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German Pages 774 Year 1889
Baltische
Monatsschrift, Herausgegeben von
obert Weiss.
XXXVI. Band.
Reval, 1889.
:
A.
In C Stiedn.
o
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i
s s
i
o n
bei
F.
Kluge.
Leipzig
Rnd. Harttnnnn.
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Harvard College Library
APS
23
1909
Hohenzollern Collection Gift of A. C. Cooiidge
Aoniiojeno ucn3ypoio.
—
PeMJb, 15
ro
C.Jruilit boi Lln.Jfon»' Erbon in
HoiiGpa 1889
II,
r.
v.u.
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1
I
I
Inhalt. A
A.
b
a
Ii
ml
1
u u g
e
uml Aufsatz
n
g.
Seite
Kin Blatt der Erinnerung an Otto Müller Ein abenteuerlicher Anschlag. Von Tb. Schiemann
Heinrich Otto Reinhold (iirgensohn,
W
1
21
General Superintendent von Livland.
Von A d o 1 p h ge rod e Die Stellung der Reformation zu den Mitteldingen. Von J. Lütkens Aphorismen zur baltischen Polizeireform. Von Dr. Joh. Ken aale r 66 "\Velrhc9
Volk hat an
Kniland
dm
i
1
1
i
Küsten des Rigiachen Meerbusens und
Wjggfr
die historische Priorität, die indogermanischen Letten
die mongolischen Finnen
Von
?
Dr. A.
Aus dem Briefwechsel Von Hans Sf.hmiilt
Eines Dichters Kind.
Freunden. Julius
in
.
von Schruder.
Bielenstein ,
,
,
,
,
,
Von
,
87
,
,
Uli
eines
QeorgRathlef
175
Ans dar neuesten Statistik Livlandtt. Von D M—n. Wanderungen durch nnsere Provinzialhauptstadt. Von Dr.
söhn Blatt am dem
.
.
,
,
Zur Erinnerung an das Leben und Wirken
baltischen Schulmannes.
oder
.
.
mit zweien
Carl Petersens ,
35 47 lOft
,
,
Jos.
,
,
G
,
,
i
g
r
e
,
n
204
•
232
531
Ein Tagelmche eines Kurländere. Von C a r 1 B o y Aua Alt- Rigas Bürgerthum. Eine aus den Erbebüchern geschupfte Studie.
246
Von
Cand.
bist,
»
.
E.
.
.
Seraphim
Die französische Revolution. Papierrnbel oder Silberrubel
?
257
Von Dr. AI. Bergengrün Von Prof. Dr. H. Dietzel der Architektur. Von W. Nenmann
276
Barocco, Rococo und Zopf in . . Die numerische Entwicklung der evangelischen und griechisch orthodoxen
Bevölkerung Livland« seit der letzten Volkszählung Die Gegenreformation in Livland. I n. II. Von T. Christiani Ein vergessener livlandischer Dichter, a Offene
Wnnden.
806 337 855
366
Eine socialpathologische Betrachtung
567
406 431
Die Hanptstrumungen der Literatur Alt-Livlands. I. Von Th. Riekhoff Der Componist und Dichter August Heinrich von Weyrauch. I. Der Componirt. Von P. Th. Falck Riga* Schulwesen im Jahre 1888. Von N. C
478
Von W. (ireiffenhagen
631
Jost Clodt
als
Staatsmann und Diplomat.
553 612
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Seite
Von
Johannes Janssen über die Reformation. Pobedonoszew über Familiengrundstücke
Au» den Wanderjahren
Von
Prof. Dr. C.
Notizen
B.
F.
Herrn.
Da
0 n
(besprochene
748 755
Von H.
H0
1 1
an d e r
.
Beitrage zur Geschichte der evangelischen Kirche
in Rnssland.
II.
Urkundeubuch der evangelisch reformirten Kirche
in Russland,
(iotha, F.
Martens,
1
A. Perthes.
Rccucil des TraiUs
et
avec Us Puissances Etrangbres. T.
Von
Beruh.
Von
1889.
B
164
Conventions conclus
I— VII.
par
la
Bussie
Petersburg, 1875- 1885.
C. Schirren
A.
170
Hollander,
Die livländischen Städtetage
bis
zum Jahre
Von Bgn
1500.
172
Graf Leo Tolstoi,
«Luzern»
und «Familienglück».
Zwei Erzäh
Von Dr. Bernhard Münz
lungen.
764
fcychriften).
,
1
675
708
1
Erdmann
Zur 'Abwehr. Von E. Kraus «Offene Wunden» und das Wort «Zur Abwehr».
Dr.
Bergeigrün
697
dreier estländischer Maler.
Ein provinzielles Jubiläum.
AI.
Dr.
Gust. Sodoffsky, Die
251
Immobilienstcuer in Riga
und die Gebäude-
Von N. C
steuer in Oesterreich.
256
Sitzungsberichte der kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst.
Von
1888.
J.
G.
.
332
.
Sitzungsberichte der gelehrten estnischen Gesellschaft.
Graf Leo Tolstoi, Ose. Mertens, Zur P. Jordan, Beitrag
Neue Erzählungen,
bespr.
Frage der Zufuhrbahnen
1888.
Von
J. G.
in Russland.
Von N.
C.
420
Carlberg, Statistik der Infectionskrankheiten in Riga W. Greif fenhag en, Oscar von Riesemann. Besp. von H. H. Dr. C. E r d m a n n System des Privatrechte der Osteeeprovinzen. Von H. H. Das Staaterecht des Kaiserthums Russlaud. Prof. Dr. J. E u g e m a n n N.
.
.
.
,
1
Von
0.
Jahresbericht
M
Von
J.
,
G
428 429 524
der Felliner
Arbus0w
421
,
litterarischen Gesellschaft
für
das Jahr
1888.
Von A. S L.
417
zur Geographie und Statistik des Gouvernements
Von N. 0
Estland.
334
Münz 413
von Dr. Bernhard
628 Grundriss
der
Geschichte
Liv-,
Est-
und
Kurlands.
768
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
Diu Stätte, die ein guter Mensch betrat, nach hundert Jahren klingt
Int eingeweiht;
Sein
Wort und
That dem Enkel wieder.
seine
Goethe.
und Wahrheit wollen
ichtung
Deutschlands
Strophe
nüchterner Syllogismus stellung dessen,
Denn
sollte.
recht
sinnlichen
grosser
gemeinhin nicht oder
Auch was gesungen
Dichter
poetischer Traum,
als
was wirklich
ist,
vorstehender
in
ist
,
weniger
weniger eine Dar-
was rechtmässig
als dessen,
sein
leider ist es eine unerfreuliche, die Unzulänglichkeit
Zustände
irdischer ein
sich
doch nicht vollständig decken.
,
und
die
Wahrnehmung
innerungsvermögen
Schwäche der menschlichen Natur in dass das, was der
stellende Erfahrung,
grelles Licht
sich entzieht,
weiter
festgehalten
schwer
nur wird.
So
von dem Erverblasst denn
auch nur allzu bald, ja schwindet aus unserem Gedächtnis das Bild der unserem
während
leiblichen
Auge durch den Tod Entrückten, welche
ihres Daseins und
Wirkens doch von einem grösseren oder Fug und Recht bewundert und
kleineron Kreise ihrer Mitwelt mit verehrt,
gefeiert
und
gepriesen
wurden.
Allerdings
pflegt
der
wohlerworbene Klang eines guten Namens nicht sofort mit dem Träger desselben begraben zu werden, aber der Entstehungsgrund dieses guten Namens, der nähere Begritf von dem Wesen seines Erwerbers ist einer allzu frühzeitigen Erlöschung meist preisgegeben. Wo auch die äussere Gestalt eines uns werth und theuer gewordenen Haltischo Honatuchrlft. nd.
XXXVI, Heft
I.
1
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto MneUer.
2 Freundes doch
unserer Erinnerung mitunter
in
die innere Gestalt desselben
sicli
allmählich
von uns ungewollt nicht selten immer
tiefer
wiederspiegelt, tritt
uns in
unbewusst und
den Hintergrund.
So wird es denn erklärlich, dass schon von den Coätanen die doch von ihnen selbst mit einigem Nimbus umgebenen und auf ein höheres Piedestal gestellten
Männer
von den Epigonen
vollends,
in einigen
Jahren vergessen, dass
wenn auch dazwischen
sie
gelegentlich
hergebrachter Hochachtungsbezeugung genannt doch in Wahrheit eigentlich nicht gekannt werden. Ein nicht günstigeres Loos ist denn auch Otto Mueller zugefallen, einem Manne, welcher zu den Besten aller Zeiten seines Heimatlandes zählte und für welchen in den seit seinem Heimgange verflossenen nunmehr vollen zwei Jahrzehnten kein die Lücke genügend ausfüllender Ersatz gefunden worden. Wer selbst in unter
,
—
den Cirkeln der höheren Intelligenz
—
weiss heute noch Zutreffen-
seinem Wesen und seiner Eigenart, von seinem Walteu und Wirken, von seinen Leistungen und Verdiensten ? Gewiss wird in den Gesprächen derer, welche ihm befreundet gewesen, jetzt
des von
aber nur in geringer Zahl unter den Lebenden weilen und sämmtlich fast
zu Greisen ergraut sind,
seiner in treuer Anhänglichkeit
auch heutzutage vorübergehend gedacht, gewiss wird
in
der Presse
vorkommender Gelegenheit auch heutzutage auf ihn hingewiesen als einen «Unvergesslicheiu. Ist er bei allem dem aber im eigentlichen Sinn des Wortes nicht doch vergessen ? Ist jenes Epitheton bei
der Presse nicht doch nur ein leerer Schall,
hervorgerufen
durch
das unklare Bewusstsein, dass, keineswegs durch das richtige Verständnis,
warum er dem Gedächtnis nicht entschwunden sein ? Wie aber der Ton einer Glocke nicht deshalb,
und dürfte
sollte
dass,
sondern weil er erschallt, für den Hörer Bedeutung zu haben pflegt, so gewinnt auch der Klang eines guten Namens nur durch die Kenntnis seines Erwerbsgrundes den wahren Werth und die volle
Weihe.
Hienach wird es denn kaum ungerechtfertigt erscheinen, wenn zu unserer eigenen Aufrichtung und Erfrischung uns
wir zugleich
pietätvoll wieder
einmal in die Persönlichkeit Muellers versenken.
Freilich ist der Verfasser der zu solchem
Zweck von ihm entworfenen
nachfolgenden nur knappen uud dürren Skizze, obwol er schon von der Universität her bis dahin,
brochen zu denen gehörte,
um Mueller
wo
welche
der in
Tod das Band
löste,
ununter-
engerem Freundeskreise sich
bewegten, und obwol er allezeit zu dessen unbedingten
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
Anhängern ristik
3
zählte, nicht in der Lage, eine tiefer in seine Charakte-
eindringende Biographie des verewigten Freundes zu schreiben.
Zu einem solchen Unternehmen, wie wünschenswerth immer dessen Durchführung wäre, bedarf es einer lebendigeren Geistesfrische, als welche dem Verfasser an seinem eigenen späten Lebensabend vergönut geblieben, bedarf es einer geübteren und styl volleren Feder, als
welche ihm zu Gebote
Immerhin wird
steht.
es
—
macht doch
Gabe den Geber — vielleicht um des Zweckes Entschuldigung finden, wenn auch bei dem Vollbewusstsein
der Wille, nicht die
willen
Ungenügenden nur in einigen schlichten, Farben entbehrenden Strichen eine Silhouette des Mannes gezeichnet wird, der innerhalb der Grenzen unseres des Mangelhaften
und
allerdings der lebhaften
Heimatlandes
der Auffassung der uns auf
in
dem Gebiet
des öffent-
Lebens obliegenden Aufgaben uns überall ein eben so ideal wie real zuverlässiger Führer gewesen, in der Durchführung solcher Aufgaben ein mit festen Ankern jedem Schiffbruch wehrender lichen
Dem
Steuermann. schrift»,
engen Kreise der Leser der
c
Baltischen Monats-
an deren Begründung und jederzeitigen Förderung Mueller
regen und thätigen Antheil genommen
und
deren Censor
als
er
einige Zeit hindurch bestellt gewesen, wird denkbarer Weise auch nicht ganz unwillkommen sein. mehr dazu Berufener und Befähigter dem Manne,
ein solcher dürftiger Schattenriss
Mag
denn
ein
der wie seinen Zeitgenossen, ein
der Nacheiferung
so auch nachfolgenden Geschlechtern
würdiges
Vorbild
gewesen, einen
prunk-
reicheren und imposanteren Gedenkstein setzen. Dieses Erinnerungsblatt,
welches
nicht
den vermessenen Anspruch
ganz befriedigen zu können,
Manen
des
Verstorbenen
erhebt, voll
und
hat ja eben nur im allgemeinen den
den
wohlverdienten
Tribut
der
Aner-
kennung zollen und das Verständnis dafür wieder wachrufen wollen, was im Grunde es war, das Mueller über seine Zeit und seine Umgebung dominirend hervorhob, was es war, das ihm die treue Gefolgschaft aller derer sicherte, welche gleich ihm das Ringen in redlicher Arbeit
um uud
für das
Gemeinwohl
auf ihre Fahne ge-
schrieben hatten.
Der äussere Lebensgaug von Otto Joachim Hermann Mueller war kein aussergewöhnlicher, am wenigsten ein solcher, welcher ihm von vornherein durch Geburt oder später durch Berufsstellung an sich schon ein exceptionelles Uebergewicht über Andere verliehen hatte
geschlecht, er
Er entstammte nicht eben einem rigaschen Patricierwar der Sohn eines schlichten Landpredigers in Kur-
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
4
Johann Andreas Mueller.
Mit seinen Geschwistern wurde er da ein irgend namhaftes elterliches Vermögen nicht hinterblieben war in zartem Kindesalter von Anverwandten, welche sich seiner liebevoll annahmen, nach Riga hinübergeführt. Hier wuchs er, land, des Pastors
durch den frühzeitigen Tod
—
der Eltern verwaist,
-
—
wenn auch gut
verpflegt, doch
in
bescheidenen Verhältnissen auf.
Bezug auf die materiellen Güter des Lebens, an welche er der Noth gehorchend sich zu gewöhnen hatte, blieb ihm auch später treu. Ein Sehnen nach Gewinn von Reichthümern, ein Trachten nach dem Erwerb von Schätzen, welche über die Grenzen seines knapp bemessenen Bedürfnisses hinausgingen, lag seinem enthaltsamen Sinn allezeit fern. Dagegen machte in ihm früh sich der Drang nach Erlernung alles Wissenswerthen erkennbar. Seine für eine künftige akademische Laufbahn vorbereitende Die Genügsamkeit
in
Erziehung
er
erhielt
in
verschiedenen rigaschen Schulen, zuletzt
im Gouvernementsgymnasium zu Riga, für
künftige
eine
Im Jahre 1833 bezog
Lehranstalt.
Dorpat,
wo
er sich
als der derzeit dort einzigen
Universitätsbildung
anfangs
propädeutischen
er
die
theologischen,
mittleren
Landesuniversität
in
sodann philologischen
und zuletzt juristischen Studien widmete. Dieser mehrfältig wiederWechsel in den Facultätsfächern, verbunden mit einer begeisterten Hingabe an den damals besonders lebhaften idealen
holte
Schwung
und mit einem
des Studentenlebens
eifrigen,
aber Zeit
und Mühe beanspruchenden Streben für eine immer gesundere Ausgestaltung
des
sog.
Burschenstaats,
bedingte ein
über das sonst
Mass hinausgehendes Verweilen Muellers in der MusenErst im J. 1842 kehrte er nach Riga zurück stadt am Embach. und trat er daselbst im September jenes Jahres in den CommunalWährend er nicht früher als im dienst als Auscultant des Raths. Jahre 1845 das Diplom eines Candidaten der Rechte erwarb, wurde ihm schon ein Jahr zuvor das erste besoldete Amt, das eines Schriftübliche
führers im Cassa-Collegio, im Jahr 1849 aber das eines Secretärs des
rigaschen
Stadtconsistorii
und
er indess im Kanzleidienst.
Schon im J
Nur kurze .
Franziska,
einer
feingebildeten,
angedauertem körperliehen Leiden
Zeit
verblieb
1852, in welchem Jahre
er auch mit einer Tochter des mitauer Bürgermeisters
maglio,
Obersecretär-
gleichzeitigen
gehilfen des rigaschen Raths verliehen.
leider
Anton Zuccal-
aber
in der Bliithe ihres
nach
lange
Lebens durch
—
ward er zum Rathsden Tod dahingerafften Dame, sich vermählte gliede erwählt und dem Landvogteigericht als Assessor beigesellt.
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
Wiederum nur wenige Jahre
später,
5
nämlich im Jahre 1856,
fiel
auf ihn, den jüngsten Rathsherrn, gegen die bisherige vorzugsweise das
Dienstalter
gericht,
sonach
später und
,
war ihm auch, obschon
die Wahl zum dem Landvogtei-
Cassa-Collegio, in dessen Dienst
das
so
er
präsidirte
Ende
er
amtlichen Berufs-
seiner
Ernennung zum Bürger-
Gleichzeitig mit seiner
tätigkeit gipfelte. meister
dem
zuletzt
der Anfang
wie
Gepflogenheit
berücksichtigende
In dieser Stellung
Bürgermeister.
vier Bürger-
der
der jüngste
meister war, das Vicepräsidium im Rath und damit bei der Kränklichkeit des derzeitigen
tation der Stadt
Wortführers
Riga nach aussen
in vielen
Fällen die Repräsen-
zu
welcher er sich vor-
hin,
züglich eignete, sowie eines der drei Syndicate übertragen worden.
Im Verein mit diesen fortlaufend nicht geriugen Zeit- und Arbeitaufwand erheischenden Hauptämtern bekleidete er, wie das der Brauch im städtischen Communaldienst, noch eine grössere Anzahl von theils judiciären,
Nebenämtern, mag, da
bei
sie
der
Stoffes doch nur auf
hinauslaufen
und zwar vorwiegend administrativen
theils
deren einfache Herzählung
des gegebenen
eine an sich ziemlich werthlose
Indess
könnte.
kann
dieser beiläufigen Thätigkeitsgebiete
umgangen werden,
hier indess unterbleiben
noth wendigen Beschränkung
doch
die
um
Nomenclatur
Erwähnung
einiger
deswillen hier nicht ganz
weil ihnen Mueller zur Förderung ihrer Inter-
warme Zuneigung und wohlwollende Fürsorge So hat er vor allem als zeitweiliges Glied des evan.-
essen eine besondere
zuwendete.
das
lutherischen Generalconsistorii
Wohl
unserer
ev.-luth.
Kirche
und deren Geistlichkeit so sehr auf seinem von Gottesfurcht und gläubigem Sinn durchdrungenen Herzen getragen, dass ihm zu deren Gunsten manches bisher unerreichbar Erschienene zu erringen
So hat er das baltische Polytechnikum, über dessen Begründung und Organisirung hauptsächlich durch ihn unten Näheres
gelang.
zu berichten sein wird, als lebenslänglicher Präses des Verwaltungsraths wie sein des
Kind gehegt und
rigaschen Armendirectii
So
gepflegt.
das Armen-
und
hat
er
als
Präses
Sanitätswesen
auf
Entwicklung gehoben, demselben durch die städtischen Krankenhauses und die Gründung
eine höhere Stufe der
Neugestaltung
des
eines Central Vereins für die
Armenpflege eine
festere, solidere Basis
Auch seinen Bemühungen vorzugsweise ist es zu danken, behufs Gewinnung einer zuverlässigen Grundlage für die Be-
gegeben. dass
urteilung verschiedener wirtschaftlicher Angelegenheiten der Stadt
Riga das städtische
statistische
Comite
ins
Leben gerufen
ward.
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Google
I
Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
6
Wiederholt war er zur städtischen Vertretung auf den livläudischen delegirt, ebenso wiederholt vom rigaschen Rath zu Verhandlung in wichtigen Angelegenheiten mit dem Ministerium und anderen höheren Autoritäten in die Residenz des Reichs ent-
Landtagen
directer
Wie
sendet.
er in solchen ausserordentlichen Fällen zeitweilig, so hat
dagegen unausgesetzt während seiner ganzen Amtsdauer als Glied und später Präses des wesentlich mit der Competenz in Sachen des
er
städtischen Immobilienbesitzes und der Bewilligung grösserer ausser-
etatmässiger Ausgaben ausgerüsteten extraordinären Cassa-Oollegii
dem gemeinen Besten zur Verfügung
seine reicheu Kräfte
Insbesondere noch hat er eine
stets
setzter Commissionen,
Angelegenheiten
,
gestellt.
oft unüber-
Rath oder den Ständen niederge-
vor-1
denen die schwierige Aufgabe gestellt war,
um
welche
Stoffes willen gründlicher
ihres
umfangreichen
oder
spröden
Berathung und Erörterung bedurften und
daher füglich nicht ohne eine
von grösseren Körperschaften kaum auf alle einschlägigen Fragen
zu bewältigende gewissenhafte und eingehende Vorarbeit
tiefer
und
der meist ihm übertragenen Leitung
treffliche Activität entfaltet bei
von Verhandlungen solcher
zielbewusste
sich
erledigen
der
Hessen,
ßeschlussnahme geeigneten Reife entgegenzuführen.
für eine
Doch auch
in
Beziehung auf die letzterwähnte Arbeitslast, welche mit und neben von ihm bekleideten Aemtern auf die breiten,
stets
willigen und unermüdlichen Schultern Muellers geladen war,
kann
den
ständig
hier erschöpfender Bericht
über den
Rahmen
gehen würde.
nicht erstattet werden,
da ein solcher
des blos beabsichtigten Contourenentwurfs hinaus-
Ist doch der
Zweck
dieser Skizze
weniger
darauf
gerichtet, alles das wieder in das Bewusstsein zurückzurufen,
was
der rastlosen und meist erfolgreichen Thätigkeit Muellers zu dauken ist,
als
vielmehr Klarheit
darüber zu
verbreiten,
welche Eigen-
schaften es waren, die Mueller zu den von ihm notorisch geleisteten
grossen Diensten befähigten.
Männern,
die
in
angespannter geistiger Anstrengung in der
Regel die Kräfte ihres Körpers rasch verzehren, pflegt nur selten
und ausnahmsweise eine längere Lebensdauer zugemessen zu sein, als bis in die Mitte oder höchstens gegen das Ende ihres siebenten Jahrzehnts, '„iuch eine solche an sich nur knappe Frist war indess Mueller nicht beschieden.
54 Jahren, Geistes
—
ist
—
in
Im Lebensalter von
nicht
mehr denn
ungeschwächter Kraft wie seines Körpers, so seines
schien es doch, als könne die Zeit
er so zu sagen in voller
Rüstung
ins
ihm nichts anhaben
Grab gesunkeu.
Am
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller. Juli
13. in
1867,
nachdem
wenige Tage zuvor,
er nur
so heftiger Weise, dass die Hoffnung auf
erkrankt war, erlag er einem
fand,
7
freilich sofort
Genesung keinen Raum
tückischen Nervenfieber.
Er,
manchen Kampf heldenmässig und siegreich durchgekämpft, dem Tode gegenüber war er waffenlos gewesen. Kaum hatte in raschem Fluge die Trauerkunde die Stadt durchschwirrt, so eilte — es mag das nicht unerwähnt bleiben als ein untrügliches Kennzeichen für die Ächtung und Sympathie, welche Mueller als haltider so
scher Patriot sich
wusst
—
der
auch
der Staatsregierung zu erwerben ge-
bei
Generalgouverneur Albedinsky, der
Stellvertreter
Weg
zu dem Laud-
Seiner Kaiserlichen Majestät, weder den weiten hause,
in
welchem der Entschlafene den
letzten
Lebensodem aus-
gehaucht hatte, noch die Inficirung durch den typhösen Krankheitsscheuend, an das Sterbelager, um daselbst ein stilles Gebet bewegten Herzens zu verrichten und seinen den schweren Verlust mitempfindenden Gefühlen beredten Ausdruck zu leihen. Die allstoft"
gemeine Liebe und Verehrung aber, welche dem leider so früh aus dem an sich schon kurzen Erdenleben Abberufenen folgte, sie gab
kund nicht nur in den von verschiedensten Seiten her ihm gewidmeten Worten des Nachrufs, aus denen ebenso tiefe Trauer als aufrichtige Huldigung, sondern auch in Handlungen, aus denen sich
das Bedürfnis hervorleuchtete,
Symbol Dieses
ward,
durch ein sichtbares und dauerndes
Andenkens sicherzustellen. dem auch dadurch entsprochen dass an verschiedenen Stellen seines rühmlichen Wirkens Unvergänglichkeit
die
unabweisbare
Bedürfnis
seines
,
dem Porträt Muellers ein Ehrenplatz angewiesen wurde, fand seine in einer alsbald nach seinem Tode von Anhängern veranstalteten Zusammenbringung eines Capitals von ungefähr 9000 Rbl. Solchem Capital war zunächst die Zweckbestimmung gegebeu, da in Folge der Abneigung
vorzügliche Befriedigung
seinen Freunden und
Muellers
zur
Ansammlung
irdischen materiellen Gutes
es
an den
genüglichen Mitteln zur Erziehung der drei in zartem Alter hinterbliebenen Kinder gebrach,
solche Erziehungskosten
Die erwähnte nächste Zweckbestimmung
musste
zu bestreiten.
indess fallen ge-
lassen werden, weil inzwischen die Stände der Stadt Riga,
von
ihnen
nicht
minder
empfundenen Gefühlen
um den
der Dankbarkeit
auch ihrerseits greifbare Gestalt zu leihen, sich veranlasst gesehen hatten, durch spontane Bewilligungen
ans
ständischem Vermögen
Kosten ausgiebig zu decken. Demzufolge wurde aus dem von den Freunden und Anhängern zusammengelegten Capital ein Fonds
jene
Eiu Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
8
gebildet,
um
aus dessen Erträgen unterstützungsbedürftigen Studi-
renden des baltischen Polytechnikums, als einer wesentlich aus der
hervorgegangenen Schöpfung, zur Erleichterung
Initiative Muellers
zuzuwenden.
bezw. Ermöglichung ihrer Studien Stipendien Stiftung
indem
ist
hiernach zu einer pia causa geworden,
Diese
durch welche,
Wohlthat nachfolgenden Geschlechtern
sie eine bleibende
eine Hinterlassenschaft Muellers übermittelt, den
Manen
als
desselben
würdiges uud unvertilgbares Monument gesetzt worden.
ein
In der oben kurz geschilderten Weise hatte sich der äussere
Lebensgang Muellers
vollzogen,
Befriedigung gefunden.
Um
hatte
sein
reicher
bemerkeus werther
vieles
Thatendrang
als der äussere
Erfolg, weil tiefer noch auf Verhältnisse und Personen einschneidend,
war aber der Erfolg, den Mueller durch da
erzielte,
Lage war.
wo
Wesen
sein inneres
überall
er irgend durch dasselbe Einfluss zu gewinnen in der
Schon
der Schule übte er eine gewisse Präponderanz
in
über seine Mitschüler,
weniger durch" überwiegende Gaben seines
ihm allerdings ja angeborenen klaren Geistes oder durch erworbenes grösseres Wissen, als vielmehr durch frühzeitige, der Schuljugend und daher
sonst nicht eigene
und
des
Festigkeit
um
ihr
Jedes
Charakters.
so
mehr imponirende Reife Worte war schon
seiner
derzeit getragen von sittlichem Ernst, von der vorgeschrittenen Kraft eines
ohne Selbstüberhebung doch
immer durch
selbstbewussteu,
edle Motive geläuterten unerschütterlich festeu Willens, jede seiuer
Handlungen Besiegung
schon derzeit Zeugnis ab von dem Drange, unter etwa entgegenstellender Schwierigkeiten das Ge-
legte
sich
That umzusetzen.
wollte auch in die
Diese schaften,
in
markanter Schärfe
verbunden
mit
lebhaftem
ausgeprägten Naturell
,
Charaktereigenmit
jugendlicher
Schwungkraft und Glut für Wahres, Schönes und Edles, mit klarer Ausdrucksweise des Gedankens, mit aus reinem Herzen entsprungener
Wärme
des Gefühls für alle Personen seiuer Umgebung und für Dinge seines Bereichs, sie waren es auch, welche ihm allgemeine Geltung und Beliebtheit sicherten während seiner akademialle
schen Laufbahn. tion,
welcher er
Nicht nur bei der landsmannschaftlichen Corporain
Anhänglichkeit
sich sofort angeschlossen
auch bei in
allen
hatte,
an
seine
früheren Mitschüler
der Fratcrtiitas Riyciisis, sondern
anderen Universitätscorporationen,
wie
überhaupt
der ganzen Studenten weit stand er in hohem Ansehen, in einem
Ansehen, dessen Perpetuirung auf seine ganze Lebenszeit mit Gewissheit vorausgesehen werden konnte.
Nicht immer erfreut der,
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
welcher zu allseitiger Anerkennung
emporzuschwingen weiss,
sich
gleichzeitig wahrer Zuneigung.
sich
9
Mueller aber hatte durch sein
freundliches Benehmen, seine Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit,
Hingabe an
seine opferwillige
die Interessen Anderer,
seine keine
Mühe scheuende -Hilfsbereitschaft wie mit magnetischer Anziehungskraft
auch die Herzen Aller so
sehr für sich gewonnen,
dass er
ganz allgemein einer der beliebtesten Commilitonen war und blieb.
Wie
sein zündendes
hatte, so zeitigte
Frucht.
Wenn
Wort
derzeit schon oft entscheidendes
Gewicht
auch derzeit schon seine Thätigkeit manche gute innerhalb deren Mueller der Uni-
in der Periode,
versitätsmatrikel angehörte, die dorpater Studeutenschaar bei Auf-
rechterhaltung
und berechtigter Jugend lust zuund einen für die wahre
der Jugendfrische
gleich durch ethischen Sinn sich hervorthat
Aufgabe des Lebens förderlichen Ernst, als ein unmittelbares,
so wird das freilich nicht
denn ausschliessliches Verdienst
geschweige
doch zum Theil
Muellers angesehen werden dürfen,
vielleicht als
der Nachhall eines von ihm ausgegangenen Beispiels.
Nicht gleich günstiger Erfolge Studien
oder
Lahmend auf
doch
nicht
rascher
i
seinen
wissenschaftlichen
Mueller
sich
rühmen.
solche Erfolge hatte schon der mehrmalige Wechsel
in den Facultätsfächern gewirkt.
der
in
konnte
Als
endlich sein
Uebergang zu
Zunft der Juristen» ihn auf die seiner Anlage und Neigung
wol am meisten entsprechende Bahn führte, da war auch dieser Schritt nicht geeignet, von vornherein den Reiz, welchen das ideale und bis zu einem gewissen Grade ungebundene Burschenleben auf ihn ausübte,
in so
weit
zu
dampfen,
den Eifer,
diesem Leben rastlose Thätigkeit widmete,
in so
mit welchem er weit zu erkälten,
dass er Zeit und Lust gefunden hätte, sich mehr und mehr
Pandekten zu
vertiefen.
Doch
in die
nicht allzu lange währte es, da be-
schlichen ihn, der bei aller Nachsicht gegen Andere doch mit sich
selber stets streng ins Gericht ging, beängstigende Gewissensbisse.
Er
rüstete
selben,
zum Gradualexamen.
weil
in
vielen
Fächern
Da
aber die Vorarbeit zu dem-
vorzugsweise die Gedächtniskraft
in Anspruch nehmend, ihm unbehaglich ward, tauchten in ihm hange Zweifel auf, ob er nicht überhaupt die Befähigung zu gründ-
licher wissenschaftlicher Arbeit eingebüsst habe.
Um
aus solchen
quälenden Zweifeln zur Klarheit zu gelangen und einen Prüfstein för sein
Leistungsvermögen auf wissenschaftlichem Gebiet zu ge-
winnen, fasste er den für einen von Examennöthen umschwirrten jugendlichen Studenten wahrlich nicht wenig heroischen Entschluss
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
10
zur Abfassung
Materien
liche
sich bei solchem
um
so weniger
staatsrechtlicher
zugleich
einer
in staatsrecht-
Eindringen
tieferes
rechtshistorischen Abhandlung.
erheischenden
Unternehmen darbietende Schwierigkeit Hess überwinden,
leicht
Doctrinen
wol
als,
wenn auch
die
Die sich
Kenntnis
aus Lehr- und Handbüchern
ge-
doch nothwendig umfangreiche archivalische Nachforschungen vorauszugehen hatten, solche Nachforschungen aber nicht nur an sich grossen Aufwand an Zeit und schöpft werden konnte, der Arbeit
Mühe
sondern
beanspruchten,
äusserlichen Hindernissen be-
auch
Gewahrsam
gegneten, weil die Archive, in deren
prüfenden Urkunden sich befanden,
die eiuzelnen zu
zu jener Zeit noch wenig ge-
und Fremden nicht ohne weiteres zuDoch die Durchführung dessen, was von ihm beschlossen worden, war Muellers Stärke, die Ueberwindnng sich entgegenthürmender Hemmnisse war Muellers Freude. So Hess er
ordnet,
meist verschlossen
gänglich waren.
von seinem Vorhaben durch nichts Probestück gelang nicht nur, es bewährte zur Meisterschaft, ohne dass er sich doch Dieses Probestück, als die Frucht hätte.
sich
zurückschrecken.
Sein
auch seine Tüchtigkeit je
ihm gebrüstet
mit
seiner eben so emsigen
wie einsichtsvollen Studien, wurde denn durch den Druck vervielfältigt und erschien im Jahr 1841 zu Leipzig im Verlage von Otto Wigand anonym unter dem Titel: cDie Livländischen Landesprivilegien
und deren Confirmationen». für den schon
Charakteristisch
keine ständischen Vorurtheile, .durch
in
seiner
Jugend durch
keine particularistische Eng-
herzigkeit getrübteu höheren politischen Standpunkt Muellers ist das der Abhandlung vorausgeschickte Vorwort, an dessen Sdiluss um auch den Schein eines Kampfes pro domo von sich er abzuwälzen, ausdrücklich zu betonen sich veranlasst sieht, dass ,
er
kein
Stande
Edelmann des
sei.
Reichsadels,
Ja
freilich
geschweige
gehörte des
Mueller
specifisch
nicht
dem
livländischen
Adels an; er war einfach bürgerlicher Herkunft; die Stadt Riga, welche ihn als Kind bei sich aufgenommen und versorgt, verehrte er als seine Mütter, ihr hing er an mit allen Fasern seines Herzens. Nichts desto weniger wählte er, ein Feind jeder Kirchthurmspolitik, galt zum gemeinen Nutzen durch literarische Arbeit eine Frucht zu gewinnen, das Thema zu solcher Arbeit aus Forschungen, welche in erster Reihe Livland, nicht Riga angingen. Die Aristokratie des livländischen Adels und das Patriciat
als es
des rigaschen Bürgerstandes
hatten in beiderseits stolzem Selbst-
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Ein Blatt der Erinnerung au Otto Mueller. bewusstsein bei
oft
kühl und ablehnend,
lange Jahre hindurch fremd,
Diesem verhängnisvollen Misstande Endschaft zu
gestanden.
ja
nur scheinbar collidirenden Interessen nicht selten nahezu feindselig und kampfbereit einander gegenüber-
auch
schroff, selbst
musste als
reiten,
11
patriotische Pflicht erkannt werden.
be-
Nachdem
durch seinen Eintritt in den rigaschen Rath Mueller eine
einfluss-
gewonnen hatte, ist er denn auch unausgesetzt bemüht gewesen, jenem verderblichen, aus Engherzigkeit hervorreichere Stellung
gerufenen Verhältnis
nach Kräften
zu steuern,
von einander
die
getrennten Factoren in geeigneten Fällen zu einem einzigen Factor
Zu
zu verschmelzen.
der Rolle
Parteien und deren Gegensätzen
er
an
sich
rufen, nicht nur durch seine überhaupt versöhnliche die
deu
zwischen
eines Vermittlers
schien
auch wie be-
Gesinnuug und
von ihm immerfort vertretene Anschauung von einer Ersprieß-
lichkeit,
ja
Notwendigkeit des Zusammenwirkens beider Stand-
schaften, sondern auch durch die von ihm bald inmitten des Adels
gewonnene persönliche
Stellung.
Hatte er schon durch sein eben so
wie mass volles Auftreten als Delegirter zu den
entschiedenes
liv-
ländischen Landtagen, auf denen er nicht nur ausschliesslich die Rechte
der Städte und der Landsassen wirksam verfocht, sondern auch an den Berathungen über allgemeine Landesangelegenheiten lebhaften
Antueil nahm, sich vielseitigen Anhang verschafft,
so erlangte er
bald noch mehr Ansehen und Geltung in ritterschaftlichen Kreisen
durch einen von
ihm nicht
minder
tretern des Adels,
mehr
der Landtage
ausserhalb
suchten und gepflegten Ideenaustausch
welche sich bisher
dem Bürgerthum gegenüber
ausschliessend als annähernd verhalten hatten.
seine Beziehungen
zu
ge-
mit den bewährtesten Ver-
dem hochgebildeten und
Waren doch
liberal
gesinnten
Landmarschall Fürsten Lieven geradezu nahe und freundschaftliche. So gelang es denn Mueller auch nicht nur manche Unebenheiten auszugleichen,
manchen Zwistigkeiten vorzubeugen, eingetreteneu
Zerwürfnissen
die Spitze
Seiten hin
Scharfblick
—
abzubrechen,
sondern
es ist das nicht das kleinste der
zu
wecken und zu
dankenden fördern,
Verdienste
dass
—
die
Land und Stadt
auch
nach
allen
seinem politischen
üeberzeugung zu sich nicht scheiden,
sondern den gemeinsamen Cultur- und Rechtsboden auch in gemeinsamer Arbeit neben und zu einander stehend beackern mussten, eine üeberzeugung, welche als Frucht seiner Bemühungen sich Es ist glücklicherweise bis auf den heutigen Tag erhalten hat. freilich von Seiten seiner Standesgenosseu Mueller der Vorwurf
Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
12
Wünsche und Bestrebungen
einer zu grossen Nachgiebigkeit gegen
immer
des Adels nicht
ja selbst in krankender Weise
erspart,
Mag
dieserhalb Tadel ausgesprochen worden.
—
an sich kein Fehler
Mueller
mag
breiteten gehuldigt,
er
ist
was doch
Fragen des Mein und Dein an
in
weniger krassen Anschauungen
Biechten
—
indess
selbst
gemeinhin ver-
den
als
üufehlbarer hin
als ein nicht
und wieder geirrt haben, jedenfalls ist er über niedrige Verdächtigungen erhaben und vor ihnen durch die notorisch unanfechtbare
Augen
Lauterkeit seines Denkens und Handelns in den
aller nicht
durch einseitige Parteilichkeit Verblendeten hinreichend geschützt.
An
der
Knüpfung
eines
Adel und Rigas Bürgerstand nügen. sche
Sein
engereu Bandes
weitschweifender Blick
waren
Innerlich
Gebiet.
zwischen Livlauds
indess Mueller
liess
durch
sich
nicht ge-
das ganze balti-
umspannte
Gleichartigkeit
ihre
die
Schwesterprovinzen Liv-, Est- uud Kurland zwar unlöslich mit ein-
ander verbunden, leicht aber konnte
ihre äussere
sammengehörigkeit verwischt werden. derartigen
Um
äusserlichen Trennungsprocesses
erschien ihre Zusammenschtirzung
durch
und lockere Zu-
den Nachtheilen
eines
entgegen zu arbeiteu,
einen
sichtbaren Knoten
Mit einer dahin zielenden Tendenz verband Mueller zugleich die Ausführung eines ihm schon seit einiger Zeit vorschwebenden Problems. Bei dem Aufschwung, welchen neuerdings erstrebens wertb
.
gewonnen,
die Realwissenschaften
wurde der Mangel einer
techni-
schen Hochschule in den baltischen Landen schmerzlich empfunden.
Diesem Maugel
abhelfen und gleichzeitig
liess sich
die Erkennbarkeit
geeigneter Boden
Zusammenhanges der
eines
durch
schaffen
die
von
drei
ihnen
liess
sich
für
Provinzen ein
gemeinsam aus-
gehende Begründung und Unterhaltung eines baltischen Polytechni-
kums.
Der Plan war
ein unbestreitbar grossartiger,
schulen pflegen überall für Rechnung
des Staates
denn Hoch-
luudirt uud er-
Umfang
halten zu werden, hier aber sollten Geldmittel in grösstem
und für die Dauer immer wiederkehrend zusammengebracht werden einzig
von
Corporationen
verschiedenen
Mueller schreckte
und
Commuuen.
Doch
der Lösung solcher Aufgabe.
nicht zurück vor
Sehr bald hatte er wie die rigasche Stadtverwaltung, so die rigasche Kaufmannschaft die
andere
erklärten
lichen,
sondern
Opfern
bereit.
auch
für
sein
sich
Vorhaben erwärmt.
nicht nur
zu jährlich
Gleiche
zu
Die
eine wie
einmaligen sehr ansehn-
wiederkehrenden beträchtlichen
Unternehmungslust
konnte begreiflich ausserhalb Rigas, als dem
in
und
Opferwilligkeit
Aussicht genommenen
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13
Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
des Polytechnikums, nicht vorausgesetzt werden. Doch aber mussten Land und Städte aller drei Provinzen nothwendig dafür
Sitz
gewonnen werden, theils
Der
theils zur
ihrer
Zusammengliederung,
Als nun aber aus einzig baltischen Quellen
auch dieser Gewinn. die
Erwirkung
auch zur Verstärkung der erforderlichen materiellen Mittel. unermüdlichen Anstrengung hauptsächlich Muellers glückte da
Geldmittel gesichert waren,
nach erlangter Genehmi-
trat,
gung der Staatsregierung zur Begründung des Instituts, an den Urheber des kühnen Unternehmens die nicht minder schwierige Arbeit
der
Organisation
Hochschule
der
Auch
heran.
dieser
wesentlich ihm zugemutheten Arbeit zeigte Mueller sich gewachsen,
wenn
er dabei auch selbstverständlich
des Beistandes anderer ihm
gleichgesinnter, sowie einiger im Schulfach kundiger
Im Verein
entbehren konnte.
Männer
nicht
einem Freunde, welchen das für
mij,
die Begründung einer polytechnischen Schule in Riga lebhaft sich verwendende rigasche Börsencomite' ihm zugesellt hatte, begab er
sich nach Deutschland,
um
die dortigen vorzüglichsten technischen
Hochschulen aus persönlicher Anschauung näher kennen zu lernen, orientirte er sich daselbst Über die Einrichtungen, Modalitäten und
Bedürfnisse
derartiger Lehranstalten,
Schuldirigenten
ausfindig und
unter Zuziehung geeigneter Kräfte
massgebender Stelle vorläufigen
bestätigten
So
Studienplan.
machte er einen
entwarf er zugleich
denn
mit
seiner
tüchtigen
Heimkehr
einem später an
einen Organisations-
Statut
ist
nach
mit
und
neben
und
dem auf
Namen gestifteten Stipendienfonds auch das 'baltische Polytechnikum an sich schon zu einem Denkmal Muellers geworden, von dem zu hoffen ist, dass es auch nach Jahrhunderten noch nicht
Muellers
zerbröckelt sein wird.
Im Uebrigen
lag auch
für Mueller,
wie
überhaupt wol für
jeden, der Schwerpunkt seines Wirkens nicht so sehr in den bisher
erwähnten nebenherigen,
seine Schaffenskraft allerdings
besonders
geeignet hervorhebenden Bestrebungen, als vielmehr in seiner regel-
mässigen amtlichen Thätigkeit.
Diese Thätigkeit war, wie gemein-
hin bei allen gelehrten Gliedern des Raths, eine aus zwei durchaus
heterogenen Elementen
und eine
zusammengesetzte,
nämlich eine judiciäre
administrative.
In "der Eigenschaft eines Richters
kann Mueller
ein
ständig uneingeschränktes Lob füglich nicht gespendet werden. der Abfassung von Entscheidungen cirteren Rechtsfällen
— er
in
schwierigeren
voll-
Bei
und compli-
hatte als Syndikus auch in der zweiten
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
14
—
Instanz Erkenntnisse in grösserer Anzahl auszuarbeiten
konnte
er einer gewissen Befangenheit, Schwerfälligkeit und seinem sonst
Wesen durchaus fremden Unentschlossenheit sich Um bei der Auffassung und Anwendung privatrechtlicher Rechtsnormen einen aus dem Labyrinth leitenden Faden zu finden, sah er, zumal wo auch die juristische Literatur ihn im Stich zu lassen schien — nicht selten durch sein Schwanken
so entschiedenen nicht
immer erwehren.
Rath von Freunden,
sich veranlasst, den
er
subjectives Vertrauen
zu deren Rechtskenntnis
einzuholen.
hatte,
Diese
Natur
seiner
Grund in an sich Gewissenhaftigkeit, zum Theil aber
widerstreitende Zaghaftigkeit hatte sicher ihren
anerkennenswerther peinlichster
doch wol auch darin, dass seine Vorliebe für das öffentliche Recht
genugsam
ihn behindert hatte,
des Privatrechts
täten
in die
tief
Feinheiten und Subtili-
Dagegen
einzudringen.
war
er
vermöge
seines raschen und klaren Ueberblicks und der ihm eigenen autori-
tativen Sicherheit Meister in der äusseren Leitung der Processe und
der
Handhabung des mündlichen Verfahrens. einfachere Bagatellsachen durch
trefflich,
welcher den Sachen meisten gedient
ist,
dieser
Auch verstand
und Ganzen am
Gattung im Grossen
zum Abschluss zu
er es
rasche Entscheidung, mit
bringen.
Endlich darf ihm
auch eine der Haupttugenden eines Richters nachgerühmt werden, vollständigster
Maugel an jeder subjectiven Voreingenommenheit
und Parteilichkeit,
uneingeschränkte
Objectivität
allen
Personen
und allen Sachen gegenüber.
Das
Arbeitsfeld aber, auf welchem Mueller eine wahre Muster-
wirtschaft
war und Schwung doch
führte,
allem idealen
blieb
die Administration.
nicht minder
und Verhältnisse des materiellen
Sein bei
auch die Bedingungen
communalen Wohlstandes durch-
dringender Scharfblick, sein klarer praktischer Sinn, sein schöpferisches Organisationstalent, sein alle Verfolgung egoistischer
streng perhorrescirender Eifer Rechtschaffenheit,
seine
für
Zwecke
das Gemeinwohl, seine lautere
Pünktlichkeit
und
Ordnungsliebe,
seine
minutiöse Sorgfalt auch für relativ geringfügigere und unwichtigere
Dinge,
Schon
sie
in
Zeugnis
befähigten ihn zu einem Administrator
Denn obwol blosser Schriftführer des in den zur Bekämpfung der Cholera fungirenden Gouvernementscomitö war doch er die belebende Seele,
abgelegt.
Jahren 1847 livländisehen die nur
ersten Ranges.
noch untergeordneter Stellung hatte er dafür glänzendes
bis
1849
wenig durch Andere unterstützte Trieb- und Schaffenskraft Allerdings usurpirte er als der eigentliche Urheber
dieses Comite.
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
der heit
fast
15
zur Behinderung weiterer Ausdehnung der mörderischen Krankgetroffenen wirksamen Massregelu eine ihm nicht zuständige, dieser Uebergriff fand an Alleinherrschaft grenzende Macht Umständen, so in den Er;
indess seine Rechtfertigung wie in den
Ebenso
folgen.
verstand
auch
es Mueller
als Schriftführer
des
den Behörden des Raths dem
Cassacollegii schon einen sonst von
Kanzleipersonal nicht so leicht eingeräumten massgebenden Einfluss zu gewinnen.
Als er dann später
und
extraordinären Cassa-Collegio als
er
im Lauf der Jahre
den
dem Armendirectio
die Arbeiten
Massstab
leitete,
präsidirte,
zahlreicher für die ver-
schiedensten Verwaltungszweige niedergesetzten
missionen
ihm unter-
verschiedenen
wie insbesondere dem ordinären und
Verwaltungsorganen,
stellten
Umfang ausgenutzte Gelegenheit geboten
und
Com«
zeitweiligen
da war ihm vollauf die von ihm auch im grössten ,
sein
eminentes Administrationstalent in weithin leuchtender Weise, zum
Besten der Commune, welcher
seine Kräfte gewidmet, zu ver-
er
werthen.
Es war rollendem
keineswegs
indess
Gemeindewesen
solches,
als
Gang zu
erhalten
das
ausschliesslich
Räderwerk und dessen Achsen dessen
städtische
glatt
in
dahin
so weit angäng-
Uch zu verstärken und zu verbessern Mueller trachtete,
auch den
bäuerlichen Verhältnissen hat er seine Antheilnahme nicht entzogen.
Diese Antheilnahme hat er ausgiebig
bethätigt
ständiges Glied des Patrimonial-Kreisgerichts,
Einführungscommission, einer
sondern
auch durch
Uraschätzung des Gehorchslandes
treue Mitarbeit
ordnung und
an
an
der
im
in
nur als be-
nicht
der Bauern-
sowie seine
Durchführung
Patrimonialgebiet, seine
Jahre 1860 neuredigirten
der Landgemeindeordnung,
endlich
Agrarver-
auch
durch
seine wohlmotivlrten Anträge wegen Verkaufs von Bauerl ändereien
auf den Stadtgüteru.
Das letzte Werk der in allen Verwaltungssachen so fleissigen Hände Muellers, ge Wissermassen das letzte seine hohe Verwaltungsbegabung bekundende Epitaphium war der von ihm persönlich ausgearbeitete, nur wenige Wochen vor seinem Tode erstattete Bericht einer unter seinem Präsidio eingesetzten Commission
Aufklärung der zerrütteten
städtischen
Finanzen.
zur
näheren
Was
dieser
gründliche und lichtvolle Bericht an Verbesserungsvorschlägen enthielt,
konnte erst nach seinem Tode zur praktischen Durchführung aber die Richtigkeit und Zweckmässigkeit der von
gelangen, hat
ihm projectirten
Massnahmen hinreichend dargethan.
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
16
Ueberhaupt hat Muellervon jeher es des Bestehenden
als seine Pflicht erachtet,
einer Reformirung
sich
nicht
zu
verschliessen,
Ueberzeugung nach mehr oder minder die Erspriesslichkeit oder gar Notwendigkeit einer Neu- und UmgeSchon zu einer Zeit, da er noch staltung geltend gemacht hatte. im Kanzleidienst stand, hatte sich ihm der freilich von aussen her
wenn
seiner
sich
gegebene Anlass geboten, aus der Staatsrechtswissenschaft darüber Belehrung zu schöpfen, welche Formen und Principien, welche Einrichtungen pflege
die
und
Institutionen
zweckmassigsten
Folge der
bekannten
für
Chanykow
communale Wohlfahrts-
Stackelbergschen
-
der Stadt Riga
inneren Verwaltung
die
Denn im Jahr 1849 war
seien.
Revision
in
der
dieser Stadt
der Vertretung
dem Geist der Neuzeit und den im Reich herrschenden Verordnungen mehr entsprechenden Municipal Verfassung der Staatsregierung zur Prüfung und Genehmigung vorzustellen. Die Erfüllung dieser schwerwiegenden Aufgabe war zum Theil Mueller zugefallen. Den auf diese Anordnung erfolgten Vorschlägen, deren Verwirklichung übrigens kaum gewollt ward, wurde zwar kein weiterer Verfolg gegeben, immerhin hatte zugemuthet worden, Vorschläge
Mueller für
sich
durch
zu
einer
erforderlich
gewesene
tiefer
eingehende
manche bestehenden Unzulänglichkeiten und wünschenswerte Neuerungen gewonnen. Aus dem Schlummer, in welchen daun hinterher die Reformfrage ver sunken war, wurde sie wiedererweckt durch einen unter der Studien werth vollen Aufschluss
über
so
Ueberschrift:
tDas schwere Herz wird nicht durch Worte leicht, Doch können Worte uns zu Thaten führen» in
den «Rigaschen
Stadtblättern» (Nr. 44
des Jahrganges
1861)
erschienenen wohlgemeinten Aufsatz, in welchem der Unerlässlichkeit einer Reorganisation der städtischen Verfassung unter Ersatz
des Ueberlebten durch
modernere Institutionen,
insbesondere aber
Verwaltung Worte geliehen Dieser Aufsatz erregte durch seinen Freimuth einige waren. Sensation im Publicum, fand lebhafte Anerkennung von Seiten der Tagespresse, wurde namentlich seines grösseren Umfanges uner-
der
Trennung der Justiz
von
der
achtet von der Rigaschen und Revalschen Zeitung
abgedruckt, darin
die
begegnete aber
Tendenz
zu
Machtvollkommenheit andere
Auffassung
bei einigen
einer
erblickten,
war
die
Schmälerung feindlichem
Muellers,
sofort wörtlich
Vätern der Stadt, welche
obwol
seither
Groll.
doch
genossener
Eine
ganz
auch er auf
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Google .
J
Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller. einer sella curulis
Kaum
thronte.
17
hatte er den Verfasser, sei es
entdeckt, sei es errathen, als er un verweilt zu ihm eilte und seine volle
Zustimmung kundgab mit der Versicherung, dass
er sich au-
gelegen sein lassen wolle, den hingeworfenen Funken zur
Flamme
anzublasen, den ausgesprochenen Gedanken in die That der Wirk-
Und wie
lichkeit umzusetzen.
jedes
Worte
seiner
hielt er
auch
Mochte er nun auch bei der Bekämpfung des ihm in dieser Beziehung von einigen Seiten, wie vorherzusehen war, entgegen-
dieses.
gestellten Widerstandes
in dem auch Drängen nach jedenfalls wurde
eine Unterstützung
später
seitens der Staatsregierung wieder laut gewordenen
einer Reorganisation der Stadtverfassung die
Reformarbeit
nommen.
auf seinen Antrieb
Nach Verständigung
aus je zehn Gliedern der
sammengesetzt,
drei
finden,
ernstlichen Angriff
in
des Raths
Stände ein
Gilden
den
aus diesem aber ein Ausschuss von fünf Personen
Das
erwählt zur Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfs.
Präsidium
wie
im Berathuugskörper den Scheffel
wie selbst thätig,
so
stellend,
dessen Ausschuss
in
Hier arbeitete
vertrauensvoll Mueller übertragen. nicht unter
seiuem
mit
zur Thätigkeit
regierung nicht fand,
ist
keinenfalls
wurde
sein Licht
er,
unlähmbaren Eifer
anspornend.
solcher Arbeit hervorgegangene Project
Er
ge-
ward berathender Körper zumit
Dass
die Billigung
das
aus
der Staats-
eine Verschuldung Muellers.
und
hatte es an Beschleunigung nicht fehlen lassen,
um
er hatte,
Weisungen der Staatsregierung, die conservativen Begehrnisse der Stände und die modernen Principien der Communalwirthschaft in einigen Einklang zu bringen.
so viel an ihm lag, Alles aufgeboten,
die radicalen
Geringeren Antheil nahm Mueller an den Arbeiten, zu denen der ersten Hälfte der
gleichfalls in
hunderts behufs Herstellung
sechziger Jahre
Provinzialrechts auf Initiative der Staatsregierung
dem Zweck aus Juristen der
dieses Jahr-
eines vierten und fünften
drei baltischen
Bandes des
durch
eine zu
Provinzen zusammen»
gesetzte Centraljustizcommission geschritten ward.
Doch stand
er
auch diesen Codificationsmühen nicht ganz als müssiger Zuschauer gegenüber. er sich
zwar
Mit der Processgesetzgebung nicht,
auf deren Gestaltung
Winnen suchte.
als
solcher beschäftigte
wol aber mit der künftigen Justizverwaltung, er,
wenn auch nur
indirect,
Einfluss zu ge.
Insbesondere aber war es die Gerichtsorganisation,
für welche thätig einzutreten er dirte den auf diese bezüglichen Haitisch« Momit*«clinfl
IM.
XXXVI, H«ft
veranlasst
war.
Denn
er präsi-
Verhandlungen der Delegirten der 1.
O
Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
18
baltischen Städte und vertrat deren Desiderien gegenüber den
abweichenden
Theil
Intentionen
der
einerseits
zum
Staatsregierung,
andererseits des Adels.
Im
Verkehr war Mueller eine sofort jeden ganz Von einer ihm angeborenen und deshalb unnachahmlichen, nie aber in Unnahbarkeit ausartenden geselligen
für sich einnehmende Persönlichkeit.
Würde war
nichtsdestoweniger
er
Nichts lag ihm ferner
als
schlicht
in
die Unaufrichtigkeit
nicht natürlichen Wesens, nichts
ferner
seinem Auftreten.
gemachten,
eines
persönliche Eitelkeit,
als
Selbsttiberschätzung oder auch nur besondere Hervorhebung seines
Weil er nie von der Absicht
Ich.
geleitet wurde, eine prävalirende
Stellung zu behaupten oder so zu sagen sich «als Löwe» geltend zu
machen, so fühlte auch
Wer
niemand
sich
durch seine Nähe bedrückt.
nicht umhin konnte, seine Ueberlegenheit anzuerkennen, trug
wol Bedenken,
seiner
in
Gegenwart
sich
in
Abgeschmacktheiten
gehen zu lassen," suchte aber auf der Stufenleiter
der Veredelung ihm nachzukommen, anstatt in Neid sich zu verzehren. Wie selbständig und unabhängig auch Muellers Denkweise, verbunden mit dem instructiven Vermögen, war, auf den ersten Blick in jeder
Sache die charakteristischen Seiten und Züge aufzufassen und zur
Anschauung zu bringen, so hörte er doch stets gern und willig Entwicklung der den seinigen gegenüberstehenden Meinungen an und wenn er durch sie überzeugt wurde -- aus blosser Gefällig-
die
keit
gab er
freilich sein eigenes
er das ohne weiteres an,
ohne
Dafürhalten nie auf
— so erkannte
nach Scheingründen
zur Aufrecht-
haltung des von ihm Ausgesprochenen und Verfochtenen zu suchen.
Streng gegen dass
er
besassen.
sich,
nicht
Es
war
selten ist
er
in
der Beurtheilung Anderer so mild,
ihnen Vorzüge andichtete, welche sie
von ihm zum öfteren behauptet worden,
kaum
dass er
allzu leicht, durch oberflächliche Aussenseite geblendet, Personen
Aemtern herangezogen und zu Stellungen befördert habe, hinterher als wenig dazu geeignet erwiesen
hätten.
hauptung begründet oder unbegründet gewesen,
Ob
entzieht
selbst weiterer Beurtheilung wie Erörterung, jedenfalls fest,
dass Mueller gewiss niemand begünstigt hat,
Gunst nicht werth
erachtete.
Wie ihm überhaupt
diese
Be-
sich
von
aber steht
den er solcher die
Manier und
Politur aalglatter Diplomaten in keiner Weise eigen war,
abscheute Mueller auch
eine
die
enthüllende, geschweige denn eine
im
Gegentheil
immer,
weil
er
zu
die sich
so ver-
mehr verhüllende als zweizüngige Sprache. Er redete
Gedanken durchaus
in
jeden Verhältnissen
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
wahr war, gerade
was
heraus,
erschien dabei eher aber derb,
er meinte.
mitunter
19
Seine Ausdrucks weise
sogar
anscheinend
rauh,
nicht selten indess gewürzt durch eine kleine Dosis einer gewissen
Burschikosität,
welche er sich bis
leider nur kurzen Lebens
bewahrt
in
die
spätesten Jahre seines
Andererseits
hatte.
liebte
er
wol auch, über menschliche Schwächen sich in scherzhafteu Sarkasmen zu ergehen. Absichtlich wurde indess nie jemand durch ihn verletzt. Wusste doch auch jedermann, ein wie wohlmeinendes, ehrliches und braves Herz in seiner Brust schlug, ein Herz ohne Arg und Falsch. Die Verehrung, welche Mueller gezollt wurde, war nicht
es
vorübergehende Modesache, auch nicht Schwarmgeisterei vereinzelter der
Gesellschaftsschichten
Gesinnungscoterien,
gerufen keit.
durch
sie
in sich abgeschlossenen
war
seine Alle unwillkürlich
beherrschende Persönlich-
Die jüngere Generation sah sich an
Mann,
Meinungs- und
eine dauernde und allgemeine, hervor-
geradezu bestrickenden Zauber,
sie
den bereits reifen
ihn,
gefesselt durch den aus seinem inneren
Wesen ausgehenden
sah sich hingerissen und über-
wältigt durch die Elasticität seines jugendfrisch gebliebenen Geistes,
durch
die Lebendigkeit
seines
empfänglichen Gefühls,
durch
die
Klarheit seiner wohlüberlegten Gedanken, durch die zündende Kraft seiner freimüthigen, von Adel der Gesinuung und Ueberzeugungstreue durchwobenen Rede.
Seine Altersgenossen und Freunde aber,
Anerkennung seiner geistigen und Vorzüge vornehmlich doch zu ihm sich hingezogen durch die Wärme seines an allen Freuden und Leiden Anderer innigsten Er war seinen Freunden ein Antheil nehmenden guten Herzens. treuer, aufrichtig anhänglicher Kamerad, allezeit, wo es galt, werkthätig, hilfsbereit und aufopferungsfähig. Mit Wucherzinsen gab er an Liebe wieder, was er an Liebe empfing. Legen wir uns aber nun die naheliegende Frage vor, was es nan doch im tiefinnersten Grunde war, das Mueller zum centralisie fühlten
bei
völligen
aller
sittlichen
stischen Mittelpunkt aller der Kreise,
zum Führer
ihn über seine Zeit und
Uebergewicht zu
gleiterin
er sich bewegte,
was
es war,
das
so dürfte es darauf
Die Grossartigkeit seiner natürlichen
Geisteskräfte, die Vielseitigkeit seiner thatsächlichen
Leistungen, wol waren ein
denen
Umgebung emporhob,
wol nur eine Antwort geben.
Anlagen und
in
auf verschiedenen Gebieten machte,
aller
ihm einen Bewunderungszoll, Die edle Humanität, welche dieBeund Handlungen war, die Liebens-
sie geeignet,
sichern.
seiner Reden
2*
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Ein Blatt der Erinnerung an Otto Mueller.
20 Würdigkeit
seines
ersetzlichen
werden.
persönlichen Wesens,
Anhänger an ihn zu
zahlreiche
konnte kaum
»
aber
waren
wol
ketten.
dadurch
allein
geeignet,
sie
Das Prädicat
t Unerworben
eines
schon
Gesinnungstüchtigkeit, selbstlose Hingabe an das Gemein-
warme Heimatliebe,
Rechtschaffenheit und Biederkeit, sittund unverdrossene Arbeit, diese Eigenschaften, wenn vielleicht auch nicht alle in gleichem Mass wie bei Mueller individuell vereinigt, sie werden Gott sei gedankt nicht eben
wohl,
licher Ernst
—
!
—
Landen gefunden. Auch sie würden daher kaum ausgereicht haben zur Begründung eines uuverwelklichen Nachruhms. Was aber Mueller auf eine höhere Stufe stellt als uns Andere, was ihn mit vollem Recht der Unvergäuglichkeit und Unvergesslichkeit überliefert, das war der von keiner Menschenselten in unseren baltischen
von keiner Rücksichtnahme auf sich selbst beMannesmuth, der in jedem seiner Worte in erfreuliche Erscheinung trat, das war die vor keiner Schwierigkeit zurückfurcht beeinflusste,
irrte
schreckende
zähe Energie in der thatsächlichen Ausführung des ihm nach reiflicher Ueberlegung als recht und richtig Erkannten und damit zugleich stets ernstlich Gewollten. Mueller mit seinem, wo es irgend darauf ankam, kräftigen und grossen Eingreifen war eben an Kopf und Herz, in Wort und That ein
von
ganzer Mann.
Der
ganzen Männer
aber hat es zu allen
Zonen der Erde unter den vielen Berufenen Was Mueller der in immer nur wenige Auserwählte gegeben seiner Jugend verfassten rechtshistorischen Abhandlung als Motto Zeiten und in
allen
!
vorgeschrieben
:
tne quid iemere, ne quid titnide*, das
der Wahl- und Wahrspruch seines ganzen Lebens. nicht die Signatur seines Wesens.
er sich nicht als Optimist als
Pessimist
selbst treu,
Recht für
in
energielose
hielt er
alle
in
Besonnen und
eitlen
Hoffnungen,
Verzagtheit.
war und blieb Schwäche war
furchtlos,
wiegte
gerieth er nicht
Unerschütterlich
sich
mannhaft ans im Kampf für Wahrheit und
idealen Güter
des
menschlichen Lebens.
Mögen
wir, von seinem Beispiel durchleuchtet und durchglüht, seinen Pfaden folgen, sie
werden keine Irrwege sein
!
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I
Ein abenteuerlicher Anschlag.
fl^Bfie Säcularisation des Deutschen Ordens der Zusammenbruch des wenig über
gjji^y länger
stehenden Ordensstaates
aufrecht
in
in
ein
Preussen
und
Menschenalter
Livlaud
um
hat
die
Mitte und gegen Ausgang des 16. Jahrhunderts einer ganzen Reihe von politischen Abenteurern den Anlass geboten, durch bald mehr, bald minder weit
angelegte Pläne den
vielumstrittenen
und
viel-
begehrten Boden Livlauds zum Gegenstande ihrer politischen Speculationen zu machen.
Ganz abgesehen von den Bemühungen seinem Orden
des Deutschmeisters,
übergegangene Preussen zurückzugewinnen, kommen hier die Anschläge in Betracht, das
polnische
in
Lehnsherrlichkeit
mit welchen Herzog Albrecht von Brandenburg, meister und erste Herzog Preussens,
der letzte Hoch-
schon vor der Säcularisation
des Ordensstaates und dauacli während des ganzen Verlaufs seiner
Regierung sich trug,
um Livland
zu
sich herüberzuziehen.
Sein
Bruder, der Coadjutor und spätere Erzbischof von Riga, hat dann
den Versuch gemacht, in Livland ein weltliches Regiment, zu beAber wie Albrecht an der Wachsamkeit Wolters von so Wilhelm an der eigenen Unfähigkeit Plettenberg scheiterte gründen.
1
,
und der Abneigung eines Theiles der livländischen Stände eben so wenig aber vermochte der Coadjutor Wilhelms, Christoph von Mecklenburg, festen Fuss zu fassen. Schweden, Dänemark, Polen ;
1
Ueber
die Intriguen Albrechts conf. meine Geschichte Russlands, PolenB
mal Livlauds, Bd.
II, p.
215
ff.
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Ein abenteuerlicher Anschlag.
22
dem Schutze
und, unter
Polens, Gotthard Kettler, der ganz die
Albrechts von Brandenburg gewandelt
ist,
Wege
theilten sich in die Beute.
Nur vorübergehend vermochte der von Iwan dem Schrecklichen von Russland installirte Herzog Magnus von Holstein ein ephemeres Königthum über Livland von den Gnaden Moskaus zu behaupteu. Als das Werkzeug sich unbrauchbar erwies, ward es bei Seite geworfen und « König > Magnus konnte noch von Glück sagen, dass es ihm gelang, den Händen des Wütherichs zu entkommen und in einem Winkel Kurlands sein an Wechsel reiches, an Ehren armes Leben zu beschliessen. Das alles sind bekannte Dinge, die hier nur des Zusammenhanges halber berührt werden.
Weniger bekannt schon
ist
Friedrich von Spedt sich trugen
bringen
Dieser Gedanke
1 .
:
ist
man damals,
solle die
und der Söldnerführer
sie wollten Livland an Frankreich 1575 von König Heinrich III. von
Frankreich wieder aufgenommen worden. so plante
Der Herzog von Alencon,
Tochter Gustav Wasas, Elisabeth,
heiraten und als französischer Statthalter das
verwalten.
Man
um 1558
der Plan, mit welchem
der livländische Edelmann Conrad Uexküll
Herzogthum Livland
wollte von Frankreich aus Kolonisten und Truppen
nach Livland senden und hoffte durch Livland die Niederlande zu zwingen, deren Nahrung von den stets gefüllten Kornkammern Livlands abhängig
auch der an
sie
sei.
Da
die Heirat
nicht zu Stande kam,
geknüpfte Plan in sich zusammen.
kraft hatte er ohnehin nicht.
Nur
in
den Acten
brach
Innere Lebens-
haben
sich die
Spuren desselben erhalten.
Von zwei
weiteren Anschlägen auf Livland erfahren wir aus
den Acten des geheimen Staatsarchivs zu Berlin.
Im Jahre 1600 fühlte sich Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg durch eine Gesandtschaft lebhaft beunruhigt, welche der Zar Boris Godunow an Kaiser Rudolf abgefertigt hatte. Der Kurfürst fürchtete, dass Russland die Absicht habe, die Subsidien zurückzufordern, die es dem
HM.
Albrecht von Brandenburg während
Kampfes mit Polen gezahlt hatte. Er schickte daher seinen vertrauten Rath Ruprecht Lins von Dorndorf und Kaspar Klein nach Prag, um zu erkunden, was der eigentliche Zweck jener Geseines
sandtschaft
*
sei.
Durch
ein Schreiben Lins', d. d.
Eger 1600 März
9,
Von Dr. Moellerun nach Acten des geheimen Archivs zu Kopenhagen Mittheil, zur Livl. Gesch. XII 3, p. 477 ff.
mitgetheilt.
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Ein abenteuerlicher Anschlag
23
Der russische Gesandte alle Befürchtungen beseitigt. Afanasi Iwanowitsch Wlasiow hatte der Subsidien nicht gedacht, im Laufe des Gespräches aber eine merkwürdige Mittheilung gemacht, welche Ruprecht seinem Herrn überbrachte. «Sider 4er
wurden nun
jetzige Grossfürst
redung
—
ist
regiert
—
so berichtet Lins
wann Markgrafen Hans von
als
über seine Unter-
des Hauses Brandenburg änderst nicht gedacht worden,
Cüstrin das Leben
gehabt hätte,
wäre das ganze Livland unter dem teutschen Reich.
Denn der Grossfürst Johannes
Friedrich von Denmarck
haben
wollen
Basilides,
abtreten,
auch König
der König von
Schweden desgleichen. Allein habe ihm (doch wol dem Könige von Schweden ?) 3 Tonnen Gold erlegen sollen. Die Polen haben damals, als 1570, nicht mehr als ein Schloss in Livland gehabt, aber Ihre F. Gn.
sei
anno 71, do man mit Kaiser Maximiliano in verfahren, da sei die Sach alles
voller Tractation stunde, Todes
stecken plieben. Ihre F. Gn. haben sollen Statthalter und der Grossfürst Schutzherr sein.»
Ueber diese ganze,
höchst,
merkwürdige Angelegenheit hat
sich trotz eifriger Nachforschung im geheimen Staatsarchiv weiter
keine Spur gefunden.
Auch drängen
sich allerlei
Bedenken gegen
diese russische Mittheilung auf.
1571.
Markgraf Johann von Küstiin starb schon am 13. Januar Es ist nicht wol denkbar, dass Iwan der Schreckliche mit
ihm in Verhandlungen getreten sein sollte, so lange noch Magnus von Holstein bei ihm in Gunst stand. Nun begannen die Verhandlungen mit Magnus gerade 1570. Im März dieses Jahres schliesst er mit Iwan jenen Vertrag ab, durch welchen ihm Russland gegenüber genan die Stellung zugewiesen wurde welche Wlasiow für Johann von Küstrin in Anspruch nimmt vom 20. Aug. 1570 bis zum 16. März 1571 lagert König Magnus vor Reval im Juli 1570 aber wurde zu Stettin der Friedenscongress zwischen Schweden und Dänemark eröffnet, an dem auch Polen, der Kaiser and Frankreich theilnahmen und der am 13. Dec. 1570 zu dem bekannten Friedensschluss führte, durch welchen Friedrich von Dänemark seinen Bruder desavouirte und Johann III. von Schweden seine Besitzungen in Livland auf Kaiser und Reich übertrug. Der Kaiser verlieh dann die Schutzherrschaft über die Bisthümer Reval und Oesel, sowie über Padis, Sonneburg und Hapsal an Dänemark, während Schweden die Städte Reval und Weissenstein zunächst noch als Pfand für seine Auslagen behalten sollte. Unwahr endlich ,
;
r
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Eiu abenteuerlicher Anschlag
24
dass Polen im Jahre 1570
ist es,
sessen habe, so schwach
ist die
nur
ein Schloss in
Stellung Polens
in
Livlaud be-
jenen Jahren
überhaupt nie gewesen. In der Stadt und im Erzstift Riga vermochte es sich dauernd zu behaupten. Es bleibt demnach, wenn dass was doch unwahrscheinlich ist man nicht annehmen will
—
—
der Gesandte
ganze Angelegenheit
die
erlogen
habe,
nur
übrig
anzunehmen, dass die Verhandlungen mit Johann von Küstrin entweder in die Zeit vor dem März 1570 fielen, oder eine Phase der stettiner Friedensverhandlungen bildeten.
um
3 Tonnen Goldes
geneigt
gewesen
Dass König Johann wäre,
III.
auf Reval und das
übrige Estland zu verzichten, ist an sich nicht unwahrscheinlich, auch Kaiser Maximilians Zustimmung darf nicht ohne weiteres als
undenkbar bezeichnet werden. Auch ist zu beachten, dass sich bis 1600 in Rassland die Kenntnis von dem wohlgefüllten Schatz des Markgrafen Hans von Küstrin erhalten hat. Wir wissen, dass der Brandenburger allerdings zu den reichsten Fürsten
jener Zeit
Durch Vermittelung der zahlreichen deutschen Abenteurer Diensten Iw ans des Schrecklichen mochte dieser davon erfahren
gehörte. in
r
und so ein Plan entstanden
haben
sein,
der entweder schon vor
dem März 1570
vom Markgrafeu abgelehnt, oder während der die Iwan den Schrecklichen arg verstettiner Verhandlungen stimmten, aufgenommen, aber wegen des gerade einen Monat nach ,
Abschluss des Friedens erfolgten Todes des Brandenburgers fallen
Aus einem
im geheimen Staatsarchiv Königs Magnus vom Jahre 1572 «Gründlicher und wahrhatftiger bericht, was gestallt der Durch-
gelassen wurde.
erhaltenen 1
Schriftstück
ebenfalls
des
leuchtige hochgeborene Fürst und Herr, Herr Magnus &c. erstlich an den Reussischen Khaiser gefurt, zum Khunig er wellt und nun endlich sich wieder nach Darpt und auf Ire Frl. Gn. Hauss und
Feste Arnsburg begeben» ergiebt in
der Stellung Iwans
ihm
sich, dass
Magnus
gegenüber vor allem
die
Wandlung
von dem Tage
da Iwan von den stettiner Abmachungen erfahren hat. Konnte Iwan nicht unmittelbar, sondern nur durch einen deutschen
datirt,
Fürsten
über Livland
russischen Politik
Brandenburger
seit
herrschen,
so
die Traditionen
der einen
hin.
Aus der Correspondenz
des Kurfürsten Joachim II. von Branden-
burg nach Polen hin ergiebt sich nur so
•
wiesen
dem Anfang des Jahrhunderts auf
Rep. XI. Kuiwlaiul
1
viel,
dass Sigismund August
f.
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Ein abenteuerlicher Anschlag.
25
den Jahren 1569 and 1570 über den Markgrafen Johann von Küstrin sehr erbittert war und dass Joachim dabei als Vermittler auftrat. Ob jener Livland betreffende Anschlag Grund der Verstimmung war, muss dahin gestellt bleiben, bis reicheres Material
in
vorliegt.
Weit
besser sind wir über
einen noch viel abenteuerlicheren
Plan unterrichtet, mit welchem sich zu Ende der 70er Jahre Georg Hans, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in ßaiern und Graf zu Veldenz trug. Pfalzgraf Georg Hans ist eine nichts weniger als anmuthende Persönlichkeit gewesen. Als einziger Sohn des trefflichen Herzog Ruprecht von Veldenz am 11. April 154H geboren, verlor er, noch nicht 1'/, Jahre alt, den Vater. Der Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken übernahm die Sorge seiner Erziehung. In Heidelberg,
wo er Dann
als
1
ljähriger
Knabe den
Rectortitel führte, ist er erwachsen.
hat es ihn weit herumgetrieben, bis er
am
23. Oct. 1563 sich
mit Anna, einer Tochter Gustav Wasas vermählte, der Schwester jener Elisabeth, an welche die oben erwähnten französisch-polnischen
Georg Hans
Pläne anknüpften.
trat gleich nach seiner
Vermählung
die Regierung seiner Erblande an, begann aber sofort einen äusserst kostspieligen Process gegen seinen Vetter, den Kurfürsten, weil er sich in seinen Erbansprüchen verkürzt glaubte. Dieser Process, der ihn in endlose Schulden stürzte, ist das Verhängnis seines Lebens geworden Um zu Geld zu kommen, griff er einen abenteuerlichen Plan nach dem anderen auf: aus keinem derselben ist etwas Dauerndes hervorgegangen, aber in ihrer Gesammtheit charakterisiren sie die Persönlichkeit des Fürsten, der eine merkwürdige Verbindung von unsteter Phantasie und zäher Beharrlichkeit, von praktischem Sinn und Verkennung des Möglichen und Erreichbaren Friedrich Backe in seinem schönen Buch über (Nr. 44, 1888) die in meinem Artikel in der «Riga-
Anlehnung an
«Randbemerkungen zur Haus-
Zeitung* (Nr. 164 und 165, 1888):
schen
Polizeireform >, dargelegte Charakterisirung dieser Rechte als
Wir meinen aber den
recht.
Verpflichtung,
amtlichen Charakter
auf Angelegenheiten
alle
Forderungen der staatlichen Polizei zu
lichen
erfüllen, die amtliche
dem Umstände zu erkennen, dass
Veantwortlichkeit aber schon in
Besch werdeinstanz die Gouvernementsregierung
die
der
in
u. a.
des Polizeiwesens bezüg-
wobei die
ist,
Aufhebung der gutspolizeilichen Anordnung durch die Kreispolizei den
Charakter einer provisorischen Massregel
(d.
i.
bis die
Gouv.-
Regierung je nach Ausfall ihren Spruch gethan) zu tragen scheint.
Eine andere Aenderung, in
zusteht,
auf den Pastoraten
auf
den Gemeindeältesten
unsere Gutspolizei erfahrt,
die
neuen Gestalt
ihrer
dass sie
nur sie
ist
ist
für
Ausdruck gewählt:
Besitzer
zum
bäuer-
Grundbesitz), dass auch Besitzer von Hofslandparcellen als
jenem Recht bedacht erscheinen
Gegen
konnten.
diese Auf-
Recht bestehende Stellung des
fassung spricht aber die bei uns zu
Rittergutes (Landtagsberechtiguug &c), auch findet sich keine
eines
aewieBJiaA'hJibmi
im Gegensatz
(Gutsbesitzer, überhaupt Grundbesitzer lichen
mit
ist,
fernerhin
ganz beseitigt und geht hier
Freilich
über.
Rittergutes ein so unbestimmter
den Rittergütern
im Gesetz
Andeutung darüber, dass neue Gutspolizeien geschaffen werden;
endlich
läge iu solchem Falle keine Veranlassung zur Beseitigung
Pastore vor &c.
der Gutspolizei, der
sich die Frage über die Zukuuft der Dass der geringe Rest belassener Befugnisse seiue Begründung nicht in jenem Conservatismus findet, der, wenn es sich um die Beseitigung einer den Anforderungen der Zeit nicht
Naturgemäss drängt
Gutspolizei
auf.
mehr entsprechenden Institution handelt, wenigstens ein Zipfelchen
auch
zu erhalteu strebt, liegende stutzt in
Wünsche
nicht
in
dem Umstände, dass
fern ab-
Erhaltung dieser Einrichtung bei uns unter-
haben, sondern in den thatsächlichen Bedürfnissen des Landes
seiner heutigen
hat,
die
Entwickelungsphase
das ersehen wir
auderer
Staaten,
in
seiue
lebenskräftige Basis
dem aualogen Entwickelungsprocess welchen die agrarische und die gesammte u. a.
in
social-ökonomische Gestaltung der ländlichen Verhältnisse ziehungen der unsrigen
ähnlich
und zwar in seinen östlichen bezirken
ist.
So
Provinzen
vor mit
allem
und Be-
in Preussen,
seinen grossen Guts-
und seinen abgesonderten Landgemeinden
:
auch hier wurde
Aphorismen zur baltischen Polizeireform.
126
(Kreisordnung vom
Dec. 1872) die Gutspolizei beibehalten, die
13.
auf dem Gutsbezirk die übrigens sehr begrenzten Rechte meindepolizei
Die
coordinirt. in
diese beiden sind einander
ausübt,
Es erlangt der Guts-
wegen der Thatsache
besitzer jenes Recht nicht schon
sondern,
von
abgesehen
diesem Amte, bedarf er
ernannten
der Ge-
sonst ganz
letztere trägt daher hier ihren amtlichen Charakter
weit schärferer Ausprägung als bei uns.
sitzes,"*
auch
Landraths,
der Bestätigung
Im
des
seines Be-
Qualilication
zu
von der Regierung
Zustimmung des Kreisausschusses
mit
die
(Selbst Verwaltungsorgans) versagt
Amtsantritt vereidigt.
geforderten
der
werden kann, und wird vor seinem
Falle seiner Nichtbestätigung steht dem
Gutsbesitzer die Bestellung eines Stellvertreters zu, der in gewissen
vom Landrath unter Beistimmung des Kreisausschusses, und zwar auf Kosten des Gutsbesitzers ernannt wird, während bei uns Fällen
solchen Falls die Gutspolizei auf den Gemeindeältesten
Es
übergeht.
scheint uns keinem Zweifel zu unterliegen, dass die Guts-
polizei daher
auch
in ihrer
neuen Gestalt sich lebenskräftig erweisen
und eine vielgestaltigere Thätigkeit zeigen wird, als die Gesetzgebung vor Augen gehabt hat. Nichtsdestoweniger meinen wir nicht,
wie der beregte Artikel der
Land- und Forstw. Ztg.», dass
c
unsere Verhältnisse
Und an Dumpf: Der freundliche Engel, der Licht und Glanz
«Bruder!
mein dunkles Leben
hat mich
brachte,
auf ewig verlassen.
dem Todel»
bin schrecklich verwaiset und sehne mich nach
Und
Stimmung war
diese
in
in
Ich
ihrer Heftigkeit keine vorüber-
gehende. Einige Zeit danach heisst es
Und an den anderen Freund t Mein Bruder Gestern Nachmittag um 2 Uhr ging mein laubte
!
!
:
!
himmlischer liegt
ins als
Aemil zu
Schwester Malvine!
seiner
Möge
schwer auf mir.
sie
Gottes
Hand
Dir und den Deinigen leichter sein!»
Es war ein fürchterlicher Schlag für den zum zweiten Mal Herz Getroffenen; die Briefe deuten, was er litt, nur mehr an, dass sie es aussprächen. So wenn er von sich sagt: «Die schöne innere Welt, an der ich lange und mit gläubiger
Liebe gebaut, Eis wird die
ist
mir zerstört auf ewig.
Trümmer
Und von der Gattin
:
«Pauline hat einen himmlisch schönen Glauben in seliger
Ergebung
liegt
sie da,
wie
Gott und Aemil, und beide sind langsam zu Tode.»
Und « Es
unschmelzbares
Starres
überdecken.»
eins
Ohne Thränen,
!
eine Heilige und denkt in
ihr
und
sie
an
sehnt sich
ferner:
Da dass der Gram an ihrem Leben zehrt. kann kein Arzt helfen, kein Freund, kein Trost, keine Ermuthigung Die Zeit ? 0, wenn die jeden Verlust vergessen macht, was hätte dann wol noch Werth für uns Für meine arme Pauline und für mich hat das Leben keine reine Freude mehr.» ist sichtlich,
—
!
Und endlich in Beantwortung des Trostbriefes vom PastorFreunde am 8. März 1816 «Dein kräftiger männlicher Brief, geliebter Bruder, hat mich :
Schultern
und dränge die Klage ohne Trost
Tiefe zurück.
Trost
—
in
der
auf.
in
auf starken
meines Herzens
Lieg' da, bis es bricht! Pauline sucht und findet
ist ein
tolles
poetisch,
Humor,
Wirkung
—
Gott und wird vielleicht
Bruder! es
eigentlich
Kummer
Ich trage meinen ewigen
ermuthigt, gestärkt.
der
— Ist
d. h.
Leben!
bald
—
ihren
Wird
tragisch,
auf der Spitze
Aemil wiedersehen.
der
Jammer
so hebt die
des Tragischen
so recht
Ironie,
gaukelt,
es nicht aber auch närrisch, dass ich
alle
Dir auf
Dicjitized
by
Eines Dichters Kind.
derselben
des Briefblattes
Seite
für
145 übersaudte
freundlich
zwei
Löf feiner Gerstengrütze danken muss, auf dem ich Dir den innig-
Dank sage für Dein treues brüderliches Mitempfinden meines Das Leben ist eine Farce. Aber das Gefühl, das über dem Leben steht und waltet, ist heilig und ewig — O mein Bruder, wie hast Du richtig empfunden bei dem Anblick der Kreuze, sten
Schmerzes?
!
die
mein Engel-Aemil,
kindischem Spiele
ahnend
Kirchhof
—
wohl
auch
unverletzt.
welches
-
Wie
!
0
wehmüthig!
machte
oft
jetzt
,
der zerrissenen Brust
in
erfüllt!
ist's
ist
in ernst-
mich der kleine
die Liebe
—
Lebe
und Treue
sehr
danach noch
er
in
dem Andenken
dieses
heiss-
Kindes gelebt, davon zeugte unter anderem ein Päckchen, man nach seinem Tode in seinem Pulte fand, und das
unter der Aufschrift
cAemil» ausser einem Bildchen,
dem Vermerke
Kleine,
noch im Licht wandelte,
er
>
Wie geliebten
als
aufrichtete
nach,
nur wenige Tage
vor
welches der seinem Ende
gezeichnet hatte, alles an Briefen von Freunden, sowie an sonstigen
Erinnerungen gesammelt enthielt,
was auf das frühe Hinscheiden Knaben irgend Bezug hatte. Der einzig wirksame Trost für solch herben Verlust: Ersatz für das Verlorene, winkte dem Geprüften diesmal früher, als es nach dem Tode der Tochter der Fall gewesen war. Schon im
des
Winter des nämlichen Jahres sah er einer abermaligen Niederkunft seiner
Gattin entgegen, ohne dass ihn diese Aussicht schon gleich
anfangs ihn
mit Freude
zu erfüllen vermocht hätte.
Daran hinderte
ausser der im allgemeinen zu tief verdüsterten Seelenstimmung
noch im besonderen einmal der schwer leidende Zustand der ihrer
Entbindung licher
entgegengehenden Frau,
wesen befand.
sodann die sich immer kläg-
wirtschaftliche Lage,
gestaltende
War
kömmliche gewesen,
dieselbe schon von
dass
sich
in
jeher
sich
das Haus-
eine so
wenig aus-
der
Dumpf im Verein
mit
noch, zwei
anderen Gleichgesinnten bereits vor längerer Zeit bewogen gettihlt hatte,
dem Freunde mit einem jährlichen pecuniären Zuschuss zu kommen, welcher in einer die Geber wie den Empfänger ehrenden Weise sowol angeboten als angenommen wurde,
Hilfe zu gleich
so hatten sich die
der
Verhältnisse bei der andauernden Kränklichkeit
Hausfrau im Laufe der Jahre
nur noch
mehr verschlimmert.
Mit schönem Zutrauen wandte sich denn auch jetzt der Bedrängte an
den
stets
sprechend:
erprobten Freund,
am
6.
Nov. 1816 die Bitte aus-
140
Eines Dichters Kind.
t
Sende mir, wenn 's möglich
Es
nächstens kreissen.
man schon
grösseren entrathet
kennst mich nicht
200 Rbl.
ist,
—
Das Weib
sind der kleinen Bedürfnisse so viel
eher und ohnehin.
Bruder,
will
der
;
Du
ver-
1>
Mit der näher rückenden Entscheidung beginnen denn auch Hoffnung und Freude allmählich doch wieder zu erwachen. Heisst es anfangs noch
«Ich weiss nicht, ob ich darüber froh
arme Pauline trägt
ihre neue Hoffnung
Auch
darf?
sein
mehr
die
in schmerzlicher Re-
signation, als in hoffender Freude.»
So lautet es bald darauf: cJa, auch ich erkenne, dass hier ein Höheres waltet, als der blosse Zufall.
Gott
wolle
gut
es
Mir
enden!
ists
schwül
um
die Seele.»
Der
gleiche
innige Wunsch,
möge, hatte mittlerweile auch
und
naclihaltig beschäftigt
Entschluss fassen lassen.
dass
diesmal tgut enden»
es
den sorgenden Freund
ihn
War
in
Euseküll
schliesslich einen eigenthtimlichen
der frühe
Tod der beiden voran-
gegangenen Geschwister von den Aerzten allgemein mit einer ungesunden Neigung zur Corpulenz in Zusammenhang gebracht worden,
ihm vor allem geboten, für das neuerwartete Kind Art der Ernährung zu ersinnen, welche dieser unheilvollen Tendenz entgegenarbeitete. Während er die Wahl der hierbei so schien es eine
am
besten einzuschlagenden Behandlung noch unschlüssig bei sich
erwog,
traf es sich,
Dame, Frau
v. U.,
dass
im
zu Besuch
benachbarten Pastorat Hallist eine
eintraf, die allerlei
ausgesetzt unter anderem zu Zeiten verfiel,
aus dem heraus
sie sich
in einen
nervösen Zufällen
magnetischen Schlaf
sowol auf Befragen
als freiwillig
auf mancherlei Art hellseherisch und prophetisch vernehmen Hess.
Propst Berg,
von dem Geheimnisvollen
der Erscheinung auf
das
mächtigste berührt, widmete sich mit voller Hingebung dem Studium
wie
dieser mysteriösen Zustände,
sondere Schrift
über
seine
er
hierbei
denn
auch
gemachten
später
eine be-
Erfahrungen
ver-
Auch Dumpf fühlte sich mit lebhaftem Iuteresse von der räthselvollen Macht angezogen, und rasch reifte iu ihm der Plan, von der Somnambule die zu ergreifende Behandlung des erwarteten neuen kleinen Weltbürgers bestimmen zu lassen. Frau öffentlicht hat.
v.
U. blieb die Antwort auf die ihr vorgelegte Frage nicht schuldig,
und ihr Ausspruch wurde nun
in
einem versiegelten Einschluss an
Petersen gesaudt mit der feierlichen Verwarnung,
das Blatt nicht
Digitized by
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Eines Dichters Kind.
früher zu eröffnen,
selbst
147
sondern es zu dem
Zweck
erst
der
in
Geburt dem behandelnden Arzte einzuhändigen, welcher zuvor geloben mttsste, sich in allem genau nach der in demselben
Stunde der
enthaltenen Vorschrift richten zu wollen.
den
Welchen Eindruck diese Botschaft «aus einer anderen Welt> auf Empfänger machte, zeigt seine Antwort vom 22. Nov. 18 16 deutlich:
die
versiegelte Inlage bezieht.
von
Deiner unwandelbaren Treue und Liebe so mächtig
«Tiefgerührt hat mich die Stelle Deines Briefes, die sich auf
worden, als nun,
Thränen
seine
was
dem
die
bei
Noch
war
nie
das überquellende Herz
und
Gefühle
unaussprechlichen jetzigen Zustand
Ueberzeugung in mir ge-
die
konnte Dir nur
hinströmen.
—
meiner Seele undenkbar
in
Wenn, auch
ist,
quälendste Neugier auf den Inhalt dieses versiegelten Schreibens
zu übermannen drohte, so würde ich doch Deinen Willen und
mich
Entsagung und (Du begreifst es !) mit geheimem Ja, Du mein ewig theurer und ewig treuer
Dein Siegel mit
verehren
Schauder
Bruder, ich
!
habe unbegrenztes Vertrauen zu Dir!
