Autorität und Macht in Nahua-Haushalten: Indigene Strukturen in Mexiko zwischen lokaler Politik, globaler Wirtschaft und Kosmos 9783839434642

This volume considers the dynamic internal power relations at the intersection of global, local and emic-cosmic fields o

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German Pages 468 [466] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Präambel
Schreibweisen des Nahuatls und des Nahuats
Verwendung von Unterstrichen und @
Sonstige Hinweise
I Einleitung
I.1 Ein weiter Weg…
I.2 Aufbau der Arbeit
II Theoriestränge: Globalisierung, Weltsystemtheorie, Haushalte, Peasants und häusliche Produktionsweise. Verflechtungen in der Weltwirtschaft, sich überschneidende (multiple) Identitäten und persohood/personing
II.1 Aktuelle Verflechtungen als Forschungsfeld der Anthropologie des späten 20. und des 21. Jahrhunderts
II.2 Was ist ein Haushalt?
II.3 Haushalte als Teil der Weltwirtschaft: Zugänge aus dem Umfeld der Kultur- und Sozialanthropologie
II.4 Prozesse (fortgesetzter) ursprünglicher Akkumulation
II.5 Von der oikonomia zur Ökonomie
II.6 Haushalte in der Weltwirtschaft: Einkommensformen und damit einhergehende Positionierung
II.7 Theoretische Grundlagen der Analyse: die notwendige Einbeziehung untergeordneter Weltbilder zur Entschlüsselung von alternativen Logiken und Handlungsweisen
III Forschungsstand zur indigenen Bevölkerung Cuetzalans Quellen, Methoden der Datenerhebung und Datenauswertung
III.1 Forschungsstand – Quellen zur indigenen Bevölkerung Cuetzalans
III.2 Feldforschungen – teilnehmende Beobachtungen
III.3 Auswertung und Datenanalyse
IV Mesoebene: Puebla/Cuetzalan/Tzinacapan im Schnittpunkt der nationalen und globalen Politik und Ökonomie
IV.1 Vorstellung der Region
IV.2 Von der Subsistenzproduktion über die Abhängigkeit von der Herstellung von Cash Crops für den Weltmarkt hin zur polyculture und pluriactivity cuetzaltekischer polybians
IV.3 Das politische System und seine Veränderungen
IV.4 Die mayordomía und rituell-religiöse Tänze als Ausdruck lokaler indigener Identität und ihre Kommerzialisierung im cuetzaltekisch-mestizischen „Anderen“
IV.5 Differenzmarkierungen und ihre Verschiebungen in der Gemeinde San Miguel Tzinacapan
V Mikroebene: Haushalte der maseualmej im Weltsystem – Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil I. Lokale Theorien, anthropologische Theorien und soziale Praktiken
V.1 Der Haushalt: „Die eines vollständigen Hauses“, ausgestattet mit Küche, Herd, Altar und Wohnraum
V.2 Die Bedeutung des Haushaltszyklus für personhood und Auswirkungen des sozialen Status eines Haushalts auf Größe und Zusammensetzung
V.3 Personhood und Autorität im Haushalt
V.4 Verwandtschaftliche und andere soziale Netzwerke
VI Haushalte der maseualmej im Weltsystem – Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil II Zugehörigkeiten, Solidaritäten und (weitere) Konflikte
VI.1 Auswirkungen kurzfristiger Transformationen der Haushaltszusammensetzung
VI.2 Auswirkungen langfristiger Transformationen der Haushaltszusammensetzung
VI.3 Zusammenfassung
VI.4 Der Umgang mit schweren, lang anhaltenden Krankheiten
VI.5 Der Umgang mit der ungewollten Schwangerschaft einer, noch im Haus ihrer Eltern lebenden, unverheirateten Tochter
VI.6 Der Umgang mit dem Tod von Haustieren als einem ökonomischen oder emotionalen Verlust
VI.7 Der Umgang mit Ernteausfällen und eventuell resultierenden hohen Kosten von Lebensmitteln
VI.8 Der Umgang mit Umweltkatastrophen im Gefolge von Hurrikans
VI.9 Sonstige Krisen
VI.10 Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen
VII Ein weiter Weg… Von den theoretischen Ausführungen zu Globalisierung und Haushalten im Weltsystem, hin zu Haushalten der maseualmej im Weltsystem und im Kosmos Ergebnisse, Reflexionen und theoretische Implikationen der innerhäuslichen Dynamiken von Macht und Autorität, im Schnittfeld divergierender Achsen der Differenz
Quellenverzeichnis
1. Verwendete Literatur
2. Nicht publizierte Abschlussarbeiten und Projektberichte
3. Internetressourcen
4. Sonstige Quellen
5. Gesprächspartner_innen (Feldnotizen)
6. Haushalte
Anhang
Hinweise zur Transkription der Interviews
Tabelle mit wichtigen politischen und anderen Ereignissen
Abkürzungsverzeichnis
Glossar
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Autorität und Macht in Nahua-Haushalten: Indigene Strukturen in Mexiko zwischen lokaler Politik, globaler Wirtschaft und Kosmos
 9783839434642

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Patricia Zuckerhut Autorität und Macht in Nahua-Haushalten

Patricia Zuckerhut ist Senior Lecturer am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Sie forscht u.a. zu Themen der feministischen Anthropologie, Mittelamerika, Haushaltsökonomien im Weltsystem und publizierte zu Gewalt und Geschlecht, Geschlechterbeziehungen in Lateinamerika, sowie zu Universität und freier Wissenschaft.

Patricia Zuckerhut

Autorität und Macht in Nahua-Haushalten Indigene Strukturen in Mexiko zwischen lokaler Politik, globaler Wirtschaft und Kosmos

Gefördert von der ARGE Wiener Ethnologinnen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Patricia Zuckerhut, San Miguel Tzinacapan, 2007 Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3464-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3464-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Präambel | 9

Schreibweisen des Nahuatls und des Nahuats | 9 Verwendung von Unterstrichen und @ | 9 Sonstige Hinweise | 10 I

Einleitung | 11

I.1 I.2

Ein weiter Weg… | 11 Aufbau der Arbeit | 18

II

Theoriestränge: Globalisierung, Weltsystemtheorie, Haushalte, Peasants und häusliche Produktionsweise Verflechtungen in der Weltwirtschaft, sich überschneidende (multiple) Identitäten und persohood/personing | 25

II.1 Aktuelle Verflechtungen als Forschungsfeld der Anthropologie des späten 20. und des 21. Jahrhunderts | 25 II.2 Was ist ein Haushalt? | 32 II.3 Haushalte als Teil der Weltwirtschaft: Zugänge aus dem Umfeld der Kultur- und Sozialanthropologie | 38 II.4 Prozesse (fortgesetzter) ursprünglicher Akkumulation | 56 II.5 Von der oikonomia zur Ökonomie | 60 II.6 Haushalte in der Weltwirtschaft: Einkommensformen und damit einhergehende Positionierung | 74 II.7 Theoretische Grundlagen der Analyse: die notwendige Einbeziehung untergeordneter Weltbilder zur Entschlüsselung von alternativen Logiken und Handlungsweisen | 79 III

Forschungsstand zur indigenen Bevölkerung Cuetzalans Quellen, Methoden der Datenerhebung und Datenauswertung | 89

III.1 Forschungsstand – Quellen zur indigenen Bevölkerung Cuetzalans | 90 III.2 Feldforschungen – teilnehmende Beobachtungen | 102 III.3 Auswertung und Datenanalyse | 120 IV

Mesoebene: Puebla/Cuetzalan/Tzinacapan im Schnittpunkt der nationalen und globalen Politik und Ökonomie | 125

IV.1 Vorstellung der Region | 125 IV.2 Von der Subsistenzproduktion über die Abhängigkeit von der Herstellung von Cash Crops für den Weltmarkt hin zur polyculture und pluriactivity cuetzaltekischer polybians | 128 IV.3 Das politische System und seine Veränderungen | 174 IV.4 Die mayordomía und rituell-religiöse Tänze als Ausdruck lokaler indigener Identität und ihre Kommerzialisierung im cuetzaltekisch-mestizischen „Anderen“ | 197

IV.5 Differenzmarkierungen und ihre Verschiebungen in der Gemeinde San Miguel Tzinacapan | 220 V

Mikroebene: Haushalte der maseualmej im Weltsystem – Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil I Lokale Theorien, anthropologische Theorien und soziale Praktiken | 229

V.1 Der Haushalt: „Die eines vollständigen Hauses“, ausgestattet mit Küche, Herd, Altar und Wohnraum | 229 V.2 Die Bedeutung des Haushaltszyklus für personhood und Auswirkungen des sozialen Status eines Haushalts auf Größe und Zusammensetzung | 248 V.3 Personhood und Autorität im Haushalt | 256 V.4 Verwandtschaftliche und andere soziale Netzwerke | 270 VI

Haushalte der maseualmej im Weltsystem – Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil II Zugehörigkeiten, Solidaritäten und (weitere) Konflikte | 287

VI.1 Auswirkungen kurzfristiger Transformationen der Haushaltszusammensetzung | 288 VI.2 Auswirkungen langfristiger Transformationen der Haushaltszusammensetzung | 326 VI.3 Zusammenfassung | 342 VI.4 Der Umgang mit schweren, lang anhaltenden Krankheiten | 344 VI.5 Der Umgang mit der ungewollten Schwangerschaft einer, noch im Haus ihrer Eltern lebenden, unverheirateten Tochter | 347 VI.6 Der Umgang mit dem Tod von Haustieren als einem ökonomischen oder emotionalen Verlust | 348 VI.7 Der Umgang mit Ernteausfällen und eventuell resultierenden hohen Kosten von Lebensmitteln | 350 VI.8 Der Umgang mit Umweltkatastrophen im Gefolge von Hurrikans | 355 VI.9 Sonstige Krisen | 357 VI.10 Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen | 358 VII

Ein weiter Weg… Von den theoretischen Ausführungen zu Globalisierung und Haushalten im Weltsystem, hin zu Haushalten der maseualmej im Weltsystem und im Kosmos Ergebnisse, Reflexionen und theoretische Implikationen der innerhäuslichen Dynamiken von Macht und Autorität, im Schnittfeld divergierender Achsen der Differenz | 363

Quellenverzeichnis

1. Verwendete Literatur | 379 2. Nicht publizierte Abschlussarbeiten und Projektberichte | 425 3. Internetressourcen | 425 4. Sonstige Quellen | 430 5. Gesprächspartner_innen (Feldnotizen) | 432 6. Haushalte | 434

Anhang

Hinweise zur Transkription der Interviews | 437 Tabelle mit wichtigen politischen und anderen Ereignissen | 438 Abkürzungsverzeichnis | 449 Glossar

Präambel

S CHREIBWEISEN DES N AHUATLS UND DES N AHUATS In der vorliegenden Arbeit finden sich eine Vielzahl spanischer Begriffe, wie sich auch Termini in Nahuatl und Nahuat. Um das Verständnis zu erleichtern werden ihre Bedeutungen in einem Glossar erläutert. In der Schreibweise des (klassischen) Nahuatl, wie es den Einwohner_inne_n des vorkolonialen Zentralmexikos, insbesondere jenen der Doppelstadt Tenochtitlan-Tlaltelolco zugeschrieben wird, orientiere ich mich an den Wörterbüchern von Molina (1944) und Siméon (1977), wobei letzterer auf ersterem aufbaut. In Hinblick auf das aktuell gesprochene und mittlerweile auch geschriebene Nahuat des Bezirks Cuetzalan im mexikanischen Puebla, ist es schwieriger eine einheitlich anerkannte Schreibweise zu finden. Viele der Autor_inn_en, die in der Region forschen, orientieren sich am klassischen Nahuatl, in den bestehenden zweisprachigen Schulen Cuetzalans jedoch, wird eine andere Orthographie forciert (zu dieser vgl. Cortez Ocotlan 2011). Soweit als möglich verwende ich letztere.

V ERWENDUNG VON U NTERSTRICHEN UND @ Bezogen auf Geschlecht, entschied ich mich nach einigen Überlegungen, dafür, eine Schreibweise anzuwenden, die auf die Möglichkeit von mehr als zwei Geschlechtern und die fließenden Übergänge zwischen diesen verweist. Über die Verwendung eines Unterstrichs oder gar mehrerer Unterstriche in einem Wort kann Geschlecht als ein Kontinuum zwischen einem männlichen und einem weiblichen Pol angedeutet werden. Zwar ist diese Schreibweise, wenn sie einigermaßen ernst genommen wird, schwer durchzuführen und hemmt den Lesefluss; aber gerade als Kultur- und Sozialanthropologin ist es mir wichtig auf Lebens- und Denkweisen und damit auch gesellschaftliche Zuordnungen hinzuweisen, die von den, spätestens seit der Aufklärung weltweit hegemonialen (westlichen) Formen (geprägt durch ein Denken in hierarchisch gesetzten Dualismen) (Habinger/Zuckerhut 2005: 76-9), und damit einhergehend, von zwei gegensätzlichen, einander ergänzenden, aber als dennoch ungleich mächtig gesetzten Geschlechtern (vgl. Rubin 1975), abweichen. Spanische Begriffe, auch wenn sie eingedeutscht sind, wie im Falle von Campesin@, werden aus diesem Grund am Wortende mit einem @, als beide oder auch weitere Geschlechter umfassend, markiert.

10 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA -H AUSHALTEN

Im Zuge der Überarbeitung, der zunächst in der herkömmlicheren „Große-ISchreibweise“ verfassten Arbeit, zeigte sich mir immer deutlicher wie stark sämtliche theoretischen Konzepte und ethnographischen Darstellungen wie auch meine eigenen Forschungen von einer unhinterfragten Zweigeschlechtlichkeit geprägt sind. Über die gewählte unkonventionelle und damit verstörende Orthographie der Unterstriche werden derlei „Selbstverständlichkeiten“ als Teil der eigenen Konditionierung besser erkennbar.

S ONSTIGE H INWEISE Wenn auf den folgenden Seiten der Ausdruck „Sierra“ oder auch „Sierra Norte“ verwendet wird, so bezieht sich das auf die Sierra Norte de Puebla, insbesondere im Umfeld des Bezirks Cuetzalan. Sämtliche in der Arbeit angegebenen Namen von Interview- und Gesprächspartner_inne_n sind Pseudonyme. Zur Sicherung der Anonymität sind auch andere persönliche Informationen, die zu einer Identifizierung meiner Kontaktpersonen führen könnten, entsprechend geändert. Daher verwende ich – zum Schutz meiner Informant_inn_en – auch mehrere Pseudonyme für ein- und dieselbe Person. Nicht immer ist es möglich, genauere Angaben zu einer Person oder einem Haushalt zu geben. Die Angaben aus den Feldtagebüchern sind mit dem kompletten Datum versehen, da dieses in vielen Zusammenhängen von Bedeutung ist. Es ist in manchen Fällen entscheidend zu wissen, an welchem Tag, in welchem Monat und/oder in welchem Jahr ein Ereignis stattgefunden hat. Im Sinne der Einheitlichkeit werden diese detaillierten Angaben nahezu immer gemacht, unabhängig davon, ob und wie wichtig das im jeweiligen Kontext ist. Andererseits wird im Falle wiederholter Beobachtungen über mehrere Jahre hinweg – zugunsten des Leseflusses – nur das erste Datum mit dem Zusatz „et al.“ angegeben. Im Quellenverzeichnis wird zwischen der verwendeten Literatur, nicht publizierten Abschlussarbeiten und Projektberichten, Internetressourcen und sonstigen Quellen differenziert. Das bedeutet, dass einzelne Artikel und Bücher (obgleich der Kategorie „Literatur“ zuzurechnen), die aus dem Internet bezogen wurden, im Verzeichnis „Internetressourcen“ zu finden sind. Die geführten Interviews, wie auch die Feldnotizen, sind unter „sonstige Quellen“ eingeordnet, sämtliche anderen in der Arbeit zitierten Gespräche, unter der Rubrik „Gesprächspartner_innen (Feldnotizen)“. Dem folgt eine Liste der in die Untersuchung eingegangenen Haushalte. Wenn in dieser Arbeit insbesondere in Kapitel I autobiographische Aspekte thematisiert werden, so erfolgt das, um mich erstens als Person, deren Erfahrungen und Verortung in der Forschung mitwirken, selbst zu positionieren und zweitens um das Ungleichgewicht zwischen Forscherin und Beforschten etwas zu relativieren. Da ich den ethnographischen Blick ins Innerste der Lebensumstände von Teilen der cuetzaltekischen Bevölkerung lenke, erscheint es mir nur recht und billig auch – zugegebenermaßen vergleichsweise minimale – Einblicke in meine eigenen Lebensumstände zu geben.

I

Einleitung „Over the years, Esperanza and I often talked about the book I had promised to write based on our conversations. Inevitably these talks forced us to take stalk of our different location on the boundaries of power as a Mexicana and a gringa. We were continually aware that neither of us was exempt from the politics of our situations within the international division of labor created by neocolonial forms of capitalism. On the contrary, we felt caught in the shuffle, in the restless noisy movement back and forth across the borders of race, class, and nationality.“ (BEHAR 1993: 229)

I.1

E IN WEITER W EG ….

Diese Arbeit zu schreiben bedeutete einen langen Weg zu gehen, der noch nicht zu Ende ist, womöglich gar kein Ende hat. Einen langen Weg in mehrfacher Hinsicht: räumlich, zeitlich, inhaltlich und – eng damit verbunden – auch methodisch. Räumlich insofern, als zwischen Wien und Mexiko Stadt nicht nur ein Ozean und mehrere Länder liegen, sondern auch, weil die Strecke 10.166 Kilometer beträgt (URL 1). – Analtekoj, „die, die von der anderen Seite kommen“, ist folgerichtig der NahuatBegriff für Ausländer_innen (vgl. Argueta 1994: 101, Fußnote 1; Cortez Ocotlan 2011: 60). – Von Mexiko Stadt sind weitere 320 Kilometer bis San Franzisco Cuetzalan, der Munizipalhauptstadt meiner Forschungsregion, zurückzulegen (URL 2) und zusätzliche vier bis zehn und mehr, in die umliegenden Dörfer, in denen der Großteil der indigenen Nahuat-sprachigen Bevölkerung Cuetzalans – mit der sich diese Studie schwerpunktmäßig befasst – beheimatet ist. Dennoch lässt sich die Reise heutzutage in weniger als zwei Tagen bewältigen, vorausgesetzt jemand verfügt über die richtige Staatsbürgerschaft und entsprechende Finanzen. 1 1

Für mich als Österreicherin ist es relativ einfach nach Mexiko zu reisen: Praktisch jede_r Österreicher_in hat einen Reisepass und folglich auch ich; es reicht für die Einreise, dass ich im Flugzeug ein Tourist_inn_envisum ausfülle; die Kosten für die Reise sind erschwinglich. – Für Mexikaner_innen hingegen ist es ungleich schwieriger nach Österreich zu kommen. Der Großteil der ländlichen Bevölkerung Mexikos hat kein gültiges Reisedokument; seine Beschaffung erfordert Zeit und Geld. Selbst mit gültigem Pass kann es pas-

12 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA -H AUSHALTEN

Einen weiten Weg bedeutet es aber auch in raum-konstruktivistischer und -symbolischer Hinsicht,2 da im Zuge der Recherchen zu und Verschriftlichung dieser Arbeit, unterschiedliche soziale und gesellschaftliche Räume durchschritten wurden, und zwar nicht in einer zielstrebig vorwärts strebenden Richtung, sondern vielmehr mehrfach in einem ständigen Vor und Zurück, Kreuz und Quer, Hin und Her. Diese unstete Bewegung zeigte sich sowohl was mich beruflich betrifft (wobei sich hier retrospektiv eine gewisse Vorwärtsgerichtetheit zeigt): von der freien Wissenschaftlerin in prekären Jobverhältnissen, hin zur, an der Universität angestellten Lehrenden; als auch bezogen auf die sozialen Umfelder, die für mein Selbstverständnis wie auch für das Entstehen dieses Werkes entscheidend waren und sind: Die durchschrittene Vielfalt der Räume umfasst mein eigenes ländlich kleinbürgerlich geprägtes Herkunftsmilieu. Sie beinhaltet des Weitereren mein möglichst in sichererer Entfernung dieser, von mir als erdrückend wahrgenommenen, Verhältnisse errichtetes adultes Umfeld als Alleinerzieherin und folglich auch -verdienerin mit zwei Kindern. Dazu kommt das intellektuelle Klima der Universität, ebenso wie die erfrischende Heterogenität des Wiener Stadtlebens, wobei letztere mich dazu führt Türkisch zu lernen und in einem Frauenprojekt zu arbeiten, Demonstrationen zu besuchen, Flugblätter zu verteilen, mich am Spielplatz zu langweilen, nachts, bei strömenden Regen mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, usw. usf. Die Mannigfaltigkeit der durchreisten Räume ergibt sich darüber hinaus durch die verwirrende, aber gleichermaßen faszinierende Lebendigkeit von Mexiko Stadt, die manchmal auch Anstriche von Hektik zeigt, in der ich zeitweise stundenlang, auf der Suche nach dem richtigen Weg herumirre, oft von heftigen Regengüssen überrascht; in der ich aber auch sehr entspannende Momente der Kontemplation erlebe, an eine Mauer gelehnt die Sonne genieße, das bunte Treiben vor mir beobachte, oder auch im Garten meiner Gastgeber_innen sitze und darauf warte, dass sich ein Kolibri von mir fotografieren lässt (was mir bis heute nicht gelungen ist). Dazu kommt die ruhige Geschäftigkeit der Kleinstadt Cuetzalan, in der ich gerne herumspaziere, ab und zu stehen bleibe und mich mit einem_einer Bekannten oder Freund_in unterhalte, oder auf den Stufen vor der Kirche sitze und das Treiben am Markt beobachte. Die genannte Heterogenität charakterisiert sich zusätzlich durch die Einfachheit der Lebensbedingungen vieler Einwohner_innen von Cuetzalan wie auch seiner ländlichen Umgebung, gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von moderner und herkömmlicher Technologie, bildlich

2

sieren, dass Mexikaner_inne_n die Einreise verweigert wird, wie beispielsweise der vom Österreichischen Lateinamerika-Institut im Jahr 2001, zur Abhaltung eines Seminars eingeladene, H. Santos de la Cruz erfahren musste. Mexikaner_innen, die nach Österreich kommen, benötigen aufgrund der niedrigen Einkommen verhältnismäßig mehr Geld als umgekehrt. Die Distanz ist so gesehen, unabhängig von der Kilometerzahl für mich wesentlich geringer als für Mexikaner_innen. Raum wird seit einigen Jahrzehnten in den Sozialwissenschaften wie auch in der Geographie als ein soziales Konstrukt gesehen, das sich erst durch Beziehungen, d.h. die Beziehungen von Gegenständen, Menschen, Tieren etc., ergibt (vgl. dazu u.a. Bourdieu 1991; Ardener 1993; Massey 1994; Löw 2001; Bell/Valentine 2005; Wastl-Walter 2010), eine Sicht, die sich auch auf Erkenntnisse aus der Physik stützen kann (vgl. hierzu v.a. Löw 2001: 24-35). Eine wichtige Rolle in der Neukonzeptualisierung von Raum spielen u.a. auch die Beiträge im Umfeld der Anthropologie der Globalisierung (siehe Kapitel II.1).

E INLEITUNG

| 13

gesprochen, einem Nebeneinander von Computer im Wohnzimmer und Latrine im Hühnerstall. Sie ist gekennzeichnet durch die Klugheit der Menschen, die nie eine Universität, ja oft nicht einmal eine Schule besucht haben… Dabei ist dieser weite Weg auf dem all diese divergierenden Orte durchlaufen wurden, gleichzeitig auch ein sehr kurzer, ein „Katzensprung“, gerade was die Nähe der sozialen Beziehungen, die entstandenen Freundschaften und festgestellten Ähnlichkeiten im Fühlen, Denken und Handeln betrifft. Er ist auch kurz, aufgrund der neuen Kommunikationstechnologien, die es möglich machen, dass sich meine Tochter am Abend mit einem der Söhne der Familie aus einem der umliegenden Dörfer Cuetzalans, bei der ich während meiner Feldaufenthalte wohne, mittels Skype oder auch via facebook unterhält; die es möglich machen, dass ich am Laufenden, über die Entwicklungen des jüngsten Enkelkindes gehalten werde; die es möglich machen, dass ich in Notfällen angerufen werde, um finanzielle und andere notwendige Unterstützung zu geben, aber auch, um zum nächsten großen Fest eingeladen zu werden, usw. usf. Zeitlich, inhaltlich und methodisch bedeutet diese Arbeit insofern einen langen Weg, als sich die Forschung über mehrere Jahre erstreckte und sich im Laufe der Zeit Themenstellung wie auch die favorisierten Methoden veränderten, einerseits im Sinne von Präzisierungen und Einschränkungen, andererseits ergaben sich Ausweitungen. Tatsächlich finden sich im vorliegenden Produkt mittlerweile nahezu sämtliche meiner Themenschwerpunkte der letzten fünfzehn Jahre, in der einen oder anderen Form. Erste Gedanken zu einer längeren wissenschaftlichen Arbeit nach der Dissertation ergaben sich bereits 1999, als ein vom Österreichischen Wissenschaftsministerium finanziertes Projekt und damit auch meine Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin der ARGE Wiener Ethnologinnen zu Ende ging. 3 Damit eröffneten sich für mich ungewollte neue Perspektiven der weiteren beruflichen Orientierung, weg von der im Anschluss an den Studienabschluss betriebenen Auftragsforschung. Es dauerte allerdings eine Weile bis diese Gedanken etwas konkretere Formen annahmen. Ein erster Schritt war die Überlegung, dass ich mich, wollte ich weiter in der Wissenschaft tätig bleiben, von der vorkolonialen Vergangenheit Mexikos zumindest teilweise lösen und in die Gegenwart vordringen müsse. Um als Kultur- und Sozialanthropologin anerkannt zu werden, ist Feldforschung heute mehr denn je von Bedeutung und. eine rein historische oder theoretische Studie kam daher nicht in Frage. Eine Verbindung der beiden Epochen erschien mir allerdings sinnvoll um auf meinen in langjähriger Arbeit erworbenen Vorkenntnissen aufbauen zu können. Als Feministin, wollte ich darüber hinaus auf meine zentrale Schwerpunktsetzung der Befassung mit Geschlechter- und Machtbeziehungen nicht verzichten. Zum vorkolonialen Zen3

Die Dissertation befasste sich mit Produktionsverhältnissen im Alten Mexiko (vgl. Zuckerhut 1996); das Projekt hingegen hatte die Bedingungen von Wissenschafterinnen in Physik und Kultur- und Sozialanthropologie zum Thema (vgl. dazu Nöbauer/Zuckerhut 2002). Die ARGE Wiener Ethnologinnen ist ein Verein, der sich der „[w]issenschaftliche[n] Auseinandersetzung mit Problemen der Ethnologie, mit gesellschafts- und kulturpolitischen Fragestellungen – im Besonderen mit frauenspezifischen Inhalten“ (Statuten des Vereins ARGE Wiener Ethnologinnen § 2.1) widmet. Während sich viele Aspekte aus meiner Abschlussarbeit hier, in dieser Untersuchung wiederfinden, ist das bezogen auf besagte Studie für das Wissenschaftsministerium nicht der Fall.

14 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA -H AUSHALTEN

tralmexiko hatte ich dazu bereits wichtige Vorarbeiten geleistet (Zuckerhut 1996; dies. 2000), die ich in Folge weiterführte, wobei ich mich nun stärker als zuvor auf die Verflochtenheit von Gender- mit anderen Ungleichheitsbeziehungen wie Klasse oder Alter, konzentrierte (vgl. dazu dies. 2001; dies. 2003a; dies. 2003b; Grubner et al. 2003; Zuckerhut 2007; dies. 2010a). Eine Fokussierung auf Haushalte erschien mir im Zuge dessen immer naheliegender, da sich hier – differenziert nach sozialem Status und ethnischer Zugehörigkeit – die unterschiedlichen Differenzachsen des Alters, des Geschlechts, der Generation, des Verwandtschaftsstatus, etc. in ihren kontextuellen Verflechtungen besonders deutlich aufzeigen lassen. 4 Ich plante folglich einen Vergleich innerhäuslicher Machtbeziehungen bei Nahua im vor- bzw. frühund postkolonialen Mexiko. Soweit so gut. Nun stellte sich aber die Frage, wo ich meine Forschung zur postkolonialen Epoche durchführen sollte und wie ich Zugang zum (damals noch nicht) ausgewählten Setting bekommen könnte. Die Frage des Zugangs erwies sich als unproblematisch angesichts der großen Offenheit und Gastfreundschaft, die ich in indigenen (wie auch mestizischen) Gemeinden in Mexiko erlebte und erlebe. In einem ersten Versuch, meine Forschungsregion zu konkretisieren landete ich 2001, aufgrund irrtümlich gegebener falscher Informationen über die Sprachzugehörigkeit, in einem Otomí-Dorf: eine Freundin erklärte mir vor meiner Abreise, es handle sich um eine Nahuatl-sprachige Gemeinde, sie habe Bekannte dort. Die Einwohner_innen waren mir und meiner damals siebenjährigen Tochter gegenüber sehr freundlich und ein Mann bot mir an, dass ich in seinem Haus übernachten könne. Auch der Bekannte meiner Freundin war äußerst hilfsbereit und zeigte sich meiner Frage nach Bleibemöglichkeiten für einen längeren Forschungsaufenthalt im Folgejahr gegenüber durchaus aufgeschlossen. Aber wie gesagt, es stellte sich heraus, dass es sich um eine Otomí-sprachige Bevölkerungsgruppe handelt. Otomí habe ich bislang, anders als Nahuatl, das auch für meine Studien zu den Mexíca von Bedeutung ist, nicht einmal ansatzweise gelernt. Ein Vergleich zwischen vor- bzw. frühkolonialen Nahua und gegenwärtig lebenden Otomí erschien mir als wesentlich aufwändiger als der zwischen zeitlich differenten, aber sprachlich ähnlichen Nahua, über die ich bereits einiges an Kenntnissen erworben hatte. Ich startete einen weiteren Versuch der Konkretisierung, diesmal über eine Nahuatl-Mailinglist. Über eine Anfrage nach Forschungsmöglichkeiten wie auch Literatur zu Genderverhältnissen bei Nahua in Mexiko, erhielt ich rasch Antwort von einem gewissen James Taggart, einem amerikanischen Anthropologen und zum damaligen Zeitpunkt Professor am Franklin and Marshall College, der sich, wie sich herausstellte, u.a. mit Mythen und Volkserzählungen der Nahua in Mexiko wie auch anderen Bevölkerungsgruppen in Spanien einerseits, mit Männlichkeiten von Nahua andererseits befasst (URL 3). Taggart schickte mir nicht nur eine Reihe seiner Artikel, er empfahl mir auch die Sierra Norte de Puebla, speziell Huehuetla und Cuetzalan, als Forschungsregion. Die Leute seien dort sehr friedlich und freundlich, betonte er. Nun 4

In den 1990ern und auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden diese Verflechtungen zumindest in der Kultur- und Sozialanthropologie noch unter dem Terminus „Differenzen“ diskutiert (vgl. z.B. Moore 1993; dies. 1994; Fuchs et al. 1998; Zuckerhut 2003c; Habinger/Zuckerhut 2005). Heute hat sich dafür weitgehend der Begriff der „Intsersektionalität“ oder auch „Interdependenz“ eingebürgert (vgl. z.B. Walgenbach et al. 2007; Markom/Rössl 2010; Winkler/Degele 2010; Kaur Dhamoon 2011).

E INLEITUNG

| 15

hatte ich also eine Forschungsregion und auch bereits erste Literatur dazu. Ich entschied mich gegen Huehuetla und für Cuetzalan (da ich dieses im ersten Anlauf leichter auf der Landkarte orten konnte) und begann weitere Literatur und Informationen aus dem Internet zu recherchieren. Die erste Sondierung des Feldes erfolgte im Jahr 2003. Tatsächlich bekam ich sofort Kontakte zur lokalen Bevölkerung, zum mestizischen Sektor wie auch zum indigenen. Da ich mich, anders als der Großteil der Tourist_inn_en, die die Stadt meist nur für ein bis zwei Tage besuchen, über einen längeren Zeitraum dort aufhielt, erhielt ich bald Einladungen zu den Leuten nach Hause zu kommen; bereits nach zwei Tagen übersiedelte ich vom Hotel in ein privates Quartier. Ich ging täglich in die vorwiegend von Nahuat sprechenden Indigenen bewohnte Gemeinde San Miguel Tzinacapan (in Folge kurz San Miguel oder auch Tzinacapan genannt), um dort Besuche zu machen. Ich nahm an Festen teil, saß in Küchen und Wohnräumen, spazierte mit den Frauen von San Miguel nach Cuetzalan und über den Markt. Als ich zurück nach Österreich musste, hatte ich mehrere freundliche Angebote von Familien aus Tzinacapan das nächste Mal wenn ich komme bei ihnen zu wohnen. Weitere Feldaufenthalte folgten (siehe Kapitel III.2), zwischenzeitlich recherchierte ich weitere Literatur, ergänzte die im Internet gewonnenen Informationen, begann die im Feld aufgenommenen Daten zu dokumentieren und in Vorbereitung auf weitere Feldforschungen auszuwerten, aber auch einstweilige Ergebnisse auf Tagungen zu präsentieren. Erste Publikationen entstanden (Zuckerhut 2008a; dies. 2008b; dies. 2010b; dies. In Druck). Nach und nach entfernte ich mich dabei von meiner Beschäftigung mit der vor- bzw. frühkolonialen Vergangenheit und somit von meinem Vorhaben, einen Vergleich, zwischen Nahuatl sprechenden Einwohner_inne_n Zentralmexikos des pre- bzw. frühcortesianischen Zeitalters und Nahuat sprachigen Indigenen im Cuetzalan der Gegenwart, durchzuführen. Geblieben ist ein historisches Interesse und es ist mir wichtig, bestimmte Institutionen, Vorstellungen und Verhaltensweisen in der Geschichte zurückzuverfolgen und ihren Veränderungen und Bedeutungswandlungen im Laufe der Zeit nachzugehen. Das entspricht dem dritten Aspekt einer Vorgangsweise, wie sie bereits 1987 von den beiden feministischen Anthropologinnen Silvia Yanagisako und Jane Collier, wenn auch speziell bezogen auf Gender, empfohlen wird: „In this essay we have argued for the need to analyze social wholes and have proposed a threefaceted approach to this project: the explication of cultural meanings, the construction of models specifying the dialectical relationship between practice and ideas in the constitution of social inequalities, and the historical analysis of continuities and changes.“ (Yanagisako/Collier 1987: 49)

Aber auch die beiden anderen von den Autorinnen empfohlenen Zugänge, nämlich die Analyse von Bedeutungssystemen wie auch die der tatsächlichen sozialen Praktiken in Relation zu den jeweiligen Vorstellungen, spielen in meiner Arbeit eine wichtige Rolle, und zwar auch, aber nicht nur, in Hinblick auf die Schaffung sozialer Ungleichheiten. Eine derartige Mehrdimensionalität, wie von Yanagisako und Collier vorgeschlagen, ermöglicht differenzierte Forschung in einer dekonstruktivistischen, aber auf die Berücksichtigung der strukturellen Bedingungen und Machtverhältnisse

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des gegenwärtigen globalen Kapitalismus nicht verzichtenden, Zugangsweise, die Vorstellungen und Praktiken gleichermaßen mit einbezieht. Die britische Soziologin Avtar Brah betont in diesem Sinne die Notwendigkeit der empirischen und der historischen Analyse um bestimmte Bedeutungskonstellationen in ihren Symboliken und praktischen Anwendungen, aber auch Veränderungen über die Zeit, herauszuarbeiten (Brah 1994; dies. 1996; dies. 2003: dies. 2006; et al.). Die Fokussierung auf Diskurs und Praxis – die Analyse der Bedeutungssysteme und der widersprüchlichen Praktiken, um es mit Yanagisako und Collier (1987) auszudrücken – ist eine der drei Weisen, die Lila Abu-Lughod (1991: 147) als Möglichkeit gegen Kultur zu schreiben, als einer, ihrer Auffassung nach, inhärent Hierarchie schaffender Kategorie, nennt. Die zweite Weise ist die, Verbindungen herauszuarbeiten (ibid.: 148) und die dritte sind sogenannte „ethnographies of the particular“ (ibid.: 149), also Narrationen von Einzelpersonen. Mit dieser dritten Weise, die Abu-Lughod zufolge (ibid.), am besten (ungerechtfertigte) Generalisierungen vermeiden kann, lassen sich nicht lokal verankerte Kräfte und Dynamiken (des Kapitalismus, der Globalisierung, u.ä.) ebenso erfassen, wie mit anderen Methoden, als „the effects of extralocal and long-term processes are only manifested locally and specifically produced in the actions of individuals living their particular lives, inscribed in their bodies and their words“ (ibid.: 151). Abu-Lughod (2008) selbst, Ruth Behar (1993), aber in gewisser Weise auch Oscar Lewis (1963), zeigen sehr gut die fruchtbaren und erhellenden Möglichkeiten dieser Zugangsweise auf. In meiner Forschung kann diese dritte Variante – aus Gründen der dadurch mehr oder weniger ad absurdum gemachten Anonymisierung5 – nur ansatzweise und in adaptierter Form angewandt werden, indem Einzelbeispiele vorgestellt werden, die spezifische soziale, womöglich widersprüchliche Vorstellungen und Praktiken innerhalb der Haushalte erhellen sollen. Abseits dieser Mikroebene befasse ich mich auf einer Meso- und Makroebene, wie erwähnt, mit den historischen, also vertikalen oder auch zeitlichen Verflechtungen, deren Aufdeckung dabei helfen kann zu verstehen, wie sich bestimmte Konstellationen herausgebildet, aber auch im Laufe der Zeit verändert haben. Darüber hinaus ist es mir insbesondere ein Anliegen, im Sinne der zweiten von Abu-Lughod (ibid.) beschriebenen Weise gegen (eine absolut und unveränderlich gesetzte Sicht von) Kultur zu schreiben, auch die horizontalen, also die räumlichen Verbindungen zu berücksichtigen.6 Denn dieser Ansatz korrespondiert sehr gut mit meiner Fragestellung, wie sie sich im Verlauf des soeben beschriebenen Prozesses nach und nach herauskristallisiert. 5

6

Eine Zeitlang überlegte ich, die speziellen Lebens- und Haushaltsgeschichten ausgewählter Familieneinheiten herauszuarbeiten. Es zeigte sich aber, dass mit einer genaueren Beschreibung der den Haushalt oder auch die Einzelindividuen betreffenden Ereignisse, für jede_n Einwohner_in der Gemeinde klar erkennbar ist, um wen es sich handelt. Insbesondere die Informationen aus den von mir durchgeführten Interviews, wurden mir unter der Voraussetzung gewährt, dass ich den anderen Personen aus dem jeweiligen sozialen Umfeld, keinerlei Informationen darüber zukommen lasse. Daher war es aus forschungsethischen Gründen naheliegend, auf die genannte Methode in dieser Form zu verzichten. Zur entscheidenden Bedeutung der Herausarbeitung vertikaler und horizontaler Verflechtungen um Hierarchien und Machtbeziehungen auszudecken, aber auch Prozessen des othering entgegenzuwirken, vgl. auch Gupta/Ferguson (1997).

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„Wie wirken ökonomische und andere Zwänge, aber auch neue Perspektiven eröffnende Möglichkeiten auf haushaltsinterne Strukturen und Verhaltensweisen und wie agieren die Mitglieder eines Haushalts, um ökonomische, politische und andere Strukturen, in vielfältiger Weise für sich zu nutzen?“, oder anders formuliert, „Wie stellen sich Macht- und Autoritätsverhältnisse in Haushalten, entsprechend den dominanten Markierungen der Differenz, immer wieder (neu) her, reproduzieren sich und verändern sich gleichzeitig, angesichts gleichbleibender, wie auch sich verändernder struktureller und anderer Bedingungen in Haushalten und Gemeinden?“, kennzeichnet das zentrale Interesse meiner Forschung. Um diesem nachzugehen, war es wichtig mehrere aufeinanderfolgende Feldforschungen zu projektieren, möglichst zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Denn damit konnte ich einerseits Veränderungen über die Zeit, andererseits aber über das Jahr, entsprechend dem für Landwirtschaft treibende Bevölkerungsgruppen so wichtigen jahreszeitlichen Zyklus, nachvollziehen. Nicht einen langen, sondern eine Reihe aufeinanderfolgender, kürzerer Feldaufenthalte7 durchzuführen, erwies sich auch für meine persönlichen Lebensumstände in den ersten Forschungsjahren als Mutter einer schulpflichtigen Tochter (die zweite war zu diesem Zeitpunkt schon erwachsen und hatte ihren eigenen Haushalt), später aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit als Senior Lecturer an der Universität Wien, leichter handhabbar (zu Feldforschung und anderen angewandten Methoden siehe Kapitel III.2). Dabei ist meine Ausgangsthese zunächst eine in feministischen Zugängen forcierte Überlegung, wie sie von der Agrarökonomin Carmen Diana Deere und der Soziologin Magdalena León (2002) für Lateinamerika überzeugend dargelegt wird. Diese geht davon aus, dass die Aneignung von und Verfügung über (primär ökonomische) Ressourcen, entscheidend ist, für die innerhäusliche Macht und somit auch Empowerment, als einer gestärkten Verhandlungsposition von Frauen innerhalb und außerhalb des Haushalts. Im Verlauf der Recherchen und des „Eintauchens“ ins ethnographische Feld, stellt sich jedoch heraus, dass die These dahingehend modifiziert werden muss, dass es notwendig ist, den Ressourcen- und in weiterer Folge auch den Machtbegriff, auf nicht materielle, d.h. auf religiös-spirituelle und andere Bereiche auszuweiten (siehe Kapitel II.7). Erst unter Einbeziehung lokaler Vorstellungen und damit einhergehender (zum Teil auch widersprüchlicher) Praktiken betreffend die Beziehungen des Menschen zu Umwelt und Kosmos und seiner Einbindung in über/natürliche Zusammenhänge, lassen sich Macht- und Autoritätsbeziehungen und infolge dessen auch Handlungsmöglichkeiten von Frauen (und von Männern), in ihren kontextuellen Wirksamkeiten, erkennen. Damit aber wird es in einem stärkeren Ausmaß möglich Veränderungen und Differenzen innerhalb eines Geschlechts, entsprechend dem Alter, dem Verwandtschaftsstatus, etc., in die Analyse mit einzubeziehen, als das in Zugangsweisen, wie dem oben genannten von Deere und León (2002) der Fall ist, die primär auf ökonomisch begründete Mann-Frau-Beziehungen, fokussieren. Dynamiken der Zugehörigkeit, der Nähe und sich verändernder Hierarchien können über eine Miteinbeziehung der lokalen Vorstellungen zur Erlangung, Festigung und Ausweitung von (Handlungs-) Macht erfasst und verstanden werden. Damit einhergehend erweisen sich in der Folge Haushalte (und auch Gemeinden) als 7

Insgesamt fanden acht ein- bis dreimonatige Forschungsreisen über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg statt.

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fließende, sich in ständiger Transformation befindliche Gebilde (siehe Kapitel V, VI und VII).

I.2

AUFBAU

DER

ARBEIT

Der Aufbau der Arbeit spiegelt in gewisser Weise diese Entwicklung meiner Überlegungen, von einer stärker ökonomischen, am Weltsystemansatz orientierten Ausrichtung, hin zu einer Einbeziehung kosmologischer Aspekte. Damit gehe ich in die entgegengesetzte Richtung eines Weges, der im Zuge der europäischen Aufklärung zu einer Trennung dieser Bereiche, wie auch der Haushalts- von den Wirtschaftswissenschaften führt (siehe Kapitel II.5), eine Richtung, wie sie bereits von zentralen Vertreter_inne_n der Kultur- und Sozialanthropologie, beispielsweise von Bronislaw Malinowski (1979 [1922]) oder Marcel Mauss (1978 [1923-4]), später m.E. von Maurice Godelier (1973 et al.) eingeschlagen, in den letzten Jahrzehnten, im Zuge einer immer weiteren Aufsplitterung unserer Disziplin nicht nur in die herkömmlichen Unterabteilungen wie ökonomische Anthropologie, politische Anthropologie, Anthropologie der Verwandtschaft, Religionsanthropologie u.ä., sondern darüber hinaus in eine Anthropologie der Globalisierung, des Neoliberalismus, des Kolonialismus, des Körpers, der Gefühle, des Konsums, der Stadt, u.v.a.m. etwas vernachlässigt wird. Im Anschluss an die Einleitung folgt in Teil II eine Auseinandersetzung mit relevanten Begrifflichkeiten und Konzepten, aber auch mit Verbindungen zwischen Europa und Lateinamerika. Zunächst, in Kapitel II.1, gebe ich einen groben Überblick zum Forschungsfeld der Globalisierung in der Kultur- und Sozialanthropologie als einem, das sich den oben angesprochenen rezenten weltweiten, sprich den horizontalen Verflechtungen verschrieben hat. Die Kapitel II.2 und II.3 widmen sich dem Schlüsselkonzept Haushalt: seiner Definition und seiner Verortung in zwei wichtigen Theoriesträngen unseres Faches, nämlich dem der Befassung mit der peasantry und den Debatten um die häusliche Produktionsweise im 20. Jahrhundert. Diese beiden sind in vielerlei Hinsicht richtungsgebend für die aktuelle Auseinandersetzung mit mesoamerikanisch geprägten Bevölkerungen, ebenso wie für feministische Zugänge zu den Thematiken haushaltsinterner Machtbeziehungen, weiblichen Empowerments und globaler Verteilung von Haushaltsarbeit. Es folgt (in Kapitel II.4) eine kurze Darstellung der historischen, also der vertikalen Verflechtungen zwischen Europa und Lateinamerika auf Grundlage der dafür, aufgrund der ihr inne wohnenden geschichtlichen Komponente, besonders prädestinierten Weltsystemtheorie, wobei das Gebiet des heutigen Mexikos zunächst als Region der Peripherie, dann der Semiperipherie, Haushalte konzeptionell als in Wechselwirkung mit und in einem globalen, nationalen und lokalen Netz stehend, verortet werden. Die Eingliederung Lateinamerikas und damit die Zerstörung des mesoamerikanischen Weltsystems und Integration seiner Teile in die sich herausbildende kapitalistische Weltökonomie, erweist sich als entscheidender Aspekt einer beginnenden, umfangreichen, von den Körpern der Frauen bis in ganze Weltregionen reichenden,

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fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation.8 Diese (fortgesetzte) ursprüngliche Akkumulation, d.h. die Aneignung von Körpern, Arbeit und Rohstoffen, aber auch von Wissen und Wissenssystemen, aus nicht kapitalistisch wirtschaftenden Bereichen, zum Zwecke der Kapitalakkumulation, ist insbesondere deswegen von Relevanz, da sie gravierende Auswirkungen auf das gegenwärtig vorherrschende, die Ökonomie und die Politik bestimmende und betreffende Denken, bezogen auf indigene Gemeinden und ihre Wirtschaftsweisen, wie auch auf Haushalte hat (siehe dazu auch Teil IV und V). Ein eigenes Kapitel (Kapitel II.5) widme ich daher Veränderungen in den Konzepten von Ökonomie. Diese gehen von solchen einer umfangreichen Haushaltswirtschaft, hin zu jenen, aktuell vorherrschenden, die Lohn- und Subsistenz- sowie Hausarbeit in produktiv und nicht produktiv differenzieren. Der Haushalt wird in der Folge seitens der im 18. Jahrhundert entwickelten Wirtschaftswissenschaften nur in Hinblick auf den Konsum als ökonomisch relevant gesehen. Damit einher geht seine implizite Definition als einer aus einem lohnarbeitenden Mann und seiner im Hause verbleibenden Frau samt Kindern bestehenden Einheit, eine Konzeption, die, von Evelyn Blackwood (2003) sehr treffend, als conjugal bias bezeichnet wird. Subsistenzwirtschaften auf der anderen Seite, erscheinen schließlich als ein gesellschaftlicher Bereich, der die Produktivität eines Landes hemmt und daher abgeschafft oder besser noch modifiziert werden muss, eine Logik, die der Vielzahl von Modernisierungsprogrammen zugrunde liegt, von denen große Teile der Weltbevölkerung, darunter auch die Cuetzalans, immer wieder betroffen waren und sind (siehe dazu Kapitel IV.2.1 und IV.2.2). Es folgt die Vorstellung der mir als Ausgangspunkt dienenden, von Wallerstein und Smith (1992a) entwickelten fünf, für die Analyse von Haushalten vorgeschlagenen Orientierungspunkte und ihrer, aus einem kultur- und sozialanthropologischen Blickwinkel notwendigen, Korrekturen und Modifizierungen (Kapitel II.6). Im Anschluss präsentiere ich, als einen zentralen Aspekt der erforderlichen Modifizierungen, in Kapitel II.7, ein speziell für die Analyse indigener Beziehungsmuster anwendbares Konzept der Macht, das die, bei Wallerstein und Smith (1992a), aber auch in anderen der vorgestellten Theorien, stark vernachlässigten, kosmologischen Aspekte marginalisierter Weltbilder (cosmovisiones) beinhaltet – wobei diese Vernachlässigung als Ausdruck der Wirksamkeit einer (fortgesetzten) Akkumulation durch Enteignung von Wissen betrachtet werden kann –. Macht, als eine umfassend wirksame und angeeignete Kraft oder auch Energie, stellt nicht einfach einen Aspekt der Politik oder der Ökonomie dar, wie das in diesen und anderen Theorien nahegelegt wird; es handelt sich vielmehr um etwas, das polyzentrisch über Kosmos, Gemeinde und Einzelpersonen distribuiert ist. Die Verteilung ist ungleich und muss immer wieder neu ausgehandelt, d.h. die Macht, oder der Anspruch darauf permanent erworben werden. Um die hierfür eingesetzten Formen der Aneignung von Macht zu erfassen, die von spirituellen Mitteln bis zu physischer Gewalt reichen können, greife ich auf das anthropologische Konzept der personhood/des personing und seiner indi8

Das Konzept der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, als Grundlage des Kapitalismus wie auch des „Imperialismus“, wird von Rosa Luxemburg, in ihren, unter dem Titel „Ökonomische Schriften“ (1985a) herausgegebenen Texten, entwickelt bzw. vorgestellt. Grundlage bilden ihre Befassung mit Marx’ Darstellungen zur Akkumulation des Kapitals, wie auch von anderen Autor_inn_en zum Thema.

