Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co.: Konstellationen von Körper, Medien und Selbst in der Gegenwart 9783839439081

Digital self-evaluation, selfies in social networks or online dating via Tinder - these contributions examine how the bo

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German Pages 286 Year 2019

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Inhalt
Konstellationen von Körper, Medien und Selbst
Körper – Medien – Selbst
Körper – Medien – Selbst in neuen Sportpraktiken
Tinder und der Flow der Wischgeste
Performativität in körperlich-leiblichen Selbstvermessungspraktiken
Körper – Medien – Selbst
Körper als formbare Formungsinstrumente
Medienbasierte Selbsttechnologien am Beispiel des Diet-Tracking
Körper – Medien – Selbst
Selbst-Bildung im und durch Self-Tracking
Subjekte photographieren
Self-Tracking als medienpädagogische Herausforderung
Körper – Medien – Selbst: Method(ologi)en
Die totale Evaluation
Zur Rekonstruktion kollektiver Orientierungen in Bezug auf Körper, Medien und Selbst
Autor*innen
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Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co.: Konstellationen von Körper, Medien und Selbst in der Gegenwart
 9783839439081

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Daniel Rode, Martin Stern (Hg.) Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co.

KörperKulturen

Daniel Rode (Dr.) lehrt und forscht im Arbeitsbereich Soziologie der Bewegung und des Sports am Institut für Sportwissenschaft und Motologie der Philipps-Universität Marburg. Martin Stern (Prof. Dr.) leitet den Arbeitsbereich Soziologie der Bewegung und des Sports am Institut für Sportwissenschaft und Motologie der Philipps-Universität Marburg.

Daniel Rode, Martin Stern (Hg.)

Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co. Konstellationen von Körper, Medien und Selbst in der Gegenwart

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Lektorat, Korrektorat & Satz: Laura Stumpp Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3908-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3908-1 https://doi.org/10.14361/9783839439081 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Konstellationen von Körper, Medien und Selbst Zeitgenössische körperbezogen-mediale Praktiken als Orte von Gesellschafts- und Selbst-Bildungsdynamiken: Eine programmatische Einführung

Daniel Rode, Martin Stern | 7

KÖRPER – MEDIEN – SELBST Körper – Medien – Selbst in neuen Sportpraktiken

Martin Stern | 37 Tinder und der Flow der Wischgeste Zur leiblichen Fundierung von Mensch-Technik-Interaktionen beim Online-Dating

Sascha Oswald | 55 Performativität in körperlich-leiblichen Selbstvermessungspraktiken Zwei Fallbeispiele

Karolin Eva Kappler, Eryk Noji, Uwe Vormbusch | 83

KÖRPER – MEDIEN – SELBST Körper als formbare Formungsinstrumente Zur Art und Weise der Körperthematisierung in Self-Tracking-Werbebildern im Internet

Franz Krämer, Denise Klinge | 103 Medienbasierte Selbsttechnologien am Beispiel des Diet-Tracking

Gerrit Fröhlich, Daniel Kofahl | 127

KÖRPER – MEDIEN – SELBST Selbst-Bildung im und durch Self-Tracking Ein analytisch-integrativer Systematisierungsversuch zur Subjektkultur des ›neuen Spiels‹ digitaler Selbstvermessung

Daniel Rode | 151 Subjekte photographieren Eine subjekt(-ivierungs)- und körperleibtheoretische Perspektivierung jugendlicher Selbstdarstellungen in digitalen sozialen Netzwerken

Clarissa Schär | 183 Self-Tracking als medienpädagogische Herausforderung

Thomas Damberger | 205

KÖRPER – MEDIEN – SELBST: METHOD(OLOGI)EN Die totale Evaluation Skizze zu einer materialistischen Dispositivanalyse

Simon Schaupp | 225 Zur Rekonstruktion kollektiver Orientierungen in Bezug auf Körper, Medien und Selbst Methodische Überlegungen zum Einsatz von Collagen und Selfies in Gruppendiskussionen mit Jugendlichen

Benjamin Zander | 249

Autor*innen | 281

Konstellationen von Körper, Medien und Selbst Zeitgenössische körperbezogen-mediale Praktiken als Orte von Gesellschafts- und Selbst-Bildungsdynamiken: Eine programmatische Einführung D ANIEL R ODE , M ARTIN S TERN

Roland ist Imker, Marianne ist Quantenphysikerin. Beide treffen sich auf einer Party, kommen ins Gespräch über Honig und küssen sich. Was wie der Anfang einer dieser Beziehungsgeschichten wirkt, entfaltet sich in Nick Paynes Theaterstück Konstellationen auf andere Weise: Die Zuschauer*innen können die beiden Protagonist*innen durch typische Stationen ihrer Paarbeziehung begleiten, allerdings wird jede Szene mehrfach durchgespielt und zwar in unterschiedlichen Varianten, in denen kleine Veränderungen zu ganz anderen Wendungen und Ausgängen führen – zu ganz unterschiedlichen Konstellationen. Den Zuschauer*innen eröffnet sich dadurch ein Universum unzähliger Parallelwelten – nicht zufällig ist Mariannes Arbeitsgebiet das der theoretischen Kosmologie –, das in krassem Gegensatz zu der funktionalen, strukturierten und ›intelligenten‹ Lebensweise von Rolands Bienenvölkern steht: ein Universum, in dem Nichts bereits determiniert ist, sondern sich in jedem Moment von Neuem entscheidet; ein Universum, in dem die kleinsten Details einen fundamentalen Unterschied machen können; ein Universum, in dem diese Details und ihre Folgen zwar ›tatkräftig‹ vollbracht werden, allerdings – zu Rolands Leidwesen – gerade nicht in der souveränen Verfügung einzelner Handelnder liegen; und schließlich ein Universum, in dem Nichts identisch wiederholbar ist, sondern stets, und sei es nur in minimaler Abweichung, als neue Welt hervorgebracht wird.

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Folgt man dem Zuspruch der Theaterbesucher*innen und Kritiker*innen, dann scheint dieses Universum von Paynes Konstellationen genau den Zeitgeist zu treffen. Es eignet sich jedenfalls, um einige programmatische Überlegungen zur Beobachtung und Beschreibung zeitgenössischer Praktiken zu formulieren, die in diesem Band zur Diskussion stehen. Eine Ausgangsannahme ist es, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit gegenwartsgesellschaftlichen Dynamiken Perspektiven bedarf, die relevante geistes- und sozialwissenschaftliche Konzepte, allen voran ›Körper‹, ›Medien‹ und ›Selbst‹, neu und anders denken. Dazu möchte der vorliegende Band beitragen. In dieser Einleitung werden wir hierfür die Programmatik eines ›Denkens in Konstellationen‹ als (zu diskutierenden) Fluchtpunkt solch neuer Perspektiven skizzieren, die in den einzelnen Beiträgen im Sinne einer theoretischen Empirie sowie empirischen Theorie (vgl. Kalthoff/Hirschauer/Lindemann 2008) ausgelotet werden. Die Phänomene, die in diesem Buch in den Blick genommen werden, sind das digitale Vermessen körperlicher Aktivität – d.h. das Self-Tracking –, jugendliche Selbst- und Körperaufführungen in Selfies sowie der (körperlich-sinnliche) Umgang mit Plattformen wie Tinder. Diese rezenten körperbezogen-medialen Praktiken werden als Forschungsgegenstände und -felder begriffen, die für ein Verständnis unserer Gegenwartsgesellschaft überaus bedeutsam sind: Sie stellen zeitgenössische Räume dar, in denen sich die Teilnehmer*innen spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft bringen. In einem ersten Schritt werden wir diese These – sich spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft bringen – ausführen. Daran knüpft im zweiten Schritt die Spezifikation der Perspektive des angesprochenen ›Denkens in Konstellationen‹ an, mit der im dritten Schritt Konsequenzen für und kritische Nachfragen an ›Körper‹, ›Medien‹ und ›Selbst‹ formuliert werden können. Unser Einleitungsbeitrag schließt mit einem Überblick über die Struktur des Buches.

S ICH SPIELERISCH INS S PIEL EINER G ESELLSCHAFT BRINGEN

SICH WANDELNDEN

Wieso nun sollten sich Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen, Erziehungswissenschaftler*innen und Sportwissenschaftler*innen für Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co. interessieren? Untersuchungen im Feld der Bewegungs-, Spielund Sportkultur können aufzeigen, dass hochdynamischen Entwicklungen von neuen, informellen Bewegungspraktiken eine Indikatorfunktion für Wandlungsprozesse der Gesellschaft zuzusprechen ist (vgl. Gebauer et al. 2004) und dass sie damit Schauplätze zeitgenössischer Subjektivierungsdynamiken sind (vgl.

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Stern 2010). Unser Vorschlag ist, die Idee der Entwicklung einer zeitgemäßen Spielfähigkeit, die in diesen Untersuchungen veranschlagt ist, auch für gegenwärtige Medienpraktiken aufzugreifen, um nach deren Bedeutung für Gesellschafts- und Selbst-Bildungsdynamiken fragen zu können.1 Als Ausgangspunkt für diese Betrachtungsweise kann die Reflektion von Flitner (2001) auf Huizingas (2001) Ausführungen zum Zusammenhang von Kultur und Spiel dienen. Folgt man Flitner (ebd.: 236), dann wird Kultur nicht einfach von einer Generation an die andere als eine Art fester Bestand weitergegeben, sondern Kultur entsteht aus einem aktiven Neu-Entdecken und NeuSchaffen von Gegebenem. Dies geschieht insbesondere auch in neuen Spielpraktiken, die damit als Teil eines notwendigen Kulturprozesses zu verstehen sind (vgl. Stern 2018: 88-89): In sozialmimetischen Prozessen (vgl. Gebauer/Wulf 1998) werden soziokulturelle Handlungs- und Verhaltensweisen erprobt sowie Strategien, Überzeugungen und Werthaltungen erzeugt und sozial beglaubigt. Spielfähigkeit ist entsprechend als gesellschaftliche Fähigkeit und zugleich als kontinuierliche Aufgabe zu verstehen: als Voraussetzung und Modus der aktiven Hervorbringung und (Mit-)Gestaltung von Kultur. Unser Ansatz ist es, Praktiken der digitalen Aktivitätsvermessung, des Herstellens, Teilens und Distribuierens von (Körper-)Bildern sowie des (körperlichsinnlich) reizvollen Austauschs über Plattformen wie Tinder als zeitgenössische ›neue Spiele‹ zu untersuchen (vgl. hierzu auch Rode 2018a), in denen zeitgemäße Spielfähigkeiten erzeugt und erprobt werden.

1

Aus einer praxistheoretischen Perspektive (siehe unten) sind Bezeichnungen wie Medienpraktiken oder Körper- bzw. Bewegungspraktiken Pleonasmen, d.h. sie sind gleichsam ›doppelt gemoppelt‹: Praktiken realisieren sich immer (auch) als Körperbewegungen ebenso wie ihnen immer eine Medialität (z.B. von Sprache, Bewegung, Schrift oder eben digitalen Technologien) inhärent ist. Wenn wir dennoch von Bewegungs- oder Medienpraktiken sprechen, dann folgen wir damit der praxeologischen Idee, dass es sich bei Praktiken um Einheiten des Sozialen handelt, die durch die Reflexivität der accounts (im ethnomethodologischen Sinn) ihrer Akteur*innen identifizierbar und beschreibbar sind (vgl. Giessmann 2018: 97). So ist Snowboarden aufgrund der körperlichen Qualitäten, die sich die Akteur*innen gegenseitig anzeigen und denen sie sich versichern, als Bewegungspraktik zu betrachten, während sich Tindern aufgrund seiner technisch-vermittelnden Qualitäten als Medienpraktik oder mediale Praktik zu erkennen gibt (vgl. ebd.). Um hervorzuheben, dass die in diesem Band fokussierten Medienpraktiken ganz bestimmte Körperthematisierungen, -aufmerksamkeiten und -orientierungen fördern und fordern (siehe unten), sprechen wir auch von körperbezogen-medialen Praktiken.

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Zu den prägnantesten Wandlungsprozessen unserer Gegenwartsgesellschaft gehört zweifelsohne ein fortschreitender Prozess der Digitalisierung. Damit ist die zunehmende Durchsetzung von Lebenswelten mit computer- und rechenbasierten Technologien gemeint. Das Digitale bezieht sich hierbei auf die Verarbeitung von Informationen in zahlenförmiger und letztlich binärer Weise (Allert/Asmussen/Richter 2018: 14). Die in diesem Band fokussierten Phänomene stehen im Zeichen dieser Entwicklung und exemplifizieren dabei zwei Momente, die wir als bedeutsam für die Betrachtung unserer gegenwärtigen »digitalen Kultur« (ebd.: 9ff.) erachten. In Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co. zeigt sich erstens das, was im Anschluss an einige soziologische Diagnosen als Moment der »Körperaufwertung« (Bette 2005) bezeichnet wird: Die postmoderne Gesellschaft basiert nicht länger auf körperlicher Erwerbsarbeit, sondern auf wissensbasierten, intellektuellen Tätigkeiten und letztlich auf der Verarbeitung abstrakter Daten. Körperlichkeit und Bewegung – so die Diagnosen – verlieren in diesen Lebensbereichen damit an Bedeutung. Gleichsam als Gegenreaktion erleben sie im Freizeit- und Konsumbereich eine intensive Aufmerksamkeit und eine enorme Bedeutungssteigerung für die Formierung von Identitäten und Subjektivitäten (vgl. Gugutzer 2004: 34) – Prozesse, die zunehmend vermittels digitaler und mobiler Medientechnologien noch einmal neue Qualitäten erhalten. Solche Positionen werden weiter unten auch kritisch dahingehend zu befragen sein, inwieweit der Rede von einer gleichzeitigen Körperdistanzierung hier gefolgt werden kann. Vielmehr scheinen sich die betrachteten neuen Medienpraktiken durch ganz bestimmte Weisen der Körperorientierung und Möglichkeiten der Körperund Selbstformierung auszuzeichnen. Die Beiträge dieses Bandes können hierbei aufzeigen, dass ein zweites Moment dieser Praktiken darin liegt, dass die Umgangsweisen mit den neuen Technologien und Möglichkeiten der Körper- und Selbstformierung (noch) lange nicht in festen Bahnen verlaufen, sondern hochdynamisch sind (vgl. auch Duttweiler/Passoth 2016). Sie zeigen einen weitgehend experimentellen und spielerischen Charakter. Self-Tracking, Selfies, Tinder und Co. sind somit Beispiele für Praktiken, die in unserer digitalen Kultur in rasanter Geschwindigkeit neu entstehen, sich verschiedentlich einspielen und mitunter auch wieder vergehen, und die dabei ganz bestimmte medial vermittelte Formierungen von Körperlichkeit, Bewegung und Selbstverhältnissen hervorbringen. Wir möchten dafür plädieren, diese neuen Medienpraktiken weder als losgelöst von bestehenden Kulturpraktiken zu verstehen, noch davon auszugehen, dass diese Kulturpraktiken in ihnen einfach angeeignet werden. Stattdessen sind die neuen Medienpraktiken als Spielräume zu betrachten, in denen neue Entwürfe von Praktiken und von entsprechenden

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Spielfähigkeiten hervorgebracht werden – d.h. in denen sich die Teilnehmer*innen spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft bringen.2

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Damit ist eine Perspektivierung umrissen, die der Auseinandersetzung mit SelfTracking-, Selfie- und Tinder-Praktiken eine maßgebliche Bedeutung für ein Verständnis unserer Gegenwartsgesellschaft beimisst und die es nahelegt, sie in den Dimensionen von Körper, Medien und Selbst zu untersuchen, genauer: diese Praktiken als Konstellationen von Körper, Medien und Selbst zu untersuchen. Formulierungen wie »Konstellationen von …« finden sich immer wieder, ohne dass sie genauer erläutert würden. Wir möchten nun wesentliche Überlegungen skizzieren, um die Denk- und Betrachtungsweise zu spezifizieren, die wir mit dieser Formulierung verfolgen. Dies führt uns zunächst zurück zu Roland und Marianne, in deren Universum wir viele Aspekte unseres Denkens wiedergefunden haben. Zur weiteren Konturierung dieses ›Denkens in Konstellationen‹ werden wir dann Anschlüsse an eine Theorie sozialer Praktiken sowie an Nelson Goodmans (1990) »Weisen der Welterzeugung« aufzeigen und für die Untersuchung zeitgenössischer Medienpraktiken fruchtbar machen. Vor dem Hintergrund von Nick Paynes eingangs skizziertem Theaterstück lassen sich bereits drei grundlegende Dimensionen eines ›Denkens in Konstellationen‹ näher bestimmen: Denken in Relationen. Das Spiel beispielsweise des Self-Tracking als Konstellation(en) zu verstehen, bedeutet erstens, es als relationalen und dynamischen Verflechtungszusammenhang zu betrachten. Paynes Stück zeigt eindrucksvoll, wie Sinn- und Bedeutungsdimensionen immer erst dadurch entstehen, dass verschiedene Elemente auf bestimmte Weise zueinander in Beziehung gebracht werden/sich bringen. Sinn- und Bedeutung sozialer Phänomene werden nicht als vorgefasst verstanden, sondern entstehen in und mit den Figurationen (vgl. Elias 1986) und auf der Ebene der Relationierungen einer jeweiligen Konstellation. Performatives Denken. Die Rede von dynamischen Relationierungen bedeutet zweitens, dass wir Konstellationen nicht als statische, mithin prädeterminierte Gebilde verstehen. In Paynes Universum entstehen Konstellationen immer wieder neu und anders im aktiven Zusammenwirken aller Beteiligten, ohne dass ein*e Beteiligte*r dies vollends kontrollieren könnte und ohne dass die Beteiligten – Roland und Marianne – in allen Konstellationen dieselben wä-

2

Vgl. zu dieser grundsätzlichen Idee ausführlicher auch Stern (2010: 11-27).

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ren. Konstellationen sind also vollzugsbedürftig und diese Vollzüge sind kollektiv und verteilt getragen. Und das, was sich in den jeweiligen Konstellationen zeigt (Medialitäten, Körper- und Selbstverhältnisse), wird in ihrem Vollzug zuallererst hervorgebracht.3 Denken in (Welt-)Versionen. Drittens ist mit dem Blick auf dynamisch entstehende Konstellationen die Frage nach Verweisungszusammenhängen verbunden. Im Universum des Theaterstücks um Roland und Marianne entstehen ständig neue Welten, die als unterschiedliche Versionen auch parallel existieren. Sie entstehen keinesfalls aus dem Nichts, sondern immer aus vorgängigen Welten (Ereignissen, Szenen) heraus. Damit ist eine Perspektive der Multiplizität von Praktiken sowie Versionen von Körper-, Selbst- und Weltverhältnissen aufgespannt.4 Anstatt die neuen medialen Spiele als isolierte und in sich abgeschlossene Praktiken zu konzipieren, sind hiermit vielmehr Fragen danach aufgeworfen, wie sie mit anderen Praktiken und Versionen im Zusammenhang und Verhältnis stehen. Die in diesem Buch fokussierten neuen Spiele als Konstellationen in den Blick zu bringen, bedeutet somit in einer ersten Annäherung, sie als relationale, performative, de-zentrierte und konstituierende Verflechtungen unterschiedlicher Teilnehmer*innenschaften zu verstehen, die mit anderen Konstellationen verwoben sind.5 Wir möchten diese skizzierte Perspektive nun konkretisieren, indem wir sie an praxistheoretische Forschungsansätze anschließen.

3

Vgl. zum Performativitätsgedanken von kulturellen Praktiken grundsätzlich FischerLichte (2016), Fischer-Lichte/Wulf (2004), Volbers (2014). Zum Ansatz einer »Pädagogik des Performativen«, siehe Wulf/Zirfas (2007).

4

Zu einer ethnographischen Perspektive auf den multiplen Körper im Kontext der Diagnose und Behandlung der Krankheit Atherosklerose, vgl. die Arbeit von Mol (2002).