Dann
O
wollte Gott,
Angst mich entmannen. Meine und Paulinens letzte Hoffnung würdest Du treu bewahren und in Aber wem soll ich hier verdauernde Freude verwandeln trauen ? Von den Universitätsärzteu, ausser Moier, kann ohnehin keine Rede sein Aber auch dieser, obgleich er sonst ganz der Mann dazu wäre, ist jetzt so zerrissen in seinem Innern durch Liebesqual und Liebesdrang, dass ihm wol die nöthige Besonnenheit und Stätigkeit mangeln möchte. Dennoch habe ich ihn (ohne das versiegelte Schicksal so muss ich wohl Deinen Brief nennen zu erwähnen) durch Lenz sondiren lassen, und wenn er mir nicht sein heiliges Ehrenwort giebt, dass er sich der Sache mit ganzer Seele annehmen will so wird nichts daraus. L o h m a n n, Du wärest hier!
sollte keine
—
:
!
—
—
—
—
ein freundlicher Hausarzt,
sonst
dass er
—
Herz zu ihm,
weil
er
so ich
mir ein
mich
die
Wahl
nur
erst
Anhänger der
alten
— Sahmen? Er Freundschaft für mich — aber
—
Sieh,
des Arztes viel Kämpfe.
mich schnell entsch Hessen,
Hätte ich post
starrer
doch noch gar zu arm an Erfahrung.
kostet
als
zu sein scheint.
Kenntnisse, Gemüth, wohl auch
er ist
weitlich und windig,
Du
medicinischen Humoral-Schule hat
zu
ihm geben würdest, nur erst zu lassen Stegmann? Ein wackerer Mann, aber ich habe
die Ansicht, die
vermöchte. kein
ist
denn es
ist
Antwort wegen Moier!
mein Bruder,
Und doch muss
Gefahr im Zögern
—
!
—
Mit der Sonntags-
melde ich Dir meinen Entschluss.»
Digitized by
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148
Eines Dichters Kind.
Wie
derselbe ausfiel, theilt der Brief
vom
Dec. 1816 mit:
3.
«Ich sollte und wollte Dir schon heute vor acht
Entschluss wegen
aber nicht.
Moier
Wahl
der
Endlich
eines Arztes
vorgestern
—
am
Tagen meinen
konnte
melden,
Busstage
—
ging
den ich durch Lenz hatte sondiren lassen und der
hin,
von Herzen willig erklärte, meine Bitte
Zwei Tage
meldet
später,
«Jesaia IX, mir,
Du
gesunder
und
3»/»
Ohr
Uhr
Am
des Vaters.
Uns
Kind geboren!
Schwedenkopf!
kleiner Kerl
frischer
er
ein
ist
alter treuer
schrie
Flöten-
Dec.
7.
Der
Brief
:
6.
die
glücklich von Statten,
O
December 1816, begrüsste *der
5.
die Freudenbotschaft den beiden Freunden.
er
an Bergmann lautet mit
am
ersten Kinderstimme > das
der
sich
;
mit Hand und Mund und Ehrenwort. Deinen Schicksalsbrief und bin nun ruhiger.» '
es
zn
und er beIch gab ihm
zu erfüllen
stätigte dies
ton
ich
Welt
—
du verhülltes Schicksal
die !
au.
!
—
Freue Dich
Junge
Vorgestern
ist
ist's,
ein
Nachmittag
Es ging Alles gar
Mutter
sei
—
Ein
leicht und
überaus wohl und
selig.
mir wieder hold und lass mir den
Knaben! Ich habe ja überschwänglich gebüsst!» Und der an Dumpf: i
Vorgestern,
Du
mein geliebter Bruder,
um
3'/4
Uhr Nachm.
schlug die verhängnisvolle Stunde und meine treue Pauline eines
gesunden
Knäbleins
frischen
!
Moier
genas
auf meinen
erschien
Wink, sprach lange geheim mit der Hebamme, und heute ordnete
Amme,
dass das Bürschlein
i 1
i
Morgen oder schon heute wird
gezogen werden
sollte.
thea anlangen.
Versteht
zögernd,
ver-
«weder mit Mutter, noch sondern wieJupiter m i t Z e g e n m c h» auf-
er,
sich,
doch als ein verständiges Weib
in
den Beschluss
das Geschäft des Tränkens selbst besorgen wird.
überaus wohl und
grttsst
die
Amal-
dass die Mutter, die sich, obgleich fügte,
Sie befindet sich
Dich herzlich.»
Der Knabe erhielt in der Taufe den Namen «Freimund». Gross und allgemein äusserte sich die freudige Theilnahme am Glücke des allbeliebten Mannes. Nicht nur von Seiten der nächsten Freunde, wo z. B. Bergmann schreibt -
«Tra— ra
— ra — ra— ra— rah! Gelobt Gott über — möge er auch ein Hoffnungsreis, sei
Freudensprössliug,
den neuen nicht blos
Laub und Blätter, sondern auch Blüthen und Früchte tragen, — möge das Bäumchen fröhlich emporschiessen und mögen wir uns Alle
im
sorgenlosen Alter
an
seinem Schatten
freuen
können!
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Gqogle
149
Eines Dichters Kind.
Die Hoffnung
Sela!
das Reich des Wunderbaren
und
leben
soll
uns einen Stab reichen, der uns kräftig über trübe Erfahrungen
soll
hin wegführt.
>
sondern auch aus weiteren Kreisen,
wo dem
beglückten Vater be-
Zuspruch eines Mannes von hohem, bedeutungsvollen Werthe war; trat doch in ihm ein Dichter an die Wiege des Kindes, demselben gleichsam seinen poetischen Segen fürs Leben
sonders der
Er
ertheilend.
am 10. Dec. 1816 an Bergmann: am Tage nach der Geburt meines
berichtet darüber
«Shukoffsky brachte mir Söhnleins folgende Verslein
:
H upeACKa3are.ib! PaAocrb sa ropem> npmiija! ^aMtiiino tto othato nMi»! EyAb-iHe
Ht,6o,
yT-feiueu-b
OTeui!
tu tmLenib cuhobi,! Tßofl M.iajuuiA c*b to6ok>, tboA Byxen, Ea^ anre.ib, et Heoecb Miuaro 6paTa xpanrnb!
ÄByxT,
crapiuifi
welches ich, zu seiner Zufriedenheit, so Ubertragen habe: Leid wird Freud'
Was
Ich hab' dirs verkündet
!
Zwei nun hast du der Söhne Wird,
zum Engel Und Dumpf
Der Himmel
!
ersetzt dir,
Väterchen, sei nun getrost,
er dir früher entriss.
!
Der jüngere bleibt dir, der ält're dem Brüderchen sein.»
verklärt, Schutzgeist theilt er
mit
«Recht brüderlich danke ich Dir für Dein Anerbieten:
mir
noch einige mir fehlende Goethesche Meisterwerke zu verschaffen
Aber das hat nicht Noth! Nächstens werde ich Besitzer oder doch Geniesser
Bände) er
!
der neuesten Ausgabe von Goethes Werken sein (20 Als nämlich Shukoffsky im Juli in Reval war (von wo
mir das Conversationslexikon als Gostünza brachte) pränumerirte
Kosegarten
er bei
den eleganten
auch
auf den Goethe (Exemplar auf weissem
Einige Monate
Druckpapier).
darauf erhielt er
und correcten wiener Nachdruck
Werke und am Tage nach der Geburt er
den
diesem
Kosegartenschen
aus Petersburg
aller
Goetheschen
meines Söhuleins brachte
Pränumerationsschein
zum An-
gebinde!»
Im
selben
Schreiben
er
berichtet
über
den Neugeborenen
weiter
Dieses unbedingte schöne Vertrauen
Vater
Sie aber
lasst sich das Ge-
—
wenigstens
nicht
von
gar
zu
—
sollte übrigens
langem Bestände
beim sein
seinem gesunden klaren Sinn musste das mystische, nächtige Wesen
Zwar
auf die Dauer auf das Entschiedenste widerstehen. er gegen
Dumpf
nicht, doch
seine Empfindungen
nach
dieser Seite
äussert
hin noch
macht er Bergmann gegenüber schon jetzt seinem geam 22. Febr. 1817 ausruft: «Das
pressten Herzen Luft, indem er
sakramentische Clairvoyanten- und Somnambülen-Wesen
im Inneren
tief
verletzt
hat
mich
und wird seinen gespenstischen Einfluss
auf mein und meines Söhnchens Leben -- ich fühle es mit Schauder
—
nie aufgeben.
—
O
dass Berg den Kluge gelesen
hat!
Ihne
mihi prima mali labes!*
Noch sucht
ihn der Freund fürs erste zu beschwichtigen und
Bezug nehmend auf
thut das in einem Briefe, der
einige weitere
Auslassungen des erregten Vaters nach verschiedener Seite hin so charakteristisch
«Wozu gegeisselt? losfahren
ist,
dass er hier gleichfalls folgen
mit solchen Scorpionen
Du
und
könntest ja geifern,
die
mag:
unschuldige Frau
mit gleichem Recht auf
der durch
seine Teufeleien
sie
zu
nerven8üchtigen Patientin werden Hess, ja auf die Eltern, nicht mit rüstigerem Gekröse begabten, ja
v.
ü.
Mann
ihren
einer
die sie
auf Gott selbst,
dass
Magnetismus in die Welt setzte! Du erkennst die Kraft des Magnetismus und kannst nur das Orakeln nicht ertragen ? Einmal das Wunderliche bis hierher und nicht weiter? zugegeben, wer darf dann sagen er
Clairvoyance
—
und Somnambulismus und
:
Orakulirt wird ja
aber
auch
in
den
einfachsten Erscheinungen
Ohne magnetische Orakel keine Genesungsohne diese keine Hilfe, keine Rettung von Tod und schwerer Mögen auch Visionen unterlaufen und ihren Spuk treiben,
dieses Wundergebiets. mittel,
Noth.
so darfst ihre
Du
doch bei aller Befangenheit eben so keck bauen auf
Aussagen für Deinen Seehund,
als der
besonnene
Dumpf
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für
Gp pg
l
Jedes geringste Unwohlsein des so ängstlich gehegten Kindes
schöpfendes
brachte
—
völlig
an
mann
am
wie leicht erdenklich
den Rand der Verzweiflung.
cMeiu Junge sein
!
befindet
Leben 6.
März 1817
Da
au Berg-
zum
Besten. wird's
Es
ist
ein
auch
nicht
krank,
hatte
:
acht Tagen recht
seit
Schlaf- und Appetitlosigkeit
—
o Bruder,
wie
war mir
Muth!>
Und an Dumpf in
er
schreibt
droben
nicht
sich
hienieden!
tMein Jüngelchen war za
So
»
Und am Fieber,
nunmehr jedesmal
den Vater
22. Jan. 1817:
erbärmliches besser
'
—
berichtet er, noch im
rührender Ausführlichkeit
am
15.
«Die Krankheit meines lieben gehalten, früher
zu
hatte ein
Deinen Brief vom beantworten,
kleinen
19. Febr.,
geliebter
Rückgedenken
März 1817
zitternd,
:
Jungen hat mich
ab-
der mich innig gefreut hat,
Bruder.
Das arme Kuäbchen
starkes Fieber, dabei fast gänzliche Schlaf- und Appetit-
Wir zitterten bei dem Gedanken, dass es ein Nervenwerden könnte Moier verschrieb ihm Extr. Chin. &c. alle Die Arzenei that gut, denn der Stunden 1 Theelötfel.
losigkeit. fieber
vier
!
»Wtwb* MonatiMclmfl. Rund XXXVI,
—
lieft ü.
1
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Google
Eines Dichters Kind.
152
Bursche schlief wie ein Murmelthier, verlor allmälig sein Fieber und bekam seinen Appetit wieder. Moier muss seiner Sache gar gewiss
gewesen
sein,
denn
dem
seit
4.
März, da er die Arzney
Wenn
es einem Arzte
Wirkung
des verordneten
verschrieb, ist er nicht wieder hier gewesen.
Ernst
so pflegt er sich doch nach der
ist,
Er
Mittels zu erkundigen.
—
Markt und
Was
doch
der
—
denn für Noth?
hat's
fährt
mehrere Mal über den
täglich
ßursch
ist
Was
ja
nun
meinst
wieder
Du
hergestellt.
aber dazu,
raein
Junge gar so wenig schläft? Nur während des Gebrauchs der erwähnten Arzney schlief er gut. Jetzt aber wieder wenig bei Tage höchstens 3 mal, nie über Stunden, bei Nacht Lieber, dass der
;
nur
3—4
und nicht mehr. Ist das nicht ein deutlich Die arme Mutter, die auch nur ?
Stunden
—
Zeichen krankhafter Schwäche
rapHm
schlafen kann,
und
unerquicklich,
aufs
Spiel.
während er
setzt
ihr
schläft
letztes
und auch dann unruhig
Restchen
von
Gesundheit
>
Der nämliche Brief berührt
—
zum
ziemlich
Der Dichter Böhlendorf war 14 Tage
cHör!
uns manchen schönen Abend durch Vorlesung
Der
lichen Gedichte* verschafft.
Mal
letzten
auch noch ein poetisches Interesse, indem es zum Schluss
in
ihm
und hat
hier
seiner
—
heisst
handschrift-
zarte, meist elegische Geist seiner
Dichtungen kontrastirt wunderbar mit seinem bettelhaften Wander-
Du
eben von der FussGustav hineintrat: zerlumpt, schmutzig, cder Fleischer kuckte bei dem Schumacher aus dem Fenster > Gustav stutzte ihn gleich von Kopf bis zu Fuss neu auf; wir sammelten Pränumeration auf seine Gedichte, und so zog er vorgestern, recht schmuck bekleidet und einiges Geld in leben.
hättest ihn sehen sollen,
wanderung aus Kurland ankommend,
wie
er,
bei
!
der Tasche, gen St. Petersburg, hinzieht,
um
— das Osterfest
wo
ihn ein unüberwindliches Sehnen
zu schauen und zu besingen
!
Er war
übrigens diesmal besonnener wie früher und schien etwas bekannter
und versöhnter mit dem wirklichen Leben.»
Wol damals auch
schrieb
unter
sich Petersen
den vorge-
tragenen Gedichten jene zwei Lieder ab, die unbegreiflicher Weise später in öffentlicht
seinem
worden
t
poetischen Nachlass> unter sind.
beiden unverkennbar.
Das
Die
Autorschaft
seinem
Namen
Böhlendorf^
ist
ver-
bei
erste:
Ungestilltes Sehnen. Soll ich
immer weiter wandern, nimmer ruh'n?
Selten rasten,
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Gflßgle
153
Eines Dichters Kind.
Ach! da komm' ich nur zu Andern, Aber nimmer zu den Meinen Weiss von Keinen, Die mit Lust mir Liebes thun. Zieht der Schwan in gold'nen Kreisen
Durch
die blauen Himmelshöh'n,
Denk'
ich: könnt' ich mit dir reisen
!
Liebend findest du die Lieben
Mich im trüben Nebel will kein Herz versteh'n!
Heimath ist mir längst entschwunden, Lieb' und Frieden sucht mein Herz, Hat sie nimmer doch gefunden; Ach, es sucht bis zum Ermüden
—
Lieb' und Frieden!
Werd' nicht mtid\ mein armes Herz ist
eine
stimmungsvolle
Schilderung
unstäten
seines
Daseins,
während das andere:
Einsamkeit. Mich
treibt ein unerklärlich tiefes
Durchs Leben
Sehnen
hin;
Ich suche Frieden, ach! und finde Thränen,
Wo
ich
auch
bin.
Kein Weib, kein Kind beschwichtigt meinen Busen Im Lebensdrang,
Und
es versagen selbst die holden
Musen
Mir den Gesang. Mich führt kein
O Nimm
Weg zum
heimatlichen Herde,
traurig Loos!
du mich auf, du heirge Mutter Erde, In deinen Schooss
eine
ergreifende
berbeigefiihrten
Vorahnung seines Endes giebt.
Ueber das Befinden kann
am Schluss des
«Mein Freimund
.
jygÄtjt,.
in
die
trostlosen,
durch
eigene
Hand
des einzigen Sorgen- und Freudenkindes
ersten bange dahingebrachten Jahres folgender
befriedigende Rechenschaftsbericht
entsetzlich
!
ist
an
Dumpf abgehen:
tüchtig und wacker.
Länge nnd
Breite
und
Der Junge wächst baum-
verspricht einen
Digitized by .
Google
154
Eines Dichters Kind.
Die Grütznahrung hat
haften Müllersknecht.
Er bekommt nun
aufgehört.
brühe und zweimal Zwieback
Er wird wol
Wasser geweicht mit Ziegenmilch.
in
sehr mässig gefüttert. Sein Fleisch
nie.
ist
er noch nicht und wirds
und gesund.
Vier Zähne hat er
Er
zwei oben, zwei unten.
bereits, Schneidezähne,
originellste Art,
Fett
derb
ist
indem
sich auf
er,
Wochen
seit einigen
innerhalb 24 Stunden zweimal Fleisch-
die
Hände
kriecht auf die
mit den
stützend,
weitausschreitendeu Beinen eiuen halbeu Kreis beschreibt, sich dann
mit einem Schwung hinsetzt, halben
seinen
Kreis
macht,
so
dass
sein
dann wieder
und
einen Prallsprung
Gang ungefähr
diese
Figur giebt:
An
Stühlen und Tischfüssen richtet er sich auf,
mitunter
Amme
Lebhaft
frei.
ist die
steht
auch wohl
kleine Bestie und verleugnet seine
nicht.»
Trotzdem erging von der Somnambüle einer neuen Verhaltungsmassregel: deihlich weiter zu entwickeln,
jetzt die Weisung zu Knabe müsse, um sich gehalbe Jahr zu Ader gelassen
der
alle
werden.
Auf
diese
Verordnung antwortet Petersen am
24. Jan.
1818:
«Ich habe den gehörigen Passus Deines letzten Briefes,
den
Aderlass betreffend, Moier gleich nach seinem Empfang mitgetheilt.
Er meinte
:
Knaben Er setzte
der körperliche Zustand des
er durchaus keines Aderlasses bedürfe.
sei
der Art, dass
das physiologisch
und Gott weiss wie noch aus einander (wozu ich nur ein Bähmachen konnte) und sagte: wenn Dumpf einem Kinde in diesem zarten Alter eine Ader zu öffnen im Stande ist, so soll er gesicht
—
Er Hess sich dann von meiner Frau dem Buben den linken Rockärmel ausziehen, hiess uns den Hemdärmel in die Höhe streifen, schlang das Band um den. Oberarm und schnürte diesen tüchtig zusammen, und weder mit noch ohne Brille war es uns allen Dreien mög«Wo soll lich, auch nur eine Spur von einer Ader zu entdecken. mir magnus Apollo sein
ein
breites
!
Band geben,
Hess
—
ich
nun
die Lanzette eindrücken ?»
wusste darauf nichts das Aermchen Gesicht, als
in
den Aermel hinein,
ob er sagen wollte:
Dass mir übrigens ist,
wäre
begreifst
Du
fragte er und
zu antworten.
bei alledem leicht,
ein Christ, so
würde
was
schwül
— ich wenigstens
ihm husch und der Junge machte ein schob
Pauline
das
für Streiche
und unheimlich
mein geliebter Bruder. ich blindlings,
!
wie
Ich
sind!
zu
—
Muthe
wollte,
ich
ein frischgeborenes
Digitized by
Google
155
Eines Dichters Kitid.
—
Hündlein vertrauend, aller Sorge um die Zukunft Eins pfeifen aber so es ist ein Gefühl, um das mich kein Satan beneidet \> Allein der Freund blieb fest auf seiner Forderung bestehen.
—
Am
12.
Der Vater, in dieser Weise hart bedrängt, schüttet sein schwerbeladenes Herz abermals in einem Briefe an Bergmann iu folgenden Zeilen vom 25. Mai 1818 aus «Von Dumpf habe ich einen Brief, der mich in Rücksicht meines Freimund fast toll gemacht hat. Glaube mir, alter Bruder, dass ich vor dem Beelzebub in der schrecklichen Pracht seines
ebenso
;
!
:
Flammenthroues, seiner sechs Drachenflügel, seiner glühenden Tiara
und
der leben verdorrenden Gluth winde
—
die aus seinen Nüstern sausen dieser seiner Halbtochter
!
Smum, Samiel und
Sirocco,
keine solche Scheu habe als vor
Vor jenem
kann
ein passabler Christ
sich schützen durch ein tüchtiges Kreuz an Brust und Stirn
aber
im Halb- und
selbst,
durch Traum
Helldunkel
und Ahnung
nichtet heimlich nur
um
;
diese
Unwesen unter der Aegide des Heiligen
treibt ihr gespenstisch
;
sich
der
Psyche
unausforschbaren
selber
unbewusst
so unwiderstehlicher Heil und
(?)
uud
ver-
Leben anderer
—
Menschen. Und dahin soll ich auch mein Kindlein mitbringen, dessen Dasein auch von den Zauberkünsten dieser Hexe bedingt ach, Bruder, lass mich das nicht ausdenken Es ist, scheint
—
uro au Gott zu verzweifeln
!
!
Und diesmal widersprach ihm der Freund nicht. Die Correspondenz mit Dumpf indess weist in dieser AngeDer nächste ist vom legenheit noch eine Reihe von Briefen auf. 9.
Mai
1818:
ich dem wackeren Zustimmung gegeben, dass meinem kleinen Bursch zwei Blutigel au die subclavia des linken Armes c
Doctor
Endlich und endlich (und das verdanke Holst) hat Moier seine
gesetzt werden. Iudication sei keineswegs da, behauptet er; zu meiner Beruhigung aber möge es geschehen und (da Holst schon fort ist) Sahmen wird in diesen Tagen die Operation verrichten. Pauline
Digitized by
Google
Eines Dichters Kind.
156
au allen Gliedern, wenn
zittert
daran denkt, und ich
sie
Der Junge wird blöken
dabei sein.
wie ein
mag
nicht
wenn
Stierlein,
die
Windungen um seinen Arm und an seiner Brust schwänzeln werden Wär's nur schon vorüber! Die folgenden Male wird's dann leichter gehn. Ob ich in diesem Sommer in Eure Gegend komme, steht noch dahin. Und dann kann ich Dir nicht Ich habe heidnisch zu arbeiten. beiden schwarzen Schlangen in bestialischen
—
!
—
bergen, dass
auch
ich
der
zur Last
sei,
Schweden, Holländer,
und haben
recht.
festen
Ueberzeugung
dass ich,
nennen
auch die Schweizer)
Ich fühle,
wo
ich
dumm
taub
meine ursprüngliche Dummheit
dass
uud Däsigkeit unsäglich zugenommen bin.
bin,
Die nordischen Sprachen (die Engländer,
falle.
seitdem
hat,
harthörig
ich
Ich spreche schlechter, seit ich mich selber nicht mehr recht sage mattes
hören kann;
elendes
Zeug
her,
schäme mich dessen,
—
kurz, ich tauge nichts und bringe werde verlegen, befangen Euch nur lange Weile und fühle mich dadurch höchst unglücklich.
Gieb Dir keine Mühe, mir diese fixen Ideen auszureden zu fix, weil sie auf Wahrheit gegründet sind.»
Es
folgt einer
cAm
9.
Mai
am
1(>.
schrieb
Um
bluten müssen,
sie sind
Mai 1818: ich Dir,
dass Moier
gewilligt habe, wie Dr. Holst berichtete.
ansetzen.
;
in
Sahmen
die ßlutigelei
sollte die Bestieu
jedoch zu wissen, wie lange die Natternbisse nach-
damit die beabsichtigte Wirkung erreicht
werde,
Der aber wollte von jenen Prämissen nichts Dr. Holst habe ihm zwar gesagt, er möge zu meiner Be-
ging ich zu Moier. wissen.
ruhigung einwilligen, das habe er aber nicht gethan, weil es gegen
Ueberzeugung sei. Da Pauline bald mit dem Kind gen so mögest Du selber urtheilen, ob Indikation zum Blutabzapfen da sei. Beharrtest Du auf Deiner Meinung auch nach der Autopsie, so mögest Du ihm Blutigel ansetzen quantum Schaden werde es dem Kinde nicht; er könne aber den velles. Dabei bleibt es nun, mein Bruder. SoNutzen nicht einsehen. bald Berg antwortet, werde ich ihn um Entgegensenden der Pferde Dann nimm bitten je eher je lieber, so etwa in der Plingstwoche. Dass meinen Knaben in Deine Obhut und thu, was Dir gut dünkt. seine
Hallist ziehe,
—
;
hier
vorwalten
nicht obstinatio scntetUiae
wird,
dafür
bürgt
mir
Du
nun
Dein Herz.>
Und «Ja,
ein weiterer
am
mein Bruder,
31. es
Mai
freut
1818.
mich unsäglich,
endlich recht bald meinen kleinen lieben armen
dass
Jungen mit eigenen
Digitized by
Google
Eines Dichters Kiud.
157
Der Erfolg wird und muss heilsam sein, für dass M oi er einen Brief schreiben soll Da kennst Du ihn Bekannt oder unbekannt. Und wenn der hochselige Boerhave aus dem Grabe auferstünde und an ihn schriebe Äugen
seilen
für uns.
ihn,
wirst.
—
Doch, !
-
Diese Briefscheu
er antwortete nicht.
ist
bei
ihm charakteri-
Den 1. Brief schrieb er als Knabe an seinen Vater, vi eoaetus zum Geburtstage gratulirend, denn hinter ihm stand die den 2. schrieb er aus Pavia, abermals in Matter mit dem Scheit höchster Noth, denn mit dem letzten Dukaten sollte er auf die Post gesandt werden. Den 3. musste er als Antwort schreiben,
stisch.
;
—
ihm die Professur angetragen wurde
als
—
selber nicht auspressen.
Am
wenn kein Unheil dazwischen
13.
tritt,
;
den
4. soll
Juni also
ihm der Teufel meine Frau,
trifft
der 14.
in Hallist ein;
ist ein
Mir wirds an diesem Tage sehr wohl sein, mein geliebter Bruder, das Herz voll Dankgebet! Und bald folge dann auch ich ich wollte zwar nicht reisen und suchte aber der und fand auch Gründe genug zum Zuhausebleiben; Zug zu Euch hin ist unwiderstehlich!» Doch als der 14. uaht, ist dem zärtlichen Vater sehr wenig wohl, wie ein Schreiben vom selben Tage bekundet: «Heut Abend wird mein anner lieber Freimuud unter den mörderischen Bissen von Vampyren und Blutsaugern schreien und Wunderlich bluten, und mir blutet das Herz bei dem Gedanken. Freitag, der
auch Dich hinführt.
;
—
—
immer, dass der kleine Schäker selber darnach verlangt hat
ist's
Ahnung, ist's Instinct? Aber es wandelt alte Grauen und Grausen vor dem Gespenstischen an! Gott erhalte mir den Jungen!» Wenn die Briefe von jetzt ab immer trüber und grämlicher
Auch
ich
mich
dabei
frage:
ist's
wieder
das
klingen, so erklärt sich das
zum grossen
Theil aus den
vom
bejammems-
Juli 1819 Antwort auf den von Dumpf geäusserten Wunsch, seinen Sohn Gustav während seines dorpater Schulbesuchs beim Freunde
werthen
häuslichen Zuständen,
von denen die
8.
datirte
in
Pension zu geben, ein ergreifendes Bild entrollt:
«Meine Frau
ist
kränklich,
leider
nur zu
oft
krank.
Ich
habe im letzten Semester, während Bergs Karl mein Tischgeuosse war, oft mit
Sorge der
um
Bekümmernis gesehen, wie
den Tisch
sie angriff.
Regel ein Gericht,
nächsten Mittag wieder
dasselbe
die nur so gering scheinende
Sind wir
allein, so
haben wir in
kommt Abends und wohl auch
zum Vorschein bis und tres coda carambe t man liebe Gäste hat. Das Kochen ;
Das geht aber keineswegs, wenn
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Eines Dichters Kind.
158
.
und Braten muss dann methodisch getrieben werden mit gehöriger Beachtung möglicher Variationen. Es war also, wäre Dein Gustav mein Tischgenoss geworden, unerlässliche Bedingung noch eine Magd als Köchin anzunehmen. Solch ein Ding kann man aber wahrhaftig jetzt in Dorpat nicht unter 300 Rbl.
jährlich
halten.
In einer grösseren und wohleingerichteten Haushaltung (die meine
kann das aus vielen Gründen nie werden) macht der geringere Aufwand, den ein hinzugekommener Tischgenoss veranlasst, auch bedeutend weniger Unterschied in den täglichen Ausgaben.
Ich ge-
genügsam das gute Kind auch ist, mir doch eine diftercnz in der Haushaltung verursacht, die wir durch manche andere Entbehrung ausgleichen müssen, wenn nur das ungefähre Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben erhalten werden soll. Dazu kommt der fast tägliche Aerger einer unglücklichen Hausfrau über Fleischer uud Köchin. Ich habe in diesen vergangenen Monaten den Jammer angesehen und mit hinabwürgen müssen. Ferner: Wenn Pauline kränkelt, schläft sie, um eine schlechte Nacht einzuholen, länger als gewöhnlich. Ich muss mitunter um 9 Uhr auf die Bibliothek gehen, stehe Dir sub rosa, dass Auguste M., so
—
Das dürfte wenn Dein Gustav früh vor 8 zum Frühstück Das arme und Sie hätte sich Zwang angethan.
ohne mein Schlückchen Kaffee genossen zu haben. nicht
stattlinden,
gekommen wäre. doch
wahrhaftig!
brave
reizbaren Zustande gar
Weib
ist
bei
ihrem
zu wenig Herrin
kränklichen höchst
ihrer Lauue.
Dagegen
nun aber alle Vernunft so wenig, wie bei Tiecks gestiefeltem Kater gegen das Spinuen und ich möchte jenes, wie er dieses,
Die Antwort Dumpfs auf diesen Brief bildet einen so schönen dieses Hauptcapitels des Briefwechsels zwischen den
Abschluss
Freunden, dass
sie
Scharlach
zählung schliessen kann, recht sehr aus Herz,
mag.
hier wol eine Stelle finden
«Deines Freimunds
ihn noch drei
leicht.
ist,
wie
ich
Nur das
Wochen vor
Er
schreibt:
aus Deiner
Er-
lege ich Dir recht
jeder noch so leichten
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Eines Dichters Kiud.
Erkältung,
jedem Zuglüftchen
vor
ja
—
Nachkrankheit vermieden werde.
dem
Heros,
kleinen
bürgt
halten
Schauder
herrlich
für
innig
schon
früh
strichene Beiwort
ihm
ob
das zarte
möge Dir
und
Männlichkeit
von sein
gegeu F.s
sein Widerwille
oder
viel
festes Ver-
Sein
erfreute.
künftige
die
damit jede
bewahren,
zu
Hesse erzählte mir
dem Nussknacker, wie
vor
Liebkosungen (gleichviel enthüllt
mich
das
161
der coeur-damc gespendet)
und ä d
1
e
Das unter^Erwäge
Gemüth.
nicht pathetisch erscheinen.
Gemüth, das Schmeichelei verachtend ablehnt und von Sinnlichempört wird, so fiudest Du jenes Beiwort gewiss nicht zu hoch. Schon ist die Zeit der Gefahr vorüber (wie sie einst die Somuambule verküudete) und des Knaben schlanke Gestalt, sein wie ich vernehme entschiedener Mangel an Fett verkünden sein
ein
keit
—
—
—
Bleiben
bei
Dir.
dann solltest
Du
Wenn ihn
nächsten
seinen
er
Victor
gangenheit, die Dir so viel genommen,
Geburtstag
feiert,
zum Gedächtnis der
nennen,
Ver-
wie zu freudiger Hoffnung
der Zukunft, die Dir so viel zu halten verspricht.
Mein Bruder
Dieses Kind wird dein Leben verschönen, wird eine lange schwere
Vergangenheit ein
herrlich
vergelten!
zertrümmertes Gemüth wieder
—
Und
seine
geheilt werden,
Kann
Mutter! o
so wird das
Mutterherz genesen, das zweimal brechen sollte!»
So sehr nach und aus dem Herzen diese schöne Prophezeihung dem Vater und Gatten auch gewiss gesprochen war, so sollte sie doch für keinen von Beiden in Erfüllung gehen. Die nervöse Zerrüttung der unglücklichen Frau hatte sich allmählich, genährt durch den Einfluss falscher Freunde, zu einer Art religiöser Schwärmerei gesteigert,
die schliesslich
offenbare Wahnsinns-Paroxismen
in
aus-
Das Kind konnte nicht länger bei der Mutter bleiben, es nmsste aus dem Hause gegeben werden und fand beim Freunde Berg in Hallist herzliche Aufnahme. Wie entsetzlich der unglückliche Vater unter diesem neuen Elend litt, bezeugt manch herzzerreissender Aufschrei in den Briefen. So an Bergmann am 3. Aug. 1822:
artete.
«Paulinens Zustaud hat bessert, eher verschlimmert.
Ka3aKb
!
Aber
bei
Und am
13.
Gott
!
—
sich
bis
Ich
hilf
Himmel,
Grundeis
mir
noch
um
täglich
nichts ge-
zu
:
Tepuii
mir schwindet allmälig Kraft und Geduld
Aug. 1822.
«Mit der unglücklichen Pauline
0
jetzt
rufe
hilf!
ist's
fortdauernd schlimm.
!»
—
Mir armen Teufel geht Haupt und Herz mit
!
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Eiues Dichters Kind
162
Was
Jammer noch
ihn allein in diesem namenlosen
manche andere
spricht
hielt,
Briefstelle
aufrecht
So wenn
aus.
es
am
29. Oct. 1822 heisst:
dch werde
tragen, so lange ich kann,
Natur
die stärkste
—
endlich bricht auch
Noch aber habe
Muth
ich
Frei m und!»
den giebt mir
Und am
—
Trümmer.
in
2.
Nov. 1822
O
wenn mein Freimund nicht wäre, ich hätte mich längst ausgespannt und den Karren zertrümmert!» Schon drohte die Sehnsucht nach dem abgöttisch geliebten Kinde den armen Vater in der langen Trennung fast zu verzehren, als das Eintreten einer ruhigeren Periode in dem Zustande der Kranken ihm die Aussicht ermöglichte, den Knaben zu Weihnachten in Hallist besuchen zu dürfen. Er schreibt darüber am 16. Nov. 1822 :
beliebte. Dort sind die Behörden einfach alphabetisch geordnet, hier sind sie nach den Ressorts zusammengefasst innerhalb der ;
einzelnen
Ressorts
herrscht
die
systemloseste
Buntscheckigkeit.
Hier wenigstens wäre doch wol eine alphabetische Gliederung am Der Satz ist bei der Eiligkeit der Veröffentlichung
Platze gewesen.
vom Einfliessen des Stoffes abhängig gewesen, ein wenig mehr Ordnung wäre denn aber doch trotzdem möglich gewesen. Es macht sich jedenfalls, gelinde gesagt, sonderbar, wenn im
vermuthlich vielfach
c
Nachschlagebuch » im Ressort
des Ministeriums
des Inneren der
Personalbestand der Gensdarmerie dicht bei dem Comite
wärtige Censur Platz gefunden.
, der Einfluss der Cistercienser
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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt. unverkennbar hervor.
Im Ornament und
239
den Bogenlinien des
in
Ganges und der an denselben stossenden Gebäude macht sich eine
dem Uebergangsstil von Der Nachwird an dem Bauwerk weiter
grössere Zierlichkeit geltend, die zugleich der
romanischen zur gothischen Architektur entspricht.
folger des Bischofs Albert, Nicolaus,
gearbeitet haben
;
im Jahre 1264, unter der Regierung Albert Suerund ersten Erzbischofs von Riga, ist in
beers, des dritten Bischofs
einer
Urkunde von dem Kreuzgange wie von einem schon
vor-
handenen Bauwerk zuerst die Rede.
Wie durch Anbauten Laufe der Zeit
auch
das Aeussere des Domes,
das Innere
Jahrhunderte trat das Bedürfnis riss die Seiten wände ein
man
stehen,
so erlitt im
Im
starke Veränderungen. ein,
die Kirche
und verlegte
15.
zu vergrössern
wo
sie dahin,
;
sie jetzt
an das Ende der äusseren Strebepfeiler.
So wurden nördlich an den Seitenschiffen Kapellen gebildet, und die Seitennoch weiter von dem Mittelschiff gerückt. Das Mittel-
und südlich fenster schiff es
man
konnte nicht mehr genügend Licht empfangen,
erhöhte
daher weit über die Seitenschiffe und brachte die Rosetten über
den Seitendächern an.
Bischof Albert hätte seine Kirche kaum wiedererkannt, wäre etwa um die Zeit der Entdeckung Amerikas in sie eingetreten. Die Zeit war eine andere geworden, und mit ihr hatten sich die Anschauungen und die Einrichtungen der Kirche verändert. Die frühere Einfachheit in den Ceremonien und der Ausstattung der Kirchen war überwältigender Mannigfaltigkeit und strahlendem Prunk gewichen. In alter Zeit hatte e i n Altar zur Verehrung Gottes und der Heiligen, namentlich des Schutzheiligen einer Kirche genügt. Jetzt füllten sich die Wände und Kapellen der vorer
nehmeren Gotteshäuser mit Altären unser
Dom
der der
Mutter Gottes,
weiht worden war. in
und zwar der
Am Ende
fast
» Auf welche Worte der Herr Meister nach seinem Schwerte gegriffen und auf Herrn Hartwich Segefried Worüber Herr Hartwich auf die Seite gebracht eingedrungen. und dem Herrn Meister zugeredet worden. Indessen entstand ein Getümmel im Volke, die Kirchenthüren
auf
:
wurden gesperrt
und die Sturmglocken
Der Rath, der
gezogen.
vernommen, Volk um Gottes Willen einzuhalten und Friede geboten, wie denn auch kein Mensch von des Herrn Meisters Seiten beleidigt
hierdurch überrascht gewesen, habe, alsbald er solches das
worden.
Allein der
solches
Der Chronist längeren
geritten
;
voller
hernach
und den Rath deswegen besprechen
schildert
hat
Uner
geklagt, welcher seine Abgesandten
zum Schluss
Verhandlungen die
Landtag kommt,
den Seinen
mit
ist
Schlosse
dem Herrn Erzbischof
nach Riga geschickt,
nach
Herr Meister
und Zornes nach dem
muth
lassen.
dieses Abschnittes,
>
wie
ganze Angelegenheit vor den
der die Stadt schuldig findet
und
ihr auferlegt,
Altar zu Ehren der Mater dolorosa zu erbauen und für dessen Bedienung einen Vicarius anzustellen, der 12 Mr. jährlich aus der
einen
Die Stadt musste sich fügen, der Altar
Stadtkasse erhalten solle.
wurde errichtet, und zwar halle,
an der nördlichen
Die
Schuld
rigaschen
Rathes
oder
in
der Marienkapelle, der jetzigen Altar-
Wand
gleich
Unsehuld
lässt sich heute
am
nicht
ganzen Erzählung interessirt vor allein zwischen
Eingange.
Hermann Klempows, mehr das
feststellen.
resp.
An
des
der
gespannte Verhältnis
dem Orden der Mönchsritter und der Bürgerschaft.
Der
17*
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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
242
schlimme Betrug mit den 6 Last Salz bildete hier die kleine Ursache zu unverhältnismässig grossen Wirkungen. Die Erbitterung des greisen Ordensmeisters wird durch den Widerspruch des Rathes so gesteigert,
dass
er
oder Unschuld dass alsbald
nimmt an dem
lübecker ßürgersohnes
des
die
Sturmglocke
gezogen
Angriff auf des Meisters Person
Kaum
Hand
mit bewaffneter
Die Bürgerschaft
eindringt.
nur
auf seiuen Gegner
Streit
um
die Schuld
lebhaften Autheil,
so
und der Rath
wird
einen
Mühe abwehren
mit
kann.
dass die Weissmäntel das Schloss erreicht haben, rüstet sich
Der Tod Spanheims und
die Stadt zu offenem Krieg.
die mildere
Persönlichkeit seines Nachfolgers Cysse von Rutenberg ermöglichten
Mal noch
für dieses
eine Versöhnung.
Die Volksphantasie beschäftigte sich aber
dem Vorgang und
wusste,
wie
uoch
lebhaft mit
auch noch geschieht,
es heute
zu
den allgemeinen Motiven der streitenden Parteien allerhand person
Man
hinzuzufügen.
liehe
brachte
beim Wiedererzählen
der
Be-
gebenheit in den Trinkstuben und bei Gildenversammlungen romanEinzelheiten
tische
Zwistes.
an
und vergass darüber den
Nicht das prosaische Salz
Ursprung
den Anlass
sollte
des Ritters gegeben haben, sondern ein schönes Weib.
dem Tode Spanheims in die
verbreitete
sich
des
zum Zorn Bald uach
der ausgeschmückte Bericht
anderen Städte der Ostsee.
Nicht lange, und ein lübecker Chronist gab folgende Novelle
zum Besten «
Darna des mandages na mydvasten
de meister van Lyfflande,
eines
starff Syfridus
varliken dodes.
Spanheim,
Dat quam
also
Dar was ein junck copman bynnen der stad to Rige, genomet Marquard klempowe, eines borgers sone van Lubeke, woll beruchtet und lefftalich'. Desseme copmanne wolde de sulve meister ein wif tho:
me
geven, de van boseme ruchte was, und, also
sprack, sine mejer-
und he wolde erer nicht hebben. Also de vrowe, Odele genomet, horde, dat de knape se vorsmade und upwarp, dat toch se sche,
sick seer to hone und ginck vor den meister unde clagede ene vor
eren deeff».
Des
hechte 1 setten to der galgen
;
de meister ene to band anngripen und
leet
darna des richtedages
leet
vordomen, also einen vorwunnen«
openbarliken sine
unschult bewysede.
Do
in
de
he ene vorordelen und deeff,
woll dat he
arme man by de
de
galgen quam, dar he inne sterven scholde, do reep he luder stempne»
—
1
Liebreizend.
5
Mit lauter Stimme.
*
Dieb.
—
Gefiinpnis.
—
'
überfübrten.
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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
em ginck und weneden van medelicNach dem male ick
over alle dat volk, des vele mit
wente se
dinge,
nute
sine unschult wüsten
alle
byn
vorrichtet»
243
:
deme dode unschuldichliken van deme
to
erdeschen richtere, so lade ick vor dat gotlike, strenge, rechtverdige
den sulven
richte
my dar antworde gotlike
wäre
hadde,
do
ordell
dat
he
/
deme drutteynden 3 dage, unde höre dar dat Do he dat gesecht over myne und syne sele » !
he
leet
meister Siverde van Spanheim,
richter, in
Also
willichliken hengen.
sick
ladinge vor den meister quaraen,
eme
de gingen
de
rede
der
nicht to herten,
men he was vrolick mit siner leven vrouwen,
de den armen myndeme lyve bracht. Des drutteinden dages, also sad ann der tafelen und wolde eten, do word em ovele to mode
schen hadde van he
he vill
tohand
in
kranckheit und sprack to sinen vrunden
my! mynes
god vor
levendes
is
nicht mer!»
« Byddet darmede vorkerede he :
ogen und in grezeliker bere» gaff he den geist up.»
sine
Eine solche Scene, wie
sie der rigasche Chronist glaubwürdig und eine solche tendenziöse Ausschmückung der Thatsache im Munde des Volkes waren nur in Zeiten möglich, wo das
uberliefert,
den einzelnen Gruppen
Verhältnis zwischen total
anderes geworden war,
der Bevölkerung
ein
wie in der Zeit des Bischofs Albert
und Wilhelms von Modena.
Die Ordensritter waren fühlten sich als die berufenen
volk des
der
Städte.
Sie
und mächtig geworden,
reich
rekrutirten
sich
meist
aus
deutschen Adels und fassten ihren Beruf auf,
den Familien
wie die grosse
Mehrzahl der Prälaten jener Zeit den ihrigen auffasste: Linie als gute
Versorgung.
sie
Landesherren gegenüber dem Plebejer-
Wol
in erster
hat es an klugen und energischen
Leitern der Ordenspolitik auch in der letzten Zeit des Mittelalters nicht gefehlt, aber,
wie alle geistlichen Institutionen, die der Geist
Kreuzzüge ins Leben gerufen, verfiel auch der Deutsche Orden in Livland und Preussen beim Anbruch der neuen Zeit in Erstarrung und Schwäche. Es war eine jener Corporationen, die
der
sich
nicht
umändern
und
reformiren
Hessen.
Unabweislich war
auch hier das Bewusstsein eingedrungen, dass die Gelübde veraltet waren, dass
dass
die Statuten
man neue Regeln
sich
überlebt
hatten.
Es
half
wenig,
ausarbeitete, die neue Zeit ging über diese
conservativen Bestrebungen hinweg.
Allgemein brach sich in den Staaten Europas
1
Cterichtet.
—
1
Dreizehnten.
—
3
die
Tendenz
Gebertie.
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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
244
Bahn, aus den verwickelten Verhältnissen des ständischen Organis,
mus zu den Formen des
Einheitsstaats
sich hindurchzuarbeiten.
In Preussen
monarchischer Spitze
mit hat
Entwickelung
diese
in
der Säcularisation des Ordens und der Begründung des Herzogthums
Brandenburg
von
durch Albrecht
Livland kamen ähnliche,
zum
gewiss
Vollendung gefunden,
ihre
Ziel.
Neben der mönchischen Genossenschaft des Ordens hat und Synodalbeschlüsse ihr
verschärfte Strafen
erneuern
Davon
wollen.
des livländischen Klerus
Versammlung fand
fall
in
eine
unserem
J.
1428 Zeugnis; der Vor-
statt.
Tagen Es enthält neben der Wieder-
erhalten und verdient wol, in unseren
ist
Erinnerung gebracht zu werden.
holung der Normen
Dom vom
Leben Zusammenkunft
ei-schlafftes
interessante
also nur wenige Jahre später als
mit Sifrid voik Spanheim dort
Das Protokoll in
giebt
die
so auch hier in Livland durch
wie in aller Welt,
Priesterschaft,
die
in
Bestrebungen nicht
zeitgemässe,
des
gemeinen kanonischen Rechts eine Reihe
eigentümlicher Bestimmungen, welche durch die locale Lage hervorNamentlich erscheinen die Paragraphen beachtens-
gerufen waren. werth, welche
widmet
sind.
dem Verkehr mit der Der § 3 z. B. lautet
örtlichen
Da
:
Landbevölkerung
ge-
Nichts der Kirche Gottes
mehr schaden kann, als dass unwürdige Pastoren in dem Seelsorgeramt angestellt werden, und da in dieser neuesten Zeit (früher also nicht) nicht nur unwissende, sondern auch, was abscheulicher ist,
stumme Hirten,
die das Idiom ihrer Schafe nicht verständlich
zu reden wissen, zu ihres eigenen Heiles und vieler Seelen Unter-
gaug
zu seelsorgerischen Aemtern
schieht,
dass
dem
christlichen
Gotteswortes entzogen wird) Personen,
die die
werden
.
zugelassen
Volke .
.
die
sind (woher es ge-
nothwendige Speise des
bestimmen wir, dass nur solchen
Sprache der Eingepfarrten kennen,
Pfarren ge-
und dass diejenigen schon angestellten Pfarrer, welche nicht der Landessprache mächtig sind, Capläne halten, die
geben
;
sie in
der Predigt vertreten können.
Amte
removirt werden.
Zuwiderhandelnde sollen vom
Der § 27 schreitet gegen den Perkonscult und die Anbetung von Schlangen und Bäumen ein. Andere Artikel nehmen
sich der
Bauern an; gewähren ihnen
Schutz im Handel, verbieten die Heranziehung derselben zur Arbeit
an Sonn- und Feiertagen, bewahren probe, auch
wenn
sie selbst sich
sie
vor der Wasser- und Feuer-
dazu erbieten.
Digitized b)
le
Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
Wie
in diesen,
so spricht
sich
auch
245
den anderen Theilen
in
der Beschlüsse sowol das Bekenntnis aus, dass es viele Misbräuche gebe, als auch der ernste Wille, dieselben
kannt, ist das auf diesem
Wege
abzuschaffen.
nicht gelungen.
Wie
be-
Die Kirche konnte
nicht durch einzelne Massregeln gebessert werden, es mussten neue Grundlagen ihrer Existenz, ihres Lebens geschaffen werden. Als Luther diese Aufgabe erfüllte, war Riga unter den allerersten
Werk
Städten des Reiches, die für sein
und es annahmen.
Freilich im
Dom
ernstes Verständnis zeigten
wurde der
alte Gottesdienst
noch längere Zeit beibehalten, es blieben die Altäre, die Heiligenbilder, die Reliquienschreine.
Sie
wurden verschont von den Bilder-
stürmern, wie die vielen alten Gräber, unter denen die der Bischöfe
und Erzbischöfe durch kunstvollen Schmuck hervorragten.
Eine kurze Zeit schien
Domplatz
seine vorher angedeutete
der
(Zivilisation die
nur so. die,
Richtung
zu geben,
es,
auf den Grabsteinen
als sollte der
Dom
und
Bestimmung, der baltischen
verleugnen.
Doch
es schien
In Wirklichkeit vollzog sich auch hier die Umwandlung,
gleich wie an anderen Orten, eine geistig gehobene, den Inter-
essen der Literatur und
Kunst zugewandte Periode
einleitete.
Joseph Girgensohn.
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Google
T
dem Tagebuche
Ein Blatt aus
eines Kurländers.
nachstehenden kurzen Aufzeichnungen sind einem grösse-
ie
ren Tagebuche entnommen, welches den als Schriftsteller
bekannten
Freiherrn
—
Otto
Am
Joh.
Heinr.
December
von Mirbach zum
1776 geboren, empfing Mirbach eine sorgfältige Erziehung und begab sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zur Vollendung seiner Studien auf verVerfasser hat.
schiedene
deutsche
20.
Hochschulen,
d. J.
zunächst
nach
Schilderung seiner Studentenzeit
Jena
für weitere Kreise unserer Landsleute vielleicht nicht
esse sein dürfte, so
wurde
Da
Jena.
in
die
auch
ohne Inter-
die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses
kurzen Abschnittes von den jetzigen Besitzern des Tagebuches in dankenswertester Weise gewährt, eine weitere Publication des-
Der Ver-
selben aber aus mehrfachen Gründen vorläufig verbeten. fasser,
ein
Mann von
hervorragender Begabung,
tiefer
Bildung,
lauterem Charakter, von wärmster Liebe zur Heimat beseelt, diente
dem Lande Jahre hindurch
in
stunden den Wissenschaften
verschiedenen Stellungen, seine Musse-
widmend, und starb
am
6.
Mai 1855
hochbetagt als Kreismarschall, Staatsrath, Kammerherr und Ehrencurator des
Gymnasium
illustre
Ein bleibendes Denkmal die von
zu Mitau.
er sich selbst gestiftet durch ihm hinterlassenen werthvollen Werke, durch seine Römi-
hat
schen Briefe (2 Theile, Mitau, Lucas, 1835; neue Folge, 2 Theile, 1841) und besonders durch seine vorzüglichen, noch heute viel gelesenen
Briefe aus und nach *
Kurland
(2 Th., Mitau, 1844).
*
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Ein Blatt ans dem Tagebuche eines Kurländers.
247
Von meiner Reise über Memel und
die kurische Nehrung mehr zu sagen, als dass das jämmerliche Land und die traurige Gegend nicht gemacht waren, um meine freundliche Heimat aus meinem Gedächtnisse zu verwischen. In Königsberg nahm ich die ordinäre Post, die damals neun Tage und eben so viel Nächte ununterbrochen und in einem Zuge bis Berlin fuhr oder vielmehr sich schleppte. Oft sah ich den Schwager zu Fuss ganze Stunden lang und zwar recht langsam neben dem Fuhrwagen einhergehen und mehr als ein ganz gewöhnlicher, mit schwarz eingetheerter Leinwand überzogener und mit hölzernen Bänken versehener Fahr- oder Frachtwagen war die vielleicht ex contrario so
weiss ich wenig
Die Zeit drängte mich, ich beschleunigte
genannte Diligence nicht. daher meine Reise,
eilte
nach einem ganz kurzen Aufenthalt durch
Berlin, das ich später besser kennen
kam noch
zu lernen mir vornahm, und
Da war
ich
Tage vor dem Anfange des Semesters denn nun in dem berühmten, zum Theil
auch berüchtigten Jena,
wo
ich
in
Jena
glücklich
—
an.
einige
mich nun ausbilden und recht
fleissig
studiren wollte, hoffentlich mich auch schlagen und ausserhalb der
Collegien
ein
und werden
braver Bursche
wollte.
die sich sogleich des
—
und
echter Jenenser
werden
sollte
Ich fand mehrere Landsleute in Jena vor,
Ankommenden annahmen, mich
einrichteten,
Art von kurischer Herberge, ein Quartier besorgten und mir allerlei Anweisungen in Rücksicht der zu hörenden Collegien ertheilten. Meine Empfehlungen an die Professoren Ilgen, Niethammer, Schütz hatte ich abgegeben, die von Dr. Rink an den Professor Ilgen muss dringend gewesen sein, da der Herr Professor mir sogleich seinen Tisch, versteht sich für gehörige Bezahlung, anbot, was ich auch mit Dank annahm. Das Leben in Jena war zu meiner Zeit ausserordentlich wohlMein Quartier z. B., zwei recht hübsche Zimmer, kosteten nur feil. 50 Thaler jährlich, mein Tisch, noch dazu im Hause eines Professors, 4 Thaler monatlich. Er war nun freilich nach dem Preise eingerichtet und von Herzen schlecht. In meinem Leben habe ich, mit Ausnahme in den entlegenen Hütten des schottischen Hochmir
in
der sogenannten
Schraney,
einer
—
landes,
Als
nicht schlechter gegessen als in Jena.
meinem Hause
6 Thaler
für mich
monatlich einrichtete,
Jena unerhörten Luxus. Kleider, was man zu nennen
pflegt,
trug
ich
später in
und ein paar Landsleute einen Tisch zu schrie
man über
so eigentlich Kleider
man
in der
Regel
in
nicht,
einen
bisher in
der Gesellschaft
sondern blos eine
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248
Eiu Blatt aus dein Tagebuche eines Kurländers.
leichte
Art von Mänteln, eine sogenannte Chenille, bisweilen mit aber immer ohne Beinkleider, da diese unter der
einer Weste,
weiten Chenille ohnehin nicht zu sehen waren. Die Kurländer machten von dieser Regel eine kleine Ausuahme, ich machte eine grosse, denn ich erschien stets im Frack und in den bei einem
Frack wenigstens unentbehrlichen Beinkleidern. Ich war für Jena mein Vormund hatte mir nämlich 200 Ducaten für das Jahr ausgesetzt, eine Summe, mit der ich anfänglich oft nicht was anreich,
zufangen wusste.
Das fand
sich aber in der Folge, wie
man denn
über dergleichen Uebelstände, zumal in der Jugend, leicht hinweg-
kommt. Jena war damals eine hochberühmte und starkbesuchte UniSie zählte unter den 5000 Einwohnern 1100 bis 1200 Studirende, oder Studenten, oder Burschen, wie mau sie mit einem versität.
Ausdruck nannte, und
technischen
Griesbach,
dem
unter
den
Professoren
seine Kritik des neuen Testaments
einen
einen
grossen
Namen gegeben hatte, und Paulus, der noch lebt und in Heiidelberg an der Spitze der rationalen Theologen Deutschlands steht. Professoren
Haupt als
waren ferner: die beiden Hufeland, Fichte,
das damalige
einer nagelneuen Philosophie, Schmidt als Psychologe, Schütz
gelehrter
Schiller,
Grieche,
Ilgen
als
Lateiner
bekannt
und endlich
der aber nicht mehr Vorlesungen über Aesthetik hielt
uud nur seinen Namen zur Verherrlichung des Lectionskatalogs Ausserdem lebten in Jena als Privatleute und wahrscheinlich durch Goethes und Schillers Ruf hingezogen die beiden Schlegel und die beiden Humboldt, die man ohne weiteren Zusatz nur zu nennen braucht. Selbst Goethe sah man öfter in Jena als in dem nahen Weimar, diesem damals durch Goethe, Wieland, Herder berühmten Saal-Athen; so nannte man Weimar unter dem Herzoge Ernst August und seiner Mutter Anna Amalia, hergab.
die als
dienste
um
sich
Vormünderin ihres minderjährigen Sohnes sich grosse Verum das Land erworben, jene Koryphäen der Dichtkunst versammelt und den Grund zu dem weit verbreiteten Rufe
Weimars gelegt
hat.
In der Gesellschaft
war
ich sehr bald be-
kannt geworden, besonders durch die Bälle auf der Rose und durch die Einrichtung, die ich in Gemeinschaft mit einem Herrn H. .
für diese Bälle traf.
Es war
Sitte in Jena, dass stets zwei
.
.
.
junge
Leute aus dem Studentenheer zu Vorstehern gewählt wurden, die und, wenn es noth wendig, wie denn der Fall
auf Ordnung halten
öfter eingetreten war,
auch diese Ordnung mit
dem Degen
in der
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Gtx^
l
I
Eiu Blatt aas dem Tagebuche eines Kurländers.
249
Wahl traf mich und Herrn H immer noch Fuchs, wurde Ordnungs-, mein Freund Tanz-Director. Wir waren Beide in unserem Element, entsprachen auch vollkommen den von uns gehegten Hoffuungen und übertrafen Faust vertbeidigen mussten. Die
ich,
;
obgleich
—
Wir Hessen
sie sogar.
sogleich,
versteht sich auf unsere Kosten,
den
sonst sehr hübschen Saal statt der bisher üblichen Talglichte
hell
und herrlich mit Wachskerzen erleuchten,
und
die
Pauken und Trompeten aus Weimar Professoren nebst Familien
zwar
wesen war und die Veranlassung wurde, ball mit hiess,
zusammt ihren
der Eröffnung der
Herren
persönlich, die
was bisher auch
ein,
den alten Perrücken erschienen
Zu
holen.
diesjährigen Balle luden wir Beide, und
bohnen
die Dielen
ausgezeichnet schöne Musik
herzogliche
dass
nicht üblich ge-
wirklich
viele
von
Als wir das erste Mal den Rosen-
.
einem Dreher, wie damals der äusserst langsame Walzer
eröffneten,
war
ungewöhnlich zahlreiche Versammlung
die
erstaunt und bis in den dritten Himmel,
der
in
Jena eben nicht
Ich erhielt mehr als einen recht
sehr hoch hing, entzückt.
warmen
Händedruck, namentlich von meiner hübschen Wirthin und bekam mehr als einmal den lieben und liebsten Herrn Baron auf gut
Für
Sächsisch zu hören.
Jena.
Nur
die Gesellschaft geschah sonst
die Hofräthin Schütz
wöchentlich ein Mal,
wenig
in
versammelte während des Winters
einen Cirkel in ihrem Hause,
der einzig in
Jena und einzig in seiner Art war. Damen, die Wirthin des Hauses ausgenommen, sah man gar nicht, dafür aber die berühmtesten Köpfe Deutschlands, wie sie sich nur sehr selten, vielleicht nie mehr beisammen finden. Man sah hier Goethe und Schiller, die beiden Humboldt,
Wieland
die beiden Schlegel, Fichte, Paulus, oft auch und Herder, die aus dem nahen Weimar herüberkamen.
Goethe war mehr
Jena
in
als in
Weimar, um, wie es wenigstens Herausgabe der «Hören» zu
hiess, gemeinschaftlich mit Schiller die
besorgen, wie
den Hof zu
man aber
allgemein glaubte,
Mir war woi noch höher stellende Goethe machen.
Die übrigen, damals
freilich
die beiden Schlegel und
dieser
der hübschen Paulus sich
selbst
einem hohen Grade zuwider.
in
noch nicht so
die beiden
um
hochgestellte,
hell leuchtenden Gestirne,
Humboldt,
selbst Paulus
und
Fichte, Hessen sich denn doch bisweilen zu uns herab und würdigten
uns dann und wann eines Wörtchens, Ich weiss nicht,
ob der stolze
einen gnädigen Blick
ohnehin
nur wenige,
Mann
der
stolze
jemals
Goethe niemals.
mehr
als
an einen Studenten verloren hat, ein
höchstens
von denen
paar Reichsgrafen von Loevenstein, ein
Digitized by
Google
250
Ein Blatt aus dem Tagebuche eines Kurländers.
und den nachmals als Philosophen bekannten Herbart ausgenommen, Zutritt zu diesem Oirkel hatten. Ich ge-
paar Reichsbarone
hörte zu den Auserwählten, zufällig oder
vielleicht weil
weilen auf den Bällen mich zu einem Dreher mit der reits alternden
Da
Hofräthin Schütz herbeiliess.
schien ich ihn gar nicht zu beachten,
seinen
Lieblingsdreher
nämlich Tanzdirector
Chacun ä son
mit Mad. Paulus und,
sogar
in der
oft
unterbrechen.
wie schon gesagt,
be-
Würde sogar
Auf den Bällen Hess
bis-
war, wie Goethe
auf dem seinigen, ich auf meinem Platz, den ich mit
gegen Goethe zu behaupten wusste.
ich
dicken,
Rose
absichtlich
Ich
war
auf meinem Platz.
tour.
Carl Boy.
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Googl
Notizen. Zwei Erzählungen von Graf Leo Tolstoi. Lnzern. Familienglück. Aus dem Russischen von Wilhelm Lange. Leipzig. Philipp Reclam jnn. des berühmten russischen Romanwarme, eindringliche Plaidoyers für die Einfachheit des vollkommenen Naturzustandes gegen die vermeintlichen Segnungen der Cultur, welche sich durch ihre Entweihung der heiligsten Empfindungen des Menschen als eine Ausgeburt der Hölle zu erkennen gebe. Der Gedanke, dass der Mensch besser daran thäte, die Bildung von sich abzustreifen und eine Rückwartsconcentrirung nach dem Ausgangspunkte seiner Entwickelung zu vollziehen, kann natürlich keinen Anspruch auf Neuheit erheben. Doch hat er wol noch nirgends eine so ursprüngliche, unmittelbare, kindliche und unschuldige Begründung erfahren, wie ie
meisten Erzählungen sind
schriftstellers
bei
Leo Nikolajewitsch Tolstoi.
eben er
ist
rein,
wahr, lauter, keusch,
ohne jedes
Sein Weltschmerz
nicht reflectirt, sondern tief und innig empfunden
sich ihm nicht auf raffinirten
unumwunden
auf;
er
stücken, sondern aus
vollen
sich auch in der Erzählung
Einfachheit aber
um
so
;
er drängt
Umwegen, sondern geradeswegs und von dialektischen KunstLeben geschöpft. So gründet er
keine Frucht
ist
dem
ist
selbstische Beiwerk;
auf die einfache, in ihrer
erschütterndere Thatsache
:
Am
7.
J
u
1 i
1857 sang in Luzern vor dem Hotel «Schweizerhof»,in welchem mehr als hundertreicheMen sehen, zumeist Engländer, wohnten, ein fahrender armer
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252
Notizen.
Sänger eine halbe Stande lang seine Lieder und begleitete sie auf seinerGuitarre. Ueber hundert elegante Personen lauschten ihm. Der Sänger bat sie dreimal um eine Gabe. Nicht einer von ihnen reichte ihm ein Scherflein und viele lachten ihn aus. Diese haarsträubende Rohheit gilt unserem welches die Geschichtschreiber mit un-
Erzähler als ein Ereignis,
auslöschlicher Flammenschrift in ihre Jahrbücher eintragen sollten.
Es
ist
welche
ihm von grösserer, ernsterer Bedeutung, als die Vorfälle, die Zeitungen und die Geschichte berichten. Er knüpft
an dasselbe die Folgerung, von Menschen
welche
ist,
dass
Menge nur
die
lediglicli
die
eine
Vereinigung
abscheulichen Bedürfnisse
Lebens zusammenführen, eine Vereinigung, welche nur die Schwäche und Grausamkeit der menschlichen Natur zum Ausdrucke bringt: t Warum ist ein solches unmenschliches Factum, das in einem grossen deutschen, französischen oder italienischen Dorfe unmöglich wäre, hier möglich, wo die Civilisation, die Freiheit und
des
Gleichheit auf die höchste Spitze getrieben sind, sten sich
wo
die civilisirte-
Menschen der civil isirtesten Nationen auf ihren Wanderungen zusammengefunden haben ? Warum haben diese gebildeten
humanen Menschen,
die sich für jede
allgemeine
humane That
zu begeistern vermögen, kein menschliches, wahres Gefühl für eine gute persönliche That ? Warum haben diese Menschen, welche in ihren
Palästen,
wärmen
für die
Chinesen
oder
in
Cultur
finden diese
Menschen
unter
den
des Christenthums
afrikanischen Völkern,
in ihrer Seele nicht
er-
wohnenden
fern stehenden in Indien
die Verbreitung
für
europäischen
und Gesellschaften sich
ihren Meetings
Lage der ihnen
oder
—
der
warum
jene einfache, ursprüng-
Mensch gegen den Menschen im unverdorbenen Naturzustande fühlt? Giebt es denn eine solche Empfindung nicht mehr, und haben deren Stelle die Prahlerei, der Ehrgeiz und der Eigennutz eingenommen ? Und kennen diese Menschen liche
Empfindung,
in ihren Palästen,
die der
Meetings und Gesellschaften keine anderen Trieb-
Hat denn die Kräftigung des Ehrgefühls, die Verbreitung der Bildung, die Uebung der Verstandeskräfte, der Ausbau gesellschaftlicher und staatlicher Zustände, kurz das, was wir Civilifedern ?
sation nennen, das Bedürfnis, unsere innersten Herzensregungen zu befriedigen, in uns erstickt?
.
.
.
Gleichheit
ob sich das ganze Leben der Menschen
bewegte
I
Nur
vordem Gesetz? Als
Sphäre des Gesetzes Lebens untersteht dem
in der
ein tausendstel Theil unseres
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263
Notizen.
Gesetz, der übrige Theil bewegt sich ausserhalb desselben,
und Anschauungen
Sphäre der Sitten liegt
einige Menschen
armen Teufels durch
heit
nicht die
um
hundert
der
Es
selbstsüchtiger,
Mensch-
Es widerspricht
verantwortlich gemacht werden kann.
Logik,
in
&c>
dass für die elende Behandlung eines
der Hand,
jedoch auf
der Gesellschaft
Bürger des
fühlloser
aller
sprich-
wörtlich stolzen meerumgürteten Albion willen alle Welt zu verdammen. Am allerwenigsten hätten wir eine solche Parodoxie aus dem Munde Tolstois erwartet, in dessen Drama «Die Macht der Finsternis! wir in Blut waten, obwol die in ihm auftretenden und handelnden Personen von des Gedankens Blässe nicht im mindesten angekränkelt sind. Jenes für das Volk und in der
meisterhaft
stück .
Sprache
getroffenen
des
Volkes
botschaft:
•
Selig
Armen im
sind die
geschriebene
Volks-
Widerlegung der Heils-
eine unwiderstehliche, zwingende
ist
Geiste».
unnachahmlich gezeichnete Knecht Mitritsch
in
Urtheilt doch der
dem
während
sich
Ermordung von Akulinas Kind abspinnenden Zwiegespräche mit einem Madchen über die Landbevölkerung: < Niederträchtiges Volk, diese Weiber! Auch von den Männern ist nicht viel Gutes Wie die wilden Thiere Nichts zu sagen, aber die Weiber erst. der
.
ist
ihnen heilig
als
Schmutz
.
.
Was
.
ist
.
!
.
denn solch ein Bauernweib
Nichts
Millionen giebts Burer im Lande, und alle seid
ists.
Die Kühe einräuchern
wie die Maulwürfe und unwissend.
ihr blind
?
damit sie nicht crepiren, und kleine Kinder unter die Hühnersteige tragen und andere Hexereien dieser Art
kennen.
.
.
.
und Alles wie sie.
Nichts hat
die
was
vom
es
ist Alles,
was
sie
Der Bauer kann wenigHerrn im Und das Weib was? Nicht nur,
lernen, oder gelegentlich beim
Schloss oder bei den Soldaten.
Hunde
das
zählt
sie gesehen, nichts gehört.
stens in der Schenke
dass
—
man Euch, Weiber wie Mädchen, wilden Thiere. Wie sie aufwächst, so stirbt
Nach Millionen
lieben Gott nichts weiss
—
.
.
blind wie die jungen
.
immer mit den Köpfen in den Mist Wer 'rein. Freilich kann mans von Euch nicht verlangen. bringt Euch denn etwas bei ? Höchstens mal ein betrunkener Bauer .
kriechen sie .
.
mit der Pferdeleine. bis
herum,
zum Aeussersten
.
.
—
.
Eine Viehheerde ohne Hirten, und frech
weiter sind sie nichts
;
die
dümmste, über-
Traum von dem unverdorbenen Sohne der Natur ein Ritt in das märchenhafte Reich der phantastischen Romantik und das gerade Widerspiel der
flüssigste Gesellschaft.»
Wirklichkeit.
In der That
ist
Die Naturvölker haben, da
der poetische
in
der Entwickelung des
254
Notizen.
Invididuums sich die Eutwickelung der Art spiegelt, mit dem Kinde den vollständigen Mangel an Selbstbeherrschung uud die rückhalt-
Hingabe
lose
an
James Cook,
die
jeweilige
welcher
Stimmung
deckungsreisen im Stillen ücean
Stunde zur Schau tragen.
den Be-
wechselnde Farbe der
der geringsten Veranlassung ver-
Bei
und ergaben sich ohne Vermittelung wieder
Andere Beobachter haben seither
der ausgelassensten Lustigkeit.
Dumont d'Urville
ähnliche Erfahrungen gemacht.
von einem
sie die
seine Ent-
von
meldete
ausführte,
völkerungen der dortigen Inseln, dass gossen sie Thränen
Lieutenant
gemein.
den Jahren 1768—1771
in
wie
welcher
Neu-Seeländer,
mit Mehl
Kind
ein
berichtet
weil
weinte,
Indem die Naturvölker von dem Augenblicke beherrscht werden, ganz und gar im Banne der plötzlichen Eingebung stehen, ist ihnen das Pflichtgefühl, das Gewissen völlig fremd, und darin liegt der Schlüssel zu ihrer Wildheit und Treulosigkeit. die Matrosen
sein Kleid
Freilich
giebt
es
bestaubt
noch
heute
Wer
Schlechtigkeit.
was
ist,
wer
die
aber sine ira
den an der Spitze des
unter
Fortschritts marschirenden Völkern
gar
hatten.
Ungerechtigkeit und
viel
et studio prüft,
Extreme der Menschheit
in
war und
was
ihrem seelischen und
das Leben der unsterblichen
körperlichen Zustande vergleicht und
Fackeitrager verfolgt, an denen es keinem grossen Volke und keiner
Epoche gefehlt hat, den ergreift Dankbarkeit und Bewunderung. Er vernimmt den Triumphgesang des Erfolges, welcher aus der Tiefe der Jahrtausende heraufrauscht die
Gemeinsamkeit
Menschheit
erfüllt
unseres sein
Blüthe; in der Sonne allein
Herz.
reift die
selbst ein ehrenwerthes
dieser grossen
In
er empfindet die
und
der Sonne
Frucht;
spriesst Lebensfreudigkeit
Wunsch,
;
Geschlechts,
zur
sich
die
entfaltet
in diesen
sonnigen Gefühlen
und Arbeitslust und
und zugleich
arbeitenden Gemeinsamkeit
zeugender, sieghafter Weise streitet und ringt
zu
Würde und
erhöhte Liebe
der
ernste
ein nützliches
Glied
In
über-
werden.
Wilhelm jordan
für seine edlen, sinnigen Verse:
«War nur
ein holder
Traum das
Paradies,
Traum, der Höchstes wünschen Hess. Wir sind erwacht des Traumes Bild erblicken Wir immer noch, nur vor uns statt im Rücken Ein Eden, langsam wachsend aus der Saat Der Wissenschaft, der Arbeit und der That.» Den gleichen Zweck wie fLuzern» verfolgt die zweite ErSo wars
ein
—
:
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255
Notizen.
«Familienglück>.
zählang
Frau, welche
still,
Sie
Zurückgezogenheit und Verborgenheit Gatten lebte,
enthält
den
Roman
einer
zufrieden und glücklich in ländlicher, idyllischer
dem Dorfe mit ihrem
auf
Glück im Strudel der grossstädtischen Verwelchen sie der heisse Drang, den in ihr schlummern-
dieses
gnügungen, in
den Ueberschuss von Kraft
zu bethätigen,
ihr Gefühl
nicht
vom
Leben leiten zu lassen, sondern vielmehr das Leben durch ihr Gefühl
zu leiten, hereingerissen, verscherzte und zu
nüsse des
Lebens selbst
erst
dann gelangte,
Lebens durchgekostet hatte.
des
dem wahren Ge-
als sie die
ganze Thorheit
Dieser Erzählung liegt eine Ver-
wechselung des Spruches: ein uns, nicht ausser uns liegt das Glück mit in
dem Grundsatze, wonach der Mensch nur auf dem Lande, nicht
der Stadt sich zur Erfüllung seines Berufes emporringen kann,
zu Grunde.
Es wird schlechterdings von der Oberfläche auf
Tiefe geschlossen; der sation
die
Schein wird mit dem Sein, die Talmi-Civili-
mit der echten, unverfälschten Civilisation für eins erklärt.
die
Noch hätten wir an dieser Erzählung auszusetzen, dass sie Verlobung von Mascha und ihrem Vormunde Sergei Michailitsch
-
dies die
Helden des Romans
kommen
—
auf eine ganz
eigenthümliche
Mascha wird, nachdem sich beider Herzen in einer herrlichen Sommernacht gefunden haben, ohne sich indess zu entdecken, von einem uns ganz seltsam anmuthenden Weise zu Stande
mystischen Geiste erfüllt, mit
lässt.
welcher
sie
zu Schritten
treibt, die sich
unserem Begriffe von dem Ewig- Weiblichen durchaus nicht
Einklang bringen lassen.
Sie fasst den Entschluss,
bis
in
zu ihrem
dem sie beichten will, zu fasten und an demselben um jeden Preis Sergeis Braut zu werden. Sie versetzt sich durch Geburtstage, an
ihr
frommes, gottestürchtiges, demüthiges Thun in einen jener glück-
seligen
Träume, wo man gewissermassen einen hellen Blick
in die
Vergangenheit und Zukunft zu werfen vermag, ja sogar zu wissen glaubt,
w
i
e etwas geschehen wird.
stande bekennt sie
dem
In diesem hellseherischen Zu-
sie anlässlich ihres
Geburtsfestes beglück,
wünschenden Geliebten, den sein biederer Charakter und sein feiner Tact von einer offenen
Annäherung an das
kindliche, weltfremde
Mündel abhält, ihre stürmische Liebe, die nur in der ewigen Vereinigung mit ihm ihre Befriedigung finden werde.
Dr.
Haltiich« Nonatn«rhrift.
IM. XXXVI. 11*1»
3,
Beruhard Münz.
18
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4
256
Notizen.
Die ImmobilienHteuer
in
Riga und
Sodoffsky,
die
oand.
Gcbäudesteuer
Gustav
Oenterreich von
in
Riga
merc.
rer.
1888.
Verlag
von Ale
xander Stieda.
Die kleine Schrift zieht eine Parallele zwischen den genannten Steuern,
welche,
ausgehend,
sichtspunkten
wenn wir
von
obgleich
mit
viel
beiden
sehr verschiedenen Ge-
Wir
gemein haben.
einander
im vorliegenden Falle mit einer Diplomandeuarbeit eines Jüngers Mercurs zu thun, die, weil diehaben
es,
nicht irren,
selbe sowol durch Fleiss sich auszeichnet, als auch der behandelte
allgemeineres
Stoff
empfohlen worden
Interesse
Der
ist.
beansprucht,
Zusammenstellung
schätzenswerthe
von
schichte der Immobiliensteuer in Riga
liegenden Jahre.
der Immobiliensteuer
in Oesterreich,
Er
Weise.
sehr generell abgefasst
Zahlenmaterial
für
zur
Ge-
die einzelnen zwischen ein
kriti-
Riga mit der (iebäude-
in
Verfasser
der
löst
in
recht
interessanter
dessen lmmobilienschätzungsinstructionen
Riga,
stellt
Veröffentlichung
Seine Hauptaufgabe,
1866 und 1837 scher Vergleich steuer
zur
erste Abschnitt der Schrift bringt eiue
die
seien,
Österreichischen Gebaudesteuer-
und die dem Ermessen der Beamten nur wenig Spielraum übrig lassen, als
vorschriften, welche durchaus casuistisch abgefasst sind freien
Vorbild hin. Allen denjenigen, welche für Steuerwesen Interesse haben,
das
Schi iftcheu
verhältnisse
—
,
über
das
die
österreichischen
wenigstens über die wesentlichsten
sei
Gebäudesteuer-
Momente
—
in
der That gut zu iuformiren vermag, bestens empfohlen.
Zu berichtigen: Auf
S.
121 Z. 4
v.
o.
ist
zu leaen
21 pOt. (vom Hauerland
in
Estland
verkauft) statt 2 pCt.
Auf
S.
H«>rans?;eWr
:
12b'
R.
berühmter» Entwurf
statt
Weis h
—
berührter.
Verantwortlicher Redacteur
Jlo3ROjeiio neusypo».
—
Pcbcjii,,
1-ro
Andruckt hni Mndfors' Erbf>n
H.
AnptJH 1889
Holländer.
i.
in Rnval.
Digitized
Cj^^lt'
Aus
Alt
Rigas Bürgerthum.
(1384-1579.) Eine ans den Erbebüchern geschöpfte Studie von cand. bist Ernst Seraphim.
Svh
Jahrhunderten zahlt fortwandttad der Geist der Geschichte
Sicher
gelangt
an?
er
Ziel
,
doch
.
Geschlechter
die
vergehn.»
ehr denn der
wendet
je
—
in
vom Fach
Historiker
Bemerkens werthes
sich
auch
sondern
unseren Tagen nicht nur
—
unser
wäre auch nichts gesammtes gebildetes
das
Publicum der Erforschung der vergangenen Zeiten unserer Heimat deren Geschichte eben erst
zu,
worden
dargestellt
in
Als
ist.
meisterhafter Weise vou Schiemann
dauerndes
ein
deutschen Fleisses und historischer Akribie frist
Werk
ist
Denkmal ein vor
anzusehen, das den Titel führt
baltisch-
etwa Jahres-
«Die ErbeHerausgegeben von der Gefür Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen
erschienenes
:
bncher der Stadt Riga 1384—1579. sellschaft
Russlands.
Riga, Kymmelsche 500 Seiten starken Band
Bearbeitet von J. G. L. Napiersky.
Buchhandlung 1888».
Wer
den
über
aufschlägt, findet ausser einer gediegenen rechtsgeschichtlichen Ein-
nur kurze erst lateinische, später niederdeutsche Augaben Kauf uud Verkauf, Tausch und Verpfändung, Erbschaft und Erbtheilung, kurzum über vermögensrechtliche Handlungen, wie sie
leitung
über
vor
fünf Jahrhunderten
pflegten,
wie heutzutage
unsere Bürger in
eben so
zu
beschäftigen
unserem materiellen Jahrhundert.
Die
vorgedruckten Zahlen lassen uns erkennen, dass die Bestimmungen sich
auf einen Zeitraum von
tUKw-b« MmtMekrift.
tid.
xvxvi.
fast lieft
4
zwei Jahrhunderten erstrecken, Iii
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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.
258
nämlich vom Ende des 14. Säculums
bis
fast
zwei Menschenalter
—
Wie viele schon dem Durchbruch der Lehre Luthers. mögen das Buch kopfschüttelnd bei Seite gelegt haben mit dem Bemerken, es sei wieder ein Beweis mehr für den unfruchtbaren nach
deutschen Fleiss, der alte Pergamente zu durchstöbern
liebe,
aus
denen für das wirkliche Leben, seine Bereicherung und Veränderung
trost
dem Moder
ziehe, was man gemögen wol mit Faust
und der an das Licht
nichts zu gewinnen sei,
überlassen könne.
Diese
fragen
«Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?» der scheinbar dürre, unfruchtbare Doch dem ist nicht so Boden, auf dem das Ackern unlohnende Arbeit scheint, zeitigt bei richtiger Behandlung doch Frucht, die dem Arbeiter nicht nur, sondern auch denen zu gute kommt, die über, grossen Haupt- und Staatsactionen Herz und Sinn für die Leiden und Freuden, die kleinen Sorgen und Mühen unserer Väter und Altvordern nicht :
haben
verloren
mehr
—
sein, als sie
diesen
Sinne als Wagner, können
geben
:
werden jene Namen
allen
zu sein scheinen und, wenn auch sie getrost
in
und Zahlen einem edleren
den Fragenden zur Antwort
.
t
Verzeiht! es
ist
ein gross Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen!»
Der Verfasser
will
es
nun
versuchen,
an der Hand jener
Edition die Freunde der ruhmvollen Vergangenheit der alten trutzi-
gen Hansastadt an der Düna
hineinzuführen in das Treiben und Leben derselben vom Ausgange des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 16. Eine reiche Fülle von Anregung bietet dem Keuner unserer
Heimatgeschichte die Menge der Namen, die
in bunter Reihe an uns Frage soll aus denselben hier der Lösung näher gebracht werden und zwar: Aus welchen Elementen setzte sich eigentlich die Bevölkerung Rigas 1384—1579 zusammen, welche
vorüberziehen.
Eine
Nationen haben ihre überschüssigen Kräfte unserem Boden zur culturellen Arbeit abgetreten
und
welche Geschicke
haben
ihrer
hier
gewartet ? I.
Bekannt
ist,
dass eine grosse Zahl
unserer indigenen Adels-
Ursprung nachweisbar aus Westfalen, ein anderer Theil aus den eigentlich rheinischen Gegenden ableitet, ja dass familien
ihren
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259
Aus Alt-Rigas Bürgerthum. Thatsache sogar
diese
in
einer
äusserst gegensätzlichen Stellung
Gruppen zu einander, insbesondere innerhalb des Ordens, ihren Ausdruck fand. Aber auch das streitbare Bürgerthum Rigas zog seiue besten Kräfte aus denselben Gegenden, und denselben Städten, die in der Geschichte der Entwicklung bürgerlicher Freiheit einen so trefflichen Klang haben, begegnen wir in den Namen von Rigas Bürgern. Nicht weniger denn fünfzig Ortsnamen West, faleus, neunundvierzig Hannovers lassen sich constatiren, denen die in Summa dürfte rheinischen Gegenden mit etwa dreissig folgen beider
;
Zahl der Familien, deren Ursprungsort nachweisbar
die
zwei-
ist,
Welchen Einfluss mussten solch neue Elemente in der zweiten Heimat erringen denn in ihnen allen, in diesen Rheinländern und Westfälingern und nicht minder in denjenigen, die in hartem Kampf auf slavischer Scholle, in Pommern, Preussen, Mecklenburg deutsches Bürgerthum zu Ehren gebracht, die Wälder gelichtet, die Aecker gerodet und die Strassen gebahnt, einhalbhundert übersteigen.
!
in
ihnen allen
ein
lebte
—
energischer Geist, der nach
urkräftiger,
In dem gesegneten Rheingau, von
neuer Bethätigung sich sehnte.
Worms nach Norden, wo heute zu beiden
des Stroms
Seiten
die
Essen der Fabrikstädte rauchend, menschliche Arbeit und menschlichen
Erfindungsgeist
Speier
und
Worms
bezeugen,
stand die
wuchs ein Geschlecht
hier
auf, das treu
und doch nach Entwickelung
Köln. Dortmund,
in Soest,
Wiege deutschen Bürgerthums, und
zäh
am
Alten
strebend, Anhänglichkeit
hier
haltend
an Kaiser
Widerwehr gegen landesfürstliche Prätensionen zu verbinden verstand. Lag doch namentlich in dem «heiligen» Köln seit den Tagen Konrad von Hochstadens (1248), der den Grundstein gelegt hat zu Deutschlands herrlichstem Dom, die Bürgerschaft mit dem geistlichen Oberherrn in steter Fehde, während sie bereit war für den Kaiser grosse Opfer zu bringen. AVer wüsste es nicht, dass das Bürgerthum seit den Tagen Heinrichs IV. eine Macht geworden, mit der zu rechnen war Wormser waren es gewesen, die zuerst für Heinrich eingetreten, Köln erhob, als sein tragisches Leben sich dem Ende zuneigte, für ihn die Fahne, Speier ist mit seinem Ausgange unlösbar verknüpft. In der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit war dann zum Schutz der Wege und und Reich wol mit der
;
des
Handels
gewaltige
nm
viele
gegen
die Uebergriife
der
Ritter
und Fürsten
der
Bund der Hanse entstanden, der sein einigendes Band Gemeinwesen von der holländischen See hinauf bis zur
Narowa schlang.
Nicht gering 4st
die Zahl
derjenigen,
die
aus
Hl*
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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.
260
diesen rheinischen Gebieten in die Ferne ziehend, in den «Lieflanden»
Heimat fanden uud an ihrem Theil dazu mithalfen, deutsche und Arbeit zu Ehren zu bringen. 1887 lässt urkundlich ein aus dem Aachenschen, aus Grefenberg, Einge-
eine neue
Bürgertüchtigkeit sich
wanderter nachweisen, 1388 erscheinen Duisburger, 1393 treten aus
Köln stammende Bürger vor es heisst
von denen
die Gerichte Rigas: Leute,
Colonia, Kolne finden
de Köllen,
:
sich mehrfach
noch
;
1526 heisst einer Heinrick van Köllen, zwischen 1355 und 1372 ein anderer Franz Kolner, ja noch ein Jahrhundert später ersehen wir
aus
einer
W.
von
rigaer Goldschmiede
Stieda kürzlich
veröffentlichten Liste
der
Das folgende Jahr-
einen Franz von Köln.
hundert lässt die Einwanderung aus den Rheinlanden grösser werden:
Dornik,
Kalkar,
Welling,
Boeckhold,
Scheven,
Kenten,
Trier,
Angermünd, Lennep, Kamphausen, Kleve u. a. m. begegnen uns in rigaschen Bürgernamen, denen das 16. Jahrhundert neue zugesellt wie Stoppenberg, Ringenberg, Strahlen, Bellinghausen
wo die kölner Erzbischöfe Hof hielten, wanderten in
in
aus Bonn,
;
dem kastanienbeschattenen
der zweiten Hälfte
des
16.
Schloss
Seculums
Berendt und Moritz von Bonnen nach Nordosten, während aus Goch der Heimat des gelehrten Vorläufers der Reformatoren Johann Pupper von Goch, Dirick und Jost von Goch entstammten ,
die Betheiligung
von
Worms
lässt sich nicht
was wir von
diesen
haben ihren Herd
ganz sicher eruiren,
Nicht gerade viel
wahrscheinlich deuten Spuren auf 1404.
Männern und deren Familien erfahren
am
gastlichen Ufer
Düna
der
oder weniger hat ihnen das Glück gelächelt
:
;
ist es,
sie alle
mehr
errichtet,
mancher
Name
ver-
schwindet schon nach kurzer Zeit, weist nur spärliche Glieder auf, mancher erscheint schon in der Blüthe des Einflusses, mit dem Prädicat «dominus, her»,
was
die Angehörigkeit
zum
städtischen
Patriciat und somit eine verdienstvolle Vergangenheit voraussetzt 1
Worin
diese Verdienste bestanden, ob sie in tapferem
die stets lauernden Feinde, den
ob
sie
in
Orden oder
ehrenvoller Friedensarbeit
zu
Kampf
.
gegen
die Prälaten, erworben,
der
Commune Wohl
er-
rungen, davon freilich meldet uns nicht Sage noch Lied, sind doch,
um
mit dem Dichter zu sprechen Auch die Kränze des Ruhms nur Gunst und Gnade der Götter, Die sie dem Glücklichen nur unter den Würdigen lei'hn». «
1
Ein eigentliches Patriciat hat Riga nie gehabt
wird nur Kathsgliedern, Geistlichen und Rittern beigelegt.
Das
Priidieat dominus
D. Red.
Digitized by
Gqggle
Aus Alt-Rigas Bürgerthum. Nach den Gegenden
der Mosel
jensei ts
261 uns Stephan
führt
Lützelburg (1547), auf die Grafschaft Flandern weisen Lembcke, Seveneeken, Stenhuys und Sluis, auf Brabant Zevenbergen, Ryssen,
Ryp und Grave, während Buren und Eiden Ufer des Niederrheins
wandernd
ist
in
Gelderland liegen
;
auf dem
aus
nördlichen
dem Uferland
ein-
Johann Hol laut 1395 Bürger der nordischen Hanse-
stadt geworden.
Aus dem bischöflichen Gebiet von Münster, das im Süden seine in dem Lauf der Lippe hatte, im Norden bis zum Sudfuss
Grenze
Dorsten
,
Essen
,
Koesfeld,
der Grafschaft Mark, die
und aus
des Teutoburger hinaufreichte,
Ruhr
sich zu beiden Seiten der mittleren
stammen
ausbreitete,
Lüdinghausen,
Middendorf,
die
Münster,
Staden, Tecklenburg, Uhlenbrock, Uhlentrop, Uphoven, Warndorp,
Westerrodde,
Bochum
,
Borken
,
Brekenfeld
,
Dahle
Dortmund,
,
Drechen, Eppenhausen, Ergest, Helden, Iserlohn, Kamen, Mecklinghausen, Overberg, Sandbochum, Sauerland, Scharfenberg,
Speding-
hausen, Thülen, Unna, Wattenscheid, Witten, Wittgenstein.
Anderer
Geschlechter Wiege
stand in
dem
eigentlichen
Herzogthum West-
falen, das seit der Stauferzeit einen Theil der Herrschaft des kölner
Erzbischofs
heutigen
bildete.
Von
hier
—
etwa dem östlichen Theil
—
Regierungsbezirks Arnsberg
siedelten
die
Blankenstein, Büninghausen, Soest, Thülen, Westfal u.
a.
des
Arnsberg, m. in die
nordische neue Heimat über, während auf die nord-östlichen Lande heutigen Provinz Westfalen, von der Lippequelle über den die damaligen Osuiug hinüber bis jenseits der Porta Westfalica Familien ihren Ursprung zurückBisthümer Paderborn, Minden
der
—
—
konnten, wie die Borgentreich, Bredebeke, Deppenbrock, Korvey, Minden, Altenbergen, Wewer, zu denen noch die Brock-
führen
husen und Lünen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu zählen
Fünfundzwanzig Glieder dieser Familen etwa sind in dem Zeitraum von 200 Jahren Rathmannen der Stadt Riga gewesen.
sind.
Die
Amsbergh,
deren 138(5 angeführter Vertreter, dominus Goswinus, schon patricischen Charakter hat, sind in Riga in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder erloschen, andere Zugewanderte, so das Geschlecht, das seinen Namen nach der alteu
Stadt der rothen Erde,
Dortmund,
1385 schon Johann van Dorpmunder,
trug und als dessen Haupt
ein
Rathmaun
des wohledlen
Raths der Stadt Riga, urkundet, blühte noch zu Ausgang des 16. Jahrhunderts: 1567 wird bemerkt, dass Berendt von Dortmunde, «der
ersame
und
wolweisse
her» als
Vormund vor Gericht
.
er-
Digitized by
Google
Aus Alt-Rigas Bürgerthum.
262
Haus
schienen sei; dass sein
«in der kopstraten belegen» erfahren
wir aus einer anderen Eintragung
Erbebücher.
in die
zu Hause,
schlecht
Rath
aus
erscheint, in
dem
Hermannus Zost
dessen Mitte
assumpcionis Marie
crastino
gloriose (Aug.
virginis
ein Glied der Familie, der
Zu
weit würde
genauer
führen,
es
Erwähnung
1386
in
dem
16) vor
1357 schon ab-
geschiedene Rutgerus Soest, Sitz und Stimme gehabt hatte. bereits fällt die letzte urkundliche
Soest,
In
war das Ge-
der Entstehungsstätte eines der ältesten Stadtrechte,
Auf 1409
—
dieser Familie.
auf die Schicksale der zahl-
Namen
reichen Persönlichkeiten einzugehen, deren
das Erbe-
uns
buch nennt, nur zwei Städte mögen noch kurz Erwähnung finden:
Münster ist,
kann
Rigas,
und
Minden;
was von
die aus erster*
r
stammten,
Stadt
nachweisbar, von da ab jedoch bis
ihren
Auswanderern gesagt Bürger
als Beispiel für viele andere Geschlechter dienen.
sind
lässt sich das
zum Schluss der Erbebücher
1455
erst
freilich
Haus
1574
bis
verfolgen: 1469 veräussert
i.
e.
cHans
Munsters zeliger gedechtnisse sine nalatenn hussfrouwe» das Haus ihres
Mannes
apostoli»
(2.
ein der santstraten
Dec.)
erhält
»
.