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genen Ausprägung in Cuetzalan zurück. Dieses inkludiert alle Bereiche des Kosmos und der Umwelt, Tiere, Pflanzen und Menschen. Über materielle und immaterielle Komponenten ist der Mensch mit seiner spirituellen, natürlichen und menschlichen Umgebung verbunden. Dabei konstituiert sich personhood über Beziehungen des Gebens und Nehmens. Die im Zuge ihrer Entwicklung hergestellte Handlungsfähigkeit (und daran gekoppelt von Macht auch im Sinne von Autorität) wächst im Laufe des Lebens eines Menschen, aber auch als Folge bestimmter Aktivitäten, wobei jene reziproker Austäusche und damit der Schaffung von Beziehungsnetzwerken, von entscheidender Bedeutung sind. Neben Klasse und Ethnizität haben strukturelle Prinzipien der indigenen Gemeinschaft, wie Alter, Geschlecht, Heiratsstatus an ihrer Konstituierung und Ausprägung Anteil. Nach diesen Ausführungen zum zentralen Analysekonzept stelle ich in Teil III den Forschungsstand, die verwendeten Quellen und die Methoden der Datenerhebung und -auswertung betreffend die Meso- und die Mikroebene vor. Teil IV widmet sich der angesprochenen Mesoebene, der Eingliederung der Region Cuetzalan in die kapitalistische Weltwirtschaft, zunächst als Teil des kolonialen Systems, dann, ab dem 19. Jahrhundert, des mexikanischen Nationalstaats. Den damit verbundenen Transformationen in ihren Implikationen für die Gegenwart, wird aus ökonomischer, politischer und religiöser Perspektive nachgegangen. Die vorgenommene „klassische“ Dreiteilung in Ökonomie, Politik und Religion entspricht den jeweils etwas anders gelagerten nationalen und transnationalen „Flüssen“ (vgl. u.a. Lewellen 2002: 7-8) und den damit verbundenen unterschiedlichen Akteur_inn_en – primär sind das, neben der indigenen Bevölkerung, exportorientierte Kaffeeproduzent_inn_en und –händler_innen, Kolonialverwaltung bzw. Nationalstaat und die katholische Kirche. Die (fortgesetzte) Bedeutung kosmologisch-spiritueller Aspekte auf der Bezirks-, Gemeinde- und Haushaltsebene für die maseualmej lässt sich, entgegen aller Tendenzen der Enteignung von Land, Arbeit, Selbstbestimmung und Wissen, in allen drei Bereichen feststellen. Teilweise werden diese Aspekte von ihnen gezielt hervorgehoben und genutzt um die Differenz zur dominanten mestizischen Bevölkerung der Distrikthauptstadt zum Ausdruck zu bringen. Im ökonomischen Sektor wird von den indigenen Peasants der, von kapitalistisch agierenden europäischen und mestizischen Eindringlingen in die Region eingeführte, Kaffeeanbau übernommen, um damit den, die personhood wesentlich konstituierenden Maisanbau zu subventionieren. Aktuell übernehmen immer stärker Geldeinkommen aus der Tourismuswirtschaft diese Funktion (Kapitel IV.2). In den politischen und religiösen Bereichen entwickeln sich im Gefolge der Kolonisierung und Missionierung, der Unabhängigkeitskämpfe, der Revolution und der nachfolgenden Bestrebungen der Schaffung und Konstituierung eines mexikanischen Nationalstaats spezifische Varianten der in Mesoamerika weit verbreiteten sistemas de cargos (Ämtersysteme) (Kapitel IV.3). Die Übernahme politischer wie auch religiöser Ämter sind entscheidend für die Vorantreibung der personhood der Mitglieder eines Haushalts und damit einhergehend ihrer Stellung innerhalb der Gemeinde, aber auch des Haushalts. Die Akzeptanz politischer Autorität ist an die Ausrichtung mehrerer mayordomías, Feste für die Schutzheiligen, und die Beteiligung an den zahlreichen anderen sozial-religiösen Ereignissen der Gemeinde/n gekoppelt. Der Austausch von Mais und anderen Lebensmitteln zwischen Menschen, Haushalten, Menschen und ihren Vorfahren, wie auch Menschen und Heiligen – das für die Konstitu-

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ierung und Erhaltung von personhood so zentrale Geben und Nehmen – ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Ereignisse. Insgesamt zeigt sich, dass das Ämtersystem einerseits zwischen der mestizisch geprägten Munizipalhauptstadt und den untergeordneten indigenen Gemeinden (sujetos), andererseits innerhalb der Gemeinden, sowohl Anknüpfungspunkte zur Herstellung von Solidarität und Gemeinsamkeit, als auch von Hierarchie und Differenz bietet (Kapitel IV.4). Die aktuelle Klassenstruktur im Bezirk Cuetzalan lässt sich folgendermaßen charakterisieren, wie am Ende von Teil IV (Kapitel IV.5) herausgearbeitet wird: An der Spitze befinden sich die, seit dem 19. Jahrhundert zugewanderten Eliten, die sich im Zuge des Kaffeebooms (weiter) bereichern und in der lokalen Politik der Distrikthauptstadt etablieren können, gefolgt von einer mestizischen Mittelschicht von Geschäftsinhaber_inne_n u.ä. einerseits, der relativ rezent entstandenen indigenen Mittelschicht im Umfeld der politisch und ökonomisch sehr aktiven Indigenenkooperative Tosepan andererseits. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, v.a. auch in den sujetos, besteht aus Leuten, deren Haushalte zwar über Land verfügen, die aber neben dem Maisanbau, verschiedene andere Beschäftigungen ausüben müssen, um ihr Auslangen zu finden. Die Selbstidentifizierungen dieser maseualmej shiften dem entsprechend, zwischen campesin@, vendedor@, etc., d.h. sie lassen sich weder eindeutig als Bauern_Bäuerinnen, Landarbeiter_innen, noch als Selbstständige o. a. verorten. Die unterste soziale Schicht bildet die große Masse der Landlosen, ebenfalls mit vielerlei unterschiedlichen Tätigkeiten zur Erwirtschaftung der Haushaltseinkommen befasst, aber aufgrund ihrer Landlosigkeit in stärkerem Maße von Pauperisierung bedroht. Geschlecht, Generation und relatives Alter wirken in allen diesen sozialen Klassen bzw. Schichten. Das Aufzeigen dieser Rahmenbedingungen bereitet den Boden für die Befassung mit der Mikroebene, dem Haushalt, in Teil V und Teil VI. Ausgehend von Zugängen aus der „Anthropologie des Hauses“, werden zunächst kosmologisch-spirituelle Bedeutungen des Nahua-Hauses und seiner Teile vorgestellt. Die Betrachtung der sozialen Praktiken zeigt, dass die der Symbolik entsprechenden Idealbilder bei der konkreten Ausgestaltung des Heims nur selten umgesetzt bzw. sehr flexibel gehandhabt werden. Zentraler Ort im Haus ist in jedem Fall, unabhängig von eingehaltenen oder abweichenden Praktiken, neben dem Altar, die Küche, ein Bereich der Zugehörigkeit zum Haushalt und der Nähe, aber auch Ausdruck der erwachsenen personhood ihrer Inhaber_innen. Während im vorangegangenen Teil IV auf das Maisfeld und den Anbau von Mais in seiner Relevanz für männliche personhood fokussiert wurde (Kapitel IV.2.5), steht nun, in Teil V, seine Verarbeitung, entscheidend für weibliche personhood, im Vordergrund (Kapitel V.1.2). Über die Symbolik des Maisfelds und der Küche wird die, der Nahua personhood immanente Komplementarität heterogeschlechtlicher Eheleute aufgezeigt, die allerdings nicht einfach mit der Heirat gegeben, sondern im Verlauf des Ehelebens nach und nach entwickelt und gestärkt werden muss. Dem damit einhergehenden Bestreben junger Leute nach einem eigenen Haushalt, als Ausdruck gesellschaftlich anerkannten Erwachsenseins, steht das der älteren Generation gegenüber, die für ihre, ihr Prestige und ihre Autorität in der Gemeinde stärkenden politischen und anderen Aktivitäten, die Unterstützung der jüngeren benötigt. Das führt zu Spannungen und Konflikten, denen seitens der älteren Generation häufig mit Drohungen der Enterbung bzw. Verweigerung des Zugangs zum Familienland, begegnet wird. Entsprechend dem Klassenstatus und den damit einher-

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gehenden Besitzverhältnissen des Haushalts entfalten diese Drohungen eine mehr oder weniger große Wirksamkeit, d.h. die Abspaltung der Jungen erfolgt in ärmeren Haushalten meist sehr früh, in wohlhabenderen Familien später, oft auch erst nach dem Tod eines Teils des Haushaltsvorstandspaares. Insgesamt zeigt sich, dass Alter, Geschlecht und Verwandtschaftsstatus in Hinblick auf die Positionierung in den häuslichen (wie auch zwischen den) Gemeinschaften wirken, ergänzt durch die zum Teil gezielte Nutzung ökonomischer und ritueller Ressourcen zur Stärkung der eigenen personhood und damit einhergehender Handlungskompetenz und Autorität. Benachteiligungen aufgrund von Alter, Geschlecht oder Verwandtschaftsstatus lassen sich über vorhandene rituelle und andere Mittel, darunter auch das der rituellen Verwandtschaft (compadrazgo), ausgleichen, oder zumindest relativieren. In einigen Fällen wird, vor allem durch Männer, auch das nicht legitime Mittel der Gewalt eingesetzt, um mit Unsicherheiten, bedingt durch oder resultierend in schwache/r personhood umzugehen. Im, an diese Ausführungen folgenden Teil VI, gehe ich auf andere Aspekte der Ausweitung von personhood und verwandtschaftlicher Zugehörigkeit, aber auch potentieller Einschränkungen und den resultierenden Verlust von Autorität und Handlungsfähigkeit ein. Der Fokus liegt weiterhin auf der Mikroebene des Haushalts, als zentraler Einheit der Analyse. Einerseits werden Erweiterungen von Haushalten in den Blick genommen, andererseits Verringerungen der Zahl der Mitglieder. Diese Ausweitungen und Reduktionen lassen sich einerseits als Chance andererseits als Krise für die einzelnen Mitglieder wie auch den gesamten Haushalt betrachten. Es können sich neue Möglichkeiten, aber auch Behinderungen für inner- und außerhäusliche Positionierungen ergeben. In diesem Kontext diskutiere ich u.a. auch Chancen und Risiken, die von außen an Haushalte herangetragen werden, wie wechselnde Kaffee- und Lebensmittelpreise, Naturgewalten wie Hurrikans, aber auch Frost, Dürre u.ä. Es zeigt sich, wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln, das gleichzeitige Vorhandensein stärker kollektiv, an der Gemeinschaft orientierter Logiken und Verhaltensweisen (die besonders im Umgang mit dem personhood konstituierenden Subsistenzprodukt Mais deutlich werden) und solcher, die stark individualistisch ausgerichtet sind (vor allem im Kontext mit Cash Crop Produkten und anderen Formen der Erwirtschaftung von Geldeinkommen erkennbar). Beide wirken auf die Beziehungen innerhalb von und zwischen Haushalten und werden von ihren Mitgliedern als Ressourcen in ihren Bestrebungen der Erhöhung ihrer personhood und damit der Erlangung und/oder Ausweitung anerkannter Autorität und Macht genutzt. Teil VII ist diesem und anderen Ergebnissen und ihren weiteren politischen und theoretischen Implikationen gewidmet. Zum einen wird auf die auch in Cuetzalan wirksamen vielfältigen Prozesse der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation von Land, Körpern, Arbeitskraft und Wissen hingewiesen, zum anderen auf die diversen Formen der maseualmej diesen entgegenzuwirken. Genutzt werden ihrerseits (ständig adaptierte) „Traditionen“, Aspekte von cosmovisión, wie auch mit „moderner“ Rationalität assoziierte Verhaltensweisen, d.h. es kommen kollektive und individualistische Aspekte von Arbeit und Sozialleben gleichermaßen zum Tragen. Möglich ist das über die sehr flexible Adaptierung der unterschiedlichen Logiken, über die die indigene Bevölkerung Cuetzalans aufgrund ihres borderland-Status zwischen, im

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Verlauf der Jahrhunderte, immer wieder wechselnden Logiken und Handlungsweisen, verfügt. Angesprochen wird im Schlussteil der Arbeit als zentrales Ergebnis, oder besser als sich aus den Resultaten ergebender Auftrag an eine kritische, am Dialog zwischen unterschiedlichen Epistemologien interessierte Wissenschaft, die Notwendigkeit einer Dekolonialisierung von Wissens- und Denksystemen und einer damit einhergehenden Pluriversalität, eines Ver-rückens von Grenzen und Machtbeziehungen (Trinh 1996: 150) in unserer globalisierten Welt. Wenden wir uns nun, nach diesem Überblick, im Hauptteil der Arbeit, zunächst den weltweiten Verflechtungen, als wichtigem Forschungsfeld der Kultur- und Sozialanthropologie, zu.

II

Theoriestränge: Globalisierung, Weltsystemtheorie, Haushalte, Peasants und häusliche Produktionsweise Verflechtungen in der Weltwirtschaft, sich überschneidende (multiple) Identitäten und personhood/personing

„The contemporary world is one of global embeddedness, ubiquitous rights movement and reflexive identity politics, universal capitalism and globally integrated financial markets, transnational families, biotechnology and urbanization […].“ (ERIKSEN 2003B: 2)

II.1 AKTUELLE V ERFLECHTUNGEN ALS F ORSCHUNGSFELD DER ANTHROPOLOGIE DES SPÄTEN 20. UND DES 21. J AHRHUNDERTS Die Kontextualisierung ethnographischer Forschungen in einen größeren globalen Zusammenhang ist aus der Anthropologie des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Diese, heute unter den catch-all term Globalisierung gefasste Zugangsweise (Beyer 2001: XI; Riegler 2005: 92) hat in unserem Fach eine lange Tradition. Sie lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen und wird für diese frühe Epoche meist in Verbindung mit dem Diffusionismus gebracht (vgl. dazu u.a. HauserSchäublin/Braukämper 2002: 11; Eriksen 2003b: 2, 3). Forscher_inne_n wie Eriksen (ibid.) sehen darüber hinaus im Evolutionismus eine Zugangsweise, die auf größere Zusammenhänge fokussiert. Arjun Appadurai (2011: 111) stellt gar eine Assoziation mit der Kulturkreistheorie her. Über die Entstehung des Terminus Globalisierung gibt es leicht variierende Auffassungen. Beyer (2001: XII) bezeichnet ihn als einen Neologismus, der in den 1960ern aufgekommen ist. Riegler setzt die erste Verwendung des Begriffs erst Anfang der 1980er Jahre an, in einem 1983 in der „Harvard Business Review“ publizierten Beitrag (Riegler 2005: 93). Jones (2010: 7-8) hingegen ortet mehrere akademische Ursprünge von Globalisierung, eine davon in der Geschäfts- und Managementtheorie der frühen 1960er Jahre, als multinationale US-Firmen die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit vermittels Ausweitung ihrer Tätigkeiten über mehrere

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Länder mit einer globalen und nicht nationalstaatlich gebundenen Zugangsweise projektieren. Ebenso aus dieser Zeit stammt Marshall McLuhans Konzept des „globalen Dorfes“, des Zusammengehens der Welt über neue Formen der Kommunikation, aber auch die Propagierung einer einheitlichen Welt mit endlichen Ressourcen der entstehenden Umweltbewegungen. Dazu kommen die ersten Bilder des Erdballs, die aus dem All aufgenommen werden, was die Vorstellung einer eng miteinander verschränkten menschlichen Gesellschaft verstärkt. Während der 1960er Jahre gibt es darüber hinaus eine Reihe von Theorien, die sich kritisch mit dem „Entwicklung-alsModernisierungs“-Paradigma befassen, darunter die Dependenztheorie von Andre Gunder Frank (ibid.: 8). Zu ergänzen sind diese Ursprungskontexte um die Imperialismustheorien des 19. Jahrhunderts und die Produktionsweisendebatte (Nash 1981; Zuckerhut 2000: 27-76). Die auf den zuletzt genannten Grundlagen – der Imperialismustheorie, der Produktionsweisendebatte und der Dependenztheorie – aufbauende Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins (siehe unten, wie auch Kapitel II.4) gilt als wichtiger Meilenstein für die Herausbildung sozialwissenschaftlicher Globalisierungskonzepte (vgl. u.a. Kearney 1995: 549-50; Beyer 2001: XIII; Lewellen 2002: 32; Kreff 2003: 33-4; ders. 2005: 57-8). Für ihre Weiterentwicklung in der Kultur- und Sozialanthropologie wesentlich verantwortlich sind – neben den unten ausgeführten Auseinandersetzungen um die peasantry und zur häuslichen Produktionsweise (siehe Kapitel II.3) – die Arbeiten von Eric Wolf (1982), Sidney Mintz (1985) und Peter Worsley (1984) (Eriksen 2003b: 7-8; Lewellen 2002: 30; Petermann 2010: 71; Knoll et al. 2011: 126; et al.). Während Wallerstein (1974 et al.) sich auf die großen Zusammenhänge der Weltwirtschaft konzentriert, hebt Wolf (1982) zwar die weltweiten Verflechtungen spätestens seit 1400 hervor, fokussiert jedoch, auf Grundlage eines Modells miteinander verschränkter Produktionsweisen, primär auf die Einbindung scheinbar selbstständiger Gesellschaften, wie sie im 20. Jahrhundert Hauptgegenstand vieler kultur- und sozialanthropologischer Forschungen sind (vgl. dazu u.a. Kreff 2011: 440). Worsley (1984) geht von einer Kritik an Modernisierungs- bzw. Entwicklungstheorien aus und kommt über die Anerkennung der Bedeutung von Dependenz- und Weltsystemtheorie und anderer marxistisch geprägter Zugänge zu einer breiten Darstellung vielfältiger Themenbereiche – von der peasantry über die Frage der Herausbildung einer Arbeiterklasse, der Befassung mit Ethnizität und Nationalismus, bis hin zur Frage der Dekolonisierung und des Widerstands. Mintz (1985) auf der anderen Seite liefert mit seiner Aufarbeitung des globalen Zusammenspiels in der Herstellung und Verbreitung des Zuckers eine Grundlage für den heute so wichtigen Zugang eines follow the goods und der commodity chain analysis (Lewellen 2002: 187) auf Basis von multisited ethnography (Marcus 1995). Als einen weiteren Schritt in Richtung einer Anthropologie der Globalisierung betrachtet Fernand Kreff (2003: 37) den global systems approach von Kajsa Ekholm und Jonathan Friedman (1985). Dabei distanziert sich letzterer ganz entschieden von Globalisierungstheorien, die er als „an ideological transformation rather than a scientific discovery“ betrachtet (Friedman 2000: 638). Der Ansatz der global systems, der in Folge in einer Reihe von Beiträgen (z.B. Friedman 1994; ders. 2000) weiterentwickelt wird, verknüpft „Weltsystem und kulturelle Perspektive“ in einem globalen systemischen Rahmen (Kreff 2011: 440), wobei der Fokus auf der gesellschaftlichen Reproduktion liegt (Ekholm/Friedman 1985: 105, 109). Krisenzeiten verweisen auf

T HEORIESTRÄNGE

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Umstrukturierungen im Weltsystem, auf Verlagerungen des Zentrums. Solche Umstrukturierungen machen sich auch in der gegenwärtigen Krise bemerkbar, wobei letztere sich durch Revitalisierungen von Traditionalismen, die Identitäten und Zugehörigkeiten (der Ethnizität, der Nation, der Religion, etc.) definieren, auszeichnet (Ekholm/Friedman 1985: 97-8, 101-2; Friedman 2000: 648-9). Friedman (2000: 652) ortet darüber hinaus eine verstärkte Polarisierung zwischen den Klassen und Änderungen in den Identitäten ihrer Angehörigen, wobei die neuen kosmopolitischen Eliten Quelle der Ideologien der Globalisierung darstellen, die unteren Klassen hingegen einen „locus of lemon nationalisms“ (ibid.). Abgesehen davon fokussieren Ekholm und Friedman (1985: 100) auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten historischer Prozesse, die sie in der Alten Welt, aber auch anderswo bis zu 5000 Jahre weit zurückverfolgen (ibid.: 110-3; vgl. auch Petermann 2010: 76-7). Dezidiert von einer Anthropologie der Globalisierung kann im Zuge der allgemeinen Verbreitung des Terminus und der damit assoziierten, immer offensichtlicher werdenden Erscheinungen, Ende der 1980er Jahre, vor allem aber in den 1990er Jahren gesprochen werden. Auslöser sind Innovationen in den Informations- und Transporttechnologien und ihre Zugänglichkeit für breitere Bevölkerungsschichten, der Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ in Osteuropa und der nachfolgende triumph of free-market capitalism (Jones 2010: 9) des Neoliberalismus. Die dadurch bedingten neuen Dynamiken und Qualitäten führen zu intensivierten Verflechtungen und Austausch über den gesamten Planeten (vgl. u.a. Kreff 2005: 52; Riegler 2005: 94; Jones 2010: 8-9; Knoll et al. 2011: 126). Genutzt werden die neuen Möglichkeiten weltweiter Vernetzung auch von der Anti-Globalisierungsbewegung und anderen sozialen Bewegungen, die sich gegen die Dominanz der überbordenden „freien“ Marktwirtschaft des Neoliberalismus stellen (Jones 2010: 9). All diese Entwicklungen werden sowohl in der breiteren Öffentlichkeit als auch in der Forschung reflektiert. Entsprechend seiner Herkunft bezieht sich der Terminus Globalisierung folglich auf Phänomene der neueren Zeit. Beispielsweise definiert Lewellen seinen Inhalt als „the increasing flow of trade, finance, culture, ideas, and people brought about by the sophisticated technology of communications and travel and by the worldwide spread of neoliberal capitalism, and it is the local and regional adaptions to and resistances against these flows.“ (Lewellen 2002: 7-8)

Inda und Rosaldo (2002b: 9) geben in der Einleitung zu ihrem Reader der Anthropologie der Gobalisierung eine ähnlich gegenwartsbezogene Beschreibung. Globalisierung bezieht sich (1) auf die Beschleunigung von Kapital-, Menschen-, Güter-, Bilder- und Ideenflüssen rund um die Welt aufgrund der Entwicklungen der Transportund Kommunikationssysteme. Damit wachsen globale Interaktionen und Prozesse, womit (2) eine Intensivierung der die Welt verbindenden Interaktionsweisen und Flüsse einhergeht, ebenso wie (3) die Ausdehnung sozialer, kultureller, politischer und ökonomischer Praktiken über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Ereignisse und Aktivitäten in einem Gebiet des Globus haben Auswirkungen auf Gemeinden und Kulturen in weit entfernten Weltregionen; und das wiederum beinhaltet (4) eine Beschleunigung, Intensivierung und Ausweitung des Ineinandergreifens zwischen dem

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Globalen und dem Lokalen. Entfernte Ereignisse wirken auf lokale Räume und umgekehrt haben lokale Entwicklungen globale Auswirkungen. David Harvey (1989) spricht, in Zusammenhang mit der, der Globalisierung inne wohnenden Beschleunigung, von einem Zusammenrücken von Raum und Zeit, einer time-space compression. Anthony Giddens (1990) wiederum ortet eine time-space distanciation, eine Umorganisierung sozialer Beziehungen, weg von solchen auf einer unmittelbaren verwandtschaftlichen und gemeinschaftlichen Ebene, hin zu solchen, die über weite Distanzen hin organisiert sind (vgl. Inda/Rosaldo 2002b: 8; Jones 2010: 5). Marc Augé (1994: 145) sieht Letzteres in Verbindung mit einer zunehmenden Individualisierung (vgl. Kreff 2005: 70). Umgekehrt schafft Globalisierung laut Eriksen (2005: 28; siehe auch Eriksen 2001: 307-8) die Bedingungen für (Re)Lokalisierung, d.h. die Schaffung begrenzter Einheiten auf der Grundlage von Ländern, Glaubenssystemen, Kulturen, oder Interessensgruppen. Zur Bezeichnung dieser Vorgänge bietet sich, ihm zufolge, der von Roland Robertson (1992) geprägte Neologismus glocalisation an. Um diesen doppelten Prozess einer Ent- und Reterritorialiserung von Kultur, Kapital, Menschen, Waren, Bildern und Ideen (siehe dazu auch Gupta/Ferguson 1997) zu erfassen, schlagen Inda und Rosaldo (2002b: 12) das Kunstwort de/territorialisation vor. Dabei werden nicht alle Weltregionen gleichermaßen von den genannten Entwicklungen erfasst (Hannerz 1996; Eriksen 2001: 300; et al.). Riesige Gebiete (z.B. Teile des afrikanischen Kontinents) werden vom globalen Markt abgekoppelt, große Bevölkerungsgruppen (z.B. Flüchtlinge) an nationale Territorien „zurück“gebunden. Die Folgen der Globalisierung sind somit vielfältig, ungleichzeitig und widersprüchlich (Hess/Lenz 2001a: 15). Kulturelle und andere Flüsse führen zu kultureller Homogenität und Unordnung gleichermaßen, aber auch zu transnationalen (Sub-)Kulturen, von Hannerz, in Anlehnung an Kroeber (1945), unter den Begriff der global ecumene gefasst (Hannerz 1996; ders. 1997; ders. o.d. [1997]: 2, 4ff.). Global ecumene bezeichnet folglich die ungleichzeitige „interconnectedness of the world, by way of interactions, exchanges and related developments, affecting not least the organization of culture“ (Hannerz 1996: 7; vgl. auch ders. o.d. [1997]: 2). Die sie bildenden Flüsse konzentrieren sich in einigen Ländern, und hier wiederum in bestimmten Weltstädten – Saskia Sassen (1991) kreiert hierfür den Terminus der global cities –. D.h. es gibt laut Hannerz (1997; o.d. [1997]: 4ff.; 2002) nach wie vor Zentren und Peripherien, wie das von der Dependenz- und der ihr nachfolgenden Weltsystemtheorie postuliert wird. Dabei sind die kulturellen und anderen Flüsse nicht eindimensional, vom Zentrum in die Peripherien reichend und es kann nicht von einer allgemeinen „Verwestlichung“ ausgegangen werden (Eriksen 2007: 9, 122). Vielmehr bestehen, u.a. aufgrund der in den Weltstädten lebenden transnationalen Bevölkerung, die oft aus peripheren Weltregionen stammt, Rückkoppelungen zu diesen Ländern, d.h. es bestehen Peripherie-Zentrum-Peripherie-Beziehungen. Stephanie Teixeira und Keri Iyall Smith (2008) verweisen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung indigener Bewegungen, wie die der zapatistas,1 als Herausforderungen der Peripherie für die Zentrumsregionen. Abgesehen davon gibt es auch in den Peripherien Zentren in Form von großen Städten, die Brückenköpfe transnationaler kultureller Einflüsse darstellen. Wie schnell und in welchem Ausmaß diese zu bemerken sind, variiert, 1

Zu den zapatistas, siehe Fußnote in Kapitel IV.5.1.

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abhängig von der Lage und anderen Faktoren (Eriksen 2007: 9, 122; vgl. dazu auch Kreff 2003: 122-7). Neue Technologien führen zu einem rascheren Zusammenrücken von Zentren und Peripherien, wenngleich es immer wieder Gegen- und Abkoppelungsbewegungen gibt (Hannerz 1996: 18-9). Die Soziologin und Wirtschaftswissenschafterin Saskia Sassen (1998a: xxv) ortet folglich eine neue ökonomische Geographie der Zentralität, die einerseits bestehende Ungleichheiten (u.a. auch des Geschlechts, der Ethnizität, etc.) reproduziert, andererseits neue Dynamiken hervorbringt. Die großen internationalen Finanz- und Geschäftszentren wie New York, London, Tokyo, etc. rücken zusammen, aber es werden darüber hinaus Städte wie Bangkok, Buenos Aires oder Mexiko Stadt in diesen immer rascheren und intensiveren Austausch von Transaktionen der Finanzen, Güter und Investitionen inkludiert. Gleichzeitig verschärft sich die Ungleichheit innerhalb der global cities, wie auch zwischen diesen und anderen Städten desselben Landes (ibid.: xxi, xxv, xxx-xxxiii). Die Hochburgen der Wirtschaft und der Finanz sind, wie in der Vergangenheit, auf billige Arbeitskräfte angewiesen, „many of the disadvantaged workers in global cities are women, immigrants, and people of color“ (ibid.: xxxxi). Diese transnationalen Arbeitskräfte finden hier nicht nur Benachteiligung und Ausbeutung, sondern auch „a strategic site for their economic and political operations“ (ibid.: xxi). Arjun Appadurai (1996) widmet sich ebenfalls der Ungleichzeitigkeit globaler Prozesse (wenn auch nicht der sozialen Ungleichheit, die in seinem Modell ebenso wenig vorzukommen scheint wie menschliche Handlungsfähigkeit; vgl. dazu u.a. Eriksen [2003b: 5]), wenn er die Komplexität des gegenwärtigen Kapitalismus als durch Disjunktionen zwischen Ökonomie, Kultur und Politiken gekennzeichnet, charakterisiert. Er ortet fünf für die Analyse wichtige Dimensionen kultureller globaler Flüsse, nämlich (a) ethnoscapes, (b) technoscapes, (c) financescape, (d) mediascapes und (e) ideoscapes. Die Nachsilbe scape soll die Fluidität und Unregelmäßigkeit dieser Landschaften hervorheben, ihre Prägung durch die jeweilige geschichtliche, linguistische und politische Situiertheit unterschiedlicher Arten von Akteur_inn_en. Scapes sind Bausteine imaginierter Welten (imagined worlds), gebildet durch historisch situierte Vorstellungen von über den Globus verteilten Personen und Gruppen (Appadurai 1996: 32-6). Die Imagination, die Vorstellung gewinnt damit eine neue Bedeutung (ibid.: 31). Den Ausgangspunkt für Appadurais (1996: 28 lfd.) imagined worlds stellen Benedict Andersons (1983) imagined communities dar. Anderson beschreibt mit diesem Begriff die Nation als eine Gemeinschaft, die sich aus Leuten zusammensetzt, die sich nicht kennen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie begegnen werden. Die Grundlage für die Herausbildung dieser vorgestellten Gemeinschaft stellt der print capitalism dar, beruhend auf der Erfindung des Buchdrucks und der damit möglichen und nachfolgenden raschen Verbreitung von Texten in den jeweiligen Landessprachen. Erst dadurch lässt sich das Konstrukt einer in einem Territorium lebenden Bevölkerung, die über eine gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur verfügt, in einem breiteren Ausmaß etablieren (Lewellen 2002: 114). Damit steht Globalisierung in enger Verbindung mit der Herausbildung von Nationalstaaten (Featherstone 1990: 6-9) und ihrer nachfolgenden Infragestellung oder gar Auflösung. Ein zentrales Thema gegenwärtiger Globalisierungsdebatten ist folgerichtig die Frage nach der Zukunft der Nation (Sassen 1998a: xxviiff.; dies. 1998b; Inda/Rosal-

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do 2002b: 18; Jones 2010: 9, 12). Einer der dabei fokussierten Argumentationsstränge bezieht sich auf Migrant_inn_en, auf Menschen, die ihre Leben über nationale Grenzen hinweg organisieren und sich daher nicht so einfach als Bürger_innen in ihre neue Umgebung einpassen lassen (Inda/Rosaldo 2002b: 18-9). Nina Glick Schiller, Linda Basch und Cristina Blanc-Szanton (1997) schlagen für dieses Phänomen den Begriff des Transnationalismus vor, ein Terminus, der in Folge für eine breite Palette grenzüberschreitender Ereignisse – bezogen auf Menschen, Dinge, Ideen – Anwendung findet. Um die enthaltene Prozesshaftigkeit und Dynamik hervorzuheben modifiziert Pries (2008) die Bezeichnung Transnationalismus in Transnationalisierung. Ayșe Çağlar (2013: 27-8) hingegen bevorzugt den Terminus translokal, um den Fokus weg von der Ebene der Nationalstaaten hin zu einer „local perspective on locality“ (ibid.: 27) zu bewegen. Forscherinnen wie Patricia Pessar und Sarah Mahler (2003) heben schließlich die geschlechtliche Prägung derartiger Prozesse hervor, wie bereits vor und auch nach ihnen verschiedene Autor_inn_en, die in den Metanarrativen der klassischen Globalisierungstheoretiker nicht beachtete, geschlechtliche, ethnische und rassialisierte Komponente von Globalisierung aufzeigen (Sassen 1998a: xxi; dies. 1998c; dies. 1998d; dies. 1998e; dies. 1998f; Freeman 2001; Hess/Lenz 2001a; Roberts 2004; Clarke/Thomas 2006; Thomas/Clarke 2013; et al.). Ähnlich wie der Terminus Globalisierung findet auch Transnationalismus zunächst vor allem im unternehmerischen Bereich Anwendung, bezogen auf grenzüberschreitend aktive Konzerne. Erst 1986 taucht der Begriff erstmals in Zusammenhang mit Migration auf (Glick Schiller et al. 1997: Fußnote 1). Mittler-weile ist er ein ähnlich weit verbreiteter catch-all term wie der der Globalisierung (vgl. auch Strasser 2011: 387). Es besteht nun eine enge Verbindung zwischen Globalisierung und Transnationalismus/Transnationalisierung, jedoch keine Deckungsgleichheit ihrer Reichweite (Kearney 1995: 548; Knecht 2011: 389). Globale Prozesse sind nicht an nationale Territorien gebunden, während der Terminus transnational (im Unterschied zu translokal) auf die Einbindung eines oder mehrerer Nationalstaaten verweist (Kearney 1995: 548). Derlei Gebilde – imagined communities, die aber trotz ihres vorgestellten Charakters sehr reale und brutale Auswirkungen haben und hatten (siehe Kapitel II.4 und IV) – sind in der europäischen wie auch globalen Geschichte, relativ spät, erst im 18., 19. Jahrhundert entstanden (Anderson 1983; Hobsbawm 1992; siehe auch Kapitel II.5). Die imagined worlds (Appadurai 1996) der Globalisierung (die transnationalen Charakter haben können, aber nicht müssen) auf der anderen Seite, sind an die hoch entwickelten Techniken der Informationsübermittlung und des Transports des 20. und 21. Jahrhunderts gebunden. Entsprechend ihrem Entstehungskontext wird Globalisierung auch als Funktion von Neoliberalismus gesehen (siehe oben) – einem ebenfalls mit dem ökonomischen Sektor assoziierten Begriff –, der zur Zeit der Etablierung des Konzepts in den 1990ern zur hegemonialen Weltideologie wird (Eriksen 2003b: 4). Lewellen (2002: 9) bezeichnet den Neoliberalismus folgerichtig als halboffizielle Philosophie der USRegierung, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, aber auch vieler Universitätsinstitute der Wirtschaft und zahlreicher politischer und finanzieller Organisationen. Einer der oben angesprochenen Diskussionsstränge um die Zukunft des (National-) Staates ist eng mit der Frage verknüpft, ob diese Ideologie oder Wirtschaftsordnung auf einen starken Staat angewiesen ist (Hilgers 2012; Ong 2012: 26; Wacquant 2012).

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Im Umfeld des Schlagworts Globalisierung (und der damit assoziierten Termini Transnationalisierung und Neoliberalismus) sind – wie dieser kurze Einblick zeigt – eine Vielfalt von aktuellen Debatten der Kultur- und Sozialanthropologie zu finden. Tatsächlich lassen sich bei näherer Betrachtung nahezu sämtliche ihrer Themenfelder unter diesem Aspekt betrachten (Lewellen 2002: 33). Genannt wurden und werden neben den zuletzt angesprochenen Themen der Governmentalität und der Migration, die Auseinandersetzungen um den Kulturbegriff, die Infragestellung euklidischer Raumkonzepte, die Debatten um vielfältige hybride und multiple Identitäten, die Befassung mit Diaspora, Tourismus, Entwicklung und Modernisierung, religiösen und sozialen Bewegungen, ökonomischen und ökologischen Krisen, Krieg, Terror, alltägliche Gewalt, Medien, Internet, Adoption und Verwandtschaft und viele andere mehr.2 Wenn ich in Hinblick auf weltweite Verflechtungen dennoch auf die vielzitierte und -kritisierte Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein (1974; 1979; 1980; 2011; et al.) zurückgreife, dann aus drei Gründen. Der erste bezieht sich auf die stark historische Dimension des Wallersteinschen Konzepts, der meinem Anspruch der Miteinbeziehung von vertikalen Verknüpfungen entgegenkommt. 3 Globalisierung stellt einen vorläufigen Höhepunkt einer langen, gewalttätigen Geschichte von Enteignungen, aber auch Aneignungen dar (siehe unten, Kapitel II.4 und II.5), die aufgrund der durch Transport- und Kommunikationstechnologien bedingten Intensivierungen und Beschleunigungen eine neue Qualität gewinnt. Diese lange Geschichte wird von vielen Globalisierungstheoretiker_inne_n (z.B. Appadurai 1996: 28; Lewellen 2002: 11-3; Eriksen 2003b: 4) anerkannt, selten aber überzeugend vorgestellt.4 Verglichen mit den Beschreibungen von Fernand Braudel (1990a; 1990b; 1990c), auf dessen Forschungen Wallerstein sich bezieht und Immanuel Wallerstein (1974; 1979; 1980; 2011; et al.) selbst, wie auch der Forscher_innen im Umfeld des Fernand Braudel Centers, dessen Leiter Wallerstein lange Jahre (1976-2005) ist (URL 12),

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Vgl. beispielweise die Inhalte von Werken zur Anthropologie der Globalisierung (vgl. u.a. Inda/Rosaldo 2002b; Lewellen 2002; Eriksen 2003a; ders. 2007), aber auch Eriksens (2001) Einführung in die Kultur- und Sozialanthropologie „Small Places, Large Issues“, die erstmals 1995 erschienen ist. Vgl. auch die Beiträge von Mitarbeiter_inne_n des Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, wie Halbmayer/Mader (2004); Tošić (2009); Kreff et al. (2011); Mückler (2011); Chevron (2012); Çağlar (2013); Fillitz (2013), um nur einige wenige zu nennen. Einen sehr guten Überblick zu anthropologisch geprägten Globalisierungstheorien und -themen geben die Soziolog_inn_en Gille und O Riain (2002). In ihrem Beitrag werden darüber hinaus Möglichkeiten einer globalen, die historische, globale und lokale Komponente gleichermaßen inkludierende, Ethnographie aufgezeigt. Vgl. dazu auch die Bedeutung der Weltsystemtheorie für die Globalgeschichte laut Komlosy (2011: 28ff.), sowie Conrad (2013: 21), für ihre Anwendbarkeit auf indigene Bevölkerungsgruppen, vgl. Teixeira/Iyall Smith (2008: 24). Zur Weiterentwicklung der Weltsystemtheorie als einer world-ecology, vgl. Moore J. (2011). Eine ähnliche Kritik wird auch von Henrietta Moore (2009: 207-8) mit Blick auf den afrikanischen Kontinent geäußert, wobei Moore vor allem auf die aktive Rolle Afrikas in den Prozessen der Globalisierung verweist.

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verbleiben die meisten dieser Darstellungen eher an der Oberfläche und sind folglich alles andere als zufriedenstellend. Neben dieser historischen Komponente birgt die Weltsystemtheorie zweitens den Vorteil, dass (anders als z.B. bei Ekholm und Friedman [1985] oder Wolf [1982], in deren Werken die Geschichte ebenfalls eine zentrale Rolle spielt) Haushalte in ihr als institutionelle Schlüsselstrukturen der kapitalistischen Produktionsweise konzipiert sind (Wallerstein 1990: 131). Und drittens bietet sie sich an, da die Verbindung unterschiedlicher Formen von Arbeit – angefangen von der unfreien Arbeit von Sklav_inn_en, Leibeigenen und Schuldknechtschaft, über die teilweise Subsistenzarbeit sowie handwerkliche Kleinstproduktion mit variablen Strategien der Vermarktung, bis zur freien Lohnarbeit – als integraler Bestandteil der kapitalistischen Weltökonomie präsentiert werden. Haushalte sind, laut dieser Theorie, für ihr Überleben, auf ein Zusammenspiel unterschiedlicher Arbeits- und Einkommensformen angewiesen (was transnationale Varianten nicht ausschließt). Die (wechselnde) Zusammensetzung dieser Tätigkeiten und Einkommen kennzeichnet die (in Zeit und Raum variierende) Position von Haushalten im globalen Gefüge (siehe Kapitel II.6). Gehen wir nun diesem Schlüsselkonzept der Weltwirtschaft wie auch meiner eigenen Analyse, dem Haushalt nach und hier insbesondere der Frage, wie sich dieser aus kultur- und sozialanthropologischer Sicht charakterisieren lässt.

II.2 W AS

IST EIN

H AUSHALT ? „Our own folk category of household has strongly influenced the nature of our analytic category […].“ (HAMMEL 1984: 30)

Henrietta Moore (1988: 54ff.) und andere, weisen auf die Schwierigkeit hin, eine einheitliche Definition des scheinbar so eindeutigen Terminus Haushalt zu entwickeln. In der allgemeinsten Beschreibung bezeichnet dieser eine grundlegende gesellschaftliche Einheit mit zumindest teilweise gemeinsamer Produktion, Reproduktion, Konsumption und/oder Sozialisation (Goody 1972; vgl. dazu Sanjek 2012: 359), deren Mitglieder womöglich auch zusammen leben (Vivelo 1981: 322). Bei genauerer Betrachtung erweist sich jeder dieser Punkte als erklärungsbedürftig. Haushalte kennzeichnen sich durch eine Vielzahl an Funktionen und Strukturen und sie verändern sich mit der Zeit (Wilk/Netting 1984). Diese Komplexität, Dynamik und Vielfalt von möglichen Haushaltsmustern, nicht nur zu unterschiedlichen Zeiten, an heterogenen Orten, sondern auch zur selben Zeit, am selben Ort, wird von vielen Forscher_inne_n zu dieser Thematik oft übersehen. Haushalte werden häufig von einer bestimmenden Norm aus definiert, einem conjugal bias folgend (Blackwood 2003: 41). Impliziter Ausgangspunkt für sämtliche Bestimmungen in diesem Konzept ist ein eheliches heterosexuelles Paar. Darauf aufbauend gilt die Annahme einer coresidenten Kernfamilie mit einem, die Familie ökonomisch erhaltenden und mehr oder weniger dominanten Ehemann, einer, für die Haushaltsaktivitäten und Kinderer-

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ziehung zuständigen Ehefrau und den dazugehörigen Kindern als Norm. 5 Parallel existierende andere Formen des Zusammenlebens gelten als deviant und rücken nur als exotische Ausnahmeerscheinung oder zum Zwecke ihrer Beseitigung in den Blick (vgl. dazu Smith S. 1995). Selbst in der Kultur- und Sozialanthropologie, als einer Wissenschaft, die sich mit sehr unterschiedlichen und vielseitigen Formen menschlichen Zusammenlebens befasst, finden sich solche Tendenzen. 6 In den letzten Jahrzehnten werden allerdings in verstärktem Ausmaß auch andere Familien- und Haushaltstypen als wichtige und eigenständige Varianten anerkannt. Feministinnen wie Evelyn Nakano Glenn (1991) und Patricia Hill Collins (2000) verweisen auf die Notwendigkeit, die Differenzen in Haushaltsmustern, aufgrund des Vorhandenseins und der Überschneidungen von Differenzkriterien, wie „Rasse“, „Ethnizität“ und Klasse, zu berücksichtigen. Queertheoretiker_innen (z.B. Monahan Lang/Risman 2006; Ganz 2007) betonen die neuen, wenngleich ambivalent zu bewertenden, Spielräume verantwortungsvollen Zusammenlebens im neoliberalen System.7 Immer deutlicher zeigt sich, dass die Ausprägung von Haushalt nicht nur in verschiedenen Weltregionen und zu unterschiedlichen Zeiten äußerst variabel ist, sondern auch innerhalb einer Region, innerhalb ein- und derselben Gruppe vielfältige Weisen des Zusammenlebens, -arbeitens, der Zusammengehörigkeit etc. existieren können.

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Klaus F. Zimmermann und Michael Vogler schreiben beispielsweise im Editorial des 2003 erschienenen Sammelbands „Family, Household and Work“: –„During the last decades the appearance of a family has changed substantially. Not long ago a typical family consisted of a husband who left home in the morning to go to work, while his wife was tended to the housework during the day. They normally lived together for their whole life times, having one or more children, which primarily were raised by the wife […] in practice differing living models became much more common than before. […] The number of single-person households increased.“ (Zimmermann/Vogler 2003: VII) – Das Abweichen von der scheinbar „normalen“ co-residenten Kernfamilie wird also als Besonderheit betrachtet, nicht das normierte Bild ihrer scheinbar allgemein verbreiteten Existenz. Siehe dazu auch die in Kapitel II.6 zusammengefassten Ausführungen von Dunaway (2002; 2014), in denen ebenfalls von dieser heterosexuellen Normfamilie ausgegangen wird. Vgl. u.a. Yanagisakos Darstellung anthropologischer Versuche, einen universell gültigen Familienbegriff zu erstellen (Yanagisako 1979: 164), sowie Blackwoods Kritik zu den anthropologischen Konzepten matrifokaler und frauenzentrierter Haushalte (Blackwood 2003). Politische Institutionen erweisen sich hier als bemerkenswert „fortschrittlich“: Der deutsche Zensus sieht Haushalt als das Konglomerat jener Personen, die in einer „Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft“ zusammenleben, unabhängig davon, ob es sich um Familienmitglieder handelt. Eingeschlossen sind auch jene Familienmitglieder, die nur temporär abwesend sind (wie Student_inn_en, die in einer anderen Stadt studieren). Ähnlich ist das Konzept der Vereinten Nationen, das ebenfalls zwei Grundfunktionen verbindet: das „Wohneinheitskonzept“, das alle Leute verbindet, die ein Haus oder einen Teil eines Gebäudes okkupieren, und das „Hauserhaltungseinheitkonzept“, das alle Leute verbindet, die gemeinsam zu den grundlegenden Dingen des Lebens beitragen – auch wenn sie nicht in einem Gebäude zusammenleben (Becker 2003: 152).

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Haushalte/Familien/Einheiten des Zusammenlebens/etc. 8 lassen sich also nur schwer in ein einheitliches Konzept fassen und sind bestenfalls als historisch und lokal spezifisch und immer im Fluss zu definieren.9 Denn, „[…] how this group was actually defined, who the members were, what they shared – living space, food, other items of consumption, work, property, debts, income – and to what extent this group was isolated from or interwoven with other social groups or networks (like neighborhood, kin and community) requires careful investigation in each case.“ (Fontaine/Schlumbohm 2000b: 5)

Aber auch Veränderungen der Zusammensetzung, geteilten Aktivitäten oder Lokalisierung dieser Einheiten müssen analysiert werden. Als hilfreich könnte sich dabei der Zugang von Roger Sanjek (2012)10 erweisen. Der Anthropologe definiert Haushalt, in Anlehnung an Eugene A. Hammel, als „the next bigger thing on the social map after an individual“ (Hammel 1984: 40-1) und formuliert drei entscheidende Fragen, die lokal und historisch gestellt werden (können), um die jeweilige Haushaltseinheit zu bestimmen. Diese beziehen sich darauf, wer als einem Haushalt zugehörig angesehen wird, was eine Person tun muss, um als Mitglied eines Haushalts betrachtet zu werden, und wo die verschiedenen Teile eines Haushalts angesiedelt sind (Sanjek 2012: 357-60). In Hinblick auf die „Wer-Frage“ definiert er fünf Typen, nämlich solidaries, no family-, simple family-, extended family- und multiple family-Haushalte. Im Falle der solidaries, also der Ein-Personen-Haushalte, kann es sich um die (Wohn-)Einheit einer allein stehenden, oder einer verwitweten oder geschiedenen Person, oder aber um einen Teil eines dual-lokal verheirateten Paares handeln. No family bezieht sich auf Wohneinheiten, die sich aus nicht verwandten oder verheirateten Personen zusammensetzen, während sich die simple family in vielen Fällen auf den klassischen Kernfamilienhaushalt bezieht, darüber hinaus jedoch nicht nur Ehepaare mit Kindern, sondern auch solche ohne Kinder ebenso wie Vater-Kind(er) oder Mutter-Kind(er) Einheiten umfasst. Die extended family erweitert die Kernfamilie um andere Ver8

Etymologisch besteht eine große Nähe zwischen den Begriffen Haushalt und Familie: Haushalt leitet sich von „haushalten“ (mhd. Hūs halten) her, im Sinne von „das Haus bewahren“; Haus bezeichnete in der Vergangenheit auch „Hauswesen“ und „Familie“, während es heute primär ein, den Menschen zum Wohnen dienendes Gebäude bezeichnet (Dudenredaktion 2001: 320). Laut Braudel (1990a: 299) beispielsweise, „beherbergten die Londoner Bökker 1619 Kinder, Mägde und Lehrlinge unter ihrem Dach, die sogenannte family, als deren Oberhaupt sie auftraten.“ Mitterauer (1978: 78-9) weist darauf hin, dass sich der Begriff familia des 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebrauch auf die gesamte Hausgemeinschaft – die verwandte und nicht verwandte Personen einschließt – bezieht und erst im 18. Jahrhundert eine Bedeutungsverengung in Richtung „Fortpflanzungsgemeinschaft“ erfährt. 9 Meyer Fortes führt, Lourdes Arizpe (1973: 19) zufolge, den Faktor „Zeit“ in die Analyse häuslicher Gruppen ein, die folglich als Prozess betrachtet werden müssen. Die erste systematische Anwendung dieser Methode im Feld erfolgt durch Jack Goody (1958). 10 Herausgearbeitet wird dieser, auf der Grundlage der unterschiedlichen Herangehensweisen von Anthropolog_inn_en zum Forschungsfeld Haushalt.