5

In der Neuen Phänomenologie wird der Konstellationsbegriff anders verwendet, als wir es hier tun. Er bildet dort den ontologischen Gegenpart zum Begriff der Situation (vgl. Schmitz 2005): Situationen sind thematisch und atmosphärisch gleichsam nach innen und außen hin abgegrenzte »Ganzheit[en]« (ebd.: 22), deren einzelne Elemente uns nicht als Einzelheiten, sondern als in sich verschlungene Gesamtheit in Erscheinung treten. Während in dieser Perspektive ein situationistisches Leben und Denken der Vergegenwärtigung von Situationen eine große Bedeutung zumisst, zielt ein konstellationistisches Dasein darauf ab, Orientierung dadurch zu finden, dass Einzelheiten von Situationen analytisch identifiziert, vernetzt und etwa berechnet werden. Zur neuphänomenologischen Kulturkritik am »Vormarsch des Konstellationismus, etwa im Zeichen fortschreitender Digitalisierung« (Schmitz 2010: 45), vgl. die Beiträge in

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Praxistheoretische Anschlüsse Wir haben bis hierher nicht zufällig von Self-Tracking-, Selfie und TinderPraktiken gesprochen (siehe auch Fußnote 1). Vielmehr verweisen wir damit auf das Theorie- und Methodologieangebot der Familie von Ansätzen einer Theorie sozialer Praktiken (vgl. z.B. Reckwitz 2003; Schatzki 1996, 2002; Schäfer 2016a; Schmidt 2012). Unter ihrer Beobachtungseinheit der ›Praktiken‹ verfolgen diese Ansätze derzeit wohl am intensivsten ein relationales sowie performatives Denken.6 Praktiken werden hier als elementare, durch die Reflexivität der accounts (hierzu grundlegend Garfinkel 1967) ihrer ›Mitspieler*innen‹ erkennund beschreibbare Einheiten des Sozialen begriffen (vgl. Giessmann 2018: 97). Der wesentliche Gedanke ist, die Sinn- und Bedeutungshaftigkeit sozialer Spiele (als Praktiken) nicht in übergeordneten, vermeintlich vorgängigen Strukturen oder aber in mentalen Sinnsetzungs- und individuellen Handlungsakten zu verorten, sondern im Vollzug der Herstellung wiedererkennbarer Verflechtungen von menschlichen und nicht-menschlichen Teilnehmer*innenschaften. Dies ist für unsere Betrachtung neuer körperbezogen-medialer Spiele gleich in mehrfacher Hinsicht folgenreich: Erstens werden Bedeutungen, Funktionen und Wirkmächtigkeiten von Medientechnologien ebenso wie von Menschen und von bestimmten Körpertechniken oder -zuständen nicht als präskriptive Voraussetzungen sozialer Geschehnisse gesetzt, sondern in ihrer soziokulturellen Verfasstheit innerhalb konkreter Gebrauchsformen und Umgangsweisen in den Blick genommen. Welche Autorität beispielsweise ein Tracking-Armband ausstrahlen kann, welche Möglichkeiten

Großheim/Kluck (2010); zum Self-Tracking als »Plakat-Situation« für ein Denken und Leben in Konstellationen vgl. Gugutzer (2016). Aus Sicht der von uns eingeschlagenen Perspektive ist darauf zu verweisen, dass zahlreiche Studien zu neuen Medienpraktiken wie dem Self-Tracking zeigen, dass deren Praxis gerade nicht in ihrer ›berechnenden‹ Ideologie aufgeht. Der neu-phänomenologische Konstellationsbegriff und die an ihn anschließend Kritik neuer Medienpraktiken, die im Grunde Diagnosen einer Individualisierung und Atomisierung von Gesellschaft folgen (Gugutzer 2016: 179), sind dann dahingehend kritisch zu befragen, inwiefern sie die soziale Verfasstheit, Voraussetzungshaftigkeit und Komplexität dieser neuen Praktiken angemessen berücksichtigen. Unser Ansatz, diese Praktiken als Spielräume zu begreifen, um sich spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft zu bringen, bezieht in dieser Hinsicht jedenfalls eine Gegenposition. 6

Vgl. zu einer differenzierenden Gegenüberstellung von Performativitäts-, Performance- und Praxistheorien Klein/Göbel (2017).

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eine Person hat, sich ihm zu bemächtigen, und welche leiblich-affektiven Prozesse damit wie einhergehen, kann in dieser Perspektive nur mit Blick auf die konkreten Interaktionen zwischen Mensch und Technik sowie die Einbettungen in den Alltag von familialen, Arbeits- oder Sportsituationen erschlossen werden (vgl. Rode 2018b). Damit folgt dieser Blick zweitens nicht vermeintlichen unidirektionalen Logiken, sondern fragt nach wechselseitigen Konstituierungs- und Formierungsverhältnissen. Es wird also weniger danach gefragt, was Geräte, Körper oder Personen per se sind oder können, sondern danach, wie sie in bestimmten Konstellationen involviert sind und im Zuge dessen zu spezifischen Objekten, Medien oder Subjekten werden. Welche Funktionen eines Tracking-Armbandes werden in welchen Kontexten wie (nicht) gebraucht? Wie werden sie intersubjektiv und emotional-affektiv bewertet? Wie werden die technischen ›Leistungen‹ und Zeigefähigkeiten sozial beglaubigt? Wie werden hierbei welche körperlichen Aktivitäten und Zustände herausgefordert, ir/relevant gesetzt und damit auf spezifische Weise hervorgebracht? Welche Subjektpositionen können in diesem Zusammenhang in unterschiedlichen Kontexten bezogen werden und als was für ein Subjekt können sich die Nutzer*innen erfahren und darstellen? Die Frage nach zeitgenössischen Konstellationen wird in dieser Perspektive somit nicht vorschnell über Intentionalitäten einzelner Akteur*innen oder über technisch determinierte Wirkungsgefüge aufgelöst. Drittens kommen hierdurch kontingente Dimensionen sozialer Spiele in den Blick. In den neuen Spielen stellen sich immer wieder aufs Neue Fragen der Passung von digitalen und technischen Möglichkeitsräumen und den Potentialitäten und Dispositionen der menschlichen Mitspieler*innen (vgl. Stern 2010: 129ff.). Diese Fragen werden im Gebrauch stets ein Stück weit neu verhandelt und sorgen dafür, dass sich (womöglich vollkommen ungeplante) Gebrauchsweisen einspielen, aber auch wieder irritiert und revidiert werden. Beispielsweise erschließen sich die eigenen körperlichen Vorgänge den Self-Tracker*innen nicht quasi-automatisch auf eine bestimmte Weise. Vielmehr gehen entsprechende Wahrnehmungs- und Erfahrungsweisen aus Prozessen des wechselseitigen Kennenlernens und Erkundens von Gerät und Nutzer*in hervor, im Zuge derer Möglichkeiten, Machbarkeiten und Praktikabilitäten ausgelotet, mithin erst erzeugt werden und Personen damit höchst unterschiedlich zu Self-Tracker*innen werden (vgl. Rode 2018b; Rode/Stern 2017). Mit einer solchen praxistheoretischen Orientierung lässt sich schließlich viertens die körperlich-sinnliche Verfasstheit dieser Prozesse und Konstellation betonen. Das Vermögen, sich in überindividuell organisierte und damit stets geteilte soziale Spiele einzubringen, kann weniger auf bewusste Entscheidungen oder

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reflexive Aushandlungen enggeführt werden, sondern vielmehr an ein implizites Wissen und Verstehen rückgebunden werden. In Anknüpfung an Bourdieu (1993) kann hier von einem verkörperten praktischen Sinn gesprochen werden. Dieser ist gerade nicht gegen Denken, Planen und Reflektieren ins Feld zu führen, betont aber, dass auch diese Akte nicht ohne eine körperlich-sinnliche, weitgehend vorreflexive Orientierung in der Welt zu verstehen sind, die durch das eigene Tun und Lassen praktisch mit erzeugt und erlernt wird. In einer dynamischen und performativen Lesart realisieren sich Dispositionen unter den aktuellen, selbst mithervorgebrachten praktischen Bedingungen stets aufs Neue als eine »Mitspielfähigkeit« (Brümmer 2015), die fortwährend aus- und umgeformt wird. Damit lässt sich die oben angesprochene Spielfähigkeit als eine bedingte, das bedeutet: von den jeweiligen performativen Konstellationen und ihren materiell-symbolisch hervorgebrachten Apellen, Normen, Differenzierungen, Zielen, Spielregeln, Wertvorstellungen etc. praktisch ermöglichte sowie begrenzte Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit bestimmen.7 Diese werden in den kollektiven Verflechtungszusammenhängen neuer körperbezogen-medialer Spiele wie dem Self-Tracking oder dem Tindern im Sinne einer dynamischen Nicht/Passung von Habitus und Habitat körperlich-sinnlich erprobt, beglaubigt und entwickelt.8 Der praxistheoretische Anschluss ermöglicht es somit, die Konstellationen neuer körperbezogen-medialer Spiele als wiedererkennbare, überindividuelle und kontingente Praktiken zu betrachten, in denen eine verkörperte Spielfähigkeit in dynamischen Prozessen des Erzeugens und Erprobens von Nicht/Passungsverhältnissen im Zusammenspiel von menschlichen und nichtmenschlichen Teilnehmer*innenschaften kollektiv hervorgebracht wird. Bevor wir darauf eingehen können, was diese Konturierung für Körper, Medien und Selbst als zentrale Elemente dieser Konstellationen bedeutet, gilt es, den Verweisungs- und Verstrickungszusammenhängen von Praktiken noch mehr Beachtung zu schenken. Denn neue Medienpraktiken wie das Self-Tracking zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie zahlreiche Alltags-, Arbeits- und Freizeitpraktiken durchkreuzen, in diese eingewoben werden und sich (z.B. messend) auf sie

7

Vgl. zu einer praxistheoretischen Ausarbeitung von Konzepten wie Handlungsfähigkeit, Subjektivität und Subjekthaftigkeit die Arbeiten des Oldenburger Graduiertenkollegs »Selbst-Bildungen«, z.B. Alkemeyer/Buschmann/Michaeler (2015).

8

Zu Fragen der sozialen Passung im Sinne von Habitus und Habitat vgl. grundlegend Bourdieu (2015), im Rahmen von Spielkulturen Stern (2006) und von Arbeitsprozessen Schmidt (2012: 130-155).

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beziehen.9 Wir möchten einige Anschlüsse an die Philosophie Nelson Goodmans (1990) aufzeigen, um die in den Beiträgen fokussierten Konstellationen von Medien, Körper und Selbst in einen weiterführenden Verweisungszusammenhang stellen zu können. Weisen der Welterzeugung In seinem erkenntnis- sowie symboltheoretisch ausgerichteten Werk verfolgt Goodman (1990) den zentralen Gedanken, dass sich ein Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen von Welt immer auf eine spezifische Weltversion bezieht, die in dem jeweiligen Symbolsystem des Wahrnehmens, Erkennens und Verstehens – und deren jeweiligen geteilten Praktiken – erzeugt wird. Hieran sind fünf Aspekte geknüpft: Erstens ist uns Welt somit immer nur als Versionen zugänglich. Zweitens sind diese Versionen aktiv (schöpferisch) erzeugt. Drittens gibt es viele, verschiedene und konfligierende Weltversionen und zwar ebenso viele, wie sich Weisen der Welterzeugung finden. Viertens ist die Welterzeugung nicht als creatio ex nihilo zu verstehen, sondern »das Erschaffen« von Neuem wird als »ein Umschaffen« von Bestehendem konzipiert (ebd.: 19). Und fünftens sind neue Weltversionen damit selbst wiederum Ausgangspunkte und Quellen für Dynamisierungen bestehender Weltversionen, auf die sie zurückwirken. Diese Gedanken erlauben es, die eingangs formulierte Position weiterzuführen, nach der Self-Tracking-, Selfie- und Tinder-Praktiken als Teil des Hervorbringens und (Um-)Gestaltens von Kultur zu verstehen sind, und dabei nach den Verweisungs-

9

In seiner praxistheoretischen Sozialontologie verwendet Schatzki den Begriff der Konstellationen, im Unterschied zu uns, um eine gleichsam größere Analyseeinheit zu bezeichnen: Praktiken und soziomaterielle Arrangements verschränken sich zu Bündeln, die Bündel verbinden sich zu Konstellationen, die wiederrum zusammen größere Konstellationen formen, die schließlich den Schauplatz (»site«) darstellen, in dem sich soziales Leben verwirklicht (vgl. Schatzki 2002, 2012). Die von uns aufgeworfenen Fragen nach Verstrickungs- und Verweisungszusammenhängen stellen sich dort dann als Fragen der »changing connections« sowie insbesondere des »threading through« von Praktiken innerhalb größerer Konstellationen (Hui/Schatzki/Shove 2017). Zur Diskussion solcher Fragen vor dem Hintergrund transsituativer bzw. transitiver Methodologien praxistheoretischer Ansätze, die insbesondere mit Blick auf Nelson Goodmans Idee der doppelten Reorganisation (siehe unten) noch weiter zu reflektieren wären, vgl. auch u.a. Röhl (2016), Schäfer (2016b), Schindler (2016). Zu Schule als Konstellation von Praktiken-Arrangement-Bündeln im Sinne Schatzkis vgl. Rißler/Budde (2017).

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und Verkettungszusammenhängen mit anderen Praktiken zu fragen: Digitale Dynamisierungen gesellschaftlicher Praktiken lassen sich als Weisen der Welterzeugung untersuchen. Hierfür erscheinen uns drei Anschlüsse als besonders fruchtbar. Goodman zufolge entstehen neue Weltversionen aus »bedeutungsvollen Fragmenten« anderer, vorgängiger Weltversionen (ebd.: 27), die innerhalb der neuen und in sich sinnvollen Welt neuartige Beschreibungs- und Deutungssysteme von Welt hervorbringen. Der erste Anschluss ist darin zu sehen, dass Medium und Modus der Welterzeugung mit Goodmans sehr weit gefassten symboltheoretischen Bezug nicht auf Sprache beschränkt ist, sondern Bilder und Musik ebenso wie körperlich-leibliche Dimensionen sozialer Praktiken (Gesten, Bewegungen) als relevante Größen der Welterzeugung zu konzeptualisieren erlaubt (vgl. ebd.: 32). Eindrücklich fasst er dies in folgendem Zitat: »Heute, da in den darstellenden Künsten mit der Kombination von Medien experimentiert wird, ist nichts klarer, als daß [sic!] Musik das Sehen beeinflusst, daß [sic!] Bilder das Hören beeinflussen, daß [sic!] beide auf die Tanzbewegung Einfluß [sic!] nehmen und von dieser beeinflußt [sic!] werden. Sie alle durchdringen sich bei der Welterzeugung wechselseitig.« (Ebd.: 131)

Die Entstehung neuartiger Konstellationen im Sinne neuer Weltversionen erfolgt gleichsam durch ein Sampling relevanter Fragmente vorgängiger Welten, mimetischer Bezugnahmen (vgl. Gebauer/Wulf 1998) und neuer Kontextualisierungen sowie unter Einbeziehung neuartiger medialer/digitaler Möglichkeiten: Hierüber wird ein dynamischer Handlungsraum hervorgebracht, innerhalb dessen neue oder modifizierte Potentiale der Selbst- und Weltbeschreibung, beispielsweise neuartige Kommunikationsformen und -strategien und hierüber neue Deutungssysteme von Selbst und Welt erprobt, bearbeitet und beglaubigt ebenso wie verworfen werden können. Zweitens konkretisiert Goodman fünf grundsätzliche Modi, über die sich der Prozess der Hervorbringung neuer Weltversionen vollziehen kann: »Komposition und Dekomposition« (ebd.: 20ff.), »Gewichtung« (ebd.: 23ff.) – d.h. die Akzentuierung bestimmter Elemente anderer Welten –, »Ordnen« (ebd.: 25ff.) – d.h. Welten, die sich durch ihre Entitäten und ihre Betonung vollkommen gleichen, können aufgrund ihrer Ordnung verschieden sein –, »Tilgung und Ergänzung« von Elementen (ebd.: 27ff.) sowie schließlich »Deformation« oder »Umgestaltungen« (ebd.: 30). Der Anschluss dieser Bestimmungen liegt darin, Prozesse der Entstehung und Erprobung neuer (digitalisierter) Konstellationen von Körper, Medien und Selbst anhand der Modi der Welterzeugung systematisch

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untersuchen zu können. Hierdurch kommen diese Prozesse im Ansatz nicht als isolierte Vorgänge in den Blick, sondern können in Relation zu vorgängigen bzw. parallel existierenden Welten perspektiviert werden. Weiterhin liegt der Gewinn darin, die Kontingenz und Potentialität solcher Prozesse erfassen zu können, die beispielweise allein aus spezifischen Verschiebungen von Gewichtungen einzelner Fragmente resultieren kann. Bezogen auf die Digitalisierung von Praktiken wäre so danach zu fragen, wie sich etwa über die mobile Omnipräsenz von bildlichen Darstellungen (auf dem Smartphone, der Smartwatch etc.) oder über stets am Körper getragene Tracking-Geräte neuartige Beobachtungs- und Beschreibungsweisen und -systeme in (vormals nicht digitalisierte) Praktiken einspielen und wie hierüber spezifische Sinn- und Deutungssysteme in diesen Praktiken soziale Wirkmächtigkeit erlangen. Hierfür zeigt sich ein dritter Anschluss in Goodmans Gedanken einer doppelten Reorganisation, den er in nachfolgendem Zitat in Bezug auf metaphorische Übertragungen andeutet: »Die metaphorische Übertragung – wenn zum Beispiel Geschmacksprädikate auf Klänge angewandt werden – kann eine doppelte Reorganisation bewirken, indem sie sowohl den neuen Anwendungsbereich umsortiert als ihn auch zu dem alten in Beziehung setzt.« (Ebd.: 20)

Weitergeführt und auf soziale Praktiken bezogen, wird hier die Frage aufgeworfen, wie neue Spiele bzw. Weltversionen auf vorgängige Praktiken zurückwirken und diese reorganisieren. Diese Frage weitet den Blick dafür, dass nichtdigitalisierte Tätigkeitsfelder und neue Medienpraktiken, die fragmentarisch auseinander hervorgegangen sind, miteinander in Beziehung stehen. Hierbei ist diese Beziehung nicht als eine unidirektionale zu verstehen, die in einer (fragmentarischen) Bezugnahme der vorgängigen auf die neue Version besteht, sondern schließt prinzipiell den Gedanken einer Wechselbeziehung ein. Die neu geschaffenen Entitäten, Bündelungen an Gebrauchspraktiken und Gebrauchsstile wirken durch die neu hervorgebrachten Beschreibungs- und Deutungssysteme auf die parallel existierenden (vorgängigen) Welten zurück. Fragen der (empirischen) Rekonstruktion von neuen körperbezogen-medialen Welten werfen somit immer auch Fragen nach (Rück-)Bezüglichkeiten zu anderen Weltversionen auf. Dieser Anschluss lässt sich gewinnbringend an unseren eigenen Untersuchungen zum Self-Tracking verdeutlichen (vgl. Rode 2018a, 2018b; Rode/Stern 2017): Neuartige Beschreibungs- und Deutungssysteme von körperlichleiblichen Befindlichkeiten, wie sie im Rahmen des Self-Trackings zahlenmäßig hervorgebracht werden (sollen), treten einem praktischen Sinn (vgl. Bourdieu

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1993) beispielsweise über den Bewegungsumfang des Tages, den eigenen Stresszustand zu einem gegebenen Zeitpunkt des Tages oder die Qualität des Schlafes der letzten Nacht usw. nicht einfach an die Seite, als zwei parallel existierende Modi der Beschreibung und Deutung von Bewegung, Stress oder Schlafqualität. Vielmehr zeigen die Untersuchungen (ebenso auch Kappler/Noji/Vormbusch in diesem Band), dass die neuen digitalen Beschreibungssysteme in Konkurrenz zu bereits inkorporierten (leiblichen) Deutungssystemen treten und soziale Wirkmächtigkeit erlangen können. Dabei zeigen die von uns untersuchten Personen beispielsweise deutliche Anzeichen von Reorganisationen habitualisierter Deutungsmuster. Außerdem zeigen sich im Rahmen von nicht selten erheblicher Abwehr bis hin zu Distanzierungsprozessen starke Tendenzen einer sozial-räumlichen Ausweitung der neu gewonnenen (digitalen) Beschreibungs- und Deutungssysteme: So werden beispielsweise fest etablierte Raumlogiken (Wege zur Arbeit, zur Universität) und Zeitlogiken (Fahrten mit dem Auto, Bus/Bahn, Fahrrad respektive der Zeiten, zu denen man aufstehen bzw. aufbrechen muss) von den Möglichkeiten des neuen Beschreibungssystems des Armbandes (der App) erfasst, neu perspektiviert und im Sinne einer potentiellen accountability neu gedeutet: früher aufstehen und aufbrechen, um bestimmte Raumwege zu Fuß statt mit dem Bus oder mit dem Fahrrad statt dem Auto zu bewältigen und damit in der Logik der Vermessung – wenn auch mitunter nur experimentell und spielerisch – accountable werden zu lassen. Sich in den von uns betrachteten neuen körperbezogen-medialen Spielen spielerisch ins Spiel gesellschaftlicher Dynamiken zu bringen lässt sich im Anschluss an Goodman somit als praktische Aufgabe fassen, auf der Grundlage bestehender und zur Verfügung stehender Weltversionen immer wieder aufs Neue ›eigene‹ Versionen von Welt unter Einbezug relevanter Dynamiken – hier digitaler Möglichkeiten und Potentialitäten – zu erproben. Dies bedeutet für unsere Forschungsprogrammatik, die wir als Fluchtpunkt für die Beiträge dieses Buches umreißen wollen und die wir bereits praxistheoretisch konturiert haben, dass sich Fragen der Perspektivierung neuer Konstellationen und ›ihrer‹ Dynamiken von Körper, Medien und Selbst nicht auf einzelne, (vermeintlich) klar umrissene Praktiken beschränken lassen, sondern vielmehr weitreichende Fragen nach möglichen Konkurrenzen, Interferenzen und sozial-räumlichen Ausweitungen neu entstehender Beschreibungs- und Deutungssystemen mit sich bringen.

