Autorschaft, Genres und digitale Medien: Sibylle Berg, Markus Heitz, Cornelia Funke und Michael Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart (2010-2020) 9783839465004

Um als Autor*in wahrgenommen zu werden, muss man als solche*r erkennbar sein. Bei diesem Prozess des Sichtbarmachens ent

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Table of contents :
Inhalt
Prolog
I. Einleitende Überlegungen
II. Theoretische Grundlagen
III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte
IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen
V. Fazit: Diskussion und Ausblick
Epilog
Literatur- und Medienverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
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Autorschaft, Genres und digitale Medien: Sibylle Berg, Markus Heitz, Cornelia Funke und Michael Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart (2010-2020)
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Ella Margaretha Karnatz Autorschaft, Genres und digitale Medien

Literatur in der digitalen Gesellschaft Band 5

Für Margarete Sodtke Für Uwe Schwagmeier

Ella Margaretha Karnatz, geb. 1984, lehrt Literaturwissenschaft am Institut für Germanistik der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Theorien der Autorschaft, Literatursoziologie und Kinder- und Jugendliteratur sowie die Themen Mental Health und Disease.

Ella Margaretha Karnatz

Autorschaft, Genres und digitale Medien Sibylle Berg, Markus Heitz, Cornelia Funke und Michael Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart (2010-2020)

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Version der Dissertation »Autorschaft, Genres und digitale Medien. Michael Köhlmeier, Sibylle Berg, Cornelia Funke und Markus Heitz im deutschsprachigen literarischen Feld der Gegenwart (2010-2020)«, die von der Fakultät III – Sprach- und Kulturwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie (Dr. phil.) angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Jan Gerbach, Bielefeld Umschlagabbildung: Frederike Schmidt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839465004 Print-ISBN 978-3-8376-6500-0 PDF-ISBN 978-3-8394-6500-4 Buchreihen-ISSN: 2750-7610 Buchreihen-eISSN: 2750-7637 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Prolog ...............................................................................9 I. 1.1 1.2 1.3 1.4

Einleitende Überlegungen ..................................................... 11 Ausgangslage und Thema .......................................................13 Forschungsstand und eigene Forschungsschwerpunkte .......................... 19 Auswahl der Autor:innen und forschungsleitende Thesen ....................... 24 Theoretisch-methodisches Vorgehen und Aufbau dieser Studie ................. 27

II. Theoretische Grundlagen...................................................... 31 2.1 Grundbegriffe zu Autorschaft ................................................... 31 2.1.1 Modelle der Autorschaft ................................................. 34 2.1.2 Autorinszenierung....................................................... 42 2.1.3 Autorbild, Autorfigur und Autofiktion .................................... 46 2.2 Gesellschafts- und kulturwissenschaftliche Bezugstheorien..................... 50 2.2.1 Subjekt und Subjektform ›Autor‹: Konstruktion durch Praktiken und Diskurse ............................... 51 2.2.2 Raum des Möglichen..................................................... 59 III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte ................................. 71 3.1 Begriffsklärungen: ›Digitale Medien‹ und ›Mediendimensionen‹ .................. 71 3.2 Herausforderungen bei der Materialaufbereitung und Auswahl der Medienangebote ........................................................... 76 3.3 Methodisches Vorgehen ........................................................ 80 3.4 Quellenkontexte ............................................................... 87 3.4.1 Feuilletonbeiträge: Interviews, Rezensionen und Porträts ................. 87 3.4.2 Fotografien .............................................................. 91 3.4.3 Filme sowie Fernseh- und Videoaufnahmen .............................. 95 3.4.4 Webseiten und soziale Medien .......................................... 103 IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen................................... 119 4.1 Beispielanalyse I: Sibylle Berg .................................................. 119

4.1.1 Die »Designerin des Schreckens« oder das »moralinsaure Monster« – Fremdzuschreibungen ....................126 4.1.2 Inszenierung und »Authentizität! […] Weiß auch gar nicht, was das meint« .........................................................129 4.1.3 Die Gesellschafts- und Systemkritikerin ..................................137 4.1.4 »Ich hasse Max Frisch« – zur Dekonstruktion (männlicher) Traditionen....142 4.1.5 »Ich bin eine moralische Schriftstellerin« – die Autorin als Autorität ......145 4.1.6 Sibylle Berg – eine Schweizer (!) Unternehmerin ......................... 148 4.1.7 Sibylle Berg im literarischen Feld der Gegenwart .........................152 4.2 Beispielanalyse II: Markus Heitz ...............................................154 4.2.1 »Markus Heitz trägt schwarz, komplett« – Heitz als Szene-Autor ...................................................162 4.2.2 Heitz als fantastische Figur .............................................166 4.2.3 »Musik ist wichtig« – Heitz als Eventbesucher und -initiator .............. 171 4.2.4 »Unfassbar sympathischer Mensch« mit Meinung ........................174 4.2.5 »Ich auch, also, erfunden. So.« .......................................... 177 4.2.6 »Schreiben ist auch ein gutes Stück Disziplin« – Schreibtipps und Schreiborte ...........................................179 4.2.7 Markus Heitz im literarischen Feld der Gegenwart ....................... 180 4.3 Beispielanalyse III: Cornelia Funke ............................................ 183 4.3.1 »Biographisches wäre wichtig« – zur Bedeutung der pädagogischen Ausbildung und der Familie...........................187 4.3.2 »[T]he need to create stories was strong in me« – Funke als Illustratorin und Geschichtenerzählerin ........................190 4.3.3 »Pedigreed ›Harry‹ Wannabe« – Funke als internationaler Star ...........194 4.3.4 Poeta doctus der Kinder- und Jugendliteratur oder das Spiel mit den Zitaten..........................................................197 4.3.5 Dokumentation des (Schreib-)Prozesses: Förderin des Lesens und Bewahrerin des (Schreib-)Handwerks............199 4.3.6 Die »Pflanzenhexe« – Funke als Autorin von Phantastik ................. 206 4.3.7 »Sie sind den Fans so unglaublich nah!« – eine nahbare Medienfigur .... 209 4.3.8 Cornelia Funke im literarischen Feld der Gegenwart ......................215 4.4 Beispielanalyse IV: Michael Köhlmeier .......................................... 217 4.4.1 »[E]s ging darum, etwas eigenes zu haben« – zur Autorgenese ........................................................221 4.4.2 Köhlmeier als ›Fabulierer‹ .............................................. 224 4.4.3 »Es kommt da eine Figur, und die zündet mich an« – Köhlmeier als ›Magier‹ und ›Medium‹ ................................... 237

4.4.4 »Mit Rechten über Rechte reden« – der politische Autor ................. 242 4.4.5 »[S]pätestens um neun am Schreibtisch« – Köhlmeier als Inbegriff der Subjektform ›Autor‹ ........................ 246 4.4.6 Michael Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart ...................251 V. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Fazit: Diskussion und Ausblick .............................................. 253 Die Autorbilder und Positionen der Autor:innen (2010–2020) .................... 253 Medienspezifische Autorbilder ................................................ 255 Gender-Aspekte .............................................................. 256 Reflexion des theoretisch-methodischen Vorgehens ........................... 258 Forschungsdesiderata ........................................................ 260

Epilog ............................................................................ 263 Literatur- und Medienverzeichnis................................................ 267 1. Primärliteratur ............................................................... 267 2. Sekundärliteratur............................................................. 268 3. Literaturkritik und Pressestimmen ............................................ 287 4. Internetquellen ............................................................... 292 4.1 Webseiten, Verlags- und Vertriebsseiten sowie Weblogs.................. 292 4.2 Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten ............................... 293 4.3 YouTube-Videos ........................................................ 294 5. Filme......................................................................... 295 6. Spiele und Apps .............................................................. 295 Abbildungsverzeichnis ........................................................... 297

Prolog

Es ist für eine wissenschaftliche Studie vielleicht ein wenig ungewöhnlich, jedoch möchte ich mit einer persönlichen Anekdote beginnen. Seit dem Jahr 2010 war ich etwa ein Jahrzehnt bei Facebook registriert und habe dort auch einige Bekannte in meiner Freundesliste, die ich lediglich alle paar Jahre außerhalb des virtuellen Raums sehe. Die Gespräche, die bei gelegentlichen Treffen entstehen, sind sehr interessant, denn oft werde ich nach meinen Auslandsaufenthalten gefragt. Angeblich lebte ich wohl eine längere Zeit in Brasilien, was so nicht der Fall ist. Ich habe zwar im Jahr 2012 einen längeren Urlaub in Brasilien gemacht, mich dort jedoch nur für weniger als einen Monat aufgehalten. Von dem Urlaub habe ich allerdings einige Fotografien bei Facebook hochgeladen, außerdem wurde ich von einigen Freund:innen während des Urlaubs auf Fotografien verlinkt. Ansonsten ist mein Account eher spärlich mit Informationen bestückt, mal ›like‹ ich etwas, mal teile ich einen Beitrag oder ein Foto. Dennoch prägen die wenigen Informationen, die ich einspeise (die Urlaubsfotos), das Bild, das Bekannte von mir entwickeln, die mich eine längere Zeit nicht sehen. Dieses Bild hat mit meiner Lebensrealität nicht viel zu tun. Man sollte also zwischen mir als Medienfigur und mir als real existierender Person unterscheiden. Die Figur ist durch die Inhalte entstanden, die ich in eine spezifische Netzwerkplattform (in diesem Falle Facebook) eingegeben habe beziehungsweise die von anderen mit meinem Account verknüpft wurden. So entstand ein Konstrukt, ein Bild von mir, das bei verschiedenen Bekannten ähnlich zu sein scheint. Dieses Phänomen kann man auf Autor:innen der Gegenwart übertragen. Einzelne Informationen werden im Feuilleton in den Printmedien und im Internet, in Fernseh- und Radiosendungen und auf verschiedenen medialen

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Plattformen veröffentlicht, wodurch Bilder und Figuren entstehen. Um diese Medienbilder soll es in dieser Untersuchung gehen. Wie sie geartet sind, durch welche Medien sie entstehen konnten, zeigt, welche Vorstellungen von Autorschaft existent sind. Diese Studie ist damit nicht nur auf den literarischen Text fokussiert, es werden insbesondere gesellschaftliche und mediale Prozesse betrachtet. Die Autorin beziehungsweise der Autor ist prädestiniert als Gegenstand dieser Untersuchung, bei der es auch darum geht, die gegenwärtige Gesellschaft, in der mediale Inszenierungen eine zunehmend wichtige Rolle spielen, zu reflektieren. Ein Autor oder eine Autorin ist dazu aufgerufen, sich als solcher beziehungsweise als solche (selbst) zu stilisieren, um überhaupt als solcher beziehungsweise solche anerkannt zu sein. Dies ist ein Akt, mit dem sich jedes Individuum in einer Gesellschaft auseinanderzusetzen hat: mit der Übernahme von Rollen, Namen und Zuweisungen. Jedoch stehen Autor:innen (wie auch Künstler:innen) vor einer größeren Herausforderung als andere (Berufs-)Gruppen, da die Subjektwerdung nicht so stark durch Institutionen vorgegeben wird wie beispielsweise bei Lehrer:innen. Außerdem lässt sich die Subjektwerdung von Autor:innen besonders gut nachvollziehen, da die Subjektivierung zum Autor, zur Autorin in der Regel öffentlich abläuft. Die Öffentlichkeit des Prozesses ermöglicht es, sich über die Medienbilder der Subjektwerdung von Autor:innen zu nähern und gleichzeitig Rückschlüsse auf gesellschaftliche Strukturen und mediale Mechanismen zu ziehen, derer sich Autor:innen zur Erzeugung von Autorschaft bedienen. Dabei verbleibt die Analyse allerdings auf der Ebene der Subjektrepräsentationen, denn wie das persönliche Beispiel zeigen sollte, kann zu den realen Autor:innen anhand der Betrachtung der Autorbilder keine Auskunft erteilt werden.

I. Einleitende Überlegungen

Für die ersten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts wird unter anderem seitens der (Literatur-)Wissenschaften ein globaler, ökonomischer und kultureller Wandel der Gesellschaft beschrieben, der vor allem durch Prozesse der Transnationalisierung und Medialisierung gekennzeichnet ist.1 Dieser Wandel hatte auch einen starken Einfluss auf den Literaturbetrieb, so dass sich die Situation der einzelnen Akteur:innen grundlegend verändert hat: Verleger:innen und Buchhändler:innen müssen sich zunehmend gegenüber Konzernen (z.B. Amazon) behaupten; Leser:innen werden verstärkt durch Marketingstrategien der Konzerne und durch Algorithmen in ihrem Kaufverhalten gelenkt, während gleichzeitig digitale Medien neue Formen des Zugriffs auf und des Austauschs über Literatur bieten; Kritiker:innen sehen sich vor der Aufgabe, aus über 100.000 Neuerscheinungen pro Jahr eine Auswahl zu treffen. Besonders aber stehen Autor:innen in diesem veränderten Literaturbetrieb unter Druck, Aufmerksamkeit für ihre Werke2 zu erzeugen.

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Vgl. dazu etwa Tanja Carstensen u.a.: Subjektkonstruktion im Kontext Digitaler Medien, in: Digitale Subjekte. Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart, hg. von dens., Bielefeld: transcript 2014, S. 9–22, hier S. 9; Heribert Tommek/ Klaus-Michael Bogdal: Einleitung, in: Transformationen des literarischen Feldes in der Gegenwart. Sozialstruktur – Medien-Ökonomien – Autorpositionen, hg. von dens., Heidelberg: Synchron 2012, S. 7–23, hier S. 8; Anke S. Biendarra: Autorschaft 2.0: Mediale Selbstinszenierung im Internet (Deutschland/USA), in: Globalisierung und Gegenwartsliteratur. Konstellationen – Konzepte – Perspektiven, hg. von Wilhelm Amann, Georg Mein und Rolf Parr, Heidelberg: Synchron 2010, S. 259–279, hier S. 259. Der Begriff ›Werk‹ wird hier in Anlehnung an die Definition im Reallexikon-Artikel von Horst Thomé zunächst als »[d]as Ergebnis einer produktiven (handwerklichen, kü nstlerischen, schriftstellerischen, wissenschaftlichen) Tätigkeit« verstanden, wobei Thomé zwischen dem von der Autorin/vom Autor autorisierten Werk und weiteren veröffentlichten Materialien unterscheidet (Horst Thomé: Werk, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Li-

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Autor:innen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts – möchten sie vom Schreiben leben – aufgrund der veränderten Paradigmen dazu aufgefordert, eine hohe Präsenz im Literaturbetrieb zu zeigen. Sie werden – wie auch andere Prominente und Stars – mit einem Image3 versehen, das sie selbst durch ihre Handlungen evozieren, das ihnen jedoch nicht selten seitens weiterer Akteur:innen des Literaturbetriebs zugesprochen wird und durch mediale Vervielfältigung an ihnen haften bleibt. Dies kann bei Autor:innen den Wunsch hervorrufen, auf die medial erzeugten Bilder selbst Einfluss zu nehmen.4 Bei dem Prozess der Imagebildung werden Autor:innen von Verlagen und Marketingagenturen unterstützt, die ein bestimmtes Image für Autor:innen vorschlagen und mitgestalten, oft im Hinblick auf jeweils aktuelle (Literatur-)Trends und mit besonderem Augenmerk auf das Genre5 und die mögliche Zielgruppe. Laut Anke S. Biendarra, die mehrere deutsche und US-amerikanische Webseiten von Autor:innen untersuchte, klassifizierte zum Beispiel der Verlag Little, Brown and Company Stephenie Meyer als »Jugendbuchautorin«, da er »einen Trend zum Horrorroman mit jungen Frauen

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teraturgeschichte. Bd. III: P-Z, hg. von Klaus Weimar u.a., Berlin: de Gruyter 2007, S. 832–834, hier S. 832). Angesichts des unter anderem im Poststrukturalismus einsetzenden Infragestellens eines klar abzugrenzenden Werkbegriffs oder des bei Popautor:innen zu beobachtenden autofiktionalen Spiels lässt sich diese scheinbar klare Unterteilung allerdings anzweifeln, s.u. Kapitel 2.1.3. Der Begriff ›Image‹ wird in dieser Studie für die oft von Verlagen und Marketingagenturen und -abteilungen vorgeschlagenen medialen Subjektrepräsentationen verwendet, während der Begriff ›Autorbild‹ als übergeordnete und neutralere Bezeichnung für das in und durch Medien entstehende Bild von Autor:innen fungiert. Vgl. Kapitel 2.1.3. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn Autor:innen die Nutzungsrechte von Autorenfotos beschränken oder ihre Äußerungen in Interviews vor Veröffentlichung noch einmal umschreiben. Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 261f. Unter ›Genre‹ wird im Folgenden in Anlehnung an Harald Fricke eine »historische Gruppenbildung von Texten« verstanden, die von Akteur:innen und Institutionen für einen spezifischen Zeitraum definiert werden. Vgl. Dieter Lamping: Genre, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I: A-G, hg. von Klaus Weimar u.a., Berlin: de Gruyter 2007, S. 704f., hier S. 704 sowie Harald Fricke: Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur, Mü nchen: Beck 1981, S. 132. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.2 dieser Arbeit.

I. Einleitende Überlegungen

als Titelheldinnen ausmachte und meinte, Twilight (2008) in diesem Marktsegment am erfolgreichsten vermarkten zu können.«6 Die Kategorisierung von Autorin und Werk sei folglich weniger inhaltlich begründet als eine Frage des Marketings. Wie ein Orchester einen Ton aufnimmt und verbreitet, so wird das konstruierte Image (das in Teilen durchaus Bezug zu den jeweiligen Werken, zu ›realen‹ Autor:innen7 , ihren Einstellungen und Lebens- und Arbeitsstilen haben kann) von Akteur:innen im literarischen Feld aufgegriffen, transformiert und festgeschrieben. Sich einem einmal etablierten Image wieder zu entziehen, scheint dagegen für Autor:innen eminent schwierig zu sein.

1.1 Ausgangslage und Thema Es gibt allerdings für Autor:innen neue Wege, einmal etablierten Images neue Autorbilder entgegenzusetzen oder die Images weiter zu stärken. Dazu zählen traditionell zum Beispiel Interviews, Lesungen oder Poetikvorlesungen. Auch und insbesondere digitale Medien8 stellen durch einfach zu bedienende Veröffentlichungsplattformen neue und vielfältige Möglichkeiten bereit, eigenständig Bilder zu kreieren und zu verbreiten. Auf Twitter, Facebook, Instagram, TikTok etc. oder mit einer eigenen Webseite kann das von Marketingabteilungen geprägte Bild unterlaufen und ein Teil der durch den Prozess der Orchestrierung9 6 7 8

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Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 268. Vgl. zu den Begriffen ›Autor‹ und ›Autorin‹ Kapitel 2.1. ›Digital‹ bezieht sich auf die technische Form des Mediums, die durch Computer vorgegeben ist (vgl. Carstensen u.a.: Subjektkonstruktion, S. 11); der Medienbegriff ist hier – wie bei Carstensen u.a. – angelehnt an das McLuhan’sche Medienverständnis »The medium is the message«, das der Vorstellung entgegengesetzt ist, das Medium erfülle lediglich eine Übermittlerfunktion. Im McLuhan’schen Sinne können Medien unabhängig von ihren Inhalten Maßstäbe setzen (Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf: Econ 1968, S. 15). Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1. Vgl. zum Konzept der Orchestrierung Rainer Grübel/Ralf Grüttemeier/Helmut Lethen: BA-Studium. Literaturwissenschaft. Ein Lehrbuch, Reinbek b.H.: Rowohlt 2005, S. 155–158; Thomas Wegmann: Warentest und Selbstmanagement. Literaturkritik im Web 2.0 als Teil nachbürgerlicher Wissens- und Beurteilungskulturen, in: Kanon, Wertung und Vermittlung: Literatur in der Wissensgesellschaft, hg. von Matthias Beilein, Claudia Stockinger und Simone Winko, Berlin u.a.: de Gruyter 2012, S. 279–291, hier S. 287.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

beschränkten Selbstbestimmtheit zurückerobert werden. Anke S. Biendarra und Carolin John-Wenndorf, die in ihrer Studie Der öffentliche Autor (2014) unter anderem ebenfalls Webseiten betrachtet, bemerken allerdings, dass Webseiten von Autor:innen im deutschsprachigen Raum zu Beginn des 21. Jahrhunderts hauptsächlich die Funktion einer »Visitenkarte«10 oder eines »Schwarzen Brettes«11 erfüllen, das heißt, dass vor allem Informationen zu Veröffentlichungen und Veranstaltungen auf den Seiten zu finden sind. Biendarra überlegt in diesem Zusammenhang, ob im deutschsprachigen Raum das »symbolische Kapital, das durch Netzaktivität entsteht«12 , als gering erachtet werde. Mit dem Begriff ›symbolisches Kapital‹ – eine Kapitalform, die mit Anerkennung oder Prestige beschrieben werden kann – rekurriert Biendarra auf die Feldtheorie Pierre Bourdieus, der unterschiedliche gesellschaftliche Felder mit jeweils eigenen gesellschaftlichen Funktionen beschreibt (zum Beispiel das Feld der Ökonomie, Justiz, Politik, Religion und eben auch der Literatur).13 In jedem Feld herrschen eigene Regeln, sogenannte Feldlogiken. Eine der Feldlogiken des literarischen Feldes ist die ›relative Autonomie‹. Je mehr sich Künstler:innen, und damit auch Autor:innen, von anderen Feldern (wie dem der Politik, der Religion und insbesondere dem der Wirtschaft) autonom zeigen, desto mehr Anerkennung erhalten sie im literarischen Feld. Diese Logik funktioniert allerdings auch genau entgegengesetzt: Zeigen sich Autor:innen nicht autonom von anderen Feldern oder auch einfach vom Massengeschmack, erhalten sie zwar mehr Aufmerksamkeit und ökonomisches Kapital, jedoch weniger symbolisches.14 Für das literarische Feld der Gegenwart meldet Rolf Parr jedoch Zweifel an der Tragfähigkeit des Konzepts einer ›relativen Autonomie‹ an:

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Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 266. Carolin John-Wenndorf: Der öffentliche Autor. Über die Selbstinszenierung von Schriftstellern, Bielefeld: transcript 2014, S. 303. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 275. Hier nimmt Biendarra Rekurs auf Stephan Porombkas Handbuchartikel zum ›Schriftstellerberuf‹, in: Handbuch Literaturwissenschaft. Bd. 3: Institutionen und Berufsfelder, hg. von Thomas Anz, Stuttgart/Weimar: Metzler 2007, S. 283–294. Vgl. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des Literarischen Feldes. Übers. von Bernd Schwibs und Achim Russer, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999 [1992]; vgl. zur Feldtheorie Bourdieus auch Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit. Für einen Überblick vgl. etwa Joseph Jurt: Die Theorie des literarischen Feldes von Pierre Bourdieu, in: LiTheS 2008, H. 1, S. 5–14.

I. Einleitende Überlegungen

Kritisch ist allerdings zu fragen, ob es für die aktuelle Gegenwartsliteratur überhaupt noch sinnvoll ist, mit Bourdieu von einer relativen Autonomie des literarischen Feldes auszugehen, oder ob man es nicht mit einem oder gar vielen hybriden medial-literarischen Feldern zu tun hat, die ganz eigene, neue Regeln besitzen. Ein zweiter blinder Fleck des bourdieuschen Ansatzes bzw. seiner Applikation auf die Gegenwartsliteratur läge dann darin, dass er – bedingt durch die starke Autonomisierung des literarischen Feldes – das Verhältnis von Literatur und Medien nicht in den Blick bekommen kann, d.h. den Bezug auf die Medialität von Literatur nicht herstellen kann.15 Demnach lassen sich die veränderten Paradigmen des aktuellen Literaturbetriebs allein mit Bourdieu nicht adäquat erfassen. ›Autorinszenierungen‹ sind Praktiken, mit denen Autor:innen öffentlich, in der Regel mit und durch Medien, für ihr Werk Aufmerksamkeit erzeugen beziehungsweise durch die sie als Autor:innen zu öffentlicher Bedeutung gelangen.16 Sie sind aufgrund einer veränderten medialen Kultur aus dem heutigen Literaturbetrieb nicht mehr wegzudenken, da »in wesentlichen Teilen der Gegenwartsliteratur das durch die jeweilige mediale Präsentation gestaltete Autorbild deutlich zum Verständnis der Texte«17 beiträgt und folglich in der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht außer Acht gelassen werden kann. Wenn Biendarra überlegt, welchen Stellenwert die ›Netzaktivität‹ für den Erhalt symbolischen Kapitals besitzt, deutet sie an, dass die Internetnutzung im Verdacht stünde, ökonomische Interessen zu verfolgen oder durch Anpassung an den Massengeschmack die Autonomie der Kunst zu bedrohen. »[E]ine Internetpräsenz für Autoren, die gemeinhin der Unterhaltungs- und Jugendliteratur zugerechnet werden, [scheint] wichtiger zu sein […] als für Schrift15

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Rolf Parr: Normalistische Positionen und Transformationen im Feld der deutschen Gegenwartsliteratur, in: Transformationen des literarischen Feldes in der Gegenwart: Sozialstruktur – Medien-Ökonomien – Autorpositionen, hg. von Heribert Tommek und Klaus-Michael Bogdal, Heidelberg: Synchron 2012, S. 189–208, hier S. 202. Weiterführend zum Begriff ›Autorinszenierung‹ vgl. Kapitel 2.1.2. Einen aktuellen Überblick bietet Dirk Niefanger: Autorinszenierung, in: Handbuch Literatur & Pop, hg. von Claudia Benthien, Ethel Matala de Mazza und Uwe Wirth, Berlin/Boston: de Gruyter 2019, S. 130–141; siehe dazu auch den über eine Rezension hinausgehenden Artikel von Johannes Franzen: Autorinszenierung. Leistungsfähigkeit und Probleme autorzentrierter Forschung am Beispiel der Studie Posierende Poeten von Alexander M. Fischer, in: Philologie im Netz 80 (2017), S. 87–100, http:/web.fu-berlin.de/phin/phin80/p80t11.htm, letzter Zugriff: 15.08.2022. Niefanger: Autorinszenierung, S. 130.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

steller von E-(rnsthafter) Literatur«.18 Die Autor:innen, deren literarische Texte für ein Massenpublikum produziert werden beziehungsweise stärker an die Zielgruppe adaptiert sind, scheinen Biendarra zufolge keine Scheu vor intensiver Internetnutzung zu besitzen. Diese Trennung zwischen U- und E-Literatur sei allerdings ein deutsches Phänomen. Beispielsweise in den USA gäbe es zum einen keine so starke Unterscheidung zwischen dem kommerziellen und experimentellen Sektor, zum anderen werde die Nutzung des Internets als Plattform der Selbstdarstellung grundsätzlich positiver bewertet als in Deutschland.19 Allerdings stammt Biendarras Studie aus dem Jahr 2010, so dass sich die Frage stellen lässt, ob sich diese Unterteilung in Deutschland und im deutschsprachigen Raum auch nach 2010 noch findet. Die verstärkte Nutzung neuer Medien hat schon immer die Sorge hervorgerufen, dass mit dieser Entwicklung kulturelle Verluste einhergehen könnten.20 Was das Internet mit der Kultur und insbesondere mit dem Buch machen würde, war eine zu Beginn des 21. Jahrhunderts viel diskutierte Frage. Digitalisierungsprozesse, die Auflösung bisher etablierter Sender-EmpfängerHierarchien, die anfänglich kaum vorstellbare Reichweite der verbreiteten Informationen und die damit einhergehende, nicht vermeidbare Hinwendung zu einem Massenpublikum lösten zwar enormen Entdeckergeist, gleichzeitig aber auch noch viel Zurückhaltung gegenüber dem neuen Medium aus. Die digitalen Medien verändern Weltsichten, das Denken und die Emotionen in solchem Maße,21 dass diejenigen, die an den Veränderungsprozessen nicht in vollem Umfang teilhaben (wollen), sich als nicht mehr zeitgemäß empfinden

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Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 268. Vgl. ebd., S. 270 und 272. »Die Kontroverse um Medien verhandelt in jeder neuen Medienausformung in stets wiederkehrender Weise mediale Wirkkraft zwischen Chance und Risiko, und bildet damit im Extremfall zwei Fronten zwischen Ablehnung und Affirmation.« Julius Othmer/Andreas Weich: Medien – Bildung – Dispositive. Eine Einleitung, in: Medien – Bildung – Dispositive. Beiträge zu einer interdisziplinären Medienbildungsforschung, hg. von dens., Wiesbaden: Springer 2015, S. 9–20, hier S. 9. Vgl. dazu etwa Tim Blumer: Persönlichkeitsforschung und Internetnutzung, Ilmenau: Univ.-Verl. Ilmenau 2013.

I. Einleitende Überlegungen

können.22 Digitale Medien waren und sind nach wie vor maßgeblich an der »Erosion vertrauter Zusammenhänge«23 beteiligt. Digitale Artefakte konfrontieren uns mit neuen Handlungsaufforderungen, eröffnen Optionen für neue Praktiken, erschweren andere. Bereits in frühen Phasen des World Wide Web in den 90er Jahren hat mit der öffentlichen Selbstdarstellung auf eigenen Homepages eine Entwicklung begonnen, in der traditionelle Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre in Frage gestellt wurden. Diese Verschiebungen haben sich mit Weblogs und den Sozialen Netzwerken in den letzten Jahren noch einmal zugespitzt.24 Vor allem für die »junge Generation [erweisen sich] virtuelle Räume als immer wichtigere Aufenthaltsorte […], das Interagieren ist zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden«.25 Durch diese neuen Räume und den Umgang mit technisch-medialen Artefakten verändern sich auch die Anforderungen, die an Autor:innen gestellt werden, wollen diese Aufmerksamkeit für sich und ihre Werke erzeugen. Daneben wandelt sich aber auch die »kulturelle Imagination«26 von Autorschaft, die durch die Praktiken der Inszenierung von Autor:innen sowie durch die Praktiken weiterer Akteur:innen des literarischen Feldes im diskursiven Geflecht der (digitalen) Medien entsteht. Folgt man den Gedanken von Renate Giacomuzzi, sollte man allerdings die »Veränderung der Autorrolle im Zeichen des Internets«27 nicht überschätzen, da »der Autor immer noch und wie seit jeher über die Freiheit oder Verantwortlichkeit verfügt, den Grad seiner An- oder Abwesenheit selbst zu bestimmen«28 . Es ist jedoch 22

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»Meine Phantasie läuft nicht in den Bahnen von Algorithmen, mein Denken ist nicht digital, meine Sehnsucht kann nicht twittern, meine Träume gibt es nicht per Facebook.« Unter anderem mit diesen Worten verabschiedet sich der Literaturkritiker und Autor Fritz J. Raddatz, der am 26.02.2015 den in der Schweiz legalen begleiteten Suizid wählte, brieflich von seinem Freund, Kollegen und Verleger Alexander Fest (»Das letzte Glas Champagner«, in: Zeit Online, Beitrag vom 19.03.2015, https:/www.zeit.de/2015/12/fritz-j-raddatz-brief-tagebuch/seite-3, letzter Zugriff: 27.03.2021). Carstensen u.a.: Subjektkonstruktion, S. 12. Ebd., S. 10. Ebd. Gunter E. Grimm/Christian Schärf: Einleitung, in: Schriftsteller-Inszenierungen, hg. von dens., Bielefeld: Aisthesis 2004, S. 8. Renate Giacomuzzi: Zur Veränderung der Autorrolle im Zeichen des Internets, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LILI) 39 (2009), S. 7–30, hier S. 10. Ebd.

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zu vermuten, dass sich der Trend der vermehrten und insbesondere selbstverständlicheren Internetnutzung im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts verdichtet hat, also dass zum Beispiel auch die deutschsprachigen Autor:innen häufiger Webseiten nutzen, die ihr kreatives Potenzial gezielt ausschöpfen, sowie dass Autor:innen vermehrt auf sozialen Netzwerkplattformen zu finden sind. Grundsätzlich ist zu vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen der Nutzung des Internets, den Zuschreibungen spezifischer Genres und sowie Autorbildern besteht. Biendarra hebt hervor, dass [o]ffenbar […] die beschriebenen Differenzen in der individuellen Internetpräsenz also nicht zuletzt vom Genre abhängig [sind], in dem die entsprechenden Autoren primär tätig sind. Dabei kommt auch zum Tragen, dass es sich sowohl bei Jugend- als auch bei Unterhaltungsliteratur um globale Genres handelt, die in vielen Sprachen und auf verschiedenen Kontinenten funktionieren, wofür Stephenie Meyers Vampirromane, das Harry Potter-Phänomen und Kriminalliteratur überzeugende Beispiele sind. ›Ernsthafte‹ Literatur besitzt diese universelle Übersetzbarkeit und transnationalen Attribute nur bedingt, wie die vergleichsweise niedrigen Übersetzungsraten deutscher Prosa deutlich machen.29 Dass sich die Inszenierung von Autorschaft zwischen Autor:innen unterscheidet, die in differenten Segmenten im Literaturbetrieb veröffentlichen, ist allerdings kein Phänomen, das erst mit der Etablierung des Internets in den Blick gerät. Auch das Auftreten von Autor:innen bei Lesungen und Interviews zeigt Differenzen: Wenn man sich Autorenlesungen und -Interviews vergegenwärtigt, dann dominiert hier die Zurückgenommenheit. Mimik und Gestik werden zwar eingesetzt, aber in der Regel nicht inszenatorisch betont (Kinder- und Jugendliteraturautoren sind ein gutes Gegenbeispiel, das zeigt, dass sich ›ernsthafte‹ und ›erwachsene‹ Literatur durch diese Zurückgenommenheit auszeichnet).30 29 30

Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 275. Sabine Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur«. Praxeologische Perspektiven auf Autorinszenierungen und Subjektentwürfe in der Literaturwissenschaft, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, hg. von Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde und Dagmar Freist, Bielefeld: transcript 2013, S. 251–274, hier S. 255f.

I. Einleitende Überlegungen

Die Zugehörigkeit zu einem Genre scheint also ausschlaggebend für das (nicht unbedingt bewusste) Befolgen von Regeln zu sein, die in einem spezifischen Bereich des literarischen Feldes existieren. An die Beobachtungen von Biendarra und Kyora knüpft diese Untersuchung an und widmet sich explizit dem Konnex zwischen Autorschaft, Genres und digitalen Medien, der bisher noch nicht umfassender erforscht wurde.

1.2 Forschungsstand und eigene Forschungsschwerpunkte Kurz nach der Jahrtausendwende und dem Erscheinen des Sammelbands Rückkehr des Autors31 (1999) gelten Forschungen zur Inszenierung von Autorschaft als großes Desiderat der germanistischen Literaturwissenschaft.32 Diesem Befund folgte eine Reihe von Studien, die zunächst hauptsächlich in Sammelbänden erschienen sind und sich in Beispielanalysen mithilfe unterschiedlicher theoretischer Konzepte dem als ›Autorinszenierung‹ betitelten Thema näherten.33 Auf diese Weise wurde ein neuer Blick auf das 31 32

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Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen: Niemeyer 1999. Vgl. Ansgar Nü nning: Totgesagte leben lä nger. Anmerkungen zur Rü ckkehr des Autors und Wiederbelebungsversuchen des »impliziten Autors«, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 42 (2001), S. 353–385. Vgl. Gunter E. Grimm/Christian Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen, Bielefeld: Aisthesis 2004; Christine Künzel/Jörg Schönert: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007; Markus Joch/York-Gothart Mix/Norbert Christian Wolf (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart, Tübingen: Niemeyer 2009; Christel Meier-Staubach/Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.): Autorschaft: Ikonen – Stile – Institutionen, Berlin: Akademie-Verl. 2011; Christoph Jürgensen/Gerhard Kaiser (Hg.): Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, Heidelberg: Winter 2011; Lucas Marco Gisi/Urs Meyer/Reto Sorg (Hg.): Medien der Autorschaft: Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview, München: Fink 2013; Sabine Kyora (Hg.): Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld: transcript 2014; Andrea Bartl/Martin Kraus (Hg.): Skandalautoren. Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autorinszenierung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2014; Matthias Schaffrick/Marcus Willand (Hg.): Theorien und Praktiken der Autorschaft, Berlin u.a.: de Gruyter 2014; John-Wenndorf: Der öffentliche Autor; Alexander M. Fischer: Posierende Poeten. Autorinszenierungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Heidelberg: Winter 2015; Clemens Peck/Norbert

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Thema Autorschaft möglich, mithilfe dessen Autor:innen beziehungsweise die unterschiedlichen Betrachtungsebenen dieser Begriffe34 erneut in die literaturwissenschaftliche Forschung mit einbezogen werden können.35 Zahlreiche Studien betrachteten die Autorinszenierungen daraufhin mithilfe der Diskursanalyse Foucaults, der Paratexte Genettes sowie der Feldtheorie Bourdieus. Nicht selten wurden theoretische Herangehensweisen miteinander kombiniert: Gerhard Kaiser und Christoph Jürgensen entwickelten zum Beispiel eine Heuristik anhand Genettes Paratexten und Bourdieus Habitus und stellten letztlich die Unterscheidung einer lokalen und einer habituellen Analyseebene von Inszenierungspraktiken vor.36 Zudem verknüpften Beiträge in dem von Sabine Kyora herausgegebenen Sammelband Subjektform Autor (2014)37 Autorinszenierungen mit Subjektivierungstheorien von Andreas Reckwitz. Mit Subjektivierungstheorien kann sowohl die lokale als auch die habituelle Ebene von Autorinszenierung analysiert werden, durch die sich die »Subjektform Autor« konstituiere.38 ›Subjektform‹ ist ein Begriff, der dem Konzept des Habitus von Bourdieu ähnelt, der jedoch die Praktiken der handelnden Akteur:innen stärker fokussiert und dabei auch diskursive und mediale Ebenen berücksichtigt. Die erste, bereits 2005 von Gunter E. Grimm geforderte umfassende Einzelstudie zu Autorinszenierungen erschien 2014. Carolin John-Wenndorf skizziert darin einen Gang durch die Kulturgeschichte der Selbstdarstellung von Autor:innen und betrachtet im zweiten Teil ausführlich Praktiken der Selbstdarstellung. Ihr Instrumentarium ist eine Verbindung aus der Feldtheorie Bourdieus, der Diskursanalyse Foucaults und den Gedanken Barthes’ zum

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Christian Wolf: Poetologien des Posturalen. Autorschaftsinszenierungen in der Literatur der Zwischenkriegszeit, Paderborn: Fink 2017. ›Autorin‹ oder ›Autor‹ sind nicht Oberbegriffe einer einzigen, feststehenden Kategorie, sondern Begriffe, die verschiedene Betrachtungsebenen beinhalten und auch verschiedenen Spezialdiskursen zugeordnet werden können. Vgl. zu den unterschiedlichen Betrachtungsebenen die Ausführungen in Kapitel 2.1. Vgl. Dirk Niefanger: Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur, in: Pop, Pop, Populär, hg. von Johannes Pankau, Bremen u.a.: Aschenbeck & Isensee 2004, S. 85–101. Vgl. Jürgensen/Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken, S. 11. Vgl. Kyora: Praxeologische Perspektiven; Kyora: Überlegungen zur Subjektform. Sabine Kyora: Subjektform ›Autor‹? Einleitende Überlegungen, in: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von ders., Bielefeld: transcript 2014, S. 11–20, hier S. 12.

I. Einleitende Überlegungen

Mythos, kurz: eine feldbasierte mythologische Diskursanalyse.39 Mit dieser Herangehensweise versucht John-Wenndorf, den Mythos eines Schriftstellers zu beschreiben. Ausgehend von der Annahme, der Mythos eines Schriftstellers konstituiere sich nicht nur durch Einzelaussagen, sondern entstehe dynamisch im diskursiven Wechselspiel zwischen Fremdkommentierung seitens der öffentlichen Kritik und der dichterischen Selbststilisierung, definiere sich also aus der Dialektik von Setzung und Anerkennung, dann ist die Berücksichtigung des Entstehungsprozesses von Aussagen, die sich aneinander reihen und überlagern, für die Image-Analyse von großer Bedeutung und macht die Erfassung und Darstellung der inneren Dynamik eines Diskurses unverzichtbar.40 Damit verbindet John-Wenndorf drei der bisher gängigen theoretischen Überlegungen zu Autorinszenierungen miteinander, geht allerdings nicht auf die Heuristik von Jürgensen und Kaiser ein. Und auch wenn John-Wenndorf angibt, zwischen Selbst- und Fremdkommentierung unterscheiden zu wollen, versteht sie den von ihr untersuchten ›Mythos‹ hauptsächlich als von den Autor:innen selbst ausgehend und unterscheidet zudem nicht zwischen unterschiedlichen Betrachtungsebenen der Begriffe ›Autorin‹ und ›Autor‹. Ebenfalls im Jahr 2014 wurde mit der Dissertation Poetiken des Selbst von Innokentij Kreknin die zweite umfassende Einzelstudie zu Autorinszenierungen deutschsprachiger Autor:innen veröffentlicht. Kreknin unterscheidet zwischen unterschiedlichen Betrachtungsebenen von Autor:innen, zwischen 1) dem ›juridisch-sozialen‹ Diskurs, der Urheberschaft und Eigentum fokussiert, 2) dem ›ästhetisch-literarischen‹ Diskurs, wobei Autor:innen als Schöpfer:innen ihrer literarischen Texte fungieren und besprochen werden sowie 3) dem ›autopoietisch-individuellen‹ Diskurs, der sich auf die in Paratexten, insbesondere in Epitexten, auftauchende Figur bezieht.41 In seinen Analysen konzentriert sich Kreknin hauptsächlich auf den ästhetisch-literarischen und den autopoietisch-individuellen Diskurs und kann

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Vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor. Ebd., S. 58. Tippfehler im Zitat korrigiert. Vgl. Innokentij Kreknin: Poetiken des Selbst. Identität, Autorschaft und Autofiktion am Beispiel von Rainald Goetz, Joachim Lottmann und Alban Nikolai Herbst, Berlin: de Gruyter 2014, S. 50.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

damit die Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdinszenierung weitestgehend umgehen. Mit der Habilitation Posierende Poeten (2015) von Alexander M. Fischer erschien ein Jahr später eine dritte umfangreiche Monografie zu Autorinszenierungen. Fischer stellt, wie auch John-Wenndorf, anhand von Einzelstudien Autorinszenierungen innerhalb unterschiedlicher Epochen vor. Es folgt eine Systematisierung von Autorinszenierungen, womit nach der Heuristik von Jürgensen und Kaiser ein weiterer und vor allem detaillierterer Vorschlag für Betrachtungsebenen von Autorinszenierungen vorliegt. Was bei Fischer – wie auch bei Kreknin – anzumerken ist, ist die Fokussierung auf männliche Autoren. Auch wenn dieser Aspekt selbstkritisch diskutiert wird, wird damit eine männlich geprägte Literaturgeschichte tradiert. In weiteren Monografien und Sammelbänden wurden explizit einzelne Medien von Autorinszenierungen in den Blick genommen: Es erschienen Monografien zur Fotografie42 , zum Interview43 , zum Film44 sowie zu Webseiten und Facebook45 . Zu Autorschaft und digitalen Medien sind in den letzten Jahren zudem viele Beiträge in Sammelbänden und Zeitschriften erschienen.46 42

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Sandra Oster: Das Autorenfoto in Buch und Buchwerbung: Autorinszenierung und Kanonisierung mit Bildern, Berlin: de Gruyter 2014; vgl. dazu auch Matthias Bickenbach: Das Autorenfoto in der Medienevolution, München u.a.: Fink 2010 sowie Daniel Berndt: Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Göttingen: Wallstein 2018. Torsten Hoffmann/Gerhard Kaiser (Hg.): Echt inszeniert. Interviews in Literatur und Literaturbetrieb, Paderborn: Fink 2014. Torsten Hoffmann/Doren Wohlleben (Hg.): Verfilmte Autorschaft. Auftritte von Schriftsteller*innen in Dokumentationen und Biopics, Bielefeld: transcript 2020. Marcella Fassio: Das Literarische Weblog: Praktiken, Poetiken, Autorschaft, Bielefeld: transcript 2021; Elisabeth Sporer: (Selbst-)Inszenierung von Autorinnen und Autoren im Internet am Beispiel von Autorenhomepages und Facebook-Seiten, Baden Baden: Tectum 2019. Zu Autorinszenierungen im Internet vgl. bisher im deutschsprachigen Raum Luigi Ghezzi: Homepages von Schriftstellern. Zur Konstruktion einer literarischen Identität im Netz, in: literatur.com. Tendenzen im Literaturmarketing, hg. von Erhard Schütz und Thomas Wegmann, Berlin: Weidler 2002, S. 24–41; Stephan Porombka: Internet, in: Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen, hg. von Erhard Schütz u.a., Reinbek b.H.: Rowohlt 2005, S. 147–152; Frank Fischer: Der Autor als Medienjongleur. Die Inszenierung literarischer Modernität im Internet, in: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, hg. von Christine Künzel und Jörg Schönert, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 271–280; Kerstin Paulsen: Von Amazon bis Weblog. Inszenierungen von Autoren und Autorschaft

I. Einleitende Überlegungen

Die Vielzahl der Studien lässt erkennen, dass das Phänomen ›Autorinszenierung‹ vielschichtig ist, da es auf unterschiedlichen Ebenen und anhand unterschiedlicher Inszenierungsorte fassbar gemacht werden kann. Dabei sind die handelnden Akteur:innen, von denen Autorinszenierungen ausgehen, nicht immer eindeutig bestimmbar: Sind es die Autor:innen, die Verleger:innen, die Marketingagent:innen, die Webdesigner:innen, die Journalist:innen, die Filmemacher:innen oder Fotograf:innen, die gerade ein spezifisches Image prägen oder tradieren? In den bisher publizierten Studien wird versucht, diese Vielschichtigkeit durch die Verknüpfung theoretischer Konzepte fassbar zu machen. Trotzdem bleibt beispielsweise die Betrachtung der Wechselwirkung von Selbst- und Fremdinszenierung – der sich bisher erst Kreknin konkreter widmet – ein Desiderat. Zudem richten die hier skizzierten Einzelstudien ihren Fokus insbesondere auf Autor:innen, die eher am autonomen Pol oder im Bereich der ›Hochkultur‹ verordnet werden. Autor:innen, die stärker in spezifischen Genres und Teilmärkten veröffentlichen, wie dem Bereich der Fantasy oder der Kinder- und Jugendliteratur, werden nicht betrachtet. So heißt es in dem jüngst erschienenen Handbuch Kinder- und Jugendliteratur: »Zum Autor als Marke sowie zur Autorinszenierung ist in den letzten Jahren verstärkt publiziert worden; die Inszenierung von Kinder- und Jugendbuchautoren ist eine Forschungslücke.«47 Die vorliegende Studie möchte nun insbesondere auch Autor:innen in den Blick nehmen, die stärker der Unterhaltungs- beziehungsweise Jugendliteratur zugerechnet werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Betrachtung von

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im Internet, in: ebd., S. 257–269; Renate Giacomuzzi: Zur Veränderung der Autorrolle, S. 7–30; Biendarra: Autorschaft 2.0; Christoph Jürgensen: Ins Netz gegangen – Inszenierungen von Autorschaft im Internet am Beispiel von Rainald Goetz und Alban Nikolai Herbst, in: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von dems. und Gerhard Kaiser, Heidelberg: Winter 2011, S. 405–422; Innokentij Kreknin: Kybernetischer Realismus und Autofiktion. Ein Ordnungsversuch digitaler poetischer Phänomene am Beispiel von Alban Nikolai Herbst, in: Auto(r)fiktion. Strategien literarischer Selbsterschaffung, hg. von Martina Wagner-Egelhaaf, Bielefeld: Aisthesis 2013, S. 279–314; Renate Giacomuzzi: Werk oder Beiwerk? Zur Typologie von Autorenhomepages, in: Netzliteratur im Archiv. Erfahrungen und Perspektiven, hg. von Jutta Bendt, Göttingen: Wallstein 2017, S. 47–61; Julian Ingelmann/Kai Matuszkiewicz: Autorschafts- und Literaturkonzepte im digitalen Wandel, in: Zeitschrift für Germanistik 27 (2017), H. 2, S. 300–315. Corinna Norrick-Rühl/Anke Vogel: Buch- und Medienmarkt. Produktion, Distribution und Rezeption, in: Handbuch Kinder- und Jugendliteratur, hg. von Tobias Kurwinkel und Philipp Schmerheim, Stuttgart: Metzler 2020, S. 20–37, hier S. 27.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

digitalen Medien, die – wie eingangs dargestellt – Autor:innen eben dieser Segmente im Buchhandel angeblich stärker nutzen. Bei den Analysen werden zudem Autor:innen unterschiedlicher Geschlechter betrachtet. Um etwas über Autor:innen sagen zu können, die in spezifischen Bereichen des literarischen Feldes agieren, ist es notwendig, einen Blick auf ihren Werdegang und ihre bisherigen Positionen zu werfen. Denn unter anderem so kann nachvollzogen werden, in welchem Subfeld sich Autor:innen aufhalten und welche Erwartungen an sie gerichtet werden. Diese Studie verfolgt letztlich drei übergeordnete Fragen: 1) Wie und in welcher Form gelangen Autor:innen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu öffentlicher Aufmerksamkeit und wie können sie ihre Position im literarischen Feld halten beziehungsweise verbessern? 2) Welche medialen Bilder werden dabei konstruiert, tradiert und variiert? 3) Inwiefern stehen diese Bilder mit Genres und Feldern, in denen die Autor:innen veröffentlichen und rezipiert werden, sowie mit den Möglichkeiten, die digitale Medien bieten, im Zusammenhang?

1.3 Auswahl der Autor:innen und forschungsleitende Thesen Für die Beantwortung der Fragen werden in dieser Studie Inszenierungspraktiken von vier Autor:innen im Zeitraum zwischen 2010 und 2020 betrachtet, die unterschiedlichen Teilmärkten und Genres (wie etwa der Popliteratur, der Kinder- und Jugendliteratur oder der Phantastik/Fantasy) zugewiesen werden können: Sibylle Berg, Markus Heitz, Cornelia Funke und Michael Köhlmeier. Alle vier waren mit ihren Veröffentlichungen im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts kommerziell sehr erfolgreich beziehungsweise wurden im Feuilleton vermehrt besprochen. Der Untersuchungszeitraum lässt sich anhand der Entwicklungen im Internet begründen: Seit ca. 2010 ist die Nutzung von sozialen Netzwerkplattformen weit verbreitet und erlaubt Beobachtungen zur Selbstinszenierung von Autor:innen. So existieren seit 2010 von Sibylle Berg, Markus Heitz und Cornelia Funke Facebook-Seiten, auf denen regelmäßig Beiträge erscheinen (Stand 2022). Die konkrete Auswahl der Autor:innen orientiert sich an mehreren Faktoren. Es ging zum einen darum, Autor:innen zu auszusuchen, deren Texte in möglichst differenten Genres und Subfeldern veröffentlicht werden. Zum anderen sollten die Autor:innen im literarischen Feld bereits etabliert sein und über entsprechende Erfahrungen und Strategien verfügen, während Autorinszenierungen von Debütant:innen möglicherweise noch stärker von den Verla-

I. Einleitende Überlegungen

gen und Marketingabteilungen gesteuert sein können.48 Bei den ausgewählten Autor:innen handelt es sich jeweils um (zumindest in ihrem Subfeld) populäre und erfolgreiche Autor:innen, die vor allem für ihre Romane und Erzählungen bekannt sind. Lyriker:innen und Dramatiker:innen werden nicht speziell berücksichtigt, auch wenn Sibylle Berg ebenfalls als Dramatikerin erfolgreich ist. Berg ist auch diejenige, die insbesondere für ihre häufige Nutzung sozialer Netzwerkplattformen bekannt ist. Sie wird insbesondere zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Popliteratin49 verstanden, so dass die verstärkte Mediennutzung zunächst nicht erstaunt. Allerdings verändert sich Bergs Position im Laufe des Jahrzehnts, weswegen es besonders produktiv erscheint, ihre (Selbst- und Fremd-)Inszenierungen sowie ihre Mediennutzung detailliert zu analysieren. Denn eigentlich würde es den Überlegungen Biendarras widersprechen, wenn sich Berg inzwischen in einem ›höheren‹ Segment im Feld verorten lässt und trotzdem dieselbe Internetpräsenz wie zuvor zeigt. Mit einem spezifischen Subfeld assoziiert wird Markus Heitz, der für seine in der Regel in Serie erscheinenden Fantasy- und Horror-Romane bekannt ist. Mit Bourdieu lässt sich Heitz auf den ersten Blick am heteronomen Pol und im Feld der Massenproduktion verorten. Seine Werke lassen sich aufgrund ihrer globalen Zirkulation auch als world literature50 bezeichnen. Geprägt ist das Subfeld ›Phantastik/Fantasy‹ unter anderem durch eine spezifische Alltags-, Musik- und Spielekultur, an der Autor:innen wie auch »Fans«51 teilnehmen. Verortet sich nun Markus Heitz insbesondere in diesem Feld, so ist zu erwarten, dass seine Inszenierungspraktiken mit den Feldspezifika einhergehen. Mit Biendarra ist zudem anzunehmen, dass die Internetpräsenz von Heitz stärker als am autonomen Pol ausgeprägt ist und dass grundsätzlich seine Autorinsze-

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Vgl. dazu die Aussagen Bergs zur Cover-Fotografie ihres Debüts Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997) in Kapitel 4.1.2. Vgl. Thomas Hecken/Marcus S. Kleiner/André Menke: Popliteratur. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler 2015, S. 149–159. Unter world literature versteht Tommek eine Literatur, »die mittels erprobter Formate – wie denen des historischen, fantastischen, Familien-, Campus- oder Kriminalromans – […] seriell variiert hergestellt wird und global zirkuliert« (Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 251; vgl. auch S. 383f. und 575). Vgl. Ronald Hitzler/Annika Leichner: Fandom, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 263–267.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

nierung in einem engen Verhältnis zu den Genres steht, in denen der Autor veröffentlicht. Cornelia Funke lässt sich einem spezifischen Teilmarkt zuordnen, der zwar viele Überschneidungen mit dem Feld der Phantastik/Fantasy aufweist, jedoch darüber hinaus auch ganz eigenen Logiken folgt: dem Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur. Kinder- und Jugendliteratur hat in der Regel einen konkreten Adressatenkreis mit spezifischen Merkmalen (Alter, kognitive Fähigkeiten etc.); Texte und Medien werden zum Teil thematisch und formal an diesen Adressatenkreis angepasst beziehungsweise je nach Definition des Begriffs ›Kinder- und Jugendliteratur‹ als passend erkannt.52 Der Adressatenkreis kann demnach auf die Produktion, aber auch auf die Distribution und Rezeption von Texten und Medien – und damit auf alle Bereiche des literarischen Subfeldes – Einfluss ausüben und vice versa. Zu bedenken ist dabei, dass Kinder- und Jugendliteratur durch Erwachsene produziert, distribuiert und vermittelt wird, während Kinder und Jugendliche die eigentlichen Leser:innen sind. Es kann daher von einer erforderlichen Doppel- beziehungsweise Mehrfachadressierung53 von Kinder- und Jugendliteratur und -medien gesprochen werden. In Bezug auf Funke lässt sich nun unter anderem erwarten, dass ihre Praktiken den Feldspezifika entsprechen, dass sie Angebote macht, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ansprechend sind und dass sie eine hohe Internetpräsenz zeigt. Darüber hinaus ist Funke, die auch als deutsche J.K. Rowling bezeichnet wurde,54 als internationaler Superstar einzuordnen. Sie steht damit beispielhaft für die Autor:innen, die aufgrund der Genres, der Zielgruppe und der Internationalität auch eine aufwendigere Internetpräsenz aufweisen.55 Im Unterschied dazu ist Michael Köhlmeiers Internetpräsenz nicht durch selbstinitiierte Medienangebote gekennzeichnet. Unter anderem als Gewinner des Marie Luise Kaschnitz-Preises für sein Lebenswerk (2017) lässt sich der Autor mit Bourdieu am ehesten am autonomen Pol verorten. Grundlegende 52

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Vgl. zu den Definitionen etwa Carsten Gansel: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Vorschläge für einen kompetenzorientierten Unterricht, 8. Aufl., Berlin: Cornelsen 2019, S. 13. Vgl. Lena Hoffmann: Crossover. Mehrfachadressierung in Text, Markt und Diskurs, Zürich: Chronos 2018, S. 51f. Jeffrey A. Trachtenberg: Pedigreed ›Harry‹ Wannabe – New Children’s Book Parallels J. K. Rowling’s in Many Ways; Author Is Success in Germany, in: The Wall Street Journal, 15.07.2002. Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 276.

I. Einleitende Überlegungen

Tendenzen der Inszenierungspraktiken von ästhetisch-autonomen Autor:innen wurden von Kyora in Bezug auf die Subjektform ›Autor‹ ausführlich beschrieben. Demnach wäre für Köhlmeier zu vermuten, dass die körperliche Performance eher zurückgenommen und grundsätzlich eine Konzentration auf das Geistige zu erwarten ist. Er stellt zudem ein Beispiel für einen Autor dar, der die Nutzung des Internets für die eigene Sichtbarkeit während des Untersuchungszeitraums zu scheuen scheint. Es lassen sich jedoch viele poetologische Aussagen in Interviews und Portraits finden. Seine Autorschaft kann voraussichtlich mit traditionellen Modellen von Autorschaft (poeta doctus, Genieästhetik etc.) verknüpft werden.56 Eine Besonderheit ist bei allen ausgewählten Autor:innen zu berücksichtigen: Köhlmeier und Berg veröffentlichen zwar im deutschsprachigen Raum und werden auch in deutschen Zeitungen und Zeitschriften besprochen, sind jedoch auch in ihren (Wahl-)Heimatländern verortet (Köhlmeier lebt in Österreich, Sibylle Berg in der Schweiz). Die Autorinszenierungen von Funke und Heitz gehen über den deutschsprachigen Raum hinaus. Ob diese internationalen, nationalen und regionalen Verortungen für die Autorinszenierungen relevant sind, soll in Ansätzen mitbedacht werden. Der Fokus der Untersuchung soll jedoch nicht auf den Positionen in den jeweiligen Feldern liegen, sondern die unterschiedlichen Subfelder werden dazu genutzt, den ›Raum des Möglichen‹57 abzuklopfen, der für Autor:innen bereit steht und an den sich auch möglicherweise verschiedene Inszenierungspraktiken anpassen – und vice versa verweisen die Inszenierungspraktiken wie auch die Genres und Bewertungen der Werke auf ein Subfeld und einen Pol und damit auf eine Position der jeweils exemplarisch ausgewählten Autorin oder des Autors im gesamtliterarischen Feld. Es geht demnach vielmehr um diese Wechselwirkungen als um die tatsächliche Position, die sich sowieso im stetigen Wandel befindet.

1.4 Theoretisch-methodisches Vorgehen und Aufbau dieser Studie Um die Forschungsfragen zu beantworten, werden zunächst zentrale Begrifflichkeiten wie ›Autorbild‹ und Konzepte wie ›Autorinszenierung‹ und ›Autofiktion‹ erläutert (2.1). Anschließend geht es um die gesellschafts- und kulturwis56 57

Vgl. zu den Autorschaftsmodellen das Kapitel 2.1.1. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

senschaftlichen Bezugstheorien, die den Analysen zugrunde liegen (2.2). Bei der Skizzierung des Forschungsstands ist bereits deutlich geworden, dass sich bei Analysen von Autorinszenierungen das Konzept des literarischen Feldes als produktiv erwiesen hat. Es wird daher auch den folgenden Analysen zugrunde gelegt. Eine Herausforderung bei der Nutzung der Feldtheorie Bourdieus liegt darin, dass damit ein Feld angenommen wird, das Bourdieu für das 19. Jahrhundert in Frankreich beschrieben hat. Die Vorannahmen, die in dem Begriff stecken, sind demnach mit Vorsicht zu behandeln, denn sie verführen dazu, die Phänomene eines möglichen literarischen Feldes der deutschsprachigen Gegenwart mit denen gleichzusetzen, die Bourdieu in Die Regeln der Kunst (1999) beschrieben hat. Hier gilt es, neue Tendenzen und veränderte Merkmale eines literarischen Feldes der Gegenwart zu skizzieren. Die von Heribert Tommek publizierte Studie Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur (2015) wird unter anderem dafür herangezogen. Markus Joch und Norbert Christian Wolf plädieren dafür, den »Machtfaktor Medien«58 bei feldanalytischen Arbeiten nicht zu vernachlässigen. Dazu greift die vorliegende Studie auf Subjektivierungstheorien nach Reckwitz zurück. Für Reckwitz ist es entscheidend, nicht von einem »Determinismus zwischen Technik und Subjektformen auszugehen, sondern immer die kulturell spezifischen Umgangsformen mit den entsprechenden Artefakten zu betrachten, in deren Kontext eine Subjektivation stattfindet.«59 Reckwitz betont demnach die Bedeutung des Wechselverhältnisses zwischen Medien und Subjekt. Er bezieht sich dabei sowohl auf Felder, wie sie Bourdieu beschreibt, als auch auf Diskurse à la Foucault. Er propagiert somit die Analyse von Praxis-DiskursFormationen und damit von Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen. Die intensive Beschäftigung mit den Medien, in denen und durch die Autorinszenierungen möglich und wahrnehmbar sind, erfordert eine Klärung des Medienbegriffs sowie eine Betrachtung der Dimensionen von Medien (3.1). Denn letztlich kann der Begriff sowohl für Aspekte der Medialität, der Technik als auch der jeweiligen Institution stehen, die Medien produziert und/oder verwaltet. In diesem Zusammenhang wird auch expliziter darüber

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Markus Joch/Norbert Christian Wolf: Feldtheorie als Provokation der Literaturwissenschaft, in: Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis, hg. von dens., Tübingen: Niemeyer 2005, S. 1–24, hier S. 23. Andreas Reckwitz: Subjekt, 3. Aufl., Bielefeld: transcript 2012, S. 138f.

I. Einleitende Überlegungen

nachzudenken sein, welche Herausforderungen sich bei der Analyse spezifischer Medien ergeben und welche konkreten Medienangebote letztlich für die nachfolgenden Analysen ausgewählt werden (3.2). Der anschließend zu entwickelnde Fragenkatalog zeigt, wie und auf welchen Ebenen Medienangebote untersucht werden können (3.3). Für die Erforschung von literarischen Phänomenen unter den veränderten Bedingungen des Internets fordert Peer Trilcke in seiner Studie »Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets« möglichst vorurteilsfreie Beobachtung.60 Dabei lasse sich das Internet nicht als ein einziges Medium begreifen, zu dem »pauschale Aussagen« getätigt werden könnten. Trilcke plädiert für »die kleinschrittige Analyse der diversen medialen Konstellationen«.61 Daher berücksichtigt die vorliegende Studie vor allem Webseiten, soziale Netzwerkplattformen sowie Interviews und Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften. Zudem werden einzelne Filme und Fernseh- und Videoaufnahmen betrachtet, die zum Teil bei YouTube hochgeladen wurden, sowie Kommentarbereiche der einzelnen medialen Konstellationen hinzugezogen. Im Sinne Trilckes werden zunächst die Quellenkontexte der spezifischen Medienangebote vorgestellt (3.4), um anschließend die Materialien und ihre Inhalte unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen medialen Eigenschaften analysieren, interpretieren und kategorisieren zu können. Materialien, bei denen Bilder (im engeren Sinne) oder Film-, Fernseh- und Videoaufnahmen im Vordergrund stehen, gilt es in Schriftsprache zu ›übersetzen‹.62 So können die medial differenten Elemente nebeneinandergelegt, verglichen und gruppiert 60

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Vgl. Peer Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets. Mit einer Blogotop-Analyse, in: Textpraxis. Digitales Journal für Philologie 7 (2013), H. 2, S. 6, https://www.textpraxis.net/peer-trilcke-literatursoziologie-des-internets, letzter Zugriff: 08.10.2022, Herv.i.Orig. Ebd. Die Analyse ist angelehnt an Ansätze der qualitativen Inhaltsanalysen und aktueller Medienanalysen, vgl. Katharina Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung. Medienbilder als Herausforderung für die Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden: Springer 2012; Jo Reichertz/Carina J. Englert: Einführung in die qualitative Videoanalyse. Eine hermeneutisch-wissenssoziologische Fallanalyse, Wiesbaden: Springer 2011; Michael Corsten/Christine Moritz (Hg.): Handbuch Qualitative Videoanalyse, Wiesbaden: Springer 2018; Dietmar Kammerer: Qualitative Verfahren der Filmanalyse, in: Handbuch Filmanalyse, hg. von Malte Hagener und Volker Pantenburg, Wiesbaden: Springer 2020, S. 385–397; Dominique Schirmer/Nadine Sander/Andreas Wenninger (Hg.): Die qualitative Analyse internetbasierter Daten. Methodische Herausforderungen und Potenziale von Online-Medien, Wiesbaden: Sprin-

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

werden. Gruppieren sich viele Elemente zu einem spezifischen Schlagwort oder Thema, lässt sich daraus ein Autorbild extrahieren. Dieses Vorgehen kommt im 4. Kapitel bei den Medienangeboten zur Anwendung, die mit den Namen der vier ausgewählten Autor:innen verknüpft sind und für die Analysen ausgewählt wurden. Dabei folgen die Analysen dem Fragenkatalog, die einzelnen Analysekapitel sind allerdings hinsichtlich der Ergebnisse, das heißt hinsichtlich der extrahierten Autorbilder, strukturiert. Im Schlussteil werden die Ergebnisse der Analysen verglichen, diskutiert und unter anderem hinsichtlich medien- und genderspezifischer Aspekte reflektiert (5.).

ger 2015; Philipp Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, 12. überarb. Aufl., Weinheim/Basel: Beltz 2015. Vgl. dazu auch Kapitel 3.4 in dieser Arbeit.

II. Theoretische Grundlagen

Um herauszufinden, wie und in welcher Form die ausgewählten Autor:innen zu öffentlicher Bedeutung gelangen, wie sie im Literaturbetrieb präsent bleiben und welche medialen Bilder dabei konstruiert, tradiert und variiert werden, sollen zunächst die in den Analysen verwendeten Begrifflichkeiten (wie ›Autor‹/›Autorin‹, ›Autorinszenierung‹ und ›Autorbild‹) geklärt sowie die ausgewählten Bezugstheorien erläutert werden. Dabei liegt der Fokus auf der Frage, auf welchen Ebenen sich Autorinszenierungen beobachten lassen und in dieser Studie beobachtet werden sollen.

2.1 Grundbegriffe zu Autorschaft Der Begriff ›Autor‹ (lat. auctor) steht für den »geistigen Erzeuger von Texten jeglicher Art«1 . Etymologisch bezieht sich auctor auf augere (etwas entstehen lassen, vergrößern) und lässt sich auch mit auctoritas (Glaubwürdigkeit und förderndem Einfluss) verbinden. Weitere gebräuchliche und oft synonym verwendete Begriffe sind ›Schriftsteller‹, ›Dichter‹ und ›Poet‹. Diese Begriffe haben im Laufe ihrer Geschichte allerdings einige Bedeutungsverschiebungen durchlaufen und weisen – insbesondere im historischen Kontext – spezifische Implikationen auf (so wird etwa ›Dichter‹ stärker mit ästhetischen Werturteilen verknüpft). Der Begriff ›Autor‹ wird dagegen als wertneutral aufgefasst und aus diesem Grund hier bevorzugt.2 Tauchen im Folgenden trotzdem Begriffe 1

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Erich Kleinschmidt: Autor, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I: A-G, hg. von Klaus Weimar u.a., Berlin/New York: de Gruyter 2007, S. 176–180, hier S. 176. Vgl. ebd., S. 177 sowie Torsten Hoffmann/Daniela Langer: Autor, in: Handbuch Literaturwissenschaft. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe, hg. von Thomas Anz, Sonderausgabe, Stuttgart: Metzler 2013, S. 131–170, hier S. 131.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

wie ›Schriftsteller‹, ›Poet‹, ›Dichter‹ oder auch ›Stückeschreiber‹ und ›Medienarbeiter‹ auf, handelt es sich entweder um Zitate oder die Verwendung eines mit spezifischen Implikationen aufgeladenen Begriffes bietet sich an, um auf diese zu verweisen. In Handbuch- und Lexikonartikeln zu diesen Begriffen wird bisher des Öfteren das generische Maskulinum genutzt.3 Betrachtet man weitere Bedeutungsebenen, kann diese Verwendung allerdings zu Ungenauigkeiten führen: Die Begriffe »Autor und Autorin bzw. männliche und weibliche Autorschaft bedeuten […] nicht das Gleiche, denn mit diesen verbinden sich je verschiedene kulturelle Zuschreibungen«.4 ›Autor‹ und auch ›Autorin‹ sind damit nicht Oberbegriffe einer einzigen, feststehenden Kategorie, sondern Begriffe, die auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden können. Torsten Hoffmann und Daniela Langer unterscheiden in ihrem Handbuchartikel zum Beispiel drei Ebenen von Autorschaft: Sie differenzieren zwischen dem »realen Autor«, »Autorfunktionen« und »Autorschaftsmodellen«.5 Diese Unterteilung lässt sich für einen ersten Zugang zu den unterschiedlichen Betrachtungsebenen gut aufgreifen, muss allerdings noch um weitere, für diese Studie relevante Begriffe sowie um Gender-Aspekte erweitert werden. Dem ›realen Autor‹ und der ›realen Autorin‹ nähern sich Hoffmann und Langer, indem sie rechtliche und soziale Bedingungen untersuchen, unter denen Autor:innen arbeiten und Texte produzieren, veröffentlichen und verkaufen. Dabei stellen sie in Bezug auf die Unterscheidung von ›Autor‹ und ›Autorin‹ Grundsätzliches fest: »Frauen unterlagen sozialhistorisch anderen Bedingungen, die ihre Autorschaft erschwerten.«6 Auch wenn bereits seit der Antike Autorinnen zu öffentlicher Bedeutung gekommen sind, so ist die Anzahl um ein Vielfaches geringer als bei ihren männlichen Kollegen. Dies ist auf

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Vgl. etwa Kleinschmidt: Autor; Carlos Spoerhase: Autor, in: Metzler Lexikon Literatur, hg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff, 3. neu bearb. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2007, S. 60–62. Renate Kroll: Autorin, weibliche Autorschaft, Frauenliteratur. Betrachtungen zu schreibenden und »geschriebenen« Frauen, in: Genderstudies in den Geisteswissenschaften. Beiträge aus den Literatur-, Film- und Sprachwissenschaften, hg. von Corinna Schlicht, Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr 2010, S. 9–53, hier S. 39. Torsten Hoffmann/Daniela Langer: Autor, in: Handbuch Literaturwissenschaft. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe, hg. von Thomas Anz, Sonderausgabe, Stuttgart: Metzler 2013, S. 131–170, S. 131. Ebd., S. 159.

II. Theoretische Grundlagen

eingeschränkte Bildungs- und Publikationsmöglichkeiten sowie eine geringere Anerkennung ihrer Leistungen zurückzuführen. Diese haben wiederum Auswirkungen auf die von Kroll angeführten ›kulturellen Zuschreibungen‹, die sich auf den anderen beiden von Hoffmann und Langer angeführten Ebenen finden lassen. Mit den ›Autorfunktionen‹ werden die Kategorien ›Autor‹/›Autorin‹ für die Analysepraxis operationalisierbar. Der Begriff ›Autorfunktion‹ stammt aus Michel Foucaults Aufsatz »Was ist ein Autor?«, in dem er sich für »die Art, in der der Text auf jene Figur verweist, die ihm, wenigstens dem Anschein nach, äußerlich ist und ihm vorausgeht«7 , interessiert. Dem Autor oder der Autorin kann auf dieser Ebene unterschiedliche Relevanz für die Interpretation zugesprochen werden: So kann bei der Interpretation lediglich die Minimalfunktion genutzt werden (›Erzeuger:innen‹ oder ›Urheber:innen‹ von Texten jeglicher Art) oder aber Autor:innen werden auch Gestaltungsfunktionen (Stil, formale Gestalt etc.) oder Bedeutungsgenerierungen (Intentionen) zugesprochen.8 An dieser Stelle beziehen sich Hoffmann und Langer auf Dirk Niefanger, der dazu auffordert, bei der Betrachtung der Autorfunktionen auch die ›Selbstinszenierung‹ von Autor:innen zu berücksichtigen.9 Hier setzt die vorliegende Studie an, die jedoch nicht nur die Selbst-, sondern auch Fremdinszenierungen von Autor:innen in den Blick nimmt. Selbstund Fremdinszenierungen lassen sich wiederum mit dem Begriff ›Autorinszenierung‹ überschreiben, wobei es im Anschluss an den performative turn um einzelne Handlungen geht, mithilfe derer Autor:innen zu öffentlicher Bedeutung gelangen. Der Begriff der ›Inszenierung‹ verweist dabei auf den Konstruktcharakter der aus den öffentlichkeitswirksamen Handlungen entstehenden ›Bilder‹. Bei den Begriffen ›Autorinszenierung‹ sowie ›Autorbild‹

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Michel Foucault: Was ist ein Autor?, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis, Stuttgart: Reclam 2000, S. 198-229, hier S. 202. Vgl. Fotis Jannidis u.a.: Rede über den Autor an die Gebildeten unter seinen Verächtern. Historische Modelle und systematische Perspektiven, in: Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, hg. von dens., Tübingen: Niemeyer 1999, S. 3–36, hier S. 19–21. Vgl. Dirk Niefanger: Der Autor und sein Label. Überlegungen zur fonction classificatoire Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer), in: Autorschaft. Positionen und Revisionen, hg. von Heinrich Detering, Stuttgart/Weimar: Metzler 2002, S. 521–539, hier S. 525.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

handelt es sich um die wesentlichen Begriffsergänzungen, auf die noch ausführlicher einzugehen sein wird.10 Zunächst soll allerdings die dritte Begriffsdimension betrachtet werden: die der ›Autorschaftsmodelle‹. Laut Hoffmann und Langer stellen diese Modelle historisch kontingente, literarisch inszenierte und poetologisch konzipierte Konstrukte dar, die je ein bestimmtes ›Bild‹ des Autors im Hinblick auf Absicht, Anspruch und Ursprung seiner literarischen Tätigkeit umreißen.11 Es handelt sich demnach um historisch tradierte Bilder von Autorschaft, die im Laufe der europäischen Literaturgeschichte immer wieder aufgegriffen wurden. Sie sind für die nachfolgenden Analysen von Interesse, da Autor:innen sich mit ihren Inszenierungspraktiken auf sie beziehen, sich von ihnen abgrenzen oder – in Bezug auf weibliche Autorschaft – auf ihr Fehlen aufmerksam machen.

2.1.1 Modelle der Autorschaft Die Modelle oder Konzepte12 von (in der Regel männlicher) Autorschaft haben eine lange Tradition. Bereits in Texten der Antike werden Vorstellungen dazu verhandelt. In Platons Ion werden zwei unterschiedliche Modelle gegenübergestellt: »Denn alle guten Ependichter singen nicht aufgrund eines Fachwissens [techne], sondern in göttlicher Begeisterung und Ergriffenheit alle diese schönen Dichtungen, und die Liederdichter, die guten, ebenso«.13 Inspiration durch göttliche Instanzen oder kompetente Anwendung von Fachwissen sind grundlegende Vorstellungen, die Modelle von Autorschaft bis heute prägen. Mit der ersten Annahme geht die Vorstellung vom Autor als Medium einher, wobei »die Dichter nichts anderes sind als Mittler [hermenes] der Götter, Besessene dessen, von dem jeder einzelne gerade besessen ist.«14 Seine Inspi-

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Vgl. Kapitel 2.1.3. Hoffmann/Langer: Autor, S. 133. Es existieren neben der Bezeichnung ›Modelle von Autorschaft‹ die Begriffe ›Autormodell‹, ›Autorschaftsmodell‹, ›Autorkonzept‹ und ›Autorschaftskonzept‹ (vgl. u.a. ebd., S. 139). Platon: Ion. Griechisch/Deutsch, übers.u. hg. von Hellmut Flashar, Stuttgart: Reclam 1997, S. 19 (533e). Ebd., S. 19 (534e).

II. Theoretische Grundlagen

ration erhält der sogenannte poeta vates15 , der ›Dichterseher‹16 , von der Muse, die angerufen wird, um den Beistand der Götter zu garantieren. Erzeugnisse von Autoren werden in diesem Modell nicht als autonome und fiktive Werke wahrgenommen, sondern manifestieren eine Art göttliches und darum scheinbar objektives Wissen.17 Damit enthält dieses Konzept eine Vorstellung vom Autor, die diesen »über seine konventionelle, gesellschaftliche Dienstleistungsfunktion hinaus erhöht«.18 Dabei fungiert der Autor als Sprachrohr der Götter. Mythologisches Vorbild ist der Sänger Orpheus aus der homerischen Odyssee, der durch seine Kunst sowohl die Natur als auch den Gott der Unterwelt zu bewegen weiß.19 Diametral entgegengesetzt steht das Modell des poeta doctus (RenaissanceBezeichnung: poeta eruditus). »Spätestens vom Hellenismus an hat es in Europa immer eine heimliche Opposition gegen den Mythos der Inspiration gegeben, eine Opposition, die vom Dichten vielmehr wie von einem kunstvollen Machen spricht.«20 Beschrieben wird das Konzept des poeta doctus unter anderem von Horaz als Ideal des »hochgebildeten und hochgradig bewussten Schriftstellers […], der über alle poetischen und rhetorischen Mittel souverän verfügt.«21 Dabei geht es nicht nur darum, als Autor besonders gelehrt zu erscheinen, sondern dies auch durch intertextuelle Verweise auf andere ausgesuchte Werke des literarischen Kanons offenzulegen. Unter anderem dadurch präsentiert der poeta doctus seine »enzyklopädische Bildung, seine kritische Urteilsfähig-

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Mit Stefan George wurde auch für die modernere Zeit der poeta vates erneut ausfindig gemacht (vgl. Hoffmann/Langer: Autor, S. 141 sowie auch Alexandra Grüttner-Wilke: Autorenbild. Autorenbildung. Autorenausbildung, Nordhausen: Traugott Bautz 2011, S. 23–25). Zur Übersetzung des Begriffs vgl. Hoffmann/Langer: Autor, S. 140. Vgl. Heinz Schlaffer: Poesie und Wissen. Die Entstehung des ästhetischen Bewußtseins und der philologischen Erkenntnis, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 27. Erich Kleinschmidt: Dichter, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. I: A-G, hg. von Klaus Weimar u.a., Berlin/New York: de Gruyter 2007, S. 357–360, hier S. 359. Rolf Selbmann: Dichterberuf. Zum Selbstverständnis des Schriftstellers von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994, S. 7f. Hans Magnus Enzensberger: Die Entstehung eines Gedichts, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1962, S. 61. Selbmann: Dichterberuf, S. 11.

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keit und umfassende Kenntnis der lit. Tradition«.22 Der Anwender kompetenten Fachwissens wird auch als poeta faber bezeichnet. Damit wird weniger die Kenntnis, sondern die schriftstellerische Produktion in den Vordergrund gestellt. Das Fachwissen, das Handwerk sowie der korrekte Gebrauch von Regeln sind die Grundlage für die Arbeit des poeta faber, die dieser zum Beispiel aus der Poetik des Aristoteles ableitet. Als modernen poeta faber bezeichnen Hoffmann und Langer etwa Gottfried Benn, dessen Satz »Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht« das Autor- und Literaturverständnis der ›Handwerker:innen‹ aufzeigt. Mit Rückgriff auf Barner führen Hoffmann und Langer zudem an, dass »Werkstattberichte solcher Art ›[…] eine spezifisch ›moderne‹ Form der Selbstdarstellung von poetae docti‹« darstellten.23 In Bezug auf antike Vorstellungen von Autorschaft sei an dieser Stelle noch auf den poeta laureatus verwiesen, den ›lorbeergekrönten Dichter‹. Mittels eines öffentlich verliehenen Lorbeerkranzes wurden Sieger eines Dichterwettstreits oder später auch Verfasser herausragender Schriften ausgezeichnet. Dieser Brauch ist im italienischen Renaissance-Humanismus mit Petrarca wieder aufgegriffen worden und hat sich bis ins 19. Jahrhundert in Europa erhalten.24 Der Ritus ist jedoch schwer vergleichbar mit den zuvor vorgestellten Modellen von Autorschaft, da in diesen Fällen nicht die Art und Weise der Anfertigung eines Werks, sondern dessen Anerkennung und Wertung im Fokus stehen. Für die Gegenwart ließe sich der poeta laureatus mit einem Autor vergleichen, der Literaturpreise verliehen bekommt oder durch Stipendien finanziert wird.25 Zeichnet sich Autorschaft bis in die Neuzeit vor allem dadurch aus, dass »überindividuelle Instanzen«26 wie die christliche Kirche sowie christlich interpretierte antike Klassiker, die es zu imitieren gilt, das Schaffen von Autoren beeinflussen, ändert sich diese Vorstellung spätestens mit dem Infragestellen der Regelpoetiken und der davon ausgehenden Genie-Poetik. Diese bezeichnet 22

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Jörg Löffler: Poeta doctus, in: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, hg. von Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moennighoff, 3., neu bearb. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2007, S. 591. Hoffmann/Langer: Autor, S. 143. Christoph Fasbender: Poeta laureatus, in: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, hg. von Dieter Burdorf/Christoph Fasbender/Burkhard Moennighoff, 3., neu bearb. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2007, S. 591. Vgl. Sonja Vandenrath: Literaturpreise, in: Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen, hg. von Erhard Schütz u.a., Reinbek b.H.: Rowohlt 2005, S. 236–340, hier S. 236. Jannidis u.a.: Rede über den Autor, S. 5.

II. Theoretische Grundlagen

die Vorstellung von einem individuellen Stil, der nicht Nachgeahmtes zeigt, sondern das Diktum der Innovation beinhaltet. Die Innovation schöpft der Autor dabei aus sich selbst heraus. In seiner 1771 gehaltenen Rede zum Shakespeare-Tag erläutert Johann Wolfgang von Goethe seine gewandelte Einstellung zur Regelpoetik: Die erste Seite, die ich in ihm [Shakespeare, E.M.K.] las, machte mich auf zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stund ich wie ein Blindgeborner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt. Ich erkannte, ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert, alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernt’ ich sehen, und, Dank sei meinem erkenntlichen Genius, ich fühle noch immer lebhaft, was ich gewonnen habe. Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich, die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskraft.27 Einige Jahre später definiert Immanuel Kant in seiner Kritik der ästhetischen Urteilskraft das ›Genie‹ folgendermaßen: Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angebornes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: ǀ Genie ist die angeborne Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt. […] Man sieht hieraus, daß Genie I) ein Talent sei, dasjenige, wozu sich keine bestimmte Regel geben läßt, hervorzubringen: nicht Geschicklichkeitsanlage zu dem, was nach irgend einer Regel gelernt werden kann; folglich daß Originalität seine erste Eigenschaft sein müsse.28 In den Zitaten zeigen sich Vorstellungen von Autorschaft, die man auch als ästhetisch-autonom bezeichnen kann. Autoren im Sinne der Genieästhetik schöpfen originelle, nicht nachgeahmte Werke ›aus sich selbst heraus‹. Ihre Begabung scheint ihnen dabei angeboren. Damit rückt auch der Genie-Autor

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Johann Wolfgang von Goethe: Schriften zur Literatur. Zum Shakespeare-Tag, in: Goethes Werke. Bd. XII, hg. von Erich Trunz, München: Beck 1994, S. 224–227, hier S. 224f. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft [1790], in: Werkausgabe. Bd. 10, hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2004, S. 241f.

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wie der poeta vates »über seine konventionelle, gesellschaftliche Dienstleistungsfunktion hinaus«,29 wobei seine Inspiration im Gegensatz zum poeta vates unabhängig von überindividuellen Instanzen zu verstehen ist. Wesentlich ist zudem, dass die Entstehung des Geniemodells mit dem Gedanken des geistigen Eigentums einherging. So wirkt das Geniekonzept laut Hoffmann und Langer bis in die Gegenwart: Obgleich das Autorschaftsmodell des Genies in seiner zu Anfang emphatisch vertretenen ›Reinform‹ schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu finden war, ist es diese Vermischung des eigentlichen Geniekonzepts mit der Genese des modernen Autorbegriffs als ›Werkurheber‹ in juristischer Hinsicht […], die zu einer signifikanten Bedeutung und Fortdauer des Modells geführt hat. Seit der Genieästhetik gehen die rechtliche Festschreibung geistigen Eigentums und die Zuschreibung einer unhintergehbaren Verantwortlichkeit des Autors für seinen Text Hand in Hand.30 Mit der Moderne ändern sich die Grundvoraussetzungen für Autor:innen noch einmal. Durch »die Krisenerfahrung des Subjekts und seines Souveränitätsverlusts um 1900« wird auch eine Dissoziation personaler Autorschaft, die zwischen funktionaler An- und Abwesenheit in den Texten hin und her schwankt [, begünstigt]. Durch neue Überlegungen zur Textgenese als überindividuellem Prozeß, zu dem unter dem Einfluß der Psychoanalyse selbst Formen automatischen Schreibens gezählt werden, verliert das traditionelle Konzept des Dichters zunehmend seine substantielle Grundlage.31 Man könnte auch hier von einer Reinkarnation des Inspirationsmodells sprechen, wobei in diesem Fall der empirische Autor zugunsten des Textes zurücktritt.32 Nun ist die Sprache die inspirierende Instanz selbst: »Es ist die Sprache, die spricht, nicht der Autor«.33 Der Autor wird damit zum Sammler und »[Ab-]Schreiber, dessen »einzige Macht [darin] besteht […], die Schriften zu 29 30 31 32

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Kleinschmidt: Dichter, S. 359. Hoffmann/Langer: Autor, S. 146. Kleinschmidt: Dichter, S. 359. Vgl. dazu Roland Barthes: Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis, Stuttgart: Reclam 2000, S. 181–193; Foucault: Was ist ein Autor?, S. 198–229. Martin Heidegger: Die Sprache, in: ders., Unterwegs zur Sprache, Pfullingen: Neske 1971, S. 9–33.