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wandte wie Geschwister eines Teils des Kernehepaars (laterale Erweiterung) oder Enkel (lineale Erweiterung). Die multiple family schließlich beinhaltet zwei oder mehrere Kernfamilien, beispielsweise ein Elternpaar mit zwei verheirateten Söhnen und deren unverheiratete Kinder. Und es können noch weitere Verwandte dazukommen. Im Falle der letztgenannten drei Typen können dem Haushalt auch nicht der Familie zugehörige Personen angegliedert sein, sei das in Form von Bettgeher_inne_n oder Mitarbeiter_inne_n in der Haushaltsökonomie (ibid.: 286).11 Diese letztgenannte Kategorie von Personen, die einem Haushalt angehören kann, nimmt bereits einen Teil der Antwort auf die zweite Frage, nämlich was eine Person tun muss, um als Mitglied eines Haushalts betrachtet zu werden, vorweg: Bettgeher_innen schlafen im Haus; Mitarbeiter_innen in der Haushaltsökonomie arbeiten für das Wohl der Hausgemeinschaft. Möglicherweise essen sie auch dort (Sanjek 2012: 359). Wie eingangs erwähnt, lassen sich Haushalte also als Einheiten der Produktion, Reproduktion, Konsumption und/oder Sozialisation beschreiben, wobei diese verschiedenen Funktionen vorkommen können, aber nicht müssen. Brangeon und Jégouzo (1993: 87) unterscheiden folgerichtig Gruppen von Leuten, die unter einem Dach leben, mit einer gemeinsamen Haushaltsführung, geteiltem Einkommen und gemeinsamer Sorge um die Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder (housekeeping-unit) von solchen, deren Mitglieder zwar in einem Gebäude zusammenleben, aber nicht notwendig eine gemeinsame Haushaltseinheit bilden (householddwelling). Allerdings muss sich das „gemeinsam“ essen, schlafen, arbeiten nicht, wie bei Brandgeon und Jégouzo (ibid.) angedeutet, auf einen fixierten und gemeinsamen physischen Ort beziehen. Die „wo-Frage“, also wo die verschiedenen Teile eines Haushalts angesiedelt sind, bezieht sich daher nicht nur darauf, ob sich ein Haushalt in der Stadt oder am Land, in einer Zentrums- oder einer peripheren Region befindet, etc., sondern berücksichtigt auch, ob ein Haushalt sesshaft oder nomadisch ist, ob sich der Haushalt zu bestimmten Jahreszeiten aufspaltet, wie im Falle der Almwirtschaft oder auch der saisonalen Migration, oder ob eine langfristige oder gar permanente Fission erfolgt, die Leute sich aber weiterhin als Teil eines Haushalts betrachten (wie das im Falle von Migration sein kann).12 Möglicherweise sind einzelne Personen auch Mitglieder mehrerer Haushalte.13 Oder es werden neue Wohnräume zum (gemeinsamen) Kochen, Schlafen, Essen oder Arbeiten errichtet bzw. angekauft, d.h. der Haushalt ist über mehrere, nicht notwendigerweise nahe beieinanderstehende, 11 In jedem Fall bleibt zu ergänzen, dass weder Kernfamilien noch Elternpaare notwendigerweise aus einem heterosexuellen Mann-Frau-Paar bestehen. Erinnert sei hier nur an die vielfältigen Formen der Gynaegamie (vgl. u.a. Tietmeyer 1998), oder andere Varianten der Gender Variance (vgl. dazu u.a. Lang 1997; Tietz 1998). Darüber hinaus kann auch Verwandtschaft auf sehr unterschiedlichen Kriterien beruhen (vgl. dazu u.a. Yanagisako/Collier 1987). Zur Variabilität des Familienbegriffs, siehe Fußnote weiter oben. 12 Vgl. z.B. Wang (2000: 191) für das nordöstliche China, wo die Mitglieder eines Haushalts kurz- oder langfristig in verschiedenen Häusern und an unterschiedlichen Orten platziert sein können, wenn die ökonomischen Aktivitäten zur Erhaltung des Haushalts das erfordern. 13 Z.B. manche Student_inn_en in Österreich, die einerseits ihren eigenen Haushalt führen, andererseits noch Teil des Haushalts ihrer Eltern sind.

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Gebäude verteilt. Im Zusammenhang mit der innerhäuslichen Dynamik – sei das durch Statusveränderung einzelner Familienmitglieder aufgrund von Heirat o.ä., oder aufgrund von Konflikten – sind auch „Übergangshaushalte“ denkbar, in Form der Errichtung eigener Kochstellen im gemeinsamen Wohnhaus/-raum, wie das von Hirschon (1981) für ehemalige Flüchtlinge aus Kleinasien im Stadtteil Yerania, in der Nähe von Piräus (Griechenland) berichtet wird, aber auch in Mittelamerika weit verbreitet ist (für Cuetzalan siehe Kapitel V.1.2.3). Neben der eigenen Kochstelle und eigenem Essen kann die Aufteilung der Felder und der bislang gemeinsam verrichteten Arbeit und Ernte Ausdruck der beginnenden Trennung sein (Kapitel IV.2.5.6). In einem nächsten Schritt erst wird eigener Wohnraum errichtet, sei das durch Abtrennung des Raumes oder Bau bzw. Anmieten einer eigenen Wohnung/ eines eigenen Hauses (Kapitel V.1.2.4). Auf welchen Grundlagen auch immer sich ein Haushalt aufbaut, seine Zusammensetzung wie auch die im Haushalt durchgeführten gemeinsamen Aktivitäten und seine Verortung bleiben nie statisch (Netting et al. 1984: xviii). Haushalte sind permanenten Veränderungsprozessen unterworfen, einerseits aufgrund politischer oder ökonomischer Faktoren, wie Konjunkturzyklen der Weltwirtschaft oder gesetzlichen Strukturierungsmaßnahmen (siehe unten, sowie Kapitel II.6), andererseits auch aufgrund ihrer internen Dynamik. Bezogen auf Mesoamerika ortet Robichaux (1997: 150, 157) in Hinblick auf letztere einen spezifischen Mesoamerican developmental cycle of domestic groups, als Grundlage eines Mesoamerican household formation system. Dieser kennzeichnet sich dadurch, dass die älteren Söhne nach der Heirat zunächst mit ihren Ehefrauen im Haus der Eltern wohnen bleiben, aber nach und nach damit beginnen ihre eigene Wohnstatt zu errichten, in die sie schließlich mit ihrer Familie übersiedeln. Der jüngste Sohn hingegen verbleibt in der elterlichen Heimstatt. Er und seine Frau kümmern sich um die Eltern, wenn diese zu alt sind, sich selbst zu versorgen. Die Problematik eines solchen verallgemeinernden Konzepts, wird sich uns im Verlauf dieser Arbeit, insbesondere in den Kapiteln IV-VII enthüllen. In allen Haushaltstypen, nicht nur in dem einer eventuell zu findenden Mesoamerican household formation, gibt es jedenfalls Entwicklungszyklen, d.h. ein Haushalt nimmt mit der Zeit verschiedene Formen an: Mitglieder kommen und gehen, neue Hauseinheiten aber auch Haushalte werden gegründet, neue Tätigkeiten übernommen. In solchen Entwicklungszyklen spiegeln sich einerseits normative gesellschaftliche Konzepte, andererseits aber auch Gegentrends. Die Aufspaltung eines Mehrfamilienhaushalts in mehrere Kernfamilieneinheiten kann beispielsweise darin begründet sein, dass es in einer Gesellschaft/sozialen Gruppe üblich ist, spätestens nach dem zweiten Kind einen eigenen Haushalt zu gründen, oder aber Ausdruck innerhäuslicher Differenzen sein, die womöglich auf unterschiedliche normative Vorstellungen im alltäglichen Zusammenleben zurückzuführen sind. Andererseits stehen Fusion und Fission von Personen/Familien zu größeren oder kleineren Haushaltseinheiten mit ökonomischen und strukturellen Bedingungen in Verbindung. „Der Haushalt verhielt sich wie ein Akkordeon: je nach den wechselnden familialen Bedürfnissen und den äußeren Umständen dehnte er sich oder zog er sich zusammen“ schreibt Hareven (1982: 78) über die Verhältnisse in den USA im 19. Jahrhundert, wobei sie bemerkt, dass bevorzugt nicht verwandte Personen neu in die Haus- bzw. Wohnge-

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meinschaft aufgenommen werden.14 Wilk und Netting (1984: 8) stellen fest, dass das Zusammengehen in einer größeren Gruppe eine sehr wirksame Strategie sein kann, um mit unsicheren und variablen Einkommenssituationen umzugehen, d.h. wenn die Quellen der Subsistenz vielfältig, saisonal, variabel oder unvorhersagbar sind. Größeren Haushalten gelingt es ihrer Ansicht nach leichter, mehr Arbeitskräfte und unterschiedlichere Aktivitäten zu mobilisieren als kleineren. Im günstigsten Fall besteht auch eine starke Solidarität der Mitglieder und die Ressourcen werden gerecht verteilt, was die Mitglieder zu größerer Arbeitsleistung motiviert, um zum kollektiven Wohlergehen aller beizutragen. Diese Vorteile wirken aber nur im Falle harmonischer Beziehungen und wenn das Verhältnis Produzent_inn_en zu Konsument_inn_en so gestaltet ist, dass mehr produziert als konsumiert wird (West 2009: 281-2). West (ibid.: 282) stellt für die Bevölkerungsgruppe der Mossi in Burkina Faso fest, dass es in jenen Fällen, in denen ein Großteil der benötigten Nahrungsmittel am Markt gekauft werden müssen, günstiger für einen Haushalt sein kann, wenn ihm weniger Mitglieder angehören. Die für die Einkäufe benötigten Geldmittel sind geringer als in Gruppen mit mehr Personen. Zu diesen ökonomischen Kräften, die Struktur und Zusammensetzung eines Haushalts prägen, kommen auch noch politische (Wallerstein/Smith 1992a: 6). Über staatliche Zahlungen, die vor allem in den Industriestaaten, auch im Zeitalter des Neoliberalismus, einen immer größeren Teil des Einkommens der Familien bzw. Haushalte ausmachen, kann der Staat in die Familien- und damit auch Haushaltsstruktur eingreifen (vgl. dazu auch Monahan Lang/Risman 2006; Ganz 2007). Eine Definition von Haushalt als income-pooling oder resource-pooling unit als Grundlage der Analyse, deren Zusammensetzung den Zwängen der (Welt-)Wirtschaft sowie der staatlichen (und globalen) Politik Rechnung trägt und in ständiger Veränderung begriffen ist, wie sie von Wallerstein und Smith (1992a: 13-21) vorgeschlagen wird (siehe dazu Kapitel II.6), erweist sich somit als einerseits passend, andererseits als zu kurz gegriffen. Denn in die Dynamik seiner, im ständigen Fluss begriffenen, Konstituierung fließen immer auch ethnische, kulturelle, individuelle und andere Besonderheiten ein. Diesen vielfältigen Herausbildungen und Veränderungsprozessen von und in Haushalten gilt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit. Um diese Dynamiken zu verfolgen ist es notwendig sowohl die haushaltsinternen als auch die haushaltsexternen Beziehungen seiner konstituierenden Teile, die Mikrowie die Makrostrukturen, aber auch die Mesostrukturen, d.h. die Strukturen der Gemeinschaft und ihrer Verortung im Weltsystem, zu untersuchen.

14 Vgl. die Ausführungen zu semiperipheren und peripheren Haushalten in Mexiko Stadt, in Kapitel II.6.

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II.3 H AUSHALTE ALS T EIL DER W ELTWIRTSCHAFT : Z UGÄNGE AUS DEM U MFELD DER K ULTUR - UND S OZIALANTHROPOLOGIE 15 Betreffend die Verbindung der drei Ebenen und damit die Einbindung von Haushalten in die globale Ökonomie lassen sich in der Kultur- und Sozialanthropologie im Wesentlichen zwei große, aber eng miteinander verbundene, Diskussionsstränge finden, die in den letzten Jahrzehnten um die Dimension transnationaler Haushalte, im Kontext von Migration und Transnationalisierung von Haushaltsarbeit, erweitert wurden; einmal den um die peasantry, zum anderen den um die häusliche Produktionsweise (domestic mode of production). Beide beziehen sich auf Landwirtschaft treibende Bevölkerungsgruppen, deren zentrale Einheit der Konsumtion und Produktion der Haushalt oder die häusliche Gruppe ist. Über Mechanismen des ungleichen Tauschs und andere Formen der Ausbeutung ist der Haushalt mit der umgebenden größeren Gesellschaft verbunden. Vor allem die Konsequenzen, die sich aus der Einbindung der Peasants bzw. der häuslichen Produktionsweise in das globale kapitalistische Wirtschaftssystem ergeben, sind zumindest bis Anfang der 1990er Jahre heftig umstritten: Kommt es zu ihrer vollständigen Integration und Umwandlung in kapitalistische ökonomische Strukturen und damit ihrem Verschwinden? Erfolgen unterschiedliche Weisen der Anpassung an die geänderten Bedingungen der globalisierten Ökonomie des 20. und 21. Jahrhunderts? Und ist das kapitalistische System für sein Bestehen auf das nicht kapitalistisch wirtschaftende angewiesen? Oder aber bieten Peasant-Lebensweisen Möglichkeiten des Widerstands oder gar Alternativen gegen eine durchkapitalisierte Welt? Im Folgenden wird zunächst einigen der Grundlagen des Konzepts der peasantry im Allgemeinen, wie auch bezogen auf Mexiko nachgegangen und schließlich das Konzept der häuslichen Produktionsweise und seine Weiterentwicklung im „Bielefelder Subsistenzansatz“, präsentiert. Danach wird – ausgehend von Florencia Mallon’s (1986) Darstellung des Zusammenwirkens von Produktionsweise, „Rasse“, Klasse und Geschlecht und Michael Kearney’s (1996) Konzept der polybians – ein Modell der Hybridität und Verflechtung, wie es in den aktuellen Debatten um Haushalte, Peasants und kapitalistischer Weltwirtschaft dominiert und meinen eigenen Zugang charakterisiert – vorgestellt. II.3.1 Die Peasant-Debatte und ihre aktuelle Relevanz Die systematische Erforschung der peasantry erfolgt – Teodor Shanin (1979b: 11) zufolge – zunächst in Zentral- und Osteuropa.16 Die dortige, stark an westeuropäischen Ideen orientierte Intelligenz sieht sich einem sehr großen Sektor einer beson-

15 Dieses Kapitel erscheint demnächst, in leicht geänderter Form, unter dem Titel „Haushaltsökonomien (Domestic Modes of Production)“ im von Gertraud Seiser herausgegebenen Lehrbuch „Ökonomische Anthropologie. Einführung und Fallbeispiele“ Wien: Facultas.wuv Universitätsverlag. 16 Wilcox (2008: xxviii) weist allerdings darauf hin, dass sich Robert Redfield bereits in den 1920ern, 1930ern intensiv mit Peasants in Mexiko befasst. Erst in den 1940ern beginnen auch andere Sozialwissenschafter_innen die Thematik aufzugreifen.

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ders armen und „zurückgebliebenen“ bäuerlichen Bevölkerungsgruppe gegenüber, die ihren Vorstellungen von Modernisierung und der Schaffung einer, dieser entsprechenden, nationalen Identität entgegensteht. Die Gleichsetzung der peasantry mit vorindustriell und mit einer modernen Gesellschaft nicht vereinbar, wie auch die kaum vorhandenen Publikationen in englischer Sprache,17 verhindern allerdings eine breitere Rezeption der resultierenden Studien. Erst jene Entwicklungen in der Anthropologie, in deren Gefolge von den klassischen Forschungsgebieten tribaler Gesellschaften etwas abgegangen wird, führen zu einem breiteren Interesse, auch in anderen Weltregionen (Shanin 1979b: 11-2). 1979 ordnet Shanin (1979b: 13-4) die Forschungen zu Peasants vier großen Traditionen zu: der marxistischen Klassentheorie, der „besondere Ökonomie“-Typologie, der ethnographischen kulturellen Tradition und der Durkheimschen Tradition, in der Interpretation von Alfred Kroeber. Die erste dieser Strömungen, die marxistische Klassenanalyse, nähert sich der peasantry über Machtbeziehungen, d.h. Peasants gelten als unterdrückte und ausgebeutete Produzent_inn_en der vorkapitalistischen Gesellschaft. Die heutigen Peasants sind demzufolge Überbleibsel einer früheren Sozialformation. Die zweite Richtung betrachtet die Sozialstruktur der Peasants als durch einen besonderen Typus der Ökonomie bestimmt, wobei hier das Entscheidende darin liegt, wie die Familienfarm operiert. Auch dieser Ansatz lässt sich auf Marx zurückführen, wird aber zunächst von Vasil’chakov (1881) explizit gemacht und von Tschajanow (1923 bzw. 1925) vollständig entwickelt (vgl. dazu neben Shanin 1979b: 13-4, auch Worsley 1984: 71). Die dritte Tradition stammt aus der europäischen Ethnographie und der traditionellen westlichen Anthropologie. Sie betrachtet Peasants als repräsentativ für eine frühere nationale Tradition, bewahrt als „kultureller Rückstand“, aufgrund des, für Peasantgesellschaften typischen, Beharrungsvermögens. Und die vierte Strömung wurzelt in Emile Durkheims Differenzierung zwischen „traditionellen“ Gesellschaften und „modernen“ oder „organischen“, gegründet auf einer Arbeitsteilung und der notwendigen Interaktion der Einheiten. Kroeber (1948: 284) platziert nun die PeasantGesellschaften in eine Zwischenposition als part societies mit part cultures, als teilweise offene Segmente in einer ansonsten vorwiegend urban ausgerichteten Gesellschaft. Die Idee der Peasant-Teilsegmente wird schließlich von Robert Redfield (1956) aufgegriffen, der ein – Shanin zufolge –, in der amerikanischen Anthropologie allgemein akzeptiertes, Konzept der Peasant-Gesellschaft18 entwirft (Shanin 1979b: 17 Alexander Tschajanows „Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft“, eine der berühmtesten Untersuchungen in diesem Zusammenhang, ist 1923 auf Deutsch, 1925 auf Russisch und erst 1966 in Englischer Übersetzung erschienen (Seiser 2009: 165). – Neben der hier verwendeten deutschen Schreibweise des Namens Tschajanow gibt es die englische Version Chayanov, die etwas abweichende Variante Chaianov sowie die in vielen Bibliothekskatalogen gängige Fassung Čajanov (Spittler 1987: VII, Fußnote 2). 18 Für Redfield (1956) sind peasant communities Teil einer größeren Gesellschaft, und daher part cultures. Sie zeichnen sich durch Merkmale einer little tradition aus, die sich als Abbild der great tradition (die den gebildeten Schichten vorbehalten ist), der „Hochkultur“ herausgebildet hat. Peasants haben ihm zufolge, sehr persönliche Beziehungen zum Boden; landwirtschaftliche Aktivitäten werden, dem entsprechend, besonders positiv bewertet. Die (patri- oder besser virilokale und patrilineale) Familie hat zentrale Bedeutung; Heirat dient

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13-4). Zuvor schon, in den 1920er, 1930er Jahren aber, spricht Redfield bereits von folk people als intermediate peoples, die zwischen traditionellen abgelegenen Dörfern und urbanen Zivilisationen gefangen lebten. Zunächst bezeichnet er sie als folk, wobei seine Definition vor allem kultureller Natur ist. Ende der 1930er Jahre wendet er sich dann stärker den strukturellen Aspekten der folk society zu. Und er spricht zunehmend von Peasants (Wilcox 2008: xxivii). Nach und nach entsteht daraus das Konzept eines folk-urban continuums (ibid.: xx). Trotz der, laut Shanin (1979b: 13-4), allgemein verbreiteten Akzeptanz von Redfields Peasant-Definition, wird der Begriff sehr breit verwendet und findet praktisch für jede Person, die am Land lebt und arbeitet Anwendung (Worsley 1984: 70; vgl. auch Dalton 1972: 386). Und selbst Shanin spricht – nach Worsley (ibid.) – u.a., wegen der Heterogenität der unter diesem Begriff zusammengefassten Merkmale, die scheinbar nichts Gemeinsames haben, von der peasantry als einer awkward class. Dennoch gibt es zwei Entwürfe einer Art Idealtypus der Peasant-Society, einen von Teodor Shanin selbst, den zweiten von Eric Wolf. Beide Autoren beziehen sich in ihren Schriften sehr stark auf den bereits erwähnten Tschajanow (Worsley 1984: 71), der auch in den späteren Auseinandersetzungen mit dem Phänomen eine wichtige Grundlage bildet19 und dessen zentrale Aussagen ich in Folge kurz zusammenfasse. Für den russischen Landwirtschaftsökonomen Tschajanow (1888-1937) ist die Peasant-Landwirtschaft eine Form ökonomischer Aktivität, die so große Besonderheiten aufweist, dass es gerechtfertigt ist, von einer Peasant-Produktionsweise zu sprechen (Tschajanow 1987: 110ff.). Diese wird von einer anderen Logik sowohl wie die „Vor-Peasant-“ als auch die kapitalistische Produktion geleitet. Die Unterschiede finden sich in der Beziehung der Peasant-Familie (deren Haushalt die Produktionsund Konsumtionseinheit darstellt) oder des Dorfes gegenüber der äußeren Welt, wie auch in der inneren Konstitution, Dynamik und im Funktionieren dieser Produktionsoder Lebensweise. Tschajanow konzentriert sich in Folge auf die ökonomischen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Peasant-Einheiten (vgl. Worsley 1984: 71). In den demographischen Zyklen der Haushalte und den damit einhergehenden wechselnden „Arbeiter_innen-Konsument_inn_en-Verhältnissen“ (d.h. dem Verhältnis arbeitende Erwachsene versus arbeitende Erwachsene plus Abhängige: Kinder und Alte), sieht er die Ungleichheiten der russischen peasantry, in Hinblick auf Größe des bebaubaren Landes und verfügbare Arbeitsinstrumente, begründet (Tschajanow 1987: 13ff.). Anders als im kapitalistischen Unternehmen, das auf Profitmaximierung und Akkumulierung ausgerichtet ist, ist das Ziel des Peasant-Haushalts die Bedürfnisse der (einfachen) Reproduktion zu befriedigen und die Arbeit zu minimieren (ibid.: 25ff.; vgl. auch Bernstein 2009: 59). Ist also über das Jahr hinweg die Versorgung der Haushaltsmitglieder gesichert, dann wird die Arbeitsintensität verringert (Tschajanow 1987: 33; vgl. auch Seiser 2009: 166).

der Vorsorge für das ökonomische Wohlergehen. Aufgrund der Einbindung in die größere Gesellschaft, besteht eine Notwendigkeit Cash-Crops zu erzeugen. Gewalt und Aggression werden abgelehnt. Peasant communities zeichneten sich durch einen starken Konservativismus aus. 19 Vgl. beispielsweise Bernsteins (2009) Darstellung der „Lenin-Tschajanow-Debatte“, als entscheidend für die Gründungsperiode der Zeitschrift „Journal of Peasant Studies“.

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Ähnlich Tschajanow, differenziert auch Eric Wolf (1966: 2) Peasants von stärker kapitalistisch-unternehmerisch wirtschaftenden „Farmer_inne_n“. Einheit der Peasant-Ökonomie (und des Peasant-Lebens) ist der Haushalt, weshalb sich diese Art des Zusammenlebens und Produzierens in so unterschiedlichen Wirtschafts- und Herrschaftsformen, wie dem Kapitalismus, der Feudalgesellschaft, wie auch in bürokratischen Imperien findet. Entscheidend ist darüber hinaus, dass Peasant-Haushalte immer in asymmetrische Machtbeziehungen eingebettet sind, d.h. „Gartenbauer_inne_n“, im Sinne unabhängiger Produzent_inn_en, fallen nicht in diese Kategorie. Peasant-Gemeinschaften sind von der sie umgebenden Dominanzkultur abhängig und werden von dieser ausgebeutet (ibid.: lfd.). Theodor Shanin (1979b: 14-5) fasst schließlich vier Merkmale der Peasants zusammen, die sich teilweise auch bei Tschajanow und Wolf, wie auch anderen Autor_inn_en, die sich mit der Thematik befassen, finden: Erstens ist die Familienfarm die Grundeinheit einer multi-dimensionalen Sozialorganisation. Die Arbeit auf dem Hof wird fast ausschließlich durch die Familienmitglieder verrichtet. Die Konsumgüter stammen primär von den Produkten des Hofes. Auch die Zahlungen an die politischen und ökonomischen Machthaber entstammen der bäuerlichen Hauswirtschaft. Der Familienhof ist die primäre soziale Einheit für Sozialisierung, Besitz und Wohlergehen; das individuelle Verhalten ist tendenziell dem der Familie untergeordnet. Zweitens liefert die Landwirtschaft den Großteil der Subsistenz. Es besteht eine spezifische Aufgabenverteilung mit einem niedrigen Maß an Spezialisierung, die Ausbildung erfolgt in der Familie. Der Hof ist relativ autonom; die Natur hat einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensbedingungen – die Ressourcen sind begrenzt. Drittens ist die Kultur der Lebensweise kleiner Gemeinschaften angepasst. Spezifische Merkmale bestehen, beispielsweise in den sozial bestimmten Normen und Wahrnehmungen. Individuelles Handeln wird oft mit Erfahrung und dem Willen der Gemeinde gerechtfertigt. Und viertens sind Peasants durch Außenseiter_innen dominiert und befinden sich daher in einer untergeordneten Position. Ihre politische Subordination ist mit kultureller Unterordnung und ihrer ökonomischen Ausbeutung über Steuern, Renten, etc. vermischt. Unter bestimmten Umständen können sie sich aber in das revolutionäre Proletariat unserer Zeit verwandeln. Shanin (1979b: 16) betont darüber hinaus, dass peasantry nur als Prozess existiert, d.h. sich immer in Veränderung befindet und regionale Unterschiede in hohem Ausmaß die unterschiedlichen Geschichten/Historien der jeweiligen Peasants spiegeln.20 20 Einige Jahre später arbeitet auch Peter Worsley auf der Grundlage der bekanntesten Peasant-Konzepte eine Zusammenfassung der zentralen Merkmale heraus. Zunächst unterscheidet er zwischen den „primären peasantries“, in denen die Peasants die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, und den „sekundären peasantries“, in denen sie eine Minderheit darstellen (Worsley 1984: 72). Er stellt fest, dass Peasants in jedem Fall politisch, ökonomisch und kulturell von Außenseiter_inne_n dominiert sind. Zentrale Einheit ist der Haushalt, wobei die darin erfolgenden vielfältigen Aktivitäten nur einen Teil der breiteren sozialen Aktivitäten ausmachen. Der Haushalt ist aber nicht nur Produktions-, er ist auch Konsumtionseinheit. Angebaut wird zur Befriedigung der Bedürfnisse der Haushaltsmitglieder.

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Entscheidend für die späteren Diskussionen, die sich stark um die Frage nach dem widerständigem Potential von Peasants drehen,21 ist Peter Worsleys Hinweis einer Art moralischen Ökonomie,22 in Form von Anforderungen an eine_n guten Landherr_i_n. Werden gewisse Standards im Umgang des_der Landherr_i_n mit den Peasants nicht eingehalten, so kann das, Anlass für einen Aufstand der bäuerlichen Bevölkerung sein (Worsley 1984: 126). Die Antwort der Peasants auf ihre Unterdrückung ist, ihm zufolge, allerdings nur in den seltensten Fällen eine revolutionäre (ibid.: 145). Neben den genannten Ausführungen zu den Charakteristika der peasantry und der Debatte um ihre Rolle als revolutionärem Subjekt, besteht ein weiteres Interesse der Forscher_innen an den strukturellen Veränderungen, denen Peasants, im Zuge ihrer Einbindung in die nationale und globale Gesellschaft, ausgesetzt sind. Eine lanDer Haushalt ist darüber hinaus die entscheidende Einheit für alle sozialen Angelegenheiten, seien diese nun ökonomisch oder nicht. Er ist eine Wohneinheit, Einheit der Heirat und der Verwandtschaftsbeziehungen, Einheit zur Verehrung der Ahn_inn_en, der Erdgeister und des obersten Wesens. Und er befindet sich immer innerhalb der breiteren Strukturen korporativer Verwandtschaft. Der Hof in der Peasant Gesellschaft ist eine Familienfarm (ibid.: 72-3). Die Ökonomie in solcherart geprägten Gesellschaften ist im Wesentlichen eine „häusliche Produktionsweise“ (zu diesem Konzept siehe Kapitel II.3.3). Die entscheidende Ressource Land gehört dem Haushalt als solchem, ebenso wie Werkzeuge, Vieh, etc. Der Haushalt ist eine transgenerationale Korporation; der gegenwärtige Vorstand ist eine Art momentaner Manager. Primär kümmert sich der Haushalt um Sicherheit, Kontinuität und Risiko-Minimierung, nicht um Profit (Worsley 1984: 73). Der Markt nimmt eine untergeordnete Rolle ein. Land ist kein mobiler Produktionsfaktor, steht nicht unter Systemen juridischen privaten Eigentums, so wie auch die Arbeit keine Ware ist. Der Haushalt ist eine Art Miniaturwohlfahrtsstaat; es werden auch jene versorgt (Kinder, Alte), die nicht an der Produktion teilnehmen. Aus diesem Grund ist das Verhältnis zwischen Produzent_inn_en und Nicht-Produzent_inn_en entscheidend, wobei dieses biologisch, durch das Stadium des Lebenszyklus der Einzelmitglieder, begründet wird, und damit wieder eine Funktion des Stadiums des Entwicklungszyklus der Familie, als strukturelle Einheit, ist (ibid.: 74; vgl. das „Arbeiter_innen-Konsument_inn_en-Verhältnis“ bei Tschajanow 1987: 13ff.). 21 Vgl. die Debatten um peasantry als einem politischen (revolutionären) Subjekt, wie sie zum einen von der Sub Altern Studies Group, zum anderen im „Journal of Peasant Studies“, und hier vor allem im Kontext des Aufstands der zapatistas in Chiapas, aber auch neoliberaler Umstrukturierungen der Landwirtschaft geführt werden und wurden (vgl. u.a. Petras/Veltmeyer 2001; Brass 2002a; ders. 2002b; Desmarais 2002; Jansen/Roquas 2002; Petras/Veltmeyer 2002; Reed 2003; Brass 2005; Collier/Collier 2005; De León 2005; Harvey 2005; Hristov 2005; Moksnes 2005; Olivera 2005; Saavedra 2005; Van der Haar 2005; Washbrook 2005; Brass 2006; ders. 2007a; ders. 2007b; Das 2007; Morton 2007; Petras/Veltmeyer 2007; Petras 2008; Washbrook 2008; Fox et al. 2009; Wittman 2009; Schneider/Niederle 2010; Granovsky-Larsen 2013; Grandia 2014). 22 Zum Konzept der moralischen Ökonomie, vgl. auch Thompson (1980b). Zum Zusammenhang der moralischen Ökonomie und sozialen Bewegungen der peasantry, vgl. Edelman (2005). Einer der ersten, der dieses Konzept in Verbindung mit nicht europäischen Peasants bringt, ist James Scott (1976).

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ge Zeit weit verbreitete Annahme ist die, dass die wachsende Bedeutung von Tauschbeziehungen und Geldwirtschaft die kleinbäuerlichen Familienfarmen nach und nach in Unternehmen kapitalistischer Natur verwandle (vgl. z.B. Shanin 1979b: 16f.). Noch 1980 geht Hyden davon aus, dass „[t]he road to modern society has been completed at the expense of the peasantry“ (Hyden 1980: 9) und daher die Geschichte der peasantry ein abgeschlossenes Kapitel sei. Tatsächlich aber wird in den letzten Jahren ihr Neuerstarken konstatiert, womit auch die theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik neue Brisanz erlangt (vgl. Morton 2007: 442-3; Ploeg 2010). Auffallend in der neueren Literatur, insbesondere der, der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist, nach Handy (2009: 341), dass in der Darstellung der wesentlichen Charakteristika praktisch jegliche Bezugnahme auf real existierende Peasants fehlt. 23 Peasants sind nahezu vollständig „erfunden“ (ibid.: 340) bzw. zeigt sich in den Beschreibungen und Interpretationen eine Blindheit gegenüber historischen Veränderungen. Es zeigt sich, dass: „[t]wo hundred years after Arthur Young was campaigning for agricultural change in rural England, the arguments seem to have changed little. Peasants need to be subjugated to the interests of the state, incorporated into capitalist agriculture, made to produce more and to produce it more effectively, or need to give way to capital. That incorporation needs to be accomplished so as to wring from them an increased surplus and, in the process, turn them into something else. Despite all the evidence to the contrary, they continued to be portrayed as unchanging, irrational and ornery; a threat not just to economic development but to modernity and its companion, the modern state.“ (Handy 2009: 342)

Bevor wir uns weiter mit der Bedeutung der (erfundenen oder „realen“) peasantry für das Funktionieren der kapitalistischen Weltwirtschaft, und damit der Frage der häuslichen Produktionsweise und ihrer Rolle für die Kapitalakkumulation befassen, gehe ich im folgenden Kapitel – meiner regionalen Schwerpunktsetzung entsprechend – speziell auf jene Aspekte der frühen Peasant-Diskussion ein, die in Verbindung mit Mexiko stehen. II.3.2 Mexikanische Aspekte der Peasant-Debatte 1972 stellt Dalton fest, dass Lateinamerika und die Karibik – und wie ich ergänzen möchte, insbesondere Mexiko – für die anthropologische Debatte zur peasantry besonders wichtig sind. Viele der relevanten Konzepte werden in Zusammenhang mit dieser Weltregion (v.a. bezogen auf Mexiko und Guatemala) entwickelt (wie die der great and little tradition, des folk-urban continuum von Redfield, oder Wolfs open and closed corporate peasant communities sowie Tax’ penny capitalism).24 Zu be-

23 Dalton (1972: 399) verweist bereits 1972 darauf, dass es kaum möglich ist, real existierende Gesellschaften in das allgemeine Konzept von peasantry, das zeit- und raumlos ist und keine institutionellen Kriterien für Landbesitz und Politik besitzt, einzubringen. 24 Wobei sich im Falle Tax’ die Frage stellt, ob seine Sicht einer guatemaltekischen Dorfgemeinschaft streng genommen den Peasant Studies zuzurechnen ist, wenn er schreibt: „The title of this book […] should also convey in two words what the book describes: a society

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rücksichtigen ist aber, dass sich die lateinamerikanischen Peasants, die diesen Konzepten zugrunde liegen, in wesentlichen Dingen, von kleinbäuerlichen Gemeinschaften in anderen Weltregionen wie auch untereinander unterscheiden (vgl. Dalton 1972: 402). Gründe dafür finden sich in den starken Einflüssen der spanischen Eroberung (darunter die Auswirkungen der Dezimierung der indigenen Bevölkerung, das parallele Bestehen indigener, spanischer, afrikanischer u.a. Siedlungen, der allgegenwärtige Katholizismus, verschiedene feudale und merkantile Institutionen, etc.), sowie den hybriden und zusammengesetzten Charakteristika (aus Traditionen unterschiedlicher Herkunft) der Kleinbauern und -bäuerinnen.25 Die heutigen Peasants in Lateinamerika sind darüber hinaus Angehörige von Nationalstaaten, was eine weitere Diversität bedeutet, da sich Nationalökonomie, Gesellschaft und Kultur in sehr unterschiedlichem Maße verändern (ibid.: 403). Einer der ersten, der sich mit Peasants, als einer, in eine größere Gemeinschaft integrierten, Gruppe befasst, ist Robert Redfield (1930), in seiner Studie zu Tepoztlán, Morelos. 26 Sein Hauptinteresse gilt den Veränderungsprozessen vom traditionellen Dorf, hin zur modernen Stadt. Die Einwohner_innen Tepoztláns lassen sich, Redfield zufolge, als Gruppe von Leuten zwischen Tradition und Moderne charakterisieren. Es handle sich um „dazwischenliegende“ (intermediate) oder folk people, die sich in der Mitte eines allgemeinen Typus von Veränderung befinden, durch den „Primitive“ zu „Zivilisierten“, Ländliche zu Urbanen werden (vgl. hierzu Wilcox 2008: xvii-i). Siebzehn Jahre nach Robert Redfields Untersuchung des Dorfes Tepoztlán, forscht Oscar Lewis in derselben Gemeinschaft. Er stellt auf den ersten Blick viele Dinge fest, die seit damals praktisch gleichgeblieben sind, aber es gibt auch Zeichen der Veränderung.27 Für Lewis sind die von ihm erhobenen Transformationen das Ergebnis langfristiger historischer Prozesse, die bis in vorkoloniale Zeiten zurückgehen (Lewis 1944: xi-iii), also auf historische Verflechtungen hinweisen. Daneben muss auch die Einbindung der Gemeinschaft ins regionale, nationale und globale Gefüge berücksichtigt werden. In der Folge versucht Lewis eine doppelte Vorgangsweise, einerseits die Untersuchung der Ortschaft/Stadt für sich, als Einheit mit einer inneren Organisation, die die Familie, das barrio und dorfweite Einrichtungen, wie die Kirche, die Schule und die lokale Regierung, beinhaltet. Andererseits erfasst er die Einbettung der zugehörigen Gemeinden ins Munizipio (d.h. der bundesstaatlichen Verwaltungseinheit), den Bundesstaat Morelos, die Nation und die Welt, da er davon which is ‚capitalist‘ on a microscopic scale“ (Tax 1951: IX). Für ihn handelt es sich um eine „zurückgebliebene“ (backwoods) Gesellschaft, „which must be changed“ (ibid.). 25 Wobei Wolf (1972), im Kommentar zu Daltons Beitrag, zu Recht darauf hinweist, dass diese Hybridität im Grunde für alle peasantries gilt; dass folglich eher untersucht werden sollte, wie die verschiedenen Einflüsse aufeinander wirkten, als zwischen „reinen“ und „hybriden“ Formen von Peasants zu differenzieren. Zur aktuellen Heterogenität lateinamerikanischer Peasants, vgl. Altieri/Toledo (2011: 594). 26 Die Feldforschung erfolgt zwischen November 1926 und Juli 1927. 27 Und er stellt auch grundlegende Unstimmigkeiten mit Redfields Ergebnissen fest: Die Gemeinschaft sei nicht durch Harmonie, Kooperation und Solidarität charakterisiert, wie von Redfield sehr ausführlich dargelegt, sondern vielmehr durch Konflikt, Individualismus und einem starken Bedürfnis nach Privateigentum (vgl. v.a. Lewis’ Schlusskapitel, Lewis 1944: 428-448).

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ausgeht, dass die inneren und äußeren Aspekte der Dorforganisation eng miteinander verbunden sind und ein Kontinuum der sozialen und ökonomischen Organisation bilden (ibid.: xx). Ausgehend von einer solchen Einbettung von Gemeinden in ein größeres System und ihrer strukturellen Beziehungen, differenziert Eric Wolf einige Jahre später, unterschiedliche Varianten von Peasant-Typen (Wolf 1955: 454). Dabei betont er, ähnlich Lewis, dass einerseits die Arten von Gemeinschaften, in die Peasants eingebettet sind, berücksichtigt und herausgearbeitet werden müssen, anderseits die historische Entstehung und Dynamik dieser Einbettung (ibid.: 455). In Mesoamerika, und hier insbesondere im Hochland von Mexiko wie auch von Guatemala, identifiziert Wolf nun eine geschlossene corporate community, deren Herausbildung bereits in der vorkolonialen Zeit beginnt, unter der spanischen Herrschaft fortgeführt wird und in ihren Merkmalen entsprechende Anpassungen an das jeweils vorherrschende System erfährt (ibid.: 456-7). 28 Dieser Typus von PeasantGemeinschaft zeigt ein hohes Maß an Beständigkeit; erst in neueren Jahren hat sich das geändert. Er stellt ein begrenztes soziales System dar, in dem sich die, die dazugehören von denen differenzieren, die nicht Teil der Gemeinschaft sind (wobei u.a. Endogamie zu dieser Geschlossenheit beiträgt). Von außen gesehen führt die Gemeinschaft als Ganzes eine Reihe von Aktivitäten aus und erhält gewisse „kollektive Repräsentationen“. Von innen gesehen definiert sie die Rechte und Pflichten der Mitglieder. Es besteht ein politisch-religiöses Machtsystem, dem die männlichen Mitglieder der Gemeinde angehören und das diesen, über den Aufstieg in einem Ämtersystem, Zugang zu Prestige ermöglicht. Die Übernahme eines Amtes ist mit einer Reihe von Ausgaben verbunden. Wolf sieht hierin eine Umverteilung von Gütern, durch die sich Reichtumsunterschiede nivellieren lassen. Klassenteilungen sind dadurch allerdings nicht ausgeschlossen, sofern sie ihren Ausdruck innerhalb der, durch die Gemeinde gesetzten, Grenzen finden (ibid.: 458). Eine dieser Grenzen findet sich im Zugang zum und dem Umgang mit dem wichtigsten Produktionsmittel Land. Letzteres befindet sich in der Regel in Gemeinschaftsbesitz und wird gemeinsam genutzt bzw. an Einzelfamilien zur Nutzung weitergegeben. Es gibt zwar Privateigentum, dieses darf allerdings nicht an „gemeindefremde“ Personen verkauft werden (ibid.: 457-8). Die Wirtschaft ist subsistenzorientiert, aber der Mangel an Ressourcen, die veraltete Produktionstechnologie und die Notwendigkeit, das System der Religion und Macht zu erhalten, zwingen zu zusätzlichen ökonomischen Aktivitäten, seien das Lohnarbeit, oder die Entwicklung einer Spezialisierung und Vermarktung dieser Fähigkeiten und Produkte. Eine weitere kulturelle Grenze, die durch das System vorgegeben ist, besteht darin, dass eventuell vorhandener Reichtum weder in eine erweiterte Akkumulation fließen noch zur Schau gestellt werden darf. Es gibt einen mehr oder weniger vorgegebenen Konsumstandard, charakterisiert durch einen „Kult der Armut“, in dem harte Arbeit hoch geschätzt wird, 29 wobei bewusst die Übernahme anderer Lebens- und damit Konsumweisen ausgeschlossen wird. Die Weigerung alternative Möglichkeiten des Konsums, aber auch der Produktion, zu 28 Zur Entstehung im Kontext der Conquista und danach siehe Wolf (2002); zu den Merkmalen der corporate community vgl. u.a. auch Wolf (1967). 29 Damit einher, gehen nach Wolf (ibid.), Verhaltensweisen, wie barfuß zu gehen und „indianische“ Kleider zu tragen.

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nutzen, gründet sich, laut Wolf, nicht auf Unwissenheit oder einem Mangel an Information, sondern stellt eine Form „defensiver Ignoranz“ dar, in der alles abgelehnt wird, was für die bestehenden Strukturen, bedrohlich erscheint (ibid.: 458). Im Falle von Knappheit wird daher auch nicht mit einer Erhöhung der Produktivität, vermittels der Anwendung neuer Technologien oder einer Verringerung der Ausgaben im symbolisch-politischen Bereich reagiert, sondern innerhalb der häuslichen Produktionseinheit (d.h. der Familie) wird der Konsum eingeschränkt und die Arbeitsleistung erhöht (ibid.: 459). Wolfs Konzept der closed corporate community wird in der Folge von einer Reihe von Forscher_inne_n, die sich mit Peasants in Mesoamerika befassen, aufgegriffen und es erfolgt eine rege Auseinandersetzung über die Gültigkeit der verschiedenen Merkmale (Schryer 1987: 99). Schryer (ibid.) stellt in vielen der Beiträge eine Gleichsetzung der korporativen Gemeinden mit egalitären, abseits gelegenen indigenen Dorfgemeinschaften, die sich vorwiegend mit Subsistenzlandwirtschaft und lokaler Handwerksproduktion befassen, fest. Die Entstehung von Klassendifferenzen gilt lange Zeit als unvereinbar mit einem Fortbestehen der charakteristischen kulturellen Werte und Institutionen. Das ändert sich aber im Verlauf der weiteren Beschäftigung mit der Thematik. Auf der Grundlage detaillierter Untersuchungen in indigenen Gemeinden wird nach und nach anerkannt, dass die Kultur der geschlossenen korporativen Gemeinde solche Klassendifferenzen nicht nur ermöglicht, sondern diese u.U. auch legitimiert und verschleiert (ibid.: 99-100). Schryer (ibid.: lfd.) stellt fest, dass selbst offener Klassenkonflikt nicht ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist auch die Gleichsetzung der corporate community mit überwiegender Subsistenzorientierung nicht aufrechtzuerhalten und wird bereits vor Erscheinen von Wolfs Artikel, in den 1940er Jahren, von Oscar Lewis (1944) in Frage gestellt. Lewis stellt für Tepoztlán fest, dass Subsistenz- und Marktproduktion nebeneinander bestehen, in ein- und derselben Gemeinschaft, ein- und derselben ethnischen Gruppe. Die beiden unterschiedlichen Produktionsweisen sind Ausdruck zweier kontrastierender landwirtschaftlicher Typen, nämlich des, bereits in der vorspanischen Zeit bestehenden, Systems der Hackkultur (tlacolol), und des moderneren, postspanischen, Pflugbaus. Das tlacolol nutzt die steilen Hänge der Berge und das felsige bewaldete Gebiet, die Pflugkultur das weniger steile, weniger felsige, relativ baumlose des breiten Talbodens im südlichen Teil der Gemeinde. Tlacolol wird auf kommunalem Land durchgeführt und erfordert viel Zeit und Arbeit, aber wenig Kapital. Pflugkultur erfolgt auf Privatland. Sie erfordert relativ wenig Zeit und Arbeit, aber beträchtliches Kapital. Ersteres hängt fast ausschließlich von der Familienarbeit ab, letzteres vor allem von angeheuerter Arbeit. Im tlacolol sind die Ernten pro cuartillo30 Samen weit höher, als in der Pflugkultur, aber die Menge Mais, die jede Familie anbaut ist relativ gering und erreicht nie die, die die wenigen, aber größeren Operateur_inn_e_n der Pflugkultur erlangen. Im tlacolol ist Rotation eine Notwendigkeit, da das Land nach wenigen Jahren unproduktiv wird; in der Pflugkultur kann dasselbe Feld jahrelang bebaut werden, bis die Erde vollkommen erschöpft ist. Tlacolol ist auf die Subsistenz gerichtet, Pflugkultur auf die Produktion für den Markt (Lewis 1944: 129-31).

30 Ein cuartillo entspricht in etwa 0,512 Liter.

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Mit dieser Darstellung einer Verflechtung unterschiedlicher Wirtschaftsweisen verweist Lewis auf ein wichtiges Thema von Diskussionen, wie sie beginnend in den 1960er Jahren, mit der sogenannten Produktionsweisendebatte (vgl. dazu Zuckerhut 2000: 27-59), über die feministischen Ausführungen zur Hausarbeit in den 1980ern und ihrer Ausweitung auf den Subsistenzsektor, bis heute, nun unter dem breiten thematischen Feld der Globalisierung und der damit verbundenen Feminisierung und Ethnisierung von Arbeit, geführt werden (siehe dazu Kapitel II.3.7). Im Folgenden gehe ich auf einen besonderen Aspekt der Produktionsweisendebatte ein, nämlich den der domestic mode of production, die ja, wie bereits oben erwähnt, eng mit der Debatte um die peasantry, wie auch der, um die Subsistenz- und Haushaltsarbeit, verknüpft ist. II.3.3 Die „Häusliche Produktionsweise“ II.3.3.1 Die domestic mode of production von Marshall Sahlins Das Konzept der „häuslichen Produktionsweise“ oder domestic mode of production geht auf den US-amerikanischen Kulturanthropologen Marshall Sahlins zurück (Worsley 1984: 73). In Teil 2 und 3 seines berühmten Werks „Stone Age Economics“ (1974) präsentiert er ihre Merkmale, wobei er in einigen Punkten, vor allem bezogen auf das Verhältnis Arbeitsintensität-Haushaltsmitglieder, auf den bereits in Kapitel II.3.1 erwähnten Tschajanow zurückgreift (Sahlins 1974: 87ff., 106ff.). Die domestic mode of production ist, ihm zufolge, charakteristisch für „tribale Gesellschaften“, deren entscheidende Einheit die häusliche Gruppe ist. Diese erzeugt in erster Linie Gebrauchs- nicht Tauschwerte, wenngleich zwischen den einzelnen Haushalten durchaus Beziehungen des Austauschs bestehen können. Die dominierende Arbeitsteilung ist die zwischen den (ungeprüft als männlich und weiblich angenommenen) Geschlechtern, wobei Sahlins zwar die Zusammenarbeit zwischen Eheleuten hervorhebt, nicht aber auf mögliche Differenzen und Spannungen zwischen den Geschlechtern, oder innerhalb des Haushalts, und schon gar nicht auf die Existenz mehrerer Geschlechter und eine, damit womöglich einhergehende, weitere Komplexität der Beziehungen, eingeht (zur Kritik an Sahlins, siehe unten). Aufgrund der einfachen Technologie, argumentiert er, lässt sich eine über die Subsistenz hinausgehende Produktion nur vermittels einer Intensivierung der Arbeit und diese nur darüber bewirken, dass die Menschen über (politischen) Druck dazu gebracht werden, mehr zu arbeiten als üblich. Das widerspricht allerdings dem Produktionsziel – der Erwirtschaftung des Lebensunterhalts und nicht eines Überschusses. Daher nennt Sahlins die häusliche Produktionsweise auch ein anti-surplus system (ibid.: 82). Dem entspricht, dass die Mitglieder eines Haushalts umso weniger arbeiten, je mehr Arbeitskräfte vorhanden sind. Sahlins bezeichnet das als Chayanovs rule (vgl. insbesondere ibid.: 87ff.). Jeder Haushalt hat Zugang zu den wesentlichen Ressourcen wie Anbauflächen, Weideland, Fischfang- und Jagdreviere. Die erwirtschafteten Produkte werden von den Mitgliedern des Haushalts konsumiert, d.h. der Haushalt fungiert nicht nur als Produktions-, sondern auch als Konsumtionseinheit. Zwischen den verschiedenen Haushalten hingegen besteht im besten Fall eine reziproke Beziehung, wodurch der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Einheiten eher gering ist (ibid.: 94).