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Es bleibt nun die Frage, welche Konsequenzen die von uns skizzierte Forschungsperspektive für die Betrachtung von ›Körper‹, ›Medien‹ und ›Selbst‹ hat. In sozialwissenschaftlichen Betrachtungsweisen wurden Entwicklungen der Digitalisierung und des Aufkommens neuer körperbezogen-medialer Praktiken verschiedentlich als Hybridbilder gefasst, etwa von Cyborgs (Haraway 2013), Zahlenkörpern (Zillien/Fröhlich/Dötsch 2015) oder vernetzten Selbsten (Turkle 2008). Bei allen Unterschieden ist vielen solcher Bilder und ihren Konzepten die Stoßrichtung gemein, traditionelle Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Mensch bzw. Subjekt und Technik bzw. Medien in Frage zu stellen und verstärkt an Fragen der Körperlichkeit sozialer Prozesse anzuschließen (zu Letzterem vgl. Gugutzer 2006). Wir folgen dieser Stoßrichtung und formulieren im Weiteren einige kritische Befragungen, die aus der von uns veranschlagten ›Konstellationen-Perspektive‹ bedeutsam erscheinen. Wenden wir uns dafür zunächst ›dem‹ Körper zu und der eingangs angesprochenen These, dass in unserer (post-)modernen, zunehmend digitalisierten Gesellschaft eine Körperaufwertung zugleich mit einer Körperdistanzierung einhergeht (vgl. Bette 2005). Für neue körperbezogene Medienpraktiken wie das Self-Tracking werden in diesem Zusammenhang auch Tendenzen zur Entkörperlichung, Verdinglichung des Körpers und Verdrängung von Leiblichkeit konstatiert (vgl. Villa 2012; Zillien/Fröhlich/Dötsch 2015). Aus einer empirischen Perspektive, die Konstellationen von Körper, Medien und Selbst in den Blick nimmt, lassen sich diese diagnostizierten Tendenzen und Prozesse kritisch befragen und differenzierter bearbeiten: Unbestritten scheint, dass digitale Technologien aus vielen Lebensbereichen nicht mehr weg zu denken sind. Auch kann etwa am Beispiel des Self-Tracking aufgezeigt werden, dass schon mit der Entwicklung, dem Design und der Vermarktung der Geräte und Apps wie auch ihrer Nutzung und ihrer öffentlichen wie domänespezifischen Diskussion Praktiken und Diskurse einhergehen, in denen kognitivistische Ideale von Rationalisierung und Objektivierung aufleben und entsprechende Konzepte vom Körper als Objekt, Instrument und Input-/Output-Maschine hervorgebracht und perpetuiert werden (vgl. Lupton 2013; Viseu/Suchman 2010). Aus einer praxistheoretischen Perspektive käme es jedoch einem scholastischen Irrtum gleich (Bourdieu 2001), die Logik und die Modalitäten der Praxis auf diese Körperkonzepte und -ideale zu reduzieren oder sie mit ihnen gleichzusetzen: Untersuchungen zu mobilen Gesundheits-Apps oder zu Tinder weisen darauf hin, dass in den Interaktionen zwischen Personen und den, unter Berücksichtigung von ›Gamification‹Elementen designten Apps ebenso emotional-affektive Zustände mobilisiert

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werden (vgl. Oswald in diesem Band; Rich/Miah 2014). Empirische Studien zum Self-Tracking zeigen, dass mit den Vermessungspraktiken spezifische leibliche Achtsamkeiten, affektive Selbstbeziehungen sowie Spürfähigkeiten hervorgebracht werden (vgl. Kappler/Noji/Vormbusch in diesem Band; Pantzar/Ruckenstein 2014; Pritz 2016; Wiedemann 2016). Studien zu neuen Spielund Sportpraktiken zeigen, wie durch Involvierungen neuer Medien (Video, Photographie) eine spezifische »Arbeit am Selbst« vollzogen wird (Stern 2010: 185), die bis in die Formierung mikro-gestischer Details körperlicher Präsentationen einwirkt (siehe auch Stern in diesem Band). Auch können Untersuchungen zur Computerarbeit des Programmierens und des Finanzhandels aufzeigen, dass in diesen Praktiken der Körper auf eine spezifische Weise handlungsfähig gemacht wird (vgl. Laube 2016; Schmidt 2012: 99-129, 156-198): Raumgreifende, kraftbetonte und ganzkörperliche Bewegungen treten zurück zugunsten von auf die Bedienelemente (Tastatur, Kontroller), Bildschirme und Raumarrangements abgestimmten körperlichen und leiblichen Haltungen sowie Interaktionsweisen, die feinmotorisch isolierte Bewegungen und bestimmte Beobachtungs- und Wahrnehmungsmuster sowie Denkaktivitäten erst ermöglichen. Körper und Leib werden in digitalisierten Praktiken somit nicht einfach verdrängt oder gar datenförmig aufgelöst. Vielmehr verdeutlichen die Untersuchungen, dass Körper und Leib in den neuen Konstellationen auf spezifische Weisen involviert, diszipliniert, formiert und damit hervorgebracht werden. Wir wollen vor diesem Hintergrund eine Perspektive vorschlagen, in der sich soziale Praktiken und Prozesse der Identitätsentwicklung, Bildung und Subjektivierung im Sinne einer Körperlichkeit des Sozialen grundlegend (auch) im Medium von Körper und Leib vollziehen. In dieser Perspektive fordern und fördern die Konstellationen der ›neuen Spiele‹, die in diesem Band betrachtet werden, je spezifische Formen und Weisen des Körpergebrauchs und der leiblichen Involvierung, die prinzipiell methodisch beobachtbar sind.10 Damit erscheinen (General-)Diagnosen einer Entkörperlichung oder Leibverdrängung ebenso wie einer Körperaufwertung wenig zielführend. Vielmehr werden, zum einen, Fragen nach der präzisen Beschreibung der spezifischen Körperaufwertungen aufgeworfen,

10 Hierfür anschlussfähig spricht Gebauer (2009: 95ff.) vom »Umgangskörper« und Alkemeyer/Michaeler (2013) greifen dies praxistheoretisch auf, um zu betonen, dass der Körper in sozialen Praktiken immer nur als je spezifischer »Vollzugskörper« bzw. »Vollzugsleib« in Erscheinung tritt. Zum methodologischen Postulat der »Öffentlichkeit« von Praktiken, das besagt, dass Vollzugskörper/-leiber prinzipiell beobachtbar sind, vgl. Schmidt/Volbers (2011); zu Fragen der methodischen Herstellung von Beobachtbarkeit vgl. Scheffer (2002).

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die sich in bestimmten Konstellationen zeigen: Wie sind mit den neuartigen Konstellationen welche Prozesse der Inkorporierung verbunden, in denen z.B. bestimmte Körperhaltungen favorisiert werden, präzise und zergliederte Körperbewegungen ermöglicht werden, sich Personen auf bestimmte Wahrnehmungsmöglichkeiten sowie Affektregime einspielen und sie bespielen?11 Wie werden bestimmte Körper- und Selbstbilder körperlich-leiblich wirksam gemacht, angeeignet, aber auch unterlaufen und kritisiert?12 Zum anderen können aus dieser Perspektive Diagnosen einer Körper-/Leibverdrängung kritisch auf ihre impliziten Kontrastfolien und Perspektiven befragt werden, von denen aus auf die Körperlichkeit des Sozialen von neuen Medienpraktiken geschaut wird: Welches Verständnis beispielsweise von geistiger bzw. rationaler Arbeit qua entkörperlichter Tätigkeiten liegt diesen Perspektiven implizit oder explizit zugrunde? Welches Verständnis von Körper und körperlicher Tätigkeit wird in Anschlag gebracht, welche diskursiv zirkulierten Körperideale und -konzepte womöglich auf die Praxis übertragen? Welches Verständnis von Handlungsträgerschaft und impliziten/expliziten (Be-)Wertungen beispielsweise von Medien, Softwareprogrammen und Fragen der (fehlenden) Handlungsinitiative qua körperlicher und/oder geistiger Entscheidungs- und Wirkungsinstanzen bestimmen den Blick auf digitalisierte Praktiken? Die hier aufgeworfenen Fragen führen uns zu den Medien der neuen Konstellationen von Körper, Medien und Selbst. Die Medienwissenschaft kann an vielen Beispielen zeigen, dass das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, in bestimmten kulturellen Kontexten und/oder in einem bestimmten Feld denk-, sag- und machbar ist, immer nur in Bezug auf die jeweiligen Medientechnologien verstanden werden kann (für das Feld der Literatur vgl. Hiebel et al. 1999). Mit der Verbreitung digitaler Technologien in Arbeit, Bildungsinstitutionen, Sport und Freizeit scheinen sich nun zwei Medienverständnisse zu perpetuieren, die es aus unserer ›Konstellationen-Perspektive‹, d.h. aus der Sicht von relationalen, performativen, dezentrierten und konstituierenden Verflechtungen menschlicher und nicht-menschlicher Elemente, kritisch zu befragen gilt: Zum einen zeigt sich, besonders prägnant etwa in öffentlichen Debatten um ›Handysucht‹ oder Gefahren digitaler Medien wie »digitale Demenz« (Spitzer

11 Siehe zur Wischbewegung des Tinderns Oswald (in diesem Band), zu Spielräumen der Selbstgestaltung durch großmotorische Involvierung bei Wii-Sports Ferrin (2013). 12 Zu einer praxeologischen, die Körperlich-/Leiblichkeit des Sozialen zentral mitdenkenden Diskussion von Eigensinn, Subversion und Kritik vgl. Alkemeyer/Villa (2010), Alkemeyer/Buschmann/Michaeler (2015) (siehe auch weiter unten).

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2014), ein deterministisches Medienverständnis. Dieses geht von präformierten (gefahrenvollen) Beeinflussungen aus, die von den Medientechnologien ausgehend linear auf Menschen und ihre Körper einwirken. In diesem Verständnis ist das Bild eines passiven Subjekts enthalten, das die festgeschriebenen Strukturen und Modelle der Technik lediglich ausführt und in dieser Logik folgerichtig den entsprechenden Wirkungen gleichsam ausgeliefert zu sein scheint. Die Gegenvorstellung hierzu zeigt sich, zum anderen, etwa in Diskussionen um Medienkompetenz und Medienbildung (vgl. Moser/Grell/Niesyto 2011): Zumindest implizit wird hier mit Zielstellungen eines kundigen, vernünftigen und reflektierten Umgangs mit digitalen Technologien ein anderes Subjekt- bzw. Medienverständnis in Anschlag gebracht. In einem funktionalistischen Verständnis erscheinen Medien als Werkzeuge, die von einem souveränen Handlungssubjekt angewendet werden, das die eigenen ebenso wie die technisch-medialen Bedingungen durchblickt und sich überlegt zu ihnen verhält. Beiden Varianten ist gemein, dass sie Medien bzw. Technik und Selbst bzw. Subjekt als voneinander unabhängige, bereits gegebene Entitäten fassen und dabei soziale Dynamiken außer Acht lassen (vgl. Allert/Asmussen/Richter 2018: 14). Mit Blick auf die Körperlichkeit des Sozialen zeigt sich darüber hinaus, dass sie den Körper nur in seiner Funktion für die jeweils wirkende bzw. determinierende Instanz (das Medium oder das mentalistisch und autonom konzipierte Subjekt) betrachten. Die oben angeführten empirischen Beispiele regen hingegen dazu an, diese meist impliziten Setzungen kritisch zu hinterfragen. Denn sie können aufzeigen (oder zumindest andeuten), dass sich bestimmte Umgangsaufforderungen und -qualitäten von Medientechnologien ebenso wie bestimmte Umgangs- und HandlungsUn/Fähigkeiten von Menschen erst im praktischen Gebrauch verwirklichen, dass dieser Gebrauch offen für kreative Umdeutungen ebenso wie für Irritationen durch die technischen Dinge ist (vgl. auch Hörning 2001) und dass er das Ergebnis eines komplexen Wechselspiels unterschiedlichster Teilnehmer*innenschaften darstellt, das körperlich-leibliche Dynamiken konstitutiv mit einschließt. Um an diese Einsichten anschließen zu können, folgen wir in der hier vorgeschlagenen Forschungsperspektive einem ›konstellatorischen‹ Medienverständnis, das an performative und relationale Medienbegriffe anknüpft (vgl. Heider 2005; Krämer 2008; Münker 2008). Dieses Verständnis geht davon aus, dass die Konstellationen von Medien, Körper und Selbst von sozialen Spielen sich als bestimmte Formen des wechselseitigen praktischen Konstituierens und Konstituiert-Werdens von Medialitäten, Subjektivitäten und Körper-/Leiblichkeiten vollziehen. Damit stellen sich dann Fragen, die aus deterministischer oder funktionalistischer Sicht gar nicht zur Diskussion stehen: Wie werden Nicht/Passungen zwischen (qua Entwicklung und Design) spezifisch präfigurierten Medientech-

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nologien und den verkörperten Dispositionen menschlicher ›Mitspieler*innen‹ praktisch hergestellt? Welche Gebrauchsweisen, Ziele, Normen und emotionalaffektiven Kodierungen spielen sich ein? Welche Spannungs- und Spielräume bringt dies mit sich und wie werden diese genutzt? Wie richten sich im Zuge dessen Wahrnehmung, Gedanken, Aufmerksamkeiten und Deutungen auf bestimmte Weise aus und werden Menschen für sich und für andere als bestimmte Subjekte (an-)erkennbar? Und wie steht dies in Zusammenhang und Interferenz mit anderen Konstellationen?13 Mit der Diskussion der unterschiedlichen Medienverständnisse sind wir schließlich bei Fragen nach dem Selbst und dessen Subjektivierung und Bildung angelangt. Wir haben diese Fragen oben bereits im Anschluss an Bourdieu und an praxistheoretische Positionen in den Horizont einer verkörperten Spielfähigkeit in neuen Medienpraktiken gerückt, die in Konstellationen von Körper, Medien und Selbst performativ aus- und umgebildet wird. Mit Blick auf das Selbst gesprochen, lassen sich die beiden kritisch betrachteten Medienverständnisse (Primat der Medien oder des Subjekts) als Extrempositionen auffassen, die die unhintergehbare Ambivalenz der Aus- und Umbildung von Spielfähigkeit einseitig auflösen: Spielfähiges Subjekt zu sein bzw. fortwährend zu werden vollzieht sich als ambivalente Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Ermächtigung, von Geformt-Werden und Formen.14 Neuerdings erfolgt dies auch verstärkt in der verkörperten Auseinandersetzung mit digitalen Technologien: Im Resonanzverhältnis von habituell disponierten Teilnehmer*innen und präfigurierter Technik lässt diese Auseinandersetzung im Rahmen spezifischer Praktiken je bestimmte Appelle, Aufforderungen, Angebote und Möglichkeitsräume entstehen. Aus pädagogischer Sicht lassen sich vor diesem Hintergrund erstens Fragen nach dem Gegenstandsverständnis und den Inhaltsbereichen einer Förderung von Medienkompetenz aufwerfen, wie sie häufig für neue Medienpraktiken eingefordert wird. In der von uns konturierten Perspektive ist Medienkompetenz gerade nicht als Wissen und Können zu konzipieren, dass sich situationsenthoben von

13 Zu der These, dass der ›Siegeszug‹ der Digitalisierung auch damit zusammenhängt, dass sich die digitalen Technologien bei allem Neuigkeitswert und Innovationspotential doch erstaunlich ›geräuschlos‹ in etablierte Interaktionsregulative gesellschaftlicher Praktiken einfügen bzw. in entsprechenden Umgangsweisen auf diese Art eingefügt werden vgl. Aktas et al. (2018: insb. 197f.). 14 Der Subjektbegriff impliziert einerseits Souveränität, Selbstbestimmtheit und Handlungsmacht, andererseits sind Subjekte zugleich als subjectum mittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem bzw. einer Macht unterworfen.

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einzelnen Personen abfragen lässt. Vielmehr möchten wir Medienkompetenz als eine relational und performativ hervorgebrachte (Medien-)Spielfähigkeit in den Blick bringen, die als eine hoch dynamische und intermediale Figuration zu verstehen ist, die körperlich-leiblich, emotional-affektiv und soziotechnisch grundiert ist. Die soziale Wirkmächtigkeit einer solchen Spielfähigkeit versteht sich damit als de-zentrierte, in sozialen Figurationen hergestellte, erprobte und beglaubigte Gebrauchsform und -formierung. Hieran schließen zweitens Fragen der Medienbildung als Fragen nach reflexiven Distanznahmen und Kritik an. Das von uns veranschlagte Verständnis eines relational und performativ in Konstellationen von Körper, Medien und Selbst hervorgebrachten und eingebrachten Subjekts unterläuft klassische Konzepte der Reflexions- und Kritikfähigkeit eines autonomen Subjekts. Im praxistheoretischen und vereinzelt auch im medienpädagogischen Diskurs finden sich bereits Versuche, Eigenständigkeit, kritische Distanznahme, reflexives In-VerhältnisSetzen und kreative Abweichung entsprechend jenseits solch eines autonomen Handlungssubjekts zu konzipieren (vgl. z.B. Alkemeyer/Villa 2010; Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015; Dander 2018). Insbesondere in der Auseinandersetzung mit den neuen Medienpraktiken unserer Gesellschaft bleibt es jedoch die Aufgabe, solche Fähigkeiten und Momente theoretisch, empirisch sowie pädagogisch-programmatisch noch weiter innerhalb verteilt getragener, dynamischer soziotechnischer Verflechtungen zu situieren und zugleich kulturell und gesellschaftlich zu kontextualisieren. In den Beiträgen dieses Bandes finden sich unterschiedliche Versuche, solche Fragen mit Blick auf Konstellationen von Körper, Medien und Selbst zu bearbeiten.

Z UM AUFBAU

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Damit ziehen sich Körper, Medien und Selbst als zentrale Elemente zeitgenössischer Konstellationen durch alle Beiträge dieses Buches. Sie werden von den Beiträger*innen in der Auseinandersetzung mit konkreten Phänomenen, Feldern und Fällen unterschiedlich empirisch ausgedeutet, theoretisch wie method(olog)isch bestimmt und analytisch gewichtet, bleiben dabei im Sinne der Konstellationen aber immer aufeinander verwiesen. Die Beiträge sind in vier Kapiteln gebündelt, die sich an den thematischen Gewichtungen orientieren, die jeweils vorgenommen werden. Im Kapitel »Körper – Medien – Selbst« liegt der Schwerpunkt verstärkt auf dem Körper als Gegenstand, Medium und Agens der betrachteten Konstellationen. Martin Stern zeigt am Beispiel vom Trendsport, wie für eine scheinbar rein

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körperzentrierte Bewegungsform mediale Konstellationen konstitutiv sind, die nicht nur mediale Selbstinszenierungen erlauben, sondern ein hoch analytisches Potential entfalten, das als Arbeit am Selbst und reflexive Lehr-/Lernkultur beschrieben werden kann. Sascha Oswald wählt die Leiblichkeit von TinderUser*innen als Ausgangspunkt, um nach dem Verhältnis von technischem Artefakt, Umgangsweise und Selbst zu fragen, das sich im »Flow der Wisch-Geste« formiert. Auch im Beitrag von Karolina Eva Kappler, Eryk Noji und Uwe Vormbusch steht der Leib im Fokus, nun aber als Objekt von SelbstVermessungspraktiken, die aus der Perspektive der valuation studies als performative Prozesse der Wertzuschreibung untersucht werden. Der Buchteil »Körper – Medien – Selbst« besteht aus zwei Beiträgen, die noch stärker die Bedeutung der Medientechnologien in den jeweiligen Konstellationen herausarbeiten. Im Beitrag von Franz Krämer und Denise Klinge sind es Internet-Werbebilder zum Self-Tracking, die als Medien der Körperthematisierung untersucht werden und nach ihrer Bedeutung für Selbstkonstitution befragt werden. Gerrit Fröhlich und Daniel Kofahl widmen sich mit dem Tagebuch und Diet-Tracking-Apps einem historischen und einem gegenwärtigen Medienformat zur Ernährungsthematisierung und diskutieren diese Thematisierungen als medienbasierte Selbsttechnologien. »Körper – Medien – Selbst« ist das Kapitel, das Fragen der Selbst-Bildung und Subjektivierung noch weiter in den Mittelpunkt rückt. Daniel Rode arbeitet in einem integrativen Systematisierungsversuch Elemente, Zugänge und Leerstellen einer konsequent subjektivierungsanalytischen Erforschung von Konstellationen der digitalen Selbstvermessung heraus. Clarissa Schär setzt sich mit jugendlichen photographischen Selbstdarstellungen in sozialen Netzwerken auseinander und reflektiert reproduktive sowie subversive Subjektivierungsmöglichkeiten. Thomas Damberger fragt in der Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Vorstellungen von Selbsterkenntnis nach dem Selbst, das im Self-Tracking erfasst werden soll, und diskutiert entsprechende medienpädagogische Herausforderungen aus einer bildungsphilosophischen Perspektive. Der vierte und letzte Teil »Körper – Medien – Selbst: Method(ologi)en« nimmt schließlich noch einmal eine andere Perspektive ein, die methodologische und methodische Aspekte der Forschung zu zeitgenössischen Konstellationen von Körper, Medien und Selbst vertieft. Simon Schaupp entwickelt am Beispiel des Self-Tracking als Selbstevaluationspraktik den Vorschlag einer materialistischen Dispositivanalyse, die es ermöglicht, materielle sowie diskursive Aspekte digitaler Medientechnologien in den Blick zu nehmen. Der Beitrag von Benjamin Zander stellt am Beispiel eines Forschungsprojekts zu körper- und sportbezogenen Orientierungen von Jugendlichen methodische Überlegungen dazu an,

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wie Collagen und Selfies vor dem Hintergrund der Methodologie der Dokumentarischen Methode in Gruppendiskussionen zum Einsatz gebracht werden können.