—
1513 «vridags nach Andree
Hans Munster,
des
vielleicht
vorigen
Sohn, aufgelassen ceyn hus in der sunderstraten, mit eynem hoys-
und
dage»,
1514 «ver schunen achter dem wrackhowe.
avendes naiivitatis Marie*
Vorname
erbte sich doch der fort
—
erwirbt 1567
bussengeter»
i.
von ceynen
garden
e.
c
—
der «wewerstraten».
fast
Gesehen
desseu Sohn
immer auf den
Schon
1522
Kanonengiesser,
tritt
eiu Jost
vor Gericht,
im cruczegang> «frigedages 1531
ist
Wittwe Margarethe veräussert
—
Sohn Haus in
ältesten
freitags vor Luciae» (19. Dec.) ein
(Nov. 28) eintragen zu lassen. seine
Wol wieder
(7. Sept.).
Munster ede
um den Erwerb nah
Katharine»
der Bussengeter gestorben,
ihres
Gemahls Haus iu der Für ihre
Sandstrasse, im folgenden Jahr heirathet sie von neuem.
Kinder hatte Lambert Starcke die Vormundschaft geführt, sein Sohn Haus Stercken war dabei mit der Wittwe bekannt geworden und hatte sie heimgeführt. Dieses Stück Menschenleben aus längst t Lambert verklungenen Tagen meldet uns das Erbebuch etwa so Starcke, vulmechtich seligen Jost von Munsters nahgelathen, hat vor eynem erbaren rade in dersulvigen vulmacht upgelaten Hans Stercken Lamberts zon, der gedachten frave Margarethen itzigen :
elicken
gange
manne eyn hus Noch
Hans Starcken
.
dosulvigest
dartho eynen garden im crutzein dersulvigen
upgedragen
vulmacht dem gemelten
und gegeven
allen
der
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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.
2(53
nah erem dode erflik und proper und tho gebrukende ane jeniges inredent.> 1574 das Geschlecht in den Rath gekommen, da Johan von Munster
gedachten fraven nahlat tho besittende ist
als der tehrwirdige edle und ehrnveste
Am
bedeutendsten von
her» bezeichnet
diesen Westfälingern
—
wird'.
sind wol
die
Min-
dener:
Johannes de Minda erwirbt «in vigilia Symonis et Jude» anno 1385 ein Haus in der
kirchliche
wo Roswitha
ihre
schrieb und die sächsischen Fürsten töchter als Aebtissinnen walteten,
aus dem Braunsen weigischen, aus Eimbeck,
wo
das edle Gersten-
gebräu sprudelte, aus Hannover, Göttingen, Borsum, Gelle, Verden a. d.
Aller und vielen anderen Ortschaften, Städten uud Burgflecken
zogen
sie
Leben mit
aus mit Weib und Kind, oder auch allein
—
sich brachte
bis
— wie
aus Lübecks Hafen
sie
es das
das hoch-
bordige Meerschiff an den gastlichen Strand der Lieflande hinüberführte.
Zu
diesen Familien, deren ursprüngliche
Provinz Hannover war,
Heimat
noch die Anderten,
sind
die heutige
Barbis,
Börse,
Brunstein, Berkhof, Beverbeck, Bullenhausen, Dreilingen, die Estorp,
Eschede, Emmern, Garze und Gladbeck, Heidorn, Kampe, Laudesbergen, Meinershagen, die Ochte, Over, Portenhagen, Raven, Rethen,
Reinhausen, Schardingen, Scheden, Schouingen, Schwinde, Wylsche,
Wittingen und Woltersburg
zu
Bei
rechnen.
denen Antonius 1524 als Rathsherr verzeichnet
Abstammung aus
Bremen
behaupten, während seiner Stieftochter
der Kürschnermeister Dirik Bremer zweiter
Haus Bremer
Herkunft angeben.
Lüneburg
(+ vor 1525),
(1577) schon
Jenseits der
Hier sowol wie
in
fassend,
mit
wenn auch nicht bestimmt Mann, Hans Bremer, ferner durch
sowie
ihren
Weser erstrecken
die weiten Haidekrautflächen der
an die Elbe. in
—
von
lässt sich die
ist,
auf Familientradition
grösster Wahrscheinlichkeit annehmen,
ein
den «Tiling»,
endlich
Namen
ihre
sich bis über
Lüneburger Haide bis
den Laudeu ostwärts der Elbe,
den fruchtbaren Niederungen Holsteins, dem seenreichen, bucheuauf eine Anzahl menschlicher
belaubten Mecklenburg stossen wir
Wohnstätten,
deren Bezeichungeu
am Dünaufer
sich
unverändert
wiederfinden.
So erscheint 1404 Johannes Luuenborghe, so erinnern an das Kehdinger Land an der linkeu Elbmündung Heinrich und Konrad Kehdiug (ca. 1400). Schon 1385 urkundet Wulfhardus de Stadis, ein hoch angesehener Rathmann Rigas, mit stattlichem Grundbesitz innerhalb der städtischen Mauern, stirbt er vor 1410.
Einer seiner
Söhne hat sich dem gelehrten Stande gewidmet: mayister Johannes heisst es 1411 von ihm; Tidekinus, wol der älteste Sohn, erbt den
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Aus
während
väterlichen Besitz,
265
Alt- Rigas Bürgerthum.
Jacobus de Stadis,
ein dritter Stadenser,
wiedernm als Gelehrter, dominus presbyter Rigensis, auch mit
Gut
schem
Stade als Besitzer
—
erwähnt.
Auf
urkundlich
der Schaalstrasse
in
tiberel bischen
Gegenden
Namen wie
weisen
Gudow, Holste, Holstein, Holsten, Hamburg, Hagenow,
Grossenberg,
Beck,
Hauses
eines die
irdi-
Noch 1514 wird Johann vam
reich gesegnet, auftritt.
Segeberg, Lübeck, Mecklenburg, Gadebusch, Wittenberge,
Ripen,
Lenzen,
Rostock
und
Krakow, Säbel, Spornitz und
Süderau,
Warnow
denen
Kothendorf,
sich
anreihen, während noch 14
Angaben mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf MecklenWeiter nach Süden lag die Heimat der BischofAken, Burg, Halle, Kremkau, Salzwedel, Salza, Suhl und
andere locale
burg hinweisen. rode,
üeber
Nordhausen,
Angaben
die Familie
des Erbebuches
1386
:
wir
entnehmen
der Holste
folgendes
Holste der Nachweis dieses Geschlechts, dessen Angehöriger (f
1390) «her»,
raanu,
*
dominus*, also Rathmann
Johannes, gegen Ende des
Nicolaus (1494), von
Wege: der
Ahn, Raths-
sein
Dessen Stiefsöhne betreten verschiedene
ältere, Nicolaus,
güterter Magister
Tymrao
folgen Tyde-
Jahrhunderts Hartwich und
denen letzterer 1501, wie
und Kämmerer wird.
herr
15.
Es
ist.
den
mit Nicolaus
beginnt
gleich
noch 1536,
dem Vater,
der zweite
lebt
als
wohlbe-
wohlnährende
das
hat
Geschäft der Brauerei erwählt: «de Hoppenbruwer» nennt ihn das
Die verwandtschaftlichen
Erbebuch. bis
nicht
Jahre darauf bricht
dem
sich
dass
wir
Jahrhunderte zu verfolgen, bis 1576
unsere Quelle
—
ab.
Hamburg und Lübeck im
1543
freilich
Lübeck
gleichfalls
nur anno 1398,
:
— drei
Eigentümlich berührt
Verhältnis
deutung nur sehr spärlich vertreten finden 1472,
zu
lassen
mehr genauer bestimmen, immerhin vermögen wir das Ge-
schlecht so durch zwei
es,
Beziehungen
1576 mehrfach Urkundenden Hans Holste
zu ihrer Be-
Hamburg nur
einmal,
wo Johannes van Lubeke,
.
—
welche unter der Stadt Rostock
—
wird.
Zufall
wie
Nur
uns die Heimat
aus
a
Richtigkeit
1 1
e
i
aufgeführt
durch einen
verrathenden Angaben,
der
n wir nahe
nur
diesen
einzelner Bürger
wenig der absoluten
nach deD Namen
uthgangen>
ingesegel
allzu deutlich erhellt
Bevölkerungsstatistik
kommen können.
Diese
bieteu uns eben nur einen Anhalt zu wenigstens
relativ
Schlüsseu auf die Herkunft der Bürger Rigas,
namentlich für die
Wende
zum
währeud später Städtenamen nur noch erscheinen, wenn Familiennamen geworden sind. des
14.
Aus den
15.
Jahrhundert,
ein sie
sicheren
Jahrhundert
festen
zu
Gebieten, die ursprünglich slavisch gewesen
und mit
hartem Ringen der germanischen Cultur gewonnen wurden, aus den
Pommern uud Preussen ist der Strom der Einwanderung verhältnismässig gering gewesen. In erster Reihe steht noch Pommern, wohin in Summa fünfzehn Namen führen auf den Ostseeländer!], wie
:
heutigen
Regierungsbezirk
Kösliu
entfallen
die
Bursin,
Gribor,
Grüssow, Gustkow, Küssow, Schlochow und Steglin, auf Stralsund
:
Greifswalde, Hiddense, Kiesow, Schaprode, Zinkendorf und Wolgast,
auf Stettin
sicher
nur zwei
:
Steven, Treptow, mit welch letzterer
Stadt zu Beginn der Reformation Rigas lernende Jugend in reger
Beziehung stand.
Der Name Rüge entstammt wol der
Insel
Rügen,
Benennungen: Korner, Scharpau.Trampenau.Kammiu, Dammerau, Heilsberg, Soldau und Sperling entstammen dagegen Ost- und West-
die
Angaben entfallen: 1530 Hans Meier, borger Memel und Matthis Fredeland wanhaftig tho Zintheu in Prusen. — Den bis hierher untersuchten Gebieten stehen die übrigen deutschen Länder erheblich nach, nur sehr spärlich sind die Namen, preussen, wohin noch die
tho
der
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QpQgle
Aus Alt-Rigas ßürgerthum. die
in Mittel-
sich
267
und Süddeutschland, Oesterreich
und
anderen
Ländern nachweisen lassen, so Dillenberch (wol bürg) im Nassauschen,
Kynast und ßreslowe
in Schlesien
und 1437
her Johann Saxe.
:
Von
den grossen Handelscentren Süddeutschlands tritt nur Nürnberg in den Vordergrund
Dünastadt er
143? erhalten wir Kunde von Tonies Norenberg
:
Nachkomme Hans
1510 spielt sein
in der Reichstrasse,
:
;
der alten
eine grosse Rolle in
wie in der Sünderstrasse
1
besitzt
Häuser, 15*22 erwirbt er dazu einen Garten, der noch 1541 in seiner
Hand
Im
ist.
selben Jahr
Haus, das
sein
in Stefan
er wol auch gestorben
ist
seinem Garten veräussert; mehrfach
und auch nach
richt,
zu
schliessen,
den
gehört
tritt er als
wird sein
Bürgern
und Heinrich Boier
für
iu
der
ersten Hälfte
Bezeichnungen Tideke nachweisbar sind für
Sonst
Kempten, Offenberg, Speier, Tressau und Wildenberg; Wieden, für Würtemberg: Altensteig, Braunschweig
Baden:
:
Gandersheim und Gerenrade.
—
Eine
zweite Gruppe
wanderten umfasst die skandinavischen Völker. wie
mit be-
1570, Petrus Osteriker 1407
ca.
and Johann Osteriker notarius 1409.
Baiern:
stets
Auf Süddeutschland weisen
haben.
ferner Oetting (1503), sowie die allgemeinen
Beger 1476
Vormund vor Ge-
Name
Er muss, nach dem Erbebuch zu
angesehensten
Jahrhunderts
des 16.
seinem Tode
Achtung genannt.
sonderer
1547 wird
;
Lützelburgs Besitz übergegangen, sammt
aus dem
eben
edirten
Wittschopbuch
der Einge-
Während
für Reval
hervorgeht, zahlreiche
zwischen Dänemark, Schweden Gotland und Reval andererseits bestanden, ist die skandinavische Einwanderung nach Riga eine überaus spärliche, denn sie umfasst Familienverkntipfungen
,
einerseits
Namen Gotland, Kalmar, Kopenhagen, Schweden und Die Insel Gotland, über welche hinaussegelnd die Kauf-
nur die fünf
Wiborg.
Düna angesegelt, eine Zeit lang durch den Transithaudel dem Osten zu gewaltiger Macht und hohem Glanz emporge-
fahrer die
mit
hatte diese Blütlie in der Zeit, in die uns die Erbebücher
stiegen,
führen, freilich schon längst hinter sich,
Wisby mit
seine Schätze an
1
Trotzdem hat
waren
sich die
Erinnerung an die Abstammung von
Die rikestrate und suuderstrate
rikeatrate
wurde
beide
und
Walderaar Atterdag IV., den verschlageien Dänenmüssen das Eiland war schon eine halbtodte
—
könig abtreten Stätte.
das thürmereiche goldene
seiner trutzvollen Bevölkerung hatte seine Freiheit
in
späterer Zeit
sind nicht
verschiedene Strassen.
suuderstrate genannt,
Benennungen neben einander
üblich.
längere Zeit
Vgl. Runge,
Die
hindurch
Riga, S. 69. D.
Red.
Aus Alt-Rigas
268
Bttrgertlium.
derselben noch bis gegen Ende des 15. Seculums wol erhaltet)
veräussert Johannes de Gotlandia ein Haus, 1404 urkundet
de Gotlandia, 1434 Peter Gotlande, 1471 Merten Gotlande erscheint der
Name
der skandinavischen Union ein Geschlecht
als
— später
Aus Kalmar, dem Geburtsorte
gegen Ende des
zog
14. Jahrhunderts,
dem schon 1385 Johannes de dominus und Rat man Rigas auttritt. Kopen-
nach Livlaud,
Kalmern (Calmaria)
—
nicht mehr.
1387
:
Werner
aus
hagen wird 1390 durch Arnoldus Copenhaven repräsentirt, wol
ein
Sohn des 1385 schon verstorbenen Hermannus. Auf skandinavische Herkunft weist endlich die Familie Wiborch (Wyborges) die zwischen 1500—1577 in acht männlichen Repräsentanten vorkommt. Grösser schon sind die Beziehungen zu Russland, das damals noch
—
Moskaus Fahnen geeint, wesentlich eine commercielle namentlich seit dem verschärften wenn es auch an Hineinziehung Gegensatz zwischen Orden und Erzbischof von Nowgorod und Pleskau in die innere Politik nicht fehlen mochte. Schon die topographischen Notizen, die uns überkommen,
nicht unter
Bedeutung
—
hatte,
—
beweisen die nicht geringe Zahl Russen, die freilich fast durchgängig arme Kleinhändler waren und in einem gesonderten StadtSchon 1394 wird theil, der heutigen Moskauer Vorstadt, lebten.»
de Russche Kerkhof oder das Cymiterium Ruthenorum, 1447 de Russche covent oder de caveut in der Russenstrate, 1453 auch die Russche kerke erwähnt; nicht weniger als 38 Mal kommt die Be-
zeichnung €p1atea Rutenorum, de Russche strate» vor, 1467 heisst es ()
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Aus Alt-Rigas Bürgerthum.
274 t
Grothus, der sadelmaker\
Holstein, Kamphussen,
(der durchleuchtige fürste
und
her,
her Gothardt Ketler,
Ketler herthog
Lydiugkhusen, Mhedem (Christof vou Mhedem, Me ydel, Moltke (her Johann Moltke Moltke 1504—5), Nolde, Offenberg, Samsson,
in Curlandt),
Churischer Mannricltter),
und Peter
W
i 1
k
—
e n.
Namen
Alle diese
tauchen meist nur
zweimal auf; öfters begegnen uns noch die
Rosen
höchstens
ein,
und
Oe 1 1
i n g Letztere erscheinen in den drei Gliedern
(Oetken, Otting, Oting).
Hermann; Peter Otken hat 1529 nebst Heuschlag «gelegen achter S. Jürgens howe aver der Dune», ferner einen «garden yn dem crutzegange» und endlich «twe schunen>. Der Besitz wechselt dann in der Folgezeit sehr häufig: bald lässt Peter ein Haus einem anderen auf, bald geschieht ihm dasselbe 1569 wird Jasper Meier als Vormund seiner Kinder genannt. Everdt Oetting 1548—77 und Hermen 1573 Peter, Everdt,
Haus und Hof
:
sind offenbar seine Söhne, deren Schicksale
zu verfolgen
das Ab-
brechen der Erbebücher leider verhindert.
Jedoch nicht nur der Abkunft einzelner Familien
und
Be-
ziehungen zwischen Adel und Bürgerschaft nachzugehen, ermöglichen
auch manche andere, noch heute in unseren Landen blühende bürgerliche Familie stösst beim Durchblättern der Erbebücher auf Altvorderen, von denen die meist wenig sorgfältige
uns die Erbebücher,
Tradition nichts erhalten hatte; ganz sichere Schlüsse freilich sind
schwerer zu machen, als bei den adeligen Geschlechtern,
hier weit
damals
schon
weil
stammungsorte
die
oft
Beschäftigungen
gleichen
verschiedenen
Familien
und
Ab-
gleiche Namen
und Meyer schon in Immerhin kann der sollte so z. B. die 1400 vorkommenden Versuch gemacht werden B u rs i n 1400 Hintze Borsin und 1439 Arndt ßursiu der in Kurland verbreiteten Familie Bursy entsprechen, sollten nicht die gaben, so dass die Zahl der Schulze, Müller
jenen Tagen
so zahlreich
war,
wie
heute.
;
,
He
rd er
heute
(1413),
möchte
in
Hoppe
Familien
lebenden
einem Fall, bei
(1387—1534), identisch
den
sein?
Horst Eine
Hoppener,
(1455) mit noch solche
Identität
wol kaum
zweifel-
1386 sind urkundlich Conrad Hoppener, seine Gemahlin Gulteke und Schwester bezeugt auch sein Vater Bernhard haft erscheinen
:
;
Hoppener ist nachweisbar. Fast ein Jahrhundert uach ihm erwähnen unsere Quellen 1482 Jacob Hoppener, den wir noch 1526 antreffen bald darauf muss die Familie aus Riga weggezogen sein vielleicht nach Estland, wo sie heute blüht». Ich will zum ;
—
•
Di«-
Hoppenere (Hopfenhftndler) mit den estlündischen Hüppener
in
Digitized by
Ver
Google
275
Aus Alt-Rigas Burgerthum. Schlau dieser kleinen Untersuchung her setzen,
gelingt
vielleicht
oder jene Notiz
diese
Johannes
Mumme
140(5,
Margarethe Krussen
es
für
eine
Namen
die auffälligsten
hier-
auf Familientradition,
gestützt
es,
verwerthen:
einzelne Familie zu
Kruse 1391—1479, von deren einem Glied heisst «uth dem stiett Monster» (1548);
in das Erbebuch 1579 betrifft Peter Krussen Johannes Schilling de Wenden 1391, Sontag 1384 1401 (Hinricus Sundach, dominus), Vrese (Fresse) 1498 1516, German (Gehrmann) 1497 1571, Härder 1517, Hartmann 1532 76, Helmsing
die letzte
Eintragung
;
—
es folgen
—
—
1571, Stoffregen Ist
—
1527—50, Tiling 1518—62, Tonagel 1572
m.
u. a.
-
auch bei der grösseren fluctuirenden Beweglichkeit des Bürger-
thums die Zahl der Familien, die sich etwa aus den Tagen der Reformation bis in sich
unsere Zeit erhalten haben, eine recht geringe, so lässt
doch manches Band,
das
mit
uns
der Epoche
verbindet, da
Luthers Lehre in unserer Heimat Eingang tand, zurück verfolgen
Ich breche hier ab
die
—
nicht
etwa weil die Erheblicher Rigas
Aufschlüsse geben, im Gegentheil, je vertrauter einem
nicht weitere
um so mehr Fragen drängen sich zur Lösung Mein Zweck war jedoch nicht, erschöpfend alle Seiten
Blätter werden,
entgegen.
zu beleuchten, sondern nur
welche Belehrung jeder
nach
dem grösseren Publicum zu erweisen,
den verschiedensten Richtungen
zu holen vermag, der nur selbst
mir dieses gelungen sein, so wäre der
dazu gewillt
hin
sich
ist.
Sollte
Zweck vorstehender
kleinen
Stndie erfüllt.
Fe
l'imlung rigiwrheii
1
1
i
n
,
zu bringen,
im Februar 1889.
scheint
uns doch etwas gewagt,
Familie diene* Namens, die daselbst noch
eher
vielleicht mit einer
existirt.
I).
Ked.
20*
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Die französische Revolution.
|en 14. Juli feiert das französische
Volk
üj4|^JP'j sten Festtag mit einem Gepränge,
als seinen wichtigalle Kirchenfeste
das
der Christenheit und jede Staatsfeier in einer modernen europäischen
Monarchie weit
in
den
Schatten
Jahrestag des Bastillesturmes,
kund werdende Zeugnis Revolution
gilt.
Frankreich
stellt.
der ihm
als
das
seiner Wiedergeburt durch
Diese Wiedergeburt sieht
rung einer despotischen Monarchie,
in der
müssigen privilegirten Gesellschaft und
in
es
den
feiert
aller
Welt
eine glorreiche
der Zertrümme-
in
Vernichtung einer frivolen, der Wiederaufrichtung des
Staates auf zeitgemässen, modernen Grundlagen.
Jubiläum der Revolution, desseu Feier wir ist
erste
Das hundertjährige
in diesen
Tagen
erleben,
dazu bestimmt, noch eindringender und deutlicher mit seinen gross-
artigen Festlichkeiten vor ganz Europa den ungeheuren Fortschritt
zu documentiren, den Frankreich
seit
der Revolution gemacht
Jiat.
Die Aufforderung an alle Staaten zur Betheiligung an der pariser Weltausstellung von 1889 bedeutet aber nicht viel weniger als das Verlangen, auch das gesammte übrige Europa möge in gemein-
samer Feier der Revolution bezeugen, wie Fast
und so
alle ist
es
im wesentlichen Frankreich
Grossthaten der Revolution
Regierungen
viel
Dank
es ihr schulde.
Regierungen haben sich dieser Aufforderung versagt,
wird jeder
feiert.
billig
allein,
das heute
die
Diese Stellungnahme der alten
Denkende
in
der Consequenz der
Voraussetzungen, auf denen die gesetzliche Ordnung ihrer Staaten ruht, begründet finden.
Aber auch abgesehen von
dieser politischen
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277
Die französische Revolution.
Erwägung, darf die Frage aufgeworfen werden, ob
die grosse Re-
volution wirklich die Verherrlichung verdient, welche ihr zu Theil
ob
wird,
Rühmt man den ungeheuren
dem Ende
seit
Grossthaten vollbracht hat,
sie die
schreibt.
man
welche
ihr zu-
Fortschritt der Civilisation
des vorigen Jahrhunderts, so wird sich ja niemand
der Bedeutung der Thatsachen
verschliessen,
und
mit
welche
in
Folge der Revolution eintraten, aber man wird, sich auch die Frage vorlegen müssen, wie weit den Trägern der derzeitigen Geschichte
nach
Hat
ihren
fuhrt,
Leistungen
positiven
die
Entwicklung der Menschheit
hältnismässig erfreuliche,
wenn
und Thaten
hätte ziehen wollen.
Das
noch
so bliebe
hätte eintreten können,
den Absichten
aus
zeugung zu wecken,
V
eine ver-
zu untersuchen,
die Geschichte die
ob
die-
Consequenzen
der Revolutionsmänner von 1789
Frankreich huldigt noch heute
officielle
um auch
eigentlich nichts unterlassen,
1789
seit
einer optimistischen ßeurtheilung der Revolution in
und hat
seit
1830
den Massen die Ueber-
dass jeder Fortschritt der Gesittung auf den
War
Principien der Revolution von 1789 beruhe.
der vielen Regierungen
jede
sei.
zu Ergebnissen ge-
welche ganz andere waren, als die von jenen beabsichtigten
Nennen wir selbe
zuzumessen
Verdienst
ein
der Lauf der Ereignisse
nicht vielleicht
gewaltsam
und
doch
seit
revolutionär
1830*
empor-
gekommen. Die Gründe und Stimmungen, welche für die Politik und die Massen ausschlaggebend sind, kann aber die gebildete Welt Indessen hat auch das wissenschaft-
nicht
ohne weiteres acceptiren.
liche
Urtheil lange geschwankt, ja es
schwankt
wol
noch heute.
Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts hat im Grossen und der
Eindruck vorgeherrscht,
Ganzen
dass die französische Revolution eine
grosse befreiende That verübt habe, deren herrliche Resultate nur
Greuel
vorübergehend
durch
worden
Seitdem wurde aber
seien.
Actenmaterial zu Tage
die
gefördert,
entsetzlicher ein
Barbarei
gewaltiges
welches
von
getrübt
authentisches
erhebenden That-
sachen gar nichts, von trostlosen deprimirenden Erscheinungen daso mehr zu berichten wusste. Man begann zu ahnen, Dinge in Wirklichkeit doch ein anderes Aussehen gehabt haben mögen, als sie in den Declamationen von Theoretikern und
gegen
um
dass die
den begeisterten Schilderungen schlecht unterrichteter Zeitgenossen erschienen.
Nachdem Sybel
zuerst mit einer kritischen Geschichte
des Revolutionszeitalters hervorgetreten ville
ausführlich,
gründlich
und
von
war,
untersuchte Tocque-
wahrhaft staatsmännischen
Gesichtspunkten aus die Ursachen, deren Wirkungen
sich
in der
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Google
278
Die französische Revolution. Seinen Bahnen folgte auch Taine, der neueste
Revolution zeigten.
Diese und andere epochemacheu-
Geschichtsschreiber der Revolution.
den Arbeiten lassen darüber keinen Zweifel, dass wir in der französischen Revolution
wol
weltgeschichtliches
ein
durch
neue Ideen in die Welt getreten, noch hat
sie
nicht
Ereignis,
Weder sind
aber eine grosse verdienstvolle That zu sehen haben.
durch ihre
sie
Thaten Frankreich aus materiellem Elend, sittlicher Versumpfung und staatlicher Zerrüttung erlöst. Sie hat diese Uebelstande auf
Wir
die Spitze getrieben.
Frankreich
durch
Wer
denken.
eine
sind gewöhnt, uns das vorrevolutionäre
weite Kluft von
sich eingehender mit den
d. J. 1789 geschieden zu Bedingungen der Revolution
und den Ereignissen von 1789 beschäftigt, staunen
Kluft
diese
sich
schliessen.
sieht
Für
die
seinem Er-
zu
Beurtheilung
einschneidendster Wichtigkeit sein. in erster
Linie eine völlige,
wesens war,
•
der
immer vou
Revolution wird die Betrachtung des alten Frankreich
Sie ergiebt, dass die Revolution
allseitige
Auflösung des alten Staats-
und gleichsam von selbst vollzog, und dass ihre Bedeutung nicht in der Begründung eines neuen Zustandes zu suchen ist, sondern eben in der Vollendung eines Zersetz ungsprocesses, dessen Beginn in die glänzendste Periode des die sich unaufhaltsam
französischen Königthums hinaufreicht.
aus erscheint die Revolution weit eher laufenen,
Von
diesen Gesichtspunkten
das Ende einer
als
abge-
denn als der Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung.
Es kommt
also zunächst darauf an,
das Bild
uns
des
vor-
revolutionären Frankreich zu vergegenwärtigen.
I.
Ich bringe nichts Neues
Schäden der alten Monarchie
vor.
wenn
ich
den Misbrauch
als
schwersten
die
der Amtsgewalt
im
weitesten Sinne des Wortes und die systematische Ausbeutung der
überwältigenden Mehrheit des Volkes durch die privilegirten Stände
So empfindlich das Rechtsgefühl des Einzelnen verletzt
bezeichne.
wurde, lastete
so unerträglich
—
Verhältnisse nicht
der Druck
auf dem
nothleidenden Volke
zu einer gewaltsamen Auflehnung gegen die bestehenden konnte
es
aber
erst
mehr im Bewusstsein des
kommen, wenn
Einzelnen
die
blieben,
Misstände
sondern
Kenntnis derselben ein Besitzthum der ganzen Nation wurde.
die
Dieses
dem nämlichen Drucke seufze, der besonderen Form, wie den Massen mitgetheilt worden.
Gefühl, dass ganz Frankreich unter ist
sie
durch die Aufklärungsliteratur in
Frankreich
heranreifte
,
in
Digitized by
Google ä
279
Die französische Revolution.
Wenn uun heit
Aufklärung der allgemeinen Unzufrieden-
die franzosische
Worte
und
lieh
sie
dadurch steigerte,
so
hat sie es anderer-
dass niemand an die eigene Brust schlug.
seits verschuldet,
Alle
Schuld wurde auf die anderen Stände und Berufsklassen abgewälzt.
So standen sich im
18.
Provinzialadel, Klerus,
uud Landvolk
und
sondere Privilegien
Jahrhundert Regierung und Volk, Hofadel, der
privilegirte
von
Richterstand, Bürgerthum
wieder die durch be-
dieser Kreise
innerhalb
geschiedenen Unterabtheilungen
einander
der Stände und Berufsklassen in unversöhnlicher Feindschaft gegen-
Die Exclusivität der persönlichen und Standesinteressen hatte
über.
den höchsten Grad erreicht.
gegen
Wie
alle.
Ihre
Wirkung war der Krieg
ist diese trostlose
Erscheinung zu erklären
aller ?
Man wird der machtvollen Regieruug Ludwigs X£V. seine Bewunderung niemals versagen können. Sein persönliches Regiment schenkte Frankreich ein Gut, nach dem es sich bis dahin vergeblich gesehnt hatte, den inneren Frieden, der in erstaunlich kurzer Zeit die grossen Hilfsquellen des reichen
Landes entwickelte und
einer nie geahnten wirtschaftlichen Blüthe brachte.
es zu
Seit der Mitte
Bürgerkriege mehr. Die Macht war gewaltsam gebrochen. Ein unermessl icher Fortschritt lag in der Zusammenfassung aller Kräfte für die grossen Zwecke nationaler Wohlfahrt. Der Zersplitterung in eine Unzahl von Kirchthurmsinteressen war ein Ziel gesetzt. Ueberall sehen wir die grossen Gedanken auf Seiten der Krone; des 17. Jahrhunderts
des
herrischen,
sie schützt
gab
es keine
trotzigen Adels
mit ihrer Allmacht
die
unteren Volksklassen
selbstsüchtigen Willkür der adeligen,
Aristokratien.
Klassen
hielt
Dem
geistlichen
fortgesetzten materiellen
oder
vor der
städtischen
Druck der niederen
der grössere Rechtsschutz und ein hochgeschwelltes
Nationalgefühl, das bewundernd zu der glänzenden Politik des Königs aufschaute, ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht. So hoch man nun auch das organisatorische Geschick Ludwigs XIV. und der grossen französischen Minister anschlagen mag sie alle begnügten sich mit der thatsächlichen Ausübung ihrer alles erdrückenden Macht. Es fehlte dieser Regierung alles, was ihre Macht für die Dauer verbürgte, und alles, was sie selbst vor dem Misbrauch derselben schützte. Niemals, urtheilt Sybel, hat
—
nämlich eine Herrschaft
bestanden,
gewaltig
und
gefürchtet wie
jene Ludwigs XIV., welche über so schwache Rechtsmittel und so spärliche Organe verfügt hätte.
der
modernen
königlichen
Nirgends waren die Competenzen
Behörden
den
rechtlich
noch
immer
Die französische Revolution. bestehenden feudalen Gewalten gegenüber wirklich abgegrenzt
anfangs
wohlthätig die königliche Allgewalt
t
hat sächlich
;
so
wirkte,
so gering waren die Rechtstitel, auf welche sie sich berufen konnte.
Der Glaube an den
göttlichen Ursprung des Königthums und die Ueberzeugung, dass Gott den Königen die schrankenlose Verfügung
über ihre Unterthanen verliehen habe,
an
treten
wohin diese Anschauungen diente
ihm zu Gebote standen
:
sieht
eines leicht,
Der Despotismus
führen mnssten.
zur Durchführung
sich
die Stelle
Man
auch für die Regierung verbindlichen Rechtes.
seiner Absichten aller Mittel,
be-
die
menschlicher Leidenschaften und Schwächen
Und er brach auch allen Dass nur ein Monarch von ganz ausserordentlich sittlicher Energie den Versuchungen widerstehen wird, welche in der schrankenlosen Ausübung einer blos thatsächlichen Gewalt liegen, als olfenbarer Gewalt.
nicht weniger,
Widerstand.
ist
selbstverständlich.
Und
erlag ihr.
So
die Geschicke Frankreichs
geiz zu drehen
Ludwig X[V. je mehr sich
Grosse.
der
Friedrich
je länger seine Regierung dauerte,
begannen,
um um
königliche Launen, königlichen Ehr-
grösser
so
wurde der Gegensatz
und dem Rechte der Krone Denn die masslose Verschwendung des zur Ausübung derselben. Hofes und die völlig unproductiven, alle Einnahmen im Voraus
zwischen der thatsächlichen Gewalt
verschlingenden Kriege führten, nachdem eine Erhöhung der Steuer-
in
mehr möglich schien, zu dem Verkauf der Staatsämter. mehr und mehr ihren staatlichen Charakter und wurden Wo die Regierung jetzt auch privates Eigenthum verwandelt.
in
heilsamer Absicht in den
last nicht
Sie verloren
letzte
sie
Gang
der Staatsmaschine eingriff, ver-
einen wohlerworbenen Besitz,
tastete Eigenthumsrechte
der Franzosen an und rechtfertigte die Opposition gegen den willkürlichen Despotismus.
Unter diesen Kämpfen
litt
das moralische
Ansehen der Krone um so mehr, als sie bald, der ewigen Reibungen müde, sich der Sorge für die allgemeine Wohlfahrt entschlug und die Dinge so gehen Hess, wie sie eben gingen. Nur ein grosser Herrscher, ausgestattet mit den Vorzügen Ludwigs XIV. und ohne dessen sittliche Mängel,
hätte Frankreich wieder
zurückführen können, dessen es sich
Regierung
erfreute.
Aber
es
kam
in
in
den Zustand
der ersten Hälfte von jenes
anders.
Die
sittliche
Verkommen-
Regenten Philipp von Orleans und Ludwigs XV. übertraf was man je an dem Hofe einer europäischen Grossmacht
heit des alles,
erlebt hatte. sie
Sie verloren die Kraft, über den Parteien thronend,
wenn auch gewaltthätig zu beherrschen.
Die ganze innere und
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281
Die französische Revolution. auswärtige Politik stellte sich in den Dienst der jeweilig
nm Hofe
dominirenden privilegirten Klassen.
Wenn
Regierung des Landes das Steuer
so in der wirklichen
Händen der Krone mehr und mehr entglitt und den feudalen Parteien zufiel, so war doch der Znstand vor Ludwig XIV. damit den
Einestheils blieben ja immerhin auch die
wieder hergestellt.
nicht
Aemter noch Organe der königlichen Verwaltung, andererwar die Entwürdigung der Privilegirten so gut gelungen, dass
verkauften seits
diese, keit
das Streben nach politischer Machtstellung und die Freudig-
Prälaten sonnten sich in der Hofgunst; bedeuteten,
tisch
alle
fast
sie poli-
ihre gesellschaftliche Stel-
alle
Das wäre
auf den Hinweis,
hier
den
Steuern
vielleicht
dass
ärmsten Klassen
noch erträglich gewesen,
Mühe genommen, das Mass der Leistungen zu umschreiben und vom Einzelnen nicht mehr zu fordern,
man
genau
mich
alle Lasten,
aufgebürdet wurden. hätte
denn je weniger
die Vorrechte der Privilegirten waren, ist be-
Ich beschränke
Arbeit,
war
desto glänzender
Welcher Art
lung.
kannt genug.
als
Adelige und
an politischer Arbeit fast gar nicht mehr kannten.
wozu
sich nur die
Thatsäehlich
er verpflichtet war.
herrschte
jedoch
der
Wille des königlichen Intendanten und der Steuereinnehmer unum-
Schutz- und rechtlos standen die
schränkt und ohne jede Controle.
Beamten und Aristokraten gegenwie das Volk das 18. Jahrhundert
niederen Klassen den habsüchtigen
Es
über.
Aenderung in
erscheint räthselhaft,
überdauern
hat
allen Staaten.
da
können,
diesen
in
Analogien
eintrat.
Im
solcher
alten Preussen,
einen privilegirten Stand,
gegen
gar
Verhältnissen
Verfassungen in
England
dessen Vorrechte
keine
finden
gab sich
sich
auch
es
der Stolz
mündig gewordenen Bürgerthums murrend auflehnte. Aber Druck ihrer feudalen Privilegien wurde erträglich gemacht
eines
der
durch der
Gegenleistungen
Armee oder
girten
in
auf dem Gebiete localer Verwaltung,
der Gentraiverwaltung,
durch Sitte und Gesetz
im alten Frankreich.
verpflichtet
in
zu denen die Privilewaren.
Nichts
davon
Die hohe Aristokratie war eine schmarotzende,
genusssüchtige, gesinnungslose Gesellschaft geworderi, die sich
Mark des Volkes nährte, den Zweck
ihres Daseins
vom
im Genuss sah
und nur der ungemessenen Erweiterung ihrer persönlichen Vortheile lebte. sie
Im
Besitz von zwei Dritteln des
weder ihre weiten Gebiete,
geudete ihre Einkünfte Hess sie sich
in
Grund und Bodens, kannte
noch deren Bevölkerung.
Paris und Versailles
nur zur Jagd sehen.
Sie
wusste
;
Sie ver-
auf ihren Gütern daher auch nichts
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282
Die französische Revolution.
von dem Elend der Landbevölkerung.
Verschwindend waren die Ausnahmen, dass ein grand-scigneur, dem sein Reichthum den Zutritt zum Hofe ermöglichte, auf seinen Gütern residirte und selbst nach dem Rechten sah. Wo das stattfand, erfreuten sich die Bauern auch erträglicherer Verhältnisse. Der König selbst sah es ungern, wenn der Adel sich nicht um seine Person schaarte, und für andauernde Abwesenheit vom Hofe gab es gar keine EntDie Minister Hessen
schuldigung.
dem König
weigern,
mehr
nicht
den Intendanten
von
sich
be-
«welche Edelleute es lieben zu Hause zu bleiben und sich
richten,
Bald
Huldigung darzubringen >.
ihre
für staudesgemäss, die
niedere Verwaltung
fortwährend
da sich die plebejischen Intendanten
zu
gilt es
leiten,
hineinmischen.
Man
Die Bewirtschaftung der Güter wird zu langweilig.
eilt
an
die offenen Tafeln der Residenz.
So wird der Adelige ein Höfling,
Der Hof
ist ein
Am
der Franzosen.
und
alles,
was
Mann
ein
des Salons.
Ort, wie geschaffen tür die geselligen Talente
Hofe
findet
Königreichs
des
die Elite
sich
Mode, Eleganz und Geschmack tonangebend
in
ist.
Herr Devardes zu Ludwig XIV., wenn man von Ihnen entfernt ist, ist man nicht nur unglücklich, sondern auch Sire,
sagte
ein
Nur
lächerlich.
bleibt in der Pro-
die arme, verbauerte Noblesse
Verbannung auf seine eigenen Güter ist die höchste Ungnade. Die Verbannung allein, erzählt der Reisende Yong, zwingt den französischen Adel zu thun, was der englische mit Vorliebe thut auf seinen Domänen zu wohnen, um sie zu verschönern. So spielt denn der Hof und die Hofgeschichte in Frankreich noch eine ganz andere Rolle, als im übrigen Europa. Der geschäftige Müssiggang vinz.
desselben
der Politesse,
das
den Memoiren jener Zeit
von dem Talleyrand die
Wonne ergriff
nicht
Volkes. sie
vor 1789
haben,
gelebt hat,
Diese Salonbildung,
gebildeten Kreise
des
vom
französischen
Denn Formen des Verkehrs, sondern durch-
Sie verdient eine gauz ausserordentliche Würdigung.
beherrschte nicht nur die
setzte
nicht
des Lebens!» alle
von dem wir
und
hat
begeisterte Schilderungen
«Wer
ausrief:
Hofe ausgehend,
kennt
so
demokratisches Jahr-
unser
hundert nicht mehr zu erreichen vermocht in
geselligen Verkehrs,
nur jene Virtuosität des
erzeugt
jenes Raffinement
thatsächlich
Gesellschaft
das ganze Leben
in allen seinen
sondere Verdienst des Taineschen contemporaine»
,
die
an
der
Aeusserungen.
Wirkungen
Werkes
«
ihr
Es
ist
theilnehmenden das ganz be-
Lcs origines de la France
dieser Salonbildung auf die franzö-
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283
Die französische Revolution. auch
damit
und
sische Literatur
auf die
Schicksale
politischen
Frankreichs in geistreichster Weise nachgewiesen zu haben. in allen
seinen Nüancirungen,
haltung,
um
die
Oede
die
Angelpunkte,
um
eines arbeitsscheuen
welche
das
sich
Lebens auszufüllen, sind
Salonleben
Krieg und
Politik,
Der
bewegt.
freudige und
Unterhaltung dienen alle Vorkommnisse des Lebens, traurige,
Genuss,
grobsinnlicher und geistiger, Unter»
Das Leben
Kunst und Wissenschaft.
im Salon fordert Gleichförmigkeit, keine überragenden Eigenschaften, die
äusserliche Unterdrückung
vollkommene Selbst-
alier Aflecte,
Denn wo Vergnügen und
beherrschung.
leichte freie
Unterhaltung
das oberste Gesetz bilden, muss natürlich alles verbannt sein,
was
verstimmen kann, was ärgerlich, unschicklich oder anstrengend
Das Natürliche
findet hier
gar keinen Raum.
natürlichen Gefühls, schreibt ein Hofmann, ich
einen
Hund
bleibe,
auf der Strasse an einem Bein nagen sehe.
bleibt
Man
nicht aus.
Wesens überdrüssig, sehnt zu verweichlicht,
um
wird
wenn wenn ich Der Rück-
so gross, dass ich,
ist
von Versailles zurückkomme, zuweilen stehen
schlag
des trockenen,
gekünstelten
nach Naturwahrheit; aber man
sich
die wirkliche
ist.
Die Seltenheit eines
Natur zu ertragen,
ist
und alle
Die sog. wahren Empfindungen werden zu Empfindsamkeiten. Rückkehr zur Natur wird Modesache, bleibt aber auch nur ein Gegenstand der Salonunterhaltung. Daher die Sentimentalität. Man schwärmt aber nicht nur für eine verfälschte Natur, sondern verfälscht auch alle Wirklichkeit
;
die
wahre
zu wenig
ist
polirt,
zu
unbequem.
Der vornehmen französischen Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts hat niemand
den
war zum grossen Theil man an sie stellte, war
Ruhm
überbildet.
hoher Bildung bestritten,
Aber
ja sie
die erste Forderung, die
die leichter Fasslichkeit.
Zum
guten Tone
gehörte es nicht, sich mit Dingen zu befassen, die über die gewöhnlichsten Schlussfolgerungen des gewöhnlichsten
hinausgingen.
Und nur
habt, welche diesem Bedürfnis
schaft eines mageren,
Menschenverstandes
diejenigen Schriftsteller haben Erfolg ge-
entgegen kamen.
blassen Rationalismus,
merkmal der Aufklärungsliteratur
bildet.
Daher
die Herr-
welcher das Haupt-
Sie schuf
eine
humane
Gesinnung, welche ängstlich vor jeder Roheit und Gewaltsamkeit zurückschreckte
und dem Individuum die Selbständigkeit wieder-
zugeben gedachte, die ihm eine verkehrte geschichtliche Entwickelung entrissen
haben
sollte.
Sie
brach
die
Macht der Tradition
und schuf der Kritik eine selbständige Stellung neben jener.
Dieser
284
Die französische Revolution.
grosse Fortschritt wird ihr unvergessen bleiben
Aber der Kritik
der räsounirenden Vernunft fehlten sowol in der Wissenschaftlichkeit als auch in der Gesellschaft jener Zeit alle Voraussetzungen,
welche die schrankenlose Herrschaft derselben hätten rechtfertigen können.
Wir
stehen vor der merkwürdigen Erscheinung des französi-
Dieser war durchaus das Product der höfischen Den Forderungen der Salonbildung musste die Sprache Ausdruck und Styl entsprechen. Wörterbuch und
schen Klassicismus. Gesellschaft.
zunächst
in
Grammatik wurden im Sinne
einer Verallgemeinerung
drucks und leichterer Verständlichkeit
reformirt.
des Aus-
Die salonfähige
Sprache, in der allein die Dichter denken und reden durften, büsste alles Eigenartige ein,
sie
war im
des französischen Wortreictathums
Umfang und
Tiefe
gewann
verlor,
Jahrhundert auf ein Drittel
Was
reducirt. sie
die Sprache
an
an Klarheit und Gemein-
und nach denselben Forderungen wurde auch die
verständlichkeit;
Satzbildung und der Styl sich allgemeine
18.
Gedanken
entwickelt. so
klar
In
keiner Sprache
liessen
zum Ausdruck bringen wie
in
wurde unfähig zur Wiedergabe jedes charakteristischen Details. Die natürliche Wechselwirkung von Sprache und Denken zeitigte nun jene rednerische Literatur und jene Vorstellungsweise, die sich vornehmlich in unbestimmten Abstractionen bewegte. Zugleich trat der Gelehrte hinter den der französischen;
aber
sie
schönredenden Schriftsteller,
die Wissenschaft
hinter die populari-
sirende Literatur zurück.
Wol
in hohem AnAnregungen Newtons und einer ganzen Reihe hervorragender Naturforscher und Mathematiker waren gerade die exacten Wissenschaften in den Vordergrund des Interesses geDie inductive Methode der Forschung hatte hier so getreten. waltige Resultate geliefert, dass die gebildete Welt, geblendet und den Kern der Sache nicht prüfend, sie sofort auch für die wissenschaftliche Behandlung der Psychologie und der Moralwissenschaften verwandte. Die strengen Schlussfolgerungen der Mathematik wirkten wie die Ordnung der sinnlichen Welt durch wenige berauschend klar formulirte Sätze begriffen zu werden schien, so sollten auch die Welt des Intellectes und die Erscheinungen der sittlichen Welt-
sehen.
standen
auch wissenschaftliche Studien
Seit den mächtigen
;
ordnung unter wenige allgemeine üeberschriften gebracht werden. ist bekanntlich England.
Die Heimat dieser Wissenschaftlichkeit
Aber
hier hielt
mau auf halbem Wege
inne.
In Frankreich
zog
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Die französische Revolution.
285
diese Wissenschaftlichkeit ihre letzten Consequenzen.
entsprangen die Lehren der Revolution. liche Gelehrsamkeit,
Sie stiess hier
und aus dieser Berührung Mühselige Studien, gründ-
auf den sogenannten klassischen Geist,
also die unerlässlichen Voraussetzungen
d. h.
Verwendung des inductiven Verfahrens, geriethen Alles meinte man mit Hilfe des gesunden Menschen-
für eine fruchtbare fast in Verruf.
Jeder halb-
verstandes verstehen, vor allem beurtheilen zu können.
wegs
Gebildete,
dünkte aber
dem
die Schlagworte
ein Philosoph
sich
in ihren Schlüssen
zu
sein.
seit
fehl,
der Zeit
waren,
gelaufig
Die inductive Methode ging
die Kenntnis
der Wirklichkeit
auf den Gebieten der Geschichte, Nationalökonomie und des Staats-
Von wenigen
rechts der räsonnirenden Gesellschaft abhanden kam.
allgemein verständlichen Sätzen,
ungenügend
die
beobachteten Thatsachen
man
aus
einseitig
wenigen,
ausgehend, con-
abstrahirte,
struirte
man nach mathematischem Muster auch
System,
das allein gerecht und vernunftgemäss
das
sein
politische
Wie
sollte.
Formeln verfuhr, ohne Kenntnis der besonderen Verhältnisse, so waren auch die positiven Leistungen des pseudo-klassischen Geistes und der herrschenden Ideologie Luftgebilde, welche die Probe der Erfahrung nie bestanden haben und bestehen konnten. Am revolutionärsten waren diese Anschauungen die Kritik nur nach allgemeinen
auf
dem Gebiete
der socialen und staatlichen Wissenschaften
;
sie
fanden in Rousseau ihren beredtesten Vertreter, dessen Lehren von der Verwerflichkeit der Civilisation überhaupt, von der angeborenen
Güte des Menschen, der absoluten Freiheit und Gleichheit derselben von den höchsten
Wie
bis in die untersten
Schichten der Nation drangen.
aber konnte es geschehen, dass einer Nation, deren ganze
gesellschaftliche Gliederung durch
ja verbrecherisch bezeichnet wurde,
diese
zugeführt, sondern auch begierig von ihr
den
unteren Klassen
ist
Lehren
unvernünftig,
Kost nicht nur verschlungen wurde ? Von
verständlich.
es
als
diese geistige
Wo
bleiben
aber
der Boden entzogen werden
sollte,
auf dem allein
sie ihr
die
denen
oberen, jene Verweichlichten, Geniessenden, Arbeitsscheuen,
üppiges
Leben
führen
reicher
und witziger Darstellung widerstandsloser hin als das franzöWitzig und geistreich war aber die Aufklärungsliteratur.
sische.
Sie
diente
konnten
wie alles Diese
?
Kein Volk giebt
andere
sich
zur Unterhaltung
dem Reize
einer
geist-
unthätigen
und Regierung keinen Theil. Ohne thätiges Interesse an ohne Liebe und Achtung für sie, wurde sie zu einem unzu-
Aristokratie.
hatte
an
der
Arbeit
der
despotischen
centralisirten ihr,
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Die französische Revolution.
286
ewig krittelnden Publicum.
friedenen,
des Adels
Die Opposition
gegeu die Regierung wurde immer heftiger, je schroffer der Widerspruch der humanitären Anschauungen des Zeitalters zu dem ganzen
Charakter der absoluten französischen Monarchie hervortrat.
Alle
Schuld und Verantwortung wurde auf die Krone und die Minister gewalzt.
Selbst lebte
man
Anwandlungen, wollte
in sentimentalen
gern alle Welt beglücken, aber von den süssen Gewohnheiten des eigenen Daseins auch nicht eine aufgeben.
daran dachte niemand.
lungen verpflichten,
lichem Ernst verschloss
eine furchtbare Waffe in die
Es klärung
ist
gegen
wenigsten
mit
bekannt,
sie
Hand geben welcher
weil
dass
Einsicht,
einem erbitterten Volke
spielte,
konnten.
Feindseligkeit
sich
wandte,
positive Christenthum
jedes
deshalb,
vor der
die Gesellschaft
mit denen
dieselben Lehren,
Dass Worte zu HandDer Mangel an sitt-
das Christenthum Pflichten
die Auf-
zum
nicht
die
fordert,
Betonung der Rechte aber dem Geschmack der Zeit weit mehr zusagte. Nun handelte die gesammte Staatsphilosophie des vorigen Jahrhunderts nur von den Rechten des Individuums; andererseits kannte die feudale Staatsanschauung nur Rechte der Privilegirten.
Also weder die Neuen noch die Alten redeten
So
von Pflichten.
kam es, dass sich zur Aufrechterhaltung einer gegebenen Ordnung um ihrer selbst willen niemand für verpflichtet hielt. Und das war es, was auch die Haltung der Mittelklassen bestimmte. Der dritte
Stand hatte im
gespielt.
Er nahm
den Adel
stellte,
Im
18.
17.
Jahrhundert so gut wie gar keine Rolle
die sociale
als
Rangordnung, welche ihn
etwas Gegebenes,
unter
Jahrhundert ging aber eine grosse Veränderung mit ihm
Das Merkantilsystem Ludwigs XIV.,
vor.
tief
als selbstverständlich hin.
indirecten
und
Steuern
die
ewige
die
Verpachtung der
Geldbedürftigkeit
schwenderischen Hofes waren schliesslich
nur
eines
ver-
der Bourgeoisie
zu
war wirklich reich geworden, die einzige Bevölkerungsklasse, welche Grund hatte, mit den materiellen Ergebnissen der Bourbonenherrschaft zufrieden zu sein. Mit dem Reichthum wuchs ihre Bildung. Diese wurde auch aufgeklärt und streifte alle ehrwürdigen Vorurtheile ab. Bald war sie oppositionell man verlangte sociale Gleichstellung mit dem Adel; vor gekommen.
gute
Sie
:
allem aber Garantien für eine vernünftige Finanzwirthschaft Millionen hatte der Staat von ihr geborgt,
wurde
das
Capital
in
den
Händen
der
denn und immer unsicherer verschuldetsten
;
aller
Monarchien, an deren Spitze gewissenlose Finanzkünstler standen.
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Die französische Revolution.
287
Den Ansprüchen der Bourgeoisie kam nun keine Lehre so entgegen, wie die Philosophie Rousseaus,
des Apostels
der Menschenrechte.
Gestützt auf seine Lehren, bezeichnete sich der dritte Stand schlecht-
weg als die Nation denn der dritte Stand umfasste 9 »/ioo derselben. Wie konnte man ihn da nur eine Klasse nennen? Man leugnete ;
die
Berechtigung
man
Staates;
Einwurf,
historisch
aller
zählte die Menschen,
dass
die
gewordenen anstatt
unbedingte Herrschaft
sie
des
Der
aus der
der Majorität
Nation eine Horde mache, fand taube Ohren. heit
Organisation
zu schätzen.
Freiheit und Gleich-
waren hier nicht mehr aristokratische Redensarten, sondern
mit leidenschaftlicher Heftigkeit gestellte Forderungen. Staatsrechtlich gehörte
Die Bourgeoisie
Volk.
schaft mit demselben.
zum
dritten Stande auch das gemeine
fingirte freilich
Kaum
aber
trat
auch eine Interessengemeindie ersehnte Freiheit
und
Gleichheit ins Leben, so sonderte sich das Volk als vierter Stand
von keiner anderen Regung gedem Hasse gegen jeden Höhergestellten und besser Situirten und dem Verlangen nach gleichem Besitze. Um das Volk für seine nächsten Zwecke zu gewiunen, mussten die Führer des
von den besitzenden Klassen ab, trieben
als
dritten Standes dieselben zündenden Schlag worte in dasselbe werfen, die das revolutionäre Feuer auch in den höheren Schichten zum Ausbruch gebracht hatten. Das aber geschah erst im letzten Stadium der allgemeinen Auflösung. Erst wenn man die Einwirkung des Rationalismus und der Humanität, welche das Jahrhundert bewegten, auf den social und moralisch bankerotten Staat
erwägt, lich,
wird
auch
seine politische Auflösung begreiflich, begreif-
wie der Monarchie eine Waffe nach der anderen
in
Hand
der
zerbrach, mit welcher sie bisher ihren Bestand geschützt hatte oder
Fortdauer verbürgen wollte. Mit Ludwig XVI. kam die Humanität des Zeitalters auf den französischen Thron. Seine wohlwollende Regierung war eine Kette von Reformversuchen, die
ihre
alle
an
der
Unfähigkeit
der
diesem Monarchen verkörpert
Regierungsorgane sich
die
scheiterten.
In
politische Unfähigkeit der
letzten Zeit des ancien regime der humanen Gesinnung fehlte ebensowol die Klarheit des Urtheils als die Energie des Handelns. ;
So wurde in einer
die
denn
die Auflösung
unvermeidlich.
Wir erkennen
Reihe deutlich wahrnehmbarer Thatsachen.
Regierung der zügellos entfesselten Presse gegenüber machtlos.
Die bisher streng gehandhabte Censur versagte ihren Dienst, die
sie
Zunächst war
Censoren und die Regierung
selbst von den
Gedanken
seil
erfüllt
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288
Die französische Revolution. gegen die
waren,
sie
kämpfen
sollten.
Rückhalt in der öffentlichen Meinung
Um
Reformen einen
ihren
und die Selbstsucht der privilegirten Klassen, die sich gegen jede Reform auflehnten, blosszustellen, veröffentlichte die Regierung selbst Flugwelche
und Berichte,
schriften
die
zu sichern
Aufregung steigerten
und die
revolutionäre Gesinnung schürten.
In diese allgemeine Gährung der Geister
welche
1787 eine Reform, neue Grundlagen lichen
zu
stellen
Meinung weichend,
der Intendanten
fiel nun im Jahre Verwaltung des Königreiches auf unternahm. Dem Druck der öffent-
die
entschloss sich die Regierung, die
wesentlich
zu
beschränken,
Macht
Verwaltung der
die
Provinzen und ihre fiscalischen Interessen der Nation selbst anzu-
Kaum
vertrauen.
die
traten
neuen Provinzialversammlungen, in
denen die Vertreter des dritten Standes gemäss
den Forderungen
der Zeit den überwiegenden Einfluss hatten, zusammen, so begann
Die Macht der Intendanten, so weit
die Auflösung.
zustand,
gesetzlich
konnte nicht
war
geschaffen
völlig
gelähmt;
werden,
eine
da die Voraussetzung,
Stände würden einträchtig zusammenwirken, nicht suchte
die
ihm
in
theile auszubeuten,
den Schoss gefallene Freiheit jeder suchte
noch Verwaltung
sie ihnen
neue
die
eintraf.
drei
Jeder
zu seinem Vor-
durch Vorspiegelungen und Ver-
Masse des Volkes für sich zu gegekommen, mit der Durchführung der Die radicalsten Rousseauschen Theorien den Anfang zu machen. Aufregung der Wahlen zu den Provinzialversammlungen gab zum ersten Mal ehrgeizigen Strebern, Winkeladvocaten und obscuren Schreibern ein weites Feld agitatorischer Thätigkeft, die nur den Umsturz des Bestehenden im Auge hatte. Das morsche Staatsgebäude ging überall aus den Fugen. Mit dem Aufhören jeder ordentlichen Verwaltung begann auch die Steuererhebung, welche die Intendanten bisher hart und grausam, aber wirksam geleitet führungskünste
aller
winnen.
Die Zeit
hatten,
zu stocken.
Art
die
schien
Und das zu
einer Zeit,
Staat zu den verzweifeltsten Mitteln
griff,
da
um
der verschuldete seine
finanziellen
Die offenbare Anarchie musste eintreten, wenn auch die bewaffnete Macht zerfiel und die Rechtsprechung Bedürfnisse zu decken
aufhörte.
Beides trat
!
ein.
Noch unterhielt Frankreich eine grosse Armee von 150000 Mann. Aber gerade da, als die Monarchie in ihr die letzte Stütze zu sehen gezwungen war, zeigte es sich, dass sie es nicht mehr war. In der Armee spiegelte sich die sociale Rangordnung des
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1
280
Die französische Revolution.
Eine unüberbrückbare Kluft trennte
Frankreich wieder.
offiziellen
von der Mannschaft
die adeligen Offiziere
;
jene waren
vom Staat
46 Millionen; diese darbten im grössten Elend. Der Unterhalt der Soldaten kostete nur 44 Millionen. Aufgeklärt, kränkelten auch die Offiziere an der humanen Bildung und Anschauung eines Zeitalters, dem Blutvergießen schrecklicher war als Zuchtlosigkeit. Den Soldaten blieb die politische Geüberreich ausgestattet, sie bezogen
sinnung ihrer Vorgesetzten nicht verborgen. im selben Masse den Gehorsam, der Regierung
zu räsonniren begannen.
einer Autorität
war
in
ist,
dort,
wo
Sie
wie diese über
ihnen
versagten
den Despotismus
Die unbedingte Geltung
der Grundpfeiler jedes Erfolges
sie
der Armee, nicht weniger in Frage gestellt als im übrigen
Es
Frankreich
ist
dass
bezeichnend,
die
Armee
in acht
Jahren
60000 Mann an Deserteuren einbüssen konnte. Laut erklärten die Soldaten, gegen das Volk, ihre Brüder, würden sie nicht kämpfen. Schon mehrere Jahre vor 1789 konnte die Regierung nicht mehr wagen, ihre Befehle
tiberall
durch die Bayonnette zu unterstützen.
Und doch reizte jede Kundgebung der gesammten Bevölkerung.
Von
Schwäche den Widerstand
jeher hatten die zwölf obersten Gerichtshöfe der Monarchie,
Parlamente,
die
ihrer
beansprucht,
mehr zu
sein,
als
waren.
sie
Die
Pflicht der Registrirung königlicher Gesetze suchten sie durch Ver-
weigerung derselben in thatsächliche Mitwirkung an der Gesetzgebung zu verwandeln. Königlichen Machtsprüchen gegenüber
immer nachgeben müssen. Aber die Opposition war selbstsüchtig und engherzig. Auf die Erhaltung des Privilegienstaates kam es ihm an. Als nun die Rehatten sie
bisher
dieses Richteradels
Hand
gierung
an
denselben
Gerichtsreform begann, alle
legte,
konnte
eine
grossartige zeitgemässe
das pariser Parlament
es
wageu,
Gerichtshöfe des Landes zur Einstellung ihrer Thätigkeit aufso dass monatelang die Rechtsprechung vollständig auf-
zufordern,
Das geschah unter dem ermunternden Zuruf der ganzen
hörte.
So verkehrt waren
Nation.
die Verhältnisse, dass die Vertheidiger
des verrottetsten Feudalsystems als die Helden der Freiheit gefeiert
werden konnten. Adel, Bürgerliche und Volk schaarten weise räthe. in
um
sich gleicher-
wegen ihres Widerstandes gemassregelten ParlamentsDarüber brachen in mehreren Provinzen Aufstände aus, so die
der Bretagne,
äussersten
in
Mittel
der Dauphin^.
greifen
,
Hess
sie
Die Regierung musste marschiren.
Die
zum
Soldaten
weigerten sich zu kämpfen; sie schämten sich Schergendienste für ßaftiadw HftnfttnekrifL
Rd. XXXVI, Haft
4.
21
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Die französische Revolution.
290
den Despotismus zu thun.
Da
ständischen Pöbel.
Wie im Triumph
Offen
fraternisirten
mit
sie
dem
auf-
verzichtete die Regierung auf jede Reform.
kehrten die Parlamente zu ihrer alten Thätigkeit
Das geschah in den Jahren 1787 und 1788. Seitdem kam das Land nicht mehr zur Ruhe. Die allgemeine Anarchie war eingetreten. Die Zahl der Erneuten des aufgereizten, dazu durch Hungersnöthe gepeinigten Volkes war endlos; fast keine Die Banden der Räuber Provinz wurde von denselben verschont. und Vagabunden aller Art mehrten sich so, dass ihnen fortwährend Monate vor dem pariser Schlachten geliefert werden mussten. zurück.
Bastillesturm hatte die Sicherheit des Eigenthums,
auf dem Lande so gut wie aufgehört.
Es gab
ja
•
des Lebens
thatsächlich
keine
Regierung mehr. II.
So
im Frühling d. J. 1789 die itols und sich zur Nationalversammlung erwirklichen Zustande Frankreichs änderte sich
die Dinge,
lagen
als
generaux zusammentraten klärten.
An dem
Die Unordnung
zunächst gar nichts Wesentliches. grösser, die Geldnoth
welchen die
alten
nahm
zu,
und der
Gewalten noch besessen
Der
reissender Schnelligkeit dahin.
wurde immer
Rest von Autorität, schmolz mit
hatten,
lehrreiche Versuch
macht, die Ideen des contrat social in
einem Volk mit
letzte
wurde
alten Monarchie,
einer
gebei
Leben treten zu lassen. An die Wahrheit dieser Ideen glaubte man, ebenso an die Güte der menschlichen Natur wie sollte man an der Durchführbarkeit derselben zweifeln So wurde eine Reihe allgemeiner Grundsätze unter dem Namen der Menschenrechte zum Gesetz erhoben, reichen
einer
Geschichte
ins
;
!
man auch nur
bevor
entfernt darüber einig war, welchen Inhalt die
Einzelbestimmungen der Verfassung haben würden.
Die Menschen-
rechte proclamirten nicht nur die Souveränität des Volkes, sondern
auch die des Individuums.
Sie
gaben jedem einzelnen Franzosen
jeder staatlichen Ordnung sie sanctionirten die Anarchie, welche die Frage zu stellen letzten Jahre über geherrscht hatte. Die Menschenrechte wurden
die
Befugnis,
die Rechtsbeständigkeit
in
;
in ihrem vollen
Umfang zum
unveräusserlichen Besitz jedes Fran-
zosen erklärt; aber jeder Punkt der neuen Verfassung, welche die
Nationalversammlung anfertigte, setz,
widersprach
denn jede Verfassung, so radical
sie sein
ihrem
hin die
Unterordnung unter einen fremden Willen
rechte
schlössen
dieselbe
aus.
obersten Ge-
mag, fordert immer;
die Menschen-
Die Menschen rech te
als
Gesetz
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Goog
291
Die französische Revolution. von
machten
vornherein
dauernde Reform
jede
um
neue Verfassung trat ins Leben,
Die
unmöglich.
bald wieder zu verschwinden,
Die Wiederaufrichtung gelungen. Die Hats gencraux sollten einer rathlosen Regierung den Weg zur Herstellung eines gesunden Finanzwesens zeigen; die Revolution schritt darüber hinweg sie bereicherte den Staat durch einen ungeheuren Raub an dem Vermögen der Kirche und des Adels, um dieses Capital in wenigen Jahren bis auf den letzten Heller zu verzurückzulassen, schleudern und die ganze Nation in einer Armut gegen welche das Elend der ländlichen Bevölkerung unter der Monarchie im Lichte befriedigender Wohlfahrt erschien. Man alle folgenden.
und ihr Schicksal theilten
des Staates ist
der Revolution
keinem Punkte
in
;
Ii
glaubte
in
Frühlingstagen
den
Revolution, das
der
glücklichen Zukunft gehe über
einer
dem
Morgenroth
befreiten Vaterlande auf,
ewigen Friedens, ruhigen Geniessens, der Bildung,
das Zeitalter des
Tugend und Nächstenliebe, der allgemeinen Wohlfahrt sei gekommen. Statt dessen wurde das Christenthum verfolgt, die Schulen
der
ein allgemeiner Weltkrieg entzündet, der 25 Jahre Europa verwüsten sollte die Umgangsformen wurden roh and frivol, Habsucht und Genusssucht, jedes Zügels ledig, feierten geschlossen,
hindurch
;
schamlosesten Orgien,
ihre
banden,
der Bürgerkrieg
das
Land bedeckte
loderte
Handel, die Gewerbethätigkeit
hörten
Bebauung
schliesslich
der Felder
musste
Todesstrafen erzwungen werden.
mit Räuber-
sich
allen Provinzen
in
Als die
empor,
wie ganz auf
so gut
;
der die
Androhung von Nation nach dem Taumel unter
dieser
wilden Jahre wieder zur Besinnung kam, fand sie alles zer-
stört,
was
bis dahin ihre
durchschnitten,
welche
Chaos von Trümmern,
ausgemacht
Eigenart
sie
an
unter
ihre
dem
Im
Zerstören
alle
Bande
erschöpfte
ein
Faule und Schlechte, aber
alles
auch alles Lebensfähige und Brauchbare
graben lag.
hatte,
Vergangenheit knüpften, der
alten Monarchie be-
die Revolution
ihre
ganze
Kraft; unbarmherzig strafte sie die Sünden der Vergangenheit, für den
Wiederaufbau hat
alten
sie nichts gethan,
aus den
Trümmern
des
Frankreich kein lebensfähiges Gebilde zusammenzuschweissen
vermocht.
Revolution
Das neue Frankreich erstand erst, als dem Soldatenkaiser den Platz räumten.
die
Helden der
Ist es aber auch nur denkbar, dass alle jene furchtbaren Kämpfe und Erschütterungen, welche ein bildungsstolzes Geschlecht und ein reizbares Volk heimsuchten, ohne jede bleibende Frucht für eine glücklichere Gestaltung der Zukunft gewesen sein können ? 21*
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Die französische Revolution.
21)2
Gewiss
A
nicht.
der die Begeisterung
Besten
der
man annehmen müssen,
jniori wird
gewaltige Erhebung einen Zeit
für
positiven Gehalt dieselbe
rechtfertigte,
und ausserhalb
inner-
wurden, auch dann noch, als
dass eine so
haben
gehabt
von
Frankreichs
sie bereits ihre blutige
muss,
welcher die hingerissen
Kehrseite dem
bestürzten Europa zuwandte.
Was gebildete
ihr erwartete,
das Facit aus der geschichtlichen
was
und
die Revolution eigentlich erstrebte
Welt von
die
ganze
dem Versuch zu sehen, Entwicklung seit dem 16. Jahrin
ist
hundert nun endlich zu ziehen, das gewaltsam und von unten her-
auf ins Leben einzuführen, wozu die Menschheit durch alle Kämpfe und Erschütterungen der letzten Jahrhunderte herangezogen und herangebildet war, worauf die Voraussetzungen unseres modernen
Lebens
beruhen und das durchzuführen die alte Staatsordnung sich unfähig
Es handelte
erwiesen hatte.
sich
um
die Verwirklichung der Rechts-
überzeugungen, welche damals nicht nur in den Franzosen, sondern
auch
in
der
übrigen
ungehemmt durch setze
seiner
:
um
waren,
Natur,
sowie
um
für
um
Menschen,
Bande und getragen durch
sittlichen
Gewährleistung einer solchen Entwickelung
Es waren
mächtig
die Entfaltung des vollen
willkürliche
eigenen
Europas
Gesellschaft
Freiheit und Gleichheit
die
Ge-
rechtliche
die
jeden Menschen.
man
seit Luther auf und geistigen Lebens gestritten und Der schmähliche Misbrauch, welcher seit 1789 mit
die höchsten Güter,
welche
für
allen Gebieten des staatlichen gelitten hatte.
den Worten Freiheit und Gleichheit getrieben leicht
mit
worden,
Beigeschmack von Bitterkeit
einem
und
lässt
uns
Verachtung
Wir vergessen dabei, dass jede grosse Reform, vom Thron, aus der Stube des Gelehrten oder vom Volke
ihrer gedenken. sei sie
ausgegangen,
in
der Befreiung
Mittelalters bestanden
hatte
und
von
um
den
beengenden Fesseln des
so grösser war,
je weitere
gemacht werden konnten. Vom Kampfe gegen die willkürlichen Satzungen der katholischen Kirche ging Luthers Thätigkeit aus, und auf den Kreise des Volkes
ihren Segnungen
zugänglich
Grundsätzen der Reformation erwuchs die Gewissensfreiheit, welche
England zuerst gefordert und in Preussen zuerst durchgeführt worden ist. In Kunst und Wissenschaft bricht sich derselbe Gedanke der Freiheit von überlieferten Formen Bahn Schönheit und in
;
Wahrheit werden zu leitenden Grundsätzen die Unverbrüchlichkeit autoritärer Satzungen erhält einen Stoss nach dem anderen. Dann treten die Fürsten Europas zuerst in Frankreich, in noch höherem ;
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Die französische Revolution. Siune in Preussen
ökonomische,
an
293 welche
die Spitze aller Bestrebungen,
und gesellschaftliche Leben
politische
zur freien und ungehinderten Entfaltung bringen sollen. liche
Wohlfahrt wird
ganz anderem Sinne
in
Gedanke der Regenten und Minister.
das
ihrer Völker
Die
öffent-
als früher der leitende
Freiheit
der Gewissen und
Gedanken, Entfesselung der wirthschaftlichen Kräfte, Beseitigung aller todten Formen, die keinen echten Nutzen brachten, Freiheit der
Rechtssicherheit der Person und gleiche Rechtsfähigkeit für jeder-
—
mann
das waren die Ideale der Zeit.
diese
Forderungen
mehr
zum Gemeingut
radicaler
heftiger,
In keinem Lande waren
Frankreich.
Verkündigung der
als eben
und einer herrschenden Kirche gethan
fortschrittlichen
;
und humanen Gedanken des
den Widerstand der staatlichen Censur
Zeitalters stiess auf
zählige feudale
weniger
Gesetzlich war die Nation unter die Gebote einer
veralteten Staatsanschauung die
und
der Nation geworden als in Frankreich, und
nirgends entsprach ihnen der wirkliche Zustand in
worden
ausgesprochen
;
un-
Formen, an deren innere Berechtigung kein Mensch
mehr glaubte, drohten den völlig veränderten Inhalt des nationalen Lebens
zu
ersticken
;
der Absolutismus
der Krone
und die All-
macht des Beamtenthums konnten sich über jedes bestehende Recht hinwegsetzen,
hatten
in
unzähligen Fällen
Eigenthum des Bürgers bedroht in
subalternen Stellungen,
;
weil
ihre
Freiheit
was im Sinne der Zeit geschah,
niedere Geburt
boten.
Um
doch
welche
mit
so schlimmer,
überall
Bahn
einem
Wünsche zu bringen
war im
dass es sich brach.
Schlage
die
Wie
officiellen
und
verkümmerten
Fähigkeiten entsprechenden Wirksamkeit hinderte.
ihren
setz
Leben,
die tüchtigsten Kräfte
sie
au einer
Fast
alles,
Frankreich ver-
im Widerspruch zum Gesollte
Erfüllung
nun eine Bewegung, der
heissersehntesten
schien, nicht den lautesten Widerhall überall
wo noch Begeisterung für die echten Ziele menschlichen war Und keiner, der heute, wo uns die Geschichte jener Tage fast bis in ihre geheimsten Triebfedern hinein offen vorliegt, die ersten Wochen der Revolution betrachtet, wird aich einer warmen und aufrichtigen Theilnahme erwehren können. da wecken,
Strebens zu finden
!
Im Wesen dieser Revolution, die
mit solcher Hingebung
und Be-
unternommen wurde, hat es nicht gelegen, dass sie den furchtbarsten Jammer, den je ein Volk erduldet, über Frankreich brachte. Der Sturz des Feudalstaates, wie er im Jubel jener Augustnacht vollendet wurde, war ein Ereignis, das einen unermesslichen Schatz reicher Früchte in seinem Schosse barg und das
geisterung
294
Die französische Revolution.
an sich so wenig für gemacht werden kaun,
die Schrecken
wie jede
der Folgezeit
grosse Idee
verantwortlich
den Misbrauch,
für
der mit ihr getrieben wird.
Warum war es Warum
Frankreich aber nicht vergönnt, diese Früchte
zu ernten?
Nation
plötzlich
mussten fast alle die Segnungen, den Schoss geworfen
in
schienen,
welche
der
wieder ver-
kümmern, ja grossentheils wieder vernichtet werden woher das entsetzliche Fehlschlagen der grössten und berechtigtsten Hoffnungen ? Die Antwort darauf giebt uns die Betrachtung des vorrevolutio;
—
Die Revolution musste scheitern, weil die Nation
nären Frankreich.
mit einer alles überwuchernden Unsittlichkeit
Nie hat
eintrat.
ein
Charaktere verfügt.
Volk
in
diese
Bewegung
über weniger
Ein Lieblingswort der Aufklärung, die Tugend,
von der alle Reden der Revolutionsmänner
und wo
so gut wie gar nicht zu finden, sich breit machte,
in
grossen Zeit
einer
wurde
ihr
trieften,
war im Leben
sie stolz einherschritt
Werth zu Grunde
und
gerichtet durch die
masslose Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, mit welcher
man
sie
zur
waren nicht nur sittliche Defecte, welche die Revolution von ihrem Beginu an in falsche Bahnen drängten, sondern auch der Mangel politischer Einsicht und staatsmännischer Begabung ihrer Führer. War aber die politische Unfähigkeit fast aller Kreise und fast aller Personen ein bedauerlicher Zufall, der gerade in dieser Zeit den Franzosen den Segen grosser PersönlichSchau trug.
Freilich, es
keiten versagte?
Ich
doch nicht;
glaube
hing das eine
vielmehr
dem anderen ursächlich auf das engste zusammen. An Talenten hat es dem Anfklärungszeitalter wahrlich nicht gefehlt, und mit
mit
der Theorie des Staatsrechts und der Politik beschäftigte sich jeder-
mann.
Zum
praktischen Staatsmann gehört aber mehr als beides
ausdauernde Arbeitskraft, gerichtet,
Gründlichkeit
ein
—
und Sachkenntnis
:
auf bestimmte Ziele
ernster Wille,
kurzum, Charakter-
eigenschaften, ohne welche auch das Genie nichts vor sich bringt. Soll aber die
Masse der Bürger
wohl betheiligen, liche sein, ist.
wenn
Wie war
sich an der Arbeit für das GemeinMitwirkung nur dann eine gedeiheiner selbstlosen Hingabe an das Ganze fähig
so wird ihre sie
es in Frankreich damit bestellt ?
dem
Staates ein wohlmeinender König, liclien
und nothweudigen Entschlüsse
An
der Spitze des
die Kraft zu
fehlt
;
jedem raäun-
die Minister
auf Er-
haltung ihrer Macht bedacht, bald nach Popularität haschend, bald
vom engsten Standesbewusstsein und neben und
nach
ihnen
erfüllt,
treibt
schwankend, ohne Halt
die Flut der Revolution
einen
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Die französische Revolution. nach
dem anderen
in die
Höhe,
ohne jedes Gefühl
der
um
antwortlichkeit opponirt, intriguirt und wühlt,
zu gelangen,' und der,
zur Macht gekommen,
schlecht hält,
derselben
unter
sich
in
295
kein Mittel
behaupten.
zu
der Ver-
selbst zur
Macht für zu
Nicht einer
ist
während der Revolution Grösse uns Bewunderung, ja auch
die Frankreichs Geschicke
ihnen,
geleitet haben, dessen sittliche
nur Achtung abnöthigte.
wenn wir das Verhalten der fassen ? Von der Masse der Abgeordneten lässt sich sagen, dass sie momentaner Begeisterung fähig waren die Abschaffung der Feudalrechte war die That Fällt das Urtheil günstiger aus,
Kammern
oder des Volkes selbst ins
Auge
;
einer unverfälschten Begeisterung
Muth
;
die nachhaltige Energie
der Ueberzeugung fehlte den meisten.
thaten der pariser
Commune,
und der
Gewiss, die Schreckens-
die rohen Volksaufstände, die Greuel
waren das Werk einer gewalttätigen Die überwältigende Mehrheit der Nation hat an ihnen keinen Theil genommen. Um so beschämender
des Wohlfahrtsausschusses, sie
und wohlorganisirten Minderheit. für ein grosses
Volk,
dass
duldig ertrug.
Wenn
es
zum Kampf gegen
diesen Terrorismus Jahre lang ge-
es
gelang,
nicht
die
Freunde der Ordnung
Machthaber zu verwenn die Zusammensetzung der Legislation uud des Convents den Gesinnungen der meisten Franzosen keineswegs entdie Tyrannei
der
pariser
einigen, oder
sprach, an
wem
lag die Schuld,
als
an den Franzosen
selbst,
die
aus Gleichgiltigkeit oder Furcht an der Wahlurne nicht erschienen
und freiwillig das Land
denen auslieferten,
von
deren Wirksam-
Die Mehrmehr und mehr unter das eiserne Joch des Pöbels, der von den Gallerien her brummte und lärmte keit sie das
Verderben
des Vaterlandes befürchteten ?
zahl der Abgeordneten beugte sich
sie
stimmte, wie es der herrschenden Partei beliebte, uud nicht der
jener unheilvollen Beschlüsse wäre gefasst worden, wenn die Mehrheit den Muth gefunden hätte, in Rede und Abstimmung ihre Ueberzeugung zu bekennen. Nun wird ja mit Recht eine ganze Anzahl von Beschlüssen, welche gleich zum Beginn der Revolution gefasst wurden und ihr sofort eine so verhängnisvolle Wendung gaben, dem Mangel politischer Einsicht unter den Abkleinste Theil
geordneten zugeschrieben, der Herrschaft der gedankenlosen Phrase
auf welche alle Welt Wird Frankreich dadurch von dem Vorwurfe der Schwäche und Oberflächlichkeit entlastet ? Wären
und der zündenden Kraft der Schlagworte,
schwur,
ohne
sie
zu
verstehen.
Gründlichkeit, Wahrheitsliebe
und Energie
in
höherem Grade
zu
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29G
Die französische Revolution.
Verblendung
finden gewesen, nie hätte die
der Abgeordneten
der Nation dieses ans Unglaubliche streifende Mass erreicht.
dem äusseren
Pflicht ernster Prüfung, der Unterscheidung zwischen ,
dem Wesen der Sache
Schein uud
wie
in der
—
wurde sowol
sie
und Die Paris
in
Provinz nur vereinzelt geübt.
Aus der Masse der Abgeordneten ragte einer hervor, der sich durch Kraft des Geistes und Staatsmann ischen Scharfblick bleibenden
Ruhm
war
Ihm
erworben hat: Mirabeau.
Muth zum Handeln
noch der
kraft,
;
fehlte
weder die That-
seine feurige ßeredtsamkeit
echt und von unwiderstehlicher Wirkung.
In ihm verkörpert
sich das damalige Frankreich, sein Lebenslauf spiegelt die Geschicke
desselben
Mann,
Nichts
wieder.
Hände
in dessen
zu Grunde ging.
in
bezeichnender,
als dass dieser
zu seiu
eigenen sittlichen Verwahrlosung
Alle Schäden
der despotischen Monarchie hatte
er an seinem eigenen
gegangen bald
aber
seiner
an den Folgen
schienen,
ist
die Geschicke Frankreichs gelegt
durchkostet;
Leibe
sein
war dahin-
Leben
schrankenloser Ungebundenheit, bald in der Haft
der Staatsgefängnisse.
Mit allen Vorurtheilen und jedem Glauben
hatte er gebrochen,
dem
Raum seine
mehr. Zeit
auch ihn
Da
in
alten Frankreich
brach die Revolution
gekommen.
Wiedergeburt
-Die
verjüngen, ihm,
sittlich
aus,
,
war
und
ihn
für
nun
des Vaterlandes
im Dienste des Vaterlandes zu entfalten. wechselvollen
Stürmen
seiner
wüsten
seine Vergangenheit Hess ihn nicht los.
Fersen und hemmte ihn
Er
reich noth
that.
Regierung.
wusste.
In
in
Jugend
nun endlich
Sie hängte sich
Aber
an seine
den entscheidendsten Augenblicken seiner
was
ihm
So sehr er
Gaben
Ihn dürstete danach, aus
seinem Leben einen reicheren und reineren Inhalt zu geben.
Thätigkeit.
sollte
dem Ehebrecher und Meineidigen,
die Möglichkeit gewähren, an der rechten Stelle seine reichen
den
kein
glaubte er
er wollte, und er wusste,
lebte
die alte
abscheute er jede Anarchie
das Ideal
einer
Ordnung hasste, Nachdem
im Staate.
was Frank-
constitutione! len so
grimmig ver-
er
den
dritten
Stand zur Revolution fortgerissen, den Widerstand des Königs und der Aristokratie gebrochen hatte, forderte er vor allen Dingen eiue starke Regierung
als
den
wesentlichsten Bestandteil
der
neuen
Verfassung, er warnte vor der überstürzten Erklärung der Menschenrechte, verspottete den thörichten
auf den Trümmern
der Ordnung
Versuch, Freiheit und Gleichheit
Aber wie er nur gewonnen hatte, um, zurückgestossen von seineu Standesgenossen, in Aix sich um ein durch einen schmutzigen Handel
zu etabliren.
die Mittel
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Die französische Revolution.
297
Mandat
des
früherer
Lebenswandel auf Schritt und Tritt durch das Mistrauen,
mit
dritten
Standes
bewerben,
zu
rächte
so
sich
sein
dem man dem grossen Revolutionär begegnete und das seinen Es ist bekannt, wie seine Geldverlegenheiten zwangen, eine Pension vom Hofe zu nehmen. Wol hatte er
Einfluss untergrub. ihn
sich nicht verkauft, er Hess sich seine
mit seiner Unabhängigkeit,
war
ruhten,
mit
welcher
welche
Weg
erlitt,
Dienste nur bezahlen, aber
bis
um
seiue Erfolge
dahin
ebenso wie mit
unbekümmert
er,
durch
er
zum Hofe
doch vorbei,
es
Parteien, seinen
auf der
das Geschrei
gegangen war.
hielt.
hadernden
der
Die Einbusse an Popularität,
immer offenkundiger werdendes Verhältnis
sein
suchte er durch doppelt revolutionäre Reden wieder
mehr aus Ueber-
einzubringen, die er aus kluger Berechnung, nicht
zeugung
be-
der Unbefangenheit,
Der Hof nahm
daran Anstoss
Widerwille
der
;
Königs gegen den Atheisten und Wüstling steigerte sich, je mehr Mirabeau, seit ihm die Geldquellen reichlicher flössen, wieder des
in
die ausschweifenden
Gewohnheiten seiner J ugend zurückfiel
jeder Erfolg seiner Thätigkeit
war lahmgelegt.
So
;
—
starb er, auf-
gerieben durch sinnlichen Genuss und die innere Unwahrhaftigkeit
Lage,
seiner
in
der Erkenntnis,
dass
ihm
es
nicht möglich war,
den Strom der Revolution in das Bett zu leiten,
geben gemeint den
hatte.
Mirabeaus
ersten berauschenden Erfolgen
weil
schlagen,
er
trotz
das
er
ihm zu
ganze spätere Thätigkeit
war mit Unfruchtbarkeit
glänzender Fähigkeiten
des
nach ge-
moralischen
Uebergewichtes und darum des dauernden Einflusses auf die Leiter der Geschicke Frankreichs entbehrte.
So war
Was
die tüchtigste
Kraft der Revolution beschaffen.
Hess sich erst von der Anzahl
untergeordneter Geister
erwarten, die, alle in der gleichen Frivolität gross gezogen, ihren Geist nie in ernstliche
Zucht genommen hatten, mit ungeheurer An-
massung ihre Person in den Vordergrund alle
schoben und schliesslich und Robespierre den Platz räumten, Leben bedroht sahen. Heroismus wird man unter den
den Septembermördern
weil sie ihr
französischen
Volksvertretern
jener Zeit
selten
halten
war
fast
immer
wenn
rinden,
von ihnen auch anständig zu sterben gewusst hat
Theil
;
ein
ihr Ver-
ein unrühmliches.
So gewiss der Verlauf der Geschichte von der Wirksamkeit der in ihr thätigen Persönlichkeiten abhängt,
so gewiss fallen die
Thaten dieser führenden Personen auf die Gesammtheit der Nation zurück;
die
Verantwortung für
das,
was
in
dem Decennium der
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298
Die französische Revolution.
Revolution geschehen
kann unmöglich
ist,
hat das gesamnite Frankreich zu tragen; bluttriefenden Verbrecher
abgewälzt und durch faule Nation den freiesten Spielraum für ihre ungeheuren Gewalttaten eröffnete. Eben so unmöglich erscheint es aber, das Jahr 1789, in welchem
sie
werden,
welchen
auf die
die
sittlicht
durch
wenigstens Begeisterung und echter
von der Folgezeit
Schwung zu
zu verherrlichen.
Wer
finden
von
der
ist,
losgelöst
französischen
kann nicht nur ihren Beginn im Auge haben, und wer zu ihrem Andenken eine grossartige officielle Feier verRevolution spricht,
Denn
anstaltet, vergreift sich au der geschichtlichen Wahrheit.
bekennt, dass der Sturm auf die Bastille, der Versailles, die
Beraubung des Eigenthums
Septembermorde, die Ermordung
der
in
Zug
er
der Weiber nach
Stadt und Land, die
königlichen Familie, der un-
menschliche Bürgerkrieg und die Tyrannei des Wohlfahrtsauschusses, die ganze
und
materielle
—
nächste Resultat war
gewesen
bei
welche mit dem
sei,
wie
dies
sie
Wesen
1789 erhofft wurde
;
einem Volke, das den Massstab
die öffentlichen
loren
alles
eine
der Sache
welche das
äusserliche
hatte.
Zuthat
nichts gemein ge-
Mit der Idee einer Regeneration Frankreichs
habt habe. nicht,
moralische Verkommenheit,
dass
freilich
aber es war doch unvermeidlich sittlicher
Werthschätzung für
und einen grossen Theil privater Verhältnisse verDieselben
Menschenrechte,
deren
Proclamation
in
Nordamerika den Grund zu einem blühenden Freistaate legte, lösten den letzten Rest von Ordnung und Zucht auf, den sich die alte Mouarchie noch bewahrt hatte, nicht nur deswegen, weil in Nordamerika ein geschichtsloser Staat ins Leben trat, während auch das revolutionäre Frankreich mit allen Fasern an die Voraussetzungen seiner monarchischen Traditionen gebunden blieb sondern weil man dort von der neuen Freiheit und Gleichheit einen richtigen Gebrauch machte, während sie hier der Deckmantel für ;
—
die zügellose Entfesselung aller Leidenschaften wurde.
Uns Nichtfranzosen muss die Feier der französischen Revoludie Frucht einer ungeheuren Verblendung erscheinen. Zwei grosse Güter verdankt Frankreich dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts die Einheit der Verwaltung und die völlige Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Es kann keine Frage sein, dass der gewaltige materielle Aufschwung, den Frankreich in diesem tion
als
:
genommen hat, unter den revolutionären Zuständen undenkbar gewesen wäre. Der Handel war durch Monopole, Binnenzölle und eine Menge lästiger Beschränkungen nicht in der Lage, Jahrhundert
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299
Die französische Revolution. sich aber ein
gewisses Mass hinaus
das Kleingewerbe
und
zu
Die Industrie
erweitern.
Uebelständen
denselben
unter
litten
engsten zünftigen Interessen, Bevorrechtigungen
Art
aller
;
die
für be-
sondere Körperschaften, die Bevorzugung einzelner Industriezweige
lähmten die freie Entfaltung gewerblicher Thätigkeit, der der An-
Die Landwirtschaft, von welcher
sporn freier Concurrenz fehlte.
der grösste Theil der Bevölkerung lebte und
arbeitenden Klassen die Mittel darnieder.
Ein Viertel
auch
die
zum Unterhalt
pflugfähigen Bodens
des
den nichtlag
lieferte,
völlig
wüst
lag
;
der
Fruchtbau wurde nachlässig, ohne Fleiss und ohne Kenntnisse betrieben, ein unverhältnismässig grosser Theil der
Pächter und Bauern
wandte sich Nebenbeschäftigungen zu, die lohnender waren, als die eigentliche Landwirtschaft,
deren kärglicher Ertrag
und Herrenrechten aller Art
fast
von Steuern
Ein länd-
verschlungen wurde.
Ungeheure Latifundien, zum ganz kleinen Farcellen an arme Meier ausgethan,
licher Mittelstand fehlte vollständig.
grossen Theil in
und die winzigen Grundstücke der bäuerlichen Eigentümer standen unvermittelt
sich
anders geworden. befindet
sich
Eigentümer.
Das
gegenüber.
Die Hälfte
heute
in
des
ist
seit der
Revolution völlig
ehemaligen Grossgrundbesitzes
den Händen
fleissiger
Frankreichs Handel, Industrie
und
wohlhabender
und Bodenbau sind
durch eine zweckmässige, vernünftige Gesetzgebung
in erfreulichster
Weise entwickelt worden erst durch die revolutionäre Beseitigung aller hemmenden Schranken wurde dem staunenden Europa offenbar, über welche gewaltigen Hilfsmittel dieses reiche Land gebiete und wie viel seine fleissige Bevölkerung zu leisten vermöge, wenn es nicht geradezu gewaltsam in seiner stillen Culturarbeit gestört wird. Mit Stolz kann der Franzose auf die grossen und kleinen Strassen, auf die Canäle und die regulirten Flussläufe hinweisen, die sein ;
Vaterland durchziehen.