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An dieser Unterscheidung, zwischen einem haushaltsinternen Teilen der Ressourcen und einer auf Tausch begründeten Güterverteilung zwischen den Haushalten, setzt die feministische Kritik an Sahlins’ Modell an. So sieht beispielsweise Olivia Harris darin eine Sichtweise – einen conjugal bias nach Blackwood (2003: 41) –, die von europäischen (und im Speziellen der kapitalistischen Produktionsweise entsprechenden) Annahmen über das Funktionieren von Haushalt und Familie ausgeht (Harris 1982: 145; vgl. auch Moore 1988: 55). Impliziter Ausgangspunkt ist ein heterosexuelles Ehepaar als Grundeinheit des Zusammenlebens und der Kooperation, wobei die hergestellten Produkte, entsprechend den Bedürfnissen der Haushaltsmitglieder, aufgeteilt werden (Blackwood 2003: 41; siehe dazu auch Kapitel II.2 und II.5). Andere Formen des Zusammenlebens, des Teilens, aber auch innerhäusliche Spannungen, geraten nicht, oder nur als Abweichung von der Norm, in den Blick. Darüber hinaus geht Sahlins zu stark von Haushalten als potentiell autonomen Einheiten aus, ohne aber deutlich zu machen, was Haushalt umfasst und wo seine Grenzen sind. Gracia Clark (2003: x) spricht, im Zusammenhang mit derartigen Konzepten, von „Black Box Modellen“, weil in ihnen alle inneren Dynamiken im Dunkeln bleiben. II.3.3.2 Claude Meillassoux’ häusliche Produktionsweise und kapitalistische Akkumulation Nichtsdestotrotz übernimmt der französische struktural-marxistische Anthropologe Claude Meillassoux, in seinem berühmten Werk „Femmes, greniers et capitaux“ (1975) (dt. „Die wilden Früchte der Frau“, 1981), Sahlins’ Konzept und baut dieses aus (vgl. auch Meillassoux 1972). Anders als Sahlins, bezieht sich Meillassoux allerdings nicht auf Daten, die der ganzen Welt entstammen, sondern auf eigene Forschungen in afrikanischen segmentären und Ackerbau treibenden Gesellschaften. Meillassoux geht zunächst davon aus, dass die Nutzung der Erde als Arbeitsmittel, also ihre planmäßige Vorbereitung und Bearbeitung in der Landwirtschaft, eine beständige Sozialorganisation erfordert. Diese gründet sich auf der, über Verwandtschaft miteinander verbundenen, häuslichen Gruppe, die als Einheit der Produktion und der Reproduktion und damit auch der Konsumtion, fungiert. Die Mitglieder der Haushaltsgruppe teilen sich in solche, „die vorher kommen“ (Meillassoux 1983: 55), d.h. jene, die Nahrung und Saatgut für die folgende Saison erwirtschaften (die „Älteren“), und solche „die nachher kommen“ (ibid.), also jene, die davon profitieren (die „Jüngeren“). Meillassoux bezeichnet das als das Prinzip der Anteriorität. Es besteht ein Zyklus von Vorschüssen und Rückzahlungen, in dem die, „die vorher kommen“, die Älteren, Saatgut und Nahrung für die Nachfolgegeneration, die Jüngeren, bereitstellen. Den Älteren bzw. Ältesten kommen daher auch die Aufgaben des Einsammelns und der Speicherung der Produkte und ihre Verwaltung und damit eine gewisse Machtposition zu. Diese Struktur begründet eine, auf dem Prinzip der Anteriorität basierende, Hierarchie. Die Ältesten kontrollieren über die Verwaltung und Verteilung der Produkte, d.h. der Lebensmittel, auch die Reproduktion der Gruppe. Diese Kontrolle der Reproduktion wird noch ausgeweitet, indem sie auch die Kontrolle der Frauen, der Reproduzentinnen menschlicher Produzenten, übernehmen. Denn „it is logical in an economy in which the product of labour can only be controlled through the direct control over the producer, to control also – and maybe even more so – the producer of the producer, i.e. the procreative woman“ (Meillassoux

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1980: 139; Hervorhebung im Original). Ausbeutung erfolgt hier also weniger über die Kontrolle der Produktion, als vielmehr der Reproduktion. Meillassoux kann im strengen Sinne kein conjugal bias vorgeworfen werden. Im Zentrum seiner Überlegungen steht nicht das Ehepaar, sondern das Zusammenwirken (wie auch daraus resultierende Spannungen) zwischen den Älteren und den Jüngeren in der Produktion. Frauen geraten ihm dennoch primär als Reproduzentinnen und weniger als Produzentinnen in den Blick: „Die Unterordnung der Reproduktionsfähigkeiten der Frau unter den Mann, die Enteignung ihrer Nachkommenschaft zugunsten des letzteren, […], geht einher mit derselben Unfähigkeit, von den Produktionsverhältnissen her einen Status zu erwerben. In der Tat wird der Frau, trotz der dominierenden Stellung, die sie zuweilen sowohl in der Landwirtschaft wie in den häuslichen Arbeiten einnimmt, der Status einer Produzentin verweigert.“ (Meillassoux 1983: 94; Hervorhebung im Original)

Über die Kontrolle der menschlichen Reproduktion, dienen die Frauen den Älteren dazu, dass diese ihre Machtambitionen gegenüber den Jüngeren bestätigen und verstärken. Die Aktivitäten, das Handeln, vor allem aber die Produktivität der Frauen, verschwinden „hinter dem Mann“ (ibid.: 92).31 Interessant ist Meillassoux’ häusliche Produktionsweise in Folge weniger in Bezug auf ihre internen Charakteristika der Hierarchie und Ausbeutung als vielmehr aufgrund ihrer möglichen Verflechtung mit kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen. In Anlehnung an Rosa Luxemburgs Überlegungen einer fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation 32 als Grundbedingung der Existenz des Kapitalismus, geht Meillassoux davon aus, dass das kapitalistische System für sein Bestehen auf nicht kapitalistische Bereiche zurückgreifen muss (vgl. Meillassoux 1972; ders. 1980; ders. 1983). Dadurch, dass die Arbeiter_innen in ihrer Herkunftsgemeinschaft reproduziert werden, kann die Arbeitskraft unter ihrem Wert, d.h. unter den Kosten für ihre (Wieder-)Herstellung, entlohnt werden (vgl. dazu u.a. Meillassoux 1983: 133). Die Bedingungen der häuslichen Produktionsweise sichern dem Kapitalismus daher einen Pool an billigen Arbeitskräften. II.3.4 Der „Bielefelder Subsistenzansatz“: Die Verschränkung von Subsistenzarbeit und kapitalistischer Warenproduktion Inspiriert von Meillassoux (und Rosa Luxemburg) entwickelt die „Arbeitsgruppe Bielefelder Entwicklungssoziologen“ in Deutschland eine Theorie, die als „Bielefelder Subsistenzansatz“ bekannt geworden ist. Eingeleitet werden diese Überlegungen dadurch, dass eine besondere Hartnäckigkeit des Fortbestehens von kleinbäuerlichen Produktionsstrukturen (Peasants), konstatiert wird. Weiters wird festgestellt, dass die kleinbäuerliche Produktion – wie schon von Meillassoux dargelegt (siehe oben, Kapitel II.3.3.2) –, wesentliche Beiträge zur Reproduktion der Arbeitskraft leistet (Arbeitsgruppe Bielefelder Entwicklungssoziologen 1979). Darüber hinaus wird die Wa31 Zur feministischen Kritik an Meillassoux, vgl. u.a. Moore (1988: 50ff.). 32 D.h. der ständig ausgeweiteten Aneignung nicht kapitalistisch wirtschaftender Gebiete und Sektoren zum Zwecke kapitalistischer Kapitalakkumulation (vgl. Kapitel I.2 und II.4).

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renproduktion durch die Subsistenzproduktion in zweierlei Hinsicht subventioniert – einerseits ermöglicht die Subsistenzproduktion den bäuerlichen Produzent_inn_en in Krisenzeiten das Überleben, andererseits aber beeinflusst sie durchgängig das Preisniveau (indem sie die Agrarpreise und somit die Reproduktionskosten der Arbeitskraft senkt). Die Mitglieder der Gruppe (darunter Hans-Dieter Evers, Georg Elwert, Diana Wong, Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen), unterscheiden drei Typen der Zusammenhänge von Subsistenz- und Warenproduktion: Erstens: Ohne einen Beitrag von Nahrungsmitteln aus der Subsistenzproduktion ist die regelmäßige und ausreichende Ernährung der Arbeitskraft nicht gesichert. Zweitens: Die Versorgung ist zwar prinzipiell gewährleistet, aber es gibt Krisen, in denen auf die Subsistenzproduktion zurückgegriffen werden muss. Drittens: Die Ernährung der Arbeitskraft ist ohne Subsistenzproduktion möglich und ökonomisch „sinnvoller“. Dennoch wird Subsistenzproduktion weiter praktiziert (vgl. Elwert/Wong 1979: 262). Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof sowie Maria Mies stellen darüber hinaus fest, dass die Versorgung der Arbeitskraft in jedem Fall unbezahlte, d.h. Subsistenzarbeit, impliziert. Denn, neben der Arbeit der Kleinbäuerinnen_Kleinbauern in der „Dritten Welt“ dient auch die der Hausfrauen in der „Ersten Welt“ der Reproduktion aktueller und künftiger Produzent_inn_en. Um diesen Zusammenhang auch begrifflich deutlich zu machen, propagiert Maria Mies den Terminus der household mode of production (vgl. Mies 2009: 159). In Folge wird die (bürgerliche) Hausfrau, zum Paradigma der Ausbeutung nicht entlohnter Arbeit (vgl. beispielsweise Werlhof 1978): „Die Hausfrau steht am Ende des Prozesses, der die gesellschaftliche Produktion in vorher nie da gewesener Weise teilt in unsichtbare, scheinbar wertlose Arbeit im Privatbereich, im Bereich der unmittelbaren Versorgung einerseits und sichtbare, scheinbar einzig wertvolle Arbeit im öffentlichen Bereich, im Bereich der Warenproduktion andererseits. Hausarbeit verliert ihren gesellschaftlichen Charakter. Im Ergebnis sind Frauen nicht nur für die Hausarbeit (allein) zuständig, sie haben vor allem auch gesellschaftliches Ansehen eingebüßt: Eine Frau bleibt eine Hausfrau, auch wenn sie Lohnarbeiterin ist […]. Diese Hausfrauisierung von Frauen bietet die strukturelle Grundlage für die Entwertung aller weiblichen Arbeit im Kapitalismus. Aber nicht nur Frauen sind von Hausfrauisierungsprozessen betroffen. In den Kolonien waren und sind auch Männer derartigen Entwertungsprozessen ausgesetzt, auch ihre Arbeitskraft wurde und wird als Naturressource betrachtet und behandelt; und angesichts zunehmender Lohnarbeitslosigkeit auch in den klassischen Industrieländern prophezeiten die Subsistenztheoretikerinnen früh die Generalisierung hausfrauisierter Verhältnisse letztlich auch auf die bis dato privilegierten Empfänger von Männerlöhnen.“ (Baier 2010: 76)

Subsistenzproduktion in diesem Sinne, also die abgewertete, unbezahlte, „hausfrauisierte“ Arbeit im Privatbereich, so die Annahme, wird aus diesen Gründen, im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise, bewusst geschaffen, erhalten und ausgebeutet. Ihr gegenüber steht allerdings noch eine zweite Form der Subsistenzarbeit, die in sich das Potential des Widerstands trägt, nämlich die, für den eigenen Konsum, die Selbstversorgung. Diese ermöglicht es, die Abhängigkeit von der kapitalistischen Warenwirtschaft hintanzuhalten, ihr womöglich zu entkommen (vgl. u.a. Werlhof

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1978; Bennholdt-Thomsen 1980; Mies et al. 1983; Werlhof 1985; Bennholdt-Thomsen 1989; Werlhof 1991; Bennholdt-Thomsen 1994; Holzer 1996; dies. 1997; zu Haushalten als potentiellen Orten des Widerstands, vgl. Dunaway 2014: 75). Trotz der Hervorhebung des Zusammenhangs zwischen dem, im kapitalistischen Sektor tätigen, Lohnarbeiter und der, im häuslichen Bereich aktiven, Hausfrau, kann Veronika Bennholdt-Thomsen (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997 et al.), Claudia von Werlhof (1978 et al.) oder auch Maria Mies (1983 et al.) sicherlich kein conjugal bias vorgeworfen werden. Geht es ihnen doch gerade um die Kritik und Infragestellung dieser Existenzbedingung des Kapitalismus. Was bei ihnen zu kurz kommt sind, nicht auf das (männliche oder weibliche) Geschlecht zurückführbare, Spannungen und Differenzen, wie solche, die aus Ungleichheiten des Alters, der Generation, und ähnlichem, resultieren. Darüber hinaus werden Beziehungen von race und class, wie sie seit den 1980er Jahren im Feminismus als gleichermaßen relevant wie Gender diskutiert werden (vgl. dazu u.a. Zuckerhut 2003c; Habinger/Zuckerhut 2005), zwar als wichtig anerkannt, aber nicht weiter ausgearbeitet. Die Verschränkungen der verschiedenen Differenzachsen „Rasse“, Klasse, Geschlecht u.a. sind es allerdings, die womöglich erst die Besonderheit der Beziehungen zwischen kapitalistisch und nicht kapitalistisch produzierenden Gesellschaftssektoren ausmachen, wie das im folgenden Abschnitt vorgestellte Beispiel aus Peru zeigt. II.3.5 Das Zusammenwirken von Produktionsweise, „Rasse“, Klasse und Geschlecht nach Florencia Mallon Die US-amerikanische Historikerin Florencia E. Mallon (1986) sieht – ähnlich Bennholdt-Thomsen, Mies und Werlhof (siehe oben) – ein Zusammenwirken von Patriarchat und Produktionsweise. Die Haushaltsproduktion dient, ihrer Ansicht nach, nicht dem Aufhalten der Klassentransformation, im Sinne einer Beibehaltung einer besonderen ökonomischen Dynamik und Form der „kleinbäuerlichen Kultur“ (eine Position, die, nach Mallon, der von Tschajanow entspricht). Vielmehr ermöglicht sie die Reproduktion der Lohnarbeitskraft für das landwirtschaftliche und urbane Kapital (ibid.: 147f.). 33 Für Mallon ist der Haushalt die entscheidende Grundeinheit einer Verbindung der dominanten Produktionsweise mit dem Patriarchat, aber auch jeweils geprägt durch Klasse, „Rasse“ und Kultur. Sie geht diesen Überschneidungen in den zentralperuanischen Tälern Yanamarca und Mantaro im Zeitraum zwischen 1860 bis 1950 nach. Dabei zeigt sie die Bedeutung und Rolle von Frauen, jeweils differenziert nach Klasse, „Rasse“, Kultur und Produktionsweise, in der Veränderung der Ökonomie, weg von der Subsistenz-, hin zur Akkumulations- und Kapitalorientierung, auf. 33 Auf den ersten Blick scheint diese Position an die von Claude Meillassoux (vgl. Kapitel II.3.3.2), zu erinnern. Tatsächlich aber orientiert Mallon sich, ihren eigenen Worten zufolge, an Lenin, der von einer letztendlichen Auflösung der Peasant-Strukturen ausgeht. Mallon (1986: 147-8) folgt dieser Sichtweise jedoch nicht, da sie meint, diese würde die Bedeutung der patriarchalen Struktur des Haushalts, die entscheidend ist für die Beziehungen zwischen Peasants und Kapital, zu wenig berücksichtigen. In der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse (siehe unten), lässt sich tatsächlich eine Annäherung Mallons an Meillassoux (und Luxemburg, einer vehementen Gegnerin der Auffassung von Lenin; vgl. u.a. Neusüß 1985: 282ff.; sowie Zuckerhut 2000: 29), erkennen.

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Gleichzeitig aber verweist sie auf ihre jeweils spezifische (sich wandelnde) Unterordnung aufgrund patriarchaler Strukturen (ibid.: lfd.). In die lange Zeit mehr oder weniger selbstgenügsame Region dringen, im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, zunehmend kapitalistische Wirtschafts- und Denkweisen ein, die allerdings zu keiner vollständigen Proletarisierung führen. Vielmehr entwickelt sich eine stark kommerzialisierte Ökonomie, auf der Grundlage vorkapitalistischer Wirtschaftsmethoden. Frauen partizipieren entsprechend ihrer Klassen- und ethnischen Zugehörigkeit in unterschiedlicher Weise an diesem, sich verändernden System. Die Frauen der Oberschicht sind zunächst ökonomisch vor allem als Eigentümerinnen (über Erbschaft und Mitgift) großer Besitztümer relevant, d.h. sie liefern die wirtschaftliche Grundlage für künftige (kapitalistisch wirtschaftende) Familienunternehmen. Mittelklassefrauen, zu denen Mallon auch kleinere Händlerinnen, Landbesitzerinnen und Inhaberinnen von Minen zählt, agieren, ähnlich Elitefrauen, oft als Managerinnen ihrer Unternehmen, als Agentinnen in Handels- und Kreditnetzwerken, wobei aber in beiden Klassen, die wesentlichen Entscheidungspositionen von Männern eingenommen werden. Die (verwandtschaftlichen) Netzwerke, insbesondere der Frauen, sind es, die womöglich, über ein System gegenseitiger Verpflichtungen, die Grundlage ökonomischer Ausbeutung der ärmeren Bevölkerungsschichten bilden. Genutzt werden in diesem Zusammenhang insbesondere Arbeitsverpflichtungen gegenüber sozial höher stehenden (Tauf- und Firm-) Patinnen. Frauen der unteren Klassen schließlich nehmen eine aktive Rolle in der Landwirtschaft, im Haushalt und anderen ökonomischen Bereichen ein und sind auch aktiv in der Verteidigung ihres Landes gegen räuberische Übergriffe. Auch in dieser gesellschaftlichen Schicht stärken staatliche Gesetze die dominante Stellung des Mannes. Gesamtgesellschaftlich dominieren Männer darüber hinaus in den überregionalen Netzwerken und in der Politik. Hausarbeit und Kinderbetreuung bleiben die Domäne der Frau, auch im Falle außerhäuslicher Arbeit. Männer (unterstützt durch Frauen) kontrollieren die weibliche Sexualität über Vorstellungen eines „ordentlichen Verhaltens“, also vermittels Moral und gesellschaftlichen Normen wie auch über die Regelung der Heirat der Töchter (ibid.). Zwischen den Klassen bestehen Unterschiede in der Ausrichtung der männlichen Dominanz. Im Falle der Eliten spielt die Kontrolle der Sexualität eine wesentliche Rolle, da über die Heirat mit den Frauen Besitz und Titel weitergegeben werden. Bei den Unterklassen hingegen ist die Arbeitskraft wesentlich für das Funktionieren der Haushaltsökonomie (ibid.). Auch race wirkt differenzierend. „Weiße“, in der Regel wohlhabende, Haushalte orientieren sich in ihren Moralvorstellungen an den Werten der europäischen (spanischen) Oberschicht und betonen Jungfräulichkeit und eheliche Treue der Frauen. Indigene (meist ärmere) Haushalte beruhen auf dem ökonomischen Zusammenwirken der Geschlechter. Hier erfolgt die patriarchale Dominanz über die Kontrolle der Familienarbeitskraft. Zusammenfassend hält Mallon bezogen auf die indigene Bevölkerung fest: „It is precisely because of its patriarchal control over women’s and children’s labor power that the peasant household economy has been so flexible and adaptable a unit of production and consumption and so effective in defending peasant self-sufficiency from colonial and postcolonial exploitation. For the same reason, it has been able to combine subsistence agriculture and

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market activity in such a way as to constitute a bastion of class struggle against labor extraction and proletarianization. For the same reason as well, the peasant smallholding has served a dual function as a labor-intensive unit of production and a repository of seasonal labor power for capitalist agriculture in which certain crops cannot be grown effectively on large production units and labor needs are seasonal. And finally, it has been patriarchal control and devaluation of women’s and children’s labor power that has allowed the household economy to play such a crucial role in reproducing a wage labor force for dependent capitalism whenever it has been beset by crises and accumulation problem.“ (ibid.: 168-9)

Der bäuerliche Haushalt beruht also einerseits auf der Ausbeutung, Abwertung und Kontrolle von Arbeitskraft von Frauen und Kindern und dient andererseits trotzdem, oder auch – absurderweise – gerade deswegen, als eine positive Ressource für Frauen und Männer. Er stellt eine Art Refugium dar und hilft den Kleinbauern und -bäuerinnen beim Überleben (ibid.: 169), stellt damit aber gleichzeitig einen Pool zur Reproduktion und Erhaltung von Arbeitskraft für das Kapital dar. Diese vielseitige Relevanz des Patriarchats (wie auch des bäuerlichen Haushalts) ist womöglich die Grundlage seines hartnäckigen Fortbestands in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts in vielerlei Formen. II.3.6 Multiple Einkommensstrategien, multiple Identitäten Deutlich wird in der Arbeit von Mallon (1986), dass praktisch nicht von einer einheitlichen „häuslichen Produktionsweise“ oder einer einheitlichen Peasant Produktionsweise und damit auch nicht von einem einheitlichen Modell der Verflechtung kapitalistischer und nicht kapitalistischer Sektoren gesprochen werden kann, sondern dass die jeweils spezifischen Durchkreuzungen von race, class und Gender eine entscheidende Rolle für die besonderen Ausprägungen spielen. Die Verflechtungen und Überschneidungen von race, class und Gender, aber auch kapitalistisch und nicht kapitalistisch, gehen tatsächlich noch weiter und reichen bis in die Einzelpersonen hinein. Insbesondere Michael Kearney (1996) weist darauf hin, dass Peasants nicht einheitlich sind, sondern vielfältige, zunehmend auch transnationale Identitäten haben. 34 Sie üben im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Tätigkeiten in differenten Arbeitsverhältnissen, an verschiedenen Orten aus. Beispielsweise kann es sein, dass ein junger Mexikaner für einige Jahre in die USA geht, um sich dort als Landarbeiter zu verdingen. Seine Familie zu Hause betreibt einerseits ein Subsistenzfeld, andererseits werden Cash Crops (wie z.B. Kaffee) angebaut und Kunsthandwerksprodukte an Tourist_inn_en verkauft. Kommt der Mann nach Mexiko, so arbeitet er in der Landwirtschaft mit; sein Vater arbeitet womöglich stundenweise auf einer Baustelle. D.h. der junge Mann und seine Familie lassen sich in keine der klassischen Kategorien wie Lohnarbeiter_in oder Peasant einordnen, sondern sie wechseln die Klassenzugehörigkeit. Sie bewegen sich vor und zurück, vom_von der Peasant zum_zur Proletarier_in und umgekehrt. Sie agieren in unterschiedlichen Lebenswelten, weshalb Kearney von ihnen – in Anlehnung an den Begriff amphibians, als Wesen, die 34 Für eine Kritik am Zugang von Kearney als nicht weitgehend genug und zu stark auf der Annahme allgemein verbreiteter transnationaler Migration aufbauend, vgl. Schüren (2003b: 49-50).

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am Wasser wie am Land, d.h. unter sehr divergenten Existenzbedingungen, leben können – als polybians spricht (ibid.: 133ff.). Zu ergänzen ist, dass polybians darüber hinaus, je nach Kontext, unterschiedliche nationale bzw. ethnische Identitäten einnehmen: in den USA gelten sie als chican@s (eine Bezeichnung für mexikanische u.a. lateinamerikanische Einwanderer_Einwanderinnen), d.h. ihr Mexikaner_innentum wird hervorgehoben, während in Mexiko ihre regionale Herkunft, wie auch ihre ethnische Zugehörigkeit, im Vordergrund steht. Die nationale bzw. ethnische Diskriminierung oder auch Privilegierung variiert darüber hinaus entsprechend dem Gender. Mexikanische Frauen – die in Mexiko und den USA besonderen Formen sexualisierter (und ethnisierter) Gewalt ausgesetzt sind – finden zumindest bis in die 1990er Jahre leichter einen Job in den maquiladoras (Weltmarktfabriken) in der USmexikanischen Grenzregion, mexikanische Männer hingegen dominieren im Bereich der kalifornischen Obst- und Gemüseproduktion (vgl. u.a. Salzinger 1997; Castillo et al. 1999; Zeilinger 2004; Maihold 2005). In der Gender-Anthropologie werden diese multiplen und fluiden Bedeutsamkeiten von Differenzmarkierungen und Identitäten unter dem Begriff der anthropology of differences bzw. der Intersektionalität diskutiert (vgl. u.a. Fuchs/Habinger 1996; Schein/Strasser 1997; Zuckerhut 2003c; YuvalDavis 2010). II.3.7 Aktuelle Debatten Heute wird die Debatte um die Ausbeutung von Frauen und Peasants bzw. die Rolle der unbezahlten Subsistenzarbeit im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems in anderer Weise geführt, als in den 1970er, 1980er Jahren. Zum einen wird „Frau“ als einheitliche und eindeutige Kategorie ebenso in Frage gestellt wie Peasant (siehe oben, die Ausführungen zu Kearney 1996, sowie Schüren 2003b). Zum anderen wird nicht mehr über verschiedene Produktionsweisen und deren Verschränkung diskutiert, und auch die Frage einer endgültigen Proletarisierung der peasantry oder ihrer absoluten Besonderheit, stellt praktisch kein Thema dar. Vielmehr werden verschiedene Arten der Veränderung, die als typisch für gegenwärtige Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse gelten, beispielsweise von Wilma Dunaway (2002), als eine Variante von „Semiproletarisierung“ verstanden;35 d.h. als einer Zwischenform, die weder dem_der proletarischen Lohnarbeiter_in noch der_dem Peasant im tschajanowschen Sinne entspricht (vgl. auch Fitting 2011: 100-1). Isakson (2009) weist, im Anschluss an eine Vorstellung von Konzepten der Semiproletarisierung in Lateinamerika (ibid.: 729), darauf hin, dass gerade auf diesem Kontinent eine lange Tradition der Kombination von landwirtschaftlichen und nicht landwirtschaftlichen Aktivitäten besteht (ibid.: 728), und dass eine selbstgenügsame peasantry, eher die Ausnahme als die Regel darstellt (ibid.: 732). Dennoch aber besteht beispielsweise in guatemaltekischen Maya-Gemeinden wie Nimasac und Xeul eine Selbstdefinition als Subsistenzlandwirt_inne_n, die, unabhängig von der tatsächlichen Verfügung über Land, besteht. Einkommen aus der Marktwirtschaft dienen dazu, Land zu kaufen, den Anbau und damit die Versorgung mit Mais und Bohnen, den wichtigsten Nahrungsmitteln, mit einer starken Verankerung in der lokalen cos35 Dunaway (ibid.) spricht von einer Semiproletarisierung, wie auch Semidomestifizierung von (Haus-)Frauen, als einem der Grundpfeiler kapitalistischen Wirtschaftens.

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movisión (ibid.: 751), zu subventionieren (ibid.: 747). Hinter der Bearbeitung der milpa, wie das durch Mischkultur charakterisierte Mais-Bohnen-Kürbis-Feld der Maya-Bevölkerungen genannt wird, stecken nicht in erster Linie ökonomische Überlegungen. Vielmehr dient sie dazu, die kulturelle (indigene) Identität zum Ausdruck zu bringen sowie „as a medium of fortifying social bonds, as a form of food provisioning that offsets the vagaries and uncertainty of the market, and as a rejection of the complete commodification of food“ (ibid.: 755). Weniger auf latein- und mesoamerikanische Besonderheiten indigener Gemeinden, denn auf europäische Modelle der kleinbäuerlichen Landwirtschaft fokussierend, arbeitet Jan Douwe van der Ploeg (2010) verschiedene, miteinander verbundene, Weisen heraus, wie sich Peasants an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts adaptieren. Dazu gehört das Verständnis von Land als ökologischem Kapital, das Anstreben der Selbstversorgung und, damit einhergehend, eine Verringerung der Abhängigkeit vom Markt sowie die gezielte Schaffung von peasant marketplaces (ibid.: 18), d.h. regionalen Märkten mit einer besonderen Qualität der Produkte und direkten sozialen Kontakten zwischen Produzent_inn_en und Konsument_inn_en. Araghi (2009: 134) auf der anderen Seite, ortet eine gleichzeitige depeasantization and deproletarization als charakteristisches Merkmal der gegenwärtigen Phase eines postcolonial neoliberal globalism, wobei den damit einhergehenden bedrohlichen Tendenzen, hin zu einem enclosure food regime (ibid.), globale soziale Bewegungen gegenüberstehen (ibid.: 138). Unter enclosure food regime versteht er die globale Agrarpolitik der Umstrukturierung der weltweiten Arbeitsteilung seit den 1970ern, die dazu führt, dass kleinbäuerliche Produzent_inn_en des „Globalen Südens“ vermehrt mit Agrounternehmen mit Produktionsstätten in den Zentrumsregionen, auf denen sklavenähnliche Arbeits- und Lebensbedingungen herrschen, konkurrieren müssen (ibid. 134-7). Die (De-)Peasants, aufgrund des Konkurrenzdrucks ihrer Produktionsmittel teilweise beraubt und damit eine potentielle Quelle zur Deckung des Bedarfs an Arbeitskräften seitens des transnationalen Kapitals, migrieren in die heartlands of metropolitan agriculture (ibid.: 136), um dort auf den Feldern (unter „de-proletarisierten“ Bedingungen) zu arbeiten. Akram-Lodhi und Kay (vgl. 2009: 5) sehen unter diesen Bedingungen eines new global corporate agro-food regime eine veränderte Qualität der Unterordnung der peasantry unter das globale Kapital, gegenüber den vorangegangenen Epochen. Neben diesen Konzepten der Semiproletarisierung, der kleinbäuerlichen Adaptierung an die neuen Bedingungen des 21. Jahrhunderts wie auch der gleichzeitigen DePeasantisierung und De-Proletarisierung werden – ähnlich wie bei Kearney und im Konzept der Intersektionalität – Modelle der Hybridität und der Fluidität entwickelt, d.h. es wird die Vielfältigkeit und Prozesshaftigkeit von Formen der Ausbeutung, aber auch des Widerstands hervorgehoben (vgl. z.B. Glenn 1991; Tinsman 2000; Scheuzger 2007: 186-191). In den Debatten um mögliche Formen des Widerstands gegen das kapitalistische Weltsystem dominieren folglich Überlegungen und Konzepte sozialer Bewegungen, gegenüber den alten Modellen des Klassenkampfes (vgl. z.B. Teubal 2009, aber auch Araghi 2009; Fontana 2014). Autor_inn_en, wie die, aus Argentinien stammende, Anthropologin Liliana Goldín (2005), beschreiben die Multiplizität und Zwischenstellung, beispielsweise indigen-ländlicher Bevölkerungsgruppen, um so ihre besondere Einstellung zur kapitalistischen Lohnarbeit, zu begründen. Vertreter_innen der, inhaltlich sehr breit gefächerten, Transnationalismusdebatte

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schließlich fokussieren vor allem auf die transnationale Zusammensetzung sozialer Bewegungen wie La Vía Campesina (vgl. u.a. Boyer 2010), aber auch von Haushaltsökonomien und Peasant-Gemeinden und damit einhergehende globale Verflechtungen (und Identitäten). Ein, in diesem Kontext ebenfalls bedeutsames, Phänomen ist das der Finanzierung lokaler Bräuche zur Erhaltung indigener (sowie von Peasant-) Identitäten vermittels Transferzahlungen aus den USA oder Europa (vgl. u.a. Dáubeterre Buznego 2005; Fitting 2011: 25). Ein weiteres, hoch aktuelles Forschungsthema in diesem Feld ist die Debatte um die Rolle der (globalisierten) Hausarbeit und ihre hartnäckige Feminisierung, aber auch Ethnisierung (vgl. z.B. Lutz 2002; dies. 2007; Grubner 2011). Die Verflechtungen und Durchkreuzungen unterschiedlicher Weisen des Wirtschaftens (Subsistenz- und Lohnarbeit), ebenso wie von nationaler und ethnischer Zugehörigkeit, race, class und Gender, zeigen sich hier in neuer Weise.

II.4 P ROZESSE ( FORTGESETZTER ) URSPRÜNGLICHER AKKUMULATION Kommen wir nun, nach dieser Zusammenfassung über die Bedeutung von Peasants und Haushalten im globalen ökonomischen System aus Sicht der Kultur- und Sozialanthropologie, auf die historische Dimension der Entwicklung all dieser Phänomene und damit verbunden, wie eingangs angekündigt, auf die Weltsystemtheorie zurück. Im Folgenden gehe ich zunächst, in einem kurzen einführenden Überblick, den Merkmalen eines Weltsystems sowie der Bedeutung und damit eng verbunden, der Rolle Lateinamerikas für das und im kapitalistische/n Weltsystem, nach. Denn die gewaltsame Aneignung von Land, Leuten und Rohstoffen des amerikanischen Kontinents, geht mit den nicht minder gewaltsamen Prozessen des Gendering,36 sowie der Vertreibung und Marginalisierung von Juden_Jüdinnen; Muslim_inn_en wie auch Romane_Rromane in Europa einher, wie von mir, auf Grundlage der Untersuchungen der Historikerin und Kultur- und Sozialanthropologin Brigitte Fuchs (2003; 2011), in einem Beitrag von 2011 ausgeführt (Zuckerhut 2011b). Diese Okkupationen und Vertreibungen bilden die Grundlage der (fortgesetzten) ursprünglichen Akkumulation, auf der das kapitalistische Weltsystem auch in seiner aktuellen globalisierten Form nach wie vor beruht (vgl. u.a. Muttoo Osborne 2011: 863; Levien 2013: 307). Mein Ausgangspunkt ist, wie gesagt, Immanuel Wallersteins Modell, ein Modell, das die in einem sozialen System bestehende Arbeitsteilung fokussiert, um zwei Grundtypen zu unterscheiden – ein Mini- und ein Weltsystem. Während ersteres kulturell mehr oder weniger einheitlich und ökonomisch selbstgenügsam ist, charakteri-

36 Pelizzon (2002), auf deren Konzept des Gendering ich mich hier beziehe, versteht darunter, erstens die Abdrängung von Frauen aus dem Bereich der Ökonomie in eine sich etablierende private und häusliche Domäne; zweitens die Abwertung der Tätigkeiten und Eigenschaften von Frauen; und drittens die Übertragung von als weiblich definierten und als minderwertig angesehenen Eigenschaften auf alles Auszubeutende, sprich die Natur, die „Wilden“, die Kolonien, etc.

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siert sich letzteres dadurch, dass mehrere, kulturell unterschiedliche Gebiete oder Sektoren ökonomisch voneinander abhängig sind und daher miteinander Handel bzw. Austausch treiben müssen. Sie sind folglich in einer einzigen Arbeitsteilung miteinander verbunden. Hat so ein Weltsystem darüber hinaus eine gemeinsame politische Struktur, kann von einem Weltreich oder -imperium gesprochen werden. Hat es diese nicht, dann handelt es sich um eine Weltökonomie (Wallerstein 1980: 4-5: ders. 1982: 34-5). Dem kapitalistischen Weltsystem, das sich im „langen 16. Jahrhundert“, also zwischen 1450 und 1640 in Europa herausgebildet hat (Wallerstein 1979: 25; ders. 2004: 100),37 gehen global gesehen, eine Reihe anderer Weltsysteme unterschiedlicher Prägung voran. Anders als das kapitalistische, das eine reine Weltökonomie darstellt, was laut Wallerstein (1982: 36) eine seiner Besonderheiten ist, zeichnen sich diese über kurz oder lang durch eine gemeinsame politische Struktur aus und lassen sich somit als Weltimperien charakterisieren (ibid.: 35; vgl. dazu auch Senghaas 1982: 910). Dabei dürfen, wie zu ergänzen ist, die neben-, wie auch hintereinander bestehenden Mini- und Weltsysteme keineswegs als völlig unabhängig voneinander existierend, betrachtet werden. Zum einen gibt es, abseits der Thematik der Arbeitsteilung, Kommunikation und Kontakte zwischen den verschiedenen Systemen, worauf bereits Eric Wolf (1986) hingewiesen hat. Zum anderen besteht in der Regel eine enge Verbindung zwischen dem Aufstieg eines Systems und dem Abstieg eines anderen (vgl. auch Ekholm/Friedman 1985: 100, 103-4, 110; Braudel 1990c; Petermann 2010: 67; Kreff 2011: 440). Folgerichtig ist auch das vorkoloniale Mesoamerika schon sehr früh als ein Geflecht von Mini- und Weltsystemen zu beschreiben, wobei letztere, spätestens seit dem Klassikum (100 u.Z. bis 900 u.Z.) – in der Literatur mit Teotihuacan, der Blüte der Maya-Stadtstaaten und Monte Alban assoziiert (vgl. z.B. Köhler 1990: 20-21; Manzanilla 1990: 74) –, zwischen Weltökonomie und Weltimperium oszillieren (Zuckerhut 2000: 105ff., 132; dies. 2011b: 49). Mit der spanischen Conquista wird das, Anfang des 16. Jahrhunderts vom Dreierbund Tenochtitlan-Texcoco-Tlacopan dominierte, zentralmexikanische Weltimperium (Zuckerhut 2000: 159ff.) zerstört, seine Weltökonomie transformiert und nach und nach in das, sich herausbildende, europäische, zunehmend globale, d.h. den gesamten Erdball umfassende, System integriert. Trotz der enormen Bedeutung der Rohstoffe Spanisch-Amerikas, insbesondere der geraubten Gold- und Silberschätze Mexikos (und Perus), für den Reichtum und damit einhergehenden, wenn auch höchst kurzfristigen, ökonomisch-politischen Aufstieg Spaniens,38 nimmt diese Region nur einen peripheren Part in dem neu entstehenden Gebilde ein. Zwar verliert Spanien seine dominante Position Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts zunächst an die Niederlande und diese dann an England und Frankreich,39 das ändert aber nichts, an der marginalen Rolle Lateinamerikas (und 37 Andere Autor_inn_en, wie z.B. Grosfoguel und Cervantes-Rodríguez (2002: xii), gehen von der Zeitspanne zwischen 1492 und 1650 aus. 38 Wobei dieses seinen Reichtum nicht nutzen und somit auch seine Position nicht halten kann. Eduardo Galeano (1983: 34) schreibt folgerichtig: „Die Spanier hatten die Kuh, aber andere waren es, die die Milch tranken.“ Vgl. auch Wallerstein (1998: 123). 39 Im 20. Jahrhundert treten die USA in die Position des Zentrums ein. Ab 1660 beginnen sich die „nördlichen Kolonien“ Englands, deren Kolonisierung ca. 1620 begonnen hat, als

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damit auch Mexikos), als Teil der Peripherie (Wallerstein 1974; ders. 1982; ders. 2004; Buckman 2005). Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch, bleibt Mexiko, seit 1821 der spanischen Kolonialmacht entledigt, eine periphere Region. Seine Wirtschaft leidet, laut Lanny Thompson (1992a: 145), an der Abhängigkeit von der Silberproduktion für den Export, der Knappheit an Krediten und dem Mangel an technischen Innovationen sowie dem Fehlen eines integrierten nationalen Marktes. Erst in den 1880er Jahren, von der damaligen Weltwirtschaftskrise profitierend, beginnt Mexikos ökonomisches Wachstum und in Folge sein Aufstieg in die Semiperipherie (Wallerstein 1979: 100). Damit einher, gehen Anstrengungen in Richtung der Erlangung einer Zentrumsposition, konterkariert durch die permanente Bedrohung eines Absinkens in die Peripherie. Entscheidende Prozesse, die die Entstehung und globale Ausdehnung des kapitalistischen Weltsystems ermöglichen und vorantreiben, sind, neben der gewaltsamen Eingliederung Lateinamerikas und anderer Weltregionen, Umstrukturierungen der Wirtschaft und damit einhergehend, diese gleichzeitig bedingend, des Denkens über Wirtschaft. Die Prozesse der von Marx (1981: 659-706) konstatierten „ursprünglichen Akkumulation“, beschränken sich nicht auf die einmalige unentgeltliche Aneignung von Land und Rohstoffen aus (noch) nicht kapitalistisch wirtschaftenden sozialen Schichten und Weltregionen. Sie beschränken sich auch nicht auf das, was als „Verbrennung der heimatlichen Boote“ zur Rekrutierung von Arbeitskraft bezeichnet wird (vgl. N.N. 1982: 5). Vielmehr müssen – wie bereits von Rosa Luxemburg (1985b), später von Meillassoux und anderen herausgestellt (siehe Fußnote in Kapitel I.2; sowie Kapitel II.3.3.2 bis II.3.4) –, im Sinne einer fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, derlei, nicht auf kapitalistische Weise agierende Bereiche und Lebensweisen, permanent, also fortgesetzt, angeeignet und ausgebeutet werden. David Harvey (2003: 145ff.) bevorzugt für diese Art von gewaltsamen Prozessen den Terminus accumulation by dispossession. Damit aber dürfen diese Bereiche und Lebensweisen nicht endgültig aufgelöst und zerstört, sie müssen vielmehr, zumindest teilweise, erhalten, in gewissen Aspekten gefördert und neu geschaffen werden, ein Punkt, auf den u.a. Autorinnen, wie Claudia von Werlhof (1978: 22; et al.), Veronika Bennholdt-Thomsen (1981; et al.) und Maria Mies (1983; et al.), hingewiesen haben. Ideale und notwendige Ergänzung der kapitalistischen Ökonomie sind somit TeilSubsistenzwirtschaften, als Ökonomien, die zusätzlich zur Subsistenzwirtschaft für die Versorgung ihrer Mitglieder oder auch um ihren Steuerpflichten o. ä. nachzukommen, auf Einkommen aus einer bezahlten Arbeit angewiesen sind (siehe Kapitel II.3.4; vgl. u.a. auch Werlhof 1985). Ein weiterer Teil des neuen Systems ist die Hausarbeit, eine Form lebensnotwendiger Tätigkeit, die, gemeinsam mit der kapitalistischen Lohnarbeit entstanden, ohne diese nicht bestehen kann (vgl. dazu u.a. Dunaway 2002). Darüber hinaus muss die (fortgesetzte) ursprüngliche Akkumulation auf die eigentlichen Produzentinnen der Ware Arbeitskraft, die Frauen, ausgeweitet bzw. die Kategorie „Frau“ als „Hausfrau und Mutter“ konstruiert und für gewisse

semiperiphere Regionen zu etablieren (Wallerstein 1998: 275). Ihr Aufstieg in Richtung Zentrum beginnt mit dem Niedergang Großbritanniens als hegemoniale Macht 1870, aber es dauert bis nach 1945, dass sie sich als Zentrumsmacht etablieren können (Wallerstein 2002: xxxi-xxxii).

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soziale Schichten und Weltregionen durchgesetzt,40 der Körper der Frau, in Hinblick auf seine Reproduktionsleistung, kontrollierbar gemacht werden (vgl. auch Kapitel II.5).41 Nur dadurch wird es möglich, die Schaffung und Erhaltung der, für die kapitalistische Wirtschaft so essentiellen, Ware Arbeitskraft dauerhaft zu einem, aus kapitalistisch-ökonomischer Sicht angemessenen, Preis zu gewährleisten. Auf die hiermit einhergehenden Prozesse des „Gendering“ in Europa, die Abdrängung der Frauen aus der allgemeinen Ökonomie in den häuslich-privaten Bereich und die damit verbundene Abwertung von allem Weiblichen, hat u.a. bereits Sheila Pelizzon (2002) hingewiesen. Ihre Verknüpfung, auf Grundlage einer Einteilung der Frauen in domestizierte, d.h. „gute“ Ehe- und Hausfrauen, entsprechend dem sich entwickelnden bürgerlichen Modell, und wilde, d.h. „schlechte“ oder zumindest gefährliche Prostituierte (ohne Anrecht auf den Status als „Mutter“), mit unterschiedlichen Menschengruppen und Weltregionen, arbeitet Brigitte Fuchs (2003; 2011) heraus. Ihr zufolge werden in Europa, im Zuge der reconquista, auf der iberischen Halbinsel Muslim_inn_e_n und Juden, später auch „Hexen“, in die Kategorie des Wilden, Unzivilisierten und sexualisiert Weiblichen (und damit zu Zähmenden, zu Kultivierenden, unentgeltlich Anzueignenden, oder auch zu Eliminierenden) hineindefiniert. In Lateinamerika sind es die indigenen Bevölkerungen, die, wenn schon nicht ausgerottet, so zumindest erobert und zivilisiert werden müssen (vgl. auch Zuckerhut 2011b). Damit lassen sich die vielfältigen und gewalttätigen Prozesse der ursprünglichen Akkumulation ideologisch begründen. Im nun folgenden Kapitel wird aufgezeigt, wie diese ursprüngliche Akkumulation, entsprechend den Erfordernissen ihrer permanenten Fortsetzung im Bereich von Konzepten der Haushaltsökonomie zum Ausdruck gebracht wird. Von einer Sicht, die sämtliche wirtschaftliche Bereiche umfasst, geht die Tendenz hin zu einer Ökonomie, die produktive und nicht produktive fein säuberlich voneinander trennt.

40 Die Formen, wie mit Jüdinnen und Rromane sowie aus unterschiedlichen anderen Gründen, neben der ethnischen Herkunft, sozial marginalisierten Frauen und jenen mit besonderen Bedürfnissen im Nationalsozialismus umgegangen wird, zeigen in bestechender Klarheit, dass Mutterschaft (und Hausfrauendasein) nicht allen weiblichen Menschen gleichermaßen zugestanden wird. Es gibt folglich auch innerhalb eines Landes, innerhalb einer Region sehr unterschiedliche Varianten der Konstruktion von Frau. Eine sehr berührende und gleichermaßen verstörende Untersuchung dazu, stellt das Werk von Amesberger et al. (2004) dar. Vgl. auch die Kritiken der Black Feminists und der Women of Color, beispielsweise von Patricia Hill Collins (2000), bell hooks (1989; 1990) u.v.a.m., an der hegemonialen weißen Frauenbewegung und der Setzung des europäisch-bürgerlichen Modells von Frau als „Hausfrau und Mutter“, als für alle Frauen gleichermaßen gültig. 41 Diesem Aspekt geht auch Silvia Federici (2012) in ihrem Werk „Caliban und die Hexe“, auf Grundlage historischer Daten, nach. Die Hexenverfolgungen betrachtet sie vor allem unter dem Aspekt, den Frauen die Kontrolle über ihre Körper zu nehmen, um das Wachstum der Bevölkerung von staatlicher Seite besser kontrollieren zu können.