D ANK Das vorliegende Buch ist das Resultat unterschiedlicher wissenschaftlicher Konstellationen, in denen verschiedene Körper, Medien und Selbste in Raum und Zeit konstituierend zueinander in Beziehung getreten sind. Ein erster und zentraler Ausgangspunkt war für die Mehrzahl der Beiträge eine Klausurtagung, die im Januar 2016 in Marburg stattfand. Diese wurde gefolgt von verschiedentlichen Wiedersehen auf anderen Tagungen, Mailkommunikation und einigen Überarbeitungsschleifen der Texte. Gerade im Angesicht der hohen Dynamik der untersuchten Phänomene muss dieser Prozess der Herausgabe des Bandes fast schleichend wirken. Wir bedanken uns bei der Marburg University Research Academy (MARA), dem Kuhlmann-Fonds und dem Arbeitsbereich Soziologie der Bewegung und des Sports für die finanzielle Unterstützung. Laura Stumpp sind wir zu großem Dank für die redaktionelle Arbeit verpflichtet. Ein weiterer Dank gilt dem transcript-Verlag für die professionelle Begleitung des Publikationsvorhabens. Schließlich bedanken wir uns bei den Autor*innen für ihr Mitwirken, für die fruchtbaren Diskussionen und den bereichernden Austausch, für die wechselseitige Schärfung der Gedanken und nicht zuletzt für die Geduld!

L ITERATUR Aktas, Ulas/Lehner, Nikolaus/Klemm, Matthias/Rode, Daniel/Schmidl, Alexander/Staples, Ronald/Waldmann, Maximilian/Wöhrle, Patrick (2018): »Leib & Netz: Neue Körperbezüge als theoretische Herausforderung – ein Forschungsprogramm«, in: Klemm/Staples, Leib und Netz. Sozialität zwischen Verkörperung und Virtualisierung, S. 177-189. Alkemeyer, Thomas/Buschmann, Niklas/Michaeler, Matthias (2015): »Kritik der Praxis. Plädoyer für eine subjektivierungstheoretische Erweiterung der Praxistheorien«, in: Thomas Alkemeyer/Volker Schürmann/Jörg Volbers (Hg.), Praxis denken. Konzepte und Kritik, Wiesbaden: Springer VS, S. 25-50.

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VON

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Körper – Medien – Selbst

Körper – Medien – Selbst in neuen Sportpraktiken M ARTIN S TERN

E INLEITUNG Blickt man auf die vielfältigen Erscheinungen des Sports unserer Gegenwartsgesellschaft, so zeigen sich wesentliche Anschlüsse an das Themenfeld der Konstellationen von Körper – Medien – Selbst: Dass der Körper eine wesentliche Instanz sportlichen Treibens ist, scheint evident und auch, dass Medien eine wesentliche Rolle im Sport spielen können, ist in erster Annäherung mit Blick auf das reichhaltige Angebot des Mediensports ebenso offensichtlich: Insbesondere mit Blick auf die großen traditionellen Sportarten (Fußball, Handball, Leichtathletik, Skispringen, Alpinski usw.) wird uns (saisonal) ein quasi flächendeckendes mediales Angebot unterbreitet, das von den Printmedien, über Online-Angebote bis zu regelmäßigen Fernsehübertragungen reicht. Dabei wird deutlich, dass wir durch die Involvierung von Medien mehr als nur ›live‹ dabei sein können: Die medialen Möglichkeiten bieten uns reichhaltige Angebote an Wiederholungen, Zeitlupen, Perspektivwechseln, Kommentierungen und Expert*innenrunden, in denen – in Echtzeit und direkt im Anschluss – wichtige Szenen (als solche) ausgemacht, aufbereitet und ausgedeutet werden. Zugleich aber macht uns manch verstört wirkende Reaktion von Trainer*innen und Spieler*innen in Gesprächsrunden auf etwas aufmerksam, dass grundlegend für unsere Fragestellung und ein Denken in Konstellationen ist: Die Beziehung zwischen den großen Massenmedien und sportlichen Praktiken tritt auf spezifische Weise, als (nach-) geordnete mediale Draufsicht in Erscheinung, die mit quasi objektiv anmutender

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Distanz Licht ins scheinbare Dunkel der körperlichen Vollzüge – ihrer Genialitäten und Verfehlungen – zu bringen erlaubt.1 Mediale (Nach-)Ordnungen sportlicher Praktiken greifen dabei insbesondere in die Beschreibungs- und Deutungshorizonte (vgl. Goodman 1990: 15, siehe auch Einleitung) der Zuschauer*innen ein: So sind wir als Medienzuschauer*in anders als im Stadion nicht auf eine Perspektive festgelegt (unseren Platz z.B. in der Fankurve), sondern bekommen mit den diversen Kameraperspektiven eine Multiperspektivität geboten, die im hohen Maße eine Objektivität suggeriert. Eine Perspektivierung aus Spieler*innen-Sicht aber, wie wir sie beispielsweise aus den Videos diverser informeller Trendsportarten durch die Head-Kamera kennen, liegt hier nicht vor: Draufsicht, Sicht von vorne, hinten und den Seiten erlauben es, uns in beliebiger Wiederholung und in Zeitlupe ein nahezu umfassendes Bild von einer Spielsituation zu machen; Laufwege aller involvierten Spieler*innen, potentielle Anspielstationen, Wege mit und ohne Ball einzelner Spieler*innen sowie potentielle Passwege und reale Ballverläufe werden in der Analyse mit farblichen Markierungen und Linien auf interaktiven Bildschirmen sichtbar gemacht. Der kontingente Raum einer Spielsituation wird in dieser Weise in seinen vielfältigen (vertanen) Möglichkeiten aufgezeigt und erlaubt es den Kommentator*innen und Zuschauer*innen gleichsam in logischer Konsequenz mit Spieler*innen, Schiedsgericht und Trainer*innen auf dem Platz – im Nachhinein und angesichts der (nun) offensichtlichen Alternativen – schonungslos ins Gericht zu gehen. Dieser mediale Zugriff appliziert mit diesem Beschreibungsund Deutungssystem eine (interpretative) Logik auf soziale Vollzüge des Sports, die sich in zeitlicher, räumlicher sowie multi-perspektivischer Weise grundlegend von den Möglichkeiten der Spieler*innen unterscheidet.2 Die Spielfähigkeit

1

Die neue Torlinientechnik oder Torkamera überwacht zwar das Spielfeld im Bereich der Torlinie in Echtzeit, fragt man hingegen nach dem Verhältnis von Torkamera und Spielgeschehen, so stellt die Torkamera Daten zur Verfügung, die erst in einem nachordnenden Zugriff durch das Schiedsgericht relevant gesetzt werden können und hierüber eine Gültigkeit – Tor zählt oder nicht – erlangen. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. wie diese technologischen Möglichkeiten (einmal flächendeckend eingeführt) das Verhalten der Spieler*innen im Sinne von Goodman (1990: 20, siehe Einleitung) reorganisiert (siehe Einleitung Rode/Stern und weiter unten in diesem Beitrag).

2

Zum scholastischen Irrtum einer logisch-rationalen Rekonstruktion sozialer Praktiken siehe Bourdieu (2001) und seine Ausführungen zur »Logik der Praxis« (ebd.: 182ff.). Rationalistisch-intentionalistische Perspektivierungen sozialer Praktiken verfehlen insofern ihren Untersuchungsgegenstand grundlegend, als dass gilt: »Die Logik der Pra-

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der Sportler*innen und Trainer*innen wird hier mit medial hervorgebrachten Differenzierungen und Apellen konfrontiert, die einer anderen Logik folgen, als die der praktisch ermöglichten und begrenzten Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit der Sportler*innen. Mit Blick auf das Thema des Bandes zeigt sich damit deutlich, dass der Siegeszug der Mediatisierung und Digitalisierung zwar auch vor den Feldern des Sports nicht halt macht, hierüber aber nicht zwingend Konstellationen von Spieler*innen und Medien in den Blick gerückt werden, sondern vom Primat der medialen und digitalen ›Draufsicht‹ ausgehend Praktiken und ihre Akteur*innen unidirektional perspektiviert werden. Im Anschluss an Goodmans Überlegungen zu den Weisen der Welterzeugung (1990) wird durch die mediale Organisation unserer Zuschauer*innenwahrnehmung ein Beschreibungssystem – z.B. des Fußball(-spiel-)s – hervorgebracht, dass parallel zur Spieler*innenwahrnehmung existiert und mithin zwei »Welten im Widerstreit« (ebd.: 141) aufgrund konfligierender Beschreibungs- respektive Deutungssysteme erzeugt.3 Im Medium körperlichleiblicher Vollzüge werden damit nicht per se bessere oder schlechtere Beschreibungs- und Deutungsmuster hervorgebracht und wirkmächtig, sondern schlicht andere als in und durch mediale Perspektivierungen. Dabei bleibt der mediale Zugriff auf eine sportliche Praxis dieser nicht einfach äußerlich, sondern das mediale »Erschaffen ist ein Umschaffen« (ebd.: 19): Das Beschreibungsund Deutungssystem, das durch die digitalen Möglichkeiten des (massen-) medialen Zugriffs hervorgebracht wird, erzeugt mit Goodman gesprochen eine neue Weltversion des Sports, die sich – so wurde bislang argumentiert – von der Version der Sportler*innen, die in den Vollzügen des Spielgeschehens involviert sind, grundlegend unterscheiden. Rückt man hingegen die Thematik der Konstellationen von Medien- und Sportpraktiken im Bereich informeller Körperkulturen in den Fokus, so werfen sich Fragen nach (neuen) Figurationen (vgl. Elias 1986) und daraus resultierenden (Wechsel-)Wirkungen auf. Über die bisherige Betonung von Differenzen zweier getrennter Logiken hinaus soll deshalb im Folgenden am Beispiel von

xis […] [ist logisch] bis zu jenem Punkt, an dem Logischsein nicht mehr praktisch wäre« (Bourdieu 1993: 101, 103 zit. n. Wacquant 1996: 44). 3

Gegen den Vorwurf der Beliebigkeit von Weltversionen führt Goodman (1990) das Kriterium der Richtigkeit (gegenüber dem der Wahrheit) ins Feld, das für zwei parallel existierende Weltversionen – hier einer Perspektive des praktischen Vollzugs und der medialen Organisation – auf zwei unterschiedliche Weisen anzuwenden ist (vgl. ebd.: 131ff.).

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Trendsportarten danach gefragt werden, wie eine Involvierung digitaler Medien im Sport neuartige Perspektiven, Beschreibungs-, Deutungs- und Wertungssysteme hervorbringen kann, die der sportlichen Praxis gerade nicht äußerlich bleiben, sondern in die Sportpraxis eingreifen und diese für alle Teilnehmer*innen neu (um-)schaffen.4 Im Folgenden werde ich vor diesem Hintergrund zeitgenössische informelle Spiel- und Sportkulturen in den Blick nehmen und zeigen, dass der Medieneinsatz ein konstitutiver Bestandteil dieser Praktiken ist und die Teilnehmer*innen dabei als Akteur*innen, Zuschauer*innen und Medienproduzent*innen in Personalunion auftreten. Dabei bleiben die medialen Perspektivierungen den Praktiken nicht äußerlich, sondern greifen in die Ausgestaltung und Formierung von Idealvorstellungen (ideelle Bewegungsbilder) sowie die Bewegungsbearbeitung bis in mikro-gestische Details der Körper- und Bewegungsorganisation ein. Hierüber werden Formen der Selbstpräsentation und sozialen Inszenierung der Akteur*innen geprägt, die in Form von stilistischen Details (Stil-Gesten) auch außerhalb sportlicher Kontexte sozial wirksam werden. Diese ästhetische Bearbeitung sportlicher Bewegungen und deren sozial-räumliche Ausweitung auf alltägliche Kontexte kann als eine ästhetische Reorganisation verstanden werden, die als eine doppelte Reorganisation nicht allein der sportlichen Praxis verhaftet bleibt, sondern im Sinne einer Situationen des Sports übergreifenden Arbeit am Selbst gedeutet wird.

M EDIENEINSATZ IN

INFORMELLEN

B EWEGUNGSKULTUREN

Betrachtet man informelle Sportpraktiken wie Skateboarding (vgl. Schweer 2014; Velten Schäfer 2015), Inlinehockey auf öffentlichen Plätzen (vgl. Gebauer et al. 2004) oder Snowboarding (vgl. Stern 2010), so zeigen sich umfangreiche und ausdifferenzierte Spielkulturen, die mit ihren vielfältigen Tricks und stilvol-

4

Damit soll nicht gesagt sein, dass insbesondere im Leistungssport nicht auch mediale und insbesondere die Möglichkeiten digitaler Perspektivierungen auf sportliche Wettkämpfe und Trainingssituationen genutzt werden, die sich in die Formierung sportlicher Spiel- und Handlungsfähigkeit einspielen. Zu solch digitalen Analyse- und Wissenspraktiken und deren subjektivierenden Effekten im Fußball vgl. Schmidt (2015) sowie Brümmer (2018). Empirisch beobachtet wurden mediale Konstellationen von Körper und Selbst im Rahmen von ethnographischen Untersuchungen im Bereich des informellen Sports, die ausführlich in Stern (2010) dargestellt sind und auf dessen Ergebnisse im Folgenden zurückgegriffen wird.

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len moves ein mithin spektakuläres und bis in die Details ausgearbeitetes Repertoire an Körpertechniken und Stilen aufweisen. Sie bilden dabei übergreifend ein Handlungsfeld, das sich durch ein mithin außerordentlich hohes Leistungsengagement auszeichnet und zugleich mit den Konventionen und traditionell vertrauten Strukturen allgemeinverbindlich und schriftlich fixierter Regeln und Normierungen, Ziele, Inhalte und Methoden bricht (vgl. Gebauer et al. 2004; Stern 2010). Komplementär zu den Strukturierungen und Orientierungen des traditionellen Sports weist der Trendsport – so die These – eine Bildpraxis auf (vgl. Stern 2010: 167ff.), die konstitutiver Bestandteil dieser Stilkulturen ist: Der digitale Medieneinsatz (Serienphotographie; Video) wird dabei den körperlichen Vollzügen weder aufgesetzt, im Sinne von zwei getrennten Praktiken, noch ist deren Verhältnis als ein nachgeordnetes oder unidirektionales zu verstehen. Vielmehr treten hier – anders als in Verhältnissen medialisierter Berichterstattung des Leistungssports – Teilnehmer*innen in Personalunion als Akteur*innen, Zuschauer*innen und Medienproduzent*innen auf. Die Analyse dieser Spiel- und Sportpraktiken ist damit insbesondere vor dem Hintergrund von Fragen nach Konstellationen von Körper – Medien – Subjektivierung gewinnbringend. So gehört beispielsweise der digitale Medieneinsatz in der Free-styleVariante des Snowboarding zum festen Bestandteil der Sportpraxis: Mithilfe von Smartphone, head-camera und kleinen Camcordern produzieren die Teilnehmer*innen selbst zahlreiche Serienphotographien und Videoaufnahmen von ihren sportlichen Aufführungen und Inszenierungen.5 Hierzu zeigt sich die raumzeitliche Logik vieler Trendsportarten in besonderer Weise als passfähig: Der Fokus liegt auf einzelnen spots (z.B. Sprungschanzen, Treppen, SlidingGeländer, Parkbänke, flache und glatte Mauern) und einem klaren Nacheinander, in dem jeweils nur ein Mitglied der Gruppe seinen move, Trick, Sprung usw. vollführt, während der Rest der Gruppe wartet, zuschaut und filmt. Der Trendsport weist mit dieser Organisationsform eine Betonung des Einzelnen in solitärer Dominanz der Aufführung auf, die durch ein wechselseitiges Stellen des Publikums sowie durch die gleichzeitige mediale Fokussierung sozial konturiert wird: Die soziale Gruppe der Snowboarder organisiert sich so wechselseitig ein

5

Die empirischen Beispiele beziehen sich insbesondere auf ethnographische Untersuchungen, die der Autor in den Feldern Snowboarding, Paragliding, Freeclimbing (2002-2007) sowie Basketball in der klassischen Vereinsvariante und kontrastiv dem informellen Streetball (2008-2009) im Rahmen von drei DFG-Teilprojekten durchgeführt hat.

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Handlungsfeld, in dem jede*r für jede*n zum*zur Performer*in, Zuschauer*in und Medienproduzent*in wird.6 Dabei weist die im Folgenden als Bildpraxis analysierte Involvierung von digitalen Medien eine Bedeutung für die Trendsportler*innen auf, die weit über Fragen einer hedonistischen Selbstbespiegelung hinausgehen. Die Videos und Serienphotographien werden direkt nach den Sprüngen oder im Nachhinein gesichtet und unter Gebrauch spezifischer Möglichkeiten der digitalen Medien (Smartphone, Tablet, Laptop) bearbeitet: So bilden beispielsweise Schnelllauf und Zeitlupe, Bild-für-Bild Vor- und Rücklauf, Standbilder und Ausschnittvergrößerungen wesentliche Gebrauchsformen, mit denen die komplexen und dynamischen Bewegungen digital perspektiviert werden. Im Modus dieser digitalen Bearbeitung werden die Bewegungen dabei nicht einfach ihres ephemeren Charakters enthoben, sondern der Flüchtigkeit des praktischen Vollzugs wird vielmehr eine mediale Perspektivierung an die Seite gestellt, die eine wesentliche Differenz markiert. Wie in der Einleitung bereits herausgestellt, impliziert der mediale Zugriff eine Neuperspektivierung, die auch hier einer spezifischen Logik folgt: So werden bereits beim Filmen Positionen gewählt, die überwiegend aus der Untersicht Bewegungen in ein spezifisches Bild setzen, das die solitäre Dominanz des*der Sportler*in betont und spektakulär aufwertet: Durch die gewählte Untersicht der Aufnahmeposition entstehen Bilder und Videoperspektiven, die den*die Sportler*in aus den unmittelbaren Referenzen der Umgebung herauslösen – beispielsweise ist bei Sprüngen der Abstand zum Boden nicht genau auszumachen – und die Position am höchsten Punkt des Sprungs in Form einer dadurch spektakulär wirkenden Pose betonen. Dieser Effekt wird durch die anschließende Bearbeitung von Screenshots und Ausschnittvergrößerungen zusätzlich gesteigert. Bedeutsam für die Frage nach den Konstellationen von Körper – Medien – Selbst ist zunächst die Sichtung und Bearbeitung der Aufnahmen, weil sich hierüber eine Neuformierung der Beschreibungs- und Deutungssysteme der Körperkulturen einspielt. Die mediale Neuperspektivierung legt dabei die Bewegungsausführungen schonungslos offen: Bis in die unbewussten Details der körperlichen Vollzüge und Bewegungsorganisation – Kopfhaltungen, Blickrichtungen, Armhaltungen sowie Hand- und Fingerpositionen bis hin zur Mimik – werden die im Vollzug hoch dynamischen und komplexen Bewegungsabfolgen für alle Teilnehmer*innen sichtbar gemacht und auf der Grundlage der digitalen Gebrauchspraktiken analytisch-sequentiell erschlossen. Dabei wird keineswegs nur

6

Dieses typische raum-zeitliche Arrangement lässt sich nicht nur beim Free-StyleSnowboarding beobachten, sondern ebenso beim Skateboarding, free-running uvm.

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auf besonders gut gelungene Aufführungen zurückgegriffen, sondern ebenso Aufnahmen von misslungenen oder eher zufälligen oder unerwartet gestörten Darbietungen einer Analyse unterzogen: In den Blick geraten so beispielsweise rudernde Armbewegungen in der Flugphase, um das Gleichgewicht zu behalten; ein unbewusst weit aufgerissener Mund beim Sprung; eine ungewollt starke horizontale Ganzkörperposition beim Sprung, die zu einer Bruchlandung führte; Versuche, mit einem stark in den Nacken gelegten Kopf die Rotation (erfolglos) zu verstärken; ein Abrutschen der Handfassung vom Board bei einem Drehsprung von der Schanze, bei der ein Arm in eine starke horizontale Streckung ging und der Unterkörper seine stark gehockte Position durch eine unkontrollierte Gegenstreckung auflöste. Diese und ähnliche Beispiele weisen darauf hin, dass wesentliche ästhetische Fluchtpunkte von Stilkulturen durch und in den körperlich-medialen Konstellationen besonders prägnant hervorgebracht und zugleich analytisch zugänglich werden und dadurch zur Quelle für innovative Impulse der ästhetischstilistischen Bearbeitung von Bewegungen und Tricks werden. Stile dieser Körperkulturen sind damit nicht in einem vorgefertigten Repertoire oder einem normativ eingerichteten ästhetischen Erwartungshorizont verortet, sondern als performative Größe an soziale Vollzüge gebunden, über die sich Stil immer auch körperlich-sinnlich, leiblich sowie medial grundiert. Dabei zeigt die Analyse der medialen Grundierung, dass gerade auch missglückte, misslungene und unbewusste Bewegungsausführungen zur innovativen Quelle der stilistisch-ästhetischen Formierung werden. So kann beispielsweise ein Sprung, der durch eine falsch eingeleitete Rotation vollkommen misslingt, ungeachtet der anschließenden Bruchlandung zu einem Referenzpunkt des Stils werden, weil durch die unwillkürlichen Ausgleichbewegungen des*der Sportler*in die Horizontale am höchsten Punkt des Sprungs extrem betont wird und hierüber ein unerwarteter – und für den anvisierten Sprung gänzlich untypischer – Effekt entsteht, der vom Kollektiv für stylisch erachtet wird.7 Anstatt einem Sieg-/Niederlage-Code oder einer Normativität des Gelungenen zu folgen, wird im Rahmen der Bildpraxis eine ganze Bandbreite der Kontingenz sozialer Praktiken analytisch in den Blick genommen und zum Referenzrahmen stilistischer Innovationen.