II. Theoretische Grundlagen

vermischen und sie miteinander zu konfrontieren.«34 In diesem Zusammenhang spricht Roland Barthes vom Tod des Autors, was zum Motto divergenter Vorstellungen zur Autorschaft avancierte, die den Text und nicht die Intention eines Autors im Vordergrund sehen.35 Mit der Entwicklung eines Literaturbetriebs (im deutschsprachigen Raum seit spätestens um 1800) und der zunehmenden Nachfrage nach Büchern durch höhere Alphabetisierungsquoten entwickeln Akteure im literarischen Feld Marktstrategien, an die sich Autoren anpassen. Damit sind bestimmte Bilder von Autoren im medialen Diskurs durchaus sichtbar und prägen auch Vorstellungen von Autorschaft. Diese Formen der Anpassung haben sich bis heute verschärft. Jürgensen und Kaiser sprechen für die historische Entwicklung von Inszenierungspraktiken von erhöhtem Inszenierungsdruck.36 Herausgebildet hat sich ein neues Autorschaftsmodell, das des Autors/der Autorin als Marke, der/die nicht durch göttliche Eingebung oder Talent schreibt, sondern beim Schreiben bereits zukünftige Leser:innen mitdenkt. Durch die hohen Zahlen an Neuerscheinungen bei sinkenden Einzeltitelauflagen scheint »der Druck auf Verlage wie AutorInnen, sich um möglichst viel Aufmerksamkeit beim Publikum zu bemühen, stetig zu wachsen«.37 Für Autor:innen dieses Modells scheint es nicht wichtig zu sein, ökonomische Interessen zu verschleiern, sondern vielmehr mit den vom Markt vorgegebenen Bedingungen kreativ umzugehen. Dazu gehört insbesondere auch, die Möglichkeiten, die mediale Entwicklungen begünstigen, für sich und die eigenen Werke nutzbar machen zu können. Seit der Etablierung des Internets lassen sich zudem Formen kollektiver Autorschaft ausmachen. Seien es Mitschreibeprojekte, Hypertexte oder auch einfach die Frage nach den Urheber:innen, wenn Medienangebote verschiedener semiotischer Systeme (z.B. Schrifttext und Illustrationen) zusammengefügt und digitalisiert werden, denn daran können bereits Autor:innen, Zeichner:innen und Programmierer:innen urheberrechtlich beteiligt sein.

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Barthes: Der Tod des Autors, S. 190. Zum Beispiel William K. Wimsatts und Monroe C. Beardsleys intentional fallacy, Wayne C. Booths Textkonstrukt des implied author oder auch Julia Kristevas Intertextualität. Vgl. dazu Jannidis u.a.: Rede über den Autor, S. 3–36. Vgl. Jürgensen/Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken, S. 15. Stefan Neuhaus: Der Autor als Marke. Strategien der Personalisierung im Literaturbetrieb, in: Wirkendes Wort 61 (2011), H. 2., S. 313–328, hier S. 318.

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Bei den hier vorgestellten Autorschaftsmodellen38 handelt es sich um »idealtypische Rekonstruktionen«.39 In der historisch konkreten Ausprägung sind diese »vielfältiger, ja oft widersprüchlicher, als es die heutige Theoriedebatte um den Autor erkennen lässt«.40 Es ist anzunehmen, dass die Modelle, wie bereits beim poeta vates und poeta doctus beschrieben, nebeneinander existieren. Es ist keine vermeintlich teleologische Entwicklung nachzuzeichnen, sondern eher darauf aufmerksam zu machen, »daß es ein Set von Möglichkeiten der Konzeptionierung des Autors gibt, aus denen unter verschiedenen Bedingungen einzelne prämiert werden, ohne daß damit konfligierende Konzepte immer ganz ausgeschlossen werden.«41 Rolf Selbmann schreibt dazu, dass »mit Mischformen nicht nur zu rechnen [ist]; sie scheinen vielmehr den Normalfall im Korpus poetologischer Texte zu bilden.«42 In Bezug auf die Unterscheidung der Begriffe ›Autor‹ und ›Autorin‹ ist zu bedenken, dass sich ein Autor auf eine lange Tradition männlichen Schreibens stützen, sich darin einreihen oder sich bewusst davon abgrenzen kann. So war es zum Beispiel Johann Wolfgang von Goethe möglich, sich in seinem Tischbein-Gemälde vor antiken Tempeln abbilden zu lassen, was als Verweis auf ein großes Talent zu werten ist, vergleichbar mit dem eines Sophokles oder Vergil. Rolf Dieter Brinkmann – um ein weiteres Beispiel aus einem anderen Zeitraum anzuführen – war es scheinbar eine große Freude, traditionelle Autorenbilder zu unterlaufen und ein Bild eines jugendlichen, rebellischen Autors zu inszenieren.43 Welche historisch gewachsenen ›kulturellen Zuschreibungen‹ dagegen für Autorinnen zur Verfügung stehen, ist allerdings noch weitestge-

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Weitere hier nicht beschriebene Autorschaftsmodelle sind zum Beispiel der poeta theologus, poète maudit, poeta raté oder der Bohéme-Autor (vgl. dazu Anke Detken: »Besser als ein Gedicht/ist eine Tür, die/schließt«. Inszenierungsstrategien und Traditionsverhalten Rolf Dieter Brinkmanns, in: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser, Heidelberg: Winter 2011, S. 269–291). Jannidis u.a.: Rede über den Autor, S. 7f. Ebd. Ebd., S. 11. Selbmann: Dichterberuf, S. 253. Vgl. zu Mischformen auch Eugen Zentner: Der hybride Autor. Subjektbildung und die Praktik der autofiktionalen Selbstinszenierung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Phil. Diss. Oldenburg 2016, http://oops.uni-o ldenburg.de/2873/1/zenhyb16.pdf, letzter Zugriff: 09.10.2022. Niefanger: Provokative Posen, S. 90–95.

II. Theoretische Grundlagen

hend unerforscht.44 Die Modelle von Autorschaft beziehen sich bis zum Modell des ›Autors als Marke‹ in der Regel auf Männer; Frauen galten – wie etwa beim ›Dichterseher‹ zu beobachten – als Inspiratorinnen (Musen) und erhielten damit lange Zeit hauptsächlich einen Objektstatus. Autorinnen haben daher im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen weniger oder andere Möglichkeiten, sich auf bereits existierende Traditionen des Schreibens und AutorinSeins zu stützen. Sie sind (nach wie vor) vielmehr dazu aufgefordert, sich mit literarisierten Objektivierungen auseinanderzusetzen und ihr Schreiben zu legitimieren.45 Auf das Fehlen von Modellen weiblicher Autorschaft macht auch Alexandra Pontzen in ihrem Aufsatz »›Fragen Sie Frau Sibylle‹. Die Autorin als Tante«46 aufmerksam: Da es im deutschsprachigen Raum nicht viele Beispiele für eine weibliche Autorität der Autorschaft oder für Autorität weiblicher Autorschaft gibt, wird eingangs das Feld anhand von vier Modellen kartographiert. Das geht schnell, weil nahezu alle scheitern, das liegt zum Teil am ›gender‹, vielfach aber, simpler, am ›sex‹.47 Nach diesen einführenden Worten stellt Pontzen Modelle von Autorinnen für die Gegenwart auf. Sie skizziert die Autorin als »Priesterin der Vernunft« (mit

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Es existieren nur wenige Aufsätze zu Inszenierungen von Autorinnen, wie bereits ein flüchtiger Blick in die Inhaltsverzeichnisse der Sammelbände zu Autorinszenierungen der letzten zwei Jahrzehnte zeigt. Lediglich das Phänomen des ›literarischen Fräuleinwunders‹ wurde bisher ausführlicher betrachtet (vgl. Katrin Blumenkamp: Das »Literarische Fräuleinwunder«. Die Funktionsweise eines Etiketts im literarischen Feld der Jahrtausendwende, Münster u.a.: LIT-Verl. 2011). Auf die Notwendigkeit, in diesem Bereich weiter zu forschen und auch »(historische) Gender-Repräsentationen« zu berücksichtigen, macht auch Alexander Fischer aufmerksam (Fischer: Posierende Poeten, S. 563). Erste Abhilfe leistet ein Blick ins Ausland und in die Arbeit von Sandra Heinen: Literarische Inszenierung von Autorschaft. Geschlechtsspezifische Autorschaftsmodelle in der englischen Romantik, Trier: WTV 2006. Vgl. den Essay von Isabelle Lehn: Weibliches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, in: Hundertvierzehn. Das literarische Online-Magazin des S. Fischer Verlags, https://www.fischerverlage.de/magazin/extras/weibliches-schreiben-g egenwartsliteratur, letzter Zugriff: 09.10.2022. Alexandra Pontzen: »Fragen Sie Frau Sibylle«: Die Autorin als Tante und Autorität. Weibliche Popästhetik, Ältlichkeit und Ironie als (schweizer-)deutsche Spielart von ›camp‹, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von Anett Krause und Arnd Beise, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 17–38. Ebd., S. 18.

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Rückgriff auf Christa Wolf) und als »›authentische‹ Autofiktion« (mit Rückgriff auf Marlene Streeruwitz, Elfriede Jelinek, Charlotte Roche und Sibylle Berg).48 Dabei sei das Modell der ›Priesterin der Vernunft‹ geprägt von der Vorstellung von »Authentizität des eigenen Schreibens und Lebens«49 sowie von MasterNarrativen. Das Modell der authentischen Autofiktion verweise dagegen explizit auf die Schwierigkeiten der fehlenden Tradition und generiere so Autorität. Es zeige zum Beispiel auf, inwiefern der Topos des biographischen und autobiographischen Schreibens, der mit weiblicher Autorschaft gern verbunden wird, die Aufnahme in den Kanon verhindert: Alle genannten Autorinnen [Streeruwitz, Jelinek, Roche und Berg, E.M.K.] karikieren diesen Topos, der zum Ausschluss weiblicher Autorschaft aus Kanon und Literaturgeschichte geführt hat, d.h. sie zielen auf eine Autorität der Autorschaft, gerade indem sie die historischen Ausschlusskriterien ›stark‹ machen und als postmoderne resp. popkulturelle ästhetische Marker setzen.50

2.1.2 Autorinszenierung In den ersten Veröffentlichungen zu ›Autorinszenierungen‹ wird nur in wenigen Fällen die Bedeutung des Begriffs ›Inszenierung‹ hinterfragt.51 So fehlt etwa in der ansonsten theoretisch dichten Einleitung des Sammelbands Autorinszenierungen (2007) von Christine Künzel und Jörg Schönert eine Definition des zentralen Begriffs.52 Etwas genauer werden Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser, die zunächst bemängeln, dass der Begriff ›Inszenierungspraktiken‹ »notorisch unterbestimmt« sei.53 Sie grenzen ihn zum einen von Vorstellungen eines pejorativ geprägten Gegenbegriffs zu Authentizität ab und

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Vgl. zum Begriff ›Autofiktion‹ Kapitel 2.1.3. Pontzen: »Fragen Sie Frau Sibylle«, S. 18. Ebd., S. 23. Vgl. u.a. Grimm/Schärf: Einleitung, S. 7–12, hier S. 9; Christel Meier-Staubach/Martina Wagner-Egelhaaf: Einleitung, in: Autorschaft. Ikonen – Stile – Institutionen, hg. von dens., Berlin: Akademie-Verl. 2011, S. 9–27, hier S. 15 und S. 19; Kyora (Hg.): Subjektform Autor. Vgl. Christine Künzel/Jörg Schönert: Einleitung, in: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, hg. von dens., Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 9–24. Jürgensen/Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken, S. 10.

II. Theoretische Grundlagen

versuchen zum anderen, ›Autorbild‹ und ›Inszenierungspraktiken‹ voneinander zu lösen. Unter ›Autorbild‹ verstehen Jürgensen und Kaiser die Denkfiguren, die seit der Antike an Autoren herangetragen werden (z.B. poeta doctus und poeta vates) und in der vorliegenden Studie als ›Modelle von Autorschaft‹ bezeichnet werden. ›Inszenierungspraktiken‹ beschreiben Jürgensen und Kaiser dagegen als von Autor:innen selbst angewandte Techniken zur Erzeugung von Aufmerksamkeit, ohne den Begriff ›Inszenierung‹ jedoch näher zu definieren.54 Diesem Desiderat begegnen unter anderem Matthias Schaffrick und Marcus Willand mit einer Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen zu ›Autorinszenierungen‹ der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts. Darin bezeichnen sie in Anlehnung an Erika Fischer-Lichte ›Inszenierung‹ als »Erzeugungsstrategie«.55 Schaffrick und Willand führen dazu erläuternd an, dass »Inszenierungen nicht etwas Vorgängiges dar[stellen], sondern […] Autorschaft erst performativ hervor[bringen]«56 . Sie gehen davon aus, dass Autorinszenierungen durchaus als geplant aufgefasst werden müssen: Inszenierungen sind außerdem nicht spontan, sondern geplant, sie folgen einer Strategie. Solche Erzeugungsstrategien liegen einer konkreten und einmaligen Aufführung zugrunde und sind im Bereich der Autorschaft notwendig, um Personen als Autoren auszuweisen, denn Personen, die öffentlich als Autoren wahrgenommen werden wollen, müssen als Autoren beobachtbar sein.57 Mit Blick auf den weiten Textbegriff von ›Inszenierung‹ lässt sich die Grenze, an der eine Inszenierung beginnt beziehungsweise aufhört, allerdings nicht so einfach ziehen. Im engeren Sinn umfasst der Begriff laut Fischer-Lichte die konkrete Planung einer Theateraufführung oder eines anderen (medial transportierten) öffentlichen Ereignisses. Im weiteren Verständnis hätte sich der Begriff zu einem allgemeinen ästhetischen […] weiterentwickelt, der im Zuge einer zunehmenden Ästhetisierung der Lebenswelt auf nahezu alle kulturellen Berei54 55

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Ebd., S. 10f. Matthias Schaffrick/Marcus Willand: Autorschaft im 21. Jahrhundert. Bestandsaufnahme und Positionsbestimmung, in: Theorien und Praktiken der Autorschaft, hg. von dens., Berlin u.a.: de Gruyter 2014, S. 3–122, hier S. 84. Ebd. Ebd., Herv.i.Orig.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

che von der Politik über die Ökonomie, Medien, Sport, Festkultur bis hin zum Alltagsverhalten Einzelner und gesellschaftlicher Gruppen Anwendung findet.58 Die ›zunehmende Ästhetisierung der Lebenswelt‹ zeige sich insbesondere bei Festen wie der Love Parade oder dem Christopher Street Day. Sie lässt sich – und das ist für die vorliegende Studie relevant – in jüngster Zeit vor allem in sozialen Netzwerken wie beispielsweise Instagram oder Facebook beobachten.59 In Bezug auf die Grenze zwischen Inszenierung und Nicht-Inszenierung zitiert Fischer-Lichte Martin Seel: »[W]eder die, die inszenieren, noch die, für die inszeniert wird, können sich jemals ganz sicher sein, wann eine Inszenierung anfängt und wann sie zuende ist.«60 Im Alltag gibt es Handlungen, die auf den ersten Blick nicht inszeniert erscheinen: Nudeln abgießen, eine Jacke aufhängen, einen Computer hochfahren etc. Wird dies jedoch vor Beobachter:innen vollzogen, kann bereits wieder von ›Inszenierung‹ gesprochen werden. Es steht demnach nicht so sehr die Frage im Raum, ob und inwiefern eine Inszenierung geplant war und ist, sondern danach, welche Dimension von ›Inszenierung‹ beobachtet werden kann und hier beobachtet werden soll. Geht man von einer Geschlossenheit psychischer Systeme61 aus, können mögliche (strategische) Planungen nur im Gespräch, im Interview oder durch Selbstzeugnisse rekonstruiert werden. In Bezug auf Medienangebote, die mit den Namen von Autor:innen verbunden sind, kann das analysiert werden, was letztlich sichtbar ist, also das, was mit performativen Praktiken erzeugt wird. Um deutlicher darauf zu verweisen, was der Beobachtungsgegenstand dieser Studie ist, scheint es sinnvoll zu sein, von ›Autor- oder Medienbild‹62 zu sprechen und ›Autorinszenierung‹ für die Praktiken der Erzeugung von Autorschaft zu 58 59

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Erika Fischer-Lichte: Inszenierung, in: Metzler Lexikon Theatertheorie, hg. von ders.u.a., 2. akt. und erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2014, S. 152–160, hier S. 157. Vgl. Jan-Hinrik Schmidt: Social Media, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer 2018, S. 31–36, vgl. dazu ausführlicher Sporer: (Selbst-)Inszenierungen von Autorinnen und Autoren im Internet, insb. S. 39 und 49. Martin Seel: Inszenieren als Erscheinenlassen, in: Ästhetik der Inszenierung, hg. von Joseph Früchtl und Jörg Zimmermann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, S. 48–62, hier S. 62. Dieser Gedanke geht auf Niklas Luhmann zurück. Demnach sind soziale Systeme Kommunikationssysteme, die nicht durch Individuen, sondern durch deren Kommunikationen strukturiert werden. Vgl. dazu Niklas Luhmann: Die Autopoiesis des Bewußtseins, in: Soziale Welt 36 (1985), S. 402–446, hier S. 404. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 2.1.3.

II. Theoretische Grundlagen

verwenden. Damit soll verdeutlicht werden, dass nur die sichtbaren Zeichen analysiert werden können, nicht der mögliche intentionale Teil von Autorinszenierungen. Daher werden im Folgenden insbesondere die Quellen betrachtet, die öffentlich zugänglich und von vielen rezipierbar sind, also mit performativen Praktiken ein großes Publikum adressieren. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass Autorinszenierungen nicht nur von den Autor:innen selbst ausgehen, sondern auch von anderen Beteiligten des Literaturbetriebs, von Verleger:innen, Autorenagenturen, Marketing-Abteilungen, Literaturkritiker:innen, Literaturwissenschaftler:innen, Leser:innen u.v.m. Es sind demnach bei der Betrachtung von Medienangeboten, die um einen Autornamen gruppiert sind, die jeweiligen Urheber:innen zu berücksichtigen. Mit dem Publikum und der Urheberschaft sind bereits divergente Aspekte angeführt, hinsichtlich derer sich Autorinszenierungen analysieren lassen. Inzwischen wurden mehrere Systematisierungen veröffentlicht, die auf diese unterschiedlichen Aspekte verweisen. Jürgensen und Kaiser schlagen eine Heuristik vor, in der sie schriftstellerische Inszenierungspraktiken« in zwei Ebenen unterteilen: in die lokale und in die habituelle.63 Auf lokaler Ebene werden textuelle (Sujetwahl, Formgebung oder Stil) und paratextuelle Elemente aufgeführt (Titel, Motti oder Vor- und Nachworte sowie Interviews, Rezensionen, Lesungen). Die habituelle Ebene teilen Jürgensen und Kaiser in drei Unterebenen auf: in die performative (Kleidung, Gestik, Umgang mit Artefakten), die sozial/politische (Schichtenoder Gruppenzugehörigkeit, Teilnahme am politischen Leben) und die ästhetische (poeta doctus, poeta vates).64 Die Heuristik zeigt damit erstmals auf, auf welche Bereiche die Analysen von Autorinszenierung Bezug nehmen können. Zu überlegen ist allerdings, ob die Trennung zwischen habitueller und lokaler Ebene für die vorliegende Studie produktiv ist. Denn insbesondere die habituellen Praktiken entstehen erst mithilfe der Nutzung von (medialen) Artefakten und damit auch generell durch den Mediengebrauch;65 auch textuelle Prakti-

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Jürgensen/Kaiser: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken, S. 9–32. Ebd., S. 11–14. Auch Jérôme Meizoz unterscheidet diese Ebenen. Er nutzt dafür die Begriffe der ›diskursiven‹ und ›nicht-diskursiven posture‹ (Jérôme Meizoz: Die posture und das literarische Feld. Rousseau, Céline, Ajar, Houellebecq, in: Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis, hg. von Markus Joch und Norbert Christian Wolf, Tübingen: Niemeyer 2005, S. 177–188). Vgl. Niefanger: Autorinszenierung, S. 130–141.

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ken lassen sich nicht immer eindeutig von habituellen trennen. Insbesondere in der Popliteratur kommt es zu Überschneidungen der Ebenen.66 Diesen Kritikpunkt greift Alexander Fischer auf und schlägt eine weitere Differenzierung von Autorinszenierungen vor. Fischer arbeitet ein vielschichtiges »Koordinatensystem« heraus, »das für die Analyse weiterer Autorinszenierungen versuchsweise als erste Orientierungsmatrix dienen mag«.67 Die Matrix besteht aus sechzehn Kategorien: 1) Urheber; 2) Medien- und Zeichenverwendung; 3) Publikum; 4) Gesellschaftsform; 5) gesellschaftlicher Anlass; 6) inhaltliche Wirkrichtung; 7) Rezeptionsraum; 8) Erfolg/Scheitern; 9) zentrale Qualität; 10) Inszenierung und literarisches Werk; 11) Semiose-Prozesse; 12) Gender-Aspekte; 13) (wiederkehrende) Posen(-typen); 14) Autorinszenierung und Traditionsverhalten; 15) Modell von Autorschaft; 16) Inszenierungstopoi.68 Diese Aspekte lassen sich berücksichtigen, indem die Kontexte der für die Analysen ausgewählten Medienangebote geklärt werden. So kann zum Beispiel eine Urheberin oder ein Urheber bestimmt, der Mediengebrauch abgelesen sowie auch das Publikum ermittelt werden. Anhand der Medienangebote lassen sich letztlich Autor- und Medienbilder – Fischer verwendet dafür den Begriff ›Posen‹ – extrahieren, die zum Beispiel auf Gender-Aspekte und/oder Autorschaftsmodelle verweisen. Die Untersuchung wird aus diesem Grund einen Schwerpunkt auf die detaillierte Analyse der Medienangebote und ihrer Charakteristika legen, mit denen Autor:innen sichtbar sind.

2.1.3 Autorbild, Autorfigur und Autofiktion Der Begriff ›Autorbild‹ bezeichnet in dieser Studie das, was durch Inszenierungspraktiken und damit durch das Einschreiben in Systeme entsteht: eine Repräsentation eines Autors beziehungsweise einer Autorin. Im Englischen wird bei ›Bildern‹ zwischen images und pictures unterschieden: »Die Bezeichnung picture wird für materielle Bilder, die Bezeichnung image dagegen für immaterielle Bilder verwendet.«69 An die zweite Begriffsebene (image) schließt 66

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Diese Kritik ist auch bei der Auflistung der von Carolin John-Wenndorf analysierten »Praktiken der Selbstdarstellung« anzuführen (vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor). Sie beschreibt die einzelnen Praktiken sehr detailliert und zeigt so deren Spannbreite auf. Dabei bleibt allerdings offen, in welchem Verhältnis die Nutzung von Medienangeboten und die jeweiligen Inszenierungen stehen. Fischer: Posierende Poeten, S. 551. Ebd., S. 551–568. Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung, S. 47.

II. Theoretische Grundlagen

der hier verwendete Bildbegriff an und folgt dem von Sandra Oster formulierten Verständnis von ›Autorbild‹: »Autorbilder sind Produkte der Inszenierung des Autors, in die zugleich ein allgemein formuliertes kulturelles Wissen einfließt und die historischen Wandlungsprozessen unterliegen.«70 Dieses Produkt kann demnach auch als ein ›Schnappschuss‹71 verstanden werden, der zu einem spezifischen Zeitpunkt einzelne Facetten von einem bestimmten Autor, einer bestimmten Autorin abbildet, die auf die jeweils betrachteten Medien und Zeiträume begrenzt sind. Schnappschüsse finden sich beispielsweise in literarischen Texten in Form von Stil, Inhalten oder intertextuellen Verweisen sowie auch in der medialen Öffentlichkeit. Hier hinterlässt ein ›realer‹ Autor, eine ›reale‹ Autorin seine oder ihre Spuren. [I]n Diskursen werden sie [Subjektformen, E.M.K.] explizit zum Thema und in Form von Subjektrepräsentationen hergestellt und gesellschaftlich verfügbar gemacht. Dies gilt für schriftlich-textuelle Diskurse (sowohl nicht-fiktionale Texte wie die Diskurse der Humanwissenschaften, Konversationslexika, Ratgeberliteratur etc. als auch fiktionale Texte der ›Literatur‹) ebenso wie für visuelle Diskurse (der Bildenden Kunst, des Films, der Fotografie, des Fernsehens etc.).72 Autorbilder zeigen sich damit als Produkte von Inszenierungen auf den hier von dem Soziologen Andreas Reckwitz benannten Ebenen. In Bezug auf die schriftlich-textuellen Diskurse finden sich Autorbilder auch in Form von Autorfiguren. Dabei handelt es sich um literarische Figuren, die als Autor:innen dargestellt werden. Die literarische Figur ist dabei selbst Autor oder Autorin oder durch den Namen oder die Darstellung der Persönlichkeit können Bezüge zu einer spezifischen Autorschaft hergestellt werden.73 Bei Autorfiguren geht

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Oster: Das Autorenfoto in Buch und Buchwerbung, S. 33. Den Begriff ›Schnappschüsse‹ verwendet zum Beispiel John Fiske für seine Lesarten des Populären (Wien: Turia und Kant 2000). Reckwitz: Subjekt, S. 137, Herv.i.O. Vgl. u.a. Stefan Neuhaus: Das bin doch ich – nicht. Autorfiguren in der Gegenwartsliteratur (Bret Easton Ellis, Thomas Glavinic, Wolf Haas, Walter Moers und Felicitas Hoppe), in: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora, Bielefeld: transcript 2014, S. 307–325, hier S. 312f. oder auch Ludwig Fischer: Der fliegende Robert. Zu Hans Magnus Enzensbergers Ambitionen und Kapriolen, in: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien, hg. von Christine Künzel und Jörg Schönert, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 145–175.

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es also um fiktive Figuren, die nur einzelne Bezüge zu einem empirischen Subjekt aufzeigen. Dass die Grenzen zwischen Fiktion und Realität bei Autorfiguren nicht so einfach gezogen werden können, darauf macht zum Beispiel Stefan Neuhaus aufmerksam: Autorfiguren machen den Konstruktionsprozess transparent, indem sie das Subjekt verdoppeln oder vervielfachen und auch zur Reflexion über den dem Text zugrunde liegenden schöpferischen Akt im Kontext spezifischer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen anregen.74 Inwiefern die Autorfigur in einem Text auftaucht und wie darüber auch Autorbilder geprägt werden, wird mit der Forschung zur Autofiktion analysiert.75 Bei der Autofiktion geht es darum, fiktiven Elementen in scheinbar realitätsgetreuen Erzählungen mehr Raum zuzuweisen. Es konnte beobachtet werden, dass auch Autobiographien fiktive Elemente enthalten, wodurch eine wirklichkeitsgetreue Nacherzählung realer Ereignisse per se in Frage gestellt wird.76 Diese Gedanken finden sich auch in der Geschichtswissenschaft, wobei Erzählungen von vergangenen Ereignissen zum einen als eine von vielen möglichen Erzählungen aufgefasst werden und zum anderen die Annahme besteht, dass sie von Zeitzeug:innen oder (Nach-)Erzähler:innen veränderte oder hinzugefügte, demnach also fiktive Elemente enthalten. Schaffrick und Willand führen dazu auch an, dass sich die Autofiktion gegenüber der traditionellen Autobiographie und ihrer christlichen bekenntnis- und Rechtfertigungsgeste der modernen Medienkulturgesellschaft [anpasse], die sich auf den Modus einer permanenten Beobachtung zweiter Ordnung eingestellt hat […].77 74 75

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Neuhaus: Das bin doch ich – nicht, S. 324. Vgl. dazu etwa Birgitta Krumrey: Der Autor in seinem Text: Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur als (postmodernes) Phänomen, Göttingen: V&R Unipress 2015; Kreknin: Poetiken des Selbst. Vgl. Martina Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, Stuttgart/Weimar: Metzler 2000; dies.: Autofiktion oder: Autobiographie nach der Autobiographie. Goethe – Barthes – Özdamar, in: Autobiographisches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bd. 1: Grenzen der Identität und Fiktionalität, hg. von Ulrich Breuer und Beatrice Sandberg, München: Iudicum 2006, S. 353–368; Frank Zipfel: Autofiktion, in: Handbuch der literarischen Gattungen, hg. von Dieter Lamping, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2009, S. 31–36. Schaffrick/Willand: Autorschaft im 21. Jahrhundert, S. 56.

II. Theoretische Grundlagen

Hier ist erkennbar, dass eine einfache Dichotomie von ›literarischer Welt‹ und ›realer Welt‹ der Komplexität der Phänomene in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht gerecht wird. Dies bemerkt auch Alexandra Pontzen: Streng genommen sind Autofiktionen keine Identitätsnarrative: Weder stiften oder repräsentieren sie Identität im Sinne von einer Entität oder Übereinstimmung zweier Seinsweisen, noch ›erzählen‹ sie im Sinne dynamisch entfaltender sprachlicher Darstellung. Stattdessen behaupten und fingieren sie im Sinne von Barthes’ ›effet de reél‹ mit Hilfe des Autor*innennamens einerseits einen Bezug auf die außerliterarische Autor*innenpersona, entwerfen qua Fiktion aber zugleich ein Bild von ihr, das in einem Konkurrenzund Vergleichsverhältnis zu ersterem tritt. Das Ziel ist zwar Abgleichung und Überblendung beider zur Herstellung eines Bildes, doch gehört es zur Diskursformation der Autofiktion, dass dieses Ziel nicht erreicht wird.78 Ähnliche Doppelungen finden sich auch auf der zweiten von Reckwitz benannten Ebene, den visuellen Diskursen. In und durch diese entstehen auch Bilder von Autor:innen, die einen Bezug zu einem empirischen Autor aufweisen, bspw. durch das Aussehen (Porträt, Foto) oder durch den Autornamen. Hier ist auch das Internet mit seinen zahlreichen medialen Konstellationen anzuführen: Auf Webseiten oder sozialen Netzwerkplattformen lassen sich Medienfiguren durch Fotografien, das Design, die verhandelten Themen etc. ausfindig machen. Die Elemente, die dort auftauchen und auch als Diskurspartikel79 oder generell als Partikel bezeichnet werden können, werden – wie es Foucault beschreibt – durch Autornamen miteinander verbunden und gruppiert und können so eine Medienfigur erkennbar werden lassen (jedoch nie in Gänze, sondern – wie bereits angedeutet – nur beeinflusst durch die für eine Betrachtung ausgewählten Medienangebote80 ). Ebenfalls mit Foucault könnte man sa78

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Alexandra Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation: Französische und deutschsprachige Ich-Narrationen der Gegenwart im Vergleich (M. Houellebeqc, T. Glavinic, G. Grass, F. Hoppe, M. Köhlmeier, D. Leupold und C.J. Setz), in: Vom Ich erzählen. Identitätsnarrative in der Literatur des 20. Jahrhunderts, hg. von Heribert Tommek und Christian Steltz, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2016, S. 275–302, hier S. 297, Herv.i.Orig. Der Begriff steht für all die Zeichenkombinationen, die eine Aussage zu einem Autor/einer Autorin beinhalten oder aus denen sich je nach Modalität Aussagen zu Autor:innen extrahieren lassen, vgl. auch John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 317 und S. 370. Vgl. dazu das Konzept des »re-entry« bei Niklas Luhmann: Soziale Systeme, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987, S. 230.

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gen, dass die Autorbilder und Medienfiguren alter egos sind, deren »Distanz zum Schriftsteller verschieden groß«81 sein kann. Medienfiguren sind demnach auch Ausdruck einer »Ego-Pluralität«82 in der gegenwärtigen Medienkulturlandschaft. Dies zu benennen ist wichtig, möchte man nicht in eine einfache Gleichsetzung von empirischem/›realem‹ Autor oder empirischer/›realer‹ Autorin und der durch die Medien entstehenden Figur verfallen. Bei dieser Unterscheidung wird jedoch nicht negiert, dass Teile (wie das Aussehen auf einem Foto) auf die empirische Person verweisen und die inszenierte Figur möglicherweise genau in der Form inszeniert wurde, wie dies von Initiator:innen von Autorbildern intendiert ist oder war. Auf der gleichen Ebene wie die Begriffe ›Medienfigur‹ und ›Autorbild‹ lassen sich auch die Bezeichnungen ›Image‹, ›Label‹, ›Etikett‹, ›Marke‹ und ›Pose‹ verorten.83 Das Etikett ›Fräuleinwunder‹ funktionierte zum Beispiel rund um die Jahrtausendwende als erfolgreiche Marketingstrategie.84 Da die Begriffe verstärkt für das vom Verlag oder generell von Marketingagenturen vorgeschlagene Medienbild stehen und damit nur eine Seite der Praktiken der Autorschaft fassen (eher die Fremdinszenierungen), werden sie zugunsten der Begriffe ›Autor- oder Medienbild‹ sowie auch ›Medienfigur‹ hier vernachlässigt. Der von Alexander Fischer verwendete Begriff der ›Pose‹ lässt sich dagegen äquivalent zu ›Autorbild‹ verstehen, wird er von Fischer doch als wertneutral eingestuft. Er kann allerdings zur Verwechslung mit den unter anderem auf Fotografien eingenommenen körperlichen Haltungen führen, daher wird hier der Begriff ›Autorbild‹ bevorzugt.

2.2 Gesellschafts- und kulturwissenschaftliche Bezugstheorien Bilder von Autor:innen entstehen nicht losgelöst von gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen. Sie sind in ein (Gesellschafts-)System eingebettet, das durch Codes und Regeln organisiert und vorstrukturiert ist. Auf einzelne Akteur:innen im Literaturbetrieb wirken verschiedene Kräfte, die letztlich Ein-

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Foucault: Was ist ein Autor?, S. 216f. Ebd. Vgl. Niefanger: Der Autor und sein Label, S. 521–539; Neuhaus: Der Autor als Marke, S. 313–318; Blumenkamp: Das »literarische Fräuleinwunder«; Fischer: Posierende Poeten, S. 43–50. Vgl. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 277.

II. Theoretische Grundlagen

fluss auf die entstehenden Bilder haben. Der Soziologe Pierre Bourdieu beschreibt diese Krafteinwirkungen mithilfe seiner Feldtheorie, in der auch das literarische Feld als spezifisches Feld mit eigenen Regeln herausgestellt wird. Mit dieser Theorie kann danach gefragt werden, inwiefern durch die jeweiligen Inszenierungspraktiken und die daraus resultierenden Bilder eine spezifische Position im gegenwärtigen literarischen Feld eingenommen und/oder zugewiesen wird. Ausgehend von der Annahme, dass die Subfelder, in denen die Texte von Autor:innen produziert, distribuiert und vermittelt werden, sowie die in den Feldern dominanten Genres eine wesentliche Rolle bei den Positionierungen spielen, werden in der vorliegenden Studie Inszenierungen als Praktiken aufgefasst, die mithilfe praxeologischer Ansätze à la Reckwitz fassbar gemacht werden sollen.

2.2.1 Subjekt und Subjektform ›Autor‹: Konstruktion durch Praktiken und Diskurse Um mit Subjektanalysen arbeiten zu können, ist vorab zu klären, welcher Subjektbegriff den Ausführungen zugrunde liegt. Die Überlegungen der modernen Philosophie zum Subjekt beginnen bei René Descartes (›Ich denke, also bin ich‹). Descartes setzt das eigene Denken für das Subjekt zentral, wodurch dieses unabhängig von etwas Äußerem handeln kann und demnach eine Selbstbestimmung möglich erscheint. Weiterentwickelt werden Vorstellungen zum Subjekt und dessen Freiheit unter anderem von Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Edmund Husserl oder Martin Heidegger.85 Spätestens mit der Psychoanalyse und Sigmund Freuds Aussage, »daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Hause«,86 geraten die Vorstellungen von einem autonomen Subjekt in Zweifel. Mit der Annahme des Unbewussten stellt Freud die These auf, dass ein großer Teil des Inneren sich der eigenen Kenntnis und Herrschaft entzieht und die innere Instanz, mit der sich das Descartes’sche Ich auseinandersetzt, kein berechenbares Gegenüber darstellt. 85

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Vgl. Walter Mesch: Subjekt, in: Metzler Lexikon Philosophie. Begriffe und Definitionen, hg. von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard, 3. erw. und akt. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008, S. 588f.; Christoph Menke: Subjektivität, in: Ästhetische Grundbegriffe, hg. von Karlheinz Barck u.a. Bd. 5, Stuttgart: Metzler 2003, S. 734–786; Brigitte Kible u.a.: Subjekt, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 10, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 373–400. Sigmund Freud: Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, in: Werke aus den Jahren 1917–1920, hg. von Anna Freud, Frankfurt a.M.: Fischer 1999, S. 3–12, hier S. 11.

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In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im Umkreis des französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus wird die Autonomie noch stärker in Frage gestellt. Anstatt das Zentrum der Subjektivierung im Inneren eines Ich anzusiedeln, geht man nun davon aus, dass gesellschaftlich-kulturelle Strukturen Subjekte formen. Vor allem Michel Foucault befasst sich mit Grundmustern, die er als ›Diskurse‹ bezeichnet, die die Gesellschaft durchziehen und an denen sich Subjekte orientieren beziehungsweise denen sie ›unterworfen‹ sind.87 Insbesondere in seinen späteren Studien geht Foucault jedoch auch auf die Spielräume ein, die sich einem Subjekt innerhalb der Strukturen eröffnen und mit denen es sich durch spezifische Techniken auch selbst konstituiert.88 An diese Vorstellungen knüpfen Praxistheoretiker wie Andreas Reckwitz an, die für die jüngere Zeit ›Subjekt‹ als etwas begreifen, das im Prozess der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich-sozialen Strukturen entsteht und daher sowohl autonom als auch determiniert erscheint: Subiectum, das Subjekt hat eine doppelte Bedeutung: es ist das in die Höhe Erhobene und das Unterworfene. Es ist Zentrum autonomen Handelns und Denkens – vom Subjekt der Geschichte bis zum grammatischen Subjekt eines Satzes. Und es ist das, was übergeordneten Strukturen unterliegt – bis hin zum Rechtssubjekt und zu jenem, für den im Englischen gilt: ›he is subjected to something‹. In seiner Doppelbedeutung präsentiert sich das Subjekt als ein unterworfener Unterwerfer, ein unterwerfendes Unterworfenes.89 Während der Auseinandersetzung mit »übergeordneten Strukturen« können Subjektrepräsentationen entstehen, die sich anschließend losgelöst vom Subjekt weiterentwickeln. ›Subjekt‹ steht damit als übergeordneter Begriff sowohl für das empirische Subjekt (hier synonym verwendet zu ›Person‹ und ›Individuum‹90 ), das autonomen Handelns mächtig und Strukturen unterworfen ist, 87

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Was Foucault unter ›Diskurs‹ versteht, kann hier nur grob angeschnitten werden. Für einen ersten Überblick vgl. Rolf Parr: Diskurs, in: Foucault – Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Clemens Kammler u.a., Stuttgart: Metzler 2008, S. 233–237. Michel Foucault: Technologie des Selbst, in: Technologien des Selbst, hg. von dems., Frankfurt a.M.: Fischer 1993, S. 24–62, hier S. 26f. Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2010, S. 9, Herv.i.O. Für eine Unterscheidung vgl. etwa Kreknin: Poetiken des Selbst, S. 34f.

II. Theoretische Grundlagen

als auch für die durch die Einschreibung in semiotische Systeme entstehenden Repräsentationen von Subjekten. Letztere werden ebenfalls dem Begriff ›Subjekt‹ zugeordnet, auch wenn sie nur ›Schnappschüsse‹ eines empirischen Subjekts zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellen. Demnach umfasst das hier präsentierte Subjektverständnis sowohl das denkende, fühlende und handelnde Ich mit jeglichem Grad an Autonomie als auch all das, was durch die Gedanken und Handlungen in einen Diskurs eingetragen wird und mit einem spezifischen Subjekt verknüpft ist. Im Sinne einer Literatursoziologie des Internets beobachtet die vorliegende Untersuchung vor allem »digitale Subjekte«91 . Dabei werden Subjekte als »aktive GestalterInnen der eigenen Biografie und Umwelt« verstanden, die »jedoch nicht als abgeschlossene, autarke Einheiten [agieren], sondern […] sich in ständiger Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung [befinden].«92 ›Digitale Subjekte‹ interagieren miteinander mit technisch-medialen Artefakten und vollziehen damit eine Praktik der Subjektkonstitution, wobei Praktiken in »Form kommunikativer Akte zentral« sind; »diese setzen sich aus Zeichen, Wörtern, Bildern, kurz: Symbolen zusammen« und sind somit »Bedeutungsträger« und »generieren Kultur«.93 Für die Ausdifferenzierung einzelner Ausprägungen von Subjekten schlägt Reckwitz den Begriff ›Subjektform‹ vor. Die Ebenen, auf denen Subjektformen beschrieben werden können, sind vielfältig. Reckwitz’ Beispiele sind etwa »der asketische Unternehmer, die Femme Fatale, der irrationale und exotische Orientale, der bürgerliche Leser und spätmoderne Internet-User […]«.94 Subjektformen lassen sich durch Klassen, Milieus und vor allem durch gemeinsame Praktiken bestimmen. Ein Beispiel dafür ist der Sportler oder die Sportlerin, den oder die man sich exemplarisch bei Trainingsübungen vorstellen kann. Eine Subjektform entsteht demnach durch spezifische soziale Praktiken, denen kulturelle Codes zugrunde liegen. Unter Praktiken versteht man in der Praxeologie »sozial geregelte, kulturell typisierte und organisierte Bündel menschlicher Aktivitäten«95 , die in der Ausführung aktualisiert, aber auch verändert 91 92 93 94 95

Carstensen u.a.: Subjektkonstruktion, S. 12. Ebd. Ebd. Reckwitz: Subjekt, S. 10. Thomas Alkemeyer: Subjektivierung in sozialen Praktiken. Umrisse einer praxeologischen Analytik, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, hg. von dems., Gunilla Budde und Dagmar Freist, Bielefeld: transcript 2013, S. 33–68, hier S. 44.

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werden können, zum Beispiel durch Bewegungen, Kommunikationsstrukturen oder einen spezifischen Umgang mit Artefakten. »Die Praktik stellt gewissermaßen das Spielfeld, die Spielregeln und das Spielgerät für den Akteur bereit.«96 Praxeologisch betrachtet können also Subjekte einer Subjektform zugeordnet werden, wenn man ihre Praktiken beobachtet und mit denen anderer vergleicht. Reckwitz, der sich unter anderem mit Foucaults Subjektbegriff auseinandersetzt, spricht allerdings nicht nur von Praktiken, sondern auch von Diskursen, in denen Subjektformen »in Form von Subjektrepräsentationen hergestellt und gesellschaftlich verfügbar gemacht«97 werden. ›Diskurse‹ lassen sich laut Rolf Parr, der unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs zusammenfasst, als materiell nachweisbare Formen gesellschaftlicher Rede verstehen, die stets nach Praxisbereichen spezialisiert und institutionalisiert sind, so dass es Diskurse mit distinkten Formations- und Ausschließungsregeln und jeweils eigener Operativität gibt.98 Diese Formen gesellschaftlicher Rede sollten dabei jedoch nicht mit öffentlichen Diskussionen gleichgesetzt werden, denn dadurch würde man ihnen ihre realitätsstiftende Funktion absprechen, die Foucault ihnen zuschreibt: Es [ist] eine Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen […], sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.99 Die Aussagen produzieren also auf bestimmte Art und Weise Realität und bringen die Subjekte hervor, die sich an die Regeln einzelner Diskurse halten. Damit sind Diskurse und Praktiken nicht mehr voneinander zu trennen. Anders formuliert kann man sagen, dass sich ein Subjekt durch diskursive Praktiken selbst formt.100 96 97 98 99

Kyora: Subjektform ›Autor‹?, S. 13. Reckwitz: Subjekt, S. 137, Herv.i.Orig. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.3. Parr: Diskurs, S. 235. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, 16. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2013, S. 74. 100 Vgl. dazu auch den Begriff der ›Subjektivierung‹: »Der Begriff der Subjektivierung bringt das Subjekt nicht als Substanz, sondern als eine ›in Formierung begriffene Struktur‹ in den Blick: Es wird in einer Prozess-Perspektive unter dem Gesichtspunkt seiner Entstehung, Entwicklung, Erhaltung und Veränderung betrachtet und in einer Praxis-Perspektive mit Wie-Fragen konfrontiert: Wie erlangt ein Individuum durch sei-

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Für die Beobachtung diskursiver Praktiken, die Subjektformen prägen, schlägt Reckwitz folgende Aspekte vor: die »körperliche ›performance‹«, »praktisches Wissen«, die »Formung der Sinne sowie der Affekte« sowie den Umgang mit Artefakten.101 Bei der körperlichen Performance ginge es darum, die »Art und Weise der Körperbewegungen [zu] beschreiben, welche die entsprechende Subjektform charakterisiert, die Motorik, Gestik, Mimik, die möglichen und unmöglichen Bewegungen.«102 Reckwitz fügt an dieser Stelle auch »die Form und den Stil des Zeichengebrauchs, vor allem der Sprache«103 hinzu. Das praktische Wissen unterteilt Reckwitz in Know-how-Wissen und Deutungswissen. Beim Know-how-Wissen stehe das Wissen um ›scripts‹, das für eine spezifische Situation ›angemessene‹ Verhalten, im Vordergrund. Das Deutungswissen »umfasst interpretative Schemata, die routinisierte Sinnzuschreibungen ermöglichen.«104 Dies beziehe sich auch auf Deutungen der eigenen Person, auf ein »spezifisches Selbstverstehen, eine ›Hermeneutik des Selbst‹«105 . Subjekte entwickeln Reckwitz zufolge auch eine spezifische Sinneswahrnehmung und spezifische Affektstrukturen. Bei Letzteren handelt es sich um »Emotionalität und ›Gestimmtheit‹, eine Form des Begehrens und Wünschens«.106 Des Weiteren stellt Reckwitz Praktiken und den Umgang mit Artefakten in einen Zusammenhang: Die sozialen Praktiken, die Subjektivierungseffekte erzielen, sind regelmäßig mit bestimmten Artefakten verknüpft. Es bilden sich auf diese Weise Praxis-/Artefaktkonstellationen, so dass die sozialen Praktiken – über ihre Verankerung in den Körpern hinaus – eine ›materielle‹ Dimension haben, in einer historisch-spezifischen Materialität strukturiert sind: Ökonomische Praktiken des Arbeitens enthalten spezifische Technologien (Werkzeuge,

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ne Teilnahme an sozialen Praktiken den Status eines intelligiblen, als ›mitspielfähig‹ anerkannten Subjekts? Wie bildet, organisiert und transformiert es sich dabei selbst?« (Thomas Alkemeyer/Dagmar Freist/Gunilla Budde: Einleitung, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, hg. von dens., Bielefeld: transcript 2013, S. 9–30, hier S. 34.) Reckwitz: Subjekt, S. 135f., Herv.i.O. Ebd., S. 136. Ebd. Ebd. Ebd., S. 137. Ebd.

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Elektrizität, Kommunikationsmedien) […], sie setzen Kommunikationsmedien (Schrift, Telefon, Internet) […] voraus.107 Dass der Umgang mit Artefakten auch zur Bedeutungs- und damit auch zur Subjektkonstitution beiträgt, ist ein Gedanke, den Reckwitz betont. Er spricht dabei auch von technischen oder medialen Artefakten, wobei er den Umgang damit als »soziale[] Praktiken, die Subjektivierungseffekte erzielen«108 , bezeichnet. Letzteres ist für die vorliegende Untersuchung besonders interessant, da spezifisch nach den medialen Artefakten gefragt wird, die als Inszenierungsplattformen genutzt werden. Reckwitz’ Heuristik zur Analyse von Subjekten bezieht Sabine Kyora in zwei Publikationen auf Autor:innen.109 Sie rekonstruiert damit den Typus eines Autors beziehungsweise einer Autorin, wie er – »zumindest im Bereich der Hochliteratur«110 – häufig vorkommt. Es ist zu beachten, dass es sich bei der damit beschriebenen Subjektform um ein idealtypisches Konstrukt handelt, das allerdings als Folie zum Abgleich mit konkreten Autorbildern dienen kann. Mögliche Unterschiede geraten in den Fokus, richtet man seinen Blick auf Autor:innen, die stärker spezifischen Subfeldern, wie dem der Kinderund Jugendliteratur oder der Phantastik/Fantasy, zugeordnet werden. Für die Subjektform ›Autor‹ lasse sich bei der körperlichen Performance laut Kyora insbesondere eine »Zurückgenommenheit bei Mimik und Gestik«111 feststellen, auch sei die Stimme typischerweise ohne Dialekt und als halblaut zu klassifizieren. Die Kleidung lasse sich dem »gehobenen Casual-Stil« zuordnen. »Abweichungen im Kleidungsstil nach ›unten‹« führten »meist zur Einordnung als ›Szene‹-Autor (z.B. bei Punk-Elementen).« Für Autorinnen führt Kyora an, dass »als zu ›weiblich‹ geltende Kleidung« »als Ausweis mangelnder Professionalität betrachtet« wird, da die Subjektform männlich geprägt sei. Die Zurückgenommenheit sei daher generell von Bedeutung und

107 Ebd, S. 138f. 108 Ebd., S. 138. 109 Vgl. Kyora: Subjektform ›Autor‹?, S. 13; Kyora, Sabine: »Zuerst bin ich immer Leser.« Überlegungen zur Subjektform ›Autor‹ im gegenwärtigen Literaturbetrieb, in: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von ders., Bielefeld: transcript 2014, S. 55–69; Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 254f. 110 Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 55. 111 Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 254.

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verweise auf die »Wichtigkeit des ›Geistes‹, auf die Wichtigkeit des intellektuellen Produkts Literatur«.112 Im Gegensatz zu Kyora führt Fischer in seiner Habilitation Posierende Poeten den Aspekt der körperlichen Performance nicht in einer gesonderten Kategorie auf, obwohl dieser eine wesentliche Neuerung bei der Untersuchung von Autorschaft darstellt. Der Blick auf die körperliche Performance hilft dabei, nicht in einen Biografismus zu verfallen und gleichzeitig auf habituelle Verhaltensweisen von Autor:innen Bezug zu nehmen. Künzel und Schönert plädieren in ihrer Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Autorinszenierung dafür, den Aspekt der Körperlichkeit im Zusammenhang mit der Analyse von Autorschaft nicht zu unterschlagen. Dabei machen sie jedoch deutlich, dass es nicht darum ginge, »den Körper in einem materialistisch-essentialistischen Sinne als vordiskursiven anatomischen ›Naturkörper‹ zu begreifen«, sondern dass der »performativ und diskursiv überformte[] Körper im Sinne Judith Butlers«113 im Fokus stehe. Weiterhin ist bei Künzel und Schönert die Rede von den »zwei Körper[n]« des Autors, dem »körperlich präsenten Erzeuger von Texten« und dem Körper, der als »Effekt performativer Praktiken erscheint«.114 Es geht also nicht darum, schlichte Körperattribute zu beschreiben, sondern eher diese als Codes, als Zeichen für eine spezifische Form der Subjektivierung zu lesen. Unter praktischem Wissen (im Sinne von Know-how-Wissen) ist in Bezug auf die Subjektform ›Autor‹ zu verstehen, dass ein Akteur oder eine Akteurin des literarischen Feldes »in entsprechenden Situationen der Praktik angemessen agiert und Schemata gekonnten Verhaltens folgt«.115 Laut Kyora zeigt sich dieses Wissen zum Beispiel in Fernsehinterviews: »Hier ist eher eine ruhige, den Körper in den Hintergrund stellende Form der Bewegung zu beobachten.«116 An dieser Stelle sind auch die von Fischer aufgestellten Kategorien zu berücksichtigen, die auf das literarische Feld abzielen. Hier ist demnach zu fragen, auf welche Feldbereiche beziehungsweise Subfelder Inszenierungspraktiken bezogen sind. Denn letztlich liegen dem praktischen Wissen Regeln und Gesetzmäßigkeiten zugrunde, die in einem literarischen Feld zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschen. Die illusio des literarischen Feldes beziehungsweise der einzelnen Subfelder sowie die damit einhergehenden ›Räume des Mög-

112 113 114 115 116

Ebd., S. 254f. Künzel/Schönert: Einleitung, S. 11. Ebd., S. 10f. Reckwitz: Subjekt, S. 136. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 57f. Tippfehler getilgt.

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lichen‹, um die Autor:innen (wenn auch nicht immer explizit) wissen und innerhalb derer sie sich bewegen, sind daher bei der Analyse von Autorbildern zu beachten. Dem Deutungswissen ordnet Kyora den Satz »Ich bin Schriftsteller …« zu und verweist damit auf das Selbstverständnis und die Reflexion des Autors beziehungsweise der Autorin über seine oder ihre eigene Rolle. Auch poetologische Aussagen sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Autor:innen zeigen mit ihrem Deutungswissen, wie ihre Autorschaft einzuordnen ist, als was für ein:e Autor:in sie verstanden werden (wollen). Auf der Ebene des Deutungswissens sind auch die Modelle von Autorschaft anzusiedeln, da sie ebenfalls auf das Literatur- und Selbstverständnis von Autor:innen verweisen. In Feldern mit schwacher Institutionalisierung wie dem literarischen scheint laut Kyora diese Form der Inszenierung mittels der Veröffentlichung von Deutungswissen ein bedeutendes Werkzeug darzustellen.117 Der Zeichengebrauch sei zudem für die Positionierung im literarischen Feld ebenfalls »elementar«118 . Hier sind neben der mit der körperlichen Performance zusammenhängenden Sprachpraxis die textuellen Elemente wie »Stil, Ton, Gattungs-/Genre-Wahl, Formgebung bzw. Darstellungs-/Gestaltungsart oder Sujet-Wahl«119 anzuführen. Neben einer spezifischen Verwendung von Zeichen ist der Umgang mit Artefakten für den Prozess der Subjektivierung entscheidend. Als Artefakte, die von Autor:innen genutzt oder mit ihnen assoziiert werden, bezeichnet Kyora unter anderem Bücher, Stifte, Computer, Tische und Stühle. Der Umgang damit kann auf Fotografien, in (Video-)Porträts oder auch bei Lesungen beobachtet werden. Bei Letzteren ist laut Kyora eine ›Reduktion‹ in Bezug auf den Umgang mit Artefakten zu erkennen:

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Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 366. Einige Schreibschulen existieren jedoch auch im deutschsprachigen Raum, vgl. Katrin Lange: Die Schulen des Schreibens. Der Vorbehalt des Feuilletons, in: Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000, hg. von Evi Zemanek und Susanne Krones, transcript: Bielefeld 2008, S. 389–399; Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 219f. sowie Kevin Kempke/Lena Vöcklinghaus/Miriam Zeh: Institutsprosa. Literaturwissenschaftliche Perspektiven auf akademische Schreibschulen, Leipzig: Spector Books 2019. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 58. Fischer: Posierende Poeten, S. 552.

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Tisch, Stuhl, manchmal eine Lampe, manchmal noch ein Mikrofon, mehr ist meist nicht auf der Bühne. Der Schriftsteller und sein Buch fügen sich in dieses Setting ein, der Umgang mit den Gegenständen ist ebenfalls ruhig und auf das Buch konzentriert. Man kann die Reduktion der Artefakte wohl so lesen, dass sie vor allem dazu dient, die gelesenen Worte gelten zu lassen. Ein Schriftsteller, der sich auf den drei bisher beschriebenen Ebenen den Praktiken entziehen würde, würde vermutlich nicht als solcher anerkannt, er hätte aber auch keine Möglichkeit zur Selbstinszenierung, weil diese immer, wenn auch nicht ausschließlich, auf vorgeformte Elemente angewiesen ist oder in solche eingeordnet wird.120 Mit den Artefakten kann demnach zum Beispiel Professionalität im Sinne der Zugehörigkeit zur Subjektform ›Autor‹ veranschaulicht werden.121 Der Bereich der Sinneswahrnehmung und der Affektstrukturen ist nicht so einfach zu fassen, geht es doch auch um Emotionen. Kyora führt dazu etwa die Ruhigstellung des Körpers und die damit zur Schau gestellte Fähigkeit zur Konzentration an.122 Affektstrukturen und Sinneswahrnehmungen lassen sich lediglich indirekt rekonstruieren, weswegen sie zum einen mit körperlichen Performances und zum anderen mit Aussagen zum Deutungswissen in Zusammenhang stehen. Letztlich geht es bei der Analyse von Sinneswahrnehmungen und Affektstrukturen nicht darum, einzelne Emotionen von Autor:innen zu beschreiben, sondern nach spezifischen Codes und Regeln Ausschau zu halten.

2.2.2 Raum des Möglichen Für den Prozess der Subjektivierung steht einem Subjekt nach Auffassung Foucaults ein diskursives Feld zur Verfügung, der ›Raum des Möglichen‹, der einer spezifischen diskursiven Ordnung folgt. Der Soziologe Pierre Bourdieu greift den ›Raum des Möglichen‹ auf, beschreibt ihn jedoch als einen sozialen Raum. Darin stehen Akteurinnen und Akteure grundsätzlich in Wechselwirkung mit ihrem Umfeld. Bezüglich des Phänomens des Sozialen unterscheidet Bourdieu zwischen zwei Dimensionen, die wechselseitig voneinander abhängen, »nämlich der in Sachen, in Gestalt von Institutionen

120 Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 256. 121 Ebd. 122 Vgl. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 58.

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objektivierten Geschichte auf der einen«123 – hier spricht Bourdieu auch von »Feld« oder der »Ding gewordenen Geschichte« –, und »der in Gestalt jenes Systems von dauerhaften Dispositionen, das ich Habitus nenne, leibhaft gewordenen Geschichte auf der anderen Seite.« Diese Dimension bezeichnet Bourdieu auch als »Leib gewordene Geschichte«.124

2.2.2.1 Literarisches Feld, Habitus und posture Die ›Ding gewordene Geschichte‹ bezieht sich auf Kraft- und Machtfelder, die ein System mit scheinbar objektiven Beziehungen, »den Raum der Konkurrenz«125 , bilden. Es handelt sich um eine »Konfiguration objektiver Relationen zwischen Positionen […], die Akteure«126 in und durch prozesshafte Auseinandersetzungen einnehmen. Diese Prozesse sind geprägt von den Interessen Einzelner und dem stetigen Versuch, Positionen zu wahren oder zu etablieren. Bourdieu beschreibt insbesondere die prozesshafte Auseinandersetzung zwischen sogenannten ›Orthodoxen‹ und ›Häretikern‹ um das ein Feld kennzeichnende spezifische Kapital. Alle diejenigen, die in diese Auseinandersetzung einsteigen, treten auch in das Spiel, die illusio, ein. Kyora fasst diese Vorgänge im literarischen Feld wie folgt zusammen: Autoren setzen sich innerhalb dieses Feldes durch Praktiken in Beziehungen zu anderen Teilnehmern etwa Verlegern oder Kritikern, nehmen im Vollzug der Praktiken eine Position innerhalb des Feldes ein und bringen in ihren Praktiken Bedeutung und Identität (die ihnen einerseits von Mitspielern zugeschrieben wird, andererseits aber auch ihr Selbstverständnis umfasst) hervor.127 Das literarische Feld ermöglicht demnach diskursive Praktiken, die wiederum auf Positionen im Feld verweisen beziehungsweise damit verknüpft sind. Abhängig von den sozialen Dispositionen des Subjekts werden diese Positionen wiederum spezifisch realisiert. Die illusio ist für den Erwerb symbolischen Kapitals, eines Kapitals, das in jedem Feld eine andere Prägung aufweist und

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Pierre Bourdieu: Sozialer Raum und Klassen. Zwei Vorlesungen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985, S. 69. 124 Ebd. 125 Joseph Jurt: Das Literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995, S. 81. 126 Jurt: Die Theorie des literarischen Feldes von Pierre Bourdieu, S. 6. 127 Kyora: Subjektform ›Autor‹?, S. 12.

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die Position eines Akteurs oder einer Akteurin in diesem Feld maßgeblich bestimmt, bedeutend. Sie ist als eine Art Leitidee zu verstehen, die die Spielregeln innerhalb eines Feldes beeinflusst. Carolin John-Wenndorf bezeichnet die illusio des literarischen Feldes im deutschsprachigen Raum zum Beispiel als die »kreative Intellektualität«.128 Diese These geht mit den Überlegungen Bourdieus einher, der dem literarischen Feld eine relative Autonomie zuspricht, die dadurch entsteht, dass die Akteur:innen im literarischen Feld mehr daran interessiert zu sein scheinen, spezifisches literarisches symbolisches Kapital anzusammeln, als ökonomische Interessen zu verfolgen. Dieser Aspekt gilt jedoch nur für die Autor:innen, die nicht der Massenkultur zugerechnet werden, sondern dem »Subfeld der eingeschränkten Produktion.«129 ›Die Leib gewordene Geschichte‹, der Habitus, beinhaltet die Vorstellung eines inkorporierten und folglich individualisierten Sozialen.130 Er verweist auf die Zugehörigkeit zu sozialen Klassen, die durch verschiedene Kapitalformen geprägt sind (ökonomisches, kulturelles, symbolisches und soziales Kapital). Im Habitus finden sich die für das jeweilige gesellschaftlich relevante Feld typischen Verhaltensmuster, wodurch Habitus und Feld in Korrelation zueinander stehen. Der Habitus ist dabei zugleich Produkt der Handlungsweise und prägt auch das Handeln selbst. Diese Vorstellung dient dazu, »die Antinomie Bewußtsein/Unbewußtes, Finalismus/Determinismus zu überwinden.«131 Damit grenzt sich Bourdieu von der voluntaristischen Subjektphilosophie Sartres und der Vorstellung einer autonomen kulturellen Ordnung à la Foucault ab, die sich losgelöst von Subjekten entwickelt. Der Habitus lässt sich mit der generativen Idee Chomskys verbunden vielmehr als ein »System verinnerlichter Muster« und als »generative Grammatik der Handlungsmuster« beschreiben.132 Wie im vorherigen Kapitel im Zusammenhang mit der Begriffsklärung von ›Inszenierung‹ aufgezeigt, ist das ›inkorporierte Wissen‹ jedoch nicht oder nur fragmentarisch zu erschließen. Der Habitus kann als »Erzeugungs- und Ord-

128 John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 29. 129 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 344. 130 Vgl. Pierre Bourdieu: Der Kampf um die symbolische Ordnung. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Axel Honneth, Hermann Kocyba und Bernd Schwibs, in: Ästhetik und Kommunikation 16 (1986), S. 142–165, hier S. 152. 131 Jurt: Das Literarische Feld, S. 80. 132 Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 [Nachdruck], S. 143 und 150.

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nungsgrundlage für Praktiken und Vorstellungen«133 herangezogen werden, jedoch nicht für alles, was daraus entsteht. Aus diesem Grund scheint es nicht sinnvoll, allein den Begriff ›Habitus‹ bei der Betrachtung von Autorbildern und Medienfiguren von Autor:innen zu verwenden. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die jeweilige Repräsentation vielmehr als Konglomerat von Zeichen beschreiben lässt, das in einen Diskurs eingebettet ist beziehungsweise diesen konstituiert. Die Medienfigur ist das, was ein:e Akteur:in zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Kontext einmal in einen Diskurs eingebracht hat. Nach der Überführung in diesen Diskurs kann sich das in Zeichen manifestierte Bild weiterentwickeln, zum Beispiel indem andere Akteur:innen es aufgreifen und neu beschreiben (so auch durch die vorliegende Studie). Es entwickelt also eine von dem Akteur oder der Akteurin losgelöste eigene Dynamik. Es ist ein Produkt des empirischen Subjekts, das recycelt und transformiert werden kann. Dass sowohl diskursive als auch praxisbezogene Elemente für die Betrachtung von Autor:innen eine Rolle spielen, davon geht Jérôme Meizoz aus. Auch wenn sich Meizoz stark an Bourdieu orientiert, negiert er nicht die diskursiven Elemente, die in Bezug auf Autor:innen entstehen und rückwirkend diese wiederum beeinflussen können. Mit seinem Konzept der posture beschreibt Meizoz die Wechselwirkung »zwischen diskursivem Ethos eines Sprechers und seiner Position in einem Feld (sei es literarisch, politisch, religiös)«134 . Weiter führt er aus, dass der Begriff der posture […] es also möglich macht, gleichzeitig eine kodierte Weise der diskursiven Selbstdarstellung und die individuellen Spiele eines jeden Autors mit der Position, die ihm das Feld zuweist, zu beschreiben. Mit seiner Hilfe lässt sich sprachliches Handeln (Ethos) und soziales Verhalten (Kleidung usw.) im Hinblick auf eine Soziologie des Autors als Relation denken – und das, ohne künstlich interne diskursive Faktoren von den externen Bedingungen ihrer Produktion zu trennen.135 Meizoz’ Gedanken sind demnach mit den Überlegungen zu ›diskursiven Praktiken‹ von Reckwitz zu verbinden, der dafür plädiert, ›Diskurs‹ und ›Praktik‹ nicht scharf voneinander zu trennen, sondern vielmehr von Praxis-Diskurs-

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Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, 8. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2014, S. 98. Meizoz: Die posture und das literarische Feld, S. 182. Ebd., S. 186.

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Formationen auszugehen. Da sich Meizoz – im Gegensatz zu Reckwitz – direkt auf Autor:innen bezieht, können einige Betrachtungsaspekte auch direkt von ihm übernommen werden: Die posture steht laut Meizoz in Beziehung mit 1. der sozialen Position und Laufbahn, 2. literarischen Gruppen, Netzwerken zeitgenössischer oder früherer Schriftsteller, 3. den Genres, die mobilisiert werden (Gattungshierarchie) sowie 4. den Öffentlichkeiten (Instanzen der Wertzuweisung, Kritiker).136 Diese Gedanken sind auch für die nachfolgenden Analysen relevant. So soll in dieser Studie der Blick nicht nur auf einzelne Autorbilder geworfen werden, sondern diese sollen mit der spezifischen Laufbahn und dem spezifischen Feld, in dem ein Autor beziehungsweise eine Autorin publiziert und rezipiert wird, verknüpft werden. Um nun die ›Laufbahn‹ und ›Positionierung/Position‹ von Autor:innen im Einzelnen untersuchen zu können, ist vorab zu klären, von welchen ›spezifischen Feldern‹ ausgegangen wird und inwiefern diese als Verstehens- und Beschreibungskontexte herangezogen werden können.

2.2.2.2 Subfelder, Genres und Teilmärkte Es ist in den bisherigen Ausführungen bereits angeklungen, dass Bourdieu nicht nur von einem stets konsistenten literarischen Feld, sondern auch von Subfeldern spricht, zum Beispiel vom »Subfeld der eingeschränkten Produktion« und »Subfeld der Massenproduktion«137 oder auch von »Sektoren eines Subfeldes (zum Beispiel des Regietheaters)«.138 Es ist erkennbar, dass die Subfelder zum einen hinsichtlich der Ausrichtung der Produktion (›eingeschränkt‹ bzw. ›uneingeschränkt‹) und zum anderen hinsichtlich spezifischer Gattungen differenziert sind. Gattungen sind demnach bereits mit spezifischen Räumen innerhalb eines literarischen Feldes verbunden, jedoch bleibt diese Verbindung bei Bourdieu zunächst vage. Peer Trilcke analysiert sie in seinem Aufsatz »Pustkuchens Pseudo-Wanderjahre in der Feldgeschichte des Bildungsromans« eingehender und entwickelt daraus die Idee der »generischen Felder«.139 Wie ein

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Ebd., S. 187. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 344, Herv.i.O. Ebd., S. 196. Peer Trilcke: Pustkuchens Pseudo-Wanderjahre in der Feldgeschichte des Bildungsromans. Mit einem Vorschlag zur Konzeptualisierung von Gattungen als generische Felder, in: Der Bildungsroman im literarischen Feld. Neue Perspektiven auf eine Gattung, hg. von Elisabeth Böhm und Katrin Dennerlein, Berlin/Boston: de Gruyter 2016, S. 107–143.

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generisches Feld aussehen kann, führt Trilcke in Anlehnung an ein Zitat aus Bourdieus Aufsatz zur Science-Fiction aus: Doch von einem bestimmten Moment an beginnt sich Science-fiction (wie Comic, wie Film und Photographie) als relativ autonomer Raum abzugrenzen, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten des Funktionierens, eigenen Theoretikern, eigenen Historikern, eigenen Zeitschriften, die jeweils den Anspruch erheben, die »wirkliche« Science-fiction auszuwählen. Kurzum, es bildet sich ein Feld dieser Literaturgattung aus, das einen Komplex spezifischer Konsekrationsinstanzen – Jurys, Preise usw. – enthält.140 Instanzen wie Verlage, Literaturkritik, Buchhandel, Literaturförderung und -preise, aber vor allem auch die Leser:innen bestimmten also mit, wie ein spezifisches Genre in einem spezifischen Zeitraum bezeichnet, strukturiert und bewertet wird. Es lässt sich demnach für einzelne generische Felder wie die Science-Fiction ein ›relativ autonomer Raum‹ annehmen, der sich durch »›Abgrenzung‹ nach außen sowie zu internen Strukturierungen« auszeichnet.141 Dazu gehöre laut Trilcke auch, dass »über die Grenzen, die Struktur und die Geschichte dieses Raumes reflektiert und diskutiert wird.«142 Trilcke lehnt sein Verständnis von Gattungen an Harald Fricke an: Fricke begreift ›Gattung‹ nicht als ›Textsorte‹ und damit nicht als »rein systematischen literaturwissenschaftlichen Ordnungsbegriff«, sondern als ›Genre‹ und damit als »historisch begrenzte literarische Institution«, womit er auf den literatursoziologischen Charakter von Gattungen verweist.143 Der Begriff ›Genre‹ wird damit nicht wie zum Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem von Carl Bleibtreu pejorativ für alles »Platte« und »Alltägliche« verwendet, sondern steht – wie dies auch Lamping und Hempfer beschreiben – für eine »historische Gruppenbildung von Texten«144 . Insbesondere seit der Auseinandersetzung mit gattungstheoretischen Arbeiten aus Frankreich der 1970er Jahre (z.B. Todorov) sowie im Zusammenhang mit visuellen Medien (Film und Fernsehen) 140 Pierre Bourdieu: Science-fiction, in: Satz und Gegensatz. Über die Verantwortung des Intellektuellen, hg. von dems., Berlin: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1989, S. 59–66, hier S. 61. 141 Trilcke: Pustkuchens Pseudo-Wanderjahre in der Feldgeschichte des Bildungsromans, S. 111, Herv.i.O. 142 Ebd. 143 Fricke: Norm und Abweichung, S. 132. 144 Lamping: Genre, S. 705; vgl. auch Klaus W. Hempfer: Literaturwissenschaft. Grundlagen einer systematischen Theorie, Stuttgart: Metzler 2018, S. 180.

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wird ›Genre‹ zunehmend auch als ›kleine‹ Gattung und als Gattung der Populärkultur verstanden.145 In dieser Arbeit wird der Begriff ›Genre‹ ebenfalls favorisiert: Zum einen geht es um ›kleine Gattungen‹ oder ›Untergattungen‹ wie die Fantasy und Phantastik, zum anderen werden diese ›Untergattungen‹ als generische Felder verstanden, wodurch die literatursoziologische Funktion von ›Gattung‹ im Vordergrund steht. An Frickes Vorstellung von ›Institution‹ kritisiert Werner Michler, dass der Begriff mit eigentlichen literarischen Institutionen (wie etwa Schulen, Verlagen etc.) gleichgesetzt wird,146 wodurch es zu Unschärfen komme. Michler schlägt daher vor, Gattung mit Bourdieu als Praktik und damit als »habitualisierte Klassifikationshandlung«147 zu begreifen. Die Definition von Gattung setzt damit eigentlich bei allen Gruppen von Akteur:innen im literarischen Feld an und lässt diese als Positionierung im Feld und damit als soziale Handlung erscheinen. Michler begreift dabei Gattungen auch als das Ergebnis expliziter poetologischer Aussagen,148 die von unterschiedlichen Beteiligten im literarischen Feld »diskursiv vorgenommen [werden] und sich im Wissenshaushalt einer Kultur durchsetzen.«149 Damit sind die Vorstellungen von Gattung/Genre sowohl von Trilcke als auch von Michler jeweils in Anlehnung an Bourdieu als handlungsorientiert zu bezeichnen, eine Vorstellung, an die die vorliegende Untersuchung anknüpft. Ausgangspunkt ist demnach die Überlegung, dass Genres ›Klassifikationshandlungen‹ von Akteur:innen im literarischen Feld sind, die ein Subfeld (wie zum Beispiel das der ScienceFiction) prägen können. Wichtig zu erwähnen ist, dass nicht alle Subfelder auch als ›generische Felder‹ zu bezeichnen sind. So ist zum Beispiel in Bezug auf die Kinder- und Jugendliteratur von einem Subfeld mit eigenen Gesetzmäßigkeiten auszugehen, wie es Trilcke beschreibt. Ob Kinder- und Jugendliteratur als Genre aufzufassen ist, ist jedoch umstritten. Zwar wurde sie in der anglistischen

145 Vgl. Lamping: Genre, S. 704. 146 Vgl. Werner Michler: Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext 1750–1950, Göttingen: Wallstein 2015, S. 38. 147 Ebd., S. 47f. 148 Ebd., S. 60. 149 Vgl. Rüdiger Zymner: Rezension zu Werner Michler, Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext 1750–1950. Wallstein, Göttingen 2015, in: Arbitrium 34 (2016), H. 3, S. 330–332, hier S. 332.

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Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft als eigenes Genre diskutiert,150 diese Vorstellung hat sich allerdings bisher im deutschsprachigen Raum nicht durchgesetzt. Vielmehr hat sich die Vorstellung etabliert, dass es sich bei der Kinder- und Jugendliteratur um ein eigenes Subsystem handelt,151 in dem auch alle für die Allgemeinliteratur ausgemachten Gattungen und Genres vorkommen. Die illusio des kinder- und jugendliterarischen Subsystems lässt sich nicht allein wie für das allgemeinliterarischen Feld mit ›kreativer Intellektualität‹ zusammenfassen, sondern es kommen weitere und zum Teil ambivalente Codes hinzu. Carsten Gansel beschreibt, dass im Handlungssystem der Kinder- und Jugendliteratur eine »Auffassung von Literatur, die das Gewicht auf Belehrung und Erziehung legt«152 , lange Zeit vorherrschte. Bereits früh sei jedoch auch die Idee entstanden, »die kindlichen Leser zu unterhalten, indem ihnen eine spannende Geschichte erzählt wird.«153 Kinder- und jugendliterarische Texte und Medien waren und sind nach wie vor demnach oft an spezifische Zwecke gebunden, die zu der Ausdifferenzierung eines Subfeldes Kinder- und Jugendliteratur überhaupt erst geführt haben. Insofern stellt KJL das Gegenteil von autonomer Literatur dar, sie ist eine Spielart von heteronomer, also nichtautonomer Literatur. Dies bleibt sie – mit Ausnahmen – über einen langen historischen Zeitraum.154 Kinder- und Jugendliteratur wurde und wird bis heute noch zum Teil »einseitig als eine Art ›Erziehungs-‹ bzw. ›Sozialisationsliteratur‹«155 betrachtet. Es lässt sich allerdings ein Trend verzeichnen, bei dem keine klare Grenzziehung zwischen ›Erwachsenenliteratur‹ und ›Kinder- und Jugendliteratur‹ mehr erkennbar ist.156 Themen und Machart kinder- und jugendliterarischer Texte und Me150 Perry Nodelman: The Hidden Adult. Defining Children’s Literature, Baltimore 2008, S. 107–110. 151 Vgl. Gansel: Moderne Kinder- und Jugendliteratur, S. 31–35. 152 Ebd., S. 37. 153 Ebd. 154 Ebd., S. 19. 155 Ebd., S. 17. 156 Seit der Entstehung des Subfeldes der Kinder- und Jugendliteratur existieren ›grenzüberschreitende‹ Texte. Sie erinnern letztlich daran, dass es sich bei den Subfeldern um vereinfachte Konstrukte zur Beschreibung marktimmanenter Prozesse handelt (vgl. dazu Hoffmann: Crossover, S. 52).

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dien sind unter anderem laut Hans-Heino Ewers nicht immer und zunehmend seltener von Erwachsenen- und Unterhaltungsliteratur zu unterscheiden.157 Pädagogische Normen treten dabei immer weiter zurück, auch wenn durch die Verknüpfung mit dem pädagogischen Feld nach wie vor literarische Texte und Medien entstehen, die moralisch-erzieherischen Charakter besitzen. In Anlehnung an Bourdieu, jedoch ebenfalls nicht spezifiziert in Bezug auf einzelne Genres, extrahiert Heribert Tommek drei wesentliche Bereiche des literarischen deutschsprachigen Feldes der Gegenwart: 1. ein relativ autonomes literarisches Subfeld, 2. einen Bereich der Groß- und Massenproduktion sowie – und das ist neu im Gegensatz zu Bourdieu – 3. einen flexibel ökonomisierten und medialisierten Mittelbereich.158 Alle drei Bereiche lassen sich jeweils noch einmal horizontal in Autonomie und Heteronomie sowie vertikal in Avantgarde und Orthodoxie unterteilen, wobei Tommek davon ausgeht, dass »die horizontal ausgerichtete Reproduktionslogik und -dynamik«159 zunehmend von Bedeutung ist. Dies liegt insbesondere daran, dass der flexibel ökonomisierte und medialisierte Mittelbereich laut Tommek in den 1990er Jahren zum größten Bereich angewachsen ist. Er hat sich zwischen den Subfeldern der eingeschränkten und der Groß- oder Massenproduktion ausgebildet, zwischen den »Longsellern« einerseits und den »Bestsellern« andererseits, welche heutzutage zumeist global zirkulieren. Die in diesem Zwischenbereich situierten deutschsprachigen »Erfolgsbücher« liegen mit ca. 30.000-80.000 verkauften Exemplaren unterhalb der Spitzenplätze in den Bestsellerlisten und bilden den größten Teil des sich seit etwa Mitte der neunziger Jahre durchsetzenden Erfolgs der neueren deutschen Gegenwartsliteratur sowohl in ökonomischer als auch literarischer Hinsicht.160 Dieser gewachsene Bereich ist von Wechselwirkungen, Überlagerungen und hybriden Kompromissformen zwischen kulturell-autonomen und ökonomisch-heteronomen Bestimmungen 157

Hans-Heino Ewers: Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendliteratur nach 1970, 11.5.2013, https://www.kinderundjugendmedien.de/begriffe-und-termini/659paradigmenwechsel-der-kinder-und-jugendliteratur-um-1970, letzter Zugriff: 22.10. 2022. 158 Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 217f. 159 Ebd., S. 76. 160 Ebd., S. 217f.

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geprägt. Dies zeigt sich insbesondere bei den Überschneidungen zwischen Literatur, Journalismus und Mediendiskursen, wodurch sich sowohl ästhetische, der Zeit enthobene, als auch in der sozialen Zeit liegende Wertordnungen und diskursive Elemente überlagern oder vermischen. Literarisch kommen diese verstärkten Wechselwirkungen, Überlagerungen und Vermischungen in verschiedenen neuen »Schreibweisen der Gegenwart« zum Ausdruck, die die Popliteratur im engeren Sinne, und zudem die Literatur des Mittelbereichs im Allgemeinen prägen.161 Im flexibel-ökonomisierten Mittelbereich sei zudem auf der einen Seite eine Ausrichtung auf die »Formen […] der Hochkultur« zu erkennen. So werde ein »Abstand zu einer dominant ökonomischen und massenmedialen Unterhaltungsliteratur«162 eingezogen. Zum anderen werde »durch die Art des Umgangs mit der Tradition der Hochkultur – zumeist in Form eines Zitats oder einer Ironisierung – die Distanz zur doxa des autonomen Subfeldes aufrechterhalten.«163 Die Vorstellung von einem erlernbaren Kunsthandwerk ist im Mittelbereich verstärkt aufzufinden, allerdings sei »bei näherem Hinsehen« auch der Mittelbereich hinsichtlich der unterschiedlichen Kapitale – »kulturell« und »ökonomisch« – strukturiert.164 Es wundert daher nicht, dass Tommek sehr unterschiedliche Autor:innen und Genres diesem Bereich zuordnet: die Popliteratur der 1990er Jahre, aber auch die unter dem Etikett ›Fräuleinwunder‹ bekannt gewordene Literatur. Zudem beschreibt er einen ›neuen Realismus‹ und eine neue ›welthaltige Literatur‹ (zum Beispiel geprägt von John von Düffel, Sibylle Berg oder Feridun Zaimoglu) im Zusammenhang mit dem Mittelfeld. Die Kinder- und Jugendliteratur hingegen thematisiert Tommek nicht explizit. Lediglich in Bezug auf Bestsellerlisten – oder in Bezug auf einzelne Autor:innen wie etwa Erich Kästner165 – kommt Kinderliteratur zur Sprache: Tommek verweist darauf, dass sich für spezifische Teilmärkte auch eigene Listen für das Kinderbuch oder die Kriminalliteratur etabliert haben.166 In welchem Verhältnis einzelne Teilmärkte zu den drei Feldbereichen stehen,

161 162 163 164 165 166

Ebd., S. 252f. Ebd., S. 56. Ebd. Ebd., S. 221. Ebd., S. 234. Ebd., S. 252f.

II. Theoretische Grundlagen

wird nicht erläutert. Die fehlende Integration in die für die Gegenwartsliteratur ausfindig gemachte Feldstruktur könnte daran liegen, dass sich die Kinder- und Jugendliteratur nicht einfach einem der Feldbereiche zuordnen lässt beziehungsweise schon lange als flexibel ökonomisierter und medialisierter Mittelbereich fungiert.167 Denn die Charakteristika, die Tommek dem Mittelbereich zuschreibt, können auch für das Subsystem Kinder- und Jugendliteratur veranschlagt werden (wenn auch zum Teil ohne die ironischen Brechungen), handelt es sich doch um Texte, die nicht selten zwischen autonomem und heteronomem Pol oszillieren. Für die nachfolgenden Analysen bedeuten diese Ausführungen, dass zwar die Vorstellung von einem Feld mit gewachsenem Mittelbereich von Tommek übernommen wird, dass allerdings mithilfe der Annahme von einzelnen Subfeldern, die durch Genres, spezifische Adressatengruppen oder Gesetzmäßigkeiten geprägt sind, die ›Räume des Möglichen‹ für jeden Analysefall differenziert betrachtet werden. Insbesondere durch den Blick auf die Eintritte ins Feld werden innerhalb der jeweiligen Analysen von Autorinszenierungen die Gesetzmäßigkeiten der einzelnen Feldbereiche skizziert. Die Vorstellung von unterschiedlichen Subfeldern dient demnach dazu, einzelne ›Räume des Möglichen‹ der Jahre 2010 bis 2020 abzuklopfen, die für Autor:innen bereitstehen und an die sie sich auch mittels Inszenierungspraktiken anpassen und vice versa: Die Inszenierungspraktiken verweisen auf ein Subfeld und damit auf eine:n Autor:in im gesamtliterarischen Feld. Um den ›Raum des Möglichen‹ zu skizzieren, werden jeweils Codes und Regeln beschrieben, die für den Untersuchungszeitraum dieser Studie und für das jeweilige spezifische Feld leitend sind, etwa die Doppel- beziehungsweise Mehrfachadressierung im Subfeld Kinder- und Jugendliteratur, die ein wesentliches Charakteristikum des Feldes darstellt und sowohl die Produktion der Werke als auch die Positionierungen der Autor:innen beeinflusst.168 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich der ›Raum des Möglichen‹ für Autorinnen und Autoren unterscheiden kann. Dies zeigt sich bereits beim Blick beispielweise auf den Zusammenhang zwischen weiblicher Autorschaft und spezifischen Genres.169 So gab es im Laufe der Literaturge-

167 Darauf verweisen auch die Ausführungen Tommeks zu Erich Kästner, vgl. ebd., S. 234. 168 Vgl. Hoffmann: Crossover, S. 61f. 169 Vgl. dazu etwa Astrid Erll/Klaudia Seibel: Gattungen, Formtraditionen und kulturelles Gedä chtnis, in: Erzä hltextanalyse und Gender Studies, hg. von Vera und Ansgar Nü nning, Stuttgart: Metzler 2004, S. 180–208.