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II.5 V ON DER

OIKONOMIA ZUR

Ö KONOMIE

Denn dem heute allseits verbreiteten, das moderne Weltsystem prägenden Konzept der Ökonomie, liegt zunächst das griechische System der oikonomia, abgeleitet von oikos, Haus, zugrunde. Abgesehen vom Begriff, erinnert gegenwärtig nur sehr wenig an die ursprüngliche Bedeutung des Terminus. Das oikos, ein Personenverband unter der Herrschaft eines Herrn (kyrios) und die wirtschaftliche Grundlage für die Versorgung seiner Mitglieder gleichermaßen, ist die elementare Einheit der griechischen polis (Stadtstaat). Die deutsche Haushaltswissenschaftlerin Irmintraut Richarz fasst seine Bedeutung mit dem Satz zusammen: „Die ‚Oikoi‘ umfaßten alle vermögenden Bürger mit Grundbesitz und den zugehörigen Personen, die mit ihren finanziellen Mitteln für bestimmte Staatsaufgaben aufkommen mußten, sowie die Wehrpflichtigen für den militärischen Schutz der Polis“ (Richarz 1991: 17; vgl. auch dies. 1994).42 Xenophon (430-355 v.u.Z.) macht im „Oikonomikos“ („Der Haushalter“), der ersten vollständig überlieferten griechischen Ökonomik, den oikos und das „rechte Haushalten“ zum Gegenstand einer Wissenschaft. Oikos und polis sind für ihn grundlegende Gebilde menschlicher Daseinsformen. Aristoteles (384-322 v.u.Z.) auf der anderen Seite, differenziert zwei Erwerbsformen, die Ökonomik und die Chrematistik, d.h. die Kunst der Haushaltung und die markt- und geldorientierte Kaufmannskunst. Die Ökonomik bezieht sich auf den Erwerb, der für das Leben notwendigen Güter. Die Chrematistik, als von den Notwendigkeiten des Haushalts unabhängiger Geld- und Warentausch hingegen, orientiert sich an Geld und dem Erwerb von Reichtum (Richarz 1994: 10-1; Tsouyopoulos 1994; vgl. auch Gray 2000: 50).43 Im vierzehnten Jahrhundert entstehen die ersten Ökonomiken der spätmittelalterlichen Gesellschaft des europäischen Kontinents, als Folge der sich abzeichnenden Veränderungen des „langen 16. Jahrhunderts“.44 Vorangegangen ist dem eine Um42 Im alten Rom entspricht diesem Konzept des oikos in etwa das der familia: Darunter werden sowohl Haussklav_inn_en und das Hausvermögen wie auch die weitere, „vom ‚pater familiae‘ beherrschte Hausgemeinschaft“, gefasst (Richarz 1991: 34). 43 Siehe u.a. auch Egner (1952: 51-56), an dem sich Richarz auch in ihren weiteren historischen Ausführungen weitestgehend zu orientieren scheint. Auch Otto Brunner (1978: 83), auf den sich Egner inhaltlich bezieht – er nennt einen Artikel „‚Das ganze Haus‘ und die alteuropäische Ökonomik“, abgedruckt 1950, in der Zeitschrift für Nationalökonomie Band 13 –, spricht diese Differenzierung an und sieht in der „Chrematistik“ die eigentliche „Vorgeschichte der Nationalökonomie“. Die ersten Veränderungen ergeben sich in der Zeit des Merkantilismus. Bis ins 18. Jahrhundert wird, ihm zufolge, unter „Wirtschaft“ etwas völlig anderes verstanden als heute. In der alteuropäischen Ökonomik finden sich Lehren der Ethik, der Soziologie, der Pädagogik, der Medizin, wie auch der unterschiedlichen Techniken von Haus- und Landwirtschaft (ibid.). „Die alteuropäische Ökonomie ist die Lehre von der ‚Wirtschaft‘ im bäuerlichen Sinn, vom ‚ganzen Hause‘“, schreibt er (ibid.: 85). 44 Vgl. Meyer (1994: 6), der allerdings nicht vom „langen 16. Jahrhundert“, sondern der „Krise des Spätmittelalters“ schreibt. Auch Federici (2012: 76) bezieht sich auf die „Krise des Spätmittelalters“. Sie sieht diese primär als Akkumulationskrise, als Unfähigkeit der Feudalwirtschaft, sich weiter zu reproduzieren. Pelizzon (2002: 203) argumentiert, ähnlich wie

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strukturierung der Arbeitsorganisation der Gesellschaft im zwölften Jahrhundert. Im Zuge eines Bevölkerungswachstums entwickeln sich die Städte in verstärktem Maße und es verdichten sich die dörflichen Siedlungen. Männer und Frauen haben nun mehr Möglichkeiten eine Ehe einzugehen als zuvor. Die Historikerin Claudia Opitz charakterisiert diese Entwicklung folgendermaßen: „Das Ehe- und Arbeitspaar bildete den Kern der Neuorganisation des Wirtschaftens in selbstverantwortlichen Familienbetrieben von Handwerkern, Kaufleuten und Bauern, die Familie ihrerseits begann auf ihren sogenannten ‚Kern‘, Eltern und Kinder, die Zweigenerationenfamilie, zu schrumpfen. Die städtischen – und bald auch die bäuerlichen – Familienwirtschaften begannen, für eine über den Markt vermittelte Nachfrage zu arbeiten; sie lösten die ältere Fronhofwirtschaft ab, in der die Bedürfnisse einer vergleichsweise kleinen Zahl von Grundherren Leben und Arbeiten der abhängigen bäuerlichen Familien wie der großen Zahl lediger Männer und Frauen in den Fronhöfen selbst prägten.“ (Opitz 1997: 311)

Insbesondere Ehefrauen spielen eine wichtige ökonomische Rolle in den ländlichen, wie auch städtischen Familienbetrieben, d.h. sie übernehmen, zusätzlich zur Haushaltsführung, in der Regel eine Reihe von Aktivitäten zur Schaffung wie auch Ergänzung des Familieneinkommens (ibid.: 300-1; 313). Neben der Mitarbeit im Familienbetrieb sind Frauen selbstständig wirtschaftlich tätig. Es gibt unabhängige Handwerkerinnen, vor allem im Bereich der Herstellung von Bekleidungs- und Luxuswaren (ibid.: 319; Federici 2012: 37-8). Darüber hinaus gibt es in Gilden organisierte (Fern-)Händlerinnen, die so erfolgreich sind, dass sie ihren Ehemännern oder Nachkommen in vielen Fällen größere Geldsummen vererben (Opitz 1997: 314). Die große Zeit der Fernhändlerinnen – bei denen es sich gesamt gesehen allerdings um eine Minderheit der weiblichen Bevölkerung handelte –, beginnt jedoch erst im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert (ibid.: 315). Die Ökonomiken sollten Hilfen geben mit den vielfältigen gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen der Zeit des Umbruchs umzugehen (Richarz 1991: 46; dies. 1994: 14), aber auch bestimmte, als wünschenswert erscheinende, Tendenzen festlegen.45 Eine wichtige Funktion in diesen Schriften hat das Haus samt den darin

Federici, mit der sozialen Unfähigkeit der Eliten, den unteren Bevölkerungsschichten (weiterhin) Surplus abzupressen, aber auch mit den, diese Unfähigkeit noch verschärfenden, Turbulenzen, aufgrund häufiger Aufstände und Kriege in dieser Epoche. 45 Wobei mit diesen Ökonomiken nur die höheren gesellschaftlichen Schichten erreicht werden können und sollen. Meyer (1994: 63-4) schildert, dass die ersten großen Ökonomiken des Spätmittelalters das Fürstenhaus, die Kirche, die Schule, die Universität, die päpstliche Kurie und den kaiserlicher Hof zum Thema haben. Hier spiegeln sich Veränderungen in den Machtverhältnissen der oberen gesellschaftlichen Stände oder (später) Klassen. Deutlich wird das in der Abgrenzung begüterter Bürger gegenüber den Adeligen, wie das in der „Ménagier de Paris“ [1393], der bekanntesten französischen Haushaltslehre des 14. Jahrhunderts, zum Ausdruck kommt (ibid.: 75). – Den spätmittelalterlichen Ökonomiken liegen frühmittelalterliche Schriften in Latein zugrunde, d.h. es besteht ein Wissensmonopol des Klerus in Fragen der Haushaltsführung. Die Adressat_inn_en sind hingegen Lai_inn_en. Dahinter steckt die Auffassung, die rationale Organisation der klerikalen Haushalte, wie

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lebenden Menschen, den dazugehörigen Gebäuden und dem Besitz. Als solches stellt es die Basis der Subsistenz und Herrschaftseinheit der agrarisch-ständischen Gesellschaft dar (Richarz 1994: 12). Wie in der oikonomia werden auch hier die Verbindungen zwischen dem Handeln von Einzelpersonen, dem Haushalten und dem Leben in der größeren politischen Gemeinschaft angesprochen (ibid.: 12). In der Praxis werden immer mehr Funktionen ausgelagert, Haushalte und Gewerbe über den Markt miteinander verbunden. Die Zuständigkeiten der Geschlechter spezialisieren sich stärker, Frauen übernehmen vermehrt „die Sorge für das ‚Innere‘, Haus, Hof, Garten, die Versorgung der Kinder, des Gesindes und des Kleinviehs und schließlich für den Textil-, Ernährungs- und Kleinhandelssektor“ (Opitz 1997: 311; vgl. auch SchlegelMatthies 1994: 119). Auch in der religiösen und weltlichen Literatur schlägt sich diese Spezialisierung nieder (Opitz 1997: 312). Die geschlechtliche Arbeitsteilung ist jedoch nicht konsequent und streng. Die Optimierung des Familieneinkommens – das in den Mittel- und Unterschichten meist gerade zum Überleben ausreicht – steht, nach Auffassung von Opitz (ibid.), im Mittelpunkt der Familienwirtschaft.46 Sie betont, dass im Falle, dass eine Ehefrau „mit Textilarbeit oder Kleinhandel mehr verdienen [kann] als mit Nahrungszubereitung, […] der letztere Tätigkeitsbereich als billige Lohnarbeit an Fremde delegiert [wird], oder […] sich sogar […] zu einer weitgehend außerhäuslichen Produktion [entwickelt]“ (ibid.: 312; vgl. auch Hufton 1997: 47).47 Entsprechend den gesellschaftlichen Transformationen verändern sich die Ökonomiken im Laufe der Zeit. In der, Mitte des vierzehnten Jahrhunderts verfassten, „Yconomica“ von Konrad von Megenberg noch, einem der frühen Werke der Grundlegungsperiode, wird die Welt oikozentrisch, analog einem christlichen Haus betrachtet (Richarz 1994: 14-5; vgl. auch Meyer 1994; Seel 2006: 113). Bis Ende des 17. Jahrhunderts findet sich die vom Haus ausgehende Sicht in vielen Ökonomiken. 48 des Klosters oder Bischofshauses, könne dem Laien_der Lain als Vorbild dienen (ibid.: 66). 46 Allerdings zeigen insbesondere die Debatten um die peasantry (siehe Kapitel II.3), dass die Optimierung des Familieneinkommens nicht notwendig auf rein ökonomische Aspekte abzielt. Kapitalistisch-marktwirtschaftlich gesehen irrationale Verhaltensweisen erweisen sich, unter Berücksichtigung emischer Sichtweisen, als höchst logisch und sinnvoll (vgl. auch Schüren 2003a; siehe dazu auch Kapitel IV.2 et al.). 47 Zu den unterschiedlichen Haushaltstypen, der sich verändernden bzw. neu entstehenden gesellschaftlichen Klassen und ihren Veränderungen in Europa, siehe u.a. Egner (1964). 48 Die italienische humanistische Hauslehre von Battista Alberti „Della famiglia“ (14321441) betont das umsichtige und vorausschauende Wirtschaften, das Bewahren und Erhalten, das Sparen und Maßhalten. Die Ausgaben sollten geringer gehalten werden als die Einnahmen. Sombart (1913) sieht in ihm daher den Begründer einer Theorie der bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsführung (was von Weber angefochten und von Buck widerlegt wird) (vgl. Becker 1994: 78). Neu bei ihm ist allerdings weniger der Hinweis auf Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, als vielmehr die Einbeziehung neuer Sachbereiche, wie die Thematik des Gelderwerbs. Laut Becker, ist das ein Ausdruck des geänderten Wirtschaftssystems im frühneuzeitlichen Italien und einer neuen Mentalität in der Bildungsschicht. Im fünfzehnten Jahrhundert besteht zunehmend ein Interesse, Gewinnstreben und Reichtum moralisch zu legitimieren. Haushaltsführung bei Alberti, bezieht sich allerdings

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Beispielsweise heißt es in Justus Menius‘ „Oeconomia Christiana / das ist / von Christlicher haushaltung“ (1529 in Wittenberg erschienen): „Oeconomia / das ist haushaltung / vnd Politia / das ist landregirung“ (zitiert nach Schlegel-Matthies 1994: 116). Diese oikozentrische und christlich geprägte Sicht ändert sich dann (vgl. u.a. Damlos-Kinzel 2003: 45ff.) – wie sich das sehr deutlich in einer Gegenüberstellung des Titelblatts der Colerschen Ökonomik von 1645 (siehe dazu URL 51)49 und der des Fronispiz des „Oeconomus prudens et legalis oder Klugen und Rechtverständigen Haus=Vater“ von Franz Phillip Florinus von 1702 (siehe URL 52), zeigt. Die Colersche Ökonomik steht in der christlichen Tradition und wird durch das Auge Gottes dominiert. Die Menschen arbeiten auf Feldern, Wiesen, in Gärten, Ställen und Häusern. Mann und Frau sind Stützen des Daseins. In der anderen Darstellung hingegen dominiert die gekrönte Justitia. Zusammen mit den vielen Rechtsanmerkungen im Text, zeigt sich hier ein Prozess der Juristifizierung – auch der „Hausvater“ wird sich immer mehr seiner Rechte bewusst. Der Globus, der unter der Titelfigur dargestellt ist, verweist auf die erfolgte Ablösung des heliozentrischen durch das ptolemäische Weltbild. Weiters werden als Symbole für die Bedeutung wissenschaftlichen Denkens Messinstrumente, Sinnbild der Naturwissenschaften, präsentiert (Richarz 1994: 14-6; vgl. auch Schlegel-Matthies 1994: 117-9). Richarz (1994: 16) schließt daraus, dass „[d]ie Vorstellung einer von Gott als dem Schöpfer und Erhalter in schönster und vollkommenster Ordnung regierten großen ‚Welt=Oeconomian‘, wie sie sich noch bei Hohberg[50] findet, […] von der Auffassung eines von natürlichen Gesetzen bestimmten Weltgeschehens abgelöst“ wird. Gedanken der Aufklärung treten hinzu, unter anderem in der, Anfang des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigem Raum zunehmend relevanteren, kameralistischen Wirtschaftslehre, assoziiert insbesondere mit dem Namen Johann Heinrich Gottlob von Justi (1720-1771) (Gray 1998: 41, 43-4, 46ff.; dies. 2000: 11); Ökonomien nach dem Vorbild der Antike werden zunehmend abgelehnt. Die Glückseligkeit des Menschen liegt nicht mehr im ewigen Heil, sondern im irdischen Leben. Der Erwerb von Gut und Geld und damit der Eigennutz, anstelle des vorangegangenen Gemeinnutzes, werden zum primären Zweck des Haushaltens (Gray 1998: 41-2). Der Mensch wird nicht mehr ganzheitlich wahrgenommen; die Seele wird zum Objekt der Theologie, das bürgerliche „Wohlsein“ zu nicht nur auf den konkreten Haushalt, sondern allgemein auf das menschliche Dasein. Der Mensch solle mit allem, was ihm zur Verfügung steht – auch mit Körper, Seele und Zeit –, „haushalten“, sprich maßvoll umgehen (ibid.: 78). – Zur Bedeutung des Maßhaltens im Haushalten siehe auch Schlegel-Matthies (1994: 115ff.). 49 J. Colers „Oeconomia ruralis et domestica“ (erschienen erstmals zwischen 1593 und 1601) kann als eine Art „Prototyp für Ökonomiken, die Haus- und Agrarlehren verbinden“ (Schlegel-Matthies 1994: 117), gesehen werden. In dieser lutherisch geprägten Lehre deuten sich allerdings bereits einige der späteren Änderungen an: Der Mensch sei zur Arbeit geschaffen, nur durch sie lasse sich Mangel und Armut vom Hause fernhalten. Und es wird auf Bauern verwiesen, die mehr verkaufen als einkaufen, d.h. es zeigt sich hier bereits eine gewisse Akzentverschiebung in Richtung Arbeit, als Kunst Geld zu erwerben (ibid.: 118). Vgl. auch Gray (2000: 53-4, 59ff.). 50 Diese Aussage bezieht sich auf Hohbergs Werk „Georgica Curiosa“, aus dem Jahr 1682. Egner (1964: 17) zufolge, bildet dieses Buch eine wichtige Grundlage für Otto Brunners Konzept des „ganzen Hauses“. Zu Hohberg, vgl. auch Gray (2000: 54-6, 65ff.).

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dem der Jurisprudenz und die leibliche Gesundheit, die verstärkt Schwangerschaft und das Gebären von Kindern mit einschließt, zu jenem, der mehr und mehr von Männern dominierten Medizin (vgl. Richarz 1994: 16; Federici 2012: 104ff.). Darüber hinaus wird eine Differenz zwischen Vernunft und „körperlichen Leidenschaften“ konstatiert (Federici 2012: 164). Im Gemeinwesen wird schließlich ausdrücklich zwischen dem staatlich-politischen (d.h. der Öffentlichkeit als einer Männersphäre) und dem bürgerlich-gesellschaftlichen Bereich (entsprechend der Privatheit als Sphäre der Frauen) differenziert (Gray 1998: 42; dies. 2000).51 Ende des 18. Jahrhunderts wird der Geschlechtscharakter als dem Menschen innewohnendes Wesensmerkmal, als Mischung aus Biologie und Bestimmung, definiert. Anders als in der vorangegangenen Hausväterliteratur, werden in den ihr nachfolgenden Sittenratgebern nicht Aussagen über die mit dem Stand und der sozialen Position verbundenen Tugenden getroffen, sondern solche über die Eigenschaften von „Mann“ und „Frau“ (Hausen 1978: 162). 52 Das Gendering, d.h. die Schaffung eines Geschlechterdualismus, in dem Männer und Frauen als einander ergänzende und voneinander abhängige Wesen konstruiert sind (vgl. dazu auch Rubin 1975), zeigt sich somit spätestens Ende des 18. Jahrhundert als erfolgreich; seinen Höhepunkt erlebt es im 19. Jahrhundert (Federici 2012: 90). Die kreierten Eigenschaften weisen dem Mann eine dominante, weil 51 Diese Prozesse des Gendering, vollziehen sich, als wesentlicher Aspekt der beginnenden ursprünglichen Akkumulation, nicht von selbst, und vor allem nicht ohne Gegenreaktionen (vgl. dazu insbesondere Pelizzon 2002). Die Zeit Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts gilt als Höhepunkt von Glaubenskriegen, aber auch der Hexenverfolgung. Farge und Zemon Davis verweisen in ihrer Einleitung zum Band 3 der „Geschichte der Frauen“ darauf, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern vor dem Hintergrund der sozialen und politischen Instabilität und des Verfalls derart ausgeprägt sind, dass die Periode zwischen dem Ende des 16. und dem Beginn des 17. Jahrhunderts, als querelle des femmes, oder treffender, als „Krieg der Geschlechter“, beschrieben wird (Farge/Zemon Davis 1997: 13). 52 Notwendig wird das, um die Ehe (und damit die Familie), die entsprechend der Übertragung des Naturrechts auf die Hausherrschaft, zunehmend als freier Vertrag zwischen Liebenden konzipiert wird, als Institution zu erhalten (Hausen 1978: 164). So leitet Fichte 1796, „die Ehe als ein durch Natur und Vernunft bestimmtes Verhältnis her“ (ibid.: 165). Die bürgerliche Familie ist, in den Worten von Hobsbawm, womöglich nur ein Reflex auf die – „Bedingungen wesentlicher Ungleichheit […], auf denen der Kapitalismus insgesamt beruhte. Gerade weil Abhängigkeit im Kapitalismus sich nicht auf kollektive, institutionalisierte, traditionelle Ungleichheiten gründen konnte, musste sie sich als Beziehung zwischen den Individuen geltend machen. Denn wenn die Vormachtstellung des einzelnen prinzipiell ungesichert war, so schuf doch gerade diese wiederum das unabweisliche Bedürfnis nach einer dauerhaften und gesicherten Form der Vorherrschaft. Da unbeständige Herrschaft ihren wesentlichen Ausdruck im Geld gefunden hatte, das seinerseits nur die Tauschbeziehungen widerspiegelte, mußte dieses Sicherheitsbedürfnis seine Zuflucht zu anderen Ausdrucksformen von Herrschaft nehmen – zu solchen, die direkter Verfügungsgewalt von Menschen über Menschen entsprachen.“ (Hobsbawm 1978: 410-1) – Dabei sind patriarchale Familienverhältnisse in Europa nichts Neues, erfahren aber angesichts der Bedrohung ihrer Auflösung, „[…] in der klassischen Zeit der bürgerlichen Gesellschaft […] eine Bekräftigung, ja Übersteigerung“ (ibid.: 411).

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beschützende und die von ihm abhängige Familie versorgende Rolle zu, der Frau eine untergeordnete, eng verbunden mit Mutterschaft und damit assoziierten Tätigkeiten im Haushalt (Gray 2000: 1-2). Die Ehe, einhergehend mit einem Dasein als Hausfrau, und vor allem die Mutterschaft werden nun als Berufung der Frau glorifiziert (Hareven 1982: 84), eine Berufung die, wie wir gehört haben, nicht allen Frauen gleichermaßen zugestanden wird (siehe Kapitel II.4). Dem etablierten, hierarchisch gesetzten Genderdualismus entspricht, dass die Begriffe des Hausvaters und der Hausmutter, die auf eine gemeinsame Verantwortung von Mann und Frau verweisen, durch jene des Landwirtes und der Hausfrau ersetzt werden (Gray 2000: 13). Die Konstruktion von Geschlechtscharakteren ist ein wesentlicher Aspekt der stattfindenden politischen Transformationen. In den vorangegangenen Epochen des 17. und 18. Jahrhunderts wird, im Kontext mit der nicht mehr aufzuhaltenden Dominanz des Bürgertums, der Ständestaat in vielen europäischen Regionen durch absolutistisch regierte Staaten ersetzt, d.h. es vollziehen sich gravierende Veränderungen der Herrschafts- und Machtverhältnisse. Das Haus wird folglich als ständische Herrschaftseinheit53 aufgelöst, was sich auch begrifflich niederschlägt. „An die Stelle des Begriffs ‚Hausstand‘ trat der bis ins 18. Jahrhundert in der deutschen Sprache kaum geläufige Begriff der Familie“, hält Richarz (1994: 17) fest (vgl. auch Hausen 1978: 163; sowie Mitterauer 1978: 78-9). Das Hauptaugenmerk der Regierung wechselt nun von einer, die sich primär auf das Territorium (das Haus, im übertragenen Sinn), und erst sekundär auf die darauf lebenden Menschen, die dem Gesetz des Souveräns und Gottes (dem Hausvater) zu unterwerfen sind, hin zu einer, die sich primär auf die Menschen und ihre Beziehungen untereinander, wie auch zu den sie umgebenden Dingen, richtet. Das Recht des Souveräns seine Untertanen zu töten, das im bisherigen Herrschaftssystem eine zentrale Rolle spielt, wandelt sich hin zu einem der Verwaltung und Bewirtschaftung von Leben (Foucault 2008: 1131). Spätestens seit dem 17. Jahrhundert 54 wird der menschliche Körper, zur Steigerung seiner Fähigkeiten und seiner Nützlichkeit, zunächst diszipliniert. Etwas später, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, wird er, über die Kontrolle seiner Fortpflanzung, Gesundheit und Sterblichkeit als einer „Bio-Politik der Bevölkerung“ (ibid.: 1134; Hervorhebung im Original), reguliert. In dieser fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation des menschlichen Körpers, in der, wie wir gehört haben, das Gendering eine entscheidende Rolle spielt, zielen die Mechanismen der Macht, in den Worten von Foucault, nun „auf das Leben und seine Expansion, auf die Erhaltung, Ertüchtigung, Ermächtigung und Nutzbarmachung der ganzen Art ab“ (ibid.: 1140). Ziel der Souveränität ist die gezielte und effiziente Verfügung über die Beziehungen von Menschen und Dingen. Das Verhältnis zwischen Ressourcen und Einwohner_inne_n steht im Zentrum des Interesses (ibid.: 1134), um mittels seiner Optimierung, Lebens- und Wohnweisen, wie auch Unfälle, Epidemien, oder gar den Tod, möglichst wirksam zu managen

53 Egner (1964: 18) spricht, in Anlehnung an Otto Brunner, von der spätmittelalterlichen Grundherrschaft als einer Art Rahmenhaushalt, bestehend aus vielen Einzelhaushalten, mit dem Grundherrn als „adeligen Hausvater“ an der Spitze. 54 In der geschlechtlich-reproduktiven Zurichtung von Frauen beginnt dieser Prozess bereits einige Jahrhunderte früher, im Zusammenhang mit der „Krise des Spätmittelalters“ (vgl. Pelizzon 2002: 202-3).

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(Inda 2005: 3-5).55 „Aus der Frage, wie man sein Haus regiert (und das heißt für den Fürsten, wie der [sic!] die als Haushalt begriffene politische Gemeinschaft regiert), wird das Problem, wie sich die unterschiedlichen Aktivitäten eines Landes in den Staat integrieren und durch ihn zu seinem Wohl lenken lassen“, schreibt DamlosKinzel (2003: 9). Eng damit verbunden sind wirtschaftspolitische Transformationen. Das 17. und 18. Jahrhundert sind durch den Merkantilismus geprägt, speziell in seiner von JeanBaptiste Colbert (1619-1683) geprägten Version (Schneider 2004: 10, 14). Die absolutistisch regierten Staatseinheiten suchen nach Möglichkeiten ihre wachsenden Ausgaben zu finanzieren.56 Zum einen greifen sie dazu auf die Edelmetalle und Rohstoffe aus den Kolonien zurück,57 zum anderen herrscht das Bestreben, möglichst mehr Güter zu exportieren als zu importieren, um eine günstige Handelsbilanz zu erzielen (Rothbard 1995: 213; Wilke 2003: 35; Maneschi 2006). In dieser territorialen, und 55 Wobei Federici (2012: 19) zu Recht darauf hinweist, dass die Gewalt, die Macht zu quälen und zu töten, nie wirklich verschwindet, von ihren Anfängen an, bis heute ein zentrales Mittel der ursprünglichen Akkumulation und ihrer permanenten Fortsetzung, auch in der Disziplinierung und Zurichtung von Frauen – entsprechend einem immer wieder erneut durchzusetzenden Gendering –, ist. 56 Braudel (1990c: 324ff.) unterscheidet zwischen Territorial- und Stadtwirtschaft, wobei insbesondere die Struktur der ersteren, im Falle von Kriegen und den damit einhergehenden höheren Ausgaben bei vergleichsweise niedrigen Einnahmen, ökonomische Engpässe impliziert: Als gemeinsame Merkmale aller Stadtstaaten – im Inhaltsverzeichnis finden sich Venedig, Genua, Antwerpen, Amsterdam, wobei diese jeweils zu unterschiedlichen Zeiten „mächtig“ sind – nennt er: – „1. ein sehr ‚modern‘ anmutendes Verhältnis zwischen Landund Stadtbevölkerung; 2. (sofern überhaupt Feldbau betrieben wird) eine Landwirtschaft, die möglichst gewinnbringende Kulturen bevorzugt und ganz von selbst kapitalistische Investitionen anzieht (nicht zufällig oder wegen besonders günstiger Bodenverhältnisse entwickelt Holland so frühzeitig einen derart ‚fortschrittlichen‘ Landwirtschaftssektor); und 3. ein meist florierendes Luxusgewerbe.“ (ibid.: 325-6) – Stadtstaaten durchlaufen praktisch kein „landwirtschaftliches Stadium“, Territorialstaaten hingegen bleiben sehr lange darin verhaftet. Ein großer Staat, der womöglich durch Kriegsführung geschaffen wird, benötigt viel Geld und eine wachsende Bevölkerung. Die größtenteils ländliche Bevölkerung muss dazu veranlasst werden, Steuern zu zahlen. Dafür muss sie von der Subsistenz- zur Überschusswirtschaft gedrängt werden. Sie muss veranlasst werden den Überschuss am „Markt zu verkaufen und so die Städte zu ernähren“ (ibid.: 326). In der nächsten Etappe (die wesentlich später erfolgt), „muß die Landbevölkerung dann zu ausreichend Geld kommen, um die Nachfrage nach gewerblichen Erzeugnissen zu erhöhen und so das Handwerk zu stützen“ (ibid.). Der Territorialstaat ist also mit der Vorantreibung der Kommerzialisierung der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktion und der Organisation seines „schwerfälligen Verwaltungsapparats“ (ibid.) befasst. Das ist, Braudel zufolge (ibid.), der Grund, warum sich die ersten Erfolge des Kapitalismus in den Städten finden. Einmal aufgebaut allerdings, zeigt sich der nationale Markt eines Territorialstaates (England) dann dem des Stadtstaates (Holland im Gefolge von Amsterdam) weit überlegen. 57 „Den größten Gewinn aber sehen die merkantilistischen Staaten darin, einen möglichst großen Anteil der weltweit vorhandenen Edelmetallbestände an Land zu ziehen und anschließend ihren Abfluß zu verhindern“, hält Braudel (1990b: 602) fest.

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laut Richarz (1994: 24; vgl. auch dies. 1991: 120-1), nach wie vor oikozentrischen Theorie, die jedoch bereits auf die oben angesprochene Bedeutung eines günstigen Verhältnisses zwischen Ressourcen und Bevölkerung rekurriert, wird die Welt (und auch der Staat) vom Haus aus gesehen und man geht von einer Verteilung eines konstanten Gütervorrats in einem primär subsistenzbestimmten Haushalten, aus.58 Im 18. Jahrhundert wird Europa zum unumstrittenen Zentrum im globalen Handelsnetzwerk des nun etablierten, kapitalistischen Weltsystems. Nationalstaaten im modernen Sinne – d.h. auf einer Ideologie eines gemeinsamen Territoriums, gemeinsamen Volkes und gemeinsamer Sprache aufbauend – Andersons (1983) imagined communities – gewinnen an Bedeutung (Hobsbawm 1992: 37). 59 Entsprechend den Werten der Aufklärung – Rationalität, Wissenschaftlichkeit und Individualismus –, dominieren zunehmend die Wirtschaftstheorien der Klassischen Nationalökonomie, die den freien Handel und freie Märkte propagieren (Buckman 2005; Cain et al. 2006; Seel 2006: 113-4).60 Nun wird von einer Vermehrung des Gütervorrats und ei58 Mit dem Merkantilismus wird, nach Taylor (2000: 559-60), bereits weitgehend anerkannt, dass der_die König_in umso reicher ist, je reicher seine_ihre Untertan_inn_en sind. Insofern spielt die Bevölkerung eine Rolle. Der deutsche, dem Kameralismus nahestehende, Statistiker Johann Peter Süßmilch (1707-1767) geht davon aus, dass der Wohlstand eines Landes in unmittelbarem Verhältnis zur Bevölkerungszahl steht (Gray 1998: 47). Hier zeigt sich deutlich die Transformation der Macht hin zu einer, die auf die Verwaltung des Lebens abzielt (Foucault 2008: 1134). 59 Vor 1884 gilt als nación, zumindest im kastilischen Königreich, „die Gesamtheit der Einwohner einer Provinz, eines Landes oder eines Königreichs“, neben dem Fremden (Hobsbawm 1992: 25). Nun aber wird unter einer nación „ein Staat oder eine politische Körperschaft, die eine höchste gemeinsame Regierungsinstanz anerkennt“ verstanden, sowie „das durch diesen Staat und seine einzelnen Einwohner in ihrer Gesamtheit gebildete Territorium“ (ibid.). Das Element eines gemeinsamen und höchsten Staates steht nun im Mittelpunkt der Definition. Dazu kommt die Betonung der gemeinsamen Traditionen, Ziele und Interessen. Erst 1925 allerdings, findet sich die endgültige Fassung von „Nation“ im besagten Wörterbuch, als „Gesamtheit der Personen, welche dieselbe ethnische Herkunft aufweisen und im allgemeinen dieselbe Sprache sprechen und eine gemeinsame Tradition besitzen“ (ibid.: 26). 60 Die klassische politische Ökonomie steht allerdings vor der Problematik, Nationalstaaten zwar in der Praxis, nicht aber in der Theorie anerkennen zu können. Adam Smith entwickelt, Hobsbawm zufolge, seine Theorie als Kritik am „Merkantilsystem“, „d.h. an gerade jenem System, in dem die Regierungen Volkswirtschaften als etwas betrachteten, das in seiner Gesamtheit durch staatliche Bemühungen und Eingriffe gefördert werden musste. Freihandel und freier Markt richtete sich ausdrücklich gegen diese Vorstellung von volkswirtschaftlicher Entwicklung“ (Hobsbawm 1992: 38). Einzelne Wirtschaftsunternehmer_innen – Personen oder Firmen – sollten auf einem nicht konkret räumlich ausgedehnten Markt, womöglich am Weltmarkt, in rationaler Weise, möglichst große Gewinne und kleine Verluste machen. Obgleich Smith den Regierungen bestimmte Aufgaben zuweist, gibt es im Grunde für sie keinen Platz in dieser Theorie. Dessen ungeachtet, operieren auch die „lupenreinsten klassischen Ökonomen“ (ibid.: 39) mit dem Begriff der Volkswirtschaft oder der nationalen Ökonomie. „Die Existenz von Staaten mit einem Währungsmonopol und einem öffentlichen Finanzwesen und somit auch fiskalpolitischen Maßnahmen und

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nes zu vermehrenden Sozialprodukts ausgegangen. Dazu würden vor allem Gewerbe und Industrie beitragen; auch die Arbeit wird neu bewertet. Ausgangspunkt der Neubewertung letzterer ist eine intensive Debatte darüber, inwiefern der Handel zur Förderung des Reichtums einer Nation beitragen kann. François Quesnay (1694-1774), der Begründer der Schule der Physiokrat_inn_en, stellt, ähnlich den deutschen Kameralist_inn_en, die Landwirtschaft, nicht den Handel, als die Quelle allen Reichtums heraus.61 Arbeit, speziell landwirtschaftliche Arbeit, gilt Quesnay und seinen Anhänger_inne_n als eines der Mittel den Reichtum eines Staates zu schaffen oder gar zu erhöhen (Perrotta 2004: 179). Wohlstand und Überfluss definiert er über die Gesamtheit der vorhandenen Gebrauchswerte, die Produktivität einer Beschäftigung über ihre Nützlichkeit. In diesem Sinne werden – neben den landwirtschaftlichen Arbeiter_inne_n – Händler_innen dann als nützlich bezeichnet, wenn sie keinen Wucher betreiben. Sänger_innen und Schausteller_innen sind ebenfalls nützlich und somit produktiv, aber nur, wenn ihre Kunst auf geistige Erholung abzielt (ibid.: 181). In etwa zur gleichen Zeit entsteht ein anderes, die späteren Entwicklungen weit stärker beeinflussendes Konzept von Produktivität, das sich auf der Kommerzialisierung, nicht auf der Nützlichkeit oder der privaten Konsumption gründet. Nun genügt es nicht zu arbeiten und dabei ein nützliches Produkt herzustellen, es geht vielmehr darum, dieses am Markt zu verkaufen. Der Tauschwert rückt gegenüber dem Gebrauchswert in den Mittelpunkt des Interesses. Diese Sichtweise ist es, die in den folgenden Jahrhunderten dominiert. Sie ist es auch, die von Adam Smith aufgegriffen und als wirtschaftlich relevant propagiert wird (ibid.: 193). Arbeit schafft Wert, jedoch ist nicht jede Arbeit gleichermaßen Wert schaffend. Es gibt einen entscheidenden Unterschied, nämlich den zwischen produktiver und nicht produktiver Arbeit: „[…] the labour of a manufacturer adds, generally, to the value of material which he works upon, that of his own maintenance, and of his master’s profit. The labour of a menial servant, on the contrary, adds to the value of nothing. […] the labour of the manufacturer fixes and realizes itself in some particular subject or vendible commodity, which lasts for some time at least after this labour is past. It is, as it were, a certain quantity of labour stocked and stored up to be employed, if necessary, upon some other occupation. […] The labour of a menial servant, on the contrary, does not fix or realize itself in any particular subject or vendible commodity.“ (Smith 1811: 1-2)

Eingriffen war eine Tatsache. Diese wirtschaftlichen Aktivitäten ließen sich nicht mehr abschaffen“, betont Hobsbawm (ibid.: 40). Weiters, schreibt er, „konnten selbst extreme Anhänger eines wirtschaftlichen Individualismus […] akzeptieren, daß ‚die Aufteilung der Menschheit in autonome Nationen im wesentlichen eine wirtschaftliche‘ war (Molinari 1854)“ (ibid.: 40). Der (National) Staat sichert Eigentum und die Einhaltung von Verträgen. Der Staat spielt dergestalt durchaus eine Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung (ibid.). 61 Zwar erinnert die Privilegierung der Landwirtschaft gegenüber dem Handel an die christliche Weltsicht des Mittelalters, diese sieht aber Gott, nicht die menschliche Arbeit, als die letztendliche Quelle des Reichtums. Die landwirtschaftliche Tätigkeit gilt als theologisch legitime Weise Surplus zu erwerben (nicht zu schaffen) (Fuchs 2011: 42).

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Der von Smith angesprochene „menial servant“ mag vierzehn Stunden täglich, womöglich ohne Pause, für seinen Herrn „nützlich“ arbeiten, Wert schafft er damit nicht. Wert schaffen nur jene Menschen, deren Arbeitsprodukte am Markt getauscht werden, wodurch die in ihnen enthaltene Arbeitszeit somit einen Tauschwert erhält und dieser über den Verkauf realisiert wird.62 Mit dieser Fokussierung des Tauschwerts verbunden, typisch für die Thesen der klassischen Nationalökonomie, wie sie von Smith (1811) verkörpert wird, ist somit eine neue Sichtweise der Ökonomie, der Bedeutung von Arbeit und der Geschlechterverhältnisse. Die im Konzept der oikonomia enthaltene Gleichsetzung mit dem, und die (spätere) Analogie zum Haushalt, geht verloren. Letzterer wird vielmehr aus dem wirtschaftlich relevanten Bereich hinausdefiniert und gilt nur noch in Hinblick auf Konsumentscheidungen als ökonomisch interessant (Egner 1952: 277; Richarz 1991: 122-3; Seel 2006: 114; et al.). Haushaltsarbeit – definiert als weiblicher Bereich – wird von der Produktion – die als männliche Sphäre gesetzt wird – getrennt. Sie gilt in Folge als nicht produktiv, da sie keinen Wert im Sinne eines marktfähigen Produkts erzeugt (Richarz 1994: 24). Damit einher geht eine verstärkte Abwertung der im Haushalt erbrachten Leistungen, was in einer zunehmend leistungsorientierten Gesellschaft verheerende Folgen für die primär in ihm tätigen und mit ihm assoziierten Personen, die Frauen, hat (ibid.: 25). Parallel erfolgt die, zumindest wirtschafts62 Diese so folgenschwere Trennung, vor allem aber die Privilegierung der „produktiven“, gegenüber der nicht produktiven Arbeit, wird in gewisser Weise auch von der nachkommenden und entgegengesetzten Strömung der politischen Ökonomie, der neoklassischen Theorie beibehalten (vgl. Wilke 2003, Maneschi 2006, 752; et al.). Zwar wenden sich ihre Vertreter_innen gegen die Setzung von Wert als einer angehäuften Quantität von Arbeit und die Bedeutung der Produktion rückt aus dem Blick, aber die Markt- und damit Tauschwertorientierung wird beibehalten und erhält in Folge sogar noch größere Bedeutung (Ptak 2008: 28). So bezeichnet der, die neoklassische Ökonomie verteidigende, Gerhard Wilke (2003: 17), den Markt als das einzig längerfristig erfolgreiche Modell der Wirtschaft. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis und somit den Wert einer Ware. Die enorme Wichtigkeit des Marktes zeigt sich u.a. an der Bedeutung der Finanzmärkte, die zunehmend das Weltgeschehen dominieren, aber auch in den sogenannten Termingeschäften, in denen Ernten, die noch gar nicht eingefahren sind, quer über den Erdball verhandelt werden (Baum/Offenhäußer 1994: 50-2). Dennoch spielt die Aneignung von (männlichen wie weiblichen, kindlichen wie erwachsenen) Körpern, Arbeitskräften und Rohstoffen nach wie vor eine entscheidende Rolle, wenn beispielsweise Menschen, zum Zwecke der sexuellen oder anderer Ausbeutung, global gehandelt, menschliche Organe, ebenso wie Eizellen, Samen und Gebärmütter, vertrieben werden. Angesichts dessen ist neoliberalen und neoklassischen Ökonom_inn_en, wie Wilk, zuzustimmen. Der Markt erweist sich als äußerst profitables und somit erfolgreiches Modell aus der Sicht jener, die Nutzen aus diesen Transaktionen ziehen und diese daher fördern und vorantreiben. – Erinnert sei, in Hinblick auf die fortlaufende Bedeutung der ursprünglichen Akkumulation, auch an das nach wie vor (womöglich in stärkerem Ausmaß als zu anderen Zeiten) auftretende Phänomen des Langrabbing, wie auch die Bedeutung des (Neo-)Extraktivismus (Acosta 2011; McMichael 2011; Gudynas 2012; Kruchheim 2012; Brand/Dietz 2013; et al.). – Zur Grenznutzentheorie, die in den Wirtschaftswissenschaften den Platz der Arbeitswerttheorie einnimmt, vgl. u.a. Samuelson/Nordhaus (2007: 131-45).

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theoretisch-ideologisch gesehen, endgültige Setzung des Mannes als Familienerhalter: Adam Smith geht davon aus, dass der Lohn eines Mannes nicht nur für ihn alleine, sondern für die Erhaltung einer Familie ausreichen müsse, da ansonsten „die Schicht der Arbeiter (…) mit der ersten Generation aussterben“ würde (zitiert nach Scott 1997: 462; Klammer mit Auslassungspunkten bei Scott). Er argumentiert, dass das Einkommen der Frau geringer sei und nur für sie selbst ausreiche, da sie mit ihren (körperlichen) Ressourcen auch die Kinder versorgen müsse. Diese Gleichsetzung der Frau mit Mutter, und somit im Lohnarbeitssektor weniger produktiv und folglich legitimer Weise weniger verdienend, wird von späteren Nationalökonomen auf alle Frauen ausgedehnt. Weibliche Wesen per se erscheinen als naturgemäß von Männern abhängig, abseits von ihrem tatsächlichen ehelichen Stand, ob sie Kinder haben, oder nicht (ibid.; Gray 2000: 3). Gemäß dieser Logik sind es die Männer, die für die Re-Produktion (im Sinne der Erhaltung der Familie) zuständig sind, wobei Reproduktion hier keine biologische Bedeutung hat, sondern mit der Produktion (der Erwirtschaftung der notwendigen materiellen Ressourcen) gleichbedeutend ist. Joan Scott beschreibt diese Form der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, d.h. der ideologischen Enteignung, der als Ehefrauen und Mütter definierten, menschlichen Wesen von ihren reproduktiven Fähigkeiten zugunsten von Patriarchat und Kapital, folgendermaßen: „Geburt und Aufzucht der Kinder, Arbeiten also, die von Frauen geleistet wurden, waren Rohmaterialien. Die Transformation von Kindern in Erwachsene, die schließlich wieder imstande waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war das Ergebnis des väterlichen Einkommens; der Vater war es, der seinen Kindern ihren wirtschaftlichen und sozialen Wert gab, indem sein Lohn für ihren Lebensunterhalt sorgte.“ (Scott 1997: 463)

Diese Art von Diskurs führt im 19. Jahrhundert zur bereits erwähnten Naturalisierung von als weiblich konstruierten Eigenschaften und, darauf aufbauend, der Legitimierung der auch heute, im 21. Jahrhundert, weiterhin bestehenden niedrigeren Bezahlung von Frauenarbeit (Wagner-Pinter et al. 2007). In der zirkulären Logik der Nationalökonomien sind niedrige Löhne gleichermaßen Ursache und Beweis der geringeren Produktivität der Frauen gegenüber den Männern. Und sie sind der Beweis, „daß Frauen nicht so hart wie Männer arbeiten konnten“ (Scott 1997: 463). Ihre körperliche Beschaffenheit prädestiniere Frauen zu Mutterschaft und Hausfrauendasein, argumentieren schließlich auch die männlich dominierten Gewerkschaften (um sich vor der weiblichen Konkurrenz zu schützen) und fordern einen Familienlohn für den Mann.63 Die nicht lohnarbeitende Ehefrau wird nicht nur in der bürgerlichen, sondern auch in der Arbeiterklasse zum Symbol ehrbarer Weiblichkeit. Neben den Ökonomen und den Gewerkschaften beteiligen sich staatliche Instanzen, entsprechend der von Foucault (2008) beschriebenen Bio-Politik und dem damit verbundenen fortgesetzten Gendering (siehe Fußnote weiter oben), an der Abwertung 63 Selbst die, ansonsten so kritische, Forscherin Heidi Rosenbaum schreibt 1982, dass sich die Autoritätsstellung des Vaters auf seiner herausragende Bedeutung als Brotverdiener gründe, da die Frau „durch Schwangerschaften und kleine Kinder gehindert, meist unstetig und bei schlechterer Entlohnung arbeitet und sich dadurch in einer realen Abhängigkeitsposition befindet“ (Rosenbaum 1982: 45).

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weiblicher Arbeit. 1881 wird beispielsweise in Großbritannien erstmals eine Volkszählung durchgeführt, bei der die häusliche Tätigkeit von Frauen aus der Kategorie der Arbeit ausgeschlossen wird (was ihren Anteil an den Beschäftigungslosen enorm verringert) (Scott 1997: 469ff.). 64 Die resultierende Ausgrenzung von Frauenarbeit aus dem „produktiven“ Bereich geht soweit, dass in vielen Fällen auch ihre Tätigkeit in der Landwirtschaft und in der Marktwirtschaft „übersehen“ wird und Frauen selbst dann als Hausfrauen definiert werden, wenn sie, neben Haushalts- und Kinderversorgung, ganz offensichtlich in Landwirtschaft, Handwerksproduktion und Kleinhandel involviert sind (Moore 1988: 43; vgl. auch ibid.: 84-5; Federici 2012: 112ff.). Überaus profitabel genutzt wird diese Verschleierung produktiver Arbeit, indem die Tätigkeiten von Frauen, beispielsweise in kapitalistisch wirtschaftenden Plantagenbetrieben, als nicht zu entlohnende Hilfsdienste für die dort beschäftigten Ehemänner definiert werden.65 Die Differenzierung von produktiv und nicht produktiv schlägt sich, abseits des Gendering, noch in anderen Bereichen für die kapitalistischen Akteur_inn_e_n im globalen Weltsystem in äußerst gewinnbringender Weise nieder. Abgewertet und damit nutzbar, entsprechend der schon mehrfach angesprochenen fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, wird unter anderem die kleinbäuerliche (Teil-)Subsistenzlandwirtschaft, die in vielerlei Hinsicht als Haushaltsökonomie im oikozentrischen Sinne beschrieben werden kann (siehe Kapitel II.3.1). Begrifflich äußert sich diese Differenz im deutschsprachigen Raum zunächst, ab dem 17. Jahrhundert, in der Verdrängung des Begriffs der Haus- und Feldwirtschaft durch den der Landwirtschaft. Letztere wird Gegenstand einer eigenen Wissenschaft, der (Agrar-)Ökonomie, die die sich etablierende ökonomische Verwertbarkeit, ausgerichtet an einer Orientierung auf die Produktion eines Mehrprodukts, fokussiert (Gray 2000: 50-1). In weiterer Folge wird, nicht nur in Deutschland, zwischen einer produktiven, kapitalistischen Produktion für den Markt und einer nicht produktiven haushaltsorientierten Pesasant-Ökonomie für die Subsistenz unterschieden. Letztere ist insbesondere nationalen und transnationalen Einrichtungen, wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond (IWF), ein Dorn im Auge (vgl. u.a. Araghi 2009: 111-2). Keith Hart beispielweise, der zunächst für die Weltbank, später für die US-amerikanische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit United States Agency for International Development (UN AID) tätig ist, hält bezogen auf Westafrika fest: „[…] the major problem facing West African economies was the prevalence of a peasantry, insufficiently coerced into producing a surplus for the market“ (zit. nach Handy 2009: 341). Und er schlägt vor, dass diese dazu gezwungen werden sollte härter zu arbeiten, um die landwirtschaftliche Intensivierung voranzutreiben (ibid.). Aussagen 64 Im 20. Jahrhundert erfolgt dann gewissermaßen eine begriffliche Umkehrung dieser Entwicklung, indem jegliche un- und unterbezahlte, abgewertete Arbeit als „feminisiert“ bzw. „hausfrauisiert“ bezeichnet wird (vgl. z.B. Hess/Lenz 2001b zur Verwendung des Begriff der Feminisierung; Mies 2009 zum Konzept der Hausfrauisierung). 65 Vgl. dazu u.a. Kühhas (2003: 235), die ausführt, dass junge Maya-Frauen auf den CashCrop Plantagen in Guatemala zwar ebenso hart arbeiten wie ihre Männer, der Lohn aber an die Männer ausbezahlt wird. Oder, um eine, wenn auch marginalisierte, Zentrumsregion heranzuziehen, vgl. Glenns Ausführungen über die Nutzung der Arbeitskraft ganzer Familien im Südwesten der USA (Glenn 1991: 183-4).

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dieser Art finden sich von Ökonom_inn_en und Politiker_inne_n aus aller Welt.66 Beispielsweise zitiert Fitting (2011: 105), den unter der Regierung Vicente Fox in Mexiko amtierenden Landwirtschaftsminister, Javier Usabiaga, für den die, auf Maisanbau für die Subsistenz begründete, mexikanische kleinbäuerliche Landwirtschaft, Teil einer kulturell bedingten Barriere ökonomischer Entwicklung darstellt. Eine der Varianten „Entwicklung“ voranzutreiben und selbst „störrische“ Peasants von der Subsistenzökonomie abzubringen, um sie in die Marktökonomie zu integrieren, besteht in ihrer teilweisen oder vollständigen Vertreibung von ihrem Land. Die ihrer Ressourcen beraubten und somit verarmten Menschen werden in Folge zur Arbeit in kapitalistischen Betrieben wie auch staatlichen Einrichtungen gezwungen (siehe unten; N.N. 1982; N.N. 1985; Grandia 2012). Diese Form der Disziplinierung hat in der kapitalistischen Weltwirtschaft eine lange Tradition. Bereits Marx (1981: 678ff.) beschreibt im ersten Band des Kapitals, im Kapitel „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“, die Ende des 15. Jahrhunderts unter Heinrich VIII in England eingeführte „Blutsgesetzgebung wider Vagabundage“ (ibid.: 679), die neben körperlichen Strafen auch Zwangsarbeit vorsieht. Derlei Regelungen finden sich ebenfalls in Frankreich, spätestens ab Mitte des 17. Jahrhunderts, was Marx folgendermaßen kommentiert: „So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und zum großen Vagabunden gemachte Landvolk durch groteskterroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, -gebranntmarkt, -gefoltert“ (ibid.: 681). Im 19. Jahrhundert, 1877, tritt im „liberalen Nationalstaat“ Guatemala, dessen Politik unter den Schlagworten „Fortschritt, Privatbesitz und Nation“ zusammengefasst werden kann, das Reglamento de Jornalero, besser bekannt als mandamiento in Kraft (Grünberg 2003: 36). Dieses Gesetz, das im 20. Jahrhundert, 1931, unter General Jorge Ubico eine Neuauflage erfährt, besagt auch in seiner „modernisierten“ Version nichts anderes, als dass Personen, die keinen Arbeitsvertrag vorweisen können und über weniger als drei Hektar Land verfügen, auf Guatemalas weltmarktorientierten Cash Crop Plantagen oder im Straßenbau, in Form von Zwangsarbeit, eingesetzt werden können (Boris/Rausch 1984: 76-7; Grünberg 2003: 36; Kreutzer 2003: 40; Sova 2003). Ähnliche Beispiele finden sich aus allen Epochen seit dem Bestehen der kapitalistischen Weltwirtschaft, über den gesamten Globus verteilt. 67 David Harvey (2003: 145ff.) spricht in diesem Zusammenhang, wie erwähnt, von Akkumulation durch Enteignung. 66 Vgl. z.B. die Aussagen von F. Hertz, O. de Franges (1939), Churchill (1944) und anderen, wie sie in der Zeitschrift Autonomie 14 (N.N. 1985: 239) wiedergegeben werden. Thompson (1992c: 172) berichtet, dass in den 1870ern und 1880ern in vielen Teilen Mexikos ein Arbeitermangel konstatiert wird. Verantwortlich gemacht wird, seitens der Großgrundbesitzer_innen und Regierungsbeamt_inn_en, die „zurückgebliebene“ Subsistenzökonomie der Indigenen, ihre angebliche „Trägheit, Trunkenheit und mangelnden Initiative“. 67 Hinweise, bezogen auf Mexiko um 1900, gibt Thompson (1992b: 155-6), wenn er schreibt, dass in Mexiko Stadt vierzehn Prozent der Bevölkerung keine permanente Bleibe haben und von den sogenannten léper@s berichtet, Menschen, die auf den Straßen leben und kriminalisiert werden. Hunderte dieser „Vagabund_inn_en“ werden periodisch eingesammelt und aus der Stadt deportiert, um auf Plantagen im Süden des Landes zur Arbeit oder zum Dienst in der Armee gezwungen zu werden.