Ein
und unteren Klassen
an die Stelle des Elends, der Verarmung,
ist
behäbiger Wohlstand in
den Mittel-
der Uncultur des ancien regime getreten.
Das denkbar straft
Ideal
ist;
der Gleichheit
ist
verwirklicht,
so
weit
es
nur
kein hochgeborener Herr kann sich erdreisten, unge-
von der Canaille der Bürger und Bauern zu reden oder auf seiner Geburt in einer vornehmen
Grund des dummen Zufalles
Familie eine Stellung für sich zu fordern, ist,
besoldeten die
der er nicht gewachsen
deren Einkünfte er verzehrt und deren Arbeit er einem gering
Bahn
Plebejer überlässt.
Jedem Talent, jedem Verdienst
zu freier Entwicklung und Anerkennung
in
ist
weitesten
Digitized by
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300
Die französische Revolution.
Kreisen geöffnet.
Unzweifelhaft
das alles in dem
ist
Zu
möglich geworden durch die Revolution.
Umfang
erst
einer ruhigen, stetigeu
Relornithätigkeit erwies sich das alte Frankreich als durchaus un-
uud wenn auch eine weise, fürsorgliche,
fähig,
die
schreiendsten
Misuräuche
Rechtscontinuität Frankreich der
den
beseitigt
liberale
an
Regierung
Wahrung
unter
umgewandelt
einen Staat
in
wichtigsten Forderungen
— so
und
der
hätte,
modernes Staatsgebilde
ein
wäre der feudale Schutt nicht weggefegt worden; es wären noch immer eine Menge von Vorrechten und Beschränkungen übrig geblieben, die der Idee
entsprochen hätte,
radical wie heute
bürgerlicher Gleichheit mehr oder weniger widersprochen hätten.
Trotzdem
hat wol noch niemand die Behauptung aufgestellt,
dass der Zustand Frankreichs nach der Revolution zu irgend einem
Zeitpunkt ein befriedigender
gewesen
Unfriede,
Unruhe und
Ungewissheit sind der Preis,
um welchen Frankreich Ob ein Land sich in
seine revolu-
tionären Güter erworben hat.
sunden Verhältnissen bewegt,
ist.
politisch ge-
wird nie von der Beantwortung der
Frage nach dem augenblicklichen Stande der materiellen Cultur abhängen. Nicht das Behagen und die Freude der Bevölkerung an einem jeweiligen Zustande sondern die Gewissheit,
das Kriterium seines Werthes,
liefert
Gewähr
dass er die
und
seines Bestehens
die Möglichkeit friedlicher normaler Fortentwickelung in sich selber trage. büsst,
Diese Sicherheit hat Frankreich seit der Revolution einge-
und wird
sie in
einmal
mit
unerhörter Gewalttätigkeit
hinwegschritt und
Es
absehbarer Zeit nicht wiedergewinnen.
der Fluch der Revolution, dass sie sich verewigt hat,
sich auf
das
über
ist
seitdem sie
formale Recht
das
natürliche Recht
der Geschichte
Es wiederholt sich in was während der Revolution in der kurzen
und der Freiheit berufen zu können meinte. grösseren Zeiträumen,
Folge weniger Jahre geschah. ist
an die Stelle
Die Herrschaft wechselnder Parteien
der erblichen
höchsten Gewalt
eine dieser Parteien ist im Stande
stürzt
und
lässt
einen
sich
Bodensatz
lange
getreten
;
zu behaupten
misvergnügter
,
nicht ;
sie
frondirender
Elemente zurück, die nur auf den Augenblick warten, wo ein neuer Wechsel der Dinge sie wieder in die Höhe bringt. Keine Partei um auf die Dauer die anderen zu völliger Beist stark genug, deutungslosigkeit oder
zum Verzicht auf jeden Herrschaftsgedanken
Keine geniesst das Vertrauen des ganzen Landes; darum hat auch keine Regierung es wagen können, ihre Herrschaft zu zwingen.
auf die edlen Triebe der Nation
zu
gründen.
Das
erste Kaiser-
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301
Die französische Revolution.
reich
fand ein ermüdetes, sittlich verwildertes, materiell verkommenes
Geschlecht vor. eine
Es gewährte ihm einen
besseren Rechtsschutz,
zweckmässige Verwaltung und die Befriedigung seiner natio-
nalen Eitelkeit und seiner kriegerischen Leidenschaft, der einzigen,
dem Schiffbruch
welche die Nation aus
um
rettet hatte,
Masslose
idealsten
Güter ge-
Ruhm, Beute, Reichthnm und Orden
überspannen.
zu
ihrer
durch die Verwirrung aller Rechtsbegrifl'e ins
sie
winkten den Franzosen, sofern
sie
nur auf die Freiheit verzichteten.
Dann kam die restaurirte Herrschaft der Bourbonen, welche nur möglich wurde durch einen ungeheuren Verrath an dem gestürzten Pietät und Treue hatten erst die Revolution, dann deren
Despoten.
So trieb eine BeBourbonen wieder aus dem Lande.
Erbe, der Kaiser, die Nation vergessen gelehrt.
wegung der Hauptstadt auch
die
Die Julimonarchie brachte die Bourgeoisie ans Ruder
;
selbstsüchtig,
ohne Idealismus, im Kampfe mit den Parteigängern der gestürzten
Regierungen und mit der keit des Volkes, sie
dem
Versprechungen nicht
ruhmloses Dasein.
mühseliges
ein
wachsenden demokratischen Begehrlich-
sie ihre
hielt,
fristete
Unter dem Scheine einer
wahrhaft constitutionellen Regierung verbarg sich Herrschaft einer kleinen Partei, deren Corruption
in
Wahrheit
die
allbekannt war
und vergiftend auf das gesammte Volksleben zurückwirkte. Und wieder beginnt das alte Spiel von neuem. Das Bürgerkönigthum des Volkes keine Wurzel geschlagen unbe weint zusammen wieder sieht sich die Nation unter die unberechenbaren Launen des hauptstädtischen Pöbels gebeugt, die Angst um Leben und Eigenthum treibt sie noch einmal in die Arme eines
hat im Herzen
;
bricht es
;
Despoten, und willig lässt die Nation sich
durch das Gaukelspiel
der Volksabstimmungen und das leere Gepränge der napoleonischen
Kammern um sie lirt
um derentwillen Und nochmals specu-
seine politische Freiheit betrügen,
doch die Revolution unternommen hatte.
der Machthaber auf die Befriedigung aller kleinlichen und ver-
derblichen Neigungen in seinem Volke. einseitig
wird von
allen
grossen,
Es beginnt
die Pflege der
Aufmerksamkeit der Nation politischen Aufgaben abgelenkt durch
materiellen Interessen:
die
Kriege, Ausstellungen und eine glänzende Wirtschaftspolitik, der
Ruhmsucht, zugeführt.
Schaulust
und Eitelkeit unaufhörlich neue Nahrung
Als dieses System abgewirtschaftet hat, bricht
in
einem
Kriege, den das gesammte Volk verschuldet hat, die napoleonische
Kaisermacht kläglich demüthigt
am Boden
;
zusammen; die Hälfte des
Frankreich
liegt
entehrt,
ge-
Landes von feindlichen Truppen
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302
Die französische Revolution.
im
überschwemmt,
Inneren
Aufruhr der beutegierigen
der
und
Alle politischen Systeme hat Frank-
ordnungsfeindlichen Gewalten.
reich gekostet, an keinem dauernd Gefallen gefunden so wird ein Compromiss geschlossen, die Republik gegründet, nach dem offenen Bekenntnis ihres ersten Präsidenten in Ermangelung einer besseren ;
ist Frankreich das Land der UeberDass die Republik 18 Jahre hindurch sich behauptet hat, will uns auch heute noch nicht als eine in den Verhältnissen begründete nothwendige Consequenz erscheinen, sondern
Regierungsform.
Seitdem
raschungen geblieben.
als das sie
das,
Auch
Ergebnis zufälliger Constellationen und Ereignisse.
und begeisterte Anhänger, denn erhofften, eine dauernde und starke
hat nur wenige entschlossene
was
die
Franzosen von ihr
Regierung, hat unbedingt
sie
ihnen nicht gebracht.
abhängig
Majoritäten in der
an
Concessionen
um
von
Kammer,
Ein Spielball der Parteien,
Abstimmungen
den
die unruhigen
zufällig
gebildeter
jedes neue Ministerium zu neuen
ist
und radicalen Elemente genöthigt
und heute wie vor 40 und vor 90 Jahren steht die Republik rathlos einem politischen Abenteurer gegenüber, der dieses Mal weder durch blendende Erfolge, noch durch den worden,
Zauber
sich zu halten,
eines glorreichen
Namens
sich
eine Partei geschaffen
hat,
sondern der die Corruption des herrschenden Parlamentarismus als
Schlagwort unter die Massen wirft und durch eine schwindelhafte
Reclame sich der Nation als Retter anbietet. Es war das Verhängnis der Revolution von vornherein, verschuldet durch die Sünden der alten Monarchie und den Radicalismus der Aufklärungsliteratur, dass man sich Regierung und Volk als zwei feindliche Mächte vorstellte. Alle Institutionen der Revolutionszeit setzen ein unbegrenztes Mistrauen gegen jede Regierungsgewalt voraus. Daher kam es, dass jeder Fortschritt der Freiheit mit einer un verhältnismässigen Schwächung der obrigkeitlichen Gewalt verbunden war. Seitdem bewegt sich das französische Staatsleben in den denkbar schärfsten Gegensätzen. Das Uebermass und der Misbrauch schrankenloser Freiheit rufen die Sehnsucht nach einer möglichst starken Regierung wach, und kommt eine solche ans Ruder, so ist es mit jeder Freiheit zu Ende.
dieser verderbliche Zwiespalt reich verewigt
worden
ihrer Arbeit gebracht
dem
sie
hatte.
;
;
sie
ist
hat
sich
sie stiess die
selbst
Nation
um
die
in einen
Auch
Frankbeste Frucht
durch die Revolution
in
Zustand,
in
immer nur zwischen Unordnung und Despotismus zu wählen Der Mord Ludwigs XVI. hat Frankreich für immer des
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Qoegle
303
Die französische Revolution. einigenden Mittelpunktes beraubt,
der Möglichkeit, zu einer wahr-
über den Parteien thronenden, versöhnenden Regie-
haft nationalen,
rung zu gelangen,
welche durch ihre
hingewiesen wäre, die Nation sich
frei in
eigensten Interessen darauf
der ihr durch Geschichte und
—
Temperament eigentümlichen Richtung entwickeln zu lassen. Aus Haas gegen das herrschende System und in Ueberschätzung der Regierungsformen überhaupt gewöhnte man sich im vorigen Jahrhundert, Freiheit für gleichbedeutend mit demokratischer Ver-
Nun ist eine bekannte Thatsache, dass keinem Volke demokratische Formen in der Verwaltung, in Justiz, in Handel und Wandel ferner liegen als den Franzosen. Jeder grosse Fortschritt ihrer nationalen Entwickelung war gebunden an eine entsprechende Stärkung der Monarchie. Aehnlich wie Preussen, ist Frankreich durch seine Könige zu dem grossen, achtunggebietenden fassung zu halten.
Staate geworden,
den
Selbstverwaltung,
sondern Centralisation
Bedürfnis
darin,
war
leben, so
entspricht
französischen Temperaments.
des
eines Volkes
wir in der Geschichte thätig sehen.
nach den Gesetzen
des
dem
Besteht
Nicht
innersten
die Freiheit
eigenen Wesens
zu
die Demokratisirung Frankreichs offenbar ein freiheits-
Es hat auch keine Einrichtung der Re-
mörderisches Beginnen.
volution kürzeren Bestand gehabt als die Wählbarkeit sämmtlicher
Aemter.
Sie
war durch Wahlenthaltungen und durch
die Unlust
des Volkes an politischer Arbeit schon thatsächlich beseitigt, bevor
Napoleon
Wirkung
Zu
seitigt. festigt,
Aber die war damit keineswegs behatte sich in den Massen die Ueberzeugung besouveräne Gewalt vom Volke ausgehe. War ihm
die Präfecturverfassung an ihre Stelle setzte.
verderbliche
tief
dass die
dieses Versuchs
Gewalt genommen, so wollte es doch auf den Namen mehr verzichten. Es wurden die Plebiscite erfunden, durch welche das Volk seine Souveränität scheinbar freiwillig einem Vertrauensmann übertrug, sich selbst aber den Anspruch auf die eventuelle Ausübung seiner Herrschaftsrechte in der Zukunft vorbehielt. So kam eine tiefe Unwahrheit in die französische Ver-
die wirkliche
derselben
fassung,
nicht
welche das Staatsleben nach allen Seiten
Sie hat es verschuldet, heissen sie
nun Napoleon
alle ehrlichen
nur mit
I.,
hin
vergiftete.
ehrgeizigen Köpfe Frankreichs,
der III. oder Boulanger, sich unsauberer
Hände
Lug und Trug zu
Wenn
alle
bedienten, um zur Gewalt zu gelangen, Leute sich von einer Sache zurückzogen, welche
Mittel und unsauberer
und
dass
operiren verstand.
schon überall der Staat, als die alle Lebensverhältnisse
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304
Die französische Revolution. Macht,
durchdringende
Moralität
die
Individuen fördert oder hemmt,
nie
der
und
Gesellschaft
der
ohne Beziehung zu der-
aber
selben bleibt, so wird das in ganz besonderem
Masse der Fall
sein
und unaufhörlichen Schwankungen der obersten
bei einem gebildeten
Gewalt unterworfenen Volke.
Während
der Revolution finden wir ein jeder sittlichen Trieb-
Nur
kraft baares öffentliches Leben. sittliche
Mächte lebendig;
ihren Feinden
unter
waren
die officielle Vernichtung der christlichen
Kirche schuf plötzlich aus dem Schosse eines verweltlichten, seinem kirchlichen Berufe entfremdeten Klerus eine glaubensmuthige Schaar
von Bekennern und Bewusstsein
;
festigte in der
Masse des Volkes das katholische
an ihm brachen sich die
Wogen
der Revolution
;
die
katholische Kirche Frankreichs ging neu gekräftigt aus der furcht-
baren Krisis hervor. giöse
und
kirchliche
hinaus zerrüttet. in
Trotzdem hat die Revolution auch das reliLeben der Franzosen noch für lange Zeit
Während
die Schrecken der napoleonischen Zeit
Deutschland zu einer Wiedererweckung des christlichen Bewusst-
seins führten, die nicht nur
auf die Masse des Volkes beschränkt
ergriff, wurde in Frankimmer mehr zu einer Herzensangelegenheit der unteren Volksklassen. Der grimmige Hass gegen das tempelschänderische Gebahren der Jacobiner machte aber die Masse des Volkes für die Form der Katholicität, die wir die jesuitische oder
blieb,
sondern auch die höheren Schichten
reich das Christenthum
ultramontane nennen, keit,
ganz besonders empfänglich, jene Kirchlichals der heftigste Feind Aufklärung und jeden wahren Darum haben die Monarchen Frank-
welche wie keine andere sich immer
religiöser
und wissenschaftlicher
Fortschritts
erwiesen
hat.
reichs in diesem Jahrhundert in der jesuitischen Kirche den besten
Bundesgenossen gegen den Unabhängigkeitssinn der gebildeten Besie offen oder geheim unterstützt, von oben
völkerung gefunden,
her Scheinheiligkeit
und eine
officielle
Kirchlichkeit
begünstigt,
welche mit den Gefühlen und Empfindungen der leitenden Klassen
Denn diese blieben die unverfälschten im Widerspruch stand. Nachkommen der Aufklärung, Voltairianer, spottlustig, gleichgiltig gegen alles Christenthum, ja voll Hass gegen dasselbe, seit es in den
Dienst
hat nicht
politischer Parteibestrebungen
die Revolution
gestellt
den Gegensatz einer
wurde.
bigotten
Wol
niederen
und einer kirchenfeindlichen, atheistischen gebildeten Bevölkerung auch er war vorgebildet in den Zuständen des alten Frankreich. Aber die Revolution hat nicht nur nichts gethan.
erst geschaffen
;
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Die französische Revolution. diesen verderblichen
Gegensatz zu versöhnen, sondern
zu einem unversöhnlichen zu macheu. sche Republik
dem
Kirchen- und
der
Wenu
sich zu den Principien
so hat sie das auf
kennt,
305
um
alles,
ihn
die heutige französi-
der grossen Revolution be-
keinem Gebiet so sehr*bewiesen, wie auf
Schulgesetzgebung.
Sie
ist
dessen
sich
wohlbewusst, dass die gottentfremdete Schule der Masse eiu Greuel
fromme Katholik
sie weiss, dass jeder
ist,
sition
zu einem System befindet,
das den
sich in bewusster
Namen
republikanischen Wortschatz gestrichen hat.
kann
Sie
Oppo-
aus dem
Gottes
sich nicht
verhehle», dass damit ein trennender Keil in die Einheit des Volks-
bewusstseins getrieben wird
aber
;
sie
kann aus dem Banne ihrer
kirchenfeindlichen Traditionen
revolutionären,
nicht
ohne
heraus,
sich selbst aufzugeben.
Für jedes
Volk
revolutionäre
die
ist
Durchbrechung des
Wenn
geltenden Rechtszustandes eiu Unglück.
aber ein Volk den
Versuch gewagt hat, nicht nur diesen zu beseitigen, sondern und jedes zu verleugnen, Geschichte ausmachte,
dem reich
es allein
was
so
bis
es sich von
reisst
alles
dahin den besten Inhalt seiner
zu einem gesunden Leben
dem Boden
gelangen
los,
kann.
auf
Frank-
Anzahl krankhafter Auswüchse mit der Wurzel Aber die gewaltsame Operation hat neue und, wie es Noch hat jeder Verunheilbare Schäden hervorgerufen.
hat
eine
ausgerissen. scheint,
such, den einen oder anderen zu beseitigen,
Erkrankung geführt. Frankreich
soll
Der Mangel an
die
Nicht
für alle
Revolution
Stabilität
der
sofort
Uebelstände
verantwortlich
zu einer neuen
öffentlichen Verhältnisse
Aussichtslosigkeit, in absehbarer Zeit zu einer
modernen
des
gemacht
Gesundung
werden.
und
die
derselben,
zur Versöhnung der aufs äusserste gespannten Gegensätze in Staat,
Kirche und Gesellschaft zu gelangen, sind unzweifelhaft die Folgen der grossen Revolution. Dr. A.
Balliaek« Mon.u ;*Mt
1883
4,«o«
2,70s
1884
4,4,,
2,3.«
1885
4,io7
2,ita»
1886
4.mi
2*ii
4 )S „
2,„ 3
1887
4, is»
3,t«o
1888
4,„,
2
Das Slass der ehelichen Fruchtbarkeit bei den Protestanten kommt der durchschnittlichen ehelichen Fruchtbarkeit in Mitteleuropa ziemlich nahe.
Ueberraschend
über die eheliche Fruchtbarkeit bei
gering erscheint ihr gegen-
der griechisch-orthodoxen Be-
diese Erscheinung hat ihren Grund aber darin, Ende 1885 in Livland das sogenannte «Reversal» noch nicht bestand es werden eben bei uns nicht alle Kinder, die einer zwischen Lutherischen und Griechisch-Orthodoxen geschlossenen Ehe
völkerungsgruppe
weil
;
bis
;
entstammen,
auch nach griechisch-orthodoxem Ritus getauft.
den obigen Zahlen darf
man
schliessen, dass,
Aus
da unter anderen Ver-
hältnissen sich die eheliche Fruchtbarkeit bei den Griechisch-Ortho-
doxen ungefähr eben so
hoch
stellen
wie
müsste
bei den Prote-
stanten, etwas weniger als die Hälfte der aus allen nach griechisch-
orthodoxem Ritus geschlossenen Ehen hervorgehenden Kinder ehemals nach lutherischem Ritus getauft worden
Die Wirkung, welche in
die
ist.
Wiedereinführung des sog.
angedeuteter Beziehung ausgeübt hat,
tritt
in
«
Reversais
der namentlich
1887 stark gestiegeneu ehelichen Fruchtbarkeit bei den Griechisch-
Orthodoxen deutlich zu Tage: eine solche von mehr pro
Ehe
Im
als 3
Kindern
hatten wir hier ehedem keine Gelegenheit wahrzunehmen.
höchsten Grade auffällig
die eheliche Fruchtbarkeit bei
ist hierbei,
dass im Jahre 1888
den Griechisch-Orthodoxen, trotz des
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Qogg le
Protestanteu und Griechisch-Orthodoxe in Livlaud.
eben Dargelegten, wiederum gesunken
359
Dieses kann nur daraus
ist.
erklärt werdeu, dass theils, bei gleichgebliebener Geburtenzahl, die
Zahl der nach griechisch-orthodoxem Ritus geschlossenen Ehen sich im Jahre 1888 relativ stark vermehrt hat, theils daraus, dass eine grosse Zahl derjenigen Mischpaare, welche dereinst keine Reversale
gerade
haben,
unterzeichnet
Folge
in
sich entschlossen haben,
Reversal
ihre
der Wiedereinführung des Kinder evangelisch taufen
zu
lassen, worauf sie unter anderen Verhältnissen vielleicht weniger Gewicht gelegt hätten. Es ist recht lohnend und instructiv, die Zahl der Mischehen in ihrer Beziehung zur Gesammtzahl der Ehen etwas näher ins Auge zu fassen. Nach griechisch-orthodoxem Ritus wurden in Liv-
land getraut:
Paare überhaupt darunter Mischehen mit Lutherischeu im Mittel vou 1880-1885
1628
809
1886
1566
601
1887
?
V
1888
1648
Demnach betrug
648
= 49, = 33,,,
pCt.
7o
«
?
=
39,3,
«
also der procentuale Antheil der zwischen Griech.-
Orthodoxen und Evangelischen geschlossenen Mischehen bis etwa zur Wiedereinführung des Reversais fast die Hälfte der in den
zwar
russischen Kirchen überhaupt vollzogenen Trauungen, und
50,. pCt.
1880
zwischen
einzelnen ;
pCt.
54,,
und
48,,
;
pCt.
nach Einführung des Reversais der
relative Antheil
Auch
liess
überhaupt
der
diese
sich
beobachten,
1885 tritt
Reaction
pCt.
48,»
;
Mischehen
sondern
liegenden Jahre
eine
;
Gleich
evidente Reaction
sinkt
nicht für
für die
47,, pCt.
pCt.
49,«
;
:
ein
;
auf 38,, 7 pCt. herab.
allein
ganz
für
Stadt
jede einzelne
Livlaud
und
für
jeden einzelnen Kreis, hier in stärkerem, dort in geringerem Masse.
In den Städten 35,» pCt., auf
war
fiel
dem
der ßruchtheil der Mischehen von 49,» pCt. auf
Lande von 49, pCt. auf 39, ol pCt. Das Weniger erklärlich uud für das Fortbestehen
flachen
erklärlich genug.
t
der evangelischen Kirche Livlands bedeutungsvoll diese Reaction
schon
sich zu
verlieren
ist
dagegen, dass
beginnt, denn es hat
den Anschein, als wolle jene Procentzißer wiederum eine constant steigende Tendenz befolgen.
Sehr charakteristisch
ist
dass
dabei,
gerade die livländischen Städte sich williger der Wiedereinführung des Reversais gegenüber zu verhalten scheinen als das flache Land,
denn
auf
dem
flachen
Lande
ist
im Jahre
zu 1886 ein weiterer Rückgang der Mischehen
1888 erfolgt,
im Vergleiche (von 39, 0
i
pCt.
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360
Protestanten und Griechisch- Orthodoxe
auf
Livland.
in
pCt.), während in den Städten im vergangenen Jahr die Zahl der Mischehen sich stark der Ziffer für 1885 nähert 1888 47, 18 pCt.) und doch war gerade dort die 49,o pCt.
37,, o
relative
(1885
:
;
;
:
1880 eingetretene Reaction
viel
wahrnehmbarer
Lande zu Tage getreten. Dass das Weib sich im allgemeinen uellen Rücksichten gegenüber
religiösen
Eingehen
bei
dem
als auf
der
flachen
und confessio-
Ehe
indifferenter
Mann, ist häufig und auch in Livland beobachtet So gewahren wir ebenfalls aus den Daten für das Jahr
zeigt als der
worden.
Weib
dass das
1888,
Mischehe
eher
sich
Von
einzugehen.
als
Mann
der
sämmtlicheu
entschliesst, eine
griechisch-evangelischen
Mischehen des Jahres 1888 wurden geschlossen zwischen griech. orthod.
und
Männern
Frauen
griech.-orthod.
Frauen
luth.
und
luth.
1885
(iti,72
pC.
33 >J8
188G
83, 5 ,
«
16,» 0
1887
V
1888
84,i»
Männern i>Ct. *
V *
15,7i
«
Der Fall also, wo ein evangelischer Mann ein griechisch-orthodoxes Weib zur Ehe begehrt, will, wie es scheint, immer seltener eintreten. Innerhalb der einzelnen Städte und Kreise
Frequenz der Mischheiraten wie häufigsten sind hiernach
die
in
stellt sich die relative
der Tabelle
Mischehen
in
1
Am
angegebeu.
den Kreisen
Walk und
am seltensten in den Kreisen Werro und Oesel vertreten und zwar betrug die relative Häufigkeit der Mischehen
Riga, relativ
gewesen,
:
1885 in
war
die
Meinung,
die
Gesandten hätten lieber unverrichteter Dinge zurückkehren, als auf
Bedingungen
solche z.
eingehen
vom Erzbischof Wilhelm Generalconcil
geradezu
sollen«,
durch Zahlung
der Stadt
B. die
zu
bis
von
tausend Gulden
Entscheidung durch
einer
der Domkirche 5
überlassene Benutzung
Wenn
geboten.
einigen
,
die
ein
durch
Urkunde beglaubigt war und einem Verkauf gleichkam, nicht vom König beliebig zu treffenden Willensmeinung anheimgestellt war, so besagte das für jede vorurteilslose eine
bestätigt, sondern einer
Nachprüfung,
Was
hatte
der Bescheid
dass
dem gegenüber
günstig
nicht
ausfallen
die in einer besonderen Caution»
werde.
gewährte
Ausübung des augsburgischen Bekenntnisses noch zu bedeuten
?
Jedenfalls nicht ausschliessliche Geltung des lutherischen Glaubensbekenntnisses,
von
hätte
sonst
—
schub
der
—
und das bedeutet der Auffüglich Abstand genommen werden müssen.
Dennoch 7.
möglichen Confiscation
einer
früheren erzbischöflichen Besitzungen
legte die Stadt unter den angeführten
April 158t den Commissaren
Bedingungen
am
des Königs Demetrius Solikowski
und Wenzeslaus Agrippa den Huldigungseid ab. Wir müssen uns zu der Ansicht bekennen, dass es dem Rath die
freistand,
einfach
von den Delegirten
für null
zu
Wege
und nichtig zu erklären.
Richtige gewesen und hätte die .darauf
gebrachte Subjection
Das wäre das
einzig
folgenden Verwickelungen
Ohne Frage wäre zwar der König im Stande
unmöglich gemacht.
gewesen, das widerspenstige Riga allendlich zur Nachgiebigkeit zu zwingen, aber erstens Herrschaft
wäre
es
in
ist es
kaum
glaublich,
er damit seine
dass
den Landen hätte inauguriren wollen,
Riga dann
doch
nicht schlechter ergangen,
und zweitens wie ehemals
Danzig.
[m Jahre 1581, zu einer noch
land und Polen
in
Bathory darum zu thun •
Yalmtini
'
I).
*
Chytnui
T&i.seii
Cliytraei
Zeit,
da der Friede zwischen Russ-
weiter Ferne war, sein,
musste
es
vielmehr
mit Riga auf freundlichem Fuss
Vigensi» tumultu**, Einleitung
Chrotticau Soxnninc-»,
Angabe von Angabe
Chrnttieon Saxoiiiae», «lcntHcln«
p.
zu
VIII.
1593, p. 754.
von 1597,
II, p. 409.
Die Gegenreformation stehen.
Wenn
in
405
Livland.
Gesandten daher wagten, mit einem
es die
so un-
ihrer Instruction strict zuwiderlaufenden Bescheid nach
günstigen,
Hause zu kommen, so waren sie entweder vom Könige bestochen, den Rath von der Unmöglichkeit einer Abänderung des Vereinbarten zu überzeugen, oder sie hatten vom Rath im Geheimen mündlichen Auftrag erhalten, den Vertrag selbst unter ungünstigen Bedingungen abzuschliessen. Dagegen, dass sowol Gesandte als Magistrat sich
übertölpeln
Hessen,
spricht
vieles,
zunächst
das
schliesslich erzielte Einverständnis.
Was wonach
Viecken' von den Verhandlungen der Gesandten erzählt,
sie
— und
zwar
allein die Rathsdelegirten
— von Zamoiski
zu Mittag gebeten wurden, wobei er für die Abtretung einer Kirche
was
wirkte, ferner,
er den Syndicus Welling
der Gesandten darauf bezüglich fragen lässt J
nach
der Rückkehr
»was höre
:
ich,
Ihr
dem Kanzler eine Kirche versprochen ?», ist, bis auf das Mittagessen, an dem aber alle theilnehmen, städtischer Klatsch.
habt
Nur
kennzeichnet
er
freilich
das grosse Mistrauen der Gemeinde,
zu welchem die ganze Legation uud das Verhalten des Rathes ge-
Thatsache
rechten Anlass bot.
Unterredung
Tage
eigenen Thür > im denkbar beengherzigsten Sinne ausgelegt.
anders geworden und dass die
ragenderen Landeskinder selben vollen
sagen
zu
sind indessen
Die Versäumnisse
gewesen,
so grosse
der hervor-
grossen Theils der cBalt.
ist
danken gewesen.
Namen
drei Provinzen den-
dass
früherer
mancherlei zu thun
wenn das Wissen von uns selbst auf einige Vollsoll. Immer und allenthalben beGegenwart vor der Vergangenheit recht, und insbesondere
übrig bleibt,
ständigkeit Anspruch gewinnen hält die
des Tages durch Jahr und Tag das Interesse Lesender und Schreibender in zunehmendem Masse verzehrt. Zugleich aber hat das Wissen von dem, was wir gewesen, so sichtliche Bedeutung gewonnen, dass die Beschäftigung mit vergangenen Dingen und vergangenen Menschen Längst darüber ihre Berechtigung nicht erst nachzuweisen braucht. bei uns hat die Beschäftigung mit Sorgen
im Leben der Einzelnen wie der Gemeinschatten herauskommt und dass der Gefahr des Veraltens nur entrückt ist, «was sich nie und nirgend begeben hat>, wird das heutige Geschlecht dem Gedächtnis auch belehrt, dass es
immer nur auf
Wiederholungen
vergangener Tage eine Stelle gönnen, die mit Kämpfen und Gegensätzen unserer Wirklichkeit nichts zu
solcher Genossen
den
schaffen gehabt haben.
Von den nicht eben zahlreichen Dichtern und Sängern, die dem Lande zwischen Düna und Embach angehörten, ist keiner so gründlich vergessen worden,
wie der Componist eines Liedes, das
Z. in der gesammten gebildeten Welt gesungen worden und das noch heute unvergessen ist. Text und Weise des tiefempfundenen s.
Liedes
«Nach Osten geht, nach Osten Der Erde stiller Flug, Nach Osten hin, nach Osten Geht meiner Seele Zug»
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408
Ein vergessener livläudischer Dichter.
—
stammen
nicht
blättern
versichert
wie gemeinhin angenommen und
wird
—
August Heinrich von Weyrauch Werk
auf den Titel-
Franz Schubert,
von
von
sondern
Dass das
aus Riga.
Unbekannten dem grössten Liedersänger aller Zeiten worden und dass dieser Irrthum Bestand gewinnen konnte, will mehr sagen, als Anpreisungen und Kritiken irgend vermöchten*. Und dass es sich bei dieser Weyrauehschen Schöpfung um mehr als einen glücklichen Einfall gehandelt hat, beweisen eines
zugeschrieben
die
übrigen
ist,
Dichtungen
gebliebenen
erhalten
Dass
Lyrikers fast ausnahmslos. hat nicht sowol an
dem
die
dieses
feinsinnigen
Zahl derselben eine geringe
Dichter, wie an
dem Umstände
dass Weyrauchs Gedichte fast ausnahmslos
in
gelegen,
längst vergesseneu
Anthologien und Almanachen erschienen und dass niemals ein Versuch zur
Sammlung und Sichtung
derselben gemacht worden
ist.
Ueber die Gründe solcher Unterlassung kann au dieser Stelle eben so wenig Rechenschaft abgelegt werden, wie über die Einzel-
vom Lebensgange des von Weyrauch im
heiten
Heinrich
Der Angabe, tdass August
Dichters.
1788
J.
zu Riga
geboren,
theils
in
Riga, theils in einer St. Petersburger Erziehungsanstalt erzogen und
dem rigaschen Gou verneinen tszum Collegiensecretär befördert
einige Zeit lang als Buchhalter bei
Postcomptoir
worden»
angestellt
,
auch
(Schriftsteller-Lexikon
wenig mehr nachzutoagen,
IV,
S.
500)
—
Notiz
dieser
ist
Weyrauchs Vater viele Jahre Riga war und dass einer der
als dass
lang Gouvernementspostmeister in
Riga geborenen Brüder des Dichters um die Mitte der fünfziger Die zu St. Petersburg ein höheres Postamt bekleidete. fernere Angabe, nach welcher der dreiundzwanzigj ährige Collegien-
in
Jahre
secretär
a.
D. «in Dorpat Studien trieb» und nach Beendigung der-
selben von 1820 bis 1821 versität bekleidete>,
das
Amt
eines Lectors der dasigen Uni-
wird durch das Album
Academunm
bestätigt.
Unter Nr. 614 als sudiosus juris immatriculirt, hat August Heinrich während der Jahre 1811 bis 1813 unserer Landeshochschule ange1
Nach einer anscheinend
verbürgten
Ueberlieferung
Stehende Irrthum zuerst von einem pariser Verleger
ist
der
in
Rede
begnügen worden, der da»
Weyrauchsche Lied in einem von dem Fürsten Gregory Wolkonski hand&chrift lieh gesammelten Musikalienhefte fand und dem berühmten wiener Meister zu schrieb, dessen Yoealcompositioncn durch den talentvollen russischen
Kuustfreund
und geschmackvollen Sänger in der pariser vornehmen Welt bekannt gemacht worden waren. Nach Recke Napierskys Lexikon sind Weyrauchs Compositioueu zuerst in Symauckis «Fünf Heften deutscher Lieder, in Musik gesetzt > im
Druck
erschienen.
409
Ein vergessener livländischer Dichter.
Zahl zu
hurt, beiläufig bemerkt, als Zeitgenosse einer ansehnlichen
hohen Würden gelangter Männer: des General feldmarschalls Grafen Berg (stud. phil. 1810—12 sub Nr. 599), des grossen Forschers
Karl Ernst von Baer (stud. med. 1810—14, Nr. 577), bekannt gewordenen Geheimraths Peter
Schriftsteller
1810—12),
des
als
Goeze
und unvergessenen 1810—14), des Generalmajore v. S t r y c k • Heiligensee (stud. phil. 1811—12), der Diplomaten E. W. R. Baron Ungern-Sternberg und Paul Baron (stud.
thcol.
Hahn Siv
(s.
e rs
-
unvergesslichen (stud. theol.
des Landraths
Z. Civilgouverneur von Livland),
Euseküll, der Professoren Piere
Strnve, und E. C.
des
Ulmann
Bischofs Dr. E. C,
Walter
der beiden rigaschen Bürgermeister J. C.
Gro ss
zeit wissen
u. a.
m.
—
lieber
von
und F. G.
W.
Schwartz
Weyrauchs akademische Lehr-
wir eben so wenig zu berichten,
wie über die sieben
auf dieselbe folgenden Jahre und über die Gründe,
den drei-
die
unddreissigj ährigen Lector der deutschen Sprache bestimmten, dieses
Lehramt nach Jahresfrist in die Hände seines Freundes und Collegen Karl Eduard Raupach niederzulegen und von Dorpat nach Dresden überzusiedeln.
Als Dichter und Schriftsteller
hatte
Weyrauch
vor seiner im Jahre 1827 erfolgten Verpflanzung an
bekannt gemacht. Bereits zwanzigjährige Postbeamte
sich
bereits
das Elbufer
im Januar des Jahres 1808
war der
einem «Wochenblatt für Damen»
mit
an die Oeffentlichkeit getreten, welches den zarten Namen «Iris» führte, mit «illustrirten Kupfern» geschmückt war und in 52 auf
Nummern dem
einander folgenden
rigaer Publicum vorgelegt wurde.
Vo^i ein paar unbedeutenden Uebersetzungen aus
dem Französischen
abgesehen, sind sämmtliche spätere Erzeugnisse der Weyrauchschen
und in Almanachen erschienen. Die Zahl dem Zeitalter niedergehender Schönseeligkeit und emporstrebender Romantik eine sehr bedeutende. Alljährlich
Muse
in Zeitschriften
der letzteren
um
war
und
Weihnachten
die Zeit der
zarten
in
Gefühlen
überfliessende
und
der Jahreswende pflegten von
zumeist
stimmte «Taschenbücher» und *Almanache» das Licht der Welt zu erblicken
Düna eben Elbe,
der
Frauenwelt be-
Herren Ländern
und au der Moskwa,
Newa und
vorzukommen, wie an der Spree, der und der Themse. Beiläufig bemerkt, hat die erst seit Ende der 40er Jahre aus der Mode
so unvermeidlich
Donau
Mehrzahl dieser
gekommenen ihrer
der
in aller
—
Ernährer
—
lyrischen in
Wasserbehälter
wahrhaft
für
die
Vergessenheit
unvergleichlicher Weise gesorgt und
Digitized by
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410
Ein vergessener livländischer Dichter.
das Jahrzehnt ihrer Entstehung höchstens in Ausnahmefällen über-
Vor diesem Geschick
lebt.
sind die Inländischen Veranstaltungen
, das «Neujahrs-Angebinde für Damen [Dorpat 18l7j>, Tielemanns« Livona> 1812) eben so wenig verschout geblieben, wie die gleichzeitigen und gleichartigen Zeitschriften, denen Weyrauch während seiner rigaer und dorpater Periode Beiträge gönnte: Kaffkas, dieser
des
poetischen
pachs
,
Museum > und
«Zuschauer» von 1801 &c.
—
*
Merkels
Neues Museum»,
Nichtsdestoweniger blieb der Dichter
dieser unscheinbaren und undankbaren
auch
Rau-
Schauspielers« «Nordisches Archiv» (1808),
«Inländisches
nach seiner Niederlassung
in
Methode der Veröffentlichung Dresden
Während
treu.
der
achtunddreissig Jahre, dass er die sächsische Landeshauptstadt be-
Werk und
wohnte, hat er kein einziges selbständiges
keine
Samm-
lung seiner Dichtungen veröffentlichen lassen, sondern sich mit gelegentlichen Publicationen iu der von
gegebenen
«
Vergnügen
selligen
Das
begnügt.
nehmen,
Kind und Kraukling » heraus-
Dresdener Morgenzeitung», dem «Taschenbuch zum ge-
und anderen Zeitblättern untergeordneter Art dem wir diese Notizen ent-
^
Schriftsteller-Lexikon,
weiss von
Weyrauchs späterer Existenz wenig mehr zu
sagen, als dass derselbe theologische Studien getrieben und «privatisirt»
Dem
habe.
Freunden sehend zeitalters
in
wirklichen Leben abgewandt, die
Welt
in seinen
und nach Art der Kinder des Sentimentalitäts-
den Cultus
der eigenen Empfindung
brachte der feingestimmte Dichter seine Tage in so
versenkt,
stiller
ver-
Verborgen-
sein im Jahre 1865 erfolgter Tod nahezu unbemerkt Jegor von Sivers, der sonst genau Bescheid wusste und seinem Buche «Deutsche Dichter in Russland» einige der gelungenheit,
dass
blieb.
sten Dichtungen des talentvollen
Mannes
einverleibte, hatte in der
denselben beigefügten biographischen Notiz den Dichter und
Com-
•
1
Zu
iu
sechzigjährige Abenteurer er eben
Malen (1789, 1801 und 1812 bis 1815) als SchauRiga thiitig, «tarn dieser vieluwgetriebeue neunund-
drei verschiedenen
und Schriftsteller
spieler
die Ario
iu
der Garderobe des
»Der Tod packt mich schon
rigaer Stadttheaters,
am
nachdem
(aus Rochus Pumpernickel
vorgetragen hatte. *
Carl (Konstantin Kraukling
Dorpat Medicin
studirt,
des historischen
Museums
aus Kurland
nach Dresden, bis
wo
wandte
sich,
nachdem
er in
er als Secretär, ipiter als Director
zu seinem im J. 1864 erfolgten Tode
lebte.
Mit
Hell und Kind befreundet und wegen seiner Gefälligkeit gegen reisende Lauds leute bekannt, geborte Kraukling
dem
Kreise der friedlich ästhetisirenden Dichter
der Vespertina (Abendzeitutg) an.
Digitiz^ byj£flflgle
Ein vergessener livländischer Dichter.
«Nach Osten»
ponisten des
—
ein Irrthum,
im Jahre 1852 sterben lassen
bereits
den Beise
411
in seiner
Fortsetzung des »Lexikons»
gebührend zurechtstellte.
Den vorstehenden Daten als dass
Weyrauchs Nachlass
weiss ich wenig mehr hinzuzufügen, in
die
Hände
des (seitdem gleichfalls
verstorbenen) dresdener Malers und Akademie-Professors Baehr gelangte.
Nach
einer
Mittheilung,
die
verstorbene
der
Professor
Theodor Grass dem Schreiber dieser Blätter im Sommer 1867 machte, wurde für diese Hinterlassenschaft ein Herausgeber gesucht,
und
als dieser sich nicht finden wollte,
Sache aufgegeben und
die
ihrem Schicksal überlassen. Dieses Schicksal
ist
dasjenige einer vollständigen Vergessen-
Ueber Weyrauchs Grab wächst seit vierundzwanzig Jahren Gras und Ried, seine Verwandten und Zeitgenossen sind todt, seine Freunde Baehr und Grass längst aus den Reihen der heit gewesen.
Lebenden geschieden und des bescheidenen Mannes Spuren so
voll-
ständig verweht, dass es ausserordentlich schwer halten dürfte, über
äusseren und inneren Lebensgang desselben Ausführlicheres festzustellen.
Und doch genügt
die Bekanntschaft
den einzelneu
mit
erhalten gebliebenen Liedern des Dichters und Componisten zu der
Ueberzeugung, dass derselbe Träger eines echten, innerhalb gewisser Grenzen bedeutend zu nennenden Talents gewesen. Vollendete Herrschaft über die Sprache und poetische wie musikalische Form war bei Weyrauch mit einer Innigkeit der Empfindung gepaart, die ihn zur Wiedergabe unvergleichlicher Stimmungsbilder befähigte.
Diese
Bilder tragen den Charakter einer ganz bestimmten Zeit und einer
mit
dieser
untergegangenen Empfindungsweise
—
Vorzüge,
nach
denen man sich bei neueren und neuesten Poeten unseres Landes und anderer Länder vergeblich umsehen wird. Wer sich auf die «klingende Gewohnheit
des Reims
und
des
Sylbenzählens» auch
nur halbwegs versteht, wird einräumen, dass Verse von dem Reiz des
«Zwei Augen kenn' Seh' ich
heutzutage
nicht
ich,
brenn' ich»
mehr gemacht werden
apostrophe dieses Liedes, sunkenheit
sie,
in
und dass die Schluss-
welcher des Sängers traumhafte Ver-
mit der Bezauberung
des Vogels
durch
die lauernde
Schlange verglichen wird, (Er hängt ohnmächtig
Im
Strahle prächtig)
von reinstem und höchstem poetischen Gehalt
ist.
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412
Ein vergessener
livl indischer
Dichter.
«Und halb im Traume vom Baume
Fällt er
Und Noch Ihre Melodie
singt im Sterben sein Verderben.»
diese Strophen gerade so
tragen
sich,
in
jenigen des Liedes cNach Osten >, dessen getragene,
wie
die-
zugleich von
Hoffen und Fürchten bewegte Stimmung
(Dort hinter jenen Bergen
Dort über jenem Wald,
Da
weilt
—
ich
—
kanns nicht bergen
Die reizende Gestalt)
Worte und Weise gleich beredt wiedergeben und von dem sich wohl begreifen lässt, dass es das Entzücken unserer Grossväter und Grossmütter ausgemacht hat.
Der um Kreis
baitisch
ist ein so
-
Unternehmungen geschlossene Neigung zu dergleichen Unternehmungen
literarische
enger, die
eine so rege, dass die vorstehenden Blätter dazu ausreichen dürften,
den Gedanken an eine Sammlung und Neuherausgabe der Weyrauch-
um
eine einfache,
Ueber die Findeorte geben das
Schriftsteller-
scheu Gedichte anzuregen. last
mühelose Sache.
Es handelt
sich dabei
Lexikon und die Fortsetzung desselben (Bd.
II, S.
Auskunft, die namhaft gemachten Zeitschriften
und Riga unschwer beschafft
273) die nöthige
werden in Dorpat
werden können und
in
Dresden an-
sässige Landsleute unzweifelhaft gern bereit sein, Auskunft darüber
zu ertheilen, ob über die erwähnten Weyrauchschen Hinterlassen-
Wo
sich für poetisch ge-
der zweifelhaftesten Art
waghalsige Verleger
schaften irgend welche artete Experimente
Kunde
vorliegt.
beinahe regelmässig finden, kann
und Compositionen,
und
die
Herausgabe von Dichtungen
die ihrer Zeit weit verbreiteten
Ruf besassen
Weg
an die Oeffentlichkeit geAn einer funden, auf ernsthafte Schwierigkeiten nicht wol stossen. in Zeiten der Dürftigkeit
den
Feder, die den Enkeln ausführlicher, als hier geschehen, über August
Heinrich von Weyrauch Bescheid
zu geben
und
die «selige Ver-
Gemütlichkeit und Zartsinnigkeit zu schildern wüsste an einer solchen Feder wird es sicher nicht fehlen, wenn einmal unter «eine Decke» gebracht borgenheit» der alten
guten Zeit
exclusiver
—
ist,
was im Leben des Dichters räumlich und
einander gestanden!
zeitlich
weit aus-
—a —
Notizen. N
e n c
E
r X
ii
h
1
n n g
Von
n.
enn irgend etwas im Stande
welche
ist,
ist es seine
Leo
Tolstoi.
Tolstois Weltanschauung,
den Worten gipfelt:
in
im Geiste», zu widerlegen, so
Morgen
(iraf
*
Armen
Selig sind die
eigene Erzählung
:
«Der
des Gutsherrn».
Der Gutsherr ist der neunzehnjährige Fürst Nechljudow, welcher, von dem erhabenen Gedanken geschwellt, dass Liebe und Wohlthun Wahrheit und Glflck ist und zwar die einzige Wahrheit und das einzig mögliche Glück in der Welt,
und die Bequemlichkeiten
die Universität
Stadt verliess,
um
sich
und Genüsse der
im Dorfe anzusiedeln und daselbst mit Leib
und Seele dem Heile und der Wohlfahrt seiner siebenhundert Bauern zu leben.
Er sah vor
sich ein riesiges Gebiet für die
Betätigung
der selbstverleugnenden Liebe. Er träumte davon, auf diese schlichte, empfängliche, unverdorbene Volksklasse
einzuwirken, sie aus deni
Elend zu befreien, ihr ein genügendes Auskommen zu verschaffen, die Bildung, welche er besass,
auf sie zu übertragen,
ihre durch
Unwissenheit und Aberglauben erzeugten Fehler zu verbessern, ihre Sittlichkeit zu entwickeln
Und ausserdem, dachte glücklich zu sein
Familienlebens?
in der
Und
sie
zur Liebe des Guten anzuhalten.
Liebe
zu
wer hindert mich,
Zukunft
Einbildungskraft
vor.
stillen,
des
malte ihm
Ich und eine Frau, die ich
Welt niemals jemand jemanden
wir leben immer inmitten dieser
selbst
einem Weibe, im Glücke
die jugendliche
eine noch bezauberndere so liebe, wie auf der
und
er gleichzeitig,
geliebt hat,
idyllischen Dorfnatur mit
den Kindern, vielleicht mit der alten Tante.
Wir
erfreuen uns an
414
Notizen.
unserer
allgemeine
stützungen, führe,
und
sie
der Liebe
zu
unseren Kindern,
unser Beruf das Wohlthun
Wir Ich
in dem schlichten weissen dem wohl geformten Füsschen emporhebt, geht die Bauernschule, ins Krankenhaus, zu dem
mit ihrem lieblichen Köpfchen
den Koth
in
unglücklichen Bauer, der nach allem Recht
und überall tröstend,
hilft sie.
keine Hilfe
.
.
.
Dann kehrt
sie
verdient,
Die Kinder, die Greise, die Frauen
vergöttern sie und sehen in ihr irgend einen Engel
sehung.
ist.
Ziele.
Anordnungen, gebe allgemeine gerechte Unterdie Farmwirthschaft ein, Sparkassen, Werkstätten,
Kleide, das sie über
durch
dass
beide,
dem anderen auf dem Wege zu diesem
helfen eines treffe
an
gegenseitigen Liebe,
und wir wissen
oder die Vor-
zurück und verheimlicht mir, dass
dem unglücklichen Bauer gewesen hat, aber ich weiss alles und umarme bei
ist
und
sie
ihm Geld gegeben
sie herzhaft und küsse zärtAugen, die schamhaft erröthenden Wangen und
lich ihre reizenden
die lächelnden rosigen Lippen.
Doch die Ideale sind dazu da, um nicht verwirklicht zu werden. Träume sind Schäume. Mehr als ein Jahr war vergangen, seitdem Nechljudow sein Glück in dem Glücke anderer suchte, und was hatte er erreicht? Seine Bauern waren nicht reicher, noch gebildeter,
noch
moralischer
Laster,
Argwohn,
geworden.
Lügnerische
Hilflosigkeit spannen
von einer Bauernhütte zur anderen. dreissigj ährige
Juchwanka,
Pfeife rauchte, sich
um
welcher
Routine,
nach wie
Da war
beispielsweise der
gemüthlich
die Wirthschaft, welche
Müssiggang,
vor ihre Fäden zu
Hause
dafür mishandelte Mutter in gutem Zustande abgetreten, geringsten bekümmerte und sich höchstens
sass,
ihm die zum Danke nicht
im
damit beschäftigte, der
Krone gehöriges Holz zu stehlen und in der Kneipe zu versaufen. Da war ferner David Belij, ein ruhiger, mässiger Bauer, welcher aber schlimmer war als ein Trunkenbold; denn er rührte allen Strafen und Züchtigungen zum Trotze keinen Finger zur Arbeit, er verschlief die ganze Zeit auf dem Ofen und Hess sich von den alten, kranken Eltern ernähren, nachdem sein Weib durch Ueberanstrengung elendiglich zu Grunde gegangen war. Die Bauern aber, welche wie Dutlow mit Arbeitsfreudigkeit ihrem Berufe nachgingen und mit Bienenfleiss sich ein Vermögen zusammengescharrt, Sie hatten, begegneten dem Gutsherrn mit- grossem Mistrauen. hielten es für nothwendig, ihr Vermögen vor ihm zu verheimlichen sie gingen einem Geschäfte mit ihm aus dem Wege, weil si« fürchteten, «auf einen Schlag für immer quitt zu sein».
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415
Notizen.
Freilich ist im Grunde genommen der Held der vorliegenden Erzählung nicht der Mann darnach, die weit ausgreifende, hohe
Aufgabe,
welche er
Unternehmen
zu
gesteckt,
sich
füglich
ist
nur ein
bewusster, an Erfahrungen reicher und
bewanderter Charakter gewachsen.
dem Fürsten Nechljudow.
dem
etwas
in
nicht
Spruch:
«
gleich
männlicher,
Alle diese Eigenschaften fehlen
ist ein
schwärmerischer Utopist, ein
Thränen
die
ziel-
der Kunst des Hoffens
in
welcher sich über alles grämt,
sentimentaler Jüngling, zu Herzen nimmt,
Er
Einem solchen
erfüllen.
energischer,
seinem Sinne
sich
alles
den Augen stehen, wenn
in
Auf
verläuft.
ihn hat der
Parturiunt montes, nascitur ridicultts mus> volle Anwendung.
Sehen wir ihn doch gar am Schlüsse der Erzählung schwermüthig
warum
ein Fuhrmann geimmer weiter und weiter fliegt und unten die goldenen Städte, Übergossen von hellem Sonnenglanz, und den blauen Himmel mit den klaren Sternen und das blaue Meer
darüber brüten,
worden
sei,
er nicht wie Iljuschka
der frei und leicht
mit den weissen Segeln
sieht.
Die zweite Erzählung schildert mit haarsträubendem Realis-
mus zu Nutz und Frommen der sündigen Menschheit den «Tod
des Iwan Iljitsch, eitlem
Tand und hohlem
dessen ganzes Leben ein stetes Jagen nach
Flitter war.
Sein
Drang
nicht durch einen höheren, idealen
Thun und Treiben ward sondern
beflügelt,
nach
den Regeln des Anstandes und den Anschauungen der Vorgesetzten zugestutzt. die in der
Wie die Fliege durch das Licht, so wurde er durch Welt am höchsten Stehenden angezogen er knüpfte ;
freundschaftliche Beziehungen mit ihnen an
Manieren und Ansichten zu
was
Für
eigen.
machte sich ihre
und
seine Pflicht hielt er alles,
die Höchstgestellten als eine solche ansahen. Als Untersuchungs-
richter und später als Mitglied der
Er
weithin sich dehnende Macht. sten, selbstgefälligsten
Leute
nur eine Anklage gegen ihrer
sie
Anklagekammer besass
in seiner
Gewalt
Höhe herabzustürzen und zu
um
sie
jäh von
Er misbrauchte
zertreten.
dings nie seine Gewalt, er liebte es im Gegentheil,
aber das Bewusstsein derselben, das Bewusstsein, Belieben handhaben zu können,
und dass er
seien
zu erheben brauche,
er eine
angesehen-
fühlte, dass selbst die
sie
sie
das
bildete für ihn
aller«
zu mildern
nach seinem wesentlichste
Interesse und die Anziehungskraft seines Dienstes.
Wie seiner
bei
allen
seinen Handlungen,
so
leitete
Vermählung mit Praskowja Fedorowna
sicht auf das leichte,
ihn
lediglich
angenehme, anständige und
von
auch die
bei
Rück-
der Gesell-
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416
Notizen.
schaft
Die Ausserach tlassung
Leben.
gebilligte
Herzens rächte sich
bitter
an ihm.
der Stimme
des
Nach den Flittermonden
ent-
stand eine Entfremdung zwischen den Ehegatten,
welche mit den Jahren immer mehr zunahm und während der langwierigen schmerzlichen Krankheit des Iwan Iljitsch ihren Höhepunkt erreichte.
Frau und Tochter sahen
Krankheit des Gatten und Vaters Vergnügungen, und ihr Interesse
in der
ein unerquickliches Hindernis ihrer
für ihn concentrirte sich darauf, wie bald er die
Lebenden von der
Unannehmlichkeit, welche seine Gegenwart erzeugte, und sich selbst
So wurde
von seinen Leiden befreien werde. liches
Leid durch
Vereinsamung und Verlassenheit erheblich die
sein schweres körper-
niederschmetternde Gefühl
das
peinigenden Gewissensbisse,
welche
der
ihm
schonungslos
Lebenslauf in seiner trostlosen Nacktheit vorführten. mit
dem Aufgebote
alle
möglichen dialektischen Kunststücke und
gänzlichen
Dazu kamen
gesteigert.
Ob
seinen er auch
glänzenden Beredtsamkeit sich
seiner
durch
durch
den Hinweis
auf die Gesetzlichkeit, Regelmässigkeit, Anständigkeit seines Lebens in die Illusion zu wiegen suchte, dass dasselbe den
der Menschenwürde entsprochen habe,
so herrschte
Anforderungen ihn
doch eine
Stimme unnachsichtig an, dass es, abgesehen von der goldenen Kindheit, ein Gewebe von Lug und Trug gewesen sei, dass er im Taumel nichtiger und widriger Vergnügungen sich nicht zur Selbsterkenntnis emporgerungen habe. Diese Stimme triumphirte schliesslich, worauf ihm der unfassbare Tod in einem doppelt erschreckinnere
Von diesem Augenblicke an erhob
lichen Lichte erschien.
mehrere Tage anhaltendes Geschrei, war, dass
man
Es kam ihm
der
Er
zum Tode
in einen
engen
Thülen nicht ruhig anhören konnte. und wie
sträubte sich,
tiefen
sicli
schwarzen Sack
in den
und
giebt,
allen Kraftaufwandes
bei
hinein-
Händen des Henkers
Verurtheilte sträubt, welcher weiss,
Rettung für ihn
dass
es
keine
Minute fühlte er, dass er trotz dem Widerstande jenem immer näher in jeder
kam, was ihn mit Entsetzen
Tod
er ein
so markerschütternd
vor, als wollte ihn eine unsichtbare, unwiderstehliche
Kraft mühsam
zwängen.
es hinter zwei
welches
Doch allgemach verlor der Er beugte sich zerknirscht vor dem empfand tiefe Reue und schlummerte erfüllte.
seine Schrecken für ihn.
Spruche des Gewissens,
er
dann, von einem Strahle des gnadenreichen Gottes verklärt, in das Jenseits hinüber.
Dr.
Bernhard Münz.
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417
Notizen.
Zur Präge der Zufuhrbahnen die
Nachweisung über bewegten (Jetreidequauti tüten von
in Russland, nebst statistischer
den Jahren lHßtf— 1885
in
Oscar Mc
r t e
ns
bahngesellschaft.
Uandelsarehiv
,
1889
Riga,
aus
(Sonderabdruck
dem
«Rigaer
Jahrg. XVI).
Der auf dem Gebiete der specieller Rücksicht
Riga-Dünaburger Eisen-
der
Kanzleidireetor
Güterverkehrsstatistik, bisher mit
auf das Zufuhrgebiet Rigas,
vortheilhaft be-
kannte Verfasser hat dieses Mal einen Stotf bearbeitet, der in ganz Russland von allgemeinstem Interesse ist, woher es ihm auch an 1
einer allgemeinen
zumal
in
Anerkennung
seiner verdienstvollen jüngsten Studie,
Kreisen von Eisenbahninteressenten nicht fehlen dürfte.
Mertens
stellt
in
seiner
jüngsten Arbeit
zunächst den ge-
sammten Getreide- und Mehlverkehr in Russland überhaupt und sodann im Speciellen nach Art der Verkehrswege (Eisenbahnen, Flüsse, Landwege) dar, um des Weiteren in Text, Tabellen und sehr instructiven kartographischen Darstellungen die Resultate einer
vom Verfasser veranstalteten Umfrage mitzutheilen, welche den Zweck hatte, die Zufuhrrayons einer Anzahl Bahnen nebst den Zufuhrkosten für Getreide zu ermitteln.
Freilich sind es nicht alle
Eisenbahnen Russlands, auf welche Mertens seine Detail-Erhebungen erstreckt hat
;
er behandelt im Einzelnen nur die 16 Bahnen,
denen die*Riga-Düuaburger Bahn
Doch auch
pflegt.
ein solches
regeren
mit
geschäftlichen Verkehr
Beobachtungsgebiet dürfte bei dem
eigenartigen, detaillirten Verfahren, welches der Mertensschen Unter-
suchung eigen ihrer sich
ist,
zeitraubenden
der
um
genügen,
theoretischen Seiten
hin
Mühe
die behandelte
unterzogen,
Frage nach einer
Der Verfasser hat
zu beleuchten. die
an
die
Vorsteher
von 240 Eisenbahnstationen versandten Fragekarten aufzuarbeiten, welche Angaben darüber enthalten, von welchen in der Umgebung der Station belegenen Punkten letzterer Getreide zugeführt wird, wie weit diese Punkte von der Eisenbahnstation entfernt und wie gross die Kosten der Anfuhr einer Waggonladung (610 Pud) sich «teilen.
Aus einem
solchen Material hat Mertens das Zufuhrgebiet
für 16 russische Bahnen zu bestimmen gesucht, dasselbe graphisch dargestellt
und
gleichzeitig
die
durchschnittlichen
innerhalb der einzelnen Bahnrayons
Verfasser
kommt
zu
dem
in
Ergebnis
,
Zahlen dass
Zufuhrkosten
ausgedrückt.
jene
(2794)
Der
Punkte
durchschnittlich von der Eisenbahnstation 22 Werst entfernt sind 1
Frühere Arbeiten von Oscar Mertens sind; «Das Zufuhrgebiet Rigas für
Getreide, Mehl und Grütze», 188a und die Fortsetzung hiervon, erschienen 188. iUltiaclio MonaUiohrift. Bd. XXXVI, lieft 5. 29
Digitized by
Google
418
Notizen.
grösste
die
Entfernung beträgt 42 Werst,
durchschnittliche
die
geringste 14 Werst.
Nachdem der Verfasser
Noth wendigkeit des Baues von
die
Zufuhrbahnen zu erhärten versucht diese
Aufgabe zu
hat, berührt er die
Er
erfüllen obliegt.
Frage,
wem
spricht sich dahin aus, dass
Bau von Zufuhrbahnen mit Unterstützung zu nehmen hätten, wobei die landischeu Selbstverwaltungen das Unternehmen durch unentgeltliche Heigabe die
Hauptbahnen
den
das Staates in die
Hand
des Terrains fördern sollten.
Mit Hinweis auf
die
Erfahrungstatsache, dass nur die höher-
werthigen Getreidegattungen die Kosten eines kostspieligen Transports zu tragen im Stande sind, beleuchtet der Verfasser schliess-
Frage
lich die
cWo
Zufuhrbahnen gebaut werden
sollen
In einer entschieden geistreichen Weise
Frage theoretisch zu tualischen Antheil die
einzelnen
er für
46 Bahnen dem procen-
am Transportquantum sämmtlicher Bahneu den
Getreidearten
der einzelnen
Antheil
Indem
lösen.
?>
sucht Mertens diese
entsprechenden
Bahn zur
Seite
für
procentualischen
bezeichnet Mertens
stellt,
diejenigen Linien als die geeignetsten zur Anlage von Zufuhrbahnen,
deren Transportleistung
einen
für
Linien eine hervorragende Stelle
der behandelteu Artikel diesen
wo
anweist und
Artikel zu den bedeutendsten Producten
des
zugleich dieser
betreffenden Zufuhr-
rayons gehört.
Im
Einzelnen werden natürlich die localen Verhältnisse über die
Notwendigkeit der Anlage einer Zufuhrbahn zu entscheiden haben. Jedenfalls gebührt Mertens das Verdienst, der Lösung dieser ganzen wichtigen Frage auf theoretischem Wege nahe gerückt zu sein. Mertens hat die Frage,
werden
sollen,
theoretisch
w
o Zufuhrbahnen in Russland gebaut
entschieden
sehr
fein gelöst
So sehr
aber seine Arbeit nach dieser Seite hin Anerkennung verdient, so sehr berechtigt erscheinen die Einwände,
gegen Einzelheiten Methode,
aufdrängen.
Mertens
welche
bei
die sich bei der Leetüre
Vor allem Berechnung
sich
lässt
von
*
über
die
Durchschuitts-
entfernuugen» der Getreidesammelpunkte von der nächsten Eisenbahnstation befolgt, streiten und fragen,
warum denn
der Verfasser statt
von Durchschnittsentfernungen einfach von den Maximalentfemungen ausgeht,
aber
ist
um
das Zufuhrgebiet
doch wol
Zutuhrbahnen
in
die
einer
Bahn zu bestimmen.
ganze Frage darüber,
o b
der
Russland schon jetzt zeitgemäss und
Sodann
Bau von
volkswirt-
schaftlich lohnend erscheint, noch sehr discutabel.
Digitized by
Google
419
Notizen.
Ich wenigstens
bin
der Ansicht
gewiss nicht allein dazustehen, dass stellung guter, allzeit passirbarer
in
und
in grosser
mit derselben
durch
Landwege dasselbe
was man durch Zufuhrbahnen zu
könnte,
auch Zufuhrbahnen
glaube
Russland
erreichen
Herwerden
die
erreicht
Wenn
hofft.
—
Zahl gebaut würden,
blieben die
Zufuhren zu diesen so schlecht wie die Mehrzahl der gegenwärtigen
Landwege, so sich nicht in
wo
lich,
würden
alsdann
dem Masse
die Transportkosten
verringern, als
man
für Getreide
Jetzt nament-
glaubt.
unsere Course zwar stabiler, jedoch noch keine constante
geworden, dürfte es kaum rathsam erscheinen, Capitalanlage,
wie die
eine so sehr grosse
Zufuhrbahnen erforderliche,
daran zu zu wagen, um Vortheile zu erzielen, die so lange an Unvollkommen heit kranken würden, als nicht die schlechten Landwege und der für
Vampyr des russischen Bauern, der sog. Kulak >, verschwunden sind. Zudem entsteht die Frage, ob nicht volkswirtschaftlich mehr «
gewonnen werden könnte, wenn an Stelle von Zufuhrbahnen practiLandwege gebaut würden, d. h. ob nicht dadurch dem Landmanne besser geholfen wäre, dem ja doch dann ein Verdienst (Ab-
cable
eigenen Pferden) zufliessen würde,
fuhr mit
der
Eisenbahn,
zum
Theil
wenigstens,
beruft sich zwar auf das Beispiel
amerikanischen Staaten
;
der
der sonst
zu gute
der Kasse
käme.
Mertens
der westeuropäischen und nord-
Bau von Landstrassen
für die
Zufuhr
Uebergangsstadium, das Russland überspringen könne.
M. Moment zum Aulegen von Zufuhrbahnen in Russland dann eingetreten sein, wenn eiue dauernde Stabilität der
sei ein
E. wird der erst
Getreidepreise
auf der Basis anderer Geldverhältnisse,
nach Einführung einer Metallvaluta,
Da
wird Platz
gegriffen
aber dieser Augenblick vielleicht noch sehr fern
liegt,
sich gerade der Eintritt in jenes Uebergangsstudium
d. h.
haben.
so dürfte
im Verkehrs-
wesen, wie es andere Staaten durchgemacht haben, eher empfehlen, als
das
Wagnis
eines
weiteren
Schrittes
in
sprunghafter
Ent-
wickeluug.
Diese bescheidenen Bedenken richten
sich natürlich lediglich
gegen die Voraussetzung, von der die Mertenssche Arbeit ausgeht, nicht gegen diese selbst, deren Werth im übrigen auch durch etwaige weitere Einwände nicht geschmälert zu werden vermag. N. C.
2«.)*
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420
Notizen.
Paul Jordan,
und Statistik
zur Geographie
Beitrag
Estland, nebnt einem
Anhange ȟber
hat
Estlands verdienstvoller Statistiker
Heimat und mehrt
:
Reval, 1HH!»
.
die Literatur seiner
um einen überaus werthvollen Beitrag verWerk ist die deutsche private Ausgabe einer
seines Faches
das obbenannte
kurz zuvor
de» Gouvernement«
BauerlmrirtMi
in russischer
Sprache erschienenen
offiziellen
Publication
des estländischen statistischen Gouvernementscomites, welche offen-
bar
Zweck
den
hatte,
im Swod
den
Sakonow den
statistischen
Aufgaben gerecht zu werden: durch Mittheilungen aus der Geographie, Archäologie und Statistik Provinzialinstitutionen
gestellten
des Gouvernements.
Der ihm gewordenen Aufgabe
um
ist
dessen Verdienste
Jordan,
Grenzen unserer Heimat hinaus Anerkennung gefunden (Jordan gehört bekanntlich dem internationalen statistischen Institute an) in geradezu gewinnen, Auf kaum 100 kl. Octavseiten giebt der Weise gerecht geworden. Jordan eine Fülle des interessantesten Zahlenmaterials, welches eine, wenn auch nicht erschöpfende, so doch sehr weitgehende Bedie statistische Wissenschaft auch weit über die
schreibung des socialen und wirtschaftlichen Zustandes des gegen-
Der Inhalt
wärtigen Estland in sich schliesst. enthält
weit mehr,
jedenfalls
des kleinen Buches
als sein bescheidener Titel in
Aus-
sicht stellt.
Auf den Inhalt des Werkes einzugehen, müssen wir unn Raummangels wegen leider versagen. Besonders verdienstvoll dass
der Verfasser
schöpfte,
und
ist
die
das neueste
Werk Jordans
zahlreichen Quellen,
sowie auch, dass überall,
angiebt,
nisse sich finden
vinzen
stets
Hessen,
anderen
Vergleiche
Staaten
dadurch,
aus denen
wo analoge
er
Verhält-
anderen russischen Pro-
mit
dem Leser an
Hand gegeben
die
werden.
Dass der Verfasser es ermöglichte, auch durch Veranstaltung Ausgabe seines Werkes ein weiteres Publicum seiner Kenntnisse theilhaftig werden zu lassen, wird ihm den lebhaftesten Dank des letzteren sichern. Durch das ganze Werk weht ein
einer deutschen
Hauch
echt deutscher Gründlichkeit und der Geist strenger Wissen-
schaftlichkeit,
wie er nicht immer
statistischen Publicationen eigen
Besonders
erwähnt
saubere Ausstattung
.
vielmehr
um
nur eine
welcher sich zu helfen ohn-
mächtig oder des guten Willens ermangelnd
Hass
«Du
:
beschwichtigen und zur Zufriedenheit mit ihrem
zeigt, in erster Linie
dem
denn ihn macht man und zwar nicht ganz ohne Be-
Es ist sehr beachtenswerth, Bewegung unter den «Enterbten» immer mehr die Züge
rechtigung vor allem verantwortlich. dass die
des Anarchismus annimmt, ein beredtes Anzeichen für die Discrediti-
Noch behauptet
rung der staatlichen Gewalt und Ordnung. ihren Platz,
dass aber
die
Unterminirung
derselben
und immer erschreckendere Ausdehnung gewinnt,
schreitet
diese
rührig
fort-
lehren
Punkten und in der mannigfaltigsten Weise aufblitzenden Eruptionen. Die oberen Zehntausend aber
die an den verschiedensten
wissen
dem gegenüber
nichts
Anderes und Besseres zu thun,
als
und Militärmacht zur gewaltsamen Unterdrückung aufDass diese im einzelnen immer noch gelingt, wiegt sie
die Polizei-
zubieten.
zum nächsten Ausbruch in erneute Sicherheit. Man damit die Spannung im ganzen nur mehr und mehr gesteigert wird und dass die bei dem bisherigen Verfahren wenigstens bis
will nicht begreifen, dass
unausbleibliche
dadurch
um
allgemeine
so furchtbarer
Inzwischen
thut die
Entladung der unterirdischen Wetter und vernichtender ausfallen muss. herrschende Klasse
Weiterverbreitung des Geistes Sie handelt dabei nach
der Geist,
welchen
weiss nicht,
Genusssucht,
was
zu sorgen,
dem Gesetz
sie
sie thut
predigt, ;
denn
der Mammonsliebe
der
alles,
um
denn Aber sie
den
Geist der
der Geist,
und
soll.
ihr eigener Geist.
innerer Nothwendigkeit
ist
die
für
das vollenden
sie als
;
der Herrschbegier in ihrem
Busen hegt, wandelt sich bei der Uebertragung auf die Massen in Dämon des Umsturzes und der Vernichtung, der seine eigenen
den
So in Blut und Greuel aller Art zu ersticken trachtet. manche Apostel des neuen Evangeliums mögen übrigeus wol durchErzeuger
schauen, welche Ernte aus der von ihnen ausgestreuten Saat reift,
Digitize*
Wunden.
Offene
nnd doch in
bei
449
ihrem verderbenbringenden Werke beharren.
Sie sind
diesem Falle jenem geheimnisvollen Zauber der Bosheit verfallen,
welcher zu einem unlösbaren Banne geworden
gegen besseres
ist,
Wissen und Gewissen zur Vollendung des Bösen treibt, zur Vollendung in der eigenen Vernichtung und der Vernichtung aller, wenn Kitzel
absolute Nihilismus
Dieser
möglich.
der
ist
dem Geiste der
welche sich
derer,
dämonische
letzte,
Verneinung
steten
er-
geben haben.
Dass aber dieser Geist
der
in
der
Gesellschaft
modernen
Culturwelt immer weitere Kreise zieht, kann niemand ernstlich in
Abrede
der mit einiger Aufmerksamkeit die Entwickelung
stellen,
Kunst, presse im
Literatur
der
der
besonderen
im allgemeinen und der
Es
verfolgt.
fehlt
Aber
nicht ganz an Zeugnissen der Wahrheit.
doch noch leider immer
Gott
ja,
Ta sei
gesDank,
fürs erste steht es
dem grossen Der Geist der Lüge,
dass derartige Stimmen in
so,
allgemeinen Chorus fast ungehört verhallen.
der das Sichtbare und Vergängliche als das allein Werthvolle preist, beherrscht die ungeheure Mehrheit, und ob sich das für dieses Ge-
hohem Masse
schlecht überhaupt noch umkehren wird, muss als in fraglich erscheinen.
seinen Organen
den
offenen,
Dinge,
mit
!
Und welche Orgien
Mit satanischer Nacktheit und Schamlosigkeit
brutalen Verneinern
der
der
in
Wehe
über
oder
bei
in
Israel
gewesen
sein
Aber wie verderbt seine
und wie weit
der diabolischen Kunst der Verdrehung und
heit gebracht
weiss nicht,
und aus Licht Finsternis machen, die aus
sauer süss und aus süss sauer machen». in
— man
Einer der alten Propheten
diesen.
welche «Böses gut und Gutes böse heissen,
die,
die aus Finsternis Licht
Zeitgenossen
bei denen,
der Lüsternheit pikanter
und abstossend
erscheint, moralisch verwerflich
ob mehr bei jenen
Form
bei
Ordnung der
überlieferten
mehr oder weniger gleissender Verhüllung
welchen die Schamlosigkeit
ruft sein
der Lügengeist in
feiert
haben mögen,
es
kann
sie es speciell
Umkehr
das Mass,
das
der
sie
Wahr-
erreicht
doch nicht entfernt herangereiciit haben an das, bis zu welchem es die moderne Presse gebracht hat. Ist die Entschiedenheit und Energie in der Feindschaft gegen die Wahrheit intensiv dasselbe gewesen, was ja dahingestellt bleiben muss, so wird man haben,
doch mit Bestimmtheit sagen dürfen,
extensiv,
in der Geltend-
machung, gebührt der Lüge unserer Zeit die Palme, weil sie eben gedruckt lügen kann und deshalb unvergleichlich viel weiter greifen muss. Dass die Wahrheit im material-christlirhen Sinne verleugnet,
Digitized by
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450
Offene Wunden.
angefeindet und in den Staub zu ziehen gesucht wird,
darf natür-
wunder nehmen und brauchte kaum hervorgehoben zu werden. Dass sie aber auch in dem formalen Sinne der blossen Thatsächlichkeit so absolut misachtet und mit Füssen getreten wird, bedarf docli noch der besonderen Anmerkung. Es giebt nichts Harmloses, das man dem Gegner nicht zur giftigsten Beschuldigung zurechtzudrehen verstände edel und gut Gemeintes wird durch eine völlig unbedenkliche Dialektik und im Nothfall durch die nicht
lich
;
dreisteste Erfindung zur Gemeinheit gestempelt; selbst das Heiligste ist
das Höchste
nicht heilig,
Kothwurf aus Bubenhand
nicht
erhaben
sicher zu sein.
genug,
Dabei
um
vor dem
erscheinen
diese
Herolde der heimtückischsten Lüge und der brutalsten Verleumdung
dem weiten Faltenwurf des
nie anders
als
Wahrheit,
geberden
Humanität,
in
sie
stets
Sittlichkeit, Freiheit,
treter des Rechts, kurz, stellt,
sich
unentwegten Ver-
als die allzeit
den Kopf ge-
es wird alles geradezu auf
zunächst
so dass der Unerfahrene
erfasst fühlt
Priesterkleides der
die Verfechter der echten
als
und zweifelnd an
wie vom Schwindel sich
seine Stirn greift, ob er denn anch
ihm die Augen für den wahren Sachverhalt aufgehen und er, von unaussprechlichem Ekel erfüllt, sich wegwendet. Den Preis in dieser systematisch betriebenen Fälschungskunst dürfte leicht eine gewisse Species der deutschen Presse da von tragen. wirklich wache,
bis
Das hängt einmal
vielleicht damit zusammen, dass der Deutsche worauf er sich legt, es am gründlichsten treibt, sodann aber hat es wol besonders darin seinen Grund, dass nirgendwo sonst in so breiter Ausdehnung wie hier fremde Elemente ihren in allem,
corrumpirenden Einfluss ausüben. schnell vergessenden Zeit
Selbst unserer schnelllebigen und
wird die Erinnerung
an
die Walpurgis-
nacht nicht so bald abhanden kommen, welche von diesem Gelichter
dem unglücklichen Kaiser Friedrich III. in Scene gesetzt ist Solche Tage des Rausches können natürlich nur selten kommen und kurz währen. Jedoch wenn auch in herabgestimmunter
worden
terer Tonart geht gleichwol
die Melodie unverändert
und tactfest
Die Sicherheit blendet aber selbst manchen, der innerlich von diesem Reigen geschieden sein sollte. Von den zahlreichen weiter.
offenen
Wunden am
siechen Körper
der modernen Gesellschaft ist
die in der schlechten Presse zur Erscheinung
allerschlimm8te,
weil
ununterbrochen das feine, unsichtbare
sie
die
verderblichste
tödtliche Eitergift
Aederchen weiter,
kommende wol die Aus ihr strömt
ist.
und dringt durch
bis alles inficirt
tausend
und zum Ab-
Digi
Oft'ene
sterben reif
Am
ist.
ist dabei, dass man wirklich dem Uebel Einhalt zu thun wäre. An
Dammsetzen und Schrankenziehen
Man
nicht zu denken.
451
betrübendsten
nicht zu sagen wüsste, wie ein
Wunden.
in
äusserlicher
Weise
ist
müsste sonst die freie Meinungsäusserung
überhaupt knebeln, wovon
in den modernen Culturstaaten ja nicht Rede sein kann. Es bliebe also nur die Gegenwirkung durch Begründung und Aufrechterhaltung einer guten Presse. Gewiss kein zu verachtendes Mittel. Wo und soweit noch gesunde Elemente vorhanden sind, wird es dadurch vielleicht noch möglich
die
sammeln und zu bewahren. Auf Ueberzeugen und Bekehren darf man nicht allzu viel rechnen, um so weniger als man sich nicht wird verhehlen können, dass, wo die Liebe zur
sein sie zu
Wahrheit nicht angenommen worden reden, die schlechte Presse lichen
Vorsprung
mehr
in
einer
als
Braucht jene sich doch schon
Zwang
in der
mit
dem Apostel zu
immer einen beträcht-
ßeziehuug voraushaben wird.
Auswahl des
Stoffes gar keinen
aufzuerlegen, und die drastischsten Darstellungsmittel sind
ihr stets unbedenklich
strömung
der
in
gerade
öffentlichen
ohne Sorge
um
Volkes, denu
wo
die
ihr.
Sie
recht.
schmeichelt jeder Zeit-
Meinung und wendet
rechnung jedesmal an die gerade
selbst
um
ist,
der guten
vor
am
mit Be-
sich
stärksten erregten Instinkte,
Folgen für das Wohl des Vaterlandes und des
einziges Interesse
sie in allen diesen
ist
Aber
der eigene Erfolg.
Stücken noch einen gewissen Austand
beobachtet, hat sie auf ihrem Standpunkte nach der formalen Seite
immer von vornherein einen grossen und zu Regiren,
leichter zu kritisiren
Auf
rechtfertigen.
zu
Es
ist
verteidigen
eben viel
und zu
jener Seite wird immer der Eindruck des Neueu,
Interessanten und Pikanten sein,
hältnismässig billig
Vortheil. als
und
leicht
Verfechter des Positiven,
der Schein des Geistreichen versich
erzielen lassen,
des Historischen
während die
von Hause aus
in der
üblen Lage sich befinden, gewissermassen nur «Olle Kamellen» auf-
Es gehört auf
zutischen.
dieser Seite
schon
eiu
hervorragendes
Begabung dazu, um Aufmerksamkeit zu erregen, geschweige denn auf die Dauer zu fesseln. Dort liegt der Reiz schon in dem Stoffe und in der Schablone, nach welcher er leicht von jedem Stümper mundgerecht zu formen ist hier muss er ausgehen von der Persönlichkeit und einer bemerkens-
Mass von
eigenartiger geistiger
wertheren Geistesgewalt lichkeiten
dünn
?
gesäet,
in derselben.
Wo
sind aber diese Persön-
wenn überhaupt vorhanden, jedenfalls sehr und man darf über ihr Vermögen, den Lauf des Stromes
Sie
sind,
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Offene Wunden.
452
Sie
aufzuhalten oder abzulenken, nicht allzu optimistisch denken.
kämpfen einen ungleichen Kampf, ungleich in Ansehung des numerischen Verhältnisses, der Mittel und der natürlichen Vortheile des Solche Erkenntnis darf selbstverständlich
beiderseitigen Standortes.
nicht
müde und
lass
machen,
dazu dienen,
aber
sie soll
vor Illu-
sionen und Täuschungen zu bewahren.
So
rollt
denn das Verhängnis weiter. In immer grösserem so dass die Ernte nur der alles um-
Umfange wird Wind angesäet, stürzende Sturm werden kann.
Dabei
ist
Gedauke, dass ja sicherlich nicht
alle in
modernem Geiste gehaltenen
Organe der Presse auch
«
es ein
wenig tröstlicher
extrem > oder «radical» gesinnt sind,
d. h.
Consequenzen der von ihnen vertretenen Voraussetzungen ziehen wollen, und dass solches bei denen, welche mehr oder weniger
die vollen
Nahrung aus ihnen entnehmen, zweifelist. Das ist so wenig ein beruhigendes Moment in der Lage der Dinge, dass man vielmehr sagen muss, es trage nur noch zur Erschwerung und Verausschliesslich ihre geistige los verhältnismässig
noch weniger der Fall
schlimmerung derselben
Im anderen
bei.
würde wenigstens
Falle
Klarheit herrschen und je länger je mehr eine reinliche Scheidung
gegenwärtigen Umständen gedankenlos auf dem breiten Wege mittrottet und sich weiter und weiter schieben lässt, stutzig würde, um zu bedenken, was zu seinem und des Ganzen Frieden dienet. Nun aber bleibt
sich vollziehen, bei welcher so mancher, der unter deu
es eben vor den
der prickeluden
Wahne, dabei
Augen der meisten verborgen Man giebt sich Anregung des süssen und feinen Giftes hin, in dem
die volle Objectivität
Man merkt
wahren.
die
mählich vollzieht, nicht,
leise
weil
des
man
sein
zu be-
eigenen Urtheils
Verschiebung
,
welche
sich
all-
Augenmerk nur auf den
Radicalismus als die drohende Gefahr gerichtet hält und sich gegen
Inzwischen
diese für gefeit erachtet.
dass
man
erlegen.
übt
es auch
nur
gemerkt
hätte,
aber
ist
der
viel
man
bereits,
ohne
ernsteren Gefahr
Die Weisheit, unter deren Einfluss man sich gestellt hat,
eine Wirkung ganz
Glaube an
unfehlbar aus,
d
die alte Wahrheit, welche nicht
i
e
dass der
nämlich,
von dieser Erde
seiner Festigkeit und Gewissheit erschüttert wird.
ist,
in
Damit schwindet
aber überhaupt die Kraft unwandelbarer Ueberzeugung, sowie die klare und bestimmte Entschiedenheit.
skopisch wechselnden Tagesineinungen
drängenden, unwiderstehlich
In
dem Gewoge der
kaleido-
und dem Gewirre der sich
bald hierhin,
bald
dorthin ziehenden
Tagesereignisse fehlt ein für allemal der absolut sichere Compass.
Digitized by
Offene Wunden.
Es
ist
die Stelle
als nützlich
und Stetigkeit
priucipieller Zielbewusstheit
Schwanken und
m
ein Ausspähen nach dem, und zweckmässig erscheint, möglich.
nur noch ein haltloses Laviren,
was augenblicklich
An
453
ganze ünzuverlässigkeit des
die
ist
das
Opportunis-
u s getreten, der verbreitetsten und zugleich unseligsten Geistes-
Diese Art
unserer Zeit.
richtung
dem staatsmännischen
glaubt
Genie unserer Epoche was abgeguckt zu habeu. Darin, dass dieses sichs zur Maxime gemacht bat, lediglich mit realen Factoren zu rechnen uud seine Ziele stets innerhalb der Grenzen des Möglichen
und
zu
Erreichbaren
stecken,
sieht
Grundsatzlosigkeit
sie
und
schmeichelt sich deshalb, in dieser den politischen Stein der Weisen
Jeder andere Standpunkt wird als
entdeckt zu haben.
c
unpolitisch»
mit einem Hochmuth und Eigendünkel abgethau, die geradezu possir-
Man kann aber nicht einmal herzlich lachen, Grunde gar so traurig ist. Wer den moralischen Ekel überwinden kann und sich ein deutliches Bild der vollen Charakterlosigkeit des Opportunismus vor Augen stellen will, der lasse sichs nicht verdriessen, ein paar Jahrgänge eines opportunistischen Pressorgans durchzublättern. Es ist erstaunlich, ja geradezu verblüffend, was da alles geleistet wird; wie man heute verwirft, was man gestern als allein heilbringend gepriesen, oder umgekehrt lich sich
ausnehmen.
weil die Sache im
wie man an der einen Person als bewundernswerth herausstreicht,
was man an eiuer anderen zum Verbrechen stempelt wie man in Athemzuge ja und nein sagt, ein und dasselbe schlecht ;
einem und
gut, bitter und süss, heiss
und kalt
findet u.
Und das
w.
s.
will
sich als die echte, alleinige Weisheit aufspielen, das will der Sphinx
des Jahrhunderts
kommene blos
ihr Räthsel
lächerlich,
sie
allzeit mit grosser
ist
!
Aber
auch sehr
Emphase
und
lösen
Zeit wieder einrenken
für
aus den Fugen ge-
die
diese Modethorheit ist nicht
gefährlich.
das
Obgleich sie sich
wahre Gegengift gegen den
umstürzlerischen Radicalismus und Nihilismus anpreist, thut sie in
Wirklichkeit
doch
bricht und ihm die
halten kann.
nichts Anderes,
Wege
ebnet,
Natürlich
ist
als
diese
sich eine Linie zu ziehen,
über hinaus aber nicht.
zu wollen,
Ruhe und
ist
eine
demselben Bahn
so
ist
es
umsonst,
man gehen möchte,
dar-
Einen solchen willkürlichen Halt macheu
im Leben ein vergeblicher Vorsatz.
des Friedens
Triumphzüge
unbeabsichtigte,
Hat man einmal den
ändert. verlassen,
bis zu welcher
sie
er seine
Wirkung
was aber leider an der Sache nichts Grund der ewigen Wahrheit
festen
dass
auf denen
mag
es
allenfalls
gelingen.
In Zeiten der
Nicht aber,
Digitized by
Google
454
Offene Wunden.
wenn der Kampf wogt, wie
jetzt bereits der Fall ist oder wenig-
stens allenthalben droht.
Da
und
die
Schwankenden,
wie
können die Halben, die Zaudernden Erfahrung aller Zeiten
lehrt,
Ganzen und Entschiedeneren gegenüber nur den Kürzeren
den
ziehen.
Sie werden eine willenlose Beute der entschlossenen Negation, mit
der sie ja
grundsätzlich
diesen Leuten von
auf demselben Boden
einem Grundsatz
stehen,
noch
anders
die
wenu bei Rede sein
So machen sie durch ihre Unfähigkeit in der Stunde der Gefahr diese allemal erst zu einer wirklich kritischen. Im Verkann.
trauen auf ihre Zahl, welche immer die grösste gewesen
Aergste immer noch abwenden zu können, bis
sich, stets
zum Siege
wollten.
wo
halfen,
werden uns nichts
Sie
retten,
halten, diese blinden Blindenleiter
am
eigentlich
sie es
sie
man
kennen und beherzigen wollte, dass
und
allerwenigsten
doch
erhalten
das
zu spät,
werden uns nichts
Wenn man
!
bilden
wurden
herausstellt, dass die zu schieben meinten, geschoben
dort
ist,
Hand zu haben und
Entscheidung in ihrer
sie sich ein, die
er-
endlich
er-
nur kann,
ein
Conservativer zu sein und conservativ zu wirken nur vermag, wenn
mau etwas
und hegt, was des Conservirens ernstlich Werth Ewiges mehr hat, was will denn der überhaupt im unvermeidlichen Wechsel der Zeiten festhalten? Was nicht an sich beharrlich ist, das lässt sich gar nicht conserviren, wenn sich ist
!
Wer
besitzt
nichts
auch alles mit einander zu diesem Zwecke verschwören wollte.
w
Grunde sind
i
ihrerseits
gar nicht, die
r es
werden
sondern die conservirt
durch
alles,
sie sich
lassen.
an ihr
was
noch
Mit
besteht,
erheben
fällt,
und
aus den Ruinen
ihr zu erfüllen
Es haudelt
wenn Trümmern würde
über der Welt in
was an
ihr aber bleibt nur,
theil hat.
die einzige conservative
Diese muss bleiben,
Macht, die es giebt, die ewige Wahrheit. auch
sich
Im
conserviren,
neues Leben blühen
ihr theil hat,
lediglich
also
soweit es
darum, sich mit
und sich von ihr durchdringen zu lassen, um allen sichere und feste Zuversicht
Eventualitäten gegenüber die ruhige,
zu gewinnen, der ein
Mann
Arndt
wie E. M.
schöner Weise Ausdruck verliehen hat, Ich weiss, an
wen
wenn
in
unvergleichlich
er singt
:
ich glaube,
Ich weiss, was fest besteht,
Wenn Wie
alles hier
im Staube
Asch' und Rauch vergeht.
Ich weiss, was ewig bleibet,
Wemi
alles
wankt und
fällt,
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Gf)£gle
455
Offene Wunden.
Wenn Wahn die Weisen treibet Und Trug die Klugen hält. Ich weiss, was ewig dauert, Ich weiss, was nie verlässt,
Auf ew'gen Grund gemauert Steht diese Scliutzwehr
Es
fest.
sind des Heilands Worte,
Die Worte
An
und klar
fest
diesem Felsenhorte 1
Halt ich unwandelbar. Hier
ist
die Erfüllung des Horazischen
Si fractus illabatur orbis
Impavidum Muth, hier
ist
heit,
hier ist Hoffnung, hier
allein.
Kann
ist
ist alles,
was wir brauchen, und
hier
Wahl geben? Und doch, wie wenige Wahl treffen Auch hier wird es heissen, wie
es hier noch eine
werden die rechte zu allen Zeiten
!
Wandelung
weltgeschichtlicher Entscheidung und
«Mit
sehenden Augen
hören
sie nicht;
dem Zeugnis
ferient ruitute.
Klarheit, hier ist Gewissheit und Entschieden-
Hier
denn
sehen
sie
nicht
und
sie verstehen es nicht.
historischer
mit
hörenden Ohren
Wäre
>
der Welt mit
Erfahrung oder mit unwidersprechlichen
zum Glauben zu helfen, sie müsste ihn Daran hängt's eben nicht. Wo aber die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen wird, da sendet Gott selbst kräftige der Logik
Deductioneu
längst haben.
Irrthümer,
dass
sie
glauben
der Lüge,
scheint unserer Zeit widerfahren
dieses Gottesgericht
und
zu sollen.
Wiederholt
ist sie in
Weise auf cdas Eine, was noth thut» hingewiesen worden, wie das ähnlich klar uud unzweideutig selten im Kreislauf der Jahrhunderte vorgekommen sein mag, und doch wendet sie sich mehr und mehr davon ab, um Schemen nachzujagen, mit der Lüge eiuer
zu kokettiren und im Materialismus das bessere Selbst zu ersticken.