69

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

schichte für Autorinnen spezifische Genres, die sie bedienen und mit denen sie erfolgreich sein konnten. Gleichzeitig wurden ihnen einige Gattungen und Genres nicht zugetraut. Laut Silvia Bovenschen gab es zum Beispiel im 18. Jahrhundert eine Affinität von Autorinnen zu spezifischen Genres wie dem Briefroman, Autobiographien und generell Briefen.170 Dagegen wies Johann Wolfgang von Goethe zum Beispiel den Bildungsroman eher dem männlichen Geschlecht und damit auch dem männlichen Autor zu.171 Seit dem Aufkommen von Schema- und Massenliteratur war dieser Bereich auch für Autorinnen geöffnet.172 Auch diese Zuordnungen lassen sich anhand einzelner Klassifikationshandlungen von Gruppen von Akteur:innen rekonstruieren. Literaturhistorisch betrachtet, wurde Autorinnen der Zugang zu spezifischen Subfeldern und in spezifischen Teilmärkten eher ermöglicht als im Subfeld der eingeschränkten Produktion. Dies zeigt sich zum Beispiel im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur, in der weibliche Autorschaft bereits lange anerkannt ist und Autorinnen aufgrund von Geschlechtsstereotypen spezielle Expertise zugesprochen wurde.173

170 Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies, Berlin: Akademie-Verl. 2008, S. 68. 171 Ebd., S. 132. 172 So heißt es bei Tommek: »[Claudia] Albert [2003] weist schließlich darauf hin, dass die für die gemischte Ästhetik der Unterhaltungsliteratur charakteristische Balance ›zwischen Teilhabe an Bedeutendem und Zerstreuung an Bedeutungslosem‹ zuvor in der Literaturgeschichte den Autorinnen vorbehalten war« (Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 348, Herv.i.Orig.). Vgl. auch Ruth Steinberg: Die Schriftstellerin Emmi Lewald (1866–1946). Weibliche Autorschaft, Zeitgeist und Literaturmarkt, Göttingen: Böhlau 2015. 173 Vgl. Susanne Kord: Sich einen Namen machen: Anonymität und weibliche Autorschaft, 1700–1900, Stuttgart/Weimar: Metzler 1996, S. 46f. und 56.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Um den Konnex zwischen Autorschaft, Genres und digitalen Medien untersuchen zu können, ist nachfolgend zu erläutern, welches Verständnis von ›Medien‹ und ›digitalen Medien‹ den Analysen dieser Studie zugrunde liegt. Zudem geht es in diesem Kapitel detaillierter darum, wie das Analysematerial ausgewählt und aufbereitet wurde und welche Herausforderungen sich insbesondere bei der Betrachtung ›digitaler Medien‹ ergeben. Es handelt sich hauptsächlich um Webseiten, soziale Netzwerkplattformen und digitale Feuilletonbeiträge. Zudem werden Video- und Fernsehaufnahmen und vereinzelt auch Filme bei der Analyse berücksichtigt. Diese sind ebenfalls zum großen Teil in digitale Konstellationen eingebettet. Eine detailliertere Betrachtung einzelner Charakteristika der jeweiligen Medienangebote erscheint somit unabdinglich, da Diskurspartikel,1 die mit einem Namen von Autor:innen im Zusammenhang stehen, über das jeweilige mediale Umfeld sowie die Materialität des Trägermediums kontextual eingeordnet werden können. Für die Analysen ist es daher auch entscheidend, die Charakteristika des jeweiligen Analysematerials zu beschreiben und zu fragen, welche Möglichkeiten für Autorinszenierungen2 diese bereithalten und welche Konventionen bei der Nutzung spezifischer Medienangebote bestehen.

3.1 Begriffsklärungen: ›Digitale Medien‹ und ›Mediendimensionen‹ ›Digital‹ bezieht sich in dieser Arbeit zunächst auf die technische Form des Mediums, die durch (vernetzte) Computer vorgegeben ist: Alle Daten liegen

1 2

Vgl. zum Begriff ›Diskurspartikel‹ Kapitel 2.1.3. Vgl. zum Begriff ›Autorinszenierung‹ Kapitel 2.1.2.

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in »numerischer Form«, »im Binärkode«, vor.3 Die technische Seite steht bei der Nutzung jedoch nicht im Fokus, vielmehr geht es in dieser Untersuchung um den »Umgang mit Information, Präsentation und Kommunikation«.4 Die nachfolgenden Analysen schließen damit an kulturwissenschaftliche und literatursoziologische Forschungen zum Internet an, die auch mit dem Begriff ›Literatursoziologie des Internets‹ überschrieben werden. Dabei steht unter anderem »die Erforschung von digitalisierungsbedingten Veränderungsprozessen im Gegenstandsbereich der Geisteswissenschaften«5 im Vordergrund, ohne dass die Gegenstände zwingend mittels digitaler Methoden, Verfahren oder tools untersucht werden (auch wenn dies in vielen Fällen sinnvoll ist); es sind vielmehr ihre Gegenstände selbst, die von der Digitalisierung erfasst wurden, wobei es, enger gefasst, um Gegenstände geht, die nur deshalb so sind, weil sie unter den Bedingungen der digitalen Vernetzung durch das Internet, insbesondere durch das World Wide Web, entstehen.6 Es finden demnach also »alle auch traditionell von der Literaturwissenschaft betrachteten Objekte und Praktiken der Produktion, Rezeption, Distribution und Vermittlung von Literatur« Berücksichtigung, »insofern sie von mindestens einer der drei Facetten der digitalen Vernetzung [Vernetzung von Computern, von digitalen Objekten und/oder sozialen Akteuren, E.M.K.] erfasst, beeinflusst oder berührt werden.«7 Es wird grob zwischen primärer und sekundärer literarischer Kommunikation im Internet unterschieden. Bei Ersterer handelt es sich zum Beispiel um im Internet veröffentlichte Literatur oder das Phänomen der Hypertexte.8 Die sekundäre literarische Kommunikation erstreckt sich dagegen von der professionalisierten Literaturkritik auf den Onlineportalen der klassischen Printmedien, der Autorenwebsite oder den Onlinemarketing-Aktivitäten der Verlage über genuine eMagazine, Foren, Blogs und Microblogs oder Portale wie Amazon, Lovelybooks, Goodreads, Youtube et cetera bis hin zu 3 4 5 6 7 8

Carstensen u.a.: Subjektkonstruktion, S. 11. Ebd. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 3. Ebd. Ebd., S. 4. Vgl. dazu die Beiträge von Frank Fischer, Harro Segeberg und Kerstin Paulsen in: Künzel/Schönert (Hg.): Autorinszenierungen.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

den unzähligen sekundären literarischen Kommunikationshandlungen auf Social Cataloging- und Social Networking-Plattformen.9 Vor allem Plattformen der sekundären Kommunikation bieten »Spielraum für paratextuelle Inszenierungen«10 . Die im Zitat angeführten Beispiele der (sekundären) Kommunikation haben dabei alle ihre spezifischen Merkmale. So weist das Online-Portal einer Zeitung signifikante Unterschiede zu der Plattform YouTube auf. Zudem sind bei einzelnen Beispielen der sekundären Kommunikation weitere verschiedene Medien auszumachen: Bereits die Betrachtung einer Webseite, auf der sowohl Grafiken, Fotos, Buchcover und -trailer als auch Rezensionen und Interviews u.v.m. rezipierbar sein können, zeigt, wie vielfältig die dort zusammengestellten Medien gestaltet sind. »Im Internet werden Texte, Ton, Symbole, Bilder, Filme und Links miteinander verbunden«, heißt es dazu in einer Studie zu den methodischen Herausforderungen digitaler Medien.11 Ein wesentliches Charakteristikum von digitalen Medien ist daher gleichzeitig die größte Herausforderung für die Analyse: die Multimedialität (auch als Multimodalität bezeichnet). Diese Herausforderung macht es unabdingbar, das Verständnis von ›Medien‹, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, darzulegen. Vergleicht man dafür zunächst grundlegend zwei differente Medien, zum Beispiel eine schriftlich verfasste Aussage mit einer Fotografie, so lassen sich bereits unterschiedliche semiotische Zeichensysteme erkennen: Bei der schriftlich fixierten Aussage handelt es sich um eine erlernte Verbindung zwischen dem Bezeichnenden, dem Bezeichneten und dem Referenten. Bei einer Fotografie werden die Verbindungen durch Ähnlichkeiten hergestellt. Damit werden »verschiedenartige Wahrnehmungsprozesse«12 initiiert, und es stellt sich die Frage, wie sich mit den verschiedenen Zeichensystemen umgehen lässt. Eine Möglichkeit, Informationen aus unterschiedlichen medialen Kontexten zu analysieren und zusammenzuführen, besteht seit Ende des 20. Jahrhunderts und der Etablierung der Cultural Studies darin, alle Zeichen oder Me9 10 11

12

Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 5f. Schaffrick/Willand: Autorschaft im 21. Jahrhundert, S. 95. Dominique Schirmer/Nadine Sander/Andreas Wenninger: Herausforderungen und Potenziale von Online-Medien für die qualitative Forschung – Eine Einführung, in: Die qualitative Analyse internetbasierter Daten. Methodische Herausforderungen und Potenziale von Online-Medien, hg. von dens., Wiesbaden: Springer 2015, S. 7–32, hier S. 7. Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung, S. 73.

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dien im Sinne eines erweiterten Text- beziehungsweise Medienbegriffs als Bedeutungsträger zu verstehen. In diesem Sinne werden nicht allein Buchstaben, die sich auf Papier befinden, als Texte deklariert, sondern auch Konsumgüter oder Verhaltensweisen wie beispielsweise ein Kleidungsstück, ein Foto, eine auffällige Geste oder auch das Setzen eines Links. Der erweiterte Textbegriff ist für die nachfolgenden Analysen daher relevant. Jedoch löst er nicht das Problem der Vergleichbarkeit der einzelnen Medien und der Auswahl der zu betrachtenden Zeichen. Julian Ingelmann und Kai Matuszkiewicz führen in ihrem Aufsatz »Autorschafts- und Literaturkonzepte im digitalen Wandel« an, dass »die Untersuchung digitaler Medien« durch den erweiterten Textbegriff nicht erleichtert würde, »da er Grenzen zwischen unterschiedlichen Medien vermischt.«13 Das heißt aber nicht, dass man sich von dem erweiterten Textbegriff verabschieden müsse. Vielmehr fordert es heraus, sowohl von einem erweiterten Textbegriff auszugehen als auch die Spezifika der einzelnen Medien zu berücksichtigen. Ein Weg, mit dieser Problematik umzugehen, liegt in der Spezifizierung des Begriffes ›Medien‹: Er lässt sich in unterschiedliche Dimensionen unterteilen, zum Beispiel in a) Medialität, b) Medientechnik sowie c) Gebrauch und Institutionalisierung: a) Das Mediale ›an sich‹ ist damit etwas Medienübergreifendes, etwas Grundsätzliches, das die mediale Kommunikation insgesamt bestimmt. Zum anderen meint der Begriff das als typisch genommene Set von Eigenschaften, das für einzelne Medien als konstitutiv angesehen wird. Darunter wird das ›Filmspezifische‹ oder ›Filmische‹ beim Film, das ›Televisuelle‹ beim Fernsehen, das Radiofone beim Hörfunk verstanden. […] Mit der Medialität wird also eine bestimmte Qualität (als ein Set von Eigenschaften) verstanden, die historisch an eine kulturelle Situation gebunden ist.14 Die Medialität kann dabei auf ein Einzelmedium bezogen sein, jedoch auch übergreifende Eigenschaften wie die Literalität, Oralität, Visualität etc. bezeichnen. Daneben lässt sich die ›Medientechnik‹ bestimmen: b) Die medialen Eigenschaften werden durch die Technik des Mediums erzeugt. Technische Prozesse sind die Voraussetzung für das Entstehen 13 14

Ingelmann/Matuszkiewicz: Autorschafts- und Literaturkonzepte im digitalen Wandel, S. 310 –311. Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, 2. aktual. und überarb. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2010, S. 26.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

einer medialen Eigenschaft, also z.B. eines technisch hergestellten Tons, eines technischen Bildes usf. Medientechnik ist zunächst Technik im Sinne von Verfahren, Apparatur und Energieeinsatz.15 Hier spielen Prozesse der Medienentwicklung wie zum Beispiel die Digitalisierung eine besondere Rolle. Bei all diesen Prozessen sind ebenfalls die Institutionen und Akteur:innen, die einzelne mediale Angebote her- und anderen zur Verfügung stellen, von Bedeutung: c) Technik wird immer erst durch eine kulturelle Praxis zum Bestandteil und zur Voraussetzung eines Mediums. Durch die gesellschaftliche Institutionalisierung wird die Technik gesellschaftlich eingebunden und festgelegt, wobei zumeist nicht-technische Kriterien (z.B. ökonomische) ausschlaggebend sind.16 In welchem Verhältnis diese Dimensionen stehen, untersucht Siegfried J. Schmidt. Mit dem »Medienkompaktbegriff« betont er, wie wichtig es ist, den ›Wirkungszusammenhang‹ unterschiedlicher Dimensionen von Medien nicht zu vernachlässigen: Zusammen bilden sie eine spezifische mediale Konstellation, stellen also ein ›Medienangebot‹ bereit: Kommunikationsinstrumente sind in erster Linie natürliche Sprache, aber auch Bilder. Die technischen Dispositive sind erforderlich, um die Differenz zwischen etwa mündlicher Rede und gedruckter oder gesendeter Rede zu realisieren. Technische Dispositive bezeichnen Verfahren, die angewendet werden, um Medienangebote in einer bestimmten Weise zu distribuieren. Sobald technische Dispositive auftreten, also Druckereien, Fernsehanstalten usw., brauchen sie soziale Institutionalisierungen. Nicht zuletzt deshalb, weil technische Dispositive hohe Finanzmittel erfordern und rechtliche und politische Probleme aufwerfen, die gelöst werden müssen. […] Aus dem Zusammenwirken dieser drei Faktoren – Kommunikationsinstrumente, technische Dispositive und Institutionalisierungen – resultieren Medienangebote. […] Wenn man über Medienangebote spricht, tut man deswegen gut daran,

15 16

Ebd., S. 29. Ebd., S. 31.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

über den genannten Wirkungszusammenhang zu reden und nicht über das pure materielle Medienangebot.17 Die jeweilige Medialität, die Medientechnik, die Verantwortlichkeiten und die sich aus all dem ergebenden Zugänge und Möglichkeiten für Rezipient:innen beziehungsweise Nutzer:innen können demnach Einfluss auf die Interpretation von Medien und damit auch auf die Autorbilder haben, da all diese Aspekte die Bilder erst wahrnehmbar machen. Die jeweiligen Quellen hinsichtlich der drei Dimensionen von Medien eingehender zu betrachten, ist demnach notwendig, da – so Hickethier – »gerade auch in den unterschiedlichen ästhetischen Merkmalen der Produkte Bedeutungstraditionen eingeschrieben sind, die, wenn auch nicht offenkundig, wohl aber wirksam sind.«18

3.2 Herausforderungen bei der Materialaufbereitung und Auswahl der Medienangebote Neben der Multimodalität ist auch die Dynamik des Internets, die Flüchtigkeit der Inhalte, die Komplexität (der Collagecharakter) u.v.m. bei Analysen zu berücksichtigen beziehungsweise zu reflektieren.19 Wird zum Beispiel der Autorname ›Markus Heitz‹ bei der Suchmaschine Google eingegeben, lässt sich je nach Datum, Uhrzeit und Algorithmus sowie abhängig vom Ort, von dem die Suchanfrage ausgeht, eine kaum überschaubare Anzahl an verschiedenen Medienangeboten finden. Bei einer ersten digitalen Suche wurden die Autorenwebseite, ein Wikipedia-Eintrag, www.amazon.de, www.phantastik-couch.de sowie Verlagswebseiten als erste Treffer angezeigt. Es folgten Verweise auf Facebook- und Twitter-Accounts. Bei einer zweiten Suche – drei Tage später – war bereits eine andere Reihenfolge sichtbar, zudem standen vermehrt Videodateien im Vordergrund (Buchtrailer, Interviews). Die Dynamik und Flüchtigkeit beinhalten Chancen und Herausforderungen: Für Produzierende besteht die Möglichkeit, sehr schnell auf konstruierte

17

18 19

Siegfried J. Schmidt: Medien – Materialitäten – Räume: Zur Analyse eines Wirkungszusammenhangs, in: Medienräume. Materialität und Regionalität, hg. von Valentin Dander u.a., Innsbruck: University Press 2013, S. 37–49, hier S. 40. Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, S. 346. Vgl. Schirmer/Sander/Wenninger: Herausforderungen und Potenziale von Online-Medien, S. 9.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Autorbilder zu reagieren und neue zu initiieren; für Forschende sind die Inhalte zum einen durch Suchmaschinen schnell auffindbar und zugänglich, zum anderen jedoch auch flüchtig, da Internetseiten anders als Printmedien jederzeit bearbeitet und gelöscht werden können. Über Archivierungen (zum Beispiel mithilfe von Screenshots oder dem Abfilmen animierter Webseiten) oder mithilfe von Seiten wie archive.org können Inhalte zwar bewahrt oder wiederhergestellt werden, dabei sind jedoch Urheberrechte und zeitliche Dilatationen zu bedenken. Viele Internetseiten, die beispielsweise in den 1990er Jahren erstellt wurden, sind heute (2021) bereits nicht mehr zugänglich. Insbesondere die Verlinkungen unterliegen der Verortung in der Gegenwart, denn oft werden Dienste mit sinkenden Nutzerzahlen eingestellt (wie beispielsweise myspace oder StudiVZ). Das Problem ist generell, dass Webseiten stets betreut und am Laufen gehalten werden müssen. Ein gedrucktes Buch wird in der Regel mit einer gewissen Auflagenzahl veröffentlicht. Wenn also ein Exemplar in einer Bibliothek verloren geht, dann gibt es trotzdem noch die Möglichkeit, das Buch aus einer anderen Bibliothek auszuleihen. Bei Internetseiten und -diensten gibt es im übertragenen Sinn nur ›ein Buch‹. Wenn dieses gelöscht wird, ist es für niemanden mehr zugänglich. Zum einen ist daher bei Einzelanalysen stets zu bedenken, dass lediglich einzelne ›Schnappschüsse‹ von spezifischen Medienangeboten aufgenommen werden können, die sorgfältig gespeichert werden sollten, um den dauerhaften Zugang zum Untersuchungsgegenstand in seiner gewählten Form zu gewährleisten. Zum anderen sollten insbesondere die Angebote ausgewählt werden, die eine gewisse Breitenwirksamkeit besitzen, das heißt von einer Vielzahl von Nutzer:innen über einen längeren Zeitraum wahrgenommen werden können. Auch der Collagecharakter von digitalen Medienangeboten (insbesondere von Webseiten und sozialen Netzwerkplattformen) beinhaltet Herausforderungen: Beispielsweise werden auf einer Webseite unter anderem Fotografien, Videos und Texte miteinander verbunden. Weiterhin können mehrere Medienangebote mithilfe von Links verknüpft werden, wodurch zum Beispiel bei Blogs eigene ›Blogosphären‹ entstehen. Diese transmedialen Konstellationen erfordern es, über Methoden der Analyse nachzudenken, die es ermöglichen, die durch Verlinkungen entstehenden Räume und Kontexte fassbar zu machen, und Analyseinstrumentarien der medialen Konstellationen (neu) zu reflektieren. Bei der Analyse von Links können zum Beispiel Verfahren der Netzwerkanalyse genutzt werden.20 Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung 20

Vgl. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

stehen jedoch die digitalen Inhalte, wie sie sich dem einzelnen Nutzer beziehungsweise der einzelnen Nutzerin darstellen. Das heißt, dass für eine Analyse auch die einzelnen medialen und temporären Kontexte der ausgewählten Inhalte mitberücksichtigt werden müssen. Daher werden in dieser Studie Einzelanalysen nur selten mithilfe computergestützter Verfahren (distant reading) durchgeführt.21 Die konkrete Suche und Auswahl von Medienangeboten erfolgte zunächst mithilfe des Namens der gewählten Autor:innen.22 Der Name steht nicht nur für eine reale Person23 , sondern gruppiert vielmehr all die Diskurspartikel, die durch ihn miteinander in Beziehung gesetzt werden. So verwundert es nicht, dass bei der entsprechenden Suche eine Vielzahl von Medienangeboten zu finden ist. Die Angebote gilt es daher sinnvoll einzugrenzen und somit gleiche Rahmenbedingungen für die Auswahl des Untersuchungsmaterials herzustellen. Dazu wurden vier Kriterien gewählt: ein zeitlicher Rahmen (1), der Bezug zu einzelnen Veröffentlichungen (2), die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit (3) sowie weitere inhaltliche Kriterien (4). (1) Der zeitliche Rahmen umfasst zunächst grob die Jahre 2010 bis 2020. Der Zeitraum lässt sich anhand der Entwicklungen des Internets und der vermehrten Nutzung von sozialen Medien begründen: In der Mitte der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts stellten Twitter und YouTube ihren Dienst bereit und auch das erste IPhone kam auf den Markt. Von 2007 bis 2010 hat sich die (zumindest gelegentliche) Nutzung dieser Dienste verdoppelt.24 Der Boom der sozialen Medien wird auch mit dem Begriff Web 2.025 beschrieben: Teilneh21

22 23 24

25

Für die Erfassung von Worthäufungen werden zum Beispiel Formen des Distant reading verwendet. Vgl. zu den Methoden: Franco Moretti: Distant Reading. Aus dem Englischen übersetzt von Christine Pries, Konstanz: Konstanz University Press 2016; Ralph Müller: Parallelstellenmethode – digital. Philologische Erfahrung, Empirisierung, Texte und Korpora, in: Empirie in der Literaturwissenschaft, hg. von Philip Ajouri, Münster: Mentis 2013, S. 181–200. Vgl. zur Auswahl der Autor:innen Kapitel 1.3. Zu den Unterscheidungen der einzelnen Ebenen der Begriffe ›Autor‹ und ›Autorin‹ vgl. Kapitel 2.1. Vgl. dazu etwa Monika Taddicken/Jan-Hinrik Schmidt: Entwicklung und Verbreitung sozialer Medien, in: Handbuch Soziale Medien, hg. von dens., Wiesbaden: Springer 2017, S. 3–22, hier S. 15. »Das 2004 von Tim O’Reilly und Dale Dougherty geprägte Schlagwort vom ›Web 2.0‹ indiziert […] nicht nur neue anwenderfreundliche Softwarelösungen im Internet, sondern auch einen Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung ebenso wie in den Nutzungsmustern. Es reflektiert, dass das Netz zunehmend zu einem Ort medialer Hand-

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

mer:innen sind gleichzeitig Produzent:innen und Konsument:innen; einzelne Profile werden nach Belieben von Nutzer:innen erstellt. Die starke Verbreitung und immer selbstverständlichere Nutzung des Internets ab der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts verändert auch die Frage danach, ob Autor:innen im Internet auftauchen, hin zu der Frage nach dem ›Wie‹ und ›Wo‹. Denn es zeigt sich, dass alle Akteur:innen des literarischen Feldes inzwischen auch im Internet vertreten sind. Mit Gerhard Lauer lässt sich zugespitzt sagen: »Der Literaturbetrieb ist fast über Nacht digital geworden.«26 Dies gilt noch einmal verstärkt für die Zeit seit dem Beginn der Corona-Pandemie, die im deutschsprachigen Raum seit März 2020 Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Leben und damit auch auf das literarische Feld der Gegenwart hat. Der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit endet allerdings vor Beginn der Pandemie. Welche längerfristigen Auswirkungen die Pandemie für die einzelnen Akteur:innen im literarischen Feld mit sich bringt, müssen nachfolgende Studien zeigen.27 (2) Der grobe Zeitrahmen von zehn Jahren ist für Einzelanalysen – insbesondere für die Betrachtung von Netzwerkplattformen – noch zu umfassend, so dass eine weitere Einschränkung mithilfe der Fokussierung auf ein-

26 27

lungen geworden ist« (Wegmann: Warentest und Selbstmanagement, S. 280). Der Begriff wird allerdings zum Ende der 2010er Jahre auch kritisiert, da er eine sprunghafte Entwicklung des Internets impliziert, wohingegen sich tatsächlich vielmehr eine sukzessive Entwicklung des Internets vollzog. Vgl. Taddicken/Schmidt: Entwicklung und Verbreitung sozialer Medien, S. 5f. Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, S. 126. Erste Tendenzen lassen sich aus der Jahresbilanz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ableiten: »›Das Corona-Jahr 2020 hat die Buchbranche deutlich getroffen. Zwar spielt das Buch für die Menschen in der Krise eine herausragende Rolle: Die Lesebegeisterung war groß und die Nachfrage nach Büchern über weite Teile des Jahres hoch. Doch der Shutdown im Dezember machte der Branche einen Strich durch die Rechnung. Die erneuten Ladenschließungen mitten im Weihnachtsgeschäft stoppten die Aufholjagd, mit der es dem Buchhandel fast gelungen wäre, die Einbußen aus dem Shutdown im Frühjahr auszugleichen‹, sagt Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels« (Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Buchmarkt 2020: Zweiter Shutdown belastet Jahresbilanz im Buchhandel, 07.01.2021, https://www.boersenverein.de/presse/pressemitteilungen/detailseite/buchmarkt-2020-zweiter-shutdown-belastet-jahresbilanz-im-buchhandel/, letzter Zugriff: 01.03.2021). Als einzige Warengruppe erzielte das Kinder- und Jugendbuch Zuwächse um 4,7 Prozent (vgl. ebd.), wofür die Gründe noch erforscht werden müssen.

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zelne Veröffentlichungen erfolgte. Oft wird über Autor:innen im Zusammenhang mit einer konkreten Neuerscheinung vermehrt berichtet. Es ist daher sinnvoll, insbesondere die Medienangebote zu wählen, die im Zusammenhang mit einer spezifischen Veröffentlichung stehen. Zudem kann mithilfe dieser Fokussierung das Zusammenspiel von Publikation und Autorbild gezielter in den Blick genommen werden. (3) Erreichbarkeit und Verfügbarkeit grenzen die Auswahl auf Medienangebote ein, die ein breiteres Publikum erreichen konnten (zum Beispiel häufig rezipierte Zeitungen und Zeitschriften sowie besonders bekannte und häufig genutzte soziale Netzwerkplattformen). Daher wurde auch auf den ›Erfolg‹ der Veröffentlichungen geachtet und bei der Auswahl berücksichtigt, ob die Autor:innen damit Preise gewinnen beziehungsweise Aufmerksamkeit im literarischen Feld oder innerhalb eines Subfeldes erlangen konnten, zum Beispiel über eine hohe Anzahl an Besprechungen oder eine Platzierung in BestsellerListen. (4) Die Auswahl innerhalb der einzelnen Medienangebote erfolgte anhand von inhaltlichen Kriterien. Am Beispiel von Twitter und dem dritten RecklessBand Das goldene Garn von Cornelia Funke, der am 20.02.2015 veröffentlicht wurde, lässt sich dies veranschaulichen: Am 22.07.2014 findet sich ausgehend von dem Account Cornelia Funkes eine editorische Notiz zu der Veröffentlichung, weshalb die Analyse mit diesem Post startet. Der Analysezeitraum für die Analyse der Twitter-Inhalte um die Veröffentlichung endet mit einem Post vom 25.04.2015: »Reading Japanese Folk Tales for the next Mirror Book. […]«28 Hier geht es bereits um die Vorbereitung des nächsten Buches, weshalb die Zeitspanne für die Auswahl der Partikel rund um den Band Das goldene Garn damit endet. Auch die Auswahl der Diskurspartikel von der Webseite der Autor:innen, den Facebook-Seiten sowie aus Interviews, Buchbesprechungen und Porträts in Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen folgt mithilfe solcher zeitlicher Rahmen.

3.3 Methodisches Vorgehen Um ausgehend von den beschriebenen Herausforderungen ein geeignetes Vorgehen für die Analysen zu entwickeln, hilft zunächst ein Blick auf bisherige 28

Https://twitter.com/C orneliaFunke/status/592010464487346179, letzter Zugriff 10.10. 2022.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Forschungen. Zu den Studien, die nach dem ›Autor‹ beziehungsweise der ›Autorin‹ in Medienangeboten divergenter Modalität fragen, zählt unter anderem Der öffentliche Autor (2014) von John-Wenndorf. Die Verfasserin untersucht darin den ›Mythos‹ von Autor:innen und meint damit die Ebene, die in der vorliegenden Studie mit dem Begriff ›Autorbild‹ fassbar gemacht wird. Die von ihr verwendeten Werkzeuge ordnet John-Wenndorf der Diskursanalyse zu. Speziell bedeutet dies, dass sie Wörter im Satzgefüge, im Wortfeld und im Diskurs untersucht sowie die Lexik durch die Analyse von Schlüsselwörtern oder durch quantitative und qualitative Wort-Auswertungen erfasst. Darüber hinaus nimmt sie Analysen von rhetorischen Mitteln, Argumentationsmustern oder Generalisierungen vor. Dabei bleibt John-Wenndorf neben den strukturalistischen Analysen hermeneutischen Prinzipien verbunden und plädiert zum Beispiel für Transparenz statt Objektivität sowie für individuelle Vorgehensweisen.29 Für die divergenten Medienangebote nutzt John-Wenndorf dann jeweils auch eigene Verfahren. Ihre Fotoanalysen erfolgen zum Beispiel mithilfe von Roland Barthes’ Gedanken zum punctum, einem »sensiblen Punkt beim Betrachter, der auf eigener Erfahrung beruht und der nicht zwingend mit dem sensiblen Punkt eines anderen übereinstimmt«30 . Erstaunlicherweise gebe es allerdings oft Übereinstimmungen. Grundsätzlich reflektiert John-Wenndorf – unter anderem unter Rückgriff auf Barthes – die eigene Beobachterperspektive in ihrer Untersuchung und legt dabei offen, dass diese Form des Vorgehens eine gewisse Subjektivität beinhaltet. Auch Innokentij Kreknin arbeitet mit divergenten Medienangeboten: Er ermittelt die ›Poetiken des Selbst‹ mithilfe diskursanalytischer und strukturalistischer Instrumentarien. Grundsätzlich unterscheidet Kreknin drei Diskurse, den ›juridisch-sozialen‹, den ›ästhetisch-literarischen‹ sowie den ›autopoietisch-individuellen‹.31 In seinen Analysen konzentriert sich Kreknin hauptsächlich auf den ästhetisch-literarischen und den autopoietisch-individuellen Diskurs, wobei nicht die Urheberschaft oder der literarische Text, sondern die Paratexte im Vordergrund stehen. Sein gewähltes Instrumentarium für die konkreten Analysen der in den jeweiligen Diskursen genutzten Zeichen lässt sich speziell als semiotisch, diskursanalytisch und praxeologisch bezeichnen. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen bezieht sich Kreknin auf Umberto Eco und dessen These, dass der »Gesamtkomplex der Kultur« 29 30 31

Vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 57. Ebd., S. 340. Vgl. Kreknin: Poetiken des Selbst, S. 50; vgl. auch Kapitel 1.2.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

als »semiotisches System« analysiert werden müsse.32 Dieser Grundregel folgt Kreknin und entwickelt einen Zugang unter anderem mit Rückgriff auf Charles Sanders Peirce, Michel Foucault und Andreas Reckwitz. Dieser Zugang erweist sich auch für die vorliegende Untersuchung als fruchtbar, beinhaltet die Semiotik doch die Möglichkeit, die unterschiedlichen Zeichensysteme, aus denen Medienangebote divergenter Modalität bestehen, zu berücksichtigen. Die Vorstellung, dass rund um einen Autornamen Diskurse entstehen, die einzelne Subjektrepräsentationen hervorbringen, tradieren und variieren, liegt auch der Auswahl der einzelnen Medienangebote für die vorliegende Untersuchung zugrunde. Um das Korpus zu strukturieren, bietet es sich an, Analysekriterien zur Erforschung von Autorschaft auszuwählen, die nicht bereits vorschreiben, was ein:e ›Autor:in‹ ist, sondern offen danach fragen. Dafür kann die von Reckwitz entwickelte Heuristik zur Analyse von Subjektformen verwendet werden.33 Damit wird zwar in einem ersten Schritt deduktiv verfahren, allerdings bleibt zunächst noch offen, was einen Autor beziehungsweise eine Autorin ausmacht. Nach der Vorstrukturierung folgt dann ein induktives Vorgehen. Denn auf welche Autorbilder die mithilfe der Heuristik ausgewählten Diskurspartikel verweisen, lässt sich erst nach eingehender Analyse der Partikel und nach dem Nachweis von Häufigkeiten und Bezügen feststellen. Aber wie werden die einzelnen Partikel divergenter Modalitäten nun interpretiert? Wie werden ihre Bezüge zueinander analysiert? Für diesen Schritt der Analyse orientiert sich die Untersuchung an Verfahren aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung34 und verbindet 32 33 34

Ebd., S. 10. Vgl. zur Heuristik von Reckwitz die Ausführungen in Kapitel 2.2.1. In der Literaturwissenschaft an ein Verfahren aus der qualitativen Sozialforschung anzuknüpfen, löst einen Legitimierungszwang aus. Für diese Legitimierung stütze ich mich auf Bourdieus Wissenschaftsverständnis und auf das folgende Postulat: »Heute ist die wichtigste Bedrohung die überall zu beobachtende und immer schärfer werdende Trennung von Theorie und empirischer Forschung, von der auch die Parallelentwicklung von methodologischer Perversion und theoretischer Spekulation lebt. Daher meine ich auch, daß eben schon die Unterscheidung von Theorie und Empirie in Frage gestellt werden muß, und zwar in der Praxis und nicht bloß rhetorisch« (Pierre Bourdieu: Reflexive Anthropologie (mit Loı̈c J.D. Wacquant), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 212). Vgl. dazu auch die Aussage von Philip Ajouri, Katja Mellmann und Christoph Rauen in der Ein-leitung zu dem Sammelband Empirie in der Literaturwissenschaft: »Der Blick auf die allgemeine Wissenschaftstheorie und -geschichte erleichtert den Aufbau einer facheigenen Methodologie, die von Vorurteilen und falschen Generalisierungen, wie sie z.B. die Entgegensetzung von Geistes- und Natur- oder ›em-

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

diese mit Ansätzen aus der Intermedialitätsforschung. Zu den Verfahren zählt die qualitativ orientierte Inhaltsanalyse, die auch Grundlagen aus der Sprachund Literaturwissenschaft aufgreift: zum Beispiel die Hermeneutik, wobei unter anderem die Quellenkunde sowie die Reflexion über das Vorverständnis zum Tragen kommen,35 sowie Grundbegriffe der Semiotik.36 Es gibt demnach Übereinstimmungen mit den bereits vorgestellten Vorgehensweisen von John-Wenndorf und Kreknin, die sich als ertragreich erwiesen haben. Bei der »qualitativ orientierten Inhaltsanalyse«37 geht es darum, durch die Reduktion des Materials sowie mithilfe induktiver Kategorienbildung ein Kategoriensystem aufzustellen, das letztlich ein Abbild des für die Analyse ausgewählten Materials darstellen soll. Die Quellen sind oft Interviews, wie sie unter anderem auch in dieser Arbeit untersucht werden. Handelt es sich nicht um Interviews, kann bei der Analyse dennoch ähnlich verfahren werden: Zum Beispiel können Posts von Facebook oder Twitter als Antworten auf mögliche Fragen betrachtet werden. Das Analyseverfahren wird als ›qualitativ orientiert‹ bezeichnet, da zwar einzelne Aussagen analysiert und interpretiert werden, am Ende jedoch auch Häufigkeiten eine Rolle spielen. Denn verweisen einzelne Inhalte immer wieder auf ein und dieselbe Kategorie, treten spezifische Inhalte also häufiger auf, lässt sich von dieser Kategorie ausgehend ein Autorbild beschreiben.38 Der Vorteil einer qualitativ orientierten Inhaltsanalyse besteht darin, dass die Analyseschritte zergliedert, strukturiert und stets reflektiert werden. Von diesen Schritten wurden einzelne für diese Studie adaptiert, die sich für die Analyse von Autorbildern als zielführend und relevant erwiesen haben. Dazu zählt unter anderem die Aufbereitung des Materials. Liegt dieses nicht in schriftlicher Form vor, muss es – zumindest die für die Analyse relevanten Teile des Materials – zunächst verschriftlicht werden.

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pirischen‹ und ›nichtempirischen‹ Wissenschaften kennzeichnen, frei ist und ein Konzept von Empirie bereitstellt, das den Besonderheiten des jeweiligen Faches Rechnung trägt und dadurch ein disziplinäres Selbstverständnis befördert, das sich positiver auf die Praxis auswirkt als das derzeitige« (Münster: Mentis-Verlag 2013, S. 9–18, hier S. 10). Vgl. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 32. Ebd., S. 38f. Ebd., S. 17. Eine Anwendung einer qualitativen Inhaltsanalyse findet sich bei Klaus Bichler: Selbstinszenierung im literarischen Feld Österreichs. Daniel Kehlmann und seine mediale Inszenierung im Bourdieu’schen Feld, Frankfurt a.M.: PL Acad. Research 2013, S. 75–79 und 121–140.

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Analyse bedeutet Zerlegung eines Ganzen in seine Teile, meint aber auch die begriffliche Fassung eines Vorbegrifflichen, z.B. eines audiovisuellen medialen Produkts mit seinen vielfältigen nicht-sprachlichen Elementen, in eine in der Regel medial differente, zumeist sprachliche Beschreibung und Darstellung. Analyse ist also nicht nur ein Sprechen über mediale Gegenstandsbereiche, sondern beinhaltet häufig auch eine Transformation vorgefundener medialer Zeichenkomplexe in andere (meist sprachliche) Zeichen. Analyse ist deshalb häufig mit dem Prozess der Transkription verbunden, ist mit diesem jedoch nicht identisch.39 Dies trifft beispielsweise zu, wenn Videos, Animationen oder Fotografien analysiert werden. Dass mit diesem Vorgehen auch Interpretationen einhergehen, betont Mayring: »Die eigentliche Zuordnung von Textmaterial zu inhaltsanalytischen Kategorien bleibt […] ein (wenn auch durch inhaltsanalytische Regeln kontrollierter) Interpretationsvorgang.«40 Der Prozess der Übersetzung von einem Bild- oder Bild-Ton-Medium in schriftliche Zeichen erfordert laut Mayring u.a. – im Gegensatz zur Analyse von Interviews – zudem einen noch »stärker interpretative[n] Zugang«41 . In Bezug auf die Auswahl konkreter Inhalte aus Medienangeboten verweist John-Wenndorf etwa auf hermeneutische Prozesse oder auf Barthes’ punctum und Kreknin spricht mit Bezug auf Moritz Baßler vom sogenannten »hermeneutischen Rest«42 . Mit dem Blick auf die Empirie wird noch einmal verständlicher, warum John-Wenndorf auf Transparenz setzt. Denn auch empirische Arbeiten sind gefordert, den ›hermeneutischen Rest‹ und damit insbesondere die jeweilige Beobachtungsposition zu reflektieren. Die vorliegende Untersuchung schließt zudem an bisherige Forschungsmethoden an, die in der Literatur- und Medienwissenschaft Anwendung finden. Dabei handelt es sich um Ansätze der ›Intertextualität‹ beziehungsweise

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Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, S. 338. Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse, S. 8. Philipp Mayring/Michaela Gläser-Zikuda/Sascha Ziegelbauer: Auswertung von Videoaufnahmen mit Hilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse – ein Beispiel aus der Unterrichtsforschung (2005), in: MedienPädagogik, H. 9, S. 2, https://www.medienpaed.com/article/view/61, letzter Zugriff: 12.12.2020. Moritz Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie, Tü bingen: Francke 2005, S. 341; vgl. dazu auch Kreknin: Poetiken des Selbst, S. 64f.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

›Intermedialität‹.43 Die Notwendigkeit, Verfahren dieser Ansätze zu integrieren, ergibt sich aus der Multimodalität von digitalen Medien. Zwar lassen sich mithilfe von Inhaltsanalysen einzelne Inhalte aus den ausgewählten Medienangeboten extrahieren und zu Kategorien zusammenfassen, dabei bleibt allerdings das Verhältnis der einzelnen Inhalte, sofern in mehreren Medienangeboten auf sie Bezug genommen wird, unbeachtet. Dem lässt sich mit dem Konzept der ›Intermedialität‹ begegnen. Ganz grundsätzlich umfasst ›Intertextualität‹ »die Beziehung zwischen Texten«44 . Diese grundlegende Begriffsbestimmung lässt sich für die ›Intermedialität‹ auf ›Medien‹ übertragen. Allerdings kommt bei der ›Intermedialität‹ der Aspekt der Multimodalität als zu berücksichtigendes Kriterium hinzu. Mit Werner Wolf lässt sich Intermedialität hinsichtlich a) der beteiligten Medien, b) der Dominanzbildung, c) der Quantität, d) der Genese und e) der Qualität unterscheiden.45 Bei Webseiten hat man es zum Beispiel bereits mit mehreren beteiligten Medien zu tun. Bei ihrer Analyse kann etwa berücksichtigt werden, welche Medien dominant sind (Fotografien oder schriftliche Zeichen). Auch kann die Anzahl von Verlinkungen von Webseiten von Autor:innen auf Twitter und Facebook – und umgekehrt – untersucht werden. Darüber hinaus können Medienwechsel in den Blick geraten: Wenn beispielsweise das Schreibhaus der Autorin Cornelia Funke im Feuilleton beschrieben, auf Twitter und Facebook erwähnt und auf der Webseite animiert wird, dann ist ein und derselbe Inhalt in medial divergenten Kontexten wiederzufinden. Damit stehen die jeweiligen (Einzel-)Inhalte in einer transmedialen46 Beziehung zueinander. Der folgende Fragenkatalog greift die beschriebenen Analysemethoden auf. Im Einzelnen bedeutet das, dass die Dimensionen von Medien, die Heu-

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Auch John-Wenndorf und Kreknin beziehen ›Intertextualität‹ sowie ›Inter- und Transmedialität‹ in ihr Analyseinstrumentarium mit ein. Vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 53 sowie Kreknin: Poetiken des Selbst, S. 78–84. Anabel Ternès: Intertextualität. Der Text als Collage. Unter Mitarbeit von Jelena Haidinger, Wiesbaden: Springer 2016, S. 10. Vgl. Werner Wolf: Intermedialität, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hg. von Ansgar Nünning, 4. akt. und erw. Aufl., Stuttgart: Metzler 2008, S. 327f., hier S. 327. »›Transmedialität‹ liegt dann vor, wenn inhaltliche, formale oder ästhetische Konzepte medienindifferent gelten oder rezipiert werden (z.B. das Mimesis-Prinzip, narrative Strategien, Stoffe, Topoi etc.)« (Jörg Robert: Einführung in die Intermedialität, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014, S. 25).

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ristik von Reckwitz, Schritte von Inhaltsanalysen sowie die Untersuchung intermedialer Bezüge in den Katalog integriert sind:

Tab. 1: Fragenkatalog zur Analyse von Autorbildern Fragenblock A: Medientechnik und Gebrauch

Welche Medientechnik (gedrucktes Buch, Netzwerkplattform etc.) lässt sich bestimmen? Wie ist das Medienangebot aufgebaut und anwendbar? Wie ist das Angebot zugänglich? Was für Möglichkeiten bietet das jeweilige Medienangebot (zum Beispiel Interaktion, Animation)?

Fragenblock B: Urheberschaft

Von wem geht das Medienangebot aus? Durch wen wird es hergestellt und veröffentlicht? Kann ein hauptsächlicher Urheber/eine hauptsächliche Urheberin des Medienangebots ausgemacht werden? Wer kommt zu Wort?

Fragenblock C: Charakterisierung des Materials

Welche Medialität weisen die Medienangebote auf? Handelt es sich um Fotografien, schriftliche Texte, Hybridformen etc.? Erfordert die Medialität weitere medienspezifische Analyseverfahren sowie eine ›Übersetzung‹ in schriftliche Zeichen?

Fragenblock D: Richtung für die Analyse

Lassen sich Aussagen von und über Autor:innen aus den einzelnen medialen Konstellationen in Bezug zur körperlichen Performance, dem Zeichengebrauch, zum praktischen Wissen und Deutungswissen sowie zum Umgang mit Artefakten ablesen? Wenn ja, welche?

Fragenblock E: Bildung eines Kategoriensystems

Fragenblock F: Untersuchung von Bezügen

Inwiefern lassen sich die Aussagen sinnvoll paraphrasieren, generalisieren bzw. so interpretieren, dass sie zu einer Kategorie zugeordnet werden können? In welcher Häufigkeit kommen aus den Medienangeboten extrahierte Aussagen vor? Lassen sich intermediale Bezüge erkennen? Wenn ja, welche Funktionen besitzen sie? Lassen sich spezifische Aussagen vermehrt einzelnen Medienangeboten zuordnen? Lässt sich daraus ein medienspezifisches Autorbild ableiten?

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Mithilfe des Fragenkatalogs können nun einzelne Medienangebote und darin enthaltene Diskurspartikel analysiert werden. Zugleich bietet der Fragenkatalog eine Orientierung für das weitere Vorgehen, insbesondere im Hinblick auf die stetige Reflexion der eigenen Analyse. Es ist zu bedenken, dass die einzelnen Analyseschritte nicht linear entlang der vorgestellten Blöcke beziehungsweise der darin enthaltenen Reihenfolge (A-F) verlaufen müssen. Es ist beispielsweise möglich, dass ein Diskurspartikel zunächst in Bezug zu einer der Reckwitz’schen Kategorien (D) gefunden wurde, der dann erst anschließend innerhalb seiner medialen Kontexte (A-C) tiefergehend analysiert wird.

3.4 Quellenkontexte Zu den Medienangeboten des Korpus zählen Feuilletonbeiträge, Fotografien, Fernseh-, Film- und Videoaufnahmen sowie Beiträge auf sozialen Netzwerkplattformen. Deren jeweilige Charakteristika, ihr jeweiliges Set an Eigenschaften, werden nachfolgend ebenso vorgestellt wie die (historisch etablierten) Konventionen, die mit den jeweiligen Medienangeboten einhergehen. Bei diesen Konventionen handelt es sich – ähnlich wie bei der von Kyora beschriebenen Subjektform ›Autor‹47 – um Codes und Regeln, denen Autor:innen beziehungsweise weitere Akteur:innen des literarischen Feldes (unbewusst) folgen. Dies lässt sich am Beispiel von Coverfotografien veranschaulichen: In der Regel werden Autor:innen mit dem Kopf- und Brustbereich abgelichtet, auch zeigen Fotos sie häufig mit Denkergeste.48 Inwiefern ein Foto diesen Konventionen folgt oder mit ihnen bricht, beeinflusst die Autorbilder und die Positionen von Autor:innen im literarischen Feld beziehungsweise in einzelnen Subfeldern.

3.4.1 Feuilletonbeiträge: Interviews, Rezensionen und Porträts Feuilletonbeiträge sind entweder über das Internet oder als Printversionen rezipierbar, wobei lediglich Beiträge auf einigen Internetseiten die Möglichkeit

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S.o. Kapitel 2.2.1. Vgl. Matthias Bickenbach: Autor/innen-Porträts: Vom Bildnis zum Image, in: Handbuch Literatur & Visuelle Kultur, hg. von Claudia Benthien und Brigitte Weingart, Berlin/Boston: de Gruyter, S. 478–499, hier S. 481.

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zur direkten Interaktion bieten und damit sogenannte ›Rückkanalfähigkeit‹ besitzen. Von wem die Beiträge ausgehen und wer zu Wort kommt, unterscheidet sich je nach Textsorte und Ort der Veröffentlichung. In Bezug auf das Interview bemerkt zum Beispiel Simone Fässler, es sei als »›Medium der Autorschaft‹« von Bedeutung, »indem es eine Plattform zur Selbstdarstellung bietet«49 . Allerdings sei der Spielraum für Selbstinszenierungen auch begrenzt, da »das Interview von der journalistisch agierenden Person, die durch ihre Fragen die Themen setzt und zuletzt das Gespräch redigiert«50 , gelenkt werde. Das Interview lässt sich zwar mit Fässler als »dialogische, performative Gattung« bezeichnen. »In den Printmedien hat es aber auch einen schriftlichen Anteil, der meist über die reine Transkription hinausgeht: Das Gesagte wird in der nachträglichen Bearbeitung präzisiert und auf seine Kohärenz hin geprüft.«51 Das in Interviews entstehende Autorbild ist demnach auch auf das Autorbild der Journalistin beziehungsweise des Journalisten zurückzuführen. Für Rezensionen und schriftliche Porträts gilt dies noch einmal verstärkt. Bei dieser Textsorte finden sich Selbstinszenierungen demnach nur als recycelte Schnipsel, während der Einfluss anderer Instanzen des literarischen Feldes zunimmt. So gibt etwa die jeweilige Zeitung oder Zeitschrift der journalistischen Tätigkeit einen gewissen Rahmen durch ihre Traditionen und Kulturen vor, die auch Auswirkungen darauf haben, welche Autor:innen überhaupt besprochen werden. Zu Texten von Markus Heitz findet sich beispielsweise kein Beitrag im Feuilleton der FAZ. Digital veröffentlichte Rezensionen und Interviews haben zum einen eine andere ›Haltbarkeit‹ und Verfügbarkeit als gedruckte, zum anderen sind im Internet aber auch viele Rezensionen sichtbar, die zuvor über Printmedien eher einen kleinen Kreis erreichten. Es besteht bei digitalen Medienangeboten die Möglichkeit, viele unterschiedliche Informationen in kurzer Zeit wahrzunehmen, kurz: zu surfen. Dadurch können auch Nutzer:innen auf Feuilletonbeiträge aufmerksam werden, die sich die Printausgabe einer spezifischen Zeitschrift oder Zeitung nicht kaufen würden. Auch die mögliche Auflösung 49

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Simone Fässler: Das Etikett ›Schweigen‹. Ilse Eichingers Interviews, in: Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview, hg. von Lucas Marco Gisi, Paderborn: Fink 2013, S. 179–191, hier S. 179. Ebd. Ebd. Für grundlegende und weiterführende Informationen und Überlegungen zu Interviews vgl. Michael Haller: Das Interview, 5., völlig überarb. Aufl., Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2013.

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traditioneller Sender-Empfänger-Strukturen ist ein Charakteristikum der ›Literaturkritik‹ im Internet. Dies ermöglicht, dass ›private‹ Leser:innen ebenso zu Wort kommen können wie renommierte Literaturkritiker:innen aus dem ›klassischen‹ Feuilleton. Zum einen finden sich daher zu digitalen Feuilletonbeiträgen Kommentare, anhand derer ebenfalls Autorbilder analysiert werden können. Zum anderen lässt sich eine »große Anzahl an Besprechungen von Trivialliteratur […], von Literatur, die im gedruckten Feuilleton oder in Büchersendungen in Radio oder Fernsehen selten zur Sprache kommt«52 , finden und analysieren. Bei der Betrachtung dieser unterschiedlichen Typen literaturkritischer Phänomene ist zu bedenken, dass diese aus unterschiedlichen Zusammenhängen stammen und auch unterschiedliche Ansprüche erfüllen. Manchmal sind daher bei Online-Rezensionen sogenannte »Milieu-clashs«53 zu erkennen, zum Beispiel auf amazon.de. Es kann dort einerseits beobachtet werden, wie spezifische Ansprüche an Kaufempfehlungen und Lektüreberichte herangetragen werden, deren Vorläufer nicht im klassischen Feuilleton, sondern eher im Lesekreis, im Schulreferat oder Leserbrief zu finden sind.54 Andererseits werden auch viele Rezensionen ›geliket‹, die vor allem emotionale Lektüreerfahrungen beinhalten, in denen die Rezension also wie ein Erlebnisbericht gestaltet ist. Es ist daher wesentlich, die einzelnen Kontexte literaturkritischer Äußerungen nicht miteinander zu verwechseln, sondern die Äußerungen über Literatur und Autorschaft mithilfe des Veröffentlichungsortes und des jeweiligen Urhebers, der jeweiligen Urheberin entsprechend einzuordnen. Bei Feuilletonbeiträgen handelt es sich in der Regel um Texte, die aus schriftlichen Zeichen bestehen. Zwar sind diesen oft Fotografien beigefügt, die einzelnen schriftlichen Aussagen müssen zunächst selbst jedoch nicht ›übersetzt‹ werden. Wirft man nun exemplarisch einen Blick auf die Veröffentlichung Das Goldene Garn von Cornelia Funke, finden sich deutschsprachige Feuilletonbeiträge in DerWesten, in der FAZ, im ZEITmagazin sowie bei Spiegel Online. Mit etwas mehr zeitlichem Abstand vor und nach der Veröffentlichung erscheinen zudem Artikel unter Literaturkritik.de sowie in den Kieler Nachrichten.

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Karin S. Wozonig: Literaturkritik im Medienwechsel, in: Literatur und Digitalisierung, hg. von Christine Grond-Rigler und Wolfgang Straub, Berlin/Boston: de Gruyter 2013, S. 43–68, hier S. 60. Vgl. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 10. Vgl. Wozonig: Literaturkritik im Medienwechsel, S. 52.

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Geht man nun zum Beispiel mithilfe der Analysekategorien von Reckwitz an diese Feuilletonbeiträge heran, lassen sich einige Aussagen finden, aus denen sich in der Gesamtschau ein spezifisches Autorbild ergibt. Auffällig ist zum Beispiel in Bezug auf das Deutungswissen, dass in mehreren Beiträgen auf ein spezifisches poetologisches Verständnis der Autorin rekurriert wird, bei dem die fiktiv-fantastische Welt der Werke mit der außertextuellen Wirklichkeit in Verbindung steht: »Wenn Funke spricht, zieht sie einen manchmal mit hinein, in diese Welt, in der oft die Magie in den Alltag kriecht.«55 Die Journalistin Maren Schürmann fragt explizit nach einer Verbindung zwischen dieser Poetologie und dem dritten Roman der Reckless-Serie Das goldene Garn (2015): »Du hast in unserem letzten Gespräch gesagt, dass fantastische Welten nur unsere Welten sind in einem anderen Kostüm. Gilt das auch für die Spiegelwelt?«56 Letztlich wird auch in den Kieler Nachrichten dieses Literaturverständnis aufgegriffen: Unsere Vorstellungskraft reicht nicht, um etwas anderes hervorzubringen als Echos der Realität unserer Welt. Man muss diese Wirklichkeit nur so komplex begreifen, wie sie tatsächlich ist. Zum Beispiel, dass der Holztisch, an dem wir sitzen, mal ein Baum war, dass alles um uns herumschwirrende Atome sind, dass wir gerade auf einem Planeten sitzen, der um die Sonne rast. Unsere Wirklichkeit ist so fantastisch, dass die fantastischste Geschichte ihr nicht gerecht wird.57 Aus der Häufigkeit, mit der auf das poetologische Verständnis Bezug genommen wird, lässt sich schlussfolgern, dass es sich um eine wesentliche Facette der Autorschaft Funkes handelt, die im Feuilleton besprochen wird. Da dieses poetologische Selbstverständnis auch in weiteren Medien zur Sprache kommt, lässt sich daraus ein Autorbild ableiten, das in Kapitel 4.3.6 »Die ›Pflanzenhexe‹ – Funke als Autorin von Phantastik« näher erläutert wird.

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Gesa Mayr: Cornelia Funke und Los Angeles. Echte Liebe, in: Spiegel Online vom 20.02.2015, https://www.spiegel.de/panorama/leute/cornelia-funke-die-spiegelwelt -autorin-ueber-los-angeles-und-hollywood-a-1019437.html, letzter Zugriff: 01.08. 2020. Maren Schürmann: »Wir alle denken zu sehr in Grenzen«, in: DerWesten vom 19.02.2015. Sabine Spatzek: Zwischen Wort und Strich, in: Kieler Nachrichten, Beitrag vom 13.10.2014.

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Diese Vorgehensweise lässt sich auf alle schriftlichen Zeichen – auf Aussagen aus Interviews, Rezensionen, aber auch auf Posts auf Twitter (Tweets) oder einzelne Kommentare bei YouTube – übertragen.

3.4.2 Fotografien Die für die Analyse ausgewählten Medienangebote haben nicht nur schriftlichen Charakter, sondern bestehen auch aus visuellen Elementen. Dass Bildnisse von Autor:innen entstehen und vertrieben werden, hat lange Tradition. Bildnisse von Autor:innen existieren spätestens seit der Antike, in Form von Büsten oder auf Münzen.58 Dabei geht es – zumindest bei den männlichen Vertretern – jedoch nicht vordergründig um das tatsächliche Aussehen der abgebildeten Personen, sondern um ihre Gelehrsamkeit oder einen spezifischen Wiedererkennungswert: So wurde »Homer als ›blinder Sänger‹, Sokrates als ›häßlich wie ein Faun‹ etc.«59 abgebildet. Seit der Etablierung von Porträts in der Renaissance werden Autor:innen immer ›realistischer‹ dargestellt. Seit etwa 1430 ist zudem eine kulturelle Entwicklung zu beobachten, bei der Bildnis und Werk immer öfter in Kombination veröffentlicht werden.60 Mit der Fotografie wird diese Kopplung nicht nur zu einer Tradition, sondern auch zum ›Verkaufshit‹.61 Bildnisse besitzen demnach ökonomische und kulturelle Funktionen. Zum einen haben sie verkaufsfördernde Wirkung, zum anderen können sie auf die Tätigkeit des Schreibens, auf Gelehrsamkeit, Tiefsinnigkeit oder Intellektualität u.v.m. verweisen. Insbesondere das (Foto-)Porträt bietet laut Matthias Bickenbach »Raum für […] detaillierte Einzelstudien zur Bildpolitik und Inszenierungspraxis einzelner Dichterinnen und Dichter.«62 Fotografien von Autor:innen lassen sich an vielen Orten finden: auf dem Buchcover, im Buch selbst, auf Autor:innen- und Verlagswebseiten, auf sozialen Netzwerkplattformen und in Feuilletonbeiträgen. Die Fotografien können dabei unterschiedlich stark vorbereitet und bearbeitet sein. So handelt es sich beispielsweise beim Coverfoto in der Regel um ein in einem Studio erstelltes und oftmals vom Verlag initiiertes Bild, womit oft traditionelle Autorbilder bedient werden (zum Beispiel schwarz-weißes Porträt oder Ausdruck von

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Vgl. Bickenbach: Autor/innen-Porträts, S. 482. Ebd. Ebd., S. 483. Ebd. Ebd., S. 497.

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Nachdenklichkeit durch die Mimik). Es gibt inzwischen stark typisierte Porträts von Autor:innen, die wie die Coverfotografie auf bereits etablierte Sehgewohnheiten treffen. »Die meisten Porträts bleiben konventionell«, bemerkt Bickenbach: Viele Autorinnen und Autoren wählen noch immer die Denkergeste oder zeigen sich vor ihrer Bücherwand als Symbol der Gelehrsamkeit. Heute ist vor allem der offene Blick in die Kamera und mithin zum Bildbetrachter ein probates Mittel, um Souveränität und Offenheit zu bekunden und den Leser so gleichsam einzuladen, das Buch aufzuschlagen. So stereotyp die Posen und so offenkundig die Bildpolitik – das Porträt wirkt dennoch als authentisches Zeugnis. […] Es dominieren traditionelle Formen, vor allem die detailreiche Nahsicht als Kopf- und Brustbild.63 Die in den letzten Jahren im Internet veröffentlichten Fotografien von Autor:innen scheinen diese Bildtypen64 zum Teil aufzugreifen und zu bedienen, andererseits werden diese Bilder auch gern konterkariert. Letzteres lässt sich insbesondere dann beobachten, wenn (fingierte) Schnappschüsse von Autor:innen zum Beispiel bei Facebook auftauchen.65 Zudem ist in Bezug auf Autorschaft und Urheberschaft zu bedenken, dass digitalisierte und digitale Fotografien weiterverarbeitet und auch zu Internet-Memes66 werden können. Bildnisse – im Folgenden vor allem Fotografien – erlauben insbesondere den Blick auf die körperliche Performance und damit auf einen wesentlichen von Reckwitz beschriebenen Aspekt von Subjektanalysen. Dazu lassen sich unter anderem die Kleidung, die Mimik und die Pose beobachten. Zudem zeigen 63 64

65 66

Ebd., S. 481. Für einen ›Bildtypus‹ werden wiederkehrende Motive in Bildern zu Typen zusammengefasst. Für weitere und grundlegendere Besprechungen des Begriffs ›Bildtypus‹ vgl. Erwin Panofsky: Ikonographie und Ikonologie. Bildinterpretation nach dem Dreistufenmodell, Kö ln: Dumont 2006 und Ilona Ammann/Benjamin Krä mer/Sven Engesser: Bildhafte Themen und kuriose Typen. Die Bedeutung der Fotos der Bild-Leserreporter, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 58 (2010), H. 1, S. 83–101. Vgl. dazu etwa Sporer: (Selbst-)Inszenierungen von Autorinnen und Autoren im Internet, S. 211–215. »Internet memes are a recent internet phenomenon in which users create and share images that have text superimposed on the image. Users know these images and texts and share them through a multitude of websites such as 4chan and Reddit. There are also websites that are exclusively dedicated to the creation and sharing of memes, such as Memebase and Memegenerator« (Chris Julien: Bourdieu, Social Capital and Online Interaction, in: Sociology 49 [2014], H. 2, S. 356–373, hier S. 362).

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Fotografien Umgebungen, in denen sich Autor:innen aufhalten beziehungsweise aufnehmen lassen. Nicht selten werden Autor:innen an Schreibtischen fotografiert, wodurch sich dieses Motiv zu einem etablierten und typisierten Genre von Autor:innen-Fotografien herausgebildet hat.67 Für die Subjektform ›Autor‹ typische Artefakte wie Stifte, Computer, Schreibtische etc., die auf die Tätigkeit des Schreibens verweisen, sind dabei mit den Autor:innen abgebildet.68 Die Fotografien tragen damit dazu bei, dass Autor:innen als solche überhaupt wahrgenommen werden. Außerdem werden damit tradierte Vorstellungen von Autorschaft bedient und variiert.69 Für die konkrete Untersuchung von Fotografien bietet es sich an, sowohl Figurenaspekte (z.B. Körperhaltung, Augen, Ausdruck, Kleidung) als auch technische und formale Modalitäten (Bildausschnitt, Kamerawinkel und Farbgestaltung etc.) zu betrachten. Zum Beispiel kann mithilfe der Analyse des Bildausschnitts der Körper- und Kopfanteil in einem Bild gemessen werden.70 Sucht man nun nach Fotografien zu der Autorin Cornelia Funke, wird man im Internet schnell fündig. In beinahe allen Medienangeboten rund um den Namen der Autorin sind Fotografien zu finden. Zeitlich nah an dem Veröffentlichungsdatum von Das Goldene Garn (2015) wurde zum Beispiel in Spiegel Online eine ganze Fotostrecke mit der Autorin veröffentlicht. Dort findet sich auch eine Fotografie von Funke, welche die Autorin am Schreibtisch in ihrem Gartenund Schreibhaus zeigt. Im Gegensatz zu anderen Fotografien der Bildstrecke wird hier Spiegel Online selbst als Urheber angegeben. Das Bild steht im Kontext eines Beitrags über Cornelia Funke und Los Angeles. Die Bildbeschreibung lautet: »In Funkes Garten steht ein Häuschen, darin ist ihr Büro, in dem es aussieht, als hätte jemand all ihre Romane genommen und den Inhalt hinein geschüttelt. Drachen, Bücher, Federn, Fotos, Bilder, Buddha-Statuen und ein Oger-Plastikarm.«71 67 68 69 70

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Vgl. Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 256. Vgl. dazu auch John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 364. Ebd. Analysen von Bildausschnitten können zum Beispiel deswegen relevant sein, weil die Ausschnitte die Wahrnehmung beeinflussen können. So konnte bereits in mehreren Studien festgestellt werden, dass die abgebildete Person von Betrachter:innen umso intelligenter wahrgenommen wird, je »gesichtsbetonter sie dargestellt« wird (Lobinger: Visuelle Kommunikationsforschung, S. 234). Zudem zeigen die Studien, dass die Darstellung von Frauen bisher im Schnitt körperbetonter ausfiel als die Darstellung von Männern (vgl. ebd.). Mayr: Cornelia Funke und Los Angeles.

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Abb. 1: Cornelia Funke am Schreibtisch ihres Schreibhauses in Kalifornien

© Der SPIEGEL, 20.02.2015

Diese Fotografie gilt es nun zu ›übersetzen‹ und hinsichtlich der Figurenelemente und technisch-formalen Aspekte zu befragen: Funke wird hier in einer für Autor:innen generell typisierten Umgebung gezeigt, in einem Arbeitszimmer beziehungsweise Arbeitsbereich und am Schreibtisch. Der Raum ist dabei voller Artefakte: Dazu zählen unter anderem die mit Büchern gefüllten Regale, die Notizbücher, Bastelarbeiten, kleine Skulpturen in Form von Drachen und ein rotes Telefon. Die schwarz gekleidete Akteurin schaut lächelnd auf ihre Zeichnungen und ihr Notizbuch, während sie in der einen Hand einen Stift hält und mit der anderen Hand nach dem in die Fotografie hineinragenden Oger-Arm greift. Der Fokus liegt, um einige Deutungen hier bereits vorwegzunehmen, auf dem Schaffensprozess. Der Körper der Autorin steht nicht im Vordergrund, sondern eher die Artefakte und die Umgebung werden durch die Vogelperspektive und den Bildausschnitt hervorgehoben. Die Fotografie zeigt Funke

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demnach in einem ›kreativen Chaos‹. Dies ist, verglichen mit anderen Schreibtischfotografien von Autor:innen, nicht als untypisch zu bezeichnen.72 Intermediale Bezüge lassen sich in vielfältiger Ausprägung erkennen: Zunächst besteht eine intramediale Verbindung zwischen der Bildbeschreibung und der Fotografie. Die Bildbeschreibung bietet eine spezifische Lesart der Fotografie und einen zusätzlichen transmedialen Bezug an: Funkes Romane werden als Referenzen und somit als Grundlage für die Interpretation der Fotografie genannt; so eröffnet sich die Deutung, Funke als phantastische Kinderund Jugendbuchautorin zu verstehen. Die Inszenierung der Autorin korreliert demnach mit den Genres, denen ihre Werke zugewiesen werden. Der OgerArm sowie die Zeichnungen lassen sich zudem als Verweis auf Spezifika der Funke’schen Autorschaft lesen. Der Arm wurde für die Produktion der sogenannten Spiegelwelt-App, einer App begleitend zur Reckless-Serie, hergestellt. Die Zeichnungen zeigen Funke auch als Illustratorin. In Bezug auf die körperliche Performance ist zudem das Lächeln hervorzuheben, ein für die Subjektform ›Autor‹ eher untypischer, jedoch für das Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur eher typischer Verhaltenscode.

3.4.3 Filme sowie Fernseh- und Videoaufnahmen Wie bei den Fotografien sind auch bei Analysen audiovisueller Medienangebote zunächst die einzelnen Formate und Genres zu berücksichtigen. Ob es sich um einen Dokumentarfilm oder um einen Fernsehauftritt handelt, spielt eine wesentliche Rolle; ob Autor:innen zum Beispiel eine Fernsehsendung mit hohen Einschaltquoten besuchen, ein Dokumentarfilm über sie gedreht wird oder eine Lesung mitgeschnitten und auf YouTube veröffentlicht wird, hat Auswirkungen auf die Erreichbarkeit und damit auf die Anzahl der Zuschauer:innen der jeweiligen Inszenierung. Zudem handelt es sich bei diesen Beispielen um jeweils spezifische Dreh- und Regiearbeiten, Settings etc., mit denen jeweils auch unterschiedliche Zielfunktionen verbunden sind. Allein für das Fernsehen unterscheidet John-Wenndorf sieben unterschiedliche Formate: das »Kritikergespräch«, »Studiogespräch zwischen Moderator und Autor«, die »umgebungsanimierte Buchreportage«, den »Magazin-Kurzfilm«, den »literarischen Szene-Clip«, die »Bücher-Show«

72

Vgl. dazu z.B. Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 259 zu einer Schreibtischfotografie mit Friederike Mayröcker.

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sowie die »Literaturdokumentation«.73 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf das ›Studiogespräch zwischen Moderator und Autor‹, auf Dokumentarfilme (inklusive ›umgebungsanimierter Buchreportagen‹) sowie Mittschnitte von Lesungen, da diese Formate und Genres im Untersuchungskorpus dieser Studie vorkommen. Allen gemeinsam ist ein weitgehender Verzicht auf Schriftliches; das Audiovisuelle steht hier im Vordergrund, was wiederum eine Reflexion über die Analysemethode erfordert.74 Jörg Döring ermittelt mit Rückgriff auf Hubert Winkels zwei Grundtypen von Autor:innen im Fernsehen: Der erste Typ stelle »das schriftstellerische Produkt […] einer Medienverbundstrategie« dar und sei »vollständig auf Talkshowkompatibilität«75 angelegt; der zweite Typ nehme eine »Pose der Devianz«76 ein, die er durch seine Haltung, Originalität und Unabhängigkeit vom Massenmedium Fernsehen inszeniere. Letztlich lassen sich diese Bilder mit Bourdieu’schen Gedanken und den unterschiedlichen Sektoren im literarischen Feld verknüpfen – dem »experimentellen und […] kommerziellen Sektor«77 . Relevant erscheint für Döring darüber hinaus, dass – und hier zitiert Döring wiederum Hubert Winkels – im Fernsehkontext alle Bereiche der Gesellschaft seriell geschaltet sind und von daher ein Dichter unbewußt viel stärker mit einem Politiker, einem Schauspieler oder einer fiktiven Figur verglichen wird als mit anderen Dichtern.78 So werden also an Autor:innen im Studiogespräch unterschiedliche Ansprüche herangetragen: Zum einen sind es Ansprüche, die auf traditionellen Modellen der Autorschaft79 beruhen und mit dem Fernsehformat zumindest zunächst nicht kompatibel erscheinen (die Abwendung vom Massenpublikum); 73 74 75

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John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 320. Ebd., S. 319. Jörg Döring: Der Autor im Fernsehen. Literatursoziologische Sequenzanalysen von zeitgenössischen TV-Formaten, in: literatur.com. Tendenzen im Literaturmarketing, hg. von Erhard Schütz und Thomas Wegmann, Berlin: Weidler 2002, S. 137–171, hier S. 140. Ebd. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 197. Hubert Winkels: Was das Fernsehen mit Autoren und Büchern macht, zit.n. Döring: Der Autor im Fernsehen, S. 139. Vgl. dazu Kapitel 2.1.1.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

zum anderen sind es Ansprüche, die sich aus dem Format selbst ergeben (das Publikum zu unterhalten, ein Star-Image zu kreieren).80 Für die Inszenierung von Autor:innen im Fernsehen führt John-Wenndorf in ihrer Dissertation an, dass ein »typisches Element […] die begleitende und beobachtende Kamera sowie das Interview als Teil der mündlichen Inszenierung«81 sei. Dies lässt sich für den Dokumentarfilm allerdings auch anführen. Denn in diesem ist der Dokumentarfilmer […] Zeuge von Handlungen, Ereignissen oder Phänomenen der Zeitgeschichte, die er mittels Film erschließt, verdeutlicht, analysiert oder rekonstruiert, wobei er als Autor z.B. im Interview je nach künstlerischem Konzept als Fragender, Gesprächspartner etc. an- oder abwesend sein kann.82 Die Form des Dokumentarfilms ist darauf ausgerichtet, ›Authentisches‹ zu zeigen. Es ist eine Form, die »ausdrücklich auf der Nichtfiktionalität des Vorfilmischen besteht.«83 Dass dieser Anspruch allerdings nie ganz eingelöst werden kann, ist das Paradox des Dokumentarfilms, wie Christian Huck bemerkt: Beim Dokumentarfilm ginge es darum, »Authentizitätserfahrungen in einem Medium möglich zu machen, das diese eigentlich verbietet«84 . 80

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Dass dieser Zwiespalt jedoch auch neue Inszenierungspraktiken hervorrufen kann, zeigen zum Beispiel die Fernsehauftritte von Alexa Hennig von Lange und Sibylle Berg in der Harald Schmidt Show. Beide Autorinnen spielen während ihrer Auftritte mit den paradoxen Erwartungen, sowohl als Autorin Seriosität auszustrahlen als auch das Publikum unterhalten zu wollen. So berichtet Alexa Hennig von Lange in der Sendung, »nichts unter ihrem Kleid zu tragen« und Sibylle Berg davon, dass sie »in der DDR nur gevögelt« hätte. Das Überschreiten von Sagbarkeitsgrenzen kommt dem Anspruch der Unterhaltung entgegen. Die Übertreibungen lassen sich zudem als Kritik an der Objektivierung von Frauen und als Verweis auf fehlende Traditionen von Autorinnen interpretieren. Vgl. zu den Auftritten Fischer: Posierende Poeten, S. 563; Ella M. Karnatz: »Ich kann ja gar kein Buch schreiben.« Schriftstellerische Inszenierungen in deutschen Late-Night-Shows, in: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora, Bielefeld: transcript 2014, S. 267–280 sowie Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 255. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 321. Ursula von Keitz/Hans Jürgen Wulff: Dokumentarfilm, in: Lexikon der Filmbegriffe, http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=127, letzter Zugriff: 01.03.2021. Ebd. Christian Huck: Authentizität im Dokumentarfilm. Das Prinzip des falschen Umkehrschlusses als Erzählstrategie zur Beglaubigung massenmedialen Wissens, in: Authen-

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Dokumentarfilme über Autor:innen sind laut Torsten Hoffmann und Doren Wohlleben, die den Sammelband Verfilmte Autorschaft herausgegeben haben, »Archive historischer Inszenierungspraktiken«,85 die allerdings auch Einfluss auf aktuelle Autorbilder ausüben können: Sie wirken »in den Literaturbetrieb zurück und prägen aktuelle Vorstellungen von Autorschaft – auf Seiten sowohl der Akteure als auch des Publikums.«86 Das Interessante bei der Analyse von Selbst- und Fremdinszenierungen von Autor:innen mithilfe von Dokumentarfilmen sei unter anderem, dass der »collagierende Regisseur, die collagierende Regisseurin [den Autor:innen, E.M.K.] übergeordnet ist. Selbstund Fremdinszenierung geraten dabei in ein produktives Spannungsverhältnis.«87 Wer ›zu Wort‹ kommt, ist daher nicht unbedingt so einfach zu bestimmen. Teil von Dokumentationen sind oft Interviews mit den Autor:innen sowie ›umgebungsanimierte Buchreportagen‹. Bei Buchreportagen wird das Interview »zuhause beim Autor oder an dessen bevorzugtem Aufenthaltsort«88 geführt. Die Orte von Lesungen sind dagegen wiederum festgelegt. Allerdings zeigen Aufnahmen davon lediglich spezifische Ausschnitte, so dass Mitschnitte von Lesungen nicht mit einer direkten Teilnahme zu vergleichen sind. Die Stimmung im Raum, Gerüche und die anderen Zuschauer:innen gehen beim Aufzeichnen verloren. Wie nun die Kamera die Lesung filmt, ob frontal auf die Bühne oder auch mit einzelnen Schwenks ins Publikum, hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Lesung. Dabei ist weiterhin entscheidend, wo die Mikrophone im Raum platziert sind, wie also die auditiven Elemente aufgenommen werden. Mitschnitte von Lesungen werden zudem oft nachbearbeitet, insbesondere Publikumsgeräusche werden herausgefiltert, die Veranstaltung soll so auf die eigentliche ›Lesung‹ reduziert werden. Ausschnitte aus Fernsehsendungen oder Mitschnitte von Lesungen können seit 2005 auf YouTube89 hochgeladen werden. Die Videos sind damit in eine hybride mediale Konstellation eingebettet und demnach auch noch lange

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tisches Erzählen. Produktion, Narration, Rezeption, hg. von Antonius Weixler, Berlin/ Boston: de Gruyter 2012, S. 239–264, hier S. 246. Hoffmann/Wohlleben: Verfilmte Autorschaft, S. 13. Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 321. Bei YouTube handelt es sich um eine sogenannte UCG-(User-Content-Generated-)Plattform, auf der seit 2005 Film- und Fernsehausschnitte, selbstgedrehte Clips, Musikvideos und Trailer veröffentlicht werden können. Im Gegensatz zum Fernsehen oder Do-

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

nach dem ersten (Ausstrahlungs-)Termin über das Internet zugänglich. Autor:innen und Verlage laden auf der Plattform Buchtrailer, Aufzeichnungen von Interviews und Lesungen hoch oder verwalten einen eigenen YouTubeChannel, auf dem regelmäßig unter einem spezifischen Titel audiovisuelle Inhalte zu den jeweiligen Autor:innen veröffentlicht werden. Durch Variationen und Weiterverarbeitungen, etwa durch Zusammenschnitte und Einbettungen einzelner Videos in andere Videos, werden die jeweiligen Inhalte innerhalb binärer Codes auch zu transmedialen Phänomenen. Zudem finden sich bei YouTube nicht nur im Studio produzierte Videos, sondern insbesondere auch (private) Aufnahmen von Lesungen und Interviews, die keine spezielle oder aufwendige Nachbearbeitung erfahren haben. Damit ist es möglich, Autor:innen (scheinbar) ohne aufwendige Inszenierungen zu sehen.90 Bei allen audiovisuellen Materialien ist zu bedenken, dass es sich hierbei um andere Modalitäten als bei Fotografien oder schriftlichen Äußerungen handelt, was Auswirkungen auf das methodische Vorgehen hat: Denn ohne Zweifel kann sich die Auslegung einer Sequenz laufender Bilder nicht darin erschöpfen, mehr oder weniger erprobte und bewährte Verfahren der Text- und Bildinterpretation und deren Methodologie auf die neue Datensorte ›Film‹ oder ›Video‹ bruchlos anzuwenden […]. Zu unklar ist nämlich, mit welcher Art von Daten man es überhaupt zu tun hat, wie man sie fixiert, wer als Autor in Frage kommt und was mit ›Sinn‹ oder ›Bedeutung‹ solcher Artefakte überhaupt bezeichnet wird.91 All diese Fragen zu beantworten und ein Video oder einen Film in seiner kompletten Komplexität zu erfassen, ist allerdings ein Anspruch, der nicht einzuhalten ist. Es geht vielmehr darum, den Gegenstand im Prozess einer notwendig subjektiven und transitorischen Wahrnehmung durch Selektion, methodisches Vorgehen, heuristische

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kumentarfilm besteht dabei die Möglichkeit, Videos zu teilen und zu kommentieren, wodurch YouTube auch einen interaktiven Charakter besitzt. Vgl. dazu auch die ursprünglich auf Stephan Porombka zurückgehende Unterscheidung von »Inszenierung von Inszenierung« und »Inszenierung von Authentizität« bei Katrin Blumenkamp: Typologie ›Als ob‹. Praktiken der Autorinszenierung um die Jahrtausendwende, in: Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte, hg. von Christoph Jürgensen und Gerhard Kaiser, Heidelberg: Winter 2011, S. 363–381 sowie Fischer: Posierende Poeten, S. 556–560. Reichertz/Englert: Einführung in die qualitative Videoanalyse, S. 7.

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Verfahren und Techniken der Aufzeichnung überhaupt erst als diesen Gegenstand heraus[zu]präparieren und anschließend [zu] fixieren, wobei die Methoden, Verfahren und Techniken nicht im strengen Sinne standardisierbar sind, oft situativ am singulären Werk modifiziert werden und sich immer am Horizont einer konkreten Frage ausrichten müssen.92 Für die vorliegende Studie bedeutet dies, Film-, Fernseh- und Videoaufnahmen nicht nur im Hinblick auf die Dimensionen des Medienangebots zu analysieren, sondern auch die von Reckwitz formulierten Analyseaspekte mit einzubeziehen, denn es stellt sich wiederum die Frage nach der Subjektform und ihren diskursiven Praktiken. Insbesondere der Artefaktgebrauch, d.h. das Wohnen und Arbeiten von Autor:innen, kann durch audiovisuelle Medienangebote nicht nur mithilfe schriftlicher Zeichen erzählt, sondern direkt gezeigt werden, wobei nicht vergessen werden sollte, dass es sich unter anderem aufgrund der gewählten Kameraperspektiven, der Schnitte und Tonbearbeitungen ebenso um Narrationen handelt wie bei der Verwendung schriftlicher Zeichen. Es sind daher bei der Analyse von Filmen und Videos – wie bei der Fotografie – medienspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Dies betrifft bei Filmen ästhetische sowie narrative Kategorien: Üblicherweise werden in ästhetisch-formaler Hinsicht Elemente (1) der Mise-en-scène, (2) der Mise-en-cadre und (3) der Mise-en-chaîne unterschieden […]. Zu (1) gehören die profilmischen Elemente (Set, Requisiten, Kostüme, Masken u.a.), Beleuchtung, Farbe; zu (2) bildkompositorische Größen wie Bildformat, Kadrierung, Kamerabewegung, zu (3) die verschiedenen Konjunktionen der Einstellungen (engl. shots, frz. plans) in den Systemen der Montage. Zu den narratologischen Kategorien gehören unter anderem die Elemente und Struktur der Handlung, Modus und Stimme der Erzählinstanz, die zeitliche Ordnung des Narrativs, Figurenzeichnung, Einsatz narrativer Schemata oder Gattungszugehörigkeit […].93 Hier lässt sich bereits erahnen, inwiefern die formal-technischen Aspekte Einfluss auf Autorbilder haben können. So führt Kyora zur Subjektform ›Autor‹ an, dass bei Film- und Videoaufnahmen eine ruhige Form der Bewegung dominiert,

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Kammerer: Qualitative Verfahren der Filmanalyse, S. 386. Ebd., S. 387.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

die sich auch im Umgang der Medien mit Autoren abbildet: Nicht nur die Fragen der Interviewer werden eher langsam gestellt, auch die Schnitte in Fernsehinterviews sind nicht schnell hintereinander, die Kameraperspektive bleibt meist längere Zeit bei der Nahaufnahme.94 Bei der Betrachtung der vielfältigen filmischen Mittel bleibt allerdings das »nicht zu hintergehende Problem der Festlegung letztlich kontingenter Einheiten der Analyse«95 . Hier hilft es, das große Ganze und insbesondere das eigene Erkenntnisinteresse nicht aus dem Blick zu verlieren.96 Rund um die Veröffentlichungen der Reckless-Serie von Cornelia Funke lassen sich einige Mitschnitte von Lesungen finden. Mithilfe der Heuristik und den ästhetisch-formalen sowie narrativen Aspekten sind diese nun zu analysieren. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich dafür zunächst nur auf einen Lesungsmitschnitt sowie auf die ›körperliche Performance‹. Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Lesungen, zu denen Funke ein von der bekannten Kostümbildnerin Jenny Beavan designtes Kleid trägt. Sie schneiderte etwa die Kostüme für Kinofilme wie The King’s Speech (2010) oder Mad Max (2015) und wurde dafür mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Die taz beschreibt Funkes Kleid zum Beispiel als »adäquat-beflügelte[s] Feenkostüm«97 . Der hier abgebildete Screenshot stammt aus dem Video, das das Getty Research Institute in Los Angeles vom Besuch Funkes am 06.04.2014 auf der Plattform YouTube veröffentlichte. Die Veröffentlichung auf YouTube ist relevant, weil dadurch ein großes internationales Publikum Zugriff auf das Video hat und zugleich die Möglichkeit der Kommentierung des Auftritts – also auch des Kleides – besteht.

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Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 57f. Tippfehler getilgt. Kammerer: Qualitative Verfahren der Filmanalyse, S. 390. Als Hilfestellung können Filmprotokolle angefertigt werden. Dabei ist es allerdings nicht sinnvoll, eine »protokollarische[] Totalerfassung sämtlicher Merkmale« anzustreben, sondern bereits das Protokoll auf das Erkenntnisinteresse hin anzulegen (ebd., S. 389). Benno Schirrmeister: Cornelia Funke auf Lesetour. Der goldene Schmarrn, in: taz.de vom 27.02.2015, https://taz.de/Cornelia-Funke-auf-Lesetour/!5018542/, letzter Zugriff: 01.01.2021.

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Abb. 2: Screenshot aus dem YouTube-Video »Cornelia Funke Storytelling and Book Signing, Reading by Cornelia Funke and Introduction by Thomas Gaehtgens, April 6, 2014, Getty Research Institute«

© J. Paul Getty Trust. Getty Research Institute, Los Angeles (2014.IA.06)

Das Kleid fällt aufgrund mehrerer Faktoren auf: Es wird durch das Miseen-scène, den niedrigen Beistelltisch, den roten Teppich sowie den thronähnlichen Stuhl hervorgehoben. Auch das Mise-en-chaîne und das Mise-en-cadre unterstützen die Hervorhebung des Kostüms. Die Zuschauer:innen werden nur zu Beginn kurz von hinten gezeigt, die Kamera ist ansonsten die gesamte Lesung über auf die Bühne gerichtet. Sie zoomt zwar manchmal näher an die Akteurin heran, verbleibt aber im selben Winkel. Es gibt auch keine harten Schnitte. Gleich zu Beginn der Lesung kommentiert Funke ihr Kostüm: I thought that I need to dress like I just step out of one of the paintings. I hope this is the success. Luckily I have a very good friend who is a very good costume designer. And each time I do a book she says: Cornelia, do you want me to do a new costume? So, this is one of them.98

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Getty Research Institute: Cornelia Funke Storytelling and Book Signing, 29.04.2014, 00:04:46-00:05:08, https://www.youtube.com/watch?v=4XltqNGSB_A&fbclid=IwAR 1yiK4pr9WlsUqbVId7buKsahvFXrg3lsmmUPT4LGcv3s0-izFl0lvkpQg, letzter Zugriff: 01.08.2020.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Funkes Mimik und Gestik zeichnen sich durch ruhige Bewegungen aus, zudem sieht man die Autorin lachen und lächeln. Die Kommunikation ist – wie zu erwarten – auf das Publikum gerichtet. Hier lassen sich bereits einige intermediale Bezüge herstellen. So kommentiert Funke ihr Kleid selbst und gibt somit Hinweise zur Lesart: Sie wolle aussehen, als wäre sie den Zeichnungen entstiegen, und stellt sich damit selbst als Kunstfigur dar. Aus einer anderen Lesung ist bekannt, dass das oben beschriebene Kostüm für den ersten Band der Reckless-Serie geschneidert wurde, wodurch das Kleid und der Text in einem transmedialen Verhältnis zueinander stehen.99 Die Kunstfigur Funke wird damit auch zur Figur aus einem ihrer fantastischen Bücher. Die Inszenierung bietet demnach an, Funke das Autorbild der »Pflanzenhexe«100 zuzuweisen.