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Verstärkt vorangetrieben wird die Politik der Enteignung, Vertreibung und Zurichtung von Arbeitskraft für den kapitalistischen Verwertungsprozess in neuerer Zeit durch den Washingtoner Konsens der 1980er Jahre (Araghi 2009: 13; siehe auch Bayer 2009: 90). Dieser bezeichnet eine, vom Internationalen Währungsfond und der Weltbank propagierte, umfassende Politik der Privatisierung, um die ökonomische Effizienz und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern (Brand 2009: 103). Der damit einhergehende Druck zu Strukturanpassungen im landwirtschaftlichen Sektor in vielen Ländern der Welt, treibt die Vertreibung der Peasants von ihren Ländereien und damit verbundene Ent-peasantization, voran, allerdings ohne dass eine vollständige Proletarisierung stattfindet (siehe dazu auch Kapitel II.3.7), ergänzt und verstärkt durch eine Deregulierung der Landmärkte, eine ausgeweitete Kommodifizierung von Samen und eine wachsende Abhängigkeit der Landwirtschaft von chemischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln. In vielen (semi-)peripheren Weltregionen werden Agro-Exporte auf Kosten der Nahrungsproduktion forciert (vgl. u.a. Sitko 2013; für Mexiko, vgl. u.a. Paré 1990: 80; Fitting 2011). Gefördert werden Viehzucht und Cash Crop Produktion für den Verkauf in die Zentrumsregionen des Konsums (Das 2007: 353; Araghi 2009: 133; Borras 2009: 7; Akram-Lodhi/Kay 2010: 274ff.). Auf der Grundlage dieser marktorientierten Arten der Nahrungsproduktion erlangen multinationale Konzerne, wie Nestlé, Unilever und Monsanto, eine fast uneingeschränkte Dominanz und es wird für Bauern_Bäuerinnen immer schwieriger ihre Produkte abseits dieser globalen Netzwerke zu vertreiben (Ploeg 2010: 18). Somit erscheint eine „Durchkapitalisierung“ der Welt nur eine Frage der Zeit. Dennoch erweist sich die peasantry als äußerst hartnäckig in ihrer Existenz. Ein Grund dafür ist ihre Rolle zur Verbilligung wie auch als Reservoir einer Reservearmee der Arbeitskraft (vgl. Kapitel II.3). Denn ähnlich der Haushaltsarbeit kann die Peasant-Ökonomie, wenn auch in adaptierter Form, als notwendige Kehrseite kapitalistischen Wirtschaftens angesehen werden. Anders als in der „reinen“ Hausarbeit, bieten sich hier jedoch Möglichkeiten, einer vollständigen Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche zu widerstehen (siehe Kapitel IV.2). 68 Fitting (2011: 107, et al.) spricht in diesem Zusammenhang von einer Strategie gegen die Akkumulation durch Enteignung. Aspekte der Selbstidentifizierung über landwirtschaftliche Aktivitäten, unabhängig von ihrer tatsächlichen Relevanz für das Haushaltseinkommen, spielen hierfür eine wesentliche Rolle (vgl. u.a. Grünberg 2003; De Frece/Poole 2008; Isakson 2009). Dass sich die „reine“ Hausarbeit, und damit auch die vielzitierte Hausfrau, 69 als (untergeordnete und abhängige) Ergänzung zum alleine verdienenden (männlichen) Lohnarbeiter, selbst in den kapitalistischen Zentrumsregionen, nur selten findet, wird u.a. in den Ausführungen des folgenden Kapitels deutlich.

68 Vgl. darüber hinaus Wallerstein (1990: 135-7); Bennholdt-Thomsen/Mies (1997); Bennholdt-Thomsen et al. (1999); Werlhof et al. (2003); Altieri/Toledo (2011); CallerosRodríguez (2014); et al. 69 Hausmänner sind, wie auch aus den vorangegangenen Ausführungen hervorgegangen sein dürfte, in der Realität, wie auch den theoretischen und anderen Ausführungen, aufgrund der konzeptuellen Unstimmigkeit zum Lohnarbeiter-Hausfrau-Modell, eine Seltenheit.

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II.6 H AUSHALTE IN DER W ELTWIRTSCHAFT : E INKOMMENSFORMEN UND DAMIT EINHERGEHENDE P OSITIONIERUNG Immanuel Wallerstein und Joan Smith verweisen in der Einleitung, des von ihnen 1992 herausgegebenen Sammelbands „Creating and Transforming Households“, auf den engen Zusammenhang zwischen den Zyklen der Weltwirtschaft, staatlichen Strukturen und Politiken sowie den Grenzen und der Zusammensetzung von Haushalten (Wallerstein/Smith 1992a). Darüber hinaus prägen die Beziehungen zwischen den Haushalten und anderen sozio-ökonomischen Einrichtungen die interpersonellen Beziehungen innerhalb eines Haushalts wesentlich mit. Die Verortungen dieses Gebildes Haushalt in globalen und lokalen Gefügen wirken ebenso auf seine Struktur, seinen Aufbau und die innerhäuslichen Machtverhältnisse, wie die Arten der in ihm zusammenkommenden Einkommen (vgl. dazu auch Cécora 1993). Dabei können Löhne aus einem längerfristig bestehenden (und sozial abgesicherten) Arbeitsverhältnis für die Mehrzahl der weltweit existierenden Haushalte nicht die einzige oder auch nur hauptsächliche Einkommensquelle sein. Sie müssen immer mit anderen, nämlich solchen aus Marktverkäufen (oder Profiten), Renten, Transferleistungen/zahlungen und „Subsistenz“ (bzw. direktem Arbeitsinput), einhergehen (Wallerstein/Smith 1992a: 7). Erstere, also Markt- oder Profiteinkommen, ergeben sich aus Warenverkäufen, die auch Kleinhandel und – diesem oft vorangehend – häusliche Manufaktur in kleinem Maßstab beinhalten. In gewissem Sinne lassen sich auch Verdienste aus Tätigkeiten, wie Babysitten oder Wäschewaschen, zu dieser Kategorie hinzurechnen (ibid.: 8). Renten entstammen der Weitergabe von Nutzungsrechten von Land, Werkzeugen, u.a. an Personen außerhalb des Haushalts, für die ein Entgelt eingehoben wird. Neben den Einkünften aus einer Pacht und der Vermietung von Wohnräumen, Betten, etc., zählen hierzu auch die Zinsen, die jemand dafür erhält, dass sie_er ihr_sein Geld auf der Bank deponiert (ibid.). Transferzahlungen kreieren Einkommen für die es, ähnlich den Renten, keinen unmittelbaren Arbeits-Input als Gegenleistung gibt. Wallerstein und Smith (ibid.) inkludieren in diese Kategorie nicht nur Pensionen und Arbeitslosengeld (für die allerdings in der Vergangenheit gearbeitet worden ist) und andere Formen sozialer Absicherung, sondern auch private Formen, wie Geschenke anlässlich von Heirat, Geburtstag, etc. (ibid.). Subsistenzeinkommen schließlich, werden in jedem Haushalt in irgendeiner Weise erzeugt, wenngleich ihre Bedeutung zunehmend geringer erscheint. Tatsache ist, dass der Großteil der weltweit existierenden Haushalte eigenes Essen zubereitet, die Unterkunft und die Kleidung selbst in Ordnung hält und die damit befassten Personen sehr viel Zeit mit den dafür notwendigen Tätigkeiten verbringen. Werkzeuge und Maschinen verringern zwar die erforderlicher Muskelkraft, nur selten jedoch den zeitlichen Input (ibid.: 9). Die Art der Verbindung aller fünf Einkommensformen und das Ausmaß, das den einzelnen Typen jeweils zukommt, variiert entsprechend der Verortung eines Haushalts im Zentrum oder der (Semi-)Peripherie, ist aber auch abhängig davon, ob sich

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die Weltwirtschaft in einer Phase des Aufschwungs oder der Rezession befindet. In den (semi-)peripheren Regionen findet sich in vielen Fällen eine scheinbar „unvollkommene“ Proletarisierung der Menschen, die immer „unvollkommen“ bleiben wird, von der Struktur des ungleichen Tauschs (Hopkins/Wallerstein 1982: 158-60) her, nie in eine vollständige transformiert werden kann. Es gibt zwar Lohneinkommen, diese sind jedoch mehr oder weniger unzureichend die Lebenskosten eines Haushalts zu decken, insbesondere deswegen, weil sie äußerst niedrig und oft nur sporadisch verfügbar sind (Wallerstein/Smith 1992b: 256).70 So wird im postrevolutionären Mexiko zwar bereits 1934 ein legaler Mindestlohn eingeführt, dieser reicht aber nicht aus, eine Familie zu erhalten (Thompson 1992a: 147). Mehr als die Hälfte der urbanen Arbeiter_innen verdienen selbst 1970, am Höhepunkt des „Mexikanischen Wunders“,71 weniger als den Mindestlohn (Thompson 1992b: 159-60, 158, 159-60). Die fehlenden Ressourcen werden, hier wie anderswo, durch verstärkte Subsistenzaktivitäten, mehr und mehr aber durch verschiedenste Operationen im Bereich des informellen Sektors, vor allem durch Marktverkäufe, sowie die (Unter-)Vermietung von Räumen u.ä. (Renten) besorgt (Wallerstein/Smith 1992b: 256). Nur eine geringe Rolle spielen staatliche Transferleistungen (vgl. Thompson 1992a: 146-8 für Mexiko). In der Regel sind mehrere Mitglieder eines Haushalts, Männer wie Frauen, in vielen Fällen auch Kinder, mit der Erwirtschaftung der notwendigen Ressourcen befasst;72 darüber hinaus werden unter Umständen nicht verwandte Personen, in Form von Untermieter_inne_n und Bettgeher_inne_n, integriert. Insgesamt ist die Art der Haushaltszusammensetzung in derart marginalisierten Gesellschaftsschichten, wie der der landlosen, urbanen Arbeiter_inne_n in Mexiko Stadt, variabel und instabil.73 70 Im Folgenden beziehe ich mich, der regionalen Schwerpunktsetzung meiner Untersuchung folgend, v.a. auf das semiperiphere Mexiko. Für periphere Regionen, vgl. u.a. Beittel (1992a); ders. (1992b); Martin (1992). 71 Als „Mexikanisches Wunder“ wird die Epoche hohen Wirtschaftswachstums und der Industrialisierung zwischen den 1940ern und 1970ern bezeichnet, eine Entwicklung, die Mexiko in den Status eines Schwellenlandes versetzt. 72 Spätestens in den 1940er Jahren wird auch in Mexiko der „Familienlohn“ für Männer und das „Hausfrausein“ für Frauen propagiert. In Mexiko Stadt werden „Frauenarbeitszentren“ (centros femeniles de trabajo) errichtet, in denen den weiblichen Mitgliedern der Gesellschaft, die mit dem Lohnarbeiter-Hausfrau-Modell einhergehenden Aufgaben und Tätigkeiten der letzteren nahegebracht werden sollten. Damit einher geht ein Rückgang der Erwerbstätigkeit von Frauen im Lohnarbeitssektor (Thompson 1992b: 161-2), was im Grunde eine Erhöhung ihrer Beteiligung an Marktaktivitäten, zusätzlich zur Haus-, Erziehungsund Beziehungsarbeit bedeutet. – Thompson (ibid.: 163) geht allerdings davon aus, dass eine Ausweitung von Markt- und nicht hausarbeitsbezogenen Subsistenztätigkeiten, mit einer notwendigen Verringerung des Aufwands für Hausarbeit einhergeht. In der Mittelschicht, die sich ab den 1940er Jahren bildet, wird die „Hausfrau“ in der Regel durch schlecht bezahlte Haushaltsarbeiterinnen (muchachas) entlastet. Sehr oft ist die „Hausfrau“ in dieser gesellschaftlichen Klasse keine solche im eigentlichen Sinne des Wortgebrauchs, sondern geht einer bezahlten Arbeit als Sekretärin, Krankenschwester oder Lehrerin nach (vgl. Thompson 1992b: 164). 73 Für Mexiko im 19. und 20. Jahrhundert siehe Thompson (1992b); für letzteres auch Lewis (1963); ders. (1975).

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Im ländlichen Zentralmexiko auf der anderen Seite, sind die Wohn-, Konsumund Arbeitseinheiten74 stabiler und es gibt laut Thompson (1992c: 183), eine Verbindung zwischen Landbesitz und Haushaltsgröße. Familien, die über etwas Land verfügen, tendieren dazu, in sehr großen Einheiten zusammenzuleben, solche völlig ohne Land hingegen, in sehr kleinen.75 Thompson (1992b: 157) weist darüber hinaus darauf hin, dass es in Mexiko unterschiedliche Tendenzen bei städtischen und ländlichen Bevölkerungen gibt, fehlende Einkommen für ein menschenwürdiges Leben, oder auch nur zu ihrem rein körperlichen Erhalt, zu substituieren. Eng damit verbunden, sind die jeweiligen politischen Kämpfe, auf unterschiedliche Schwerpunkte hin ausgerichtet. Orientieren sich rurale Haushalte stärker an Aktivitäten der Subsistenz und trachten folglich danach Land zu erlangen, so fokussieren urbane Bevölkerungen notgedrungen auf Marktaktivitäten oder auch Lohnerhöhungen (zu Zentralmexiko, vgl. Thompson 1992c).76 Weder Wallerstein noch Thompson berücksichtigen in ihren Überlegungen zu unterschiedlichen Haushaltsstrategien in Zentrums- und (semi)peripheren, urbanen und ländlichen Regionen, die ethnische Komponente dahingehend, dass derlei Strategien und Entscheidungen u.U. einer eigenen, beispielsweise spirituell-kosmisch geprägten, Logik folgen (siehe Kapitel II.3.7, IV.2.5, et al.), wie das u.a. De Frece und Poole (2008) für die Maya-Gemeinde Mahas im mexikanischen Yukatan aufzeigen. Nicht nur Menschen in (semi-)peripheren Regionen wie Mexiko, selbst die Kernarbeiterschichten in den Zentrumsstaaten sind nicht (oder immer weniger) in der Lage, sich und ihre Familie ausschließlich über einen Lohn zu versorgen bzw. wollen das womöglich gar nicht (vgl. Ploeg 2010). Löhne sind zentral, können jedoch nicht alle Erfordernisse abdecken. Entscheidend ist hier einerseits die Haus- und Beziehungsarbeit, in der Regel – wirkmächtiges Ergebnis des Gendering – als primärer Tätigkeitsbereich von Frauen definiert, 77 andererseits aber werden unzureichende Einkommen häufig durch das Eintreten ehemals hauptberuflicher Hausfrauen in den Arbeitsmarkt, sowie durch Heimarbeit, meist der Frauen, erhöht. Darüber hinaus stellen staatliche Transferzahlungen eine wichtige Ergänzung dar. Werden letztere gekürzt, so wird auf Marktaktivitäten im informellen Sektor, analog wie in peripheren Weltregionen, zurückgegriffen. Selbst besser gestellte Zentrumshaushalte lassen sich nur selten durch eine ausschließliche Lohnabhängigkeit charakterisieren. Vielmehr 74 Zu dieser Definition von Haushalten und den damit einhergehenden Problematiken, siehe oben, Kapitel II.2. 75 Zu Faktoren, die die Haushaltsgröße beeinflussen, vgl. Kapitel V.2. 76 Zwar bezieht sich Thompson (ibid.) auf das Mexiko vor der Revolution, aber bei genauerer Betrachtung der aktuellen Kämpfe und Auseinandersetzungen lassen sich auch heute derlei Tendenzen erkennen. Bei der ländlichen Bevölkerung kommt in vielen Fällen die Organisation zur besseren Vermarktung von Cash Crops dazu (siehe Kapitel IV.5.1), ebenso wie Migration einzelner Haushaltsmitglieder nach Mexiko Stadt oder in die USA bzw. nach Norden (vgl. u.a. Thompson 1992c: 179-80, 182). Marktaktivitäten spielen auch am Land eine immer wichtigere Rolle (ibid.: 181). Was in den Städten dazu kommt, ist das Besetzen von Land zur Errichtung von Wohnraum (Thompson 1992b: 161; et al.). 77 Eine Arbeit, die im Schema von Smith und Wallerstein (1992a: 7-10) am ehesten unter die als „Subsistenz“ bezeichnete Einkommenskategorie, in Form von direktem Arbeitsinput, fällt (vgl. dazu die Kritik von Dunaway 2002: 133).

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wird auf eine neue Art der Subsistenz, die sogenannte Selbst-Provisionierung fokussiert. Dabei wird ein Teil des Lohns zum Kauf von „Produktionsmitteln“ (einer Waschmaschine, eines Tiefkühlers, etc.) zur Schaffung von zusätzlichen Ressourcen verwendet. Diese Produktionsmittel erfordern ihrerseits die Investition von Arbeit, beispielsweise die Jagd oder das Suchen und Verarbeiten von Pilzen, um die neu gekaufte Tiefkühltruhe möglichst optimal zu nutzen. Dabei handelt es sich in der Regel um Arbeit, die in der „Freizeit“ verrichtet wird (Wallerstein/Smith 1992b: 256-61).78 Die Bedeutung der Haushaltsarbeit und damit von Haushalten, wie auch von Einkommensformen differierender Herkunft als der Lohnarbeit, als untere und gleichfalls notwendige Seite der Medaille der kapitalistischen Weltwirtschaft wird, wie wir gesehen haben, von Wallerstein und Smith anerkannt,79 wobei diese jedoch Gender, stärker noch die ethnisch/kulturelle Dimension lokaler Besonderheiten, durch ihre stark „von oben“ geprägte Sicht vernachlässigen.80 Wallersteins Theorie hat dennoch das Potential auch diesen Aspekten Rechnung zu tragen. 81 Dunaway (2002: 129; 2014) verweist in Hinblick auf Gender vor allem auf die Bedeutung des Haushalts sowie der Konzepte des Semiproletariats und der Warenkette. Denn, wie von Wallerstein und Smith (1992a) konstatiert, sind, aufgrund der notwendig vielseitigen Einkommenszusammensetzungen, weltweit semiproletarische Haushalte am weitesten verbreitet. Aufgezeigt werden von Smith und Wallerstein (1992) auch einige der vielfältigen Prozesse der Semi-Proletarisierung von Frauen. Zu wenig berücksichtigt hingegen sind, in der Sicht von Dunaway (2002: 131), die spezifischen Ressourcen, die Frauen, abseits ihrer Arbeitsleistung, in den Haushalt einbringen, angefangen von ihren Körpern, mit denen sie menschliches Leben reproduzieren, Kinder ernähren, aber auch sexuelle Bedürfnisse befriedigen können, bis hin zu spezifischen Wissensformen der Nahrungsverarbeitung, der Verwendung von Heilpflanzen, wie auch ethnisch-kulturelles Wissen, das über die Sozialisation, meist von den Frauen an die Kinder, weitergegeben wird.82 Vernachlässigt werden darüber hinaus haushaltsinter78 Den Veränderungen der Einkommen, entsprechend den weltwirtschaftlichen Zyklen, aber auch verbunden mit der Verortung innerhalb des Zentrums, gehen Friedman (1992a; 1992b) sowie Stanley und Smith (1992) nach. 79 Nicht jedoch der Beziehungsarbeit (siehe oben). Der bereits mehrfach genannte Weltsystemtheoretiker Larry Thompson (1992b: 161-2, 166), verweist in seiner Untersuchung der Veränderung der Einkommenszusammensetzung in Mexiko Stadt vom 19. Jahrhundert bis in die späten 1970er darauf, dass die Haushaltsarbeit der Frauen sich, mit der größeren Bedeutung von, aus männlicher Arbeit erlangten, Löhnen, in ihrem Ausmaß erhöht. Zusätzlich wirkt sich die Zahl der Kinder auf die weibliche (Hausarbeits-) Belastung aus. 80 Zur Kritik der Vernachlässigung von Gender bei Wallerstein, siehe insbesondere Pelizzon (2002: 202); in der Weltsystemtheorie insgesamt, selbst dann, wenn Haushalte fokussiert werden, vgl. Dunaway (2002: 127-8) und auf Dunaway Bezug nehmend, York und Ergas (2011). Einige Jahre später, 2014, relativiert Dunaway diese Kritik jedoch. Anders als viele Theoretiker_inne_n, die sich mit Warenketten befassen, hätte Wallerstein die Bedeutung von Gender erkannt (Dunaway 2014: 67ff.). 81 Bezogen auf die Berücksichtigung von Gender, vgl. Thomson (1992b; ders. 1992c). 82 Wallerstein und Smith (1992a: 19-20) weisen Ethnizität in der Sozialisierung der Haushaltsmitglieder eine große Bedeutung zu, gehen hier aber nicht auf die, den Frauen im Zuge des Gendering zugeschriebene Rolle, der Erziehung von Kindern ein.

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ne Konflikte und Auseinandersetzungen, aber auch die geschlechtlichen Aspekte von Warenketten, dem Netzwerk von Arbeits- und Produktionsprozessen, dessen Endergebnis die fertige Ware ist. Denn alle lokalen Ökonomien und damit auch (fast) alle Haushalte sind über dieses System, das der ungleichen Verteilung von Surplus zwischen Zentrum/Zentren, Peripherie/n und Semiperipherie/n zugrunde liegt, miteinander verbunden. Warenketten sind über die Produktion von Waren wie auch ihren Konsum in Haushalte eingebettet, was die Zentralität von Haushalten in der Analyse herausstellt. Das Überleben der, für das Bestehen von Warenketten so entscheidenden, Haushalte ruht, in Hinblick auf die Herstellung von Waren (angefangen von der Ware Arbeitskraft bis zur Heimarbeit und der Erzeugung von Gütern für den informellen Sektor) wie auch die Möglichkeiten ihres Konsums (die sich neben dem Einkauf und der Verarbeitung der gekauften Güter auch auf das unter Umständen erforderliche zusätzliche Einkommen beziehen), ganz wesentlich auf den Schultern der Frauen (Dunaway 2002: 131-3; dies. 2014: 72-5). Insbesondere über den Ausgangspunkt vom Haushalt als Analyseeinheit ist es, laut Dunaway (2002: 132-4), möglich, eine Perspektive „von unten“, d.h. unter der Einbeziehung von Alltagsperspektiven, des Alltagslebens einzunehmen. Dieser Fokus erlaubt es, über die von ihr beschriebene, aus meiner Sicht etwas einseitige, von einem conjugal bias geprägte Genderdimension hinausgehend, die Bedeutung der Verflechtungen von Nationalität, Ethnizität, Klasse, Religion, Gender, aber auch Alter, Verwandtschaftsstatus, etc. herauszustellen (siehe Teil IV-VII). Im Zentrum meines Interesses stehen dabei, wie bereits in der Einleitung angeführt, nicht die von Dunaway hervorgehobenen Warenketten, sondern die (Re)Aktionen der Menschen als Mitglieder eines Haushalts auf Zwänge, aber auch auf erweiterte Möglichkeiten von außen wie auch von innen, also seitens der Weltwirtschaft, der nationalen Gesellschaft und der indigenen Gemeinschaft, der Verwandtschaftsgruppe, des Nachbarschaftsnetzes, der „Familie“ etc. Haushaltsstrukturen werden in Folge als ein Gefüge von Machtbeziehungen betrachtet, in dem Geschlecht, Alter, Verwandtschaftsstatus, etc. in einer komplexen Struktur von Macht und Gegenmacht zusammenwirken. Untersucht wird, wie Haushalte bzw. die einzelnen Mitglieder eines Haushaltes agieren, um ihre Ziele zu verfolgen, ihre Interessen durchzusetzen. Ausgangspunkt sind, mit Einschränkungen (siehe auch Kapitel II.2), die fünf Orientierungsprozesse, die Wallerstein und Smith (1992a: 13-21) geben, nämlich, erstens: Der Haushalt als „income-pooling unit“83 ist die Grundlage der Analyse. Zweitens: Der Haushalt ist eine Einheit, deren Grenzen und Zusammensetzung Gegenstand ständiger Veränderung ist. Drittens: Zyklen und Trends der Weltwirtschaft wirken auf Haushaltsstrukturen. Viertens: Auch die Staats-Maschinerie wirkt auf die Bildung und Neubildung von Haushaltsstrukturen. Und fünftens: Ethnizität wirkt auf die Weise der Sozialisierung von Haushaltsmitgliedern in bestimmte ökonomische

83 Von Dunaway (2002: 130-1) auf resource pooling unit korrigiert, um auch sämtliche ökonomischen und nicht materiellen Aktivitäten von Frauen zu erfassen, die das oben ausgeführte Einkommensschema von Wallerstein und Smith nicht ausdrücklich enthält. Sie nennt hier Wasserholen und das Sammeln von Feuerholz. Darüber hinaus betont sie, wie erwähnt, die vielfältigen Ressourcen über die Haushalte verfügen, darunter die des weiblichen Körpers, aber auch Wissen.

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Rollen, wobei diese Normen allerdings (durch staatliche, wirtschaftliche, etc. Einflüsse) veränderbar sind. Wenn wir nun die ersten beiden bei Wallerstein und Smith genannten Punkte betrachten – den des Haushalts als income-pooling oder besser resource-pooling unit (siehe Fußnote oben) und jenen, der ihn als eine im Fluss befindliche Einheit bestimmt –, dann zeigt sich, dass diese aus kultur- und sozialanthropologischer wie auch feministischer Sicht, gewisser Korrekturen und Modifikationen bedürfen. Ethnizität und andere Aspekte kultureller, aber auch individueller Prägung wirken nicht nur, wie in Punkt fünf angedeutet, auf die Sozialisierung der einen Haushalt konstituierenden Personen, sondern auch auf seine Bildung und Transformationen, ein Punkt, der von Wallerstein und Smith zwar nicht geleugnet wird, 84 angesichts ihrer stark ökonomischen Fokussierung aber Gefahr läuft zu kurz zu kommen. Resourcepooling ist ebenfalls von ethnischen, kulturellen, geschlechtlichen Aspekten geprägt (siehe Kapitel II.2), wie auch die Definition von Ressourcen äußerst variabel ist und neben materiellen auch geistig-spirituelle und andere (siehe Kapitel VI und VII) inkludiert.

II.7 T HEORETISCHE G RUNDLAGEN DER ANALYSE : DIE NOTWENDIGE E INBEZIEHUNG UNTERGEORDNETER W ELTBILDER ZUR E NTSCHLÜSSELUNG VON ALTERNATIVEN L OGIKEN UND H ANDLUNGSWEISEN In den eingangs vorgestellten Modellen aus der Kultur- und Sozialanthropologie (Kapitel II.1 bis II.3) wird auf einige der ethnischen und kulturellen Besonderheiten in der Bildung und Veränderung von Haushalten eingegangen, ebenso wie auf ihre geschlechtliche Prägung hingewiesen. Vereinzelt wird auch die spirituell-kosmisch ausgerichtete Orientierung von Haushaltsstrategien herausgehoben. Abgesehen davon bleiben die Analysen (ebenso wie die von Wallerstein [1974 et al.]) weitestgehend innerhalb des, seit dem „langen 16. Jahrhundert“ im Zuge der fortgesetzten Akkumulation von Wissen und Bedeutungssystemen durchgesetzten und seit der Aufklärung hegemonial vorgegebenen Rahmens einer naturwissenschaftlich geprägten Ontologie des Naturalismus (Descola 1996: 82; vgl. Kapitel II.4 und II.5, aber auch Friedman 2000: 640-4, 648). Manuela Boatcă (2006: 326-7) spricht in diesem Zusammenhang von einer entstandenen epistemologischen Teilung mit einer Dominanz des Zentrums. Der Glaube an die Existenz einer den Naturgesetzen unterworfenen Ordnung, ist typisch für die mittlerweile weltweit vorherrschenden westlichrationalistischen Kosmologien. Er strukturiert ihre Epistemologie ebenso wie ihre Wahrnehmung differierender Arten der Identifikation mit der Welt. Andere Ontolo-

84 Vgl. ihre Ausführungen zur Autonomie und doch nicht Autonomie des Haushalts, zur Produktion von Haushalten, wie auch Akteur_inn_en durch ein historisches System und der gleichzeitigen Produktion dieses Systems durch die Haushalte bzw. Akteur_inn_e_n (ibid.: 20-1).

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gien und mit ihnen einhergehende Epistemologien,85 u.a. in Begriffe wie „mythisches Weltbild“, „animistisches Weltbild“ (z.B. Eder 1973; ders. 1980) oder auch „Totemismus“ (Ingold 2000) gefasst, erscheinen als interessante, aber falsche Darstellungen (Descola 1996: 82). Der Aufruf der eingangs vorgestellten Globalisierungstheoretiker_innen (siehe Kapitel II.1) zu einer neuen Sichtweise von Raum, Kultur und Identität(en), betont zwar die Schaffung von imagined worlds und plädiert so für die Erfassung nicht materieller und nicht örtlich gebundener Komponenten und damit, wenn man so will, anderer Arten der Wahrnehmung und der Identifikation mit der Welt. Die angesprochenen Imaginationen86 verbleiben mit ihrer Bindung an hochentwickelte Technologien jedoch weitestgehend in der objektivistisch-universalistischen Ontologie und damit einhergehenden Epistemologie des Naturalismus. Andere, parallel bzw. mit dieser verschränkt existierende Logiken (und Imaginationen) – ebenso wesentlicher Teil globaler Verflechtungen –, die beispielsweise den gesamten Kosmos, das Universum, das auch in spiritueller Hinsicht gefasst werden muss, mit einschließen (d.h. im Grunde kosmische, über die Welt der Menschen hinausgehende weitreichende Verflechtungen implizieren), wie in den oben genannten, bleiben, gebrandmarkt als falsche Darstellungen (Descola 1996: 92), ausgeschlossen oder geraten nur als möglicherweise noch existierende, aber zu überwindende Anomalien in den Blick. Die hier zu Tage tretende fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation von Wissenssystemen beschreibt Aníbal Quijano (2000), als Ausdruck einer „globalen Kolonialität“. Walter Mignolo (2005: xiii, 4, et al.) spricht in Anlehnung an Arturo Escobar (2004) von einer kolonialen Matrix der Macht, in der eine eurozentrische Kultur- und Wissensproduktion dominiert. Kolonialität verweist dabei auf die dahintersteckende Logik der Kontrolle, Beherrschung und Ausbeutung, getarnt unter den positiv erscheinenden Begriffen der Erlösung, des Fortschritts und der Modernisierung. Kolonialität ist die Logik der Beherrschung in der, auch im Zeitalter der Globalisierung fortbestehenden modernen/kolonialen Welt, eine Logik die mit dem Recht der Klassifizierung und Bewertung der (oder im Falle der Natur, des) Beherrschten durch die Herrschenden einhergeht (Mignolo 2005: 6-7; Garbe 2013: 6-7; vgl. auch Kapitel VII). Kolonialität beschreibt somit die Logik, die dem fortgesetzten Gendering, der Feminisierung und Naturalisierung großer Bevölkerungsgruppen und Weltregionen und der Setzung der Natur und allen Weiblichen als untergeordnet und zu domestizieren, zugrunde liegt (siehe oben, Kapitel II.4 und II.5). Trotz oder aufgrund der Bestrebungen diese Logik in einer fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation zu verallgemeinern, bestehen weiterhin andere, sich mit dem vorherrschenden Weltbild überlappende cosmovisiones und darauf aufbauende Kosmologien, die, permanent von der Akkumulation durch Enteignung bedroht, folgerichtig auch im Widerstand gegen diese (Fitting 2011), eine zentrale Rolle spielen 85 Auf die enge Verbindung zwischen Ontologien und Epistemologien weist u.a. Henriette Moore (2011: 196) hin. 86 Das betrifft primär die Konzepte der Forscher_innen und nur teilweise die Vorstellungswelten der betroffenen Menschen. Mediacapes, financescapes, etc. sind aktuelle Phänomene, die für ihr Funktionieren auf digitale Medien angewiesen sind. Die Chaostheorie, die laut Appadurai (1996: 46) am ehesten in der Lage ist die aus den disjunktiven Flüssen resultierende komplexe Realität zu entschlüsseln, ist ein Produkt der modernen Physik.

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(vgl. auch Ybarra 2011). Für die beiden postkolonialen, aber dennoch dem Weltsystemansatz verpflichteten Forscher_innen Ramón Grosfoguel und Ana Margarita Cervantes-Rodríguez (2002: xv-xvi) enthalten daher insbesondere diese abgewerteten und marginalisierten Kosmologien und Denkprozesse, ebenso wie die darauf begründeten Praktiken, wichtige Elemente für die Enthüllung und Überwindung dominanter Sichtweisen im Prozess der Wissensproduktion (siehe dazu Kapitel VII). Diesen untergeordneten Kosmovisionen gilt es Rechnung zu tragen, um verborgene Logiken und resultierende Handlungsweisen entschlüsseln zu können und dadurch zur Enthüllung und Überwindung der der herrschenden Wissenschaft zugrunde liegenden epistemischen Gewalt (Spivak 1988; 2008) beizutragen. II.7.1 Das Konzept der Nahua-personhood bzw. des Nahuapersoning als Werkzeug zur Analyse von Machtverhältnissen Diese Erkenntnis der Notwendigkeit des Aufgreifens lokaler Konzepte als Grundlage der Analyse enthüllt sich mir in meiner Forschung erst nach und nach, in einem langwierigen Prozess. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass dokumentierte Ereignisse und Gespräche Informationen von äußerst unterschiedlicher Art liefern können. Zum einen im Sinne des Offensichtlichen: was passiert, in welcher Reihenfolge, wer macht was, etc. bzw. was wird gesagt, worüber wird berichtet, oder auch, aus welchen Materialien ist das Haus errichtet, wie ist der Innenraum gestaltet. Zum anderen aber auch bezogen auf weniger Vordergründiges: was bedeutet es, dass ein Haus aus Beton, ein anderes aus Bambus gebaut ist? Was bedeutet es, wenn es nicht eine, sondern zwei oder mehrere Küchen gibt? Was bedeutet es, wenn die Nachbarin ein Tellerchen mit tamales (in Dampf gegarten Täschchen aus Maisteig) vorbeibringt? Daten, soziale Praktiken müssen also (im Sinne der Analyse der sozialen Bedeutungssysteme) dekodiert, das Haus, die tamales zum Sprechen gebracht werden. Das gelingt durch die Inbeziehungsetzung der vielfältigen Informationen aus Beobachtungen, Interviews und Gesprächen wie auch der ethnographischen Literatur (siehe Kapitel III). Im Zuge dessen kristallisiert sich zunehmend heraus, dass eine getrennte Behandlung von Kategorien wie „Arbeit“ bzw. Unterkategorien wie „Mais“, „Kaffee“ oder „Kunsthandwerk“ von anderen Bereichen der Gesellschaft, wie dem „religiösen“, sprich Kategorien wie „Feste“, „Zeremonien/Rituale“, oder auch dem politischen, wie z.B. „Gemeindeverwaltung“, „Menschenrechte“ oder „Indigenenorganisation“, nicht möglich ist. Die primäre Berücksichtigung der „materiellen“ Aspekte von Haushalten, wie sie in den Debatten um die peasantry bzw. der „Häuslichen Produktionsweise“ dominiert (siehe Kapitel II.3) erweist sich, insbesondere wenn Macht und Autoritätsverhältnisse in ihren kontextuellen Wirksam- und Bedeutsamkeiten erforscht werden sollen, als ungenügend. Denn Macht, im Englischen Begriff power, passenderweise auch mit Stärke, Kraft, Energie, aber auch Gewalt assoziiert, ist etwas, was aus kultur- und sozialanthropologischer Perspektive, nie auf einen gesellschaftlichen Bereich beschränkt oder einseitig, auf eine einzige Person oder Wesenheit, sei diese tierischer, pflanzlicher

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oder spiritueller Natur, begrenzt werden kann.87 Sie ist vielmehr polyzentrisch, über alle Bereiche, alle Mitglieder der Gesellschaft, alle Wesen des Universums verteilt und kann selbst unterschiedliche Formen annehmen. Entscheidend ist jeweils die Verteilung (der Formen) von Macht, d.h. es verfügen auch jene, die scheinbar machtlos sind, über (Aspekte) eine(r) solche(n) Kraft, und damit einhergehend, eine gewisse Verantwortung ihrer Nutzung und folglich auch ihres Tuns und Handelns. Nur so, über das Zugeständnis einer gewissen Kraft/Macht und einer damit einhergehenden Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit auch der scheinbar „Machtlosen“, macht es Sinn vom „Mitmachen“ bei der und „Zustimmung“ zur (Verteilung der) Macht 88 oder auch von „Mittäterschaft“ (Thürmer-Rohr 1987) zu sprechen. Und nur deswegen ist es notwendig, die Verfügung über „zu viel“ an Macht oder ihre missbräuchliche Anwendung zu legitimieren. Die vielfältigen, äußerst heterogenen Formen und Mittel der Umsetzung von Macht aller Beteiligten, der scheinbar „Ohnmächtigen“ ebenso wie der scheinbar „Mächtigen“, gilt es daher in einer intersektionellen Analyse, die ein Abgehen von dualistischen Täter-Opfer- und Herrschende-UnterdrücktePerspektiven anstrebt, aufzudecken. Macht lässt sich damit als eine Kraft definieren, über die im Grunde jede_r verfügt. Das Ausmaß der Macht, die der_dem Einzelnen (oder auch einer Gruppe) zugestanden wird, ist dabei nicht von Vornherein gegeben und muss jeweils zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden. Diese Notwendigkeit der Verhandlung um das zugestandene Ausmaß der verfügbaren Kraft/Macht, begrenzt die Möglichkeit ihrer Akkumulation in den Händen Einzelner im Sinne einer „absoluten“ oder auch „totalen Macht“ (Wittfogel 1981). Da die Zuweisung von Macht folglich nie selbstverständlich, immer umstritten ist, kann es u.U. notwendig sein, Strategien der Verschleierung und Verharmlosung ihrer Aneignung und Ausweitung zu entwickeln oder auch körperliche Gewalt anzuwenden, um zumindest eine vorübergehende (und scheinbare) Akzeptanz dieser Ausweitung zu erzwingen.89 Die wechselnde Verteilung der Macht, geht folglich mit Überzeugungs- und Handlungsfähigkeit, auf der Grundlage vielfältig angewandter Methoden aller Betei87 Anregungen für die folgenden Ausführungen erhalte ich einerseits aus Ilse Lenz’ Überlegungen zu geschlechtssymmetrischen Gesellschaften (Lenz 1990), andererseits, ebenfalls auf dieser Grundlage, aber darüber hinausgehend und andere Zugänge inkludierend (u.a. Erdheim 1973; Clastres 1976), aus meinen eigenen (ersten) Versuchen Macht, Autorität und Herrschaft, im Rahmen meiner Dissertation, zu definieren (vgl. dazu Zuckerhut 2000: 118-9). Dazu kommt die Befassung mit personhood, auf die weiter unten Bezug genommen wird, sowie eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Konzept „Gewalt“ (Zuckerhut 2010c; dies. 2011a; dies. 2011b; dies. 2011c). 88 Zu dieser Diskussion, vgl. Langheiter (1989a; 1989b). 89 Ende der 1990er Jahre noch umstritten (vgl. die bereits erwähnte Debatte um „Hinnehmen“, „Mitmachen“ und „Zustimmen“, zusammengefasst und diskutiert in Langheiter 1989a und dies. 1989b), gilt es heute gewissermaßen als common sense, dass Gewalt keine längerfristige Grundlage zur Erhaltung hierarchischer Strukturen der Dominanz darstellen kann, dass immer auch die „Zustimmung“ oder auch ein gewisses „Mitmachen“ der „Unterdrückten“ notwendig ist, eine „Zustimmung“ oder ein „Mitmachen“, das über gewisse Zugeständnisse z.B. der Teilhabe an der Macht erlangt wird. Eine der Grundlagen für diesen Zugang, liefert das Konzept der kulturellen Hegemonie von Gramsci (1991-2002).

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ligten, einher. Entsprechend den verwendeten Mitteln Macht anzuhäufen und umzusetzen, könnte nun zwischen Autorität, als einer sehr fragilen Macht der Überzeugung, die immer wieder neu hergestellt und bestätigt werden muss, und Herrschaft als einer längerfristig bestehenden, weil institutionalisierten Form erhöhter Machtverfügung, deren Erhaltung die Ausübung von Zwang inkludiert, unterschieden werden (Zuckerhut 2000: 119). Der Übergang der Macht der Autorität, hin zu jener der Herrschaft, erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als fließend. Denn die Mittel zur Herstellung beider Formen sind vielfältig und reichen von spirituellen und materiellen Kräften, über Methoden des indirekten, bis zu solchen des unmittelbaren Zwangs und damit einhergehend, der physischen Gewalt (wodurch sich Autorität mit Herrschaft vermischt und in weiterer Folge erstere in letztere umschlagen kann). Somit aber erfordert die Befassung mit Macht und Autoritätsverhältnissen, wie auch die Frage nach der Nutzung von zur Verfügung stehenden Ressourcen, als Mittel der Aushandlung der Machtverteilung, insbesondere im komplexen Umfeld des Munizipios Cuetzalan, mit seiner heterogenen Bevölkerungsstruktur (siehe Kapitel IV.5, insbesondere Kapitel IV.5.2), eine Berücksichtigung aller potentiell verfüg- und anwendbaren Verhandlungsmethoden: solche der physischen Gewalt ebenso wie materielle Mittel der Zuteilung oder Vorenthaltung von Lebens- und Produktionsmitteln, bis hin zu solchen spiritueller Natur, eng verbunden mit Weltbild und Konzeptionen der Beziehungen der Menschen untereinander sowie zur über_natürlichen Um_Welt90 und dem Kosmos. Wie kann nun eine derart schwierige Aufgabe bewältigt werden? Welche Konzepte liefert uns hier die Kultur- und Sozialanthropologie, aus der heraus der vorliegende Machtbegriff ja entwickelt wurde? In der Lektüre der Werke von Alessandro Lupo (1995; 2001; Signorini/Lupo 1989) und Timothy Knab (1991; 2009) stoße ich bereits zu Beginn meiner Forschung, auf die Bedeutung spiritueller Komponenten des Menschen, die einerseits seine Beziehung zur im/materiellen Umwelt, andererseits seine Macht im gesamtgesellschaftlichen Gefüge definieren. In der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Person/person91 in der Kultur- und Sozialanthropologie, erschließt sich mir in weiterer Folge personhood/personing als Analysewerkzeug. Denn „[l]a teoría indígena de la persona [en muchos culturas americanas] es a la vez una teoría del poder“ (Mader 1999: 12), was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn sozialer Status nicht erblich ist, sondern entsprechend Alter und Geschlecht, vom Wissen, den besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten eines Menschen abhängt (ibid.: 37). Aber auch in Gesellschaften mit, zumindest teilweise erblichen Statusunterschieden und insgesamt sehr starken, institutionalisierten sozialen Hierarchien, wie jenen, die in der vorkolo90 Zur „ontologischen Triade“ (Mader 2002: 62; Gingrich/Mader 2002b: 25) Natur, menschliche Gesellschaft und Spirituelles, vgl. u.a. Descola/Pálsson (1996); Viveiros de Castro (1998); vgl. u.a. Ingold (2002); Mader (2002); zu sozialen und politischen Implikationen der im europäisch-westlichen Denken vorherrschenden Dichotomie Natur-Kultur, Mader (2004). 91 In Folge verwende ich den englischen Begriff person (klein und kursiv geschrieben), um person in der geschilderten besonderen Bedeutung, von der im Deutschen üblichen Verwendung des Begriffs Person, als Synonym für Mensch, Individuum, abseits spezifischer Bedeutungen, zu unterscheiden.

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nialen Zeit in Zentralmexiko, aber auch in Puebla dominieren, gründen Machtdifferenzen zu einem guten Teil auf unterschiedlicher personhood, wie sich das u.a. aus Halys (1996: 533) Hinweis auf das besondere tonalli („Hitze“, „Seele/Geist“) eines Herrschers herauslesen lässt. Fassen wir zunächst zusammen, was unter person und damit eng verbunden, personhood/personing, zu verstehen ist, bevor wir auf die besondere Weise des personing/der personhood der Nahua von Cuetzalan und seinem/ihrem Bezug zur Macht, eingehen.92 In ihrer allgemeinsten Form lässt sich erstere beschreiben als (a) charakterisiert durch Handlungsfähigkeit; (b) durch die temporäre oder auch permanente Verbindung von Komponenten wie Seele/n, Geist und Körper; und (c) die Tatsache, dass nicht notwendigerweise alle Menschen persons und nicht alle persons Menschen sind (Fowler 2004: 7-8).93 Personhood oder besser personing (siehe unten) auf der anderen Seite bezieht sich stärker auf den Aspekt der person-Werdung (wie auch ihrer Veränderung), als einem Prozess, der verschiedene Stadien umfassen kann und in manchen Fällen, wenn überhaupt, erst nach dem Tod eines Menschen abgeschlossen ist. Die Schaffung, Erhaltung, Veränderung oder auch Zerstörung von person erfolgt dabei einerseits über soziale Praktiken, andererseits, damit einhergehend, über 92 Die Debatte um das Konzept von person und damit einhergehend von personhood, wird in der Kultur- und Sozialanthropologie vor allem in den 1980er, 1990er Jahren geführt. Sie hat ihre Wurzeln weiter zurückliegend in der Geschichte der Disziplin. Insbesondere Marcel Mauss’ (1997 [1938]) Aufzeigen der Herausbildung der westlichen person, mit seinem Hinweis auf andere Konzepte von Selbst und person in jeweils spezifischen sozialen Umfeldern, stellt einen wichtigen Ausgangspunkt dar. Auf die folgenden Auseinandersetzungen um die Frage, ob person universell ist, wenn ja, was die jeweils spezifischen Ausprägungen sind und damit einhergehend, der Besonderheit des Individuums als einem rein westlichen Konzept oder nicht, möchte ich hier nicht näher eingehen. Einen Überblick dazu gibt unter anderen Mader (1999: 295-300). Vgl. auch den Sammelband, herausgegeben von Jackson/Karp (1990), den von Carrithers et al. (1997), sowie jenem von Lambek/Strathern (1998). Eine Weiterführung der Befassung mit personhood/personing erfolgt aktuell u.a. im Zusammenhang um die Auseinandersetzung der Mensch-Tier-Beziehung (BirdDavid 2006; Fausto 2007; Carrithers et al. 2011; Lloyd 2011; Vilaça 2011; Pitarch 2012; et al.), der Bedeutung unterschiedlicher Varianten des Christentums (Bielo 2007; Hirsch 2008; Vilaça 2011; et al.), sowie in der nach wie bedeutsamen Thematik um Schamanismus, Geschlecht u.ä. (Bacigalupo 2004a; Bacigalupo 2004b; Romero 2006; Course 2007; Hess 2009; Bacigalupo 2010; Anderson 2011; Robertson 2011; Glaskin 2012; Ferguson 2013; Naveh/Bird-David 2014; et al.). 93 Beispielsweise hält Lindemann (2011: 40) für das europäische Mittelalter fest, dass die Zugehörigkeit zu einem Stand definiert, wer als soziale Person (mit Handlungsfähigkeit) gilt und wer nicht, und dass auf der anderen Seite auch Tiere und Dämonen über Handlungsfähigkeit verfügen und somit persons sein können. – Bezogen auf nicht als persons anerkannte Menschen (wie Mauss zufolge den Sklav_inn_en in der altrömischen Gesellschaft [vgl. Mauss 1997: 17] und, wie zu ergänzen ist, den Frauen) müsste die Frage der Macht in dem Sinne neu oder anders definiert werden, als diese zwar sehr wohl über eine gewisse Handlungsfähigkeit/Machtmittel verfügen (beispielsweise der Verweigerung), ihnen diese aber – über die Aberkennung oder besser Nicht-Zuerkennung von personhood, gesellschaftlich verweigert wird.