Schon huschen am hellen Tage geschäftige Lemuren hin und wieder, der Verblendung, welche sich auf
Höhe der Lebensentfaltuug
die
und -bethätigung träumt, das Grab zu graben, sinken
soll.
Wird
sie endlich
das
sie
hiuab-
merken, was im Werke ist?
Wird
in
Einkehr halten und umkehren, um die Kraft zum Widerstande gegen die Mächte des Abgrundes und die Bürgschaft des Sieges dort zu suchen, wo sie zu finden sind ? Wer kann es wagen, darauf sie
mit einem herzhaften nicht.
Ja zu antworten
Wahrscheinlich
ist
vielmehr,
?
Wahrscheinlich
ist es
eben
dass alles beim Alteu bleibt
Digitized by
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Offene Wunden.
456
und deshalb immer schlimmer wird. die,
Die Gebildeten und noch mehr
welche sich dafür halten und gerne dafür gelteu, werden
fahren, sich an
zu berauschen,
seligkeit
fort-
dem Evangelium des Weltgenusses und der Weltweil
des Jahrhunderts
die Weisheit
sie
darin erblicken und weil es mit seiner Vorspiegelung selbstherrlicher
und Freiheit dem menschlichen Dünkel schmeichelt. Evangelium des Glaubens und der Liebe ist darüber um
Erkenntnis
Das
alte
so leichter und schneller vergessen, als dasselbe mit seinen unbequemen Mahnungen an Pflicht und Rechenschaft nur die weltfrohe Behaglichkeit stört. Darum wird man nicht müde, sich selbst und
andere zu versichern, es
sei
unvereinbar mit den Fortschritten der
modernen Wissenschaft, ja es sei culturfeindlich Der Chor der Evangelisten des modernen Evangeliums in der Presse wird fortfahren, dessen Lehren von allen Dächern zu predigen, und das um !
so ungestörter
und
erfolgreicher
servative und Christen es
dass das es die
Wort Gottes
fein
dem
ja nicht
als
so viele Con-
Hauptregel erachten,
beschränkt bleibe auf die Kauzein,
Massen längst nicht mehr
desselben
thun können,
für die praktische
erreicht,
wo
und dass die Verkündiger
und der Apostel folgen, ihre Ehre nicht für verihnen mit Schmähungen und
Beispiel Christi
welche auf die Gassen hinausgingen und loren
wenn
erachteten,
Steinwürfen
antwortete.
Amtes können
die
Menge
Die
bittersten
Feinde
des
geistlichen
genug thun im Ereifern für die Heiligkeit desselben welche fordere dass die Träger desselben von der Staubatmosphäre des öffentlichen Lebens und Treibens fernbleiben. Thörichte Christen reden das nach, und doch haben wir hier genau denselben Kniff, wie wenn die liberale Doctrin das Königthum, sich nicht
,
,
angeblich
hoch ist.
im
stellt
,
Diffxälc
Interesse
dass est
von
der
Majestät
demselben
desselben,
rein
satiram non scribere,
nichts
so
mehr
schwindelnd
zu spüren
das bleibt eine ewig junge
Wahrheit.
Indem aber
die neue Weisheit
sich selbst nach Kräften pro-
pagirt und die alte Wahrheit nicht ohne Verschuldung der eigenen
Jünger derselben
iu
den Winkel drängt, arbeitet
sie,
ohne es zu
wollen, auch schon an ihrem Verderben und bereitet sich das
Ge-
richt. Es lässt sich nicht vermeiden, dass ihre Predigt auch vor die Ohren kommt, für welche sie eigentlich nicht bestimmt ist und von denen man wol voraussetzt, dass ihnen mit der Bildung das nöthige Aber wenn die Massen Verständnis und Interesse dafür abgehe auch nicht im Sinne der systematischen Schulung gebildet sind, so
Digitized by
Googl«
Offene Wunden.
sind sie doch gewitzigt genug,
was ihnen
aufzufassen,
des Lebens ein
Zweck
sei
unveräusserliches,
in
um
457
und
richtig herauszuhören
das
Dass
der neuen Lebensphilosophie passt.
zu gemessen, dass jeder Mensch als solcher heiliges
Daseinsfreude besitze und
Recht
an
auf seinen Antheil
machen dürfe:
geltend
der
hören die
das
Freudlosen, die Gedrückten, die Vergessenen gerne, welche die modernen Verhältnisse auf der einen Seite vielfach unter das Niveau einer noch gerade menschenwürdigen Existenz hinabgestossen und
auf der anderen Seite es früher
vorhanden
mit war,
einem für
dieses Zustandes erfüllt haben. je
viel empfindlicheren Gefühl, als
das Unerträgliche Sie hören
mehr man ihnen den Gedanken an
um
eine göttliche
Dinge, an eine göttliche Weltregierung und
genommen, und
sie
ihre praktischen
Folgerungen daraus.
und Unwürdige
so begieriger darauf,
Ordnung der
an ein ewiges Leben
hören nicht nur, sondern sie ziehen ungesäumt
Worin
diese bestehen, braucht
Zusammengefasst bilden sie als Socialismus, Communismus und Anarchismus das gefürchtete Schreckbild der modernen Culturwelt, denn sie bedrohen dieselbe mit radicaler nicht wiederholt zu werden.
Vernichtung,
in
der richtigen Erkenntnis, dass bei der bestehenden
Gesellschaftsordnung die Ideale des vierten Standes die gewünschte
Verwirklichung schlechterdings uicht finden können. sind zweifellos eben so utopisch, dieses Urtheil
hat seinerseits
wie
eine Berechtigung
Was man
punkte der alten göttlichen Wahrheit.
Diese Ideale
Aber vom Stand-
sie unberechtigt sind.
nur
aber von den Voraus-
setzungen der Atheisten und Eudämonisten des Diesseits aus gegen jene Ansprüche sollte einwenden können, bleiben, diese
muss jedem
unerfindlich
der noch über eine folgerichtige Logik verfügt.
Leute nicht vielmehr, wenn
wollten, bekennen
:
die Socialisten
sie
Müssten
der Wahrheit die Ehre geben
haben ganz
recht.
Freilich,
die
darum im Voraus Geschlagenen verschliessen gegen jede unbequeme Erkenntnis standhaft die Augen. Sie trösten sich immerdar mit der vagen Hoffnung, dass es zum innerlich Entwaffneten
Aeussersten nicht
und
kommen
werde.
Steht
doch bei dem Siege des
Umsturzes die ganze Bildung in Gefahr. Mit dem Chaos, welches dann käme, müsste auch eiue unausdenkbare Barbarei hereinbrechen.
Kanu das das Ende unserer stolzen Culturent Wickelung sein ? Wird man solch ein Verbrechen gegen die schönste und heiligste Errungenschaft der Zeit wagen ? Wir meinen, dass das müssige Fragen sind. Die Umstürzler, die nichts zu verlieren haben, werden sich an solche
Erwägungen wenig kehren.
Gesetzt
aber selbst,
sie
Hessen sich
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Offene Wuuden.
458
und dachten daran, sich zu
zu solcher Sentimentalität herbei
be-
welcher auf Grund des
scheiden, so sorgt schon der Capitalismus,
modernen Actienwesens dem Arbeiter als unpersönlicher, mitleidsund erbarmungsloser Herr gegenübersteht, dafür, dass die Unzu-
immer wieder von neuem angefacht wird und sich zur Hier liegt die Schraube ohne Ende, welche namentlich von einem gewissen genus hominum in Bewegung gesetzt wird und den Leuten, die mit ihrer Leistung nur als Waare in Betracht kommen, das Mark auspresst. Kann die staatliche Reformgesetzgebung, selbst wenn sie gelingt, diese Uebel beseitigen und ihrer Wiederkehr vorbeugen? Dahinter gehören gewiss mehrere Wird der weitere Fortschritt der Bildung die GeFragezeichen. müther so weit massigen, dass sie von revolutionären Gewaltsamfriedenheit
Verzweiflung auswächst.
keiten abstehen
trägt?
!
Eine Bildung, welche die Revolution im Schosse
Wir antworten mit dem Ergebnis
der Betrachtungen eines
tiefblickenden Beurtheilers der socialen Verhältnisse in der Gegen-
Rudolf Sohm,
wart.
der Jurist, schreibt
essanten Kirchengeschichte
*
:
Eins
am
ist sicher
:
Schluss seiner internicht unsere Bildung
Wohl! Es wird Aber schwerlich ohne erbitterten, auch äusserlich auszufechtenden Kampf. Der Organismus der moderneu Gesellschaft schwärt aus vielen Wunden. Menschlichem Ermessen nach kann
wird uns retten, sondern allein das Evangelium^ uns retten.
es nur eine
Frage der Zeit
bekanntem Munde
fiel
sein, dass er,
sich selbst zu
ins Innerste geschüttelt,
vor einiger Zeit
nächste grosse, die
Lage der Dinge
an der Aeusserung sie in
in
nichts
Weissagung hat vielmehr
wenn
bis
Aus
im Augenblicke etwas
Wort: es könne wol kommen, dass der Welt in Brand setzende Krieg entzündet werde
unter Vorantragung der rothen Fahne. die
ein
begiunt.
klingendes
räthselhaft
samer
vom Fieberwahnsinn
zerfleischen
Ueberblickt
der alten Culturwelt,
so Befremdliches
mehr
man aufmerkso wird mau findeu.
alle Wahrscheinlichkeit für sich.
Erfüllung gehen
sollte, alle
Diese
Möchten,
erhaltenden Elemente, alle
der Ordnung
und Vertreter der christlichen Gesittung unerschütterlich und treu zusammenstehen, um mit vereinten Kräften Factoren
den Geist der Lüge und seinen Heerbann zu dämpfen
!
von dorther ausgestossen unserem Erden Winkel zunächst nur wie das
Die tosenden Schlachtrufe,
welche
werden, klingen uns in dumpfe Rauschen femer Meeresbrandung, welche bis zu uns nicht herüberreicht und von der wir deshalb nichts zu fürchten haben.
Es
ist
jedoch schon auseinandergesetzt
worden, wie
falsch
unter
Offene Wunden.
den heutigen Verhältnissen der Culturwelt ein solches Sicherheits-
Niemand kann vorausberechnen, wie weit der Strom,
gefühl wäre.
wenn
er einmal die
schützenden
Dämme
durchbrochen
hat,
seine
Auch wir haben daher
verheerenden Fluthen ausdehnen mag.
bei
Zeiten unsere Vorkehrungen zu treffen und uns namentlich innerlich
zu wappnen mit der standhaltenden und bleibenden Wahrheit, haben, so viel an uns
ist,
auch dafür zu sorgen,
erkannt und bewahrt werde
Vor der Hand scheinen
dass
sie
möglichst weit
einem guten und feinen Herzen.
in
freilich
dass das zersetzende Gift in den
wenig Anzeichen vorzuliegen,
Massen
unserer Bevölkerung einen
vorbereiteten und dankbaren Boden finden könnte.
Wer
Gelegenheit
gehabt hat, mit dem Volke zu verkehren und dasselbe zu beobachten, der wird, ungeachtet aller unvermeidlichen Gebrechen im einzelnen,
im ganzen mit Dank gegen Gott zur Freude gestimmt worden sein dass kirchlicher Sinn und evangelische Sitte,
darüber, pfeiler
gut conservativer Gesinnung,
In der Masse
des Volkes
aber,
wo
noch
die
ungebrochen
Grund-
dastehen.
die Individualitäten nicht so
herausgebildet werden wie in den oberen Schichten der Gesellschaft
und
die
persönliche Ueberzeugung
reflectirte
eine miudere Rolle spielt, ist die Bedeutung der
Sitte
eine
um
deshalb
herrschenden
Dass wir eine solche von ausgeprägter
so grössere.
Bestimmtheit, die auf dem Grunde des Evangeliums ruht, besitzen, ist ein
nicht hoch genug zu veranschlagender Vortheil der Situation.
Immerhin darf
Wahrnehmung keine Veranlassung zur SorgEs wird sich vielmehr auch auf diesem Punkte,
diese
losigkeit werden.
wo
eine günstige Grundlage vorhanden
ist,
um unermüdliche
Be-
Stärkung und Förderung handeln, wenn wir unserer Aufgabe gerecht werden wollen, um so mehr als es an räudigen Schafen nirgend fehlt, welche die Träger der Zersetzung werden können festigung,
Hat
diese erst begonnen,
wie weit
sie
Fehlt
um es
so
ist
im Voraus gar nicht abzusehen,
sich greifen kann.
nach dieser Seite
immerhin auch
besorgniserregenden Erscheinungen, so steht es
um
die
ist
nicht
ganz an
doch die Hauptfrage
:
wie
um die oberen Schichten der Gesellschaft, Träger der Intelligenz selbst ? Anderen predigen und selbst wäre auch hier von den verhängnisvollsten
verwerflich werden,
Folgen.
man
Nie kann man daran denken, Anderen beizubringen, was
selbst nicht hat.
ist hier nichts
gethan
Mit dem blossen Gebieten und Ermahnen Unter dem Einflüsse des Zeitgeistes ist das
Auflehnen oder wenigstens das Widerstreben gegen
jede unmittel-
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Offene Wunden.
460
bare Beeinflussung, sowol seitens der qualificirten Autoritäten, als
auch seitens der social Höhergestellten
Um so mehr Gebahren hin, um es
aber
ordnung.
Beispiel
gegebene
überhaupt,
man auf
schielt
an der Tages-
deren
eigenes
aufs sorgfältigste zu copiren, und
wenn das
im Guten manches Erfreuliche wirken kann,
im Schlimmen alles verderben. Es ist daher die oben Frage von der entscheidendsten Bedeutung für die Entwicklung des gesunden Geistes und Sinnes unter uns. Natürlich verbietet es sich bei einer öffentlichen Berührung dieser Frage von so
muss
es
gestellte
selbst,
welche allerdings erst ein lebensvolles
in Details einzugehen,
und erschöpfendes Bild zu entwerfen gestatten würden. Man muss sich begnügen, auf einige hervorstechende Punkte ein flüchtiges Schlaglicht
Einzelnen
zu
fallen
lassen
und
ausführlichere Prüfung im
die
dem eigenen Nachdenken der Leser
anheimzustellen.
Dieselbe kann keine Schwierigkeiten bieten und muss an der
Hand
und gewonnen wurden, manche gewohnte und darum meist nicht mehr erwogene Eigenthümlichkeit unserer heimiwelche
der Kriterien,
früher
aus
der
Betrachtung
fremder
Verhältnisse
weiterer
schen Zustände
in
frappirende
eine
und
lehrreiche
Beleuchtung
rücken. Begreiflicherweise begegnen wir in den gebildeten Kreisen unserer viel zahlreicheren, ausgedehnteren und tiefer gehenden Spurender modernen Weltanschauung als in deren unteren Schichten. Die Bildung selbst macht die unvermeidliche Vermittlerin, und der natürliche Sinn kommt der neuen Weisheit überall mehr oder weniger entgegen. Namentlich das sog. Literatenthum hat das Bekenntnis zu ihr seinerzeit und theil weise noch heutigen Tages für den unerlässlichen Stempel wahrhafter Bildung erachtet und
Bevölkerung
um
so eifriger auf denselben gehalten, je weniger tief in Wirklich-
Die Verheerungen wären hier
keit die Bildung ging.
nach
scheinlichkeit
noch
grösser,
viel
als
wäre nicht unsere ganze besondere, zum Theil so Existenz, die aber doch nun eben
die begeistertsten -
Schwärmer
praktischer
man
für die
Bethätigung
conservativ geben konnten. spruch, dass
Wahr-
sonderbare
Existenz bleibt, dermassen
einer unauslöschlichen eigenartigen Geschichte, dass
verkettet mit
politisch
unsere
aller
thatsächlich sind,
sie
in der
moderne
daheim
liberale Theorie in
sich
unwillkürlich nur
Dieser merkwürdige klaffende Wider-
Theorie und etwa
noch
in der sittlichen
Lebensführung,
für
welche die neue Weisheit manchem bequemer
liberalisirt
und
in
ist.
der Auffassung und Behandlung der öffent-
Digitized
Googl
Offene Wunden.
liehen
Dinge
der Heimat eine mehr oder weniger streng ennser-
in
Richtung
vative, ja kirchliche
und ein
4GI
verfolgt, spiegelt sich besonders klar
Unbewusstheit
in naivster
in unserer
Tagespresse wieder, wie
im «Rigaschen Kirchenblatte* vor einiger Zeit
Aufsatz
aus-
führlicher (kriegte.
Diese steht in
Presse,
Bezug auf
soweit
als
sie
die
unsere
die heimatlichen Verhältnisse
anzusehen
ist,
durchweg auf dem
Boden des ungefärbtesten Conservatismus und tritt namentlich auch Kirche und Christenthum christliche Sitte und christliche Ordnungen mit Entschiedenheit ein Nach allen übrigen Richtungen für
,
dagegen zieht
eben so durchgehend ihre Nahrung ausschliess-
sie fast
aus liberalistischen Organen
lich
Die Folge davon
über dieselben Dinge, die sie bei uus verficht,
hämischsten und
Anfeindungen
giftigsten
kurzem war, um auf Gerathewohl einem
rigaschen Blatte
welche unter anderem zur
Bekämpfung der
berichtete.
Man
Mann
aber
man
Noch
vor
abgedruckt,
des Männerbundes
nur jeder christlich gesinnte,
müsste einem solchen Unternehmen seine
es
in
;
dem genannten Verein
zahlreich vertreten sind, so
hier aber
wurde dem-
gegen die bürgerlichen Kreise gegen die höhergestellten Sünder
nur
sei
und wolle Connivenz
Da nun
dass
Prostitution in der deutschen Reichshauptstadt
und ungetheilte Sympathie zuwenden
üben.
kann.
Correspondenz
berliner
die Bestrebungen
über
selben untergeschoben, gerichtet
lesen
ist,
ihren Spalten die
ein Beispiel herauszugreifen, in
sollte meinen, nicht
sondern jeder ernste volle
eine
in
wurde
die «Höhergestellten»
die weitere boshafte
Bemerkung
hinzugefügt, diese Herren pflegten, so lange die Jugendkräfte reichten,
gründlich auszutoben, die Unsittlichkeit
der Befürchtung,
um dann fromm
zu bekämpfen. es
könnte
zu werden und an Anderen Daran schloss sich der Ausdruck
demnächst auch
laseiven
Literatur-
erzeugnissen zu Leibe gegangen werden, wie Spielhagen mit seiner
—
Angela bereits widerfahren wahrlich eine betrübende Perspective] und endlich der Hinweis, nach diesen Symptomen könne unter
—
den gegenwärtigen Verhältnissen noch allerlei «Erbauliches» erlebt
Man
werden. rüchtigter ist
eo ipso
in seiner
voll
sieht,
es
Einfältigkeit in
ist
ganz die
liberalistische
oder Böswilligkeit:
Schablone be-
der «Höhergestellte»
seiner ersten Lebenshälfte sittenloser Wüstling
zweiten bigotter Heuchler,
der «Pfaffe» aber
zeigt
und sich
Nachsicht gegen die Sünden seines Patrons und benutzt dessen
frömmelnde Anwandlungen zur Hilfeleistung beim Vorgehen gegen den braven Bürger.
Die Krone setzte der geistreiche Herr Corre-
1 462
Wunden.
Offene
spondent seinen Auslassungen auf, indem er eingestand
an sich
sei
die
:
Sache
ja nur billigenswerth, sie müsse aber verurtheilt werden,
weil sie in der
Hand
kirchlich gesinnter
Männer ruhe
!
(NB. diese
sind die ersten und bis hierzu die einzigen, die sich zur Inangriff-
nahme
dieses dornenvollen
Werkes herbeigefunden.)
4)as Hervor-
treten dieser Elemente sei hierbei wie bei der .Ittnglingsvereinssache
— wir wissen nicht mehr, ob
unangenehm
oder
unbequem!
Solche Kuckukseier lässt sich ein hiesiges Blatt in sein Nest legen
!
Dasselbe Blatt wäre sicherlich entrüstet, wenn jemand den durchaus «kirchlichen» Pastoren Rigas bei entsprechenden Unternehmungen solche
oder
verleumderische Verdächtigungen
ähnliche
anhängte,
was doch so nahe liegt, dass es nämlich unbeanstandete Wiedergabe derartiger Faseleien aus der
es sagt sich aber nicht,
durch die
Fremde
urtheils-
gedankenlose Leute
und
Mehrzahl der Zeitungsleser, dazu
dahier,
anleitet, in
leider
wol
die
analogen Fällen auch
ähnlich über einheimische Personen und Verhältnisse zu urtheilen,
und dass es im besten Falle eine heillose Verwirrung der Begriffe
So arbeitet man gegen die eigene bessere Absicht gedankenzum Schaden der Heimat und verbreitet die ganze destructive
fordert. los
Welt- und Lebensanschauung des vulgären Liberalismus.
Bisher
Anstand,
so dass
Auch das
fängt an
hielten unsere Blätter wenigstens auf
man
sie
ruhig im Hause liegen lassen konnte.
Hat doch
anders zu werden. Feuilleton
den
«Arme Mädchen» in
sittlichen
sittlich
vor einiger Zeit im
derselben
eins
gänzlich verrotteten
Roman Paul Lindaus
gebracht, in welchem die verlottertsten Personen
den unzweideutigsten Verhältnissen
und Situationen mit einer nur so sein. Zeitung ein
mttsste das alles vom Roman rührte in derselben
Manier geschildert werden,
als
Aber auch abgesehen von manchen (aus der Klasse, die nicht weiss, was sie thut) sogar gefeierter Correspondent in seinen Berichten über das berliner Leben und Treiben
allerlei
Gewürze
an,
die
ein
unverkennbares
Parfüm, Patschuli und Knoblauch, ausströmten.
Jeden Augenblick
musste man auf eine Zweideutigkeit gefasst
welche durch eine
witzig sein sollende Redensart
mit
sein,
unglaublicher Unverfrorenheit
und Zudringlichkeit die Sache zugleich scheinbar anständig v e r und faunisch-lüstern enthüllte. Nur als Curiosum 1 1 1 e
h ü
möchten wir erwähnen, glücklicherweise
in
dass der Leiter eines Blättchens,
einem Winkel
unserer Heimat
welches
erscheint
und
auf diesen Winkel beschränkt bleibt, es für seine Aufgabe ansieht, den Darwinismus zu cultiviren, dabei aber erklärt hat, er wolle
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aus Opportunitätsgründen
bis
463
Wunden.
Offene
auf
der Kirche
weiteres
und dem
Christenthum nicht zu nahe treten, ja ihnen sogar manche Unterstützung gewähren, wenn ihre Vertreter sich in der Oeffentlichkeit
Doch Scherz
nicht zu breit machten.
unsere Zeitungspresse
grossentheils
und Zwiespältigkeit bewegt, dass
nur
unsere Zustände wirken kann,
dass
Tagesblatt
deutscher Sprache
in
und zielbewusst
Erwägt man, dass
!
solcher Haltlosigkeit
in
sie urtheilslos sich
der
rohr eines Geistes macht,
beiseite
sich
wir
kein
besitzen,
zum Sprach-
und auflösend auf einziges namhaftes
zersetzend
welches
grundsätzlich
Richtung verträte
die christlich-conservative
und
vom Lebensinteresse des Landes gebieterisch wird man uns beipflichten müssen, wenn wir
pflegte, obgleich diese
gefordert wird,
so
keiueu Anstand nehmen, unsere Pressverhältnisse als eine der bedenklichsten offenen
Wunden
krankt.
Um
auch
unserer Mitte
in
so
mehr
ist
zu bezeichnen, an denen unsere Heimat
das zu bedauern,
als es ja zweifelsohne
so viel giebt, «das sterbeu will», und die
Presse das mächtigste und wirksamste Mittel werden könnte, dasselbe zu stärken,
Wege
es auf diesem
mühungen aber wird man grundsätzliche, stetige
zu erhalten und zu neuem,
Durch
frischem Lebenstriebe zu bringen.
schlechterdings
und
casuistische äussere Be-
nichts
zielbewusste Pflege
Davon kann jedoch
Geistes wäre im Stande zu helfen.
Presse im ganzen nicht die Rede
erreichen.
seiu.
Nur
des conservativen bei unserer
Statt dessen colportirt sie
vielmehr eine Welt- und Lebensanschauung, durch welche der Sinn für den Kern im Erbe der Väter mehr und mehr abgestumpft und
unmerklich immer weiter entleerten
in eine
negirende Stellung zu demselben
Die ihres beseelenden und belebenden Geistes
hineingeleitet wird.
Formen der Vergangenheit wird man aber
werth gehaltene Reliquien
und
stilvolle
Raritäten
als noch so
wahrlich nicht
dauernd erhalten. Unter diesen Umständen ist es wol begreiflich, wenn sich einem die besorgte Frage nahelegt werden wir die dem Fortschritte ;
der Zeit entsprechende gesteigerte Leistungsfähigkeit bewähren, die
von den Vätern so ruhmvoll begründete und so bewundernswerth entwickelte evangelische Cultur, welche wir überkommen haben, zu fördern, wie es von uns erheischt wird, denn ohne Förderung keine Erhaltung, sondern unaufhaltsamer Rückschritt und Verlust? wird vollends die folgende Generation
unter
stets
erschwerenderen Be-
dingungen ihrer Aufgabe gewachsen sein? Eins
ist sicher:
Baituche MonaUncbrift.
sie
wird es nicht
Bd. XXXVI, Heft
6.
sein,
wenn
sie sich nicht
32
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Offene Wunden.
464
mit
dem Geiste
durch die Jahrhunderte und Jahr-
erfüllt zeigt, der
und unwiderleglich als Lebensmacht bewährt hat, der die unveräusserliche, bleibende Wahrheit festhält, dadurch die Continuität tausende der Geschichte sich unzweideutig
die alleinige schöpferische
der
Entwicklung verbürgt und
nannt zu werden verdient,
liberal und
in dieser Hinsicht conservativ ge-
aber
der
äusseren Gestaltungen überhaupt nur
in
auch erst
fortschrittlich ist,
bedingten
einen
misst und unter veränderten Verhältnissen gerade
servative Interesse
zu lebensvoller
zu beidem
sich
liberal
alte,
durch
bei-
das con-
bleibender Bedeutung
zu
genannte Geist der neuen
erwiesen
hat,
insofern
er mit
ewig junge Wahrheit aufgiebt und
mehr im Stande
nicht
allen
Bewahrung der unvergänglichen Güter der Formen ange-
unfähig
den alten Formen auch die darnach
er
Werth
lebensfähiger Erneuerung
während der vulgo
trieben wird,
Weisheit
für die
und
Wahrheit
insofern
ist,
leisten.
hauptsächlichste Bedingung vor.
irgend
Hier
etwas Positives
von
erste
und
die
also
liegt
mehr formaler
Die andere aber,
Natur, besteht darin, alle verfügbaren Kräfte in ernstester Arbeit
und heissestem Ringen an die Erreichung des Zieles zu setzen, welches uns die Zeit und der in ihr sich vollziehende Werdeprocess stecken.
Es
heisst hier wahrlich
Werdet
ihr nicht treulich ringen,
Sondern träg und lässig
sein,
Eure Neigung zu bezwingen, So bricht eure Hoffnung ein Ohne tapfern Streit und Krieg :
Folget niemals rechter Sieg.
Wahren Siegern wird die Krone Nur zum beigelegten Lohne.
•
In Bezug auf beide Punkte liegen nun mancherlei Symptome
um
vor, welche
eine günstige Prognose,
erschweren.
Greifen wir, ohne viel zu suchen, ein zufällig gerade
sich Darbietendes heraus.
Vor uns
es
liegt eine
diesem Jahre
auszudrücken,
milde
Broschüre von über
ist und den «Zur Duellfrage». Der bekannte Verfasser ist zwar Mann der Wissenschaft und Lehrer an unserer heimatlichen
hundert Seiten,
welche
in
erschienen
Titel führt: ein
Hochschule, das Schriftchen aber
trägt unbeschadet seiner wissen-
schaftlichen Basis keinen «akademischen» Charakter,
Inhalte
noch
seiner
praktisch sich fühlbar
Abzweckung
weder seinem
von einem machenden Uebelstande angeregt und vernach,
sondern
ist
Offene
folgt sehr
Wunden.
465
bemerkenswerthe praktische Tendenzen. Es gehört hinwelche wieder einmal gegen
ein in die Reihe der Anstrengungen, die
in
länger
unserer Mitte
grassirende Zweikampfsleichtfertigkeit
werden
unterlassen
Ihr
konnten.
nicht
Wieder-
periodisches
auftauehen zieht zeitweilig den Schleier von einer unablässig bluten-
den
Wunde
hinweg,
ohne
Dauer etwas gebessert
auf die
dass
Einen Augenblick schaudern wol die Ernsteren, dann thun
würde.
Gewöhnung, Apathie und der zerstreuende Tageslärm ihre SchuldigHandelt es sich doch um etwas, was immer dagewesen ist, so weit Menschengedenken reicht, und die Gewohnheit ist für nur zu viele an die Stelle der Wahrheit getreten. Findet sich einmal ein eindrucksvollerer Zeuge für die letztere, so fehlt es auch nie an einem Ritter, der dafür eine Lanze bricht, dass alles hübsch beim Alten bleibe, der mit gebührender Verachtung für des Wesens Tiefe und vollendeter Hingebung für Schein und Worte beweist, keit.
dass in der Unsitte der Väter gerade
das Geheimnis
und ihrer Erfolge liege. « Die Kinder, Professor ist die Sache entschieden.
sie
hundertsten Male die
Mühe
gegeben,
v.
ihrer Kraft
hören es gerne.
Dettingen
hat
Damit
»
sich
zum
umständlicli geschichtlich und
dogmatisch-philosophisch die logische Ungeheuerlichkeit, die morali-
und die religiöse Frevelhaftigkeit des Duells Es bleibt Danaidenarbeit. Wäre das Duell und mit diesen Mitteln zu beseitigen, es wäre
sche Verwerflichkeit auseinanderzusetzen.
Wege
auf diesem
Im Grunde bringt man ja nur Ausflüchte So dankeuswerth derartige Belehrungen sind, sie
längst verschwunden.
dagegen erreichen
vor.
ihren
Zweck
praktischen
nicht,
weil
Uebels
des
sie
Wurzeln nicht treffen, das trotz alledem sich weiter ausbreitet. Ein ziemlich zuverlässiges und deutliches Barometer zur Beurtheilung der herrschenden sittlichen Zustände bietet der Lebenszuschnitt und
Treiben unserer akademischen Jugend. Von dorther aber werden einsichtige und ernste Beobachter einen Eindruck gewinnen,
das
der sie zweifellos dazu bestimmen muss, unserem oben ausgesproche-
nen Urtheil beizupflichten.
Im
vorigen Jahrgange
schrift ist uns ein Bild studentischer
.Jahren an der dorpater Universität
mehr
formeller
einem Vergleich
man
desselben
als
mit
den vierziger
entworfen wordeu,
sittlicher
den
dieser Monatsin
leider mit
Entschiedenheit.
heutigen Verhältnissen
Bei
muss
dass trotz der Errungenschaften der damaligen Tage,
sagen,
bestehend
Gewandtheit
Strömungen
in
der Aufhebung des Duellzwanges, der Anerkennung
der Gewissensfreiheit, der Errichtung von Ehrengerichten
u. d. m.,
32*
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46ß in
Offeue
so
mancher Beziehung
Wunden.
seither Rückschritte
gemacht worden
sind.
uns als das Schlimmste die immer mehr über-
Darunter erscheint
handnehmende Neigung für die Schusswaffe Dadurch wird das Verschwinden besonders grotesker Erscheinungen der Duellmanie, welche die
hervorgebracht
frühere Zeit
wähnten Aufsatze geschildert i
sind, in
und
welche
Ganz abgesehen von der
Zeitalter reichlich aufgewogen.
dem
in
er-
unserem äusserlich glatteren
oder geringeren Lebensgefährlichkeit erscheint
grösseren
uns das Pistolen-
auch moralisch als das ärgere üebel. Man kann Professor Oeningen unbedingt zugeben und wir thun es dass grundsätzlich die Mensur auf Schläger eben so verwerflich sei wie die auf Pistolen, und doch in der letzteren noch eine Abstufung in Die Führung des Schlägers setzte doch immer noch 2)ejus sehen. eine gewisse Uebung und Ausbildung voraus, sie forderte die Betätigung einer Reihe von an sich mehr oder weniger schätzensduell
—
—
v.
werthen Eigenschaften,
sie
bot vor allem die Möglichkeit der Ver-
teidigung und führte so durch Angriff und
zu nennenden Kampf,
lich so
mit
all
solchen freilich, aber doch auch mit den
dem Ringen Mann an Mann
Abwehr zu einem wirk-
den schlimmen Seiten
hervortreten
guten
konnten.
der Pistolenmensur keine Rede mehr.
ist bei
Scheibe
dem Gegner
Man
eines
die
desselben,
in
Von alledem hat
als
sich
Korn zu
aufzustellen und ihn als solche aufs
Schnelligkeit im Schuss bei scharfem Auge, fester Hand und einiger Kaltblütigkeit streckt den « Parten > im Grunde wehrlos
nehmen.
Der jämmerlichste Wicht erlangt den ihm noch
nieder.
so
sehr
Helden mit Hilfe jener Eigenschaften, über welche jeder wilddiebende Bauerbursch verfügt. Jene Kaltblütigkeit rühmt überlegenen
man
Muth.
freilich als edlen
Allein
nur zu häufig
ist sie
nichts
weiter als die verdienstlose Beigabe eines stumpfen Fischnaturells,
oder Leichtfertigkeit
und Gleichgiltigkeit einer moralisch
unter-
wühlten Existenz, also der falsche Einsatz eines Spielers, der nichts zu verlieren hat.
ausserdem
zu
dem
Und wie Treffer
Willen Unheil anrichtet reicht,
!
oft gestaltet sich der
Lauf der Kugel
des blinden Hödur, der gegen
Es wäre daher ohne Zweifel schon
wenn man zunächst
für die Universität es dahin
seinen viel
er-
zurückbringen
könnte, dass lediglich die Schlägermensur zugelassen würde.
Wer
wirklich so leibesschwach sein sollte, dass er die Waffe zu führen verhindert wäre, welche die altüberlieferte Burschensitte vorschreibt
und
bei
deren
ausschliesslicher
nichts entbehrt haben,
sollte
Handhabung
frühere Generationen
den Nachtheil davon,
wenn
es einer
Digitized
by.QQpgfe
Wauden.
Ott'ene
467
wäre, ganz allein für seine Person tragen und sich mit der Wort-
begnügen
satistaction
um
ohne
müssen,
Gebreste
seiner
willen
Rechte beanspruchen zu dürfen, welche so unberechenbaren Schaden schwachheit,
Rücksichtnahme
sentimentalen
der
In
stiften.
hinter
wol
welcher dann
angekränkelten
Blässe
Gleichheit
den Rechten
in
auch
und
der von des Ge-
liberalistischen
Gleichmacherei
welche vergisst oder übersehen
unserer Zeit,
Leibes-
Zug
Frivolität eine Zuflucht suchen, erscheint ein
dankens
auf die
auch Bequemlichkeit
dass
will,
absolute
völlige Gleichheit
eine
der
in
Leistungsfähigkeit unbedingt fordert.
Es
ist
Unfug des Duellantenthums
ja nun bekannt, dass der
an unserer Hochschule allmählich derartige Dimensionen angenommen
Bewegung
dass vor kurzem unter den «Philistern» eine
hatte,
in
Fluss kam, welche sich namentlich gegen das Pistolenduell richtete
und zum Zwecke der Beseitigung oder wenigstens möglichsten Ein-
schränkung desselben auf die Studentenwelt zu influiren suchte. Dabei ist aber nicht nur innerhalb der letzteren eine wahrhaft verbissene, alle Rücksichten starrsinnig und pietätlos beiseite setzende Opposition zu Tage getreten, sondern, was vielleicht noch betrübender war, auch in der älteren Generation unserer gebildeten Gesellschaft,
von Männern
in
Amt und Würden,
vielfach eine
Anschauungsweise
documentirt worden, welche bewiesen hat, dass wir noch auf lange
dem Offenbleiben
hinaus mit
sei's
Wunde zu
dieser
auch nur des Pistolenduells, konnte mancher Orten kaum ernst-
haft zur Discussion gebracht werden. rein
uns be-
rechnen
Eine grundsätzliche Verwerfung des Zweikampfes,
scheiden müssen.
opportunistisch
Pistolen, so weit es
achtens
ein
in
die
immer anginge, zu vermeiden
reiner Schlag
augenblicklich
Das Resultat
begründete Ermahnungen,
Wasser,
ins
diesem Sinne
wie
gefasster
die
bildeten
Mensuren
—
dann auf
unseres Er-
Erfahrung trotz
Beschlüsse seitens
der
Burschenwelt bald genug lehren wird.
Was
soll
man nun
bei
inneren Stellung
dieser
zur Sache,
welche unsere höhere Gesellschaft einnimmt, über die Macht und
Wirkung
des christlichen Geistes in ihr und
über die Reife ihrer
Entwickelung zu humaner Bildung auch nur urtheilen? Wo ein Unwesen, das in so schneidendem Widerspruche zu den Grundgedanken des Evangeliums steht, nicht nur hartnäckig sich erhält, sondern, wie gesagt, gewissermassen Fortschritte macht,
doch nicht die Rede davon unseres
Wesens Wurzel
sein, dass
gefasst,
da kann
das letztere im tiefsten Grunde
wie
es
sein
sollte,
bei
Gefahr
Offene Wunden.
468 unseres
Lebens
Schlimmste nach
und
Es
ist
Zukunft sein müsste. Und das kommenden Generation allem Anschein
unserer
dass bei der
Verirrungen
die
drohen.
ist,
in
dieser Richtung
sich
noch
geradezu verblüffend, welchen Ideen
Knaben darüber begegnet, was
ihre vermeintliche
zu steigern
man
bei halben
«Ehre» fordere
und gebiete, mit welcher unbelehrbaren Starrköpfigkeit sie dieselben verfolgen und mit welcher Brutalität gegen ihre Opfer gegebenenDarnach müssen wir uns leider auf noch falls sie vorgehen. mancherlei unliebsame üeberraschungen gefasst halten, die freilich
zu der alten Wahrheit bieten müssen, dass Sünden der Väter heimgesucht werden an den Kindern bis ins
mir eine Illustration die
und vierte Glied.
dritte
Woher stammt
dieses unausrottbare Uebel und woraus zieht immer neue Nahrung ? Professor v. Oettingen will es geschichtlich ableiten aus dem «alten Faustrecht, der Blutrache, der Familienfehde, dem richterlichen Gottesurtheil, dem patriotisch-politischen Ehrenzweikampf und endlich dem turnierartigen Kampfspiel >. In der ihm eigenthümlichen geistreich pointirten Ausdrucksweise stellt er das moderne Duell demnach hin als einen «grausigen Ratten-
es
unheimlich verschlungenen Schwänzen», als einen
könig mit sechs «
vornehmen Wechselbalg*, welcher, wenn auch nicht gerade sechzehn,
so
doch
wenigstens «sechs ebenbürtige Ahnen aufzuweisen habe»,
und meint: «Wenn irgendwo das Gesetz der «Heredität» oder der «Atavismus» sich geltend macht, so ist es in dem Antlitz und dem
Gebahren dieses evfant
terriblc der Fall,
welches, von
dem ancien
regime des feudalen Aristokratismus erzeugt, aus dem Mutterschosse
welscher Minne und Romautik
herausgeboren,
hinein von der französisch angehauchten ist.
•
mehr
Wir möchten annehmen, geschichtliche
P
a
r
a
1
1
dass e
1
e n
bis
in unsere Zeit
Mode grossgezogen worden
sich in jenen
darstellen,
«sechs
als
dass
Ahnen» ein
un-
Zusammenhang zwischen ihnen und dem modernen Zweikampf bestände. Um das Letztere in seinem Wesen zu genetischer
mittelbarer,
beleuchten,
mag
ja immerhin die Heranziehung jener geschichtlichen
Analogien sich empfehlen. in unserer will, so
Wenn man
aber den Wurzeln desselben
gegenwärtigen Gesellschaft nachspüren und
wird
man
sein
Hauptaugenmerk
sie blosslegen
nicht sowol darauf, als auf
und sociale Zuständlichkeit der letzteren zu richten Dabei scheint sich uns der namentlich hier zu Lande auffallend stark vorhandene und gepflegte Zug zu einem pseudoaristokrati sehen Gebahren als der originirende Hauptfactor darzubieten. die psychologische
haben.
D igitiz edj|^g^figle
Offene Wunden.
Was man lässt sich
469
unter Pseudoaristokratismus nicht
freilich
leicht
auch ohne das ein Misverständnis
Indess
ist
da
Erfahrung jedem unter uns nur zu
die
Richtung an die Hand giebt.
habe,
verstehen
zu
ausreichender Weise definiren.
in
kaum zu
befürchten,
viele Beispiele in dieser
Das Hauptmerkmal
dieses falscheu
Aristokratismus möchte darin zu suchen sein, dass er so zu sagen bevorrechtete Stellung auf Kosten Anderer zu
a priori
sich
eine
schaffen
und
durch
Nicht
trachtet.
bereitwillig
Verdienst,
persönliches
man
unterordnen, strebt
sich
behaupten
zu
Rücksichtslosigkeit
ungenirte
durch
dem Andere
innerlich
selbst
sich
zu
er-
heben, sondern durch allerlei vermeintlich vornehme gesellschaftliche
Praktiken Andere herabzudrücken und
Es
verweisen.
auch
,
ist
wo etwas
darauf
in eine inferiore Stellung
psychologisch interessant wird,
geleistet
zu
beobachten,
zu
dass
mau doch verschmäht, gerade
Ansprüche zu gründen, vielmehr bezüglich jener oft wirklich bescheiden denkt. Letztere sollen eben auch in dieser Weise nicht bedingt sein sondern gewissermassen gesellschaftliche
,
absolut gelten, als eine
Darin
inhärirende Prärogative. ristische
ruhen
tritt
denn deutlich
Kennzeichen des Aristokratismus hervor, der
will
das charaktein sich selbst
und Stellung und Ansehen ohne weitere Legitimation
beansprucht.
In
dieser
Pseudoaristokratismus
und
von Hause aus
der betreffenden Existenz
Eitelkeit
dar,
Schilderung
allgemeinen
als
eine Erscheinungsform
welche
in
den
stellt
sich
der
der Eigensucht
mannigfaltigsten Gestaltungen
wo es Menschen giebt. Es wird aber für den Kenner unserer Geschichte und der aus ihr hervorgegangenen heimatlichen Verhältnisse nicht überraschend concret ausgeprägt überall sich
findet,
sein,
dass dieser falsche Aristokratismus gerade unter uns einen besonders fruchtbaren Boden gefunden hat und ungewöhnlich üppig ins Kraut geschossen ist. Die ständische Gliederung der Bevölkerung unseres Landes, durch die Anfänge seiner Geschichte von
Hause
aus
Gegensätze
verschärft in
und
durch
ihrer Schroffheit
das
erhalten,
Hineinspielen hat
sich
in
nationaler
Folge
der
nothgedrungenen Stagnation der politischen Zustände in neuerer Zeit kastenartig verknöchert. Dadurch ist bei etwaigen Reibungen für Mistrauen und Verbissenheit hinreichend gesorgt. An Gelegenheiten und Veranlassungen aber kann es nicht fehlen. Wo eine Schicht der Bevölkerung ausschliesslich politisch privilegirt erscheint, während alle übrigen rechtlich nach dieser Seite in der Unmündigkeit verharren müssen,
wird
es nicht zu vermeiden sein, dass bei
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470
Offene
Wunden.
den so ausserordentlich Bevorrechteten ein Standesbewusstsein sich entwickelt, welches auch im Privatleben und
im gesellschaftlichen Verkehr die Anderen nicht für cvoll» ansieht und behandelt, zum wenigsten
Reservatrechte
Anspruch nimmt. so nehmen natürlich alle, die zu dem Stande gehören, auch an demselben theil, selbst die, welche nach ihren Leistungen und ihrem inneren Werthe nichts zu bedeuten hätten, ja es kann nicht Wunder nehmen, dass
Und da
gerade
allerlei
um
sich
es
diese,
in
für
sich
in
ein Standesbewusstsein
dem Masse,
als
handelt,
Wahrheit des
sich von der
sie
Spruches nicht haben anfechten lassen:
Was
du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb jenes Bewusstsein sich angelegen
um
es,
es zu besitzen
drastisch
und
—
bis zur Caricatur
zu bethätigeu
In diesem Bestreben werden wol die
sein lassen.
elementarsten Forderungen gebildeten Anstandes und selbstverständlichster Schicklichkeit ausserhalb des eigenen Kreises nicht als ver-
bindlich
Es wäre
angesehen.
z.
B. ein durch
Erfahrung als
die
unter Umständen verhängnisvoll erwiesener Irrthum,
wenn
gebildete,
aber nicht der höchsten Schicht der Gesellschaft angehörige
annehmen wollten, feinste
die
der ersten Wagenklasse
in
Rücksicht
für
sich
zu
rechnen
Damen
der Eisenbahn auf* Sie könnten
dürfen.
dabei gelegentlich schlimmer fahren als in der dritten Klasse. ist
deshalb die von Professor
Frage, ob die Rohheit
arge
sei,
in
v.
Oettingen
(a. a.
O.
p.
Es
74) gestellte
unseren gesellschaftlichen Kreisen eine so
dass wir von einer unumgänglichen Nothwehr reden oder
einen Krieg aller gegen alle annehmen dürfen, keine so unbedingt
zu verneinende, wie
der geehrte Autor sie hinstellt.
Der pseudo-
aristokratische Kitzel ist in der That vielfach stark genug,
um
zu
seiner Befriedigung vor einem Terrorismus nicht zurückzuschrecken, der, falls
man
nicht einmal
schimpflich
kämpfen. errungen
nicht ganz
vom Schauplatz
immer thunlich
abtreten will, was doch
nur die
sein dürfte,
Wahl
lässt, sich
zu ducken oder sich den erforderlichen Respect zu er-
Auf dem
letzteren
Wege
wordeu, der wenigstens
gesellschaftlichen
Berührungen
mit
gewisser modus vivendi
ist ein
deu
akademisch Gebildeten
der
«
Aristokratie >
einen Verkehr auf gleichem Fusse gewährt.
Aber man
immer noch en verfette und schüttelt über dem aus dem Gürtel hervorguckenden
sich höflich
lich
für die guten Beziehungen sicherlich
mcmento dauernd vermisst werden
nicht
sollte.
steht eigent-
Pistolenlauf. förderlich,
Im
übrigen
bei
äusserlich
die
Hand
Es wäre wenn dies wollen wir
471
Offene Wanden.
zu bemerken versäumen,
keinesfalls
dass wir durchaus nicht alle
Schuld und alle Schande nur der einen Seite
möchten.
zuschieben
Ist der Pseudoaristokratismus ein natürlicherweise in der obersten
frühzeitig alle
genug
die
Gelegenheit
sich
es
doch
und
angeeignet
geb erden
schimpfen,
aber
sich,
wenn
Wenn man
und noch ärger.
ebenso
bietet,
Was
so haben diese sich es
auf Junker und Junkerei
weidlich
sie
ist
Form.
der
sogenannten Literaten anlangt,
ziemlich unverfälschter Gestalt
während
so
anderen verpflanzt und durchzieht dieselben
in die
mannigfaltigsten Variationen
den
in
speciell die in
entsprossenes Gewächs,
der Gesellschaft
Schicht
beobachtet, welch eine Miene gegen alles Nichtliteratische
(sit
venia
Ton gar gegen Dienstboten, Kutscher und Kellner angeschlagen wird, so wird man mit Beund
aufgesetzt
verbot)
welch
ein
dauern urtheilen müssen, dass auch hier das Verhalten wenig, sehr
Menschen in dem Hier aber gerade müssen wir das doppelt und dreifach anrechnen und können die nicht ausbleibende Nemesis nur gerecht und billig finden. wenig
von
christlich-humaner
Würdigung
des
gesellschaftlich niedriger Gestellten spüren lässt.
Natürlich
geworden
ist,
ein solcher Geist,
ruft
nur
nicht
Conflicte
wo
er
einmal herrschend
auf dem Gebiete des Klassen-
haders hervor, sondern auch von Person zu Person
innerhalb des-
Das Böse muss eben nach
selben Gesellschaftskreises.
allen Seiten
hin fort wuchern.
Welche traurigen Folgen aus solchen Zuständen sich im einist häufig genug erörtert und männiglich bekannt. Wir können uns ein Eingehen auf dieselben um so mehr ersparen, als es uns in diesem Zusammenhange nach dem oben Dargelegten nicht auf das Duell an sich ankommt, sondern dasselbe uns nur zelnen ergeben,
insofern
interessirt,
als
selben beherrscht
und
ein
es
Geist unsere Gesellschaft,
Symptom
namentlich
Das
leitet.
die
Urtlieil
welch ein
dafür bildet,
höhereu Schichten derergiebt
sich
aus
dem
Es kann nur dahin lauten, dass das besprochene Symptom jeden ernst Denkenden beim Blicke in die Zukunft mit lebhaftester Besorgnis erfüllen muss. Wo solche Vervorhin Gesagten von selbst.
hältnisse wie die berührten bestehen, ja sich gar noch
meren
davon
zu entwickeln sein,
drohen,
dass das Evangelium
Gesammtheit durchdringende
mehr
oder
da
noch
nicht V
und
Wir
zum Schlim-
kann jedenfalls nicht
die
Rede
eine die Oeffentlichkeit und die
bestimmende Macht hoffen das Letztere
ist.
Nicht
und rechnen
darauf, dass die erörterte kritische Situation, in welcher die Gesell-
472
Wunden.
Ofl'ene
Welt schwebt, mehr und mehr mit unwiderMacht zur Einkehr in sich selbst und zur Besinnung auf das Eine, was noth thut, treiben wird. Es ist hohe Zeit, die elfte Stunde fast vorüber. Vor der Hand freilich ist von einer inneren schaft der gebildeten stehlicher
Umkehr noch wenig zu bemerken. unseren Musensöhnen
schauung
zu
Tage
Pistolenduells erblickt.
Freude
über
doch noch neuerdings unter grossen Schaar
An-
die
Einschränkung des
der
in
Antastung des Palladiums der Burschikosität erwähnten Stellung der «alten Herren»
schon
der
zur Sache kein
welche
getreten,
eine
Bei
Ist
nur zu
einer
bei
Wunder
Schmunzelt doch mancher Vater dazu, in
!
den mannhaften Trotz
Wer
des Sprossen.
versteht
heute den kernhaften Mann, bewährt in den Zeiten schwerster Noth. der gesungen
Wer
Mann ?
ist ein
Wer beten kann
Und Gott dem Herrn
vertraut:
Wann alles bricht, er zaget nicht; Dem Frommen nimmer graut. Doch wie fördern wir die Einsicht? Wie stürzen wir Götzen
Veranstaltungen, nicht mit Antiduellantenvereinen,
am Ende Abscheu
vor
dem
nicht
Ehrengericht, abgesehen davon,
Wege
weiteren Kreisen gute
Pflanzung
die
bewusster,
in
deren Mitte
Duell, aber nicht so sehr vor der dazu
führenden Gesinnung blüht,
in
die falschen
mit irgend welchen äusseren Mitteln und
¥ Sicherlich nicht
einmal mit dem
viel
gerühmten
mit seiner Einbürgerung
dass
es
hat.
Was
allein helfen kann,
christlich-humaner
grundsätzlicher
sinnung und ihre Entwickelung zu einer Macht,
ist
Ge-
welche unbedingt
Auch dann wird
das Allgemeingefühl und die Sitte bestimmt.
es
ja freilich an Ausschreitungen im einzelnen nicht fehlen, wie auch
Mord und Diebstahl das
ist
ein anderes
geworden
Sache wird dieselbe rücken.
nie völlig verschwinden werden, aber
das Entscheidende
Nicht so
brandmarkt werden,
sein, in
sehr
—
das Urtheil
und
ein
—
und
der Gesammtheit wird
die Stellung der Gesellschaft zur
völlig
und
neues
das einzelne Duell
als vielmehr die frivole
gebührendes Licht
wird beklagt und ge-
Nichtachtung der gegneri-
schen Persönlichkeit, der Einbruch in die Rechte derselben, der sich in
einem brutalen, meist vom Zaun gebrochenen Ueberfall vollzieht,
wie derselbe zur Vorgeschichte fast aller blutigen Conflicte gehört.
So lange eine derartige ignoble Gesinnung und das daraus hervorgehende excessive Verhalten so gut wie gar keine Ahndung von
dem
gesellschaftlichen Urtheil
findet,
sondern
wol
gar
als
tfixi
Offene Wunden.
angesehen wird, eintritt,
nur
falls
473
der Betreffende
dafür auf der Mensur
Mord und Todtschlag an
so lange wird
der Tagesordnung
bleiben.
Eine Aeuderung kann erst erhofft werden, wenn die Pro-
vocation
der
wie
anderen
Umständen
allen
ein
als
welches durch die Mensur
Dann wird auch
immer gearteten Persönlichkeit unter Vergehen geächtet wird,
moralisches
werden kann.
keineswegs ausgeglichen
Verwirrung der sittlichen Begriffe schwinden, welche jedes Unrecht für erlaubt ansieht, weil man ja dem Gekränkten freistellt, sich mit der Waffe Satisfaction zu holen. Weich die
Hohn auf das Evangelium, zu dem wir uns doch bekennen wollen Aber davon zu geschweigen und lediglich die humane Bildung anzusehen (welche freilich im Grunde ohne Christenthum gar nicht
ein
vorhanden wäre):
es nicht ein Faustschlag ins Angesicht der-
ist
Mit welcher Begeisterung schwärmen unsere Jünglinge für den Triumph der edlen Menschlichkeit, den Goethe in der Iphigenie selben
?
auf Tauris dramatisch verkörpert
?
Ist
es
nicht
beweinenswerth,
dass sie dem «So gehe hin und thue desgleichen», welches doch in
Weise
ihrer Seele dabei vernehmlich werden müsste, in dieser
ent-
sprechen? Sind das die Früchte unserer Erziehung und Schulung? Wahrlich, es darf nicht so bleiben, wenn nicht bald alles verloren sein
soll.
Freilich, der
Weg
zur
Wandelung des unhaltbaren Zustande«
der Dinge, der angegeben worden
ist,
ist
kein
und schnell
leicht
Von heute auf morgen darf man
zu durchmessender.
hier keine
Aber von einer Generation zur anderen lässt sich doch schon manches erzielen, namentlich wenn das Leben selbst so ernst und verständlich predigt. Aber eins ist unerlässErfolge zu ernten hoffen.
lich,
dass nämlich die Alten mit
beginnen, dass
sie
der Reformation
an
sich selbst
den falschen Aristokratismus, der seine Befriedi-
gung im Geltendmachen äusserer Ueberordnung sucht, fahren lassen und dem echten Adel nachstreben in wahrhafter Humanität gegen alle,
doppelt
feiner
Rücksicht
gegen
die,
welche
das
Schicksal
äusserlich tiefer gestellt und denen es doch als Menschen die gleiche
Würde im Lichte der Ewigkeit bestimmt, in Geduld und ähnlichen Tugenden, welche freilich ohne Herzenschristenthum nicht gefundeu werden können.
Uns
will es bedünken, der wirklich
edle
Mensch
dürfte sich in eine Unterstellung anderer Menschen unter sich nur in der Seele finden und, wo das Leben mit Notwendigkeit dazu führt, sich getrieben fühlen, das durch besondere Güte wieder auszugleichen, sowie deutlich merken zu lassen, dass
mit Widerstreben
474
Offeue Wunden.
er weit entfernt
sei,
seine Person über die andere erheben zu wollen.
Empfindungen und Anmehr und mehr der Jugend ein-
Sollte es so schwer werden, sich derartigen
um
schauungen aufzuschliesseu, zuflössen,
damit
Besseren,
das uns
Hand
sicht hat,
Keim
die Barbarei im
endlich
Zur Erreichung
sie
dieses Zieles aber
muss
und dem
erstickt
Raum
so dringend noth thut,
geschafft
werde?
jeder, der die bessere Ein-
anlegen, müssen namentlich die Väter und Familien-
haupter das Ihre thun, durch Beispiel und Zeugnis. Leider
weit verbreitet,
die Gepflogenheit
ist
dieser Be-
in
ziehung sich aller Pflichten für erledigt zu erachten, sobald
Kinder
Schulgeld,
wenn man
man
die
Wofür bezahlt man das theure
Schule gebracht.
in die
sich ausserdem noch anstrengen soll ? Ist es
doch viel bequemer, der Schule alle Verantwortlichkeit aufzubürden
und seinerseits nicht nur nichts zu thun, sondern wol gar die von der Schule aufrecht erhaltene Zucht
durch Gewährung schranken-
loser Freiheit, durch schlechtes Beispiel
gewisser ziemlich
wird
ja, sie
es
und rücksichtslose Krittelei
Und doch kann
auf die Probe zu stellen.
in
erziehend
immer weniger thun
Zukunft
nur innerhalb
die Schule
eng gezogener Grenzen
wirken,
und die recht«
Charakterentwickelung immer mehr von der sittlichen und religiösen
Atmosphäre im Hause abhängen. kann aber
Man kann
auch einen Trost darin finden, je
bedauern,
das
nach dem,
ob
man man
Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit über alles schätzt, oder
man
ob
lich
der hier unzweifelhaft einem selbst in erster Linie gestellten
am
Pflicht
liebsten
Mühen
aller
als
Schwerstes eine gewisse Selbstzucht,
die die erste Voraussetzung für den
Wer
verbunden.
Damit sind natür-
auch selbst genügen möchte.
Art und
Erfolg
bildet,
reichlicher sich belohnt fiuden.
unzertrennlich
wird auch immer
aber diese Opfer nicht scheut,
Die Schule wird dann
zu einem
bis
gewissen Grade modelnd einwirken, weiter aber reicht ihre Macht
Es
nicht.
einen
ihr
ist
eine Illusion,
eigenthümlichen
wenn man
glaubt,
die Schule
dass
besonderen cGeist> präpariren
und in
werdenden Persönlichkeiten der Schüler gleichsam wie in leere Krüge füllen könute. Sie ist immer auf das ihr aus den Häusern
die
dargebotene Material angewiesen, und das Entscheidende bleibt der c
Geist», welcher die sie
Die Aufgabe und
An
wie schöne.
Man vielfach
umgebende Gesellschaft
Pflicht der Familie ist
und bewegt.
ihrer Erfüllung aber fehlt leider noch viel.
wird bei näherer Prüfung
die
erfüllt
also eine eben so grosse
häusliche
Erziehung
nicht
leugnen
namentlich
bei
können, uns
dass
zahlreiche
475
Wunden.
Offene
Es hängt mit dem schon berührten Pseudo-
wunde Punkte aufweist.
aristokratismus zusammen, dass in gewissen Kreisen die Ruthe die
gebührende Rolle bei der Erziehung zu spielen ganz oder fast
ihr
Man
ganz aufgehört hat. frei
erachtet körperliche Züchtigung für eines
und edel Geborenen unwürdig und befürchtet von
Urtheilsverirruug
Ertödtung des
derselben
in
merkwürdiger
so
notwendigen
Die unausbleibliche Folge davon ist eine später häufig gar nicht mehr gut zu machende Zuchtlosigkeit und eine bis zur Narrheit gesteigerte Einbildung bezüglich der angeborenen BeEhrgefühls.
deutung
in
Nach
Person.
eigenen
der
herrschen übrigens
den Kreisen
unseren
Wahrnehmungen
der Geburtsaristokratie gerade
nach dieser Seite vernünftigere, conservativere Grundsätze und wird in
der angegebenen Weise
bei
denen
wol auch
namentlich
von
Literaten
c
gesündigt,
>
modernen Zeit eigene sentimentale
der
die
Humanitätsduselei mitwirkt.
Man
jungen Bäumchen
lässt aber die
und Neigungen
ihren Trieben
nach
verwöhnt und verweichlicht gethan wird, da
Hause von
Jahrzehnten
in
bringt
doch
es
als
nur
-er vielfältig
mit
Kinder mit Ansprüchen
sich in
Unter diesen Umständen wachsen
au
das Leben
nur
in
heran,
von Hause aus
wie
sie
ihn von
gesichert
ihren
deren Be-
Die Leistungs-
Mühen
:
Pflicht-
in treuer Arbeit,
werden gar nicht oder nur sehr mangelhaft entwickelt und anderen Natur gemacht.
Wie
Leichtsinn der Jugend klagen, die
Folgen davon,
die
Die
Jugend auf gewohnt
uuerlässlichen Voraussetzungen
bewusstsein und Selbstüberwindung zum
ist.
die Fortsetzung eines
gewesen, durch eigene Leistung erst zu beschaffen. aber in
für
den seltensten Fällen
weitem meisten sind darauf hingewiesen,
derartigen Lebensgenusses,
fähigkeit
den letzten
Anspannung der Mittel
äusserster
der Zukunft ja
nöthige materielle Grundlage bei
gerade dafür
der herrschende Lebenszuschnitt
etwas Selbstvei-ständliches eingebürgert,
aufrecht erhalten werden kann.
in
nichts Uebriges
man
Zukunft
bedauerlichem Masse gesteigert und in dieser Steige-
rung mehr und mehr
friedigung
völlig frei
sondern
in einer für ihre
Der Luxus hat
selbst mit sich.
obgleich
die
wo
unheilvollen Weise, und
höchst
im
auch noch
sie
nur
nicht
emporschiessen,
zur
man über Genusssucht und Wie viele durch und mit Recht.
viel hört
I
durch Schuldenmachen
und Arbeitsscheu,
ver.
bummelte und heruntergekommene Existenzen auf unserer Hochschule
!
Und doch
trägt nicht so sehr diese, wie viele kurzsichtige
Väter jammern, die Schuld daran und
auch nicht
das Corpsleben
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476
Offene
Der üppige und träge Geist mit
der Studentenschaft.
Krankheitssymptomen, wie treten,
lebhaftesten beklagt
sicht
sie ja allerdings
wird nicht erst dort
und hat seinen Ursprung
am
anzubahnen
Was
Weise
tragischer wird.
Tage
bereits mitgebracht
wo
gerade da,
oft
Wird man zur
er
erforderlichen Ein-
Hand am
mit fester
seinen
all
dort besonders zu
sondern
erzeugt,
kommen und wird man
die vergifteten
Wunden.
und vergiftenden Wunden ausbrennen,
eigenen Fleisch
um
die
Heilung
?
muss jedenfalls schnell und entschieden zwar unter allen Umstanden für ewig vorüber und werden es immer mehr sein, wo es gegeschehen
D
geschehen.
i
soll,
e Zeiten sind zweifellos und
nügte, sich als zur Adelsmatrikel gehörig auszuweisen oder
wie
zu gewinnen, bot.
um
die Universität absolvirt zu haben,
welche
einer Familie
irgend-
mühelos eine Stellung
fast
nöthigen Subsistenzmittel
die
Das Dasein auf der Basis der Phäaken
ist für die
Schichten unserer Gesellschaft unwiederbringlich dahin.
höheren
Ob
sie sich
auch ferner ihre Stellung bewahren oder auch nur ein einigermassen standesgemässes Fortkommen sichern werden, diese Frage wird sich
darnach beantworten, ob
sie sich in die veränderte
zu finden und zu schicken wissen, keit
ob
Lage der Dinge
eine kernhafte Tüchtig-
sie
und leistungsfähige Arbeitsamkeit zu beweisen im Stande
sind,
welche sich jeder Concurrenz tiberlegen zeigt und alle Hindernisse Die Mahnung, die sich an alle richtet, ist deutlich überwindet.
und
Wohin wir
ernst.
deren engen Kreis
blicken, in die eigenen
hinaus
in
die
Zustände oder über
weltumspannenden Verhältnisse,
Punkte
überall tauchen vor unseren Blicken dunkele, unheildrohende auf.
Die Zeit erfordert ein Geschlecht von eiserner Festigkeit, und
doch starrt uns überall aus unseren eigenen Zügen heit an.
Es
botenes und viel verschmähtes.
brauchen werden
?
Ob
Im Augenblicke
wir
es
man
liest
jetzt
aus
an
unserem
socialer
Jeden Augenblick verheerendes Wetter über
kann der Sturm losbrechen und ein ganzen Erdtheil hinwegfegen, alles wirbelnd.
Flammen
dem Boden emporzttngeln.
umkehrend
den
einander
annehmen und
wieder, wie in weiten
Gebieten des westlichen Europa hier und dort die Feindseligkeit
die Zerfahren-
giebt ein Mittel, sich zu festigen, ein altes, oft ange-
Gottes Gnade
Vaterlande
mag
vorilberführen
ja ,
wol
aber
und
durch
auch den Orkan haben
trotzdem die Pflicht uns auf das Schlimmste zu rüsten?
wir
Wenn
nicht alle
gewohnten Stützen brechen und der Boden selbst, auf dem man steht, wankt, was kann uns Halt gewähren, was durch das Wirrsal
Offene Wunden.
477
leiten und unsere Füsse auf unerschütterlichen Felsen stellen ? Der Glaube an das Evangelium der Kirche giebt die nothwendige innere Gewissheit und Sicherheit. Er verleiht Klarheit des Blickes und Entschiedenheit des Willens, indem er die Gewissen schärft und keinen Zweifel über die zu treffende Wahl lässt, während die in den Dingen dieser Welt befangene Weisheit vor lauter Bemühen, das in jedem Falle Nützlichste und Klügste zu treffen, hin und her getrieben wird, um au der eigenen Rathlosigkeit und
Der Blick auf das ewige Ziel, das nicht gewährt Festigkeit, und Entschlossenheit, Muth, Hoffnung alles Dinge, welche zum last, not hast
Kurzsichtigkeit zu scheitern.
umstürzen
kann,
Geduld und
—
—
Hindurchkommen
—
unerlässlich sind und doch denen fehlen müssen, die in dem allgemeinen Werden wir uns dem Anker, dessen
die Sigualstaugeu ihrer
ephemeren Wissenschaft
Umsturz verschwinden
sehen.
Haltbarkeit voller
durch
die Geschichte
Hingebung vertrauen
Wetterfahnenpolitik halten
und
NB!
voll
und ganz
?
oder
erwiesen
wir es
Von der Entscheidung,
treffen,
lieber
ist,
mit
mit der
die wir treffen
wird es abhängen, ob wir als Bau-
Neubau der Zukunft oder ob wir den Wassern versinken auf ewig. 'O 'avnyivüjöxojv voHrv!
steine mit hineinkommen in den in
aller Zeiten
werden
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
führend
ist,
das Gebiet geschichtlicher Forschung seit jeher
unseren Provinzen
in
was
so dass Livland,
mit Vorliebe
bearbeitet
worden Ver-
die Erforschung seiner historischen
gangenheit anbetrifft, wol einen Ehrenplatz einzunehmen berechtigt erscheint,
für
ist
das
wenig geschehen.
literatur-historische Gebiet nur sehr
weite
Vor allem
treten uns
zusammenfassende Dar-
stellungen, sei es eines bestimmten Zeitraumes,
Verlaufes
der
literaturgeschichtlichen
sei es
Strömungen
des ganzen
nur
vereinzelt
entgegen und nur wenig zahlreicher sind die Arbeiten, welche einzelne poetische Erscheinungen
Aus
handelu.
busch:
oder
einzelne Dichtergestalten
be-
ihnen und aus Werken, wie Friedrich Konrad Gade-
Bibliothek, Recke - Napiersky: Allgemeines und Gelehrten-Lexikon, E. Winkelmann: Bibliotheca
Livländische
Schriftsteller-
Livoniae
Historien,
Ostseeprovinzen von
Rehbinder:
1800—1852
ein reiches bibliographisches
Die belletristische (Inland 1853 Nr.
Literatur
45— 48),
und biographisches Material
in
der
welche alpha-
mnss der Stoff mühsam zusammengesucht werden, und auf ihnen beruhen denn auch die einen grösseren Zeitraum umfassenden Abhandlungen. betischer
oder
chronologischer Anordnung
Diese geben aber fast alle nur
zum grossen Theil
veraltet
kurzgefasste Uebersichten,
sind,
da durch
Kenntnis der Dichtung Livlands gerade sehr gefördert
ist.
Neus:
geben,
Die Poesie
in
welche
neues Material
die
den letzten Jahrzehnten
des Inlandes in der
ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts (Inland 1845 Nr. 46) bietet uns das
zusammenfassende Referat eines Vortrages,
in
welchem nur kurz die
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479
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands. einzelnen Erscheinungen
der Literatur erwähnt
während
werden,
der Schwerpunkt auf das Bemühen der Deutschen, den Letten und
Esten
Bildung und Cultur zu vermitteln,
die christlich-germanische
auch nach einleitenden Worten und Altlivlands naher Wechselbeziehung, nach kurzer Erwähnung der sogenannten Reimchronik Ditleb von Aln-
So
gelegt erscheint.
wird
denn
über Deutschlands
pekes. einiger kürzlich von Ed. Pabst gefundenen Minnelieder, deren
Veröffentlichung
und
Dichter
man entgegensehen
sclilesische Schule,
erste
könne, und einzelner Chronisten
(Russow, Kelch, Lenz, Merkel) Paul Flemming, die Gelegenheitsdichtung
die
des
17.
Jahr-
Sammlung abgethan. Im Jahre
hunderts, die der Revaler Gymnasialbibliothek gehörige
an Hochzeitsliedern auf wenigen Seiten rasch
1848 erschien dann eine kleine Schrift, die viel zu wenig bekannt geworden ist und die doch mit das Beste, wenigstens für den Zeitraum und das Gebiet der Poesie, welches der Verfasser zu behandeln sich
vorgenommen,
Undeutschen
gedichtete Liedlein
über
nach Form
livländisch-deutsche Volksdichtung,
wandtes überhaupt.
«Das alte auf unsere und Inhalt, so wie
giebt, nämlich
Volkssprache
und
Ver-
Ein Beitrag zur Culturgeschichte des älteren
Livlands> von Ed. Pabst.
Die
Ed. Meyer gewidmete Schrift,
Neus und zurückkommen
seinen Freunden Alex.
auf die
wir
öfters
werden, geht von den bekannten Versen Ick bin ein Liffländisch Bur,
Min Levend werdt my sur aus,
um dann auf
u. s.
w.
historische Volkslieder, auf Minnelieder und geist-
Gesänge einzugehen und bei einer Fülle von Material feinBemerkungen über die Entstehung unserer baltischen Volksdichtung und ihre Beziehung zu Deutschland, über den niederdeutschen Dialekt und seine Verbreitung in den Ostseeprovinzen, über Landsknechtlieder &c. zu machen. Der Zeit nach folgte darauf 1855 das im In- und Auslande am meisten gekannte Werk über baltische Dichtung, Jegör von Sivers Deutsche Dichter in Russland. Studien zur Literaturgeschichte, ein Werk, das für die ältere Zeit baltischer Dichtung nur kurze Notizen giebt, welche an Vollständigkeit Manches vermissen lassen». Schon der Rahmen, von welchem diese umschlossen sind, ist durch das Unzusammenhängende seiner Ausführung eigenthümlich Tacitus, Diodor, Karl der Grosse, Otfried, überhaupt die Literatur Deutschlands, der liche
geistige
:
:
1
Vgl. die absprechenden, aber
sachlichen Kritiken
von F.
v.
R(ickhoff)
and H.
Inland 1856, Nr. 16 u. 17. Niens«. BiltUcho Monatsschrift, XXXVI. Band, Heft 6.
33
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480
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
Kurverein
von Rense,
die
goldene Bulle,
die
Entdeckungen
der
Portugiesen, die Einfuhr schwarzer Sklaven in die neue Welt, der
Reineke Fuchs, Rosenplut, die Erfindungen und Wissenschaften, Albrecht Dürer, Iwan IL der Grausame, Macchiavelli, Ariosto,
Raphael &c. &c ziehen in buntem Gemisch an uns vorüber, und dazwischen sind die wenigen erwähnten dichterischen Denkmäler Livlands gefügt.
So werden der Gesang zu ßeverin,
tische Spiel zu Riga,
livländische Reimchronik,
die
das die
in
drama-
Reval
neu entdeckten Minnelieder, die Buhlenlieder bei Russow und Kelch, die Spottverse auf den Erzbischof
vier im Archiv
von Riga, Burchard Waldis, die
von E. Pabst edirten historischen Lieder und Timaun
Brakel nur kurz angeführt und geben
kein vollständiges Bild der
alten literatur- und culturhistorischen Verhältnisse unserer Heimat.
In neuester Zeit hat denn noch Th. Schiemann in den Mittheilungen«
dem
unter
Titel Altlivländische
Dichtungen flüchtig
in
einer
ein-
leitenden Ueberschau zu den von ihm herausgegebenen lateinischen
und deutschen Dichtungen
die Literatur früherer Zeit gestreift,
und
daher erscheint der Versuch, der in den folgenden Blättern gemacht wird, zumal neue Quellen hinzugeströmt
nicht
sind,
nämlich einen Abriss der Geschichte der Literatur Selbständigkeit Livlands oder vielmehr bis
hunderts zu geben, welcher es erreichbar war,
unberechtigt,
in der Zeit
znm Ende
der
des 16. Jahr-
einschlagende Material, so weit
alles
berücksichtigt und, auf
die
verschiedenen Vor-
was über diese Zeit bekannt zusammenfasst und zu einem Gemälde verarbeitet. Dem Vorwurf, als ob von einer auf livländischem Boden
arbeiten gestützt, das Wenige,
Rede
ist,
ent-
könne und somit eine Specialgeschiclite der livländischen Literatur ein Unding sei, möchte sprosseneu Literatur
ich hier entgegnen,
beziehung
dass
die
dieser
und
dass
sein
Vorwurf
zur Gesammtheit jede
muss
treffen
nicht
der regen Wechsel-
bei
provinzielle
Literaturgeschichte
Werke, wie Wiechmann Entwurf Literatur, oder Pisanski
verdienstvolle
Mecklenburgs altniedersächsische
:
der preussischen Literärgeschichte, demselben Vorwurf unterliegen.
Es ist ja natürlich, dass neben der selbständig auf livländischem Boden entstandenen Poesie auch Vieles aus dem deutschen Mutterlande eingedrungen ist und dass manche und vielleicht gerade die bedeutendsten Dichtergestalten nicht in Livland geboren sind.
aber
die
1
Bd.
an
einen
XIH, IMi
Ort geknüpfte
4.
Geburt
ist
Nicht
ausschlaggebend,
481
Die Haupt-Strömungen der Literatur Altlivlands.
Ideen empfängt
sondern in so weit der Mensch wirkt und schafft,
und zu solchen wieder anregt, gehört er einer Heimat an, wie wir z.
Burchard Waldis
ß.
zweifelsohne
Unsrigen
der
einen
für
Der Zweck der Literaturgeschichte
halten berechtigt sind.
ist,
zu das
geistige Leben, wie es sich in den literarischen Erscheinungsformen offenbart, zu schildern
spielen
und
und
alle
die Literaturen
Fäden, welche herüber- und hinüber-
Und
verknüpfen, blosszulegen.
Gegenden
verschiedener so
mögeu
und Völker
folgenden Blätter,
die
wie sie sich aus überarbeiteten Vorträgen entwickelt, hervortreten
und ein Zeichen dessen Altlivland unter
sein,
dass die deutsche Cultur, die sich in
Kämpfen und Ringen
dem
festigte, zugleich
Ideal
zugewandt war und auch unter schweren Verhältnissen Knospen und Blüthen zeitigte.
Obgleich über siebenhundert Jahre in
Leid und Freud hingegangen
kommenden Colonisten
sind,
es betraten
das baltische Land
über
die ersten von
seit
Westen
und christliche Cultur und
christ-
Glauben ihren Einzug hielten, stehen wir doch noch jetzt in Sitte und Sprache, in unserem ganzen Dasein gegründet auf dem unserer Vorfahren da. Denn wenn auch das wechselnde Geschick licher
unsere Heimat nach
dem Verlust
bald unter
ihrer Selbständigkeit
Polens, bald unter Schwedens, dann Russlands Herrschaft brachte,
zu Deutschland waren die Beziehungen stets rege und unser geisti-
ges Sein und Leben erhielt von
lehnung und
in
östliche Colouie
die
Riese Antäos,
kam, sog
um
sie
seine Richtung.
dorther
wenn
stets
er
neue
mit
Culturelemente
und
so
aus der Beziehung
engen geistigen Zusammenhang
zum Mutterlande zeigt
dass eine Geschichte der baltischen Literatur
stets
gespeist
nur
fliesst
rischer Production in Altlivland reichlicher,
strömen,
der
neue Kraft, Diesen
allem die Dichtung, so
vor
deutscher Ideen sein kann, denn nur dann
aus Deutschland
wie
der mütterlichen Erde in Berührung
dieselbe im Gebiete des culturellen Lebens zu bethätigen.
die
In An-
Verarbeitung der überkommenen Ideen erwarb sich
ein Spiegelbild
der Strom dichte-
wenn er von Quellen, Daneben bedingen
wird.
natürlich ein Aufblühen oder einen Verfall die heimatlichen politi-
schen Verhältnisse, indem sie den günstigen oder ungünstigen Boden für die aus
also
zwei
Deutschland
verpflanzten
Bedingungen
vereinigen
,
Keime
so dass
bieten,
einerseits
der
Literatur Deutschlands, andererseits die jedesmalige
sich
Eintluss
Lage des
der
balti-
33*
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482
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
Von
sehen Landes.
einer selbständigen organischen
Entwickelung
der Dichtung, die allmählich fortschreitet, kann so nicht die Rede sein
nicht
;
tritt
uns
Lebensepochen des
den
eine
sprechende Fortentwickelung der Poesie entgegen,
dem
ereigniserzählenden, noch
sprechenden Epik
die
um
fühlende Lyrik,
alter entsprungenen
der
Volkes
nicht
ent-
folgt der
nicht reflectirenden Kindesalter ent-
empfindungsvollen Jünglingszeit
schliesslich der aus
dem
nach-
thatenkräftigen Mannes-
Dramatik Kaum zu geben, sondern unvermittelt
liegen die verschiedenen Gebiete der Dichtung, das lyrische, epische
und
dramatische,
Mutterlande
neben einander, je nachdem die Anregung vom Ist doch die selbständige Entfaltung
sie hervorgerufen.
der Kunst und Wissenschaft an Bedingungen geknüpft, welche unserer
Heimat
gefehlt haben
!
Nur auf einem gesunden
national gewordenen Volksboden blüht die Poesie,
nationalen oder
und
wie sollte
das auf der Grundlage fremder Nationalitäten aufgebaute Livland
zumal Livlands GeConcentrinund der ununterbrochene Kriegszustand mit den Nachbarn und EingeDazu kam, dass borenen eine stete Kampfbereitschaft verlangte. eine Blüthe
aus
eigener Kraft
hervorrufen,
im Staatsleben
schichte sich fast ausschliesslich
Livland
und Westfalen gegründet
von Niedersachsen
war,
deren
Volkscharakter, rauh wie die rauhe Natur ihrer Heimat, mehr der mit Erfolg verbundenen That, als der Pflege des geistigen Lebens
So tritt uns, besonders in frühester Zeit, eine Armuth an dichterischen Denkmälern entgegen, zumal manches verloren ist
zuneigte».
im
Kampf
der Zeit oder
Und
Archiven harrt.
erst
doch
seiner
reizt
Wiedererweckung aus alten
es,
diesen
wenigen Zeugnissen
der Poesie nachzugehen, da sie das Bild unserer Heimat und ihrer
Vergangenheit vervollständigen, und so will ich versuchen,
in skizzir-
ten Umrissen die Strömungen baltischer Dichtung, deutschen Geistes
und Lebens früherer Zeit zu «Fast
um
schildern.
dieselbe Zeit, da Saladins Heldenthaten den
Orient mit Staunen und Bewunderung erfüllten und auf die
von
seinen
Abendland
Schlachten, Siegen sich schon
und Eroberungen
von neuem
zu
Dünaufer der
Kunde
europäische
einer bewaffneten Wallfahrt
nach dem Grabe des Erlösers vorbereitete, nordischen
das
ganzen
gründete
Augustinerpriester
am einsamen aus dem
Meinhard
Kloster zu Segeberg in Holstein, ein schlichter Greis
mit
gottes-
fürch tigern Sinn und würdigem grauen Haar, der sich in Begleitung 1
Vgl. die
Bunge« Archiv,
Inländischen III.
Städte
im
Mittelalter
von Georg von Brevem.
483
Die Haupt Strömungen der Literatur Altlivlands. des Cisterciensermönchs Dietrich
nach Livland
einigen
fahrenden
Handelsleuten angeschlossen hatte, eine christliche Schule und Kirche in
Wort dem Evangelium Der
der Hoffnung, durch sein
bei den dortigen
Landesbewohnern Eingang zu verschaffen'.»
erste
bleibende
Anfang der Colonisirung Livlands fällt so der Zeit nach zusammen mit dem höchsten Aufschwung Deutschlands, da durch die Kreuzzüge neues Leben und neues Schaffen erblühte. Denn nicht nur, dass diese eine Vertiefung
zur Folge hatten,
religiöser
in
und
sittlicher
Berührung mit einander und zum Austausch schauungen.
Beziehung
brachten auch die einzelnen Völker in enge
sie
Das Ritterthum, welches
bildung erhalten hatte,
trat
Romanen
seine Aus-
neben den Geistlichen
jetzt
An-
ihrer Ideen und
bei den
den
in
Vordergrund des socialen Lebens, da ihm die Kämpfer Christi angehörten und «geistige Regsamkeit, lebhafter Verkehr, der aus dem
und Leben auf
Uebertragung Minne» schufen einen Boden, auf welchem «rasch und lieblich, wie die Blumen des Frühlings», die höfische Poesie des Mittelalters entspross. Aber eben so rasch welkte sie wieder dahin. Die sonnigen Frühlingstage mit ihrer Romantik waren nur zu schnell vorübergegangen, nüchtern Mariendienst sich entwickelnde Frauencult
des Dienstverhältnisses
vom
staatlichen
und
und grau trat die Wirklichkeit hervor
praktische Richtungen erfüllten die Gemüther.
die
die
weltliche Interessen,
Der Adel gab
sich
durch die Ungunst der Verhältnisse, da die deutsche Dichtung nicht
mehr an den Fürstenhöfen gepflegt wurde und allgemein Verrohung um sich gegriffen hatte, dem Strassenraub, dem Stegreifh and werk hin, die Geistlichkeit versank immer mehr und mehr in Ueppigkeit und Unglücksfälle lasteten ver-
und Trägheit, furchtbare Seuchen düsternd auf
dem Lande und an
ritterlichen Dichter
Stelle
der reizvollen Poesie der
dreizehnten .Jahrhunderts
des
Blütheepoche Kreuzfahrten
und
die
trat
Jungfrau Maria,
das ewige und doch wechselvolle Leid
die
haus-
Und wenn im Beginn
backene des städtischen Bürgerstandes.
der Minne und
der
später aber 4
ihre Lust,
Abenteuer der bretonischen Tafelrunde und die kühnen Thaten volkstümlicher Recken den Hauptinhalt der Dichtung
die romantischen
ausmachten, wandte
sich
jetzt
schwankhaften Erzählung
dem
und
das Interesse
dem
oft
moralisch-religiösen Meistergesänge und
schen Lehrgedichte zu. 1
Knril
von Schlözer:
—
Diesen
Livland
Gang
nnd
die
der novellenartigen,
derben Fastnachtsspiele,
dem
didaktisch-satiri-
der Dichtung spiegelt im Anfüuge deutschen Lebeni im
Norden.
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Die Hauptströmuugen der Literatur Altlivlauds.
484
grossen und ganzen
unsere baltische Heimat
auch
Verhältnisse denen Deutschlands
zum
Nachdem der Bischof Albert au Idee
existirenden Bisthums
christliches Staatswesen, die lieber ihr Ziel
mit jedem
im Nordosten
Frühling
kamen
die Scharen
als
grösstenteils wieder zu scheiden,
immer
bis mit der
um
bald
sich
ein
der Kreuzpilger,
und die
sahen
Palästina
in
Allerdings galt es einen lange dauernden
aber im schweren Ringen
bildete
um im Herbst
,
des nur in der
die Spitze
war,
getreten
das durch
deren
wieder,
Theil analog waren.
wie
die
Zugvögel
fester
gegründet wurde.
Kampf
mit den Heiden,
die Existenz festigte sich die Colouie,
Niederwerfung des grossen Estenaufstandes
des vierzehnten Jahrhunderts und der Vereinigung
in der
Mitte
der drei balti-
schen Provinzen die Unterwerfung der Eingeborenen vollendet und
der zähe Widerstand gegen Christenthum und deutsche Herrschaft
Gerade aber
gebrochen war.
in
der Anspannung aller geistigen
und materiellen Kräfte blühte Livland empor,
und ein glänzendes
Zeugnis dieses Aufschwunges bilden die herrlichen Kunstdenkmäler, wie der
Dom
zu Riga und Dorpat, vor allem aber das rege geistige
Leben, die juristische und theologische Bildung der Ordensherren, die kreuzpredigende, das Christenthum ausbreitende Thätigkeit der
Geistlichkeit
und
die Dichtung».
Von Niederdeutschland aus war
die
Colonisirung Livlands
gleichsam in einem Kreuzzuge, in einem Vordringen des Christen-
thums gegen das Heidenthum erfolgt, und das drückte den Anfängen baltischer Dichtung sein Gepräge auf, welche die begeisternde Verherrlichung einerseits des Glaubenskampfes, andererseits der katholischen Kirche
und ihrer Heiligen aufweist.
Gesängen, die
in
Neben den
den Gotteshäusern erklangen,
lateinischen
erstand im Mittel-
alter ein geistlicher, gewöhnlich mit einem Refrain endigender
Ge-
sang, welcher der religiösen Erregung der sangesfreudigen Deutschen
auch ausserhalb der Kirche Ausdruck verlieh. die Kreuzfahrer
und wer sonst zu
Schiffe
Mit Gesang fuhren
ging,
hinaus ins Meer,
mit Gesang wenn die Schlacht begann, wie einst die alten Germanen, Todesmuth und Siegesgew issheit von oben und dankten Gott und der Jungfrau Maria, wenn der Sieg erfochten 1 So erscholl bei der Belagerung von Beverin 1208 vom Walle herab mit Gesang wallten sie und die Pilger
durchs Land,
holten sich die Krieger,
.
1
a
[, p.
Th. Schiemann, Rn&daad, Polen und Livland bis ins Vgl.
888.
W. Waekernagel,
(iexeliielite
17. Jahrli.
der deutschen Literatur,
1.
II, p. 84.
Aullage,
485
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
den stürmenden Esten Gottes Preis entgegen, wie uns dies Heinrich
tAueh
der Lette berichtet:
wenig
bekümmert,
ihr Priester,
um den Sturm
auf den Schlosswall,
stieg
der Esten
während
und
die
Anderen kämpften, spielte er auf einem musikalischen Instrumente und flehte zu Gott. Und die Barbaren hielten an, als sie den süssen Gesaug und den scharfen Klang des Instrumentes vernahmen, denn sie hatten dergleichen in ihrem Lande nicht gehört und Hessen ab vom Streite und fragten nach der Ursache so grosser Freudigkeit. Die Letten aber erwiderten, sie seien froh und lobeten Gott, den Herren, weil sie, nachdem sie kürzlich die Taufe empfangen, sähen, dass Gott für sie streite. Da machten die Esten Vorschläge zur Herstellung des Friedens«. * Und als das Heer der Christen mit drei Bannern gegen die Sehaar der heidnischen Littauer am Flusse Scheneu in Kurland anrückte, da stimmte dasselbe den Sang Ihr, der «edelen unde an: «hilf uns Saueta Marlä zu vromen'». vrien» Herrin und Himmelskönigin, der Schutzpatronin des Ordens, zu deren Dienst der Ordensmeister den neu aufgenommenen Bruder weihte, indem er beim Seil wertschlag auf die Schulter ihm zurief: Dies Schwert empfang von meiner Hand Zu schützen Gottes und Marien Land 3 ,
der Kirche Livlands,
der Schutzgöttiu
ihr,
Lob und
Kriegsthaten.
Preis
uud
verliehenen Sieg
für
Fast eine stehende Formel bilden so
Heimkehr des Heeres
die
der
derentwillen
und dem Sohne Gottes erscholl
gläubige Pilger das Kreuz nahm, andererseits
um
Worte der
glückliche
bei siegreicher
livländischen Reimchronik
dö wart gelobet Jhesus Christ, der alles lobes wirdie
und die
liebe
müter
ist,
sin
Maria, die vrowe min«,
Worte, die sich allerdings auch auf eine zu celebrirende Messe beDass aber auch das ganze Kreuzheer in gemeinziehen Hessen.
samem Gesang Gott Heinrichs 1
*
für den Sieg pries, berichtet uns die
Scriptorcs rerum Uron.
mächtigen Gottes
Maria zogen
Chronik
Nowgorod
sieg-
p. 129.
herauf von Leo Meyer, V. 11917. Vgl. eine «Unter Anrufung der Hilfe de« all1, p. 127: und der heiligen Mutter Gottes, der unbefleckten .Jungfrau Rigiaehen nach Treiden» &c
die
Strip, rer. Uo.
Joh. Christ. Brotze 4
I,
der König von
LivliindiHchp Rchnchronik,
ähnliche Angabe
,
Als 1218
des Letten.
.
:
.
.
Rückblick
in die
Vergangenheit,
7.
Stück,
p. 5.
Livl. Reimchronik, V. 9498, 12015, 44«.
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486
Die Hauptströmuugen der Literatur Altlivlands.
reich bestanden war, «kehrten die
den
Weg
über
Deutschen gesund und unversehrt
zurück» (Teutonici vero sani
singend
per viam cantantes redierunt),
und
dieser
Gesang
weiter unten folgenden Worten «und sie lobten alle die Erlösers, der
und
zurückführte
sie
den Händen
aus
incolumes
et
findet
in
den
Gnade des der Feinde
omnes Salvatoris clementiam qui reduxü Uberavit de manibus inimicorum) seine nähere Erklärung».
befreite» eos et
(et
Leben fand eben
Geistliches
wenn
denen,
laudaverunt
nicht
anders
so
stetem
in
Kampf
mit den
dem Schwerte, der
mit
Heiden,
christliche
Glauben gepredigt ward, eine Vertiefung, und zahlreich mögen die Mundart und wechselvollsten Inhaits gewesen sein, von denen sich leider so wenig erhalten hat. Dass das geistliche Element auch zu Situationen in Beziehung gebracht worden ist, in denen es uns widerspruchsvoll erscheint, ja ganz eigentümlich berührt, kann man aus den alten Schrägen ersehen. So heisst es in den Schrägen der revaler Tafelgilde vom Jahre 1363: «10) des Dienstags nach Ostern sollen die gemeinen Brüder zusammenkommen wegen der heiligen Aufgeistlichen Lieder niederdeutscher
und eine gute Tonne Biers zusammen ist auferstanden», und eine Instruction für die Jahresfeier der Tafelgilde lautet: «12) Wenn die Mahlzeit aus ist, so fragt man den ältesten Bürgermeister, ob man das unseres Herren
erstehung
trinken und singen
«Grotoi
singen
:
Christus
Alsdann gehen die sechs Vorsteher vor der
soll.
Brauttafel zu stehen
nach der Seite des
bei einander, die ältesten
Raths, und alle die Brüder stehen aufrecht und singen mit Freuden «Christus
ist
auferstanden von der Marter
froh sein, Gott will unser Trost sein.
brauch hat sich
bis in das Zeitalter der
des sollen wir alle
alle,
Kyrie
eleison.