7

Ein wesentliches Merkmal des Trendsports besteht darin, die Vertikale als einen Spielraum zu erschließen (vgl. Stern 2010: 64ff.): Das Spiel in der Vertikalen wird dann stilistisch beispielsweise dadurch bearbeitet, dass am höchsten Punkt eines Sprungs die Horizontale betont wird, indem Körperhaltungen, Armstreckungen, Blickrichtungen u.ä. eine schwebende Position oder eine horizontale Bewegungsdynamik suggerieren, die in Ausschnittvergrößerungen effektvoll inszeniert werden.

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K ONTINGENZ VON P RAXIS

UND DIE

E RZEUGUNG

VON ACCOUNTABILITY Mit der medialen Neuperspektivierung wird ein hoch analytisches und auf Spektakularität von Bewegung(-sbildern) ausgerichtetes Beschreibungs- und Deutungssystem von Bewegungen (mit) hervorgebracht, das in einem zirkulären Prozess kollektiver Sichtung, Bearbeitung, Begutachtung und praktischer Erprobungen als feldspezifische Stilkompetenz ausgebildet und beglaubigt wird (vgl. Stern 2010: 167ff.).8 Bedeutsam ist dabei, dass die Möglichkeiten des medialen Beschreibungssystems eine Analytik aufweisen, die Sequenzierungen, Isolierungen und Betonungen erzeugen und ganz im Sinne von Weisen der Welterzeugung (Goodman 1990: 20ff.) ordnend, gewichtend, umgestaltend und komponierend in bestehende Praktiken eingreift. Ineins damit werden Sinngehalte und Bedeutungsreferenzen innovativ und kreativ dynamisiert, indem die Kontingenz von Praxis durch die Neuperspektivierung im Sinne einer potentiellen accountability neu gedeutet wird (vgl. Garfinkel 1967; Giessmann 2018: 97): Unbewusste, nicht intendierte und misslungene Aspekte sozialer Praktiken werden ebenso wie virtuose Vollzüge für die Logik der Stil-Orientierung erschlossen und spielerisch-experimentell als prinzipiell accountable entworfen und praktisch erprobt (vgl. Rode/Stern 2017: 238). Dies zeigt sich deutlich darin, dass der (ästhetische und semantische) Effekt einer Stillstellung der Bewegung im Medium des Bildes durch einen freezeeffect auch in der sportlichen Bewegung selbst gesucht wird: Mittels bestimmter Körperhaltungen und Posen sowie gestisch-ästhetischer Details wird ein spezifischer Ausdruck in der Bewegungsausführung gesucht, hervorgebracht und betont, der dem Ideal einer Bildlichkeit der Bewegung selbst folgt: z.B. die Betonung der Horizontalen am Umkehrpunkt eines Sprungs (Snowboarding), im Moment des Gleichgewichts schwebend in der Luft (Paragliding, Kite-Boarding, Kitesurfing) oder der*die einarmig am Überhang hängende Kletternde. Diese stilistischen Details der Bewegungsgestaltung erzeugen und beglaubigen die illusio einer Bildlichkeit der Bewegung selbst, indem hierüber eine Art Entrücken, eine Autonomie von Schwerkraft und Bewegungsdynamik, ein Enthoben-Sein der Person in den Aufführungen betont wird (vgl. Stern 2010: 174ff.).9

8

Zur theoretischen Fundierung von Beschreibungs- und Deutungssystemen als Modus der Erzeugung von Weltversionen siehe Goodman 1990: 14ff.; ausführlich bezogen auf Sportpraktiken und Medieneinsatz Stern 2010: 205-215.

9

Der Begriff illusio ist hier in einer Zweideutigkeit gewählt, die einerseits die Illusion von Bildlichkeit ausdrücken soll, die mit dem Eintritt ins Spiel (vgl. Caillois 1960: 27)

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Z IRKULÄRE P ROZESSE DER K ONSTELLATIONEN VON K ÖRPER – M EDIEN – S ELBST Die Analyseeinstellung, die mit dem Begriff der Konstellationen stark gemacht wurde, verdeutlicht, dass das neu formierte, mediale Beschreibungssystem dem handlungspraktischen Vollzugssystem nicht einfach an die Seite tritt, wie zwei getrennte und parallel existierende Systeme.10 Den Stil einer Aufführung beurteilen zu können, stellt sich für den*die Außenstehende*n gerade auch deshalb so schwierig dar, weil Stilkompetenz nicht allein eine praktische Kompetenz des eigenständigen Gestaltens von Bewegungen einschließt, sondern darüber hinaus eine mediale Analytik umfasst, die in und mit den Verflechtungen der beschriebenen Körper-Bild-Praxis ausgebildet wird. Die Bildpraxis bleibt damit – anders als beim eingangs herausgestellten Beispiel der Massenmedien – der sportlichen Bewegungspraxis nicht äußerlich, sondern greift grundlegend über die Formierung von stilistischen Idealvorstellungen – ideeller Bewegungsbilder (vgl. Stern 2010: 165) – in die Bewegungsbearbeitung ein: Die mediale Neuperspektivierung von (ganz-)körperlichen Haltungen und Posen, mikro-gestischen Details (Mimik, Blickrichtungen, Kopf-, Arm-, Handhaltungen usw.), Relationen von Körper und Umgebung sowie den damit verbundenen ästhetischen Effekten sowie ideellen Fluchtpunkten (spektakuläre Inszenierung einer solitären Dominanz der Person) provoziert eine bewusste suchende Körper- und Bewegungsorganisation, bei der die Analytik des medialen Beschreibungs- und Deutungssystems und die Logik der Bewegungsgestaltung körperlicher Vollzüge sich wechselseitig einspielen: Körpertechniken und Tricks werden in einem zirkulären Prozess der Bild- und Bewegungspraxis immer wieder aufs Neue erprobt, gestaltet, variiert und medial perspektiviert. So nähren sich die ideellen Fluchtpunkte dieser Sportpraktiken aus Semantiken der Schwerelosigkeit, des Fliegens, Schwebens und Gleitens sowie der Eroberung

dieser Konstellationen von Körper, Medien und Selbst hervorgebracht wird; und anderseits soll hierüber die Tiefe und soziale Wirkmächtigkeit der Neuformierung von Beschreibungs- und Deutungssystemen als Glauben an das Spiel (vgl. Bourdieu 1993: 126, 135) betont werden. 10 Referenzen eines handlungspraktischen Vollzugssystems sind hier mit Begriffen eines praktischen Sinns oder »praktischen Wissen« (vgl. Bourdieu 1993: 122) oder einem tacit knowing oder knowing-how gefasst (vgl. im Überblick Loenhoff 2012), die unter Rückgriff auf Bourdieu weitgehend als Fähigkeiten beschrieben werden, die im Rahmen einer stummen Pädagogik, von Körper zu Körper erworben werden (vgl. Bourdieu 2001; Hörning 2001: 23f.).

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der Vertikalen als Spielraum und werden in den spektakulären Bildern und Videos eindrucksvoll in Szene gesetzt. Der hier vorliegende zirkuläre Prozess verdeutlicht, dass die Konstellationen von Körper und Medien nicht unidirektional oder präskriptiv aus-/angelegt sind, sondern vielmehr als performative Konstellationen körperlich-sinnlich-medial konturierte und fundierte Beschreibungs- und Deutungssysteme hervorbringen, die sich auf beiden Ebenen, sowohl in den produzierten Bildern und Videoclips als auch in den Bewegungsgestaltungen und Inszenierungen, materialisieren und beglaubigen.

S PIELFÄHIGKEIT ALS S TILKOMPETENZ UND DER S UBJEKTIVIERUNG

M ODUS

Die Ausbildung von Spielfähigkeit in informellen Spiel- und Sportkulturen schließt grundlegend eine Stilkompetenz ein, die mit einer komplex angelegten Stil-Orientierung ein Leistungsparadigma aufweist, das die Person durch den Verzicht auf normative Rahmungen eines Sieg-/Niederlage-Codes gerade nicht weniger, sondern um so umfassender konturiert: Die Bearbeitung von mikrogestischen Details ebenso wie ganzkörperlichen Haltungen und Posen, die Formierung ästhetischer Ideale und stilistischer Kompetenz bilden ein komplexes, analytisches und reflexives Wahrnehmungs- und Deutungssystem aus, das sich in den Konstellationen von Körper – Medien – Selbst auch in charakteristischen Präsentations- und Inszenierungsstrategien der Akteur*innen zeigt und sozial beglaubigt. Stilkönnen ist damit nicht auf eine praktische Fähigkeit und Fertigkeit der ästhetisch-stilistischen Gestaltung von Bewegungen zu verengen, sondern schließt eine hoch analytische und zugleich kreative Beschreibungs- und Deutungskompetenz von Aufführungen und Inszenierungen ein, die Stil einschließlich stilistischer Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten umfasst. Fasst man das Verhältnis von Bewegungs- und Bildpraxis, wie oben argumentiert, weder als abbildend noch nachgeordnet oder normativ-präskriptiv eingerichtet, so geraten Prozesse der Medialisierung und Digitalisierung von Körperkulturen auch nicht als ein entkörperlichtes Add-on in den Blick, durch das die Sinnhorizonte vorgängiger Praktiken nur additiv ergänzt oder überformt werden. Vielmehr spielen sich mediale und digitale Gebrauchsformen als Bestandteil von Praktiken ein und setzen eine Dynamisierung in Gang, die die Möglichkeiten der Gebrauchsformen ebenso spielerisch-experimentell hervorbringen und erproben, wie dabei zugleich die Beschreibungs- und Deutungssys-

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teme und praktischen Aufführungs- und Inszenierungslogiken bis in die körperlichen Details der Bewegungsgestaltung umgearbeitet werden.11 Stil-Orientierung und Medialisierung bilden dabei performative Figurationen aus, in denen das Gelungene und die Perfektion und Virtuosität einer stilgetreuen Bewegung ebenso in den Blick genommen, beschrieben und ausgedeutet wird, wie ästhetische Potentiale des Scheiterns und des Zufälligen fokussiert werden. Die mediale Konstellation ist Bestandteil einer materiell-symbolischen Ordnung des Stils, innerhalb derer neuartige Differenzierungen, stilistisch-ästhetische Zuspitzungen, Ziele und Idealbilder wie Apelle wirken, die die Teilnehmer*innen adressieren und als Sinnhorizonte die praktische Aus- und Umarbeitung begleiten und (mit-)konstituieren. Die Spektakularität der Aufführungen und (medialen) Inszenierungen, die durch besonders waghalsig erscheinende und überraschende Tricks und Bewegungsbilder in den Vordergrund rücken, verschleiern für den*die außenstehende*n Betrachter*in diese intermedialen Konstellationen der Ausbildung von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit.12 Nimmt man diese Körperkulturen subjektivierungstheoretisch in den Blick, so eröffnen sich mit den Konstellationen von Köper, Medien und Selbst spezifische Angebotsräume für Subjektpositionen: Die praktisch-mediale und performativ konstituierte Umarbeitung und Neuformierung von Beschreibungs- und Deutungssystemen bringt ästhetisch-stilistische Weltversionen hervor, die mit ihren Adressierungen Prozesse der Subjektivierung dynamisieren. Sich spielerisch ins Spiel dieser Körperkulturen zu bringen bedeutet damit nicht einfach, sich für diese Offerten im Sinne vorgefasster Subjektpositionen zu öffnen und einzuarbeiten. Vielmehr macht uns die Perspektivierung von Konstellationen darauf aufmerksam, dass sich Prozesse der Subjektivierung nicht nachgeordnet vollziehen, sondern als performative Bestandteile einer aktiven Hervorbringung und (Mit-)Gestaltung von Körperkulturen (als Weltversionen) verstanden werden können.13 Denn Spielfähigkeit auszubilden bedeutet, Passungsverhältnisse in

11 Zur bildungstheoretischen Differenzierung von experimentellen und explorativen Modi der Weltaneignung siehe Ahrens (2011). 12 Vgl. zu einer praxistheoretischen Ausarbeitung von Konzepten wie Handlungsfähigkeit, Subjektivität und Subjekthaftigkeit die Arbeiten des Oldenburger Graduiertenkollegs Selbst-Bildungen, z.B. Alkemeyer/Buschmann/Michaeler (2015). 13 Dies zeigen auch Untersuchungen zum Self-Tracking, die Daniel Rode und ich im Rahmen von autoethnographischen Studien (Feldtagebüchern) angeleitet und empirisch begleitet haben (episodisch-narrative Interviews): Eine Reorganisation von Beschreibungs- und Deutungssystemen vollzieht sich dabei weder als ein abstrakter oder passiver, noch als ein einseitiger und präskriptiv von Medien gesteuerter Prozess.

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einem zirkulären Prozess einer Bild- und Körperpraxis zu erproben und zu bearbeiten, die eine hoch selbstreflexive und innovative Arbeit am Selbst, an Köpertechniken, Präsentationsstilen und -strategien sowie die Formierung und Inkorporierung ästhetisch-analytischer Beschreibungs- und Deutungssysteme umfassen.14 Dabei wird deutlich, dass Passung entsprechend als ein dynamisches Verhältnis verstanden werden muss, das sich gerade nicht einseitig auflösen lässt: Weder passt sich die Person allein an den vordefinierten Gebrauch von Medien an, noch unterliegen die medialen Gebrauchsformen einer determinierten oder determinierenden Intentionalität und Funktionalität durch die Teilnehmer*innen. Statt einer vorschnellen – immer auch terminologischen – Fest-Stellung von Praktiken erweist sich die Heuristik des Spiels sowie die Frage nach Konstellationen als gewinnbringend, weil hierüber Figurationen und »ihre generative Fähigkeit der Thematisierung und ihre Flexibilität und innere Dynamik« (Wrana 2019: 54) in den Blick geraten.15

ABSCHLIEßENDE B ETRACHTUNGEN : S ICH - SPIELERISCH - INS -S PIEL - BRINGEN IN K ONSTELLATIONEN VON K ÖRPER – M EDIEN – S ELBST Die Untersuchung hat gezeigt, dass Prozesse der Digitalisierung von Körperkulturen des Sports keineswegs mit einer Verdrängung oder Marginalisierung des Körpers einhergehen. Vielmehr verdeutlicht eine Perspektivierung der Konstellationen von Körper – Medien – Selbst, dass Medienpraktiken selbst (a) grundlegend körperlich-leiblich fundiert sind und sich (b) durch spezifische Orientie-

Vielmehr sind Prozesse der Reorganisation von Wahrnehmungsmustern respektive Deutungs- und Wertungssysteme als praktische und aktive Vollzüge angelegt, die sich in und als neuartige Konstellationen von Körper – Medien – Selbst realisieren und Alltagspraktiken und ihre Logiken transformieren (vgl. auch Rode/Stern 2017). 14 Zu Fragen der sozialen Passung im Sinne von Habitus und Habitat vgl. grundlegend Bourdieu (2015), im Rahmen von Spielkulturen Stern (2006) und von Arbeitsprozessen Schmidt (2012: 130-155). 15 Vgl. auch Wrana (2019: 54), der in seinen Überlegungen zu einer Genealogie der Subjektivierung auf die Produktivität der Untersuchungen von Konstellationen verweist und hierfür den Begriff der »Figur« gegenüber dem Begriff »Deutungsmuster« favorisiert, insofern das analytische Interesse der Untersuchung nicht auf das Musterhafte im Sinne von festgestellten Strukturen gerichtet ist, sondern mit der Figur vielmehr performative Qualitäten kontingenter Praktiken zu erfassen erlaubt.

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rungen und Möglichkeiten der Körper- und Selbstformierung auszeichnen. Die mediale Perspektivierung von Körperkulturen weist dabei (c) einen spielerischen und experimentellen Charakter auf, der (d) weder zur Seite eines deterministischen Verständnisses von medialen oder technologischen Gebrauchsformen aufzulösen ist, noch (e) zur Seite eines eindeutig gefassten und vorgängigen Subjektverständnisses, demzufolge der Medieneinsatz geplant und kontrolliert verläuft. Vielmehr eröffnen sich (f) erst innerhalb der Konstellationen performative Spielräume, in denen sich die Teilnehmer*innen in einem zirkulären Wechselspiel von Bild- und Bewegungspraxis entwerfen, erproben und beglaubigen. Die Reorganisation von Beschreibungs- und Deutungssystemen kann (g) als kollektiver Prozess verstanden werden, der sich zwischen allen Teilnehmer*innenschaften einspielt und der (h) die Kontingenz von Praktiken als dynamische Impulse der Formierung von (ideellen) Deutungs- und Wertungshorizonten fruchtbar macht. Die Dynamik eines sich spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft Bringens16 erwächst hier gerade aus der Kontingenz von Praktiken, die sich als kontingente Spielräume experimenteller Konstellationen der Bild- und Bewegungspraxis und ihrer zirkulären Verweisungszusammenhänge gezeigt hat. Diese dynamischen Konstellationen von Körper – Medien – Selbst lassen sich entsprechend nicht in einem funktionalistischen Verständnis von Medien oder einem ideellen souveränen Handlungssubjekt auflösen (vgl. Rode/Stern Einleitung). Vielmehr spielen sich erst im zirkulären Prozess von Bild- und Bewegungspraxis je spezifische Neuperspektivierungen und innovative Gestaltungen von Körpertechniken und Inszenierungsstrategien ein. Erst mit Blick auf die sich dabei ausbildenden Konstellationen zeigt sich also, dass sowohl die Umgangsaufforderungen und Gebrauchsqualitäten von Medien, als auch die Handlungsfähigkeiten, ideellen Erfahrungshorizonte und ästhetischen Orientierungen der Körper- und Bewegungsformierungen sich erst in einem sich wechselseitig dynamisierenden Gebrauch einspielen und konstituieren.17 Zwischen körperlichleiblichen Referenzen der Bewegungspraxis und medialer Neuperspektivierung entsteht gleichsam ein produktiver Spielraum des Scheiterns, der Irritation, der Überraschung, Erprobung und Entdeckung, in dem körperlich-leiblich grundlegend rückgebundene (Dis-)Resonanzen hervorgebracht und bearbeitet werden. Die körperlich-ästhetischen Aufführungen und die medialen Perspektivierungen bilden dabei hoch reflexive und zugleich praktische Konstellationen aus, in de-

16 Vgl. zu dieser grundsätzlichen Idee ausführlicher Stern (2010: 11-27). 17 Zu Anschlüssen an performative und relationale Medienbegriffe vgl. Heider (2005); Krämer (2008); Münker (2008).