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Beziehungen mit anderen – Beziehungen mit Menschen, Tieren, Pflanzen, Plätzen, etc. (Fowler 2004: 7ff.).94 Um der dem Begriff personhood anhaftenden Statik zu entgehen und stärker die dem Konzept innewohnende Dynamik hervorzuheben, verwende ich in Folge, auf Anregung meines Kollegen Peter Schweitzer, zusätzlich zum etablierten Terminus personhood, den Neologismus personing (Gespräch vom 3. 9. 2014). Allerdings lassen sich die beiden nicht voneinander trennen: das „Personsein“ (personhood) zeichnet sich durch ständige Veränderung, durch permanentes „Personwerden“ (personing) aus. Der personhood ist das personing immanent. Denn person und personhood/personing der indigenen Bevölkerung Cuetzalans lassen sich als „kosmozentrisch“ (Viveiros de Castro 1998: 475), als permanent durch Beziehungen mit Wesenheiten des gesamten Kosmos herzustellen, zu verfestigen und zu erweitern, charakterisieren: Ein zentrales Merkmal des Menschen ist seine Zusammensetzung aus verschiedenen Komponenten – Körper und Seeleneinheiten –, die in unterschiedlicher Weise miteinander verbunden sind95 und deren Kraft und Stärke sich im Laufe des Lebens, aber auch kontextuell, verändert. Bei den maseualmej ist eine davon das bereits erwähnte (no)tonal, zoomorph gedacht und extern bzw. im Kopf lokalisiert. Dieses und das ebenfalls im Kopf, aber auch im Blut verortete, meist anthropomorph vorgestellte yekauil, können sich durch Krankheit, aber auch im Traum oder über Visionen vom Körper lösen. Gelingt es einer solchen Seeleneinheit nicht in den Körper zurückzukehren, so stirbt der Mensch. Die dritte Einheit (no)yolo, ebenfalls anthropomorph gedacht, aber stark pflanzlich konnotiert, befindet sich im Herzen, ist nur im Tod vom Körper trennbar und weist eine enge Verbindung mit dem Mais auf (Lupo 1995: 175ff.; ders. 2001: 357ff.) (siehe auch Kapitel IV.2.5.6).96 Das 94 In den Weisen der personhood lässt sich auf dieser Grundlage, neben einem, in der westlichen Welt, vorherrschenden Konzept der (zumindest während des Lebens bestehenden) Einheit und Untrennbarkeit von Körper und Geist, einer individual personhood (vgl. dazu Douglas 1992), die aber nicht mit Individualität im Sinne der Besonderheit und Einzigartigkeit eines Menschen verwechselt werden darf (Fowler 2004: 8, 16-.7), eine dividual personhood herausarbeiten. Letztere setzt sich aus sozialen Beziehungen, aus Merkmalen unterschiedlicher Herkunft zusammen, wobei diese Zusammensetzung nicht permanent sein muss und in ihrem Ausmaß variieren kann (ibid.: 8). 95 López Austin (1984: 221ff.) arbeitet für das vorkoloniale Zentralmexiko drei Seeleneinheiten heraus, das tonalli, zoomorph und im Kopf; das ihíyotl, anthropomorph und in der Leber; und das teyolia, im Herzen und im Unterschied zu den beiden anderen, vom lebenden Körper untrennbar und unsterblich. Ob und in welcher Weise das precortesianische personKonzept dem aktuell in Cuetzalan vorherrschenden in seiner Gesamtheit ähnelt kann in dieser Studie nicht beurteilt werden. Die vorgestellte Variante von personhood, bezieht sich auf die Analyse der Machtverhältnisse zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert. – Einen Überblick zur aktuellen Thematik des tonal und des nagual (siehe unten) für das heutige Mexiko, gibt Dürr (2011). 96 Timothy Knab (2009: 12, 14ff., 22ff.) geht, ähnlich Lupo, von drei Seeleneinheiten aus, die er aber anders benennt – notonal, noyolo und nonagual – und anders gewichtet. Erstere bezeichnet er als Seele des Atems, zweitere als die des Herzens und die dritte als tierisches Alter Ego, wobei er die Notwendigkeit betont, die Vorsilbe „no“ – „mein/e“ voranzustellen. Und er bringt sie mit den drei Ebenen des Kosmos – Himmel (iluikak), Erde (taltikpak)

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tonal, das sterblich, wenn auch sehr robust ist, bestimmt den Charakter und die Gefühle. Das yekauil, sterblich und sehr empfindlich, sowie teilweise in seiner Gestalt veränderbar, trägt zur seelischen und geistigen Widerstandsfähigkeit bei und prägt das Schicksal eines Menschen. Und schließlich das yolo, das unsterblich ist, bestimmt das Denken und die Gefühle (Lupo 2001: 358). Insbesondere tonal und yolo sind nicht einfach von Geburt an oder bereits davor fix gegeben, sondern sie entwickeln und verändern sich aufgrund bestimmter Ereignisse und Handlungen, aber auch durch den Alterungsprozess des Menschen. Innere und äußere Kräfte und Mächte (wie Gefühle, die Hitze oder Kälte von Nahrungsmitteln, erhitzende oder kühlende

und Unterwelt (talokan) in Verbindung. Den Unterschied zu Lupo, sieht er u.a. in der Komplexität des Themas begründet, die es religiösen Spezialist_inn_en und umso mehr Forscher_inne_n, die nicht in die rituellen Geheimnisse initiiert sind, schwer machen zu einer einheitlichen Sichtweise zu gelangen. Seine eigenen Interpretationen begründet er mit seinen spezifischen Kontakten und Diskussionen mit Heiler_inn_e_n und Zauberer_inne_n, wie auch seinen eigenen Erfahrungen in der Ausbildung zum Heiler. Alessandro Lupos’ Darstellung (1995: 73, 112-5, 126-7, 150-1; 2001: 357) weist jedoch größere Parallelen zur von Alfredo López Austin (1984: 221ff.), für das vorkoloniale Mexiko herausgearbeiteten, Version auf (siehe Fußnote weiter oben). Bei ihm entspricht das tierische Alter Ego (no) nagual (wobei es persons gibt, die mehrere, bis zu 13 naguales haben), eher dem tonal, der Hitze und einer Kraft, über die Heiler_innen und Zauberer_Zauberinnen in besonderem Maße verfügen. Im Schlaf kann sich das yekauil vom Körper lösen. Dabei vereinigt es sich mit dem Alter Ego und gibt der schlafenden Person die Eindrücke des letzeren weiter (Lupo 2001: 357-9; vgl. dazu und zu den drei Seeleneinheiten in vor- und postkolonialer Zeit Signorini/Lupo 1989: 37ff.). Möglicherweise bedingt die von Knab angesprochene Komplexität, dass beide Varianten, jeweils in unterschiedlichen Kontexten, Relevanz haben. In der „normalen“ Bevölkerung wird der Dreiteilung der Seele zumindest im Alltag wenig Beachtung geschenkt, wenngleich eine ständige Angst besteht, durch Seelenverlust zu erkranken (Feldnotizen lfd.). Tonal und yolo bzw. youal, wie es eine meiner Kontaktpersonen auch nennt (Tz 7 14.10.2013), spielen allerdings in Gesprächen um Träume oder Krankheit eine Rolle (z.B. mit Tz 5 18.2.2005 sowie Tz 16 6.2.2006). Der_die Heiler_in müsse nach talokan gehen, die Seele – das tonal – zu suchen (Tz 7 14.10.2013; vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 111). In einem der von Argueta (1994: 260ff.) wiedergegebenen Berichte zum tonal und der Heilung von Krankheiten, bedingt durch Seelenverlust, ist die Rede von drei Schatten des Menschen, wobei einer davon Tiergestalt hat. Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 141) verweisen auf die Gefahr, dass der Schatten – yekauil –, aufgrund eines Schreckens oder Schlages in der Erde verloren geht. Zur Heilung und der Rolle des tonal der HeilerInnen, vgl. dies. (2012: 111, 200). Signorini weist jedem Menschen fünf tonalmej zu, alle tierischer Natur. Das erste ist das kleinste und schwächste, das fünfte das größte und stärkste (z.B. Vogel und Puma). Dabei sind die fünf tonalmej nie gleichzeitig anwesend. Die jeweils nicht anwesenden vier, wandern auf eigene Initiative hin, außerhalb des Individuums herum. Im Falle eines Schreckens (nemoujtil) wird das im Moment anwesende tonal gefangen und „fällt ab“ (Signorini 1982: 315). Dass es in der Umgebung von Cuetzalan vielerorts nur ein tonal gibt, sieht er als Akkulturationserscheinung, ebenso wie die Verbindung des Schreckens mit einer Heiß-Kalt-Dichotomie (ibid.: 317).

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Tätigkeiten, etc.)97 wirken auf sie ein und stärken oder schwächen sie und damit die Macht und die Kraft des betreffenden Individuums. Damit erweist sich die Nahuaperson, analog jener, der von Elke Mader beschriebenen Shuar-, als Schnittpunkt „en el cual convergen procesos cognitivos, concepciones ontológicas y el mundo concreto de los individuos, por lo cual es una clave para la comprensión del pensamiento y la acción. La concepción de la persona articula distintas facetas de la relación del individuo y la sociedad“ (Mader 1999: 435). Über seine materiellen und immateriellen Komponenten ist der Mensch folglich mit anderen Menschen (lebendigen wie toten), mit Tieren, Pflanzen und spirituellen Wesen verbunden, d.h. person bezieht sich nicht primär auf einzelne Individuen (wobei deren Eigenschaften durch die personhood geprägt sind) als vielmehr auf Beziehungen zwischen den (tierischen, pflanzlichen, etc.) Wesenheiten, miteinander verbunden über gemeinsame Teile/Essenzen der verschiedenen Seelen: über das tonal und yekauil bzw. das nagual (das tierische Alter-Ego des Menschen), besteht eine Verbindung zu Tieren, über das yolo zum Mais; insgesamt, vor allem aber über das yolo, da dieses am ehesten der europäisch-christlichen Seele entspricht,98 zu Gott und den Heiligen sowie anderen spirituellen Wesen der verschiedenen Ebenen des Kosmos. Diese Beziehungen müssen zunächst hergestellt und dann gepflegt werden, was primär über reziprokes Geben und Nehmen erfolgt, über die ständige (Re-)Etablierung gegenseitiger Schuld- und Abhängigkeitsverhältnisse.99 Personhood/personing (auch verstanden als Schaffung und Erweiterung von Handlungsfähigkeit, über den Zuwachs an verschiedenen Formen der Macht/Kraft) entwickelt sich so von einer unvollkommenen Form im Neugeborenen und Kleinkind, in der die Seeleneinheiten etabliert und gestärkt werden müssen, und sie vergrößert sich über die weitere Stärkung und Ausweitung im Verlauf des Älterwerdens im elterlichen Haushalt. Ein weiterer Schritt ihrer Entwicklung erfolgt mit der Heirat und dem Vorhandensein von Kindern und dem Älter- und schließlich Erwachsenwerden letzterer. Ihre Vollständigkeit aber erlangt sie vor allem vermittels der Schaffung immer breiterer spiritueller und nachbarschaftlicher Netzwerke, über vielfältige komplementäre Austäusche mit Menschen und anderen Wesen der Gesellschaft und des Kosmos (siehe u.a. Kapitel V.4; sowie Zuckerhut 2010b: 60ff.). Person, genauer gesagt, personing der Nahua von Cuetzalan, erweist sich somit als ein dynamisches, prozessuales Konzept der Verfügung über und Verteilung von Macht. Einerseits werden in ihrer Entwicklung und Veränderung konkrete Hand97 Heiße und kalte Winde können in den Körper eindringen und Krankheiten verursachen (Báez 2004a: 82). Kommt jemand erhitzt nach Hause, ist es gefährlich, wenn diese_r sich mit kaltem Wasser wäscht (Feldnotizen lfd.), u.v.a.m. – Das tonal ist – wie schon der Name sagt – heiß, das yekauil kalt und das yolo, aller Wahrscheinlichkeit nach, ebenfalls heiß (Lupo 2001: 358). Menschen werden im Laufe ihres Lebens immer trockener und heißer, d.h. sie erlangen ein mehr an tonal. 98 In den vorkolonialen zentralmexikanischen Gesellschaften ist es, López Austin (1984: 335) zufolge, dennoch das tonalli und nicht das teyolia, das von der dualgeschlechtlichen Gottheit Ometéotl aus dem obersten Himmel in den Schoß der Frau geschickt wird, und aus dem in Verbindung mit den Flüssigkeiten von Frau und Mann das Kind entsteht. 99 Zum Merkmal von personhood als etwas, das durch Beziehungen mit Menschen, Tieren, Plätzen, etc. erlangt wird, vgl. Fowler (2004: 7-8).

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lungsweisen des reziproken Austauschs, der Nähe und Distanz wirksam, andererseits strukturelle Prinzipien der indigenen Gemeinschaft, wie Alter, Geschlecht, Heiratsstatus, etc. (siehe Kapitel V.3). Rollenzuschreibungen in der Familie, im Haushalt, in der Gemeinde, etc. und damit einhergehende Subjektpositionen in all ihrer Widersprüchlichkeit (vgl. dazu Moore 1994: 141),100 sind ebenso damit verbunden wie gesamtgesellschaftlich vorgegebene Hierarchien oder „Kategorien struktureller Dominanz“ (Walgenbach 2007: 55ff.)101 wie Klasse und Ethnizität.102 Denn in der (einfachen wie auch der erweiterten) person finden und überschneiden sich vielfältige Formen der Differenz, darunter auch „race, class, gender, sexuality“ (Moore 1993: 204), wie auch das Fehlen von Beziehungen und Gemeinsamkeiten unterschiedliche Arten von persons voneinander trennt. Darüber hinaus ermöglicht die Zugangsweise über das Konzept der personhood/des personing eine Ausweitung der ins Auge zu fassenden Differenzachsen in den Bereich von nicht-menschlichen Akteur_inn_en, wie sie in einer aktuellen Publikation von Henrietta Moore (2011: 180, 201-2) in Anlehnung an Braidotti (2010) als notwendig angedeutet wird. Abgesehen davon wird der Fokus nicht nur auf Teilung und Differenz gelegt, wie in früheren feministischen Zugängen, sondern die immer bedeutsamer werdenden Aspekte der Verbindung, der Einschließung und der Beziehungen unterschiedlichster Akteur_inn_e_n hervorgehoben (vgl. dazu Braidotti 2010; Moore 2011: 205).

100 Als eine wichtige Anregung, personhood in Verbindung mit geschlechterbezogenen Idealvorstellungen auf der einen Seite, Subjektpositionen auf der anderen Seite aufzuarbeiten erweist sich Cecilia Busbys Analyse zu Geschlecht und Gewalt in einem südindischen Dorf (Busby 1999). 101 Verstanden als „interdependente Kategorie[n, die sich] gleichzeitig auf diversen Ebenen und Feldern (re-)produzier[en]“ (ibid.: 56; Hervorhebung im Original). Diese Ebenen und Felder beziehen sich auf die Makro-, Meso- und Mikroebene, auf soziale Strukturen, Institutionen, symbolische Ordnungssysteme, soziale Praktiken und Subjektformationen (ibid.: 57). 102 Vgl. hierzu u.a. die Beiträge im Sammelband Klinger et al. (2007).

III

Forschungsstand zur indigenen Bevölkerung Cuetzalans Quellen, Methoden der Datenerhebung und der Datenauswertung

Was sich in dem in Teil II vorgestellten Überblick zu den Debatten um Globalisierung sowie Haushalte und Peasants im Weltsystem u.a. zeigt, sind vielfältige Verschränkungen und Verknüpfungen, nicht nur der Menschen und Gemeinden in unserer globalisierten Welt, sondern auch theoretischer Zugänge und Konzepte. Insbesondere jene, aus der feministischen Globalisierungs- und Transnationalismusforschung (Kapitel II.3.6 und II.3.7), neben Adaptierungen der Peasant-Studies und des Weltsystemansatzes, unter Bezugnahme auf Konzepte der Intersektionalität (Kapitel II.3.6, II.3.7 und II.6), erweisen sich als wichtiger Rahmen der Einbettung und Interpretation der Daten der Region in und um Cuetzalan. In den bisherigen Forschungen zum Munizipio, die ein solides Fundament zur ethnographischen Kontextualisierung meiner eigenen Forschungen bieten, spiegeln sich einige der vorgestellten Trends, insbesondere die – ausgehend von scheinbar isolierten und mehr oder weniger homogenen Gemeinschaften – immer stärkere Miteinbeziehung weltpolitischer und -ökonomischer Einflüsse und Verflechtungen und damit in Verbindung stehende Transformationen. Dazu kommt eine partizipatorische, aktionsorientierte Anthropologie, d.h. die „Beforschten“ sind selbst Forscher_innen. Darüber hinaus wird der Berücksichtigung sozialer Differenzierungen und Konfliktachsen ein immer größeres Augenmerk gewidmet. Die Aufarbeitung der permanenten Bildung und Transformation von Haushalten im Schnittfeld intersektionaler Verbindungen steht allerdings noch aus. Weitestgehend offen geblieben ist bis vor kurzem die Verbindung zwischen stark ökonomisch orientierten Zugängen, die auf wirtschaftliche Ausbeutungsbeziehungen und damit einhergehende Politiken (auch im Sinne von Gegenbewegungen) fokussieren (z.B. Beaucage 1974; ders. 1994) und solchen, die eine religionswissenschaftlich-symbolische Sichtweise präferieren (z.B. Knab 2009).1 Aber gehen wir näher auf die bisherigen Forschungen zu Cuetzalan ein.

1

Richard Halys Artikel „Upon This Rock“ (1996) stellt hier eine interessante, wenn auch nicht ganz zufriedenstellende, Ausnahme dar.

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III.1 F ORSCHUNGSSTAND – Q UELLEN ZUR INDIGENEN B EVÖLKERUNG C UETZALANS III.1.1 Forschungsstand Trotz der zunächst schweren Erreichbarkeit (Nutini/Isaac 1974: 12; Lok 1987: 2123), ist die indigene Bevölkerung Cuetzalans, spätestens seit den 1960er Jahren, Gegenstand intensiver anthropologischer Studien. Lupo (1998: 266) berichtet, dass bei seinem ersten Aufenthalt in Tzinacapan, 1985, ein reges Kommen und Gehen von Anthropolog_inn_en, aus vielen Regionen der Welt, herrscht (nämlich Kanada, USA, Frankreich, Italien und Mexiko). Dabei erfolgt die Forschung, Beaucage (1994: 34) zufolge, zunächst ganz im Stil eines kulturalistischen Funktionalismus,2 wobei, ausgehend von kleinen, für sich stehenden Gemeinschaften, auf die häusliche Gruppe, die rituelle Verwandtschaft und die lokale Politik fokussiert wird. 1974 publizieren Hugo Nutini und Barry Isaac eine Arbeit, in der sie das Tal Puebla-Tlaxcala und die Sierra de Puebla miteinander vergleichen. Die Daten für diese Studie sammelt Nutini im Jahr 1959 auf Anregung von Pedro Carrasco, einem marxistisch und ethnohistorisch orientierten Forscher, der für seine fundierten Kenntnisse des vorkolonialen zentralen Mexiko bekannt ist. Allerdings stehen Nutini für beide Gebiete in insgesamt 77 Gemeinden, darunter auch Cuetzalan und Umgebung, nur wenige Monate zur Verfügung, genauer gesagt, Mai bis September. Gearbeitet wird mit einem standardisierten Fragebogen, wobei an jedem Forschungsort zwei bis sechs Leute, sowie Priester, Munizipalpräsident und Kenner_innen der lokalen Geschichte befragt werden (Nutini/Isaac 1974: 16). Barry Isaac hingegen verbringt das Frühjahr 1964 und 1965 im nahegelegenen Zacapoaxtla. Auch die Ergebnisse seiner Erhebungen fließen in die Untersuchung ein (ibid.: 17). Zu jeder Region, ja zu jeder Gemeinde, wird ein kurzer historischer Überblick gegeben, dann folgen Darstellungen der territorialen, der sozialen, der politischen sowie der religiösen Organisation und schließlich ein Abschnitt zum Thema Säkularisierung und Modernisierung. Das Interessante dabei ist, wie Nutini und Isaac, auf Basis der jeweils spezifischen historischen Bedingungen, die mit unterschiedlichen Formen des Landbesitzes und resultierender Arbeitsbeziehungen einhergehen, die differenten Beziehungen zwischen indigener und mestizischer Bevölkerung herausarbeiten. Finden sich im Puebla-Tlaxcala-Tal, aufgrund einer frühen „Mestizisierung“ der Bevölkerung, eher fließende Übergänge zwischen den beiden, so konstatieren Nutini und Isaac für die Sierra Norte eine Art Kastensystem, in dem die beiden Gruppierungen strikt getrennt voneinander sind:

2

Vgl. aber auch Báez-Jorge (2000: 48, 213-5) bzw. zur Kritik an diesem Zugang, insbesondere der Untersuchungen zum politisch-religiösen Ämtersystem, ders. (1998: 37-61). Siehe auch Del Val (1993: 252), der diese Art von Studien in Verbindung mit der Abhängigkeit der mexikanischen Anthropologie von der staatlichen Politik des Indigenismus bringt. Die Beschränkung auf homogene Gemeinschaften wird von Eric Wolf bereits 1956 [2002: 434] kritisiert.

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„Las diferencias socioculturales entre estas dos regiones son principalmente el resultado de esta situación inicial [des früheren und intensiveren Kontakts Puebla-Tlaxcalas aufgrund der größeren Nähe zu Tenochtítlan/Mexiko-Stadt und der damit einhergehenden leichteren Erreichbarkeit für die KolonisatorInnen, aber auch der historischen Rolle der Tlaxcalteca während der Conquista] – pero […] con ciertos elementos diferenciales de origen prehispánico – que se manifiestan hoy día en un continuo cultural e étnico indio-mestizo poblanotlaxcalteca, mientras que en una situación cultural disconinua y casi de castas en la Sierra de Puebla.“ (ibid.: 280)

Eine ebenso interessante und wichtige Studie, die jedoch auf einer etwas anderen Art der Erhebung beruht, nämlich stärker dem anthropologischen Prinzip der klassischen, mehrmonatigen Feldforschung verpflichtet, liefert Lourdes Arizpe. Sie hält sich zwischen Oktober 1969 und „Mitte“ 1970 in Zacatlán, einer der rancherías von San Andrés Tzicuilan, Cuetzalan, auf (Arizpe 1973: 13). Angeleitet wird sie von Pierre Beaucage, auf dessen Bedeutung ich weiter unten eingehe. Im Fokus von Arizpes Interesse steht das Verhältnis von Ökonomie und Sozialstruktur. Zunächst geprägt durch Zugänge des britischen Strukturfunktionalismus, nämlich jenen von RadcliffeBrown, Evans-Prichard und Meyer Fortes, stellt sie fest, dass diese in Hinblick auf Abweichungen von der Norm, denen sie in ihrer Forschung häufig begegnet, keine Antwort geben. Daher führt sie eine „situationale Analyse“ durch, verbunden mit der Untersuchung des Haushaltszyklus. Das ermöglicht es ihr einerseits die Normen einer Gesellschaft, andererseits auch auftretende Nicht-Entsprechungen zu erfassen (ibid.: 15-6). Arizpe liefert mit ihrer Studie eine umfassende Ethnographie mit einer allgemeinen Vorstellung der Region (Kapitel 1), der Umwelt und Ökologie (Kapitel 2), der Demographie (Kapitel 3), der regionalen aktuelleren Geschichte (Kapitel 4), der Technologie (Kapitel 5), der Ökonomie (Kapitel 6), der politisch-zeremoniellen Organisation (Kapitel 7) sowie einer Analyse der Verwandtschaftsbegriffe (Kapitel 8) und der Entwicklung des Haushaltszyklus (Kapitel 9). Im Schlusskapitel thematisiert sie die Problematik der Einordnung des cuezaltekischen Verwandtschaftssystems in herkömmliche Modelle. Als zentrale Aussage hält sie fest, dass eine Sozialorganisation nie alleine aufgrund von Normen und Regeln analysiert werden kann, sondern immer die Handlungen der Personen „en el flujo de la vida social“ (ibid.: 188; Hervorhebung im Original) betrachtet werden müssen. Beaucage (1994: 34-5) sieht in Arizpes Bezugnahme auf Verbindungen zwischen den ökonomischen Beziehungen und den sozialen, politischen und interethnischen Verhältnissen, die ihre Studie charakterisieren, eine Tendenz, in Richtung der struktural-marxistischen Zugänge, wie sie für viele Forschungen der 1970er Jahre prägend sind (vgl. dazu auch Del Val 1993: 252-3). James Taggart, in einem gewissen Sinne mein Mentor für die vorliegende Studie (siehe Kapitel I.1), forscht seinerseits bereits seit 1969 in der Sierra Norte, schwerpunktmäßig jedoch in Huitzilan de Serdan, zunächst zum Entwicklungszyklus von Haushalten (Taggart 1975; vgl. auch URL 4). Befasst mit Oralgeschichte, Sozialstruktur und Geschlecht in Huitzilan wie auch Caceres (Spanien), wo er beginnend 1981, Feldstudien durchführt, widmet er sich zunehmend Mythen und Märchen und ihren Bedeutungen für Liebe, Ehe und Verwandtschaft (z.B. Taggart 1979; ders. 1983; ders. 1986; ders. 1992). Besonders interessiert ihn, wie Männlichkeit in den Erzählungen zum Ausdruck gebracht wird und welche Ähnlichkeiten und Unter-

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schiede sich zwischen seinen beiden Forschungsregionen finden lassen (z.B. Taggart 1997). Seine Zugangsweise beschreibt er als „comparative approach to narratives combining kinship, psychoanalytical theories of gender, and language and culture“ (URL 4). Einen guten Überblick zu Nahua im Allgemeinen und Nahuat in der Sierra Norte im Besonderen, geben die von ihm verfassten Kapitel zu diesen Schlagwörtern, in verschiedenen Enzyklopädien (ders. 1995; ders. 2001; des. 2004; ders. 2006). Der oben erwähnte, mittlerweile emeritierte Professor der Universität Montréal, Pierre Beaucage ist gleichfalls seit 1969 in der Sierra Norte aktiv, wenngleich nicht in Huitzilan, sondern in Cuetzalan und hier speziell in Tzinacapan. Sein Werk umfasst mittlerweile eine Vielzahl von Publikationen zur Sierra Norte. Insbesondere beschäftigt er sich mit der Ökologie – und in neuerer Zeit auch der Biodiversität –, der ökonomischen und sozialen Organisation und den Auswirkungen der staatlichen Modernisierungsbestrebungen des Kaffeeanbaus (URL 5). Für die vorliegende Arbeit können nicht alle seiner zahlreichen Publikationen herangezogen werden. Hervorzuheben sind jedoch jene, die in Zusammenarbeit mit den in San Miguel Tzinacapan ansässigen Organisationen Tosepan Titataniske und der Taller de Tradición Oral entstanden sind (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997; dies. 2012). Die Unterstützung dieser und Kooperation mit diesen lokalen Netzwerke/n verdeutlichen Beaucages politische Positionierung als Mitkämpfer der Armen und Marginalisierten. In einem Beitrag von 1974 verteidigt er den Historischen Materialismus, und hier insbesondere die Auffassungen von Lenin und Kautsky, als dem Strukturfunktionalismus weit überlegen, wenn es um die Analyse von sociedades campesinas, sprich Peasants, geht (Beaucage 1974 : 112). Im Fokus seiner Aufmerksamkeit stehen die Beziehungen lokaler Gemeinden mit übergeordneten Machtzentren. Vorkoloniale Ereignisse und Bezüge sind für ihn nur dann von Interesse, wenn sie der Erhellung aktueller politischer und sozialer Strukturen dienen. Diese Ausrichtung auf gegenwärtig kapitalistische Beziehungen von Macht und Unterordnung auf Basis eines intercambio desigual (Beaucage 1994: 44), zeigt sich auch in einer anderen Publikation, aus dem Jahr 1988. Gleichzeitig wird hier ein weiteres Grundthema der Forschungen von Beaucage deutlich, nämlich das des indigenen Widerstands gegen Ausrottung, Assimilierung und Marginalisierung, in seinen vielfältigen Facetten. Soziale Bewegungen, mit Schwerpunkt auf jene von ländlichen und indigenen Gemeinden, prägen viele seiner in den 1990er Jahren entstandenen Veröffentlichungen (z.B. Beaucage 1994). Als eine Variante, wie sich indigene Gemeinden gegen staatliche Vereinnahmung in Form von Modernisierungsbestrebungen, resultierender Bodenerosion und Verarmung der Bevölkerung zur Wehr setzen, erweist sich, Beaucage und der Taller de Tradición Oral del CEPEC zufolge, die Rückbesinnung auf gartenbauähnliche Anbausysteme, wie dem klassischen „Kaffeegarten“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997). Die letztgenannte Arbeit verweist auf einen anderen Anspruch Beaucages, nämlich dem einer partizipatorischen Anthropologie, von ihm (1994: 49) als fase de intelectuales orgánicos bezeichnet, in der die indigenen Campesin@s selbst als (Co-)Autor_inn_en von Publikationen aufscheinen. Einen Gesamtüberblick seiner politisch-wissenschaftlichen Karriere gibt Beaucage in dem 2012 erschienenem Buch, „Cuerpo, cosmos y medio ambiente“, in dem er, gemeinsam mit der Taller de Tradición Oral de CEPEC, die Geschichte San Miguels, mit Fokus auf Tosepan Titataniske, aufarbeitet sowie auf kosmologische Vorstellungen

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eingeht. Einzigartig ist die Darstellung der Klassifikation der Pflanzen-, Tierwelt und des menschlichen Körpers. Richard Haly, der seit 1975 zu Cuetzalan forscht (Haly 1996: 532), wählt einen völlig anderen Zugang als Beaucage, wenngleich auch er Bezug auf soziale Bewegungen – in Cuetzalan unweigerlich an den Namen Tosepan Titataniske geknüpft – nimmt. Sein Fokus liegt dabei weniger im Bereich der Ökonomie als vielmehr in dem der Religion; Tosepan Titataniske wird vor allem im Zusammenhang mit teils blutigen Auseinandersetzungen in den 1970ern genannt, Auseinandersetzungen, die sich auch in religiösen Differenzen niederschlagen, in denen Tosepan allerdings eine Art Vermittler_innenrolle einnimmt (ibid.: 557). Halys Interesse ist es, die, wenn man so will, „vorkoloniale“ oder besser „mesoamerikanische Essenz“ im religiösen Denken und Handeln der Einwohner_innen der Region, speziell San Miguel Tzinacapans, herauszustellen. Er versucht so eine grundlegende Differenz, zwischen den stärker katholisch geprägten Mestiz_inn_en der cabecera Cuetzalan und den im mesoamerikanischen Weltbild verhafteten Nahua der sujetos, herauszuarbeiten. Sein spezielles Anliegen ist es, den Unterschied indigener Identität, aus Sicht der mexikanischen Nationalkultur und der betroffenen Bevölkerung, darzulegen. Die scheinbare Übernahme christlicher Elemente durch die Einwohner_innen Tzinacapans ist für ihn eine Aneignung, dazu bestimmt, der hegemonialen nationalen Kultur zu widerstehen. Beaucage (1994: 50) ortet in dieser Art von Studien ein neu aufgeflammtes Interesse an Kultur und ethnischer Identität. Er verweist diesbezüglich allerdings nicht auf die Forschungen von Haly, als vielmehr auf jene von Sánchez (1985) sowie von Aramoni (1988) und Segre (1987), aber auch auf seine eigenen Untersuchungen (siehe z.B. Beaucage 1981). Die niederländische, vom Strukturalismus geprägte, Anthropologin Rosana Lok, die sich, analog zu Haly, mit Aspekten des Weltbilds in Tzinacapan befasst, stützt sich in ihrer Analyse weniger auf die Aussagen von religiösen Spezialist_inn_en und Heiler_inne_n als vielmehr auf die „gewöhnlicher Leute“. In ihrer sechsmonatigen Feldforschung im Jahr 1985 stellt sie fest, dass die zahlreichen Anthropolog_inn_en und Linguist_inn_en, die seit den 1960er Jahren das Gebiet heimsuchen, immer wieder dieselben Personen aufsuchen, um Informationen zu erlangen und folglich auch immer sehr ähnliche Auskünfte erhalten. Sie selbst verfolgt einen anderen Weg und es gelingt ihr, auf der Grundlage von Beobachtungen und alltäglichen Gesprächen, eine Analogie des Nahua-Hauses mit dem Kosmos, d.h. mit allen Aspekten des religiösen Lebens, herauszuarbeiten. Auch sie verweist hier, wie in einer anderen Publikation (1991), auf die Bedeutung vorkolonialer Elemente als Grundlage eines Mesoamerican culture core (Aitken 1994: 245), ein Aspekt, der, trotz aller Veränderungen und dem daraus resultierenden prozessualen Synkretismus (siehe dazu insbesondere Kapitel IV.4) sicherlich eine gewisse Rolle in der cosmovisión der Indigenen von Cuetzalan spielt (vgl. auch Knab 2009: 12-3).3 3

Wobei sich bei näherer Betrachtung zeigt, dass ein heterogen ausgelegter Mesoamerican culture core, im Grunde in ganz Mexiko zu finden ist, teilweise, im Sinne eines Nationalbewusstseins, das Mexiko von Europa und den USA abgrenzt (aber auch zur Förderung des Tourismus), bewusst geschaffen und vorangetrieben. Hier, wie in anderen Kontexten, dürfen die zahllosen Überschneidungen zum scheinbar Anderen, wie auch die internen Differenzen nicht vernachlässigt werden.

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In ähnlicher Weise wie Lok, analysieren der italienische Missionar Italo Signorini, der 1972 erstmals in der Sierra forscht (Dehouve 2001: 236), und Alessandro Lupo die Weltbild- und Glaubensvorstellungen, der zum Bezirk Cuetzalan gehörenden, Nahuat-sprachigen Gemeinde Yanhuitlalpan (Signorini 1982; Signorini/Lupo 1988; dies. 1989; Lupo 1991; ders. 1995; ders. 2001). Die beiden legen dabei ihr Augenmerk auf den Zusammenhang von Körper und Seeleneinheiten als Grundlage für Gesundheit und Heilung. Alessandro Lupo’s Buch „La tierra nos escucha“ (1995) beruht auf insgesamt vierzehn Monaten Feldforschung, durchgeführt in den Jahren 1984 bis 1988, wobei er sich schwerpunktmäßig auf die oralen Traditionen ritueller Spezialist_inn_en stützt und großes Augenmerk auf Rituale in Zusammenhang mit dem Anbau und der Verarbeitung von Mais legt. Der eigentlichen Darstellung und Analyse des kosmologischen Systems, sind Informationen zur Geografie, zur Geschichte, zur Ökonomie und zur sozialen Organisation vorangestellt. Sehr detailliert geht er auf Gebete in Spanisch, wie auch in Nahuat ein, die in Heilungszeremonien verwendet werden, und arbeitet ihre kontextuelle Bedeutung heraus. Ähnlich wie Lok, verweist auch Lupo (ibid.: 152ff.) auf den Zusammenhang zwischen dem häuslichen Bereich und dem Kosmos. Besonderes Augenmerk legt er auf die Verbindung aller Lebensbereiche mit Mais. Eine Kurzfassung der Ergebnisse dieser Studie findet sich in einem 2001 veröffentlichten Artikel mit dem Titel „La Cosmovisión de los Nahuas de la Sierra de Puebla“. Der unkonventionelle amerikanische Anthropologe Timothy Knab, 2012, einem Internetdokument zufolge (URL 6), Professor an der Universidad de las Américas Puebla, forscht für seine Dissertation (Knab 1983) in der Sierra Norte. Signorini und Lupo (1989) listen in ihrer Bibliographie auch Arbeiten auf, die vor der Fertigstellung von Knabs Abschlussarbeit, nämlich bereits Ende der 1970er Jahre, verfasst wurden (wie Knab 1979 und Knab/Sánchez 1975). Spätestens mit der Veröffentlichung des Romans „A War of Witches“ (1995), ist Knab in aller Munde, thematisiert er darin doch, in einer Mischung aus „fact and fiction“ (Richardson 1996: 623), seinen Weg zum Heiler. Dieser führt ihn durch die geheimnisvolle und gefährliche Welt talokans, Paradies der Regengottheiten im vorkolonialen Mesoamerika (cf. u.a. González Torres 1991: 175), einer Art Unterwelt mit spezieller Bedeutung für Heiler_innen und Zauber_innen bei der indigenen Bevölkerung Cuetzalans. Die Hauptproponentin seines Buches, von Alessandro Lupo (1998: 267) als Rufina Manzano identifiziert, ist unter den vielen Suchenden nach „authentischen Traditionen der Aztek_inn_en“, bereits vor dem Erscheinen von Knabs Bestseller, dermaßen bekannt, dass ein Foto von ihr im „National Geographic“ von 1980 zu finden ist. Einer der sechs Bände der Monographie über „Chamanes de México“ von Jacobo GrinbergZylberbaum (1987) ist, Lupo (ibid.) zufolge, ihr gewidmet. In einem Artikel von 1991, erschienen in den „Estudios de Cultura Nahuatl“, stellt Knab seine Forschungsergebnisse aus der Gemeinde San Miguel Tzinacapan zu talokan vor, aber auch der in Signorini und Lupo (1989) genannte Beitrag von 1979 befasst sich mit diesem Thema. In einer aktuelleren Publikation (Knab 2009), in der seine Forschungsstätte, vermutlich aus Gründen der Anonymisierung, den Namen San Martín Zinacapan erhält, geht Knab darauf, wie auch auf die dorthin notwendigen Reisen des_der curander@s zum Auffinden der verlorenen Seeleneinheiten sowie auf andere Aspekte, die im Zusammenhang mit Krankheit und Heilung von Bedeutung sind, ein. Im Grunde handelt es sich um eine stärker wissenschaftlichen Kri-

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terien entsprechende Version von „A War of Witches“. Auffallend ist, dass er einerseits die Parallelen zur Seeleninterpretation von Signorini und Lupo (1988; 1989; Lupo 1995) herausstellt, sich andererseits aber, in seinen Beschreibungen der Merkmale und Fähigkeiten der verschiedenen Seeleneinheiten, mehr oder weniger große Unterschiede finden (siehe Fußnote in Kapitel II.7.1). Diese erklärt er zum einen mit der Komplexität des Themas, die ein Verständnis schwer macht, zum anderen mit unterschiedlichen Konzepten und Sichtweisen unter den Heiler_inne_n und Zauber_inne_n bzw. Hexern_Hexen selbst (Knab 2009: 22ff.). Auf Knab und Lupo aufbauend, erarbeitet Lourdes Báez (2004a), in Verbindung mit der mesoamerikanischen Kosmovision stehende, Raumkonzepte der indigenen Cuetzaltekischen Bevölkerung. Das Haus, das Feld und damit die Landwirtschaft wie auch die übernatürliche Welt mit ihren verschiedenen Wesenheiten spielen hier eine große Rolle. Es ist unklar, weshalb sie in ihren Ausführungen nicht auch auf Rosana Loks Erkenntnisse Bezug nimmt, zumindest in Hinblick auf den häuslichen Raum (ibid.: 72-3).4 In einer anderen Veröffentlichung im selben Jahr, in der die Autorin einen allgemeinen Überblick über Geschichte, ethnische Identität, Umwelt, Ökonomie, Sozialsystem, Politik und Religion der Nahua der Sierra Norte gibt, verweist sie allerdings, im Zusammenhang mit den verwandtschaftlichen Tauschbeziehungen anlässlich des Allerseelenfestes, auf Loks diesbezüglich hoch interessante (mir jedoch nicht zugängliche) Analyse von compadrazgo-Beziehungen in Tzinacapan (Báez 2004b: 29). Auf diese und ähnliche Arbeiten stützt sich ein, seit Anfang der 1990er Jahre verstärkt geführter, „Diskurs der Indigenität“ (Norget 2010), in dem die positiven Aspekte indigener Lebensweisen, charakterisiert durch Spiritualität, ökologische Ganzheitlichkeit und basisdemokratische Grundprinzipien, hervorgehoben werden. Jean Jackson und Kay Warren (2005: 559-60) sprechen von einem indigenen self-essentializing als einer politischen Taktik indigener Bewegungen, im Kampf um mehr Autonomie und Selbstregierung. Dabei werden einerseits die adäquaten Merkmale aus anthropologischen Studien aufgegriffen, andererseits aber wird die Fähigkeit von Indigenen, für sich selbst zu sprechen, hervorgehoben. Die fase de intelectuales orgánicos (Beaucage 1994: 49), charakterisiert durch eine aktive Beteiligung an der Erforschung der eigenen Gemeinden durch Indigene (cf. u.a. Argueta 1994; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997; dies. 2012), ist ein anderer Ausdruck dieser politisch motivierten (und notwendigen) Selbstermächtigung. Ein Ergebnis sind die lebensgeschichtlichen Erzählungen von Einwohner_inne_n San Miguels, herausgegeben von der in Tzinacapan lebenden, mittlerweile pensionierten Lehrerin Yolanda Argueta (Tz 16 9.2.2005). Weiters werden, vor allem seitens der Comisión Takachiualis, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Indigenen kritisiert, wie auch die politische und rechtliche Autonomie der indigenen Gemeinden vorangetrieben. Damit ist ein verstärktes staatlich-institutionelles Interesse an diesen Phänomenen ab4

Da Báez sich für die allgemeine Beschreibung in erster Linie auf Informationen aus der Literatur stützt und sich ihre eigenen Forschungsergebnisse speziell auf Naupan beziehen, ziehe ich für meine Analyse betreffend Maisfeld und Haus zur Kontextualisierung der empirischen Erhebungen, soweit verfügbar, die auf Cuetzalan und Umgebung fokussierenden Originalquellen, nämlich Publikationen von Alessandro Lupo (1995 et al.), Timothy Knab (1991 et al.) und Rossana Lok (1987), heran.

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sehbar und tatsächlich kommt es in Folge zu einer Reihe von Forschungen des mexikanischen Centro de Investigaciones y Estudios Superiores en Antropología Social (CIESAS) über indigene Organisationen und Rechtssysteme. Darunter finden sich auch jene von Korinta Maldonado Goti und Adriana Terven Salinas (Maldonado/Terven 2008; siehe auch Maldonado 2002; dies. 2006). Erstere fokussiert auf Totonaca in Huehuetla, letztere hingegen auf Nahua in Cuetzalan5 (siehe auch Terven 2005; Chávez/Terven 2013). María Teresa Sierra, seit 1984 am CIESAS (URL 9), analysiert die Auseinandersetzungen und Debatten zur Frage von indigenen und Menschenrechten in Mexiko, im Anschluss an den Aufstand der zapatistas von 1994 und dem nachfolgenden Abkommen von San Andrés. Auf Grundlage von Forschungen zur Sierra Norte, insbesondere zu indigenen Organisationen in Cuetzalan, arbeitet sie die schwierige Position indigener Frauen heraus. Sie zeigt auf, wie Nahua-Frauen der Region, teilweise organisiert in der Frauenorganisation Maseualsiamej Mosenyolchikauanij, einerseits durch essentialistisch argumentierende Verfechter_innen einer Rückbesinnung auf „authentische“ Traditionen, in eine untergeordnete Rolle in Familie und Gesellschaft abgedrängt werden sollen und andererseits, als Opfer angeblich kulturell bedingter patriarchaler Gewalt, instrumentalisiert werden (Sierra 2002). Analog Spivaks berühmter Feststellung, „Weiße [sprich: mestizische] Männer retten braune [sprich: indigene] Frauen vor braunen [sprich: indigenen] Männern“ (Spivak 2008: 78), wird seitens der staatlichen Politik wie auch einiger linker und feministischer urbaner Gruppierungen mit den Rechten indigener Frauen, die es zu schützen gilt, argumentiert, um indigene Rechts- und Politiksysteme zu diskreditieren. Während die Forscher_innen von CIESAS den „Diskurs der Indigenität“, ähnlich wie Norget (2010), in enger Verbindung mit sozialen, Menschenrechts- und Frauenbewegungen der indigenen Bevölkerung Cuetzalans, vernetzt mit inner-, inter- und transnationalen Bewegungen sehen, verweist die Linguistin und Soziologin Louisa Greathouse-Amador (2005a; 2005b) auf einen völlig anderen Aspekt, wie lokale Akteur_inn_e_n diesen, national wie auch global wirksamen, Diskurs zu ihren Gunsten nutzen. Norget (2010: 120) geht ja davon aus, dass Indigenität, assoziiert mit basisdemokratischen Haltungen und nachhaltigem Wirtschaften, vor allem in den letzten Jahren in der mexikanischen Linken wie auch der Anti-Globalisierungsbewegung eine zunehmend positive (und kapitalismuskritische) Konnotation erhalten hat, was seitens der zapatistas und anderer indigener Gruppierungen gezielt eingesetzt wird, um Solidarität voranzutreiben. Greathouse-Amador (2005a; 2005b) betont nun ein besonderes Interesse potentieller (solidarischer oder einfach neugieriger) Tourist_inn_en an indigenen Sitten und Gebräuchen, was den Nahua die Chance bietet, indigene Identität, vor allem über die Sprache, zu bewahren. Aufgegriffen wird diese Gelegenheit, Greathouse-Amador (ibid.) zufolge, insbesondere von Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij, der es als erster indigener Gruppe gelingt, im, bis Mitte der 1990er Jahre, von Mestiz_inn_en dominierten Hotel- und Restaurantsektor Cuetzalans, Fuß zu fassen. Dadurch sei es zu einem neuen Selbstbewusstsein und einer verstärkten Wertschätzung von Indigenität gekommen. Neben dieser positiven Haltung gegenüber indigenem Bewusstsein, wie sie bei Greathouse-Amador (2005a; 2005b), aber auch den Verfechter_inne_n einer partizi5

Cf. z.B. die Vorträge der beiden (URL 7; URL 8).

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pativen Anthropologie sowie zu einem guten Teil der Forscher_innen des CIESAS zum Ausdruck kommt, besteht eine zweite Tendenz, wie sie Sierra (2002, siehe oben), als typisch für staatliche und urban-politische Akteur_inn_e_n, herausstellt. In dieser Sicht spiegelt sich die Auffassung des „klassischen“ Feminismus, wie er in den 1970er, 1980er Jahren in vielen Ländern der Welt dominiert und seitens postkolonialer Forscher_innen, als in seinen Grundstrukturen bürgerlich-weiß geprägt, kritisiert wird. Zum einen seien alle Gesellschaften patriarchal, zum anderen aber zeichneten sich „traditionelle“, marginalisierte Bevölkerungsgruppen durch besondere patriarchale Rückständigkeit aus. 6 In diesem Sinne hebt Beatriz Martínez Corona (2003a; 2003b) zwar, ähnlich wie Greathouse-Amador (2005a; 2005b), die positive Wirkung des Tourismus zu Empowerment durch Einkommensmöglichkeiten und damit Verfügungspotential über Ressourcen für Frauen hervor. Indigenität erscheint ihr jedoch, aufgrund eines vorherrschenden Geschlechtersystems, in dem Frauen, ihr zufolge, als menschliche Wesen kaum anerkannt sind (Martínez Corona 2003a: 234), für Frauen besonders gefährlich. Daher betont sie auch die triple opresión indigener weiblicher Personen: als Campesinas, als Indigene und als Frauen (Martínez Corona 2003b: 197). Erst verschiedene Projekte im Umfeld von Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij, begleitet und finanziell unterstützt durch nationale und internationale Nicht-Regierungsorganisationen, aber auch die Welternährungskonferenz und staatliche Einrichtungen, wie dem Instituto Nacional Indigenista (INI) und dem Fondo Nacional de Empresas Sociales (FONAES) (Martínez Corona 2003a: 233, 247), führen, ihrer Ansicht nach, zu einer Veränderung dieser bedrückenden Situation. Neben der eigenständigen Vermarktung von Kunsthandwerk, nennt sie vor allem das ökologisch ausgerichtete Hotel Taselotzin („das was die Erde produziert“), das, trotz großer Widerstände seitens der eingesessenen Hotelerie wie auch von Regierungsfunktionären des Staates Puebla, im September 1997 eröffnet wird (ibid.: 247; zum Hotel siehe auch López 2005). In ihrer vernichtenden Einschätzung des „traditionellen“ indigenen Geschlechterverhältnisses stützt sich Martínez Corona auf eine von ihr, gemeinsam mit Susana Mejía Flores (1997), erstellte Studie zum Thema der Gewalt gegen Frauen in indigenen Gemeinden. Bereits Anfang der 1990er Jahre wird, ausgehend von einem Seminar am Colegio de México, ein Projekt ins Leben gerufen, das sich die Erforschung der gesundheitlichen und reproduktiven Auswirkungen häuslicher Gewalt zum Ziel gesetzt hat, an dem auch Martínez Corona beteiligt ist (González Montes 1998: 17, Fußnote 1; Manzanares 2004: 19, Fußnote 1). An diesen Forschungen sind die „Beforschten“ aktiv beteiligt, allerdings nicht im Sinne der von Beaucage (1994: 49) propagierten partizipatorischen Anthropologie. Vielmehr wird die Existenz der Organisation Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij gezielt genutzt, indem 18 der insgesamt 50 teilstrukturierten und lebensgeschichtlichen Interviews mit Mitgliedern dieser Vereinigung durchgeführt werden. Die Frauen der Organisation zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich bereits vor den Befragungen in verschiedenen Arbeitskreisen mit dem Problem häuslicher Gewalt befasst haben (vgl. González Montes 1998: 22, 28-9; Manzanares 2004: 22). Abgesehen vom „Diskurs des ‚klassischen‘ Feminismus“, durch den die Begründung und Formulierung der Zielsetzung der Untersu6

Siehe dazu allgemein u.a., die nach wie vor gültige Kritik von Mohanty (1991), bezogen auf den Themenbereich Gewalt, u.a. Zuckerhut (2010c: 278-9).

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chung geprägt ist – Cuetzalan wird als durch drückende Armut und alltägliche Geschlechtergewalt gekennzeichnet vorgestellt 7 (cf. González Montes 1998: 19-20; Martínez Corona 2003a: 235; Manzanares 2004: 28; Pérez Nasser 2010: 6-7) –, sind die Ergebnisse durchaus beachtenswert. Während Gónzalez Montes (1998) in ihrer Publikation sehr starkes Augenmerk auf Reaktionen und Möglichkeiten des Erkennens von und Umgangs mit Gewalt seitens des medizinischen Personals des lokalen Krankenhauses (zu diesem Zeitpunkt das Hospital de Campo des INI) sowie der damit assoziierten Heiler_innen und Hebammen legt, liegt der Fokus von Manzanares (2004) mehr bei den Frauen selbst bzw. bei der Frage, was unter Gewalt verstanden wird, wann und in welchen Zusammenhängen sie auftritt und welche Handlungsperspektiven den Frauen offen stehen. Manzanares kann sich dabei zusätzlich auf eine von ihr durchgeführte Studie Anfang der 1990er Jahre stützen, in der sie geschlechtlicher und ethnischer Identität und ihrer Veränderung in Cuetzalan nachgeht. Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen Frauen und Männer im Umfeld von Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij (Alberti 1994; Manzanares 1999). Susana Mejía Flores (1995), am Centro de Asesoría y Desarrollo entre Mujeres (CADEM) in Cuetzalan verantwortlich für den Bereich der Menschenrechte und der häuslichen Gewalt, betont die in neuerer Zeit installierten Möglichkeiten der Solidarität zwischen Frauen, wie auch die Bedeutung, die das Revolutionäre Gesetz der Frauen der zapatistischen Bewegung 8 für das Aufzeigen und Anklagen von Gewalt hat. Von allen Autor_inn_en wird auf bestehende Möglichkeiten der Konfliktregelung und -verhinderung hingewiesen, die jedoch aus verschiedenen Gründen nicht immer greifen. Zuckerhut (2008a; 2010b) arbeitet auf der Grundlage dieser Informationen, insbesondere jenen zum Gewaltbegriff, wie ihn Manzanares (2004) aufzeigt, in Verbindung mit Daten aus wiederholten Feldforschungen mehrerer Jahre, die Unterscheidung zwischen scheinbar legitimer und nicht legitimer Gewalt, heraus. Dabei verweist sie auf die Bedeutung des Weltbildes und damit einhergehender Personenkonzepte als Grundlage der emischen Interpretation von Gewalt, ein Aspekt, der in den vorangegangenen Untersuchungen zu Gewalt gegen Frauen unberücksichtigt bleibt. Nicht mit Gewalt, sondern mit dem lokalen Krankenhaus, befassen sich DuarteGómez et al. (2004), in ihrer Studie zum Hospital Mixto. Dieses ist durch eine Verbindung der traditionellen mit der modernen Medizin charakterisiert, wobei Knab (2009: 56) anmerkt, dass viele wesentliche Aspekte der traditionellen Medizin in diesem Kontext nicht (mehr) zu finden sind. Duarte-Gómez et al. (2004) gehen der Geschichte der Entstehung dieses Krankenhauses nach: 1958 gegründet, unterscheidet es sich zunächst durch nichts von anderen Kliniken. Erst in den 1990ern, angesichts 7

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Diese Art Diskurs ist für das Rekurrieren von Geldern für Gesundheits- und andere Projekte, wie auch für das Vorantreiben von Änderungen in der Gesetzgebung absolut hilfreich und zeigte offensichtlich auch Erfolg, wie sich alleine an der, seit über 16 Jahren bestehenden Einrichtung des Centro de Asesoría y Desarrollo entre Mujeres (CADEM), zeigt (URL 10). Zu den hier genutzten Gender-Bildern, die Frauen als other within konstruieren, wobei Frauen als „,the symbolic inferior‘ against an inherently superior masculinity“ (Dogra 2011: 343) erscheinen, wenn auch bezogen auf in Großbritannien beheimateten NGOs, vgl. u.a. Dogra (2011). Zum Inhalt dieses Gesetzes, vgl. URL 50.