3.4.4 Webseiten und soziale Medien Ein Feuilletonbeitrag lässt sich oft auch in gedruckter Form finden, Fotografien sind Teil von Buchumschlägen und Mitschnitte von Lesungen sind – wie der Mitschnitt der Getty-Lesung – bei den einzelnen Urheber:innen und Instituten zu erhalten. Dies sieht bei direkt für den digitalen Gebrauch produzierten Medienangeboten anders aus. Webseiten und soziale Medien müssen anders aufbereitet und gespeichert werden. Die Flüchtigkeit, der Collagecharakter sowie auch die Vielfalt dieser Medienangebote stellen zugleich Herausforderungen für die Analysen dar. Zudem weisen digitale Medienangebote spezifische Charakteristika auf: So sind zum Beispiel Fotografien in die Grafik der Webseite verlinkt oder Teil einer Animation. Wie nun digitale Medienangebote analysiert werden können und welche Möglichkeiten sie für Autor:innen bieten, wird nachfolgend anhand ausgewählter Medienangebote, die mit dem Namen Markus Heitz und wiederum mit Cornelia Funke verknüpft sind, skizziert.

3.4.4.1 Webseiten Autorenwebseiten sind in der Regel öffentlich zugänglich und über gängige Suchmaschinen mit dem Namen der Autor:innen auffindbar. Bei der Suche

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Vgl. erlesenTV: Cornelia Funke und Rainer Strecker – Reckless (Langfassung, Live im Hamburger Schauspielhaus 2010), 19.12.2014, 00:39:04-00:40:50, https://www.youtu be.com/watch?v=-R80M8GZRbM, letzter Zugriff: 01.08.2020. 100 Vgl. Kapitel 4.3.6.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

nach Medienangeboten zu dem Namen ›Markus Heitz‹ taucht prominent und über einen längeren Zeitraum die Webseite mahet.de auf. Bei näherer Betrachtung lässt sich feststellen, dass es sich um die Autorenwebseite von Markus Heitz handelt. Doch was ist eine ›Autorenwebseite‹ eigentlich? Welche medialen Charakteristika weisen Autorenwebseiten auf? Was eine Webseite für einen Autor oder eine Autorin leisten kann, führt bereits Luigi Ghezzi in seiner frühen Studie zu »Homepages von Schriftstellern« (2002) an. Er macht drei Hauptfunktionen aus, die seines Erachtens den Schwerpunkt bilden: Die Webseite fungiert 1) als Schaufenster, 2) als Behälter für Rezensionen, Artikel, Aufsätze und/oder 3) als Ort der Kommunikation zwischen Autor:in und Leser:in.101 Anke S. Biendarra ergänzt diese Ausführungen 2010 um folgende Aspekte: Kreative Selbstentfaltung, Steigerung der Erlebnisqualität (durch Animationen und visuelles Material), Etablierung und Stabilisierung eines Images sowie Zurückeroberung der Selbstbestimmtheit.102 In ihrer Studie äußert Biendarra die These, dass Veröffentlichungen im Internet in Deutschland noch in dem Verdacht stünden, »›Teil eines großen, zumeist von Dilettanten erzeugten Rauschens zu sein.‹ Das symbolische Kapital, das durch Netzaktivität entsteht, scheint im Bewusstsein dieser Autoren [deutschsprachiger E-Autoren, E.M.K.] gering zu sein.«103 Damit stehen ihre Überlegungen im Kontrast zu den Ausführungen Porombkas von 2005: Die Autoren selbst haben die Möglichkeit entdeckt, sich und ihr Werk im Netz zu präsentieren. Dabei gehen sie über die bloße Auflistung der Texte und Projekte hinaus und verwandeln die Homepage, das eigene Werk und die eigene Biographie selbst in ein fortlaufendes Erzählprojekt, das dem Leser einen Eindruck vom Selbstverständnis des jeweiligen Autors geben soll. Entsprechend dienen diese Homepages besonders bei etablierten Autoren nicht etwa dem Direktverkauf von Büchern, sondern der Etablierung und Stabilisierung des jeweiligen Images.104 Doch auch laut der Analysen von John-Wenndorf ist der deutschsprachige Autor zwar »online präsent, doch erfüllt seine Webpräsenz kaum mehr als die Funktion eines ›Schwarzen Brettes‹, das sich auf die notwendigsten und ak-

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Ghezzi: Homepages von Schriftstellern, S. 40. Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 266. Ebd., S. 275; vgl. auch Kapitel 1.1. Porombka: Internet, S. 150f.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

tuellsten Informationen beschränkt«105 . In Bezug auf die Stabilisierung von Images sind jedoch auch Porombkas Überlegungen zu berücksichtigen. Die Stabilisierung erfolgt jedoch nicht immer durch die kunstvolle Ausgestaltung der eigenen Webseite, sondern kann auch durch den reduzierten Internetauftritt von Autor:innen beziehungsweise deren beinahe vollständige Abwesenheit im Internet hervorgerufen werden. Bisherige Forschungen zu Autor:innen im Internet beziehen sich allerdings hauptsächlich auf besonders bekannte und im literarischen Feld bereits etablierte Autor:innen (bei John-Wenndorf sind es zum Beispiel Elfriede Jelinek oder Peter Handke). Die Betrachtung des Internetauftritts von Autor:innen spezifischer Genres und Zielgruppen außerhalb des Nobilitierungssektors oder der Avantgarde zeigt laut Biendarra dagegen ein differenzierteres Bild: Zum Beispiel für Unterhaltungs- und Jugendliteratur sei eine Internetpräsenz wichtiger.106 Es lässt sich demnach ein Zusammenhang zwischen der Art der Inszenierung auf Webseiten und spezifischen Genres und Subfeldern vermuten, in denen ein Autor beziehungsweise eine Autorin hauptsächlich veröffentlicht. Insbesondere daher ist es zum Beispiel relevant zu fragen, wie die Inszenierung von Markus Heitz auf seiner Webseite erfolgt, wird er doch grundsätzlich mit spezifischen Genres, mit der Phantastik/Fantasy, Horror sowie mit Science Fiction, assoziiert.107 Die vorgestellten Studien zu Webseiten beziehen sich allerdings hauptsächlich auf den Zeitraum vor 2010. Für die jüngere Zeit kommt zum Beispiel Elisabeth Sporer zu weiterführenden Ergebnissen. Sie beschreibt sechs Typen von ›Autorenhomepages‹: »Die Visitenkarte«, »Die Arbeit im Mittelpunkt«, »Die Performance im Mittelpunkt«, »Meinungen im Mittelpunkt«, »Das Marketing im Mittelpunkt« sowie »Der Autor bzw. die Autorin im Hintergrund«.108 Die Ausführungen Sporers lassen vermuten, dass für sie die Häufigkeit einzelner Medien mit ihren spezifischen Modalitäten für die Zuweisung zu einer der Kategorien maßgeblich war. So erläutert Sporer zum Beispiel, dass bei der

105 John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 301. 106 Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 268. 107 Mit folgenden keywords lässt sich zum Beispiel die Webseite mahet.de finden: »SF, Science Fiction, Fantasy, Phantasie, Romane, Bücher, Novellen, Markus Heitz, Markus, Heitz, Kurzgeschichten« (vgl. den Seitenquelltext von mahet.de). In der Wikipedia wird Markus Heitz als »deutscher Fantasy-, Horror- und Science-Fiction-Autor« vorgestellt (https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Heitz, letzter Zugriff: 12.12.2020). 108 Sporer: (Selbst-)Inszenierungen von Autorinnen und Autoren im Internet, S. 122–151.

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Kategorie ›Die Performance im Mittelpunkt‹ insbesondere Videos und Fotos auf der Webseite zu finden sind.109 Die bereits für schriftliche, visuelle und audiovisuelle Inhalte vorgestellten Vorgehensweisen gelten zunächst auch für die Analyse von Webseiten, da dort sowohl schriftliche Aussagen als auch Fotografien oder Videos zu einer Collage zusammengefügt werden. Für ihre Untersuchung »Autorschaft im Web 2.0«110 (2010) legt Anke S. Biendarra Untersuchungskriterien fest, die auf die spezifischen Charakteristika von Webseiten abzielen: »Interaktivität, Graphic/ Animation, die Integration von Material aus anderen Medien (i.e. intermediale Aspekte) und Hyperlinks«111 . Die von Biendarra gewählten Untersuchungsaspekte sind zum Teil im Fragenkatalog der vorliegenden Studie bereits enthalten (etwa die Interaktivität und Animation). Allerdings erfordert der Collagecharakter eine stärkere Berücksichtigung der intermedialen Verknüpfungen. Dabei stellen sich spezifisch die Fragen nach den Dominanzverhältnissen (Welche Medien überwiegen?), den Medienwechseln (Wechseln Medien ihre Medialität?), den Quantitäten und Qualitäten (Stehen spezifische Medien vermehrt in Verbindung zueinander? Welche Funktionen lassen sich den Collagen zusprechen?) sowie dem über die technische Struktur und grafische Gestaltung hergestellten Sinnzusammenhang. Nachfolgend wird die Webseite von Markus Heitz mahet.de etwas genauer betrachtet: Webseiten können von Autor:innen selbst, von engagierten Agenturen oder von den Verlagen betreut werden. Welche mediale Konstellation dabei wirklich auf die ›realen‹ Autor:innen zurückzuführen ist, ist teilweise nicht oder nur im Austausch mit den Betreiber:innen und Verantwortlichen nachvollziehbar. Als Verantwortlichen für die Webseite mahet.de nennt das Impressum Markus Heitz sowie mit c/o die AVA, eine internationale Autoren- und Verlagsagentur. Autorenwebseiten sind hauptsächlich der one-to-many-Kommunikation zuzuordnen. Durch Kommentarfunktionen gibt es jedoch die Möglichkeit für Besucher:innen, eine Notiz oder ein Statement zu hinterlassen, wodurch die one-to-many-Kommunikation erweitert werden kann. Die Struktur der Seite

109 Ebd., S. 134. 110 Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 261f. 111 Ebd., S. 266.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

mahet.de112 bietet grundlegend die Möglichkeit, weitere Fotografien, Grafiken zu integrieren oder Interaktionen zu ermöglichen, was in diesem Fall jedoch nicht genutzt wird. Bei Heitz lassen sich neben der Fotografie auf der Homepage keine weiteren Fotografien finden. Alle anderen Grafiken und Bilder sind Buchcover beziehungsweise Abbildungen, die mit einzelnen Projekten im Zusammenhang stehen. Eine Webseite ist ein Medienangebot, das insbesondere die visuellen und möglicherweise auch auditiven Sinne anspricht. Dabei sind Webseiten mithilfe von Links aufgebaut beziehungsweise damit bestückt.113 Es können grundsätzlich Fotos im Vordergrund stehen, Texte oder auch der Austausch mit den Leser:innen. Die Webseite von Markus Heitz wirkt auf den ersten Blick wie ein ›Schwarzes Brett‹ beziehungsweise eine ›Visitenkarte‹. Betrachtet man mahet.de mit allen Unterseiten allerdings genauer, zeigt sich, dass die Seite mehr enthält als ›nur‹ Informationen und Ankündigungen. Es finden sich zum Beispiel eine Kurzbiographie mit autofiktionalen Zügen, ein ebenfalls autofiktionales Tourtagebuch (eine fiktionalisierte Beschreibung einer Lesetour) sowie poetologische Aussagen und Schreibtipps. Der Unterpunkt »Projekte« nimmt den größten Raum ein. Allein quantitativ überwiegen dort die literarischen Texte in Form von Leseproben, gefolgt von Erläuterungen und Zusatzmaterial. Insbesondere die Erläuterungen sind eine Besonderheit der Seite, geht Heitz hier doch auf seine Schreibmotivationen, seine Recherchen und die Themen und Motive ein, die in seinen Texten aufgegriffen werden. Aufgrund der ansonsten komplett schwarz-weiß gestalteten Webseite fallen zudem die bunten Cover verstärkt auf. Mit Sporer lässt sich die Seite daher hauptsächlich in die Kategorie ›Die Arbeit im Mittelpunkt‹ einordnen. Es finden sich allerdings auch Marketing-Elemente und Aussagen zu Heitz als Autor.

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Die Aussagen beziehen sich auf die Webseite www.mahet.de, wie sie bis zu Beginn des Jahres 2021 gestaltet war (https://web.archive.org/web/20180321012846/http://mahet.de/, letzter Zugriff 24.10.2022). Zur Analyse von Links sind die Differenzierungen ›interner‹ und ›externer‹ Link sowie ›Deeplink‹ zielführend. Interne Links verweisen auf andere Seiten innerhalb der Webseite, externe auf Webseiten anderer. Deeplinks führen dabei zu einer tieferen Ebene einer anderen Webseite. Letztere Form wird beispielsweise genutzt, um direkt von einer Buchvorstellung zum Buchverkauf bei Amazon zu verlinken (vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 299).

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Abb. 3: Webseite von Markus Heitz, Screenshot vom 20.03.2018

© Markus Heitz/Martin Höhne (Foto)

Sucht man nun bei mahet.de nach Hinweisen zu einzelnen Reckwitz’schen Kategorien wie zum Beispiel der körperlichen Performance, lassen sich unterschiedliche Elemente ausfindig machen: Sowohl mithilfe der eingefügten Fotografie als auch mithilfe einzelner Aussagen aus schriftlichen Texten, die sich zum Beispiel unter dem Reiter »ich« und »Sonstiges« finden lassen, können einzelne Inhalte zur körperlichen Performance extrahiert werden. Die auf der Webseite integrierte Fotografie entspricht in einigen wenigen Aspekten den ›traditionellen‹ Abbildungen von Autor:innen, fällt jedoch vor allem durch Besonderheiten auf: Der Ausschnitt der schwarz-weißen Fotografie ist eine Nahsicht, die auch den Brustbereich umfasst. Die Blickrichtung ist eine der auffälligsten Abweichungen von den unter anderem von Bickenbach als typisch beschriebenen Autor:innenporträts; der Blick geht hier nicht in die Kamera, sondern nach links, so dass das Gesicht von der Seite sichtbar ist. Neben der Fotografie finden sich auf der Webseite unter dem Reiter »ich« weitere Hinweise auf die körperliche Performance: Das Olivgrün tauschte ich danach gegen Schwarz, die Kaserne gegen die Universität des Saarlandes. Los ging’s! ›Lehramt am Gymnasium‹ hieß das Ziel, das bald in ›Magister Artium‹ umbenannt wurde. Warum? Ich fand es schicker, mich hinterher ›Meister‹ nennen zu dürfen. Ein ›Meister der Kunst‹. Lehrer sind unterbezahlt und bekommen zu wenig Anerkennung.

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Das ist bei Journalisten und Schriftsteller [sic!] nicht anders, wie ich inzwischen feststellte. Die Berufsberatung hat gelogen. Und dann wurde ich trotzdem Journalist UND Schriftsteller. Einfach so. Ohne nachzudenken. Gelegentlich merkt man das. Heute bin ich nur noch Schriftsteller und mache noch andere Dinge. Mal schauen, wo es endet …114 Dieses Zitat beinhaltet mehrere Informationen, die für Untersuchung und Beschreibung der Genese des Autors sowie für sein Selbstverständnis relevant sind. In Bezug auf die körperliche Performance hebt der Text analog zu der Fotografie die besondere Farbwahl hervor: das »Schwarz«. Es wird in dieser Kurzbiographie mit einem neuen Lebenskapitel verknüpft und als neue ›Uniform‹ herausgestellt. Ein weiterer Diskurspartikel, der einen Bezug zur körperlichen Performance des Autors aufweist, lässt sich in dem Text »Tourtagebuch JUDASSOHN« finden. Dabei handelt es sich laut Untertitel um ein »rein-subjektives, satirisch-ironisches Tourtagebuch«.115 Am Ende des autofiktionalen Tourtagebuchs findet sich ein Kommentar, in dem die einzelnen Figuren beschrieben werden: DER SPRECHER …. und Markus Heitz als: Typ, der in Schwarz auf der Bühne sitzt oder steht, dabei die Sängerin sowie die Tänzerin bei ihren Aktivitäten behindert und ebenso aus dem Off hätte lesen können. Aber der Sessel war einfach zu cool – wenn auch f****** unbequem! So verweisen auf der Webseite drei verschiedene Diskurspartikel auf die spezifische Kleiderfarbwahl: ein Foto, ein Partikel aus einer Kurzbiographie und

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Https://www.mahet.de/, letzter Zugriff: 01.12.2020 bzw. https://web.archive.org/web/ 20180819233141/www.mahet.de/deutsch/person/ich/, letzter Zugriff: 24.10.2022. Das Tourtagebuch lässt sich am ehesten als Autofiktion klassifizieren, da eine Autorfigur inszeniert wird, die in vielfacher Hinsicht Ähnlichkeiten zum ›realen‹ Autor aufweist: »… und Satire darf alles! Dennoch sind alle Namen, Personen, Busse und Begebenheiten aus rechtlichen Gründen vollkommen frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Namen, Personen, Bussen und Begebenheiten sind aus rechtlichen Gründen rein zufällig und ungewollt. Ich auch, also, erfunden. So« (www.mahet.de/, letzter Zugriff: 01.12.2020 bzw. https://web.archive.org/web/20180819232300/www.mahet.de/d eutsch/projekte/horror/judassohn/judassohn-tour/, letzter Zugriff: 24.10.2022).

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

ein Partikel aus einem autofiktionalen Text. Sie stehen durch die Struktur der Webseite in ein und demselben Sinnzusammenhang. Alle drei transportieren den zunächst schlichten und einfachen Inhalt, dass das Autorsubjekt – unabhängig vom Grad der Fiktionalisierung der analysierten Diskurspartikel – Schwarz trägt. Vergleicht man dieses Analyseergebnis mit den Merkmalen der Subjektform ›Autor‹, die Kyora beschreibt, lässt sich Markus Heitz als SzeneAutor einordnen.116

3.4.4.2 Weblogs und Microblogs am Beispiel von Twitter Bei Weblogs (kurz: der oder das Blog) handelt es sich ursprünglich um Linklisten, »die von Internet-Nutzern ausgetauscht wurden« und die »erst allmählich eine tagebuchähnliche Prägung« erhielten.117 Derzeit wird der Begriff für Webseiten verwendet, auf denen in kurzen zeitlichen Abständen Beiträge oder Bilder gepostet werden. Diese Beiträge können entweder privaten oder journalistischen Charakter besitzen.118 Es lassen sich sowohl Merkmale von Webseiten als auch von Diskussionsforen finden, denn Nutzer:innen haben oft die Möglichkeit, auf die eingespeisten Inhalte mithilfe von Kommentarfunktionen zu reagieren.119 Blogs sind auch häufig bei spezifischen Medienangeboten eingefügt, so zum Beispiel bei nachrichtenjournalistischen Seiten wie FAZ.net oder dem Wissenschaftsportal Scienceblogs. Die Gesamtheit aller Blogs wird auch als »Blogosphäre« bezeichnet, die aber in viele lose miteinander verbundene Teilbereiche zerfällt, in denen Gemeinsamkeiten in Themenwahl und Darstellungsformen sowie wechselseitigen Bezugnahmen existieren.120 116 117

Vgl. dazu Kapitel 4.2.1. Paulsen: Von Amazon bis Weblog, S. 260f. Vgl. in Bezug auf Autorenblogs auch: Jürgensen: Ins Netz gegangen, S. 405–422; Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets. 118 Ein prominentes Beispiel ist das Autorenblog des 2013 verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf, in dem der Autor über den Umgang mit seiner tödlichen Krankheit berichtet (www.wolfgang-herrndorf.de/, Zugriff: 02.06.2015). Nach seinem Tod wurde das Blog als Buch veröffentlicht. Auf Weblogs lassen sich damit auch (fingierte) private, autobiographische oder autofiktionale Inhalte finden. Die Frage, wie Blogs fassbar gemacht werden können, ob sie neue Textsorten produzieren oder gar selbst als Gattung verstanden werden können, wird damit virulent (vgl. dazu Fassio: Das Literarische Weblog). 119 Taddicken/Schmidt: Entwicklung und Verbreitung sozialer Medien, S. 11. 120 Ebd.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Vom Zugang her sind Autorenblogs ähnlich strukturiert wie Autorenwebseiten, handelt es sich doch um eine Unterkategorie von Webseiten. Das heißt, dass sie in der Regel öffentlich zugänglich und über den Autor:innennamen und gängige Suchmaschinen auffindbar sind. Anders als bei Autorenwebseiten werden Autorenblogs jedoch stärker bestimmten Verfasser:innen zugewiesen, die regelmäßig das jeweilige Blog mit neuen Beiträgen bestücken.121 Darüber hinaus können auf Blogs mithilfe von RSS-Feeds Inhalte sehr schnell und einfach eingestellt werden, da viele technische Strukturen bereits vorgegeben sind. Auch die Verbreitung lässt sich mit Programmen wie WordPress leicht bewerkstelligen, da Inhalte automatisch verlinkt und damit verteilt werden. Laut Kerstin Paulsen geben Blogs Autor:innen vor allem die Chance, den eigenen Arbeitsprozess fortlaufend zu reflektieren, diesen in »unterschiedlichen Phasen [ihrem] Publikum vorzustellen und gegebenenfalls privat oder öffentlich gemachte Rückmeldungen der Leser zu erhalten.«122 Inwieweit Autor:innenblogs tatsächlich die Möglichkeit zur Interaktion bieten und demnach ›rückkanalfähig‹ sind, hängt jedoch stark von den Betreiber:innen eines Blogs ab. So gibt es Trilcke zufolge »zahlreiche Blogs, die massenmedial agieren und bei denen die sozial-vernetzte Einbettung wenn überhaupt, nur eine beiläufige Rolle spielt«.123 Neben Weblogs existieren Microblogs, bei denen der Umfang einzelner Beiträge auf eine bestimmte Zeichenanzahl festgelegt ist. Bei dem seit 2007 existierenden und inzwischen sehr populären Microblog Twitter sind beispielsweise zunächst 140 und seit 2017 nunmehr 280 Zeichen die Maximalzahl für einen Beitrag. Microblogging-Dienste wie Twitter werden zwar als ›Blogs‹ bezeichnet, lassen sich inzwischen jedoch als eigene »Gattung des Personal Publishing«124 verstehen. Es gibt Ähnlichkeiten zu Netzwerkplattformen: Als Tweets bezeichnete kurze Beiträge einzelner Nutzer:innen können von anderen Nutzer:innen (Follower:innen) abonniert und auch kommentiert werden. Es gibt keinen zentralen Schauplatz, den alle Nutzer:innen überblicken. Die jeweiligen Kontakte sind demnach entscheidend für die erhaltenen Informationen. Wie auch bei sozialen Netzwerken können bei Microblogs wie Twitter Profilseiten erstellt werden. Hier lassen sich Informationen verschiedenster

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Paulsen: Von Amazon bis Weblog, S. 261. Ebd., S. 262. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 16. Taddicken/Schmidt: Entwicklung und Verbreitung sozialer Medien, S. 12.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Art einspeisen: Lebensmotti, Hobbys, politische Statements und literarische Texte.125 Auch Fotografien können hochgeladen werden. Zur Suche werden bei Twitter sogenannte Hashtags (z.B. #Schriftsteller) verwendet. Sie machen es möglich, zu spezifischen Nachrichten zu recherchieren und Informationen zu bündeln. So lassen sich auch Informationen zu und von Autor:innen (#CorneliaFunke) oder Diskussionen über Literatur und Literaturpreise (#tddl) schnell ausfindig machen. Beiträge rund um einen Autornamen lassen sich bei Twitter demnach mithilfe eines Hashtags sehr leicht nachvollziehen.126 Hauptsächliche Funktionen von Twitter sind der Kontakt mit anderen Nutzer:innen sowie das Verweisen auf andere Internetseiten.127 Der Kontakt zu anderen Nutzer:innen kann zum Beispiel durch Antworten auf Tweets oder auch über das sogenannte Folgen verlaufen. Die Anzahl von Follower:innen stellt zudem eine neue Größe innerhalb des literarischen Feldes dar, mithilfe derer Aufmerksamkeit erzeugt werden kann. Insbesondere mit Verlinkungen können Autor:innen und Verlage zudem auf ihre Webseiten oder auf Inhalte in sozialen Netzwerken aufmerksam machen: »Diese Crossover-Effekte von einem Netz in das andere potenzieren die Reichweite von Nachrichten«128 , schreibt Hettler in seiner Studie zu Social Media Marketing. Diese Form des Marketings können Autor:innen also nutzen, um auch auf ihre Webseiten, Facebook- und/oder Instagram-Seiten zu verweisen. Twitter bietet eine API an, eine Schnittstelle, mit der Daten abgefragt oder erstellt werden können.129 Darüber konnten zum Beispiel 578 Posts (sogenannte Tweets) rund um die Veröffentlichung Das Goldene Garn von Cornelia Funke ausfindig gemacht werden, die ausgehend von dem Account @corneliafunke 125

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Eine Sammlung von Überlegungen von Autor:innen zu Twitter wurde von Stephan Porombka herausgegeben: Über 140 Zeichen. Autoren geben Einblick in ihre TwitterWerkstatt, Berlin: Frohmann 2014; vgl. zur Lyrik auf Twitter darüber hinaus www.twitter-lyrik.de, letzter Zugriff: 02.09.2020. Allerdings ist zu bedenken, dass Moderator:innen die Inhalte von Microblogs löschen können. So kann es sein, dass zunächst einsehbare Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr verfügbar sind, vgl. dazu Schirmer/Sander/Wenninger: Herausforderungen und Potenziale von Online-Medien, S. 20. Ebd. Uwe Hettler: Social Media Marketing: Marketing mit Blogs, Sozialen Netzwerken und weiteren Anwendungen des Web 2.0, Berlin/München/Boston: de Gruyter 2010, S. 192. Bei der Erstellung und dem Umgang mit Twitter-Daten müssen rechtliche Bestimmungen beachtet werden, vgl. Fabian Pfaffenberger: Twitter als Basis wissenschaftlicher Studien. Eine Bewertung gängiger Erhebungs- und Analysemethoden, Wiesbaden: Springer 2016, S. 117f.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

veröffentlicht wurden. Von den 578 Posts sind 71 als ›unabhängige‹ Beiträge und 507 als ›abhängige‹130 Beiträge zu bezeichnen. Die ›unabhängigen‹ Beiträge sind zum größten Teil mit einer Abbildung (einem Foto oder einer Zeichnung) verknüpft. Die folgenden Beispiele zeigen Partikel von der Twitter-Seite von Cornelia Funke mit Fokus auf dem Aspekt der körperlichen Performance (und der Affektstrukturen). Auf den Tweet eines Fans, sie sei die beste Autorin, die es jemals gegeben habe, antwortet sie: »i for sure am not!:)))) but thank you nevertheless? Blushing tomato red:) CF«.131 Die Antwort beschreibt emotionale und körperliche Reaktionen, zudem reagiert die Autorin auf Komplimente bescheiden und freundlich (mit Dank und Emoticons): «:))) very happy smile from LA!:) CF«.132 Grundsätzlich antwortet Funke auf die meisten Kommentare, was ebenso wie die durch Emoticons und Beschreibungen von Affekten wie Lächeln und Erröten Emotionalität zeigt, dass der Austausch mit den Nutzer:innen bei dieser Plattform im Vordergrund steht. Funkes Twitter-Auftritt ist damit auf eine authentische Wirkung ausgerichtet. Die Nutzung von Emoticons und den Initialen unterstreicht diese Wirkrichtung. Zudem gibt das Profilbild Aufschluss über die körperliche Performance: Die Fotografie zeigt eine Cafészene in der Halbtotalen. Funke wird von der Seite, schreibend und in ihre Arbeit versunken abgelichtet. Es gibt keinen Blickkontakt zur Kamera. Um sie herum sind weitere Tische und Personen zu erahnen. Sie trägt einen langen roten Rock und eine hellrote Strickjacke. Das Gesicht Funkes ist nur sehr klein und von der Seite zu sehen. Der Blick ist auf ein Notizheft vor der Autorin auf einem Tisch gerichtet. Erste Deutungen lassen sich hier vorwegnehmen: Das Schreiben, die Profession der Autorin, wird hier auch durch die körperliche Performance in den Vordergrund gerückt. Der Ort zeigt zudem, dass das Schreiben nicht örtlich gebunden ist, die Autorin demnach überall ihrer Tätigkeit nachgehen kann. Mit der Titelabbildung, die einen Ausschnitt des Reckless-Bandes zeigt, wird impliziert, woran die Autorin gerade schreibt beziehungsweise in dem Moment der Aufnahme geschrieben hat.

130 Der Begriff ›unabhängig‹ ist nicht als wertender Begriff zu verstehen. Er zeigt lediglich an, dass ein Beitrag keine Reaktion ist. ›Abhängige‹ Posts sind demnach all die Posts, die als Reaktion auf einen anderen Post verstanden werden und deren Thema folglich i.d.R. durch den vorherigen Beitrag bestimmt ist. 131 Tweet vom 03.02.2015, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 24.10.2022. 132 Tweet vom 18.03.2015, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Abb. 4: Profilseite von @corneliafunke auf Twitter, Screenshot vom 13.10.2019

© Cornelia Funke

3.4.4.3 Soziale Netzwerkplattformen am Beispiel von Facebook Bei sozialen Netzwerkplattformen handelt es sich insgesamt um im Internet organisierte Communitys133 , die digital vernetzt sind und digital miteinander kommunizieren. Die Art der Kommunikation zählt zur sogenannten manyto-many-Kommunikation. Soziale Netzwerke sind im Gegensatz zu Autorenwebseiten und -blogs als Halböffentlichkeiten zu bezeichnen, da zum einen die Seiten anderer nur nach Anmeldung und der Erstellung eines eigenen Accounts sichtbar sind und zum anderen durch die Vernetzung mit einer ganz bestimmten Gruppe (»Freunden« oder »Follower:innen«) mehrere kleine (Freundes-)Netzwerke entstehen. Das bedeutet für die Kommunikation über Literatur und über Autor:innen, dass diese jeweils abhängig von einzelnen

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Der Community-Begriff steht unspezifisch für mehr oder weniger umfangreiche Gruppen von Akteuren, die miteinander digital vernetzt sind: »community as a concept with fuzzy boundaries«; Constance Elise Porter unterscheidet z.B. »A) member-initiated communities und organization-sponsored communities« und »B) social relationships, professional relationships; relationships between individual members, relationships between individual members and the sponsoring organization« (Constance Elise Porter: A Typology of Virtual Communities, in: Journal of Computer-Mediated Communication 10 [2004], H. 1, zit.n. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 11, Herv.i.Orig.).

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

Mikronetzwerken ist. Dies gilt jedoch nicht für die Fan-Seiten und die öffentlich gemachten ›privaten‹ Webseiten.134 Bei den öffentlich zugänglichen Seiten finden sich solche, die sich explizit mit Literatur beschäftigen und beispielsweise von Verlagen, Literaturhäusern oder Literaturzeitschriften betrieben werden, und Seiten, die eher privater Natur sind, jedoch auch zum Austausch über Literatur und Autor:innen verwendet werden. Einige der für diese Studie ausgewählten Autor:innen haben Accounts bei Facebook und Instagram. Dies sind daher auch die für diese Studie relevanten sozialen Netzwerke. Bei Instagram135 handelt es sich um ein Netzwerk mit dem Schwerpunkt Fotografie, bei Facebook lassen sich zudem viele weitere Medien finden (längere Texte, Videos etc.). Die Architektur der medialen Konstellation Facebook ist so gestaltet, dass auf der Profilseite ein kommentierbarer Microblog geführt werden kann. Dazu gibt es […] eine Eintragsleiste, in die laufend notiert und mit Photos und Filmen angereichert werden kann, was man gerade macht, was man gerade gefunden hat, was man gerade denkt, an was man gerade arbeitet, welche Fragen sich gerade stellen.136 Diese Posts werden nun auf der persönlichen Startseite mit denen der ›Freunde‹ kombiniert und nacheinander angezeigt. Porombka bezeichnet die Vielfalt der Posts als »Live-Sammelsurium von allem Möglichen«137 . Alle Posts können mit einem »Gefällt mir«-Button ›geliket‹ oder kommentiert werden. Über die Möglichkeit, einen Kommentar zu hinterlassen, entscheidet der jeweilige Administrator oder die jeweilige Administratorin. Darüber hinaus können Inhalte mit der »Teilen«-Funktion auf die eigene (Profil-)Seite und damit an das eigene Mikronetzwerk weitergeleitet werden. Die Kommunikation sei auf Facebook laut Porombka so gestaltet, dass nicht nachhaltig informiert werde, sondern kurzzeitig stimuliert.138 Es werde dabei erwartet, dass in regelmäßigen Abständen Informationen eingegeben und

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Elisabeth Sporer: Der Autor auf Facebook. Inszenierung im Sozialen Netzwerk, in: Subjektform Autor. Autorschaftsinszenierungen als Praktiken der Subjektivierung, hg. von Sabine Kyora, Bielefeld: transcript 2014, S. 281–306, hier S. 288. Seit 2020 lassen sich auch mit Instagram Videos anschauen, drehen und hochladen. Das soziale Netzwerk hat damit einige Funktionen von TikTok übernommen. Porombka: Weg von der Substanz, S. 296. Ebd., S. 298. Ebd., S. 297.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

erhalten werden. Handelnde Akteurinnen und Akteure können somit als Sender:innen und Empfänger:innen gelten. Das Hauptaugenmerk liegt bei Facebook darauf, mit (realen) Freunden und Bekannten im Kontakt zu bleiben.139 Die Kommunikation ist dabei aber auch immer von Aspekten der Selbstinszenierung gekennzeichnet.140 Neben dem ›privaten‹ und selbstinszenatorischen Gebrauch wird Facebook vor allem auch als Marketing-Instrument verwendet. Zu beachten ist bei Facebook, dass das Ranking der Posts auf der Startseite – das ist die Seite, auf der unter anderem die neuesten Posts der ›Freunde‹ aufgeführt sind – von vielen Faktoren abhängig ist. Am wichtigsten sind dabei (je nach Entwicklungsstand der Seite) zum Beispiel die Faktoren ›Re-Bumping‹, ›Last Actor‹ und ›Chronological Order‹. Welches Sortierverfahren tatsächlich angewandt wird, ist allerdings nicht öffentlich und damit für Nutzer:innen nicht vollständig nachvollziehbar. Die Mikronetzwerke und die Anzeigemodi haben allerdings einige Auswirkungen auf die Beobachtbarkeit für Forschende: Die Art und Weise, wie in einem Facebook-basierten Netzwerk kommuniziert wird, sowie die Inhalte, die dort produziert und distribuiert werden, sind so stets bedingt durch das Wechselspiel aus habitusbedingter Profilierung und sozialer Einbettung. Für die sekundäre literarische Kommunikation auf Facebook bedeutet das auch: Wie sie erfolgt und ob sie überhaupt erfolgt, lässt sich nur in Hinblick auf jeweils konkrete soziale Netzwerke beantworten.141 Damit bedingt die Architektur sozialer Netzwerke, dass auf »zahlreiche Netzphänomene […] zunächst nur eine durch unseren Habitus, durch unsere Surfund Netzwerkgewohnheiten konstitutiv begrenzte Perspektive« möglich ist.142 Das bedeutet auch, dass halböffentliche Kommunikation über Literatur und Autorschaft, die nun im Internet geführt wird, nur im begrenzten Rahmen in den Blick geraten kann. In der Konsequenz greift die vorliegende Studie für die Analyse nur auf öffentliche Seiten zu. Eine erste Typologie zu verschiedenen Ausprägungen von Autorinszenierungen bei Facebook findet sich in der Studie von Elisabeth Sporer, die auch

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Vgl. dazu etwa Bernadette Kneidinger: Facebook und Co. Eine soziologische Analyse von Interaktionsformen in Online Social Networks, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. 140 Vgl. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 10. 141 Ebd., S. 14. 142 Ebd., S. 15.

III. Methodisches Vorgehen und Quellenkontexte

für Webseiten eine Typologie vorschlägt.143 Sie unterscheidet sechs verschiedene Typen von Autor:innen-Profilen. Die Zuordnung zu einem Typus erfolgt anhand häufig auftauchender Inhalte und Medien: - der Autor bzw. die Autorin im Hintergrund - der Text im Mittelpunkt - das Privatleben im Mittelpunkt - die Performance im Mittelpunkt - das Marketing im Mittelpunkt - Meinungen im Mittelpunkt144 Die Typologie ergänzt das Instrumentarium zur Analyse einzelner Diskurspartikel von sozialen Netzwerkplattformen, die mithilfe Reckwitz’scher Kategorien ausgewählt und letztlich zu einem Autorbild zusammengefasst werden.

143 S.o. Kapitel 3.4.4.1. 144 Sporer: (Selbst-)Inszenierungen von Autorinnen und Autoren im Internet, S. 204–222.

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IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Mithilfe der vorgestellten Methode konnten Autorbilder aus den Medienangeboten, die mit einem der ausgewählten Autornamen verknüpft sind und zeitlich rund um eine Buchveröffentlichung liegen, extrahiert werden. Diese Autorbilder werden nun im Einzelnen vorgestellt und darauf geprüft, inwiefern sie auf eine – gegebenenfalls im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts veränderte – Position der jeweiligen Autorin beziehungsweise des jeweiligen Autors im literarischen Feld der Gegenwart verweisen.

4.1 Beispielanalyse I: Sibylle Berg Bevor Sibylle Berg (*1962) als Autorin bekannt wurde, jobbte sie zunächst in verschiedenen Berufen und machte sich zum Beispiel als Journalistin einen Namen.1 Der Eintritt ins literarische Feld war für die Autorin augenscheinlich nicht einfach. Ihr Erstling wurde – den eigenen Angaben zufolge – erst nach über 50 Absagen 1997 im Reclam-Verlag Leipzig publiziert.2 Unter anderem aufgrund der Aufmachung des Debüts wurde Berg zunächst dem Litera-

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Petra Günther: Sibylle Berg, in: Munzinger Online/KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, https://www.munzinger.de/search/klg/Sibylle+Berg/695.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. Vgl. Böller und Brot (Wiltrud Baier/Sigrun Köhler): Wer hat Angst vor Sibylle Berg, DE 2016, 00:11:10 – 00:11:30.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

turmarkt-Etikett ›literarisches Fräuleinwunder‹3 sowie dem Bereich der Popliteratur zugewiesen. Die Popliteratur ordnet Tommek im literarischen Feld der Gegenwart dem flexibel-ökonomisierten Mittelbereich zu, dem eine »Spannung zwischen ›Authentizität‹ und ›Inszenierung‹«4 inhärent sei. Beide Parameter stellen Existenz- und Präsenzformen unter medial-ökonomischen Bedingungen dar, wobei sich »Authentizität« als eine präsentisch auratisierte, d.h. verschleierte Ausblendung, und »Inszenierung« als reflexive Spiegelung der medialen und ökonomischen Vermittlungsformen verstehen lässt. In dieses Spannungsfeld zwischen einer Ausblendung der Bedingungen durch Hyperpräsenz (das ›Authentische‹) einerseits und ihrer reflexiven Spiegelung (die ›Inszenierung‹) andererseits werden sämtliche Phänomene der zumeist von der Literaturkritik ins Leben gerufenen Gruppierungen (»Generation Golf«, die neuen »Popliteraten«, »das Fräuleinwunder« etc.) oder ›Kultautoren‹ (wie z.B. Christian Kracht, Benjamin v. Stuckrad-Barre, Judith Hermann, Benjamin Lebert, Daniel Kehlmann, Charlotte Roche etc.) eingeordnet.5 Ein wesentliches Charakteristikum der neuen Popliteratur ist laut Tommek die »Technik der Ironie«6 , die zwischen dem ästhetischen und ökonomischen Pol oszilliere. Von Berg lassen sich demnach Inszenierungen erwarten, die sowohl in Richtung des autonomen als auch des ökonomischen Pols weisen. Praktiken der Subjektform ›Autor‹, die laut Kyora am autonomen Pol idealtypisch zu erwarten sind,7 sind zudem eher als Adaptionen oder ironische Brechungen zu denken.

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Vgl. Christina Ujma: Vom ›Fräuleinwunder‹ zur neuen Schriftstellerinnengeneration. Entwicklungen und Tendenzen bei Alexa Hennig von Lange, Judith Hermann, Sibylle Berg und Tanja Dückers, in: Zwischen Inszenierung und Botschaft. Zur Literatur deutschsprachiger Autorinnen ab Ende des 20. Jahrhunderts, hg. von Ilse Nagelschmidt, Lea Müller-Dannhausen und Sandy Feldbacher, Berlin: Frank & Timme 2006, S. 73–88, hier S. 76. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 253. Ebd., Herv.i.O. Ebd., S. 254, Herv.i.O. Vgl. Kyora: Praxeologische Perspektiven; Kyora: Überlegungen zur Subjektform; s.o. Kapitel 2.2.1.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Die Auswahl von Medienangeboten rund um den Namen der Autorin Sibylle Berg erfolgte mithilfe des Romans Vielen Dank für das Leben8 , der am 30. Juli 2012 in den Handel kam und für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. Der Roman handelt von einer intersexuellen Hauptfigur, die eine erschütternde Kindheit in der DDR verbringt, noch vor der Wende in die BRD übersiedelt, jedoch auch dort und auch in einem späteren postapokalyptischen Paris nur vereinzelt Gutes erlebt. Vielmehr reiht sich in der Erzählung eine schreckliche Erfahrung an die nächste. Der Roman ist für Rezipient:innen daher nicht immer leicht zu konsumieren, beinhaltet er doch – wie so viele Texte Bergs – Gewalt, Misshandlung, Vergewaltigung, Vernachlässigung, Diskriminierung und viele weitere menschliche Abgründe. Der Roman zeigt das Leben damit als einen »bitter-bösen und zugleich traurig-komischen NonStop-Horror-Trip der Sinne und Empfindungen«9 . Die völlig ambitionslose und altruistische Hauptfigur in Vielen Dank für das Leben verliert ihren Glauben an das Gute bei all dem jedoch nicht. Der Roman löste unterschiedliche und umfangreiche Reaktionen im Feuilleton aus. Im Kritischen Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur werden insgesamt zwanzig Rezensionen dazu gelistet.10 In Online-Portalen deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften finden sich zahlreiche Beiträge, die sich auch auf Sibylle Berg als Autorin beziehen und spezifische Autorbilder (mit-)prägen.11 Der Roman wurde in den Rezensionen viel gelobt und zum Beispiel in DIE WELT als »wichtig« bezeichnet, »[w]eil Sibylle Bergs Wut zu großen Teilen berechtigt« sei.12 Der Roman entfalte, so Sandra Kegel in der FAZ, durch den »monströsen Rundumschlag« eine »fast schon körperlich spürbare Wucht«.13 Der »Rundumschlag«, der aus dem »Untergang des Sozialismus«, dem »Untergang des Kapitalismus und ein bisschen Zukunft« besteht,

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Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben, München: Hanser 2012. Hecken/Kleiner/Menke: Popliteratur, S. 149. Günther: Sibylle Berg. Fünfzehn Beiträge mit Aussagen zur Autorschaft Bergs werden für die Analyse herangezogen. Fünf davon sind Interviews, bei den anderen handelt es sich um Rezensionen. Jan Küveler: Sonntags riecht’s nach Suizid, in: Die Welt, Beitrag vom 28.07.2012, https ://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article108402783/Sonntags-riecht-s-nach-Su izid.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. Sandra Kegel: Wir sind die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen, in: FAZ, Beitrag vom 02.08.2012, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/buecher-de r-woche/f-a-z-romane-der-woche-wir-sind-die-schmutzigen-die-haesslichen-und-di e-gemeinen-11842420.html, letzter Zugriff: 27.03.2021.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

wird von Wolfgang Höbel im Spiegel als »erstaunlich welthaltiges Vorhaben für eine Schriftstellerin« bezeichnet, »die als egozentrierte Exotin bekannt geworden ist«.14 Bei Höbel lassen sich bereits Wertungen erkennen, die sich nicht nur auf den Text, sondern auf die Autorin und ihre Position im literarischen Feld beziehen. Dasselbe Phänomen zeigt sich in vielen Rezensionen. Unzählige »[f]antasievolle Labels«15 wie »egozentrierte Exotin« wurden für die mediale Figur ›Berg‹ erfunden, es wurden »metaphorische Zuschreibungen in einem Ausmaß produziert«, so Ralph Müller in einer Untersuchung von Rezensionen zu Bergs Texten, »dass das Feuilleton selbst über seine Metaphern zu sprechen beginnt.«16 Die Labels sind vor allem Teil von Fremdinszenierungen. In Interviews sowie auf sozialen Netzwerkplattformen hingegen ist der Grad der Selbstinszenierung höher. Auch wenn bei diesen Inszenierungsplattformen nicht alle Aussagen und Bilder eindeutig der Autorin zuzuweisen sind, hat die Autorin dort größere Möglichkeiten, auf die Autorbilder einzuwirken. Der HanserVerlag veröffentlichte auf YouTube zum Beispiel ein mehrteiliges Interview, das Wolfgang Tischer von literaturcafe.de mit der Autorin führte.17 In dem Jahrzehnt von 2010 bis 2020 existieren zudem Twitter- und Facebook-Accounts, die mit dem Namen der Autorin verknüpft sind und von Sibylle Berg besonders intensiv genutzt werden.18 Seit 2018 ist auch ein Instagram-Account einsehbar. Sibylle Berg ist allerdings nicht nur für die ausgiebige Nutzung sozialer Netzwerkplattformen bekannt, sie gilt laut Matthias Schaffrick als die Autorin der Gegenwart mit der größten medialen Präsenz: Über ihre wöchentlich erscheinende SPIEGEL-ONLINE-Kolumne und ihre Fernsehauftritte und Beiträge etwa in der Talkshow Schulz und Böhmermann erreicht sie über ihre Literatur hinaus eine größere mediale Präsenz als

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Wolfgang Höbel: Sexlos wär die Welt gerettet, in: Spiegel Online, Beitrag vom 29.07.2021, https://www.spiegel.de/kultur/sexlos-waer-die-welt-gerettet-a-8c52f8720002-0001-0000-000087562029, letzter Zugriff: 27.03.2021. Daniel Schreiber: Mit dem Leben davongekommen, in: Cicero, Beitrag vom 01.08.2012. Ralph Müller: Hass- und Bußpredigerin. Was Literaturkritiken über Sibylle Berg verraten, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von Anett Krause und Arnd Beise, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 195–208, hier S. 204. Von den acht Teilen des Interviews wurde der erste Teil am 18.09.2012 und der letzte Teil am 30.10.2012 hochgeladen. Der Twitter-Account von Sibylle Berg existiert seit April 2009; bei Facebook wurde 2010 ein erster Beitrag ausgehend von der Autorinnen-Seite gepostet.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

so ziemlich alle anderen Autorinnnen und Autoren im deutschsprachigen Literaturbetrieb.19 Neben den Accounts auf sozialen Netzwerkplattformen, den Kolumnen und Fernsehauftritten existiert auch eine Webseite – https://sibylleberg.com/–, deren Design und Inhalte im Laufe des Jahrzehnts mehrfach verändert wurden. Letztlich bietet auch der Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg (2016) des Filmemacherinnen-Duos Böller und Brot eine Grundlage für die Analyse,20 da er unter anderem Aspekte der Selbst- und Fremdinszenierung Sibylle Bergs aufgreift und hinterfragt. Dabei ging es den Filmemacherinnen Wiltrud Baier und Sigrun Köhler darum, keine »klassischen Homestory-Szenen«21 zu produzieren, die »vermeintliche Nähe suggerier[en]«22 , sondern vielmehr, eine filmische Herangehensweise und Dramaturgie zu finden, eine Art freundliche Distanz, die Berg schützt, gleichzeitig aber dem klugen und feinsinnigen Zuschauer die Möglichkeit gibt, zwischen den Zeilen oder Bildern sehr viel über den Menschen und die Künstlerin Sibylle Berg erfahren und entdecken zu können.23 Es wurden zum Beispiel Gespräche mit der Autorin in den Film integriert, die während der Dreharbeiten entstanden sind und traditionell zum sogenannten Making-of gehören. Darüber hinaus sind Dialoge enthalten, in denen explizit über ›Authentizität‹ und ›Echtheit‹ gesprochen wird. Da der Roman Vielen Dank für das Leben im Jahr 2012 und damit zu Beginn des Jahrzehnts in den Handel kam, gilt es, auch einen Blick auf spätere Inszenierungen zu werfen. Bis 2020 erschienen mehr als zehn Theaterstücke und fünf Prosawerke, darunter der Roman GRM Brainfuck24 (2019), mit dem Sibylle Berg 2019 den Schweizer Buchpreis gewann. In dem Roman kämpfen vier Jugendliche in einem zukünftigen London gegen einen Überwachungsstaat, 19

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Matthias Schaffrick: »Fragen Sie Frau Sibylle«: Wozu Dichter in dürftiger Zeit? Zur Aushandlung des Politischen bei Sibylle Berg, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von Anett Krause und Arnd Beise, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 39–54, hier S. 53. Böller und Brot (Wiltrud Baier/Sigrun Köhler): Wer hat Angst vor Sibylle Berg, DE 2016. Wiltrud Baier/Sigrun Köhler (Böller und Brot): Wer hat Angst, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von Anett Krause und Arnd Beise, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 209–214, hier S. 210. Ebd. Ebd. Sibylle Berg: GRM Brainfuck, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2019.

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der zwar ein allgemeines Grundeinkommen einführt, dieses jedoch an spezifische Lebens- und Verhaltensregeln knüpft. Die Jugendlichen führen ein Leben außerhalb der Stadt und entziehen sich damit – wie auch die dort lebende Hacker-Szene – der allgemeinen Überwachung. In dem Roman spielt Musik eine wesentliche Rolle, was der Titel bereits anzeigt. GRM steht für Grime, eine Form der elektronischen Musik, die Anfang dieses Jahrtausends in Großbritannien entstand und unter anderem Elemente von Hip-Hop enthält. Mit GRM Brainfuck möchte Berg, so formuliert sie es gegenüber dem Deutschlandfunk, aktuelle Themen sichtbar machen, »die so unfassbar um uns wabern, wie Überwachung, Digitalisierung, vor der viele sich fürchten«25 . Das Interesse am aktuellen gesellschaftlichen und politischen Geschehen sowie eine nachdrückliche Gesellschaftskritik prägen alle Texte Sibylle Bergs.26 Inzwischen lassen sich erste Einteilungen der Berg’schen Texte finden: So unterscheidet Christian Dawidowski zwischen den Veröffentlichungen bis zum Jahr 2008, in dem Berg den Wolfgang-Koeppen-Preis erhielt, und den später erschienenen Texten.27 In der ersten Dekade werden die Texte Bergs in der Regel der Popliteratur und dem sogenannten ›Fräuleinwunder‹ zugewiesen.28 In den letzten Jahren steht das Moralische und Philosophische stärker im Fokus.29 Generell lässt sich festhalten, dass sich der Ton in Besprechungen der Berg’schen Texte verändert hat. »Bewertende Zuschreibungen im Hinblick auf Frau Berg«, so schreibt Ralph Müller,

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Ursula März: Eine Generalabrechnung mit der Gegenwart, in: Deutschlandfunk, Beitrag vom 15.04.2019, https://www.deutschlandfunkkultur.de/sibylle-berg-grm-brain fuck-eine-generalabrechnung-mit-der.1270.de.html?dram:article_id=446335, letzter Zugriff: 27.03.2021. Sibylle Berg veröffentlichte bisher u.a. Kolumnen, Erzählungen, Romane, Dramentexte, Hörspiele und -bücher sowie Twitter-, Facebook- und Instagram-Beiträge. Vgl. Marianna Raffele/Philipp Schlüter: Sibylle Berg – Auswahlbibliografie, in: Sibylle Berg, hg. von Stephanie Catani und Julia Schöll, München: edition text + kritik 2020, S. 91-101, hier S. 91–93. Vgl. Christian Dawidowski: Zwischen Pop und Postmoderne. Sibylle Bergs Stücke und Romane bis 2007, in: Sibylle Berg, hg. von Stephanie Catani und Julia Schöll München: edition text + kritik 2020, S. 20–30. Vgl. dazu etwa Ujma: Vom ›Fräuleinwunder‹ zur neuen Schriftstellerinnengeneration. Vgl. dazu die Artikel von Alexandra Pontzen und Matthias Schaffrick in dem Sammelband von Anett Krause/Arnd Beise (Hg.): Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017; Stephanie Catani/Julia Schöll: Sibylle Berg, München: edition text + kritik 2020.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

sind im Zeitverlauf zunehmend positiver oder wenigstens milder geworden. Zwar wird unverändert viel Kreativenergie in überraschende und zum Teil ungebührliche Metaphern und Formulierungen investiert, insgesamt sind aber die Aussagen respektvoller geworden. In dieser Hinsicht scheinen vor allem die Besprechungen der Theatertexte von Frau Berg eine zentrale Rolle zu spielen. Allerdings ist ebenso festzuhalten, dass Sibylle Berg mit dem Wechsel zum Hanser-Verlag sich in einem höheren literarischen Segment positioniert hat.30 Weiterhin zeigen insbesondere zwei literaturwissenschaftliche Sammelbände, dass innerhalb der Berg-Forschung im Laufe des Jahrzehnts (2010–2020) einiges passiert ist. Dass diese Sammelbände allerdings erst zwanzig Jahre nach dem Romandebut Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot 31 (1997) erscheinen, offenbart eine längere Zurückhaltung der Literaturwissenschaft gegenüber dem Berg-Werk, die Krause und Beise 2017 als »erstaunlich« bezeichnen und worüber sich auch Beiträger des Text + Kritik-Bands (2020) wundern.32 Eine mögliche Erklärung ist, dass Sibylle Berg zunächst als Kolumnistin und damit mehr als Journalistin denn als Autorin angesehen wurde, wodurch ihr über einen längeren Zeitraum die Fähigkeit, ›ernsthafte Literatur zu schreiben‹, abgesprochen wurde.33 Auch die häufige Nutzung sozialer Netzwerkplattformen stand im deutschsprachigen Raum über einen längeren Zeitraum im Verdacht, nicht dazu geeignet zu sein, symbolisches Kapital anhäufen zu können.34 Hier zeigt sich allerdings eine Veränderung, die grundsätzlich das literarische Feld der Gegenwart betrifft und an der Sibylle Berg mit ihrer medialen Präsenz, ihren Themen und ihren Auseinandersetzungen mit Fremdinszenierungen nicht unbeteiligt war. Sibylle Bergs Autorinszenierung ist gekennzeichnet durch die öffentliche Auseinandersetzung mit ›fantasievollen Labels‹ und Hasskommentaren sowie die Thematisierung von ›Authentizität‹ und ›Inszenierung‹. Die Themen, die

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Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 208. Sibylle Berg: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot, 3. Aufl., Leipzig: Reclam 1997. Anett Krause/Arnd Beise: Am Rand des Populären. Eine Positionsbestimmung, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von dens., Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 7–16, hier S. 11; vgl. auch Dawidowski: Zwischen Pop und Postmoderne, S. 20. Vgl. Hecken/Kleiner/Menke: Popliteratur, S. 156. Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 266.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

sie in Interviews und ausgehend von ihren Accounts am häufigsten anspricht, sind gesellschaftskritische und zeitdiagnostische. Zudem lässt sich eine Abkehr von traditionellen Modellen von Autorschaft beobachten, wodurch Berg eine bisher im literarischen Feld besetzte Position neu definieren und selbst einnehmen konnte. Neben der metareflexiven Praktik der Thematisierung von Inszenierung und den gesellschaftlichen, politischen und zeitgenössischen Themen gibt es ein weiteres Thema, das beinahe in jedem analysierten Medienangebot auffindbar ist: die Wahlheimat der Autorin, die Schweiz. 2012 erhielt Sibylle Berg die Schweizer Staatsbürgerschaft und bezeichnet sich zudem selbst als Schweizer Autorin.35

4.1.1 Die »Designerin des Schreckens« oder das »moralinsaure Monster« – Fremdzuschreibungen »Designerin des Schreckens«, »moralinsaures Monster«, »über Leichen latschende Schlampe«, »Höllenfürstin des Theaters«, »Hasspredigerin der Singlegesellschaft« und »Kassandra des Klamaukzeitalters«36 sind Bezeichnungen für die Autorin Sibylle Berg, die sich in Buch- und Theaterkritiken zu ihren Texten finden lassen und für ein Autorenporträt im Politmagazin Cicero zusammengetragen wurden. Die Liste der ›fantasievollen Labels‹ lässt sich auch nach dem Erscheinen dieses Porträts (August 2012) fortführen: »Lifestyle-Sarkastikerin«37 , »Kulturpessimistin«38 oder wie es der Tages-Anzeiger formulierte »wütende Schwarzseherin« und »dunkle Fee«39 . Auch auf Klappentexten finden sich Etikettierungen, die nicht selten auf einen vermeintlich ›bösen Blick‹ der Autorin verweisen.40 Zudem werde laut Müller »die äußere Erscheinung« der Autorin

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Vgl. Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 195. Schreiber: Mit dem Leben davongekommen. Christine Wahl: Lifestyle-Sarkasmus à la Sibylle Berg, in: Der Tagesspiegel, Beitrag vom 25.11.2013, https://www.tagesspiegel.de/kultur/premiere-am-maxim-gorkitheater-lifestyle-sarkasmus-a-la-sibylle-berg/9121318.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. Kegel: Wir sind die Schmutzigen. Corina Freudiger: Sibylle Berg. Die dunkle Fee, in: Tages-Anzeiger, Beitrag vom 18.10.2012. Vgl. Alexandra Pontzen: Sibylle Berg und die Moralistik im 21. Jahrhundert – Negative Anthropologie als literarisch-philosophisches Erzählprogramm, in: Sibylle Berg, hg. von Stephanie Catani und Julia Schöll, München: edition text + kritik 2020, S. 59–69, hier S. 60.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

im Kontrast zu Sibylle Bergs Aussagen und öffentliche[m] Auftreten dargestellt, und die wahrgenommene Mischung von Verletzlichkeit und Härte weckt Fantasien, bei denen der Autorin bisweilen rhetorisch sehr nahe getreten wird.41 Von dieser Form von Reaktion auf die Autorin berichten unter anderem auch die Filmemacherinnen Böller und Brot in einem Essay zu ihrem Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg geht: Berg sei »frappant häßlich«, weiß ein Filmkritiker des Katholischen Filmdienstes: eine erstaunlich profunde künstlerische Beurteilung; dann bezeichnet er den Film als: ›Die Banalität des Bösen, einmal anders‹. Gerne werden auch wir, die Filmemacherinnen, als ›Langweiler‹ bezeichnet, nicht fähig, eine interessante Frage zu stellen (Berliner Morgenpost): zum Beispiel nach Sibylle Bergs Sexleben (DIE WELT).42 (Abfällige) Bemerkungen über das Äußere der Autorin finden sich besonders in Kommentarspalten auf Online-Plattformen oder in ›Leserbriefen‹. Hier werden nicht nur Höflichkeitsregeln verletzt, Sibylle Berg wird auch beschimpft, erniedrigt und bedroht. Bereits in Gold (2000), einer Sammlung von Kolumnen, Geschichten und Beiträgen, ließ Sibylle Berg ›Leserbriefe‹ abdrucken, wobei ein Großteil davon nicht als positive Kritiken zu bezeichnen ist.43 Sie machte damit bereits früh in ihrer Karriere auf sie erreichende Hasskommentare aufmerksam, die sie auch im Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg thematisiert; ein Beispiel sei: »Ich bräuchte ’ne Bleikugel in die Augen«.44 Auf der Suche nach den Gründen für die (hassvollen) Kommentare und bemerkenswert vielen Zuschreibungen vermutet Biendarra einen Zusammenhang mit Bergs Themen: Schreibt Berg über Genderpolitik, spiegeln die Kommentare nicht selten eine Diffamierung feministischer Positionen, die mit »unfeminine women,

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Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 203. Baier/Köhler: Wer hat Angst, S. 213. Sibylle Berg: Gold, Hamburg: Hoffmann und Campe 2000. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:44:28-00:44:32.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

man-haters, and lesbian« assoziiert und in der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor gang und gäbe ist.45 Tatsächlich enthalten die meisten der für diese Studie ausgewählten Medienangebote von Sibylle Berg gesellschafts- und insbesondere sexismuskritische Inhalte,46 die offenbar vehemente, oft reflexhafte Reaktionen provozieren. Das Phänomen, dass sich viele Menschen scheinbar von Sibylle Berg in unterschiedlichem Maße provoziert fühlen, greift der Dokumentarfilm in seiner Eingangssequenz auf: Eine Stimme aus dem Off verliest eine Aufzählung einzelner Etikettierungen aus dem Feuilleton, das Bild ist dabei komplett schwarz. Anschließend bemerkt die Sprecherin: »Frau Berg, Sie provozieren die Leute irgendwie«47 . Eine Stimme, die sich der Autorin Sibylle Berg zuordnen lässt, unterbricht die Sprecherin: »Nee. Falsch. Falsch. Die Leute fühlen sich provoziert.«48 Mit diesen Worten wird Sibylle Berg auch auf dem Bildschirm sichtbar. Der Dokumentarfilm stellt damit indirekt die gleiche Frage wie Ralph Müller, die Frage nach dem Ursprung der Provokation und dem Ausmaß, in dem »Autorinnen und Autoren solche Zuordnungen als Teil medial vermittelter Autorbilder beeinflussen«49 . Es ist zu vermuten, dass nicht nur Bergs Themen provozieren, sondern Inhalte von Bergs Texten auf sie als Person übertragen werden. So kommt es zum Beispiel zu der Vorstellung, die ›reale‹ Autorin sei ›böse‹. Wenn der »Blick der Autorin als ›so melancholisch wie bösartig‹, als ›kalt‹, ›böse‹ oder ›schräg‹« bezeichnet werde, verschiebe »man wirkungsästhetische Effekte auf produktionspsychologische Voraussetzungen der Texte«.50 Letztlich handelt es sich demnach um die Verwechslung von Text- und Diskursebenen, auf die auch Thomas Hecken, Marcus S. Kleiner und André Menke in ihrer Einführung in die Popliteratur hinweisen. Ihnen zufolge ist Berg

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Anke S. Biendarra: Sibylle Berg als Feministin. Über die popkulturellen Strategien ihrer journalistischen Texte, in: Sibylle Berg, hg. von Stephanie Catani und Julia Schöll, München: edition text + kritik 2020, S. 51–56, hier S. 52. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 4.1.4. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:00:23-00:00:26; vgl. dazu auch Stephanie Catani: »Aber wenn ich schon in dieses seltsame Leben geh, will ich Applaus.« Mediale Mechanismen der Autorschaftsinszenierung bei Sibylle Berg, in: Sibylle Berg, hg. von ders. und Julia Schöll, München: edition text + kritik 2020, S. 82–90, hier S. 85. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:00:26-00:00:30. Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 195. Pontzen: Sibylle Berg und die Moralistik im 21. Jahrhundert, S. 60.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

keine Kulturpessimistin, Misanthropin oder Melancholikerin, weil sie dafür zumindest eine Perspektive auf ein richtiges Leben besitzen müsste, das als Kontrastfolie zu ihrem literarischen Destruktionsgestus dient. Diese Perspektive existiert nicht.51 Literaturwissenschaft und auch Feuilleton haben diese Verwechslung im Laufe des Jahrzehnts erkannt und darauf reagiert, so dass sich der Ton änderte und die persönlichen Bewertungen und Angriffe auf die Autorin in journalistischen und literaturkritischen Beiträgen zurückgingen. Sibylle Berg ist allerdings medial sehr präsent, wodurch der Eindruck entstanden ist, dass sie ein Medienprofi sei und jegliche Inszenierungen selbst steuere. Dass es allein durch ihre mediale Präsenz zu Verwechslungen kommt, darauf macht Sibylle Berg unter anderem in einem Interview aufmerksam: Was oft als Selbstinszenierung kolportiert wird, meint doch nur den Umstand, dass ich mich ankleide, das Haus verlasse, dass ich, wenn ich ein neues Theaterstück oder Buch fertiggeschrieben habe, versuche, es bekannt zu machen, die Menschen zu informieren in einer Überflut von Produkten, die keiner benötigt. Alles, was als Selbstinszenierung beschrieben wurde, ist eine Verwechslung. Eine scheinbare Verfügbarkeit meiner Person, die ich nicht einlöse, das frustriert.52 Dass allerdings die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdinszenierung und den Diskursebenen von Autorschaft nicht immer so leicht zu ziehen sind, thematisiert auch der Dokumentarfilm mit der Frage nach ›Authentizität‹.

4.1.2 Inszenierung und »Authentizität! […] Weiß auch gar nicht, was das meint« Im Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg machen Sibylle Berg und die Filmemacherinnen darauf aufmerksam, dass die Grenzen zwischen Figur und Person, zwischen Inszenierung und Nicht-Inszenierung verschwimmen. In einer Sequenz, die die Filmemacherinnen im filmbegleitenden Essay abdrucken, wird erkennbar, inwiefern die Themen weiterhin im Film aufgegriffen 51 52

Hecken/Kleiner/Menke: Popliteratur, S. 149, Herv.i.O. Verena Meyer: »Lasst Grass doch in Ruhe auf seiner Wiese sitzen«, in: Der Tagesspiegel, Beitrag vom 02. 09.2012, https://www.tagesspiegel.de/kultur/interview-mit-sibylleberg-lasst-grass-doch-in-ruhe-auf-seiner-wiese-sitzen-/7080474.html, letzter Zugriff: 27.03.2021.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

werden. Es handelt sich um eine Szene nach einem TV-Interview, in der die Dokumentarfilmerinnen weiterfilmen und der TV-Redakteur Sibylle Berg daher fragt, wie es denn eigentlich wäre, »dauernd gefilmt zu werden«: BERG. Tückisch. Tückisch. Weil man die vergisst … Man vergisst die Damen und macht entglittene Gesichtsausdrücke. (Berg macht einen entglittenen Gesichtsausdruck.) REDAKTEUR. Das ist ja der Begriff von Authentizität … (Redakteur stolpert über das Wort.) BERG. Kannst du’s auch nicht sagen? REDAKTEUR. Authentizität! BERG. Weiß auch gar nicht, was das meint, deshalb kann ich’s auch nicht sagen. REDAKTEUR. Angebliche Echtheit. BERG. Ja, das ist Quatsch, oder? REDAKTEUR. Ich denk heutzutage ist man immer irgendwie … Spielt eine Rolle … BERG. Ja, eigentlich so wie man’s Haus verlässt, oder? Musst dich ja ankleiden, erhalten, rüsten. (Zu den Filmemacherinnen: Mach das aus!)53 Wenn Sibylle Berg das Wort ›Authentizität‹ hinterfragt, verweist sie auf die Rollen, die jeder Mensch im Leben einnimmt.54 Auch die erste Handlung, die Berg im Film ausführt, lässt sich als Verweis auf dieses Thema lesen: Berg setzt eine medizinische Maske auf, die hier als die ›Maske‹ einer Schauspielerin verstanden werden kann. Der Film zeigt somit die Autorin tatsächlich aus einer ›freundlichen Distanz‹. Er erzählt sehr wenig über ihr alltägliches Leben, vielmehr geht es um spezifische Themen, zum Beispiel um das Filmporträt selbst und um die Rollen der Beteiligten, wie die zahlreichen Making-of-Szenen im Film zeigen. Im Dokumentarfilm generell gehe es übergeordnet immer um die folgenden Fragen: »Was ist echt? Was ist Wahrheit? Gibt es überhaupt Wahrheit und wenn ja, wo und wie könnte man sie filmisch festhalten?«55 Dass diese Fragen allerdings nicht eindeutig beantwortet werden, gehört zur Machart dieses Filmes.

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Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:52:11-00:53:03; Baier/Köhler: Wer hat Angst, S. 209f. Vgl. Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 8. Aufl., Mü nchen: Piper Verlag 2010. Baier/Köhler: Wer hat Angst, S. 209.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Zu diesem Ergebnis kommt auch Oliver Garofalo, der sich fragt, wer Sibylle Berg »neben der Autorfunktion« eigentlich ist: Auch der Dokumentarfilm ›Wer hat Angst vor Sibylle Berg‹ hilft wenig weiter. Zwar beweist dieser, dass die Frau auf den Porträtfotos in den Büchern und Zeitschriften, beziehungsweise auf den Selfies auf Facebook und Twitter sowie auf den teilweise inszenierten Fotos auf ihrer Homepage dieselbe ist, die in ›Wer hat Angst vor Sibylle Berg‹ die Hauptrolle der Sibylle Berg übernimmt, wodurch die Vermutung naheliegt, dass es sich hier tatsächlich um Sibylle Berg handelt und nicht um eine Schauspielerin, die seit der ersten Veröffentlichung der ›Sibylle Berg‹ als Sibylle Berg auftritt, und entsprechend der Mensch Sibylle Berg tatsächlich existiert, doch vermeidet (oder verweigert?) auch die Dokumentation über Sibylle Berg allzu viel authentisches Material. Andererseits verlangt der Film vielleicht auch eine Reflexion über den Authentizitätsbegriff.56 In ihrem Aufsatz zur Autorinszenierung Bergs weist Catani die Frage nach der ›echten‹ Sibylle Berg grundsätzlich zurück. Sie verbietet sich nicht allein aus literaturwissenschaftlicher Sicht, sondern auch mit Blick auf einen Literaturbetrieb, in dem die mediale Präsenz der Autorin und des Autors zur einflussreichen Marketingstrategie geworden ist. Den hinter dieser Strategie verborgenen Voyeurismus der Öffentlichkeit zu bedienen und gleichzeitig zu entlarven, ohne dabei selbst zur Exhibitionistin zu werden – das macht das Autorbild Sibylle Bergs aus.57 Dieses Autorbild entsteht letztlich durch die Praktik der »Thematisierung von Inszenierung«58 . Dabei geht es um das Einziehen einer Metaebene, auf der darüber verhandelt wird, was ›Authentizität‹ und ›Inszenierung‹ eigentlich meinen, ohne dass die Spannung zwischen ›Authentizität‹ und ›Inszenierung‹ jemals aufgelöst wird. Dass Sibylle Berg – wie Catani es nennt – um einflussreiche Marktstrategien weiß, zeigt zum Beispiel ihre inzwischen kritische Haltung gegenüber der Coverfotografie ihres Debütromans Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997). Auf dem Cover räkelt sich eine der Autorin ähnelnde Figur

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Olivier Garofalo: Vom Verschwinden des Subjekts, in: Sibylle Berg, hg. von Stephanie Catani und Julia Schöll, München: edition text + kritik 2020, S. 3–9, hier S. 4. Catani: Mediale Mechanismen, S. 89. Blumenkamp: Typologie des ›Als ob‹, S. 364f.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

lasziv mit Zigarette in der Hand auf einem Bett. Im Dokumentarfilm antwortet die Autorin auf die Frage, wie es zu dieser Fotografie gekommen sei, mit einem Verweis auf ihre Situation als Debütantin.59 In dieser Situation sei sie einfach nur froh gewesen, dass ihr Buch von einem Verlag genommen worden sei. Das Coverfoto sei ein Vorschlag des Verlegers gewesen, den sie nicht verurteilt, da es sein Job sei, »das Zeug zu verkaufen«.60 Heute würde sie solch eine Fotografie jedoch nicht mehr auf das Cover drucken lassen. Die aktuelle Gestaltung ihrer Webseite zeigt, dass Berg zum Ende des Jahrzehnts (2010–2020) eine andere Inszenierung verfolgt, als es ihr Verleger zu Beginn ihrer Karriere tat. Im Vordergrund stehen inzwischen ihre Veröffentlichungen und ›Performance(s)‹. Dies zeigt sich insbesondere an dem neuen Design der Webseite. War die Webseite 2010 noch aufgebaut wie ein »Zu Hause«61 mit unterschiedlichen Zimmern, die ›betreten‹ werden konnten, ist insbesondere die Homepage der Webseite 2020 zumindest oberflächlich minimalistisch gestaltet.

Abb. 5: Webseite von Sibylle Berg, Screenshot vom 05.12.2020

@ S. Berg

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Vgl. dazu auch Catani: Mediale Mechanismen, S. 87. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:46:26-00:46:29. Vgl. dazu auch Catani: Mediale Mechanismen, S. 88. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 309.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Die Homepage bietet die Möglichkeit, auf vier Wörter – Bücher, Theater, Shop, Info – zu klicken. Zudem kann mithilfe des Twitter- oder Instagram-Buttons auf diese Netzwerkplattformen gewechselt werden. Unter dem Reiter »Bücher« befinden sich alle Cover der Prosatexte Bergs. Klickt man darauf, erscheinen Kurzbeschreibungen der Texte. Zudem ist ein Bestellbutton eingefügt, der es ermöglicht, das Buch direkt über die Webseite zu erwerben. Der Reiter »Theater« hat eine ähnliche Struktur: Hier finden sich Fotografien der Inszenierungen, Kurzbeschreibungen der Dramentexte sowie Angaben zur Aufführung und dem jeweiligen Theater, das das Stück auf die Bühne brachte. Der Reiter »Shop« enthält Fotografien und Videos einzelner Merchandising-Produkte zu den Büchern Bergs. Hier gibt es die Möglichkeit, Tassen, Pullover, T-Shirts, Stoffbeutel und signierte Ausgaben zu bestellen. Bei den Videos und Fotografien lassen sich sowohl ökonomische als auch kunstästhetische Funktionen erkennen. Es gibt zwei Models beziehungsweise Schauspieler:innen, die mit ihrer körperlichen Performance binäre Geschlechtsstereotype durchbrechen. Sie treten in den Videos allein oder zu zweit auf, tragen unter anderem die T-Shirts oder Pullover mit dem Logo von GRM Brainfuck und werden von einer Stimme aus dem Off synchronisiert, die sich Sibylle Berg zuordnen lässt. Sie tanzen auf der Straße, besprühen Zimmerpflanzen oder kommentieren zum Beispiel eine Baustelle mit den Worten: »Ich habe hier ein Land bebaut, ich habe es Dänemark genannt.«62 Bei dem Wort »Dänemark« bricht die Stimme aus dem Off in Lachen aus, was auch von den Models beziehungsweise Schauspieler:innen mimisch übernommen wird. Hier lassen sich demnach Überlagerungen von Figuren erkennen, die zum einen Produkte bewerben, das Bewerben als solches jedoch auch inszenieren. Die Performances bieten so für Konsument:innen die Möglichkeit, tatsächlich zu konsumieren und gleichzeitig den Konsum zu kritisieren und zu hinterfragen. Dasselbe gilt für die Produktionsseite: Die Autorin zeigt sich damit als Händlerin und grenzt sich gleichzeitig davon ab. Hier werden demnach Produkte angepriesen, die es direkt auf der Webseite zu erwerben gibt, gleichzeitig werden traditionelle Marketingstrategien sowie Autorinszenierungen ironisch gebrochen. Die Webseite verweist mit der Form der Gestaltung somit sowohl in Richtung Ökonomie als auch in Richtung Autonomie und zeigt damit das, was Tommek für Sibylle Berg im flexibel-ökonomisierten Mittelbereich beschreibt.63 62 63

Https://konsum.sibylleberg.com/products, letzter Zugriff: 01.03.2021. Vgl. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 292.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Unter »info« findet sich auf der Webseite eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Autorin, eine Aufzählung der Literaturpreise, die Berg bisher erhalten hat, sowie eine Kurzbiographie: Sibylle Berg ist in Weimar geboren, lebte unter anderem bei einer Pflegefamilie in Konstanza, später auch in Israel, Deutschland und hat die schweizer Staatsbürgerschaft. Sie studierte in Hamburg, war im Judo, Kung Fu und im GST Tauchsport aktiv. Sibylle Berg zählt sich zur Straight Edge Bewegung und ist non-binär. Noch während ihres Studiums (u.a. Ozeanografie) begann Sibylle Berg zu schreiben, [sic!] und ist mit (aktueller Stand 2020[)]: 27 Theater Stücken, 15 Romanen, zahlreichen Anthologien und Hörspielen, [sic!] sowie Gesamtübersetzungen die [sic!] in 34 Sprachen zu einer der bekanntesten zeitgenössischen Dramatikerinnen/Autorinnen im deutschsprachigen Raum geworden.64 Die Angaben der Autorin gehen hier nicht weit über die Angaben auf Verlagswebseiten hinaus. Allerdings sind auf Verlagsseiten selten so viele Rechtschreibfehler zu finden. Die Kurzbiographie erinnert somit an die Art des Schreibens von Sibylle Berg bei Twitter und Facebook. Dort schreibt sie in der Regel alles klein, Leer- und Satzzeichen werden auch mal so in die Sätze gesetzt, wie es vom Duden nicht empfohlen wird. Die Inhalte der Tweets und Beiträge sind dabei oft ernsthafter Natur, wenn auch mit Humor und Ironie bestückt: »mit grossem :GERNE-stimmten die schweizerInnen dafür, ihrer regierung, welche auch immer das ist und werden mag, diese persöhnlichen informationen zu schenken.«65 Bei Twitter lassen sich hauptsächlich derlei Tweets finden, bei Facebook lädt Berg zudem regelmäßig Fotografien hoch. 64

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Https://sibylleberg.com/info, letzter Zugriff: 01.03.2021. Oliver Garofalo hinterfragt den Lebenslauf Sibylle Bergs mit folgenden Worten: »Ist die Lebensgeschichte einer Puppenspielerin, die die DDR verließ, an der Scuola Teatro Dimitri in der Schweiz unter Qualen einen Schauspielkurs belegte, um anschließend in verschiedenen Berufen zu jobben und schlussendlich eine erfolgreiche Autorin zu werden, schlichtweg zu gut, um wahr zu sein? Gut vorstellbar, dass hier ein Medienprofi namens Sibylle Berg einen real-fiktiven Lebenslauf in die Welt setzte. Dadurch wird sie vielleicht noch nicht unbedingt zu einer Kunstfigur, aber wer Sibylle Berg ›in Wirklichkeit‹, sprich: jenseits der medialen Inszenierungen ist, soll offenbar im Verborgenen bleiben« (Garofalo: Vom Verschwinden des Subjekts, S. 4.). Tweet vom 14.12.2017, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 14.03.2018.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Sibylle Berg nutzt seit geraumer Zeit Facebook sehr intensiv zur Präsentation der eigenen Person. Sie postet täglich mehrfach im Social Network. Gerne veröffentlicht sie etwa Fotos als kleine Einblicke in ihr Leben, das durch Bergs Performance auf den Bildern häufig skurril anmutet. So zeigt sie etwa eine neue Reisetasche, in der sie selbst zusammengerollt liegt, präsentiert sich mit einer übertrieben erscheinenden Verneigungspose am »schönste[n] Ort in Weimar« oder deutet in einem Hotel einen ›Souvenir‹-Diebstahl an.66 Doch wenngleich Berg auf diesen Fotografien zu sehen ist, bieten sich auch andere Lesarten als die von Sporer an. In der Tat veröffentlicht Berg vielfach Beiträge. Dass sie sich dabei auch ›als Person‹ präsentiert, kann allerdings hinterfragt werden. So steckt in dem von Sporer angeführten Beispiel der Weimar-Fotografie auch ein Kommentar. Denn es ist Weimar, der Ort, der eng mit den Genieästheten Goethe und Schiller verbunden ist, vor denen sich Berg ›übertrieben‹ verbeugt. Zudem ist der Ort, der tatsächlich auf dem Foto gezeigt wird, ein Naturweg. Die Fotografie lässt sich somit insbesondere als ironische Bemerkung zu einer kulturellen Praxis auffassen, die darin besteht, Weimar zu besuchen, um sich mit Goethe und Schiller zu befassen. Wenn man dieser Deutung folgt, dann steht nicht unbedingt Berg als ›Person‹ im Vordergrund, sondern ihr ironischer Kommentar. Zutreffend ist allerdings Sporers Zuordnung von Bergs Facebook-Auftritt zur Kategorie ›Die Performance im Mittelpunkt‹67 , denn es geht nicht um den »körperlich präsenten Erzeuger von Texten«, sondern um den Körper als Teil und ›Effekt performativer Praktiken‹.68 Auch bei Instagram ist die Autorin als Teil vielfältiger Performances zu sehen. Hier kommt – wie auch bei Facebook und Twitter – ein spezifischer Humor zum Vorschein. Insbesondere im Jahr 2020 persiflierte Sibylle Berg TikTok- oder Instagram-Clips, in denen in kürzester Zeit die Zubereitung von Speisen erklärt und gezeigt wurde. Berg arbeitet in ihren Videos allerdings ausschließlich mit verdorrten, verschimmelten und verwelkten Zutaten.69 Auch hier adaptiert sie eine gesellschaftliche Praxis, um sie ironisch zu brechen. Die Inszenierungspraktik ist dabei als typische Praktik von Pop zu klassifizieren, wobei für Popautor:innen entscheidend ist, »jede Form von ›Authentizität‹ jenseits medialer Inszenierung« abzulehnen; Biendarra zufolge sei ›Pop‹ stattdessen 66 67 68 69

Sporer: (Selbst-)Inszenierung von Autorinnen und Autoren im Internet, S. 211. Ebd., S. 210–215. Künzel/Schönert: Einleitung, S. 10f. Https://www.instagram.com/sibylle_berg/?hl=de, letzter Zugriff: 05.03.2021.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

gerade aufgrund seiner beständigen Abwehr von Definitionen nur als Strategie, Pose und Einstellung zu verstehen. Der performative Akt der Selbststilisierung ist der Popliteratur also inhärent und lässt sich an Bergs medialer Inszenierung unschwer nachweisen.70 Es verwundert daher auch nicht, dass sich Sibylle Berg in Bezug auf ihre Werke nicht auf autobiographische Lesarten festlegen lässt, auch wenn sie diese zwischenzeitlich direkt anbietet. Gegenüber dem Spiegel, der Berg zu Vielen Dank für das Leben (2012) interviewte, führt Sibylle Berg an: »Toto, […] das bin natürlich auch ich.«71 Im Interview mit dem Tush Magazine stellt sie diesen Aspekt etwas verändert dar, ihre Aussage enthält aber dennoch den Verweis auf das Einschreiben in die eigenen Texte: »Totos Lebensweg ist sicher eine Mischung aus dem idealen Menschen, meinen Freunden und mir.«72 Mit diesen Aussagen bietet Sibylle Berg zunächst eine populäre Lesart an: die Autobiographische, die auch direkt von der FAZ aufgegriffen wird. Der Beitrag zeigt Parallelen zwischen Toto und der Autorin auf: Beide sind in Ostdeutschland geboren und noch vor der Wende in den Westen übergesiedelt; beide haben als Clownsschülerin gearbeitet und unter einer alkoholkranken Mutter gelitten.73 Doch aus den Parallelen lässt sich nicht rekonstruieren, inwieweit Autobiographisches im Text verarbeitet ist, was auch nicht Ziel dieser Ausführungen sein soll. Im Podcast-Interview bringt Sibylle Berg ironisch zum Ausdruck, dass ihre Texte nicht sie selbst beinhalten, sondern als Fiktion zu verstehen seien.74 Damit zeigt sich ein unendliches autofiktionales Spiel, denn sowohl die ›reale Autorin‹ als auch die Figur im literarischen Text und im Epitext sind leserseitig als solche nicht klar konturiert. »Das Ziel ist zwar Abgleichung und Überblendung beider [Autor und Autorfigur, E.M.K.] zur Herstellung eines Bildes, doch gehört es zur Diskursformation der Autofiktion, dass dieses Ziel nicht erreicht wird.«75 Was allerdings erreicht wird, ist das Nachdenken darüber, wie es wä-

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Biendarra: Sibylle Berg als Feministin, S. 53. Höbel: Sexlos. Kaey Kiel: GegenGeschlecht, Sibylle Berg im Interview mit KAEY, in: Tush Magazine, Beitrag vom 12.03.2014. Vgl. Kegel: Wir sind die Schmutzigen. Vgl. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Sibylle Berg: Das Interview – Folge 5 – Laufen für die Literatur, https://www.youtube.com/watch?v=ntN6ljPn6JI&t=6s, 00:05:3700:05:58, letzter Zugriff: 24.10.2022. Pontzen: Autofiktion als intermediale Kommunikation, S. 297. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.3. in dieser Arbeit.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

re, wenn die Autorin und Toto viele Gemeinsamkeiten hätten. Damit würde auch das autofiktionale Spiel dazu einladen, sich mit den Inhalten des Werkes intensiver auseinanderzusetzen. Betrachtet man die Themen in Bergs Texten sowie die jeweiligen Inhalte der Performances auf sozialen Netzwerkplattformen detaillierter, so fällt auf, dass diese vor allem gesellschaftskritische Deutungen anbieten.