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nen sich die Teilnehmer*innen für sich und wechselseitig als stilgetreue Subjekte (an-)erkennbar werden. Fragen nach dem Selbst und dessen Subjektivierung und Bildung können damit als Herausbildung von Spielfähigkeit konturiert werden, die das Selbst hoch reflexiv und komplex adressieren: Ein spielfähiges Subjekt zu sein bedeutet hier, sich bis in die unbewussten Details körperlicher Aufführungen hinein einer kollektiven und medialisierten Perspektivierung auszusetzen, Stilkompetenz auszubilden und innovativ auszugestalten, Körpertechniken ebenso wie Aufführungs- und Inszenierungsstrategien auszubilden. Die Logik der Praxis dieser Stilkulturen offeriert damit einen Angebotsraum an Subjektpositionen und zirkulär-dynamische Orte für Selbstentwürfe und eine Arbeit am Selbst. Dabei hat sich gezeigt, dass die Modi der Adressierung nicht in einer stummen Pädagogik (vgl. Bourdieu 2001) aufgehen, in der sich Prozesse der Subjektivierung vorwiegend körperpraktisch vollziehen und entsprechend auf einer epistemologischen Grundlage von implizitem Wissen (vgl. Loenhoff 2012) angelegt sind. Vielmehr zeigt die Perspektivierung von Körper-Medien-Selbst-Konstellationen, dass sich erstens hoch analytische und reflexive Dynamiken durch den Gebrauch von Medientechnologien einspielen und die Modalitäten der Sportpraxis konstitutiv grundieren. Dabei vollziehen sich Prozesse der Subjektivierung nicht allein körperlich-praktisch, sondern schließen zweitens medialisierte/medien-gestützte Bildlichkeit als reflexive Modalität einer Arbeit am Selbst ein. Und drittens zeigt sich Spielfähigkeit als eine ästhetisch orientierte Fähigkeit, die in ihrer analytischen Verfasstheit und ihrer stilistisch gerahmten dynamischen Kontingenz und Potentialität nicht nur als ein implizites, sondern ebenso als ein explizites Expert*innenwissen gefasst werden kann. Aus medien- und sportpädagogischer Sicht zeigt sich damit Medienkompetenz als eine relational und performativ hervorgebrachte (Medien-)Spielfähigkeit, die nicht allein soziale und körperlich-leibliche Prozesse ebenso wie emotional-affektive Bindungen einschließt, sondern insbesondere auch in ihrer Qualität einer reflexiven Arbeit und Herausbildung von Beschreibungs- und Deutungssystemen charakterisiert werden kann. Fragen der Medienkompetenz werfen über die Reorganisation von Wahrnehmungs- und Deutungssystemen auch Fragen nach transsituativen und feldübergreifenden Perspektiven auf, die im Sinne einer doppelten Reorganisation (vgl. Goodman 1990: 20) über die Felder der Körper-, Spiel- und Sportkulturen hinaus Alltagspraktiken auf Fragen homologer Dynamisierungen und Strukturierungen in den Blick nehmen: Dabei kann einerseits im engeren Sinne nach Konstellationen von Körper, Medien und Selbst gefragt werden und wie sich diese außerhalb der hier thematisierten Körperkulturen zeigen. Und anderseits kann der Blick auf typische Merkmale der

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Körperarbeit, der Aufführungslogik sowie Präsentations- und Inszenierungsstrategien anderer Praktiken und Felder gerichtet werden. Eine Reorganisation von Beschreibungs- und Deutungssystemen, wie sie hier im Rahmen von Spielkulturen und ihren Konstellationen von Körper, Medien und Selbst beschrieben wurden, materialisiert und beglaubigt sich immer auch in körperlichen Formierungen (z.B. Posen, Gesten), die im Sinne einer sozialräumlichen Ausweitung von Stilmerkmalen auch außerhalb des Sports sozial-distinktiv eingesetzt und sozial wirkmächtig werden können.18 Die Reflexivität dieser Konstellationen von Körper, Medien und Selbst ist darüber hinaus nicht vorschnell mit Fragen der Förderung reflexiver Distanznahmen und Kritikfähigkeit gleichzusetzen, wie sie im Kontext von Medienbildung aufgeworfen werden. Vielmehr verschärft sich die Forderung nach Medienbildung vor dem Hintergrund der hier dargelegt Ergebnisse dadurch, dass die Perspektivierung von Konstellationen uns gerade darauf aufmerksam macht, dass Konzepte der Reflexions- und Kritikfähigkeit eines autonomen Subjekts hier gerade nicht greifen, sondern von den kollektiven, performativen und relational-zirkulären Prozessen der Subjektivierung unterlaufen werden.19 Eine Arbeit am Selbst, wie sie mit den beschriebenen körperlich-leiblichen Dynamisierungen, ästhetischen Idealen, analytisch-reflexiven Beschreibungs- und Deutungssystemen, Aufführungs- und Inszenierungsstrategien und damit Offerten an Subjektpositionen vorliegt, erfolgt innerhalb eines – wenn auch dynamischen – Rahmens der Stil-Orientierung. Die dabei auszubildende Stil-Kompetenz zeigt sich zwar als eine komplexe Spielfähigkeit, stilistische Merkmale erfassen zu können, sie eigenständig körperlich-leiblich aufführen und (medial) inszenieren zu können usw., eine meta-reflexive Perspektivierung, die die eigenen Bedingungen und Voraussetzungen dieser Stil-Orientierungen und ihrer (medialen) Konstellationen befragt, liegt damit aber nicht notwendigerweise vor.

18 Zur theoretischen Konzeptualisierung einer sozialräumlichen Ausweitung von Stilmerkmalen des Sports auf andere Alltagspraktiken siehe Stern (2010: 182ff.: »Transfer der Bewegungsbilder«). 19 Zu Versuchen, kritische Distanznahme und Reflexivität anders als auf der Grundlage von Vorstellungen eines autonomen Handlungssubjekts zu fassen vgl. z.B. Alkemeyer/Villa 2010; Alkemeyer/Buschmann/Michaeler 2015; Dander 2018.

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Tinder und der Flow der Wischgeste Zur leiblichen Fundierung von Mensch-Technik-Interaktionen beim Online-Dating S ASCHA O SWALD

1. E INLEITUNG Im Fokus des vorliegenden Beitrags steht die Frage nach dem Verhältnis zwischen menschlichen Akteur*innen, Leiblichkeit und technischen Artefakten in digitalen Kommunikations- und Interaktionsprozessen. Das Ziel ist es, eine genauere Betrachtung und Einordnung der dialektischen, »reflexive[n] Beziehung zwischen Sozialität und Medien« (Einspänner-Pflock/Reichmann 2014: 53) vorzunehmen, indem die leibliche Verfasstheit des Menschen als dynamischer und eigenlogischer Faktor in die Analyse soziotechnischer Interaktionen miteinbezogen wird. Im Rückgriff auf Robert Gugutzers Forschungsprogrammatik einer neophänomenologischen »Soziologie am Leitfaden des Leibes« (2010) wird gefragt, ob und wie das Ineinandergreifen von Menschen und Technologien nicht nur theoretisch postuliert, sondern auch empirisch greifbar gemacht werden kann und welche Rolle dabei der Leib spielt. Ich werde meine Überlegungen hierzu am Beispiel der Online-Dating-App Tinder entfalten. In der Fallanalyse werde ich dabei zuerst den InvolvementCharakter und das Immersions-Potential der Dating-App darstellen. Ich werde diese allerdings nicht ausgehend von den Eigenschaften und Funktionen der App bestimmen, sondern in Bezug auf die leibphänomenalen Erlebnisqualitäten, die für die User*innen bei der Nutzung wahrnehmbar werden und ihr Handeln leiblich-sinnhaft strukturieren. Anschließend werde ich mich kurz mit dem Begriff der ›spürbaren Gewissheit‹ auseinandersetzen, um zu zeigen, dass unter Inkorporierung nicht nur die körperliche Einschreibung sozialer Strukturen, sondern

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auch die Entstehung eines leiblichen Spürsinns, also einer vorreflexiven, nichtsprachlichen Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz zu verstehen ist. Online-Dating-Apps wie Tinder stellen ein gesellschaftlich hochaktuelles Phänomen dar, das in der empirischen Forschung bislang kaum beachtet wird. Die Analyse des Immersions-Potentials und der Einleibung der App trägt zum einen zur ersten Erschließung dieses Gegenstands bei. Zum anderen werde ich zeigen, wie eine leibsoziologische Perspektive zur theoretischen und empirischen Erarbeitung digitalisierter Lebenswelten beitragen kann. Die Rekonstruktion der sich gegenseitig bedingenden und strukturierenden Impulse des leibfundierten Handelns von Menschen und der von Technologien ausgehenden Affordanzen erlaubt es schlussendlich, ein genaueres Bild von den Dynamiken zu entwerfen, die bei der Verschränkung und Wechselwirkung zwischen Mensch und Technik entstehen. In der Auseinandersetzung mit technischen Gerätschaften gehen Menschen Verbindungen zur Welt ein, die wiederum rückwirken auf ihre eigene Situiertheit. Im medialen Handeln und in medialen Praktiken vollziehen sich demnach Selbst- und Weltverhältnisse, die es gilt methodisch und sozialtheoretisch zu erfassen. Diese Verhältnisse können rein situativen und ephemeren Charakter haben, sich aber auch als dauerhafte Dispositionen und habituelle Einstellungen niederschlagen. Zu einer solchen Reichweite der untersuchten techno-medialen Interaktionen wird der Beitrag keine Aussagen machen. Stattdessen wird anhand des Fallbeispiels Tinder aufgezeigt, wie das Individuum in der Interaktion mit einem technischen Medium und durch »körperliche Betätigung buchstäblich angekickt, angestoßen, in eine bestimmte Richtung des Selbstbezugs bewegt wird« (Duttweiler 2003: 31).

2. O NLINE -D ATING

IM GESELLSCHAFTLICHEN UND WISSENSCHAFTLICHEN D ISKURS

Online-Dating erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Die Zahl der aktiven Nutzer*innen liegt in Deutschland momentan bei über 8,4 Millionen (Moucha/Wiechers/Pflitsch 2016) und die Tendenz zeigt steil nach oben. Die Branchen-Primi Parship, Elitepartner und Friendscout sind medial dauerpräsent und werben regelmäßig mit groß angelegten Kampagnen. Dating-Portale versprechen neue und gezielte Wege des Kennenlernens und des Verliebens und immer mehr Menschen lassen sich auf diese Angebote ein, um den*die Partner*in fürs Leben, eine romantische Beziehung oder unverbindliche Affären und sexuelle Abenteuer zu finden. Online-Partner*innenvermittlungen boomen und

T INDER UND DER FLOW

DER

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auch in Film, Fernsehen und auf Videoportalen wie YouTube wird das Thema Online-Dating immer öfter aufgegriffen. Trotz der zunehmenden Präsenz im Alltag und der größer werdenden Rolle, die Online-Dating bei der Entstehung von Beziehungen einnimmt,1 ist das wissenschaftliche Interesse daran bislang eher gering. Während Ratgeber für Online-Dating Hochkonjunktur haben und das Angebot auf dem Büchermarkt kaum mehr zu überblicken ist, erweist sich die wissenschaftliche Forschungsliteratur zum Thema als erstaunlich dünn und überschaubar. Dies gilt insbesondere für die qualitative Sozialforschung. Hier sind in erster Linie die Arbeiten von Eva Illouz, Jean-Claude Kaufmann, Julia Dombrowski und Kai Dröge zu nennen, deren Ergebnisse und theoretische Annäherung an das Thema hier in aller Kürze skizziert werden sollen. Illouz untersucht in ihren Arbeiten, welchen »Entwurf von Emotionen« die Computer-Technologie produziert (2006: 115). Diese führe, so ihre Konklusion, zum Niedergang der ehemals körperlichen Ebene der Partner*innenwahl, die nunmehr abgelöst würde von einer Vorstellung der Partner*innen »als Einheiten, die anhand hochgradig reflektierter Kriterien messbar und vergleichbar sind« (2011: 332). Illouz beschreibt Online-Dating vornehmlich als Technologie der Selbst- und Fremdthematisierung, welches die »Ontologisierung des Selbst«2 befördere (ebd.: 406ff.), »wählende Ichs« (ebd.: 330, sowie 2006: 120) hervorbringe und Liebe überhaupt neu kodiere: »Das Gefühl der Liebe wurde zunehmend mit Technologien durchsetzt, die die Aktivität des Vorstellungsvermögens freisetzten und zugleich kodifizierten, indem sie sie in eindeutige narrative Formeln gossen.« (2011: 336) Illouz, die ganz in der Traditionslinie der Kritischen Theorie steht, hält als Befund eine zunehmende Verdinglichung und Rationalisierung romantischer Beziehungen durch das Internet fest. Julia Dombrowski (2011) wiederum geht, in kritischer Auseinandersetzung mit Illouz’ Thesen, den Fragen nach, welche Rollen Emotionen beim Online-Dating spielen und welche kulturspezifischen Logiken des Begehrens dabei entstehen. Anhand qualitativer Interview-Analysen zeigt sie auf, dass diese Logiken keinen klassisch-rationalen Standards entsprechen, sondern stark gefühlsmäßig angeleitet sind. Emotionen stellen, so Dombrowski, ein »zentrales Element des Online-Dating« (Dombrowski 2011: 267) dar, an dem sich die Nutzer*innen bei der Part-

1

Laut einer europaweiten Studie der Oxford University aus dem Jahre 2011 lernten sich ein Drittel aller deutschen Paare im Netz kennen (Hogan/Dutton/Li 2011). Eine Studie der Seite singleboersen-vergleich.de hat ergeben, dass 2013 »16,4% aller Ehen zwischen Partnern geschlossen [wurden], die sich im Internet kennen gelernt haben« (Karch et al 2013: 4).

2

Gemeint ist damit ein statisches und naturalisiertes Selbstkonzept.

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ner*innenwahl orientieren. Jean-Claude Kaufmanns Studie, gleichfalls auf der Auswertung von qualitativen Interviews basierend, konzentriert sich auf den Gegenstand der ›realen Begegnung‹ nach dem Online-Kontakt und den damit einhergehenden Ritualen. Er stellt in diesen Bereichen eine zunehmende Unsicherheit und Fragilität fest und schlussfolgert daraus, dass das Individuum heutzutage »ständig zwischen zwei gegensätzlichen Modellen hin- und hergerissen [ist], die es entzweien« (2011: 171): dem prävalenten ökonomischen Modell des Kapitalismus und dem romantischen Ideal. Kai Dröge, dessen Studien den bislang differenziertesten Zugang bieten, kommt zu einem ähnlichen Schluss und leitet daraus die Figur des romantischen Unternehmers ab, welche im »umfassende[n] Prozess der Selbstbefragung« (2010: 91) im Online-Dating entstehe. Dröge untersucht in seinen Aufsätzen anhand von 25 qualitativen Interviews u.a. auch den »Prozess der Herausbildung von Intimität im Internet« (2013: 1). Während er Online-Dating an anderer Stelle noch als »Handlungs- und Interaktionsraum« (2010: 85) fasst, erklärt er die untersuchten Phänomene aber vor allem über die überindividuellen Strukturen des »Konsumismus« (2010: 90) oder der »nomischen Prozesse der Paarbildung«3 (2011). Dieser kurze Überblick macht bereits deutlich, dass die sozio-technischen Interaktionen, an denen die User*innen beim Online-Dating teilhaben, in der soziologischen Forschung insgesamt zu wenig Beachtung geschenkt wird. So verbleiben die eigentlichen Vorgänge, in denen sich die Handlungen, Motive und Wahrnehmungen der Nutzer*innen mit Kommunikations-Interfaces verquicken, größtenteils im Dunkeln. Das hat zur Folge, dass auch der Eigensinn der Nutzer*innen, ihre Aneignungskompetenzen sowie die technischen Artefakte als ›Mitspieler*innen‹ in den genannten Studien unterbelichtet bleiben. Die strukturalistischen Modelle verdecken letztlich das komplexe Wechselspiel von Mensch und Technik. Sie vermögen nicht zu zeigen, wie die User*innen online-daten, d.h.: wie sie sich präsentieren, wie sie miteinander kommunizieren, wie sie ihr Tun mit der Technik koordinieren und wie all das gedeutet und mit Sinn belegt wird. Daher müssen die bisherigen Forschungen, so erkenntnisreich sie aus den jeweiligen Perspektiven auch sein mögen, dringend um diese Dimensionen ergänzt werden. In der vorliegenden Studie soll ein erster Schritt hin zu einer solchen Perspektivenerweiterung unternommen werden, indem der Blick auf die konkrete Interaktion zwischen Mensch und Technik gelenkt wird. Um jenen Elementen und Dimensionen des Handelns, Wahrnehmens, Bewertens und Deu-

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Gemeint sind damit Akte und Praktiken gemeinsamer Wirklichkeitskonstruktion. Diese vollziehen sich nach Berger/Kellner vor allem in Gesprächen. Dröge greift das Argument auf und überträgt es auf Chats zwischen Online-Datenden.

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tens nachzuspüren, die beim Online-Dating für die User*innen relevant werden, wird dabei insbesondere der menschliche Leib – als unhintergehbare Bedingung menschlichen Daseins und Wirkens – auf seine konstitutive Rolle hin befragt werden.

3. T INDER : B ILDVERMITTELTE P ARTNER * INNENWAHL IM DIGITALEN R AUM Die Online-Dating-App zeichnet sich gegenüber klassischen Online-DatingPlattformen dadurch aus, dass sie nur für mobile Endgeräte wie Smartphones zur Verfügung steht und deren GPS-Ortungsfunktion nutzt, um so User*innen in der näheren Umgebung ausfindig zu machen.4 Tinder ist auf einige Minimalfunktionen beschränkt und erlaubt kein gezieltes Suchen. Es können lediglich die beiden Entdeckungspräferenzen Alter und geographische Nähe festgelegt werden. Die Selbstpräsentation findet ausschließlich über Bilder und einen auf 500 Zeichen begrenzten Info-Text statt. Um sich zu registrieren, muss das Profil mit einem aktiven Facebook- oder Instagram-Account verlinkt werden. Sofern vorhanden, werden den Nutzer*innen dann übereinstimmende Interessen und gemeinsame Freund*innen angezeigt. Die Partner*innenvorschläge, die von der App generiert werden, orientieren sich einzig an den eingestellten Präferenzen für Alter und Radius. Interesse kann bekundet werden, indem man das Profilbild eines*einer Nutzer*in mit einer Wisch-Geste nach rechts schiebt (Abb. 1). Mit einem Wisch nach links verschwindet das Personenprofil hingegen unwiderruflich aus dem Angebotspool (Abb. 2).

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Mit dem Aufkommen neuer mobiler Dating-Apps mehren sich Stimmen, die einer kategorischen Unterscheidung zwischen Online-Dating und Mobile-Dating das Wort reden.

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Abbildung 1: Rechtswisch

Abbildung 2: Linkswisch

Quelle Abbildungen 1 & 2: Tinder, anonymisiertes Userprofil

Hat man ein Profil per Wischgeste geliked, wird das der betreffenden Person erst mitgeteilt, wenn sie ebenfalls Interesse bekundet, also das eigene Profil auch nach rechts gewischt hat. Tinder verkündet dann ein Match und eröffnet den Profilen erst jetzt die Möglichkeit zur gegenseitigen Kontaktaufnahme. Im Gegensatz zu klassischen Online-Dating-Plattformen setzt sich Tinder also dadurch ab, dass 1) lediglich Bilder als Selektionsgrundlage dienen (sowie minimale Selbstangaben), 2) die Kontaktaufnahme erst nach einem gegenseitigen Match möglich wird und 3) die App auch kein gezieltes Suchen erlaubt, sondern Partner*innenvorschläge nach Umkreissuche generiert.5 Damit reiht sich Tinder in eine lange Liste neuer Medienpraktiken und -technologien ein, die einfache, schnelle, lokale und aktuale, sprich: dynamische und leicht in den Alltag integrierbare Kommunikation ermöglichen. Andere Beispiele hierfür sind Insta-

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Tinder ist eine sog. Freemium-App: die Hauptfunktionen der App können kostenfrei genutzt werden, daneben gibt es die Möglichkeit eines Plus-Accounts mit zusätzlichen Funktionen.

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gram, Snapchat, Jodel, aber auch genuine Game-Applikationen wie Pokémon Go oder Ingress. Dass Partner*innenwahl und Selbstpräsentation bei Tinder fast ausschließlich über das Medium Bild ablaufen, hat zur Folge, dass die User*innen sich also nicht wie auf den klassischen Seiten als »Bündel psychologischer und emotionaler Merkmale« (Illouz 2011: 324) entwerfen, indem sie »die eigenen Präferenzen der Partnerwahl detailliert explizieren und in die vorgegebenen Kriterien der Website übersetzen« (Dröge 2010: 91). Sie konstruieren sich auch kein »abstraktes Gegenüber« (ebd.) aus gesellschaftlich-normierten Symbolbeständen und Kategorien wie ›schlank‹, ›Fast Food‹, ›modisch‹ und ›Nicht-Raucher*in‹, sondern werden mit konkreten Abbildern von Körpern, Dingen und Umgebungen konfrontiert. Tinder war – neben dem für männliche homosexuelle User konzipierten GrindR (vgl. Liegl & Stempfhuber 2014) – die erste Online-Dating-Plattform, die mit derart ›begrenzten‹ Kommunikationsmodi operierte. Doch nicht nur die Konzentration auf Bilder deutet darauf hin, dass wir es bei Tinder nicht mit einem üblichen Online-Dating-Format zu tun haben. Auch der Werbe-Slogan der App legt dies nahe. Tinder sei, so das Selbstverständnis der Anbieter*innen, für »Friends, dates, relationships, and everything in between«6. Es stellt sich aus soziologischer Perspektive die Frage, wie die Nutzer*innen angesichts dieser kommunikativen Rahmenbedingungen und den ›uneindeutigen Gebrauchsanweisungen‹ ihre Interaktionen auf Tinder gestalten. Grob kann dabei unterschieden werden zwischen Interaktionen mit dem Smartphone bzw. dem App-Interface und Interaktionen mit konkreten Kontakten, die über die App hergestellt wurden. Ich werde in diesem Beitrag überwiegend die erstgenannte Form der Interaktion zwischen Mensch und App untersuchen und zeigen, wie die Nutzer*innen sich die Funktionalität der App samt ihrer Möglichkeiten und Beschränkungen aneignen und wie dabei Anwendungspraktiken emergieren. Offensichtlich wird daran, dass Medien nicht einfach schon ›da sind‹, sondern die entsprechenden Technologien erst in ihrem Gebrauch zu Medien werden. Sie übertragen nicht lediglich Informationen, sondern werden genutzt als »Sinngeneratoren […], um gemeinsam geteilte Bedeutungsgewebe zu fabrizieren« (Winter 2005: 152). Der vorliegende Beitrag nimmt also eine praxistheoretische Perspektive ein, indem er Mediennutzung als Vollzugswirklichkeit untersucht. Hierzu nehme ich insbesondere die Verbindungen von Körper, Leib und technischem Artefakt7 in den Blick, die

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Werbespruch auf der offiziellen Homepage: https://tinder.com/, Stand März 2016.