»
Dieser Ge-
Reformation erhalten, wie
denn die im Jahre 1514 von Wolmer Brockhusen angefertigte Haudschrift dieselbe Instruction enthält
:
«
12)
Wenn man
dreimal herum
und wieder herum getrunken hat und ein jeder fröhlich ist, so hebt «Christus ist aufder Kirchherr an zu singen mit allen Brüdern Das singt man dreimal 1 .» -- Der um die Erforschung erstanden». :
der
baltischen Geschichte
und Literatur
hochverdiente Oberlehrer
Ed. Pabst thut in seiner Schrift Das alte auf gedichtete Liedlein &c.» alter 1
Script, rcr. Ur.
'
Engen von Nottbeck: Die
Iteval lHSo. •
p.
49
p. 36, 65, ff.
I,
p.
unsere Undeutschen
geistlicher Lieder
in
plattdeutscher
223.
69 and
71.
alten Schrägen «ler grossen Gilde zu Reval.
Die Hauptstroniungen
Sprache Erwähnuug, die im Rathsarchiv
und die
Zusammenhang
im
Wie
in
dem späteren
obgleich sie
ich,
der
487
Literatur Altlivlands.
de»-
Reval vorhanden
erwähnen
Dichtung
geistlichen
seien,
Mittelalter angehören, hier
möchte.
aus mehreren Notizen, bei Netis», im Bungeschen Archiv 3 &c,
hervorgeht, hat Pabst die Absicht gehabt, dieselben herauszugeben, nicht, oder nur theilweise ausgeführt, was um so mehr zu bedauern ist, als die Handschriften augenscheinlich verloren gegangen sind, da sie nach mir gewordener freundlicher Mittheilung sich nicht mehr im Archiv finden, ebenso wie die Liebes-
dieselbe aber
welche an derselben Stelle angeführt sind.
lieder,
zum
jedoch und
welche im Jahresbericht
der felliner literarischen Gesellschaft pro
1888 vollständig im Druck erscheinen sollen,
welche
unserer baltischen Heimat aus gläubig sehnenden Herzen erklang,
Diese Dichtung hat in engster Beziehung, wie sich das
gewinnen. besonders
zwei
bei
Liederu
erweisen
lässt,
zu Deutschland
ge-
Eins der allbeliebtesten allegorisch-mystischen Motive des
standen.
katholischen
Kirchenliedes
von
das
ist
der
dem bekannten Mühlenliede uns
welches
Mühle,
Barthel Regenbogen» und Muscatblüt« verarbeitet in
uud lassen
erhalten
in die katholisch-religiöse Dichtung,
uns so einen Einblick in
In Abschriften»
Theil in Abdruck* sind glücklicherweise die Lieder,
entgegentritt,
bei
und welches
ist
das in
hoch-
deutscher, niederländischer und niederdeutscher Version bereits viel-
zum Abdruck gekommen
fach
ist 7
Dieses Motives
.
Kunst bemächtigt und
die bildende
Dichtung und Malerei
hang zwischen den
ist
man wol
berechtigt, einen engen
der
Zusammen-
vielfach in Kirchen vorhandenen Mühlenbildern
und den Mühlenliedern anzunehmen.
Wiechmaun
burgs altniedersächsische Dichtung
neun Bilder
drei in Cistercienserkirchen,
"fuland
hat sich auch
der Wechselwirkung
bei
1849, Nr. 46.
und meint, dass
-
führt in
:
Mecklen-
unter
an,
für das berner
diesen
Münster
919.
III,
In der Pabstschen Haudschriftensammlung,
welche
sich
im Besitz der
W.
Schlüter nach dieser
angefertigten Abschrift, die mir in liebenswürdigster Weise
zur Verfügung ge-
cstländischen Ritterschaft befindet, und in einer von Dr.
stellt
worden 4
Das Mühleulied
ratorlll,
und
An 8
p.
231
1
ff.
Annen
l'h.
"Wackcrnagel
a.
a.
17. ().
in
Wiethmanns
in
Mecklenburgs altniedeisächsische Lite
E. Bähst*: Bunte Bilder :
I,
p.
gemachten Abschrift
116.
Das deutsehe Kirchenlied von der ältesten Leipzig IW7. Bd. 11, Nr. 419.
Zeit bis zu
Jahrhunderts. Nr. 651.
Vgl. Jahrbuch des Vereins
gang 1883.
:
nach einer vom Archivar C. Kusswurm
St.
Anfang des c
sind.
Bd. IX.
Herrn
für niederdeutsche Sprachforschung.
Brandes
:
Zum
Mühlenliede
p.
49
Jahr
ff.
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488 der
Die Hauntstromungen der Literatur Altlivlands.
Name
Wahl
des
Stifters
Kaspar von Mülinen
des Gegenstandes gewirkt
thätige Vorsteher
der
und zwar nach Pabsts Urtheil 1 lung
gilt,
in einer Schrift, die
,
die
Reval, Marcus von
Beziehung gestanden, mag dahin-
in
Dieses befand sich auch
gestellt bleiben.
in
für
vom Jahre 1476
der
Nikolaus-Kirche
St.
Moleu\ zu unserem Liede
der
bestimmend
Ob
habe.
der revaler
in
Sammlung Samm-
welches für alle Lieder der
auf die zweite Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts zu deuten scheine, so dass die revaler Fassung, welche
Anordnung der Verse der Uhlandschen, wie sie in den Volksmit geringen Abweichungen gleichkommt, neben der niederländischen die älteste sein würde Damit fällt die Annahme K(rauses)«, dass vielleicht der Verfasser Ecbert Hadem, der in
liedern* vorliegt,
in
und dreissiger Jahren
den zwanziger
Rostock Professor gewesen,
des 16. Jahrhunderts zu
zusammen, während
schauung, die Herrn. Brandes vertritt,
sich für die
des fünfzehnten Jahrhunderts verlegt, ein Beleg mehr ergiebt die
Angabe Winnigstedt», dass
zu Höxter war,
einem
in
er das Lied,
sehr
alten
An-
das Lied in die Mitte
der
als er
und
noch Pfarrer
Buche der Corveyer
Stifts-
bibliothek gefunden habe, an Bedeutung gewinnt.
Eyne mole jck buwen wyl, wormede
her got, wüste jck
vn hedde jck hantgerede, vn wüste wor fan, her got, so wolde jck heven an,
Dem
mit diesen Worten beginnt das Lied.
gemäss
soll
das
Baumaterial
nöthige
(Libanon) herbeigeschafft werden
am Werke,
helfen
dem Walde Libanus
hohe, an Künsten reiche Meister
;
vor allem Moses,
im Alten Testament gelegt
Charakter der Dichtung
aus
hat, auf
welcher
den
untersten Stein
welchem das Neue Testament,
als oberer Stein, ruht.
Do nyen
e den oversten sten
den legge nu up den olden, dat he lope bolde
1
1
Preua.s.
i».
*
Jahrbücher, Bd. 59, Hott
E. l'abst
8
:
alte
Liedlein u.
(i.
s.
Tli.
w.
Schiemann,
St. N'icolaus in Reval.
p. 50.
888.
Beilage zu Nr.
Jahrb. de« Vereins 1
Das
a. a.
f.
0. p 50.
183 der Kostocker Zeitung
nd. Spracht". IX, p. 49.
vom
8.
August 1879.
Vgl.
Die Hauptströmungen der Literatur Althvlands.
na meysters
489
kirnst
dat isz des hylgen gestes guust.
Im Bau
stehen weiter bei Hieronymus, Ambrosius, Gregorius und
Augustinus, welche das
von
den
Kammrad
bewahren, damit die Muhle, welche
Strömen Geon, Phison,
vier
trieben wird, desto besser läuft;
Gang,
sie,
die in aller Christen
Gy
und Tigris« ge-
Euphrates
die zwölf Apostel bringen
Land ausgesandt
sind,
sie in
zu mahlen.
twelf apostel gat hervor
brynget uns de molen gande dat se nycht blyve bestände
gy synt gesant malen jn alle crysten lant. Ferner wird von einer Jungfrau berichtet, die to
Weizen
bringt
sie
;
ist
der Jesaias geweissagt hat, sich
alle
«fruwen
vn
Mutter
die
man»
mit
ist
über dessen Geburt
.Jesu,
Das
treuen.
brochte en reyne junckfruwelyo»,
Weizensäcklein,
könnte
tissime exponebatur), so
niederdeutsch gewesen
qui
in
sei,
scheint (comocdiae materia
aderant,
per
Interpretern diligen-
man annehmen, dass das Drama dem Falle das erste Beispiel eines
nicht lateinischen Stückes.
Eine Mittelstellung zwischen geistlicher und weltlicher Dichtung nimmt die mitteldeutsche livländische Reimchronik ein, ein Werk, das am Ende des 13. Jahrhunderts entstanden, ein unverkennbar engstem Zusammenhange mit der Geschichte der Poesie in Deutschland steht, deren schönste mittelalterliche ßlüthe damals bereits im
Abwelken es,
begriffen
obgleich
eine
war J *.
Gervinus rühmt diesem Epos nach, dass doch den blühenden
streng historische Chronik,
Vortrag der Ritterromane mit so
viel
Geschick festhalte,
einem solchen Gegenstande zu erwarten
sei.
—
eben nicht, nur Geschichte in Reimen, sondern
Kampf
als
bei
Der Dichter giebt eine leitende Idee
dem Heidenthum und dessen Bekehrung zieht durch das Ganze, dem Inhalt der Dichtung die poetische Färbung eines Kreuzzuges, an welchem die Hilfe der Jungfrau Maria und die Wunder Gottes sichtbar geworden, ver-
der
leihend.
des Christenthums
Dieses historisch-epische Gedicht,
Lücke der rigaer Handschrift, 1
'
mit
Goedeke, Gmndriss,
'2.
Leo Meyer.
die
N. F. III, 353
Uebcr
das dadurch,
dass
die
welche sich im Besitz der livländi-
Aufl., I, 474.
Livl.
Ueimchronik.
«Baltische
Monatsschrift»
ff.
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Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
494
sehen Ritterschaft befindet,
durch die Heidelberger Handschrift
war früher chronik des Ditleb von Alnpeke bekannt. Nachdem
gänzt wird, uns vollständig erhalten Autorschaft
desselben
welche
,
ist,
auf der
als die
er-
Reim-
sich aber die
apokryphen Unterschrift
kumentur zu rewel durch den Ditleb von Alnjar> beruhte, als Fälschung erwiesen, wandte sich der Scharfsinn der historischen Forschung der Lösung Während der Frage zu, wer etwa der Verfasser sein könne. Schirren' der Meinung ist, dass er nicht Mitkämpfer und nicht Ordensbruder gewesen, da er die Ordensbrüder aus Fellin und «geschriben
in der
MCOLXXXXVI
im
peke
Weissenstein «fremdet Brüder
sondern
nennt,
dass
da sind zwei Gestalten abgebildet, unbekleidet, die andere in Gewändern, uud zwar nach
so durch närrische
zu erregen gesucht. die
eine
ritterlich mittelalterlicher Sitte halb roth, halb
grün; auf Stecken-
pferden reiten sie dahin, mit Lanzen, an deren Spitzen statt Fähn-
chen kleine Windmühlen, wie man Diese Deutung, welche
sind.
sie bei
Kindern
W. Seelmann dem
sieht, befestigt
Bilde
am
Schluss
«Des Minners Anklagen» in seiner Einleitung zu < Gerhard von Minden > giebt, scheint mir nicht zutreffend zu sein. Die angebliche Lanze,
zwar
nachreitet,
ist
dem
hängt
augenscheinlich
Zudem
trägt die Frauengestalt
mit
einen ritterlichen Tjost nicht Liebesstreit
•
der anderen nackten und
mit welcher die bärtige Gestalt weiblichen
V««ra
zwischen
Ii*
dem
wol
doch Inhalt
der
Dichtuug
eben eine solche,
denken
lässt;
-clager» und
und zusammen. so dass sich an
eine Liebeswaffe
vielmehr
ist
der «frauwe»,
es
der
IV.
Digi
der hier
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
Ueberhaupt war der Gegensatz
seine Darstellung findet.
land nicht so
der
schroft*
— man denke nur an die
Schwarzenhäupter,
pflegten 1
—
an
denen
wenn trotzdem
und
Niederdeutschland
in
503
auch
ritterlichen
der Dichtung zeigte,
auch
Liv-
theilzunehnien
Edelleute
wie er
der Charakter,
in
Uebungen sich
in
der livläudischen
Gepräge aufdrückte, so lag das in der Abhängigkeit der vom Mutterlande und in den nahen Beziehungen des baltischen Landes zu dem Norden Deutschlands. Daher war die Heldensein
letzteren
sage ein den bürgerlichen Dichtern entzogener in spätester Zeit in
Stoff,
während das Lehrgedicht und
die poetische
Erzählung das grösste
Interesse fauden und in den zahlreichen niederdeutschen
durch den arbeitsvollen Beruf Städte leicht zu verstehen
mann, wenn
er,
Sammlungen
Diese allgemeine Pflege oder Vorliebe
vertreten sind'.
uns nur
der
Bearbeitungen hochdeutscher Vorlagen begegnet,
;
gern lauschte
ist
bei der
der Bürger
beschränkten Zeit
man dem fahrenden
mit den hansischen Schiften zu
der
Spiel-
den Stapelplätzen
des deutschen Handels gekommen, mit schwankartigen Erzählungen
und lehrhaften Allegorien seine Zuhörer ergötzte. Und wenn sich Reval und Riga in den ausgedehnten Höfen der Hansa au langen Winterabenden die deutschen Kaufleute vereinigten, wurden diese Dichtungen nach Sammlungen, die zu dem Zwecke angelegt worden, wie z. B. die livländische, mit gleichem Beifall vorgelesen, ja bei in
den Vereinigungen
in den Gildenstuben und im Artushofe hat der Vortrag poetischer Erzählungen sicher nicht gefehlt, wie deun das gemüthliehe Element in den alten Schrägen in ganz besonderer
Betonung hervorgehoben wird. Zu einem eigentlichen Meistergesang mit zünftigem Betrieb, mit handwerksmässiger Ueberkünstelung und Handwerksneid scheint es trotz der nahen Beziehung zwischen Deutschland und den Städten der Ostseeprovinzen nicht gekommen zu sein, denn die weitesten Ausläufer der holdseligen Kunst des Meistergesanges lassen sich nur in Mitteldeutschland bis Magdeburg und bis ins Hessische und im Nordosten bis Danzig nachweisen. So fehlt den Ostseeprovinzen das weite Gebiet der Meisterlieder, abgesehen von diesen weist die Dichtung, welche aus dieser
Zeit
vorliegt, eiuen ähnlichen
Charakter wie
in
Deutschland auf;
das didaktisch-satirische Lehrgedicht, die schwankartige Novelle, das Fastnachtsspiel und gegen Ende der Periode das Volkslied 1
*
alter.
F. Aiuelun^, tiesehichte der Schwarzenhäupter, Lief.
Vgl, die Einleitung zu Oesterley:
Dresden 1871.
I,
p. .48,
Niederdeutsche Dichtung
im Mittel-
504
Die Hauptström fingen der Literatur Altlivlands.
treten uns auch hier entgegen, und
auch
sind die Verfasser
hier
Dichter bürgerlichen Standes.
So bearbeitete
in
zweiten Hälfte
der
des vierzehnten Jahr-
hunderts das Schachbuch des Jacobus de Cessoles
Versen der Schulmeister Stephan
in
niederdeutschen
widmete es dem
und
1
dorpater
Bischof Johann vou Fif Imsen, seinem leuen werden heren
Uau darpte dein vorsten her Johanne Euem bisschope vnde enem manne Uau wysheyt vnde uan dogheden rike Also dat betueghet
al gelike
name de iohanues ist Godes gnade al sunder list Uan vytt'husen al dar by. &c. In diesem Werke, welches Tugenden und gute Sin
neben
Sitte
dem
Schachspiele lehren will,
Van dogheden vnde van guden zeden secht dyt boek wol dat vakeu ouerlest de wert ok des schaekspeles klok, lehrhaft-allegorischer Weise auf das sittliche, gesellige und staatliche Leben der Menschen ausgelegt und Beispiele und Erzählungen moralischen Inhalts, wie die Bürgschaft, Lucretia und
ist letzteres in
Sextus Tarquinius,
die treuen Jakobsbrüder, oder
über dessen Haupte an einem
Haar
wie Dionysius,
Schwert schwebt &c. &c.
ein
t
werden in reicher Fülle geboten. Die Vorliebe für* Lehre im Gewände der Allegorie zeigt auch das in der bereits mehrfach erwähnten livländischen Sammlung aufbewahrte Gedicht von der Bedeutung der Farben in der Liebe», das einen Stoff, die Farbensymbolik, verarbeitet, der im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert allgemein beliebt war und sich in Liedern, Fastnachtsspielen und Meistergesängen Deutschlands vorfindet, wie sich denn dasselbe Gedicht in einer Sammlung niederIndem mehrere in verdeutscher Dichtungen in Wien wiederholt. '
Meister
Stephans Schachbuch.
vierzehnten Jahrhunderts.
von Dr. Dorpat. 1
VIII.
W.
Theil
I,
Bd.
XI
u.
Ein
Text. 1883.
Schlüter (Verhandlungen
der
mittelniederdentsches
Gedicht
dos
Theil II. Glossar, herausgegeben
gelehrten
estnischen
Gesellschaft
zu
XIV).
Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, Jahrg. 1882. Farbendeutuug, heransg.
v.
W.
Seehnann.
p.
73
ff
505
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
schiedene Farben gekleidete Frauen an den Dichter, der von sehnsuchtsvoller Liebe ins Freie getrieben
ist,
herantreten, wird dieser
1
im Gespräch über
die Pflichten
und Eigenschaften eines getreuen
Die braungekleidete «Swich jummermer>,
grünem Gewände, «Höpen vor trureu» in in Roth und die in Blau gekleidete «Twiuele nummer nicht» geben ihm die ihren Farben entsprechenin
Weiss, «de Leue entzünde» den Lehreu,
den
welche ihren Inhalt in
künstlichen
an welcher
wird
in
.alle salde
lijt»
Namen
Die Hoffnung
einzelnen Frauengestalten ausgeprägt haben.
und «dar vau syk
z.
der B.,
minne entzündet»
folgenden Versen gepriesen
Höpen ys vor troren gud, Höpen geuet bogen mud, Höpen leyt vortriuen kan, Van hopen junget wol eyn man.
Wat Dat
dar twiuel voget
pin,
bringet hopen weder jn.
Mauich moste steruen, Hopede he nicht to irweruen, Dat yd beter worde.
Hopen nyinpt
alle borden,
De dar nemant kan Des hope du ane
Nachdem
der Dichter,
entladen.
allen schaden
der sich schon
einer schwarz gekleideten
hoch
!
&c.
erhoben
gefühlt, von Frau an einen Block geschmiedet und
Qualen und Schmerzen unterworfen worden, diese aber standhaft im Gedenken an seine Geliebte überwunden hat ruft er am ,
Schluss aus:
Myne truwe Vor
Yk
allen
wil nem,andes sin
God geue tritt
uns
hier
se here.
wen
ere.
or suluen suten segen
Unde dusent So
volget or alleyne
vrauwen ys
engele, de or plegen.
eine allegorisch-didaktische Dichtung entgegen,
welche, wie im Mittelalter so häufig, in der Gesprächsform abgefasst ist,
wie auch Wackernagel sagt: «In der Mehrzahl der Fälle jedoch
bleibt die Allegorie bei der einfachsten
Zurüstung stehen, bei einem Spaziergang oder Traum des Dichters und Gesprächen, die er so mit der Minne oder
anderen Personificationen führt.» Denselben Charakter tragen noch zwei andere Dichtungen der livländischen
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!
Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
506
Sammlung an sich, so dass die baltische Literaturgeschichte noch mehr Beispiele für diese in Deutschland beliebte Form bietet, und zwar in dem « Gespräch über Glück oder Unglück der Liebe» > und In ersterem Gedichte eilt der in des t Minners Anklagen v. Dichter, der seinem beliebt
der
Volk
den Frühlingsanfang gefeiert und die sich ja
einst
heidnischen
Lustbarkeiten,
waren
es
dies
denen
mit
Ueberreste
alten
und
namentlich das «schodüvel lopen»,
in
das
einzelnen
Gebräuchen, wie der üblichen Maskerade, den Heetweggen, unseren Fastnachtskuckeln &c. bis iu die Neuzeit erhalten. Auch den Städten Livlands war diese Feier eigen, und interessant
noch im Jahre 1548
Rath
als
in
heidnischer
Teufelsgebrauch
bei
einer Strafe
sechs Thalern für jeden Erwachsenen verboten wurden Kinder, aber, denen die Eltern
und
ist es,
die sie nicht selbst bestrafen wollten,
sollten
von dem
sie in
ünfuge betreffenden Rathsdiener gezüchtigt werden. cfastelavend» eilten die jungen Burschen iu allerlei Gestalten '
n. 1
Vgl. K. Th. Gaed« rtz, Da«
W.
tii«
des deutschen Volksliedes,
Mit
vor.
ist
besonders reich an Zeuguissen volks-
aber auch
mässigen Gesanges,
für
frühere Zeit liegen solche
die
ältesten Volkslieder
die
sind
diejenigen,
die
sich
als
Trink- oder Schlemmerlieder an die Tage ausgelassener Lust- und Festlichkeit
Lande
anknüpfen,
gefehlt haben,
so
und so wenig die Feste im baltischen wenig auch die Lieder. In den ältesten
Schrägen 1 der Gesellschaft der Schwarzenhäupter zu Riga vom Jahre 1416 lesen wir: «Item de schatfers, de dar schaffen vp sunte mertens dach, de scollen hebben yn sunte mertens auende dre tortytzen (Fackeln), elk (jede) van
sunte mertens
by synget»,
loff
enen
\v2e
markpunt wasses, dar men
auch im deutschen Mutterlande
Eben
Martinslieder gerade nicht ernsthaften Inhalts erklangen.
wenig werden
die
Männer fanden
sich,
Fastnachtslieder
während
die
gefehlt
jüngeren
haben.
so
Die älteren
verkleidet
die Stadt
Frauen zu Gelagen zusammen, die vornehmsten in dem Weinstüblein des Raths, die Angehörigen der Aemter in den Gildenstuben, und hier erschollen dann gleichfalls
durcheilten, mit oder ohne ihre
in
ausgelassener
haben sich aus
Fröhlichkeit
gesellige
Liebeslieder volkstümlichen Charakters
der bereits
Von
Lieder.
dem fünfzehnten Jahrhundert nur erhalten,
erwähnten revaler Handschrift,
aus
all
einige
diesen
wenige
und zwar nach der Ed. Pabst
in
Abhandlung , stimmt, abgesehen von den beiden ersten Verszeilen, welche den
Anfang
eines
hundert weit verbreiteten Tageliedes geben, übereiu
,
1
in
im
fünfzehnten Jahr-
Strophe eins und zwei
während die dritte Strophe einem Bergreihen nachklingt: Die Sonne steht im Osten, Der Mond hat sich unter than, Ich leide grosse Schmerzen Von diesem Winter kalt, Vom Reif und von dem Regen
Und vom
kalten Schnee;
Reicher Gott, wo
Dass 2.
soll ich
mich hinkehreu,
mein Feinslieb seh?
ich
Die Schönste will mich lehren,
Wie
ich ihr dienen soll
In Züchten und in Ehren;
Das weiss
Was Wer
gar wohl,
sie ja
heimliche Liebe bringet.
Buhlen thut rühmen,
sich seines
Der hat weder Preis noch Ehr. 3.
lu meines Buhlen Garten
Da
stehn drei Baumelein,
Das eine trägt Muskaten, Das andere Nägeleiu.
Das
War
dritte Vergissnichtmein.
ich bei
meinem Buhlen,
Wie könnte mir Schwerer sind
zu geben.
besser sein.
für die beiden anderen Lieder die
Beziehungen
Das eine Ick wyl
my
suluen trösten
vn wessen n wol gemeyt behandelt das oft variirte
Thema
der treulosen Geliebteu,
de jn der leve swevet recht szo de kolde wynt.
Der Liebende jedoch vermag ihr,
ihr nicht zu zürnen, sondern vergiebt
da er das Gefühl eigener Schuld empfindet:
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Die Hauptströmungen der Literatur Altlivlands.
520
myn egen
dat ys
schult
noch wyl jck et er vorgefen
vn weszen er van Herten
Von der Hand
und Frauenliebe gegenüber
holt.
eines Anderen, welcher das Unsichere der Herrenhuld
und
erfahren
ihneu
satirischer Resignation
mit
dann der Schluss hinzugefügt: Eyn yder man leue was he wyl dat rede jck openbar
steht, scheint
heren hulde vn fruwen leue
vme
het syck balde
Etwas späterer
gestreuten B'remd Wörtern als Krankheit
sucke,
in
eigentümlicher Weise
Der Dichter hat
schildert.
Bücher, den Galenus, Avicenua
manche Krankheit und lehrt wird,
dan.
Zeit« gehört das dritte Lied au, das mit vielen ein-
vergebens
und Serapion,
die Liebe als vieler
gelesen,
Meister
in
denen
ihre
Heilung myt cruder der arzetyen ge-
aber
er nach der Heilung von einer von welcher er befallen wurde, als Wolgemut* einsog, das wie die anderen
hat
schweren Krankheit geforscht, er den Duft des Blümlein
Blumen
folgenden
worden
, und seine Freunde kannten seine zarte Empfindlichkeit. Wie es wirklich mit seiner angeblichen Abneigung gegen die glückten Herzens.
Rigenser stand, geht sicher hervor aus der Ablehnung, mit der er wiederholt verlockenden Rufen begegnete.
Hamann
übermittelte
im November 1766
Hofmeister in das Szöge von Blanken feldsche
Herder seine «Absicht zu reisen hätte an Herder, 1766)
:
Diese vielein
erfüllen
den 21. Nov./l. Dec. 1766).
als
wo
können > (Hamann
Herder antwortet (Dec.
«Wer nicht vorwärts geht, geht zurück, mein Warnung verbeut mir eine Veränderung, die freundschaftlichen Eifer empfehlen.
Angebot,
einzutreten,
ein
Haus
lieber
Hamann.
Sie mir mit so
Ich nehme mir alsdann
1
Der Rector Göttlich Schlegel hat übrigens der Schule nur genützt. 8. die alte Domschule (Riga 1885), S. 39. * Er wohnte anfange in der Gegend der heutigen Klosterstrasse hinter der russischen Kirche, hei einer Frau Hartmaun, die eine Tischgesellschaft bei sich
Schweiler,
unterhalten zu haben scheint. Im Herbst 1767 zog er aus, wahrscheinlich in Domsgang (an Hamann 6. Aug. 1765, und an denselben o. Monatsdatnm 1765; Hamann an Herder 11. Februar 1766; an Hamann n. Monat 1766; an denselben
den
5. Sept.
1767).
38*
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Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
550
muthwilliger Weise das
und
einzige Gut,
das
Freiheil
habe:
ich
Unabhängigkeit,
dass ich obngeachtet aller
und das ich jederzeit so hoch geschätzt, drückenden Bedürfnisse auf der Akademie
vor jedem Privatengagement gezittert.
wenn
stens fest und sicher,
Fruchtbaumes,
.
.
Hier bin ich doch wenig-
.
dem Schatten des
nicht unter
reichen
Hier hängt
so doch des friedlichen Ahorns.
raein
Beifall von vielen ab, dort von einem einzigen, und meine Zufriedenheit ist so viel unsicherer.»
Wie
er sich im J. 1767 nicht nach Petersburg locken Hess,
ist
erwähnt worden.
bereits
Auch
bekannte Herausgeber der
als der
callg.
deutschen Biblio-
thek», Nicolai, ihm die Stelle eines ersten Inspectors bei der Real-
schule und zugleich eines zweiten Predigers bei der Dreifaltigkeits-
kirche in Berlin
1769)
«
:
.
.
.
Aussicht
in
aber unabhängig, ruhig und
gegen mich
stellte,
Meine hiesige Situation
leimte Herder ist
ab (10. Jan.
nicht durch Titel brillant,
persönlicher Achtung
mit wenigstens
Die erste vacante andere Stelle
begleitet.
nicht entstehen, und Sie wissen, wie Riga
wo noch
ist,
kann mir wenigstens
so ein Schatten des Hanseatischen übergeblieben, das Stadt-Ministe-
rium einen wartet
ansehnlichen Theil
sehr
man von
achtzig- fast
neunzigjährigen Greises,
Oberconsistoriums,
Prediger bei
man von der Stadtkirche ist:
um
mir die
der Stadt
Stelle,
der
Anbei
ausmacht.
Tod
Seiten des Gouvernements recht auf den
Mitglied
des
eines
hiesigen
der sogenannten Cronskirche
(die
unterscheidet) und Rektor der Ritterschule
nach deren Erwartung ich zu keinem Ein-
zigen einen Fusstritt weder gethan, noch thun werde, zu couferiren.
Und
so sehen
Euer Hochedl., dass ich mich
Desperatiou meiner gegenwärtigen
wegwünsche.
Es
ist lediglich
noch
hier weder aos
von
künftigen Umstände
.
.
.
aber ein um
Bedürfnis des Geistes,
so drückenderes Bedürfnis, je weniger mir mein Stand erlaubt, jedes schlechtere
Vergnügen dafür zu wählen. Und da ich eben geistig so weniger werde ich mich in jeder einzelnen
unzufrieden bin
;
Schwierigkeit fassen. er mich nährt,
wenn
wenn
Wenn
ein
Posten houorable
ist
.
.
.,
wenn
er Arbeiten enthält, denen ich gewachsen
er mir Zeit lässt
auch meines Geistes
etwas
zu pflegen
bin,
—
Das Uebrige hängt von der Bestimmung des Orts Sind in Berlin Stellen, wo der Prediger dem anderen Posten Ist dies; Gewicht gibt, wo beide sich nicht stossen wohl!
gut, vortrefflich. ab. ein
—
;
so eins von beiden.
Ich kenne Berlin nicht,
wählen zu können.
Und
übrigens
ist
um
in
solchem
Falle
mir der Beruf Gottes immer
Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt welchem Stande ich ihm dienen möge Bestimmung noch weniger zu gedenken, die sich
gleich, in
Ort selbst
Sehen
richtet.
Herzens, aber so stammelnd,
Sie,
:
au
die
551 äussere
völlig nach einem
mein Fr., die Sprache meines
sie zu mir selbst spreche. Winke, Vorfälle, Situationen müssen seyn, die auch selbst bei mir dies Stammeln berichtigen.» Und als nun endlich im Mai 1769 Herder seine Entlassung
Welt
ich
Bedauern ausdrückenden Worten
mit ehrenden und die
als
erhält und in
hinaussteuert, da empfindet er tief die Liebe, die ihn mit
der Stätte verbindet,
in
welcher er
zuerst
als
Mann im Gemein-
wesen seine Kräfte erprobt, zuerst als Schriftsteller das sich geistig erhebende
Zagen,
Deutschland
doch
endlich
Genius erfasst hat.
überrascht,
zuerst
Enthusiasmus
mit
Schwanken und
Grösse
eigenen
was ihm Riga und Liv-
In seinem Journal, das er auf der Reise von Riga
nach Frankreich führt, bricht er in die jünglinghaften «Liefland,
des
Er empfindet aber auch warmes Daukgefühl,
zugleich die Verpflichtung, zu vergelten, land geschenkt.
unter
die
Worte aus:
du Provinz der Barbarei und des Luxus, der Unwissen-
und eines angemassten Geschmacks, der Freiheit und der wäre in dir zu thun? zu thun, um die Barbarei zu zerstören, die Unwissenheit auszurotten, die Kultur und die Freiheit auszubreiten, ein zweiter Zwinglius, Calvin und Luther
heit
Sklaverei, wie viel
Nächte und Tage darauf denken, Jüngling! das alles schläft
dieser
Provinz zu werden
dieser
Genius Lieflands zu werden!
in
?
.
.
.
.
nicht
.
Noch Jahre nachher hat Herder aus dem Auge gelassen, bis in
rigaschen Freunden durch brieflichen mit
.
Dir! ...»
Rückkehr nach Riga
die
sein Alter ist er mit den
Verkehr verbunden gewesen,
Hartknoch, Joh. Christoph Schwartz, Jakob Friedrich Wilpert.
Letzterer
ist
seiner
Wittwe
in
trüber Zeit
ein
rettender Helfer
geworden!
So
steigt die
Erinnerung an Herder an der Stelle seiner Wirk-
samkeit im Kreuzgange unseres
Domes
in
uns auf, nicht blos als
Bethätigung des Gedächtnisses, als Repetition der aus der Literaturgeschichte bekannten Daten, sondern als Empfindung von der Grösse
der nimmer Gentige hat an dem schon Ergriffenen, der sich stets hinaussehnt aus der nächsten Umgebung, um neue Bahnen in unbekannte Fernen einzuschlagen, immer weiter und höher zu steigen, immer rastloser zu streben nach dem Unerreichbaren, dem Idealen! Es bewegt uns stark und und zugleich der Tragik des Genius,
Wanderungen durch unsere Provinzialhauptstadt.
552
grössten Geister
der
Nation seine originellsten uud kühnsten Gedanken gebildet und
ver-
tief,
dass
hier
in
unserer Stadt
einer
der
kündigt, nicht ohne Verdienst und Antheil
unserer Vorfahren und
unseres ganzen nun vergangenen Gemeinwesens.
Was
Herder,
so
zu sagen, zum Motto seines Lebens erwählte: Licht, Liebe, Leben!
Was
diese
Worte bedeuten,
er
hat
es
im alten Riga zuerst
er-
fahren und empfunden und vielleicht nirgendwo anders so lebendig
Der junge Herder ist, wie Georg Berkholz sich io Rede zur Enthüllung des Herderdenkmals (1864) ausdruckt, ein gewissem Sinne der Beitrag, welchen Riga zu dem grossen Aufschwung der deutschen Literatur geliefert hat>. und stark. seiner
Digü
Der Componist und Dichter August Heinrich von Weyrauch. Eiu Beitrag zur deutschen Kunst- uud Literaturgeschichte der baltischen Provinzen Russlands.
I.
r
Hefte der «Baltischen Monatsschrift >
bekanntes
—
den vergessenen Compo-
über
und Dichter August Heinrich
nisten 5.
Der Componist.
Verfasser des Aufsatzes
wie
er
selbst
zugesteht
d.
—
von Weyrauch
im
wenig Un-
J. bietet uns
aber viel Irrthümliches,
wofür er jedoch zum grössten Theile nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, da er seine
Quellen-,
phischen und bibliographischen Angaben
aus denen er die biograüber Weyrauch schöpfte,
wie es sich gebührte, anzeigte, nämlich die Sammelwerke von Recke,
Napiersky, Beise (baltisches Schriftsteller-Lexikon) und J.
(Deutsche Dichter seit
in Russland).
v.
Sivers
— Wer indessen wie Unterzeichneter
Decennien mit der Sammlung biographischer und bibliographi-
scher Daten einigermassen
vertraut
ist,
weiss,
wie schwierig bei
Angaben die Scheidung der Wahrheit vom Irrthume Manches auf Treu und Glauben hingenommen wird,
uncontrolirbaren ist
was
und wie so
bei näherer
Prüfung
Indem wir nun
Nonsens erweist. merkwürdige Irrthümer in Sachen Wey-
sich als ein
einige
rauchs hier aufdecken wollen, soweit controliren konnten,
werke, können,
wo
wünschen
die Verfasser
nur ein kleines
wir
wir für
die angezeigten Quellen alle
zukünftigen Sammel-
die Quellen selbst nicht prüfen Zeichen, um den späteren Forschern viel
zeitraubende und unnütze Arbeit zu ersparen. der
ungenannte Verfasser x
in
der
Anmerkung
So behauptet z. B. dass die S. 408 :
August Heinrich von Weyrauch.
554
zuerst inSyrmanskys
Weyrauchschen Compositionen Heften deutscher Lieder »,
wären
—
1
Nun,
er
Musik
in
Angabe
correct
sei
;
fremden
Weyrauchs
im
Samm-
noch dass überhaupt Weyrauchsche Lieder
existirt hat,
e
i
nach
jedoch
einer mühevollen Untersuchung ergab sich, dass eine solche
lung n
Sammlung
sondern
erschienen,
alle
Selbst Verlage dem Druck
Lieder
übergeben
Selbst seine nachweisbar früheste Liedercomposition
wurden.
Fünf
wie viele andere Forscher vor ihm,
glaubte,
dass diese Recke-Napierskysche
in einer
c
im Druck erschienen
gesetzt,
:
«Es
blüht in einem Hüttchen dort ein Mädchen engelschönt von Wilhelm Graf zu Löwenstein findet sich als Beilage zur 2. Nummer seiner 1808 in Riga im Selbst verlage «Iris»
erschienenen
Wochenblatt für Damen).
(illustrirtes
Indessen noch merkwürdiger
rarischen
ist es,
dass in
keinem
lite-
musikalischen
Sammelwerke, d. Ii. weder in Recke-Napiersky (IV, 500 fi'.), noch Beise (II, 273 f.). noch K. Goedeke (Grundriss III, 202, 197 u. 1402), noch N. Graf Rehbinder wie
(Die belletristische Literatur der Ostseeprovinzen Russlands. Dorpat, 1853. laud.
S.
IG
f.),
noch J.
Berlin, 1855. S.
Stuttgart, 1877.
Sivers (Die deutschen Dichter in Russ-
v.
254
ff.),
II, 41)(5),
Brummer (Dichter-Lexikon.
noch Fr.
noch im musikalischen Katalog von A.
Hofmeister, Leipzig, 1844 und im Lieder-Katalog von in Berlin
1875),
wo von Weyrauch
«Fünf Hefte» oder
richtiger
:
Emst Cliallier
Rede ist, die Titel dieser «Fünf Sammlungen deutscher Lieder», die
enthaltend 54 Liedercompositionen Weyrauchs, angegeben sind.
Und
zwar ist diese Thatsache um so merkwürdiger, als gerade diese «Fünf Sammlungen» nach J. v. Sivers von 1855 Weyrauchs ganzen musikalischen
Weyrauch
in
Ruhm
ausmachen, denn
in
Folge dieser Lieder war
den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts der
populärste Componist der baltischen Provinzen Russlands, wie uns ein
noch jetzt lebender Zeitgenosse Weyrauchs, der Besitzer von
Schloss Dahlen, bestätigte.
Dennoch verschwanden diese Lieder so
zu sagen spurlos vom Erdboden, da alles Nachforschen selben in unseren öffentlichen Bibliotheken
handlungen befremdete,
als hätte ein solcher
Endlich nach jahrelangem Suchen gelang diese
Weyrauchschen Lieder
Riga
—
ist
die
in
es
Druck n e existirt. dem Unterzeichneten i
der Müllerschen Leihbibliothek in
einige seltene Baltica beherbergt
daher hier der Ort, dieses
nach den-
und Antiquariats-Buch-
Unicum
—
aufzufinden.
Es
bibliographisch genau zu
verzeichnen.
Digitize
August Heinrich von Weyrauch.
555
Die «Fünf Sammlungen deutscher Lieder» erschienen nicht zusammen, sondern im Verlauf von 7 Jahren als 5 einzelne, für sich bestehende Werke, die folgenden Titel und Inhalt haben 1
.
Sammlung
I.
«Zwoelf deutsche Lieder
:
Goethe, Schiller, Wetzel und Arndt,
wohlgeb. Frau Julie von Reutern, geb.
v.
August Heinrich
v.
geeignet von
gedruckt
und
gestochen
Kosten des Verfassers.
Schwärzet, ergebenst zu-
Weyrauch.
Dorpat,
der akademischen Buchhandlung
in
25
von
Musik gesetzt und der hoch-
in
Den Druck genehmigt,
S.
auf
Prof. ß. G-
Dorpat, den 10. Januar 1820.» Der Jünger: Ahnend steh' ich an der Schwelle,
Jäsche, Censor,
1*
*
das Heiligthum verschliesst » von A.
Der Harfner aus Wilhelm Meister:
2*
Glückliches Geheimnis:
3 *
Wenn
4.
K.
F. G. 5.
die
Wetzel Auge:
hoffe,
W. Goethe.
liebes
«Ein blosses Auge, wenn ich wär\
Nachts:
Wetze
F. G.
Wer
«Ueber meines Lieb-
Leute» von J.
Rosen blühen,
war mein Loos» von K. 6.
alle
«
W. Goethe.
nie sein Brod mit Thränen ass> von J.
chens Aeugeln stehn verwundert
die
Weyrauch'.
v.
Herz, von wie seelig
1.
«In stiller Nacht, wenn alles ruht, ich finde
Wetzel. Vergänglichkeit: «Sagt, wo
keinen Frieden» von K. F. G. 7. *
sind die Veilchen
Inn, die so freudig glänzten» von J. G. Jacobi. 8 * den Frühling: « Willkommen schöner Jüngling,
An
du Wonne
•
Die
der Natur» von
mit
* (Stern)
entrissen zu werden.
F
S
r.
leicht fasslich für den Siuurer
zu
i
1
1
Lieder
bezeichneten
Sie haben
c h
e
r.
sind
wertli
der Vergessenheit
vorzüglich«* Eigenschaft, melodierei« h
die
und
sein
in
und
der einfachen und doch lieblich
klingenden Begleitung keine Schwierigkeiten zu bieten. ' Dieses Lied erschien fast, gleichzeitig als Ankündigung der ganzen Samm-
lung in Carl Raupachs «'Inländischem Museum- (Dorpat, 1820, Heft 1, S. 139) mit dem redact ioneilen Bemerken S. 134 «Diese neuen Lieferungen (»1. h. 12 Jjiederj des auch als Cumponisten so a g e m e n b «lieht e n Verfassers der *8ix Menuett pott r l- P. F.» Nr. 1 und Xr. 2, in dem Styl der Mozart lind Haydenschen Qtiart< ttmenuetten Six March es pour le P. F., einer Vuver tu r c ä 4 main* und anderer kleinerer Sachen [wie z. B. der in der «Iris» 1808 Beilage zu Nr. 7 abgedruckten Artg l a isc* und «Fe cos a isc*, wie der in St. Petersburg bei Kfich & Co. erschienenen tDiff, Van* es* cah. 1 und Mazurka] bedürfen gewiss keiner weiteren A n :
1
1
i
;
-
preis«
q g.»
Digitized by
Google
August Heinrich von Weyrauch.
ftftß
Dithyrambe:
9.
nimmer
die Götter,
allein»
62
cFür Pianoforte zu
2)
Art übergehen wir Haslinger und
die beiden
geben
Händen».
2
oben augeführten
Bei dieser
von Döhler und
Reihenfolge die übrigen 6
in alphabetischer
von Nottebohni angeführten Transscriptionen für 2 Hände: a)
von
b)
von W.
c)
v.
d) v.
He Ku
St.
F
L
r.
e) v.
F.
Fr.
s z t
i
e r (30 Lieder Nr.
1
Schloss in Cöln;
b.
1),
139 Nr. 2) b. Siegel in Leipzig; (6 Melodien Nr. 1) b. Schlesinger in Berlin (Op. 369 Nr. 19) b. Siegel in Leipzig
h e (Op.
;
Oesten
Tb.
f) v.
1
0
v.
s t e n
(Op. 4 Nr. 2)
Spindler
b.
Hamburg
Schuberth in
(Op. 183 Nr. 22)
Siegel in Leipzig.
b.
Dabei hat Nottebohm, wie ich soeben ersehe (nach Ernst Challiers Doppel-Handbuch der Gesang- und Ciavierliteratur. Berlin 1881 und 1883), eben so
Liedes für 2 Hände
viel Transcriptionen dieses
übersehen, nämlich:
von J. B.
g)
von R.
i)
h) v.
Ro
n d r 6 (Op. 25)
(— )
Barth
b.
b.
Cranz
Berlin
in
;
Hamburg
in
L e d u c (Op. 193 Nr. 2) b. Leduc in Paris; m e r (Nr. 2) b. Lebeau in Paris de V b a c (Nr. 67) b. Litolff in Braunschweig
v.
e
von R.
l)
A
Delacour
h) von V.
1
i 1
W
a g n e r (Nr. 1) b. Schlesinger in Berlin. m) von E. D. Es ist aber durchaus nicht gesagt, dass die Literatur über dieses Lied damit erschöpft ist, denn im Hofmeisterschen Musikalien-Katalog, Leipzig 1844,
finde
ich,
Wagner
dass wie E. D.
dieDöhlersche
Trausscription des Liedes «Adieu» für Kinder-
finger vereinfachte, F.
MockwitzdieDöhlerscheTrans-
scription variirteund für te
4
Hände bearbei-
(Alle 3 Transscriptionen sind bei Schlesinger in Berlin er-
t e.
schienen.)
Aus diesem complicirten Apparat, welcher sich nur um ein Weyrauch dreht, geht für jeden klar und deutlich hervor, dass es nicht so leicht ist, alles Weyrauchsche zu sammeln und unter «eine Decke» zu bringen, «was im Leben des
einziges Lied von
Dichters räumlich und zeitlich weit auseinander gestanden», wie es sich
der Verfasser
«m ttbelosi heit
B
1
o s
ohne ts
fe
x.
der «Balt. Monatsschr.»
in
vorstellte, besonders
Noth Dunkelheit h
1 r>r>
ihren Füssen,
ich hielt
Mosen. 2. Der erste Kuss: «Das Röslein gar verborgen in seiner Knospe sitzt Mosen. von J u Der Abschied nach Heinrich von Mo3. «0 weh des Scheidens, das er that» von Fr. Hücker r u n g e wohl ihre Hand» von J u
1.
>
1.
t.
:
Freundesgruss:
4.
—
so lind» von ?
Brennende Liebe:
5.
manch Blümlein
klar und
rotli
Auf der Alm:
6.
didu, taradido
!
von
>
>
«In meinem Gärtchen lachet
von J u
»
n s
t.
Der träumende See:
7.
Mosen.
1.
Auf der Alm
Ernst G o
Abend, so lau und
«Still ist der
bin
icli
g'stande Tara-
Ilgen «Der See
ruht
blauen Traum, von Wasserblumen zugedeckt» von Jul.
Wir haben
lich
— wenn
uoch
im
Wey-
somit 70 gedruckte Liedercompositionen von
rauch vor uns und wie viele sich
bergen
tief
Mosen.
seinem Nachlasse ver-
in
er überhaupt noch vorhanden
—
können wir natür-
nicht sagen, da wir ihn nicht kennen'.
Was
nun die Iustrumentalcompositionen Weyrauchs anbelangt,
so sind sie uns, bis auf die oben verzeichnete Eccossaise, nur
Namen nach
Anm. 2 auf
bekannt* (vgl.
dem
Sollte irgend ein
S. 555).
Leser dieser Zeilen genannte, wie etwa andere hier nicht verzeichnete Compositionen Weyrauchs besitzen, so möchten wir höflichst bitten, dieselben der Redaction dieses Journals
behufs
Einsichtnahme
zeit-
weilig zuzustellen.
über Weyrauch den Componisten, von dem
So
viel
S.
255 sagt:
1855
.1.
Sivers
v.
darf Weyrauch nicht nach dem bewas er unter dem Titel: «Der neuen Lieder erste und zweite Sammlung» von Dresden aus im Selbst vertage herausgegeben hat, sondern wenn man gerecht sein und ihn
«Als
urtheilt
Liederkomponist
werden,
—
1
Der
zuerst in die
Bähr
[geb.
Weyrauchs gelangt« nach dem Verf. a. S. 411 Hände de« «dresdener Miller« und Akademie-Professor* Kurl Job.
literarische Nachlass
1801 in Kiga, f 1HH9 in Dresden],
einen
Hera mgeber
jetzt
den Weyrauch sehen,
[?
wissen wir nicht und bitten, Zeilen lesen
—
wie
Bährschen
den
die
in
Dresden
darnach Nachforschung
Monatsschrift» gefällige Mittheilungen
Die Anglaise
n.
der
für
«Ii
e
Hinterlassenschaft
d.h. wol Verleger] suchte und nicht fand.»
in
St
s.
Wer
besitzt,
die diese
zu halten und der Redaction der
zukommen zu
Mazurka stammen von
rauch («eh. ITSfi in Kiga, f 1866
—
literarischen Nachlass
lebenden Lamlsleute
Balt.
lassen
Bruder Johann Ed.
v.
Wey-
Petersburg als wirk). Staatsrath). 39*
Digitized by
Google
666 nach
August Heinrich von Weyrauch.
dem
Lebens
was
achätzen will,
geleistet,
nach
nicht
auf der Höhe seines geistigen
er
den
und
dürftigen
—
ducten eines unfrohen und gebrochenen Alters
frostigen
fünf Sammlungen deutscher Lieder, in seiner in
jugendlichen Periode
Dorpat erschienen.
faltet er eine
Gewalt
in
Pro-
einzig nach den
welche
der akademischen Buchhandlung
in
In diesem einzig schönen Liedercyklus ent-
überraschende Fülle origineller, mit unwiderstehlicher
Gemüth eindringender und im Gedächtnis haftender
das
Melodien, die fast durchgängig von einem ihm eigenen romantischidealen
Hauch
G
e 8
e n
i
sind
beseelt
von den
scharf sich unterscheiden.
Ausbildung auf halbem
Ergüsse des
und durchaus als
reflectirten
Machwerken
Unberufener
Leider blieb er in seiner künstlerischen
Wege
kam
und
stehen
nie über geistreichen Dilettantismus
hinaus.
der Setzkunst
in
Aber gerade
dieser
dem Kenner sofort einleuchtende Mangel stellt die natürliche Begabung in ein um so helleres Licht, da man von den charakteristischen, sinnvollen Begleitungen des Naturalismus oft mehr überrascht und gefesselt wird,
als
den Ausarbeitungen
von
der voll-
kommensten aber genielosen Kunstfertigkeit.» wie uns Herr Moritz Rudolph, Verfasser Dennoch wollte
—
des «Rigaer Theaterv.
und Tonkünstler-Lexikons»
mittheilte
—
geben und eröffnete in Folge dessen sogar eine Subscription Riga, über deren Erfolg uns aber nichts bekannt ist.
Wenn
J.
sämmtliche Weyrauchsche Lieder von neuem heraus-
Sivers 1865
sich
Herr M. Rudolph
hier nicht irrte,
so
in
haben sich
nach Weyrauchs Tode in Dresden (f den 24. Februar 1865) zwei Herausgeber: Karl ßähr und Jegor von Sivers vergebens abgemüht, seine Dichtungen wie Compositionen zu veröffentlichen, und
dem Verfasser a. Weyrauch zu finden,
jetzt sollte es nach
Verleger
für
S.
412 so
dass
Schwierigkeiten nicht wol stosseu> wird!?
Wir
—
leicht sein,
man
«auf
einen
ernsthafte
wollen in Weyrauchs Interesse hoffen, dass der Herr
Recht behält und der schöne
Wunsch
der
Rehabilitation
durchaus originellen Componisteu und beacbtenswerthen Dichters
—
auf den wir
—
nicht abermals zu
in
«.
eines
—
einem zweiten Artikel zu sprechen kommen werden
Wasser wird,
eines Dichters,
welcher 1812
von sich sagte:
«Im Wort der Nachwelt einst zu leben, Das hofft ich stets mit stolzem Sinn!» 1
Paul Fa
1
c k.
Digitized by
Google
Die Gegenreformation
Livland.
in
Ii.
1.
m
Das verhängnisvolle Jahr März 1582
12.
in
Riga zu
fast
zweimonatlichem Aufenthalte an, begleitet
von Gotthard Kettler von Kurland.
Eine
grosse Zahl polnischer
und namentlich littauischer Magnaten befand sich t
1582.
langte Stephan Bathory von Wilno aus
in
seinem Gefolge.
Einhundertsechzig Bürger und Rathsverwandte, alle hoch zu
dem Könige entgegen
Ross, zogen
;
voran der Burggraf, der
Bürgermeister und der Syndicus Gotthard Welling.
Düna begegneten •
(sie)
Jenseit der
dem Könige, der mit Gotthard Kettler und Mann herbeikam. Fünf Bürger standen auf dem Eise der Düna, je Fähnlein mitten auf dem Markt, und auf den
sie
einem Gefolge von etwa einhundertfünfzig Fähnlein gerüsteter zwei und zwei, ein
Wällen und Basteien dicht gedräugt undeutsche Bauern mit Helleund Spiessen. Während des Einzugs ward des Königs Fahne (mit dem polnischeu Adler) von Trabanten vorangetragen, dann folgten die Hotleute Herzog Gotthards, der alte Herzog selbst,
barden
die rigischen Hofleute, Burggraf, letzt
an
1
D
r.
a
cf.
der König
und dann
selbst
seiner
in
>
d. a. d. b
'
i
langen Spiessen,
ihren
Kutsche*.
b
Bürgermeister uud Syndicus. zu-
das reisige Volk des Königs, meist Ungarn mit kleinen Fahnen
T 1
1
Ii. i
Scliiemauu * c
Ii.
Ci
«C h & r a k
e s c h.» u.
s.
w.
p.
t
u rk ü n f« u n U
111 und 112.
8
Schiel».,
i
1 1
dem
c
n
-
uli
Die Gegenreformation
568
Der Einzug die Sandpforte.
Livlaud.
in
erfolgte, unter dem Donner der Geschütze, durch Auf dem Wege zum Markt zog man durch eine
prächtig ausgeschmückte Triumphpforte, auf welcher sich der Cantor
«mit seinen Knaben und Instrumentisten» postirt hatte und die Ankommenden mit einem von ihm selbst componirten Musikstück
Als der König hindurchzog, beugte Knabe zu ihm herab und setzte ihm
begrüsste.
gekleideter
gütete Krone*
drei
wobei er jedesmal ausrief:
auf,
Engel
sich ein als
Mal
eine «ver-
Salve Stephanus,
eignete sich dabei der scherzhafte Umstand, dass auf
zu früh
ein
gegebenes Signal die Hälfte bereits abgebrannt war, ehe der König
herankam.
Man
sieht, die
Rigenser gaben sich Mühe, ihren König würdig
und dieser
zu empfangen,
hat
böses Gesicht dazu gemacht,
kein
denn «gnädigst», erzählt der Chronist, nahm er die ihm zahlreich Suppliken
überreichten *
und
schleunig
guten
entgegen,
las
sie
Wohnuug, der Reichskanzler Zamoiski
hier vcrtrnuensvoJl folge, citirt,
die mir vorliegt t i
m
o r u
.
Da
—
aber, der
—
wie es scheiut
,
Ii
eint
i
o n
Da
n
i
e
l
He
r
*A
m
nämlich an, dass Citat 8 und 7 fälschlich vertauscht sind.
risch
am
Schloss
anderen Tage
wenigstens nach der
für die Empfangsfeierlichkeiten die
n zig
und gab jedem
durch
Er nahm auf dem
Bescheid».
c
t
a I n
a n n a»
;
I.
Aufl.,
er n u n ich nehme t
Iu seinen
«Histo-
Darstellungen und archivaliache Studien»,
p. 109 und 110 giebt J)r. Th. Sehiemann eine ziemlich gleichlautende Schilderung des glänzenden Empfanges, diesmal ganz ohne (Quellenangabe. Ueberhaupt empfindet
man
e
in dieser l'nblication sehr lästig
Th. Seh. schwert.
dun Forscher
•
das Fehlen der Qnelleucitatv, wodurch Dr.
die wissenschaftliche Beuutzbarkeit seiner Arbeiteu sehr er-
Meinerseits füg« ich der Schiemannschcn Darstellung den sie ergänzen-
den Bericht Gotthard Vieckens (Manuscript Nr. 27 der dorpater U.
Bibl.)
hinzu.
Hermann, Augenzeuge und für äussere Vorgänge gut unterrichtet, sonst aber unzuverlässig und verworren. Eiue Discrepanz zwischeu Sehiemann und Viecken. welcher letztere nur den Einzug in die Stadt selbst schildert, den Dan. Herrn, wieder übergeht, besteht darin, dass nach Schiemanu der Konig seinen Einzug iu »seiner Kutsche hielt, nach Viecken «reifend.-. Es ist kaum anzunehmen, dass Viecken sich verscheu hat daher löst sich der Widerspruch wol so auf, dass sich der Konig beim Einzug in die Stadt selbst aufs Viecken
ist,
gleich Daniel
»
;
Pferd setzte,
um
von Allen gesehen zu werden.
des Königs sehr genau an, was ihm,
wenn
Kutsche befand, unmöglich gewesen wäre
Viecken giebt
z.
B. die Kleidung
König iu einer doch gedeckten auch hätte dann der Vorgang bei der
sich der ;
Triumphpforte unterbleiben miisseu.
Digitized by
Google
Die Gegenreformation
569
Livland
in
aus Dorpat eintraf«, stieg im Hause des Secretärs Tastius ab, das
von besonderer Schönheit und dazu
da es in polnischer Zeit
mehrfach
gewesen sein muss,
geeignet
als Absteigequartier
von ange-
sehenen Personen benutzt wird.
Die Stadt war durch die vielen Fremden, das
in
den Bürger-
häusern einquartierte Militär, den in grosser Zahl hier versammelten
Adel des Landes ungewöhnlich
Stadt und Land hoffte sehn-
belebt.
süchtig auf ein gerechtes und mildes Königswort, das allen Zweifeln
über die noch schwebenden Fragen, das Schicksal der in Russland
Hof
gefangenen Livländer, der von Haus und
vertriebenen Guts-
manchem unbeEnde machte, Erlösung brachte von der quälenden Ungewissheit, die allen cHerz und Kehle zusammenpresste>>. Aber nur wenige mochten ahnen, welche böse Wetterwolke über dem Lande schwebte. Zwar war besitzer, der
in
schweren Noth der Zeit
der
sonnenen Schritt verführten Parteigänger,
ßathory
entschlossen,
den
ein
schreckensreichen Zeiten
den
in
zu
der
verkümmerten Zustäuden aufzuhelfen, sich in Livland eine Provinz zu schaffen, die als gesunder Theil dem grossen Ganzen nach Massgabe seiner Mittel den nöthigen Zuschuss an letzten Jahrzehnte
Kräften brächte;
er
wollte
das Land
nicht
ausbeuten,
sollte eine echte
und rechte polnische Provinz werden.
gesse es nicht, er
war kein
in
seinem Reiche.
war
Pole, er
Und durch
eine
selbst doch
aber es
Man
ver-
immer Fremder
Bevorzugung der littauischen
und poluischen Elemente gewann er ebensowol grössere Popularität im Reiche, als er damit auch dem neuen Erwerb unlösbaren Bestand zu geben vermeinte.
Im Katholicismus
der die heterogenen Bestandtheile
einte,
glaubte er den Kitt,
gefunden zu haben, eine
oniformirende Macht, der sich nichts Gleiches in der Welt au die Seite
stellen
Deshalb
liess.
setzte
er
auch
an
dem Baum der
Kirche zuerst den Hebel, nein, die Axt an. Seine Pläne blieben nicht lange im Dunkeln. beschied er alle Stäude des Landes öffnete ihnen,
im Lande
dass er gesonnen
neben
zu
19.
März
augsburgische Confession
Für die römisch-katholische Land Schulen und Pfarren gründen
Remhoiii Hcidenstcinii «Herum Polonicar. ab execssu Sujfanundi AuXII*, Francofurti 1(!72, p. 190 a. Dr. Th. SehitMiiaim, Uht. Darstellungeu u. archivul. Stud. «'f. i». 109, der Ausdruck findet.
libri *
wo
Am
aufs Schloss und er-
gestatten.
Religion wolle er in Stadt und '
die
sich
der katholischen zu dulden und ganz und gar
keine anderen Secten
gitsti
sei,
zu
sich
Digitized by
Google
570 und
Die Gegenreformation dieselben
(Iber
einen
Livlaud.
in
katholischen Bischof
setzen.
untertänigste Bitte der rigaschen und übrigen Stände,
Auf die davon ab-
zustehen, gab er zur Antwort: eu Beweis
hierfür
meiner (Juelleuübersicht zu erbringen.
die hier behandelten Ereignisse folge ich dennoch diesem Rathsbericht, so
weit er mir von einer Fälschung freigeblieben zu sein scheint. 1
*
cf Reckmanns Diarium in Rungcs Archiv, R. IV, p. 280. So Chytraeus, deutsche Ausgabe von 1597, II, p. 410. Nach Lorenz MüUer Historien» p. 81, gab Herzog Gotthard selbst diesen Rath.
Septcntrionalische
Die Gegenreformation
571
in Livland.
Der Rath giebt hierauf die Erklärung ab, dass er die vom König gegebene Interpretation auch gar nicht erwartet habe; es wider die Caution, Katholiken
dulden, sondern
sei
aber nicht
sei
nach derselben die augsburgische Confession zugleich
zu
neben
Dass man durch einen Fussfall den König umzustimmen versuche, damit sei der Rath einvei-standen, auch solle man «durch der Frauen und Jungfrauen Geschmeide» eine Summe Geldes zusammenbringen und sie dem König darbringen. Dazu versprach jetzt der Herzog von Kurland,
der päpstlichen gemeint
sein Möglichstes
zu
und verstanden.
thun,
wenn
dass damit
nur hoffen dürfe,
er
etwas erreicht werde.
Was er in dieser Angelegenheit mit Bathory geredet hat, ist zwar nicht bekannt geworden, doch kennen wir aus einem Schreiben Kettlers an den König, worin er diesen
um
Schutz für den luthe-
rischen Glauben uud seine Bekenner in Livland angeht,
Land wichtigen Ausspruch, den ich an dieser schalten möchte. Der Herzog sagt nämlich, nachdem unser
einen für
Stelle
ein-
er auf
das
Privilegium Sigismundi und die heiligen Versprechungen der polnischen Könige hingewiesen hat: «Hierzu kommt, dass die Augsburgische Confession selbst in den Kirchen und Schulen dieser Provinz
mit
allen
ihren Cerimonien
Wurzeln geschlagen und in
schon
seit
60 Jahren
bald
dass
sich so gefestigt hat,
so
tiefe
kaum jemand
der ganzen Provinz gefunden werden könnte, der in irgend einer
anderen Religion unterwiesen oder erzogen
Nach
diesen
Berathungen
sendet
Welling «und einige andere» zum König,
ist'.»
der
um
Rath den Syndicus alle Dinge (so sagt
«wie sie berathschlaget, fürzubringen und allen müglichen Fleiss in der Sachen anzuwende n».
der Rathsbericht im Chytraeus),
Wir Nachkommen vermögen
jetzt,
nach 300 Jahren, diesen
und unklugen Schritt nicht zu begreifen.
feigeu
man zur Anuahme gar nicht begriff,
geneigt, ein
wie
trauriges Zeugnis
Stadt mit dieser Mittheilung ausstellten,
zu
sache
Unwillkürlich
ist
dass der Verfasser des Rathsberichts
verschweigen vergass.
Chronik und aus dem Chytraeus
So
viel
dass
sich
die
Väter der
er daher die That-
geht doch aus Vieckens
Ausgabe von 1593 deutlich hervor, dass Tastius und Welling während dieser Kirchenfrage oft mit dem Reichskanzler verhandelt haben. Wenn also Welling 1
in der
in der
Salomon Henning in Scriptorcs rerum Livonicarum, B. Ausgabe von Kallmeyer, p. 117.
II, p.
309 nnd
Digitized by
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572
Die Gegenreformation
Mund
seinen
derartige Botschaft
eine
für
Vermuthung nahe,
in Livland.
so liegt die
hergiebt,
er habe sie aucn veranlasst,
um
damit im voraus
den Eindruck der Massenpetition
unmöglich
man den König
zu einer solchen Petition meine,
so
musste
So
sinken.
hernach
diese viel
was
vorher,
zu
er
einer
Fragte
machen.
zu
lacherlichen
Komödie herab-
Klugheit dürfen wir Welling mit vollem Recht zu-
erkennen.
ßathorys Antwort
auch einer solchen Diplomatie würdig
fiel
er seine Religion ums Geld verwäre unnütz, er hätte das Recht, welche Kirchen ihm beliebten aus königlicher Macht seinen Glaubensbrüdern anzuweisen daher solle man es als eine besondere Gnade betrachten, dass er nicht mehr als eine Kirche verlange. Wieder tritt der Rath in eifrige (Konferenzen mit der Geistlichkeit, die nun ob freiwillig oder dazu gezwungen, bleibe unentschieden zur Erkenntnis kommt, dass man keine andere Wahl habe, als sich zu fügen, damit nicht die Domkirche, nach
aus
er
:
käuffte»,
sei nicht
Judas,
tdass
ein Fussfall
;
—
—
der,
wie
man
gehört
hatte,
die Jesuiten
Verlangen
trttgeu,
ver-
loren gehe".
So willigen denn Rath und Geistlichkeit in die Abtretung der unter folgenden Bedingungen: dass keine Jesuiten vom Könige zugelassen würden, dass das jus patronatus beim Rath bliebe, dass eine bestimmte Zahl von Häusern den katholischen Jacobi-Kirche
Geistlichen
würden und
angewiesen,
dass
keine Schulen
endlich, dass unter des
Caution ertheilt werde,
wonach
von
ihnen
errichtet
Königs Siegel der Stadt eine
alle übrigen Klöster
und Kirchen
mit ihren Einkünften und Besitzungen der Stadt verbleiben. Mittlerweile bringt Solikowski,
der König wolle
am
am
28.
nächsten Sonntag in der
katholischen Gottesdienst halten lassen.
März,
die Nachricht,
Dom- oder Peterskirche
Ei-schrocken
wendet sich
nun der Rath an mehrere Grossen aus des Königs Gefolge, deren Hinneigung oder Zugehörigkeit zur reformirten Religion bekannt war, und bittet sie dringend um Betheiligung an dem Fussfall der Gemeinde. Sie erklären sich auch dazu bereit, aber die Sache kommt dem König zu Ohren und giebt er
in ärgerlicher
Weise zu verstehen, dass er
einmal gesagt habe, er wolle sich mit einer Kirche zufrieden geben, es sei also die Jacobikirche
rinnen 1
;
damit
möge man
und
eo ipso das Kloster der Cisterciense-
sich
EteckmiiniM Diarium, Arrhiv,
Ii
begnügen und keine näheren BeIV,
p.
2H0.
Der
oftirielle
Rathslurieht
erwähnt dieser neuen Bcsprcchungiu mit ihr Geistlichkeit nicht.
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•
•
I
Die Gegenreformation dingungen
—
stellen,
573
Livland.
in
die übrigen Kirchen
und Klöster
werde er
der Stadt bestätigen».
zum
Bis
zu keinem
7.
man im Rath und
April kann
Da
rechten Beschluss kommen.
in der
erhält
Gemeinde
der Burggraf,
ist, vom König die wenn die Jacobikirche nicht bald abgetreten gezwungen sähe, die Domkirche mit Gewalt
während man gerade im besten Deliberiren Nachricht, dass
werden würde,
er,
sich
einzunehmen.
Darüber, was nun geschehen
Die Darstellungen
einander.
ist,
gehen die Berichte sehr aus
der Mitte
aus
weisen sich sämmtlich als ungenügend Details
widersprechend
meine Viecken,
(ich
der ßiirgerpartei er-
informirt
und sich in den
Lorenz Müller und
Wenn aber der offizielle Rathsbericht überChytraeus von 1593). haupt etwas beschönigt und verschweigt, so gewiss an dieser Stelle. Daher bleiben die Vorgänge des 7. April so lange im Dunkel, bis ein neutraler und wohlunterrichteter Berichterstatter gefunden wird,
der die Fackel der Wahrheit entzündet. ist,
seine
dass
der Rath
Zustimmung
am
7.
April
ertheilte,
Unanstreitbare Thatsache
zur Abtretung
dass die Katholiken
der Jacobikirche
am
selben
Tage
in feierlicher Procession die Kirche einnahmen und dass die Bürgerschaft Rigas davon überzeugt war, Dr. Gotthard Welling habe den Priestern die Schlüssel eingehändigt». Nach dieser plötzlichen Eiunahme der Jacobikirche durch die
1
Erdmaun Tolgsdorf
(Archiv, B. V,
als Welling uud Taatins noch
zum
letzten
p.
Mal
86) erzählt,
dass
in ihn drangen,
König Stephan, doch von «einem
Vorhaben abzustehen, gesagt habe: *Üt et dicite istis bestiui, wie hodie höh tiumptuntm eibum, dorne tcmplum, quod volo, ingrediar.» Dr. Th. Schieniann hat diese "Worte in den Text aufgenommen, ich glaube mit Unrecht, denn Erduiatin Tolgsdorf
ist
Jedenfalls halte ich ßathory einer solchen
nicht zu trauen.
Tactlosigkeit nicht für fähig und stütze mich hierbei darauf, dass der
oftiriclle
Raths-
wenn sie wirklich gesprochen worden wären, aufgenommen hatte, um den Zwang, unter dem man stand, zu illustriren. D. Verf. 1 Nach Chytraeus' deutscher Ausgabe (1597) Th. II, p. 412 wird die Ab
bericht diese schnöden Worte,
tretung der Kirchen also geschildert
:
Als der Burggraf die obige Nachricht
be-
kam, wurde dem Ausschluss des Käthes die Weisung ertheilt, zum König zu gehen und zum letzten Mal mit Bitten in ihn zu dringen. Wenn alles vergeblich «ei, so möge sich der Ausschuss vom König, ehe die Kirche eingeräumt worden, eine Oantion für freie Ausübung der augsburgischen Religion und den Besitz der übrigen Kirchen uud Kirchengüter ausstellen lassen. Dr. Welling vertrat in dieser letzten Verhandlung mit grosser Entschiedenheit die Rechte der Stallt und riss den König zu hellem Zorn hin. Die Kirchen wurden aber von den Katholiken eingenommen, ohne dass ihnen jemand die Schlüssel überreichte.
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574
Die Gegenreformation
in Livland.
Katholiken wurden zwischen Rath und König noch
am
selben
Tage
Bedingungen der Abtretung vereinbart nnd zwei Urkunden darüber aufgenommen». die näheren
Danach übergiebt der König
und die
die Jacobikirche
Marien-Magdale nenkirche
dem ganzen Kloster
nebst
der Cistercienserinnen und allen an ihnen haftenden Besitzungen, Einkünften 7
und Rechten,
Häusern
Nähe
zum Besten
gelegenen, sowie den
dem Kirchhof der
mit
also
in unmittelbarer
Jacobikirche,
und einem weiter ab-
derselben
der Kirche verpachteten Gebäuden
— der katholischen Kirche auf Grund
freiwilliger Cession
Diese Kirchen sollen unter dem besonderen
der rigaschen Bürger.
Schutz
des jeweiligen Königs stehen, der das freie Patronatsund Collationsrecht an ihnen erhält. Sie gemessen die kirchliche
Immunität und darf sich die Stadt nicht die Jurisdiction über sie Dafür schenkt der König alle übrigen Kirchen und
anmassen.
Klöster mit allen Rechten und Gerechtsamen auf ewige Zeiten
—
Zugleich wird das Asylrecht der katholischen Kirchen
der Stadt.
und dem Magistrat das Recht
aufgehoben
ertheilt,
unter Heran-
ziehung des Schlosspräfecten oder des Officials, aber ohne Störung des Clerus,
brauchen.
übung
in
und Wohnorte
der Kirchengüter
Zum
seine
Macht zu
ge-
Sehluss wird den Lutheranern ungehinderte Religions-
ihren
Kirchen
zugesichert
Katholiken
und
sowol
als
Lutheranern unter Androhung harter Strafen Verboten, sich gewalt-
samer Mittel
Bekehrung Andersgläubiger zu bedienen.
zur
Die
Einführung anderer Secten aber wird vollständig untersagt. In einer besonderen, gleichfalls
am
7.
April ausgestellten Ur-
kunde schenkt der König der Stadt Riga, zur Belohnung für die der Krone Polen bewiesene Treue und ihr geleisteten Dienste, auch den erzbischöflichen Hof sammt allen übrigeu Klöstern und Kirchen (auch denen des griechischen Glaubens), allen Häusern der Canoniker und Capitularen,
Gründen mit
allen
allen
wüsten
zu
im Umkreise
keiner Zeit
der Stadt
belegenen
widerruflichen Rechten,
Ein-
künften &c. gegen eine alljährlich der Jacobikirche an 2 Terminen
zu zahlende Abgabe von 100 Gulden. Beide
Urkunden
sind
vom König und den
angesehensten
Personen aus seinem Gefolge unterschrieben und wurden
am
16.
Nov.
1582 von dem Warschauer Reichstage bestätigt.
So hatten denn
1
die
Dogiel T. V, Nr. 185,
Verhandlungen
p.
316
u. 316.
zwischen der Stadt Riga
575
Die Gegenreformation in Livland.
nnd dem polnischen Könige nach mehr
als
Ende
einer
einem Monat damit ihr
Kirche schliesslich Die Schuld hierfür trifft den Rath in seiner Gesammtheit, nicht blo? die Tastius und Welling, die freilich im Vordergrunde der unrühmlichen Action standen und deshalb, als hernach im Kalenderstreit der See raste und sein Opfer gefunden,
zwei
dass
die Stadt
statt
Kirchen abtreten musste.
haben wollte, von den ergrimmten Bürgern zur Verantwortung gezogen wurden. Aber doch will es mir scheinen, als ob diese beiden Männer fast scheut man vor dem Ausdruck zurück am meisten
—
—
belastet sind, dass ihre feige Willfährigkeit, ihre Liebedienerei den
ganzen Rath mit sich licher erkennen.
riss
wir werden
;
Dafür sprechen
das späterhin noch deut-
auch die ihnen beiden nach Be-
endigung dieses Kirchenhandels vom König zuertheilten Belohnungen.
Wurden
sie doch beide in den Adelsstand erhoben und erhielt doch Welling vom König ein jährliches Salarium aus dem Zoll, Tastius
einige Bauernfamilien«.
Die Annahme Büttners», dass handelt zu haben, nur weil
sie bei
auch
sie,
ohne unredlich ge-
den Unterwerfungsverhandlungen
die Hauptrolle spielten, nach glücklicher Beendigung derselben für die polnische Krone
einer anerkennenden Auszeichnung werth gewesen wären, lässt sich nicht halten. Erstens sind diese Belohnungen gar nicht so unbedeutend, wie Büttner meint, und zweitens: wenn eine Belohnung in diesem Sinne stattfinden sollte, so hätten mehrere andere auch Anspruch darauf gehabt. Ueberdies war Welling bei der letzten Legation nicht activ betheiligt, dafür aber Caspar zum
Bergen, Ecke und der Aeltermann Schroeder. Nein, diese lohnungen müssen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Beriga-
schen Kirchenhandel gebracht werden.
Es
ist ein
wahres und
treffendes
Wort,
das
einer
unserer
Geschichtsforscher für diese Zeit äussert: , die Execution habe der Moskowiter und nicht er gemacht, er habe vielmehr alle Lande dem Rachen des Feindes entrissen und sei deshalb wohl berechtigt, einen Unterschied zu machen zwischen solchen, die stets treu zu Polen gehalten, und solchen, die Polen Russland,
Besitzstandes
Revision des
gerechte
eine
1
feindlich gewesen.
Erstere wolle er durch
Eigenthum wieder einsetzen, des Reichstages.
.
.
Revisoren
.
.
ihr
in
letztere verweise er auf die Entscheidung
Von einem Vorzug der Deutschen
bei
Besetzung
der Aemter könne vollends nicht die Rede sein, dagegen verspreche er, sie
«
nicht gar zu excludiren».
Wer
den wolle er wie
seine
qualiticirt
sei,
unter ihnen tauglich und
Uuterthauen be-
übrigen
fördern»^
Den dörptschen Adligen
der König sogar,
erklärte
gar nicht zur Restitution ihrer Güter verpflichtet
sei,
dass
er
da ihm dieser
Landstrich durch Feuer und Schwert zu Händen gekommen wäre».
Und
nun noch Antonio Possevino in den letzten Tagen des Riga eintraf und im Auftrage des Königs denjenigen, welche zum katholischen Glauben übertreten würden, die Restitution ihrer Güter in Aussicht stellte 4 da keimte wol in manches als
April
in
,
1
n.
1
cf.
das
oben
eitirte
Buch Dr. Th. Schiemanns,
ohne die Quelle zu kennen
ich wieder vertrauensvoll folge,
wieder eine dnnziger (lesandtschaftsrelation zu
sein.
—
;
p.
dem
111 u. 112,
es scheint
mir aber
Nyenstaedt berichtet auch
über diese Dinge, aber ungenau. s
und
85.
lich auf.
Monum.
Nyenstaedts «Livlandische Chronik» in
Nach ihm
sollen
auch
sein; einige andere, denen der
Auf
i».
die meisten
Konig
8G aber bekennt, er
sieh
im
Stift
Liv. ant.
Riga
offen, dass er
B. II,
restitniret»
damals gnädig erwies,
ziihlt
84
p.
worden
er nament-
nur schlecht nnU-rrichtet
ist,
D. Verf. 4
Lirotn'ac
Cummcntarius von Ponsevino,
p.
21.
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Die Gegenreformation Livländers Brust der
Wunsch
auf,
577
Livland.
in
beim glaubensverwandten schwedi-
schen Nachbarn Schutz und Zuflucht zu suchen
1 .
In solchen drangvollen Zeiten durchschwirren alle möglichen
Wahrheit und Dichtung > gemischt, und ängstund dorthin, nur zu geneigt, seinem gerechten Zorn in irgend einer Form Luft zu machen. So erzählte man sich, dass der König alle livländischen Güter an Ungarn vertheilen wolle 1 und aus Schweden kam die Nachricht, der polnische Gesandte Warszewitzki habe während seines Aufenthalts in Stockholm König Johann III. gerathen, die Livländer auszurotten, denn es wären leichtfertige Leute, und erzählt, sein König werde ebenso handeln, wenn Johann mit gutem Beispiel voranginge». Als daher Warszevitzki auf der Heimreise Riga berührte, entging er nur der König selbst musste für ihn eindurch schleunige Flucht Gerüchte die Luft,
man
lich horcht
c
dahin
,
—
—
treten
der Volkswuth*.
Wenn Bathory
die definitive Entscheidung über die so wichtige
auf den Winterreichstag dieses Jahres
Güterrestitutionsfrage schob, so geschah
das
ver-
aus schlauer Berechnung, theils aus
theils
Noth wendigkeit denn indem er dem Adel nicht alle Hoffnung raubte, entschloss sich die Majorität noch zu warten, und
politischer
;
zweitens war er nicht
in
Provinzialverhältnisse
von
der Lage, sich bei der Reorganisation der
der Mitwirkung
züglich aber der littauischen Stände
der
polnischen,
vornehmste Prärogativ des polnischen Königs bestand
Zwang
besetznng, hierbrauchte er sich keinen
ernannte
er
am
1.
Georg Radziwill, Wilno,
Sohn
Tag
Mai, einen
Wahl
der Stellen-
aufzuerlegen.
seiner Abreise
vor
Herzog von
Olyka» und
Daher
aus Riga,
Bischof von
zum Lange Zeit hatte der König
des letzten Administrators Nicolaus Radziwill,
Statthalter von Livland. in der
in
vor-
Das
zu emancipiren.
völlig
einer passenden Persönlichkeit geschwankt.
Am
15.
dem Kanzler: «Schon lange und vielfach haben Wir darüber nachgedacht, wen Wir in Livland an die Januar 1582 schrieb er
1
n.
*
cf.
z.
B.
KoajiOBHTb Nr. 193
Bathory aus dieser
Zeit).
Es
p.
519
heisst darin
ihren Interessen nach Schweden.
Das
(d.
ein
i.
;
alle
ist
aher
Memorandum Zamoiskis au
ohne Ausnahme gravitiren mit unrichtig:,
übrigens
auch vor
«einer Ankunft in Riga geschrieben. *
U Müller,
Sept.-H. p. 36.
•
n.
•
Radziwill war auch
Herzog von «Niesvics»
Schreibweise kann ich zur Zeit nicht angeben. einen aus dem Krasinski will von
in
meinen
Wilno war,
—
I.
er
1).
(lateinisch,
Verf.)
;
—
die polnische
ich corrigire zugleich
Art, übertragenen Fehler,
wonach Radzi
war dort nur Bischof.
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Die Gegenreformation
578
in Livland.
Wir bis jetzt auf niemanden Ew. Erlaucht, Uns mitzutheilen, wer
Spitze stellen sollen, und dennoch sind verfallen
.
.
Wir
.
ersuchen
Ew. Meinung nach dazu geeignet ist.» Im pleskauschen Lager cursirten hierüber die verschiedensten Gerüchte, von denen dem Verfasser des früher erwähnten Tage-
am
buchs
wahrscheinlichsten schien, dass entweder Zamoiski selbst
Herzog dem Reichsaus, wen er wol
oder der Neffe des Königs, Andreas Bathory, livländischer hatte ein launiges Gespräch
Er
werden würde.
mit
Der Kanzler holte ihn zum Gubernator von Livland
kanzler über diese Frage. für
am
passendsten
antwortete
t
:
Mann magnac
Es gehöre dazu ein
und
halte,
er
praeterea
autoritatis,
und dem Könige ergebener Diener.» Nachdem mehrere vom Kanzler genannt worden waren, stellte er an
ein treuer
Persönlichkeiten die Frage:
ihn
caber
nehmen wollteu?» rief
wenn Ew. Gnaden
—
also
worden.
ihm der Statthalterschaftsposten wol Welche Gründe aber die Wahl gerade
ist
auf Georg Radziwill lenkten,
nicht bekannt.
ist
Das eben
weise wiedergegebene Gespräch belehrt uns des weiteren, dass einen
Mann
war; selbstverständlich musste
er
während seines Aufenthalts
gewünschter Weise des
1.
nachkam*.
Mai 1582
denn er Livland einer gewissen
in
Die ihm
ertheilte Instruction
Wir geben
daher
den
;
Königs immer
vom König
unzweideutigsten Weise Auskunft darüber, was langte.
Ver-
strenger Katholik sein.
Beliebtheit, obgleich er den heiklen Befehlen des
Datum
man
wünschte, der gut deutsch sprach und leutseliger Natur
muthlich vereinigte Radziwill diese Eigenschaften in sich erfreute sich
theil
unter
in
dem
in
der
man von ihm
ver-
giebt
grössten Theil
uns
derselben
in
der
Uebersetzung wieder: 1
NyeiiHtaedt tLivl. Chronik»
p. 8f»,
mnl L. Müller an
fiuem
«pitter cit.
O.
Die Gegenreformation
cVor Allem
Mühe
der Statthalter
soll
darauf achten, dass die von uns
in der
579
Livland.
in
darauf verwenden und
Stadt Riga gelegten Funda-
katholischen Religion von Tag zu Tag an Wachsthum zunehmen und zwar so, dass sie sich in Kurzem über ganz Livland ausbreiten. Das hat so zu geschehen, dass das, was
mente der heiligen
ordentlich begonnen worden
mit Ernst aufrecht erhalten und ist, bewahrt werde, nicht blos durch häufigen Gebrauch, sondern mit jeglicher Vorsicht, auf dass nichts anderes geschähe, als was diesem Zweck und dieser heiligen Sache förderlich ist. Des Statthalters Autorität darf denen nicht fehlen,
welchen von uns die Sorge für
die Kirchen uud kirchlichen Dinge anvertraut
Femer
derselben bedürften.
man
tragen, dass die Priester, welche
Verzug an
als möglich und ohne
man
anderen Orten
von
sie
zu
herschicken wird, so schnell
die Orte
wo Wolmar und
befördert werden,
aber nach Wenden,
namentlich
sie nöthig hat,
wo immer dafür Sorge
ist,
der Statthalter
hat
Ebenso
solcher Bedeutung.
er unserem
soll
Befehl gemäss für die Kirchen Vorsorge treffen mit allen nöthigen
Dingen, als da sind
viaticum, Kelche, Ornamente,
:
Bücher
u. s.
w.
In Allem aber, was zur Förderung der katholischen Angelegenheiten geschieht, soll er mit Mässigung und Vorsicht verfahren, damit nicht dieGegner oder wenigstens ihreP rediger einen willkommenen Vorwand erhaschen zu tumultuiren und Unruhen im Volke zu erregen. Wenn es sich
einmal ereignen
dass
sollte,
etwas Derartiges
und Ankömmlingen begangen wird,
was dem
von Fremden
öffentlichen Frieden
und ein Magistrat dem kann oder auch Ausflüchte sucht, dann soll der Statthalter unter Beirath unseres Burggrafen gegen die Delinquenten verfügen, was recht und der Gerechtigkeit gemäss
der Katholiken zu widersprechen scheint,
entweder
keine Abhilfe
thun
und Ruhe
ist
und Frieden
ea,
quae &c.) wird
dem
bewahrte
Sodann (sccundo
Statthalter die
loco sunt
inappellabel Jurisdiction
über Verbrechen gegen die Person, nicht aber Verbrechen das Eigenthum (immobilia
et
mobilia) zuerkannt.
Vom
gegen
letzteren
sind jedoch die Klostergüter ausgenommen, über die der Statthalter
zu entscheiden sein sollte.
In
hat,
wenn der König daran irgendwie verhindert wird ihm die militärische Gewalt
dritter Stelle
über ganz Livland eingeräumt. den Worten «Alles Uebrige :
RaltUrb«. MunatH«rbrift.
Dd.
XXXVI,
Die Instruction schliesst mit folgenaber,
lieft f.
was
so
beschaffen
ist,
dass
40
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Die Gegenreformation in Livland.
580
mehr
bierfür
können,
die
Dinge
als dass wir
selbst,
möge der Herr
möchten,
Zeit und Gelegenheit Rath
in unserer Instruction
es
Statthalter mit Geist,
geben
zu umfassen ver-
Wachsamkeit und
Fleiss versehen, damit er in keiner Angelegenheit und schwierigen
wo
Lage,
es gilt, gut und im Interesse des Staates zu handeln
das versprechen wir uns von ihm
—
—
zu fehlen scheinen
Es sind vornehmlich zwei Momente, die beim Lesen
dieser Instruc-
Erstens überwiegt das kirchliche Interesse in ausser-
tion auffallen.
ordentlichem Masse, so sehr, dass sich die vorgeschlagenen Mittel
zur Förderung des Katholicismus beinahe in Gegensatz zu der
bis-
vom Könige vertretenen rechtlichen Parität beider Bekenntnise Wird doch mit keiner Silbe dem Statthalter angerathen, stellen. auch den evangelischen ünterthanen sein Ohr zu leihen denn dort, wo Recht und Gerechtigkeit und Ruhe und Frieden gewahrt sollen, her
;
auch gegen die Evangelischen, als
richtet sich die Spitze doch
man
eine Störung
Ruhe
die-
und lässt sich zwischen den Zeilen lesen, dass es weniger auf wahre Zweitens lässt Gerechtigkeit, als auf ihren Schein ankommen soll. sich aus der Instruction deutlich des Königs Angst vor Tumulten
jenigen,
denen
von
der
warum
befürchtet,
Riga im Durch die ganze Instruction weht aber ein Hauch des Jesuitismus, und ein Jesuit ist es auch, der ihr seinen Geist, vielleicht auch seine Feder geliehen hat Antonio Possevino, als er sich dem König für einige Tage in Riga zur Disposition stellte und, wie er rühmend hervorhebt, bei ihm meist bereitwilliges Entgegenkommen für seine erkennen, ein Erklärungsgrund dafür,
Grossen und Ganzen doch mit wenigem
er sich in
begnügt hat
—
Vorschläge fand.
Am Gorka aus schaft, die
war Possevino nämlich von Kiwerowa Moskau eingetroffen und von dort mit jener Gesandtdem Papst für seine Bemühungen um den Friedenssehl uss
15. Febr. 1582« in
Dauk zu sagen
hatte», über
auf dieselbe Gesandtschaft
Riga^ nach durch Polen
zum zweiten Mal nach Riga und 1
Starczewski, B. II,
p. 80.
1
Zedier« Lexikon,
1778.
3
Possevini
Ort gewesen
als dass
Als er
gereist.
zurtickgeleitete,
verblieb
daselbst,
thivoniae Commcntarius Gre.gorio XITI»,
andere Deutung zn, pasairte, also zwei
p.
Rom
.p.
Possevino schon auf der Hinreise
Mal (wahrend des Aufenthalts Bathorns
in
hier-
kam
er
etwa vom
keine
lässt
21,
nach
Rom
Riga) in
Riga
diesem
ist.
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Die Gegenreformation
581
in Livland.
27. April ab«, nicht länger wie der König, also bis spätestens 2.
zum
Mai».
Er wollte sich offenbar davon überzeugen, ob und in welchem Masse ßathory seinen Versprechungen nachgekommen war, auch mag es ihn gereizt haben, persönlich auf den König einzuwirken jedenfalls brachte er den Vorgängen in Livland das lebhafteste
Das
entgegen.
Interesse
durch Kurland
zeigt
schon
der Frühlingszeit,
in
seine
über angeschwollene Flüsse und Bäche. als
ihm
ein
gleich für
beschwerliche Fahrt
auf grundlosen
Wie
freute
Wegen und er
sich
da,
Edelmann im Illuxtschen Gebiete einen von zehn Söhnen die Schulen von Braunsberg oder Olmütz anvertraute
und noch zwei andere
in Aussicht stellte,
rische Prediger» seinen
Sohn
gleichfalls
vollends als der «luthe-
ihm zu übergeben bereit
war. Noch mehr aber frohlockte sein Herz, da er schon drei Jünger der Societät Jesu in Riga vorfand (Scarga, Martin Lauten) a und Georgius Vicerius). Bathory Hess eben anstandslos Jesuiten in Riga za, obgleich er den Rigensern nur von Weltgeistlichen (plebani) im Kirchenpact geredet hatte 1 .
Gleichwie Possevino den Jungfrauen des berühmten Klosters
Wadstena
in
Schweden
einst geistlichen Trost gespendet hatte, so
Zweck jetzt auch das Jungfrauenkloster Von den Nonnen desselben waren nur noch drei am Leben Anna Netken, Anna Töpel und eine gewisse Ottilia*. Alle drei waren fast unglaublich alt (Anna Töpel z. B. nach Tolgsdorf 130 Jahre) * und dem katholischen Glauben treugeblieben, trotzdem besuchte er zu demselben
in
Riga. :
die lutherischen Prediger sich grosse sie
zum *
Uebertritt zu bewegen.
Mühe gegeben haben
Possevinos Schreiben an den Jrsnitengeneral (Riga,
cf.
sollen,
Viele Jahre hindurch hatten d. 28.
sie,
April 1582)
im Supplementbande von Turgenjews *Historica Russiae Monimenta^.
Dr. Th.
und Sittenbilder a. d. b. Gesch.» p. 115—117 eine Uebersetzung. Doch giebt Schiemann Possevinos Reiseroute falsch au. D. Verf. 1 Possevino schreibt dem Zaren aus Wibio Starczewski, B. II, p. 83. unter dem 14. Mai 1582: «postquam autem cum rege Stephane Riqae aliquot dies fui in Livonia veni Wilnam ac cum eo egi, ut Mosci in libera custodia Schieinann giebt in
c Charakterköpfe
.
.
.
essent.»
im
Citat alleg. Uebersetzung Schiemanns.
*
cf.
die
*
cf.
für diesen Besuch
1.
Erdmann Tolgsdorfs Gesch.
des Marien Magdaleuenp. 80 u. 89. annuae societatis Jesu», die ich hernach an a. O. werde, geben au, dass sie beim Tode über 100 Jahre
Juugfernklosters in Riga, Archiv, B. V,
Die
sog. c Litterae
mit vollem Titel citiren alt
war, sind also vorsichtiger.
40*
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582 da
Die Gegenreformation in Livland.
Livland
in
alten lich
Mönch
kein katholischer Priester
in
Hasenpoth
war,
einem
und ebenso
schrift-
anzutreffen
schriftlich gebeichtet
Absolution erhalten.
Anna Netken, deren Glaubenstreue und KlugErdmann Tolgsdorf in überschwänglicher Weise
Possevino wollte heit
der
Jesuit
zur Aebtissin weihen, aber sie verzichtete demüthigst darauf
preist,
zu Ehren ihrer alteren Schwester im Herrn,
Anna
Töpel.