4.1.3 Die Gesellschafts- und Systemkritikerin ›Gesellschaftskritik‹ wird im Lexikon zur Soziologie als eine »allgemeine Bezeichnung für Kritik an der aktuellen Gesellschaft durch Vergleich« mit unter anderem »ethischen Festsetzungen« definiert. »In einem weiteren Sinne gehört zur G. auch die Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen (Sozialkritik), wie sie Teil jedes Protestes ist.«76 Die meisten der Aussagen beziehungsweise der geposteten Links auf den Twitter- und Facebook-Seiten Sibylle Bergs enthalten einen gesellschaftskritischen Aspekt im Sinne der oben aufgeführten Definition. Auch in anderen Medienangeboten nehmen gesellschaftskritische Aspekte einen großen Raum ein, weswegen dieses Thema ein spezifisches Autorbild von der Autorin prägt. Die Kritik Bergs bezieht sich dabei insbesondere auf Sexismus, Heterosexismus, Xenophobie und soziale Ungerechtigkeit, wobei die meisten der gesellschaftskritischen Aussagen rund um die Veröffentlichung Vielen Dank für das Leben als sexismus-kritisch77 interpretiert wurden. Es findet sich Sexismus-Kritik, die mit den Themen und Forderungen der Neuen Frauenbewegung78 in einer Traditionslinie steht. Berg beanstandet zum Beispiel eine Ungerechtigkeit in Bezug auf die Bezahlung von Frauen:

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Otthein Rammstedt: Gesellschaftskritik, in: Lexikon zur Soziologie, hg. von Daniela Klimke u.a., 6., überarb. und erw. Aufl., Wiesbaden: Springer VS 2020, S. 275. »Sexismus bezeichnet jede Haltung, Äußerung, Tat, Strategie, Methode oder institutionelle Handlung, die zur Unterdrückung und Marginalisierung einer Person oder einer Gruppe aufgrund ihres Geschlechts beiträgt« (Sigrid Metz-Göckel: Sexismus, in: Metzler Lexikon Gender Studies, Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, hg. von Renate Kroll, Stuttgart: Metzler 2002, S. 357f., hier S. 357). Es kann eigentlich nicht von ›der‹ Neuen Frauenbewegung gesprochen werden, da es sich um viele unterschiedliche Projekte handelt, die im Zuge der Studentenbewegungen Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger Jahre aufkamen, die jedoch alle eine stärkere Autonomie von Frauen zum Ziel hatten. Auf dieses gemeinsame Ziel beziehe ich mich, wenn ich den Begriff hier gebrauche.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Ich würde […] nie sagen, dass Frauen allgemein zu früh aufgeben. Wenn wir es in Hinsicht auf ein Berufsleben untersuchen, ist es für Frauen leider immer noch oft eine kräftemäßige und finanzielle Entscheidung, ob sie sich weiter sehr stark auf ihren Beruf konzentrieren können. Dass sich Frauen in unserer Zeit immer noch entscheiden müssen, ist ein Drama.79 Auch in Tweets und Retweets80 auf Twitter beschäftigt sich Sibylle Berg mit Sexismus: Es finden sich dort Verlinkungen zu einem Artikel, in dem sich die Verfasser für Frauenquoten aussprechen, zur Internetseite von Alice Schwarzer81 , zu einem Artikel über eine schwedische Schule mit geschlechtsneutralem Erziehungskonzept82 , zu einem Video, in dem Sexismus im Alltag und auf der Straße gezeigt wird, und mehrmals zu Artikeln zu pussy riot 83 . Tweets wie »[…] warum heisst es bei Männern asketisch und bei Frauen anorektisch, wenn sie dünn sind? na da kommt ihr drauf« oder »da ist also der Chef der intouch, der : schwabbelalarm, adernhorror, cellulitedesaster, zu Frauenbildern texten lässt ?«84 konturieren die Kritik. Anke S. Biendarra ordnet Sibylle Berg im Zuge einer Analyse ihrer Kolumnen dem ›Popfeminismus‹ zu, bei dem es unter anderem darum ginge, »Inhalte der Vorgängergeneration der Second Wave aufzunehmen und produktiv zu adaptieren.«85 Sie führt dazu an, dass Sibylle Berg »von Kritikern und Literaturwissenschaftlern als eine der wenigen Autorinnen gekennzeichnet [sei], die in ihren Texten Genderrollen offensiv zur Diskussion stellen.«86 Sowohl in ihren Romanen, Theaterstücken und Texten auf Netzwerkplattformen als auch

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Nicole Golombek: »Was wir alle wollen: Mehr«. Sibylle Berg hat ein neues Buch geschrieben und macht sich Gedanken über den »neoliberalen Wachstumswahn«, in: Stuttgarter Nachrichten, Beitrag vom 27.09.2012, https://www.stuttgarter-nachrichte n.de/inhalt.autorin-sibylle-berg-was-wir-alle-wollen-mehr.a2fe5744-4f8f-4848-9dec -dc2c12f33cd3.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. »Ein Retweet ist ein erneuter Post eines Tweets. Mit der Retweet-Funktion in Twitter kannst du einen Tweet mit allen deinen Followern teilen. Du kannst deine eigenen Tweets oder Tweets anderer Nutzer retweeten« (https://help.twitter.com/de/usingtwitter/retweet-faqs, letzter Zugriff: 03.03.2021.). Tweet vom 31.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Tweet vom 25.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Vgl. z.B. die Tweets vom 03.08.2012 und 17.08.2012 (https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018). Tweet vom 15.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Biendarra: Sibylle Berg als Feministin, S. 51. Ebd.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

in ihren Kolumnen setzt sich Berg mit den Themen ›Sexualität‹ und ›Gender‹ auseinander: Ihre Kolumnen verhandeln Inhalte aus einer dezidiert feministischen Perspektive und brandmarken auf polemische Art und Weise den Status quo gesellschaftlicher Gleichberechtigung als dringend verbesserungsbedürftig. Durch die ironische Ausstellung realer Benachteiligungen wird ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass die gesellschaftlichen Positionen von Frauen nach wie vor patriarchalisch dominiert sind. Bergs ›Spiegel‹-Kolumnen zielen also auf die Kontestation von Rollenbildern qua satirischer Überzeichnung, mit dem Ziel, die Entwicklung von nicht normenkonformen weiblichen und männlichen Verhaltensweisen anzuregen und Entwürfe zu schaffen, in denen ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ nicht länger stereotypisiert sind, sondern in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptiert werden.87 Das Bestreben Sibylle Bergs, auf Geschlechtsstereotype hinzuweisen, zeigt sich ebenfalls in mehreren Medienangeboten, die mit dem Namen der Autorin verknüpft sind. Dabei geht es auch um Kritik am ›Heterosexismus‹, wobei es sich um eine Unterkategorie des Sexismus handelt, die die »Diskriminierung homo-, bi- und anderssexueller Menschen aufgrund ihrer nicht-heterosexuellen Orientierung«88 fasst. Gegenüber dem Tush Magazine formuliert Berg, dass sie versuche, sich selbst stets auf Geschlechtsstereotype zu prüfen, und eben diese anprangere: Weg mit den Geschlechterstereotypen! Das wäre meine Maßnahme. Es kann mir doch keiner sagen, was es heißt, sich männlich oder weiblich zu fühlen. Fragt man danach, hört man Klischees, Sexismus, die ganze Bandbreite menschlicher Beschränktheit.89 Bei Twitter verweist Berg in Tweets und Retweets auf Artikel über Diskriminierung und Gewalt gegenüber Homosexuellen,90 beispielsweise auf den ZEIT-

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Ebd., S. 57. Karin Uttendörfer: Heterosexismus, in: Metzler Lexikon Gender Studies, Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, hg. von Renate Kroll, Stuttgart: Metzler 2002, S. 175. Kiel: GegenGeschlecht. Vgl. etwa die Retweets vom 23.08.2012, 24.08.2012 und 22.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Vgl. dazu auch Hanser Verlag/literaturcafe.de: Sibylle Berg: Das Interview – Folge 5, 00:01:41-00:02:20.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Artikel »Ich bin es leid« von Carolin Emcke, der das in Deutschland zu jener Zeit nicht vorhandene Adoptionsrecht Homosexueller thematisiert.91 Sibylle Berg geht im Interview mit dem Tush Magazine auf die eigene Geschlechtsbiographie ein. Dort erzählt sie, dass sie sich bis zu ihrer Adoleszenz als Mann und anschließend für eine Weile als »Transsexuelle oder Transvestit« gefühlt habe und später für sich herausfand, dass sie sich »als nichts fühlen und damit außerordentlich zufrieden sein kann.«92 Einige Journalist:innen halten die öffentliche Auseinandersetzung mit heterosexistischen Themen bei Berg für eine Marketingstrategie, um auf Vielen Dank für das Leben aufmerksam zu machen, dessen Hauptfigur intersexuell ist. Bergs Autorinszenierung korreliere, auch in Bezug auf das Styling, mit den Inhalten ihrer Veröffentlichung. Sabine Buck bemerkt in ihrer Publikation »Ein Spiel mit der Weiblichkeit«, dass Sibylle Berg in der Ankündigung des Romans Vielen Dank für das Leben »scheinbar bewusst männlich inszeniert« werde. »Ein Portrait zeigt sie breitbeinig, mit kühlem Blick, Hosenanzug und StahlkappenSchnürstiefeln.«93 Ob oder inwieweit es sich um eine reine Marketingstrategie handelt, soll hier nicht weiter interessieren. Vielmehr stellt sich die Frage, ob das Bild der Heterosexismus anprangernden Gesellschaftskritikerin nur mit der Veröffentlichung Vielen Dank für das Leben einhergeht. Diese Frage kann mithilfe eines Blicks in ältere und neuere Medienangebote beantwortet werden. 2009 veröffentlichte Sibylle Berg den Roman Der Mann schläft 94 , in dem eine heterosexuelle Liebesbeziehung im Fokus steht. In den Rezensionen und Interviews dazu ist nicht vermehrt zu erkennen, dass Sibylle Berg eine heteronormative und homophobe Gesellschaft im gleichen Maße wie im Zusammenhang mit Vielen Dank für das Leben kritisiert. Was sich jedoch ausmachen lässt, ist Bergs kritische Haltung gegenüber traditionellen heterosexuellen (Liebes-)Konzepten. Besonders in Bezug auf das Thema ›heterosexuelle Liebe‹

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Tweet vom 16.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018; Carolin Emcke: Ich bin es leid, in: Zeit, Beitrag vom 16.08.2012, https://www.zeit.de/2012 /34/Homosexualitaet-Gleichstellung, letzter Zugriff: 21.06.2014. Kiel: GegenGeschlecht. Sabine Buck: Ein Spiel mit der Weiblichkeit? Erste Hypothesen zur Stellung von Autorinnen und ihren Texten im Marketing deutscher Publikumsverlage, in: Fiktionen und Realitäten. Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Literaturbetrieb, hg. von Brigitte E. Jirku und Marion Schulz, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2013, S. 89–100, hier S. 100. Sibylle Berg: Der Mann schläft, München: Hanser Verlag 2009.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

wird eine Suche nach einem weniger stereotypen Zusammenleben erkennbar.95 Auf der aktuellen Webseite der Autorin wird angegeben, dass sich Sibylle Berg als »non-binär« bezeichnet.96 Auf ihrem Instagram-Account beschreibt sie sich mit: »Autor*in, Dramatiker*in they/them aber auch Mensch geblieben !« Es lässt sich daraus schlussfolgern, dass zwar die Themen, die mit der jeweiligen Veröffentlichung einhergehen, variieren, dass eine kritische Grundhaltung gegenüber stereotypen und traditionellen Geschlechterund Liebeskonzepten jedoch sowohl in den älteren als auch in den neueren Medienangeboten zu beobachten ist. Das Bild der ›Sexismus-Kritikerin‹ ist demnach ein kontinuierliches beziehungsweise stets wiederaufgelegtes, das sich jedoch im Zuge einer Veröffentlichung thematisch verschieden zeigt. Neben der Kritik an Sexismus und Heterosexismus geht es in den verlinkten Medienangeboten Bergs auch um Xenophobie97 . Vor allem auf Twitter wird diese Form der Kritik sichtbar.98 »In Zwickau werden Iraner und Türken verprügelt, in Friedenau ein Jude, in Herzogenrath 2 Türkinnen. Und alle reden über einen Deutschen Baum«, heißt es in einem Retweet. Berg blickt dabei auch auf Formen der Ausgrenzung, die durch Sprache ausgeübt werden: Sie kommentiert beispielsweise einen Medientext, indem sie ihn wiederholt und das Wort ›und‹ groß schreibt: »9 von 10 Frauen UND Nazan Eckes…«99 Neben der Sprachkritik präsentiert Sibylle Berg auch systemkritische Anschauungen, indem sie zum Beispiel Konsumismus in einer Gesellschaft als ein Mittel zum Festhalten an unmündigem Verhalten beklagt, eine Kritik, die unter anderem im Zusammenhang mit dem Thema ›Erziehung‹ auftaucht: Wir brauchen Kinderhelme, kindergerechtes Spielzeug, kindergerechte Ernährung, kindergerechte Fahrzeuge, Bekleidung, das kindergerechte Heim, dazu benötigen wir Wachstum, unbedingt. Bürger, die permanent mit dieser

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Vgl. z.B. Ulrich Steinmetzger: Willkommen und Abschied, in: Mitteldeutsche Zeitung, Beitrag vom 11.09.2009. Https://sibylleberg.com/info, letzter Zugriff: 01.03.2021. Unter ›Xenophobie‹ wird »die ablehnende, bis zu Hass und Feindschaft gesteigerte Einstellung gegenüber Fremden« verstanden (Rüdiger Lautmann: Xenophobie, in: Lexikon zur Soziologie, hg. von Daniela Klimke u.a., 6., überarb. und erw. Aufl., Wiesbaden: Springer VS 2020, S. 879). Vgl. die Retweets vom 19.08.2012, 20.08.2012, 22.08.2012, 22.08.2012, 26.08.2012, 29.08.2012 (2x) oder die Tweets vom 16.08.2012, 28.08.2012, 31.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff 30.04.2018. Tweet vom 28.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 03.04.2018.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Form der Selbstkontrolle beschäftigt sind, hinterfragen das politische System natürlich weniger – wann auch?100 Eine konsum- und kapitalismuskritische Haltung kommt auch im Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg zum Ausdruck. Sibylle Berg führt an, dass Amazon »den Buchmarkt vernichten«, »eigentlich jeden Markt vernichten« würde.101 Bei der Kapitalismuskritik Bergs spielt zudem wiederum auch das Thema ›Gender‹ eine Rolle, wie etwa ihre Kolumnen zeigen: Hinzu kommt die den Texten als roter Faden unterliegende Realisation, dass der Spätkapitalismus gegendert ist, beide Geschlechter eng umklammert hält und jeglichen gesellschaftlichen Freiraum unterminiert. In Bergs S.P.O.N.-Kolumnen erscheinen Frauen in einem vom Spätkapitalismus begründeten Herrschaftszusammenhang, in dem ihnen nur wenige Freiheiten zugestanden werden.102 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Sibylle Berg eine Gesellschaft und auch Politik kritisiert, indem sie auf mindestens drei dominante Unterdrückungsbereiche bzw. -ebenen (race, class und gender) hinweist. Die Gesellschaftskritik Bergs lässt sich damit auch den Intersektionalitätstheorien aus den Gender Studies zuordnen, bei denen Überschneidungen von Unterdrückungsbereichen (Sektionen wie Sexismus und Klassismus) betrachtet werden. Dies zeigt sich bei Berg zum Beispiel bei der Kritik an gleichzeitig existierender Geschlechter- und Klassenungerechtigkeit, die der Spätkapitalismus mit sich bringe. Mit der gesellschafts- und politikkritischen Haltung existiert ein Autorbild Bergs, das in der deutschsprachigen Literaturgeschichte bisher hauptsächlich von männlichen Autoren eingenommen wurde. Insbesondere an diesem Punkt setzt Berg mit einer weiteren Kritik an, und zwar mit Kritik an sexistischem Verhalten und sexistischen Strukturen im Literaturbetrieb, mit denen sie sich als Autorin konfrontiert sieht.

4.1.4 »Ich hasse Max Frisch« – zur Dekonstruktion (männlicher) Traditionen Sibylle Berg weist in direkt von ihr initiierten Medienangeboten immer wieder auf die Schwierigkeiten hin, mit denen sich Autorinnen im Literaturbe100 Golombek: »Was wir alle wollen: Mehr«. 101 Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:30:56-00:31:00. 102 Biendarra: Sibylle Berg als Feministin, S. 56.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

trieb auseinandersetzen müssen. Dieser Aspekt findet sich unter anderem in einem Podcast-Interview. Dort vergleicht Sibylle Berg die Wahrnehmung ihres Werkes mit dem von Michel Houellebecq: Was dieser schreibe, werde als visionär bezeichnet, was sie schreibe, werde auf ihr eigenes Leiden zurückgeführt. »Frauen wird ja gern mal […] die Fähigkeit, irgendwie visionär zu schreiben oder fiktiv zu schreiben, [abgesprochen].«103 Die Feststellung, dass die literarischen Werke von Autorinnen anders beurteilt werden als die ihrer männlichen Kollegen, taucht bereits 2011 in einer Spiegel-Kolumne von Sibylle Berg auf. Es handelt sich demnach um ein Thema, das nicht erst seit Vielen Dank für das Leben mit der Autorin im Zusammenhang steht. In dieser Kolumne gibt Sibylle Berg anderen Schriftstellerinnen einen Rat: Und behalten Sie im Kopf: Nie werden Sie etwas anerkannt Großes leisten. Sie wissen schon: Schreiben Sie über ein Paar, wird es immer eine kleine Beziehungsgeschichte sein. Schreibt Ihr männlicher Kollege über dasselbe Thema, erklärt er die Welt in einem Mikrokosmos – schreiben Sie über die Welt, wird es heißen: Sie erklärt die Welt aus der Sicht einer Frau. Verzichten Sie auf Ironie! Frauen sind nicht ironisch, sondern bitter. Schreiben Sie Krimis, Frauen und Morde, das erregt die Kritiker. Oder machen Sie was mit Kindern. Hüten Sie sich vor weitergehenden Ambitionen, das haben Frauen einfach nicht drauf.104 In dem Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg tätigt Sibylle Berg ähnliche Aussagen: »… ich kann gar nicht so Pfeiferauchen und die Welt erklären. Is’ man ja eigentlich schon außen vor. Aber Frauen erklären die Welt auch nicht, das steht uns nicht zu! Frauen schreiben über ihre Depressionen! Ach.«105 Auch hier thematisiert Sibylle Berg die Schwierigkeiten, vor denen Autorinnen im literarischen Feld der Gegenwart stehen und die es zum Beispiel für Günter 103 Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 3 – Von Preisen, https://www.youtube.com/watch?v=lK5GSlJsT6o, 00:03:33-00:03:37, letzter Zugriff: 24.10.2022. Auch in der Sendung Willkommen Österreich spricht Berg über Sexismus bei der Bewertung literarischer Werke von Frauen (vgl. Willkommen Österreich: Eine Sendung vom 25.11.2012, ausgestrahlt vom Sender ORF 1, https://www.youtube.com/watch?v=zGCK uCeqsRU, letzter Zugriff: 21.03.2021). 104 Sibylle Berg: »Seien Sie nicht ironisch, sondern bitter«, in: Spiegel Online, Beitrag vom 09.04.2011, https://www.spiegel.de/kultur/literatur/s-p-o-n-fragen-sie-frau-sibylleseien-sie-nicht-ironisch-sondern-bitter-a-755941.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. 105 Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:13:14-00:13:37; Baier/Köhler: Wer hat Angst, S. 212.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Grass, auf den die Erwähnung der Pfeife verweist, in dieser Form nicht gab. Matthias Schaffrick führt dazu an, dass Berg ihre Autorschaft ›weiblich codiere‹, und zwar »in Abgrenzung von Grass, dem Pfeife rauchenden, altväterlichen Welterklärer.«106 Damit greife Berg stets »Klischees über die Wahrnehmung weiblicher und männlicher Autoren«107 auf und hinterfrage sie. Neben Günter Grass grenzt sich Sibylle Berg auch von anderen im literarischen Feld etablierten beziehungsweise kanonisierten Autoren ab. So offenbart sie ihre Gefühle gegenüber Max Frisch: »Ich hasse Max Frisch«108 . Insbesondere bei traditionellen Autorinszenierungen, die von etablierten Autor:innen genutzt werden, zieht Berg eine Grenze. Dies zeigt sich zum Beispiel im Dokumentarfilm in der Szene, in der Sibylle Berg einen Waldweg entlang geht und von den Filmemacherinnen gefragt wird, ob sie Berg nun so ThomasMann-mäßig während des Spazierens filmen sollten. Daraufhin antwortet Berg lediglich, dass sie Thomas Mann »so was von blöd«109 finde. Immer wieder richtet Berg auch ihren Blick auf sprachliche Phänomene und stellt die Frage, ob es nun »männliche Schriftsteller« heißt oder nur »Schriftsteller«.110 Aufgrund der Abgrenzungen gegenüber nicht nur bereits lange etablierten Autoren, sondern auch explizit gegenüber Autoren, die durch ihr politisches Engagement bekannt waren wie Günter Grass, ordnet Matthias Schaffrick Bergs Positionierungen dem Bereich des Politischen zu. Jedoch verlaufe die Positionierung bei Berg negativ, »indem sie sich von der Günter-GrassTradition des aufklärerischen Schriftstellerengagements abgrenzt«111 und gleichzeitig die »Unerklärbarkeit und Komplexität der Welt«112 herausstellt. Sie schreibt zum Beispiel in einer Kolumne dazu Folgendes: »Das kann einen auch verrückt machen, die Welt, mit all dem Elend und der Ungerechtigkeit, den Reichen, den Armen, den Konflikten, dem Klima, das wir zu verstehen versuchen.«113 Dabei dienten Schaffrick zufolge Bergs wiederkehrende Selbstrelativierungen dazu, die »weibliche Codierung der Autorschaft […] gegenüber dem universalistischen Erklärungsansatz eines Günter Grass […] 106 107 108 109 110 111 112 113

Schaffrick: »Fragen Sie Frau Sibylle«, S. 43. Ebd. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:12:03-00:12:05. Ebd., 00:25:05-00:25:08. Ebd., 00:09:15-00:09:19. Schaffrick: »Fragen Sie Frau Sibylle«, S. 41. Ebd., S. 50. Sibylle Berg: Wie halte ich das alles nur aus? Fragen Sie Frau Sibylle, 2. Aufl., München: dtv 2015, S. 14; Schaffrick: »Fragen Sie Frau Sibylle«, S. 49.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

zu akzentuieren.«114 Dies wiederum ermögliche, die »diskreditierte Position freizuräumen, um sie selbst zu besetzen und zeitgemäß zu modifizieren.«115 Die Modernisierung sieht Schaffrick zum Beispiel bei der Nutzung unterschiedlicher Instrumente und Haltungen: Twitter-Account statt Parteiengagement, SPIEGEL-ONLINE-Kolumne statt Spiegel-Titelgeschichte, weiblich codiertes Unwissenheitseingeständnis statt altväterlicher Allwissenheitsprätention.116 Doch auch wenn Sibylle Berg vehement den Welterklärer-Typus kritisiert, zeigt sie zum Teil ähnliche Auffassungen. Laut Krause und Beise handelt es sich bei Berg um eine populäre Schriftstellerin […], die einerseits kaum den gängigen Stereotypen des welterklärenden Autors entspricht, die andererseits jedoch durchaus Standpunkte und Urteile zur Anschauung bringt, die von diesem gar nicht so weit entfernt sind.117

4.1.5 »Ich bin eine moralische Schriftstellerin« – die Autorin als Autorität Gegenüber dem Spiegel äußerte Sibylle Berg zum Beispiel: »Ich bin eine moralische Schriftstellerin […]‹ auch wenn ich nicht glaube, dass ich etwas bewirken kann«118 . Auch wenn sie des Weiteren betont, dass ihr missionarischer Eifer, eine bestimmte Moral zu vermitteln, nachgelassen habe – »Früher dachte ich, ich kann mit meinen Büchern etwas ändern. […] Ich war so beseelt von meiner Mission und dachte, ›Wacht auf!‹, ›Haltet ein!‹, ›Seid nicht mehr böse!‹«119 –, gibt sie auch im Zusammenhang mit Vielen Dank für das Leben an, etwas bewirken zu wollen: Zum Beispiel habe sie »fast ausschließlich mit Menschen zu tun, die sich in jeder Hinsicht aussetzen, die Grenzen und Normen hinterfragen«, ihnen wolle sie »ein kleines Denkmal setzen«.120 Sie wolle außerdem ihren Leser:innen wohl das Gefühl geben, auch als Außenseiter:in nicht alleine

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Ebd., S. 45. Ebd., S. 43. Ebd., S. 53f. Krause/Beise: Am Rand des Populären, S. 15. Höbel: Sexlos. Schreiber: Mit dem Leben davongekommen. Kiel: GegenGeschlecht.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

zu sein.121 Zudem hat sie auch eine gewichtige Antwort auf die Frage, was ihre Kunst bewirken könne. Auf die Frage des Kulturmagazins, ob die Kunst helfe, das Leben zu ertragen, antwortet Sibylle Berg, dass sie helfen könne, »eine Gegenwelt zu der des Geldes«122 zu kreieren. Berg kann demnach eine moralische Mission zugeschrieben werden, die allerdings nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist, beinhalten ihre Texte doch einen »überscharfen Fokus auf Hässliches, Grausames und Trostloses«123 , das zunächst die Aufmerksamkeit fesselt und Affekte wie Ekel, Wut oder Scham hervorruft. Bergs Texte bewirken keinen kontinuierlichen Lesefluss bei den Rezipient:innen, insbesondere weil sie vielerlei Formen von »Perspektiven-, Orts-, Zeit- und Ebenenwechsel, Wiederholung, Kommentierung, Überspitzung« enthalten.124 Dies würde, so Alexandra Pontzen, »als ›Erzählung‹ selten überzeug[en], weil es eben nicht in einen epischen Bann schlägt«.125 Sie deutet Bergs Schreiben daher als »zeitgenössische Formen der Moralistik«, als beständige und insofern auch monomanische Versuche, durch literarisch-philosophische Desillusionierung die Leser zu sich selbst zu führen und ihnen durch Beobachtung, Beschreibung und Deutung in den Sitten und Handlungsweisen ihrer Mitmenschen anthropologische Konstanten und damit verborgene eigene ›Natur‹ (in der Tradition La Rochefoucaulds vor allem den amour propre, die Selbstliebe als verborgene, alles bestimmende Motivation) so vor Augen zu führen, dass Konsequenzen für Denkund Lebensweise zumindest naheliegen.126 Auf diesen möglichen Effekt der Texte Bergs macht auch Sandra Kegel in ihrer Rezension zu Vielen Dank für das Leben aufmerksam. Es zeuge von Bergs »moralischem Impetus, dass Toto nie aufhört selbst diesem Hass noch etwas Positives abzugewinnen.«127 Unter diesem Blickwinkel erscheinen auch die surrealen Miniaturen, die im Zerrspiegel die Absurdität kleinbürgerlicher Einrichtungsaccessoires 121 122 123 124 125 126 127

Vgl. Schreiber: Mit dem Leben davongekommen; Kiel: GegenGeschlecht. Kiel: GegenGeschlecht. Pontzen: Sibylle Berg und die Moralistik im 21. Jahrhundert, S. 60. Ebd., S. 59. Ebd., S. 60. Ebd., S. 60f. Kegel: Wir sind die Schmutzigen.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

wie der Fototapete zu Bewusstsein bringen und die Hasstiraden auf die Normalität, mit denen Berg sich seit den Kolumnen im ZEIT-Magazin einen Namen gemacht hat, in einem anderen Licht – als so verkappte wie bewusst vergebliche Plädoyers für ein anderes Leben.128 Auch Matthias Schaffrick äußert sich zu der ›Moral‹ bei Sibylle Berg: Moral versteht Berg indes nicht als Einteilung der Welt in Gut und Böse, sondern umschreibt sie als in Bezug auf das eigene Handeln und dessen Folgen reflektierte und gegenüber anderen empathische Haltung, die dazu beiträgt, ›das Zusammenleben vieler ein bisschen angenehmer zu machen‹.129 Bei all diesen Zitaten lässt sich erkennen, dass im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Einordnung Bergs nicht mehr durch die zuvor beschriebenen Verwechslungen von Text- und Diskursebenen geprägt ist. Vielmehr werden nun die Texte detaillierter untersucht, was dem Autorbild von Berg als Moralistin zuträglich ist, das nun von der Literaturwissenschaft ausgeht. Durch die ›empathische Haltung‹, so Schaffrick weiter, setze Berg einem »moralischen Alleinstellungsanspruch, der etwa für Populismen kennzeichnend ist, ein pluralistisches Moralverständnis entgegen«130 . Dieses beruhe insbesondere darauf, »dass man seine individuellen ›Moralvorstellungen ausschließlich auf sich selber anwendet‹, anstatt sie anderen aufzuoktroyieren.«131 Damit lässt sich Bergs Schreiben – unabhängig von der Textform und dem medialen Ort der Veröffentlichung – »immer auch [als] Bestandsaufnahme des jeweiligen Zeitgeists, den die Autorin mit einer höchst eigenen, zwischen Zynismus und Moralismus changierenden Ästhetik, seziert«, verstehen.132 Sibylle Berg dekonstruiert demnach den Welterklärer-Typus eines Autors, um diese Position letztlich selbst und neu zu besetzen. Dabei spielen – wie bei den WelterklärerTypen – zwar auch Themen wie Zeitdiagnose und Moral eine wesentliche Rolle, allerdings werden sie durch die ›empathische Haltung‹ und durch ein ›pluralistisches Moralverständnis‹ neu in den Diskurs gebracht. Damit kreiert Sibylle Berg einen Autor:innen-Typus, den es laut Pontzen bisher kaum in dieser Form gegeben hat; sie schafft es, die Position des Autors als Autorität

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Pontzen: Die Autorin als Tante und Autorität, S. 35. Schaffrick: »Fragen Sie Frau Sibylle«, S. 49f. Ebd., S. 49. Ebd. Krause/Beise: Am Rand des Populären, S. 9.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

weiblich zu chiffrieren.133 Das Besetzen dieser Position und die Umcodierung funktionieren über die Abgrenzung von bisher männlichen Traditionen, über die Neuausrichtung der Themen sowie über eigene Instrumentarien (zum Beispiel soziale Netzwerkplattformen) und Praktiken (Performances, Ironie, Sarkasmus und Humor).

4.1.6 Sibylle Berg – eine Schweizer (!) Unternehmerin In dem Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Sibylle Berg (2016) beschreibt sich Sibylle Berg als »Kleinunternehmerin, mittelständische Unternehmerin, die viel arbeitet«134 . Ihr Unternehmen führt die Autorin unter anderem auch mit ihrer Webseite. Sie verschweigt dabei grundsätzlich nicht, dass sie mit ihren Veröffentlichungen Geld verdienen möchte. Sie betont jedoch, dass es ihr nicht um überbordenden wirtschaftlichen Erfolg ginge, sondern darum, von dem Geld in ihrer Wahlheimat Zürich leben zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse sie auch journalistisch tätig sein: »In Zeitungen schreibe ich ganz einfach, weil ich keine reiche Frau geheiratet […] und keine Stahlgießerei hab’«.135 Ihre Buchveröffentlichung Vielen Dank für das Leben bewarb die Autorin zudem mit einem Foto-Wettbewerb auf Facebook, bei dem das beste Fan-Foto mit dem Cover der Veröffentlichung gesucht wurde und die Gewinner Karten für eine der Lesungen Sibylle Bergs erhalten konnten. Es werden demnach sowohl die Webseite als auch soziale Netzwerkplattformen für die Bewerbung der Berg’schen ›Produkte‹ genutzt. Dass Sibylle Berg ihre Schreibwerkstatt als ›Betrieb‹ darstellt, wird auch mit dem Bild vom Schreiben als Handwerk untermauert. Die Beschreibung des Schreibprozesses, die Sibylle Berg in Interviews gibt, erinnert an handwerkliche Tätigkeiten: Den Schreibprozess würde sie nicht hinterfragen, sondern »so lange rum[laufen], bis sich irgendwas verdichtet«.136 Unbewusst suche sie über längere Zeit nach einem Thema, lese Fachbücher und Aufsätze, bis »das Thema reif ist«.137 Dann fange sie an, »Sätze aus der Luft zu hauen« und

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Vgl. Pontzen: Die Autorin als Tante und Autorität, S. 38. Böller und Brot: Wer hat Angst vor Sibylle Berg, 00:51:45-00:51:49; Baier/Köhler: Wer hat Angst, S. 88. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 3, 00:03:33-00:03:37. Ebd. Kiel: GegenGeschlecht.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

wie »Stein [zu] bearbeiten«.138 Anschließend wird ›gefeilt‹ und ›geputzt‹, und das mehrere Male: Ich feile generell ziemlich lange an Sätzen rum, also gar nicht an irgendwelchen Gags oder sowas, sondern wirklich am Fluss, am Klang […] Ich schreibe eigentlich so, dass ich erst die Rohfassung hinzimmere […] und dann kommt eigentlich die schöne Arbeit, dann wird geputzt […], wirklich so fünf- bis sechsmal durch den ganzen Text.139 Schreiben versteht Sibylle Berg als Professionalität, die zum einen Zeit erfordere, die aber erlernbar sei:140 »Schriftsteller ist ein Beruf, den du durch sehr, sehr viel Übung lernst, über Jahre hinweg«141 . Technisch zufriedenstellend schreiben könne man nach fünf Jahren.142 Besonders die Vorstellung von der Erlernbarkeit des Schreibens verweist auf ein spezifisches Modell von Autorschaft: das der Handwerkerin. Sibylle Bergs Zuordnung zu diesem Modell zeigen unter anderem die Schreibkurse, die sie eine Zeit lang gegeben und darauf auf ihrer Webseite hingewiesen hat.143 Auch die Anerkennung der Arbeit ihrer Lektor:innen verweist auf das Modell, denn so stellt Berg ihr eigenes Schreiben ebenfalls als Lernprozess dar, der begleitet werden kann. Beinahe liebevoll spricht sie über ihren Lektor vom Hanser Verlag, dessen Arbeit ihren Aussagen folgend unvermeidlich sei.144 Ihren Verlag schließt sie darüber hinaus in ihre Arbeitssphäre als Künstlerin mit ein und führt an, dass dieser »keine böse Verwertungsindustrie« sei, sondern ein »nettes Häuschen mit sehr schlecht bezahlten, unglaublich gebildeten, angenehmen Menschen«145 . Negativ äußert sie sich über Veröffentlichungen in Selbstverlagen, da die Texte wegen des fehlenden Lektorats »grottenschlecht« sein könnten.146 Sie wünscht

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Ebd. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 8 – Feinarbeit und Bühnen, https://www.youtube.com/watch?v=eZdCPEfRjqo, 00:03:04-00:03:42, letzter Zugriff: 24.10.2022. Ebd. Ebd. Meyer: »Lasst Grass doch in Ruhe auf seiner Wiese sitzen«. Vgl. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 313. Vgl. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 6 – Dieses Internet, h ttps://www.youtube.com/watch?v=2BFATffGo6Y, 00:03:04-00:03:42, letzter Zugriff: 24.10.2022. Ebd. Ebd.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

sich »saubere und kontrollierte Ware« und bemüht erneut den Vergleich mit dem Handwerk: »[W]enn ein neues Dach gedeckt [wird], soll das halten, ich möchte dann Profis haben«147 . Dass es jedoch nicht unbedingt leicht ist, den Beruf der Autorin zu erlernen, lässt Sibylle Berg in einem Twitter-Beitrag anklingen: »habe ich gerade wieder irgendwo gelesen, dass jeder ein Künstler ist und alles umsonst sein muss, oder hab ich das schlecht geträumt?«148 . Es scheint für Sibylle Berg darüber hinaus wichtig zu sein, dass ihr handwerklicher Betrieb in der Schweiz beheimatet ist und sie nicht als ›deutsche‹, sondern als ›Schweizer‹ Autorin wahrgenommen wird. Ralph Müller berichtet in seinem Beitrag davon, dass sich die Schweizer Zeitung Blick am Abend bei Sibylle Berg dafür entschuldigt hat, weil sie Berg als ›deutsche‹ Autorin bezeichnet hatte.149 Sibylle Berg wohnt seit den 1990er Jahren in der Schweiz und ist seit 2012 offiziell Schweizer Staatsbürgerin. Aus diesem Grund finden sich relativ viele Inhalte aus dem Jahr 2012, die auf das Thema rekurrieren. Allerdings lässt sich feststellen, dass auch zu einem späteren Zeitpunkt das Thema ›Schweiz als Heimat‹ ein wesentliches ist, das sowohl von der Autorin als auch von Rezensent:innen oder Interviewer:innen angesprochen wird.150 Dass Sibylle Berg trotzdem oft als ›deutsche‹ Autorin angesehen wird, mag zum einen an ihrer Biographie und zum anderen an Feldspezifika liegen. Grundsätzlich wird in der Literaturwissenschaft in der Regel von einer deutschsprachigen Literatur gesprochen.151 Allerdings existieren auch nationale und regionale Besonderheiten: Dass zum Beispiel die Konsekration in Form des Schweizer Buchpreises auf sich warten ließ, mag daran liegen, dass dieser – wie Ralph Müller herausstellt – nicht ›deutschsprachig‹, sondern ›nationaler‹ betrachtet werde.152 Es brauchte demnach die Staatsbürgerschaft Bergs, die sie erst im Jahr 2012 erhielt. Aus diesem Grund hat es wohl auch bis zum Jahr 2019 und bis zu dem Roman GRM Brainfuck gedauert, bis Sibylle Berg diesen Preis gewinnen konnte. Allerdings berichtet Berg bereits im Jahr 2012, dass die Schweiz ihr Stipendien ermöglicht habe:

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Ebd. Tweet vom 16.08.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Vgl. Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 195. Vgl. etwa Martina Läubli/Rafaela Roth: »Ich bin ein natural born nerd«, sagt Sibylle Berg, in: NZZ, Beitrag vom 18.01.2020, https://nzzas.nzz.ch/kultur/sibylle-berg-ichmoechte-nicht-panisch-klingen-ld.1534790?reduced=true, letzter Zugriff: 27.03.2021. Vgl. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 38. Vgl. Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 200.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Ich gehe nicht zu Festivals und ich trinke nicht mit Jurymitgliedern. Die Strafe ist, dass ich keine Stipendien bekomme und stattdessen eben mehr arbeiten muss. Die einzigen Zuwendungen, die ich finanziell bekam, stammten aus meiner lieben Schweiz. Ohne zu trinken.153 Bei Sibylle Bergs Vergangenheit hat man es darüber hinaus mit »einem komplexe[n] biographische[n] Narrativ«154 zu tun, was eine nationale oder regionale Zuordnung erschwert. Die Autorin ist in der ehemaligen DDR geboren und konnte mithilfe eines Ausreiseantrags noch vor der Wende in die BRD übersiedeln. Jedoch ist sie bereits in den 1990er Jahren in die Schweiz migriert und somit bereits seit langem dort beheimatet. Sibylle Berg betont in unterschiedlichsten Medienangeboten und gegenüber Interviewer:innen, dass vor allem die Stadt Zürich ihr »Zuhause« sei.155 Hier werde Müller zufolge ebenfalls eine Spezifik des Schweizer Feldes sichtbar, und zwar eine nicht nur national, sondern auch regional stärkere Zuordnung. Berg nennt Zürich nicht ohne Kritik auch eine »Kapsel mit einer gated community«156 , spricht jedoch grundsätzlich sehr liebevoll von der Stadt. Auf die Frage vom Tages-Anzeiger, ob es eine Züricher Mentalität gäbe, antwortet sie: Die gibt es ja in all diesen Parallelwelten nicht wirklich. Ich habe die langsam aussterbende Gruppe der urschweizer Altstadtbewohner sehr lieb. Es hat aber auch sehr nette italienischstämmige Züricher, die ich mag, und äusserst lustige Mitglieder des Züricher Geldadels. Sie haben alle eines gemeinsam: einen grossartigen Humor.157 Auch im Film Wer hat Angst vor Sibylle Berg ist die Schweiz Thema und Leitmotiv. Denn letztlich folgen die Filmemacherinnen Sibylle Berg bei der Suche nach einem schönen Haus »im Tessin«, eine Suche, die als Narrativ bereits seit dem Peritext von Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997) um die Autorin kreist. Dort heißt es:

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Linus Schöpfer: »… dann sähe es auf der Welt doch wunderbar aus«, in: Tages-Anzeiger, Beitrag vom 24.07.2012, https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/-dann-saehees-auf-der-welt-doch-wunderbar-aus/story/15500255, letzter Zugriff: 27.03.2021. Müller: Hass- und Bußpredigerin, hier S. 201. Schöpfer: »… dann sähe es auf der Welt doch wunderbar aus«. Ebd. Ebd.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Danke. Mit jedem gekauften Buch finanzieren Sie einen weiteren Stein meines künftigen Tessiner Hauses. Empfehlen Sie dieses Buch gerne Ihrem großen Bekanntenkreis oder Ihren Eltern.158

4.1.7 Sibylle Berg im literarischen Feld der Gegenwart Bei der Analyse ausgewählter Medienangebote rund um den Namen ›Sibylle Berg‹ hat sich gezeigt, dass gesellschaftskritische, zeitdiagnostische und letztlich auch moralische Aspekte am häufigsten artikuliert wurden. Sibylle Berg wird also bereits zu Beginn des Jahrzehnts mit dem Autorbild der Gesellschaftskritikerin sichtbar. Allerdings ist ihre Gesellschaftskritik und Moral nicht die der großen Narrative, sondern eine der »negativen Anthropologie«159 . Damit und mit der Dekonstruktion bereits etablierter Modelle von Autorschaft entwickelt sich im Laufe des Jahrzehnts das Autorbild der weiblichen Autorität, das als Gegenbild zum Welterklärer-Typus entsteht und immer weniger seitens unterschiedlichster Akteur:innen im literarischen Feld der Gegenwart in Zweifel gezogen wird. Sibylle Berg vermochte im Laufe des Jahrzehnts ihre Position im literarischen Feld zu stärken und vermehrt symbolisches Kapital anzuhäufen, was sich auch an den Formulierungen der Kritiker:innen zeigt: So weist Ursula März in einer Besprechung von GRM Brainfuck (2019) im Deutschlandfunk zum Beispiel darauf hin, dass es sich »um große Literatur« handele, vor der sich die Literaturkritikerin verneige.160 Die Entwicklung der Berg’schen Position mag auch grundsätzlich mit den sich verschiebenden Kräften im deutschsprachigen literarischen Feld der Gegenwart zusammenhängen. Der stark gewachsene Mittelbereich ist »von Wechselwirkungen, Überlagerungen und hybriden Kompromissformen zwischen kulturell-autonomen und ökonomisch-heteronomen Bestimmungen geprägt.«161 Hier lässt sich Sibylle Berg mit ihren Performances verorten. Zudem ist festzustellen, dass die Popliterat:innen, zu denen insbesondere die frühe Sibylle Berg gezählt wurde, inzwischen nobilitiert wurden.162 Die Nutzung verschiedenster digitaler Medien sowie Selbstinszenierungen und Performances stehen der Anhäufung symbolischen Kapitals nicht mehr im

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Sibylle Berg: Ein paar Leute suchen das Glück, S. 5. Pontzen: Sibylle Berg und die Moralistik im 21. Jahrhundert, S. 59–69. März: Eine Generalabrechnung mit der Gegenwart. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 252f. Vgl. Krause/Beise: Am Rand des Populären, S. 10.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Weg. Erhielt Sibylle Berg über einen längeren Zeitraum kaum Konsekrationen im literarischen Feld, unter anderem da ihre Position im journalistischen Feld angesiedelt wurde, stellen journalistische Tätigkeiten aufgrund der ›Überschneidungen zwischen Literatur, Journalismus und Mediendiskursen‹ im zweiten Jahrzehnt kein Hindernis mehr dar. Die Nutzung sozialer Netzwerkplattformen (zumindest von Twitter, Facebook und Instagram) steht im Fall Sibylle Bergs demnach nicht mehr ›im Verdacht, der Anhäufung symbolischen Kapitals‹ im Wege zu stehen. Es zeigt sich vielmehr, dass die Plattformen für Sibylle Berg die Möglichkeit bereitstell(t)en, eine größere Reichweite zu erzielen, weitere Performances zu veröffentlichen und auf Fremdinszenierungen Bezug zu nehmen. Letzteres führt sie in einem Interview auch selbst an. Auf die Frage, was sie an Twitter fasziniere, antwortet Berg: Es war mein Anschluss in die Welt der sozialen Medien. Ich weiss gerne, was um mich herum passiert, ich weiss gerne, was die Zeit ausmacht, in der wir leben. Darum bin ich bei Twitter. Ich finde dort wunderbare Links zu allen Medien, die ich alleine nie finden würde, ich bin schnell über die aktuellen Tagesereignisse informiert und ich habe Kontakt zu meinen Lesern. Ausserdem ist es ein gutes Korrektiv. Eine Zeitung schrieb einst falsche angebliche Fakten über mich, ich habe sie über Twitter direkt freundlich um eine Richtigstellung gebeten und dann auch über Twitter ein Interview zum Thema geführt. Das ist praktisch. Man ist der Presse nicht mehr wehrlos ausgeliefert.163 Hier zeigt sich, was Biendarra für die Nutzung von Webseiten anführt: Es besteht die Möglichkeit, auf eigens kreierten Webseiten und insbesondere mithilfe sozialer Netzwerkplattformen korrigierend einzugreifen164 und eigene Autorbilder zu initiieren. Indem Sibylle Berg ihren Follower:innen des Öfteren ›Gute Nacht‹ und ›Guten Morgen‹ wünscht und dafür liebevolle und humorvoll-skurrile Kosenamen erfindet (»Nacht ihr kleinen Samtzehen«; »ich decke Euch zu, Ihr kleinen Felltatzler. Nacht!« oder »seltsam vor sich hinblubbernd krabbeln meine kleinen

163 Schöpfer: »… dann sähe es auf der Welt doch wunderbar aus«. 164 Vgl. dazu auch Müller: Hass- und Bußpredigerin, S. 195; vgl. auch Catani: Mediale Mechanismen, S. 84.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

twitterer aus dem Bett, die haare am kopf geklebt, spucke im ohr…«165 ) entsteht hier ein anderes Autorbild, ein Bild, in dem Berg literarisch-poetisch verspielte Sanftheiten verteilt und das der ›Designerin des Schreckens‹ oder dem ›moralinsauren Monster‹ entgegensteht.

4.2 Beispielanalyse II: Markus Heitz Markus Heitz (*1971) hat in gewisser Weise zur richtigen Zeit das richtige Buch geschrieben. Seit dem nationalen und internationalen Erfolg von Die Zwerge (2003), Heitz’ zweitem Roman, war es dem Autor möglich, vom Schreiben zu leben.166 Für die Figuren der Zwerge aus Tolkiens Mittelerde gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine eigene Fantasy-Literatur-Reihe, allerdings eine starke Nachfrage danach. Bereits sein erster Roman Schatten über Ulldart (2002) wurde mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Publikumspreis, der seit 1999 von der Zeitschrift Phantastisch! sowie dem Phantastika Magazin (ehemals Corona Magazine) vergeben wird.167 Eine Jury trifft eine Vorauswahl, die Entscheidung über die Preisvergabe liegt am Ende allerdings beim Publikum. Mit dem Literaturpreis Seraph existiert seit 2012 auch ein Jury-Preis, der von der Phantastischen Akademie und in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse vergeben wird. Um einen Preis im Bereich ›Phantastik‹ vergeben zu können, musste die Phantastische Akademie eine Definition des Begriffes vorlegen: Phantastik ist ein literarischer Genrebegriff, der sehr unterschiedlich definiert wird. Der Begriff fantastisch bezeichnet alles, was unglaublich, versponnen, wunderbar oder großartig ist. Der Ursprung des Begriffs »phantastische

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Vgl. die Tweets vom 31.08.2012, 17.09.2012, 24.09.2012, https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 30.04.2018. Vgl. dazu auch Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 6, 00:02:20-00:02:37. 166 Vor seinem Durchbruch als Autor studierte Markus Heitz Germanistik und Geschichte und arbeitete nach seinem Magister als Journalist für die Saarbrücker Zeitung. In einem Video-Interview vom Droemer-Verlag wird eingeblendet, dass sich die bis dahin (2020) fünfbändige Zwerge-Reihe über 1,5 Millionen Mal verkaufte (Verlagsgruppe Droemer Knaur: Fantasy-Autor Markus Heitz im Interview, 26.02.2020, https://www.y outube.com/watch?v=Vd_4G_FDiQY, 00:07:08, letzter Zugriff: 05.01.2021). 167 Phantastisch! Deutsche Zeitschrift für phantastische Literatur, Stolberg: Atlantis Verlag (seit 2001); Phantastika Magazin. Science-Fiction- und Fantasy-Magazin (seit 1997).

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Literatur« ist eigentlich ein Übersetzungsfehler: E.T.A. Hoffmanns »Fantasiestücke in Callots Manier« wurden 1814 als Contes fantastiques ins Französische übersetzt, statt richtigerweise als Contes de la fantaisie. Die Phantastik umfasst alle erzählenden Texte, in deren fiktiver Welt die Naturgesetze verletzt werden. Der grundsätzliche Unterschied zum minimalistischen Ansatz besteht darin, dass ein Zweifel an der binnenfiktionalen Tatsächlichkeit des Übernatürlichen keine Rolle bei der Definition spielt. Die Phantastische Akademie definiert als die drei großen Eckpfeiler moderner phantastischer Literatur Fantasy, Science-Fiction und Horror.168 Hier zeigt sich, dass sich die Akademie an der maximalistischen Definition von Phantastik orientiert und dabei ähnliche Genres miteinander in Verbindung setzt, wie sie auch im Buchmarkt zusammengebracht werden. So existiert ein eigenes Buchmarktsegment mit der Bezeichnung »Science Fiction/ Fantasy«169 . Daneben hat Trilcke bereits festgestellt, dass auch eine eigene fantastische Blogosphäre im Internet existiert.170 Die Annahme eines eigenen generischen Subfelds der Phantastik/Fantasy171 erscheint demnach tragfähig. Bei diesem Feld handelt sich allerdings noch um ein relativ junges, zumindest in Hinblick auf etablierte Institutionen. So gibt es seit dem Jahr 2015 ein Phantastik-Autoren-Netzwerk (PAN). Dieses entstand im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen der Bonnier-Verlagsgruppe und Amazon. Während die Autorenvereinigung der Kriminalautoren Syndikat ihren Mitgliedern in dieser Debatte eine Stimme geben konnte, fehlte den Phantastik-Autor:innen eine solche Vertretung.172 Auf seiner Webseite erklärt das Netzwerk sein Anliegen wie folgt:

168 Phantastische Akademie e.V.: Seraph, https://phantastische-akademie.de/seraph/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 169 Vgl. dazu etwa Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. (Hg.): Buch und Buchhandel in Zahlen (2016), S. 15. 170 Vgl. Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets. 171 Es könnte theoretisch auch in Bezug auf das Feld zwischen Fantasy-, Science-Fictionund Horrorliteratur unterschieden werden, allerdings zeigen sich ähnliche Feldstrukturen (z.B. ausgeprägte Fankultur oder spezifische Orte des Austauschs wie Conventions). Aus diesem Grund wird hier von einem Subfeld der Phantastik/Fantasy gesprochen, den Überlegungen liegt also die maximalistische Definition von Phantastik zugrunde. 172 Vgl. Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.: Pressemitteilung vom 07. Januar 2016, https:/ /www.phantastik-autoren.net/presse-ordner, letzter Zugriff: 27.03.2021.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Gegenwärtig verändert sich der Buchmarkt – nicht nur das Medium e-book gewinnt zunehmend an Bedeutung – auch Lesegewohnheiten und Produktionsbedingungen unterliegen einem steten Wandel. Vor diesem Hintergrund finden wir es wichtig, als Autoren mit demselben Schwerpunkt auch eine gemeinsame Stimme zu haben, uns zu diesen Veränderungen zu äußern. Deshalb arbeiten wir für eine engere Vernetzung der deutschsprachigen Literaturszene, die sich diesem besonderen erzählerischen Genre widmet. Uns geht es dabei um deutschsprachige Phantastik aus der DACHRegion. Unser Ziel ist die Steigerung der Wertschätzung und des Ansehens, das die Phantastik in der Öffentlichkeit erfährt – und deren Niederschlag in entsprechenden Beiträgen in Zeitung, Rundfunk, Fernsehen und im Internet.173 Neben dem Netzwerk, das vor allem die Interessen der Autor:innen vertreten möchte, existiert – wie in der Einleitung dieser Arbeit bereits erwähnt – im Feld der Phantastik eine spezifische Alltags-, Musik- und Spielekultur. Dabei sind insbesondere Conventions und Festivals Orte des Austauschs und des gemeinsamen Erlebens. Insbesondere für die Phantastik und ihre Fankultur bieten Conventions ein zentrales Forum, wobei nicht nur die Distribution und Rezeption, sondern durch den Austausch mit den ›Machern‹ (Autoren, Filmemachern, Schauspielern, Spieleproduzenten etc.) auch Aspekte der Produktion verhandelt werden.174 Die im Bereich der Phantastik so bezeichneten Fans haben in dem Subfeld demnach einen nicht unwesentlichen Einfluss, der auch gern genutzt wird, zum Beispiel bei der Online-Abstimmung über die Vergabe des Deutschen Phantastik Preises. So scheint ein reger Austausch zwischen den einzelnen Akteur:innen für das Subfeld konstitutiv zu sein. Markus Heitz ist der bisher häufigste Gewinner des Deutschen Phantastik Preises, Autor von über fünfzig Büchern175 und der »›Shooting-Star‹ der 173 174

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Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.: Über uns, https://www.phantastik-autoren.net/ue ber-uns, letzter Zugriff: 27.03.2021. Birgit Ziener: Phantastische Alltagskultur, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 258–263, hier S. 263. Vgl. https://www.droemer-knaur.de/autor/markus-heitz-3000338, letzter Zugriff: 27.03.2021.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

deutschsprachigen Fantasy- und Science-Fiction-Szene«176 . Der Autor ist sehr produktiv, jährlich veröffentlicht er mehrere Fantasy-, Horror- oder ScienceFiction-Romane, die oft auch als Reihen konzipiert sind. Unter dem Pseudonym Maxim Voland erschien 2020 allerdings auch ein politischer Thriller: Die Republik. Das Pseudonym wählte der Autor laut Aussagen auf seiner Webseite, »um eine schärfere Abgrenzung zu meinem Schwerpunkt der letzten knapp zwanzig Jahre im Phantastikgenre zu erreichen.«177 Die Verwendung des Pseudonyms sowie die Bezeichnung als ›Shooting-Star‹ der Fantasy-Literatur verweisen darauf, dass der Name Markus Heitz stark mit einem spezifischen Genre verknüpft ist, und zwar insbesondere mit der Fantasy-Literatur. Das lässt sich auch daran erkennen, dass Heitz gern mit einem Kompositum aus den Worten ›Fantasy‹ und ›Autor‹ betitelt wird.178 In einem anderen Genre oder zu einem anderen Thema zu veröffentlichen und damit erfolgreich zu sein, kann daher schwieriger sein: [E]s ist nie sicher, ob ein neues Projekt auch eine Fanbase findet. Es gibt schon Heitz-Fans, die sich zumindest alles anschauen. Aber manche sagen vielleicht auch: »Ganz nett, aber jetzt bitte den nächsten Zwergenband.« Das ist wie bei einer Band, die sich mit einem Album neu erfinden will. Und dann sagen die Fans manchmal: »Mach lieber noch mal wie vorher.« Deshalb ist es besonders toll, wenn man was Neues hinstellt, und es wird angenommen.179 Zu Markus Heitz existieren bisher kaum literaturwissenschaftliche Besprechungen. In einigen wenigen Beiträgen geht es um den Vampirismus oder das Mittelalter in Heitz’ Texten.180 Zuletzt wurde zudem ein Beitrag zur »An-

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Torsten Mergen: Vampirismus als Anthropologikum, in: Der Vampir in den Kinderund Jugendmedien, hg. von Jana Mikota und Sabine Planka, Berlin: Weidler 2012, S. 159–178, S. 160. 177 Http://www.mahet.de/?page_id=13, letzter Zugriff: 28.03.2021. 178 Vgl. Droemer Knaur: Fantasy-Autor Markus Heitz im Interview. 179 Nina May: Heitz: »Ich wollte eigene Welten schaffen«, in: Neue Presse, Beitrag vom 21.10.2016, https://www.neuepresse.de/medien/heitz-ich-wollte-eigene-weltenschaffen-LXHT5S7XKK77QAXOFB4MHWC2NA.html, letzter Zugriff: 07.11.2022. 180 Mergen: Vampirismus als Anthropologikum; Hans Rudolf Velten: Figurationen des Zwerges in mittelalterlicher Literatur und im Fantasyroman: Tolkien, Heitz, Rehfeld, in: Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman, hg. von Nathanael Busch und Hans Rudolf Velten, Heidelberg: Winter 2018, S. 111–130.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

schaulichkeit in der Fantasyliteratur bei J.R.R. Tolkien und Markus Heitz«181 veröffentlicht. Zu Markus Heitz als Autor lassen sich bisher jedoch keine Beiträge finden. Rezensionen zu seinen Büchern sowie Autorenporträts tauchen auf den Feuilletonseiten überregionaler Zeitungen und Zeitschriften nicht auf.182 Vielmehr finden sich Besprechungen in regionalen Zeitungen. Darüber hinaus bietet das Internet viel Material zu dem Autor: Markus Heitz betreibt zum Beispiel die Webseite www.mahet.de,183 zudem finden sich unter anderem Angaben zum Autor auf Verlagswebseiten, unter www.phantastik-couch.de sowie bei Wikipedia. Markus Heitz ist darüber hinaus auf sozialen Netzwerkplattformen aktiv: Es existieren sowohl ein Twitter-, ein Facebook- als auch ein Instagram-Account.184 Auch auf der Videoplattform YouTube sind einige Clips zu finden, in denen der Autor gezeigt wird. Hier können insbesondere von den Verlagen Droemer Knaur und Piper veröffentlichte Interviews angeschaut werden. Die nachfolgende Analyse beleuchtet den Beginn und das Ende des Untersuchungszeitraums 2010–2020. Zu Beginn des Jahrzehnts veröffentlicht Heitz im Verlag Droemer Knaur unter anderem den zweiten und dritten Band der Judas-Trilogie (beziehungsweise den vierten und fünften Band der »Pakt der Dunkelheit«-Reihe), die aus den Werken Kinder des Judas (2007), Judassohn (2010) sowie Judastöchter (2010) besteht. Zudem brachte Heitz 2011 den zweiten Band von Die Legenden der Albae heraus. Die Judas-Serie spielt im 18. 181

Anja Schonlau: »Hat man von Gandalf etwas gesehen?« Anschaulichkeit in der Fantasyliteratur bei J.R.R. Tolkien und Markus Heitz, in: Show, don’t tell. Konzepte und Strategien anschaulichen Erzählens, hg. von Tilmann Köppe und Rüdiger Singer, Bielefeld: Aisthesis 2018, S. 273-292. 182 Heitz wird in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften eher im Zusammenhang mit dem Besuch von Messen oder Festivals erwähnt oder grundsätzlich in Bezug auf Entwicklungen im Buchmarkt, vgl. z.B. Vanessa Rehermann: Herr der Grundschule, in: Zeit Online, Beitrag vom 15.06.2015, https://www.zeit.de/hamburg/stadtleben/2015-06/fantasy-spielemesse-nordcon-hamburg/seite-2, letzter Zugriff: 27.03.2021; Andrea Diener: Netflix, du hast die Leser geschrumpft, in: FAZ, Beitrag vom 11.10.2018, https://blogs.faz.net/buchmesse/2018/10/11/netflix-du-hast-dieleser-geschrumpft-1759/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 183 S.o. Kapitel 3.4.4.1. 184 Seit 2010 ist Markus Heitz bei Facebook (https://www.facebook.com/profile.php?id= 100047372551277, letzter Zugriff: 27.03.2021); ein Twitter-Account besteht seit 2014 (https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021) und seit 2019 existiert auch ein Instagram-Account (https://www.instagram.com/meister_mahet/?hl=d e, letzter Zugriff: 27.03.2021).

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Jahrhundert sowie im 21. Jahrhundert (unter anderem in Paris und Leipzig). Eine Vampirin namens Jitka kämpft im 18. Jahrhundert gegen eine VampirBruderschaft. Und auch im 21. Jahrhundert ist die inzwischen Sia genannte Vampirin dazu aufgefordert, sich für ihre Überzeugungen einzusetzen und sich um ihre Nachkommen zu kümmern. Laut Angaben des Autors gab es ein Interesse an Vampiren in historischer Perspektive, weswegen er ein »Lachund Sachbuch«185 zu den Wesen der Nacht schrieb, das 2008 unter dem Titel Vampire! Vampire! Alles über Blutsauger veröffentlicht wurde. Heitz greift darin insbesondere den Aberglauben, seine historischen Ursachen sowie die jeweiligen Attribute und Eigenschaften auf, die Vampiren zugesprochen werden. Hier zeigt sich sein historisches Interesse, das in anderer Form auch in anderen Werken Heitz’ zum Ausdruck kommt und somit auch das Autorbild prägt: Ich bin gelernter Historiker und war Journalist. Nachforschungen und das Wühlen in historischen Aufzeichnungen, Quellen und Verweisen machen mir wirklich Spaß! Und damit habe ich den Beweis erbracht, dass ein Geschichtsstudium abseits vom Lehramt nicht automatisch brotlose Kunst bedeutet … Am Anfang stand mein Interesse herauszufinden, woher der europäische Aberglaube kommt, auf den sich die vielen Bücher und Filme beziehen und der durch seine morbide Faszination Menschen in seinen Bann zieht. Und das nicht nur heute. Als Nebeneffekt der Recherche habe ich dann auch selbst noch ein Buch über Vampire geschrieben: ›Kinder des Judas‹. Diese Sorte Vampir, die zum einen ein wenig ins Klischee des Filmvampirs fällt, zum anderen gänzlich anders ist, taucht hier auch noch auf.186 Die Judas-Serie lässt sich der Dark Fantasy und dem Horror zuordnen. Der Ursprung dieser Subgenres liegt in der gothic novel sowie im Schauerroman. Hier finden sich wiederkehrende Motive wie der Vampir, die Werwölfe oder die Geister. Der Unterschied zur High Fantasy liegt laut Johannes Rüsters zum einen im Figurenpersonal und zum andern in der nicht vorhandenen »Gewissheit der Eukatastrophe«187 . ›Eukatastrophe‹ ist ein Begriff, den J.R.R.

185 Markus Heitz: Vampire! Vampire! Alles über Blutsauger, München: Piper 2009, S. 11. 186 Ebd., S. 11f.; vgl. auch Mergen: Vampirismus als Anthropologikum, S. 160. 187 Johannes Rüster: Fantasy, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 284–292, hier S. 288.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Tolkien verwendete und der so viel meint wie die durchaus überraschende Wendung zum Guten. Sie soll laut Tolkien »Trost und Erlösung durch eine andere Welt«188 ermöglichen, welche der Horror und auch die Dark Fantasy nicht immer bietet: Die wohlige Spannung romantisierender Abenteuer wandelt sich in potenziell existenziale Betroffenheit, nicht nur vermischen sich die zuvor doch meist klaren Zuweisungen von ›gut‹ und ›böse‹, sondern auch der Sieg des ›Bösen‹ muss explizit mitgedacht werden.189 Die Romane der Albae-Reihe, deren erste Bände 2009 und 2011 erschienen sind, lassen sich dagegen der High Fantasy zuordnen, wenn auch durch den Blick auf eher düstere Gestalten – die Dunkelelfen – ebenfalls Elemente der Dark Fantasy enthalten sind. Bei der High Fantasy gibt es eine Welt, wie sie etwa J.R.R. Tolkien in seiner Lord of the Rings-Reihe kreierte: »Tolkiens epischer Roman hat die Gattung Fantasy konstituiert«190 . Dabei wird eine sekundäre Welt wie Mittelerde aus Lord of the Rings geschaffen, die keine expliziten Berührungspunkte zu einer fiktiv-realistischen Welt besitzt, in der eigene Gesetzmäßigkeiten und Regeln herrschen und die durch typisierte Figuren gekennzeichnet ist: »Zwerge, Elfen (bei Tolkien Elben), Baumwesen, Helden, Magier, Untote oder Orks«191 . Zudem ist die High-Fantasy-Literatur gekennzeichnet durch die von Joseph Campbell in Hero with a Thousand Faces beschriebene Heldenreise: Darin formuliert der Autor seine These vom Monomythos als Konstruktion eines archetypalen narrativen Musters vom Auszug des Helden über Konfliktlösung, Initiation und Wiederkehr mit je eigenen Konfliktpotenzialen. Er bereitet damit den Weg sowohl der psychologischen Textexegese wie auch der Mythopoiesis der Phantastik. Letztlich ist es diese Kombination, die die Fantasy in ihrem Kern bis heute entscheidend prägt: Eine Anderswelt in mythischem Modus, die auf den globalen Sagenschatz rekurriert – und so dem Rezipienten in der Eukatastrophe Katharsis verschafft.192

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Ebd., S. 285. Ebd., S. 288. Schonlau: »Hat man von Gandalf etwas gesehen?«, S. 273. Rüster: Fantasy, S. 286. Ebd., S. 285.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Anja Schonlau macht darauf aufmerksam, dass gerade in den letzten Jahren »Romanserien entstanden [sind], die jeweils ein aus Mittelerde bekanntes Fantasy-Volk in den Mittelpunkt stellen.«193 Zu diesen neuen Romanserien zählt Sven Nicholls Orcs-Reihe (1999–2001), Bernhard Hennens Die Elfen-Reihe (2004–2008) und eben auch die Zwerge-Reihe von Heitz. Dessen Albae-Reihe spielt in derselben Welt, die nun aus der Sicht der Albae, der elbenähnlichen Wesen, beschrieben wird. Zum Ende des Jahrzehnts erschienen wieder Romane, die eher der Dark Fantasy zugewiesen werden könnten. 2018 kommt zum Beispiel Die Klinge des Schicksals194 in den Buchhandel, eine Geschichte über eine ältere Kriegerin namens Danèstra, die es mit einem sich ausbreitenden Wald zu tun bekommt. Mit der Figur der Kriegerin erinnert der Roman an Elemente von Heroic Fantasy, wo sich »häufig hünenhafte Schwertträger und magisch Begabte oder übernatürliche Wesen gegenüber[stehen], wobei Ersterer meist als Zentralbewusstsein und Sympathieträger angelegt ist.«195 Bei der Heroic Fantasy handele es sich laut Rüster um eine »Wunscherfüllung für ein Massenpublikum«196 , für die prototypisch die Figur Conan der Barbar steht, ein Figurentyp mit durchaus »xenophoben, misogynen und Gewalt propagierenden Züge[n]«.197 Eben dieser Typus wird von Heitz in Die Klinge des Schicksals mit der über 60-jährigen Kriegerin weiblich codiert und generell modernisiert. Mit der Figur des Mahetian Tintenfain, einem Groschenheftschreiber, der das Leben der Kriegerin literarisiert und ausschmückt, findet sich in dem Werk darüber hinaus eine Autorfigur, die dem Roman einen humorvollen und autofiktionalen Anstrich verleiht. Im Hinblick auf solche Phänomene bezeichnet Mergen Markus Heitz als »postmodernen Fantasy-Schriftsteller[], der in seinen Texten neuere Entwicklungen wie Medialisierung und Psychologisierung des Figuren- und Erzählinventars aufgreift.«198 Es ist nun zu fragen, inwiefern in den analysierten Medienangeboten Autorbilder auftauchen, die die Verbindung zwischen dem Namen Markus Heitz und dem Genre Fantasy weiter bestärken, oder ob dieses dominante Autorbild

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Schonlau: »Hat man von Gandalf etwas gesehen?«, S. 273. Markus Heitz: Die Klinge des Schicksals, München: Droemer Knaur 2018. Rüster: Fantasy, S. 287. Ebd. Ebd. Mergen: Vampirismus als Anthropologikum, S. 160.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

auch unterlaufen wird. Dabei wird auch danach geschaut, ob sich die Autorbilder zu Markus Heitz im Laufe des Jahrzehnts verändern. Da Markus Heitz im Subfeld der Phantastik/Fantasy so erfolgreich ist, lässt sich vermuten, dass die Autorinszenierungen Heitz’ den Spezifika des Subfeldes weitestgehend entsprechen.

4.2.1 »Markus Heitz trägt schwarz, komplett« – Heitz als Szene-Autor Im Kapitel zu den Quellenkontexten wurden bereits Diskurspartikel auf der Webseite von Markus Heitz analysiert, die insbesondere die körperliche Performance betreffen.199 Demnach stellt das Tragen schwarzer Kleidung ein wesentliches und häufig auftauchendes Element der körperlichen Performance des Autors dar. Weitere Medienangebote bestätigen dies: So stellt Heitz zum Beispiel bei Twitter auch mal eine Verwechslung mit den folgenden Worten richtig: »Oh, äh… das war nicht ich, sondern ein Double! Ganz leicht erkennbar: KEINE SCHWARZEN KLAMOTTEN! :)«200 Im Bericht zu einem Interview mit Heitz, das in mehreren regionalen Zeitungen abgedruckt wurde, taucht ebenfalls der Hinweis auf die Farbwahl auf: Während des Interviews (auf der Frankfurter Buchmesse) kommen immer wieder Fans vorbei, um sich von dem ganz in schwarz gekleideten Mann mit den vielen Piratenringen ein Autogramm geben zu lassen.201 Die schwarze Kleidung ist also ein wesentliches Attribut der körperlichen Performance des Autors, das in Presse-Artikeln gern aufgegriffen und auch vom Autor selbst auf sozialen Netzwerkplattformen betont wird. Ähnliches gilt für die ›Piratenringe‹, also den Schmuck des Autors: Dessen Webseite enthält einen Link zu einem Gothic-Schmuck-Shop, in dem sogenannte »SchnitterRinge«202 in Anlehnung an Markus Heitz’ Roman Oneiros – Tödlicher Fluch (2012) zu erwerben sind. Auch in Interviews wird der Schmuck beschrieben: Markus Heitz trägt schwarz, komplett – vom Hemd über die Hose bis zu den Schuhen. An den Fingern stecken fünf dicke Ringe mit verschnörkelten 199 200 201 202

S.o. Kapitel 3.4.4.1. Tweet vom 13.10.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 28.03.2021. May: Heitz: »Ich wollte eigene Welten schaffen«. Https://www.ornamentum-ex-medio.de/gothic-schmuck-individuell/haus-derschnitterringe/, letzter Zugriff: 27.03.2021.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Verzierungen und großen schwarzen Steinen. Ja, er ist ein »Grufti« und ein »Nerd« sowieso.203 Die Autorenfotos auf den Verlagsseiten setzen den Gothic-Schmuck durch entsprechende Posen in Szene.

Abb. 6: Droemer Knaur-Verlagswebseite von Markus Heitz, Screenshot vom 07.09.2018 Abb. 7: Piper-Verlagswebseite von Markus Heitz, Screenshot vom 21.03.2018

Abb 6: © Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG/Stefan Freund (Foto) Abb. 7: © Piper/Martin Höhne (Foto)

Die zuvor auf der Webseite angedeuteten Elemente werden auf den Verlagsseiten damit unmittelbar sichtbar. Einige wesentliche Strukturmerkmale der Fotografien ähneln typischen Autorenporträts, etwa der Bildausschnitt oder die Blickrichtung in die Kamera, jedoch wird Heitz hier zusätzlich mit den prominent sichtbaren Ringen sowie mit hochgestelltem schwarzen Kragen inszeniert. Auch bei Instagram lassen sich Elemente der körperlichen Performance erkennen, wofür das soziale Netzwerk letztlich auch bekannt ist. Allerdings ist die Instagram-Seite von Heitz hauptsächlich mit Ankündigungen bestückt, pri-

203 O.V.: Fanatsy-Autor [sic!] Markus Heitz hat seine Grafikkarte im Kopf, in: Gießener Allgemeine, Beitrag vom 15.05.2013, https://ios-hybrid.giessener-allgemeine.de/regiona l/wetteraukreis/friedberg/art555,81245, letzter Zugriff: 27.03.2021.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

vate Bilder des Autors existieren nicht. Jedoch wird ein Element der körperlichen Performance in einer Fotografie aufgegriffen, und zwar die Schuhe:

Abb. 8: Heitz’ Schuhe, Fotografie auf Instagram, 27.01.2019

© Markus Heitz

Die schwarz-weißen Schuhe von Heitz werden in der Fotografie in Szene gesetzt, ihre Besonderheit, die in diesem Kontext sichtbar wird, wird hervorgehoben. Die in der ikonischen Szenerie wiedergegebenen schwarz-weißen Schuhe tauchen wie die Ringe und die Farbe Schwarz in mehreren Medienangeboten auf, zum Beispiel sind sie auch auf YouTube sichtbar. Dort wurden unter anderem seitens der Verlagsgruppe Droemer Knaur Autorenporträts hoch-

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

geladen, eines etwa kurz nach Veröffentlichung des Urban-Fantasy-Thrillers Exkarnation.204

Abb. 9: Heitz im Leipziger Bahnhof, Screenshot aus dem Autorenporträt der Verlagsgruppe Droemer Knaur »Eine Begegnung mit Bestsellerautor Markus Heitz«, YouTube, 13.08.2014

© Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG

In Bezug auf die Subjektform ›Autor‹, das heißt für Autor:innen, die gemeinhin dem autonomen Pol zugeordnet werden, beschreibt Kyora die ›Regeln‹ der Kleiderwahl wie folgt: Bei der Kleidung ist gehobener Casual-Stil die Regel, also kein Anzug mit Krawatte bei den Herren, eher Hose plus Jackett oder Pullover – wie festgelegt hier die Regeln sind, wird immer an den Abweichungen deutlich: Anzugträger wie Walter Kempowski werden sofort bewertet, auch die Anzüge der Popautoren z.B. von Stuckrad-Barre in den 90ern wurden als Statement wahrgenommen. Die Abweichungen im Kleidungsstil nach ›unten‹ führen meist zur Einordnung als ›Szene‹-Autor (z.B. bei Punk-Elementen).205

204 Verlagsgruppe Droemer Knaur: Eine Begegnung mit Bestsellerautor Markus Heitz, 12.08.2014, https://www.youtube.com/watch?v=hgIS2Uc0ieU, letzter Zugriff: 27.03.2021. 205 Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 254.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Betrachtet man die bisher gesammelten Diskurspartikel zur körperlichen Performance, so ist erkennbar, dass darin die Abweichungen vom Casual-Stil gern betont werden und sich Heitz mithilfe vieler Elemente zunächst zur Interpretation als Szene-Autor anbietet. Das audiovisuelle Autorenporträt erlaubt auch Aussagen zur Mimik, Gestik und Stimme. Es zeigen sich einige Übereinstimmungen zwischen der von Kyora beschriebenen Subjektform ›Autor‹ und der Medienfigur ›Heitz‹: Die Stimme ist halblaut, die Gestik ruhig wie alle Bewegungen des Autors, was durch die Schnitte und die Kameraführung unterstützt wird. Die Fähigkeit zur Konzentration wird dadurch herausgestellt. Die Ruhe, die Heitz ausstrahlt, steht im Kontrast zu dem Ort, an dem gefilmt wird: dem Leipziger Bahnhof. Die Kamera folgt dort dem Blick des Autors, der in beobachtender Perspektive das Gebäude erkundet und nicht – wie viele Reisende – zum Zug hetzt. Er wird demnach als jemand inszeniert, der mit einer besonderen Haltung durch die Welt geht. Es handelt sich um das bekannte Motiv des Autors als jemand, der außerhalb der Gesellschaft steht und aus diesem Grund einen distanzierten, beobachtenden Blick auf sie werfen kann.206 Heitz wird also über seine Kleidung als Szene-Autor, über Mimik und Gestik als ruhiger, konzentrierter Beobachter inszeniert. Seine charakteristischen Attribute werden zur Imagebildung genutzt und – zum Beispiel auf den Verlagsfotografien – gezielt in Szene gesetzt. Sie können zudem als Verweise auf das Genre und Subfeld der Phantastik/Fantasy begriffen werden, in dem Heitz überwiegend publiziert und wahrgenommen wird. Denn über die Inhalte der Werke, über Rollenspiele, Computer-, Karten- und Brettspiele sind kunstvolle Kostümierungen sowie Gothic-Elemente mit Fantasy-Literatur verknüpft, was nachfolgend weiter zu erläutern ist.

4.2.2 Heitz als fantastische Figur Die Pose, die Heitz auf der vom Droemer Knaur Verlag veröffentlichten Fotografie einnimmt, lässt sich auch bei älteren Fotografien von Heitz wiederfinden. Das folgende Foto wurde laut Angaben des Autors rund um das Jahr 2008 aufgenommen und findet sich auf amazon.de sowie auf englischsprachi-

206 Vgl. dazu etwa Michael Braun: Der Haß der Poeten. Eine geistesgeschichtliche Skizze, in: Der poetische Augenblick. Essays zur Gegenwartsliteratur, hg. von dems., Berlin: Vis-à-Vis 1986, S. 53–61, hier S. 60.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

gen Literaturportalen. Hier werden mit dem Bildausschnitt, dem Kamerawinkel, dem Blick und dem Hintergrund weitere Deutungen angeboten:

Abb. 10: Heitz als fantastische Figur

© photo: www.arneschultz.com

Die Fotografie zeigt Heitz inszeniert als fantastische Figur mit gelben Augen, die an die ein oder andere Vampir- oder Werwolfdarstellung erinnert. Bekleidet ist er mit einem langen schwarzen Mantel. Die Vögel im Hintergrund des Bildes lassen zudem Assoziationen zu Fantasy- und Horror-Filmen sowie auch zu Filmklassikern wie Alfred Hitchcocks Die Vögel zu. Der Bildausschnitt zeigt zudem nicht nur frontal den Kopf- und Brustbereich des Autors, sondern präsentiert ihn aus der Froschperspektive mit amerikanischer Einstel-

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

lungsgröße. Der lange schwarze Mantel wird damit sichtbar. Zudem unterstützt die Froschperspektive eine unheimlich anmutende Atmosphäre. Damit wird Heitz ganz explizit mit den Inhalten seiner Werke in Zusammenhang gebracht. Im Jahr 2008 veröffentlichte Heitz das Sachbuch Vampire! Vampire! Alles über Blutsauger, zudem kam 2007–2010 die Judas-Serie mit der Vampirin als Hauptfigur auf den Markt, und Heitz unterschrieb Autogramme »mit einem Smiley mit Vampirzähnen«.207 Eine Verbindung zwischen den Figuren seiner Werke und den medial erzeugten Autorbildern wird demnach hervorgerufen. Nun ist diese Form der Inszenierung nichts Untypisches in Bezug auf das Subfeld der Phantastik/Fantasy. Der Blick auf andere Fantasy-Autor:innen zeigt, dass sie häufig Kleider und Kostümierungen tragen, die an die erzählten Welten der Fantasy erinnern.208 Das Subfeld der Phantastik/Fantasy beinhaltet auch eine fantastische Alltagskultur, die sich zum Beispiel auf Kostümierungen und eine spezifische Mode bezieht. Dazu bemerkt Claudia Banz, dass der Einfluss von Subkulturen auf die Modewelt in den letzten Jahrzehnten bedeutend gestiegen [sei] – so wie umgekehrt die Ästhetik der Modeavantgarde in jugendlichen Sub- und Fankulturen eine erhebliche Resonanz findet und weiter popularisiert wird, wozu zumal ikonische Künstler wie Madonna, Lady Gaga, Marilyn Manson und Alice Cooper oder Kiss beigetragen haben. Die extravagante Bekleidung der Teilnehmer an Konvents wie dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig demonstriert die Faszination der ästhetischen Avantgarde, aber auch die relative Selbstverständlichkeit, in der einst Marginales oder auch Avantgardistisches mittlerweile einen Platz in der Mitte der Gesellschaft gefunden hat.209 Banz weist auch darauf hin, dass eine spezifische Mode, spezifische Konvents, aber vor allem auch das Rollenspiel mit der Fantasy-Literatur im Zusammenhang stehen. Letztlich geht es bei Rollenspielen wie auch in der Fantasy-Literatur um die Entwicklung einer Quest. Die Spiele sind demnach für das Subfeld

207 May: Heitz: »Ich wollte eigene Welten schaffen«. 208 Vgl. dazu etwa die Fotografien auf den Webseiten von Wolfgang Hohlbein (https://www.hohlbein.de/neu/aktuelles.php, letzter Zugriff: 12.03.2021) oder Ann-Kathrin Karschnick (https://www.ann-kathrinkarschnick.de/, 12.03.2021). 209 Claudia Banz: Design und Mode, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/Weimar: Metzler 2013, S. 268–272, hier S. 271.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

prägend. Es verwundert daher auch nicht, dass auch die Autorschaft Heitz’ mit dem Rollenspiel verknüpft ist. In einem Interview mit der Gießener Allgemeinen antwortet Heitz auf die Frage, ob seine Anfänge als Autor im Rollenspiel lägen: Ja, diese Erfahrung ist beim Bauen von Welten, die in sich schlüssig sind, sehr nützlich. In denen man sich bewegen kann, ohne zu stolpern. Man muss sich Gedanken machen wie: Welche Währung und welche Entfernungsmaße gibt es? Wie ist die Rechtsprechung? Und dann kann man Konflikte zwischen verschiedenen fiktiven Gesellschaften erfinden, zum Beispiel unterschiedliche Einstellungen gegenüber Leibeigenschaft.210 Und so tituliert die Gießener Allgemeine Markus Heitz als »Rollenspieler der alten Schule« und zitiert anschließend den Autor: »[D]amals haben wir das noch mit Bleistift und Papier gespielt, die Grafikkarte war in unserem Kopf«.211 Der Autor brachte auch selbst Rollenspiele auf den Markt, zum Beispiel Justifiers (2010), eine Mischung aus Brett- und Abenteuerspiel, das in einer fiktiven Welt der Zukunft spielt.212 Zudem gibt es zu seinen Werken und Welten – wie zu den Zwergen – inzwischen auch Computerspiele.213 Trotz seiner Erfahrungen mit dem Rollenspiel, also dem Leben in fiktiven Welten, und trotz seiner äußerlichen Erscheinung scheint es dem Autor doch auch wichtig, sich von den von ihm geschaffenen Welten abzugrenzen: »Um den Klischees des Horror-/Dunkle Spannung-/Urban Fantasy-Autors nicht gerecht zu werden, verkünde ich deutlich: Ich glaube nicht an Vampire!«214 Diese Aussage findet sich mehrfach in den Medienangeboten rund um Heitz, womit er »das Autorbild in diesem Segment«215 parodiert. Auf seiner Webseite betont der Autor zudem – nicht ohne Ironie –, er tummele sich grundsätzlich in verschiedenen Genres, auch wenn der Schwerpunkt im Moment eindeutig auf Fantasy und Dunkler Spannung (The Abteilung formerly known as HORROR und gelegentlich genannt Urban Fantasy, wobei damit kein Mann gemeint ist, der Urban heißt) liegt.

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O.V.: Fanatsy-Autor [sic!] Markus Heitz hat seine Grafikkarte im Kopf. Ebd. Markus Heitz: Justifiers. Abenteuerspiel 2010. Vgl. dazu Die Zwerge – Autor Markus Heitz spielt zum ersten Mal selbst!, 20.08.2016, https://www.youtube.com/watch?v=wl0WtF7c9CU, letzter Zugriff: 27.03.2021. 214 Mergen: Vampirismus als Anthropologikum, S. 161. 215 Ebd.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

…. aber im Geheimen schreibe ich ganz andere Sachen: über eine bunte Welt voller Liebe, Friede und Gewaltlosigkeit, Mensch und Natur im Einklang, keine Monster, keine Waffen, kein Hass und kein Sex! … . . Da mein Agent aber meinte, solche Bücher würden niemanden interessieren und sogar die Bibel nicht ohne Sex, Gewalt und Genozid (im weitesten Sinne) auskommt, weine ich jeden Morgen eine halbe Stunde und mache – was? Richtig: Fantasy und Horror und zu was ich sonst noch Lust habe!216 Markus Heitz verweist immer wieder darauf, dass er zwar viel im Bereich Fantasy, Horror und Science Fiction schreibt, jedoch nicht nur diesem Genre und den damit verknüpften Stereotypen zugewiesen werden möchte. Seine Autorinszenierung beinhaltet demnach beides: die Verknüpfung mit dem Genre sowie die Abkehr von eben diesem dominanten Autorbild. Insbesondere zum Ende des Jahrzehnts sind die medialen Inszenierungen zudem grundsätzlich als neutraler einzustufen. So findet sich zum Beispiel bei Facebook und Twitter eine Fotografie, die zwar ebenfalls nicht typisch im Vergleich zu anderen Autorenfotos ist, die jedoch keine so starke Zuordnung zum Subfeld der Phantastik/ Fantasy hervorruft. Es handelt sich um eine Nahsicht des Kopfes, des Unterarms und der Hand, die mit den Worten »Thinking about«217 betitelt ist und laut Auskunft des Fotografen bei einem Live-Hörspiel von Heitz’ Die Meisterin (2018) entstanden ist. Der Autor nimmt mit der Denkergeste eine bekannte Autorpose ein beziehungsweise verweist auf diese mit der Bildunterschrift. Betrachter:innen befinden sich in der Froschperspektive und damit in einer ähnlichen Position wie bei der Betrachtung der Plastik Le Penseur von Auguste Rodin. Allerdings lässt die Nahsicht des Unterarms die Deutung zu, dass die traditionelle Geste des Denkers gerade parodiert wird.

