbeugsame Begeisterung: für die Kunst, persönliches Selbstvertrauen und ideale Anregung forderte ?

Hier eben trat jener beste Einfluss ein, der von August Kotzebue ausging. Schwarzen liegt im Kirchspiel Haggers, Kotze•

zweite Gattin

bues

war

eine Cousine

von Propst Ignatius' Frau

gewesen, die dritte war deren Schwester, beide Fräulein von Krusenstern.

keit

zu

hatte.

So kam den Verwandten im nahen Haggers die Lehrthätigstatten, die Kotzebue in Schwarzen ins Leben gerufen Die beiden berufenen Lehrer Hagen und Wal.ther

waren Freunde des Pfarrhauses, jener stand

mit

musikalischem

Rath, dieser mit Anleitung im akademischen Zeichnen den jungen Talenten zur Seite.

Es

sei

bedeutendsten Schlachtenmaler

Kotzebue,

hier daran erinnert,

der Neuzeit,

dass

einer

der

Alexander von

der jüngste der Söhne des August

v.

erst in einer späteren Zeit (1815) geboren wurde,

Kotzebue, zwar

wohl

aber

als

Erbe jener im väterlichen Hause herrschenden Liebe zur Kunst betrachtet werden muss, welche in Schwarzen ihre Blüthezeit erlebte. Hippius verdankte Walther und seinem eigenen Fleisse den Muth, sein Leben auf die Kunst zu stellen. Aber der Künstler bedarf mehr als einseitigen guten Rathes zu seiner Ausbildung. Er muss nicht blos gesehen haben, was Andere vor ihm Gutes geschaffen, er muss Andere Gutes schaffen sehen. Auch der beste Lehrer kann allein den Schüler nicht zum Gesellen, noch gar zum Meister erziehen. Eine Fortentwickelung für die jungen Akademiker von Haggers bei weiterem Horizont war nothwendig. Ignatius versuchte es mit der Petersburger Akademie, Hippius, der bei halbem Können schon ganz auf die eigene Kraft angewiesen war, befolgte eines Freundes Rath, ein Concert in Reval zu veranstalten, bei dem einer verwandten Sängerin und ihm die vocalen Leistungen oblagen, während Ignatius die instrumentalen übernahm. Das Concert ergab die unerwartet hohe Einnahme von 2000 Rbl. B.-A. Mit einem Schlage war Hippius in die Lage gesetzt, seine Studien im Auslande fortzusetzen. Der Abschied von dem geliebten Haggers war schwer, ein Stück seines Herzens Hess der junge Künstler dort zurück. Es war im Winter 1812, als er seine Berlin und Dresden waren um der Reise ins Ausland antrat.

Aus den Wanderjahren französischen Truppen willen

des

zu

nicht

Hippius

erreichen.

nahm

dem böhmischen Glashändler

Schiefner,

späteren Akademikers Anton Schiefner,

die Reise

die Gelegenheit wahr,

dem Vater

717

dreier estländischer Maler.

mit

nach Prag zu machen.

Dem

Kriegsgetümmel entging Hippius

leons bei Dresden (27. Aug.

Reihen

focht,

fiel;

Hippius sah und zeichnete nächsten Tage brachten

sie

die

erfochten.

gebraucht,

Schon die

wurde nach

aufregende,

aber

auch

erfreuende Nach-

Truppen der Verbündeten einen entscheidenden Sieg und zwar noch es beschieden

ihn her

— — die Begeisterung

Auch Hippius war

früher als seinen Landsleuten

um

Prag

auf ihrem Paradebett.

Nicht allzu fern von Prag, bei Kulm, hatten nach heissem

richten.

Ringen

der Sieg Napo-

fiel

1813); Moreau, der in den russischen

Leiche

seine

auch in Prag

freilich

In die Zeit seines dortigen Aufenthaltes

nicht.

in Siegesjubel ausbrechen

zu

sehen,

der Bevölkerung in

einen Jubel,

den Oesterreicher, Preussen, Russen mit gleichberechtigtem Stolze erheben durften.

Noch war

es freilich nur ein einzelner Sieg, keine

Entscheidung des Krieges, aber der Glücksstern Napoleons

— das



war im Sinken. Hippius nach Wien über, um dort

ging durch die Herzen der Völker

Im Anfange 1814 siedelte Akademie zu besuchen. Hier in der schönen Donaustadt schienen damals die Künste ihre höchste Blüthe erreichen zu sollen. Die in den Galerien angehäuften Bilderschätze waren unübersehbar, die Pflege der Musik war zu einer Art Cultus geworden, der Architektu waren grossartige Aufgaben gestellt. Es war eben das