Letztere
während Anna Netken noch bis zur Rückkehr der Jesuiten nach ihrer Vertreibung im Kalenderstreit
starb übrigens bald darauf',
gelebt haben
Auch Stephan Bathory
soll'.
stattete
Anna Netken
einen Besuch ab und wurde von
dem
Kloster
in einer glänzenden
Rede, worin sie ihrer unaussprechlichen Freude
über das Wieder-
Es war nur wenn der König damals den Nonnen ihren ganzen auf Grund der Stiftungsurkunde des Klosters
aufleben des alten Glaubens Ausdruck gab, begrüsst. selbstverständlich,
Besitz
restituirte,
vom Jahre
Da
1256».
mit dem
baldigen Tode
voraussichtlich
dieser Heroinen
(im jesuitisch- katholischen Sinne) die letzten Vertreter des Jungfern-
ordens
der Cisterienserinnen
dahinschwanden
und keine Aussicht
vorhanden war, den Orden im Flor zu erhalten, so beschloss Bathory, den ganzen Güterbesitz dieses Klosters einem noch zu gründenden Jesuitencolleg zu überantworten
das
;
die Solikowski ertheilt wurde*.
erhellt
aus der Vollmacht,
Freilich verhehlte Bathory diesen
Plan vor den Rigensern.
Der königliche Secretär Demetrius Solikowski, jener eitle Mann, der sich rühmte, Bathory zum katholischen Glauben bekehrt zu haben, wurde, gleichfalls am l. Mai, von Bathory zum sog.
Curatorder katholischen Kirchen Rigas Es
ernannt.
aus seinem Emennungsdecret folgender Passus in der Ueber-
sei
setzung
angeführt:
«Vor Allem
wir hiermit Johannes von Wladislawow und Lesiao
erheben
Demetrius Solikowski, Scholasticus
zum Curator und General-Provisor des gesammten Klosters vorerwähnter Nonnen und auch der Kirche zn St. Jacob und übergeben diese Kirchen nebst dem Kloster seiner und unsern Secretär,
'
*
Nacli obigen Litterae ao. 1589.
Dan wird auch durch
ob.
Mittheilungen B. VIII,
p.
Litt.
mm.
bestätigt.
444.
4
sog. cf. die curatio templorum catliolicorum Jligae commissa /?. D. Joanni Demetrio Solikowski, secretario Ttrijine Majestatis* in Posaevini
rechtmässig erwiesen werden können &c.
Das Decret
schliesst
«Worüber wir in einer anderen Urkunde, wo wir, so Gott will, eine vollständige Gründung und Anordnung zu treffen gedenken, Zeugnis ablegen werden. mit den verheißungsvollen Worten
Am
Mai 1582
:
Stephan Bathory
aus Riga
ab,
die
Quellen aber berichten uns nichts über Abschiedsfeierlichkeiten.
Es
2.
reiste
war auch keine Feiertagsstimmung, mit der ihn unser Land heimkehren sah. Zwar hätte er ja noch mehr, als womit er sich begnügte, fordern und nehmen können. Aber wer nicht blind war, dem entging nicht der klaffende Riss, den sein Aufenthalt im Gebäude des Landesstaates hinterliess, der erwartete von dem bevorstehenden Reichstag keine Heilung des entstandenen Schadens, der befürchtete mit Fug und Recht eine Vergrösserung des Spalts, den Glaubens
die Gleichberechtigung des katholischen
rischen Bekenntuis
geschaffen.
die rechtliche Parität
Die Gesinnung
beider Bekenntnisse
friedlichen Nebeneinander, sondern des
tischen Rekatholisirung Und ganda
dem
luthe-
Hess
im Lichte eines
nicht
Beginnes einer
systema-
erscheinen.
der erste Mann, der seine Thätigkeit mit eifriger Propa-
für
Solikowski.
den
katholischen Glauben
eröffnete,
heisst Demetrius
Bathory hatte ihu bei seiner Abreise als «Curator der
rigischen katholischen Kirchen» als
mit
des Königs
uud, wie er selbst erzählt»,
auch
Administrator des von Einwohnern ganz entblössten Städtchens
Wolmar
zurückgelassen. Vielleicht hoffte
man
in
Wolmar
diejenigen
katholischen» Colonisten anzusiedeln, welche eiu königliches Universale
würde.
vom
29.
Januar 1582 zur Ansiedelung
werkern und Kaufleuten,
1
in
Livland verlocken
Darin versprach der König den etwaigen Bauern, Hand-
Sulikovii
Kommentar,
die,
unter der Leitung eines verständigen
brevia
rerum Polonic., Danzig, 1647,
p. 143.
584
Die Gegenreformation
in
Livlaud.
Mannes, herkommen wollten, auf den ihnen erb- und eigenthümlich zu
verleihenden Gründen
und
zehnjährige Abgabenfreiheit
Handelsrecht, stellte der zukünftigen Colonie,
im Falle
freies
sie grösser
geworden, städtische Gerechtigkeit in Aussicht
und
katholischen Pürsten zur Unterstützung
Unternehmens
dieses
forderte
alle
das der ganzen Christenheit zum Vortheil gereichen werde«.
auf,
Wir
berühren diese Colonisationsfrage noch an anderem Ort. Solikowski aber will mit Hilfe einiger Jesuiten in Riga und ein paar Priestern des Braunsbergschen Collegs, die Cromer, der Bischof vou Ermlaud,
im Geheimen nach Livland
Land
sandte
und welche sich übers
flache
zum
zerstreuten, in sieben Districten die ganze Bauernschaft
katholischen Glauben bekehrt haben». versteht, ist nicht
ganz einleuchtend,
Was
er unter «7 Districten»
vielleicht Hesse
die Thätigkeit von 7 Priestern entnehmen, so dass er
eben so
viel grössere
sich daraus
dann damit
Wirkungskreise der erwähnten Priester, deren
Zahl kaum grösser gewesen sein kann, verstünde.
Es
zudem
ist
wahrscheinlich, dass sich diese Geistlichen zunächst innerhalb Lett-
lands und nicht allzu
weit
wir finden
einen
z.
B. 1584
von Riga aufgehalten haben
von ihnen
iu Smilten.
werden
Denkt mau
nun daran, dass diese Geistlichen der lettischen Sprache unkundig waren und sich bei ihren geistlichen Functionen der Dolmetscher bedienen mussten», dass der Visitationsbericht von 1584 von keinem erheblichen Erfolge der Katholiken zu berichten sich bei der ausgesprochenen
Wirksamkeit das
weiss,
Neigung Solikowskis, über
hellste Licht
so
sein Bericht
auszubreiten,
stellt
seine eigene
als die
Phantasie eines hochmüthigen und gloriensüchtigen Pfaffen dar.
Am 4. Oct. 1582 trat der Reichstag von Warschau zusammen. Die Stadt Riga erlebte die Freude, dass ihre Privilegien vom Reichstage bestätigt wurden«, dem livländischen Adel aber erwiesen sich König und Reichstag ungnädiger, als je zu erwarten gewesen war. Die Ueberlieferung, so weit sie den Forschern bis jetzt zugänglich
gewesen, belehrt uns nicht darüber, in wie weit aus der Mitte des
1
Dogiel, T. V, Nr. 183.
•
cf.
die
-
vorige Anmerkung.
" Snlikowski, Br. Comm. p. 144 und 145. Der Jesuit Erdmaun Tolgsdorf war auch
einer von deu Braunsbergischen Priestern
und
Recke-Napierskys «Schriftstellerlexikon» B. IU. (ScriptorrM alle
rer. Liv.
B. II, p. 154)
zum Jahre
Städte und Dörfer gedrungen seien
schen Priester gemeint sein. *
Dogiel T. V, Nr. 184.
;
hielt
sich
Russow 1582,
in "Wolinar
auf.
cf.
erzählt in seiner Chronica
dass
die Jesuiten
in
darunter können nur die Braunsbergi-
Die Gegenreformation
etwa von
polnischen Reichstags,
doch einst Hilfe
drängte Nachbarprovinz Ii
geworden
laut
littauischen Landboten, die
für
die
be-
Der Delegation der
sind.
welche nach läugerem Harren
v ländischen Kitterschaft,
dem König
den
versprachen, Stimmen
der Noth
in
585
in Livland.
am
29.
Nov.
dieselben Bitten und Klagen, wie zuvor in Riga, dies-
mal durch eine Glied der Familie Ducker vorbrachte, ortheilte im Namen des Königs der Grosskanzler den Bescheid: die köuigl. Majestät wolle erst mit den Ständen sich beratheu und zu gelegener Zeit sie zu sich rufen lassen
Was
Königs gesagt haben, es,
dass
1
.»
die Reichsstände zu den geplanten Vergewaltigungen des
wir wissen
diejenigen Littauer
es eben nicht;
und Polen,
aber wir ahnen
Rechtsgefühl Ein-
deren
sprache erhob, an Zahl verschwindeud klein war gegenüber denen,
welchen die Aussicht auf Aemter und Güter
in
Livland den
Constitution es Livoii iae vom December 1582 beweisen es. Die
schloss».
3.
Mund
und
4.
In ihnen erhielt Livland eine neue Verfassung, deren Charakter
Otto Müller, Julius Eckardt, Hermann Baron Bruiningk
Theodor Schiemann 3 ich
in so treffender
und Dr. Weise gezeichnet haben, dass
mich für meine Zwecke kurz fassen
etwaige Speciali-
darf, für
täten auf Julius Eckardt verweisend*.
Die neue Verfassung lehnte sich an die im Unionsdiplom von 1566 gegebene an, jedoch mit dem
ins
Gewicht fallenden Unter-
schiede, dass alle einzelnen mit den Landesprivilegien (Unionsdiplom
Punkte als Ausflüsse Mit dem Erlass dieser
und Privilegium Sigismundi) harmonirendeu der königlichen
Constitutione
Gnade
kommen
als
früher
die
gar nicht mehr
in polnischer Zeit
tiones annulliren
betrachtet wurden.
in
den
erlassenen Privilegien Livlands in Betracht,
denn die Constitu-
meisten Fällen sowol
das Uuionsdiplom,
War
das Privilegium Sigismundi.
noch in ersterem der Aus-
dem lutherischen, festPunkt der Constitutioues die Lutheraner
schluss jedes anderen Bekenntnisses, ausser gesetzt, so
werden im
II.
1
Dr. Tb. Schiemann «Historische Darstellungen
•
L. Müllers Sept. H.,
Wort der
littanischen
p.
40-43
polnischen Stande
oder
sondern blos davon, dass sie wol für •
für
ihre Rechte
und
archiv. St.» p. 115.
von keiuem fürsprechendeu die
bedrängten Livländer,
einzutreten verstanden.
anf dessen schonen, von patriotischem Hauche gesell wellten Artikel «ein
Gedenktag» ich merksam zu machen brauche
die Leser der «Balt. Monatsschr.^ doch
livländischcr
•
berichten
J. Eckardt, «Livland
nicht auf
D. Verf.
?
im
18.
Jahrhundert»,
p.
41
51.
Digitized by
Google
586 als
Die Gegenreformation
c
Dissidenten >
bezeichnet.
Punkt
iu
2,
Livlaud.
«rfe
Dissidivtitms
in reli-
«Wir haben den Bitten der Stände livläudischer Provinz, die uns zu Riga und hier vorgetragen wurdeu, nachgegeben und ihnen die freie Uebuug der augsburgischen Co nfession, die einzig und allein nach der katholischen Religion in d ese r Pr o vi n z eingeführt ist,
gione*, überschrieben, lautet'
:
i
gewährt.» Aus den 25 Artikeln der Constitutione, in denen das Wort Mal vorkommt', sei hier Folgendes hervorgehoben:
«Privileg» kein
Au
erster Stelle ist zu bemerken,
dass Livlaud in drei sog.
Das wendensche Präsidiat umfasste das Land zwischen der Aa und Düna bis an die russische Grenze Präsidiate eingetheilt wurde.
und mit Einsehluss der Schlösser Marienhausen, Ludzen sitten bis
;
und Ro-
das dörptsche Präsidiat den ganzen östlichen Theil Livlands
zum Wirzjärw im Westen und im Süden
bis
nach Marien-
hausen; das peruausche Präsidiat reichte südlich bis zur Aa. drei standen unter je einem Präses, der die militärische
gewalt
seinen
in
Händen
hatte
und
den Palatiuen
in
Alle
und CivilPreussen
entsprach.
In jedem Präsidiat befand sich ein Landgericht, das im Jahr
zwei Juridiken
sog.
hielt.
Die städtischen und die Landgerichte appel-
an einen jährlich zwei Mal in Wenden
lirten
zusammentretenden
»Gerichtslandtag», conventus judicialis, der eine
thumliche Zusammensetzung erhielt, unter
dem Vorsitz
halters oder eines Commissars abgehalten werden
Appel lationsinstauz bilden
Die
Landtage
sehr
eigen-
des Statt-
und die oberste
sollte.
blieben unabhängig von diesem Gerichts-
landtag und werden im Unterschiede zu diesem
*
conventus necessi-
UUis imblicae causa* (Landtage für öffentliche Verhältnisse) genannt. solcher Landtag tritt auf Befehl des Kölligs zusammen, nach vorhergehender Wahl der Deputirten auf unter dem Vorsitz
Ein
des Präses
abgehaltenen Präsidiatconventen (Kreisconventen), und
von städtischen Abgeordneten beschickt, von Riga durch zwei, von Pernau, Wenden, Dorpat durch je einen. Auch sollte eiu Abgesandter des Herzogs von Kurland an ihm theil-
auch
wird
nehmen. 1
Die Abgeordneten aber sollten aus
den drei Nationen
Dogirl, T. V, Nr. 187.
1 :
Das Wort Privileg», «da« nun einmal von dein historischm Livlaud Dr. TU. Schumann im alleg. Art. und Otto Müller.
nicht zu trennen int.»
Die Gegenreformation der
Littauer
Polen,
587
iu Livland.
und Livländer zu
gewählt
Theilen
gleichen
weiden.
Dass auf den Gerichten nach livländischem Landrecht gerichtet sollte, war eine «dankenswerthe Verheissung» denn der
werden
1
Dr. David Hilehensche Landrechtsentwurf
—
deutung erlaugt,
die Existenz obiger
eiue polnische Fiction, die
in
drei Nationen
wir auf ein,
Doch genug von
Hess.
den
für
aber war
das Reich der Wirklichkeit zu ver-
pflanzen sich die polnische Regierung freilich sein
—
praktische Be-
hat nie
diesen unseligen
uns wichtigsten
I.
angelegen
dringeud
Bestimmungen
;
gehen
Abschnitt der Constitutiones
darin von der Gründung eines livlandischen Bisthums in
Wenden
gehandelt wird.
Wir
sahen, wie Bathory bereits im pleskauschen Lager
Gedanken,
in
Livland ein katholisches Bisthum zu
gründen,
deu aus-
Darauf war durch Possevino dem Papste mittheilte. einem königlichen Universale, das die Bildung einer katholischen
sprach und in
Livland in Anregung brachte, auf die beabsichtigte Gründung hingewiesen wordeu». Sodann wurde der königliche Wille den livländischen Ständen am 1 J. März in Riga vorgetragen und jetzt, auf dem Warschauer Reichstage, wirklich vollzogen. Anfänglich schwebte dem König wol noch der Plan vor, Colonie in
(
mehrere Bisthümer zu errichten, wie ihn denn Possevino dazu aufder russischen Geistlichkeit in Dorpat
die Kirchengüter
forderte,
Aber die Armuth des Landes und die Abwesenheit opferwilliger Gemeindeglieder machten für ein dörptsches
Bisthum zu verwenden.
es gerathener, sich zunächst mit
einem
Episcopat zu begnügen.
Der canonischen Regel zuwider, wonach Bisthümer blos an hervorragenden Orten des Landes fundirt werden sollen, wählte der König das kleine und im Kriege fast ganz zerstörte
Wenden
dazu». Erstens
hätte sich ein katholischer Bischof in Riga, inmitten einer
durchweg
protestantischen Bevölkerung, nur geringen Ansehens erfreut, nicht gar einer gewissen Gefahr ausgesetzt; sich das mitten im
Lande belegene Wenden
wenn
zweitens aber erwies für die Intentionen der
Regierung, vorerst auf die Bauernschaft einzuwirken, weit geeigneter, als eine
Riga.
fremden Einflüssen ausgesetzte, grosse Handelsstadt,
Mittlerweile 1
Otto Müller, Dr. Tb.
"ursprünglich
Für
dieae
p. 1>9.
Schumann
war
wie
war der Curator Solikowski dem ihm gegebeneu
Werro
-
*
Dogicl, T. V, Nr. 143.
in «Histor. Darst. Q. arch. Stud.», (seil,
ab
Sita
des Bischofs,
in
i».
IIS gicbl an:
Sicht
genommen.«
interessante Mittheilung bedurfte v» doch wol einer Quellenangabe!
Die Gegenreformation
588
Auftrage nachgekommen und hatte
Livland.
in
in
Nicolaus Firley eine für die Fundation
Begleitung des
des Castellans
projeetirteu
passende Auswahl unter den Landgütern getroffen.
Bisthums
Sie wurde
vom
König zu Grodno im wesentlichen approbirt und nur das ehemals seiner Liste gestrichen. erzbischöfliche Schloss Ronneburg von Nachdem hierauf durch den Bischof von Polozk, Petrus Doninus Wolski, die päpstliche Bestätigung für die vorgenommene «Descriptio>
eingeholt worden war«, wurde die Stiftungsurkunde
ausgefertigt.
zusammen aus:
cus, Custos
3.
Dec.
Wenden und Kathedrale die Das wendensche Capitel setzt
Sitz des Bisthums ist die Stadt
St hlosskirche (primaria aedcs oppidi). sich
am
Sie enthält folgende Bestimmungen':
Propst, Decan, Archidiacon, Cantor, Scholasti-
und sechs Cauonicis. und Gutem:
Dotirt wird der Bischof mit den
Wolmar, Trikaten, Burtneck,
Odenpäh, Wrangelmois und Rodenpois« in ihrem vollen Umfang nebst allen Appertinentien und Rechten, ohne irgend eine Einschränkung (ausgenommen die dem Könige auf allen übrigen Bisthümeru zustehenden Befugnisse, so z. B. dass der Bischof ohne des Königs Consens Die Güter sollen steuernichts vertauschen oder verkaufen darf). Zur frei sein und dem Bischof die Jurisdiction auf ihnen zustehen. Wohnung erhält der Bischof Häuser* in Wenden, Dorpat und Pernau. Das Capitel aber erhält in Wenden eine ganze Strasse (die nach Solikowski 24 Häuser« enthielt 5 ) angewiesen. Der Bischof wird vom König ernannt und erhält für drei Canonicate und deu Custos Das Patronatsrecht für das Decanat und das freie Collationsrecht. ein Canonicat schenkt der König seinem Kanzler Zamoiski mit dem Recht freier testamentarischer Verfügung für deu Fall, dass keine Für die übrigen Capitularen leiblichen Rrben vorhanden sind. Aus den Einkünften reservirt sich der König das Patronatsrecht. der Bisthumsgüter ist der Bischof verpflichtet, dem Propst, Decan, Archidiacon je 300 Gld., dem Cantor, Scholasticus und Custos je 200 Gld. p. W. alljährlich am Tage des Märtyrers Stephan auszu-
Schlössern
Demetr Sulikovii »Commcntarius brems
1
J.
s
Dogiel T. V, Nr. 186.
3
In der Urkunde
Wrangelmois,
Bergmann, 4
p.
cf.
steht
Archiv B.
I,
:
«
Wrangel,
Auflage
Moza
:
«Versuche
in d. livl.
samkeit, Stück I «von den Bischöfen in
Polonk.»
et
Rodenpoist,
Sulik. Br.
c&mm.
offenbar
tur
(Script, rer. Liv. IT, p. 483.)
Geschichtekunde und Rechtegelehr-
Wenden»
p.
5 und 6 übersetzt *domo$*
mit eherrschaftliche Häuser und Schlösser», was nicht richtig 5
p. 141.
Dionysius Fabridus (Editio
2, p. 279.
145) fügt noch Zarnikan hinzu.
(Jadebuseh in
rer.
ist
rer. Polonic. p. 142.
Dig
Die Gegenreformation
Von den Einkünften aus
zahlen. z.
589
in Livland.
geistlichen
Amts Verrichtungen,
gemäss den Vorschriften des
B. Begräbnissen, hat der Bischof,
canonischen Rechts, aliquote Theile an die Capitularen zu vergeben,
über den Rest kann er zum Nutzeu der Kirche
Die Rechte des Bischofs von Wenden
frei
verfügen.
im allgemeinen
sollen
dieselben sein, auf die jeder polnische Bischof Anspruch hat (also
Stimme im Senat), und
Sitz und
dem
Statthalter.
an und Tür
Zum
ßisthum
sich das
in erster Stelle nächst
er
stellt
Schluss verspricht der König, so reich auch
im Falle der Gewinnung
dotirt sei,
Estlands, noch mehr hinzuzufügen, und wird den Capitularen strenge
ausgenommen
Residenzpflicht vorgeschrieben,
die
zwei Präbenden
Zamoiskis, wenn ihre Inhaber legale Gründe für die Non-Residenz
und dem Bischof aufgetragen, sich in Wenden, Pernau, Dorpat und Fellin Vicare und Oificiale zu halten, die ihn in seiner Abwesenheit vertreten können, und Kirchen und Schulen in den genannten Städten zu fundiren. haben,
Es
Bathory das neue Bisthum
scheint, dass
angeboten hat, wenigstens
erzählt
dieser
selbst
dem Solikowski davon« und fügt
zur Antwort gegeben habe, er was Gott über ihn bestimme. Sein Ehrgeiz war eben darauf gerichtet, Erzbischof von Lemberg zu dass er auf diesen Antrag
hiuzu,
wolle damit zufrieden
sein,
Schon auf dem Decemberreichstag ging sein Wunsch
werden.
in
Erfüllung und verliess er daher Livland im Anfang des folgenden Jahres, «zur Betrübnis der Livländer»
Zum ersten Bischof von König den Gnesen),
reichen und glaubenstreuen
war
Laufe des Jahres 1583
ereilte,
Zu
hatte.
2.
so sagt er
Wenden
selbst. ernannte der
Abt von Trzemes (Erzdiöcese
Alexander Mielinski».
liche Confirmation und
—
Derselbe erhielt die päpst-
bereits consecrirt, als ihn der
Tod im
noch ehe er seine Diöcese betreten
seinem Nachfolger
wurde Patritius Nidecki
designirt».
Antonio Possevino und sein *Livoniae Commentar ins Gregorio XIII». Possevino hielt sich noch volle vier Jahre nach dem Frieden
von Kiwero wa Gorka 1
1
in
Polen auf, ununterbrochen thätig für die
SalikowBki, «Comment. bret. rer. Polonic* u.
•
R. Heidenstein, «Ä«r. Volonte.
fälschlich «Plievinscius»
Collegii» in
genannt
Jkc.
131 und 148. X//», p. 210, wo
p.
libri
er aber
Die «Annaich des Rigischen Jesuitcrzu Riga nennen ihn (p. 115), ebenfalls Durch Nr. 186 im T. V. von Dogiel wird bewiesen, da«s wird.
der RitterBchaftsbibliothek
unrichtig, «Milacky».
obige Lesart die
allein richtige
1582 oder an diesem Tage
ist
erfolgt
und dass
die
Ernennung vor dem
3.
Die
ist.
Digitized by
Google
590
Die Gegenreformation
iu Livland.
Interessen der katholischen Kirche und seines
an Einfluss
ttfglich
zuuehmenden Ordens, bis ihn der Ordensgeneral Claudias Aquaviva nach dem Tode Bathorys abberief'. Mit regster Theiluahme verfolgte er in dieser Zeit die Geschicke seiner Glaubens- und Ordens-
brüder iu Livland und war, so
ihm Gelegenheit
viel sich
bot, stets
Kaum
bemüht, ihre Bestrebungen bei König und Papst zu fördern.
war der Abt von Trzemes er ihn in einem Schreiben»
zitn Bischof von Livland
vom
ernannt, als
22. Dec. 1582 in väterlich salbungs-
vollem Tone ermahnte, die Exercitia spiritualia vorzunehmen, damit er sich in rechter Weise
für
schweres
sein
Amt
vorbereite.
Er
weist in diesem Mahnschreiben besonders darauf hin, wie schwierig
Wenden haben werde, da er in ein welchem vier Sprachen gesprochen würden und sich ausser einigen wenigen Jesuiten in Riga und einigen Alumnen der Societät Jesu keine anderen katholischen Geistlichen befänden, die der schwierigen Aufgabe gewachsen wären. Der General habe Mielinski es als Bischof von
Land komme,
in
ihm zwar 12 andere Patres nach Livland zu bringen aufgetragen, wären schon da, andere erwarte er noch; aber was habe
einige
das unter so vielen Völkern zu bedeuten? Er land ein
eigenes Seminar
Livländer
in
gründen
oder
möge daher
wenigstens
das Colleg zu Wilno schicken.
Er
für Liv-
Anzahl
eine
ihm
zählt
eine
ganze Reihe von Büchern auf, die er mitzunehmen habe, vorzüglich solche, in denen die Häresie gründlich
bekämpft werde; und dürfe
er seine Wirksamkeit nicht auf die Livländer beschränken, sondern
Dass dem Cardinal von Como die Sache des wendenschen Bisthums dringend ans Herz gelegt habe, war im Eingange des Briefes erwähnt worden. Am Schluss theilt er mit, dass er zur Zeit mit der Abfassung eines Commentars über
er habe sie auch auf die benachbarten Russen auszudehueu. er
auf Bitten
von Mielinskis Netten
Livlaud beschäftigt
sei,
den er noch auf seiner gegenwärtigen Reise
zu vollenden hoffe und ihm dann übersenden wolle,
vorausgesetzt,
dass ihm damit gedient wäre.
Dieser *Livoniac Commentarius Gregorio XIII» wurde jedoch erst
am
30.
März 1583 zu Bartfa»
die Rathschläge, ertheilt, für
Ungarn
vollendet.
Bieten auch
den mit den jesuitischen Praktiken im Gegen reformations-
1
Zediere Lexikon,
1
Possev. Liv. Comm., p.
•
in
welche Possevino darin dem Papste Gregor XIII.
p.
1778.
30— 34.
leb greife
Partita» von Posnevino genannt.
vorzüglichen Ausgabe des L. C.
'forte
mir das Wichtigst*' heraus.
Dr. C. E. Napieraky
nagt
in
seiner
Bartfa».
Digitized by
Google
Die Gegen reformntion vertrauten Geschichtskenner
Zeitalter sie
doch einerseits einen Einblick
in
591
in Livland.
nichts Neues,
so
gewähren
und umfassenden
den Geist
Gesichtskreis des fesselnden Mannes und enthalten andererseits manche Thatsachen, von denen wir sonst keine Kenntnis besässen. Der Hauptzweck des M e m o i r e s ist darauf gerichtet, den Papst von der Bedeutsamkeit gegen reformatorischen Wirkens in den Baltenlanden zu überzeugen und dementsprechend zu energischer ßethätigung seiner Machtmittel zu bewegen. Ich gebe daher wenigstens den Inhalt des Theiles der Denkschrift wieder, der die Mittel und
Wege
zum gewünschten
bezeichnet, welche
Ziele führen.
Wiedergewinnung Livlands
Sei auch schon vieles bis jetzt zur
geschehen, so dürfe doch keineswegs nach
irgend
einer Seite
hin
Lässigkeit des Wirkens eintreten, wenn nicht alles wieder in Frage
von dem Lande abwenden
werden und Gott seine Gnade
gestellt
Hierbei empfiehlt der apostolische Vicar sich namentlich der
solle.
Bauern anzunehmen, von denen der cSame der alten Frömmigkeit fester als von den Adligen bewahrt worden wäre, die sich durch die
—
Wie leicht aber könnte nach Umschwung zu Ungunsten der Katholiken
Kirchengüter bereichert hätten.
dem Tode des Königs
ein
Tumulte
eintreten durch Einfall von Russland her oder auch durch
der Ketzer, die mit nichten
Augen haben, wo schnell zum Nachtheil
Beispiel Englands vor
Tode Marias,
so
geändert habe,
eben
weil es
Vorkehrungen
durch
Man möge
eingeschlafen seien.
passende
sich
auch
alles,
das
nach dem
des katholischen Glaubens
verabsäumt worden
sei,
Personen, Bücher &c.
rechtzeitige
zu
treffen.
Unbeugsamen Sinnes habe man weder Menschen noch Geldmittel Am zu sparen und keine Mühe zu scheuen, wenn es nöthig sei. besten freilich wäre es, wenn Se. Heiligkeit der Papst selbst hierherkäme und um des Glaubens willen selbst Blutvergiessen nicht scheute.
Da
das aber nicht geschehen könne, so möchte Se. Heilig-
keit wenigstens allen möglichen Eifer auf diese Provinz verwenden, cdie durch ein besonderes
seiner Sorge gehört »' die Stelle ich
—
«
zu Gott,
oder exclusive zu verstehen
in-
«Der Kanzler gab ihnen,»
sei.
Munde
zählt Lorenz Müller, «mit lachendem
König kein Mistrauen setzen
sollten in den
sondern
nicht allein dies dubium,
ganz gnädigst
wenden
ob
es würd' Se. Majestät
;
auch derer mehr hätten,
sie
sich
damit
flösste
ihnen
Die Livländer aber gaben
»
Das sarmatische Lächeln Zamoiskis
nicht zufrieden.
er-
gut' Vertröstung, sie
kein Vertrauen ein, sie erhoben vielmehr gegen diesen «Abscheid»
Protest
und
Hause.
Ein kleines Häuflein aber
zogen
nach und erwirkte
für
sich
Herzen»
betrübtem
grösstentheils «mit reiste
nach
dem Känig nach Krakau
theure «Schreibergebühren» und Ge-
schenke an Zamoiski und den Grosssecretär ßaranowski neue Be-
lehnungen mit Gütern,
welche sich jedoch
hernach als werthlose
«Sandhügel» herausstellten oder aber auch
schon
geben waren, vermuthlich durch die ersten commissionen,
die
ihre
Arbeit
im
an
andere ver-
polnischeu Revisions-
Maimonat 1582
nach
(gleich
des Königs Abreise aus Riga) begannen
und auf das Aaplateau beschränkten». Sie hätten, wie Lord Strafford zwei Menschenalter später, sagen können: «Verlasset Euch nicht auf Fürsten und Menschenkinder, denn bei ihnen
ist
Es begannen
kein Heil.*
die ersten livländischen Emigrationen: die Familie Ducker,
einige,
wie
zu Schweden nach Estland, wo sie bald von Johann III. mit Gütern versehen wurden, «uugeachtet sie nicht demselben, sondern zogen
in die Niederlande»,
audere gingen
den
den Polen gedienet»*. '
Ausgabe 1
cf.
v. cf.
theilungcn, p.
L. Müller, S. H.
\i.
4t
44 und (Miytraens
R. Hausmanns «Archivstudien zur p.
116
u.
117.
—
livl.
Dr. Th. Schicmann
113 giebt an, da«« die eben erwähnten Bittsteller
Das
ist ein
von 1593
p.
715
(in
der
1597, Th. II. p. 428). (ieseh.» in
im XII. B. der Mit
«Histor. D. u. arch
dem König ans Riga
St,
folgten.
Trrthnm.
'
Nyenstaedt« Livl. Chr. {Monum. Liv. ant. B.
4
L. Müllers Sept. H.
Uexküll und Dönhoff
als
p.
46,
nach
Emigranten.
ihm
Hiärn.
II, p. 87).
Müller nennt auch
die
Die Gegenreformation
Als nun
in
Livland.
(303
bedeutsame Landtag zusammengetreten war, da
«1er
gab der Statthalter Georg Radziwill den versammelten Ständen die
Erklärung
er
ab',
Majestät berufen,
Landtag auf Befehl
habe diesen
um
ihnen
sich mit
Sr. Königl-
über verschiedene Dinge zu
berathen.
Wie
Warschau König den Livländern freie Ausübung der augsburgischen Confession zugestanden, wogegen er, wenn er auch nicht er aus der ihm übersandten «Capitulation> von
ersehe, habe der
im
Stande
diese
sei,
königliche
protestiren müsse.
Im Namen
umzuändern,
Erlaubnis
Amtes und Gewissens» wegen
«Standes,
seines
auf einen Reichstag
bis
der Kgl. Maj. habe er den Ständen
mitzutheilen, dass die Verlehnungen und Schenkungen des Administrators Johannes Chodkiewicz
von Stephan Bathary
nicht
aner-
wenn sie nicht vom König Sigismund II. August bestätigt seien. Dagegen wolle die Kgl. Maj. alle auf die Herrmeister und Erzbischöfe zurückgehenden Besitztitel «bis auf werden
kannt
würden,
Mar kgraf Wilhelm^,
jedoch
«exclusive»,
Ferner wünsche die Kgl. Maj., dass der
Allel der
zahl der festen Schlösser iu Livland schleifen lasse,
müsse, wie nachtheilig diese Burgen im Kriege
gewesen
seien,
indem sich der Feind
ihrer
hierdurch die Wiedergewinnung des Landes
gelten lassen.
Provinz die Mehr-
da er wissen
gegen die Russen
bald
bemächtigt
und
sehr erschwert hätte.
Der König gedenke mit einigen Schlössern selbst den Anfang zu Im Ausgang seiner Rede brachte er des Königs Absicht, vor, zur Prüfung der Besitztitel der gegenwärtigen Gutsbesitzer des Landes Revisionscommissiouen zu ernennen. machen.
Bis auf diesen letzten Punkt, dem
man
die Billigkeit nicht
versagen kann, sind diese königlichen Forderungen von Anfang bis zu Eade Vergewaltigungen gleicht sie mit
der
Man
allerschlimmsteu Art
Fug und Recht mit den schwedischen
ver-
Reductionen.
Schon die Erklärung Radziwills, dass er gegen die vom König gewährte Freiheit der augsburgischen Confession Protest, erheben
Verhöhnung der Rechte des Landes. Da wenn mit dem Bescheid, dass die Güter Verleihungen des letzten Erzbischofs und des Statthalters Chodkiewicz null und nichtig sein sollten, vielleicht mehr müsse,
war
ist
eine schreiende
es denn kein grosser Schritt mehr,
als die
Hälfte des livländischen Adels von der Liste der Besitzer
gestrichen wurde; denn in der laugen Reihe schwerer Kriegsjahre 1
leb
folge
dem L Müller
in «einen Sept. Hist.., p.
bat «ich in seiner Reproduktion nur
45— 49
u.
ff.
Hiiim
ganz geringfügige Armierungen erlaubt.
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Die Gegenreformation
G04
in
Livland.
hatten die meisten ihre Briefladen eingebüsst, ihre herrmeisterlichen
und erzbischöflichen Lehnbriefe verloren.
Unser Gewährsmann berichtet uns
w
königlichen Weisungen angehört,
e
i
nicht,
wie
—
sie
die
Stände die
geschwiegen haben.
Eine rechte Herzenserquickung aber bereitet uns heute, nach
mehr sie
Form
der
Sie ist zu bekannt,
Man
Wiedergabe nöthig erschiene. Hier
sei
im Fall
dass
sie
aber im wissen
Reichstag verschoben
einen
eine eingehende
im Otto Müller!
der Documente
des Verlorengegangenseins
auf
dass
die
von Rechts-
mit
der vorzu-
für einverstanden erklären, vorausgesetzt, dass
Zeugen Beweiskraft habe;
alles
als
lese sie
sich die Stände
nur bemerkt, dass
nehmenden Revision drei
aber durchdrungen
einer Petition,
gefühl, einbringen.
Antwort,
die Leetüre ihrer schriftlichen
300 Jahren,
als
in
von
der Eid
übrigen wieder
wollen.
Einen
Abschnitt der ständischen Entgegnungen müssen wir aber wörtlich in unseren
Text aufnehmen, weil
er,
die
Antwort auf den Radziwill-
schen Protest, einen unumstösslichen Beweis dafür abgiebt, dass der
lutherisch« Glaube
damals das ausschliessliche Bekenntnis
war und dass der livländische Adel vor 300 Jahren, auch gegen die Begründung eines Bisthums in Wenden
aller Livländer
mochte er
nicht mit voller Entschiedenheit aufgetreten sein, in
ihm
die Pfahl-
Der
wurzel seiner menschlichen und politischen Existenz erblickte. Abschnitt
leitet
cDass
das Antwortschreiben ein und lautet»
die königl. Majestät sich
die Augsburgisehe Confession
und zu schützen, nähmen
sie
:
nochmals gnädigst erklärteu,
der Proviuz Livland
in
zuzulassen
mit unterthänigste(r) Danksagung an
und zweifelten auch nicht, Gott der Allmächtige würde
dem
König desto mehr segnen.
der Herr
Cardinal wollte seinen Eifer,
Aber dagegen bäten den
darwider geschöpft, gnädig fallen
Gnaden nur Ihrer Königl. Maj. und
derselben
kein
in
er
sie,
(sie)
angezogenen Amtes halben
lassen.
Sintemal Se. Fürstliche
denselben Landen Locumtcntns
Erbherr noc(h)
Patronus Eccksiarum
wäre.
Da doch
die augsb. Conlessionhiebevor bei ihrer Erbherren und bei der Herr - Meister Zeit über Menschengedenken derer Örter bei Jung und Alt
dermassen, Gott Lob, eingepflanzt und eingewurzelt, dass niemand von einer anderen Religion oder Bekenntnis wüsste.» '
L. Müller,
p.
47
u.
48.
Digitizec
Die Gegenreformation
Der Statthalter versuchte
606
in Livland.
Einwendungen
die
der Stände zu
widerlegen, konnte aber dagegen nichts vorbringen, dass diese schrift-
Antwoit durch Boten werden sollte. Bald nach Schluss commissionen
Livländer dem König
der
liche
Landtages
des
begannen
in allen drei Präsidiaten ihre
Die
fort.
Leitung
oberste
hatte
die Revisions-
Arbeit und setzten
Rechtsbruch an Rechtsbruch knüpfend, auch weiter
übersandt
iu
sie,
den nächsten Jahren
der
Starost
Stanislaus
und seine Gehilfen waren der königliche Fiscal Bal-
Pekoslawski,
thasar Schnell und der Secretär Georg Radziwills, jener bekannte
Humanist Daniel Hermann aus Danzig, der in Riga seine zweite Heimat fand und nachdem er, des Staatsdienstes überdrüssig, seinen Abschied genommen hatte, ganz seinen dichterischen Neigungen 1
nachging,
«um Gottes
der König
möge doch
willen sein Fürhaben mit Cassirung ihrer alten Brief(e)
und Siegel(n) einstellen und ihr väterlich
Erbe
bewegen;
in
Ungeachtet der Verwendung mehrerer jedoch Bathory
sich
Revisionscommissioneu
die
wiederum
die arme(n) Verjagte(n)
restitu>ren>.
evangelischen Fürsten Hess giebigkeit
der Stände,
Eine Gesandt-
den König in Wilno
im Jahre 1584
Namen
auf und pctitionirte im
—
unter Unglücklichen.
ein Glücklicher
schaft der Livländer suchte
zu keiner Nachverrichteten
ihr
Todtengräberwerk unverdrossen weiter 1 Wie konnte man auch von einem König, dessen energische Natur auf den einmal einge.
schlagenen Pfaden unbeirrt weiter zu schreiten pflegte, eine
erwarten?
Die
an
erlassene Instruction machte es diesem zur Hauptaufgabe,
katholische Kirchen zu gründen
Leuten auszustatten»-; da Erfolges
sich
Umkehr
obersten Revisionscommissar Pekoslawski
den
und
sie
fällt es nicht
der livländische Adel
in genügender Zahl vorhanden, noch vermochten die vorhandenen, des relativ hohen Schulgeldes wegen, eine genügend grosse Anzahl Schüler heranzuziehen ja nicht einmal
solche
;
in allen jenen sog. Mittelschulen entsprach der Lehrplan ihrer eigent-
lichen
Zweckbestimmung, indem
die meisten unter ihnen
mehr den
Charakter von Vorbereitungsklassen fürs Gymnasium an sich trugen. Dies waren u. a. die hauptsächlichsten Ergebnisse der Enquete
vom Jahre
1883, Ergebnisse,
die einst
dem verdienten
Statistiker
so viel unverdiente Misgunst eintrugen.
Doch genug des
Tadels.
Die Zeiten, auf welche
sich
der-
Gegenwart für Irrthümer und Fehler der Vergangenheit verantwortlich machen? selbe
bezieht, sind
vorüber,
und wer
wollte
die
42*
>*
I
i'*'-
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Rigas Schulwesen im Jahre 1888.
614
Sehen wir von der Vergangenheit ab und Blick auf die
Gegenwart. Man
hört
werfen wir einen
nicht
selten
den Vor-
nachdem der Mangel an städtischen Elementarschulen erkannt worden, zu wenig solcher Schulen. Die Frage, ob zu wenig oder genügend städtische Elementarschulen vorhanden, kann m. E. doch nur darnach beantwortet werden, ob die Frequenz wurf,
gäbe,
es
der vorhandenen städtischen Schulen wächst, ob eine Ueberfüllung derselben einzutreten droht oder nicht.
liegenden Materials wurden
Auf Grund
des
uns vor-
städtischen Elementarschulen be-
die
sucht von
Anfang 1888 Ende 1888 Hier sehen wir die
;
692
1514
769 Frequenz
zusammen 2273 2283.
—
Mädchen
bei den
die
sind aber gegenwärtig noch lange nicht
Frequenz der Knabenelementarschulen dagegen
keineswegs, sondern
Es
Mädchen
1581
ein Steigen der
Mädchenelementarschulen tiberfüllt
Knaben
steigt
fällt.
ja selbstverständlich, dass, wollte die Stadt Riga ihre
ist
der Zudrang ein
Schulen in vollständige Freischulen verwandeln,
enormer werden würde.
Einen solchen Idealzustand
im Einste niemand verlangen.
Auch
ist
wird jedoch
das Schulgeld
in
den
rigaer Elementarschulen keineswegs ausnehmend hoch, und ist zu-
dem
die
Zahl der
sei
es totalen oder partiellen Freischüler daselbst
eine keineswegs geringe.
Weit grösser
als
nach öffentlichen Elementarschulen
scheint
uns im Augenblicke das Bedürfnis nach Privatelementarschulen zu Seit 1883 sind allein dreizehn private Elementarschulen in Riga entstanden, und wie gross der Zudrang zu ihnen ist, ersieht
sein.
man
daraus,
dass
1.
bereits
neuen Privat467 Kinder, am 531 Kinder betrug.
scheint uns daher die
Gründung weiterer
Schülerbestand
der
am Anfang
elementarschulen
Januar des folgenden Jahres dagegen
Der gegenwärtige Moment öffentlicher
13
wo doch dem Bedürfnisse mit Erfolg Rechnung trägt.
Elementarschulen
Privatinitiative
dieser
des Jahres 1888:
nicht
zu
erheischen,
Ein seltsames Zeichen der Verhältnisse
ist es,
die
dass die Frequenz
der öffentlichen Elementarschulen sich nahezu gleich bleibt, während ein Steigen der
Frequenz bei privaten Lehranstalten zu Tage tritt, das Schulgeld geringer sein kann, als in
wo doch unmöglich
den öffentlichen Schulen.
Uud
sonst?
Wie
steht es
mit jenen Lehranstalten, welche,
615
Rigas Schulwesen im Jahre 1888. zwischen Elementarschule und Gymnasium stehend, f
Gymnasium»? Ganz wie
Wie
haben?
bezeichnet
Mittelschulen»
Was
wir
dem
mit
«
oben
als
Drang zum
Mädchenschulen an1883 Überhaupt nicht eingetreten; indessen unter den Knabenschulen (II. Ordnung) gewahren wir allerdings eine ganze Reihe von Neugründungen so
langt,
seit
zuvor.
1883 sind solcher Schulen allein
kaum
eine, die
dem Charakter
genannt) entspräche weiterter
;
anstalten fürs
Gymnasium.
theils fünf klassige, theils
6,
allen giebt es
einer Kreisschule (jetzt Stadtschule
tragen
alle
sie
Elementarschulen
seit
Aber unter ihnen
Leben getreten.
dreiklassige, ins
die
die emittieren»
wesentliche Veränderungen
sind
oder
entweder das Gepräge
von
dasjenige
Noch heute
er-
Vorbereitungs-
Mängel vorhanden,
sind die
vor fünf Jahren Jung-Stilling nachgewiesen und beklagt
Wer
Der «Drang nach oben» besteht nach wie vor. sich mit einer, wenn auch nicht weitgehenden,
hat.
denkt daran,
so doch
dem Lehr-
plane nach abgerundeten Bildung zu begnügen? Die Vergünstigung,
welche die Wehrpflichtgesetzgebung demjenigen der ein
Gymnasium oder gar
die
Palme,
die
Losung auch
der Jüngling
die
in
eine Hochschule
zu
für die Eltern,
Aussicht
stellt,
absolvirt hat, ist
erhaschen
sucht.
welche sich
aber
«Hinauf»
ist
nur selten ge-
nügende Rechenschaft darüber geben, weder ob die Begabung ihres Kindes, noch ob die Mittel zu seiner Ausbildung ausreichen werden, ans hohe Ziel zu gelangen.
Hat
nicht auch die Regierung,
ausgehend, vor 2 Jahren
sprechende Verordnungen doch will
es,
anschaulichen rigaer.
wie
uns
diesen in
Schranken
scheint,
analogen Anschauungen
von
«Drang nicht
nach zu
oben» durch
halten
Wir
anders werden.
zum Belege nachstehend den Schülerabgang aus den Im Laufe von 1888 verliesseu: nach Absolvirung
des Cursus
des Cursus
Gouv.-Gymnasium
98
26
«
Alex.-
66
.16
dem
gedulden
Jahrhunderte thun!). Verf.,
Bd. XII, Col. 68
ob
—
obige
Deutung
(er musste
«Doch darin» richtig
heisst «vereflncn» uo viel
Ist
In
wie «zu
Schanden machen».
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670
Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.
— schliesst Clodt
—
seinen Brief
«steht alles in Gottes
auch mitten im Tode erretten
die Seinen
kann,
der
Hand, der
auch allein
Tyrannen Hochmuth stürzen kann > Wieder kommen wir zu einem Zeitabschnitte in Clodts Leben, von dem wir, was seine politische Wirksamkeit betrifft, wenig wissen. Die Chronisten Salomon Henning» und Arndt 5 melden uns, dass Clodt im Jahre 1568 nach Stockholm gereist sei, um dem Könige Johann III. zu seiner Thronbesteigung zu gratuliren. Dass er diese Mission im Namen des Königs von Polen übernommen und ausgeführt hät, bemerkt Henning ausdrücklich. Wenn aber Arndt hinzufügt, Clodt sei bis in den Sommer 15 7 0 dort geblieben, so haben wir dem keinen Glauben zu schenken. Denn war Clodt, wie wir schon gesehen haben, bei den Schweden unbeliebt, ja seinerzeit geradezu verhasst, so lässt sich, wenn ihm auch als Realler
präsentanten eines mächtigen Herrschers in der schwedischen Hauptstadt keinerlei Gefahr
doch
drohte,
seinen Aufenthalt in Stockholm tion hinaus unnöthig auf
zusehen,
wie
wichtigsten
Lebensaufgaben
Friedens,
Dieser Abschluss
ihm
Jahr verlängert, noch ist es einkönnen, da ihn eine seiner
ein
sein
der
,
annehmen, Clodt habe
Abschluss
des
Stettiner
wieder nach Hause rufen musste. ist
Action Clodts gewesen. satz, der
etwa
das habe möglich
nicht
über die kurze Zeit der Gratula-
seit
die
letzte bedeutende staatsmannische
Sie besiegelte seinen politischen Glaubens-
Untergang des Ordens
stets
vorgeschwebt hatte,
und DäneHansa die beste Gewähr gegen das VorDer Stettiner Friede vom 13. December
dass in einer Tripelalliance zwischen Polen, Schweden
mark mit Einschluss
der
dringen Russlands liege.
1570 beendigte bekanntlich den sog. «gothischen» Krieg zwischen Schweden, Dänemark und der Hansa. In Livlands Geschicke griff er dadurch ein, dass er die Ansprüche Dänemarks resp. des Herzogs Magnus auf Oesel, die Wiek und Reval regelte. Das heilige römische Reich spielte dabei mittlers,
die
etwas klägliche Rolle eines Ver-
der alles aufgiebt und nur den Schein zu wahren sucht.
Dieser Schein sollte in einem schattenhaften Vorbehalte des domi-
nium directum an den vom Reiche losgelösten Laudestheilen seinen Ausdruck finden. Polen war als üferstaat an der Ostsee und Frankreich
nur
als schifffahrende
Nation
dabei
interessirt.
Der
Vertrag selbst in der Ratificationsform, die er einerseits zwischen Schweden und der Hansa am 16. Januar und 24. Februar 1571 in 1
Salomon Uemriug,
a. a.
O. S. 255.
—
»
Arndt,
a. a.
0. S. 212 Anmerk. k.
Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.
671
Lübeck, andererseits zwischen Dänemark und Schweden gefunden, abgedruckt worden so bei Rydberg, Marquard und
ist wiederholt
im Archiv
;
für
Geschichte Liv-, Est- und
die
Clodt
Kurlands«.
war, wie aus dem Abdrucke in Marquard hervorgeht, neben Johannes Demetrius Solikowski als Rath und Stephan Letz als zweiter
Commissar des Königs von Polen.
Secretär,
Friedensvertrag mit unterschrieben
Dass er den
erfahren wir,
hat,
bez.
schon
wie
oben erwähnt, aus Arndt. So umständlich auch das Verhalten der dänischen, schwedischen und lübischen Vertreter bei den Friedensverhandlungen in den Verträgen selbst angegeben ist, so wenig ergeben
wie sich die polnischen Commissare, unter ihnen also
sie,
Clodt, zu den einzelnen Fragen verhalten haben.
Vielleicht findet
sich in polnischen Archiven etwas Genaueres darüber.
Auch
bei diesen Friedensverhandlungen gedachte Clodt seiner
Dafür spricht das letzte Schreiben an den revaler Rath, das uns im hiesigen Stadtarchive von seiner Hand aufbewahrt wird. Es ist vom 2 9. M ä r z 1571 aus Jürgensburg datirt. Er beglückwünscht im Eingange desselben den Rath zu der heldenmütliigen Verteidigung Revals gegen die Russen (erste Belagerung von 1570 und 1571) So habe Gott, fügt er hinzu, auch Jerusalem errettet. Er bittet, der Rath möchte dafür Sorge tragen, dass der Jugend diese mannhafte That zum ßewnsstsein gebracht und das Andenken an sie für alle Zeit gewahrt werde. Ferner benachrichtigt er den Rath davon, wie er bei den stettiner Verhandlungen es erreicht habe, dass die Narvafahrt für die Zukuuft aufhöre. Doch wolle er bei der am 2 4. a i in Rostock stattfindenden Zusammenkunft mit Vertretern der Hansa diese AngelegenVaterstadt und ihrer Interessen.
M
heit
noch
weiter
besprechen.
polnischen Gesandten
mit
Zu Johannis
Baptistae sollten die
auch
zusammentreffen;
den dänischen
Er getröstet sich dessen, dass durch alle diese Schritte und Bemühungen Revals Handel und Schifffahrt wesentlich aufgeholfeu werden würde sonst würde aus dem Rosengarten ein Trauerberg. Auch der Befestigungen Revals gedenkt er; man möge doch die grosse Strandpforte und
dann werde er
die Narvafahrt zur
Sprache bringen.
;
das Rundel bei derselben wieder in tüchtigen baulichen Stand setzen
dann
sei der
so leicht aus '
Ort und Hafen bewahrt. Das Material dazu dem Kalkofen beim Steinberge zu holen.
Rydberg, Sverges Tractater, Bd. 4 S. 380
torum, S. 263 Kurland».
ff.
Georg
v.
Brevem, Archiv für
ff.
die
sei
doch
Marquard, De jure mercaGeschichte Liv-, Est und
Bd. VII, S. 272-287.
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672
Jost Clodt als Staatsmaun und Diplomat.
Das letzte Schreiben Clodts an den revaler Rath ist aus Riga vom 6. Juni 1571 datirt. In diesem kündigt er die Ankunft des cachtbareu, hochgelehrten und ehrenfesten > Dr. Jona Offenburger in Reval an. Der sei von der kaiserlichen römischen Maj. aus t väterlicher 8orge> als Vorbote einer grösseren Gesandt1
Man möge
schaft zunächst nach Polen geschickt worden.
doch iu
Reval für ein gutes «LosemenU für den gelehrten Herrn sorgen. Man würde es nicht zu bedauern haben, da auch er, Offenburger, später
wo
nach Rostock zu geheu beabsichtige, stützung
den Verhandlungen
bei
seine Unter-
Clodt,
er,
den Vertretern
mit
der
Hansa
uöthig haben werde.
ßald darauf endigte Clodts staatsmännische und diplomatische
Er
Wirksamkeit mit seinem Leben.
Arndt
im Jahre
berichtet,
kennen wir.
den Todestag
5 7
1
Da
wie uns der Chronist
starb,
Weder das Geburtsjahr noch
2.
aber
er
im Jahre 1558 als Ver-
Revals an dem Wolmaer Landtage theilnahm und,
treter
aus einem dem revaler Stadtarchive
wie wir
angehörigeu Briefe eines Dr.
Johannes Funck ersehen, im Jahre 1552 Syndicus war, so anzunehmen, dass
er,
damals ein Dreissiger,
durchschnittliche Mittagshöhe
Tod
in
Riga und
geworden
alt
ist
ist
Tode
wol die
Menschenlebens überschritten
eines
und etwa mehr als fünfzig Jahre erfolgte sein
bei seinem
er auch
Nach Arndt
ist.
in dortiger
Domkirche
begraben worden.
Ein Grab- oder Gedenkstein, der uns Kuude von seiner letzten Ruhestätte geben könnte,
—
daher vorläufig
d. h.
existirt
nicht
Gegenteiliges nicht erwiesen
ist
Setzen
mehr».
wir ihm
Forschungen etwas
so lange durch neuere
— einen solchen mit der einfachen
Inschrift:
«Er war ein deutscher Mann!» 1
den
Russow
(in
Juni 1571
14. 1
Wie
wir
Pabbts Ausgabe S. 181) nonut ihn Offenbürger und bezeichnet als
den Tag seiner Ankuut't
einer
uns
Jost Clodt, der
am
4.
iu
von dem Herrn C.
Theil gewordenen Mittheilung entnehmen,
September 1621
als
ist
Reval. v.
Löwin of Menar gütigst zu gleichnamigen
ein Leichensteiu des
schwedischer Oberst vor Riga gefalleu,
aus der rigaer Domkirche nach Jürgeusburg gebnvht worden, wo er sich augenEine weitere i'reuudliche Mittheiluug des Herrn livläudiblicklich befindet.
—
schen
Ritterschaftssecretars
Baron liruiningk bezeichnet
Kirchenbücher der rigaschen Domkirchc, beine
des
seines
worden
in
dieser
gleichnamigen sind.
begrabenen Jost Enkels nach
als
Clodt
es
,
auf Grund
der
höchst wahrscheinlich, dass die (Je
zugleich
Jürgensburg
mit
gebracht
dem Leichensteine und dort begraben
Jost Clodt als Staatsmann und Diplomat.
Das auf
S.
673
640 erwähnte Gedicht lautet Epicedion.
Livoniam patriam vastae dum barbarus Moschus et hic regni sollicitamus spem, Cum soeiis funetum leyati munere rebus
Jam
benc confectis
Officium
Cum
meum
me
hostis
fera Parca rapit.
prosit tibi patria,
patre grandaevo tu
mea
Conjux
casta vale
Et tibi sint curae socialis pignora lecti! Dormio de Tiesenhaus hic Fabianus ego. Dazu die in der betr. Quelle befindliche freie Uebersetzung: Der unmilde Reusse mein Vaterland Verheert mit Nahm», Raub und Brand. Dasselbe zu retten schickt
Und meine
man mich
Gesellen an dieses Reich.
Da
wir verrichtet, was uns geziemt, Nach Gottes Willeu der Tod mich nimmt,
Gott gebe, dass dieser erhaltene Schutz
Meinem Vaterlande gerathe zu Nutz. Mein frommes Weib und Vater alt, Der liebe Gott euch aus Gnade erhalt. Meine nachgelassenen Kindlein klein Lass ich euch zum Resten befohlen
Von Tiesenhausen
ich
seiu.
Fabian
Schlaf hier und werde wiederum aufstan.
Vorstehendes «Leichenlied» (Epicedion) hat
in seiner
einzigen
Aufzeichnung iu dem Conceptprotokolle des revaler Raths der Jahre 1558 und 1559 die Ueberschrift: Es redet Fabian v. Tiesenhausen der Jüngere, estländisclier Edelmann, gestorben
und
iu
Kopenhagen Anno 1558 den
5.
September,
die Unterschrift
Septembris horam inter quintam
Obiit
Der jüngere
et
sextam.
hiess unser Tiesenhausen, weil sein Vater, welcher
1557 Ritterschaftshauptmann war und mit seinem Sohn
Vornamen
hatte,
noch
am Leben
Ueber die Entstehung
des
steigen billig einige Zweifel auf.
1
«Nahm»
weil gleich
denselben
war, sein Sohn starb. Gedichts
Wann
und
ist es
seinen Verfasser verfasst
und wer
«Diebstahl, vou «nehmen».
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Jost Clodt als Staatsmami und Diplomat.
674 ist
der Verfasser?
und
wie
es
ist
revalschen Raths gekommen, muss nicht Abgesandter der Stadt, ist
ja
kaum anzunehmen,
gerade
man
in
das Protokoll des
sich fragen,
sondern
da Tiesenhausen
der Ritterschaft
Es
war.
dass Tiesenhausen im Vorgefühl seines
herannahenden Todes sich selbst ein Leichenlied gesungen habe. Auch spricht die am Schlüsse angegebene Todesstunde für einen
Da
anderen Verfasser.
möchte die Vermuthuug Pabsts
auf einem Blättchen mit ßleistift
notirt,
handschriftlichen Aufzeichnungen Pabsts
schen Ritterschaft
befindet
—
es
—
sie steht
das sich mitsammt anderen
im Besitze
habe sich
der estlandi-
Freund des in dessen Gedanken und ein
Kopenhagen Verstorbenen und Begrabenen in Stimmung kurz vor seinem Tode versetzt und aus ihnen heraus den Grabgesang angestimmt, wol viel für sich haben. Ja, diese Vermuthung erhebt sich fast zur Höhe der Gewissheit, wenn man die Thatsache,
dass
das
Gedicht
sich
in
einem Rathsprotokolle
dem Umstände in Verbindung bringt, dass niemand anders der drei nach Dänemark Abgesandten, nachdem auch Wettberg gestorben, Tiesenhausen so nahe gestanden haben kann wie Clodt. Der lateinischen Sprache auch in ihrer poetischen Bevorfindet mit
handlung mächtig, lag es ihm als Rathsbeamten nicht Concept des
Protokolls
zur
Aufzeichnung
des
fern,
das
zu
cEpicedion>
benutzen.
W. Greiffeubage
n.
DiqitizeC
-
V.
.
.
.
.
p
.
Ufr**'
v
»
*
7>
tu
Johannes Janssen über die Reformation.
schwankt
verwirrt,
—
Von
Wort:
£as Schillersche
Hass und Gunst
der Parteien
sein Charakterbild in der Geschichte
wird bis zu einem gewissen Grade auf die ßeurtheilung jeder
grossen Persönlichkeit anzuwenden sein, die entscheidend, anregend,
umgestaltend
auch nur
oder
zerstörend
in
den Gang der Welt-
Je gewaltiger sie gewirkt hat, um so werden Liebe und Hass, Verehrung und Verachtung be-
geschichte eingegriffen hat. eifriger
müht
sein,
das Bild dieser Persönlichkeit in ihrem Sinne geschicht-
lich festzulegen.
Urtheil
zu sein.
eine grössere
Am
wenigsten objectiv pflegt das zeitgenössische
Erst
Menge
späteren Zeit gelingt
einer
es,
nachdem
authentischen Materials der wissenschaftlichen
Verwerthung zugänglich gemacht worden und die persönliche Theilnahme dem Bedürfnis nach Erforschung der reinen Wahrheit Platz gemacht hat, die Personen und Ereignisse der Vergangenheit in annähernd richtigem Lichte zu sehen. So ist es der geschichtlichen Forschung gelungen, über eine ganze Reihe bedeutsamer Männer der
Vergangenheit
zu
schliessenden Urtheil zu
Alexander der Friedrich II. sind
einem
Grosse,
Karl
schaft
der
Grosse
solche Persönlichkeiten,
Wirksamkeit und Bedeutung im der gebildeten
menschlichem
nach
Welt
Ermessen ab-
kommen.
existirt.
Man
,
Ludwig XIV.,
über deren Charakter,
wesentlichen nur ein Urtheil in
erkennt
und die durch diese erzeugte
leicht,
öffentliche
dass die Wissen-
Meinung da am
ehesten zu einstimmiger Beurtheilung gelangen werden,
um Fragen
handelt,
wo
es sich
welche für das praktische Leben der Gegen-
>y
Google
676
Johannes Janssen über die Reformation.
wart nicht mehr von so acutem Interesse giltige
Lösung
sind,
oder die ihre
Wo dagegen
bereits gefunden haben.
früherer Ereignisse noch unmittelbar in der
end-
Wirkungen
die
Gegenwart empfunden
werden, da sind auch heute noch die Meinungen schärfer gespalten, da werden unwillkürlich die lebhaften und sich bekämpfenden Ueber-
Zeugungen der gegenwärtigen Generation zum Massstabe Beurtheilung der Vergangenheit.
— Auf keinem Gebiet
für
die
des mensch-
Lebens wird das deutlicher zu Tage treten als auf dem ewig doch jedem Menschenkiude ewig neuen der Religion. Eben so wenig wie religiöse Meinungsverschiedenheiten je aus der Welt schwinden werden, eben so wenig wird sich die Welt je zu lichen
alten und
einem
gleichlautenden,
unumstösslichen Urtheil
Auspräguug der
die Männer
über
und Ereignisse verständigen können, welche für die
geschichtliche
religiösen Ideen im Gemeinschaftsleben der Menschen
von massgebendem Einflüsse gewesen
sind.
Die gewaltigsten Persönlichkeiten der Religionsgeschichte
von Christus selbst abgesehen,
Da
Luther.
zurückgeht,
ganzes Christenthum
unser so
werden die Differenzen
sind,
Paulus
und Martin auf Pauli Wirksamkeit
der Apostel
der Beurtheilung
in
des
Apostels innerhalb der christgläubigen Menschheit verhältnismässig
nur geringe sind
hier
und
Christliche
sein.
unchristliche Weltanschauung
die entgegengesetzten Pole
über Luther
:
ist
aber
die
katholische Christenheit selber in getrennte Confessionen aus einander
gegangen.
halb
Hier finden wir die gegensätzliche Beurtheilung inner-
Dass
der christlichen Weltanschauung.
die Reformations-
geschichte in katholischer Darstellung sich ganz anders ausnimmt, als wie wir sie kennen, ist ja wol selbstverständlich
wir uns nicht wundern
dürfen,
;
ebenso werden
wenn Luther den Katholiken
als
ein ruchloser Frevler erscheint, der die göttlich geordnete Einheit
der Kirche zerrissen und ihrer Autorität
legung der Bibel habe.
in
seine
menschliche Aus-
vermessener Selbstüberhebung entgegengesetzt
Trotzdem können wir von Luther getrost sagen,
Charakterbild in der
was von
Geschichte
feiudlicher Seite über ihn geschrieben
Geschichte, sondern
worden
das
Denn
nicht schwankt.
ist,
sein
das,
ist keine
aus Unwissenheit, Verblendung oder Bosheit
entsprungene Entstellung, beziehungsweise Fälschung ganz evidenter
Thatsachen und Verhältnisse. aller
Herzen
lebt,
Dass der Luther,
der geschichtlich wahre
ist,
wie
er in unser
daran können
wir
ruhig festhalten, ohne uns den Vorwurf einseitiger Parteigesinnung
machen zu müssen.
Denn, wenigstens
in
Deutschland,
hat es
nie
677
Johannes Janssen über die Reformation.
eine andere als eine auf protestantischem Boden erwachsene Wissen-
nur eine protestantische Geschichtswissenschaft, Was von Katholiken
schaft, also auch
Namen
die diesen
wirklich verdient, gegeben.
auf geschichtlichem Gebiete Achtungswerthes geleistet worden ist, rauss doch immer ein Kind protestantischen Geistes genannt werden, der
der Reformation auch auf die katholische Welt befruchtend
seit
gewirkt
Es
hat.
liegt
sie eine vorurteilslose,
Wer
an
die
verlassen.
Katholicismus
Luthers
ßeurtheilung
Schlechtigkeit seines bereits
im Wesen der
dass
katholischen Kirche,
unbefangene Forschung nicht gestatten kaun.
Thuns
Dieser
gegenüber
einem
mit
Zweifel
an
herantritt, hat den katholischen
der
Boden
scholastischen Wissenschaftlichkeit des
wir
haben
also
das
volle
Resultate der protestantischen Geschichtsforschung
gebenden für unsere Auffassung
in
Recht,
als
die
Anspruch zu nehmen.
die
mass-
Wissen-
Kenutnisnahme des gegnerischen Standpunktes von keinem grossen Werthe. Dagegen hat es für uns doch ein eigentümliches, ich möchte sagen praktisches Interesse,
schaftlich
ist
daher
die
zu wissen, wie sich die ärgsten Feinde der Reformation diese und ihren Urheber vorstellen.
Denn der
literarische
Kampf gegen
die
geschichtliehe Person Luthers ist nur eine Seite des heute mit er-
neuerter Heftigkeit wieder ausbrechenden Kampfes zwischen Katholicismus und Protestantismus.
Auf
die Person Luthers ist seit seinem Auftreten aller Schmutz Verleumdung und Lüge gehäuft worden, die der leidenschaftliche Hass seiner Gegner nur immer zu ersinnen vermocht
und
alle
haben.
Was
früher auf diesem Gebiete geleistet worden, soll jedoch
hier nicht weiter berührt werden. sich lediglich mit
auch
bedeutendsten
geschichte.
Die folgenden Zeilen beschäftigen
dem jüngsten und darum
für unsere Generation
Werk über die ReformationsWerk von Johannes Janssen:
ultramontanen
Es handelt
sich
um
das
Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgange des Mittelalters. Eine Besprechung dieses Buches kommt im Jahre 1889 etwas
spät,
und
vielleicht dürfte der
stand bis zu einem gewissen Grade antiquirt es bereits einige
Jahre her
rische
Fehde
sache
gegenüber,
in
zu nennen
Gegen-
sein,
da
sind, dass derselbe eine erbitterte litera-
Deutschland hervorrief. dass Janssens Buch
Dem in
aber steht die That-
weiten Kreisen unserer
Heimat nur vom Hörensagen bekannt oder völlig unbeist. Es kann das niemand wunder nehmen. Der Natur der Sache nach musste dieses Buch dort am meisten Auf-
baltischen
kannt geblieben
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678
Johannes Janssen über die Reformation.
wo
sehen und Aufregung hervorrufen,
auf engem
Räume neben
Protestantismus und Katholi-
einander wohnen
und sich den Boden gegenseitig streitig machen. Da musste die Geschichte des deutschen Volkes wie ein Signal zum Angriff wirken und den streitbaren Protestantismus zur Gegenwehr unter die Waffen rufen. Dies praktische Moment, der im täglichen Leben sich fühlbar machende Gegensatz zu der römisch-katholischen Kirche, fällt bei uns weg; darum konnte auch eine literarische Erscheinung, wie Janssens Werk, bei uns so wenig von sich reden machen. Dass cismus
aber die Bekanntschaft mit Janssen auch für uns von
Werth
sein
kann und dass wir mehr als ein blos wissenschaftliches Interesse an ihm nehmen dürfen und müssen, wird jedem am Schlüsse unserer Auseinandersetzungen einleuchten. Ausserdem hat Janssens Buch seine grosse Bedeutung für die Gegenwart noch keineswegs eingebüsst, wie die steigende Zahl seiner Auflagen beweist, deren bis jetzt zwölf erschienen sind.
Johannes Janssen lehrer seit
am
städtischen
ist
und Geschichts-
katholischer Priester
Gymnasium zu Frankfurt
langer Zeit schriftstellerisch thätig.
a.
Er
M.
ist bereits
Eine ganze Reihe
histori-
scher Arbeiten legt Zeugnis ab von seinem rastlosen Pleiss, seiner
grossen Gelehrsamkeit und seiner ultramontanen Gesinnung.
Von
seinem Hauptwerk: Geschichte des deutschen Volkes &c. erschien der
erste
Band 1877.
Ihm
andere gefolgt, jeder etwa
sind
im Laufe
500— 600
der
Zeit
noch
fünf
grosse Octavseiten stark; ein
siebenter Band, der bis in den dreissigj ährigen Krieg hineinreichen soll,
steht in Aussicht.
Buch allgemeines und
Sofort bei seinem Erscheinen erregte dieses
Es
berechtigtes Aufsehen.
ist
des deutschen Volkes im 15. und 16. Jahrhundert
ultramontaner Färbung.
Es
unterscheidet
sich
eine Geschichte iu
schwärzest-
aber dadurch von
Werken ähnlicher Art, dass es scheinbar ganz leidenschaftsund mit scheinbar grösster Objectivität geschrieben ist. Der Verfasser redet in diesem Buche fast nur in Citaten. Man wird nur wenige Sätze in demselben finden, welche frei von Anführungsallen los
So
zeichen sind.
lässt
Janssen scheinbar die Quellen selber reden,
verzichtet auf eigenes Urtheil.
ihm gefunden,
Werk
Der Erfolg des Buches war geradezu
Die katholische Presse
und Wissenschaft hatten in Hier war endlich einmal ein erschienen, streng wissenschaftlich, ohne Schimpfereien und
ungeheuer.
was
sie
brauchten.
grobe Ausfälle, strotzend von Gelehrsamkeit,
das geeignet schien,
dem berühmtesten Geschichtswerke über jene
Zeit,
der deutschen
679
Johaunes .Janssen über die Reformation.
Geschichte Rankes, jenem Kleinod deutsch-protestantischer Geschichtschreibung, die
Wage
zu halten.
gesetzt,
Buch
in
dieses
Alle Hebel wurden weiten Kreisen
möglichst
Bewegung
in
zu verbreiten,
und das Erstaunliche geschah: das umfangreiche, gelehrte Werk wurde in allen Kreisen der katholischen Bevölkerung Deutschlands gelesen. Schreiber dieser Zeilen machte selbst eine in Bezug auf die Verbreitung
Buches
des
höchst
dem Schlossberg zu Baden-Baden
Erfahrung.
belehrende traf
an
er
einem
junge Kautieute aus Rastatt.
Frühlingstage zwei
Sie priesen die
Schönheit ihres badischen Ländchens, doch klagten sie die Preussen nicht
wären.»
drin
einem politischen Gespräch,
mit welcher Verehrung
sie
in
€
:
Wenn
nur
Das gab dann Gelegenheit zu
welchem
sie
unter anderem erzählten,
an Janssen hingen.
Frage, ob sie denn das grosse, gelehrte
Werk
Auf
die verwuuderte
käunten,
gestanden
uoch mit der Leetüre desselben beschäftigt zu sein uud zwar
sie,
in
Auf
prächtigen
einem Kränzchen junger Leute, die sämmtlich von dem gleichen
Enthusiasmus
für
katholische
die
—
Sache
und die
geschichtliche
wurden durch es wurde als die bestechenden Aussenseiten des Buches gewonnen unparteiische Darstellung angepriesen und noch im J. 1882 von dem lllustrirten Weihnachtskatalog jedem Gebildeten als passeudstes Weihnachtsgeschenk empfohlen. Auf protestantischer Seite konnte diese besonders durch den ersten Band hervorgerufene Wahrheit beseelt wären.
Ja, auch Protestanten
;
Täuschung nicht lange vorhalten. Bald war der wahre Charakter des Buches erkannt, und es begann eine erhitzte Polemik gegen Janssen.
Am
meisten Verbreitung fand eine Schrift des berühmten
Köstlin aus Halle: Luther J.Janssen, der deutsche Reformator und ein ultramontaner Historiker. In schlichter sachlicher Lutherbipgraphen, des Professor
und
,
gegen Luther vorgebrachten Beschuldigungen und Verdächtigungen überzeugend zurück zeigte Darstellung
wies Köstlin
hier
alle
;
aber auch,
dass Janssen
nicht nur aus Unkenntnis oder Flüchtig-
ihm überhaupt auf geschichtliche Wahrheit nicht ankomme. Seitdem musste in protestantischen Kreisen und in der gesammten wissenschaftlichen Welt das Urtheil keit geirrt habe, sondern dass es
feststehen, dass Janssen mit ausgesuchtestem Geschick,
vollendeter Perfidie
alle die Stellen
aus Luthers
aber auch
eigenen
Werken
und Briefen, aus den Berichten von gut und schlecht unterrichteten Zeitgenossen zusammengetragen hat, welche für seine Auffassung zu sprechen scheinen. B.hiacbe Monatsschrift. IM
Er hat dabei XXXVI, Heft
S u. 9.
alles,
was gegen
ihn zeugen
47
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680
Johannes Janssen über die Reformation. seinen Lesern
könnte,
indem er durch
sie
aus dem
gewandte
brachte,
verschwiegen,
Gruppirung
in
riss,
einen
in
seinen Citaten,
andererseits
Zusammenhang
den
sie gehören,
und
Zusammenhang
falschen
einen gefälschten Sinn untergeschoben.
Selbst
ganz
an
Tage liegenden Entstellungen und willkürlichen Auslassungen fehlt es nicht. Aber obgleich Janssen vor dem Forum der ernsten Wissenschaft langst gerichtet ist, so sind die Wirkungen offenbar zu
seines Buches auch
Denn der Schein
heute
noch
besticht
vor Jahren.
wie
dieselben,
fast
der Unparteilichkeit
heute noch jeden,
der mit gutem Vorurtheil und nicht geschützt durch ein grösseres
Rüstzeug wissenschaftlicher Bildung an
diese Leetüre herantritt.
Die Wirkung der zahlreichen Widerlegungen, auch der Köstlinschen, ist
aber als eine ausserordentlich geringe zu bezeichnen.
denjenigen, welche das Janssensche
Denn von
Buch gelesen haben und durch
dasselbe tiberzeugt worden sind, werden nur die wenigsten sich die
Mühe
geben,
aus der Masse
und
wissenschaftlicher Zeitschriften
Broschüren eine protestantische Kritik desselben aufzusuchen und durchzuarbeiten.
Janssen
einen Schriftsteller, dessen
kann nur überwunden
Werke
werden
durch
denselben Reiz auf die Massen
ausüben und ebenso ins Volk dringen.
An
solchen
Kämpen
fehlt
es aber zur Zeit noch vollständig.
Auf den ganzen
Inhalt
der
umfangreichen
Geschichte
des
deutschen Volkes einzugehen, verbietet uns die Rücksicht auf den
Raum; auch würde das
Interesse des Lesers für diesen Stoff bald
Es genügt, wenn wir uns zur Charakterisirung des Gesammtwerkes auf einige einleitende Bemerkungen über die
erlahmen.
Geschichtsauffassung Janssens im Allgemeinen beschränken, um uns dann denjenigen Partien zuzuwenden, auf welche es uns am meisten ankommt, der Darstellung von Luthers Leben und Wirken.
Die Quintessenz
der
Janssenschen Weisheit
besteht
darin,
dass ihm das fünfzehnte und das beginnende sechzehnte Jahrhundert als die schönste Zeit der deutschen Geschichte erscheint,
als
eine
Zeit voll froher Hoffnung, welche die schönsten Früchte der Zukunft in
ihrem Schosse barg.
begriffeu.
Politisch
Alles
und
war
kirchlich
in
Umbildung und Entwickelung
näherte
sich
Deutschland dem
Ziel seiner Bestimmung. Unter den Kaisern Maximilian
und Karl V.
wurde das weltumfassende Kaiserthum deutscher Nation wieder neu ins Lebeu eingeführt; die ideale des Mittelalters fanden wieder Gestalt, sie befruchteten das gesammte Leben der deutschen Nation, die zugleich auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Entwickelung
>
Johannes Janssen über
Wol waren
anlangte.
081
die Reformation.
der Misstände und Schäden, an welchen das
und private Leben der Deutschen krankte, nicht wenige. Janssen berührt auch den Misbrauch der geistlichen Amtsgewalt
öffentliche
zu weltlichen Zwecken, das üppige, gottlose Treiben eines grossen Theiles
der Prälaten,
die Verweltlichung
selbst
der
päpstlichen
Aber das waren vorübergehende Auswüchse, Krankheiten der äusseren Erscheinung, die den gesunden Kern nicht berührten, schon damals auf dem besten Wege, durch die wahrhaft katholische Frömmigkeit des Volkes und durch die trotz allem ungeschwächt wirkenden sittlichen Kräfte der Kirche überwunden zu werden. Da trat plötzlich eine allgemeine Revolution ein. Die Humanisten Curie.
zerstörten
einheitliche Bildung
die
Luther und
des Mittelalters,
seine Genossen die Einheit der Kirche in zwei feindlich geschiedene Heerlager.
und spalteten
Von
die Nation
jener fast unbewusst,
war nun nicht mehr die Rede mit dem Glück und der Blüthe Deutschlands wie Europas war es vorbei; das Ende der dreissigj ährige Krieg! Es wird nicht uuzweckmässig sein, an dieser Stelle daran zu geräuschlos sich vollziehenden Reform ;
—
erinnern, wie die wissenschaftliche Ueberzeugung des Protestantismus sich
zu dieser Frage
stellt.
—
formation vorausgehende Zeit
Wir
fast
alle wissen,
dass die der Re-
auf allen Gebieten
eine
voll-
ständige Auflösung der alten Ordnungen, auf denen das Mittelalter beruhte,
mehr
Die kaiserliche Würde
erblicken lässt.
Reiches, in
dem ihnen
eine so geringe gesetzliche
wurde, kein sonderliches Interesse ein
reichung
Ziele
besonderen
und Maximilian waren
die
denen« das deutsche Reich
;
nicht
viel
Macht zugestanden
der Einfluss, den sie als Kaiser
willkommenes Werkzeug
noch besassen, war ihnen der
war
Träger hatten an dem Gedeihen des
als ein leerer Titel, ihre
ihrer Hauspolitik.
jener
ersten
für die Er-
Friedrich
habsburgischen
gerade gut genug
war,
I
IT
Kaiser,
die Mittel für
Erhöhung und den Glanz des Hauses Oesterreich zu liefern. Maximilians Grosssohn, Karl V., war alles audere eher als ein Deutscher er besass ein Gebiet, in dem die Sonne nicht unterging Deutschland war nur einer der vielen Factoreu in seinen politischen
die
;
Berechnungen
:
es sollte
ihm
helfen,
teidigen, resp. zu begründen.
Das
seine Weltherrschaft zu ver-
politische
Leben des deutschen
Volkes pulsirte an den Fürstenhöfen und in den Städten. Durch einen der verkehrtesten und merkwürdigsten Entwickelungsprocesse
war
es dahin
gekommen, dass
diese
particularen Kräfte,
von jeher einer starken Reichsgewalt widerstiebt
hatten
welche
und auf
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Johanues Janssen über die Reformation.
082
deren Kosten emporgekommen waren, doch die nationale Idee gegen-
über
dem
österreichisch-burgundisch-spanischen Kaisertliam repräsen-
Aber wie eigennützig, nüchtern, un patriotisch dachten und handelten auch diese Fürsten, in deren Hände die Zukauft des deutschen Volkes gelegt schien. Der Blick auf das Ganze, von tirten.
dem
sie einen Tlieil bildeten,
leerer Prunk,
Genusssucht, roher
fehlte ihnen allen
Mangel edlerer Empfindungen
—
das
ist
druck, den die deutschen Fürstenhöfe jener Zeit machen. verhält
es
mit
sich
den Städten.
Sie
sind
im
Kampf
der Ein-
Anders mit
den
Fürsten und dem Adel emporgekommen, reich und mächtig geworden.
Im ßürgerthum
hat sich die nationale Kraft des deutschen Volkes
Aber so erfreulich der gewaltige Aufschwung der Städte uns vor Augen tritt was an ihnen tüchtig, achtunggebietend ist und eine reiche Zukunft verheisst, bleibt doch dem coucentrirt.
—
grossen politischen Leben ist
der Gesichtskreis;
Privatleben in
liegt
die
der Nation
entfremdet.
die Verhältnisse
sind
Kraft der Deutschen.
den ehrbarsten Städten eine Sitteulosigkeit,
Reichthum noch zunimmt,
eine
klein,
Eng
begrenzt
gleichsam
im
Dazu herrscht auch die mit dem steigenden
politische Gesinnungslosigkeit, die
So war das staatliche Leben der Deutscheu
uns erschrecken muss.
überaus traurig, ja hoffnungslos musste es allen Patrioten erscheinen,
nachdem
die Versuche,
dem Reiche
eine wirksame, den Zeitverhält-
nissen entsprechende ständische Verfassung zu geben, ebensowol an
dem Uebelwollen
des Kaisers,
wie
an der Selbstsucht der Stände
gescheitert waren.
Denselben Eindruck gewinnen wir kirchlichen Verhältnisse.
Der Papst,
bei
einem Blick auf die
das Oberhaupt
der katholi-
schen Christenheit, hatte sich seiner geistlichen Aufgabe entfremdet.
Nicht die Leitung der Kirche,
nicht die Sorge für das Seelenheil
der ihm unterstellten Gemeinde Christi waren die Triebfedern .sei uer
Handlungen
Ein italienischer Territorialherr
war
er
geworden,
der mit allen Mitteln einer unsittlichen Staatskunst seine fürstliche strebte. Die Kirche mit Glaube und Aberglaube der Christen, die Macht, zu lösen und zu binden, sie waren in den Dienst der allerweltlich-
Macht und den Kirchenstaat zu erweitern
allen ihren Idealen,
Und vom Haupte ergoss gesammte Kirchenverfassung, bevorzugte Stellung der Geistlichkeit waren
sten, halb heidnischen Interessen gestellt.
sich das Gift
in
alle Glieder.
das Kirchenrecht, die
Die
herabgesunken zum Mittel niedrigen Gelderwerbes.
Nicht dass es
keine achtbaren, von Pflichtbewusstsein und christlicher Gesinnung
083
Johannes Janssen über die Reformation. durchdrungenen
Geistlichen
grosse Menge.
Aber gerade
gegeben
Es gab deren
hätte.
waren
sie
Wehe
welche
es,
eine riefen
über die Verderbnis der Kirche uud nach einer Reform an Haupt und Gliedern verlangten. Das Durchschnittsmass sittlicher Lebens-
führung der Geistlichkeit war unter das Niveau des Normalen gesunken. Auch hier hatte es au Reform versuchen nicht gefehlt.
Die grossen Concilien zu Constanz und Basel waren hervorgerufen durch das Bedürfnis der Christenheit nach gründlicher Besserung. Was hatten sie gefruchtet? Einzelne Misbräuche waren abgestellt worden, um bald darauf wieder fröhlich emporzu wuchern. Die Zeit der grossen Reformconcilien war sie sich an den
wie
sich,
wir
nur eine Episode gewesen,
sagen würden,
heute
weil
die Lehre, nicht gewagt, sondern
Kern der Sache,
mit einer Revision der Ver-
Von einem Reformconcil war der Reformator Huss verbrannt worden. Und doch ging ein tiefes Sehnen nach
fassung begnügt hatten.
Aber auch
Religion und Religiosität durch die Zeit.
hier schien
die Zukunft hoffnungslos zu sein
Denn was half
es nun,
dass sich auf so vielen Gebieten ein
neuer, frischer, freudiger Geist
dürren
ihres
antiker Bildung
Kunst
das Kunstgewerbe
in
Welttheile entdeckt
Es
Baumgartens führen:
e
dass
vor den freudetrunkenen
sich aufthaten, die
schwung nahm!
regte,
Gewandes
mittelalterlichen
in Italien ihre
Deutschland
wurden, sei
mir gestattet,
die
Schätze
Augen der Humanisten
höchsten Triumphe feierte,
seine Blüthezeit
der Haudel
aus seiner
die Wissenschaft sich
entledigte,
erlebte,
neue
einen grossartigen Aufhier
die
schönen Worte
Geschichte Karls
V. 1 anzu-
Gewiss, es war eine herrliche Zeit geistigen und künstleri-
schen Schaffens und Aufstrebens.
Die späteren Jahrhunderte werden wol immer mit andächtiger Dankbarkeit und wahrer Erhebung vor den Schöpfungen der erhabenen Geister sich verneigen, welche damals die Welt mit den Gaben ihrer reinen und grossen Kunst beglückten, nirgends reiner und grösser als in Rom, an dem Hofe
Wenn man aber von den Personen absieht und die Epoche ins Auge fasst konnte alle Herrlichkeit der italienischeu Kunst und alle Regsamkeit des Humanismus das tiefe Leid der Zeit heilen ? Kounte diese ästhetische und literarische Blüthe auch Leos X.
.
.
.
:
nur
in
denen
selbst,
welche an ihr regen Antheil nahmen, die Ver-
kümmerung' des sittlichen und religiösen Elements ersetzen? Und was bedeutete gar alle diese Blüthe für die Millionen, welche '
Bd.
I,
p.
334
u.
335
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Johauues Janssen über die Reformation.
Ü84
nichts von ilir vernahmen ? Nur zwei Mächte reichen an den Grund des allgemeinen menschlichen Daseins: Staat und Kirche. Alles, was jene Zeit in Kunst
und Wissenschaft Ausserordentliches
hervorbrachte,
war doch
es
ausser Stande, der vereinigten Macht des entsittlichteu Staates und
der entheiligten Kirche die
Wage
Es musste vor allem
zu halten.
das Innerste, was den Menschen trägt und treibt, verfälschter
Ueberlieferuugen
und
aus dem Wust
vergiftender Einflüsse
befreit,
den unwahren Lebenszwecken und den schlechten Mitteln die echten Ziele menschlichen Strebeus und die reinen
Wege, welche zu ihnen
und zwar durch eine Persönlichdem klugen, die damalige Welt beherrschenden
führen, gegenübergestellt werden, keit,
welche von
all
von
Calculiren,
all
den Listen und Schlichen
kirchlichen Staatskuust nichts wusste und
mit
Rücken kehrte,
Seele befreit hatte. ist die
ihr!
Er
>
protestantische Auflassung
Was macht nun
ihren Aufgaben.
alle
geradezu auf den Kopf.
stellt sie
von
hänglichkeit an
fangenen,
alte Kirche,
heiteren Volksseele,
der
Städte
Darstellung liehen,
die
Es
ist
jener
Zeit
zufriedenstellenden
so
,
mit
namentlich
sie
sich blind zeigen
Beweisen
den
Zustandes
zu
warum Janssen und oder
Es handelt
Kirche.
stellen
für
um Fragen
An-
unbe-
das behäbige
und
dieses
eine
glück-
dass die
durchflechten,
Es hat aber eiuen gauz
seine Gesinnungsgenossen
das Hauptelend
sich hier weniger
schaftlicher Forschung, als
seine einer
zusammenzustellen
Schatteuseiten darüber ganz zurücktreten.
besonderen Grund,
nicht schwer, für
Aeusserungeu
alle
wie
hervorbrachte
und
dieser Zeit
der ultramontaue Historiker aus
Zeugnisse für das religiöse Leben des Volkes,
Leben
sondern
wollte,
Hingebung an das Seeleuheil der Welt den um dann die Welt zu vergeistigen, wie sie die
ganzer
voller
Das
der weltlichen und
nichts
um
in
Staat und
die Ergebnisse wissen-
der Ueberzeugung, der Welt-
Janssen selbst nennt seine Weltanschauung die christ-
anschauung.
lich-germanische, eine Phrase, mit der schon viel Unheil augerichtet
worden
ist,
definirbar
weil sie einen Begriff
ist.
Was
aber Janssen
der
bezeichnen
soll,
meint,
einerseits
ist
ganz unjene
un-
unwahre und gestaltlose Geschichtsbetrachtung, in welcher die Romautiker schwärmten, andererseits der Herrschaftsgedanke Danach giebt es nur eine der einen unveränderlichen Papstkirche. einen Papst, der als unfehlbarer gottgewollte Ordnung der Welt
politische,
:
und untrüglicher Stellvertreter Christi
die
Welt
regiert
und den
Johannes Janssen über
profanen Theil dieser Arbeit dem Kaiser übergiebt, Jahrhunderts, des
13.
Thomas
heil.
der irgendwie
Es
eine Oberherrlichkeit über die Christenheit ausübt.
Theorie des
685
die Reformation.
ist
das die
Aquino, den die
v.
Katholiken zu ihreu grossen Kirchenvätern zählen.
Dieser in der
Gedankenwelt des Mittelalters existirenden Weltanschauung, die aber zu keiner Zeit in dem wirklichen Leben der Menschheit mit seinen unendlich mannigfaltigen Gegensätzen ganz in die Erscheinung getreten
—
ist,
ihr entspricht
auch der Geschichte
Da
stische.
hat.
welche
die Auffassung,
montanismus noch heute von der Aufgabe
Wir nennen
der Ultra-
Wissenschaft,
aller
so
diese Auffassuug die schola-
eine Aufgabe«,
hat die Geschichte lediglich die
die
ewig gleiche Heiligkeit der römischen Weltherrschaft in Staat und Kirche zu beweisen, jede Abweichung von derselben als ketzerische Lehrmeinung zu verdammen und zu zeigen, wie eine solche nur Elend und Verderben im Gefolge hatte. Danach muss auch der undeutscheste aller Kaiser, Karl V., so lange er ein gehorsamer Sohu der Kirche war, dem deutschen Historiker als die geeignetste
um
Deutschland
Persönlichkeit
erscheinen,
Bahnen
Entwicklung zu
seiner
alsdann für die Beurtheilung braucht
die
in
gottgewollten
Welche Grundsätze
leiten.
sich
der Reformationsgeschichte ergeben,
kaum gesagt zu werden.
Sie sind von
dem hervorragend-
Organ der ultramontanen Geschichtswissenschaft, dem historischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, in folgende Worte zusammengefasst worden cEin katholischer Autor muss es geradezu als sten
:
seine strenge Pflicht erkenuen,
die
allein richtige
principiell
und
deshalb objective Auffassung der Kirche von der Glaubensspaltung zum klar betonten Grundgesetz der eigenen historischen Anschauung
zu machen 2
.
>
Das bedeutet
die Herrschaft
des
Dogmas
über die
Gewissen der Einzeluen auch in der Wissenschaft, und die Wissenschaft hört hier auf. Eine wissenschaftliche Widerlegung dieses Standpunktes ist unmöglich, wie es überhaupt bei den grössteu und
darum elementarsten Fragen,
welche
den
menschlichen Geist be-
wegen, nicht auf wissenschaftliche Erkenutuis, sondern auf die gläubige Ueberzeugung ankommt. Luther verkörpert nun die absolute Verneinung der ultra-
montauen Anschauung von Staat und Kirche dort die freie Forschung in der Schrift, 1
Max
Lenz, Janssens Geschichte
1883, p. 238.
schrift '
a. a.
0.
des
hier
:
hier das ein
mit
Dogma
—
besonderen
deutschen Vulkes, Syhelsche Zeit-
G86
Johauues Jansseu über die Reformation.
geistlichen Gaben versehener Clerus — dort das allgemeine Priesterthum jedes Christen hier die Idee einer übernationalen Universalmacht und dort die moderne Anschauung, dass Gott die Aufgaben des Lebens zunächst im Kreise eines bestimmten Volkes verwirk;
lichen lässt
Widersprüche.
alles das unversöhnliche
;
Gedanken,
Keimen
theils völlig ausgereift, theils in ihren
Diese liegend,
Dass Janssen der Persönlich-
werden durch Luther repräsentirt.
keit Luthers nicht gerecht wird, dass sie ihm unverständlich bleibt,
wird uns nicht wunder nehmen, und wir müssen uns mit der Thatsache
und Weise aber,
Die Art
Unvermögens begnügeu.
dieses
wie er seine vorgefasste Meinung begründet, offenbart uns die
Mängel des
lichen
Wer Für
nach Janssen Luther
ist
die geschichtliche
Aber
Lüge bringt den Leser
widerlegte
Der Sohn
?
eines Todtschlägers.