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Https://www.mahet.de, letzter Zugriff: 30.07.2018 bzw. https://web.archive.org/web/ 20180407123716/www.mahet.de/deutsch/projekte, letzter Zugriff 24.10.2022. Beitrag vom 24.10.2018 auf der Facebook-Seite, https://www.facebook.com/photo/?fbi d=1922424281173123&set=a.243830477206036letzter Zugriff: 24.10.2022.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Abb. 11: Profilfoto von Heitz bei Facebook, 24.10.2018

© Sven Krohn

4.2.3 »Musik ist wichtig« – Heitz als Eventbesucher und -initiator Ein Zeitungsartikel über die Nordcon, die größte freie Convention für fantastische Spiele und Literatur218 , berichtet, dass Heitz seit 2002 diese Konvention besucht. »›Als ich das erste Mal hier war, kannte mich keiner und es war meine erste richtig weite Fahrt zu einer Lesung‹, erzählt er. Mittlerweile sei die Veranstaltung ›die Homebase für Fantasyautoren.‹«219 Conventions sind ein zentrales Element im Feld. Hier steht insbesondere der Austausch zwischen den einzelnen Akteur:innen im Feld im Vordergrund, wobei es nicht selten zu Rollenwechseln zwischen Produzierenden und Rezipierenden kommt. So zeigen sich auch Produzierende als ›Fans‹ oder ›Fans‹ sind an Produktionen (mit-)beteiligt. 218 219

Https://www.nordcon.de/, letzter Zugriff: 27.03.2021. Rehermann: Herr der Grundschule.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Dieser Rollenwechsel lässt sich bei Markus Heitz zum Beispiel im Bereich der Musik finden. Dass für den Autor Musik eine wesentliche Rolle spielt, zeigen seine Posts auf sozialen Netzwerkplattformen mit Links zu Songs. Es handelt sich um Songs verschiedenster Musikrichtungen, die er – laut Angaben bei Twitter – zum Schreiben oder in den Pausen hört, zum Beispiel: »Heutige Schreibmusik: Es wird müsteryööös! https://youtube.com/watch?v=TaaTS Y«.220 In der Selbstbeschreibung des Autors auf seiner Webseite gab er an, welche Musik er hört: Musik ist wichtig. Dabei bevorzuge ich in erster Linie die Gothic-Abteilung, und das quer durch alle Sparten, von »Dead Can Dance« über »Sisters of Mercy«, »VNV Nation«. Dazu kommen Metal, Rock, Soundtracks, mittelalterliche (echte und neu interpretierte von »Corvus Corax«, »Qntal«, »Estampie« u.ä.) und sogenannte »klassische« Musik, hauptsächlich russische und skandinavische Komponisten.221 Einige Bands arbeiten auch mit Markus Heitz zusammen beziehungsweise vertonen seine Texte. So wurde zum Beispiel ein sogenanntes »Fantastical« von der Band Corvus Corax musikalisch ausgestaltet. In der Beschreibung dazu heißt es: »Der Fluch des Drachen vereint die Opulenz eines energetischen Musicals mit der Fantasie und Dramatik einer epischen Fantasy-Geschichte.«222 Zudem schrieb Heitz Songtexte, etwa für das Lied »ECHO« der MittelalterElektro-Band QNTAL. Eine weitere Verbindung zwischen dem Autor Heitz und der Musikbranche lässt sich an seinen Festivalteilnahmen erkennen. Markus Heitz liest zum Beispiel auf dem Gothic-Wave-Treffen Leipzig, dem Amphi Festival, dem Plage Noire, dem Wacken oder dem Mera Luna Festival. Synergieeffekte zwischen Fantasy-Literatur und musikalischen Events sind demnach für das Subfeld der Phantastik/Fantasy prägend und bieten dem Autor weitere Kreativ- und Inszenierungsorte. Heitz’ Lesereisen werden darüber hinaus durch spezifische Events oder Musik zu ›Lesetouren‹. Zu seinem Werk Des Teufels Gebetbuch (2017), in dem es um mysteriöse Spielkarten aus vergangenen Zeiten geht, wurde zum Beispiel ein Kartenturnier organisiert. Laut Aussagen der Veranstalter:innen konnte

220 Tweets vom 11.02.2015, 02.02.2015, 01.02.2015, 27.03.2021, 01.02.2015, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. 221 Http://www.mahet.de/?page_id=47, letzter Zugriff: 27.03.2021. 222 Http://www.derfluchdesdrachen.de/, letzter Zugriff: 27.03.2021.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

damit das Buch »zum Leben erweckt«223 und der »stationäre Buchhandel«224 gestärkt werden. »In einer Mischung aus Lesung und Musik geht Heitz mit der Münchner Mittelalter-Elektro-Band Qntal auf Tour«, heißt es zudem zur ›Lesetour‹ mit dem Buch Judassohn (2010),225 die ausdrücklich nicht als ›Lesereise‹, sondern als ›Tour‹ oder ›Live-Lesung‹ bezeichnet wird. Damit werden die Lesungen auch über die Wortwahl mit anderen Unterhaltungsveranstaltungen verknüpft. Der Autor wird ähnlich wie ein Musikstar wahrgenommen, was auch erklärt, warum seine Leser:innen als ›Fans‹ bezeichnet werden. Grundsätzlich unterscheiden sich also die ›Live-Lesungen‹ von Heitz von typischen Lesungen. Sie sind – mit Kyora gesprochen – definitiv ›inszenatorisch betont‹. Von der Zurückgenommenheit, von der Kyora in Bezug auf die Subjektform ›Autor‹ schreibt, ist nicht viel zu erkennen. So bezeichnet Heitz zum Beispiel den Sessel, auf dem er während der Lesung sitzt, als Thron. Seine Lesungen ähneln Konzerten oder Theaterstücken, er wird somit eher als ›Star‹ wahrgenommen. Heitz beschreibt sich selbst in einem fiktiven »Tourtagebuch« – nicht ohne Selbstironie – als Rock- oder Fernsehstar, desavouiert diese Vorstellung jedoch sogleich wieder. Eine Woche Rockstar! Sex, Drugs, Rock’n’Roll. […] Platz für Sex ist nicht, Drugs … in einem holländischen Bus sollte man das vermuten, gab aber nix. Ähm, also nichts Illegales. Und Elvis oder Rock’n’Roll ist nicht so meine Sache.226 Auch wenn Heitz hier das Bild eines Rockstars ironisch bricht, veranlassen die von ihm ausgehenden Inszenierungspraktiken, ihn zumindest teilweise als solchen wahrzunehmen. Dies zeigt sich auf seiner Facebook-Seite, die insbesondere mit Ankündigungen zu geplanten Events oder zu erscheinenden Romanen bestückt ist. Mit Sporer wäre die Facebook-Seite von Heitz damit der

223 Verlagsgruppe Droemer Knaur: Kartenturnier-Lesereise von Markus Heitz zu »Des Teufels Gebetbuch«, 30.08.2017, https://leanderwattig.com/award/2017/verlagsgrup pe-droemer-knaur-kartenturnier-lesereise-von-markus-heitz-zu-des-teufels-gebetb uch/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 224 Ebd. 225 O.V.: Markus Heitz liest aus Roman »Judassohn«, in: Saarbrücker Zeitung, Beitrag vom 16.03.2010, https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saar-pfalz-kreis/markusheitz-liest-ausroman-judassohn_aid-479931, letzter Zugriff: 27.03.2021. 226 Http://www.mahet.de/, letzter Zugriff: 21.03.2018 bzw. https://web.archive.org/web/2 0180819232300/www.mahet.de/deutsch/projekte/horror/judassohn/judassohn-tour/, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Kategorie ›Das Marketing im Vordergrund‹ zuzuordnen.227 Neben den Ankündigungen lässt sich dort allerdings noch etwas anderes beobachten, und zwar die Interaktion mit den ›Fans‹, wie die Leserschaft sich auch dort bezeichnet.

4.2.4 »Unfassbar sympathischer Mensch« mit Meinung Nach den Ankündigungen von Events und den Verweisen aufs Songs dienen die meisten Beiträge auf Facebook der Interaktion zwischen dem Autor und seinen Leser:innen. Dabei wird nicht nur der Autor von seinen Fans angesprochen, sondern der Autor grüßt auch seine Fans oder bedankt sich bei ihnen, etwa im folgenden Beitrag: Danke an alle, die sich zur #LBM18 durchkämpften, der Witterung trotzten und uns AutorInnen lauschten und mit uns plauschten. Schön war’s wieder, in LE! Bis zur nächsten Buchmesse! :)228 Auf Facebook herrscht ein reger Austausch, vor allem über die Werke und darin kreierten Welten von Heitz. Auffällig ist auf der Plattform, dass sich alle duzen, aber gleichzeitig und auch etwas ironisch den Autor mit ›Meister‹ ansprechen. Heitz schreibt in seiner Kurzbiographie auf seiner Webseite, dass er vom Lehramtsstudium zum »Magister Artium« wechselte, [w]eil das Schreiben einfach zu sehr in den Vordergrund drängte. Kreativität kann auch ein Fluch sein, das als Warnung. Und ich fand es schicker, mich hinterher »Meister« nennen zu dürfen. Ein »Meister der Kunst«.229 Von seinen Fans wird der Titel gern aufgegriffen. So finden sich zum Beispiel bei Facebook folgende Sätze: Und wie in alter Tradition werde ich des Samstags zur gebotenen Stunde in der Schlange des Anbettenden Volkes stehen um dies erhabene Werk durch des Meisters Hand Veredelung zu erfahren. Signirstunde von Markus Heitz.230

227 Vgl. Sporer: (Selbst-)Inszenierungen von Autorinnen und Autoren im Internet, S. 216–218. 228 Kommentar zum Beitrag vom 19.03.2018, https://www.facebook.com/notes/66981133 3949164/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 229 Http://www.mahet.de/?page_id=47, letzter Zugriff: 27.03.2021. 230 Kommentar zum Beitrag vom 19.02.2018, https://www.facebook.com/notes/66981133 3949164/, letzter Zugriff: 27.03.2021, Fehler i.Orig.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Heitz schreibt in der Regel relativ zuverlässig zurück, antwortet auf Anfragen zu Veröffentlichungen oder Tickets, auch auf Meinungen, Nachfragen und Vorschläge geht er ein. Hier ist erkennbar, was schon in Bezug auf Conventions festgestellt werden konnte: Produzierende und Rezipierende sind in einem kreativen Austausch. Und auch wenn der Autor mit ›Meister‹ angesprochen wird, ist keine starke Hierarchie erkennbar. Vielmehr lässt sich eine Kommunikation auf Augenhöhe bemerken. Das zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass Heitz auf die Frage, ob es vom »Starautor« ein Autogramm geben könnte, antwortet: »Das mit dem ›Starautor‹ lassen wir mal, aber ja: Auf Buchmessen und Lesungen oder beim Drachenwinkel ordern.«231 In diesem Fall kann demnach von einer veränderten Sender-Empfänger- sowie Autor-Leser-Hierarchie gesprochen werden, die durch die sozialen Netzwerkplattformen bedingt beziehungsweise sichtbar ist. Markus Heitz ist demnach ein Autor, der auf den sozialen Netzwerkplattformen recht aktiv ist und dort mit seinen Fans im Austausch steht. Dadurch erscheint er trotz Star-Image und ›Meister‹-Titel sehr nahbar. Dass er auch Emoticons verwendet, unterstützt die Nahbarkeit. Wie im Fall von Sibylle Berg entsteht durch die häufigen Beiträge, Bilder und Videos etwas, das mit Jens Eder als »imaginative Nähe«232 bezeichnet werden kann. Dabei handelt es sich um eine Nähe, die entsteht, wenn eine Figur oder auch Person zwar nicht physisch oder zwischenmenschlich ›nah‹ ist, dafür aber viele Informationen zu ihr existieren: Die Wahrnehmung audiovisueller Figurendarstellungen führt gewöhnlich zu kognitiven Zuständen, die eine Figur mit physischen, mentalen und sozialen Eigenschaften assoziieren. Wenn sich mehrere solcher Zustände in einem Prozess der Figurensynthese miteinander verbinden, bilden sie ein mentales Modell der Figur, d.h. eine analoge, multimodale, dynamische Repräsentation im Bewusstsein der Zuschauer. Psychologischen Ansätzen zufolge entwickeln wir solche modellhaften Vorstellungskomplexe nicht nur von fiktiven Figuren, sondern auch von uns selbst und anderen realen Wesen.233

231 Ebd. 232 Jens Eder: Imaginative Nähe zu Figuren, in: montage AV 15 (2006), Nr. 2, S. 135–160, hier S. 137f., Herv.i.Orig. 233 Ebd.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Die Nähe, die zu einer Figur aufgebaut wird, hinge zudem auch vom Grad der »Authentisierung«234 und dem Grad des Realismus ab. Je mehr also über eine Figur erfahrbar ist und je mehr die Figur den eigenen Vorstellungen und Werten entspricht, desto eher kann imaginative Nähe entstehen. Da Markus Heitz und Sibylle Berg durch umfangreiche digitale Inszenierungspraktiken auffallen, bieten sie ihren Leser:innen/›Fans‹ die Möglichkeit, imaginative Nähe zu ihren Medienfiguren aufzubauen. Unter anderem so erklärt es sich, dass ›sympathisch‹ eines der Wörter ist, das oft im Zusammenhang mit Markus Heitz verwendet wird, etwa unter einem der Video-Porträts des Verlags bei YouTube: Unfassbar sympathischer Mensch, mein Bruder titulierte ihn als den deutschen Stephen King. Ich lasse das unkommentiert und drücke hiermit nur meinen Respekt und meine Verbundenheit zu seinen Werken aus.235 Auf den von Heitz genutzten sozialen Netzwerkplattformen wie Facebook und Twitter lässt sich zudem beobachten, dass sich auch internationale Fans melden und nach den Übersetzungen einzelner Werke fragen. Hier zeigt sich ein weiterer Vorteil der sozialen Netzwerkplattformen: Sie ermöglichen den länderübergreifenden Austausch und geben internationalen Fans die Möglichkeit, problemlos mit Autor:innen wie Heitz in Kontakt zu treten. Für den Autor bieten soziale Netzwerkplattformen zudem die Chance, unterschiedliche Inhalte in den Vordergrund zu stellen. Bei der Webseite von Heitz stehen vor allem die eigenen Projekte im Vordergrund, bei Facebook die Ankündigungen und der Austausch, und Twitter nutzt Heitz insbesondere, um auf externe Medieninhalte aufmerksam zu machen und diese zu kommentieren. Die Medieninhalte sind vermehrt Artikel aus Zeitschriften oder Zeitungen, insbesondere vom Spiegel oder Stern. Zudem werden – wie auch bei Facebook – Links zu spezifischen Songs eingebettet, zu denen Heitz angibt, sie während des Schreibens zu hören. Nicht selten schimmert eine humorvolle Einstellung durch. So kommentiert Heitz zum Beispiel 2017 den Bauplan für den BER-Flughafen: BER: 2019 also auch fraglich. These: 2021. Nach der Wahl. Um die »Neuen« einzufliegen und »die Alten« raus. :D www.stern.de/wirtschaft/news/ber--b

234 Ebd., S. 139. 235 Kommentar zu Verlagsgruppe Droemer Knaur: Fantasy-Autor Markus Heitz im Interview.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

osch-widerspricht-neuem-terminplan-fuer-hauptstadtflughafen-7643758. html236 Des Weiteren finden sich Bemerkungen zum eigenen Schreiben sowie Meinungen zum Kunst- und Kulturbetrieb wie zu seiner ersten GEMA-Rechnung: »Erste GEMA-Abrechnung meines Lebens: 0,19 Euro. DAS ist also der Reichtum, von dem sie alle in der Musikbranche sprechen! Geil! :D :D«237 . Die humorvollen Kommentare bei Twitter überwiegen, so gibt es auch einige Witze: »Schon mal drüber nachgedacht? Das Wort ›Brückentag‹ hat bei Zahnärzten eine ganz andere Bedeutung. :D #FreiberuflerArbeitenImmer«238 . Andere Beiträge sind eher poetisch, werden jedoch nicht selten wiederum ironisch gebrochen: »Sturm. Der Bambus im Garten rauscht wie Meer. Werfe Salz in den Wind, um die Illusion aufrecht zu erhalten. Brennt leider in den Augen. :D«239 Mit humorvollen Zeilen kommentiert der Autor zudem gern Historisches, etwa die Einführung des Reformationstages: »Happy Reformationstag! Remember the meiste Hexenverbrennungen und the 30jähriger Krieg etc. Danke, Luther! :D :D«.240 Außerdem wird auch auf Spezialthemen Bezug genommen, die insbesondere phantastische Welten betreffen.

4.2.5 »Ich auch, also, erfunden. So.« Dass der Autor sich selbst nicht immer so ernst nimmt und gern einige Alter Egos erfindet, lässt sich anhand mehrerer Medienangebote erkennen, etwa anhand der Kurzbiographie auf der Webseite: […] rutschte ins Gymnasium, weil ich den Namen des echten ›Markus Heitz‹ annahm. Den anderen Typen ließ ich entführen und ins Ausland verkaufen, während ich mir sein Leben unter den Nagel riss.241 Die Kurzbiographie kann als Autofiktion betrachtet werden, die mit offensichtlich erfundenen Elementen dafür sorgt, dass die Inszenierung und ihr fiktionaler Gehalt erkennbar bleiben.

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Tweet vom 03.10.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. Tweet vom 06.11.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. Tweet vom 02.10.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. Tweet vom 13.09.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. Tweet vom 31.10.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. Http://www.mahet.de/, letzter Zugriff: 21.03.2018 bzw. https://web.archive.org/web/2 0180819233141/www.mahet.de/deutsch/person/ich/, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Ähnliches ist auch in dem autofiktionalen Tourtagebuch zu beobachten, das im Zusammenhang mit der ›Lesetour‹ zu Judassohn (2010) auf der Webseite veröffentlicht wurde: Hier gibt der Autor zunächst an, dass alle nachfolgenden Angaben erfunden seien: »Ich auch, also, erfunden. So.«242 Allerdings verweisen die integrierten Fotografien auf tatsächlich Erlebtes. Die für das Tourtagebuch erfundene Autorfigur zeigt dann auch ähnliche Interessen und Vorlieben wie Heitz. So trinkt die Autorfigur etwa ebenfalls »TEE! Ich bin hochgradig abhängig von dem Stöffchen«.243 Heitz’ Autorschaft kennzeichnet demnach ein postmodernes Spiel mit autobiographischen und fiktiven Elementen. Dass zu seinen poetologischen Vorstellungen auch postmoderne Konzepte zählen, wird auch deutlich, wenn der Autor von den Stoffen und Motiven berichtet, die er in seine Werke integriert. Letztlich betont Heitz auf seiner Webseite die Bedeutung der jeweiligen »Story«: »Aber es geht immer, IMMER um die Story!«244 Inwiefern die Story für die Arbeit des Autors wesentlich ist und wie er sie kreiert, erzählt der Autor in Interviews, so etwa gegenüber der Gießener Allgemeinen: Im Erschaffen von Welten ist er bestens geübt. Genau damit fängt seine Arbeit an: Zuerst konzipiert er die fiktive Welt, die Schauplätze. Dann erst nehmen die Charaktere Kontur an, die Handlung wird ausgeklügelt – anhand einer bestimmten Menge an Bausteinen, etwa »x rettet die Welt« oder »y verliebt sich in z«. Gänzlich Neues, das weiß Heitz, kann er nicht erfinden: »Alles schon mal da gewesen«, die Kunst liegt darin, »die Zutaten zu kombinieren« wie beim Kochen. »Meistens kenne ich die ganze Geschichte schon, bevor ich den ersten Satz schreibe.«245 Mit der Aussage, nichts ›gänzlich Neues‹ erschaffen zu können, knüpft Heitz an postmoderne Vorstellungen von Autorschaft an. Gleichzeitig ist ein Bezug zum Fantasy-Genre zu erkennen, in dem eine Heldenreise strukturell zwar immer gleich, jedoch stets auf neue Art und Weise erzählt wird. Der Autor vergleicht seine Arbeit zudem mit dem Kochen und damit auch mit einer handwerklichen Tätigkeit. Generell ist das Thema Kochen mit dem Autor

242 Ebd. bzw. https://web.archive.org/web/20180819232300/www.mahet.de/deutsch/pro jekte/horror/judassohn/judassohn-tour/, letzter Zugriff: 24.10.2022. 243 Ebd. 244 Https://web.archive.org/web/20180325004214/www.mahet.de/deutsch/projekte/spa cefiction/, letzter Zugriff: 24.10.2022. 245 O.V.: Fanatsy-Autor [sic!] Markus Heitz hat seine Grafikkarte im Kopf.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Heitz verknüpft: Er erwähnt mehrfach, dass er gerne kocht246 , und präsentiert auf seiner Webseite verschiedene Rezepte, die allerdings wiederum seine Themen und Genres aufgreifen: »Die Rache des schwarzblutigen Käseigels«, »Fürstliche Zimtecken der Finsternis« oder »Grünes Verderben«.247

4.2.6 »Schreiben ist auch ein gutes Stück Disziplin« – Schreibtipps und Schreiborte In seiner Kurzbiographie auf der Webseite führt Heitz an, wie er zum Schreiben gekommen sei: Und dann wurde ich trotzdem Journalist UND Schriftsteller. Einfach so. Ohne nachzudenken. Gelegentlich merkt man das. Heute bin ich nur noch Schriftsteller und mache noch andere Dinge. Mal schauen, wo es endet… Warum Schreiben? Es macht einfach Spaß. Es ist das wahrscheinlich abwechslungsreichste Hobby der Welt. Keine Schranken, keine Hindernisse, mal abgesehen von Grammatik und Formulierungsnöten, Wortfindungsstörungen und Kritikern.248 Seine Autorschaft wird demnach zunächst als etwas relativ Zufälliges und Lässiges hingestellt. Neben diesen spielerischen Elementen gibt es allerdings auch eine Facette seiner Autorschaft, die auf ein spezifisches Autormodell verweist, und zwar das des disziplinierten Handwerkers. In dem fiktiven Tourtagebuch wird zum Beispiel herausgestellt, dass Heitz bereits früh aufsteht und auch auf der Tour an seinem Laptop arbeitet: »Alle schlafen mal wieder, ich packe meinen Laptop aus, gehe in die Halle und arbeite an JUDASTÖCHTER, bis alle wach sind. Was lange dauert.«249 Hier zeigt sich Heitz als selbstdisziplinier-

246 »Heitz hat selbst Gastro-Erfahrung, stand drei Jahre hinter der Theke seines eigenen Irish Pub ›Killarney‹ in Zweibrücken« (Cathrin Elss-Seringhaus: Warum eine Speisekarte einen Fantasy-Schreiber begeistert, in: Saarbrücker Zeitung, Beitrag vom 23.07.2020, https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/warum-eine-speisekarteeinen-fantasy-schreiber-begeistert_aid-606708, letzter Zugriff: 27.03.2021). 247 Http://www.mahet.de/?page_id=73, letzter Zugriff: 27.03.2021. 248 Http://www.mahet.de/, letzter Zugriff: 21.03.2018 bzw. https://web.archive.org/web/2 0180819233141/www.mahet.de/deutsch/person/ich/, letzter Zugriff: 24.10.2022. 249 Http://www.mahet.de/, letzter Zugriff: 21.03.2018 bzw. https://web.archive.org/web/2 0180819232300/www.mahet.de/deutsch/projekte/horror/judassohn/judassohn-tour/, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

ter Arbeiter, der darauf auch seinen Erfolg zurückführt. Auf der Webseite und unter der Rubrik »Schreib-Tipps« ist diese Einstellung ebenfalls zu finden: Ach ja: Schreiben ist auch ein gutes Stück Disziplin. Man kann sich ein Tagespensum setzen. Bei mir sind es mindestens drei DinA4 Seiten pro Tag, mal ergeben sich mehr, mal funktioniert es auch gar nicht. :o) Es gleicht sich meistens aus. Zudem ist es gut für einen Roman/eine Story, wenn der Autor konzentriert bei der Sache bleibt, man behält die Zusammenhänge besser in Erinnerung.250 Auf Twitter sind es sogar fünf Seiten, die Heitz als Tagespensum angibt: »Hahaha, nein, die 5Seiten am Tag werden immer stehen. Es lebe der Zeitplan und die neue Welt! :) Prioritäten und so. ;)«251 . Als typisches Artefakt des Autors wird auf der Webseite insbesondere der Laptop als Arbeitsgerät hervorgehoben sowie die damit verbundene Möglichkeit, überall arbeiten zu können. Das moderne Gerät steht im Mittelpunkt der Inszenierung, Notizbücher oder Zettelsammlungen spielen keine Rolle. Ebenso fehlen ein klassisches Autorenzimmer oder ›Dichterhäuschen‹. Vielmehr sind es spezifische Orte oder Gegenden, mit denen Heitz assoziiert wird, die er erwähnt oder in denen er gezeigt wird. Heitz setzt sich zum Beispiel als Saarlandbotschafter252 ehrenamtlich für das Bundesland ein. Darüber hinaus ist die Stadt Leipzig ein Ort, der sowohl in seinen Texten als Schauplatz auftaucht (wie in der Judas-Serie) als auch in mehreren Videos der Verlagsgruppe Droemer Knaur gezeigt wird.253 Die Autorschaft Heitz’ ist somit sowohl mit dem Saarland als auch mit der Szene-Stadt Leipzig verbunden.

4.2.7 Markus Heitz im literarischen Feld der Gegenwart Der Name Markus Heitz ist mit einem dominanten Autorbild verknüpft, das stark mit den Genres korreliert, in denen er veröffentlicht. So wurde er vor allem zu Beginn des 21. Jahrhunderts als fantastische Figur in Szene gesetzt. 250 Http://www.mahet.de/?page_id=74, letzter Zugriff: 09.11.2022 bzw. https://web.archiv e.org/web/20180325004326/www.mahet.de/deutsch/sonstiges/schreib-tipps/, letzter Zugriff: 24.10.2022. 251 Tweet vom 22.08.2017, https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021. 252 Vgl. https://www.saarlandbotschafter.de/portraits/markus-heitz/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 253 Vgl. Verlagsgruppe Droemer Knaur: Eine Begegnung mit Bestsellerautor Markus Heitz.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Seine Themen, die Nähe zu spezifischer Musik, zu Festivals und Rollenspielen entsprechen zudem den Spezifika des Subfeldes der Phantastik/Fantasy, wodurch sich erklärt, warum Heitz als »›Shooting-Star‹ der deutschsprachigen Fantasy- und Science-Fiction-Szene«254 bezeichnet wurde. Auf sozialen Netzwerkplattformen tritt Heitz dem Star-Image allerdings auch entgegen. Seine Netzaktivität nutzt er hauptsächlich, um in Kontakt zu seinen Leser:innen zu treten. Dadurch ist ein Verhältnis zwischen Autor und Lesenden zu erkennen, das keine starke Hierarchie beinhaltet. Heitz verbindet seine Autorschaft mit dem Modell des Handwerkers. Sein Schreiben beruht auf seinen Erfahrungen aus dem Rollenspiel und vor allem auf seiner Disziplin und wird damit grundlegend als für jede:n erlernbar dargestellt. Seine Schreibutensilien sind keine ›klassischen‹ Schreibartefakte, sondern moderne technische Geräte, die vor allem als praktisch dargestellt werden. Zudem spielt Heitz mit den Angaben zu seiner Person und damit auch zu seiner Medienfigur. Allerdings ist das autofiktionale Spiel als solches erkennbar, weswegen der Realismus-Grad der Medienfigur hoch bleibt. Es wird deutlich, dass Heitz im generischen Feld Phantastik/Fantasy eine der bedeutsamsten Positionen erringen konnte, wobei die Konsekrationen insbesondere von seinen Fans ausgegangen sind und nach wie vor ausgehen. Diese wählen zum Beispiel den Gewinner des Phantastik-Preises. Digitale Medien nehmen dabei, allein bei der Online-Abstimmung für den Preis, eine bedeutende Rolle ein. Im Laufe des zweiten Jahrzehnts werden die Inszenierungen von Heitz grundsätzlich etwas neutraler, auch wenn der Autor nach wie vor als Szene-Autor erscheint. Mit den neuen Genres, wie etwa dem Thriller Die Republik (2020), verändern sich jedoch auch die Inszenierungen und Autorbilder. Es scheint für den Autor zunehmend möglich zu sein, von dem bisher dominanten Autorbild ein wenig abweichen zu können. Ob das dominante Autorbild daher in den nächsten Jahren in dieser Form weiter zu finden sein wird, bleibt abzuwarten. Mit Heitz’ Spitzenposition im Subfeld der Phantastik/Fantasy lassen sich einzelne Feldtendenzen der Gegenwart, die Tommek beschreibt, weiter ausdifferenzieren: Tommeks Ausführungen sind auf den Bereich der eingeschränkten Produktion sowie auf den expandierten flexibel ökonomisierten und medialisierten Mittelbereich ausgerichtet.255 Tommek sieht dabei die sogenannten »Zauberer«, »die munter ästhetische und ökonomische Werte 254 Mergen: Vampirismus als Anthropologikum, S. 160. 255 Vgl. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 568.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

vermischen und eine ästhetisch zweideutige Unterhaltungsliteratur produzieren«256 , als wesentlich für die Expansion dieses Mittelbereichs und damit für den Wandel von der Nachkriegsliteratur hin zu einem literarischen Feld der Gegenwart. Den ›Zauberern‹ ordnet Tommek zum Beispiel Sibylle Berg zu,257 was die Analyse im vorherigen Kapitel auch für das zweite Jahrzehnt258 im Großen und Ganzen bestätigen konnte. Es zeigte sich allerdings zudem, dass sich ihre Autorinszenierungen und -bilder auch auf andere Feldbereiche beziehen lassen (wie etwa das Bild der neuen Moralistin). Heitz lässt sich ebenfalls nicht ohne Weiteres einem von Tommek beschriebenen Feldbereich zuordnen. Dies liegt zum einen daran, dass Tommek den Bereich der Massenproduktion nicht mithilfe von Einzelstudien untersucht und somit auch keine Beschreibungskategorien und Differenzierungen für diesen Bereich vornimmt. Zum anderen enthält Heitz’ Schreiben zwar vielerlei heteronome Elemente (wie etwa die starke Ausrichtung auf die ›Fans‹), ähnlich wie die ›Zauberer‹ entwirft er jedoch ein postmodern-autofiktionales Autorbild oder hebt die Erlernbarkeit des Schreibens hervor. Die Unterteilung von U- und E-Autor:innen, mit der Tommek arbeitet, steht demnach den Ergebnissen der Analyse der Autorbilder von Heitz entgegen. Es scheint in Bezug auf Autor:innen spezifischer Genres, wie der Fantasy und Phantastik, demnach eher angebracht, mit Rolf Parr von »hybriden medial-literarischen Feldern«259 auszugehen. Im Subfeld der Phantastik/Fantasy konnte Heitz im Laufe des zweiten Jahrzehnts eine Spitzenposition halten und ausbauen. Diese Position – das zeigen die Autorbilder zum Ende des Jahrzehnts – scheint die Möglichkeit 256 Ebd., S. 566. 257 »Dagegen neigen die Autorpositionen am ökonomisch-medialen Flügel des Mittelbereichs zur offensiven und affirmativen Übernahme journalistischer und massenmedialer Verfahren, wodurch sie neue, jedoch nicht mehr modernistisch-programmatische Ästhetiken ausbilden (= Kampf um die literarische doxa). Ihr Bestreben, eine distinktive Position in der horizontalen Vergleichs- und Konkurrenzordnung einzunehmen, ist durch eine permanente, oftmals an Ordnungsverfahren der Serie oder der Liste orientierte ›Verzauberung‹ der Einzeldinge und Alltagsstile auf der Höhe der sozialen Zeit mit ihren pluralisierten Wirklichkeitsbereichen und wechselnden Diskursen geprägt (z.B. bei Benjamin von Stuckrad-Barre oder Sibylle Berg)« (ebd., S. 570). 258 Tommeks Studie endet im prädigitalen Zeitalter (vgl. dazu auch Peer Trilcke: Tommek, Heribert: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur [Rezension], in: Arbitrium 35 [2017], H. 1, S. 134–138). 259 Parr: Normalistische Positionen und Transformationen im Feld der deutschen Gegenwartsliteratur, S. 202.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

zu erhöhen, auch in anderen Subfeldern Anerkennung zu gewinnen. Mit Tommek kann Heitz grundsätzlich einem »medial gestützten literarischen Kosmopolitismus« zugeordnet werden, »der sich in Form einer world literature der literarischen Bestseller als Buchhandelssegment zeigt«260 . Ob dieser allerdings dem »traditionelle[n], kunstautonome[n] Internationalismus und Universalismus der kanonischen Weltliteratur (longseller)« auch im zweiten Jahrzehnt Konkurrenz macht lässt sich diskutieren. Für das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts und am Beispiel von Markus Heitz lässt sich konstatieren, dass auch die traditionell eher dem Feld der Massenproduktion zugerechnete Fantasy-Literatur von Markus Heitz postmoderne Elemente aufgreift, wie Tommek sie für den gewachsenen Mittelbereich angibt, und dass auch seine Autorinszenierungen solche Elemente enthalten. Dass allerdings das literarische Feld der Gegenwart nach wie vor durch Gattungshierarchien gekennzeichnet ist, führt dazu, dass das gesamte Subfeld der Phantastik/Fantasy eher dem heteronomen Pol zugeordnet wird – eine Zuordnung, die insbesondere durch Prozesse der Medialisierung und Digitalisierung zunehmend zu hinterfragen ist.

4.3 Beispielanalyse III: Cornelia Funke Die für Heitz beschriebenen Feldspezifika können zum Teil auch für die Praktiken und Bilder von Cornelia Funke (*1958) wesentlich sein, gibt es doch Überlappungen zwischen den Bereichen der Kinder- und Jugendliteratur und dem Bereich der Phantastik-/Fantasy-Literatur.261 Spätestens im Zuge des Erfolgs von J.K. Rowlings Harry Potter-Reihe sowie der nachfolgenden verstärkten Produktion von Crossover-Literatur262 lassen sich mehrfachadressierte Phantastik- und Fantasy-Texte und -Medien als zunehmender Trend bezeichnen.263 260 Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 383. 261 Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass ein Vampirroman Heitz’ in einem Sammelband zur Kinder- und Jugendliteratur besprochen wurde, vgl. Mergen: Vampirismus als Anthropologikum. 262 Vgl. zu den Begrifflichkeiten etwa Agnes Blümer: Crossover/All-Age-Literatur, in: ht tps://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/begriffe-und-termini/494-crosso verall-age-literatur, letzter Zugriff: 01.08.2020 sowie Hoffmann: Crossover, S. 51–58. In Anlehnung an die Ausführungen von Hoffmann wird nachfolgend stets der Begriff ›Crossover-Literatur‹ favorisiert. 263 Vgl. Hoffmann: Crossover, S. 17.

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Interessanterweise werden diese Texte und Medien sowohl im kinder- und jugendliterarischen als auch in anderen literarischen Feldern rezipiert, so dass diese Unterscheidungen und die damit jeweils einhergehenden und lange tradierten Ansprüche und Bewertungskriterien in Frage gestellt werden.264 Dieser Trend steht zudem im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung des Subfeldes: [R]und ein Fünftel der in Deutschland produzierten Kinder- und Jugendliteratur geht auf Lizenzen aus dem Ausland zurück (bisheriger Höchststand 2014: 24,5 %; 2018: 17,8 %). Diese hohen Quoten hängen eng mit der All-Ageund Fantasy-Welle zusammen.265 Auch Cornelia Funke ist insbesondere für ihre Fantasy-Texte bekannt, zum Beispiel für ihre Tintenwelt-Serie. Ihr Eintritt ins literarische Feld verlief schleichend, war sie doch als ausgebildete Illustratorin bereits vor der Bekanntheit als Autorin Teil des Subfeldes der Kinder- und Jugendliteratur.266 Ihren internationalen Durchbruch initiierte sie zudem selbst, indem sie die Übersetzung ihres Romans Herr der Diebe (2000) ins Englische veranlasste.267 Bei der Online-Recherche zu dem Namen ›Cornelia Funke‹ sind unter anderem die eigene Webseite der Autorin, ein Wikipedia-Eintrag, Webseiten, auf denen Funkes Werke besprochen und gekauft werden (z.B. amazon.de, lovelybooks.de, perlentaucher.de), sowie Verlagswebseiten zu finden. Darüber hinaus existieren Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten, die mit dem Namen der Autorin verknüpft sind. Funke zählt damit zu den Autor:innen, die – wie auch Sibylle Berg und Markus Heitz – stark im Internet mit eigeninitiierten Medienangeboten vertreten sind. Für die nachfolgende Analyse wurden die Webseite der Autorin, Twitter- und Facebook-Accounts, Videos von Lesungen, die auf YouTube veröffentlicht wurden, sowie Buchbesprechungen berücksichtigt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Veröffentlichungen der RecklessSerie, die bisher aus vier Bänden besteht: Steinernes Fleisch (2010), Lebendige

264 Ebd., S. 362f. 265 Norrick-Rühl/Vogel: Buch- und Medienmarkt, S. 28. 266 Ausgehend von den Gegebenheiten des Buchmarktes begreift die vorliegende Untersuchung Kinder- und Jugendliteratur als ein spezifisches Feld, d.h. als eigenständigen Teilmarkt, in dem sowohl Kinderliteratur als auch Jugendliteratur produziert, distribuiert und rezipiert wird, so dass beide nicht getrennt voneinander zu betrachten sind. 267 Vgl. Anna Zamolska: Funke, Cornelia, https://www.kinderundjugendmedien.de/index.php/autoren/1297-funke-cornelia, letzter Zugriff: 21.08.2019.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Schatten (2012), Das Goldene Garn (2015) und Auf silberner Fährte (2020).268 In der Reckless-Serie geht es um eine märchenhafte Parallelwelt, in die sich die Hauptfiguren Jacob Reckless und sein Bruder Will auf die Spuren ihres Vaters begeben. Dort haben sie es mit Feen, Goyl (Wesen aus Stein), raffgierigen Zwergen und vielen anderen Märchenfiguren und -motiven zu tun, die im ersten Band aus den Märchen der Brüder Grimm, im zweiten aus französischen und englischen Märchen, im dritten aus russischen und ukrainischen Märchen und im vierten aus asiatischen, insbesondere japanischen Märchen entnommen sind. Auch wenn die Märchen aus unterschiedlichen Regionen der Welt stammen, bleibt die erzählte Welt in der Reckless-Serie dieselbe. Die Hauptfiguren erleben vor allem Abenteuer und insbesondere der Protagonist und ›Held‹ Jacob wird stets dazu aufgerufen, seinen Bruder, die gesamte Parallelwelt oder sich selbst zu retten. Der erste Band startete mit einer Erstauflage von über einer Million Exemplare, die weltweit vertrieben wurden, und hielt sich wochenlang auf Bestseller-Listen. Die Kritiken zu den Werken fielen – insbesondere zu Beginn der Serie – gemischt aus. Da die Autorin die Welten zusammen mit dem Filmemacher Lionel Wigram konstruierte, ging man zunächst davon aus, dass auch Filme zu den Büchern entstehen würden. So betitelt Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung einen Abschnitt seiner Rezension mit den Worten »Die Verfilmung stets im Hinterkopf«.269 Zudem kritisiert er ein auf die weltweite Vermarktung ausgerichtetes Konzept: Jacob, Will, Clara: man merkt es schon an den Namen, dass Cornelia Funke auf die internationale Anschlussfähigkeit ihres Buchs achtet wie japanische Autokonzerne bei der Wahl ihrer nichtssagenden Markennamen. Auch am Gang der Handlung lässt sich wenig erkennen, was allein der Autorin oder bloß einem bestimmten Kulturkreis angehört; und alles ist schon viele Male dagewesen.270 Tilman Spreckelsen, der über den gesamten Veröffentlichungszeitraum der Serie das Projekt verfolgte und stets rezensierte, lobt dagegen die aufwendigen Recherchen, mithilfe derer nicht nur die Märchen, sondern auch eine »Alter-

268 Alle Bände erschienen im Hamburger Dressler Verlag. 269 Burkhard Müller: Die böse Fee von Altschwanstein, in: Süddeutsche Zeitung, Beitrag vom 13.09.2010, https://www.sueddeutsche.de/kultur/cornelia-funke-recklessdie-boese-fee-von-altschwanstein-1.999304, letzter Zugriff: 27.03.2021. 270 Ebd.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

nativversion des 19. Jahrhunderts«271 den Rezipient:innen nähergebracht wird. In einer Rezension zieht er Bilanz: Dass Bücher nicht nur Schicksale, sondern auch eigene Biographien haben können, dass ein Text wachsen und sich dabei massiv verändern kann, lässt sich an einem Werk Cornelia Funkes beobachten, das sich vom Roman zum Projekt ausgewachsen hat.272 Zudem schätzt er die grundsätzliche Idee, die Märchen und ihre Grundgedanken in den Geschichten rund um die sogenannte Spiegelwelt zu erneuern. Die beiden literaturkritischen Lesarten unterscheiden sich relativ stark voneinander: Bei Müller ist zu erkennen, was in Bezug auf Jugend- und Unterhaltungsliteratur öfter geschieht. Es erfolgt eine Abwertung aufgrund der leichten Konsumierbarkeit, der Nähe zum Markt und der wiederkehrenden Motive, der Rezensent nimmt eine eher kulturpessimistische und marktkritische Perspektive ein. Tilman Spreckelsen nimmt einen anderen Blickwinkel ein. Er erhielt im Jahr 2016 die erste Grimm-Bürgerdozentur und wurde somit offiziell als »versierter Fürsprecher für die Grimm’schen Märchen« gewürdigt, der sich auch mit »deren Fortwirken, insbesondere in der Kinder- und Jugendliteratur«, beschäftigt.273 Spreckelsen stellt unter anderem die Bedeutung der Verarbeitung der wiederkehrenden Märchenmotive heraus. Dieser Blickwinkel öffnet auch den Raum, um soziologische oder psychologische Fragestellungen zu verfolgen und danach zu fragen, warum die Romane und die Autorin letztlich so erfolgreich werden konnten. Funke wird – dies lässt sich bereits 2010 bei Müller lesen – als die weltweit bekannteste deutsche Autorin der Gegenwart bezeichnet.274 Aus den ausgewählten Medienangeboten rund um den Namen ›Cornelia Funke‹ konnten sieben hervorstechende Autorbilder extrahiert werden, die auch erahnen lassen,

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Tilman Spreckelsen: Gegen das Goldene Garn sind auch Feen machtlos, in: FAZ, Beitrag vom 20.02.2015, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/kinderbuch/cornelia-funkes-reckless-machtlose-feen-13438328-p2.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. 272 Tilman Spreckelsen: Ein Netz aus Märchenstoffen, in: FAZ, Beitrag vom 12.02.2020, ht tps://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/cornelia-funkes-spiegelwelt-e in-netz-aus-maerchen-16601951.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. 273 Ulrike Jaspers: Erste Grimm-Bürgerdozentur geht an Tilman Spreckelsen, in: https://idw-online.de/de/news?print=1&id=662582, letzter Zugriff: 27.10.2022. 274 Vgl. Müller: Die böse Fee von Altschwanstein.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

wie Funke der internationale Erfolg gelang: Funke als »Pädagogin und Familienmensch«275 , als Geschichtenerzählerin und Illustratorin, als internationaler Star, poeta doctus der Kinder- und Jugendliteratur, Förderin des Lesens und Bewahrerin des (Schreib-)Handwerks, nahbare Medienfigur sowie als fantastisches Wesen (›Pflanzenhexe‹).

4.3.1 »Biographisches wäre wichtig« – zur Bedeutung der pädagogischen Ausbildung und der Familie In Kindlers Literatur Lexikon ist eine Notiz zu finden, die auch biographische Angaben sowie erste Hinweise auf die Genese zur Autorin enthält: Ausbildung zur Diplom-Pädagogin, Arbeit als Erzieherin; berufsbegleitendes Studium der Buchillustration in Hamburg; seit 1986 freischaffende Autorin und Illustratorin; 1988 literarisches Debüt; Verfasserin von Bilderbüchern, Erstlese-, Drehbüchern und Romanen für Kinder und Jugendliche, die in phantastischen oder (auch) realistischen Welten spielen; lebt seit 2005 in Los Angeles.276 Solche biographischen Angaben werden im Diskurs rund um den Namen der Autorin gern erwähnt, qualifizieren sie doch Funke als Autorin im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur. Denn vor ihrem (internationalen) Erfolg, so wird es in vielen Quellen reproduziert, studierte Funke Soziologie und Sozialpädagogik und arbeitete zunächst auf einem sogenannten »Bauspielplatz in einer neuen Hochhaussiedlung am Tegelsbarg, einem sozialen Brennpunkt Hamburgs«.277 Ihr kann demnach pädagogische Kompetenz zugesprochen 275 Lena Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke! Die Selbstinszenierung von AutorInnen auf ihren Webseiten am Beispiel von Cornelia Funke und Christopher Paolini, in: Kjl & m 69 (2017), H. 3, S. 49–56. 276 Peter Langemeyer: Funke, Cornelia, in: Kindlers Literatur Lexikon, hg. von Heinz Ludwig Arnold, Stuttgart: Metzler 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_64171, letzter Zugriff: 02.06.2021. 277 Hildegunde Latsch: Cornelia Funke – Spionin der Kinder. Hamburg: Dressler Verlag 2008, S. 28. Die Werkbiographie von Latsch ist bezüglich der Biographie und Autorinnengenese eine ergiebige Quelle, die vielfach in späteren Sekundärtexten zitiert wird, etwa in den Artikeln von Nina Dunkmann: »Oft lass ich mir die Geschichten von meinen Figuren ins Ohr flüstern …« Cornelia Funke – Ein Leben in vielen fantastischen Welten, in: Cornelia Funke. Tintenherz, Wilde Hühner und Gespensterjäger. Die fantastischen Bildwelten von den frühen Kinderbüchern bis Reckless, hg. von Christine Vogt, Bielefeld: Kerber 2013, S. 123–134; Corbett: Cornelia Funke sowie Zamolska: Funke, Cornelia.

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werden, eine Zuschreibung, die im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur durchaus von Vorteil ist, da sich das Autorbild der Pädagogin auch auf die Werke Funkes überträgt, denen somit das Siegel ›pädagogisch wertvoll‹ verliehen werden kann. Unterstützt wird diese Zuschreibung, da Funke ihre als Pädagogin gemachten Erfahrungen direkt in ihren Werken verarbeitete, etwa in Herr der Diebe (2000): »[…] the characters come straight from Cornelia’s memories of the real children she cared for at the ›adventure playground‹ in Hamburg«278 . In Herr der Diebe findet eine Kinderbande in der mit fantastischen Elementen ausgeschmückten Stadt Venedig (die Funke auch selbst bereiste) für einige Zeit ein neues Zuhause. Die verwaisten und vernachlässigten Kinderfiguren erleben in der Stadt Abenteuer, müssen aber auch lernen, sich selbst und andere zu versorgen. Die in mehreren Veröffentlichungen wiederkehrenden Handlungsstrukturen, wobei stets hoffnungslose Perspektiven von Kindern in hoffnungs- und fantasievolle verwandelt werden, lassen sich ebenfalls mit Erfahrungen verknüpfen, die die Autorin während ihrer Arbeit auf dem Hamburger Bauspielplatz machte. Funke erzählt über Kinder, die in Not sind, die – zum Beispiel mithilfe der Unterstützung magischer Elemente und Helferfiguren – jedoch stets selbstständig Auswege finden beziehungsweise neue Perspektiven auf ihre Situationen entwickeln. Bereits an den Handlungsstrukturen und Figuren in Herr der Diebe lässt sich demnach ablesen, inwiefern die pädagogische Arbeit die literarischen Texte und – damit verknüpft – auch die pädagogische Facette der Funke’schen Autorschaft prägt. »Biographisches wäre wichtig«,279 so schreibt es Dunkmann und so formuliert es die Autorin auch selbst: »Ich glaube, dass alles aus dem Realen kommt«, äußert sie in einem Interview gegenüber den Kieler Nachrichten.280 Unsere Vorstellungskraft reiche nicht aus, »um etwas anderes hervorzubringen als Echos der Realität unserer Welt«.281 Hier zeigt sich, wie stark Realität und Phantastik in Funkes Schreiben miteinander verwoben sind. In dieser Vorstellung ist Biographisches automatisch mit dem Schreiben verknüpft. Es wundert daher auch nicht, dass Familienmitglieder mit literarischen Figuren in Verbindung stehen. So lässt sich in der Widmung von Tintentod, dem dritten Band der Tintenwelt-Serie, lesen: »Für Rolf, immer – it was the best of

278 Corbett: Cornelia Funke, S. 20. 279 Nina Dunkmann: Made in Germany, in: JuLit 2017, H. 1, S. 20–26, hier S. 21. 280 Spatzek: Zwischen Wort und Strich vgl. auch die Storyteller-Seite auf Facebook, https:// www.facebook.com/CorneliaFunkeTheStoryteller/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 281 Spatzek: Zwischen Wort und Strich.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

things to be married to Dustfinger«.282 Funke nennt auch ihre eigenen Kinder als Inspiration für ihr Schreiben. »Sie könnte ohne ihre Kinder nicht arbeiten«, zitiert Dunkmann die Autorin. Als ihre Tochter im Kindergarten ist, schreibt Funke für sie erste Vorlesegeschichten, die ab 1996 – wie zum Beispiel Kribbel Krabbel Käferwetter (1996) – auch veröffentlicht werden.283 Ihr Sohn Ben gilt nicht nur als Vorbild für die Figur Bo in Herr der Diebe, sondern stand auch Modell für die Illustrationen der Hauptfigur Jacob aus der Reckless-Serie.284 Dass Funkes eigene Kinder jeweils in einem ähnlichen Alter waren wie die Zielgruppe ihrer Werke, scheint darüber hinaus bei der Produktion der Werke keine unerhebliche Rolle gespielt zu haben: Funke veröffentlichte im Laufe der Schriftstellergenese zunächst Bilder- und Erstlesebücher, anschließend Bücher für Kinder im Grundschulalter wie die realistischen Erzählbände über die Wilden Hühner, es folgt die Tintenwelt-Trilogie, die bereits Leser:innen verschiedenen Alters anspricht, und schließlich die Reckless-Serie, die »schauerromantische und ›grotesk-unheimliche‹ Erzählstränge«285 enthält und zur Crossover-Literatur gezählt werden kann. Leser:innen von Funkes Werken konnten – so wie die Kinder der Autorin – zusammen mit ihren Werken groß werden. Auch auf der Webseite werden Familie und enge Freunde der Autorin in unterschiedlicher Form benannt und in Projekte eingebunden. So wird in der Fassung von 2015 darauf verwiesen, dass »die meisten Texte von meiner Schwester Insa und ihrem Mann Michael« und die »Animationszeichnungen […] von meinem spanischen Freund Raul [Garcia]«286 stammen. Weiterhin befand sich zum Beispiel ein Blog der Tochter auf der Webseite. Die Autorschaft Funkes funktioniert damit auch als Familienunternehmen. Im weiteren Sinne kann auch von kollektiver Autorschaft gesprochen werden, sind doch die auf Internetseiten veröffentlichten Texte und Medien mehreren Urheber:innen zuzusprechen. Demnach prägen biographische Aspekte Funkes Autorschaft und sind aufgrund ihres poetologischen Verständnisses automatisch Teil ihrer erzählten 282 Cornelia Funke: Tintentod, Hamburg: Dressler 2007, S. 5. 283 Dunkmann: »Oft lass ich mir die Geschichten von meinen Figuren ins Ohr flüstern …«, S. 127. 284 Zamolska: Funke, Cornelia; vgl. den Beitrag vom 07.09.2014 auf der Reckless-Seite auf Facebook, https://de-de.facebook.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 285 Zamolska: Funke, Cornelia. 286 Http://www.corneliafunke.com/, letzter Zugriff: 21.06.2015 bzw. https://web.archive.o rg/web/20150812210028/www.corneliafunke.com/index.php?page=cornelia&lang=d e, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Welten. Insbesondere wird die »Rolle als Mutter zum zentralen Element ihrer Persönlichkeitsinszenierung«287 . Hoffmann betont in diesem Zusammenhang, dass Funke »über den Einbezug der eigenen Kinder […] ihr Schreiben für Kinder und Jugendliche legitimiert«.288 Das in den Medienangeboten dargestellte Autorbild des ›Familienmenschen‹ und der ›Pädagogin‹ ermöglicht es Funke, eine starke Position im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur einzunehmen, das in reger Wechselwirkung zum pädagogischen Feld steht.

4.3.2 »[T]he need to create stories was strong in me« – Funke als Illustratorin und Geschichtenerzählerin Neben der Arbeit auf dem Bauspielplatz studiert Funke Buchillustration an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg und arbeitet nach dem Abschluss zunächst selbstständig als Illustratorin, wodurch sie bereits in das literarische Feld, spezifisch in das Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur eintritt. So erscheinen Ende der 1980er Jahre Kinder- und Jugendbücher, die Funke illustrierte, darunter zum Beispiel Lu und die Lackschuh-Lilli (1987) von Sigrid Zelvaerts oder Mr. Mortimers Zauberhut (1988) von Myron Levoy. Im Nachhinein bezeichnet Funke das Illustrieren als eine Art Vorform ihres starken Wunsches, Geschichten zu erzählen: [T]he need to create stories was strong in me. At first it came out in illustrations, but these were illustrations for other peoples stories. I finally realized that there were stories inside of me that needed to be told. I didn’t realize this until 28!289 Ihre erste eigene Geschichte entsteht in einer Situation, die Latsch rückblickend als Initiationsmoment beschreibt: Eines Abends, so erzählt [Cornelia Funke], setzte sie sich auf ihr Bett und fing an zu schreiben. Dabei ging es ihr hauptsächlich darum, Texte zu haben, die zu den Bildern passten, die sie im Kopf hatte, und das waren Drachen, Seenymphen, Kobolde und Feen.290

287 Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 51. 288 Ebd. 289 Steckbrief von der Storyteller-Seite bei Facebook: https://www.facebook.com/pg/Corne liaFunkeTheStoryteller, letzter Zugriff: 31.07.2020. 290 Latsch: Cornelia Funke – Spionin der Kinder, S. 30.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Nach und nach habe das Schreiben einen immer größeren Raum eingenommen. Viele der realistischen Erzählungen für Kinder, die sie illustrieren sollte, waren Funke angeblich zu langweilig.291 Ihr sei aufgefallen, dass magische Erzählungen viel mehr Aufmerksamkeit bei Kindern erzeugen würden »– fantastic adventures that took them away from the world they knew.«292 1988 schreibt Funke dann auch ihre erste eigene illustrierte Geschichte mit dem Titel Die große Drachensuche.293 An dieser Stelle, so berichtet es Latsch, habe Funke gewusst, dass sie Autorin werden möchte, und ihren Job auf dem Bauspielplatz gekündigt,294 um fortan viele weitere Geschichten zu veröffentlichen, darunter auch die Buchreihen Die Gespensterjäger (1994–2001) und Die Wilden Hühner (1993–2003), wobei Letztere auf Anraten von Funkes Lektorin entstanden sein soll, »die mal ein Buch ohne Feen und Fabelwesen«295 lesen wollte. Die Wilden Hühner hatten bereits in den neunziger Jahren eine rege Fangemeinde, die »Amulette aus Hühnerfedern trug und mit Cornelia über die Abenteuer von Sprotte und ihrer Bande korrespondierte«.296 Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird Funke jedoch über die Erweiterung ihrer ersten Geschichte, die nach Anfrage eines Filmproduzenten der Augsburger Puppenkiste zu einem Roman mit dem Titel Drachenreiter heranwuchs und 1997 erschien. Auch in diesem 600-seitigen Werk für Kinder gibt es eine fantastische Welt. Damit gewinnt Funke erste Preise, wird vermehrt zu Lesungen eingeladen, von Zeitungen und Magazinen interviewt und erhält immer mehr Leserpost, die sie zu Beginn noch selbst beantwortet.297 So erhält Funke nicht nur mehr Aufmerksamkeit seitens der Institutionen des kinderund jugendliterarischen Feldes, sondern hält mit dem Beantworten der Briefe von Beginn an auch Kontakt zu ihren Leser:innen. Grundsätzlich betont Funke in Interviews, dass sie sich nicht als ›Schriftstellerin‹, sondern als ›Geschichtenerzählerin‹ versteht. In einem Interview 291 Vgl. Corbett: Cornelia Funke, S. 16. 292 Ebd. 293 Oetinger, Funkes Wunschverlag, den sie wegen Astrid Lindgren und Erich Kästner favorisierte, nahm das Manuskript nicht an. Letztlich erschien das Buch in der Benzinger Edition des Arena Verlags. Später veröffentlichte Funke dann im – zur Verlagsgruppe Oetinger gehörenden – Dressler Verlag, der bis heute (Stand 2020) einige ihrer Werke publiziert. 294 Latsch: Cornelia Funke – Spionin der Kinder, S. 41. 295 Dunkmann: Made in Germany, S. 22. 296 Latsch: Cornelia Funke – Spionin der Kinder, S. 41. 297 Vgl. ebd., S. 42.

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fragt Wieland Freund, ob die Unterscheidung von Jugend- und Erwachsenenliteratur »hinfällig« sei. Funkes Antwort lautet: Relativ hinfällig, auch wenn es noch deutliche Unterschiede gibt. Das reine Geschichtenerzählen findet, glaube ich, derzeit vor allem im Jugendbuch und in der Genreliteratur statt. Und ich würde mich eher als Geschichtenerzählerin denn als Schriftstellerin bezeichnen.298 Hier lässt sich ein Teil des Selbstverständnisses der Autorin ablesen. Funke sieht sich explizit als Autorin von spezifischen Genres sowie von Jugendbüchern. Sie trennt demnach Genre- und Jugendliteratur von anderen Formen des Erzählens ab und setzt diese Trennung mit der Unterscheidung zwischen ›Schriftstellerin‹ und ›Geschichtenerzählerin‹ gleich. Damit geht Funke davon aus, dass Genre- und Jugendbücher andere Formen des Erzählens – und, so darf vermutet werden, auch andere Autorbilder – beinhalten. Zum Autorbild der Geschichtenerzählerin gehört etwa das ›Wort- und Bildfischen für andere‹: Ich versuche einfach, ein paar richtige Fragen zu stellen. Antworten habe ich nicht, und sie zu liefern, halte ich für gefährlich. Ich sehe mich als Wort- und Bildfischer für andere: Ich kann ausdrücken, was wir alle empfinden. Je mehr Lesern in aller Welt ich begegne, desto mehr begreife ich, was Geschichtenerzähler alles bewegen können und wie wichtig sie sind.299 Das Geschichtenerzählen wird als universelles und für Menschen wesentliches Phänomen herausgestellt, mithilfe dessen zum Beispiel ›richtige‹ Fragen oder Empfindungen ausgedrückt werden können. Funke verweist somit auf psychologische, soziologische und philosophische Funktionen und Effekte des Erzählens. Wie an der Formulierung ›Wort- und Bildfischer‹ zu sehen, ist für Funke nicht nur das Schreiben, sondern weiterhin das Illustrieren von Bedeutung. Wenn auch im Zuge der Genese zur Autorin das Geschichtenerzählen in Form von Schreiben immer wichtiger geworden ist, illustriert Funke einige ihrer Werke im Jahr 2020 nach wie vor selbst. So werden beispielsweise die RecklessBände wieder mit Zeichnungen Funkes versehen. Grundsätzlich bezeichnet Funke in einem Interview das Illustrieren sowie das Schreiben als »zwei ganz

298 Wieland Freund: Cornelia Funke knöpft sich reaktionäre Märchen vor, in: Die Welt, Beitrag vom 13.09.2010, https://www.welt.de/kultur/article9613379/Cornelia-Funkeknoepft-sich-reaktionaere-Maerchen-vor.html, letzter Zugriff: 27.03.2021. 299 Spatzek: Zwischen Wort und Strich.

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unterschiedliche Geisteszustände«, wobei sie »im Moment [2014] versuche, beide zu verzahnen«.300 Unter anderem auf Facebook lässt sich dies verfolgen. Dort erklärt sie, dass ihr während der Erstellung des dritten Reckless-Bandes wieder in den Sinn gekommen sei, zunächst zu zeichnen und anschließend die einzelnen Figuren auf Grundlage der Zeichnungen zu beschreiben.301 Das Illustrieren und das Schreiben stehen bei Funke also in Wechselwirkung miteinander, der gemeinsame Konsens ist – trotz unterschiedlicher »Geisteszustände« während des Schaffensprozesses – das Erzählen von Geschichten. Von großer Bedeutung ist auch das mündliche Erzählen. Funke begann früh zu lesen, zu schreiben und Geschichten zu erzählen. Sie las auch ihren jüngeren Geschwistern gern vor, »z.B. die Märchen von Hans Christian Andersen, Märchen aus 1001 Nacht, J.M. Barries Peter Pan – hier dichtete sie bereits ihre eigenen Handlungsstränge hinzu und erfand eigene Geschichten.«302 Prägend war für Funke auch das Geschichtenerzählen der Großmutter, womit sie sich in prominenter Gesellschaft befindet: »So wie Otfried Preußler lauschte Cornelia den Geschichten und Märchen ihrer Großmutter am liebsten.«303 Funke lässt sich demnach in eine Erzähltradition einordnen, in der das mündliche Erzählen als etwas in der Familie bereits lang Existierendes begriffen wird. Die Legitimation der Autorschaft wird damit auch unabhängig von marktrelevanten Institutionen und Akteur:innen mithilfe der mündlichen und familiären Erzähltradition hergestellt und erinnert an die (vermeintlich) orale Literatur der Volksmärchen. Die Geschichtenerzählerin ist demnach ein Autorbild von Cornelia Funke, das sich am Erzählen in verschiedenen Zeichensystemen (Schrift, Illustration, mündliches Erzählen), dem Nach- und Neuerzählen von Märchen sowie durch das Einschreiben in mündliche Erzähltraditionen festmacht und zudem mit dem Erzählen in spezifischer Literatur verknüpft wird: der ›Genre- und Jugendliteratur‹.

300 Ebd. 301 Vgl. den Beitrag vom 25.01.2015 auf der Reckless-Seite auf Facebook, https://de-de.fac ebook.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 302 Zamolska: Funke, Cornelia. 303 Ebd.

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4.3.3 »Pedigreed ›Harry‹ Wannabe« – Funke als internationaler Star Hinweise auf den internationalen Erfolg der Autorin finden sich in vielen Medienangeboten, die mit dem Namen ›Funke‹ im Zusammenhang stehen, etwa im Wikipedia-Artikel: Cornelia Funke (*10. Dezember 1958 in Dorsten, Nordrhein-Westfalen) ist eine deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin, deren phantastische Romane international erfolgreich sind und mit einer Gesamtauflage von 20 Millionen Büchern in 37 Sprachen übersetzt wurden.304 Ähnliche Zuschreibungen sind auch in literaturwissenschaftlichen Beiträgen enthalten: »[I]nternational bekannt und beliebt: Sie hat über 70 Kinderund Jugendbücher verfasst, die eine Weltauflage von 20 Millionen erlangt haben«305 . Der Erfolg von Autor:innen lässt sich im literarischen Feld zum Beispiel anhand von Konsekrationen ablesen: Funke hat über dreißig sowohl deutsche als auch US-amerikanische Literaturpreise erhalten (Stand 2020), darunter den Book of the Year Award (2006), den Jacob-Grimm-Preis (2009) und den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (2015). Im Jahr 2020 erhält die Autorin zudem den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk. Ausstellungen von Funkes Illustrationen gab es zum Beispiel 2013 in Oberhausen sowie von 2014 bis 2015 im Günter-Grass-Haus in Lübeck. Auf die Preise sowie die Bekanntheit und den Erfolg der Autorin verweist auch die Kurzbiographie auf amazon.de: Cornelia Funke, geboren 1958, zählt zu den international erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Das US-Magazin »Time« wählte sie zu einem der 100 einflussreichsten Menschen des Jahres 2005, das ZDF kürte sie 2007 zu einer der 50 »Besten Deutschen Frauen«. Für ihre Bücher wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Cornelia Funke lebt in Malibu, Kalifornien.306

304 Https://de.wikipedia.org/wiki/Cornelia_Funke, letzter Zugriff: 19.07.2020. 305 Dunkmann: »Oft lass ich mir die Geschichten von meinen Figuren ins Ohr flüstern …«, S. 133. 306 Https://www.amazon.de/Cornelia-Funke/e/B001ILHLGQ %3Fref=dbs_a_mng_rwt_scns_share, letzter Zugriff: 01.08.2020. Inzwischen ist Cornelia Funke nach Italien gezogen (Stand 2022).

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Funkes Wahl zur einflussreichsten Deutschen des Jahres 2005 durch das TIME Magazine wird gern zitiert und damit wiederholt in den Diskurs rund um den Namen der Autorin gebracht. (Populär-)Medien sind daher auch maßgeblich am Erfolg der Autorin beteiligt. Einen wesentlichen Schritt zum internationalen Durchbruch unternahm Funke allerdings auf eigene Faust, indem sie ihren Cousin Oliver Latsch bat, eine Übersetzung von Herr der Diebe (2000) anzufertigen, ihrem zweiten längeren Roman.307 Diese Übersetzung bot Funke dem englischen Verlag The Chicken House an, dessen Verleger Barry Cunningham seinen damaligen Arbeitgeber Bloomsbury davon überzeugt hatte, J.K. Rowling unter Vertrag zu nehmen. Cunningham bewies erneut Spürsinn und veröffentlichte The Thief Lord, was einen Wendepunkt in der Sichtbarkeit und Bekanntheit der Autorin markiert. Im Wall Street Journal erscheint danach ein Artikel, der Parallelen zwischen Harry Potter und The Thief Lord erkennt und Funkes Roman als möglichen neuesten Hit aus Europa bezeichnet.308 The Thief Lord stand im Jahr 2002 20 Wochen lang auf der Bestsellerliste der New York Times und verkaufte sich eine Million mal im englischsprachigen Raum (es wurde in 27 Ländern herausgegeben). 2004 war Dragon Rider ein ähnlicher Erfolg beschieden. Tintenherz erschien 2003 bereits zeitgleich in Deutschland, England, den USA, Kanada und Australien.309 Nachdem Funke im nicht-deutschsprachigen Ausland Aufmerksamkeit erzeugt hatte, waren auch Instanzen des deutschsprachigen literarischen Feldes an der ›deutschen‹ Autorin interessiert. »German media exploded«, berichtet Funke von dieser Zeit. »Normally they are not so interested in children’s books, but this caused quite a stir.«310 Seit Beginn der Jahrtausendwende ist Cornelia Funke somit eine weltweit gefragte Autorin, deren Werke wie The Thief Lord auch verfilmt und in vielerlei Inszenierungen auf die Bühne gebracht wurden.311 Zu Beginn des Untersuchungszeitraums dieser Studie, im Jahr 2010, ist Funke demnach bereits weltweit bekannt und bleibt auch im zweiten Jahrzehnt erfolgreich; Funke wird

307 Vgl. Zamolska: Funke, Cornelia. 308 Vgl. Trachtenberg: Pedigreed ›Harry‹ Wannabe. 309 Barbara Hartl: Drei große Schriftstellerinnen. Cornelia Funke, Joanne K. Rowling, Enid Blyton. Bergisch-Gladbach: Baumhaus-Verlag 2009, S. 19. 310 Sue Corbett: Cornelia Funke, New York: Cavendish Square Publishing 2014, S. 31. 311 Zamolska: Funke, Cornelia.

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zum Beispiel nicht als spezifische deutsche oder amerikanische Autorin gelesen, sondern vielmehr als Autorin einer universell marktfähigen Kinder- und Jugendliteratur und Phantastik. Hier zeigt sich ein Spezifikum ihrer Autorschaft, das auch bei Markus Heitz festgestellt werden konnte: die Zuordnung ihrer Texte und Medien zur ›world literature‹, die laut Tommek der bisherigen Weltliteratur Konkurrenz macht.312 Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts kann Funke auf ihrem internationalen Erfolg aufbauen und die Internationalität auch als Facette ihrer Autorschaft inszenieren. Auf der Webseite der Autorin ist zum Beispiel ein Globus abgebildet. Klickt man darauf, erscheinen internationale Cover ihrer Werke. Dass die Webseite in englischer, spanischer und deutscher Sprache zur Verfügung steht, macht die globale Zirkulation der Werke Funkes sichtbar. Durch Fotografien, auf denen der Wohnort der Autorin (zwischen 2010 und 2020 liegt dieser in Malibu) abgelichtet ist, erscheint Funke als internationaler Star. Auch bei Twitter veröffentlichte Fotografien stützen das Star-Image: Sie zeigen insbesondere Arbeitsorte der Autorin, vor allem Cafés in LA und London. Damit wird zum einen der Aspekt der Internationalität erneut unterstrichen, aber auch die ›Freiheit‹ der Arbeit von Autor:innen betont – ein literaturhistorisch bereits lang existierender Topos313 , demzufolge Autor:innen an jeglichem Ort der Welt arbeiten können. Passend zu ihren kosmopolitischen Inszenierungen lassen sich auch Autorbilder und -orte ausfindig machen, die die Autonomie der Schreibenden herausstellen. Prozesse der Autonomisierung sind grundsätzlich im zweiten Jahrzehnt erkennbar: So löste sich Funke im Jahr 2015 von ihrem amerikanischen Verlag »Little, Brown«, der für Das Goldene Garn (2015) viele Änderungen wünschte, und veröffentlichte den dritten Reckless-Band in ihrem selbst gegründeten Verlag »Breathing Books«.314 Zusammen mit Eduardo García vom Tonstudio German Wahnsinn produziert Cornelia Funke zudem seit 2016 ihre Hörbücher unter dem Label »Atmende Bücher« ebenfalls selbst.315

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Vgl. Kapitel 4.2.7. Vgl. Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 54. Vgl. Klara Fröhlich: »Der Verlag wollte kein offenes Ende«, in: Süddeutsche Zeitung, Beitrag vom 06.10.2015, https://www.sueddeutsche.de/kultur/schriftstellerin-corneli a-funke-der-verlag-wollte-kein-offenes-ende-1.2674024, letzter Zugriff: 02.06.2021. Vgl. https://atmende-buecher.de/, letzter Zugriff: 02.06.2021.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

4.3.4 Poeta doctus der Kinder- und Jugendliteratur oder das Spiel mit den Zitaten Nach dem Erfolg von Herr der Diebe (2000) verhalf insbesondere die TintenweltSerie, die mit Tintenherz (2003) startete, Funke zu weiterer Bekanntheit. Darin steht grundsätzlich das Buch-Motiv im Vordergrund. Es existiert eine fantastische Welt als Buch-in-Buch-Welt, in die Figuren hinein- und aus der Figuren herausgelesen werden können. Die Serie bietet darüber hinaus eine Sammlung von Zitaten, die den Haupttext rahmen und es zum einen erlauben, Funke dem postmodernen Erzählen zuzuordnen, und die zum anderen auch als eine Positionierungsstrategie gelesen werden können. Bereits das Buch-Motiv und die Gestaltung der Serie, insbesondere die Verzierungen der Anfangsbuchstaben, lassen sich mit Michael Endes Die unendliche Geschichte in Verbindung setzen. Die rahmenden Literaturzitate verweisen zudem auf weitere Klassiker der Welt- und Kinder- und Jugendliteratur.316 Stefan Neuhaus führt kritisch dazu an, dass die »zahlreichen Motti aus kanonischen Texten […] expositorische Funktion [haben] und verzichtbar [wären], allerdings beglaubigen sie indirekt den Anspruch der Verfasserin, mit diesem Buch in dieser exquisiten Tradition zu stehen.«317 Die Zitate lassen sich außerdem als indirekte Leseanreize und damit als doppeladressierte Strategie verstehen, ebenso wie die Leselisten, die sich seit Beginn des zweiten Jahrzehnts auf der Webseite und auf Facebook-Seiten der Autorin finden.318 Durch diese doppeladressierten Paratexte macht Funke zum einen auf spezifische literarische Traditionen aufmerksam, zum anderen werden Wechselwirkungen mit dem pädagogisch-didaktischen Feld sichtbar. Hoffmann bemerkt dazu, dass dies auf der einen Seite lektürelenkender Strategie [dient], da die Autorin damit vorschlägt, in welchem literarischen Kontext ihre Texte rezipiert werden sollen. Auf der anderen Seite wird damit die Lust auf weiteres Lesen geweckt.319

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Vgl. zu ›Klassikern‹ der Kinder- und Jugendliteratur und zu Michael Ende Bettina Kümmerling-Meibauer: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationales Lexikon. Bd. 1: A–G. Sonderausgabe, Stuttgart/Weimar: Metzler 2004. Stefan Neuhaus: Märchen, 2. überarb. Aufl. Tübingen: Francke 2017, S. 403. Vgl. z.B. die Storyteller-Seite auf Facebook, https://www.facebook.com/CorneliaFunkeT heStoryteller/, letzter Zugriff: 01.08.2020. Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 52.

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Peter Langemeyer versteht die Literaturzitate der Tintenwelt-Serie als Strategie, neben Kindern und Jugendlichen auch erwachsene Leser:innen anzusprechen: Funke hat jedem Kapitel ein Motto aus Werken der Kinder- und Jugendliteratur (Astrid Lindgren, Michael Ende, J.K. Rowling u.a.), der Fantasy-Literatur (J.R.R. Tolkien, T.H. White u.a.) bzw. der allgemeinen Weltliteratur (Ovid, Shakespeare, Celan u.a.) vorangestellt. Die Zitate, ergänzt durch Anspielungen im Text, schreiben den Zyklus in den Kontext der westlich-abendländischen Kulturgeschichte ein und bekräftigen den Anspruch der Autorin, sich nicht nur an ein jüngeres, sondern auch an ein erwachsenes Publikum zu richten.320 Ähnliche Besonderheiten und davon ableitbare Deutungen der Autorschaft lassen sich auch in der Reckless-Serie finden. Darin spielt Intertextualität ebenfalls eine wesentliche Rolle, hier im Zusammenhang mit Märchen. Auch wenn in der Reckless-Serie die Zitate nicht immer – wie in der TintenweltSerie – in direkter Form auftauchen, sind die Märchenbezüge für die Romane doch konstitutiv.321 So beginnt der erste Reckless-Band zum Beispiel mit der Kapitelüberschrift »Es war einmal«.322 Weiterhin trifft die Hauptfigur Jacob unter anderem auf ein Dornröschen, das nach zweihundert Jahren immer noch schläft (von ihren möglichen Rettern hängen nur noch Überreste in den Rosenranken323 ), oder findet ein Knusperhaus im dunklen Wald. Funke greift damit nicht nur Märchenelemente auf, sondern stellt einzelne Handlungsstrukturen und Motive auf den Kopf. Zudem lassen sich »schauerromantische und ›grotesk-unheimliche‹«324 Elemente erkennen. Mit dieser Art der Neuerzählung steht Funke laut Zamolska in der Tradition der modernen Kunstmärchen von Edith Nesbit (Drachen, Katzen, Königskinder, 1976; Das Herz des Zauberers – Neun Märchen, 1981) und As-

320 Langemeyer: Funke, Cornelia. Tintenwelt-Trilogie. 321 So schreibt Sebastian Koch über Funkes Reckless – Steinernes Fleisch: »Schon der Einband vermischt Märchenelemente mit düsterer Stimmung« (Sebastian Koch: Funke, Cornelia: Reckless – Steinernes Fleisch, in: https://www.kinderundjugendmedien.d e/kritik/jugendroman/1165-funke-cornelia-reckless-steinernes-fleisch, letzter Zugriff: 17.11.2022). 322 Cornelia Funke: Reckless. Steinernes Fleisch, Hamburg: Dressler 2010, S. 7. 323 Ebd., S. 94. 324 Zamolska: Funke, Cornelia.

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trid Lindgren (Im Wald sind keine Räuber; Sammelaugust, 1952), die beide gängige Märchenmuster humorvoll variierten.325 Das Verweisen auf bekannte Texte ist demnach poetologisches Programm, das in den Werken der Autorin sowie auf ihren Twitter- und Facebook-Seiten vielfach auftaucht und Funkes Belesenheit zur Schau stellt. Ihre Autorschaft lässt sich daher auch mit dem traditionellen Modell des poeta doctus verknüpfen, der insbesondere durch Intertextualität seine Gelehrsamkeit in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig gehört zum poeta doctus auch die Vorstellung vom Schreiben als Handwerk, worauf Funkes Schreib- und Arbeitsweisen verweisen.

4.3.5 Dokumentation des (Schreib-)Prozesses: Förderin des Lesens und Bewahrerin des (Schreib-)Handwerks Unter anderem auf Twitter lassen sich Schreib- und Arbeitsprozesse von Cornelia Funke beobachten. Hier wird deutlich, inwiefern ihr Schreiben auch als Handwerk verstanden werden kann: Die einzelnen Schritte, die für das Entstehen eines Werks notwendig sind, können anhand der Tweets nachvollzogen werden, denn Funke dokumentiert ihre Arbeiten kleinschrittig. Ein Beitrag lässt Follower:innen zum Beispiel einen Blick in die Arbeit am Manuskript von Das Goldene Garn werfen: »Deep in editor’s notes. She was very nice with me this time so doing ten times more changes than requested. The pages turn from red to blue«.326 Es folgen weitere Posts, die den Bearbeitungsprozess in Ansätzen sichtbar machen. Funke bezieht ihre Follower:innen auch mit in Entscheidungsprozesse ein: »two chapters each day for print polish of Heartless. Done done done on nov 4th. Then…picture book? Short story?:)«.327 Mit den an den Bericht angehängten Fragen erzeugt Funke zudem »Feedbackschleifen«328 und erhöht auf diese Weise die Anzahl der Beiträge auf ihrer Profilseite. Ebenfalls mehrfach erwähnt und auf der Webseite, bei Twitter und auf den Facebook-Seiten mithilfe von Fotos präsentiert werden die Notiz- und Zeichenbücher der Autorin. Sie tauchen als besondere Artefakte der Autorin auf. In sie schreibt Funke ihre ersten Fassungen, beklebt sie mit Bildern, fügt Notizen an. 325 Ebd. 326 Tweet vom 22.07.2014, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020. 327 Tweet vom 08.10.2014, https://twitter.com/CorneliaFunke/status, letzter Zugriff: 01.08.2020. 328 Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 55.

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Fotografien, die unter anderem auf Twitter veröffentlicht wurden, zeigen diese Bücher in unterschiedlichen Umgebungen:

Abb. 12: Schreibbuch (Twitter, 25.10.2014) Abb. 13: Schreibbuch und Zeichenbuch (Twitter, 01.01.2015)

Abb. 12: © Cornelia Funke Abb. 13: © Cornelia Funke

Neben verschiedenen Arbeitsorten werden hier die Instrumente des Schreibhandwerks sichtbar. In einigen Tweets wird zudem deutlich, welchen Stellenwert die Zeichen- und Schreibbücher für die Autorschaft Funkes besitzen: »[Y]ou’ll be very surprised what it does to your writing. Makes it more playful! Use A4 notebook- left side blank for notes«329 . Die Bücher werden so als Paratexte inszeniert, die die eigenen Werke erweitern und gleichzeitig als Lernangebote und Aufforderungen an Leser:innen verstanden werden können, selbst zu schreiben und kreativ zu sein: «:) a notebook is a precious thing so one should make it look like sth you want to pick up:)«.330 Die Notizbücher veranschaulichen auch die ausführlichen Recherchen, die Funke betreibt und die in sozialen Medien und auf der Webseite der Autorin

329 Tweet vom 09.09.2014 auf Twitter, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020. 330 Tweet vom 01.12.2014 auf Twitter, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

ebenfalls kleinschrittig dokumentiert sind. Auf der Reckless-Seite bei Facebook findet sich zum Beispiel ein Foto eines Buches über Tiere mit dem Kommentar »the things we learn about while writing stories«.331 Hier werden demnach umfangreiche Vorarbeiten dargestellt, die gleichzeitig Lernerfahrungen bedeuten. Solche Posts erfüllen ähnliche Funktionen wie die Leselisten und intertextuelle Verweise: Das Lernen und die damit einhergehenden Lernangebote entsprechen Codes im kinder- und jugendliterarischen Feld und sind daher wesentlich für die Aufmerksamkeit, die die Autorin erhält. Dass die Lern- und Erfahrungsangebote auch gern angenommen werden, zeigen Antworten auf die Beiträge: »Es ist schon faszinierend was man alles lernt und entdeckt. Im normalen Leben würde man sich niemals mit diesen Themen befassen«.332

Abb. 14: Unterseite der Webseite von Cornelia Funke, Screenshot vom 21.06.2015

© Cornelia Funke

Auf der Webseite besteht für Besucher:innen auch die Möglichkeit, auf »Notizbücher« zu klicken und darin zu lesen. Hier findet sich mit dem Eintrag »Reckless 4 – Ich lerne wie man China auf Chinesisch schreibt «333 wiederum eine (fingierte) Dokumentation der Arbeitsschritte, die den Schreibprozess Aus dem Beitrag vom 11.01.2015 auf der Reckless-Seite auf Facebook, https://de-de.face book.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 332 Kommentar zu einem Beitrag vom 11.01.2015 auf der Reckless-Seite auf Facebook, https ://de-de.facebook.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 333 Http://www.corneliafunke.com/, letzter Zugriff: 21.06.2015. 331

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der Autorin nicht nur als etwas darstellt, was erlernbar ist, sondern auch zeigt, welcher Wissenszuwachs mit den Recherchen für das Schreiben einhergehen kann. Die Notizbücher dokumentieren die Schritte des Schreibprozesses von der Recherche zu einzelnen Themen bis hin zu Tipps zur Strukturierung von Texten als nachahmbaren Prozess, der – wie bereits bei Markus Heitz und Sibylle Berg – als Handwerk in Szene gesetzt wird. Weiterhin stellt Funke häufig das Schreiben mit der Hand heraus: Das fing vor drei Jahren bei einem Urlaub in Madagaskar an. Ich saß in einem Hotel im Regenwald und kam mir albern vor, dort einen Computer mit mir herumzuschleppen. Aber weil ich schreibsüchtig bin, hatte ich ein Notizbuch dabei. Damit habe ich mich hingesetzt und einfach mal drauf losgeschrieben. Das Gefühl von Befreiung war schockierend stark. Auf dem Papier kann man erstmal spielen, und es sieht nicht alles gleich so fertig und sauber aus wie im Computer. Ich schreibe jetzt immer auf der rechten DIN A4-Seite und lasse die linke frei, auf der korrigiere ich, klebe Bilder ein und solche Dinge.334 Auf der Facebook-Seite des Dressler Verlags findet sich auch ein Hinweis, der nicht nur das Arbeiten der Autorin, sondern auch die (Vorbild-)Funktion für Kinder betont: Mir ist natürlich wichtig, dass Kinder die Schreibschrift auf inspirierte Weise lernen! Ihnen die Schönheit der Buchstaben bewusst machen, sie mit ihnen spielen lassen – man muss ihnen zeigen, wie sehr Handschriften sie selbst und ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken können. […] Jedem jungen Schriftsteller, der einen Rat von mir will, sage ich: Schreib die erste Fassung mit der Hand.335 Mit der traditionellen Schreibtechnik wird das Schreibhandwerk als ein Traditionsberuf begriffen, der in seiner Ursprungsform als erhaltungswürdig gilt.