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Hierunter wird die Gesamtheit von mobilem End-Gerät, App, digitalen Bildern etc. gefasst, die es im Weiteren näher zu unterscheiden gilt.

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beim Gebrauch der App entstehen. Um diese Dimensionen zu identifizieren, ist der Gebrauch der App nicht nur als kognitive und rationale, sondern vor allem als verkörperlichte Praxis zu untersuchen. Dabei greife ich auf Robert Gugutzers Forschungsprogramm einer neophänomenologischen Soziologie zurück. Zuerst werde ich einige wesentliche theoretische Bezüge herausstellen, um dann eine entsprechende empirische Analyse vorzulegen.

4. L EIBPHÄNOMENOLOGISCHE P ERSPEKTIVEN Der body turn in der Soziologie steht für die anhaltende Konjunktur von Ansätzen, die den Körpern und der Körperlichkeit eine entscheidende Rolle bei der Konstitution sozialer Prozesse zuweisen. Im Vergleich zu Ansätzen, die auf den Menschen als Geistes- und Verstandeswesen fokussierten und davon ausgehend die Entstehung sozialer Welten über Prozesse der Reflexion, Rationalität, Sinngebung und Versprachlichung erklärten, betont die Körpersoziologie die Korporalität menschlichen Handelns. Dass das zunehmende Interesse am Körper die cartesianische Leitdifferenz von Körper und Geist dennoch nicht in Frage gestellt, sondern lediglich unter veränderten Vorzeichen erweitert hat, drückt sich exemplarisch in Michel Foucaults umgekehrter Formel von der Seele als Gefängnis des Körpers aus (Foucault 1994: 41f.). Obwohl Bestrebungen bestehen, über diese einfache Umkehrung der Kräfteverhältnisse innerhalb einer binären Matrix von Körper und Geist hinauszugehen, mangelt es den meisten Theorien an einer konsequenten Umsetzung. Gerade Bourdieus Begriff des Habitus ist als strukturierende Struktur zwar theoretisch im Sinne einer Überbrückung der Körper-Geist-Differenz8 angelegt, doch fokussiert Bourdieu selbst den Habitus oft nur in seiner Funktion als sozialer Transmissionsriemen und »als Ausdruck der sozialen Ungleichheit« (Hillebrandt 2014: 63), der sich bspw. in Bewegungsstilen und als Klassenkörper manifestiert (vgl. Bourdieu 2014). Damit stellt er vor allem »die von der Sozialität determinierten Aspekte des menschlichen Körpers in den Mittelpunkt« (Hillebrandt 2014: 63). Die agency und Autonomie des Körpers besteht so besehen hauptsächlich in einem Automatismus, der durch vorgängig ›eingeschliffene Routinen‹ hervorgebracht wird (vgl. Alkemeyer 2013: 40). Es bleibt uneindeutig, wo (und ob) die strukturierenden Kräfte des Habitus und damit auch des Körpers fernab einer einfachen Einschreibung des Sozialen zu finden sind.

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Zugleich soll darin auch das Akteure-Struktur-Problem der Sozialwissenschaften überwunden werden.

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Der Sportsoziologie Robert Gugutzer versucht im Rückgriff auf die Leibphilosophie Hermann Schmitz’, die angesprochenen Leitdifferenzen von Körper und Geist sowie Struktur und Handlung aufzubrechen, indem er den menschlichen Leib als neue Variable in den Prozess der (zwischen-)menschlichen Interaktion einführt. Für ihn stellt Interaktion im Medium der Leiblichkeit – ganz ähnlich wie der Habitus nach Bourdieu – das Scharnier zwischen Struktur und Handlung dar (2010: 173). Gugutzer erweitert dabei aber die Implikationen des Habitusbegriffs, indem er mit Schmitz ein Konzept und begriffliches Vokabular einführt, um die Dynamik und Sprache des »leiblichen Zwischens sozialer Praktiken« (ebd.) theoretisch und methodisch zu fassen. Menschen verstehen einander demnach nicht zwangsläufig erst nachträglich, indem sie reflexiv und rekonstruierend einer Handlung einen Sinn zuschreiben, sondern sie verstehen einander unmittelbar und in actu – nicht als Bewusstseins(bzw. Gedanken-)Leistung, sondern mit und durch den Leib selbst. Verstehen und Wissen sind demzufolge keine rein reflexiven, sondern zu großen Teilen leiblich-affektiv gebundene Prozesse. Fruchtbar für das Phänomen des OnlineDating ist insbesondere der Begriff der Einleibung, der es erlaubt, das Zusammenspiel von Technologie und Mensch als dialogisches Verhältnis neu zu denken. Einleibung ist nach Gugutzer »das leiblich-affektive Betroffensein von Situationen. Gerät man in eine Situation, die einen gefangen nimmt, die einen spürbar bewegt, fesselt, fasziniert, mitreißt, einem nahe geht, kurz: die eine suggestive Kraft ausübt, dann entsteht, wie Schmitz sagt, ›ad hoc ein übergreifender Leib‹. Kennzeichnend für diesen gemeinsamen, spontan übergreifenden Leib ist, dass er die Differenz von Wahrnehmungsobjekt und Wahrnehmungssubjekt zeitweise aufhebt. Der eigene Leib und die Körper der Umwelt verschmelzen zu einer spürbaren Ganzheit.« (2012: 59)

Der Verzicht auf ein strenges Kausalitätsprinzip macht es möglich, Beziehungen zwischen Mensch und Technologie anhand der subjektiven Erlebnisqualität einer Situation zu beschreiben. Es wird nicht nach der Ursache gefragt, sondern danach, welche spür- und wahrnehmbaren Wirkungen für die Nutzer*innen in der Verschränkung mit Smartphone und Dating-App entstehen. Der Spürsinn als theoretische Erweiterung des praktischen Sinns ist ein weiteres begriffliches Werkzeug, das sich insbesondere für die Analyse der Bildkommunikation auf Tinder als hilfreich erweist, wie ich noch zeigen werde. Durch den Spürsinn »erfolgt die Wahrnehmung der Situation und damit die Entscheidung dafür, welche Objekte und situativen Aspekte handlungsrelevant sind, ohne dass dies einen Reflexionsprozess voraussetzte, sondern im habituellen

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Vollzug der Praxis« (Gugutzer 2006: 4543). Das am Spürsinn orientierte Handeln »ist entsprechend selbst dann sinnvoll, wenn kein Sinn intendiert war, beziehungsweise ist zweckmäßig, ohne bewusst zweckgerichtet gewesen zu sein« und sorgt »für eine praktische Lösung der zu bewältigenden situativen Aufgabe« (ebd.). Gugutzer hat ein methodisch angeleitetes Forschungsprogramm zum Nachvollziehen von leibbasiertem Wissen und leiblicher Interaktion entworfen, das er dem Paradigma der interpretativen Sozialforschung zuordnet (Gugutzer 2012: 64). Methodisch geht es »der neophänomenologischen Soziologie auch (wenngleich nicht nur) um das alltägliche Verstehen subjektiv sinnhaften Handelns« (ebd.) auf der Basis des Leibs. Gugutzers Leibsoziologie fokussiert dabei auf den Leib als Agens, also primär auf die agency (Handlungsmächtigkeit) eigenleiblicher Regungen und zielt damit auf die Erfassung einer leibfundierten, unbewussten (oder vorbewussten) Intentionalität, die sich je nach Situation als sozialer Spürsinn, als affektives Betroffensein oder leibliches Verstehen beschreiben lässt. In der folgenden empirischen Analyse möchte ich ein an diesem Forschungsprogramm orientiertes methodisches Vorgehen exemplarisch demonstrieren und stütze mich dabei auf vier leitfadengestützte Interviews, die durch (auto-)ethnographische Beobachtungen bei der Anwendung der App ergänzt werden. Das interpretative Vorgehen auf Basis der Interviews rekonstruiert dabei jene eigenleiblichen Regungen, die von den Befragten als sinnhaft erlebt und in einen Erfahrungszusammenhang integriert wurden. In einem nächsten Schritt wurden die Interviewanalysen mit (auto-)ethnographischen Befunden trianguliert, um so ein differenzierteres Bild von den Assoziationen9 zwischen technischer Praxis, Leib und Artefakt zu erhalten.

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Bruno Latour versteht unter Assoziationen den Verbund von menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten, die an der Herstellung von Netzwerken beteiligt sind. Auch das ›Soziale‹ ist nach Latour keine übergeordnete Einheit, sondern Effekt der Assoziationen von Menschen und Dingen – gleich, ob es sich dabei um das Türe-Schließen, Flugzeug-Fliegen oder den Kapitalismus handelt (vgl. Latour 2007; Johnson 2006).

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5. F ALLANALYSE – D ER F LOW

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In der Rede vom Prozess der »Mediatisierung sozialer Welten« (Krotz/ Despotović/Kruse 2014) kommt bereits zum Ausdruck, dass zwischen einer Welt der Medien und einer Welt des Alltags nicht mehr klar unterschieden werden kann. Vielmehr stehen beide Ebenen in einem gegenseitigen Durchdringungsverhältnis. Dass dies nicht erst seit dem Aufkommen der digitalen Medien der Fall ist, zeigte u.a. bereits Angela Keppler (1994) in ihren Studien zu Tischgesprächen. Das Reden über Medien dient als thematischer Anknüpfungspunkt für phatische – also selbstzweckhafte – Kommunikation und Vergemeinschaftung. Was Keppler damals für das Fernsehen als Konversationsthema beschrieben hat, konnte sie erst kürzlich in ähnlicher Weise auch für den Einbezug von Smartphones in Alltagsgesprächen nachweisen (2013). Zugleich lässt sich feststellen, dass Menschen sich mit Handys, Smartphones und Diensten wie WhatsApp und anderen Messengern, im öffentlichen Raum – auf der Straße, bei der Arbeit, in der Universität – einen persönlichen »mobilen Nahraum« (Tischleder/Winkler 2001) schaffen. Analog hierzu zeigt Ruth Ayaß auf, dass Smartphones oftmals im Sinne eines involvement shields (vgl. Goffman 1963) gebraucht werden: indem man Tätigkeit und Beschäftigung demonstriert, schirmt man sich gegen die Umwelt ab (Ayaß 2014). Ayaß spricht in dieser Studie auch sog. Affordanzen, d.h. den Angebotscharakter von Smartphone oder Software an. Damit ist gemeint, dass der Aufbau, die Struktur und die Eigenschaften von Dingen und Technologien einen bestimmten Gebrauch nahelegen bzw. zu ganz bestimmten Handlungen anregen (Gibson 1982). Der Begriff des Angebots betont dabei – im Unterschied zum Begriff der Aufforderung – die Reziprozität des Verhältnisses von Nutzer*in und Technologie. Von beiden Seiten gehen Impulse aus, die im Zusammentreffen zu einem spezifischen Nutzungsverhältnis führen. Im Rahmen der neophänomenologischen Leibsoziologie würde man in einem solchen Fall von einer Einleibung sprechen. Einleibung meint hier die Interaktion zweier Entitäten10 – in diesem Fall von Dating-App und Dating-App-Nutzer*in –, wobei nur eine davon lebendig ist. Es geht darum, »dass die Art und Weise des eigenleiblichen Spürens von dem oder den Anderen geprägt wird« (Gugutzer 2010: 169f.). Es gilt zu beach-

10 Bruno Latour (vgl. Latour 2007) würde in diesem Fall von Aktanten sprechen, Stefan Hirschauer (2004) in einer kritischen Weiterführung Latours von Partizipanden. Beiden Konzeptionen gemeinsam ist der Versuch, Menschen, nicht-menschliche Lebewesen und Dinge bei der Konstitution von Entstehungszusammenhängen gleichermaßen in die Betrachtung miteinzubeziehen.

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ten, dass hier nur von Prägung und nicht von Bestimmung die Rede ist. Ich will am Beispiel von Tinder zeigen, was sich unter einer leiblichen Interaktion zwischen lebendigen Menschen und unbelebten Artefakten verstehen lässt. Öffnet man Tinder, so erscheint zuerst das Logo der App vor weißem Hintergrund und anschließend das eigene Profilbild in einem kreisrunden Ausschnitt. Um das Profilbild herum dehnen sich anschließend in kurzen Abständen rosarote konzentrische Kreise aus, die mit ihrer Ausdehnung an Farbkraft verlieren und schließlich verblassen. Unter dem Bild sehen wir die Textzeile »Suche nach Leuten in deiner Nähe läuft…«. (Abb. 3) Abbildung 3: Suche nach Leuten

Quelle: Tinder, anonymisiertes Userprofil

Der Startbildschirm erinnert an Visualisierungen von rhythmisch ausgestoßenen Ultraschallwellen – es entstehen also Assoziationen zu Vorgängen des Ortens, Aufspürens und Ausfindig-Machens. Das ist sicher nicht ganz ungewollt, stellt die App doch währenddessen per GPS den Standort des*der Nutzer*in und der

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anderen Nutzer*innen im Umkreis fest. Interessant ist nun, wie der ehemalige Tinder-User Andreas11 die ›Anrufung‹ durch die App beschreibt: Andreas: »Also es ist dann wirklich tatsächlich irgendwie weiß nicht wie son latenter Tinnitus der irgendwie die ganze Zeit da ist und der sagt so: ja jetzt tinder doch mal, tinder doch mal, schau doch mal, schau doch mal.«

Andreas rekurriert hier auf das chronische Krankheitsbild Tinnitus, das gekennzeichnet ist durch die Wahrnehmung permanenter und penetranter (pseudo-) auditiver Reize. Die rhythmisch pumpenden visuellen Schallwellen der App weisen eine interessante Parallele zum invasiven Charakter und der immer wieder anschwellenden und abklingenden Vehemenz des ›digitalen Tinnitus‹ auf, den Andreas wahrnimmt. Das beständige Entstehen und Vergehen von neuen Reizen kommt auch im Hinweis der App auf die »Suche nach neuen Leuten« zum Ausdruck. Dieser suggeriert mit jedem neuen Start der Applikation die Fortsetzung und prinzipielle Unabgeschlossenheit der Suche. Für Nadya ist genau diese Fortsetzbarkeit ein gewichtiger Motivator: Nadya: »Ja dieses Interesse halt. Also Interesse zu wissen was steckt hinter der nächsten Person, wer kommt jetzt so. […] Und das ist dann halt so, weiß nicht, man kann dann halt nicht aufhören, weil man Interesse hat, wie die anderen Personen aussehen, die da noch möglicherweise im Tinder Universum sind.«

Wenn Nadya hier ihr Interesse daran ausdrückt, was »hinter der nächsten Person steckt«, dann ist das nicht sprichwörtlich gemeint, sondern ganz im Wortsinn, wie ihr letzter Satz verdeutlicht: Sie möchte wissen, wie die nächste Person aussieht. Auch dieses ›Begehren‹ ist gewissermaßen in der Struktur der App angelegt: Man erhält nie gleichzeitig Zugriff auf alle angemeldeten Nutzer*innen im Umkreis, sondern kann diese nur im Modus des Nacheinanders einsehen. Erst wenn das aktuelle Profil bewertet (also geliked oder disliked) wurde, erscheint das nächste. Die Profil-Tableaus erinnern dabei an Spielkarten und unter der jeweils aktuellen Karte sieht man immer schon leicht angedeutet die Umrisse der nächsten drei Karten (Abb. 4).

11 Die Namen aller Personen wurden geändert.

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Abbildung 4: Verdeckte Spielkarten

Quelle: Tinder, anonymisiertes Userprofil (eig. Herv.)

Man kann auf Tinder also nicht nur Profile bzw. Personen ›entdecken‹, wie es auch im Options-Reiter »Entdeckungspräferenzen« expliziert wird, sondern muss diese ›aufdecken‹. Das Aufdecken von Karten steht wiederum in engem Verweisungskontext zu klassischen Kartenspielen wie Solitär oder Black Jack, die ebenfalls von der Neugier darauf leben, was sich unter bzw. hinter der nächsten Karte verbirgt. Aber nicht nur der Aufbau von Tinder erinnert an ein Spiel – auch die Wahrnehmung und das Erleben der Nutzer*innen weisen solche Analogien auf. Tina spricht sogar ganz dezidiert vom »Game Faktor«: Tina: »Ja also das ist einfach dieser Game-Faktor von Yes-No Yes-No, interessant, mehr wissen, No, einfach dass es so schnell ist und dass es halt auch ein Ende gibt. Also dass man Tinder quasi zu Ende spielen kann. Dass keiner mehr gefunden werden kann in seiner Umgebung, deswegen hat man immer irgendwie son Ziel quasi das zu erreichen. Bzw. dass man dann halt so swiped, das macht und gewinnen kann.« […] S.O.: Also ist das ein blödes Gefühl, wenn man am Ende ist? Ist der Match der Gewinn?

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Tina: »Also das was darüber hinausgeht, ein reales Treffen mit nem Menschen ist dann so. Und das kann dann wiederum dass das der Endgegner ist. Entweder es ist ein richtig beschissenes Date oder es ist richtig gut.«

Indem Tina hier die Möglichkeit des Verlierens und Gewinnens andeutet und scherzhaft ihr ›reales‹ Date zum Opponenten stilisiert, verweist sie auf einen gewissen Herausforderungsaspekt und Spielreiz, der von Tinder ausgeht. Dieser ist allerdings nicht explizit in der App angelegt, sondern beruht auf der Annahme, Ausdeutung und Aneignung der latent-ludischen Affordanzen durch die Nutzer*innen. Sarah, eine weitere Tinder-Userin, assoziiert nicht nur die App selbst, sondern auch den Nutzungskontext ganz konkret mit Handy-Spielen: Sarah: »Und dann ist es halt das Handy das in der Hand ist und dann, ich spiel halt auch einfach keine Handy-Spiele. Vielleicht spielen andere Leute Handyspiele. Ich war mal bei Candy Crush ziemlich gut und dann wurde mein Handy geklaut und dann musste ich wieder von vorne anfangen und das wollte ich nicht und seitdem spiele ich keine HandySpiele.«

Hier zeigt sich wieder der spezifische Angebots-Charakter von Smartphone und App. Ihre Nutzung ist weder völlig zufällig noch determiniert, sondern kontingent – in einem bestimmten Kontext wird ein spezifischer Gebrauch wahrscheinlicher als ein anderer. In Sarahs Fall ist ein solcher Kontext das Warten auf den Bus: Sarah: »Man wartet an der Bushaltestelle und der Bus kommt nicht und man kuckt einfach und dann steigt man in den Bus ein und dann packt man’s auch wieder weg. Also wie, naja, nicht so direkt Kommunikation wie z.B. WhatsApp oder irgendwie solche Messenger, sondern eher so, ich würd’s eher vergleichen mit, ich würd’s glaub ich sogar mit Instagram irgendwie vergleichen.«

Tinder ist, wie auch WhatsApp, Instagram oder Candy-Crush, eine Technologie, deren Nutzung sich in bestimmten Situationen anbietet. Dass Sarah die genannten Apps bzw. Plattformen als Vergleich heranzieht, macht deutlich, dass Tinder sich in der Wahrnehmung der Nutzer*innen und im Gebrauch als eine Mischung aus sozialem Netzwerk und Spiel herausstellt. Tinder wird aber nicht nur alleine genutzt, sondern auch im größeren Kreis als ›Partyspiel‹ oder dient einfach als thematischer Aufhänger in Alltagsgesprächen, kann also zum Fokus kommunikativer Vergemeinschaftung werden. Vieles deutet jedoch daraufhin, dass die

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App insbesondere in Situationen solitärer Langeweile und beim Überbrücken von Wartezeiten genutzt wird, eben dann, wenn man gerade ›nichts Besseres zu tun hat‹. Dass Tinder sich als Beschäftigungsmaßnahme und involvement shield bei der Darstellung höflicher Gleichgültigkeit im öffentlichen Raum anbietet, ist aber nur eine Seite der Medaille. Damit ist kaum zu erklären, weshalb sich die Befragten und andere Nutzer*innen bisweilen zwei Stunden und länger mit der App am Stück beschäftigen. Um Licht in diese Nutzungsspezifik zu bringen, hilft es, noch einmal auf den Aspekt des Spielerischen zurückzukommen. Von Huizinga (1987) über Caillois (1982) bis hin zu Popitz (1997) wird von den meisten Spiele-Theoretiker*innen vor allem die Freiwilligkeit als wichtigstes Merkmal von Spielen definiert. Es geht dabei vornehmlich um die Freiwilligkeit der Teilnahme, welche nicht gleichzusetzen ist mit Freiheit oder Zwanglosigkeit – im Gegenteil befällt den*die Spieler*in oftmals eine Art innerer Zwang, welcher die Verbindung von Spiel und Vergnügen geradezu konterkariert. Diese Elemente finden sich auch in den Aussagen der Interviewpartner*innen wieder, wenn bspw. wie oben gesehen, das tinnitusähnliche Zwangsmoment betont wird oder eine spürbare Unlust, die aber dennoch nicht zum ›Spielabbruch‹ führt.12 Spiele sind prinzipiell auch wiederholbar und stellen deswegen am Ende immer die Ausgangssituation wieder her. Die ›Mitspieler*innen‹ bei Tinder wechseln zwar ständig bzw. sind im Falle eines Dislikes unwiederbringlich ›ausgeschieden‹, doch gefühlt kann das Suchen und ›Entdecken‹ von Profilen unendlich fortgesetzt werden: Tina: »Wann immer man halt rumsaß und dachte: jetzt ist wieder ein bisschen Zeit, jetzt könnte auch was Neues passiert sein auf Tinder oder jetzt bin ich mal in einer neuen Stadt, dann macht Tinder mehr Spaß.«