Bedeutung eines Menschen
wie seine Eltern waren.
giltig,
sitt-
Verfassers.
es doch gleich-
ist
diese von Köstliu schlagend
Stimmung,
die richtige
in
mit
welcher er den Sohn des Mörders auf seinen weiteren Lebensweg begleiten
er
Luther wird zu Hause mit
soll.
Aengstlich und scheu
behandelt.
im Hause der Frau Cotta
kommt
Was
alt.
Welt.
die
zu Eisenach Aufnahme.
Meisterstück Janssenscher
ein
damals 15 Jahre
unmenschlicher Härte
tritt er in
wir
Darstellung.
über
sonst
sein Zeitgenosse und Biograph Mathesius
Da
findet
Und nun
Luther
ihn wissen,
war
erzählt
folgenden Worten
mit
«Als er daselbst eine Zeit lang vor deu Thüren sein Brot ersang,
nahm
ihn eine andächtige
dieweil
um
sie
Matrone
seines Singens
und
der Kirche eine sehnliche Zuneigung zu
macht Luther um zwei Jahre als
junge
trat,
adelige
etwa
lich eine
Dame,
älter
Wendung i
h r
ein, als ihn
H
dem Knaben
und
gegenüber.
seinem 17. Lebensjahre
in
in
Dame
zu sich an ihren
herzlichen Gebets
stellt
Er
in seinen
;
i
in
Janssen
ihm die Frau Cotta
schreibt:
Frau Cotta, e
a u s aufnahm
trug.>
Tisch, willen
ein Eisenach
Verhältnissen plötz-
ne
j
u n g e
ade lige
dort lernte er das Leben von
einer anderen Seite kennen, übte Laute und Flötenspiel und hörte
den Ausspruch liebe,
wem
sie
:
*
Es giebt kein
lieber
Ding auf Erden, denn Frauen-
zu Theil kann werden.»
Hierzu
ist
nur noch zu
bemerken, dass Janssen an einer anderen Stelle sagt, er vermeide es absichtlich, selbst die letzten
Folgerungen aus seinen Mittheilungen
zu ziehen; er überlasse dies den Lesern.
Es
folgt das Studentenleben in Erfurt.
die sittliche
Uugebundenheit der Humanisten,
Jansseu betont zuerst
um dann Luther
als
Digjtized
tsgg^oglc
Johannes Janssen über
687
die Reformation.
einen begeisterten Schüler derselben, der sich gern in ihrer Gesell-
bewegte,
schaft
zu
Gewissensängste treiben ihn ins
bezeichnen.
Kloster, in welches er, bezeichnend genug, von allen seinen Büchern
nur zwei heidnische Dichter mitnimmt.
Luther erscheint bei Janssen
ganz haltloser Charakter, der von einem Extrem ins andere verfällt. Da ihm die Demuth vollständig abgeht, so fehlt ihm auch als ein
der
wahre Beruf zum Klosterleben
er sich Gott gegenüber auf
in
den Frieden
massloser Hoffahrt beruft
Werke und Kasteiungeu, Als er
ganz unnütz übertreibt.
die er in krankhafter Nervosität
hierbei natürlich
;
seine guten
der Seele
nicht
findet,
verfällt
er
gleich ins andere Extrem, die Rechtfertigung im Glauben allein zu
Werke
suchen und alle guten
geitdem
zu verachten.
Rechtfertigung durch den Glauben allein bei
ist die
Luther eine Art fixer Idee geworden. Dass Luther den Glauben kräftig und geschäftig Ding nennt, gute Werke zu Tage zu
eiu
dass ihm der Glaube,
fördern,
offenbart und sie
Glaube
ist,
der
und
Kritik freilich
guten Werken ein
zeitigt,
Entstellungen
absichtlichen
alle
in
nicht
todter
Hier beginnen die Verdrehungen,
wird verschwiegen.
Auslassungen
sich
unausbleibliche Früchte
als
nachgewiesen
sind,
den
welche
,
von
der
unerfahrenen Lesern
aber verborgen bleibeu und der Masse derselbeu darum so gefährlich
werden.
aus einer die
—
Was
soll
Anmerkung
bei
Worte geschrieben
:
man
ist'.
Luther
B. von
Luther halten, wenn wir er
habe Melanchthon
sündige nur tapfer darauf
noch tapferer und freue dich
Sünde
z.
Janssen erfahren,
hat
in
diese
Christus,
los,
aber glaube
der der Sieger über die
Worte unzweifelhaft geschrieben;
aber indem Janssen dieses Citat als Beleg für die ganz aberwitzige
Lehre
von der Rechtfertigung durch den Glauben anführt und
durch gesperrten Druck hervorhebt,
sie
verlieren sie ihren schlichten,
glaubeusfreudigen Sinn, und Luther erscheint entweder als frivoler Spötter oder als ein Mann,
der wirklich im Glauben einen FreiArt von Sünde gefunden zu haben wähnt. Wir gelangen nun zu den entscheidenden Momenten im Leben des Reformators und in der deutschen Geschichte. Luther schlägt die 95 Thesen über die Kraft des Ablasses an die Schlosskirche
—
brief für jede
zu Wittenberg, weil ihm die Lehre der Kirche über die Verdienstlichkeit
guter
Werke
nicht
zusagt.
Nicht die Misbräuche beim
Verkauf des Ablasses, die Janssen nur an einer Stelle so nebenhin
Janssen
2, p. 73, 2.
Johannes Janssen über die Reformation.
G88
erwähnt, bewegen ihn dazu; diese können nach Janssen auch nicht besonders gross gewesen sein, obgleich er sie als arge bezeichnet'.
In dieser That Luthers soll nun heit zu sehen sein, eine
gar keine besondere Kühn-
Bemerkung, welche
ein deutscher Kritiker
mit Recht als lächerlich bezeichnet hat.
Aber Janssen geht noch weiter und spricht Luther überhaupt jeden persönlichen Muth ab. Nicht einmal sein Erscheinen und Auftreten in Worms, seine Reise als Geächteter von der Wartburg nach Wittenberg lässt er als heroische Thaten gelten. Vielmehr der Kaiser und die päpstlichen Gesandten hatten alle Ursache, vor den Anschlägen der mit Luther verbundenen Revolutionspartei auf der Hut zu sein. Denn überall
weiss er eine
Menge von
Belegstellen für die Furcht der Katholi-
einem Anschlage
vor
schen
der Anhänger Luthers beizubringen;
und diese Befürchtungen gelten ihm ohne weiteres
als eben so viel
Beweise für das Bestehen weitverzweigter Coraplotte, während über Luther schwebte, vor welcher ihn fast Freunde warnten, schweigend hinweggegangen wird.
die Todesgefahr, in welcher alle
seine
Luthers unnöthige Furcht, man könne ihm nach dem Leben trachten, soll schliesslich
zur förmlichen Monomanie geworden
sein.
—
Wie
ihm schon im Kloster der demüthige Sinn abging, so zeugt auch sein ganzes späteres Leben von blasphemischer Selbstüberhebung; Janssen den Schlüssel für das ganze Auftreten und Benehmen Luthers. Unzweideutig trete das hervor in den Worten, mit welchen Luther die päpstliche Bannbulle ins Feuer warf: «Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre
in ihr findet
das
dich das ewige Feuer.
des
Herrn
bezeichnet
Also Luther haben,
Christus darunter versteht. *
als
die
nommen, in
soll sich selbst als
während
dieses
den Heiligen
Bibelwort
eiufach
Im weiteren Verlauf wird dann
alles
Nicht« charaktcrisirt die Janssensche Art der Gcsehichtschreibung besser,
auf den Ablassverkauf durch
TVtzel
bezüglichen Sätze.
Einzeln
ge-
Ganzes eine grobe Unwahrheit. Ich lasse sie «Tetzel, eiu beliebter Volksredner, war nämlich vom
sind sie unanfechtbar, als
ihrem Wortlaut folgen.
zum Untercommissar ernannt worden, um im vom Papste Leo X. für den Bau der Pcterskirehc
Erzbischof Albrecht von Mainz nördlichen Deutschland
den
ausgeschriebenen Abla*B zu verkündigen
Zulauf des Volkes. Instruction
;
er predigte allenthalben unter
grossem
In der von ihm den Pfarrern und Beichtvätern zugestellten
wurde den Gläubigen, welche des Ablasses
die kirchliche Pflicht eingeschärft, zuvor zu beichten
theilhaftig
und die
werden wollten,
heilige
Comrauniou
zu empfangen, eiu ehrbares Leben zu führen, Wirthshäuser und verdächtigen Umgang zu meiden und keine unnützen Ausgaben zu machen. Gleichwol kamen schwere Misbräuche vor, und das Auftreten der Prediger, die Art der Darbietung und Anpreisung des Ablasses erregten mancherlei Aergernisse.*
DigitizecU^^jff^le
689
Johaunes Janssen über die Reformation. Ueberschwengliche
völlige
oder
thörichte
be-
zur Verherrlichung Luthers hervorgebracht
auf seine eigene Veranlassung
haben,
das
üebertriebene,
alles
,
geisterte Zeitgenossen
zurückgeführt oder
Zustimmung zu derartigen Ungehörigkeiten
seine
als selbverständ-
lich vorausgesetzt.
Ein
Mann wie
Luther, dessen Auftreten die einschneidendsten
Umwälzungen in Europa hervorrief, muss, wenn die Berechtigung dieser Umwälzungen geleugnet wird, als ein Revolutionär schlimmster Art gelteu. Man wird also mit einem Katholiken darüber, dass
Luther
Aber
war,
Revolutionär
verderbenbringender
ein
nicht
Frage ist die, ob Luther für seine Revolution gewaltsame Mittel zum Umsturz der bestehenden Ordnung in Anspruch genommen hat. Hier kommt die principielle Frage Uber die Berechtigung der Reformation gar nicht in Betracht. streiten können.
eine andere
Der Vorwurf, Luther habe
sich zuerst mit
dem unzufriedenen Adel
unter der Führung Ulrichs von Hutten und Franz'
bunden
,
dann
durch
v.
Verhetzung
systematische
Sickingen ver-
der
öffentlichen
Meinung, durch Brandschriften, die er selbst verfasst oder von seinen
Anhängern verfassen Hess, auch den fürchterlichen Bauernkrieg erregt, dieser Vorwurf ist so alt wie unsere Reformation selbst. Keiner der Vorgänger .Tanssens ist aber mit solchem Geschick bei der Begründung desselben verfahren, wie Janssen selbst. Einen directen Beweis hat freilich auch er nicht beibringen können. Er stützt sich einmal auf die Aeusserungen Luthers in Reden, Predigten und dann
Schriften,
einherschritten.
und Zerstörung,
dass Krieg
auf die Thatsache,
Gewaltsamkeit und Zuchtlosigkeit
im
Gefolge
Unzweifelhaft hat Luther
sich
Reformation
der
und seiner Sache
unendlich geschadet durch die Masslosigkeit und Heftigkeit seiner
Sprache,
dadurch
scrupulös
war und
,
dass hier
er
nur
waltigen
der
ohne
Wahl
seiner
Ausdrücke
nie
zu oft die Grenze des Erlaubteu, ja
Man kann
Anständigen überschritt. zugeben und bedauern,
in
von
diesen Fehler Luthers ruhig
seiner
Verehrung
Mann auch nur etwas zurückzunehmen.
für
Wir
den
ge-
beten ja
unseren Reformator nicht als einen makellosen Heiligen an, sondern
wissen sehr wohl,
war wie
trotzdem ein als
ebenso wie er es wusste,
die anderen,
mit
auserlesenes
Ganzes geuommen,
Menschheit
emporragt.
jedem das,
was
dass
grossen Schwächen
Werkzeug
weit
über
Gottes,
er
Mensch aber
ein Charakter,
der,
den Durchschnitt
Luthers Reden und Schriften
er in ihnen finden will.
ein
und Fehlern, der
übrigen
bieten
nun
Jansseu wollte nur das
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Johannes Janssen über die Reformation.
690
worin Luther sich von seiner unliebenswürdigsten, wildesten und abstossendsten Seite zeigt. Es ist ihm nur zu gut gelungen. Die auf Luther bezüglichen Partien seines Buches stellen nach der oben erwähnten Methode, nur die Quellen selbst reden zu lassen, eine Blüthenlese Lutherseher Kraftausdrücke und Schimpfereien finden,
dar.
Aus
diesen hat sich der Leser seine Vorstellung von Luthers
Charakter und Wirksamkeit selbst zu bilden;
sie sollen die
Summe
Anschauungen über das praktische Verhalten der katholischen Kirche Kaiser und Reich gegenüber seiner politischen Weisheit, seine
enthalten
I
Von dem uns vertrauten Bilde Luthers bleibt hier nur Aber ganz abgesehen davon, dass
eine elende Caricatur zurück.
man zu kommen
wahreu Charakteristik eines Menschen doch niemals
einer
wenn man
wird,
sich
seine
in
schlechten Eigenschaften
vertieft,
anstatt vor allem seine Vorzüge zu studiren:
Janssen
angeführten Stellen,
des Papstes,
der Bischöfe,
zur Plünderung
noch schandbareren Thaten auffordern sehr unsicher verbürgt, gerissen, in
dem
niemals,
die von
und zu
der Klöster sind
soll,
zu
einem Theil
zum anderen Theil aus dem Zusammenhange
sie sich
ganz anders ausnehmen.
ein nicht zu kleiner Rest übrig,
wenn auch
—
welchen Luther zur Ermordung
in
aus dem
wie .Janssen
uns
Es bleibt
man auf
freilich
eine zuchtlose,
machen will, uuwenn das das Einzige was wir aus Luthers
glauben
züchtige Gesinnung Luthers schliessen könnte,
oder auch nur das Hauptsächlichste
Munde und aus
wäre,
seiner Feder haben.
Hierüber und über den Werth der Schlussfolgerungeu, welche Janssen für die Persönlichkeit Luthers aus den erregtesten Stelleu seiner polemischen Schriften zieht,
Auseinandersetzung.
bedarf
wenn er eine schen Freunde der Wahrheit hoffen gegen Janssen:
es wol keiner weiteren
zum Schlüsse seiner Wirkung derselben auf
Köstlin sagt
dürfe, so
Streitschrift
die katholi-
wünsche er sich
dass sie einmal unbefangen Hauptschriften Luthers
aus
den
die,
ver-
schiedenen Gebieten seines Wirkens ganz läsen und selbst auf sich
wirken Hessen.
Sie
bekämen doch einen anderen Eindruck
als
aus
Janssens Excerpten. Sind aber der Bauernkrieg,
der Aufruhr
das Greuelregiment der Wiedertäufer
der Bilderstürmer,
Münster nicht in Folge der Lehren Luthers eingetreten ? Es wäre ein sehr oberflächliches Verfahren, den Spruch can den Früchten sollt ihr sie erkennen ohne weiteres hier zur Anwendung zu bringen. Nicht darauf kommt es an, ob das Elend, die Verwirrung in Folge der Reformation in
Johanues Janssen über die Reformation. eintrat, soudern ob sie als
noch
keiner
erbracht,
Folge
dass
Communismus der Wiedertäufer,
Den Nachweis
eintrat.
hat doch
Bauern,
der
Zuehtlosigkeit
die
091
der
Verwerfung jeder geschichtlich gewordenen Obrigkeit in der Consequenz Lutherscher Lehren gelegen habe. Vor dem Misverstande und dem Misbrauch zu schlechten
Zwecken
ist
die
wenn
geschützt gewesen,
aber keine grosse Idee
sie
in Staat, Gesellschaft und Kirche greifbare Gestalt gewinnen sollte.
Es war
nicht Luthers Schuld,
wenn
das,
was er
geistlich verstanden
wissen wollte, auf das Gebiet des Weltlichen hinübergespielt wurde.
Wollte man Luther daraus einen Vorwurf machen, dass die unreifen in der katholischeu Zeit an geistlicher Zucht uud religiösem Verständnis theilweise ganz gemangelt hatte, die
Volksmassen, denen es
Lehre des neuen Evangeliums in ihrem Sinne deuteten, so könnte man dem Apostel Paulus und dem Christenthum überhaupt dasselbe zur Last legen. worden,
Janssen
ist
Grund
dass Paulus
wiederholt an die Thatsache erinnert
davor
hatte,
man möge
zu warnen,
die christliche Freiheit, die er predigte, nicht zu «einem Anlass fürs
Fleisch nehmen».
Und
hat das Christenthum dadurch
etwas
von
seiner Wahrheit und seinem Segen eingebüsst, dass es die römischgriechische Culturwelt
keineswegs
sittlich
sondern
verjüngt,
die
Zersetzung derselben nur gefördert hat ? Man kann sogar zugeben, dass die ersten Wirkungen der Reformation sich auf einigen Gebieten
als
Zweifel,
ein
Niedergang
der Cultur
ödeten, ja dass auch bei den Lutherischen eine
reichern,
Annahme dass
ver-
Zunahme der
Cor-
die Versuchung, sich
alten Kirche zu be-
die weltlichen Vortheile, welche die
der neuen Lehre in Aussicht
Nonnen und
kein
Denn
war übermächtig und
diese
ist
der Zeit
der zusammenbrechenden
ruption auf sittlichem Gebiete eintrat.
aus den Trümmern
Es
offenbarten.
über den Unruhen
dass die Universitäten
Beweggründe
nicht
vielen anderen eine
bei
stellte,
Fürsten,
zu verlockend, als Städten,
Mönchen,
massgebende Rolle gespielt hätten.
Keiner aber hat gewaltiger als Luther gegen die Gefahren, welche in den Neuerungen überhaupt lagen, angekämpft, wie das seine
Ansprachen an seine
die Städte
und Obrigkeiten zu Gunsten der Schulen,
Ermahnungen zu ehrbarem
,
würdigem
Geistlichen selbst, seine Berichte über weisen.
Lebenswandel
der
die Kirchenvisitationen be-
Gerade die Berichte über die traurigen Zustände auf dem
Lande, welche die Kirchen Visitationen ans Licht brachten, sind für Janssen eine mit Vorliebe benutzte Quelle,
um
das allgemeine Ver-
derben, das durch die Reformation eingetreten sein
soll,
zu schildern.
Johannes Janssen über die Reformation.
f,92
Er verschweigt aber, dass Luther selbst doch wieder die Freude auf manchen Gebieten eine Besserung constatiren zu können, und unterlässt, worauf es ihm doch in erster Linie ankommen müsste, den Nachweis vollständig, dass es damals mit der sittlichen erlebte,
Beschaffenheit der Katholiken besser bestellt war.
Wem
Umwälzung des 16. Jahrhunderts dem religiösen Bedürfnis des Volkes sich ergebende Notwendigkeit gilt, als eine Bewegung, die ihre tiefsten Wurzeln in den letzten dunkeln Trieben des Volkslebens hat, dem kann ein die grosse kirchliche
als eine aus
Zweifel an der Berechtigung der Reformation auch dann nicht
er-
wachsen, wenn er das ganze politische und wirthschaftliche Elend der späteren Zeiten auf sie zurückführen so weniger,
suche
einer
zu müssen
glaubt;
um
wenn er sich vergegenwärtigt, wie alle anderen VerReform der Kirche bis dahin fehlgeschlagen waren
und was für Früchte die sogeuannte katholische Reformation durch
Hader
das tridentiuische Concil in den von confessionellem
wie unberührt gebliebenen Ländern Spanien hat.
War
sie sich
die deutsche Reformation wirklich
auf anderem
Wege
nothwendig und konnte
Lostrennung
als durch
so gut
und Italien gezeitigt von
der alten
Verantwortung für den dreissigden politischen Gegensatz katholischer und protej ährigen Krieg, stantischer Staaten, die ganze Zerrissenheit Deutschlands bis in unser Jahrhundert nicht ihr zur Last. Religiöse Ideen treten mit dem Anspruch auf, eine höchste Wahrheit zu besitzen und verKirche nicht behaupten, so
künden zu dürfen;
eine
fällt die
gewisse Ausschliesslichkeit
nothwendig zu ihren Merkmalen.
Sie vertragen
gehört natur-
sich
vollkommen
mit Toleranz und Gewissensfreiheit, nicht aber mit der Rücksicht-
nahme auf
blos äusserliche Vortheile
durch welche
sie in
Dass
werden könnten.
und
rein politische
Erwägungen,
der Verkündigung ihrer Wahrheit beeinträchtigt die Reformation,
um
die Einheit der
Nation
nicht zu zerreissen, ihre politische Machtstellung nicht zu gefährden
und ihre
friedliche wirthschaftliche
hätte unterbleiben
Gedanke und Gegnern sein.
müssen,
sollte es
auch für die
welche es dahin hatte
für Protestanten
unfassbarer
Denkenden
unter ihren
billig
auf die katholische Kirche zurück,
fällt
kommen
lassen,
dass
eine Besserung
ihrer
Schäden und eine Reinigung ihrer verfälschten Lehre für
einen grossen Theil der Christenheit
möglich
Eut Wickelung nicht zu stören,
Die Schuld, welche die ultramontane Wissenschaft
der Reformation aufbürdet,
heillosen
ein
ist
wurde
,
dann
auf
die
nur durch Trennung von ihr
unglückliche
Entwickelung
der
Johannes Janssen über die Reformation. welche
deutschen Verhältnisse im Mittelalter,
dem Gemüths- und
Hessen,
dass eine
aus
Volkes
urwüchsig
entspringende
geistige
es
(593
kommen
dahin
Leben
religiösen
Bewegung
des
bereits
die
eingetretene Zersplitterung Deutschlands vollenden musste, schliess-
auf diejenigen geistlichen und weltlichen Reichsstände, welche
lich
den natürlichen Lauf der Ereignisse hemmten Einsicht aus Egoismus
und
und trotz
besserer
Zeit aus Fanatismus den
in späterer
Auschluss des gesammteu Volkes an die reformatorische Bewegung gewaltsam hinderten oder, wo derselbe bereits vollzogen war, rück-
gängig machten.
Heute
vollständige Verdrängung IG.
kann
Mensch
kein
des Katholicismus
dass
bestreiten,
die
aus Deutschland im
durch Jahrhundert eiue sehr nahe gerückte Möglichkeit war der ist aus der Geschichte ;
welche Mittel das verhindert wurde,
Gegenreformation und der Thätigkeit der Jesuiten sattsam bekannt.
Der
dreissigj ährige
Krieg
ist
keine
nothwendige
Folge der
Reformation gewesen, wohl aber der katholischen Gegenreformation; dass jedoch deren
siegreiches Vordringen
in
dem Sinne
eine ge-
Notwendigkeit genannt werden müsse, dass auch ein einsichtigeres und patriotischeres Verhalten der deutschen Fürsten, katholischer und protestantischer, dasselbe nicht hätte abwenden können das wird wol niemand behaupten wollen. Es liegt ein ganz besonderer Reiz in der Beobachtung der geschichtlichen Thatsache, dass alle grossen Ideen, wenn sie auf Erden Gestalt gewinnen, zuerst etwas getrübt und mit vielen Schlacken behaftet erscheinen und nur allmählich im Kampfe mit schichtliche
—
alten Anschauungen,
Verhältnissen
und
Hindernissen
unzähligen
werden und die Menschen
ausreifen, bis sie endlich klar formulirt
zu Maximen ihres Handelns machen. Janssen lässt Erwägung ganz ausser Acht. In Luthers Leben erkennen wir etwas Tragisches darin, dass er um höherer Zwecke willen einen Theil der Grundsätze, auf denen sein reformatorisches Wirken
sie
bewusst
diese
beruhte,
in späterer Zeit,
als es galt,
das Gewonnene zu sichern
und auf den Trümmern des Alten einen Neubau* aufzuführen, zurückstellen musste, weil die Praxis der Zeit
war.
Erst einer viel späteren Zeit war
noch nicht es
reif
für
sie
vorbehalten, Freiheit
der Gewissen, religiöse Toleranz, freies wissenschaftliches Forschen •
als
unerlässliche
Voraussetzungen
einer
segensreichen Arbeit
Staat, Kirche und Gesellschaft zu betrachten.
der
beliebtesten Kampfmittel
nachzuweisen,
wie
oft er in
der
Es
Feinde Luthers
in
immer
eines
gewesen,
ihm
ist
seinem späteren Leben diesen Grund-
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Johannes Janssen über die Reformation.
694
Sätzen untreu geworden
Auch Janssen hat das weidlich
sei.
aus-
genutzt und darin einen Beweis seines ungezügelten Subjectivisnius gesehen,
dass
später
er
kirchlichen Angelegenheiten für sich
iu
Anspruch nahm, die er den Häuptern der kathoKirche bestritt, und unzählig oft ist es wiederholt worden,
eine Autorität in lischen
dass er den Seinen gegenüber eine papstähnliche Stellung einnahm,
jedem anderen verdammt
die er bei
Luther
Es hat aber auch kein
hätte.
Geschichtschreiber
protestantischer
vernünftiger,
geleugnet
,
dass
von einer Hartnäckigkeit war, die sich bis zur völligen
oft
Verkennung
Gegner steigern konnte und
seiner
ihm unmöglich
es
machte, den Standpunkt derselben auch nur zu verstehen.
Luther
wurde mit zunehmendem Alter reizbarer und unduldsamer. Aber es wäre doch, wenn man diesen bedauerlichen Fehler auch zugesteht,
man
die grösste Ungerechtigkeit, wollte
fügen, wie die gewaltige Verantwortlichkeit,
ihn gegen sein Wollen in
diese Stellung
hat er sie wahrlich nicht.
nicht gleich hinzu-
die auf
ihm
lastete,
Gesucht
hineindrängte.
Von seinem Verhalten
hing, wie er fest
überzeugt war,
das Seelenheil von Millionen ab.
Niemals hat er
leichtfertig eine
Entscheidung gegeben, sondern sich jedes mal nur
nach den schwersten inneren Seelenkämpfen zu seinem Standpunkt
Dann aber
durchgerungen.
der Wahrheit desselben
hielt er ihn
viel
zu
tief
auch
fest
und
durchdrungen,
um
war von uicht für
Anerkennung desselben seinen gauzen Einfluss aufzubieten, ja Dass Luther, der von der seine ganze Persönlichkeit einzusetzen. begeisterten Liebe seines Volkes getragen war wie kein anderer
die
und der
dieser Liebe
in
Wirken und gewiss
mächtigsten Autrieb
den
eine herrliche
Genugthuung
zu weiterem
fand, unbedenklich
seine ganze Popularität aufs Spiel setzte und sie zu einem grossen
weil er der Wahrheit
Theil verlor,
gedachte, wie
gegenüber
—
z.
das
ist
doch eine
statt
dessen
die
vor der auch die
sittliche Grösse,
Gegner den Hut ziehen müssten. nutzt
vor allem die Ehre zu geben
ß. in seinem Verhalten den aufständischen Bauern
Janssen
Selbstbekenntnisse
schweigt Luthers,
davon. dass
er
Er oft
gezittert und gezagt, ob er ein so grosses Werk auch richtig und mit Gott angefangen habe und ob er es auch werde glücklich hinausführen können, dahin aus, dass er ihn als einen von Gewissensbissen und Aengsten, über das Verbrecherische seines Beginnens
darum
heimgesuchtes, schliesslich
zwischen Reue
an diesem
kommendes Individuum
und
Trotz
inneren Zwiespalt darstellt.
hin-
und hergerissenes,
sittlich
uud geistig
ver-
695
.Johannes .Janssen über die Reformation.
Wir können welche
ihm
die
und ebenso
nnd offenbaren Lügen,
füglich die Verdächtigungen
gewöhnlichste
absprechen,
bürgerliche Moralität
Motive übergehen, welche ihm in ßezug auf seine Stellungnahme zu den Mönchs- und Nonnengelübden und zur Ehe die
untergeschoben werden, ihm, der der vollen Werthschätzung dieser innigsten Lebensgemeinschaft erst dadurch die
dass er die mittelalterlich-ascetische Ansicht
kommenen Lebensführung der Rhelosen
verwarf.
der Anfang der Lebensbeschreibung Luthers
Jeder Schnlknabe
derselben.
jähriger
Mann
der
Reise
und
erkrankte
Grafen
Humor
Ruhe
er seinem
schlafen
ist.
folgte,
um
wie er schon auf
der
von Mansfeld, ;
Widerwärtigkeiten
den Handel
kann jeder
aller
nachlesen, wie glücklich bei Luther auch
Ernst und
wie
Köstlins Lebensbeschreibung
trotz
In
beilegte.
Effectvoll
auch der Schluss
ist
wie Luther als 03Gebrechen dem Rufe seiner
einen Streit zwischen ihnen zn schlichten
glücklich
hat,
sittlich voll-
uns weiss,
bei
trotz seiner körperlichen
ehemaligen Landesherren,
Bahn gebrochen von der
in seinen
letzten
Tagen
mit einander gepaart waren, mit welch heiterer
Tode entgegensah und wie glaubensfroh er
ent-
Janssens Bericht über Luthers Tod lautet folgeuder-
massen In Eisleben erlebte er keine Freude.
Als
er
Wein auf dem Fussbodeu
gräflichen Schlosse der
sah,
floss,
wie
im
sagte
er
bekümmert: «Das wird bald Gras nachwachsen.» Er war körperlich und geistig erschöpft; seine letzte Stunde war nahe. «Vor seinem Tode,> berichtet der Arzt Ratzebergei", «als er sein Gebet zu Gott in aufgethanem Fenster gesprochen, sah er den Satan auf dem Rohrbrunnen, der ihm die Posteriora gezeigt und seiner gespottet. Abends vor seinem Ende war er mit Doctor Jonas und Michael
Cölius,
und da er
seinen
Hausgenossen,
sich nach gehaltenem
legen, hat er folgenden
heimlich
guter Dinge,
Abendmahl hat wollen zur Ruhe
Vers mit Kreide an
die
Wand
geschrieben:
«Im Leben war ich, o Papst, deine Pest, im Tode werde ich dein Tod sein.> In der folgenden Nacht, auf den 18. Febr., trat seine Seele vor den ewigen Richter.
Aus den oben bereits erwähnten Gründen wird das Janssenwenn es bei uns auch bekannter werden sollte, als es
sche Buch, jetzt
ist,
'
niemals
Ratzeberger,
eine
so
leidenschaftliche
Jahre später der Erscheinung de« Teufels Janssen,
als einer Sage.
erwähnt einige
Küstlin,
Luther und
p. 68.
Baltischo Monatsichrirt.
i.V.
Erregung hervorrufen
der sich damals nicht bei Luther befand,
Ild.
XXXVI.
lieft
8 u.
9.
48
Digitized by
Google
Johannes Janssen über die Reformation.
696
können, wie jenseits der Grenze.
Es fragt
wodurch die Be-
sich,
sprechung des Jansäenschen Buches in den Spalten der
Werk
sprochene
Kämpfe
geistigen
Besonderen
im
Monatsschrift»
gerechtfertigt
jedenfalls
ist
ein
zur
Beitrag
unseres Jahrhunderts;
es
Baltischen
€
Das
erscheint.
be-
Geschichte
der
von Interesse, ja
ist
was die protestantischen Glaubensgenossen ausserhalb unserer Landesgrenzen in Äthem hält ausserdem ist das Buch in vieler Beziehung sehr lehrreich, z. B. in culturgeschichtnoth wendig zu wissen,
;
und sind seine Verdienste nach
licher,
dieser Seite
von der
hin
protestantischen Kritik auch vollkommen gewürdigt worden.
das
ist
es
derartigen
nicht,
was uns Balten
Werk nahe
diejenige
entgegentritt,
die uns hier in ist,
welche
mit
Allein
einem
Umstand, dass die ultramontanem Ge-
legt; vielmehr ist es der
Beurtheilung der Reformation,
wände
die Bekanntschaft
sich
alle
Feinde
des
Protestantismus zu eigen raachen.
Eine oberflächliche Geschichts-
betrachtung
uns Stimmungen
erzeugt
selbst
unter
welche den soeben angeführten
nahe kommen
und Urtheile,
und
unsere Wider-
Aus
standskraft einem geschickten Angriffe gegenüber schwächen.
diesem Grunde
ist es
Standpunkt klar eine
und
Sollte Janssen gehofft haben,
als eine äussere
Form,
ist
be-
auch viele Prote-
dauernd
sie
Dazu ganz in
ihren
Ueberzeugungen
geschichtlichen
machen, so täuscht er sich stark. ist,
seiner haupt-
des Janssenschen Buches
stanten in sein Lager hinüberzuziehen und religiösen
einige
ihre Berechtigung zu prüfen.
besonnene Leetüre
sonders geeignet.
und
vergegenwärtigen
Momente auf
sächlichsten
aber
zu
keine verlorene Mühe, sich den gegnerischen
Wem
sein
schwankend zu Protestantismus mehr
in die er hineingeboren,
der wird durch
mancher wirklichen Schwächen und Gebrechen, deren der Protestantismus sicli auch iu der Reformationszeit schuldig gemacht hat, an dem Lügengeiste, der dies Buch durchweht, nicht
die
Erörterung
irre werden.
Vielmehr eine Stärkung des evangelischen Bewusst-
seins lässt sich von der Kenntnisnahrae der Mittel erwarten, welcher
man
bedurfte,
um Luther und
seiue Zeit zu verunglimpfen.
Dr. A.
Berge 11 grün.
K. Pobedonoszew Ober: Familienantheile.
n einem Aufsatz über die Familienantheile (ceiiefloue yqacTBu)
hat K. Pobedonoszew,
der Generalproeurator des
hl.
Synods,
im Septemberheft der Monatsschrift «Russkij Westnik» (1889) Ideen entwickelt, welche,
wenn
sie
die agrarpolitischen
sind,
auf fruchtbaren Boden
Anschauungen
fallen,
geeignet
Russland, die Werth-
in
schätzung gewisser Besonderheiten der russischen Agrar Verfassung
und zuletzt diese
Zwar
selbst bedeutenden
daran noch
fehlt
viel,
hat doch selbst die Redaction nicht überall verstanden,
eingewurzelten
den
Misverständnis
Tage
Wandelung rasch
der Zeitschrift,
Autor seine Gedanken anvertraute,
gestellte
von
Aenderungen entgegenzuführeu.
dass solche
—
tritt
in
wol deshalb, einer
weil
zu
Vorurtheileri
die
erfolge
hoch-
der
kurzen Darlegungen sie
lösen
redactionellen
worauf im Zusammenhange
welcher
sich nicht gleich
vermochte.
Anmerkung
zurückzukommen
Das
oö'en
zu
wird.
sein
Unsere deutsche Tagespresse hat an der Hand eines Referats der «St. Petersb. Zeitung» über den Inhalt der Arbeit von K. Pobedo-
noszew
bereits kurz referirt.
Die Bedeutung, welche wir derselben
ein nochmaliges und die Fragen schärfer hervorhebendes Eingehen. Den Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis, dass das abstracte
beilegen möchten,
rechtfertigt indessen
principiellen
Princip der Gleichheit der französischen Revolution das zerstörende
Element
sei,
welches
die
Ordnungen
Verfassungen zu zersetzen drohe. Erbrechts' und
getragen
,
der
des Veräusserungsrechts
welche
den
europäischen
Agrar-
In diese hat es Grundsätze des
Forderungen
der
am Grundbesitz Stabilität,
hinein-
welche 48«
dem
K. Pobedonoszew über: Familienantheile.
898 organischen
Charakter
Dem
sprechen.
des
Princip
setzt Pobedonosze.w
die Principien
hanges einerseits und
Gutes
landwirtschaftlichen
der Gleichheit
und
des
wider-
seinen Consequenzen
Familienzusammen-
festen
praktischen Bedürfnisse
der landwirt-
schaftlichen Betriebe andererseits entgegen, und aus
dem Gesammt-
die
zusammenhange darf man
schliessen,
diese höher stellt, als die auf jenes.
dass
er
die Rücksicht
auf
Ja, er scheint nicht abgeneigt,
das Princip der Gleichheit als eine Ausgeburt der Revolution über-
haupt zu verurteilen. In lichtvoller historischer Darlegung wird sodann ausgeführt,
wie jenes zersetzende Princip bis
auf die
neueste Zeit
in allen
herab
die
europäischen Gesetzgebungen
Agrarordnungen verderblich im Erbrecht und im freien
beeinflusst habe, wie dasselbe namentlich
Verkehr mit Grundbesitz Ausdruck gefunden habe, wie aber aus christlich - germanischen Welt herausgewachsene Grundsätze
der
anderer Art jenem Princip zuerst
passiven Widerstand
entgegen-
gesetzt haben, wie es denselben in allerneuester Zeit gelungen
sei,
Anerkennung zu erringeu, wie sie seitdem ein mächtiger Factor geworden seien, mit dem jeder Gesetzgeber auf agrarpolitischem Gebiete nunmehr zu rechnen habe, wie endlich sich principielle
die
vergleichende
Forschung
Analogien
gefunden
welche,
habe,
aus ganz anderen Anschauungskreisen entsprungen, ähnliche Grundsätze aufweisen,
was den Beweis der Allgemeingiltigkeit derselben
wesentlich unterstütze.
Folgen wir den Einzelheiten der interessanten Darlegung! In Frankreich ist es namentlich das Erbrecht gewesen, durch welches die Grundeigenthumsverhältnisse
tung sich entwickelt
stimmt
:
chacun
des
haben.
cohereditiers pcut
solche
den Erblasser,
Hände
civil
be-
natttre
Das französische Gesetz
unget heilte
seine
für den Todesfall
nach Vertrauen verdienen.
verhängnisvoller Rich-
dcmander sa part en
des meubJes et immeubles de la succession.
verhindert
in
Der Artikel 826 des code
Wirthschaft
in
zu übergeben, die seiner Meinung
Die Wirkung
ist überall,
in
Frankreich,
wie in den anderen Ländern, welche das französische Recht recipirt haben,
bedeutendes wirtschaftliches Elend, Zerrüttung
nichtung insbesondere der kleinen Wirtschaften und
und Ver-
Hand
in
Hand
damit Zerstörung des festen Farailienzusammenhanges.
Für den Staat überaus wichtig erklärt Pobedonoszew Existenz und Vermehrung sicher solcher,
die
von
Generation
zu
fundirter Familien,
Generation
mit
die
vornehmlich
den
w
i
r t
h
-
Digitiied
b^oogle
K. Pobedonoszew über: Familienautheile.
schaftlich organisirten
Gütern verbunden
Grund-
sind.
eine politische
Typus bilden seit alters und noch gegenwärtig Macht in England, auf ihnen begründeten sich seine
Institutionen,
durch
besitzer von diesem
worden.
Demokratie eigen Auflösung
der Nation
sie ist die Freiheit
Vernichtung
Die
dieses
Typus,
sichergestellt
welche der
moderneu
führt zur Atomisirung der Gesellschaft, zur
ist,
in eiufache Einheiten,
welche
bunden und vom Grund und Boden
wechselweise
nicht
ver-
losgelöst, folglich kraftlos
und
bodenlos siud.
Beim Gebrauch des Wortes Aa4a, das
hier mit
Gut
wurde, abstrahirt der Autor an dieser Stelle und so
wo
anderen Stellen,
Es
des Besitzes.
au den
der
Grösse
einer seiner Hauptgesichtspuukte,
dass das
gebraucht wird,
dasselbe
ist
übersetzt
aucli
von
gleiche Recht der wirtschaftlich organisirten Güter für alle Grössen-
Verhältnisse
Grundbesitzes
des
gelten
soll.
Offenbar
ist
es
in
diesem Sinne gemeint, wenn der Autor, trotzdem er zumeist bäuerliche Verhältnisse im
obgleich
hat,
ihm
Auge
aucli
hat, hier das Beispiel
der
bäuerliche
Englands gewählt
geschlossene Grundbesitz
Deutschlands zu Gebote stand, wie sich aus dem weiteren Verlauf
Er
seiner Darlegung ergiebt.
ist
aber gerade deshalb der Gefahr,
misverstauden zu werden, nicht entgangen, weil er seinen Gedanken, die
für Russland
vermieden
hat.
neu
sind,
einen concreten Ausdruck
zu
Aus dem Gesammtzusammenhauge geht
geben
für uns
unzweifelhaft
hervor, dass sein Ziel ist, das den Gefahren der Demokratisirung zusteuernde russische Bauernthum so gut wie die übrigen Bevölkerungsklassen, insbesondere den russischen Adel,
welche
ihren
Grundbesitz
ihrem Grundbesitz
blicken, durch seinen
organisirten Güter,
landwirtschaftlich
eine wirthschaftliche
ausnutzen und und sociale Aufgabe
in er-
Typus der nach wirtschaftlichen Rücksichten
d. h.
durch geschlossenen Grundbesitz, zu retten.
Dass dieser Grundsatz nicht
in seiner
ganzen Strenge,
d.
h
nicht
auf alles landwirtschaftlich benutzte Land augewandt werden kann,
dem Autor klar. In diesem Sinne zieht er das Beispiel Chinas wo nebeu dem geschlossenen auch solcher Grundbesitz existirt, der dem freien Verkehr unterliegt. In diesem Sinne verweist er mit mehr Nachdruck auf Nordamerika, wo die Heimstättengesetze nur den Hof uud ein Minimum des Besitzes — im Werte von 1000 Dollars der Familie sichern, den übrigen Besitz aber dem freien Verkehr, der Verschuldung und dem Zwangsverkauf überlassen. In gleichem Siune scheint dem Autor auch Russlaiids agrare ist
heran
,
—
700
K. Pobedonoszew über: Familienantheile.
Entwickelung wünschenswert zu sein. Zuerst gilt es ihm, die Wohnstätten nebst einem Minimalbesitz den Familien zu sichern. Russland wird sich, wie die Forschungen auf dem Gebiete der
wenn
Agrargeschichte erwiesen haben, schreitet, in
zu
entwickelteren Agrarverhältnissen
Germanen, bewegen. als
Richtung
es in dieser
fort-
den Bahnen der ihm stammverwandten Völker, welche
Der
ein
gelangt
sind
Obereigeuthum anerkennende Familienbesitz
am Hofe und
von
schreitet
Weide und Wald.
Seitdem
wie
Slaven
,
Gesammteigenthum der Gemeinschaft weiter
hier
man
fort
sich zuerst
fixirt
zu Acker, Wiese,
Einwirkung des
die
römischen
Rechtes, als dessen radicalste Conseqnenz jener französische Rechts-
grundsatz nur angeseheu werden
kann,
erkannt
man
sucht
hat,
überall die Bedingtheit jener Entwickelungsreihe des Privatbesitzes
am Grund und Boden Gesammtheit Doch,
durch die Autorität des übereigenthums der
der Agrargesetzgebung zu wahren.
in
haben
wir
Pobedonoszew fährt
vorgegriffen.
Illustrirung des Widerspruches fort,
in den
in der
das abstracte Gleich-
heitsprincip zu den praktischen Bedürfnissen der Grundeigenthums-
Ordnung gerathen
ist.
Wie sorgsam
auch,
heisst
das
weiter,
es
— dasselbe ehemals durch die Arbeit früherer Generationen worden, Schatz guter Familientraditionen — das
Familienhaupt sein Gut eingerichtet und bearbeitet hat ist vielleicht
gerichtet
nützt
;
alles
wenn nach dem Tode das Gut der Zerstückelung
nichts,
anheimfällt eine
ein-
ein
und auch die neuen Besitzer der Theile sind verurtheilt,
wirtschaftliche Arbeit
zu
d:e nach ihrem Tode Dazu kommt, dass mit jeder
erneuern,
wiederum auseinandergerissen wird neuen Zerstückelung,
wenn
erforderlich ist und solches die Schulden
—
ordnung zwar
erleichtert,
neu einzurichten, Capital
sich
immer schwerer zu haben
und der Credit,
verderblicher wird, das, je
schuldung trägt.
es gilt,
aber
welcher
gerade
kleiner
Die Güter geratheu
es in
durch
dadurch ist,
die
ist.
Daher
Hypotheken-
dem Gute
desto
desto schwerer die Ver-
Concurs und werden unter
So verliert allmählich mit dem Ruin der kleinen Güter die Landwirthschaft
dem Hammer
verkauft.
jeglicheA
n
ziehungskraft,
und die Bevölkerung, die ehe-
mals ansässig und mit dem ländlichen Leben zufrieden war, strömt aus den Dörfern vermehrt,
in die Städte,
wo
sich das obdachlose Proletariat
jene unzufriedene, hungrige
und von jedem zufälligen
und materiellen Interesse abhängige Masse. Der Grund und Boden, ehemals productiv in den Händen seiner Wirthe, verfällt in Massen
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GuOQle
K. Pobedonoszew über: Familienantheile.
701
den Händen von Capitalisten und wird die Beute einer RaubWirtschaft oder der Standort einer Fabrikindustrie. Derart sind die schlimmen Folgen der Zerstückelung der
Umfange schon
Erblassenschaften, in ihrem ganzen
wo
in Frankreich,
um
jetzt kenntlich
vernünftige Leute längst nach Mitteln
diesen Uebelständen durcli
suchen,
Abänderung der Gesetze über das
Erbrecht abzuhelfen.
Es
ist
zu Felde
offenbar, dass
zieht,
das Erbrecht
Pobedonoszew nicht gegen das Erbrecht
sondern gegen
in
die,
Frankreich allerdings durch
bedingten Zerstückelungen
welche keine Rücksicht haben
Grund und Bodens,
des
Charakter des
für den organischen
landwirtschaftlichen Gutes und für die Dauer des Familienbesitzes als die stärkste
sache derselben
Das
sind,
Wichtigkeit,
Frankreich,
keit
der
die Ur-
fährt
Pobedonoszew
Fragen
fort,
von
allererster
an die Oberfläche getreten sind nicht allein in Und iliese sondern mehr oder weniger überall. die
allererster
Völkern:
die rück-
ist also
der hier entgegengetreten wird;
von secundärer Bedeutung.
ist
Fragen sind nicht von
Es
Wurzel der Vaterlandsliebe.
sichtslose Zerstückelung,
Sie sind verknüpft mit einer anderen
neu.
—
Wichtigkeit
zu
und
Zeiten
allen
bei
Frage allen
mit der Erhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
Familie,
welche
Hauptstütze
die
des Wohlstandes im Staate ausgemacht
Das Centruin
der Familie
ist in
diesem Sinne der häusliche Herd,
seine wirtschaftlichen Voraussetzungen das
und Boden, beide und Boden
in
Ordnung und
der
uud ausmachen wird.
hat
Haus und
enger Verknüpfung unter einander.
erfordert Pflege, Arbeit,
Grund Der Grund der
Kunst des Wartens und
die
Berechnens, erfordert ein Können, das nicht jedermanns Sache und
—
gemäss den
das nicht allemal
eintritt.
Herd zu bewahren,
lichen
—
natürlichen Verhältnissen
ohne Hilfe von aussen.
Schwer ihr
ist es
Haus und
Daher
—
auch
ein
Gelingen,
für viele, sich ihreu häus-
Grund und Boden
ihren
die Verschuldetheit,
daher die
verhängnisvolle Rolle, welche der Darleiher in der Geschichte der
Agrarverhältnisse seit den ältesten Zeiten
spielt.
Deshalb
ist
der
Schutz der kleinen Landwirtschaft überall Gegenstand der Sorge
und Pflege des Staates gewesen. Der Autor fordert in richtiger Erkenntnis, dass das Bauerngut Gegenstand schützender Gesetze duellen Rechtes auf
Land
stellt er
sei.
An
die Stelle des indivi-
das Recht der Familie an das
Bauerngut als Gegenstand staatlicher Fürsorge
hin.
•
Digitized by
Google
702
K. Pobedonoszew über
Familienantheile.
:
Ueberall, heisst es weiter, erwies es sich als nothweudig, den
Grundbesitzer in
Herd
Lage zu
solche
bringen,
dass
häuslicher
sein
Beschlagnahme bei Lebzeiten und vor Theilung im Todesfall. Um diesen Schutz auszuüben kennen die Volkssittel) und Gesetzgebungen folgende Mittel sichergestellt sei vor
,
1. Die Einrichtung des ländlichen Gemeindebesitzes. Die Gemeiude versorgt alle Glieder mit Land und verbietet allen die Veräusserung desselben. Ihr gehört das Eigenthum, dem einzelnen Gliede nur der Niessbrauch des Grund und Bodens (cf. Theil I.
meines Cursus des Privatrechts § ö6). 2. Die Ordnung des Lehnrechts, getheilten
Grundeigentum
sich aufbaut.
bekanntlich
das
auf dem
(Den historischen Excurs
des Autors übergehen wir.) 3.
Die chinesische Agrarordnung.
Aus dem ganzen StaatsLand ausgesondert mit dem Verbot, dieses
territorium Chinas sind 75 Millionen Hektaren
und in Eigenthum an Familien vergeben, Eigenthum zu veräussern oder zu verschulden, und mit der Be-
stimmung, dass ein jedes dieser Familiengüter uugetheilt auf eine u
Erben übergehe. Diese Besitztümer beiluden sich noch gegenin den Händen derselben Familien, denen sie im 7. Jahrhundert verliehen wurden, wodurch die Festigkeit des Grundeigentums in China erklärt wird. Das übrige Land des Staatsterritoriums unterliegt dem freien Verkehr und den Eiuflüssen der mannigfaltigen und zufälligen Bedingungen des Marktes. wärtig
4.
der
In neuester Zeit
ist,
Freiheit,
bürgerlichen
kommen, deuselben Zweck zu der Familienantheile auf
des Princips
unter der Herrschaft ein
neues Mittel
Das
erreichen.
ist
folgender Grundlage.
Uebung
in
ge-
die Institution
Der Eigentümer
kann, ohne übrigens die Befugnis, sein Eigenthum zu verschulden,
zu verkaufen oder zu vererben, einzubüsseu, formell erklären, dass sein Landantheil
für seine Schulden
nicht
haftet,
und verbieten,
dass dasselbe nach seinem Tode getheilt werde.
Nach
einer
für den offenen Blick
des Autors
nach Westen
zeugenden Darlegung der neueren europäischen Agrargesetzgebung, namentlich derjenigen Deutschlands die
und Oesterreichs,
in
welcher
Fragen des geschlosseneu Bauerngutes, der Höferolleu und des
Anerbeurechts ins rechte Licht Leser können verweisen
—
wir
in
findet der
licher Institutionen
in
gestellt
dieser Beziehung
werden auf
—
den deutschen
die reiche Literatur
Autor den charaktervollsten Typus
ähn-
nordamerikanischeu Freistaaten.
Am
den
K. Pobedonoszew über: Familienautheile.
703
wichtigsten sind für dessen Entwickelang die in 44 Staaten von 48 mit geringen Modifikationen eingeführten Gesetze der homestcad Das erste derselben datirt vom Jahre 1849. Danach exemption.
—
Eintragung ins kann der Eigentümer durch einen formellen Act sein Gut (der Autor braucht den Ausdruck wb) Grundbuch im Umfang bis 200 Acres, nebst Haus und beweglichem Inventar für untheilbar und der Beschlagnahme nicht unterliegend erklären
—
bis
zum Betrage von 1000
Wenn
Dollars.
bei eintretender
vollstreckung es sich durch Taxation seitens
Zwangs-
der Behörde erweist,
dass das Besitzthum höher werthet, so steht es
dem Besitzer
frei,
—
dieser wird abgetheilt. Durch den Ueberschuss auszukaufen oder einen zweiten Act kanu der Besitzer seineu Besitz wieder frei-
machen, dazu bedarf es aber der Zustimmung der Ehefrau. der Herrschaft dieser Gesetze
hat
Unter
Zahl der Farmer von
sich die
zwei auf vier Millionen gehoben.
Die Frage der Untheilbarkeit
und
kleinen Antheile erklärt Pobedonoszew
Ländern,
die den
besonders
aeMJieBjiaAtjiLCTO
wichtig
der in
Bauernstand von der Leibeigenschaft mit Land
Die Bedeutung des Gemeindebesitzes
befreit haben.
in
Unveräusserlichkeit
für
— für die Zeiten des
Pobedonoszew
die Freiheit erkennt
—
o6u;uHüoe
Uebergangs aus der Unfreiheit voll an, weil sie
den Bauer
vor der Gefahr schützt, ehe er die wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt hat, seinen Grundbesitz zu verlieren.
Nach
seiner principiellen
Darlegung führt Pobedonoszew den
interessanten Beweis, dass durch einzelne Bestimmungen der russi-
schen Emancipationsgesetzgebung die Absicht vereitelt
zu werden
drohe, den Grundbesitz des Bauernstandes durch den Gemeindebesitz
zu
Vor allem
schützeu.
ist
der Artikel 165
es
der
Loskaufs-
ordnung, welcher jedem einzelnen Bauer gestattet, nach Einzahlung seines vollen Antheils die Ausscheidung
dann
besitzt er
das Recht, Artikel
zu
als unbeschränktes
dasselbe
hat,
an der Loskaufssumme
seines Antheils
zu veräussern,
wie Pobedonoszew
in
der Kreisrentei
verlangen.
Eigenthum und
Diesen Antheil erwirbt damit
ohne Einschränkung.
sich
Dieser
überzeugen Gelegenheit
zu
gehabt, besonders grosse Verheerungen angerichtet, indem Aufkäufer
den Bauern
die
ganze Loskaufssumme
Verkaufs ihrer Antheile an
Die
Beispiele, welche
unter
der Bedingung des
sie vorstreckten.
Pobedonoszew
als besonders verderblich
herausgreift, genügen, den zersetzenden Eintiuss zu erkennen,
jeues
abstracte
Priucip
der
Gleichheit
,
das
der
den
französischen
704
K. Pobedonoszew über: Familienantheile.
Revolution entstammt,
auch
gebung ausgeübt
Wie
rechts,
wie
hat.
auf die neue in
auf dem
Deutschland
in
im
Verkehrsfreilieit
russische Agrargesetz-
Wege
Frankreich auf dem
Grundbesitz
Wege
der
durchgeführten
des Erb-
zu völliger
bis
Grundsätze
Stein-Hardenbei gschen Agrargesetzgebung, so hat auch
in
der
Russlaud
wenn auch nur durch eine Hinterthür, Eingaug Das Recht auf Land, das die russische Agrarverfassung jedem Geraeindegliede zuspricht, löst Pobedonoszew aus dem Banndasselbe Princip,
gefunden.
des
kreise
dem
abstracten
punkte betrachtet, postulirt,
das
Gleichheitsprincips
indem
,
dasselbe
er
Aus diesem
Princip des Familienantheils subsumirt.
Gesichts-
der die Untbeilbarkeit und Unveräusserlichkeit
behält der Anspruch des einzelnen Gemeindegliedes auf
Grundeigenthum
der Gemeinde
mehr bedingte Geltung,
nur
entkleidet sich der Consequenzen, welche zu den periodischen
theilungen
der
Schlüsse zieht
Um-
gesammten Gemeindeflur geführt haben. Diese der Autor allerdings nicht. Es heisst weiter:
In Russland allen bäuerlichen Grundbesitz
für
freie
Waare
erklären, hiesse die Bauern aller Mittel zur Aufrechterhaltung ihres
Besitzstandes berauben,
Unterhaltung der Wirt-
aller Mittel zur
und Hunger.
schaft, zur Sicherung vor Bettel haftigkeit
des russischen Volkes besteht
zur Zeit
aus
solchen,
Die Masse an Be-
die
reicherung nicht denken können, selbst nicht an regelmässige schaft, sondern versunken sind in
Sorgen
um
Wirt-
das Stück Brod.
Der
Grundbesitz legt auf den Besitzer so schwere bürgerliche Lasten, die einem
Menschen ohne Capital entschieden über
die Kräfte gehen,
dass die Erhaltung der Scholle leicht für die Mehrzahl sich als zu
schwer erweisen dürfte.
Vor allem stimmungen, diese
dass
fordert
Forderung befriedigt ihn
man
Autor
der
über
die
nicht.
Grundsätze
jener Be-
Beseitigung
die
Frage stellen. Aber Geleitet von der Erkenntnis,
welche den Gemeindebesitz
in
hinauszugehen habe,
Aufhebung der Leibeigenschaft wirksam waren, sagt
welche bei er weiter
Zugleich mit dieser Frage' führt eine gesunde Politik, welche entschieden die Erhaltung der Familie in ihren sittlichen Beziehungen
und ihrer wirthschaftlichen Integrität wendigkeit, dass eine
Norm
des
zu
fördern
hat,
untheilbaren
zur Noth-
(und
—
wenn
durch Zwangsvollstreckung nicht veräusserbareu) Die gegenbäuerlichen Haus- und Grundbesitzes festgestellt werde.
auch bedingt
1
Ks
ist
die
Frage der Beseitigung jenes Art. 165 und ähnlicher au» den
Eraancinatiunsgesetzen gemeint.
K. Pobedonoszew über: Familienantheile.
705
Das
wartig bestehenden Gesetze genügen dieser Forderung nicht. constatirt der Autor.
Nachdem
derselbe gezeigt hat, dass nicht allein der bäuerliche
Grundbesitzer derart schützender Gesetze bedarf, sondern auch alle übrigen landbauenden Klassen, es
am
—
Schlüsse
aber
namentlich
der Adel,
und dieser Schlusspassus bezieht sich
Westniki misversteht,
die Redaction des «Russkij
allein
auf allen Grundbesitz,
nicht bäuerlichen, sondern
des bäuerlichen Gemeindebesitzes
:
heisst
nicht,
wie
auf den
mit Einschluss
Angesichts eines so elenden Zu-
Standes entsteht unwillkürlich der Gedanke, ob es nicht auch unserer
Gesetzgebung anstände, ihre Aufmerksamkeit der Begründung eines ähnlichen Typus zuzuwenden, wie ihn Nordamerika für sich iu der
Form
Dieser Gedanke
der homestead ausgebildet hat.
ist
theilweise
und Gesuchen
bereits ausgesprochen
worden
zuerst der Poltawaer
und dann mehrerer anderer Adelsversamm-
lungen.
der
Ich sage,
und
Geschichte
arbeitet,
zum
erinnerten
in
Theil, denn diese Projecte,
westeuropäischen
der
weshalb
exclusiv adeliger Institutionen,
wurden,
—
auch
sie
nicht zu
jener Theoretiker des abstracten Princips
von
gedenken
ausge-
im Siune der Presse
der
Meinung
der Freiheit jeden Ver-
es unterliegt keinem Zweifel,
Aber,
kehrs.
ohne Kenntnis
Gesetzgebung
Majorate,
Zügen an
in einigen
ungünstig beurtheilt
den Vorschlägen
dass
diese ursprüng-
lichen Projecte bei fernerer Bearbeitung einen Charakter
gewinnen
können, welcher den thatsächlichen Bedürfnissen des Schutzes entspräche, nicht der grossen Güter, sondern des kleinen Grundbesitzes, d. h.
Hof
einer Normalgrösse
—
sind,
landwirtschaftlichen Gutes
eines
nebst
Trotzdem hier Ausdrücke gebraucht welche der Sphäre des adeligen Gutes entnommen sind ^aia (jiaia cif
ycaAbOo»).
—
—
und welche den Irrthum der Redaction des Russkij ycaAb6o» Westnik>, hier sei von kleinen Gutem des Adels die Rede, wol in erster Reihe veranlasst haben, geht aus dem Gesammtzusammen-
ct,
«
hange unzweifelhaft hervor
Ausdruckes stätigt,
Gut
—
und
—
wird
durch die Wahl
desselben
anderem Zusammenhange bedass K. Pobedonoszew auch hier, und wol in erster Reihe, für
.naia
in
den bäuerlichen Grundbesitz, also auch den Gemeindebesitz, als die normale Form des bäuerlichen Grundbesitzes in Russland, im Auge hat.
Ideen,
Unter dem Obereigenthum der Gemeinde soll, wenn wir die welche der Autor entwickelt hat, richtig verstehen, die
Familie den
in
entzogenen
und
seinem Kerne untheilbaren, der Zwangsvollstreckung
nach
dem Princip
des Auerbenrechts,
d. h.
der
K. Pobedonoszew über: Familienantheile
706
eines
Bevorzugung Grundbesitz
Erben, erblichen Grundbesitz nutzeu. landwirtschaftliches
soll als
Summe
nicht aus einer
Gut
Dieser
erfasst werden, also
von Flächenmasseinheiten bestehen, sondern
gemäss dem Charakter organischer Einheit aus allen für den landwirtschaftlichen Betrieb und im Sinne eines Familieusitzes erforderlichen Theilen bestehen. Die Form der Eintragung und Löschung im Grundbuch als Voraussetzung des besonderen Charakters dieses gebundenen Grundbesitzes, die sich in Nordamerika heraus-
gebildet hat, wird nicht betont. für
Russland passen.
Dieselbe dürfte auch
am
wenigsten
Selbst in Deutschland hat sie sich nur aus-
Denn
nahmsweise bewährt.
dem europäischen Bauers-
es widerstrebt
mann, seinem Willen durch formelle Acte Ausdruck zu geben.
Wie
welche
weit die Ideen,
Verwirklichung noch ferne
dem
verständnis,
welcher
sie
wol
derjenigen
tion
sind,
werden,
entwickelt
hier
am
illustrirt
besten
dieselben von einer Seite ausgesetzt waren,
am
Zeitschrift,
der jene
Ideen
anvertraut
wie schwer es einem
gefärbten russischen Politiker werden mag, die hier
Das
gebrachten Ideen auch nur zu verstehen. die grosse Zurückhaltung, die
es
welche
ihm
letzt:
unumgänglich,
ist
sichtsmassregeln
Dritter
wurden.
der Wolle
zum Ausdruck
rechtfertigt vollauf
mit detaillirteu
versagte,
Nur
Bemerkuug welche den Gedankengang andeutet. Es heisst
wir,
Es
in
der Autor beobachtet hat, eine
vor allem
positiven Vorschlägen hervorzutreten.
gegnen
von
von der Redac-
wenigsten vermuthet wurden,
Dieses Misverständnis zeigt,
Zurückhaltung,
ihrer
jenes Mis-
und
einer
dass bei Beobachtung
bezu-
gewisser Vor-
ohne Verletzung der Rechte
eine gesetzliche Möglichkeit gewährt werde, diese kleineu
und Zwangsvollstreckung zu schützen nach Ausscheidung aus dem für viele verderblichen Credit
Grundbesitze vor Schulden
und
sie
in ihrer
Ganzheit der
Erwähnung
Familie
verdient
es,
vorzubehalten.
dass der Autor,
der jene verfehlten
um an
Projecte einiger Landschaften herangezogen hat,
ähnliche
Bestrebungen anknüpfen zu können, bei Gelegenheit seiner Kritik der russischen Emancipationsgesetzgebung die westlichen
auch
und baltischen Gouvernements
deren Agrargesetzen
er
Bestimmungen
den Hinweis auf
nicht
unterlässt,
in
er
am
K. Pobedonoszew
er-
begegnet,
welche
Hauptkörper des Reiches ungern vermisst. Seitdem schienen
ist,
die
interessante
Arbeit
von
hat das jüngst veröffentlichte Colonisationsgesetz auf
Domänenland vom
13.
Juni
c.
gezeigt, dass seine Ideen eiuer
sym-
K. Pobedonoszew über: Familieuantheile.
pathischen
Aufnahme
doch dieses Gesetz liehene
Land
Hinsicht
ist
für
in
707
massgebenden Kreisen begegnen.
das den Colonisten
auf Grund
weder veräusser- noch verschuldbar.
dasselbe vielleicht ein Versuch.
Zu
aber werden jene Ideen dann erst gelangen, wenn der normalen Form russischen
voller sie
Erklärt
desselben ver-
In dieser
Bedeutung
in die
bäuerlichen Grundbesitzes,
Kreise in
das
Agrarrecht des Gemeindebesitzes, eindringen.
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Aus den Wanderjahren dreier
est ländischer
Maler.
I.
ie
Strassen Berlins waren festlich geschmückt.
Linden
lange Reihen
standen
von
Unter den
eroberten und rück-
eroberten Geschützen, Trophäen blutiger Schlachten und Zeugnisse
Am
der Befreiung des Volkes von der Fremdherrschaft.
war
der Zudrang
lebhaftesten
Menge zu dem Brandenburger Thor, auf
der
welchem wieder das kupfergetriebene Viergespann
stolz sich erhob,
das, vor neunzehn Jahren aus der Werkstatt des Meisters Gottlieb
Schadow hervorgegangen,
als Siegesbeute
und
worden
nach Paris
versetzt
war.
von Napoleon
Mit den
entführt
heimkehrenden
Siegern war auch die Victoria auf ihren stolzen Standpunkt auf dem Brandenburger Thor zurückgekehrt. Jetzt war sie mehr als je und in anderem Sinne dem Berliner das Symbol der siegreichen Volkskraft und Königsmacht Preussens Der Jubel, mit welchem Berlin die Rückkehr dieses schönen und bedeutungsvollen Werkes begrüsste, war ungeheuer; es schien ein Rausch der Freude des
ganzen Volkes sich bemächtigt zu haben. In dieses Gewühl traten zwei sonnenverbrannte, staubbedeckte
Wanderer, Fremdlinge von
betroffen
Volkes.
Sie
hältnissen,
der
der preussischen Hauptstadt und seltsam
in
noch
nie
gesehenen
kamen aus der Ferne, aus
einer
eigenen Begeisterung
Kunst zu erlernen, hatte
sie in
Eintritt in Berlin sie plötzlich in
freien Begeisterung eines stillen heimatlichen
folgend.
Der Drang,
Verdie
Fremde getrieben und jener das Geräusch und die Strömung
die
Aus den Wanderjahren
709
dreier estlandischer Maler.
dem sie daheim nichts geahnt. Es waren zwei Estländer, die in Deutschland einen dritten Landsmann und Strebensgenossen zu finden hofften.
eines Volkslebens gerissen, von
In den Ostseeprovinzen, namentlich in dem nördlichen Theile
wo
Begabung des estnischen Volkes Auges wol eine Rückwirkung auf die deutschen Mitbewohner des Landes üben mochte, erstehen zum derselben,
für
die
die eigenthümliche
Eindrücke
des
Schlüsse des vorigen
raschend
und im Beginne
unseres Jahrhunderts über-
Was
nach dem nordischen Kriege
viel malerische Talente.
an künstlerischem Schmucke Höfe,
wie für die
für die neu erstehenden Kirchen
gefordert und geschaffen war, rührte meist von der
scher Kunstler her.
und
wiederaufblühenden Patricierhäuser der Städte
Hand
ausländi-
Einen geregelten Kunstunterricht zu gewinnen,
war damals in den Ostseeprovinzen äusserst schwer, ja meist unmöglich. Und doch die verhältnismässig grosse Zahl der um die Wende des Jahrhunderts auf dem scheinbar für die Kunst unfruchtbaren baltischen Boden erwachsenden Künstler! Man wird kaum irren, wenn man diese Erscheinung als einen Beweis für die starke Einwirkung, welche die Geistesrichtung der deutschen Lande aut ihre nordöstlichen Nachbarn übte, ansieht.
Nach langer Abhängigkeit von
fremdem Geschmack und Können hatten
sich in den letzten
Jahren
des siebzehnten Jahrhunderts die ersten Spuren eines Strebens nach künstlerischer Selbständigkeit gezeigt.
Auch
hier hat der Kurfürst
Friedrich, noch bevor er das Königreich Preussen schuf, in seiner
Hauptstadt Berlin eine Akademie gegründet. Stand dieselbe der Leitung eines Holländers und fristete sie
zuerst unter
wenig bedeutende
Existenz,
bis Friedrich
der Grosse
sie
aucli
eine
durch
so war sie doch der erste Kunst im eigenen preussischen
Berufung neuer Lehrkräfte reformirte, staatlich geschützte Versuch,
Lande zu
pflegen,
Staaten.
Wien
stadt
war im
und wurde bald ein Vorbild für andere deutsche
Akademie im Jahre 1711. Die Kaiserund berühmter Gemäldesammlungen. und privates Wesen galt für reicher, urbaner und erhielt seine
Besitz grosser
Ihr öffentliches anregender,
die
als
das des damals noch ärmlichen Berlin.
So über-
Akademie bald die an der Spree, und von Seiten strömten noch im Anfange unseres Jahrhunderts die
flügelte auch die wiener
allen
künstlerischen Talente Deutschlands nach der Donaustadt.
In Dresden hatte zwar die Kunst an dem Hofe der Kurfürsten in so weit Pflege erhalten,
prachtliebenden als
ausländische
Künstler zur Herstellung und Ausschmückung der Paläste berufen
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Aus den Wander jähren
710 wurden
dreier estländischer Maler.
eine eigenartig deutsche Schule vermochte sich aber dort
;
noch lange nicht zu bilden.
Der fremdartige phantastische
Baustil,
Gemälde, die an Decken, Wänden und Kuppelwölbungen angebracht oder als Werke besserer Meister aus der Ferne zusammendie vielen
getragen wurden, boten immerhin späteren Generationen Anregung
und Belehrung.
Erinnern wir noch an die anderen deutschen Kunst-
schulen, welche im 18. Jahrhundert entstanden, an
Cassel &c,
ergiebt
so
München, Prag,
das Bestreben
überall
sich
selbständiger
Kunstthätigkeit in Deutschland.
In weit höherem Masse erkennen wir die gleiche Zeitrichtung in
Nicht die
deutschen Literatur.
der
noch
Lessings,
Versuche
die
bewerbung aufzuhelfen
1 ,
Werke Winkelmanns und
der Kunst durch WettAufnahme, welche ein der-
Goethes,
sondern
die
bei dem deutschen Volke fand, zeugt für einen vollkommenen Umschwung in den künstlerischen Idealen und für die erwachende Lust am Genüsse, wie am Schaffen des Schönen.
artiges Streben
Diese hochgehende
weckte
in
Deutschland
Woge
künstlerischen Sehnens und Trachtens
Reihe
eine
bedeutender^ Künstlertalente.
Unter ihnen nehmen die Maler den bedeutendsten selbe
Woge
fluthete nicht blos in literarischer
Raum
Die-
ein'.
Form, sondern noch
1
Dass die von Gönnern geübte Pflege der Malerei nicht Volkstümlichkeit hatte, beweisen u. a. die Preisaufgaben, welche die Weimarer Kunst freunde, Goethe an ihrer Spitze, den Künstlern stallten: 1800: Tod des Resos 1801 Achilleus auf Skyros, 1804 das Menschengeschlecht vom Element des
im Auge
:
:
Wassers bedrangt, 1805 Stoffe aus dem Leben des Herkules. Und doch regte Goethe ohne sein eigenes Wissen durch seine Dichtungen zu nationalem Kunst-
:
schaffen an *
den
und
:
Cornelius
Niebuhr,
jungen Künstlern sich unermüdlich
Staate beschäftigen betrachtete die
nahm Goethes Faust zum Ausgang
der beim Beginn daselbst
seiner
diplomatischen
auf das Freundlichste
seines Schaffens.
Thiitigkeit
in
Rom
entgegengekommen war
darum bemühte, die besten Kräfte unter denselben vom lassen und sie in den Dienst des Staates zu stellen,
zu
wol durch eine Reihe von Enttäuschungen veranlasst
junge deutsche Kunstwelt in
Rom
mit minder
—
später
freundlichen Blicken.
Er
August 1818: «Das sonst so sonderbare Phänomen, dass, wahrend für Wissenschaft und Gelehrsamkeit fast lauter taube Ohren unter den Jünglingen sind, sich so viel Talente in der Kunst zeigen, kommt zum Theil daher, weil das Lernen in Verachtung gekommen ist Und dann, weil die was ihnen gerade gefallt.» — Es muss wol eine Leute nur thun wollen Stunde tiefen Mismuths gewesen sein, die den berühmten Gelehrten zu so nnge rechtem Unheil über die Wissenschaft und Gelehrsamkeit seiner Zeit und zu der Annahme verleiten konnte, zur Kunst bedürfe es des Lernens nicht nnd das Talent könne entstehen, wenn jeder nur thue, was ihm gerade gefüllt. Das schreibt im
— — —
,
sonderbare
Phänomen
hat sicher andere Gründe.
Aus den Wanderjahren
711
dreier estlandischer Maler.
gesammte ästhetische Anschauung auch über die Ostseehin. In der Abgeschlossenheit der Güter wohlhabender Edelleute pflegten vornehmlich die Frauen den neuen literarischen Geschmack. In den Pfarrhäusern der alten Schule waren neben den Klassikern die Schriftsteller des modernen Humanismus, neben
mehr
als
provinzen
den Philosophen die Dichter der beliebteste Lesestoff des Vaters
und
der Familie.
Da
Vater jener Zeit ihre Söhne Gymnasien oder der Doraschule schon früh in die Gemüther der be-
vielfach
die
selbst für die höheren Klassen der
vorbereiteten,
sich
pflanzte
gabteren Knaben und Jünglinge eine ästhetische Weltanschauung,
welche
bei einzelnen
zum Drange wurde, auch
schöpferisch der
.Kunst zu dienen. In dem Centrum Estlands,
in Reval,
machte sich im letzten
Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ein dort fremdes Element geltend.
In
diese Stadt
bis dahin
war
vollkommen
als Assessor
des
August Kotzebue gesandt worden. Derselbe hatte sich in kurzer Zeit in Petersburg hohe Gönner zu schaffen gewusst. Der Chef der dortigen deutschen Theaterdirection, General v. Baur, hatjje ihn zu seinem Privatsecretär gemacht und in seinem Testamente der Kaiserin Katharina II. empfohlen. «Das rasche Feuer, mit dem er Alles aufnahm, das lebhafte Gefühl, das seine Theilnahme reizte, hat auf mein ganzes zeitliches Verhältnis den einCiviltribunals
wirkendsten Einfluss gehabt, und dankbar segne ich seine Asche.»
So schrieb damals Kotzebues Mitassessor, der jüngere RitterschaftsBerg (Bienemann, Statthai terschaftszeit p. 217), Wol
secretär J. G. v.
noch
einwirkenderen Einfluss übte Kotzebues lebendige Phantasie
auf die
Damen
der adeligen Kreise in Estland,
Stellung und seine Begabung
öffneten.
welche ihm seine
Insbesondere
benutzte er
seine Beziehungen zur Betreibung seiner Lieblingsidee.
Statt der
Wanderbanden, die bisher in den kleineren Stallten umhergezogen waren, gründete Kotzebue ein stehendes Privattheater und wusste wirklich in den gesellschaftlich sonst ganz geschiedenen schlechten
Ständen, in dem Adel, wie in der höheren Schicht des Bürgerthums, Interesse für die Sache zu wecken und selbst persönliche Beteiligung
an dem theatralischen Spiel zu gewinnen. gewisser Beschränkung
man
sie
gleicht,
—
eine
—
für Reval,
freilich toll,
mit
wenn
mit der früher hier herrschenden Sitte und Tradition ver-
doch selbstverständlich
von der «tollen Zeit»
so weit abstehend, als Kotzebue von
Kotzebue hat uns Baltisch.-
Es begann
tolle Zeit
in
mehreren seiner Lustspiele und
MonaUachrirt Bd. XVXVI.. H-ft Sb.!».
in
Weimar
dem jungen Goethe. 49
in
anderen
Aus den Wandeljahren
712
dreier estländischer Maler.
Schritten den Beweis hinterlassen, wie viel für ihn benutzbaren Stoff
und
er in der seitab liegenden Provinzialstadt
dem
in
gedeihlich
dahinlebenden estländischeu Junkerkreise fand, und wie rücksichts-
Schwächen der Gesellschaft zu seinen Zwecken verEr weckte Vergnügen und Beifall in einer der genannten Gruppen, wenn er mit bekannten Vorgängen und Personen der
los
er
die
wertete.
anderen den Lachreiz kitzelte, Empfindlichkeit derer, älinlichkeit
Adel
er
die
und beklagte sich von
und Iudiscretion verhöhnt
angehören
und
verspottete
bitter über die
der Bühne herab mit Porträthatte.
Er
wollte selbst
dessen Sitten;
dem
er brauchte den
Beistand des literaturfähigen ßürgerthums und carikirte dasselbe. So war er im Grunde auf beiden Seiten gefürchtet, sein «Nationaltheater» aber doch eine Quelle wenn auch nicht allzu edlen Vergnügens, jedenfalls eine Anregung zu grösserem geistigen Leben. Sein Einfluss erwies sich später auf anderem Gebiete als reiner uud werthvoller. Als er nach vielen freiwilligen und unfreiwilligen Reisen auf die von ihm erworbenen oder ihm geschenkten Güter in Estland zurückkehrte und ihm aus drei Ehen eine statt-
—
liche
Kinderschaar ersprossen war,
ziehung
in
grossem
einen Lehrer
Stil
zu sorgen.
für Religion.
begann er auch für deren Er-
Er
verschrieb sich aus Sachsen
einen anderen für den Unterricht im Zeichnen. fehlte es gleichfalls nicht.
und Musik
Elementarunterricht
An
Als grosser Cavalier
auf seinem Gute Schwarzen Haus,
das für
und
Sprachlehrerinnen
hielt er
namentlich
eine gewisse Zeit der
Sammelplatz der adeligen Nachbarn zu Festen und Jagden wurde. Jene beiden sächsischen Lehrer, AugustHagen und der Maler
Karl
VV a 1 1 h e r blieben' aber, auch nachdem sie ihre Aufgabe Schwarzen beendet und wie die Tüchtigkeit der Söhne Kotzebues beweist mit bestem Erfolg beendet, in Estland und erwarben sich in ihrer ferneren Lehrthätigkeit die allgemeine Achtung und den Dank von Generationen. Wir werden ihren ,
—
in
—
Namen
noch im Verlauf dieser Notizen begegnen.
Jenes «sonderbare Phänomen» des Reichthums das Niebuhr in Deutschland beobachtete,
trat
um
an Talenten,
die
Wende
des
vorigen und den Beginn unseres Jahrhunderts auch in den Ostsee-
provinzen zu Tage und zwar in grösserem Massstabe derselben,
welcher
lettischen
District.
estnische Landbevölkerung hatte,
rühmte Otto Magnus
Der
als Zeichner
in
dem Theile in dem
als
und Alterthumsforscher
von Stackelberg, Ludwig von Maydell,
fromme Freund Ludwig Richters,
Gerhard von Reutern,
be-
der
der sich
Aus den Wanderjahren
zum Maler
erst
Arm de*
nachdem ihm eine Kugel den rechten Gruppe an Karl Grass,
heranbildete,
fortgerissen hatte, gehören der ersten
;
Karl Johann Bähr,
stilvolle Landschafter,
713
dreier estländischer Maler.
der
auch
sich
um
Alterthumskunde unserer Heimat viel Verdienst erworben hat, der Kurländer Eggink, mit dem wir uns ausführlicher zu beschäftigen haben, stammen aus dem lettischen Sprach- und Volksgebiet. Als die
Bildhauer
stehen sich Baron Clodt von. Jürgensburg,
der Pferde-
und Reiter-Clodt aus Estland,
und Schmidt von der Launitz, der Schöpfer des ßuchdruckerdenkmals in Frankfurt, gegenüber. Die beiden jungen Estländer, die 1814 ihren Einzug in Berlin hielten und dort Zeugen der Siegesfreude wurden, waren Otto Ignatius und August Pezold, treffen sollten,
den
der dritte,
sie
Deutschland
in
Gustav Hippius.
Von dem Jugendleben
dieser drei geben leider unvollständige,
aber sehr ausführliche Tagebücher und Skizzenhefte ein recht anschauliches Bild.
Ergänzungen hierzu bieten Briefe und Gedichte
aus jener Zeit, Erwähnungen in verschiedenen Monographien, eine
kurze Selbstbiographie, die Hippius seinen Kindern zur Erinnerung niedergeschrieben,
Erinnerungen. die in
in
mündliche Traditionen
endlich
Die jetzt
fast
den Jahren 1828 und 1829
Reval
Ignatius
herausgegeben
wurde,
E
s t o n
an,
nicht publicirt; ihr
war das
Verfügung
gestellt,
des Blattes geblieben, blieb
a
,
Franz Schleicher
von
begann das Tagebuch
von Otto
zu veröffentlichen, brachte aber nur ein Bruchstück
kündete einen Nekrolog lass zur
und persönliche
vergessene Zeitschrift
hat denselben
;
sie
aber unseres Wissens
schriftliche Material aus seinem
Nach-
wo aber dasselbe nach dem Eingehen dem Schreiber dieses unbekannt.
Von jenen Tagebüchern giebt das von Gustav Hippius die Ausbeute. Es schildert zwar nur die Erlebnisse vom des 1. Juli 1816 bis zum 24. Mai 1818, umfasst aber einen Theil Aufenthalts in Wien, die Reisen von Wien nach München und Augsburg, von München nach Venedig, den Aufenthalt daselbst, reichste
die Weiterreise
nach
Rom
Diese Schilde-
und die dort verlebte Zeit.
rungen füllen fünf mit feinster Schrift geschriebene Büchlein als Schreibmittel,
wie auf Wanderungen
statt der Schreibfeder
oft geboten,
angewandt worden, sind
;
wo
der Bleistift
die Zeichen so ver-
wischt, dass sie sich mitunter nur mit Hilfe eines Vergrösserungs-
glases
erkennen
lassen.
Man
schrieb
zur
Zeit,
da
die
Brief
Sendungen sehr theuer und das Papier sehr stark war, mit ausserordentlicher Raumersparnis.
Gleiches lag
dem Wanderer
nahe, der
49»
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Aus den Wanderjahren
714
dreier estlandischer Maler.
seinen nöthigsten Bedarf an Kleidern, Skizzenbticher, Schirm, wol
—
auch Farbenkasten
15
— 18 Pfund —
auf dem Rucken trug und
sich wohl hüten musste, diese Last zu vermehren.
Aus diesem biographischen Material und
lebens zu gestalten
zugleich
ein Bild
damaligen Jugend-
einen bescheidenen Beitrag zur
Kunst- und Künstlergeschichte jener Zeit zu liefern, das soll die Aufgabe dieser Darstellung sein. Hierzu wird zuerst Herkunft und Bildungsgang der drei Estländer Hippius, Ignatius und Pezold
Erwähnung bedürfen. Etwa 40 Werst von Reval, nahe
einer kurzen
der hapsalschen Poststrasse,
liegt Nissi, das kleinste Pastorat Estlands.
Jetzt bietet der Blick
von der Bodenerhebung bei Liwa ein freundliches, ja ein überraschendes Bild. Ein iuselreicher See dehnt sich dort zu Füssen stolzen Schlossbaues
eines
Von Neu-Riesenberg
bis
in
die
Nähe
des Pastorats Nissi.
lässt sich heute fast bis zu
dem kleinen Kirch-
lein rudern.
Vor Schloss
90, ja noch vor
stand
noch nicht,
50 Jahren war das die
Das war Sumpf,
hier anders.
schöne Wasserfläche
und die kleine Kirche.
Ebene um das bescheidene Pfarrhaus Der unermüdliche Eifer einer estländischen
Dame
erstaunlich
weithin dehnte
hat
sich feuchte
später
Umwandlung
begonnen
berg
mit
geringen Arbeitskräften diese
Bau des Schlosses Neu-RiesenEnde des vorigen Jahrhunderts war
geschaffen, seitdem der
war.
Am
Nissi nicht blos das kleinste, sondern wol auch in vieler Beziehung
das ärmlichste der estländischen Pastorate.
Die Oede des väterlichen Wohnsitzes konnte dem Knaben Gustav schwerlich zum Bewusstsein kommen. Er hat keine Erinnerung an eine Entbehrung bewahrt, bis der Tod ihm, dem Siebenjährigen, die geliebte Mutter entriss. Eine dreizehnjährige Schwester leitete umsichtig und liebevoll gegen die jüngeren Geschwister den Bald wurde Gustav jedoch der Pflege fremder inneren Haushalt. Leute keine
und in Reval in die Schule gethan. Es mag verwöhnende Lebensweise gewesen sein, die er als
übergeben sehr
Pensionär führte, denn als Kostgeld wurden für ihn neun Dukaten jährlich
gezahlt.
Vom
14.
Jahre ab musste der
begabte Knabe
durch Musik- und Zeichenunterricht Kleidung, Schulgeld und Schulbücher auf,
sich
selbst
erwerben.
Lehrer zu werden,
Hier tauchte
aber die Mittel
fehlten: der Zeichenlehrer
am Gymnasium
zum
in
ihm der Wunsch
Universitätsstudiura
EduardHöppener,
dessen flippius wie seine anderen Schüler bis
in ihr
Alter hinein
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Aus den Wanderjahren
Dank
mit Liebe und
715
dreier estlandischer Maler.
ermunterte
gedachten,
der Kunst
sich
ihn,
von anderer Seite wurde ihm der militärische Dienst vermuthlich um seiner schlanken und hohen Gestalt
zu widmen, empfohlen, willen.
Entscheidend
Haggers.
für
Wahl
die
des Lebensberufs wurde die Be-
anderen Pfarrerssohn,
einem
mit
kanntschaft
Otto Ignatius von
Die Kirchspiele Nissi und flaggers liegen
die
für
in
Estland geläufigen Verkehrsmöglichkeiten nicht allzu weit von ein-
Aber Gustav und Otto kannten
ander entfernt. nicht.
Knaben
sich als
Erst bei Anlass eines Concerts in Reval, in welchem Hippius
mitwirkte
— er
sang die Cantate der Freundschaft von Mozart
knüpfte Ignatius, der
um
einiges jünger
war und
bereits die
—
Kunst
Lebensberuf gewählt hatte die Bekanntschaft mit Hippius und machte ihm am Tage darauf nach Betrachtung seiner Zeichnungen den Vorschlag, aufs Land zu ziehen und dort sich ganz dem Studium der Malerei zu weihen. Der Vater Ottos, der allgemein verehrte, geistesklare und gemüthvolle Propst David
als
an
,
.
Hippius
dieses Anerbieten.
Friedrich Ignatius, wiederholte
wo
den neugewonnenen Freunden ins Pastorat Haggers,
hoffte
und folgte
durch Musikunterricht sich nützlich erweisen zu können
er zwei
Jahre verbrachte.
Wie
Typus
Nissi der
eines Pfarrhauses war,
schwierigsten Verhältnissen
das Glück daselbst
steht,
hatten,
zerstört
jener glücklichen Pastorate,
wo schwere
wo
bei
so
das
unter den
Schicksalsschläge
war Haggers der Typus
Beschränkung der Bedürfnisse
und Erhebung an geistigen Genüssen,
bei Pflege
des Verstandes
und des Gemüthes sich eine kleine Welt des Friedens und Glückes
dem Eintretenden losigkeit
und
Menschenliebe. ziel
auffasst,
Wie
der Hausherr Menschenpflicht und Menschen-
beweisen
seine
Ahhandlungen
Ausserordentlich glücklich in der
. reichsten,
Welt der persönlichen Anspruchswarmer Frömmigkeit und echter
eine
öffnete,
Liebesfähigkeit,
sanftesten,
gütigsten
über
Moral
Ehe mit
in
der
einer der lieb-
und edelsten Frauen,
mit
c
einer
der Perlen der gepriesenen Frauen Estlands >, umgeben von trefflich gearteten und hochbegabten Kindern, so bot der Propst nicht blos seinen Gemeindegliedern
das Vorbild des Glückes in
christlichem
Hausstand, sondern auch Fremden eine Heimstätte zur Erziehung
und schöner Charakterentwickelung.
Hier
wurde wissenschaftlich
und künstlerisch gearbeitet und nach ernster Tagesarbeit Abends
Gesang und
Spiel gepflegt.
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Aus den Wanderjahren
716
Wie
dreier estländischer
Maler.
aber konnte diese Idylle pastoralen Lebens einem künst-
dienen, was konnten Otto Ignatius und Hippius aus ihr für den Ernst einer Malerlaufbahn schöpfen, die lerischen
Beruf8Studium
zu ergreifen damals noch mehr als jetzt unbeugsame Begeisterung: für die Kunst, persönliches Selbstvertrauen und ideale Anregung forderte ?
Hier eben trat jener beste Einfluss ein, der von August Kotzebue ausging. Schwarzen liegt im Kirchspiel Haggers, Kotze•
zweite Gattin
bues
war
eine Cousine
von Propst Ignatius' Frau
gewesen, die dritte war deren Schwester, beide Fräulein von Krusenstern.
keit
zu
hatte.
So kam den Verwandten im nahen Haggers die Lehrthätigstatten, die Kotzebue in Schwarzen ins Leben gerufen Die beiden berufenen Lehrer Hagen und Wal.ther
waren Freunde des Pfarrhauses, jener stand
mit
musikalischem
Rath, dieser mit Anleitung im akademischen Zeichnen den jungen Talenten zur Seite.
Es
sei
bedeutendsten Schlachtenmaler
Kotzebue,
hier daran erinnert,
der Neuzeit,
dass
einer
der
Alexander von
der jüngste der Söhne des August
v.
erst in einer späteren Zeit (1815) geboren wurde,
Kotzebue, zwar
wohl
aber
als
Erbe jener im väterlichen Hause herrschenden Liebe zur Kunst betrachtet werden muss, welche in Schwarzen ihre Blüthezeit erlebte. Hippius verdankte Walther und seinem eigenen Fleisse den Muth, sein Leben auf die Kunst zu stellen. Aber der Künstler bedarf mehr als einseitigen guten Rathes zu seiner Ausbildung. Er muss nicht blos gesehen haben, was Andere vor ihm Gutes geschaffen, er muss Andere Gutes schaffen sehen. Auch der beste Lehrer kann allein den Schüler nicht zum Gesellen, noch gar zum Meister erziehen. Eine Fortentwickelung für die jungen Akademiker von Haggers bei weiterem Horizont war nothwendig. Ignatius versuchte es mit der Petersburger Akademie, Hippius, der bei halbem Können schon ganz auf die eigene Kraft angewiesen war, befolgte eines Freundes Rath, ein Concert in Reval zu veranstalten, bei dem einer verwandten Sängerin und ihm die vocalen Leistungen oblagen, während Ignatius die instrumentalen übernahm. Das Concert ergab die unerwartet hohe Einnahme von 2000 Rbl. B.-A. Mit einem Schlage war Hippius in die Lage gesetzt, seine Studien im Auslande fortzusetzen. Der Abschied von dem geliebten Haggers war schwer, ein Stück seines Herzens Hess der junge Künstler dort zurück. Es war im Winter 1812, als er seine Berlin und Dresden waren um der Reise ins Ausland antrat.
Aus den Wanderjahren französischen Truppen willen
des
zu
nicht
Hippius
erreichen.
nahm
dem böhmischen Glashändler
Schiefner,
späteren Akademikers Anton Schiefner,
die Reise
die Gelegenheit wahr,
dem Vater
717
dreier estländischer Maler.
mit
nach Prag zu machen.
Dem
Kriegsgetümmel entging Hippius
leons bei Dresden (27. Aug.
Reihen
focht,
fiel;
Hippius sah und zeichnete nächsten Tage brachten
sie
die
erfochten.
gebraucht,
Schon die
wurde nach
aufregende,
aber
auch
erfreuende Nach-
Truppen der Verbündeten einen entscheidenden Sieg und zwar noch es beschieden
ihn her
— — die Begeisterung
Auch Hippius war
früher als seinen Landsleuten
um
Prag
auf ihrem Paradebett.
Nicht allzu fern von Prag, bei Kulm, hatten nach heissem
richten.
Ringen
der Sieg Napo-
fiel
1813); Moreau, der in den russischen
Leiche
seine
auch in Prag
freilich
In die Zeit seines dortigen Aufenthaltes
nicht.
in Siegesjubel ausbrechen
zu
sehen,
der Bevölkerung in
einen Jubel,
den Oesterreicher, Preussen, Russen mit gleichberechtigtem Stolze erheben durften.
Noch war
es freilich nur ein einzelner Sieg, keine
Entscheidung des Krieges, aber der Glücksstern Napoleons
— das
—
war im Sinken. Hippius nach Wien über, um dort
ging durch die Herzen der Völker
Im Anfange 1814 siedelte Akademie zu besuchen. Hier in der schönen Donaustadt schienen damals die Künste ihre höchste Blüthe erreichen zu sollen. Die in den Galerien angehäuften Bilderschätze waren unübersehbar, die Pflege der Musik war zu einer Art Cultus geworden, der Architektu waren grossartige Aufgaben gestellt. Es war eben das