334 Spatzek: Zwischen Wort und Strich. 335 Beitrag vom 08.01.2015 auf der Verlagsseite auf Facebook, https://www.facebook.co m/CorneliaFunke/, letzter Zugriff: 01.08.2020. Vgl. dazu auch Christian Füller: »Die Handschrift soll Gedanken fliegen lassen«, in: FAZ, Beitrag vom 11.05.2014, https://w ww.faz.net/aktuell/politik/cornelia-funke-die-handschrift-soll-gedanken-fliegen-las sen-12933060.html?fbclid=IwAR39ygMP2ZCZbhnQaYhCGRfBCmh1knndWu8RuEbE UO_mIfFGKmY_RGB_4po, letzter Zugriff: 24.10.2022.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

In der Spiegelwelt-App verbindet Funke traditionelles und modernes Handwerk miteinander. Die zusammen mit Mirada Studios und einigen Freund:innen der Autorin produzierte und am 17.04.2013 veröffentlichte App bietet gewissermaßen ein digitales Portal zur Spiegelwelt.336 Hier ›betreten‹ die Nutzer:innen die Welt der App, indem sie auf einen virtuellen Spiegel klicken. Anschließend landen sie in »Ogers Taverne«. Dort können sie weitere Erzählungen aus der Spiegelwelt lesen, ansehen oder anhören; dabei handelt es sich um »Geschichten, die manches von dem verraten, was Reckless – Steinernes Fleisch und Reckless – Lebendige Schatten verschweigen«,337 heißt es auf der Webseite der Autorin. Außerdem gibt es Informationen zum Schatzjäger, Rezepte zur Kinderzubereitung und Anleitungen zum Schwertkampf. Die App funktioniert damit als »transmediale Erweiterung der Buchreihe«.338 Funke selbst bezeichnet die App als ›atmendes Buch‹: »In dem Moment, in dem man die Bilder sieht, die ich beim Schreiben der Geschichte benutzt habe, habe ich das Gefühl, sie fängt an zu atmen.«339 Die App enthält unter anderem einen Kurzfilm zu einem Schneider, für den ein Stoff bestickt und anschließend abgefilmt wurde.340 Auch weitere Handwerker:innen und Künstler:innen wurden für die App engagiert: Wir haben mit einer berühmten Schattenkünstlerin gearbeitet, die mit ihren Händen und Haaren Schattenspiele macht. Auch einen chinesischen Bildhauer haben wir einbezogen, der Tonstatuen fertigte. Die App zeigt das, was meine Leidenschaft ist: alte Handwerkskünste zu fördern, wieder ins Bewusstsein zu bringen, sie dann aber digital allen zugänglich zu machen. Die Tonfiguren stehen jetzt auf meinem Schreibtisch, die kann nur ich sehen. Aber in der App können sie auch meine Leser erleben.341

336 Vgl. Mirrorworld. [Interactive IPad App (Version 1.32)] (2013). Basierend auf den Romanen Reckless. Steinernes Fleisch und Reckless. Lebendige Schatten von Cornelia Funke. Los Angeles: Mirada LLC. 337 Https://corneliafunke.com/de/spiegelwelt, letzter Zugriff: 14.10.2016 bzw. https://we b.archive.org/web/20161014130922/https://corneliafunke.com/de/spiegelwelt, letzter Zugriff: 24.10.2022. 338 Https://dorotheamartin.de/2014-04-buchapps-mirrorworld/, letzter Zugriff: 01.08. 2020. 339 Spatzek: Zwischen Wort und Strich. 340 Vgl. Birgit Müller-Bardorff: Die Macht der Bilder, die Macht der Worte, in: Landsberger Tagblatt, Beitrag vom 07.02.2017. 341 Ebd.

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Funke betont hier explizit, Traditionelles zu fördern und »wieder ins Bewusstsein« bringen zu wollen, um es letztlich vor dem Vergessen zu bewahren. Insbesondere auch dafür möchte sie digitale Möglichkeiten nutzen. An dieser Stelle wird Funke in Interviews oft gefragt, ob Bildwelten (wie auch in Illustrationen) nicht verhindern würden, dass Kinder und Jugendliche ihre eigenen Fantasien ausbauen. Funke gibt dazu eine spezifische Vorstellung preis, die ebenfalls den Aspekt der Förderung beinhaltet und deutlich das Buch als das wesentliche Medium herausstellt: Ich stoße oft auf das Klischee, die Illustration beschädige die Vorstellungskraft des Lesers. Dabei gehen wir immer davon aus, dass jeder Leser diese visuelle Vorstellungskraft hat. Aber das stimmt nicht, es gibt ganz, ganz viele Menschen, die nicht visuell denken oder bei denen es nie gefördert wurde. Meine Erfahrung ist aber, dass jede kleine Illustration, jede kleine Vignette als Anstoß für eigene Bilder im Kopf sehr glücklich machen kann. Die App ist der Reiseführer zur Spiegelwelt, wenn man aber die Spiegelwelt erleben will, muss man die Bücher lesen.342 Funke sieht demnach Bildwelten und damit auch die App nicht als Konkurrenz zu ihren Büchern, sondern als Anreiz, die Bücher zu lesen und sich weitere Bilder in der Fantasie auszumalen. Neuen Medien gegenüber zeigt sie sich aufgeschlossen, nicht ohne allerdings stets die Verbindung aus traditionellem und modernem Handwerk sowie einen verantwortungsvollen Umgang damit zu betonen: Wenn man den Kindern beibringt, den Computer kreativ zu benutzen, dann ist das doch eine wunderbare Herausforderung […]. Aus der Beschäftigung mit dem Digitalen kommt auch wieder die Sehnsucht nach etwas, das man anfassen kann. Und auch in der App ist ja alles mit der Hand gemacht.343 Letztlich bringt die Autorin auch das Erzählen innerhalb der App mit dem mündlichen Erzählen in Zusammenhang und schlägt damit eine Brücke zwischen Erzähltraditionen von Märchen über ihre Reckless-Serie zum digitalen Storytelling innerhalb der App. Mit dieser Brücke zeigt sich Funke sowohl als Bewahrerin von Traditionen als auch als Modernisiererin. Damit schafft sie den Spagat zwischen unterschiedlichen Ansprüchen an Autor:innen der

342 Ebd. 343 Ebd.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Kinder- und Jugendliteratur: Altes zu bewahren und neue Entwicklungen verantwortungsvoll voranzutreiben. Geschichten niederzuschreiben ist wunderbar, aber der Ursprung allen Erzählens ist das gesprochene Wort. Deshalb beschäftigte ich mich in den »Spiegelwelt«-Büchern mit den mündlich überlieferten Märchen, den traditionellen Volksmärchen aus aller Welt, um sie wieder bewusst zu machen. Ich versuche in vielerlei Hinsicht, die Vergangenheit am Leben zu halten – und das tue ich auch in der App. Das ist gar nicht so furchtbar modern, sondern es geht um das Erzählen von Geschichten, wie wir es seit Menschengedenken kennen, noch bevor wir schreiben konnten.344 Wesentlich scheint bei der App auch, dass Funke an der Konstruktion der Bildwelten beteiligt ist und somit die Deutungshoheit über ihre Welten behält. Anders erging es ihr mit dem (Hollywood-)Film. Beim Drehen der Filme musste sie die Deutungshoheit zum Teil abgeben: Mehrmals äußert sie sich in Interviews und auch in sozialen Netzwerken dazu und nutzt dabei immer wieder denselben Vergleich: Aus fliegenden Teppichen würden allzu leicht Taschentücher oder Servietten. Ich war die Filme leid. Ständig musste ich meinen Lesern erzählen, dass ich mir das ja alles ganz anders vorstelle. Gerade nach ›Tintenherz‹ […] ging es mir sehr stark so. Durch Zufall oder Fügung lernte ich dann Mathew Cullen und seine Firma Mirada kennen. Ich fragte ihn, was es kosten würde, wenn ich so ein atmendes Buch mit ihnen baue, etwas, mit dem der Leser beim Kaffee mal kurz durch den Spiegel gehen kann. […] Ich habe mir meine Bilder zurückgeholt.345 Es geht also bei der Spiegelwelt-App auch um Autonomie und die Deutungshoheit: Um diese zu bewahren beziehungsweise zurückzuerobern, nutzt Funke digitale und selbstinitiierte Medienangebote.346 Damit verweist auch die vermeintlich stark auf die Zielgruppe ausgerichtete Autorschaft Funkes an dieser Stelle auf die illusio des Subfeldes der eingeschränkten Produktion.

344 Ebd. 345 Spatzek: Zwischen Wort und Strich. 346 Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 266.

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4.3.6 Die »Pflanzenhexe« – Funke als Autorin von Phantastik »Funke unternimmt aus dem Alltag heraus Reisen in die Phantasie«, dies sei der »Kern ihres Erzählens«.347 Die Phantastik Funkes entsteht stets ganz unvermutet in dem altbekannten Umfeld und Alltag von Kindern, die plötzlich die vertraute Umgebung aus einem fantasievollen Blickwinkel neu entdecken lässt und die Langeweile oder Leere aus dem kindlichen Leben vertreibt.348 Als »Inbegriff dieser Methode Funkes« bezeichnet Zamolska die Kurzgeschichte Die Glücksfee (2003), in der eine Fee einem schlechtgelaunten Jungen beibringt, einen neuen und wertschätzenden Blick auf sein eigenes, als langweilig empfundenes Leben einzunehmen. Funkes Phantastik- und Magievorstellungen sind stark mit ihrem alltäglichen Leben verknüpft. Es wundert daher nicht, dass sich die ›Magie‹ auch in ihrer Wohn- und Schreibumgebung sowie auch in der körperlichen Performance widerspiegelt. Neben den Cafés, die auf Twitter als Arbeitsorte gezeigt werden, stechen zwei Orte als wichtige Schreiborte hervor: das sogenannte »magische Schreibhaus«349 der Autorin sowie ihr Schreibtisch. Das Schreibhaus steht in Funkes Garten und ist gefüllt mit Bücherregalen, mit einem Schreibtisch, einem Kamin und einem Sofa. Weiterhin – so berichtet es Funke auf Lesungen350 – befänden sich dort neben gesammelten Drachenfiguren all die Sachen, die ihr Kinder zuschicken. In diesem ›magischen Schreibhaus‹ verfasst Funke einen Großteil ihrer Werke, so auch die Reckless-Serie. Das Schreibhaus und der Schreibtisch sind auch Vorbild für die Gestaltung der Webseite. Die Autorin tritt demnach auch virtuell in sehr bunten, kreativ anmutenden, leicht chaotischen Räumen auf und kommt damit dem (kindlichen) Wunsch entgegen, vieles über die Autorin zu erfahren und ihr ›ganz nah‹ zu sein.351 Entsprechend folgte dem Umzug der Autorin nach Italien 2021 auch eine Umgestaltung der Webseite passend zur neuen Arbeitsumgebung.

347 Dunkmann: Made in Germany, S. 20. 348 Zamolska: Funke, Cornelia. 349 erlesenTV: Cornelia Funke und Rainer Strecker – Reckless, 00:40:57-00:41:30, letzter Zugriff: 01.08.2020. 350 Vgl. ebd. sowie Getty Research Institute: Cornelia Funke Storytelling and Book Signing. 351 Vgl. dazu auch das Konzept der »imaginativen Nähe« von Jens Eder, s.o. Kapitel 4.2.4.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Darüber hinaus lassen sich einzelne Partikel aus dem Diskurs rund um den Namen der Autorin mit den von Funke beschriebenen fantastischen Welten verknüpfen. Dies kommt zum Beispiel in dem spezifisch für die Reckless-Bände entwickelten virtuellen »Spiegelwelt«-Zimmer auf der Webseite zum Ausdruck. Mit einem Klick auf einen ›Spiegel‹, der als Portal zu einer Parallelwelt gestaltet ist, ist es Besucher:innen der Webseite möglich, einen weiteren Bereich der Seite zu betreten. Oft können Portale in fantastischen Texten nur von spezifischen Figuren und Wesen durchschritten werden – in der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur wie bei Michael Ende, J.K. Rowling oder eben auch Cornelia Funke ist dies häufig Kinderfiguren vorbehalten. Auf diesen exklusiven Zugang verweist ein Satz über dem ›Spiegel‹: »Der Spiegel öffnet sich nur für den, der sich selbst nicht sieht …«352 Nach dem ›Betreten‹ der virtuellen Spiegelwelt werden Besucher:innen zunächst über die Welt, in der sie sich nun befinden, informiert: … in einer Welt, die die unsere um 1860 herum spiegelt und doch ganz anders ist. Denn hinter den Spiegeln – ja, es gibt mehrere – sind alle Märchen, die je erzählt wurden, mitsamt all den Hexen, Menschenfressern, Stilzen und Heinzeln, die sich in ihnen tummeln. […] Einige von euch haben die Welt hinter den Spiegeln vielleicht schon früher bereist – früher im wahrsten Sinne. Denn die Tintenbücher spielen ebenfalls in ihr, nur ist die Welt da noch etwa 500 Jahre jünger, und die Ereignisse, von denen dort berichtet wird, zeigen nur einen winzigen Ausschnitt der Spiegelwelt: Ligurien. Also, noch einmal: Willkommen hinter den Spiegeln!353 Wer die Spiegelwelt noch nicht über die Bücher kennt, erhält hier erste Hinweise dazu, wie sie gestaltet ist. Weiterhin finden sich in der Rubrik der Webseite Leseproben der Reckless-Bände, Illustrationen, eine Liste der Namen der Figuren sowie Beschreibungen der Schätze und Steine der Spiegelwelt. Entscheidend ist an dieser Stelle, dass Besucher:innen mithilfe verschiedenster

352 Http://www.corneliafunke.com/, letzter Zugriff: 21.06.2015 bzw. https://web.archive.o rg/web/20150222015732/www.corneliafunke.com/index.php?page=reckless&lang=d e, letzter Zugriff: 24.10.2022. 353 Http://www.corneliafunke.com/, letzter Zugriff: 21.06.2015 bzw. https://web.archive.org/web/20161014130922/https://corneliafunke.com/de/spiegelwelt, letzter Zugriff: 24.10.2022.

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Produkte und Anwendungen die Möglichkeit geboten wird, sich zur fantastischen Welt zugehörig zu fühlen. So gibt es eine limitierte Auflage von Spiegelwelt-Pässen, die auf den eigenen Namen ›ausgestellt‹ werden können. Webseiten-Besucher:innen werden somit mit den Hauptfiguren der Werke in Verbindung gebracht, Diegese und außertextuelle Realität verschmelzen miteinander. Aufgrund dieser Funktionen und Möglichkeiten lassen sich die Webseite insgesamt als Marketinginstrument und Produkte wie die Spiegelwelt-Pässe als Merchandise-Produkte bezeichnen. Die Vermarktung im Medienverbund (literarische Werke, Webseite, Pässe etc.) sowie die damit einhergehende Verknüpfung von Realität der Leser:innen und fantastischer Parallelwelt lassen ein Medienangebot entstehen, das eine spezifische Botschaft bereithält: »Und das passt zu der Web-Inszenierung Cornelia Funkes, denn was will sie uns anderes mitteilen als dass die Magie der Geschichten weder Halt macht vor medialen Begrenzungen noch vor ihrer eigenen Lebensrealität?«354 Unter anderem auf Twitter lässt sich zudem sehen, dass Funke von ihren Figuren wie von geliebten Menschen spricht. Somit lässt sich Funke wie von Hoffmann auch als »Magierin«355 bezeichnen, gehört es doch zu ihrer Poetologie, dass Realität und Fantasie zu einer fantastischen Welt verschmelzen. Darüber hinaus tritt Funke durch spezifische Kleidungsstücke und ausgewählte Artefakte explizit als Autorin von Phantastik in Erscheinung. So trägt sie etwa zu Lesungen aufwendig produzierte Kostüme.356 Hier scheint die Bezeichnung »Pflanzenhexe«357 , mit der Funke sich selbst betitelt, auch auf der visuellen Ebene beobachtbar. Die Autorin tritt als eine Figur auf, wie sie auch in den von ihr kreierten Welten hätte existieren können. Mit dem Verschmelzen aus Alltäglichem und Fantastischem lässt sich ein autofiktionales Spiel erkennen: Autor-Subjekt und literarische Figur werden übereinandergelegt. Funke entspricht damit den Codes für Kinder- und Jugendbuchautor:innen, deren körperliche Performance häufiger ›inszenatorisch‹ betont sein kann als bei dem von Kyora beschriebenen Typus der Subjektform ›Autor‹.358

354 355 356 357 358

Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 52. Ebd., S. 50. S.o. Kapitel 3.4.3. Mayr: Cornelia Funke und Los Angeles. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 57.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Abb. 15: Funke im Feenkostüm

© picture alliance/dpa | Marcus Brandt, 23.09.2010

4.3.7 »Sie sind den Fans so unglaublich nah!« – eine nahbare Medienfigur Seit 2012 betreibt Funke ihre eigene Webseite, die von ihrer Schwester Insa verwaltet wird. Von Beginn an war die Webseite aufwendig gestaltet und bis 2021 im Großen und Ganzen dem Gartenschreibhaus der Autorin nachgebildet. Rief man die Seite auf, erschienen zunächst einzelne Buchstaben, die nach und nach einen Schriftzug ergaben: »Willkommen in meinem Schreibhaus!« dazu war ein Schreibmaschinengeräusch zu hören. Anschließend erhielten die Besucher:innen Einblick in ein virtuelles Arbeitszimmer. Dabei war die Perspektive so konstruiert, dass sich die Besucher:innen als Beobachter:innen wiederfanden: Durch eine auf der rechten Seite abgebildete Pflanze sowie Bücher, die auf der linken Seite im Bildvordergrund verschwommen zu sehen sind, wurde suggeriert, man schaue von außen in ein Haus und erhalte somit ganz exklusive und private Einblicke. Die Webseite wurde inzwischen mehrfach verändert. Den Willkommens-Schriftzug gibt es zum Beispiel zum Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts nicht mehr.

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Abb. 16: Webseite von Cornelia Funke, Screenshot vom 21.06.2015

© Cornelia Funke

Besucher:innen konnten das Panoramabild mithilfe des Cursors von rechts nach links schwenken. Damit war der Besuch der Webseite ähnlich wie der Beginn eines Computerspiels gestaltet. Besucher:innen konnten das Gefühl entwickeln, Teil des virtuellen Raums zu sein und die Autorin Cornelia Funke tatsächlich in ihrem Schreibhaus zu besuchen. Das virtuelle Arbeitszimmer enthielt viele unterschiedliche Gegenstände wie einen Globus, eine alte Schreibmaschine oder auch ein golden eingerahmtes Foto der Autorin. Die virtuellen Gegenstände funktionierten als Deeplinks, mithilfe derer Besucher:innen weitere Informationen erhalten und weitere virtuelle Zimmer ›betreten‹ konnten. Im »Gästezimmer« befand sich zum Beispiel ein Sessel, ein Gästebuch, ein Körbchen für Tierfreunde sowie ein Bücherstapel mit der Überschrift: »Eure Geschichten«. Alles war so eingerichtet, dass sich Besucher:innen wohlfühlen konnten. Gleichzeitig wurden diese dazu aufgefordert, Bilder und selbstgeschriebene Texte auf der Webseite zu veröffentlichen. »Die aktuelle Kinderund Jugendgeneration ist somit kein passives Publikum«359 , sondern ihr bieten sich – wie auf der Webseite von Funke – vielfältige Möglichkeiten der Interaktion. Durch die Gestaltung der Seite wurde vor allem Nähe suggeriert. Dies erfolgte auch über Kontaktangebote sowie private und familiäre Einblicke in das Leben der Autorin. Der Eindruck von Nähe konnte auch dadurch entstehen, 359 Iris Schäfer: Kinder- und Jugendkulturen im Netz, in: Kinder- und Jugendliteratur in Medienkontexten. Adaption – Hybridisierung – Intermedialität – Konvergenz, hg. von Gina Weinkauff u.a., Frankfurt a.M.: Peter Lang 2014, S. 253–265, hier S. 253.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

dass die Besucher:innen die Möglichkeit hatten, Bilder (auch von den eigenen Haustieren) hochzuladen, sich in ein Gästebuch namens »Gästy« einzutragen und dort auch Fragen zu stellen. Daneben wurde im sogenannten Schreibhauskurier auf die Möglichkeit hingewiesen, mit der Autorin im Chat direkt in Kontakt zu treten. Dass auf der Webseite alle Besucher:innen direkt angesprochen und begrüßt wurden, unterstreicht die Erzeugung konstruierter Nähe. Willkommen auf meiner Homepage! Ich hoffe, ihr werdet Euch hier wohl fühlen. Ihr findet hier Informationen zu meinem Leben und Arbeiten, könnt Fragen stellen, werdet Antworten bekommen, Leser aus aller Welt kennenlernen und dabei … hoffentlich … auch eine ganze Menge Spaß haben.360 Anschließend ließen sich unter den Rubriken »Biografie«, »Das ist mir wichtig«, »Wusstet Ihr schon, dass …?« sowie »Cornelia von A bis Z« viele Informationen zur Autorin finden. Insgesamt präsentiert sich die Webseite laut Hoffmann als »literarischer Lernort der Gegenwart«361 , an dem die Autorin als nahbare Medienfigur präsent ist. Sie erzeugt mithilfe der Webseite eine »(natürlich fingierte) Nähe«362 und zeigt sich als »tierlieben, naturverbundenen, kreativen, gelassenen und verträumten Menschen«. »Diese Strategie, die Nähe zur Zielgruppe über persönliche Erfahrungen demonstriert, muss als doppeladressierende Strategie verstanden werden«.363 Funkes Selbstpräsentation auf ihrer Webseite entspräche damit den »grundlegenden Charakteristika des kinder- und jugendliterarischen Systems.«364 Leser:innen können sich der Autorin auch nah fühlen, wenn sie ihr bei Twitter folgen oder auf Facebook mit ihr verbunden sind. Auf dem seit 2010 existierenden Twitter-Account erscheinen täglich durchschnittlich drei Tweets und Antworten auf Fragen und Komplimente. Bei Facebook lassen sich mehrere Seiten finden, auf denen die Autorin selbst, ihre Schwester beziehungsweise ihr Verlag Posts veröffentlichen. Auch auf Instagram ist die Autorin vertreten, dort

360 Http://www.corneliafunke.com/, letzter Zugriff: 21.06.2015 bzw. https://web.archive.o rg/web/20150812210028/www.corneliafunke.com/index.php?page=cornelia&lang=d e, letzter Zugriff: 02.06.2021. 361 Hoffmann: Das ist also Cornelia Funke!, S. 49. 362 Ebd., S. 50. 363 Ebd., S. 51. 364 Ebd., S. 55.

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finden sich hauptsächlich Fotografien von Funkes Illustrationen. Viele der Fotografien sind allerdings auch bei Twitter, Facebook und auf der eigenen Webseite zu finden, so dass die Inhalte bei Instagram hier nicht eigens analysiert werden müssen.365 Insbesondere in den selbstinitiierten und selbstverwalteten digitalen Medienangeboten lässt sich etwas beobachten, was der Öffentlichkeit vorher großenteils verborgen blieb: die direkte Kommunikation zwischen der Autorin und ihren Leser:innen:366 «:))) oh I love Twitter […] :)) suddenly it is so easy to be one tribe with my readers!:) CF«367 . Wie das Zitat zeigt, erscheint Funke auf dem Microblogging-Dienst wie auch auf der eigenen Webseite als eine Autorin, die gern die Vorteile digitaler Medien nutzt, um vor allem mit ihren Leser:innen in Kontakt zu treten. Der Tweet stellt mit den verwendeten Emoticons eine Inszenierung von Authentizität dar, ebenso wie Versicherung auf der Startseite: »Promise: she posts herself CF«368 . Auf ihrem Profilbild bei Twitter ist Funke schreibend an einem öffentlichen Ort zu sehen.369 Wie auch auf der Homepage der Webseite ragt ein Pflanzenarm ins Bild, wodurch die User:innen wiederum in eine Beobachterposition gebracht werden wie Zuschauer:innen von Filmen und Dokumentationen. Die Kleidung ist leger und im traditionellen Sinn als weiblich zu beschreiben. Damit weicht Funke von dem Code ab, der auch für Autorinnen in der Regel »eher (geschlechts)neutrale Kleidung im Casual-Stil«370 nach dem Vorbild der männlichen Kollegen vorsieht, da als zu ›weiblich‹ auffallende Kleidung »als ein Ausweis mangelnder Professionalität betrachtet«371 werden kann. Das gilt allerdings nicht für das Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur, in dem weibliche Autorschaft längst keine Seltenheit mehr ist, so dass Funkes Kleiderwahl auf der Fotografie keine Abweichung von gängigen Codes des Subfeldes darstellt,

365 Hier zeigt sich allerdings die Bedeutung der Architektur der jeweiligen medialen Konstellation: Würde man lediglich den Instagram-Account betrachten, der im Untersuchungszeitraum hauptsächlich Buchillustrationen beinhaltet, würde Funke als Illustratorin stärker in den Blick geraten und somit würde ein etwas anderes Autorbild ermittelt werden als beispielsweise über ihre Webseite. 366 Vgl. zur Sichtbarkeit von literarischen Kommunikationsprozessen im Netz Trilcke: Ideen zu einer Literatursoziologie des Internets, S. 4 und 42. 367 Tweet vom 21.03.2015, https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020. 368 Https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 19.01.2020. Diese Aussage ist nach wie vor gleich zu Beginn der Account-Seite sichtbar (18.11.2022). 369 Vgl. Kapitel 3.4.4.2. 370 Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 57. 371 Ebd.

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ebenso wie ihr freundlicher-zugewandter Gesichtsausdruck. Autor:innen von Kinder- und Jugendliteratur werden häufig lächelnd abgebildet. Funke zeigt sich unter anderem auf Twitter zudem interessiert an kreativer Fankunst und verschickt auch signierte Lesezeichen. Sie verweist bei Anfragen bezüglich Interviews und Besuchen auf eine Twitter-Adresse, über die sie erreichbar ist. Es zeigt sich, dass der Kontakt mit Leser:innen und Akteur:innen des Feldes den Großteil der Beiträge ausmacht. Twitter greift also Facetten der Autorschaft auf, die bereits in anderen Medienangeboten in Ansätzen beobachtet werden konnten. Funke twittert grundsätzlich zudem viele Ankündigungen und Berichte, etwa die Ankündigungen der Schreibhaus-Chats, auf die auch auf der Webseite hingewiesen wird. Die von Hettler so bezeichneten Crossover-Effekte, die die Reichweite von Nachrichten erhöhen, lassen sich bei den Medienangeboten Funkes sehr gut nachvollziehen. Sowohl bei Facebook als auch bei Twitter finden sich vielfältige Verweise, insbesondere auf die eigene Webseite der Autorin. Wenngleich Funkes intensive Nutzung von Twitter im Vergleich zu anderen Autor:innen des deutschsprachigen Feldes der Gegenwart zumindest für den Beginn des Jahrzehnts innovativ erscheinen mag, stellt sie für eine Kinderund Jugendbuchautorin, die auch im US-amerikanischen Markt und weltweit Bücher veröffentlicht, keine Neuerung dar. Die Inhalte und Bilder der Autorschaft auf Twitter sind vergleichbar mit den Inhalten auf der eigenen Webseite. Im Gegensatz dazu bietet Twitter jedoch keinen Lernort und auch keinen Ort, an dem viele private, familiäre Fotos veröffentlicht werden. Allein die Architektur der Seite gibt es auch nicht her, viele zusammenhängende Informationen zur Verfügung zu stellen und Räume zum Lernen zu schaffen. Über Twitter kann vielmehr auf diese Räume verwiesen werden, was Funke auch nutzt. Bei Facebook existier(t)en mehrere Seiten, die mit dem Namen ›Cornelia Funke‹ verknüpft sind, zum Beispiel die sogenannte Reckless- und die Storyteller-Seite sowie eine Dressler-Verlagsseite.372 Die Reckless- und Storyteller-Seite werden sehr ähnlich geführt; allerdings enthält die Storyteller-Seite insgesamt weniger Beiträge. Außerdem findet man dort hauptsächlich Surface-Links zur Webseite der Autorin. Generell sind hier ähnliche Inhalte wie bei Twitter zu finden. Es gibt Ankündigungen von Veröffentlichungen und Lesungen sowie Kontaktmöglichkeiten. Es wird zudem auf die internationale Wirksamkeit

372 Die Reckless- sowie die Storyteller-Seite existieren seit 2011, die Dressler-Verlagsseite bereits seit 2010.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

der Autorin aufmerksam gemacht und es werden Schritte des Schreibprozesses dokumentiert (»Editingeditingeditingeditingeditingediting«, »Very last steps. Polishing my revisions« etc.). Fotos von den Arbeitsorten und den Illustrationen unterstützen die Inszenierung und (fingierte) Dokumentation der Arbeitsprozesse. Gleichzeitig scheinen Twitter und Facebook auch die Möglichkeit zu bieten, die eigene Meinung zu einem Thema zu verkünden und damit Autonomie zu zeigen und Deutungshoheit (zurück) zu erlangen. So lässt sich unter anderem nachvollziehen, dass Funke eine andere Meinung zum Abdruck der Illustrationen in ihren Werken hat als ihre US-amerikanischen und britischen Verleger. Auch ihre Überlegungen zum Titel von Das Goldene Garn (2015) und die Auseinandersetzungen darüber werden auf Facebook dokumentiert. So wird deutlich, dass der Verlag den dritten Band der Reckless-Serie eigentlich »Teuflisches Silber« nennen wollte, dass sich Funke jedoch mit »Das Goldene Garn« durchsetzen konnte. »Teuflisches Silber« sei ihr zu »reißerisch« gewesen.373 Die Verlagsseite weist dagegen eine andere Urheberschaft und damit auch andere Inhalte auf. Hier werden zum Beispiel Leseproben von Das Goldene Garn veröffentlicht. Die Seite ist mithilfe von Fragen an Leser:innen strukturiert, um systematisch ›Feedbackschleifen‹ zu erzeugen. Besondere Tage werden zum Beispiel zum Anlass genommen, Fragen an die Leserschaft zu stellen: »Heute ist der ›Internationale Tag der Freundschaft‹ – welche Freundschaft aus Cornelias Büchern gefällt euch eigentlich am besten?«374 Gleichzeitig fällt bei der Verlagsseite auch die Doppeladressierung auf: So wird die Frage »wann seid ihr das letzte Mal in einer Bibliothek gewesen, habt die Gänge durchstreift und nach verborgenen Schätzen gesucht?«375 sowohl Kinder und Jugendliche als auch Eltern, Großeltern und Pädagog:innen ansprechen. Eine Besonderheit der Facebook-Seiten zeigt sich wiederum in Bezug auf die beobachtbare Kommunikation zwischen Autorin und Leserschaft. Hier passiert etwas Ähnliches wie bei Twitter, allerdings zeigt die Autorin bei Facebook etwas mehr Fotografien, auch können die Posts 140 Zeichen überschreiten, wodurch die Architektur der Seite es ermöglicht, umfassendere

Vgl. den Beitrag vom 03.11.2014 auf der Verlagsseite auf Facebook, https://www.facebo ok.com/CorneliaFunke/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 374 Aus dem Beitrag vom 31.07.2014 auf der Verlagsseite auf Facebook, https://www.faceb ook.com/CorneliaFunke/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 375 Aus dem Beitrag vom 24.02.2014 auf der Verlagsseite auf Facebook, https://www.faceb ook.com/CorneliaFunke/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 373

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

(private) Einblicke zu liefern beziehungsweise zu inszenieren. Dass sich Leser:innen der Autorin dadurch tatsächlich näher fühlen, zeigt das Zitat eines Users: »Viele berühmte Persönlichkeiten scheinen immer so fern, aber Sie sind den Fans so unglaublich nah!«376 Der User, der diese Aussage formuliert, hatte zuvor etwas auf der Reckless-Seite gepostet und prompt eine Antwort erhalten. Durch die Kommunikation auf sozialen Netzwerkplattformen entsteht demnach ein reger Austausch, der – ähnlich wie bei Markus Heitz – alte Hierarchien zwischen Autor:innen und Leser:innen aufhebt. Damit ruft Funke jedoch kein neues Autorbild hervor, sondern tut, was sie bereits zu Beginn ihrer Karriere getan hatte, als sie Leserbriefe beantwortete. Neu ist zunächst lediglich die Möglichkeit zur Veröffentlichung und Beobachtung der Kommunikation. Trotzdem stellt sich die Frage, ob mit der Nutzung von Facebook oder Twitter ein der medialen Konstellation inhärentes neues Autorbild einhergeht. In Elisabeth Sporers Typologie verschiedener Ausprägungen von Autorinszenierungen bei Facebook ließe sich Funke am ehesten in die Kategorien »das Privatleben im Mittelpunkt«, »der Text im Mittelpunkt« sowie »das Marketing im Mittelpunkt« einordnen: Es gibt auch Autorinnen und Autoren, die sich als richtiggehende MarketingExperten erweisen. Sie posten fast täglich nach allen Regeln der FacebookPR, weisen auf eigene Neuveröffentlichungen und Veranstaltungen hin, setzen Links zu Rezensionen etc. Im Vordergrund steht hier das professionelle Promoten eines Autors hinsichtlich seines Schaffens und seiner Person.377 Allerdings lassen sich damit nicht alle Aspekte von Funkes Autorschaft abdecken. Es findet sich in der Typologie keine Kategorie, die insbesondere den Austausch mit den Leser:innen beschreibt. Man könnte in Ergänzung zu Sporer also formulieren, dass bei den Facebook-Seiten (von Funke) auch ›der Leser im Mittelpunkt‹ stehen kann.

4.3.8 Cornelia Funke im literarischen Feld der Gegenwart Aufgrund der anhaltend hohen Verkaufszahlen ihrer international verbreiteten Werke und ihrer großen Bekanntheit gilt Funke im Subfeld der Kinder-

376 Antwort auf einen Beitrag vom 08.04.2015 auf der Reckless-Seite auf Facebook, https:// de-de.facebook.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. 377 Sporer: Der Autor auf Facebook, S. 299.

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und Jugendliteratur als äußerst erfolgreich. Die literarästhetische Qualität ihrer Werke wird jedoch unterschiedlich bewertet. Werden Codes anderer Subfelder an die Werke herangetragen – wenn zum Beispiel Burkhard Müller implizit die fantastischen Jugendromane mit Werken aus dem Subfeld der eingeschränkten Produktion vergleicht –, entstehen ambivalente Wertungen. Die Zahl umfangreicher literaturkritischer und -wissenschaftlicher Besprechungen zu Funke ist bisher generell überschaubar. Eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung fand »bis vor kurzem nur in Artikeln statt, die in verschiedenen Zeitschriften in den letzten Jahren erschienen. Vorrangig wird die Tintenwelt-Trilogie untersucht«.378 Auch in einigen Autorenlexika wie dem Kritischen Lexikon deutschsprachiger Gegenwartsliteratur findet sich bis zum Jahr 2020 kein Eintrag zu Cornelia Funke und ihrem umfangreichen Œuvre. Auch wenn in den letzten Jahren einige Beiträge hinzugekommen sind,379 bestand eine Differenz zwischen der Aufmerksamkeit im Bereich der Populär- und Wissenschaftsrezeption.380 Durch die Genese zur Autorin hält Funke dem deutschsprachigen literarischen Feld gewissermaßen einen Spiegel vor: Insbesondere nachdem britische und US-amerikanische Medien auf die Autorin aufmerksam geworden waren, wurde Funke auch im deutschsprachigen literarischen Feld vermehrt besprochen. »Children’s authors in Germany were not given the kind of imaginative respect they are given in England and America«381 , bemerkt etwa Corbett in ihrer Monografie über Cornelia Funke. In England und Amerika sei die Autorin dagegen mit offenen Armen empfangen worden: »American culture was more open to welcoming her as a storyteller in all its guises«.382 Daran lässt sich ablesen, dass die starke Hierarchie der Gattungen, wie sie von Bourdieu beschrieben wurde, tatsächlich ein eher französischsprachiges beziehungsweise in diesem Fall deutschsprachiges Phänomen war. Die international zirkulierende Kinder-, Jugend- und Genreliteratur und insbesondere die Werke und Autorschaft Funkes waren jedoch daran beteiligt, dass diese Hierarchisierung

378 Zamolska: Funke, Cornelia. 379 Abhilfe wird die erste Tagung zu Cornelia Funke schaffen, die im Frühjahr 2022 unter dem Titel »Cornelia Funke – intermedial« stattfand: https://www.kinderundjugendmedien.de/aus-der-redaktion/6278-cornelia-funke-intermedial, letzter Zugriff: 03.03.2022. 380 Vgl. Zamolska: Funke, Cornelia. 381 Corbett: Cornelia Funke, S. 33. 382 Ebd.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

zunehmend in Frage gestellt wurde. Andersherum verhalfen Prozesse der Inter- und Transnationalisierung von Kinder-, Jugend- und Genreliteratur Cornelia Funke dazu, ihre Spitzenposition über das zweite Jahrzehnt zu halten und auszubauen. Durch die sozialen Netzwerkplattformen und die eigene Webseite konnte Funke nicht nur mit ihren Leser:innen leichter in Kontakt treten, auch war es möglich, ihre Poetologie und Autorschaft (wie etwa das Schreiben mit der Hand, die Erlernbarkeit des Schreibens etc.) zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Weise konnte Funke zeigen, dass sie weiterhin legitimiert ist, für Kinder und Jugendliche zu schreiben und dass die digitalen Medien – insbesondere die sozialen Netzwerkplattformen – keinen Kulturverlust bedeuten müssen: Vielmehr zeigt Funkes Internetpräsenz, dass die Lese- und Schreibkompetenz, das Malen und Zeichnen und das Sprechen über Literatur auch über die digitalen Medien gefördert werden können.

4.4 Beispielanalyse IV: Michael Köhlmeier Michael Köhlmeier (*1949) berichtet, zu Beginn seiner Laufbahn für sich selbst geschrieben zu haben,383 bevor der Verlag Hoffmann und Campe seinen ersten Roman veröffentlichte. Mit dem ›Schreiben für sich‹ wird ein hoher Grad an Autonomie verkündet, die im literarischen Feld langfristig symbolisches Kapital erlangen lässt. Zudem half ihm ein regionaler Förderpreis (der Rauriser Förderpreis) beim Eintritt ins Feld.384 Einem größeren Publikum bekannt wurde Köhlmeier letztlich über Nach- und Neuerzählungen von Mythen, Sagen und Märchen im Rundfunk. Köhlmeier wird im Feuilleton und in literaturwissenschaftlichen Texten als »Geschichtenerzähler der Nation«385 , als »Proteus der österreichischen

383 Vgl. Ernst Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 9–24, hier S. 11. 384 Vgl. Wolfgang Bunzel: Michael Köhlmeier, in: Munzinger Online/KLG – Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, https://www.munzinger.de/document/16000000315, Zugriff: 19.6.2017. 385 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 9.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Literatur«386 , »bildungsbürgerlicher poeta doctus«387 oder »erzählender Kompositeur mit Elefantengedächtnis«388 bezeichnet. Die Benennungen verweisen auf Michael Köhlmeier als Erzähler, jedoch auch auf ein als umfangreich präsentiertes Wissen sowie auf seine Bekanntheit.389 Vor allem in Österreich gilt er als »Star, […] Jahrhundertautor, […] Nationalheld beinahe«390 . In Deutschland ist Michael Köhlmeier zunächst allerdings »ein unbekannter Autor. Zumindest scheint es so, wenn man in Deutschland nach Büchern von ihm in Buchhandlungen sucht und keins findet.«391 Diese Aussage ist für das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts jedoch nicht mehr haltbar. Insbesondere die Preise, die Köhlmeier innerhalb des Jahrzehnts erhielt, sprechen für eine auch in Deutschland gestiegene Bekanntheit und Anerkennung: 2014 wird ihm der Walter-Hasenclever-Literaturpreis verliehen, 2015 erhält er den Preis der LiteraTour Nord. 2017 wird Köhlmeier zudem mit dem Marie Luise Kaschnitz-Preis sowie mit dem Literaturpreis der Konrad-AdenauerStiftung ausgezeichnet. Letzteren erhielten unter anderem Daniel Kehlmann und Uwe Tellkamp, Autoren, die Tommek in seiner Studie Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur als Notabeln bezeichnet, deren Position bürgerlich gestützt sei.392 Bei den Notabeln sei eine genaue Positionsbestimmung eigentlich erst nach Lebzeiten vorzunehmen:

386 Ebd., S. 17 (diese Formulierung geht auf Sigrid Löffler zurück). 387 Sigurd Paul Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 102–124, hier S. 121. 388 Verena Auffermann: Das ganze Leben, in: Zeit online, Beitrag vom 26.09.2007, https://www.zeit.de/2007/39/L-Koehlmeier/komplettansicht, letzter Zugriff: 24.10.2022; vgl. dazu auch Margarete Affenzeller: Ein Schriftsteller, der »nicht länger still sein« will, in: Der Standard, Beitrag vom 06.04.2014, http://derstandard.at/1395364433186/EinSchriftsteller-der-nicht-laenger-still-sein-will, letzter Zugriff: 14.06. 2017. 389 Vgl. Jean-Charles Margotten: Tradition und Modernität in Michael Köhlmeiers Erzählungen, in: Traditionen und Modernen. Historische und ästhetische Analysen der österreichischen Kultur, hg. von Anne-Marie Corbin, Innsbruck: Studien-Verlag 2008, S. 142–153, hier S. 142. 390 Ebd. 391 Ebd. 392 »Feldstrukturell bildet diese bü rgerlich nobilitierte Autorposition eine Schnittstelle zwischen dem eingeschränkten literarischen Feld und dem Feld der Massenproduktion, jedoch weniger ü ber die ökonomische Leitwährung der Bestseller als ü ber die im Sozialraum und im politischen Feld zirkulierenden gesellschaftlichen Leitdiskurse« (Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 412).

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Die Zuordnung zum ästhetischen Pol oder zum Pol der Notabeln zeigt sich deutlicher erst in der langfristigen Rezeption, so besonders in den Literaturgeschichten. Während in der dominant ästhetischen Wertschätzung das Werk als Kunstform zählt und sich die biografische Person im Sinne Foucaults zum Autor als diskursiver Einheit des Werkes verwandelt, unterliegt die Zuordnung zum Pol der Notabeln der sozialen oder historischen Zeit. Ihre Wertschätzung beruht vor allem auf der gesellschaftlich situierten Persönlichkeit und auf den in ihren Werken vermittelten weltanschaulichen Themen und Werten.393 Allerdings stehe unter anderem der Literaturpreis der Konrad-AdenauerStiftung für eine »unmittelbar sichtbare, politisch-gesellschaftlich motivierte Wertschätzung«394 . Köhlmeier fällt während des Untersuchungszeitraums dieser Studie (2010–2020) insbesondere durch sein politisches Engagement und seine politischen Stellungnahmen auf, wodurch eine Zuordnung zu dem von Tommek beschriebenen Nobilitierungssektor plausibel erscheint. Grundlage der vorliegenden Untersuchung ist zum einen der Roman Zwei Herren am Strand (2014), für den Köhlmeier auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises aufgenommen und 2015 mit dem Preis der LiteraTour Nord ausgezeichnet wurde. In dem Roman werden die aus der Weltgeschichte bekannten Personen Charlie Chaplin und Winston Churchill literarisiert und durch eine außergewöhnliche Freundschaft miteinander verbunden. Ihre Freundschaft ist geprägt durch den Kampf gegen Adolf Hitler (auf je eigene Weise), aber vor allem durch den Kampf gegen einen inneren Feind, den sogenannten schwarzen Hund, der als Leitmotiv den Roman durchzieht.395 Er steht metaphorisch für die psychischen Leiden, die im Text als Depression und Melancholie bezeichnet werden. So verknüpft der Roman sowohl historisch nachweisbare als auch fiktionale Elemente. Über die Ereignisse berichtet eine Erzählerfigur, die selbst unter ähnlichen psychischen Schwierigkeiten leidet wie die beiden Hauptfiguren. Der Roman wurde in den Feuilletons positiv besprochen, so wird er im Kulturspiegel zum Beispiel als »brillant«396 bezeichnet. Es 393 Ebd., S. 413. 394 Ebd., S. 414. 395 Vgl. Ella M. Karnatz: »Wie bändigt man den schwarzen Hund?« Zur Darstellung von Depression und ihrer Behandlung in Michael Köhlmeiers Roman Zwei Herren am Strand, in: Ästhetik des Depressiven, hg. von Till Huber und Immanuel Nover, De Gruyter (i.Vorb.). 396 Christoph Schröder: Staatsmann und Clown, in: Kulturspiegel (2014), H. 10, S. 25.

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gab jedoch auch kritische Stimmen: Rainer Moritz beurteilt den Roman zum Beispiel als »Nebenwerk, das gefallen will«397 . Für die Entwicklung der Autorbilder und -position Köhlmeiers innerhalb des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist außerdem das Jahr 2018 bedeutsam. In diesem Jahr unterstreicht Köhlmeier nicht nur mit der Veröffentlichung Von den Märchen. Eine lebenslange Liebe die Bedeutsamkeit der Märchen für sein Schreiben, sondern veröffentlicht unter anderem auch sein Reden gegen das Vergessen.398 Für die Analyse bilden Medienangebote aus dem Feuilleton sowie literaturwissenschaftliche Texte die Grundlage. Berücksichtigt werden außerdem Internetseiten (zum Beispiel der Verlage), Dokumentarfilme und Mitschnitte, die auf YouTube veröffentlicht wurden, sowie wissenschaftliche Publikationen. Soziale Netzwerkplattformen und Autorenwebseiten konnten hingegen nicht herangezogen werden: Mit dem Namen des Autors ist innerhalb des Untersuchungszeitraums keine eigeninitiierte Webseite verknüpft, auch gibt es keine offiziellen Facebook-, Instagram- oder Twitter-Accounts. Die Autorbilder werden demnach hauptsächlich aus literaturkritischen, literaturwissenschaftlichen und poetologisch-biographischen Ausführungen extrahiert. Die Analyse der Autorbilder von Michael Köhlmeier fungiert somit auch als Kontrastfolie zu den untersuchten Autorbildern von Sibylle Berg, Markus Heitz und Cornelia Funke, die im Untersuchungszeitraum (2010 bis 2020) verstärkt mit eigeninitiierten Medienangeboten in digitalen Medien sichtbar waren. Im Gegensatz zu Berg, Heitz und Funke sind die Werke Köhlmeiers zudem auf den ersten Blick nicht einer spezifischen Gattung oder einem spezifischen Genre verstärkt zuzuordnen, sondern sein Gesamtwerk ist »umfangreich und vielfältig, umfasst sowohl Chansons und Gedichte, als auch Theaterstücke und Libretti, sowie gewöhnliche Fiktionen«399 . Michael Köhlmeier […] zählt nicht erst seit der Publikation seines die Geschichte eines Jahrhunderts umspannenden Opus magnum »Abendland« (2007) und der Lügenboldsaga »Die Abenteuer des Joel Spazierer« (2013) zu den produktivsten und renommiertesten Autoren des Landes [Österreich, 397 Rainer Moritz: Gemeinsame Feinde, in: Literatur und Kritik (2014), S. 483f. 398 Michael Köhlmeier: Von den Märchen. Eine lebenslange Liebe, Innsbruck/Wien: Haymon 2018; Michael Köhlmeier: Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle. Reden gegen das Vergessen, München: dtv 2018. 399 Margotten: Tradition und Modernität, S. 142; vgl. auch Karl-Markus Gauß: »Wie bändigt man den schwarzen Hund?«, in: Süddeutsche Zeitung, Beitrag vom 22.09.2014.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

E.M.K.]. Köhlmeier zeigt sich in seinem ausufernden literarischen Werk als Mehrspartenkönner, dessen Repertoire von Kurzgeschichten über Hörspiele und Liedtexte in Mundart (»Oh, oh Vorarlberg«) bis zur klassischen Romanform (»Bleib über Nacht«; »Die Musterschüler«; »Spielplatz der Helden«) reicht.400 Bei genauerem Hinsehen kristallisieren sich für den Autor, der in »allen Genres heimisch«401 ist, aber doch Bilder und Modelle heraus, die ein spezifisches Genre beziehungsweise eine spezifische Erzählform als für sein Schreiben und Erzählen wesentlich erkennen lassen: das Nach- und Neuerzählen von Mythen und Märchen.402

4.4.1 »[E]s ging darum, etwas eigenes zu haben« – zur Autorgenese Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts existieren im deutschsprachigen Raum einige Literaturinstitute an Hochschulen, die Studiengänge zum literarischen Schreiben anbieten, etwa in Leipzig und Hildesheim. Es kann demnach für den Untersuchungszeitraum von einer wenn auch schwachen Institutionalisierung des literarischen Feldes gesprochen werden.403 Allerdings gilt nach wie vor für die meisten Autor:innen, dass sie sich selbst zum Autor/zur Autorin machen beziehungsweise gemacht werden müssen. Bei diesem Prozess sind laut Reckwitz – wie auch bei anderen Subjektivierungen – spezifische Regeln einzuhalten, die innerhalb eines Feldes existieren. Das Debüt ist zum Beispiel die Eintrittskarte ins literarische Feld, die legitime Zugehörigkeit

400 Ulla Kramar-Schmid/Wolfgang Paterno: Michael Köhlmeier: Ich möchte in keiner Knallfroschrepublik leben, in: profil.at, Beitrag vom 21.12.2013, https://www.profil.at/gesellschaft/michael-koehlmeier-ich-knallfroschrepublik-370995, letzter Zugriff: 27.03.2021. 401 Hans-Jürgen August: In allen Genres heimisch. Ein Porträt des Vorarlberger Schriftstellers Michael Köhlmeier, in: Wiener Zeitung, Beitrag vom 03.04.1992, S. 8. 402 Vgl. dazu auch Margotten: Tradition und Modernität, S. 142 sowie Ulrich Rüdenauer: Michael Köhlmeier – Die Märchen, in: SWR2 Lesenswert Magazin, Beitrag vom 13.12.2019, https://www.swr.de/swr2/literatur/swr2-lesenswert-magazin-20191229-17 05-01-michael-koehlmeier-die-maerchen-100.html, letzter Zugriff: 02.06.2021. 403 Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. 366. Daneben existieren im deutschsprachigen Raum einige Schreibschulen, vgl. Lange: Die Schulen des Schreibens sowie Kempke/ Vöcklinghaus/Zeh: Institutsprosa.

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zum Feld ist dann mit einem Zweitwerk unter Beweis zu stellen.404 Die Erstund Zweitveröffentlichung geht oft mit einer Erklärung in Form eines performativen Aktes einher: »Ich bin Autor:in«. Dem liegt ein Selbstverständnis zugrunde, das sich in einer eigenen Poetologie ausdrückt: Die Formulierung »Ich bin Autor: in« ist daher für die Anerkennung im literarischen Feld nicht ausreichend. Erst »Ich bin ein Autor/eine Autorin, der/die …« bringt die nötige Stabilität. Neben dem Selbstverständnis und dem veröffentlichten Deutungswissen ist das Einhalten spezifischer Codes405 sowie die Aufmerksamkeit von Verlagen, Kritiker:innen und Leser:innen Voraussetzung für die Anerkennung im Feld. Wie Köhlmeier Sichtbarkeit im deutschsprachigen literarischen Feld beziehungsweise in den literarischen Feldern Österreichs und Deutschlands406 erreichte und damit die Legitimation zum Autor erlangte, wird nachfolgend skizziert. Auf die Frage von Thomas Trenkler in einem Interview aus dem Jahr 2014, seit wann er den Wunsch hegte, Autor zu werden, antwortete Michael Köhlmeier, dass er schon immer Autor werden wollte.407 Bereits als Kind sei dies sein Berufswunsch gewesen.408 Angefangen zu schreiben hat Köhlmeier laut eigenen Berichten mit zwölf Jahren im Kapuziner-Internat, das er vier Jahre lang besuchte. Tagebuchschreiben war im Internat verboten. Trotzdem oder gerade wegen des Verbots begann Köhlmeier mit dem Schreiben, das ihm laut eigenen Angaben zum Trost wurde. Im Internat habe Köhlmeier beschlossen, Autor zu werden: Dabei »ging es […] darum, etwas eigenes zu haben.«409 Demnach entdeckte Köhlmeier das Erzählen als sich bewährende Praktik in existenziell schwieriger Situation. Er studierte nach seiner Matura Germanistik und Politikwissenschaft in Marburg, das Studium schloss er 1976 mit einer Arbeit über Austrofaschismus

404 Vgl. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 59. 405 Vgl. Reckwitz: Subjekt, S. 136. 406 Zur möglichen Unterscheidung literarischer Felder in nationale vgl. Bichler: Selbstinszenierung im literarischen Feld Österreichs, S. 37–44. 407 Vgl. Thomas Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«, Beitrag vom 24.09.2014, https://www.thomastrenkler.at/interviews/michael-koehlmeierwenn-ich-nicht-schreibe-geht-es-mir-nicht-gut/, letzter Zugriff: 27.03.2021. 408 Vgl. Robert Vellusig: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Michael Köhlmeiers, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, S. 25–62, hier S. 25. 409 Doris Knecht: Bloss keinen Wirbel, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 183–186, hier S. 184f.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

ab. Er berichtet davon, dass er in dieser Zeit mit dem »Schreiben nicht punkten« konnte – es wurde als »kleinbürgerliches Getue« abgetan.410 In den linkspolitisierten Studierendenkreisen der Marburger Universität war schlichtes Erzählen seinem Bericht zufolge verpönt. Michael Köhlmeiers Schriftstellerkarriere fiel demnach mit einer »Krise des Erzählens« oder auch einem im Zuge der 1968er verkündeten »Tod der Literatur«411 zusammen.412 Politische Überlegungen zum ›Tod der Literatur‹ teilte Köhlmeier, es fehlte ihm dabei jedoch auch etwas: Man kann nach dem Nationalsozialismus nicht mehr einfach erzählen. Ich hab das schon verstanden. Das ist vielleicht wahr. Erzählen ist immer etwas Geschlossenes, gibt die Illusion, daß Totalität möglich ist usw. Aber gleichzeitig kann ich natürlich auch sagen: Es gab Die Blechtrommel und ein par [sic!] andere deutsche Autoren; aber wann ist in Österreich wirklich der Nationalsozialismus erzählt worden? Außer Der Herr Karl … Ja, Lebert hats gemacht, aber der ist ja erst später entdeckt worden, der war ja völlig weg …413 Das Erzählen wird also als etwas dargestellt, was insbesondere in Österreich – und bei der Vergangenheitsbewältigung – fehle. Auch die Beschäftigung mit Märchen galt nicht als zeitgemäß (»diese Volkstümelei«414 ). Allerdings bezeichnete der Autor das Erzählen – insbesondere auch von Mythen und Märchen – als seinen (Berufs-)Wunsch: »Etwas anderes als erzählen wollte ich nicht, etwas anderes glaubte ich nicht zu können.«415 Also schrieb er laut eigener Berichte eine Zeit lang für sich selbst, bis er einen Verlag fand, der seinen ersten Roman Der Peverl Toni und seine abenteuerliche Reise durch meinen

410 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 411 Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend, in: Kursbuch 15 (1968), S. 187–197. 412 Vgl. Vellusig: Der Erzähler, S. 25; vgl. auch Ulrike Längle: Narrare necesse est. Leben als Erzählen, Erzählen als Überleben, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 241–257, hier S. 248. 413 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 13. 414 Literaturhaus Salzburg: Michael Köhlmeier »Von den Märchen – eine lebenslange Liebe« – Lesung und Gespräch, 17.12.2018, 00:09:28-00:09:29, https://www.youtube.com /watch?v=EsRwhbzE7Dc, letzter Zugriff: 02.06.2021. 415 Kurt Bartsch: Der Erzähler als Hörspielautor: Michael Köhlmeiers literarische Funkarbeiten, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 125–145, hier S. 125.

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Kopf (1982) publizierte.416 Das Erzählen erscheint demnach als Köhlmeiers Alleinstellungsmerkmal, das er gegen literaturtheoretische Diskurse zum ›Tod der Literatur‹ vertrat und sich somit gegen das Vorherige absetzte. Dass er wirklich Autor geworden sei, stellte er 1974 fest, als er den Rauriser Förderpreis für den Einakter »Like Bob Dylan« mit einer Förderung von 24.000 Schilling erhielt. Von diesem Moment erzählt er, dass er nach Wetzlar zum Spazieren gefahren sei: »So. Jetzt bin ich Schriftsteller«, sei ihm beim Spazierengehen in den Sinn gekommen.417 Auf diesen ersten Förderpreis folgten viele weitere Veröffentlichungen und Preise in Österreich, die im Bourdieuʼschen Sinne als Konsekrationen verstanden werden können und die die Zugehörigkeit zum literarischen Feld Österreichs insbesondere am autonomen Pol bestätigten. Einem Publikum außerhalb Österreichs wurde Köhlmeier unter anderem durch den Johann-Peter-Hebel-Preis bekannt, den er 1988 erhielt. Bis Köhlmeier sich als Autor jedoch wirklich akzeptiert fühlte, dauerte es über 30 Jahre bis zum Erscheinen seines Romans Abendland (2007), nach über 25 früheren Veröffentlichungen.418

4.4.2 Köhlmeier als ›Fabulierer‹ Dass Köhlmeiers Name auf verschiedene Weise eng mit dem ›Erzählen‹ verknüpft ist, zeigt eine Formulierung, die dem Autor in Interviews und Porträts sowie in wissenschaftlichen Publikationen zugewiesen wird: das ›Fabulieren‹. Es wird dem Autor eine »Fabulierfreude«, »ungebändigte Fabulierlust« oder auch ein »Fabulieren bis zum Anschlag« attestiert.419 Dabei ist das Fabulieren nicht auf ein bestimmtes Werk bezogen, sondern findet sich in Besprechungen zum Beispiel zu Michael Köhlmeiers Märchenwelten (2011) oder den Roma-

416 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 11. 417 Knecht: Bloss keinen Wirbel, S. 185; Längle: Narrare necesse est, S. 251. 418 Vgl. Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 419 Gauß: »Wie bändigt man den schwarzen Hund?«; Bunzel: Michael Köhlmeier; Christoph Bartmann: »Fabulieren bis zum Anschlag«, in: Süddeutsche Zeitung, Beitrag vom 29.09.2007; vgl. u.a. auch Ulrich Weinzierl: Mathematiker sind doch echte Abenteurer, in: Die Welt, Beitrag vom 06.10.2007; Günther A. Höfler: Musterschüler und Helden. Zur anthropologischen Erzählpoetik Michael Köhlmeiers, in: Michael Köhlmeier, hg. von dems. und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 63–87, hier S. 68.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

nen Abendland (2007) und Zwei Herren am Strand (2014).420 Unter ›Fabulieren‹ ist laut Duden »fantasievoll erzählen; Geschichten erfinden und ausschmücken«421 zu verstehen. Mit dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm kann ergänzt werden, dass der Begriff ›Fabulieren‹ zum Beispiel von Hans Sachs oder Johann Wolfgang von Goethe verwendet wurde und auch die Bedeutungen »plaudern, schwätzen« tragen kann beziehungsweise getragen hat.422 Damit wird mit einem ›Fabulierer‹ auch jemand verbunden, der gern Anekdoten oder Märchen wiedergibt, wodurch das Bild eines ›Märchen- und Geschichtenerzählers‹ evoziert werden kann. Die Verbindung des Autors mit dem ›Fabulieren‹ lässt sich durch mindestens zwei Hauptaspekte erklären, die sich aus der Analyse der Medienangebote rund um Köhlmeier ergeben: Zum einen nimmt das Fabulieren Bezug auf Köhlmeier als Erzähler von Sagen- und Bibelstoffen im Rundfunk. Das Besondere an seinen Nach- beziehungsweise Neuerzählungen ist, dass er diese mündlich und scheinbar ohne ausgearbeitetes Skript nacherzählt und gleichzeitig kommentiert, er also in der Tat ›Geschichten ausschmückt‹ und ›fantasievoll erzählt‹. Zum anderen sind in den Paratexten rund um die Werke Köhlmeiers häufig poetologische Erläuterungen zu finden, die den Zugang des Autors zum Erzählen und dessen philosophische, anthropologische oder psychologische Bedeutung betreffen. Als begünstigende Faktoren seiner Autorgenese führt Köhlmeier an, dass er aus einer »erzählsüchtigen Familie«423 stamme. In diesem Zusammenhang nennt er vor allem seine Großmutter. Sie habe ihn als Kind »zugeschüttet […]

420 Martin Becker: Glück und Grauen, in: Deutschlandfunk, Beitrag vom 28.11.2011, https://www.deutschlandfunkkultur.de/glueck-und-grauen.950.de.html?dram:article_id=140625, letzter Zugriff: 11.05.2017; Bartmann: »Fabulieren bis zum Anschlag«; Uwe Wittstock: Zwei Genies in Not, in: Focus, Beitrag vom 25.08.2014. 421 Dudenredaktion: fabulieren, in: Duden online, https://www.duden.de/rechtschreibung/fabulieren, letzter Zugriff: 24.10.2022. 422 Jacob Grimm/Wilhelm Grimm: Fabulieren, in: Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, hg. von dens., Sp. 1218, »der digitale Grimm«: Elektronische Ausg. der Erstbearb., Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2004, http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GF00068#XGF00068, letzter Zugriff: 27.03.2021. 423 Vellusig: Der Erzähler, S. 25; vgl. auch Doris Knecht: Bloss keinen Wirbel, S. 184 sowie Thomas Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«, Beitrag vom 24.09.2014, https://www.thomastrenkler.at/interviews/michael-koehlmeierwenn-ich-nicht-schreibe-geht-es-mir-nicht-gut/, letzter Zugriff: 27.03.2021; Literaturhaus Salzburg: Michael Köhlmeier – eine lebenslange Liebe«, 00:05:48-00:08:38.

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mit Geschichten« und nicht zwischen Realität und Märchen unterschieden.424 Erzählt worden sei in der Küche, die daher »ein gewisser magischer Ort«425 gewesen sei. Die Großmutter erzählte wohl »mit halbgeschlossenen Augen, […] nahe am Einschlafen, und […] mit monotoner Stimme«426 . Köhlmeier macht damit deutlich, dass ihm nicht nur das Erzählen als solches ›in die Wiege gelegt‹ wurde, sondern dass die Orte seiner Kindheit (die Küche) und die Art und Weise des Erzählens (leicht entrückt, wie aus einer fantastischen Welt stammend) bereits fiktionale Züge trugen. Köhlmeier führt Gründe für die ›Erzählsucht‹ seiner Mutter und Großmutter an: Es sei eine »ständige Suche nach der verlorenen Zeit vor dem Krieg«427 und »ihre Heimatverlorenheit«428 gewesen. Hier zeigt sich das Deutungswissen des Autors, der zum einen seine eigene Kindheit literarisiert, zum anderen psychologische Gründe für die Literarisierung anführt. Damit legitimiert er die ›Erzählsucht‹ und so auch die Bedeutung des Erzählens für sich und bietet die Deutung an, das Erzählen als ein menschliches Grundbedürfnis zu verstehen. Neben seiner ›erzählsüchtigen‹ Großmutter, Mutter und auch Schwester verweist der Autor auch auf seinen Vater, der ihn als Historiker bereits als Kind an die griechischen Mythen herangeführt habe, wodurch er früh (unweigerlich) Interesse an mythologischen Stoffen entwickelte.429 Die Familie bietet dem Autor demnach von Geburt an die Möglichkeit, das Erzählen als Praktik der Bewältigung zu erfahren und zudem einen Fundus an Wissen über Märchen und Mythen aufzubauen. Köhlmeiers Autorschaft wird somit eng mit einer mündlichen Erzähltradition verbunden und sein ›Erzählen‹ als zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit changierend vorgestellt. Damit reiht sich Köhlmeier in Traditionen ein, die sich über die Märchen bis zu den Rhapsoden zurückverfolgen lassen und ebenso konstitutiv für die Autorschaft von Cornelia Funke sind.430

424 Vgl. Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 425 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 20. 426 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 427 Knecht: Bloss keinen Wirbel, S. 184. 428 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 19. 429 Ebd.; vgl. auch Literaturhaus Salzburg: Michael Köhlmeier, 00:05:48-00:08:38. 430 S.o. Kapitel 4.3.1 und 4.3.2.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

4.4.2.1 »Mythen, die sich nicht vergegenwärtigen lassen, werden vergessen« – der Neuerzähler von Mythen und Märchen (im Rundfunk) Dass für Köhlmeiers Autorschaft das (mündliche) Erzählen eine große Bedeutung besitzt, zeigt sich vor allem an seinen freien Nach- und Neuerzählungen antiker, germanischer und christlicher Mythen für den Rundfunk (›Sagen des klassischen Altertums‹, europäische Märchen, Nibelungensaga, Bibel). Diese seien eigentlich ein Nebenprodukt seiner literarischen Tätigkeit,431 haben sich allerdings zu einem wesentlichen Merkmal seiner Autorschaft und seines Schreibens entwickelt. Im Sommersemester 1994 hielt Michael Köhlmeier eine Poetikvorlesung in Klagenfurt. Der Programmchef des Radiosenders Österreich I wurde auf ihn aufmerksam und fragte, ob er sich vorstellen könne, für den Rundfunk Sagen nachzuerzählen. Angeblich ging Michael Köhlmeier von drei Viertelstunden aus, die ihm für seine Sagen zur Verfügung standen, vom Sender sollen jedoch für die erste Serie vierzehn Halbestunden vorgesehen gewesen sein. So kam es dazu, dass Köhlmeier die Sagen frei nacherzählte und keinem vorgeschriebenen Skript folgte, denn für die komplette Ausarbeitung der vierzehn Sendungen fehlte die Zeit. Von Juli bis September 1995 wurden jeden Sonntagvormittag die Sagen des klassischen Altertums ausgestrahlt. 1998 kam Köhlmeier mit seinen Nach- bzw. Neuerzählungen auch ins Fernsehen.432 Es folgten weitere Radio- und Fernsehsendungen mit weiteren mythischen Stoffen sowie die Vermarktung der Nach- bzw. Neuerzählungen als Hörbücher und Bücher. Seine Erzählungen mythischer Stoffe in unterschiedlicher medialer Form werden als äußerst erfolgreich wahrgenommen. So schreibt zum Beispiel der Köhlmeier-Forscher Raymond Burt im Jahr 2016: Michael Köhlmeier is one of contemporary Austria’s most prolific novelists and a storyteller par excellence. Enhancing his literary career, Köhlmeier gained a wider audience and name recognition in 1995 for his narrative refashioning of Greek mythology in a series on the Austrian Broadcasting Corporation (ÖRF). These programs were released as CDs, published as a three volume set and in 2007 adapted as an 80-episode series for educa-

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Vgl. Renata Schmidtkunz: »Meine Geschichten erzähle ich mir selbst.« Der Schriftsteller Michael Köhlmeier, AT 2009, 00:04:10-00:04:15. 432 Vgl. Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, S. 105.

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tional television. He added to his repertoire stories from the Bible, from Shakespeare and a retelling of the Song of the Nibelungs.433 Die Nach- beziehungsweise Neuerzählungen gelten dabei nicht als traditionelle Nacherzählungen. Bei Köhlmeier gibt es über das Nacherzählen hinaus eine Erzählinstanz, die als Gelehrter des 20. und 21. Jahrhunderts auftritt und das Geschehen kommentiert und bewertet. So mischt sich der Erzähler der Nach- beziehungsweise Neuerzählung des Untergangs von Troja ein als ein Mensch, der die griechische Kultur in ihrer Gesamtheit überblickt und die wertenden Analysen des Thukydides sowohl auf den früheren Krieg um Troja als auch auf spätere, ja auf ganz aktuelle Kriege überträgt.434 Stoffe der Gegenwart werden mit denen aus den antiken, germanischen oder christlichen Erzählungen vermischt, wodurch »das Vergangene vergegenwärtigt werden kann«.435 »Mythen, die sich nicht vergegenwärtigen lassen, werden vergessen«, so Köhlmeier dazu in einem Interview im Jahr 2014.436 Er sieht demnach eine Aufgabe als (Nach- beziehungsweise Neu-)Erzähler darin, das Gegenwärtige, das Zeitlose in den Stoffen zu entdecken und herauszustellen.437 Mythische Figuren lässt Köhlmeier dabei als Figuren erscheinen, die wie reale Personen agieren, die Charaktereigenschaften haben und aus einem bestimmten Milieu stammen. Die Figuren werden stärker psychologisiert und ermöglichen damit auch stärkere Identifikation. So wird zum Beispiel Odysseus als der erste Wehrdienstverweigerer bezeichnet, Telemach telefonierend und Penelope im Universitätsseminar dargestellt.438 Aufgrund des kommentierenden Erzählers und des Einbezugs moderner Themen werden die Nacherzählungen Köhlmeiers – wie auch im Folgenden – als Neuerzählungen betitelt.439

433 Raymond Burt: »The past is a thought in the present«: Time and morality in the novels of Michael Köhlmeier, in: The Oracle of the »tiny finger snap of time«. A Study of Novels with a Specific Time Culture, hg. von Pauline Winsome Beard, Newcastle-upon-Tyne: Cambridge Scholars Publishing 2016, S. 57–68, hier S. 57. 434 Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, S. 109. 435 Bartsch: Der Erzähler als Hörspielautor, S. 126. 436 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 437 Vgl. Längle: Narrare necesse est, S. 145. 438 Vgl. Margotten: Tradition und Modernität, S. 143. 439 Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Margotten hält »die Rolle des Erzählers und das vielfältige Spiel mit den Erzählstrukturen«440 für das Entscheidende dieser Texte. Die einzelnen Erzählstrukturen untersucht Roxana Tsybenko beispielhaft in der Sage »Amor und Psyche« und findet heraus, dass vor allem das ›Frage-und-Antwort-Spiel‹ für die Köhlmeier’schen Neuerzählungen typisch ist: »Dabei verwendet der österreichische Autor das Dialogisieren, um zu den schon feststehenden Antworten die entsprechenden Fragen finden zu können«: »Wer weiß, wie zärtlich der Gott des Begehrens streicheln kann?« […] »Niemand weiß es.« […] »Psyche wußte es.«441 Jean-Charles Margotten führt als weitere Strukturen »Paratext, Kommentar, Vor- und Nachwort« an, die die »Illusion des realistischen Erzählens« störten. Auch der Umgang mit Ironie und Humor sowie letztlich die »Subjektivität, die Meinung, die Persönlichkeit des Autors«, die durch die Erzählweise transportiert würde, durchbreche das traditionelle Erzählen und die Idealisierung des Helden.442 Hier zeigt sich der Zeichengebrauch Köhlmeiers und mit den Neuerzählungen ein weiteres Distinktionsmerkmal des Autors. Die Art und Weise, Mythen nachzuerzählen, Vergangenes und Gegenwärtiges, traditionelles Erzählen und moderne Reflexion zu mischen, ist die Nische, die der Autor gefunden hat.

4.4.2.2 »Zwischen Wahrheit und Fantasie« – Köhlmeier als Autor-Erzähler-Subjekt Bei der Inszenierung als (Neu-)Erzähler im Rundfunk zeigt sich eine weitere Facette des Autorbildes: Der »Erzähler der Neu-Erzählung […] [ist] in der mündlichen Kommunikationssituation der Rundfunksendung unverkennbar der sprechende Autor Michael Köhlmeier gewesen«.443 Eine »gewisse Nähe zwischen Autor und Erzähler« werde damit hergestellt, so Scheichl.444 Man könnte also davon sprechen, dass sich hier momenthaft Erzählinstanz, Medienfigur sowie empirisches Autorsubjekt überlappen.445 Was damit geschaffen wird, ist die Vorstellung von Authentizität durch die Aufhebung der Trennung

440 Margotten: Tradition und Modernität, S. 149. 441 Roxana Tsybenko: Traum und Trauma in Michael Köhlmeiers Sage »Amor und Psyche«, in: Traum und Trauma. Kulturelle Figurationen in der österreichischen Literatur, hg. von Arnulf Knafl, Wien: Praesens-Verl. 2012, S. 129–145, hier S. 134. 442 Margotten: Tradition und Modernität, S. 150. 443 Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, S. 107. 444 Ebd., S. 106. 445 Vgl. zu den Unterscheidungen Kapitel 2.1.

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der verschiedenen Ebenen von Autorschaft. Die Auftritte des Autors im Radio erfüllen damit eine ähnliche Funktion wie Lesungen: Wichtiges Kriterium für einen erfolgreichen Auftritt ist in diesem Kontext ein eindeutig und schnell dekodierbares Alleinstellungsmerkmal sowie das Moment der Glaubwürdigkeit, das nicht selten durch die Aufhebung der Trennung von Erzähler und Autor zustande kommt.446 Die Vorstellung von einer ›gewissen Nähe‹ zwischen Erzähler und Autor wird zudem unterstrichen, wenn beispielsweise Sandra Kegel über Michael Köhlmeier schreibt, dass sich »der virtuose Geschichtenerzähler […], ein Erzähler wie aus vergangenen Zeiten« auch während des Gesprächs mit dem Autor zeige: Doch auch im zwanglosen Plaudern knüpft er ein dichtes Gewebe aus Binnengeschichten, das zu immer neuen, oft überraschenden Wendungen führt. Fast meint man, dass so, wie er unsere Unterhaltung dramaturgisch komponiert, er sich redend vorwagt, um erst später eine fast vergessene Frage doch noch zu beantworten, und die Art, wie er sich lustvoll in die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden hineinschraubt – dass sich darin tatsächlich die verborgene Mechanik seiner Romane offenbart: diese raffinierte Dramaturgie des Vor- und Zurückspringens, die, scheinbar keiner Chronologie folgend, stets spannend und bewegend bleibt.447 Dass sich die Art und Weise des Erzählens von Michael Köhlmeier auch im Gespräch mit dem Autor zeigt, bemerkt auch Ulrike Längl: Wenn »man mit Michael Köhlmeier über seine Biographie spricht, wird alles zu Geschichten. Für diesen Autor gibt es das ›faktische Leben‹ und die Literatur nicht als getrennte Bereiche.«448 Köhlmeier erklärt in Interviews ebenfalls, warum er die Unterscheidung zwischen Faktualität und Fiktionalität nicht treffen möchte: Ein Schriftsteller muss jonglieren zwischen Wahrheit und Fantasie. Alle totalitär denkenden Menschen wollen die Fantasie ausrotten. Wenn du herrschen willst, musst du die Wahrheit zum Fetisch machen. Ich halte diesen 446 John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 296. 447 Sandra Kegel: Zu Besuch bei Michael Köhlmeier. Mörder, die wir lieben, in: FAZ, Beitrag vom 27.01.2013, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/zu-bes uch-bei-michael-koehlmeier-moerder-die-wir-lieben-12041353.html, letzter Zugriff: 24.10.2022. 448 Längle: Narrare necesse est, S. 253.

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Antagonismus Wahrheit – Lüge für überschätzt, denn: Wahrheit, gibt es die? Und was Wahrheit genannt wird und was Lüge unterscheidet den, der Macht hat, von dem, der keine hat, in der Welt, im Staat, im Betrieb, in der Familie, im Bett.449 Köhlmeier liefert damit zu der zeitweiligen Überlagerung der Dimensionen von Autorschaft eine philosophische Erklärung, indem er sich von einem definierbaren Wahrheitsbegriff abgrenzt und Wahrheit und Macht in ein Verhältnis setzt. Er zeigt einen hohen Grad an Deutungswissen, das letztlich zu symbolischem Kapital und zur Legitimation als Autor am ästhetischen Pol im literarischen Feld führt. Die Vermischung von Ebenen und Diskursen der Autorschaft findet sich auch in Köhlmeiers Werken. Sandra Kegel erläutert diese Mischung am Beispiel des Romans Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013): Wie so oft lässt Köhlmeier auch in diesem Buch historische Fakten und Figuren nahtlos in Fiktion übergehen. So tauchen Erich Mielke und die Tochter Ernst Thälmanns auf, auch Margot Honecker, aber ebenso sein Alter Ego, Sebastian Lukasser, der Schriftsteller aus der Heumühlgasse am Wiener Naschmarkt, der in Köhlmeiers Romanen »Abendland« und »Madalyn« die Hauptrolle spielte, hier jedoch nur am Rande erscheint.450 Eine Vermischung von Ebenen zeigt sich auch bei der Antwort Köhlmeiers auf die Frage, ob er lieber Erzähler oder Nacherzähler sei: Er sehe keinen großen Unterschied zwischen Erzählen und Nacherzählen, denn 75 Prozent aller Werke der Literaturgeschichte seien keine ›Originalstoffe‹, aber natürlich auch keine getreuen Nacherzählungen. Die Brüder Grimm etwa hätten behauptet, Märchen lediglich »brav gesammelt« zu haben. »Aber sie haben geflunkert. […] Sie sind nicht nur Nacherzähler, sie haben sich lediglich als solche stilisiert.«451 Ähnliches scheint auch Köhlmeier bei dem Märchen »Sebastian Inwendig« getan zu haben: »Ich habe behauptet, ein Mann in Graz habe mir das Märchen erzählt. Ich wollte es den Grimms nachmachen und habe daher gelogen. Ja, es

449 Brita Steinwendtner: Monika Helfer – Michael Köhlmeier. Die Seele ist eine titanische Bildergalerie. Hohenems – Bregenzerwald, in: Dies.: Der Welt entlang. Vom Zauber der Dichterlandschaften, Innsbruck/Wien: Haymon 2016, S. 138. 450 Kegel: Zu Besuch bei Michael Köhlmeier. 451 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«, vgl. auch Literaturhaus Salzburg: Michael Köhlmeier, 00:05:48-00:08:38.

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stimmt: Ich selber habe mir dieses traurige Märchen erzählt – ›genau so‹.«452 Hier schreibt sich Köhlmeier in eine Traditionslinie mit den Brüder Grimm ein beziehungsweise geht noch einen Schritt weiter: Er spielt mit seinem Wissen über Autoren der Literaturgeschichte und lässt ein Suchen nach ›Wahrheit‹ entstehen, das ins Leere laufen muss. Er fordert die Rezipient:innen damit heraus, sich selbst Gedanken zu machen. Köhlmeier bezieht sich auf weitere Autoren, etwa Stevenson, Thomas Mann, Faulkner, Johann Peter Hebel, Gabriel García Márquez, Günter Grass, Isaac B. Singer453 , und nennt Franz Kafka »ein allumfassendes Vorbild«.454 Zum einen setzt sich Köhlmeier damit in ein Verhältnis zu den bekannten Autoren, zum anderen präsentiert er seine Belesenheit, die ihm auch den Titel des poeta doctus einbrachte.455 Dass Köhlmeier jedoch genauso gut als moderner poeta vates bezeichnet werden könnte, wird das folgende Kapitel zeigen.

4.4.2.3 »Man wird nicht nur Schriftsteller, weil man damit sein Geld verdienen will« – Erzählen als menschliches Grundbedürfnis und Entlastung Wie bereits erwähnt, begann Köhlmeier seine Autorkarriere sowie sein Studium in Marburg in einer Zeit, in der von einer ›Krise des Erzählens‹ gesprochen wurde.456 Köhlmeier berichtet, dass es so etwas wie eine Doktrin gab, »daß man hinter die Erzählhaltung eines Joyce nicht zurückkann« oder dass man »nach dem Nationalsozialismus nicht mehr einfach erzählen« konnte.457 Er teile zwar die politische Ausrichtung avantgardistischer Literatur und halte die Theorien für spannend, »spannender zumal als ihre dichterischen Realisierungen, welche ihm oftmals poetisch dürftig anmuten«458 : Die einzelnen Stile avantgardistischer Literatur respektiere er, für ihn sei aber das Erzählen am wichtigsten.459 452 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 453 Vgl. Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 11f. 454 Ebd., S. 17. 455 Vgl. Kapitel 2.1.1. 456 Vgl. Vellusig: Der Erzähler, S. 25. 457 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 13. 458 Höfler: Musterschüler und Helden, S. 63. 459 Ebd., S. 63f.

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Ich weiß, daß die Wiener Gruppe eine Reaktion auf den Nationalsozialismus ist, aber die haben doch nichts erzählt davon. Von diesen Leuten, die darunter gelitten haben, die Opfer gewesen sind, davon ist nicht erzählt worden. […] Also, damit es kein Mißverständnis gibt, ich will nicht sagen, daß Literatur eine Aufgabe hat.460 Nicht von der Vergangenheit zu erzählen, bedeute für Köhlmeier zu schweigen.461 Dabei ginge es nicht darum, hinter die poetischen Überlegungen der Moderne und Avantgarde zurückzufallen, sondern diese mit einzubeziehen. Durch »Metaperspektiven, Parallelgeschichten, Spiegelungen, Polymythie«462 oder die bereits aufgezeigte Art der Kommentierung seiner Neuerzählungen könne der Rückfall vermieden werden. Bei all den Überlegungen stellt sich jedoch die Frage, welche Bedeutung das Erzählen bei Köhlmeier denn nun trägt. Zur Klärung dieser Frage kann ein Blick in die Rede des Autors zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises 1997 dienen, auf die in der Sekundärliteratur mehrfach verwiesen wird.463 Darin bezeichnet Köhlmeier das Bedürfnis, zu erzählen und erzählt zu bekommen, als ein »Grundbedürfnis des Menschen« und eine »Arbeit am Selbstbildnis«.464 Der Adressat sei nicht »die soziale Wirklichkeit schlechthin […], sondern das leibliche, sein Leben sinnhaft erlebende Einzel-Ich.«465 Wie erwähnt berichtet Köhlmeier, er habe eine Zeit lang nur für sich selbst geschrieben und nicht an einen Verlag gedacht.466 Hier stößt man auf anthropologische Grundgedanken zum Erzählen. Erzählen wird als etwas verstanden, was unmittelbar zum menschlichen Leben zugehörig ist. Zwei Hauptantriebe verfolge der Mensch laut Köhlmeier mit dem Erzählen von Geschichten: Wir würden aus den Quellen ›Erfahrung‹ und ›Befürchtung‹ schöpfen und damit ein Ziel verfolgen: Überleben. Wir machen uns ein Bild von dem, was wir nicht kennen, damit es dem Allumfassenden der Angst entrissen wird. Das hat mit Beschwörung zu tun 460 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 13f. 461 Vgl. Vellusig: Der Erzähler, S. 26. 462 Höfler: Musterschüler und Helden, S. 67. 463 Vgl. die bibliographischen Angaben in Fußnote 21 bei Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, S. 124. 464 Vgl. Längle: Narrare necesse est, S. 254. 465 Vellusig: Der Erzähler, S. 27. 466 Vgl. Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 11.

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und mit Hoffnung. Die Scheherazade aus Tausendundeine Nacht versinnbildlicht die Grundhaltung des Erzählens: Es geht um ihr Leben.467 Damit deckt sich Köhlmeiers Poetologie mit der »kognitionstheoretisch unumstößliche[n] Erkenntnis von einer prinzipiellen erzählerischen Strukturiertheit des Bewußtseins und des Denkens über den anderen«468 und den in der Geistesgeschichte der letzten 200 Jahre immer wieder aufkommenden Gedanken an den Menschen als homo narrans oder storytelling animal, der durch das Erzählen seine Angst bezwingt, Sinn stiftet und Orientierung erhält.469 Diese poetologischen Überlegungen verknüpft Robert Vellusig mit Köhlmeiers Schreiben. Dabei sei der Akzent auf »unbewußte Prozesse«470 gelegt, »denen man sich nur anvertrauen, die man aber nicht bewußt steuern kann.« Vellusig fasst Köhlmeiers Schreiben nicht als das Hervorbringen unbewusster Wünsche auf, sondern als einen »vorreflexiven Imaginationsprozess«, der »die Gesamtheit der inneren Bilder, Stimmen und Töne, der damit verbundenen Körpererfahrungen, der imaginierten Gerüche und Geschmacksempfindungen« umfasst. Schreiben ließe sich so als ein intuitives Vernähen eines schier unerschöpflichen Vorrats an Geschichten, Motiven, Wendungen und Figuren in einem Prozeß des offenen Formulierens, der sich nicht zuletzt von der rhythmischen Gestalt der Rede leiten läßt[,]471 verstehen. Damit das Erzählen jedoch seinen Zweck zur Lebensbewältigung erfüllen kann, bedarf es einer Verbindung der Geschichten zur Lebensrealität der Leser:innen, denn »Literatur, die keinen Bezug zu unserem Leben hat, ist unnötig und uninteressant«472 , urteilt Köhlmeier. Seine Werke versuchten daher, »ein und dieselbe Frage zu beantworten: Wie läßt sich die Wirklichkeit, in der wir leben, wahrnehmen, wie läßt sie sich verstehen? […] Eine Vorstellung von der Vielschichtigkeit der Realität läßt sich vermitteln, wenn man sie

467 Michael Köhlmeier, zit.n. Längle: Narrare necesse est, S. 254. 468 Höfler: Musterschüler und Helden, S. 64. 469 Vgl. Albrecht Koschorke: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie, 3. Aufl., Frankfurt a.M.: S. Fischer 2013, S. 9f. 470 Vellusig: Der Erzähler, S. 45. 471 Ebd. 472 Höfler: Musterschüler und Helden, S. 63.

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als Geschichte erzählt.«473 Wie im antiken Epos fragen die Werke Köhlmeiers nach der menschlichen Entscheidung und berühren somit anthropologische und philosophische Grundfragen.474 In den Diskurspartikeln rund um Michael Köhlmeier finden sich einige Angaben zu privaten Schicksalsschlägen: der Unfalltod der Tochter Paula sowie (weitere) körperliche und seelische Leiden.475 Was ihm am meisten geholfen habe, damit umzugehen, sei das Schreiben: Wenn Ihnen etwas Furchtbares zustößt, dann ist es gut, wenn Sie vor Ihrem Freund weinen können. Und dieser Freund ist das Schreiben. Natürlich, es war auch eine existenzielle Erfahrung, Krebs zu haben. Ein Herzinfarkt kam dazu und zehn Jahre Panikattacken. Das alles zusammen ist nicht lustig. Aber im Vergleich zum Tod der Tochter ist das alles nichts.476 Köhlmeier berichtet dazu in einem Interview, dass es ihn nach dem Tod der Tochter in die Kunst getrieben habe. Er habe zunächst gemalt, gezeichnet und gebastelt, aber auch dann habe er gewusst, dass er über seinen Verlust und seine Trauer schreiben müsse: »Nicht weil ich es wollte, sondern weil ich zugrunde gegangen wäre.«477 Geschrieben habe Köhlmeier dann wie in Trance, dabei schrieb er in Idylle mit ertrinkendem Hund (2008) zunächst nicht über seine Tochter, sondern vielmehr über seine eigene »Wunde«478 . Erst einige Zeit später tauchten Facetten der Tochter auch in einem literarischen Text auf.479 Weiter führt er in dem Interview aus, dass die erlittenen Schicksalsschläge Einfluss auf seine Berufswahl hatten: Man wird nicht nur Schriftsteller, weil man damit sein Geld verdienen will. Sondern weil man weiß, dass die Schriftstellerei die einzige Möglichkeit ist, sich auszudrücken. Die Schriftstellerei und die Kunst und ein bisschen die

473 Alfred Doppler: »Geschichtenerzählen als Annäherung an die Wahrheit«. Laudatio auf den Hebelpreisträger Michael Köhlmeier, in: Montfort 40 (1988), S. 165. 474 Vgl. Höfler: Musterschüler und Helden, S. 76. 475 Vgl. Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 20 sowie Steinwendtner: Der Welt entlang, S. 129. 476 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 477 Ebd. 478 Ebd. 479 Vgl. ebd.