Tina bringt hier zum Ausdruck, dass mit jedem Neustart der App die vage Hoffnung verbunden ist, ein neues Match erhalten zu haben oder auf neue Profile zu stoßen. Sollten sich tatsächlich einmal »keine neuen Leute in deiner Umgebung« (Abb. 5) befinden, gibt die App anhand der GPS-Visuals dennoch deutlich zu erkennen, dass die Suche nicht zu Ende ist und weiterhin beharrlich Ortungsversuche gestartet werden. Ein weiteres Merkmal von Spielen ist ihre autotelische und eigenlogische Struktur – Spielen ist ein prinzipiell irrationales, uninteressiertes und zweckent-

12 Andreas: »[…] Und irgendwann nervt das dann auch so.« Sarah: »Tinder ist lustig und unterhaltsam, aber auch anstrengend.«

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bundenes Tun (vgl. Huizinga 1987). Ein Muster, das sich über die einzelnen Interviews hinweg fand, war die wahrgenommene Diskrepanz zwischen der konsequenzlosen Ebene des Tinderns, das mit Gefühlen von Gleichgültigkeit und Gelassenheit einherging, und der Ebene des persönlichen Treffens, das oft von Unbehagen begleitet wurde und den Befragten ins Bewusstsein rief, dass sie es ja doch mit ›echten Menschen‹ zu tun hatten. Abbildung 5: Keine neuen Leute

Quelle: Tinder, anonymisiertes Userprofil

Tinder spannt einen selbstreferentiellen Raum auf, der keiner Nützlichkeitsökonomie, sondern seiner eigenen Logik gehorcht, die – wie Andreas in folgendem Zitat betont – in Anbetracht gängiger Orientierungshorizonte irrational, eben »absurd« wirkt. So beschreibt Andreas, wie beim Swipen (der englische Ausdruck für die Wischgesten) der Umgang mit Tinder nach und nach zum Selbstzweck wird und sich von äußeren Faktoren loslöst: Andreas: »Irgendwann wird es wirklich zu soner naja ich weiß nicht, dann swiped man oder tindert dann halt wirklich schon sehr oft, und dann geht’s halt gar nicht so um das ei-

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gentliche Ziel, mit irgendjemandem ins Bett zu gehen, sondern mehr um einfach nur des Tinderwillens. Also das ist schon irgendwie abSURD.«13

Andreas insinuiert in dieser Aussage Anreize, die vom Akt des Tinderns selbst ausgehen, die sich mit der Zeit immer stärker in den Vordergrund schieben und die letztlich alle extrinsischen Motive aufheben. Das Entstehen einer solchen intrinsischen Motivation ist für den Psychologen Csikszentmihalyi (vgl. 1991, 1993) insbesondere kennzeichnend für den sogenannten Flow-Zustand, in dem Menschen völlig in einer Tätigkeit aufgehen und diese als in sich selbst befriedigend erleben. Nadya nimmt sogar explizit Rekurs auf den Begriff des Flows, um daran ihre eigenen Erlebnisse mit der App zu veranschaulichen: Nadya: Am Anfang kuckt man sich das noch genauer an und irgendwann achtet man auf dem Bild auf drei vier Punkte, was weiß ich jetzt gerade, Haarfarbe, Augenfarbe, Gesicht allgemein und so, und dann wird man halt durch diese Routine immer schneller im Auswählen. Und dann sitzt man halt wirklich da: nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, ja. Also es gibt halt irgendwie glaub ich nichts mit dem man das vergleichen kann, diesen Flow. Es ist halt, wenn man was so routiniert macht, dann läuft’s halt irgendwie, dann wird man auch schneller.«

In diesem Zitat betont Nadya den immersiven Moment der Selbstvergessenheit, den sie beim Tindern empfindet. Sie beschreibt ein Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein, genauer: die Zusammenführung von Bewertungshandlung, Auswahlkriterien und sensorischem Input in einer einzigen kurzen Bewegung, der Wischgeste. Hier werden Wahrnehmungskompetenzen und -schemata beschrieben, die eben nicht mehr kognitiv verfügbar, sondern als leiblicher Spürsinn14 in die spontanen Handlungen eingelassen sind. Für Andreas hat dies zur Folge, dass zuvor scheinbar vorhandene Kriterien obsolet werden:

13 Durch den wiederholten Einsatz der Floskel »halt« wird auf eine Sprache des Ungefähren und Intuitiven zurückgegriffen. Dies kann als erstes Zeichen für die Selbstverständlichkeit und Vorreflexivität des Handelns gedeutet werden, welches von einer Begründungspflicht ausgenommen ist. 14 Der Spürsinn kann nach Gugutzer (2012: 62) durchaus gleichgesetzt werden mit Bourdieus sense practique, dem vorreflexiven Sinn für die Praxis, der auch automatische Körperreaktionen (vgl. Bourdieu 1987) – wie die oben beschriebene Wischgeste – anleitet. Auch Hillebrandt betont, dass die Begriffe Habitus und praktischer Sinn auf eine Weltsicht verweisen, »die als zuständliche Leiberfahrung verstanden werden muss, also nicht als kognitive Erfahrung missverstanden werden kann« (2014:88). Es

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Andreas: Genau, ab irgendeinem Zeitpunkt gabs GAR keine Kriterien mehr. Und davor einfach wirklich so, nach dem ersten intuitiven Gefühl oder so als würdest du irgendwie die Straße entlanglaufen, und diejenige würde dir entgegenkommen, und dann hast du auch sofort irgendwie n Gefühl dazu, positiv oder negativ. Und bist dann immer relativ schnell nachgegangen.«

Dass die Kriterien nicht inexistent, sondern lediglich kognitiv unzugänglich sind, wird deutlich wenn Andreas auf das vage »Gefühl« verweist, das nun anstelle der Reflexion handlungsleitend geworden ist und dem er »nachgeht«. Er bedient sich dabei eines Vergleichs mit der intuitiven Selbstverständlichkeit des wertenden Straßenblicks im Alltag. Das Handeln ist eben nicht wahllos und ungerichtet, sondern an einer »spürenden Orientierung zur Welt hin« (Gugutzer 2002: 117) ausgerichtet, die sich als spürbare Gewissheit15 bemerkbar macht. Auch für Tina ist in der Regel »klar«, wie sie selbst oder andere auf Tinder »rüberkommen«, auch wenn sie es nicht beschreiben kann: Tina: »Ja, man kann locker, entspannt, man kann aufgesetzt rüberkommen. Je nachdem was (3.0) Das ist voll schwierig zu beschreiben so du hast da die ganze Zeit so Bilder vor sich sieht, ist doch (1.5) KLAR für jemanden. Irgendwie.«

Während es bei Tina ein Gefühl der Stimmigkeit ist, das die ›Richtigkeit‹ ihrer Wahl fundiert, nutzt Nadya im folgenden Zitat die Metapher des inneren Aufschreis, um ein Gefühl der Unstimmigkeit in Worte zu fassen, das sie empfand, nachdem sie ein Profil aus Versehen negativ bewertet hatte: Nadya: »Das war halt so ein Innerliches Ne::::i::::n, irgendwie so: verdammt, den hätte ich jetzt schon gerne angekuckt.«

Das leibliche Verstehen der Bilder und die spürbare Gewissheit zeigen sich hier als Gefühl der Unstimmigkeit in der Wischbewegung. Das leibliche Betroffensein strukturiert die Handlung nicht affirmativ, sondern greift korrektiv in den

ist gerade die leiblich-affektive Dimension dieses vorreflexiven Wissens, die Gugutzer mit dem Begriff des Spürsinns hervorheben möchte und als Erweiterung des HabitusKonzepts einführt. 15 Unter spürbarer Gewissheit ist das leibliche Wissen darüber zu verstehen, »was für einen selbst richtig oder falsch ist« (Gugutzer 2012: 67). Dieses Wissen kann die Stimmigkeit von Tanzschritten betreffen (ebd.), aber auch die eigene geschlechtliche Identität als Selbstempfinden (Gugutzer 2002: 99ff.).

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Ablauf ein. Es signalisiert Nadya, dass der Wisch ›falsch‹ war, noch bevor sie genau sagen kann, warum – das ›Lesen‹ und Verstehen der Bilder fand auf einer vorsprachlichen und vorreflexiven Ebene statt und geriet gewissermaßen in Konflikt mit der motorischen Geste des Wischens. Folgt man Hirschauer, so »verschaffen Darstellungen [des Körpers ihrem Publikum; S.O.] ein explizites Wissen von sozialer Wirklichkeit, das […] nicht propositional, sondern visuell verfasst ist« (2004: 78). Es handelt sich um Wissen, das den Nutzer*innen nicht kognitiv zugänglich ist, das nicht verbal expliziert werden kann und das nur spürbar als im Leib, in den spontanen Bewegungen und in den Wahrnehmungen verankerte Gewissheit vorhanden ist.

6. (W ISCH -)G ESTE

UND

S ELBST

Was lässt sich nun also über die Geste des Wischens als Körpertechnik und die Konstitution von Selbstverhältnissen beim Tindern aussagen? Das Wischen ist rein deskriptiv als Geste der Objektmanipulation bzw. als »den Einsatz des Werkzeugs [hier: Smartphone; S.O.] bestimmende Geste« zu identifizieren (Gebauer/Wulf 1998: 107). Nach Wulf erzeugen Gesten »das Soziale, steuern die Kommunikation und Interaktion und bringen etwas in Erscheinung, was ohne sie nicht sichtbar würde« (Wulf 2011: 11). Dass Gesten ›in Erscheinung bringen‹ verweist auf zweierlei: einmal auf die intersubjektive Komponente von Gesten als Mittel körperlichen Ausdrucks und der Verständigung. Zugleich bringen Gesten aber auch die in und mit ihnen ausgedrückte Wirklichkeit erst hervor. Emotionen beispielsweise sind, wie Gebauer darstellt, kein rein innerliches Phänomen, sondern werden in körperlichen Ausdrucksformen (mit-)konstituiert. Dies gilt in gleicher Weise für leibliche Welt-und Selbstverhältnisse. Gesten sind »körperlicher Selbstausdruck« (Gebauer/Wulf 1998: 83) sowie ein Weg sich zur Welt ins Verhältnis zu setzen (vgl. ebd.: 108). Im Tindern veräußert und produziert sich so das Selbstverständnis eines wertenden Ichs: Zuerst wird die Wischgeste direkt verknüpft mit Bildern sich visuell selbstthematisierender Dating-›Kandidat*innen‹. Im Links- und Rechts-Wisch werden die Bilder dann gestisch-ikonisch bewertet und ›verortet‹, sie werden sortiert und abgelegt. Das Prinzip des ›Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen‹ wird durch die Geste verkörperlicht und verinnerlicht. So erweist sich das Einordnen durch Wischen als weitaus emphatischerer Akt als das Einordnen auf ›Knopfdruck‹: Alternativ zum Wischkonzept werden zwei Buttons, ein rotes X und ein grünes Häkchen, angeboten. Im Betätigen dieser Symbol-Tasten manifestiert sich ein wesentlich abgelösteres, reflexiveres Verhältnis zum Sortier-Vorgang. Der Fin-

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gerdruck auf das Symbol erfordert nur eine minimale taktile Verbindung und ist von eher zögernder als impulsiver Bewegungsgestalt. Das Wischen wiederum verbindet die Hand direkt mit dem Bild und erfordert eine zielgerichtete und energische Bewegung. In der Handbewegung als Körperhaltung manifestiert sich also eine partielle Haltung und Bewegung zur Welt und zum Selbst hin, die als intentional, wertend-sortierend und dezisiv (bestimmt, entschlossen) beschrieben werden kann. Diese Haltung wird im zunehmenden Gebrauch habitualisiert und eingeschliffen, wie aus den Interviews hervorgeht. In der Wischgeste kodifiziert sich zudem ein diffuses Wahrnehmungsprogramm, das Erwartungen, Interessen, Wünsche und Hoffnungen bündelt. AppInterface, Bilder, Wahrnehmung und Handbewegung verschränken sich mit der Zeit immer stärker und führen zum bereits ausgeführten Flow-Effekt. User*innen formen sich, d.h. ihre Präferenzen und (Passungs-)Wahrnehmung wie auch ihre Haltung dazu, in der Interaktion mit der App und bilden mit zunehmender Nutzungsdauer ein jeweiliges vorreflexives, verkörpertes Wissen darüber aus. Insofern die Hand in der Wisch-Geste also ›weiß, was man will‹ und zeigt, ›wie man ist‹ lässt sich von der Tinder als einer Technologie des Selbst (vgl. Reckwitz 2016: 75) sprechen. Dabei ist ersichtlich geworden, dass die Formung des Selbstbezugs nicht in freigewählten Bahnen erfolgt, sondern durch die materialen Interaktionspartner*innen mitstrukturiert ist und einer technisch bedingten Kontingenz und Eigengesetzlichkeit ausgesetzt ist.

7. T INDER – D IE G AMIFIZIERUNG

DES

O NLINE -D ATINGS ?

Da in der bisherigen Analyse überwiegend auf die Körperpraxis des Wischens und das leiblich-affektive Betroffensein der Nutzer*innen abgehoben wurde, soll an dieser Stelle abschließend noch auf einige weitere Strukturmerkmale der App eingegangen werden, die ihren Spielcharakter unterstreichen und es durchaus plausibel machen, Tinder sogar in den Bereich der Gamification zu rücken. Nach Nora Stampfl (2012: 27) zeichnen sich gamifizierte Anwendungen durch folgende Punkte aus: Sie geben schnelles Feedback, haben klare Ziele und Regeln, schaffen Anreize zum Mitmachen und bieten kurzfristig-fordernde, aber zu bewältigende Herausforderungen. All diese Punkte lassen sich mehr oder weniger stark ausgeprägt auch für die App Tinder feststellen: Die Wischgeste lädt zum einfachen Mitmachen ein und das Werten und Sortieren von Profilen stellt eine konkrete, wenngleich nicht sonderlich anspruchsvolle Herausforderung an die Nutzer*innen. Die Teilnahme an der primär bild-

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vermittelten Kommunikation setzt bei den Nutzer*innen zugleich ein bestimmtes Wahrnehmungs- und Deutungswissen voraus, dass diese im Umgang mit der Technologie und den Feedbackmechanismen weiterentwickeln und anpassen. Feedback und Bestätigung erhält man insbesondere im Modus des Matches, aber auch in den daraufhin möglichen Kontaktsituationen im Chat. Voraussetzung hierfür ist allerdings die aktive Beteiligung am Werten und Sortieren, was in letzter Konsequenz zu sich selbstverstärkenden Prozessen der Immersion führt.16 Neue Reize durch neue Profile, die Erfahrung des eigenen Ichs als wertendes, autonomes Subjekt, die Unsicherheit des Matchings sowie die relative Anonymität im digitalen Raum sorgen schließlich für ein Spiel-Erlebnis zwischen Angst und Langeweile sowie zwischen Überforderung und Unterforderung.17

8. F AZIT Die hier vorgestellten Ergebnisse verdeutlichen, dass der Gebrauch der App weit über die Nutzung als mobile Dating-Plattform hinausgeht. Die Wischgeste kodifiziert bestimmte Kriterien des Wertens und Sortierens von Personen und darüber hinaus die Haltung, mit der dies getan wird. User*innen üben eine soziale Wahrnehmung von Anderen wie auch von sich selbst ein, die einer impliziten Logik des spielerischen Bewertens und Vergleichens folgt. Insbesondere in ihrer ludischen Qualität erweist sich die Interaktion mit der App als sozialitätsstiftend: Die User*innen bringen »sich spielerisch ins Spiel einer sich wandelnden Gesellschaft« (Stern 2010: 21). Im Umgang mit der App formen sie ihr Selbst sowie ihre Haltung zu Welt und Mitmenschen. Nicht nur das Werten, sondern auch das Knüpfen persönlicher Kontakte nimmt dabei einen in erster Linie unverbindlichen, experimentellen sowie lust- und erlebnisorientierten Charakter an.

16 Alternativ ließe sich hierbei auch der goffmansche Begriff des engagements einsetzen, der »eine Art kognitiver und affektiver Versunkenheit« (1971: 44) bzw. den Grad des »Von-etwas-Gefangengenommen-Seins« (1980: 377) meint. 17 Gegen die Gamification-These würde hingegen sprechen, dass von Entwickler*innenseite keine konkreten Ziel-Vorgaben (bspw. in Form einer bestimmten Anzahl von Matches) gemacht werden und auch keine Kriterien für Erfolg oder Scheitern (für ›richtiges‹ oder ›falsches‹ Verhalten) existieren. (Hierin unterscheidet sich das Gamification-Konzept übrigens von einer allgemeinen Spielheuristik, nach der Ziele oder Regeln kein zwingendes Kriterium sind.) Das für Gamifizierung so eminent wichtige Entstehen und Greifen direkter Feedback-Schleifen ist dadurch eingeschränkt. Vielen Dank an René Basse für diesen Hinweis.

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Die Nutzung der Dating-App Tinder erweist sich dabei weder auf der diskursiven Ebene der Bildkommunikation noch auf der Ebene der Mensch-TechnikInteraktion als entkörperlichter Vorgang. Viel mehr zeigte sich, dass der menschliche Leib als primärer Ort sozialen Handelns auch in der Auseinandersetzung mit leblosen technischen Artefakten eine gewichtige und bislang von der Soziologie stark vernachlässigte Rolle spielt. Die Analyse leiblichen Sinnverstehens kann Bereiche erschließen, die sich bei der ausschließlichen Konzentration auf symbolische Sinnbezüge dem soziologischen Blick entziehen. Zugleich konnte festgestellt werden, dass von Tinder selbst bestimmte Affordanzen, d.h. Impulse ausgehen, die zum spielerischen Umgang mit der Dating-App animieren. Der Umgang weist Aspekte der Immersion, sprich des Aufgehens in der Tätigkeit und der Auflösung von Subjekt-Objekt-Grenzen auf. Die User*innen beschreiben Zustände des Flows, die kennzeichnend sind für Spielerlebnisse. Dieses ›Spielerische‹ vollzieht sich im Medium des Leibes. Es manifestiert sich sowohl als körperliche Praktik und als leibliche Regung. Ebenso ist der Vorgang des Wertens von Bildern nicht reflexiv gesteuert, sondern orientiert an spürbaren (Un-)Gewissheiten und Gefühlen der (Un-)Stimmigkeit. Anhand der exemplarischen Rekonstruktion des Umgangs mit der Dating-App Tinder und der leiblich-sinnhaften Einbettung der Tinder-Praxis in die Lebenswelt der Nutzer*innen, konnte so gezeigt werden, dass der reine Rekurs auf symbolischvermitteltes, reflexives Sinnverstehen ungenügend ist, um Mensch-TechnikInteraktionen erschöpfend zu beschreiben. Wie Robert Gugutzer betont, muss die Soziologie »insbesondere das alltägliche Sinnverstehen nicht als bewusstintentionalen Vorgang, sondern als leiblichen Prozess« (Gugutzer 2006: 4537) begreifen. Dabei ist aber noch einmal zu betonen, dass es sich hierbei nicht um ein Entweder-Oder, sondern um sich ergänzende empirische wie analytische Dimensionen handelt. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur der Mensch als rationaler und selbstreflexiver Akteur, sondern zugleich der Leib als vorreflexives Sinnmedium wie auch die Applikation selbst durch ihre Affordanzen eine strukturierende Rolle im Prozess der Konstitution von Selbstverhältnissen spielen. Besonders spannend für weitergehende Studien könnte die eingangs schon erwähnte Frage nach der Reichweite medialer Praktiken sein, sprich: die Frage, ob und inwieweit die in den konkreten Technik-Interaktionen eingeübten Selbst- und Weltverhältnisse sich darüber hinaus als mehr oder weniger stabile Alltagsdispositionen wiederfinden lassen. Inwieweit diffundiert bspw. die Haltung des intuitiven Wertens beim Tindern in alltagsweltliche Kontexte hinein? Dieser Beitrag versteht sich als Plädoyer für eine konsequente Perspektivenerweiterung der Soziologie nicht nur auf theoretischer, sondern auch auf empirischer Ebene, um den Verhältnis-

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sen von Körper, Medien und Selbst in seiner ganzen Komplexität gerecht zu werden.

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