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Musik sind meine Ausdrucksformen. In derart existenziellen Situationen habe ich gar keine andere Möglichkeit, mein Herz zu öffnen.480 Schriftsteller wird man laut Köhlmeier also aus einem inneren Antrieb heraus. Wiederum erscheint das Schreiben als eine Art Bewältigungsstrategie. Diese Überlegung lässt sich mit einer Idee John-Wenndorfs verknüpfen, die behauptet, dass Schriftsteller […] nicht nur ungeeignet für die leichtfüßige Verarbeitung und Verdrängung von verspürter seelischer Last [sind], ›welche Freud naiv als Sublimierung verherrlicht, die es wahrscheinlich gar nicht gibt‹, sie kompensieren also nicht nur nicht, sondern sie kultivieren und inszenieren vielmehr ihre Unfähigkeit zur Sublimation.481 John-Wenndorf sieht das Sprechen über das eigene innere Leiden als etwas universell zum ›Dichterhabitus‹ Zugehöriges an, Schmerz sei ein Grundmotiv der Inszenierungen von Autor:innen: »Zugleich weisen alle Selbstzeugnisse ein verbindendes Element, ein Leidens- und Schmerzmotiv auf, das einen ersten Hinweis auf einen universell vorhandenen Dichterhabitus gibt«482 . Doch auch wenn ein Schmerz bei Köhlmeier unter anderem ein Schreibantrieb gewesen sein mag, verweist nichts weiter darauf, dass dieser mit dem Schreiben nicht gelindert werden könne. Der These der ›Unfähigkeit zur Sublimation‹ von John-Wenndorf kann daher nicht zugestimmt werden. Als Motiv der Autorinszenierung taucht das Leiden bei Köhlmeier jedoch auf und wird auch im Feuilleton besprochen. In Rezensionen des Romans Zwei Herren am Strand (2014) findet sich der Gedanke, dass sich der reale Autor in den Text einschreibt und daher als »Seelenverwandter«483 Chaplins und Churchills, die am ›schwarzen Hund‹ leiden, bezeichnet werden kann. Thomas Trenkler fragt sich in diesem Zusammenhang, ob Köhlmeier ebenfalls an Depressionen leidet und wie die beiden Protagonisten seit seinem sechsten Lebensjahr an Suizid denkt.484 Inwieweit dies

480 481 482 483 484

Ebd. John-Wenndorf: Der öffentliche Autor, S. 14. Ebd., S. 260 und 426f. Susanne Lenz: »Chaplin und Churchill«, in: Berliner Zeitung, Beitrag vom 10.10.2014. Thomas Trenkler: Der Club der schwarzen Hunde, in: Der Standard, Beitrag vom 23.08.2014, http://derstandard.at/2000004661694/Der-Club-der-schwarzen-Hunde, letzter Zugriff: 10.07.2017.

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zutreffend ist, kann allein auf Basis der Analysetexte nicht beantwortet werden. Was sich hier allerdings zeigt, ist die Verflechtung von Autorbiographie und literarischen Figuren in Rezensionen. Das Thema ›Depression‹ steht im Zusammenhang mit dem Namen des Autors, wodurch es die Autorbilder mitprägt. Des Weiteren werden die Erfahrungen des realen Autors, sein innerer Antrieb, sein Leiden als obligatorisch für das Schreiben herausgestellt. Damit zeigt sich das Bild eines modernen poeta vates, der durch seinen (unbewussten) inneren Zustand Inspiration gewinnt. Die Inspiratoren sind hier nicht die antiken Götter, sondern es ist die innere Welt des Autors.

4.4.3 »Es kommt da eine Figur, und die zündet mich an« – Köhlmeier als ›Magier‹ und ›Medium‹ Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, wird Köhlmeier der Titel ›Proteus der österreichischen Literatur‹ zugesprochen, da er sich angeblich so schnell verändere wie der gleichnamige gestaltwandelnde Meeresgott in Homers Odyssee. Er selbst hat dazu jedoch eine andere Meinung: »Im Prinzip ist es immer das gleiche; ich mein: die gleiche Haltung. Ich erzähl einfach von Leuten, ob das jetzt im mythischen Gewand ist oder nicht.«485 Dass bei Michael Köhlmeier die ›Leute‹, seine Figuren, von großer Bedeutung sind, lässt sich anhand der zahlreichen Erwähnungen seiner Beziehung zu ihnen ablesen. In fast jeder Besprechung und beinahe jedem Sekundärtext findet Erwähnung, dass Köhlmeiers Verhältnis zu seinen Figuren ein spezielles sei: Er gibt beispielsweise an, dass er »keinen Stoff« habe, »bevor [er] nicht eine Figur« hat.486 Die Figuren würden ihm in gewisser Weise begegnen. Es kommt da eine Figur, und die zündet mich an, die erregt mich erotisch. Das macht mich so prickelnd und gespannt, versetzt mich so sehr in Hochgefühl, wenn es beginnt, daß mein erster Gedanke am Tag daran ist und mein letzter auch. Das ist so ein Erregungszustand, daß mich an dieser Person alles interessiert; das ist ein Zustand der Verliebtheit.487 Diese Figur bringe neben dem Stoff für seine Geschichten ein Aroma, einen Geruch, eine Atmosphäre mit, die es dann beim Erzählen wiederzugeben gel-

485 Grohotolsky: »Literatur ist eine Bestätigung des Glaubens an die Vielfältigkeit des Menschen«, S. 17. 486 Ebd., S. 18. 487 Ebd.

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te.488 Sie sei kein von ihm erschaffenes Produkt, sondern spreche mit dem Autor: »Die reden einen Käse zusammen – und das geht dann lange! Und ich muß mit aller Geschicklichkeit, die ich in den Fingern habe, mitschreiben. Die reden und reden, und ich trau’ mich dazwischen nicht mal aufs Klo, weil die reden ja weiter.«489 Damit wird das Schreiben Köhlmeiers als eine Art magischer Vorgang beschrieben, wobei der Austausch zwischen dem empirischen Autor und seinen Figuren in einer Zwischenwelt zwischen der fiktionalen und faktualen stattfindet. Der Autor taucht in diese Zwischenwelt ab und geht dort »schreibend« »hinter den Figuren her«490 , so dass die Figuren ihn führen, nicht er sie. Die Figuren würden ihm die Geschichten erzählen wie zum Beispiel Carl Jacob Candoris in Köhlmeiers Roman Abendland (2007): Candoris, der Held des Romans, hat ein bewegtes Leben vorzuweisen, das ist wahr. Ich habe dieses Leben nicht unbedingt so geplant. Er hat es mir so erzählt.491 Ich hätte gern mehr über Carls Großvater erfahren. Carl hat mir nicht mehr von ihm erzählt. In Wahrheit hoffe ich ja, einige der Figuren tauchen in einem nächsten Buch wieder auf. Ich weiß schon, vieles, was einem nach so langer Arbeit einfällt, stellt sich bald als Fußnote zu dem gerade beendeten Buch heraus. Aber ich habe die Personen liebgewonnen, wirklich liebgewonnen, und dann kann man nicht den Computer zuklappen und sagen: So, das war’s, jetzt seid ihr weg, ciao!492 Köhlmeier spricht von seinen Figuren wie von Personen aus seinem sozialen Umfeld, mit denen er sie auch vergleicht und denen er einen eigenen Charakter zuspricht: Ich mag das, wenn in einem Roman Personen auftreten, die sich nicht gleich von vornherein unter die Dramaturgie des Protagonisten zwingen lassen,

488 Vgl. ebd. 489 Knecht: Bloss keinen Wirbel; R. Vellusig: Der Erzähler, S. 34. 490 Michael Köhlmeier: Der Menschensohn. Die Geschichte vom Leiden Jesu, München/ Zürich: Piper 2001, S. 39; vgl. auch Kegel: Zu Besuch bei Michael Köhlmeier. 491 Michael Maar: Michael Köhlmeier im Interview. Die Geschichte hat ihren eigenen Kopf, in: FAZ, Beitrag vom 05.10.2007, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bueche r/michael-koehlmeier-im-interview-die-geschichte-hat-ihren-eigenen-kopf-1488051 .html, letzter Zugriff: 10.07.2017. 492 Ebd.

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die stolz sind und sagen: Ich weiß schon, ich bin nicht die Hauptfigur, aber ich könnte die Hauptfigur sein.493 Damit stilisiert sich Köhlmeier eben nicht als ein »literarischer Ingenieur, der eine Verschalung baut, um sie mit Figuren und einer Geschichte zu füllen.«494 Bei ihm steht vielmehr die Romanfigur im Fokus, an die er sich annähere, sie sukzessive wie eine reale Person kennenlerne. Dass der Autor dabei in die bereits erwähnte Zwischenwelt abtaucht, lässt sich auch mit dessen Aussagen zu seinen intensiven Schreibphasen unterstreichen: Die Figuren gewännen eine Realität, »die bewirkt, dass der Autor während so einer Arbeit auf seine Mitmenschen bisweilen realitätsfern und gefühlskalt wirkt, immer etwas geistesabwesend und wahrscheinlich in Gesellschaft langweilig.«495 Ohne die beinahe ›reale Begegnung‹ mit den Figuren könnte man, so Köhlmeier, keine Geschichte schreiben oder erzählen: Wenn die Geschichten, die Personen, die darin auftreten, mir beim Schreiben als rein erfundene Dinge gegenüberträten, an die man – berufsbedingt – zwar glauben muss, aber in Wahrheit nicht glauben kann, dann würde es nicht gehen, nein, dann wäre der Wurm drin. Schreiben ist etwas Magisches. Braucht einer nur eine halbe Seite einer Erzählung zu schreiben, dann weiß er das. Man zeigt diktatorisch in eine Richtung, die Geschichte kümmert sich nicht darum und folgt ihrem eigenen Weg. Wenn man das zulässt, kann es zu einem guten Ende führen. Wenn man sich dagegen sträubt, scheitert man, immer.496 So sei der Protagonist des Romans Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013) zweimal dem lieben Gott begegnet, diese Begegnung habe er als Autor seiner Figur geglaubt. Die Menschen seien Köhlmeier zufolge »großartig«, weil sie »den Konjunktiv haben«. Aus diesem Grund »könnte alles auch ganz anders sein.«497 So erweist sich Köhlmeier als »Skeptiker, der nicht an die restlose Erklärbarkeit menschlichen Handelns glaubt, diese Illusion vielmehr durch sein Erzählen zerstört«.498 Dies erfolgt durch die Auflösung einer »vermeintlich unangreifbaren Singularität einer Geschichte«, indem er »ihr Mehrstimmigkeit ver493 494 495 496 497 498

Ebd. Kegel: Zu Besuch bei Michael Köhlmeier. Maar: Michael Köhlmeier im Interview. Ebd. Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. Bunzel: Michael Köhlmeier.

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leiht«.499 Hier wird deutlich, dass in der Poetologie Köhlmeiers nicht nur die Überzeugung verankert ist, dass Erzählungen Sinn und Orientierung bieten. Es zeigt sich auch, dass er nicht glaubt, dass es eine »plane, narrativ vermittelbare Wahrheit gibt«.500 Mit dieser Poetologie lässt sich auch der Gedanke an den homo ludens verbinden, an den Menschen, der in seine sozialen Handlungen stets Grundregeln des Spiels einbaut. Eine Art Schwebezustand zwischen Ernst und Unernst entstehe – so Albrecht Koschorke in Anlehnung an Huizinga – durch das ›Nichtechtsein‹, obwohl das Spiel den Menschen vollständig einnehmen kann.501 Mit seinen poetologischen Ausführungen kommt Köhlmeier der am autonomen Pol vorherrschenden Forderung nach Originalität nach.502 Er beschreibt einen absolut individuellen Zugang zu seinen literarischen Stoffen, der durch die magische Begegnung zwischen Figur und Autor nicht wiederholbar und damit nicht nachahmbar ist. So stilisiert sich Köhlmeier als Medium, das Zugang zu einer fiktionalen Sphäre hat. Damit wird seine Poetologie selbst zum literarischen Text und das Bild eines »phantastischliterarischen Schreibens«503 erschaffen. Der Autor, hier also ein Medium, wird durch seine Figuren inspiriert. Er allein hat Zugang zu einer fingierten Parallelwelt. Damit ist sein Autormodell mit der Genieästhetik in Zusammenhang zu bringen beziehungsweise mit einer modernen Form des poeta vates.504 Denn das Werk kann den poetologischen Aussagen zufolge nicht durch handwerkliches Geschick erschaffen werden, sondern nur durch die Begegnung mit den Figuren. Die autofiktionale Verbindung zwischen Köhlmeier und seinen Figuren zeigt sich insbesondere an dem Schriftsteller Sebastian Lukasser. Zum ersten Mal tritt dieser in Abendland (2007) in Erscheinung. Köhlmeier spricht in einem Interview davon, dass Lukasser sein Alter Ego sei, zumindest glaube er es: Er ist im Gegensatz zum autobiografischen Ich ein anderes Ich. Ich kann rücksichtslos meine eigene Biografie ausbeuten, ohne dass das, was ich über

499 500 501 502 503 504

Ebd. Ebd. Vgl. Koschorke: Wahrheit und Erfindung, S. 14f. Vgl. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 62. Ebd., S. 63. Vgl. zu den Modellen Kapitel 2.1.1.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

mich erzähle, wahr sein muss. Ich habe zum Beispiel nicht, wie Lukasser, mit einem Hund in North Dakota gelebt. Aber ich hatte Krebs.505 Zu seinem sechzehnten Geburtstag erhält Sebastian Lukasser einen Verstärker und eine elektrische Gitarre von seinem Vater, »eine Fender Telecaster, Baujahr 58«.506 Der ›reale‹ Autor Michael Köhlmeier besitzt über zwanzig Gitarren und spielt selbst in einer Band (Bilgeri & Köhlmeier). In der Erzählung Madalyn (2012) taucht Lukasser wieder auf und kümmert sich um das 14-jährige Mädchen, das seine erste Liebe erlebt. Köhlmeier gibt an, dass hier auch von seiner Tochter Paula erzählt wird, die 2003 auf dem Schlossberg von Hohenems bei einem Unfall ums Leben kam: »Von der Paula erzähle ich, über die Bande gespielt, in ›Madalyn‹. […] Ich kann mich noch so gut an die Dramen erinnern, wenn Paula verliebt war. Was wir mit ihr mitgelitten haben!«507 Köhlmeiers Überzeugung, dass allerdings keine Narration Wahrheit erfassen kann, zeigt sich auch bei Lukasser, der in Madalyn Folgendes zu sagen hat: »Ich bin der, dem jeder glaubt, auch wenn er lügt.«508 All die poetologischen Äußerungen Köhlmeiers zeigen einen hohen Grad an Deutungswissen, das [z]umindest im Bereich der Hochliteratur […] darauf ausgerichtet [ist], (geistige) Originalität und Einmaligkeit des Werks als Legitimation für die […] Subjektform ›Autor‹ herauszustellen. Die Subjektform enthält also (literaturgeschichtlich) eine Betonung von Intellektualität, d.h. vor allem Reflexionsfähigkeit und Individualität, die in den Praktiken ihren Ort finden muss, um anerkannt zu werden.509 Kyora beobachtet für die Gegenwart zudem eine »Zunahme des (veröffentlichten) Deutungswissens«, bei dem »die Eigenheit von Autorschaft und Werk«510 505 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«; vgl. zu der Figur Sebastian Lukasser zudem Antje Graf: Figur der Freundschaft. Sebastian Lukasser als textüberschreitendes Phänomen im Werk Michael Köhlmeiers, in: Kritische Ausgabe 20 (2016), S. 15–18 sowie Leonard Herrmann: Kleine Narratologie des Loslaberns. Fiktive Mündlichkeit als Schreibweise der Gegenwart, in: Textgerede. Interferenzen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Gegenwartsliteratur, hg. von David-Christopher Assmann und Nicola Menzel, Paderborn: Fink 2018, S. 39–60, hier S. 50. 506 Steinwendtner: Der Welt entlang, S. 127. 507 Trenkler: »Wenn ich nicht schreibe, geht es mir nicht gut«. 508 Ebd. 509 Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 59. 510 Ebd.

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herausgestellt werde. Für den Autor Köhlmeier lässt sich konstatieren, dass sein veröffentlichtes Deutungswissen ebenfalls ein umfangreiches Œuvre darstellt. Gründe für seine Art des Erzählens werden vermehrt aufgeführt: Es geht um die Vergegenwärtigung des Vergangenen, um Erzählen als urmenschlichen Vorgang (Vergleich mit Scheherazade) und letztlich um magisches Erzählen, das die Multiperspektivität in dieser Welt aufzeigen möchte.

4.4.4 »Mit Rechten über Rechte reden« – der politische Autor Über Michael Köhlmeier wird in Zeitungen und Zeitschriften nicht nur berichtet, weil er Literatur verfasst, sondern auch, weil er Politiker:innen sowie grundsätzlich die Politik (vor allem in Österreich) kritisch kommentiert und sich politisch engagiert. So wird er nicht selten auch zu politischen Ereignissen befragt, etwa in einem Interview aus dem Jahr 2013, das profil.at mit dem Autor führte. Hier äußert er sich grundsätzlich über die Aufgaben der Politik und seine Erwartungen an Politiker:innen: Politik ist immer dann angenehm, wenn sie langweilig ist. […] Perfekte Politik gibt es nicht. Politik ist so wichtig und notwendig wie das Aufräumen der Wohnung, der Lebensmitteleinkauf, das Runtertragen des Mülls. Angela Merkel macht das exzellent: Sie führt einen Haushalt, so unaufgeregt wie souverän. Es ist hochgradig lächerlich, wenn Politik aus dem Müllentsorgen und Kühlschrankeinräumen großes Theater macht. […] Regnet es in die Stube, muss das Dach repariert werden. Ließe jemand nach vollbrachter Tat aber Raketen in die Luft steigen, als ob Silvester wäre, müsste man doch gewisse Formen des Pathologischen vermuten. Politik soll arbeiten, in aller Langeweile.511 Auch im Zeitraum rund um die Veröffentlichung von Zwei Herren am Strand (2014) ist sein politisches Engagement sichtbar. So berichtet zum Beispiel Margarete Affenzeller von dem »Schriftsteller, der ›nicht länger still sein‹ will«:512 Über SOS Mitmensch wird Köhlmeier kommenden Freitag eine Sammelklage bei der Staatsanwaltschaft einbringen. Bisher gibt es bereits über 12.000 solidarische Stimmen. Noch bis Donnerstag können weitere abgegeben werden. Damit will der eigentlich gar nicht maulfaule Schriftsteller »nicht län-

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Kramar-Schmidt/Paterno: Michael Köhlmeier. Affenzeller: Ein Schriftsteller, der »nicht länger still sein« will.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

ger still sein«, sondern deutlich gegen Rassismus und Verhetzung Position beziehen. Initiativkraft hatte der Autor schon immer. Unter anderem war er vor über zwanzig Jahren einer der Erfinder des Philosophicum Lech.513 Auch wenn in einem Online-Kommentar zu Affenzellers Beitrag hinterfragt wird, ob Köhlmeier als Autor seine Bekanntheit nutzen sollte, um sich über aktuelles (politisches) Geschehen zu äußern514 , festigt sich im Laufe des Jahrzehnts das Autorbild des politischen Autors. Bezeichnend dafür ist Köhlmeiers viel beachtete515 Rede vom 4. Mai 2018 anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus am 5. Mai. Sie wurde unter anderem auf der Videoplattform YouTube hochgeladen und mit folgenden Worten vorgestellt: Anlässlich der Befreiung des KZ Mauthausen durch amerikanische Soldaten am 5. Mai 1945 begeht die Republik Österreich jedes Jahr den nationalen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus. Der als Festredner eingeladene Autor Michael Köhlmeier übte dabei deutliche Kritik an der FPÖ – was bei den Freiheitlichen für erboste Reaktionen sorgte. In seiner Rede im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg, die mit stürmischem Applaus bedacht worden war, hatte der Autor der FPÖ Heuchelei im Umgang mit den Juden vorgeworfen.516

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Ebd. Beim Philosophicum Lech handelt es sich um eine jährlich in Vorarlberg stattfindende interdisziplinäre Tagung, die sich einem philosophischen, kultur- oder sozialwissenschaftlichen Thema widmet. »Köhlmeier ist ein großartiger Autor. Aber ein paar Fragen muss man schon stellen dürfen: Kann sich das negativ auf seinen Buchabsatz auswirken? Wohl eher nicht. Und wird er sich jetzt auch gegen das Flüchtlingselend in Syrien und Jordanien wenden? Oder gegen den Hunger in der Welt? Die ausbeuterische Textilindustrie in Bangladesh? Beginnt er jetzt regelmäßig tagespolitische Themen zu kritisieren? Seine Prominenz hat ihm und einem Asyl-NGO einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt verschafft. Gleichzeitig steht er als Künstler unter einem Glassturz, Freiheit der Kunst impliziert ja auch, dass man weder kritisiert noch belangt werden kann. Dieses Privileg teilt er mit Journalisten. Mit Privilegien sollte man aber doch etwas sorgsam umgehen« (Kommentar zu Affenzeller: Ein Schriftsteller, der »nicht länger still sein« will). »[D]ie meiste Beachtung bekam [die Rede] vielleicht wegen der Konfrontation der Rechtspopulisten, die zur Feierstunde im Zeremoniensaal der Hofburg geladen kamen und, auch wenn sie ob mancher Passage ›erstarrten‹, wie Horowitz in seinem Köhlmeier-Porträt schreibt, sich doch jedenfalls artig betragen mussten« (Martin A. Hainz: Mit Rechten über Rechte reden. Michael Köhlmeiers Rede vor/zu Rechten und übers Recht, in: Studia Austriaca 27 [2019], S. 55f., hier S. 55). Rede von Michael Köhlmeier am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus, 04.05.2018, https://www.youtube.com/watch?v=6Emi7agSGgo, letzter Zugriff: 27.03.2021.

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Die Inhalte der Rede des Autors richten sich unter anderem an aktuelle Regierende, wobei hinzugefügt werden sollte, dass Österreich in der Zeit zwischen dem 18. Dezember 2017 und dem 28. September 2019 durch die Koalition der ÖVP (Österreichischen Volkspartei) und der rechtspopulistischen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) regiert wurde. Die Politisierung des Autors durch seine öffentlichen Auftritte sowie durch die darauffolgenden Reaktionen lässt sich demnach auch mit den politischen Entwicklungen in Österreich erklären. Die kurze Rede, in der Köhlmeier »die Dinge beim Namen nennen« möchte, enthält allerdings nicht nur direkte Kritik an den Politiker:innen der FPÖ und ÖVP, sondern ist indirekt durch die Verwendung der zweiten Person auch an den Verfasser selbst sowie an die österreichische Zivilgesellschaft gerichtet: Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem großen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan. Willst du es dir, so höre ich fragen, des lieben Friedens willen widerspruchslos gefallen lassen, wenn ein Innenminister wieder davon spricht, dass Menschen konzentriert gehalten werden sollen? Willst du feige die Zähne zusammenbeißen, wo gar keine Veranlassung zur Feigheit besteht? Wer kann dir in deinem Land in deiner Zeit schon etwas tun, wenn du die Wahrheit sagst? Wenn diese Partei, die ein Teil unserer Regierung ist, heute dazu aufruft, dass die Juden in unserem Land vor dem Antisemitismus mancher Muslime, die zu uns kommen, geschützt werden müssen, so wäre das recht und richtig – allein, ich glaube den Aufrufen nicht. Antiislamismus soll mit Philosemitismus begründet werden; das ist genauso verlogen wie ehedem die neonkreuzfuchtelnde Liebe zum Christentum. Sündenböcke braucht das Land. Braucht unser Land wirklich Sündenböcke?517 In Kommentierungen unterhalb des Videos wird die Rede gelobt, viele bedanken sich bei Köhlmeier, bei einem »der Besten, Mutigsten und Poetischsten in diesem Land«. »Meine Hochachtung für diese Rede – klug und gut überlegt und so wahr«; »Respekt vor diesen klaren mutigen Worten, schlimm dass Michael Köhlmeier dafür durch den Schmutz gezogen wird!!!«518 Allerdings lassen sich – wie bereits bei der Sammelklage aus dem Jahr 2014 – auch hier Kom-

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Köhlmeier: Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle, S. 8. Kommentare zur Rede von Michael Köhlmeier am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus.

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mentare finden, die die Vorstellung enthalten, Autor:innen hätten keine Legitimation, sich politisch zu äußern: Die Rede des Autors war eine persönliche Abrechnung, das Nützen des Augenblicks, um anzugreifen, den ideologischen Feind persönlich zu diffamieren/herabzuwürdigen. Der Redner spielt sich zum moralischen Richter auf.519 Michael Jenewein und Jörg Müller Hipper hinterfragen in ihrem Essay ebendiese Zuschreibung des ›moralischen Richters‹ und kommen mit Rekurs auf Jean-Paul Sartres Text Was ist Literatur?, der die Aufgabe von Literatur darin sieht, »etwas jenseits der Wörter, etwas in der Welt zu benennen und den Leser darauf aufmerksam zu machen«520 , zu folgender Konklusion: Köhlmeier verlässt nicht seinen Aufgabenbereich als Schriftsteller und schwingt sich auch nicht zum moralischen Richter auf. Vielmehr hat er genau so gehandelt, wie es Schriftsteller tun, denn es gehört zum Wesen der Literatur zu enthüllen, zu verändern und sich am politischen und sozialen Diskurs zu beteiligen.521 Statt mit Sartre lässt sich allerdings auch mit einem anderen Literaturverständnis argumentieren. Köhlmeier selbst sieht – das zeigen bereits ältere Autorenporträts und Interviews – sich zum Beispiel »nicht als Literat oder als Dichter« in der Verantwortung, »sondern als Mensch natürlich«: »Wenn ich davon ausgehe, daß jeder ein Gewissen hat, dann ist auch jeder seine höchste moralische Instanz.«522 Köhlmeier versteht sich somit nicht im klassischen Sinne als engagierter Autor, der gesellschafts-, politik- und ideologiekritische Literatur verfasst, sondern als Bürger, der für seine Werte eintritt. Insbesondere über diese gesellschaftliche Teilhabe an aktuellen Diskursen lässt sich Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart und im Tommek’schen Sinne auch als Mitglied der Notabeln verstehen.

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Zit.n. Michael Jenewein/Jörg Müller Hipper: Die Verantwortung des Schriftstellers. Zur Aktualität einer Frage zwischen Kultur und Gesellschaft, in: 1968. Soziale Bewegungen, geistige WegbereiterInnen, hg. von Jens Bonnemann, Paul Helfritzsch und Thomas Zingelmann, Springe: zu Klampen 2019, S. 103–114, hier S. 105. 520 Ebd., S. 110. 521 Ebd., S. 114. 522 August: In allen Genres heimisch, S. 8.

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4.4.5 »[S]pätestens um neun am Schreibtisch« – Köhlmeier als Inbegriff der Subjektform ›Autor‹ In den Texten rund um den Namen ›Köhlmeier‹ sowie um den Roman Zwei Herren am Strand (2014) wird häufig darüber berichtet, wie der Autor mit seinen Schicksalsschlägen umging. In diesem Zusammenhang wird auch auf eine Tagesstruktur verwiesen, die die Arbeit des Autors bestimmt und ihm hilft, gesund zu bleiben. Zum Beispiel steht er laut eigenen Angaben früh auf und geht fünfmal in der Woche eine Stunde laufen.523 Von 9 bis 12 Uhr würde er dann schreiben, am Nachmittag lesen und Notizen machen und am Abend erneut lesen.524 Zumindest wenn es ihm gut geht, sitze er »spätestens um neun am Schreibtisch«.525 Nur so falle ihm etwas ein. Mindestens zwei Stunden am Tag müsse er auf jeden Fall am Schreibtisch sitzen, da er sonst »grantig« werde.526 Man könne sich seinen Arbeitsprozess als ein »paralleles Aufzeichnen von Notizen mit der Hand, Sichten der Sekundärliteratur und Schreiben auf dem Computer« vorstellen.527 Für seine Notizen gibt es eine graue Schachtel mit drei Schubladen, deren bürokratisches Aussehen dazu beiträgt, das Schreiben als professionelle Arbeit wahrzunehmen.528 Allein diese wenige Sätze offenbaren einiges über die Autorschaft Köhlmeiers, die sich – vermutlich aufgrund der fehlenden Institutionalisierung im Feld – berufsmäßig inszeniert. Die Notizschachtel kann symbolisch dafür stehen. Eine professionelle Geschäftigkeit wird mit Arbeitszeiten und Arbeitsmaterialien in Zusammenhang gebracht. Köhlmeier führt zum Beispiel verschiedene Notizbücher, in denen er Ideen oder Zitate notiert: Er macht Pläne zu den Figuren: »Bei den Freiern soll unterschieden werden zwischen Eurymachos – hinterlistig, Heuchler, unberechenbar – und Antinoos – frech, brutal, offen«. Er notiert sich Literaturhinweise mit Standort: »Lit: DDr. Albert Niedermeyer: Philosophische Propädeutik der Medizin (Wohnzimmer)« oder poetologische Vorsätze: »Anrede an den Erzähler

523 Vgl. Steinwendtner: Der Welt entlang, S. 129. 524 Vgl. Ulrike Längle: Michael Köhlmeier: »Der Europäische Niemand«, in: Der literarische Einfall. Über das Entstehen von Texten, hg. von Bernhard Fetz und Klaus Kastberger, Wien: Zsolnay 1998, S. 177–183, hier S. 180. 525 Knecht: Bloss keinen Wirbel, S. 185. 526 Steinwendtner: Der Welt entlang, S. 125. 527 Längle: Michael Köhlmeier, S. 180. 528 Vgl. ebd.

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intensivieren! Dadurch die ironische, parodische Distanz herstellen. Gleich schon im 2. Satz!« Die meisten Eintragungen beziehen sich auf den antiken Hintergrund, auf poetologische Prinzipien oder auf philosophische Überlegungen, eine Notiz wie die folgende zur Figur des Peisistratos, bei der es um das Motivfeld der Rockmusik geht, die im Roman eine wichtige Rolle spielt, ist eine Ausnahme: »Peisistratos: Beruf? Musik? Rock & Roll? Neil Young? Hubert? Dylan Texte verarbeiten? All along the water tower?«529 Der Umgang mit diesen Materialien kann als typischer Artefaktgebrauch für die Subjektform ›Autor‹ verstanden werden, woraus sich eine Bestätigung seiner Tätigkeit als Autor ergibt. Auch bei Köhlmeier dominieren entsprechende Artefakte »bei der Gestaltung des ›typischen‹, auf Fotos immer wieder dokumentierten Arbeitszimmers«530 , wie etwa der Dokumentarfilm Meine Geschichten erzähl’ ich mir selbst (2009) zeigt.

Abb. 17: Köhlmeier in seinem Arbeitszimmer

© ORF/Anita Dollmanits

Während seiner Tätigkeiten als Autor wird Köhlmeier so gefilmt, dass die der Schriftstellerei zugehörigen Artefakte, in diesem Fall die vielen Bücher, das Bild überlagern. Hier wird die Tätigkeit von Autor:innen allein durch die Art 529 Ebd., S. 181. 530 Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 256.

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der Kameraführung hervorgehoben, denn die dominant dargestellten Gegenstände »deuten an, dass sich der Schriftsteller in seinen Praktiken, dem Lesen und Schreiben, als professionell konstituiert.«531 Das oben abgebildete Arbeitszimmer befindet sich in Köhlmeiers Haus in Hohenems, in dem er auch aufgewachsen ist und das er mit seiner Frau Monika Helfer, die ebenfalls Autorin ist, bewohnt. Weitere Schreiborte sind seine Wiener Wohnung und ein Gartenhaus in Hohenems, das er auch als Atelier nutzt. Die Schreiborte sind jeweils voll von Büchern: »Bücher auf Schritt und Tritt, längs, oben herum, in der Mitte aufgebaut, kreuz und quer ein herrliches Bücherland, ein weites Feld für Recherchen jeglicher Art.«532 Zur Fülle der Bücher merkt Köhlmeier an, dass sie »die Heizungsrohre nicht isoliert [hätten], damit die Bücher und Schriften nicht feucht werden.«533 Weitere typische Utensilien der Autorschaft finden sich auf den Schreibtischen: »Dutzende Füllfedern und Stifte, Futterale, Fotos und Bilder und Bücher, Bücher, Bücher.«534 Dieses Zuhause sei eine »geschützte Bücher-, Bilder- und Blütenhöhle«, »sehr delikat und persönlich, sodass man sich scheut, diese Intimität zu betreten und an ihr teilzuhaben«535 , so Brita Steinwendtner, die das Autor:innenEhepaar besuchte. Sie bezeichnet das Haus auch als ein »verzaubertes Reich für tausend Geschichten«.536 Ähnliche Eindrücke schildert auch Sandra Kegel: Es ist weit nach Mitternacht, und die wilden Tiere des Dschungels schauen argwöhnisch zu uns herüber. Krokodile, Tiger und Schlangen, die im Halbdämmer unter Blättern und Ästen hervorlugen. Ein Dinosaurier kriecht am Boden, in der Ecke steht eine afrikanische Trommel. Geisterstunde in den Tropen? Nicht ganz. Wir sitzen im Wohnzimmer von Michael Köhlmeier. Draußen stapelt sich der Schnee. Drinnen biegen sich exotische Pflanzen unter der Last ihrer Blüten. Es ist eine ganz eigene Welt, die sich die Köhlmeiers in ihrem Haus in Hohenems, nahe dem Bodensee, geschaffen haben. Kuschelig, warm, gerade jetzt, da die frostkalte Landschaft Vorarlbergs unter dem Schnee erstarrt ist. Ein Paradiesgärtlein gewissermaßen, ein Himmel auf Erden.537 531 532 533 534 535 536 537

Ebd. Steinwendtner: Der Welt entlang, S. 125. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 120f. Kegel: Zu Besuch bei Michael Köhlmeier.

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Kegel geht noch weiter und bezeichnet das Haus als ein »Gesamtkunstwerk«538 und als einen »magischen Ort, an dem wiederum die magischen Bücher des Michael Köhlmeier entstehen.«539 Eigentlich sei ihr das Wohnzimmer und der Pflanzendschungel bereits aus dem Werk Idylle mit ertrinkendem Hund (2008) bekannt gewesen, dass es diesen Ort jedoch wirklich so gibt, hätte sie nicht gedacht.540 So kommt Kegel zu dem Eindruck, als sei das Zimmer einem der Bücher nachgebildet und nicht anders herum. Köhlmeiers Einrichtungsstil unterstreicht die Nähe zwischen dem Autor und seinen literarischen Werken sowie die Vermischung von Faktualität und Fiktionalität, wie sie bereits im Zusammenhang mit Köhlmeiers Vorstellungen zur Begegnung mit seinen Figuren aufgezeigt werden konnte. Richtet man den Blick nun auf die körperliche Performance, auf die Kleidung, die Bewegungen, die Mimik und Gestik sowie die Stimme, lassen sich wiederum viele Übereinstimmungen mit Merkmalen der Subjektform ›Autor‹ feststellen: »Gehobener Casual-Stil ist bei der Kleidung die Regel, also kein Anzug mit Krawatte bei den Herren, eher eine Hose plus Jackett oder Pullover«541 . Auf Fotografien von Köhlmeier ist zu sehen, dass er oft ein Hemd trägt, manchmal ein Sakko, jedoch selten eine Krawatte. Köhlmeiers Bewegungen sind bedachtsam, die Fragensteller:innen in Interviews formulieren ebenfalls eher langsam und bedacht, das filmische Porträt von Renata Schmidtkunz zeigt langsame, ruhige Übergänge bei den Schnitten. Besonders auffällig ist außerdem die »[g]eschulte und musikalische Stimme«542 sowie eine gekonnte Art des Erzählens, die die Zugehörigkeit Köhlmeiers zur Berufsgruppe der Autor:innen hervorhebt. Insgesamt wird damit die Fähigkeit zur intellektuellen Konzentration543 erkennbar, einer der prominentesten spezifischen Codes am autonomen Pol der literarischen Felder. Es lässt sich bereits ablesen, dass das Bild des Autors Köhlmeier zum Großteil mit den von Kyora beschriebenen Merkmalen der Subjektform ›Autor‹ übereinstimmt. Die körperliche Performance ist eher zurückgenommen, so dass das literarische Werk im Vordergrund stehen kann. Hier lässt sich

538 539 540 541 542 543

Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Kyora: »Zuerst bin ich immer Leser.«, S. 57. Scheichl: Michael Köhlmeier als Neu-Erzähler, S. 103. Kyora: »Ich habe kein literarisches Interesse«, S. 257.

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auch eine spezifische »Disziplinierung der Affekte«544 feststellen. Das Knowhow- und Deutungswissen zeigt sich insbesondere in der Selbstdefinition als Autor und in den vielfältigen poetologischen Äußerungen, die sein Alleinstellungsmerkmal, seine Poetologie des magischen Erzählens und dessen Bedeutung, enthalten. Eine weitere Übereinstimmung zwischen dem Konstrukt Subjektform ›Autor‹ und dem individuellen Autorbild Köhlmeiers besteht im Umgang mit digitalen Medien: Es gibt keine Autorenwebseite und keinen FacebookAccount außer einer Fanpage. Lediglich auf der Verlagshomepage des Hanser Literaturverlags sowie auf Instagram lassen sich einige Informationen finden. Auf der Verlagsseite sind eine Kurzbibliographie, Termindaten zu Lesungen, eine Übersicht der Werke und Auszeichnungen sowie einige Pressestimmen verfügbar, die vor allem den ›Erzähler‹ Köhlmeier herausstellen: »Diese Tradition des Geschichtenerzählens beherrscht in unserer Zeit niemand besser als Michael Köhlmeier.«545

Abb. 18: Hanser-Verlagswebseite, Screenshot vom 14.07.2017

© 2017 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München/Peter-Andreas Hassiepen (Autorenfoto)

544 Ebd. 545 Https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/michael-koehlmeier/, letzter Zugriff: 14.07.2017.

IV. Autorbilder der ausgewählten Autor:innen

Klickt man auf einzelne Werke, beispielsweise Zwei Herren am Strand, so finden sich dort Lese- und Hörproben (»Der Autor liest«), Pressestimmen, eine Bildergalerie mit Fotos zu einer Lesung sowie ein Link zur Dankesrede anlässlich der Verleihung des Hasenclever-Preises. Darüber hinaus besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen. Hier zeigt sich erneut eine stark professionalisierte Autorinszenierung, allerdings handelt es sich eher um eine Fremdinszenierung: Der Verlag hebt das Werk und die Alleinstellungsmerkmale des Autors hervor, Privates wird nur in der Kurzbiobibliographie skizziert. Auf Instagram sind derzeit einige private Fotografien zu finden, auf denen der Autor selbst jedoch nicht auftaucht, sondern nur die Landschaft, einige andere Personen und ein Hund. Die Medien verweisen auf viele Spaziergänge in der Natur und unterstützen damit ein Autorbild, das dem ›seriösen‹ Autor nicht entgegenzustehen scheint.546 Ob dieser Instagram-Account allerdings tatsächlich dem Autor gehört, ist nicht direkt ersichtlich. Zumindest handelt sich um einen privaten Account, der nicht – wie bei den anderen für diese Studie ausgewählten Autor:innen – für den öffentlichen Austausch mit den Leser:innen und zu Werbe- und Inszenierungszwecken genutzt wird.

4.4.6 Michael Köhlmeier im literarischen Feld der Gegenwart Das Bild von Köhlmeier weist große Ähnlichkeit mit den Merkmalen der Subjektform ›Autor‹ auf, etwa hinsichtlich der eher zurückgenommenen körperlichen Performance und des Umgangs mit den Artefakten. Die Werke beziehungsweise die poetologischen und politischen Äußerungen stehen im Vordergrund. Das Erzählen sowie das Erzählen über das Erzählen nehmen in den Paratexten rund um die Werke einen großen Raum ein. Zu erkennen ist dadurch eine Hybridform aus postmodernem poeta doctus, der sich durch sein Wissen über die Literaturgeschichte auszeichnet, und aus postmodernem poeta vates, der durch innere Antriebe (Leiden) und fingierte Begegnungen mit seinen eigenen Figuren seine Inspiration findet. Die Autorbilder sind über den Untersuchungszeitraum hinweg dieselben, Veränderungen lassen sich lediglich im Bereich des gesellschaftspolitischen Engagements und beim noch einmal bekräftigten Bekenntnis zu seiner ›lebenslangen‹ Liebe – den Märchen – erkennen.

546 Https://www.instagram.com/michaelkohlmeier/, letzter Zugriff: 14.07.2017.

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Grundsätzlich bezeichnet sich Köhlmeier als Schriftsteller, gerade weil er in verschiedenen Genres unterwegs ist: »Ich bin nicht entweder Romanautor oder Dramatiker, als Schriftsteller muß man alle Genres abdecken.«547 Somit ist auch seine Autorposition nicht auf ein spezifisches Genre- oder Subfeld zu beziehen. Er wird nicht als Kinder- und Jugendbuchautor verhandelt, auch wenn er unter anderem Kinderliteratur verfasst. Auch gilt er nicht als ScienceFiction-, Fantasy- oder Kriminalbuchautor, auch wenn zum Beispiel magische Elemente in seinen Texten auftauchen. Für die Verortung im Feld stellt sich somit auch nicht die Frage, wie er in einem Subfeld aufgestellt ist. Eher lässt sich fragen, ob er durch seine Alleinstellungsmerkmale und Poetologie eher am autonomen Pol oder am Pol der Notabeln zu verorten ist. Dies wird sich allerdings erst nach seinem Tod danach beurteilen lassen, ob zum Beispiel Köhlmeiers politisches Engagement auf Dauer stärker rezipiert wird als etwa seine erzählerisch vielschichtigen Romane. Grundsätzlich ist festzustellen, dass Köhlmeier im Laufe seiner Autor-Karriere und insbesondere im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts – unter anderem durch die gewonnenen renommierten Literaturpreise – symbolisches Kapital anhäufen konnte. Daran war das Internet jedoch kaum beteiligt. Köhlmeier war während des Untersuchungszeitraums im Internet durch eigeninitiierte Medienangebote nicht präsent. Da jedoch beinahe der gesamte Literaturbetrieb inzwischen auch online agiert, werden Köhlmeiers Autorbilder durch Beiträge Dritter, etwa von Journalist:innen oder Buchverlagen, auch über das Internet transportiert. Durch die in seinem Œuvre immer wieder auftauchenden Mythen, Sagen und Märchen tritt er verstärkt als ›Geschichtenerzähler‹ und ›Fabulierer‹ auf. Diese Motive prägen sein Werk in verschiedenen Genres ebenso wie sein Autorbild, das insofern mit Gattungen des mündlichen Erzählens korreliert. Durch mediale Entwicklungen ist Köhlmeier auch im Internet vertreten, jedoch nutzt er keine digitalen Möglichkeiten wie etwa Webseiten zur Selbstinszenierung. Vielmehr steht auch bei der Nutzung der digitalen Medien das Werk im Vordergrund.

547 August: In allen Genres heimisch, S. 8.

V. Fazit: Diskussion und Ausblick

Leitend für diese Studie waren die Fragen, 1) wie und in welcher Form Autor:innen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu öffentlicher Aufmerksamkeit kommen und wie sie ihre Position im literarischen Feld halten beziehungsweise verbessern konnten; 2) welche medialen Bilder bei diesem Prozess konstruiert, tradiert und variiert wurden und 3) inwiefern diese Bilder mit Genres und Feldern, in denen Autor:innen veröffentlichen und rezipiert werden, sowie mit den Möglichkeiten im Zusammenhang stehen, die digitale Medien bieten. Dabei wurde die These verfolgt, dass die Netzaktivität bei Autor:innen der Unterhaltungs- sowie Kinder- und Jugendliteratur ausgeprägter gestaltet ist als bei Autor:innen am autonomen Pol und dass die Autorbilder zudem stark mit den jeweiligen Genres korrelieren, denen die Werke der Autor:innen zugeordnet werden.

5.1 Die Autorbilder und Positionen der Autor:innen (2010–2020) Sibylle Berg wurde zu Beginn der 2010er Jahre insbesondere mit ›fantasievollen Labels‹ bedacht, die auf ihre angebliche Bösartigkeit abzielten. Diesen Autorbildern konnte Berg – auch mithilfe der digitalen Medien – neue und andere Autorbilder entgegensetzen. Sie präsentiert sich in ihrem umfassenden Medientext-Œuvre als Gesellschaftskritikerin und Moralistin, wobei sie den Welterklärer-Typus neu ausgestaltete und somit in der Lage war, eine bisher hauptsächlich durch männliche Autoren besetzte Position neu zu besetzen. Ihre humorvollen, ironisch-sarkastischen und autofiktionalen Inszenierungen in den sozialen Medien lassen sich zudem selbst als Formen von Popkunst und als Beiträge zu Popdiskursen lesen. Markus Heitz wurde zu Beginn seiner Laufbahn das Image des düstermysteriösen Fantasy-Autors mitgegeben. Dieses Image korrelierte mit den Fi-

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

guren und Welten seiner Werke. Dieses dominante Autorbild nutzte er weiterhin beziehungsweise es wurde von den Verlagen genutzt, zum Beispiel durch Fotografien, die Aufmachung seiner Webseite sowie durch seinen Kleidungsstil. Auf den sozialen Netzwerkplattformen tritt Heitz als sympathischer, nahbarer Zeitgenosse auf. Zudem lassen sich ironische Brechungen einer authentischen Inszenierung – wenn auch nicht so stark wie bei Berg – in den digitalen Medien finden. Zum Ende des Jahrzehnts zeigt Heitz zum Beispiel auf Fotografien ein neutraleres Autorbild, was daran liegen kann, das einige seiner jüngeren Werke anderen Genres zugeordnet werden können. Cornelia Funke zeigte schon zu Beginn des Jahrzehnts Inszenierungen, die auf authentische Wirkungen ausgerichtet waren. Auf ihrer bereits 2010 aufwendig gestalteten Webseite stilisierte sie sich als Familienmensch und Pädagogin, was den Codes im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur entspricht. Mit ihrem Einschreiben in (Erzähl-)Traditionen, zum Beispiel durch Zitate aus Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur, die sie in ihre Werke integrierte, präsentierte sie zudem ihr Wissen sowie ihre Kompetenz, für Kinder- und Jugendliche schreiben zu können. Da das Subfeld maßgeblich von Erwachsenen aus dem Bildungssektor mitgeprägt wird, lässt sich diese Inszenierung auch als doppeltadressierte Strategie verstehen. Funkes Webseite, deren Gestaltung ihrem Garten- und Schreibhaus nachempfunden war, machte Besucher:innen zudem Lern- und Unterhaltungsangebote. Funke trat damit unter anderem als Marketingprofi, aber vor allem auch als Nachwuchsförderin für die Kunst- und Schreibszene auf. Aufgrund seines umfangreichen poetologischen und philosophischen Wissens wurde Michael Köhlmeier zu Beginn des Untersuchungszeitraums im Feuilleton mit traditionellen Modellen der Autorschaft (poeta doctus) verknüpft. Zudem war das Autorbild des Märchenerzählers zu erkennen. Seine Veröffentlichungen wurden 2010 bis 2020 im Feuilleton überregionaler Zeitungen und Zeitschriften vielfach besprochen. Er erhielt zudem Literaturpreise, die ihn – wie auch sein sichtbares politisches Engagement – im Untersuchungszeitraum als Angehörigen der Notabeln kennzeichnen. Seine Subjektivierungspraktiken unterstützten dabei seine Position im Feld. Sie entsprachen weitestgehend den Praktiken der Subjektform ›Autor‹, die Kyora für Autor:innen von ›Hochliteratur‹ der Gegenwart beschreibt. So zeigte Köhlmeier Zurückhaltung in Bezug auf die körperliche Performance und auf die Internetnutzung. Vielmehr stand das (Märchen-)Erzählen, seine Themen, das Philosophieren oder das aktuelle politische Geschehen im Vordergrund.

V. Fazit: Diskussion und Ausblick

Die Untersuchungen bestätigen für die analysierten Autor:innen grundsätzlich die These Biendarras, dass die »Internetpräsenz für Autoren, die gemeinhin der Unterhaltungs- und Jugendliteratur zugerechnet werden, wichtiger zu sein scheint als für Schriftsteller von E-(rnsthafter) Literatur«1 . Allerdings ist die Überlegung zu differenzieren: Bei Sibylle Berg, die durch ihre neue Autorität eine Sonderstellung einnimmt, lässt sich zum Beispiel eine Weiterentwicklung erkennen, denn Berg positioniert sich innerhalb des Jahrzehnts in einem höheren Segment, ohne ihre ausgeprägte Medienpräsenz zu verändern: Ihre Performances auf ihrer Webseite, auf Facebook, Twitter und Instagram sind stark sichtbar und können damit als Teil einer Entwicklung gelten, die zur Nobilitierung der Netzaktivität von Autor:innen führt.

5.2 Medienspezifische Autorbilder In den für die Studie ausgewählten Medienangeboten finden sich einige Autorbilder, deren Merkmale vermutlich auf die Charakteristika der Medienangebote zurückzuführen sind. Dazu zählt zum Beispiel das Phänomen der ›imaginativen Nähe‹, die durch Filme und die Nutzung sozialer Netzwerkplattformen entstehen kann. Insbesondere Letztere lässt Sibylle Berg, Cornelia Funke und Markus Heitz nahbar erscheinen, was vermutlich daran liegt, dass die Autor:innen durch den regen Austausch auf den Plattformen den Nutzer:innen täglich in Erinnerung gerufen werden. Fotografien, ein unverwechselbarer Schreibstil, Humor, spezifische (Fantasy-)Inhalte oder auch freundliche Zugewandtheit unterstützen den Eindruck von Nahbarkeit und direktem Kontakt zwischen Autor:innen und Leser:innen. Des Weiteren zeigt sich etwa im Fall Sibylle Bergs die Funktion selbstinitiierter Internetangebote für die »Zurückeroberung von Selbstbestimmtheit«2 . Indem Berg auf sozialen Netzwerkplattformen eine humorvolle und auch sanfte Seite präsentiert, die ihr zuvor im Feuilleton nicht zugesprochen wurde, nutzt sie die Möglichkeiten sozialer und digitaler Medien zur Korrektur ihres Autorbilds. Neben der imaginativen Nähe und der Möglichkeit der Korrektur ließ sich zudem eine »Entgrenzung von Laien- und Expertenkulturen, Produzen-

1 2

Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 275. Vgl. Biendarra: Autorschaft 2.0, S. 266.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

ten und Konsumenten, Akteuren und Zuschauern«3 beobachten. Dies zeigte sich insbesondere bei Markus Heitz und Cornelia Funke, die viele Angebote machen, die Leser:innen aufgreifen können (zum Beispiel Schreibtipps, Musik- und Lesevorschläge etc.). Außerdem antworten die Autor:innen beziehungsweise Mitarbeiter:innen (von Agenturen) regelmäßig auf Fragen der Leser:innen. Hier sollte jedoch ergänzt werden, dass in den Subfeldern der Kinder- und Jugendliteratur sowie der Phantastik – die zudem eng miteinander verwoben sind – die Zielgruppen auf spezifische Weisen angesprochen werden. In diesen Feldbereichen hat ›Partizipation‹ zum Beispiel einen hohen Stellenwert.4 Autor:innen, die stark durch eigeninitiierte Medien vertreten sind, tendieren weniger dazu, traditionelle Vorstellungen vom Autor als Genie und intellektuellem Außenseiter zu reproduzieren. Stattdessen lassen sich Sibylle Berg, Cornelia Funke und Markus Heitz dem Autorschaftsmodell der Handwerkerin beziehungsweise des Handwerkers zuweisen. Lediglich bei Michael Köhlmeier stehen nicht Erlernbarkeit und handwerkliches Geschick im Vordergrund, sondern vor allem Inspiration und existentielle Erfahrungen als Quellen seiner Schreibtätigkeit. Die Nutzung von sozialen Netzwerkplattformen lässt erkennen, dass Transmedialität und Autofiktionen an Bedeutung gewinnen. So werden etwa Bezüge zwischen einzelnen Netzwerkplattformen hergestellt, wodurch Autorschaft zum Teil zu einer grundsätzlich transmedialen Erzählung wird. Der Autor oder die Autorin wird damit nicht nur als öffentliche Figur sichtbar, es wird mithilfe der digitalen Medien ein Universum geschaffen, das mehrere Medienfiguren und Autorbilder beinhaltet.

5.3 Gender-Aspekte Die vorliegende Studie analysiert bewusst Autorinszenierungen verschiedener Geschlechter und begegnet damit einem Defizit vieler früherer Untersu3 4

Michael Franz/Eleonore Kalisch: Unter den Augen Dritter. Akteur- und Zuschauerkonstellationen im Web 2.0, in: Weimarer Beiträge 56 (2010), S. 97–124, hier S. 98. Vgl. dazu auch das Konzept der participatory culture: »Participatory culture is a term that is often used for designating the involvement of users, audiences, consumers and fans in the creation of culture and content« (Christian Fuchs: Social media. A critical introduction, Los Angeles: SAGE 2014, Online-Publikation, https://sk.sagepub.com/bo oks/social-media-a-critical-introduction, letzter Zugriff: 02.06.2022).

V. Fazit: Diskussion und Ausblick

chungen. Hinsichtlich der Geschlechterstereotype stellen Michael Köhlmeier, Markus Heitz und Cornelia Funke keine Ausnahmen in den für sie relevanten Bereichen des literarischen Feldes dar. Ästhetische Positionen des Nobilitierungssektors sind nach wie vor ein Bereich, dem hauptsächlich Autoren zugeordnet werden. Im Subfeld der Phantastik/Fantasy lässt sich ebenfalls ein Ungleichgewicht der Geschlechter feststellen. Hier stehen insbesondere männliche Autoren an den Spitzenpositionen und werden auch vermehrt besprochen.5 Cornelia Funke profitiert davon, dass im Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur Frauen als Autor:innen bereits länger akzeptiert sind. Die Popliteratur ist dagegen stark männlich geprägt,6 was erklärt, warum sich insbesondere Sibylle Berg mit dem Thema Sexismus im Literaturbetrieb auseinandersetzt. Die Analyse ihrer Autorinszenierungen und Autorbilder hat gezeigt, dass ihre Autorschaft Zuschreibungen hervorgerufen hat, die sich explizit (und negativ) auf sie als Frau und in diesem Zusammenhang auf ihr Äußeres bezogen. Eine Vermischung von Stoffen, Motiven und Themen der Werke mit den jeweiligen Medienfiguren ließ sich bei allen ausgewählten Autor:innen beobachten. Insbesondere bei Cornelia Funke und Michael Köhlmeier wurde diese Vermischung durch Erzählungen vom eigenen Leben und durch poetologische Äußerungen teilweise forciert, so dass deren Autorinszenierung stärker auf ›Authentizität‹ ausgerichtet ist. Sibylle Berg verweigert dagegen trotz ihrer Medienpräsenz den Blick auf die ›echte‹ Sibylle Berg und kommt damit einem grundsätzlichen Interesse an der Autorin, einem voyeuristischen Begehren nicht nach. Die (vermeintliche) Tradition des autobiographischen Schreibens von Frauen mag einer der Gründe dafür sein, dass Sibylle Berg diese Form der Inszenierung zum Teil negativ ausgelegt wurde, denn sie erfüllt nicht die Erwartung insbesondere an sie als Autorin, etwas von ihr und ihrem Leben zu zeigen. Dass Sibylle Berg trotz der erschwerten Bedingungen eine langfristig stabile Position im flexibel-ökomischen Mittelfeld einnehmen konnte, lässt sich mit ihren beständigen Hinweisen auf die Situation von Autor:innen und ihrer Neucodierung von Autorität erklären.

5

6

Vgl. Janet Clark u.a.: Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb, 01.10.2018, https://www.frauenzählen.de/docs/Literaturkritik %20und %20Gender_08_09_18.pdf, letzter Zugriff: 27.03.2021. Vgl. Tommek: Der lange Weg in die Gegenwartsliteratur, S. 276.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

5.4 Reflexion des theoretisch-methodischen Vorgehens Für die Analyse der Medienangebote und Autorbilder wurde das Konzept des literarischen Feldes auf die deutschsprachige Gegenwart und auf den Zeitraum 2010–2020 übertragen. Die Skizzierung der Grundstrukturen des literarischen Feldes im ausgewählten Zeitraum beruht auf Tommeks Klassifikation des Feldes der Gegenwart. Tommek benennt mehrere Veränderungsprozesse, die zusammen mit Trilckes Idee der generischen Felder eine differenzierte Beschreibung spezifischer Subfelder ermöglichen. Diese Subfeld-Konstrukte erwiesen sich als geeignete Grundlage zur Analyse von Autorbildern. Allerdings wurde hier auch sichtbar, dass einzelne Subfelder beziehungsweise Feldbereiche wie etwa das Subfeld der Kinder- und Jugendliteratur nicht allein durch Genres zu klassifizieren sind. Stattdessen kann auch eine Adressatenausrichtung oder die Nähe zu anderen Feldern wie dem pädagogischen von Bedeutung sein. Entsprechend ordnet Tommek die Kinder- und Jugendliteratur nicht ein und geht auch der Annäherung zwischen Kinder- und Jugendliteratur und Allgemeinliteratur nicht nach, obwohl diese als Inbegriff des wachsenden ›flexibel ökonomisierte[n] und medialisierte[n] Mittelbereichs‹ verstanden werden kann. Tommeks Studie ist insbesondere für Kinder- und Jugend- sowie Unterhaltungsliteratur folglich weiter zu differenzieren. Zu kritischer Reflexion des Konzepts der Subfelder laden zudem die Parallelen zwischen den Autor:innen ein, unter anderem in Bezug auf Autofiktionen. So spielt Berg etwa mit ihrer Kurzbiographie auf ihrer Webseite, und Markus Heitz nutzt die Möglichkeit, sein Alter Ego – wenn auch mit einem höheren Grad an Realismus als Berg – ironisch zu brechen. Eine weitere Parallele zeigt sich beim Star-Image von Cornelia Funke und Markus Heitz, die beide aktive Fangemeinden besitzen und jeweils Feldbereichen zugewiesen werden können, in denen Partizipation von Bedeutung ist. Auch ist das serielle und transmediale Erzählen für beide relevant. Letztlich gibt es auch Parallelen zwischen Köhlmeier und Funke, die die mündliche Erzähltradition betreffen. Sie inszenieren sich als Geschichtenerzählende, was wiederum mit den Genres Märchen und Sagen und den damit zusammenhängenden Traditionen zu erklären ist. Auch hier wird die Leerstelle in Tommeks Studie noch einmal deutlich, verweisen die Ähnlichkeiten zwischen Köhlmeier und Funke doch auch auf ein verändertes Verständnis von Kinder- und Jugendliteratur und Allgemeinliteratur, das die Trennung zwischen U- und E-Literatur nicht mehr beinhaltet. Zudem bezieht sich Tommeks Studie auf die prädigitale Gegenwartsliteratur,

V. Fazit: Diskussion und Ausblick

so dass etwa Autofiktionen, die auf sozialen Netzwerkplattformen auftauchen, mithilfe seiner Ausführungen nicht klassifiziert werden können. Weniger Schwierigkeiten bereitete die Anwendung der Heuristik zur Analyse von Subjektformen von Andreas Reckwitz, da sie grundsätzlich als offene Suche angelegt ist und daher eine geeignete Grundlage für verschiedene Analysen bieten kann. Auch grundlegende soziologische Überlegungen von Reckwitz erwiesen sich bei der Betrachtung von Autorinszenierungen und Autofiktionen als bedeutsam, etwa dass »das Subjekt ein unterworfener Unterwerfer, ein unterwerfendes Unterworfenes«7 sei. Insbesondere das Wechselspiel zwischen fremdgesteuerter Imagebildung, wobei sich Verleger:innen und Marketingabteilungen spezifischen Trends und Feldstrukturen anpassen, sowie eigeninitiierten Autorbildern, die ausgehend von Autor:innen wiederum auf die Feldstrukturen rückwirken und diese prägen, verweist auf den von Reckwitz benannten Zusammenhang. Weiterhin war es auch hilfreich, mit Reckwitz nicht von einem »Determinismus zwischen Technik und Subjektformen auszugehen, sondern immer die kulturell spezifischen Umgangsformen mit den entsprechenden Artefakten zu betrachten, in deren Kontext eine Subjektivation stattfindet«8 . Aus diesem Grund fiel die Entscheidung für Detailanalysen, statt eine größere Anzahl von Autor:innen zu betrachten. Im Fokus der Detailanalysen standen multimediale Materialien und die Frage, wie diese Materialien so analysiert werden können, dass sich daraus Autorbilder ermitteln lassen. Das spezifische methodische Vorgehen ergab sich aus einer Kombination aus Berücksichtigung 1) der Dimensionen von Medien, 2) der Heuristik zur Analyse von Subjektformen von Reckwitz, 3) einzelner Schritte aus Inhaltsanalysen sowie 4) intermedialer Fragestellungen. Mithilfe des daraus entwickelten Fragenkatalogs und eines an die qualitative Inhaltsanalyse angelehnten Verfahrens war es nicht nur möglich, ein umfangreiches Material aufzubereiten, sondern die extrahierten Diskurspartikel bereits während des Analyseprozesses zueinander in Beziehung zu setzen. Durch das deduktiv-induktive Vorgehen konnten sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Medienfiguren der Autor:innen herausgearbeitet werden. Was zum Beispiel in Bezug auf das Deutungswissen für Berg von Relevanz war, wie etwa die Gesellschaftskritik, war bei Funke kaum zu finden. Dafür stehen bei Funke das Kunsthandwerk sowie das mündliche Erzählen im 7 8

Reckwitz: Das hybride Subjekt, S. 9, Herv.i.O. Reckwitz: Subjekt, S. 138f.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Vordergrund, das bei Berg in dieser Form nicht zu sehen war. Es muss allerdings ergänzt werden, dass hermeneutische Prinzipien der qualitativ orientierten Analyse zugrunde liegen. Die spezifische Auswahl einzelner Partikel erfolgt letztlich doch mithilfe von hermeneutischen Entscheidungsprozessen. Bei der Auseinandersetzung mit einzelnen Medienangeboten ergab sich, dass medienspezifische Verfahren hinzugezogen werden mussten. So ging es zum Beispiel um die Frage, welche Aspekte eines Films in die ›Übersetzung‹ in Schriftsprache integriert werden, die anschließend der Inhaltsanalyse zugrunde gelegt wird. Hier war es notwendig, sich Aspekte der Filmanalyse und -narration vor Augen zu führen. Somit ging jeder transmedialen ›Übersetzung‹ eine medienspezifische Analyse des jeweiligen Medienangebots voraus. Dieses Vorgehen ist zwar sehr kleinschrittig, aber notwendig, um die den Medienangeboten eingeschriebenen Konventionen und Machtstrukturen stets mitzubedenken.

5.5 Forschungsdesiderata Ein wesentliches Forschungsdesiderat ist die Einordnung der Kinder- und Jugendliteratur in das literarische Feld. Die Untersuchung erbrachte dazu erste Ideen, allerdings fehlt – wie in Tommeks Studie – eine differenzierte Analyse von Kinder- und Jugendliteratur im Bourdieu’schen Sinne. Zudem wird weiter zu klären sein, inwiefern von ›hybriden medial-literarischen‹ Feldern gesprochen werden kann, wie Rolf Parr es tut. Dabei wird zu fragen sein, wie Überlegungen Bourdieus weiterhin produktiv gemacht werden können und ob nicht stärker medien- und internetwissenschaftliche Perspektiven (etwa das Konzept der participatory culture von Henry Jenkins) oder Konzepte kollektiver Autorschaft in den Fokus rücken müssten. Dabei geht es jedoch nicht darum, dass die Literaturwissenschaften ihren eigentlichen Gegenstand – die Literatur – vernachlässigen; vielmehr müssen bei der Betrachtung der Werke der Gegenwart Autorinszenierungen als wesentlicher Teil des Gesamtbildes gelten. Insbesondere bei der Internetpräsenz von Sibylle Berg und Cornelia Funke zeigte sich, dass in veröffentlichten Videos oder durch animierte virtuelle Räume ebenfalls erzählt wird, so dass digitale Inhalte als Teil des literarischen Werks zu betrachten sind. Autor:innen verhandeln darin ähnliche Themen wie in ihren Werken oder die Webseiten zeigen sich grundsätzlich als transmediale Weitererzählungen der bisher in Büchern erzählten Geschichten. Es wird demnach weiterhin und vermehrt Auf-

V. Fazit: Diskussion und Ausblick

gabe der Literaturwissenschaften sein, sich die in den digitalen Medien auftauchenden Erzählungen anzusehen und weitere Analyseinstrumentarien zu entwickeln beziehungsweise bereits bewährte Instrumente für die digitalen Medien zu adaptieren. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Analyse von Medienangeboten aufgrund der unterschiedlichen Betrachtungsebenen von ›Medien‹ und ›Autorschaft‹ vielschichtig ist und aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Fachdisziplinen heraus geschehen kann. Insbesondere in Bezug auf die jeweiligen Medienangebote besteht weiterer Forschungsbedarf. So gibt es bisher erst wenige Studien zu den sozialen Netzwerkplattformen, insbesondere nicht zu denen, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind (wie etwa TikTok). Die vorliegende Studie hat erstmals Kinder-, Jugend- und Unterhaltungsautor:innen hinsichtlich ihrer Autorinszenierung eingehender betrachtet. Die Frage, wie sich Autor:innen von Kriminalliteratur, Science Fiction oder übergeordneter Gattungen wie Lyrik inszenieren, bleibt weiter offen.

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Epilog Ein Autor ist, sagt ein Sprichwort, wie ein toter Elch; von dem ernähren sich zwei Dutzend andere Lebensformen.1 (Margaret Atwood)

Es hat sich gezeigt, dass Inhalte, die in ein zeichenhaft strukturiertes und potenziell öffentliches System wie das Internet eingespeist werden, ein Eigenleben entwickeln beziehungsweise spezifische Vorstellungen bei den Nutzer:innen auslösen können (wie die Fotografien auf meinem FacebookAccount). Führte Giacomuzzi noch im Jahr 2009 an, dass Autor:innen selbst bestimmen könnten, inwieweit sie sich im Internet präsentieren, gilt dies heute weniger, wie die Analyse der Autorbilder von Michael Köhlmeier zeigte. Und nicht nur Autor:innen sind dazu aufgefordert, sich in der digitalen Welt sichtbar zu machen. Viele Berufszweige funktionieren insbesondere seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hauptsächlich mithilfe digitaler Medien. Die meisten Menschen sind damit gegenwärtig mit der Frage konfrontiert, was sie in ein speicherndes System wie das Internet eigentlich alles eingeben können, wollen und müssen. Ein Blick auf die Werke (und damit meine ich unter anderem auch Webseiten etc.) von Autor:innen, die medial präsent sind und bereits länger dazu aufgefordert waren, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, könnte für den Umgang mit der eigenen Internetpräsenz hilfreich sein. Denn letztlich zeigt zum Beispiel Sibylle Berg, wie es möglich ist, viel Aufmerksamkeit und Content zu erzeugen und dabei gleichzeitig privat zu bleiben.

1

Eva C. Schweitzer: »Ein Autor ist wie ein toter Elch«, in: Zeit Online, Beitrag vom 23.05.2012, https://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-05/margaret-atwood-autorin-literatur, Zugriff: 31.01.2013.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Dank Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im November 2021 in der Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg verteidigt habe. Ohne die fachlichen Ratschläge und geduldige Begleitung verschiedener Personen wäre diese Arbeit nicht entstanden. Dafür möchte ich mich herzlich bei diesen Menschen bedanken. Sabine Kyora hat die Arbeit als Erstbetreuerin von der ausgedehnten Themenwahl und der schwierigen Festlegung des Gegenstands bis zum Druck mit wertvollen Anmerkungen, mit Zuspruch und gleichzeitig mit viel Freiraum für die Ausbildung meines eigenen wissenschaftlichen Denkens begleitet. Sie war somit eine großartige Mentorin und ich danke ihr herzlich für diese wunderbare Förderung. Thomas Boyken möchte ich zudem herzlich dafür danken, dass er sich in einem bereits vorangeschrittenen Stadium der Arbeit bereit erklärte, das Zweitgutachten zu übernehmen. Insbesondere während des Endspurts hat er durch seine fachliche, strukturelle und menschliche Unterstützung dazu beigetragen, dass ich die Arbeit fertigstellen konnte. Wichtige Anregungen und konstruktive Kritik für mein Projekt erhielt ich zudem von den Teilnehmer:innen des literaturwissenschaftlichen Kolloquiums der Sprach- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät sowie von (ehemaligen) Kolleg:innen des Instituts für Germanistik, für die ich mich ebenfalls bedanken möchte. Für den wertvollen fachlichen Austausch beziehungsweise für wichtige Anmerkungen zu einzelnen Kapiteln bedanke ich mich besonders bei Sabine Doering, Till Huber, Ruth Steinberg, Christian Schmitt, Anne Wallrath-Janssen, Haimo Stiemer und Frederike Schmidt. Insbesondere bei Ruth Steinberg, Anne Freese, Christian Schmitt und vor allem bei Frederike Schmidt möchte ich mich nicht nur für die wertvollen Rückmeldungen zu einzelnen Teilen der Arbeit bedanken, sondern auch für die außergewöhnliche fachliche und emotionale Hilfestellung auf den letzten Metern. Bei diesen Personen sowie auch bei Niklas Schreiber, Karsten Schmidt, Miriam Schumacher und Ina Cappelmann bedanke ich mich zudem für den wertvollen Austausch über das Schreiben einer Qualifikationsarbeit. Mit ihnen konnte ich Freude und Leid teilen, eine solche Arbeit zu verfassen. Das äußerst sorgfältige und professionelle Lektorat der Arbeit für die Druckfassung verdanke ich zudem Valeska Lembke. Herzlichen Dank für diese exzellente Unterstützung.

Autorschaft, Genres und digitale Medien

Allen weiteren Menschen, die mein Leben bereichern und schöner machen, meiner Familie und meinen Freunden sei gedankt. Für die enorme emotionale und praktische Unterstützung und das Verständnis dafür, dass ich mich trotz wichtiger Ereignisse und Feierlichkeiten immer wieder an den Schreibtisch setzte, möchte ich mich besonders bei Ulf Mohrmann, Isabelle Wieacker, Sabrina Bleich, Liesa Piezcyk, Gesine Geppert, Monika Onasch, Lena Gerdung, Henny und Nicole Paeschke, Paul Karnatz sowie Jule Gudmundsdottir bedanken. Stete Ermunterung und technischen Support erhielt ich zudem von Felix Füllgraf. Herzlichen Dank für die liebevolle Begleitung und die Geduld.

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Literatur- und Medienverzeichnis

1.

Primärliteratur

Berg, Sibylle: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot, 3. Aufl., Leipzig: Reclam 1997. Berg, Sibylle: Gold, Hamburg: Hoffmann und Campe 2000. Berg, Sibylle: Der Mann schläft, München: Hanser 2009. Berg, Sibylle: Vielen Dank für das Leben, München: Hanser 2012. Berg, Sibylle: Wie halte ich das alles nur aus? Fragen Sie Frau Sibylle, 2. Aufl., München: dtv 2015. Berg, Sibylle: GRM Brainfuck, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2019. Funke, Cornelia: Tintentod, Hamburg: Dressler 2007. Funke, Cornelia: Reckless. Steinernes Fleisch. Hamburg: Dressler 2010. Funke, Cornelia: Reckless. Lebendige Schatten. Hamburg: Dressler 2012. Funke, Cornelia: Reckless. Das Goldene Garn, Hamburg: Dressler 2015. Funke, Cornelia: Reckless. Auf silberner Fährte, Hamburg: Dressler 2020. Heitz, Markus: Kinder des Judas, München: Droemer Knaur 2007. Heitz, Markus: Vampire! Vampire! Alles über Blutsauger, München: Piper 2009. Heitz, Markus: Judassohn, München: Droemer Knaur 2010. Heitz, Markus: Judastöchter, München: Droemer Knaur 2010. Heitz, Markus: Die Klinge des Schicksals, München: Droemer Knaur 2018. Köhlmeier, Michael: Der Menschensohn. Die Geschichte vom Leiden Jesu, München/Zürich: Piper 2001. Köhlmeier, Michael: Abendland, München: Hanser 2007. Köhlmeier, Michael: Zwei Herren am Strand, München: dtv 2014. Köhlmeier, Michael: Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle. Reden gegen das Vergessen, München: dtv 2018.

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

Köhlmeier, Michael: Von den Märchen. Eine lebenslange Liebe, Innsbruck/ Wien: Haymon 2018.

2.

Sekundärliteratur

Ajouri, Philip/Mellmann, Katja/Rauen, Christoph: Einleitung, in: Empirie in der Literaturwissenschaft, hg. von dens., Münster: Mentis 2013, S. 9–18. Alkemeyer, Thomas/Freist, Dagmar/Budde, Gunilla: Einleitung, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, hg. von dens., Bielefeld: transcript 2013, S. 9–30. Alkemeyer, Thomas: Subjektivierung in sozialen Praktiken. Umrisse einer praxeologischen Analytik, in: Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, hg. von dems., Gunilla Budde und Dagmar Freist, Bielefeld: transcript 2013, S. 33–68. Ammann, Ilona/Krämer, Benjamin/Engesser, Sven: Bildhafte Themen und kuriose Typen. Die Bedeutung der Fotos der Bild-Leserreporter, in: Medien & Kommunikationswissenschaft 58 (2010), H. 1, S. 83–101. Baier, Wiltrud/Köhler, Sigrun (Böller und Brot): Wer hat Angst, in: Sibylle Berg. Romane. Dramen. Kolumnen und Reportagen, hg. von Anett Krause und Arnd Beise, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2017, S. 209–214. Banz, Claudia: Design und Mode, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. von Hans Richard Brittnacher und Markus May, Stuttgart/ Weimar: Metzler 2013, S. 268–272. Barthes, Roland: Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis, Stuttgart: Reclam 2000, S. 181–193. Bartl, Andrea/Kraus, Martin (Hg.): Skandalautoren. Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und Aufsehen erregender Autorinszenierung, Würzburg: Königshausen & Neumann 2014. Bartsch, Kurt: Der Erzähler als Hörspielautor: Michael Köhlmeiers literarische Funkarbeiten, in: Michael Köhlmeier, hg. von Günther A. Höfler und Robert Vellusig, Graz: Droschl 2001, S. 125–145. Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie, Tübingen: Francke 2005. Berndt, Daniel: Bildnispolitik der Autorschaft. Visuelle Inszenierungen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Göttingen: Wallstein 2018.

Literatur- und Medienverzeichnis

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270

Autorschaft, Genres und digitale Medien

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

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Autorschaft, Genres und digitale Medien

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4. Internetquellen 4.1

Webseiten, Verlags- und Vertriebsseiten sowie Weblogs

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Literatur- und Medienverzeichnis

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4.2

Facebook-, Twitter- und Instagram-Seiten

https://www.facebook.com/pg/CorneliaFunkeTheStoryteller, letzter Zugriff: 31.07.2020. https://de-de.facebook.com/RecklessBook/, letzter Zugriff: 01.08.2020. https://www.facebook.com/CorneliaFunke/, letzter Zugriff: 01.08.2020. https://www.facebook.com/profile.php?id=100047372551277, letzter Zugriff: 27.03.2021. https://de-de.facebook.com/Realsibylleberg/, letzter Zugriff: 27.03.2021. https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 25.03.2021. https://twitter.com/SibylleBerg, letzter Zugriff: 27.03.2021. https://twitter.com/markus_heitz, letzter Zugriff: 27.03.2021.

293

294

Autorschaft, Genres und digitale Medien

https://www.instagram.com/michaelkohlmeier/, letzter Zugriff: 27.03.2021. https://www.instagram.com/sibylle_berg/?hl=de, letzter Zugriff: 05.03.2021. https://www.instagram.com/meister_mahet/?hl=de, letzter Zugriff: 27.03.2021.

4.3

YouTube-Videos

Die Zwerge – Autor Markus Heitz spielt zum ersten Mal selbst!, 20.08.2016, https://www.youtube.com/watch?v=wl0WtF7c9CU, letzter Zugriff: 27.03.2021. erlesenTV: Cornelia Funke und Rainer Strecker – Reckless (Langfassung, Live im Hamburger Schauspielhaus 2010), 19.12.2014, https://www.youtube.co m/watch?v=-R80M8GZRbM, letzter Zugriff: 01.08.2020. Getty Research Institute: Cornelia Funke Storytelling and Book Signing, 29.04.2014, https://www.youtube.com/watch?v=4XltqNGSB_A&fbclid=I wAR1yiK4pr9WlsUqbVId7buKsahvFXrg3lsmmUPT4LGcv3s0-izFl0lvkpQg , letzter Zugriff: 01.08.2020. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 3 – Von Preisen, https:// www.youtube.com/watch?v=lK5GSlJsT6o, letzter Zugriff: 24.10.2022. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Sibylle Berg: Das Interview – Folge 5 – Laufen für die Literatur, https://www.youtube.com/watch?v=ntN6ljPn6JI&t=6s, letzter Zugriff: 24.10.2022. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 6 – Dieses Internet, http s://www.youtube.com/watch?v=2BFATffGo6Y, letzter Zugriff: 24.10.2022. Hanser Verlag/literaturcafe.de: Das Interview – Folge 8 – Feinarbeit und Bühnen, https://www.youtube.com/watch?v=eZdCPEfRjqo, letzter Zugriff: 24.10.2022. Literaturhaus Salzburg: Michael Köhlmeier »Von den Märchen – eine lebenslange Liebe« – Lesung und Gespräch, 17.12.2018, https://www.you tube.com/watch?v=EsRwhbzE7Dc, letzter Zugriff: 02.06.2021. Rede von Michael Köhlmeier am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus, 04.05.2018, https://www.youtube.com/watch?v=6Emi7agSGgo, letzter Zugriff: 27.03.2021. Verlagsgruppe Droemer Knaur: Eine Begegnung mit Bestsellerautor Markus Heitz, 12.08.2014, https://www.youtube.com/watch?v=hgIS2Uc0ieU, letzter Zugriff: 27.03.2021.

Literatur- und Medienverzeichnis

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5.

Filme

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6.

Spiele und Apps

Markus Heitz: Justifiers. Abenteuerspiel 2010. Mirrorworld. [Interactive IPad App (Version 1.32)] (2013). Basierend auf den Romanen Reckless. Steinernes Fleisch und Reckless. Lebendige Schatten von Cornelia Funke. Los Angeles: Mirada LLC.

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Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1 Fragenkatalog zur Analyse von Autorbildern | Seite 86 Abbildung 1 Cornelia Funke am Schreibtisch ihres Schreibhauses in Kalifornien. Quelle: Gesa Mayr: Cornelia Funke und Los Angeles. Echte Liebe, in: Spiegel Online vom 20.02.2015, https://www.s piegel.de/panorama/leute/cornelia-funke-die-spiegelwelt-aut orin-ueber-los-angeles-und-hollywood-a-1019437.html#fotostr ecke-1ea32335-0001-0002-0000-000000124010, letzter Zugriff: 01.08.2020 | Seite 94 Abbildung 2 Screenshot aus dem YouTube-Video »Cornelia Funke Storytelling and Book Signing, Reading by Cornelia Funke and Introduction by Thomas Gaehtgens, April 6, 2014, Getty Research Institute«. Quelle: Getty Research Institute: Cornelia Funke Storytelling and Book Signing, 29.04.2014, YouTube, https://www.youtube.c om/watch?v=4XltqNGSB_A&fbclid=IwAR1yiK4pr9WlsUqbVId7 buKsahvFXrg3lsmmUPT4LGcv3s0-izFl0lvkpQg, letzter Zugriff: 01.08.2020 | Seite 102 Abbildung 3 Webseite von Markus Heitz, Screenshot vom 20.03.2018. Quelle: https://www.mahet.de/, gespeichert am 20.03.2018, letzter Zugriff: 01.12.2020 | Seite 108 Abbildung 4 Profilseite von @corneliafunke auf Twitter, Screenshot vom 13.10.2019. Quelle: https://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 25.03.2021 | Seite 114 Abbildung 5 Webseite von Sibylle Berg, Screenshot vom 05.12.2020. Quelle: h ttps://sibylleberg.com/, letzter Zugriff 01.03.2021 | Seite 132 Abbildung 6 Droemer Knaur-Verlagswebseite von Markus Heitz, Screenshot vom 07.09.2018. Quelle: https://www.droemer-knaur.de/autore n/82432/markus-heitz, letzter Zugriff: 07.09.2018 | Seite 163

298

Autorschaft, Genres und digitale Medien

Abbildung 7 Piper-Verlagswebseite von Markus Heitz, Screenshot vom 21.03.2018. Quelle: https://www.piper.de/autoren/markus-heit z-930, letzter Zugriff: 07.09.2018 | Seite 163 Abbildung 8 Heitz’ Schuhe, Fotografie auf Instagram, 27.01.2019. Quelle: ht tps://www.instagram.com/p/BtI29WWAusx/, letzter Zugriff: 24.10.2022 | Seite 164 Abbildung 9 Heitz im Leipziger Bahnhof, Screenshot aus dem Autorenporträt der Verlagsgruppe Droemer Knaur »Eine Begegnung mit Bestsellerautor Markus Heitz«, YouTube, 13.08.2014. Quelle: https:// www.youtube.com/watch?v=hgIS2Uc0ieU, Zugriff: 01.12.2020 | Seite 165 Abbildung 10 Heitz als phantastische Figur (2008). Quelle: https://www.arnes chultz.com, letzter Zugriff: 24.10.2022 | Seite 167 Abbildung 11 Profilfoto von Heitz bei Facebook, 24.10.2018. Quelle: https://ww w.facebook.com/photo?fbid=243830517206032&set=a.24383047 7206036, letzter Zugriff: 27.03.2021 | Seite 171 Abbildung 12 Schreibbuch. Quelle: Tweet vom 25.10.2014, https://twitter.com /CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020 | Seite 200 Abbildung 13 Schreibbuch und Zeichenbuch. Quelle: Tweet vom 01.01.2015, h ttps://twitter.com/CorneliaFunke, letzter Zugriff: 01.08.2020 | Seite 200 Abbildung 14 Unterseite der Webseite von Cornelia Funke, Screenshot vom 21.06.2015. Quelle: corneliafunke.com/index.php?page=notebook&lang=de, letzter Zugriff 21.06.2015 | Seite 201 Abbildung 15 Funke im Feenkostüm. Quelle: Ulrike Cordes: Fantasy-Queen Cornelia Funke liest im Märchenkleid, in: Die Welt vom 24.09.2010, https://www.welt.de/kultur/article9846530/Fant asy-Queen-Cornelia-Funke-liest-im-Maerchenkleid.html, letzter Zugriff: 24.10.2022 | Seite 209 Abbildung 16 Webseite von Cornelia Funke, Screenshot vom 21.06.2015. Quelle: Quelle: https://www.corneliafunke.com, letzter Zugriff: 21.06.2015 | Seite 210 Abbildung 17 Michael Köhlmeier in seinem Arbeitszimmer. Quelle: Renata Schmidtkunz: »Meine Geschichten erzähle ich mir selbst.« Der Schriftsteller Michael Köhlmeier, AT 2009 | Seite 247 Abbildung 18 Hanser-Verlagswebseite, Screenshot vom 14.07.2017. Quelle: htt ps://www.hanser-literaturverlage.de/autor/michael-koehlmeie r/, Zugriff: 14.07.2017 | Seite 250

Literaturwissenschaft Julika Griem

Szenen des Lesens Schauplätze einer gesellschaftlichen Selbstverständigung 2021, 128 S., Klappbroschur 15,00 € (DE), 978-3-8376-5879-8 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5879-2

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Mythos Lesen Buchkultur und Geisteswissenschaften im Informationszeitalter 2021, 96 S., Klappbroschur 15,00 € (DE), 978-3-8376-5655-8 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5655-2

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Schrift in bildender Kunst Von ägyptischen Schreibern zu lesenden Madonnen 2020, 150 S., kart., 14 Farbabbildungen, 5 SW-Abbildungen 16,50 € (DE), 978-3-8376-5298-7 E-Book: PDF: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5298-1

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Literaturwissenschaft Elias Kreuzmair, Magdalena Pflock, Eckhard Schumacher (Hg.)

Feeds, Tweets & Timelines – Schreibweisen der Gegenwart in Sozialen Medien September 2022, 264 S., kart., 27 SW-Abbildungen, 13 Farbabbildungen 39,00 € (DE), 978-3-8376-6385-3 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6385-7

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Rhetorik und Wissenspoetik Studien zu Texten von Athanasius Kircher bis Miljenko Jergovic Februar 2022, 478 S., kart., 36 SW-Abbildungen, 5 Farbabbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-6118-7 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6118-1

Wilhelm Amann, Till Dembeck, Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 13. Jahrgang, 2022, Heft 1 August 2022, 192 S., kart., 1 Farbabbildung 12,80 € (DE), 978-3-8376-5900-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5900-3

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