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neuer Tendenzen in der Politik, hervorgerufen durch den bereits erwähnten „Diskurs der Indigenität“ und der damit einhergehenden notwendigen stärkeren Einbindung der indigenen Bevölkerung in verschiedenste, sie betreffende, Bereiche und somit auch die Gesundheitspolitik, werden indigene Heiler_innen und Hebammen integriert, wenngleich mit vielen „wenn“ und „aber“ und der Biomedizin untergeordnet. Neben diesen (und anderen, hier nicht genannten) primär gegenwartsbezogenen Untersuchungen, sind noch eine Reihe ethnohistorischer Forschungen zu nennen. Allen voran ist in diesem Zusammenhang auf Bernardo García Martínez (1987) zu verweisen, der sich mit der Kolonialgeschichte von Totonacapan 9 und Aspekten des religiösen und sozialen Lebens befasst und dessen Werk vielen der späteren Studien zugrunde liegt. Beispielsweise Keith Brewster (1996; 2003; 2008), der die Jahre der Revolution und danach in der Sierra Norte fokussiert, unter spezieller Betrachtung der (teilweise) indigenen caudillos General Francisco Lucas, Gabriel Barrios und dessen Brüder, stützt sich auf ihn. Guy Thomson (1991) auf der anderen Seite, rückt, neben Lucas, den, aus San Andrés Tzicuilan stammenden, „Palo“ Francisco Agustin Dieguillo ins Blickfeld. Florencia Mallon (1992a; 1992b; 1995) schließlich arbeitet verschiedene liberale, teils widersprüchliche Diskurse vor, während und nach der Revolution, heraus. Besondere Beachtung finden in ihren Werken Unstimmigkeiten bezogen auf Geschlecht, Ethnizität, Alter, Reichtum, wie auch ökologisch/räumliche Unterschiede. III.1.2 Zusammenfassende Charakterisierung des Forschungsstands Über Cuetzalan, als Teil der Sierra Norte de Puebla, wird – wie dieser Überblick gezeigt hat – seit Jahrzehnten aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit differierenden Schwerpunktsetzungen geforscht. Viele allgemeine Trends der Forschungsgeschichte spiegeln sich hier. Die von Jackson und Warren (2005) festgestellte Tendenz anthropologischer Zugänge, weg von der Gemeinde, hin zu Individuen bzw. weg von fixen, hin zu fluiden und vielfältigen Identitäten, ist allerdings noch weitestgehend ausständig. Nur wenige, vor allem ethnohistorische Arbeiten, insbesondere Florencia Mallons (1995) Untersuchung, zeigen Ansätze in diese Richtung. In einigen der vorgestellten Studien (z.B. Lok 1987; Haly 1996; Báez 2004a; dies. 2004b; Knab 2009) finden sich vielmehr Tendenzen, eines mehr oder weniger vereinheitlichenden othering im religiös-weltanschaulichen Bereich, präsentiert als grundlegend für indigenes Denken und Handeln. Auf der einen Seite spielen diese Besonderheiten, von Aitken als Mesoamerican culture core (1994: 245) tituliert, eine wichtige Rolle im Leben indigener Bevölkerungen und es wird daher auch in den Darstellungen und Interpretationen der vorliegenden Arbeit darauf Bezug genommen. Auf der anderen Seite muss der fluide und konstruierte Charakter dieser Eigenheiten berücksichtigt werden. Zur Vermeidung eines essentialistischen und homogenisierenden Kulturbegriffs müssen die spezifischen Ausprägungen und Praktiken ins Auge gefasst werden, die zu

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Die Bezeichnung Totonacapan bezieht darauf, dass die Region, die Teile von Veracruz und Puebla umfasst, lange Zeit vorwiegend von Totonaca besiedelt ist. Zur Ausdehnung in der vor- und frühkolonialen Zeit, vgl. u.a. Palerm (1953); Sanders (1953).

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Variationen, Veränderungen, Abweichungen und Besonderheiten führen (vgl. dazu auch Saharso 2008: 25).10 Vor allem in den feministisch geprägten Forschungen zu Gewalt gegen NahuaFrauen (z.B. Martínez Corona/Mejía Flores. 1997; Martínez Corona 2003a; 2003b) spiegeln sich in besonderer Weise essentialistische Zugänge, mit einer für die Wissenschaft lange Zeit typischen Dichotomie eines „wir und die anderen“ (vgl. dazu Said 1978: 325; Amadiume 1987: 1-10; Hall 2000; et al.), wobei „die anderen“, im Unterschied zu jenen, in den oben genannten, symbolisch ausgerichteten Forschungen, stark negativ konnotiert sind. Gewalt wird, als in den „costumbres y tradiciones de los pueblos indígenas“ (Martínez Corona 2003b: 196) begründet, angesehen. Um einem solchen Zugängen inne wohnenden, homogenen und „starren Kulturbegriff“ zu entgehen, der den Betroffenen scheinbar keine andere Wahl lässt, als Geschlechterhierarchie gewaltsam auszuleben und zu kommunizieren, schlägt die in Wien ausgebildete Kultur- und Sozialanthropologin Sabine Strasser vor, jedes kulturelle Phänomen, ebenso wie kulturell legitimierte Gewalt, „in seiner Bedeutung genauso wie in seiner Umstrittenheit aufgrund von differences within und in seiner Wandelbarkeit sichtbar“ (Strasser 2010: 352) zu machen, d.h. die, wie bereits weiter oben ausgeführt, spezifischen Ausprägungen und Praktiken zu untersuchen. Sie fordert einen „kritischen Relativismus“, in dem universelle Ge- und Verbote (betreffend Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung), mit dem Versuch „lokale und partikulare Prozesse und Umstrittenheiten zu verstehen“ (ibid.: 353), zusammengebracht werden. Der in der vorliegenden Studie gewählte Zugang, über differierende Konfliktachsen von Machtbeziehungen mit kontextuell wechselnden Privilegierungen und Benachteiligungen, unter Berücksichtigung der symbolischen wie auch der politischökonomischen Ebene (mit Schwerpunkt auf Haushalte), will dem entsprechend einerseits Essentialisierungen und Dichotomisierungen, sowohl in ihrer idealisierenden, wie auch „dämonisierenden“ Form, eine Abfuhr erteilen, gleichzeitig aber andererseits die Besonderheiten indigener Lebensweisen berücksichtigen. Der Weg der Durchführung und Vollendung dieses Werkes aber war, wie bereits in der Einleitung ausgeführt, sehr weit. III.1.3 Quellen Denn, selbst wenn Forschungsthema und Forschungsregion feststehen und womöglich bereits erste Kontakte geknüpft sind, erfordert jede Untersuchung noch weitere Vorbereitungen. Die tatsächliche Eignung der Forschungsregion, bezogen auf das Forschungsthema, muss/müssen ebenso überprüft werden wie die (weiteren) Zugangsmöglichkeiten zum Setting, d.h. es müssen adäquate Informationen zum Thema wie auch der Region gesammelt und in Beziehung gesetzt werden: „This involves collecting and subjecting to preliminary analysis any documentary evidence available about the setting, interviewing anyone who can be easily contacted who has experience or knowledge of the setting, and perhaps making brief visits to the setting, co-

10 Auch im Sinne von Abu-Lughods „Schreiben gegen Kultur“; siehe Kapitel I.1, sowie AbuLughod (1991).

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vertly or overtly“, halten Hammersley und Atkinson (1995: 38) in ihrer Forschungsanleitung fest. Unterschiedlichste Dokumente – von offiziellen Statistiken, über Websites und Informationsbroschüren der Tourismuswerbung Cuetzalans, bis zu Selbstdarstellungen von Indigenenorganisationen im Internet – werden für die vorliegende Analyse als Quellen herangezogen. Dazu kommen die genannten Ethnographien zur Region (Arizpe 1973; Lupo 1995 u.a.; siehe Kapitel III.1.1) sowie die, von der Taller de Tradición Oral de la Sociedad Agropecuario del Centro de Estudios y Promoción Educativa para el Campo (CEPEC)11 gesammelten Oraltraditionen, publiziert in Büchern (z.B. Argueta 1994), Artikeln (wie Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997; u.a.) und Booklets. Bei letzteren sind insbesondere jene der Reihe „Maseual sanilmej“ (CEPEC 1983-1990) zu nennen. Eine wichtige Quelle stellt die, auf Dokumenten aus dem Archiv des Municipal de Cuetzalan und mündlichen Berichten von Zeitzeug_inn_en beruhende Geschichte Cuetzalans, zusammengestellt von Ramírez Suárez et al. (1992), dar. Ergänzt werden diese Informationen und Anregungen durch solche aus den bereits erwähnten ethnohistorischen und historischen Studien (wie Thomson 1991; Mallon 1995; Brewster 2003; u.a.) sowie Forschungen zu Wirtschaft und Ökologie (z.B. Meza Olivo et al. 1990; Moguel/Toledo 1999; Vergriete/Olivier 2003). Der Schwerpunkt des Datenkorpus beruht jedoch auf eigenen Erhebungen im Rahmen mehrerer Feldforschungen, mit teilnehmender Beobachtung, informellen Gesprächen und stärker formalisierten Interviews (siehe Kapitel III.2). Grundprinzip ist eine Verschränkung der Methoden, da unterschiedliche Arten der Datenerhebung (mittels teilnehmender Beobachtung, informeller Gespräche, stärker formalisierter Interviews, Bilddokumenten, u.ä.) zu differierenden, einander womöglich ergänzenden, Daten führen (vgl. dazu Hammersley/Atkinson 1995: 126). Der „breite Blick“, der einer Verengung der Sichtweise und daraus resultierender Essentialisierung entgegenwirken sollte (siehe oben, Kapitel III.1.1), wird darüber hinaus durch, im Verlauf des Forschungsprozesses erfolgende, wiederholte Literaturund Internetrecherchen, Anfragen bei bekannten Forscher_inne_n bzw. in Mexiko/zu Nahua forschenden Personen, als einem wichtigen Updating des vorhandenen Wissens, aber auch entsprechend einem permanenten Auswertungs- und Analyseprozess, forciert: „Wide and comparative reading should inform the generation of concepts throughout the research process“ betonen denn auch Hammersley und Atkinson (1995: 162). Gehen wir zunächst auf die Datenerhebung, die Feldforschung ein, bevor wir uns mit den Methoden der Auswertung und der Analyse befassen.

11 Eine Gruppe, bestehend aus zehn Indigenen und zwei Mestiz_inn_en widmet sich, beginnend 1980, aufgrund einer Initiative des Lehrers Alfonso Reynoso Rabago, über fünfzehn Jahre der Sammlung und Übersetzung lokaler Oraltraditionen. Dieser Taller de Tradicion Oral ist Teil des Centro de Estudios y Promocion Educativa Para el Campo (CEPEC), einer lokalen Nicht-Regierungs-Organisation (NRO), die sich ihrerseits aus Indigenen und Nicht-Indigenen zusammensetzt, befasst mit Bildung und ländlicher Entwicklung (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997, Fußnote 1).

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III.2 F ELDFORSCHUNGEN – T EILNEHMENDE B EOBACHTUNGEN „Participant observation usually involves fieldwork, but not all fieldwork is participant observation.“ (BERNARD 2011: 257)

III.2.1 Being at home und dennoch fremd Feldforschung, als Gesamtprozess einer Datenerhebung, beinhaltet auch die Arbeit in den Archiven,12 Interviewführung, etc., also Tätigkeiten, die mit teilnehmender Beobachtung gekoppelt sein können, aber nicht müssen. Feldforschung kann, neben der Rolle der teilnehmenden Beobachtung, die vollständige Teilnahme sowie die der vollständigen Beobachtung implizieren (ibid.: 260; Hammersley/Atkinson 1995: 104ff.). Bernard (2011: 260) bezeichnet die, von Anthropolog_inn_en in der Regel angewandte, erstgenannte Rolle, als eine strategische Methode; sie „puts you where the action is and lets you collect data… any kind of data you want, narratives or numbers”. Sie beinhaltet „going out and staying out, learning a new language (or a new dialect of a language you already know), and experiencing the lives of the people you are studying as much as you can“ (ibid.: 258).13 Teilnehmende Beobachter_innen leben mit den Leuten, die sie erforschen, d.h. sie nehmen an ihrem Leben teil, ohne sich aber an allen Aktivitäten gleichermaßen zu beteiligen. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Beobachtung und ihrer Dokumentation. Der Übergang der_des teilnehmenden Beobachterin_Beobachters zum_zur beobachtenden Teilnehmer_in, d.h., dass der Schwerpunkt auf der Teilnahme und weniger der Beobachtung liegt, ist in vielen Fällen fließend. So shiftet, im Falle meiner eigenen Forschung, die Intensität meiner Beteiligung am Alltagsleben, entsprechend den Anforderungen meines Gasthaushalts. Oft wasche ich im Hof das Geschirr, wenn Gäste kommen, damit meine Gastmutter sich dem Besuch widmen kann. Oder ich bin einen oder zwei Tage überwiegend damit beschäftigt, den kleinen Enkel meiner Gastgeberin und Freundin zu hüten, da, aufgrund von unvorhergesehenen Ereignissen, niemand sonst Zeit hat, sich um ihn zu kümmern. Zu solchen Anlässen, an solchen Tagen, sind meine Beobachtungen, entsprechend meinem Betätigungsfeld und im letzten Fall auch eher geringem Bewegungsradius, einigermaßen eingeschränkt, d.h. die Teilnahme überwiegt gegenüber der Beobachtung im Sinne einer observing participation (Bernard 2011: 260).14 Ein solcher Wechsel, von der Beobachtung zur Teilnahme und umgekehrt, ist eine logische Folge intensiver Feldforschung in Form eines live-in. Sprich, meine Datenerhebungen gehen praktisch rund um die Uhr, 24 Stunden lang, für die gesamte

12 Zur Feldforschung in den Archiven, vgl. Brettel (1998). 13 Vgl. dazu auch Hammersley/Atkinson (1995: 1), die allerdings primär von „ethnography“ und weniger bis gar nicht von „field work“ oder „participant observation“ schreiben. 14 Hammersley und Atkinson stellen ebenfalls fest, dass es Situationen geben kann, „when one will need to engage in social interaction for primarily social and pragmatic reasons, rather than in accordance with research interests and strategies“ (1995: 116).

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Dauer meines Aufenthalts, da ich in dem von mir primär erforschten Haushalt auch wohne15 (zur Auswahl des Samples siehe Unterkapitel von Kapitel III.2.2.1). Dabei ist der Kontakt in den ersten Jahren besonders eng, da es nur einen gemeinsamen Schlafraum für alle Einwohner_innen des Hauses, also auch mich einschließend, gibt. Ich bin somit Tag und Nacht mehr oder weniger im Zentrum des Geschehens und gewinne folglich sehr lebendige Einblicke in das Alltagsleben meiner Familie. Der gesamte Tagesablauf in seinen kleinen Veränderungen, aber auch Besonderheiten im Falle von außergewöhnlichen Ereignissen, wie Festen oder Besuch, oder auch Krankheit, können so dokumentiert werden. Diese Intensität der Forschung lässt sich jedoch nicht über Jahre hinweg ununterbrochen aufrechterhalten, wie das für die Rekonstruktion von Veränderungsprozessen naheliegend wäre. Denn ich habe in Österreich ein Schulkind zu versorgen, meine ältere Tochter und meinen Freund, die auf mich warten und ich muss schließlich auch Geld verdienen, nicht zuletzt, um meine Studien zu finanzieren. Um die längerfristige Dynamik zu erfassen, bemühe ich mich daher zumindest alle ein bis zwei Jahre für mehrere Wochen oder Monate ins Feld zu gehen, und zwar möglichst zu unterschiedlichen Jahreszeiten, um so auch Veränderungen bzw. Besonderheiten, entsprechend dem jahreszeitlichen Zyklus berücksichtigen zu können. 16 Kontextuelle, aber auch längerfristige Variationen und Kontinuitäten in der Zusammensetzung, den Verhaltensweisen der Menschen und damit auch Macht- und Autoritätsverhältnissen innerhalb des Haushalts, lassen sich auf diese Weise dokumentieren, denn „[…] understanding people’s efforts to take command of their lives requires fine-grained analyses of the everyday forms of livelihood construction and survival […] examine the local livelihoods in a processual way, drawing attention to both material concerns for survival and sociocultural dynamics of livelihood construction. There is a constant dialectic between the economic requirements for living, political struggles over authority, and social demands for solidarity

15 Natürlich verlasse ich das Haus jeden Tag für mehrere Stunden, entweder, weil ich eine der Personen bei ihren täglichen Verrichtungen begleite, oder um andere Leute zu besuchen, Aktivitäten zu beobachten, etc. Es gibt auch gemeinsame Reisen mit weiblichen Angehörigen des Haushalts von der Dauer von zwei bis drei Tagen. 16 Dieser Zyklus, der für die Landwirtschaft relevant ist, spiegelt sich in der vor- wie auch postkolonialen Festkultur der Nahua in Mexiko wider (zum vorkolonialen Mexiko, vgl. Broda 1976, 1979; Couch 1984; Sahagún 1989a; et al.) und hat somit Auswirkungen auf das soziale Leben. Beispielsweise am zweiten Februar, wird das Fest der Virgen de Candelaria gefeiert, ein Fest des Wachstums und der Fruchtbarkeit. Sein Beginn ist bereits am 24. Dezember, der Geburt des Gotteskindes, dann setzt es sich fort, mit der Ankunft der Heiligen drei Könige und endet am 2. Februar, wenn die Samen für die Aussaat in der Kirche geweiht werden (Tzm 10 2.2.2005, 3.2.2005; 31.1.2006; Feldnotizen 2.2.2005; 2.2.2006). Das Fest für den Schutzheiligen ist im Herbst, zu einem Zeitpunkt, an dem die Maisernte bereits eingefahren ist (siehe Kapitel IV.2.5 und Kapitel IV.4). Anfang November, zu Allerheiligen, wird der Toten gedacht. Die Altäre werden mit Obst und Blumen behängt, Gerichte aus Mais (tamales) aufgestellt (Feldnotizen 27.10.-2.11.2011). Genauere Angaben zu Häufigkeit, Zeitpunkt und Dauer der Feldforschungen finden sich im Quellenverzeichnis, unter Punkt 4.

104 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN and culturally appropriate behaviour in people’s decision making.“ (Nygren/Myatt-Hirvonen 2009: 829)

Um diese, von Nygren und Myatt-Hirvonen genannten, ökonomischen Anforderungen und politischen Auseinandersetzungen, in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf das sensible Geflecht im Haushalt, wie auch zwischen, miteinander über verwandtschaftliche und andere Bande verflochtenen Haushalten, nachzuzeichnen, ergänze ich meine eigenen Beobachtungen und Aufzeichnungen durch Informationen aus dem Internet, aus der wissenschaftlichen Literatur, aus den Nachrichten, in Hinblick auf wichtige wirtschaftliche und politische Ereignisse. Auf diese Weise gelingt es mir Makro-, Meso- und Mikroebene miteinander in Verbindung zu setzen, die jeweiligen horizontalen wie auch vertikalen Verflechtungen herauszuarbeiten. Die Intensität meiner beobachtenden Teilnahme/teilnehmenden Beobachtungen hat zur Folge, dass ich im Sinne Bernards (2011: 258), insofern als erfolgreiche Feldforscherin gelten kann, als ich weiß, wann ich lachen muss, weil die Leute das für lustig halten, und die Leute über das lachen, was ich sage, wenn ich tatsächlich witzig sein will. Tatsächlich gelingt es mir häufig mit meinen Aussagen für nachhaltige Heiterkeit zu sorgen. Ich erinnere mich gerne an die vielen Stunden ausgelassener Fröhlichkeit, die ich mit „meiner“ Familie verbringe. Damit einher geht aber auch ein gewisses Gefühl des being at home, ein Gefühl, das laut Hammersley und Atkinson (1995: 115) die Gefahr birgt, zu stark in die Rolle der reinen participant zu verfallen und die für die Beobachtung notwendige kritische Distanz zu verlieren: „Ethnographers, then, must strenuously avoid feeling ‚at home‘. If and when all sense of being a stranger is lost, one may have allowed the escape of one’s critical, analytic perspective“ (ibid.). Günstig sei vielmehr eine marginale Rolle, die es erlaube gleichermaßen In- und Outsider, zu sein, Vertrautheit und Fremdheit miteinander zu verbinden (ibid.: 112). Tatsächlich habe ich zwar immer wieder das Gefühl des being at home, bin mir aber gleichermaßen meines „Fremdseins“, meiner besonderen Position als Außenseiterin und gleichzeitig Teil der Familie bewusst. Zum Ausdruck kommt diese Widersprüchlichkeit in der Normalität des Alltagslebens wie auch im Gefolge festlicher Anlässe, wenn ich zwar einerseits als Mitglied des Haushalts mit gewissen Rechten und Pflichten behandelt werde, mich andererseits aber immer wieder in mir unvertrauten Situationen finde. Beispielsweise, wenn mir unbekannte Leute vorbeikommen oder auch zu speziellen Anlässen, werden die Grenzen meines „zu Hause seins“ deutlich. Ich kann eben (zunächst) nicht differenzieren, ob es sich bei Besucher_inne_n um Leute handelt, die für ein bevorstehendes Fest eine Truthenne kaufen, oder um Verwandte, die im Gefolge reziproker Verpflichtungen vorbeikommen, eine abzuholen (Feldnotizen 24.10.2011). Ich kenne nicht den (genauen) Ablauf an Festtagen: wann was gekocht wird, wer wann und ob zur Kirche geht, wie der Altar geschmückt wird, etc. Abgesehen davon, gilt auch für meine Beziehungen in San Miguel, wie freundschaftlich und vertraut diese auch sein mögen, die Tatsache – wie im Eingangszitat zu dieser Arbeit beschrieben –, dass meine Gastgeber_innen und ich uns der „different location on the boundaries of power as […] Mexican[@s] and a gringa“ (Behar 1993: 229) vollkommen bewusst sind, der Tatsache, „that neither of us was exempt from the politics of our situations within the international division of labor created by neocolonial forms of capitalism“ (ibid.). Besonders deutlich wird

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das, wenn über Reisemöglichkeiten oder finanzielle Aspekte von Österreicher_inne_n und Mexikaner_inne_n diskutiert wird (vgl. z.B. Feldnotizen 13. 8. 2004). Dieses Bewusstsein der hierarchischen Differenz verhindert aber nicht, dass ich immer wieder Gefahr laufe, zu oft gesehene und erlebte Dinge, insbesondere der alltäglichen Verrichtungen und Verhaltensweisen im Haushalt, in der Dokumentation zu vernachlässigen, wie das ebenfalls von Hammersley und Atkinson (1995: 115) als Folge zu großer Vertrautheit beschrieben wird. Dem trachte ich entgegenzuwirken, indem ich mir regelmäßig ins Gedächtnis rufe, was meine Forschungsinteressen sind, dass es gerade auch die Alltäglichkeiten sind, die Hinweise auf haushaltsinterne Dynamiken geben, wobei sich diese womöglich erst retrospektiv in der Aufarbeitung der Notizen, erkennen lassen. Auf diese Weise kann ich mich motivieren auch bereits 50mal – womöglich schon bei vorangegangenen Aufenthalten – beschriebene Handlungen zu dokumentieren. Darüber hinaus beginne ich bereits im Feld mit teilweisen Auswertungen meiner Informationen, um die weitere Vorgehensweise (wen besuche ich, mit wem führe ich welche Art von Gespräch, etc.) zu planen. Denn nicht nur Alltäglichkeiten müssen immer wieder und wieder in meinen Feldnotizen festgehalten werden, auch gewisse Fragen müssen wiederholt gestellt werden, denselben wie auch verschiedenen, aber mit Bedacht ausgewählten Leuten, zu unterschiedlichen Zeiten und in differierenden Kontexten.17 Abgesehen davon, dass vielleicht die Antworten etwas knapp oder ungenügend ausgefallen sind und ich auf weitere Ausführungen hoffe (vgl. dazu Hammersley/Atkinson 1995: 139), lassen sich über repetiertes Nachfragen auch abweichende Sichtweisen bzw. (kontextuelle oder zeitlich bedingte) Veränderungen und Variationen in den Ereignissen oder auch Sichtweisen, erfassen. II.2.1.1 Feldnotizen und andere Formen der Dokumentation Die Besonderheit meines Forschungsthemas, die, wie oben beschrieben, eine durchgängige teilnehmende Beobachtung mit einer starken Tendenz zur Teilnahme nahelegt, bedingt, dass eine unmittelbare, möglichst zeitgleiche Dokumentation der Ereignisse nur selten möglich ist, wenngleich ich, wie alle Ethnograph_inn_en, versuche, bei jeder Gelegenheit zumindest einige Stichwörter zu notieren. Der, in der Literatur beschriebene, „Gewöhnungseffekt“ (vgl. u.a. Bernard 2011: 291ff.) wirkt zwar in meinem unmittelbaren Umfeld, also bezogen auf die Mitglieder meines Schwerpunkthaushaltes, aber auch hier nur sehr eingeschränkt. Einer Gesellschaftsschicht angehörend, in der Schreiben eine eher unübliche Tätigkeit darstellt, wird zwar akzeptiert, dass ich mich als Teil meiner Arbeit, einmal am Tag zwei bis drei Stunden hinsetze, um meine Notizen zu machen („tienes tu trabajo“ ist der immer wieder kehrende Satz), alles, was darüber hinaus geht aber, sorgt für Unwillen oder Stirnrunzeln, gilt als unhöflich oder zumindest „seltsam“. 18 Weniger mit der attestierten Unhöflichkeit, aber zumindest mit der „Seltsamkeit“ ließe sich leben, würde dieser unterschwellige Vorwurf sich nicht darin äußern, dass ich in meinem Schreiben permanent unterbrochen werde, mit Fragen was ich denn schreibe, wofür, worüber, warum, 17 Zu informellen Gesprächen und Interviews, siehe Kapitel III.2.2. 18 Auch Hammersley und Atkinson (1995: 177) halten fest: „In some contexts, however ‚well socialized‘ the hosts, open and continous notetaking will be perceived as inappropriate or threatening, and will prove disruptive“.

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ob ich nicht vorlesen könne, was ich geschrieben habe. All diese Fragen sind gerechtfertigt und verdienen eine Antwort, in jedem Fall aber erschweren sie, schon allein durch die Ablenkung, eine systematische Dokumentation, abgesehen davon, dass die Haushaltsmitglieder, wie auch Besucher_innen jeweils stärker mit mir und meinem Schreiben befasst sind als mit anderen, für mich und meine Forschung stärker relevanten Tätigkeiten. Das geschilderte Unverständnis, ausgedrückt in einer gewissen (verständlichen) Neugierde, zeigt sich insbesondere bei nicht im Haushalt lebenden Personen, die auch nach Jahren keinerlei „Gewöhnung“ zeigen und manchmal mehrmals (vormitt-) täglich vorbeikommen, mich zu meinen Schreibaktivitäten befragend. Und das, obgleich es in der Regel üblich ist, Personen auch innerhalb der gemeinschaftlich genutzten Räume größtmögliche Privatheit zuzugestehen: es gilt als Hinweis auf das Bedürfnis nach Alleinsein und wird akzeptiert, wenn sich jemand auf sein_ihr Bett oder in eine Ecke des Raumes zurückzieht und sich solcherart aus den kollektiven Aktivitäten herausnimmt. Im Falle meines Schreibens aber, scheint diese Akzeptanz nur bedingt gültig zu sein. Daher und auch aus anderen forschungstechnischen Gründen, entschließe ich mich, abgesehen von wenigen Ausnahmen bzw. Erinnerungsstichwörtern, meine Notizen – entsprechend einer „rekonstruierenden Konservierung“ (Bergmann 1985, zit. nach Lüders 2004: 396; vgl. auch Bergmann 2004: 531) – jeweils früh am Morgen zu verfassen. Am Morgen, manchmal bis zum späten Vormittag, ist die Zeit der Ruhe und, bezogen auf Beziehungskonstellationen, eher geringeren Aktivitäten im Haushalt. Es kommt wenig(er) Besuch von den Nachbar_inne_n, die sich womöglich für mein Schreiben interessieren. Die im Haushalt stattfindenden Tätigkeiten sind stark individualisiert: das Feuer wird angefacht, der Kaffee gekocht, die tortillas gewärmt. Nicht immer ist die Frau noch in der Küche, wenn der Mann sein Frühstück einnimmt. Die Schwiegertochter und der Sohn stehen später auf, die Kinder meist gegen Mittag. Erst gegen elf, wenn der Mann vom Feld oder anderen Arbeitsstätten nach Hause kommt, um zu essen, finden kollektivere soziale Aktivitäten statt. Das ist auch die Zeit, die seitens „meiner“ Hausfrau als die günstigste angesehen wird, mich zum „Frühstück“ zu rufen. Zwar erhalte ich bzw. nehme ich mir bereits um sieben, halb acht meinen Kaffee und ein Stück süßes Brot, aber ich ziehe mich damit auf mein Bett, in späteren Jahren in mein Zimmer bzw. aufs Dach (von wo aus ich einen guten Ausblick auf das Geschehen auf der Straße habe), zurück und schreibe, sowohl was am Vortag passiert ist, als auch das, was aktuell stattfindet. Denn zu diesen Zeiten ist es (vorausgesetzt es kommen keine „neugierigen“ Nachbar_inne_n und Bekannte) möglich, auch das aufzuschreiben, was sich unmittelbar vor meinen Augen ereignet. Am Nachmittag sind die Mitglieder meines Haushalts, wie auch ich selbst, meist unterwegs in Cuetzalan am Markt, im Nachbarort Ajotzinapan bei Verwandten, wo auch immer. Am Abend jedoch erfolgen vielfältige gemeinschaftliche Handlungen und Verhaltensweisen und es ist daher ein günstiger Zeitraum für Beobachtungen, nicht aber zum Schreiben. Es wird gemeinsam gegessen, gescherzt, gekuschelt, ferngesehen, gearbeitet, alles gleichermaßen und alternierend, je nachdem. Beispielhaft für die abendliche Atmosphäre sind die beiden im Folgenden vorgestellten Szenen aus den Feldtagebüchern:

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„Blanca macht atole de arroz: sie kocht erst Reis, gießt dann einen Liter H-Milch dazu, Zucker und Zimt. Allerdings geht ihr der Zucker aus und sie schimpft mit ihren Kindern, vor allem aber mit ihrem Mann Carlos, weil dieser keinen aus Cuetzalan mitgebracht hat. Die Tochter Angelika meint, ihr Bruder Ricardo [der in der Nähe ein Lebensmittelgeschäft hat] solle ihnen Zucker geben. Ricardo fragt, was er dafür bekomme. Eine Umarmung, antwortet Angelika und sie umarmen sich. Auch der Bruder Eusebio deutet eine Umarmung an. Ricardo umarmt auch ihn, greift ihm auf den Hintern und Eusebio hüpft davon. Und er umarmt auch seine Mutter und küsst sie. Sie geht mit ihm, mit einer leeren Tasse in der Hand, in den Laden und kehrt mit der, mit Zucker gefüllten Tasse, wieder zurück. Blanca braucht noch mehr Zucker. Zuvor gibt sie Ricardo ein Säckchen, in dem sich sein Geburtstagsgeschenk, ein Hemd, befindet. Sie lacht und meint, sie tausche das Geschenk gegen Zucker.“ (Feldnotizen 6.11.2011)

Die hier geschilderte Zärtlichkeit und das gegenseitige Necken sind ein wiederkehrendes Grundmerkmal dieser beziehungsrelevanten abendlichen Ereignisse: „Vorm Schlafengehen spritzt Carmen ihren Bruder Miguel mit Wasser an. Er will zurückspritzen, sie läuft ins Haus und versteckt sich hinter ihrer Mutter (hinter dieser ist das Bett, in dem Vater Roberto liegt). Sie bleiben längere Zeit so stehen – Miguel versucht sie herauszulocken, tanzt, Wasser im Mund, mit seiner Mutter, die aber unbeirrt vor Carmen stehen bleibt. Roberto steht auf, holt einen Becher Wasser, rangelt mit Miguel, der Wasser aus dem Becher will. Schließlich gelingt es ihm, Carmen mit ein paar Tropfen anzuspritzen und er zieht sich zufrieden zum Schlafen zurück. Carmen kann nun in Ruhe ihre Zähne putzen. Sie hat die ganze Zeit die Zahnbürste im Mund, was die Comic der Situation noch erhöht.“ (Feldnotizen 9.8.2004)

Abgesehen von den schlechten Lichtverhältnissen, die die Dokumentation am Abend oder in der Nacht zu einem Akt systematischer Zerstörung meines Sehvermögens werden lassen, sind meine Hausgenoss_inn_en, vor allem die jungen, ausdauernder im Wachbleiben als ich. In der Regel schlafe ich schon lange, wenn die Jugendlichen und Kinder noch immer bei mir am Bett sitzen und fernsehen. Erst wenn das Licht endgültig ausgemacht wird, schrecke ich hoch, um aber sofort weiterzuschlafen. Es gibt nur wenige Anlässe, etwa, wenn ich von einem Fest zurückkomme, die dazu führen, dass ich nach meinen Gastgeber_inne_n zu Bett gehe. Um zwei Uhr früh aber das Licht aufzudrehen, um Feldtagebuch zu schreiben, wohl wissend, dass die Hausfrau womöglich um sechs oder halb sieben aufstehen muss, widerstrebt jeglichem sozialen Gespür. Die aufgrund dieser Umstände, zugegebenermaßen nicht immer optimal, weil nicht am selben, sondern erst am nächsten Tag, erstellten Feldnotizen werden durch andere Formen der Dokumentation ergänzt. Neben Fotos von Menschen, die oft auf Wunsch der Betroffenen und zu bestimmten Anlässen gemacht werden, werden von mir v.a. auch Küchen, Betten, Häuser wie auch Arbeitsschritte fotografiert sowie die Grundrisse von Häusern, Küchen und anderen Lokalitäten gezeichnet. Im Feldtagebuch wird der jeweilige Kontext beschrieben. Die Bilder stellen, in Kombination mit meinen schriftlichen wie auch graphischen Aufzeichnungen, eine wichtige Erinnerungsstütze dar. Sie zeigen darüber hinaus Veränderungen im Aussehen, vor allem bezogen auf die Kleidung, aber auch das Älterwerden meiner Kontaktpersonen, im Laufe der Zeit. Sie dienen weiters der Festigung der sozialen Bande über die Jahre, wenn ich im jeweiligen Folgejahr die Fotos des vorangegangenen Jahres mitbringe

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oder wir gemeinsam, jene aus der Vergangenheit betrachten (und über die damaligen Geschehnisse reflektieren, was zu weiteren und für mein Thema interessanten Einsichten und Informationen führen kann). Das gilt in erster Linie für die Abbildungen von Menschen, teilweise auch von Arbeitsschritten und Ereignissen. Insbesondere in Hinblick auf Wohnformen und Einrichtungsgegenstände lege ich aus anderen Gründen Wert darauf, bei jedem Aufenthalt neue Bilder zu machen. Gilt es doch die Veränderungen der Hausstruktur als Ausdruck sozialer Transformationen festzuhalten. Aus diesem Grund erstelle ich auch die bereits erwähnten Haus- und Küchenpläne mit Aufzeichnungen, wo sich die Türe, die Fenster, die verschiedenen Wohnräume und Einrichtungsgegenstände befinden. Auch diese werden bei jedem Aufenthalt erneut erstellt, um so erfolgte Neuerungen und Änderungen zu dokumentieren. Einerseits lassen sich darüber finanzielle Situiertheiten feststellen. Im Anschluss an ökonomisch fruchtbare Monate können in der Regel bauliche Veränderungen in Form von Hauserweiterungen und -ausbauten wie auch Verbesserungen, insbesondere der sanitären Verhältnisse, bemerkt werden. Andererseits verweisen Umstrukturierungen in den Innenräumen auch auf Transformationen innerhalb der Hausgruppen: wenn beispielsweise anstelle einer, plötzlich zwei Feuerstellen, vor allem aber eine zweite metate, d.h. ein Mahlstein, zum Zerreiben von Mais und anderen Nahrungsmitteln, in einem tochterlosen Haushalt in der Küche zu finden sind bzw. ist, so deutet das womöglich auf den Einzug einer Schwiegertochter ins Haus; oder wenn eine zweite Küche eingerichtet ist, ist das ein starker Hinweis auf die beginnende Ablösung eines Junior- vom Haupthaushalt. Wenn ein Teil des Hauses mit Tüchern und Plastik abgegrenzt und so ein eigener „privater“ Bereich für den Sohn_die Tochter des Hauses und seiner_ihrer Familie geschaffen ist, zeigt sich ein weiterer Schritt der Separierung (vgl. dazu Kapitel V.1.2 und V.1.3). Zu den Küchen- und Hausplänen verfasse ich, ähnlich wie zu den Fotos, ergänzende und erläuternde Bemerkungen, wie auch Beschreibungen in den Feldnotizen. Darüber hinaus fertige ich von bestimmten Tänzen und Musikstücken Tondokumente an. Diese dienen, ähnlich den Fotos von Menschen, Arbeitsschritten und Ereignissen, primär der Erinnerung und sie erweisen sich für weitere Kontakte und Forschungen als sehr hilfreich: dass ich Ernesto, dem „Bandleader“, einer der Musikgruppen aus Tzinacapan, eine Kopie der, bei einem der Auftritte, aufgenommenen Musik, samt den damals gemachten Fotos, im Zuge meines Feldaufenthalts im Folgejahr, mitbringe, führt dazu, dass ich zur Teilnahme an diversen Festen (auf denen die Band spielt) aufgefordert werde. Es ist darüber hinaus auch der Beginn einer guten Freundschaft mit Ernesto und vor allem seiner Frau Christina. Zusätzlich gibt es auch Videoaufnahmen, die allerdings nicht von mir erstellt werden. Vielmehr ist es in San Miguel in den letzten Jahren üblich geworden, besondere Ereignisse, wie Hochzeiten oder die Durchführung eines vom betreffenden Haushalt gesponserten Festes, zu filmen. Noch 2007 allerdings erfolgt die Aufnahme von Szenen einer mayordomía, eines Festes für ein_n der Heiligen, im Verborgenen: eine der anwesenden indigenen Frauen „hat eine Videokamera in einem Plastiksack, meint sie wolle alles aufnehmen. ,Me gusta a taparlo‘, meint sie dazu“ (Feldnotizen 29.9.2007). Nicht diese, aber andere, später erstellte, Dokumentationen führen mir meine Gastleute jeweils voller Stolz vor, was dazu führt, dass ich Beobachtungen mehrfacher Art machen kann: Zum einen zeigen die Aufnahmen, welche Szenen bei Hochzeiten, Festen, etc., den Filmemacher_inne_n jeweils wichtig sind und darüber

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hinaus – wie auch im Falle vieler der Aufnahmen von Interviews –, wie sich die Leute selbst repräsentieren wollen. 19 Zum anderen aber kann ich beobachten, wie die Leute auf ihre eigenen Filme reagieren. Dazu kommen die Kommentare und Erläuterungen der einzelnen Szenen. Und es zeigt sich, wie die Aufgabenverteilung und der Zeitplan funktioniert, wenn es darum geht, der hauseigenen Anthropologin den Film nicht nur vorzuführen, sondern auch eine Kopie für sie zum Mitnehmen machen zu lassen. Im Zuge meiner Aufenthalte im Feld, erhalte ich also eine Vielzahl an Informationen, die in unterschiedlicher Weise aufgenommen und dokumentiert werden. Bevor ich weitere, ergänzende Formen der Datenerhebung beschreibe, möchte ich näher auf das von mir gewählte Setting und damit einhergehend, das Sample eingehen. III.2.1.2 Zugang zum Setting und Auswahl des Samples Soziale Beziehungen, als Teil und Ausdruck von Autoritäts- und Machtverhältnissen in ihren jeweiligen kontextuellen Besonderheiten, lassen sich am besten im Alltagsleben beobachten. Wo aber wird dieses Alltagsleben deutlicher als in den unmittelbaren Lebenszusammenhängen? Diese unmittelbaren Lebenszusammenhänge finden sich in Cuetzalan in erster Linie im Haushalt, als einer Einheit von Menschen, die in einer dichten Überschneidung von Wohnen, Arbeit und Konsum miteinander verbunden sind. Der Haushalt stellt das Zentrum der tagtäglichen sozialen und ökonomischen Aktivitäten dar, weswegen ich meinen Forschungsschwerpunkt – ganz im Sinne meiner Forschungsfrage – auch dorthin lege. Die Entscheidung dafür, den Hauptfokus auf einen spezifischen Haushalt bzw. eine Hausgruppe20 zu legen, ist aus forschungstechnischen Gründen naheliegend. Für eine_n Einzelforscher_in ist es nicht möglich, in derselben Intensität, mehrere Wohneinheiten zu erfassen, in mehreren Häusern gleichermaßen „teilnehmend“ zu beobachten und zu leben. Gerade für die Herausarbeitung der tatsächlichen sozialen Praktiken aber, ist eine einigermaßen durchgängige Teilnahme am Alltagsleben von entscheidender Bedeutung. Erfolgen doch Aushandlungen und Auseinandersetzungen, betreffend die Umsetzung sozialer Werte und kultureller Bedeutungen beim gemeinschaftlichen Arbeiten, beim Essen, zwischen Eheleuten oder Geschwistern, Eltern und Kindern, etc., zu allen Tages- und Nachtzeiten, kurz vorm Schlafengehen, ebenso wie schon oder noch im Bett, wie auch unmittelbar nach dem Aufstehen, oder irgendwann während des Tages. Ich konzentriere mich folglich auf eine Hauseinheit (zur Auswahl siehe unten). Darüber hinaus fließen aber auch Daten aus anderen Haushaltsgruppen in die Untersuchung mit ein, wobei die Intensität der Beobachtungen und Befragungen und damit auch die Dichte der Informationen sehr unterschiedlich sind. Insbesondere mit meiner Schwerpunktgruppe über verwandtschaftliche und andere Bande verbundene Haushalte, spielen in meinen Erhebungen eine größere Rolle, alleine schon dadurch, 19 In vielen Fällen aber zeigt sich auch in den Filmen ein gewisses „Schreckmoment“, wenn jemand bemerkt, dass er_sie gefilmt wird. 20 Zur Problematik Haushalt zu definieren und zu den Veränderungen von einem Haushalt hin zu mehreren Haushalten innerhalb eines Hauses, vgl. Kapitel II.2, sowie Kapitel V.1.2 und V.1.3. Ich verwende hier und im Folgenden, zur Vermeidung von allzu häufigen Wortwiederholungen, neben Haushalt, die etwas unpräzisen Termini „Hausgruppe“ bzw. „Wohneinheit“ oder auch „Wohngruppe“ u.ä.

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als sich die Beziehungen der Haushaltsmitglieder, in ihren sich verändernden Bedeutungen, nicht alleine auf die Einwohner_inne_n eines Hauses beschränken lassen. Daneben werden – gewissermaßen zu Vergleichs- (und Ergänzungs-)zwecken – auch weitgehend vom Schwerpunkthaushalt unabhängige häusliche Gemeinschaften herangezogen. Die Erfassung der Daten erfolgt hier, wie im Falle der verwandten und freundschaftlich mit meinem Schwerpunkthaushalt verbundenen Einheiten, einerseits über Gespräche und Interviews, sowohl mit Einwohner_inne_n der betreffenden Häuser, als auch mit anderen Personen, denen Haus und Zugehörige bekannt sind. Ergänzt werden diese Informationen durch Beobachtungen im Zuge häufiger, mehrstündiger Besuche. Insgesamt werden 59 Haushalte – davon acht mestizische aus der Distrikthauptstadt Cuetzalan und einer aus der Gemeinde Tehuantepec, 44 aus dem vorwiegend von maseualmej bewohnten San Miguel Tzinacapan und sechs aus dem nahegelegenen, ebenfalls indigen dominierten Ajotzinapan – ins Sample integriert. Im Falle der von meiner Gastfamilie unabhängigen Wohngruppen, achte ich darauf, eine Bandbreite unterschiedlicher Typen zu berücksichtigen, um so die Grundlagen für eine intersektionelle Analyse zu erlangen. Die unterschiedlichen comunidades – Cuetzalan als Distrikthauptstadt, San Miguel Tzinacapan als eigene Gemeinde mit eigenem presidente auxiliar und Gemeinderat, sowie Ajotzinapan, als San Miguel Tzinacapan unterstellter und von diesem abhängiger Ortschaft (vgl. dazu Kapitel IV.3.3) – werden bei der Auswahl ebenfalls beachtet. Damit einher gehend, bestehen zwischen den Haushalten Differenzen in der ökonomischen Ausrichtung, von stärker auf die Landwirtschaft fokussierten (vorwiegend in Ajotzinapan und Tzinacapan), bis zu stärker im Tourismus aktiven Einheiten (primär in Cuetzalan und Tzinacapan), wobei allerdings alle Familien eine Mischung unterschiedlichster Aktivitäten zur Einkommensgenerierung betreiben. Mestizische Unterschichtshaushalte bilden ebenso Teil meines Samples, wie indigene Haushalte mit marginalen wie auch mit üppigen Ressourcen, d.h. arme, etwas besser gestellte wie auch verhältnismäßig wohlhabende Einheiten werden berücksichtigt. Nicht integriert sind solche der „weißen“, wie auch mestizischen Mittel- und Oberschicht, des México imaginario, in den Worten des mexikanischen Anthropologen Bonfil Batalla (2002: xvi et al.). Der Unterschied in kulturellen Werten und Lebensweise, sowohl zu ärmeren mestizischen, als auch indigenen ärmeren wie auch wohlhabenderen Haushalten – Bonfil Batallas México profundo (ibid.: xv) –, ist zu groß, als dass ihre Einbeziehung sinnvoll wäre.21 Darüber hinaus wäre mir der Zugang zum México imaginario alleine dadurch zumindest erschwert, als meine intensiven Kontakte zu indigenen und Unterschichtshaushalten, wie sich immer wieder zeigt, höchstes Misstrauen bei Menschen der oberen sozialen Klassen hervorrufen (und umgekehrt, meine Beziehungen zu den Angehörigen des México profundo, durch engere Bezüge zur lokalen Elite, mit großer Wahrscheinlichkeit negativ beeinträchtigt würden). Dem notwendig resultierenden Loyalitäts21 Es gibt eine starke Orientierung des México imaginario an Europa und den USA (vgl. dazu u.a. Bonfil Batalla 2002: 55-7 et al.), während das México profundo Bonfil Batalla zufolge (ibid. lfd.), gewissermaßen eine Fortführung der mesoamerikanischen Zivilisation darstelle. Tatsächlich sind viele, der von ihm beschriebenen Merkmale des México profundo, Ergebnis der Besonderheiten der kolonialen und postkolonialen Geschichte Mexikos (siehe Kapitel IV.2.1, IV.3 und IV.4).

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konflikt kann ich mich nur durch eine Fokussierung auf die sozialen Unterschichten entziehen. Neben der Berücksichtigung der genannten örtlichen, ethnischen und Ressourcendifferenzen, variiert auch die Größe, und damit in Verbindung, der Typus der Haushalte beträchtlich, von einer Person bis 19 Einwohner_innen umfassend, vom solidarity bis zum extended family household (vgl. Kapitel II.2), wobei dieses Merkmal allerdings in häufiger Veränderung begriffen ist (vgl. Kapitel V und VI). Wie aber komme ich zu diesen Haushalten? Wie erfolgt die Auswahl im Konkreten? Hammersley und Atkinson (1995: 133) verweisen darauf, dass nicht unbedingt der_die Forscher_in seine_ihre Informant_inn_en auswählt, sondern es umgekehrt auch vorkommen kann, dass letztere sich selbst ernennen. In ähnlicher Weise wähle nicht ich meinen Schwerpunkthaushalt aus, vielmehr wählt der Haushalt bzw. eine Vertreterin desselben mich aus. Dabei ergibt sich diese „Auswahl“ aus einem Zusammenwirken von zumindest zwei Faktoren. Den ersten dieser beiden Faktoren stellt meine Begegnung mit Navedad, im Zuge meines sondierenden Feldaufenthalts im Dezember 2003, dar. Auf der Suche nach Kontaktpersonen, widme ich mich mit Hingabe einer der klassischen Beschäftigungen von Ethnograph_inn_en, nämlich dem hanging out auf öffentlichen Plätzen,22 in diesem Fall, dem Marktplatz von Cuetzalan. Verschiedenste Verkäufer_innen von Kunsthandwerk (artesanía) preisen mir ihre Waren an, versuchen mir ein Armband, einen Schlüsselanhänger oder auch eine Kindertrage zu verkaufen. Mit einigen von ihnen, darunter auch Navedad, komme ich ins Gespräch. Vor allem die Tatsache, dass ich länger bleibe, nicht nach ein oder zwei Tagen wieder weg bin, wie die meisten Tourist_inn_en, macht mich für die Frauen und Männer interessant. Es gibt Gespräche, Einladungen nach San Miguel Tzinacapan zu kommen, dem Ort aus dem die meisten von ihnen stammen, folgen bald:23 „Zurück in Cuetzalan treffe ich einige der artesanía-Verkäuferinnen am Markt: Navedad, eine Frau, die ich neu kennenlerne, und Marina laden mich zu sich nach San Miguel ein“ (Feldnotizen 15.12.2003). Am nächsten Tag betrete ich das erste Mal das Haus meiner künftigen Gastfamilie: „Ich geh nach San Miguel. Ich treffe Navedad am Weg. Sie führt mich zu ihrem Haus“ (Feldnotizen 16.12.2003), das am Rande des Ortes liegt. Was mir bereits bei der ersten Begegnung mit meiner künftigen Freundin besonders ins Auge sticht ist die Tatsache, dass sie dem Idealbild einer Nahua-Frau aus San Miguel, wie es auf zahlreichen Bildern der Tourismuswerbung für Cuetzalan zu finden ist (vgl. u.a. URL 11), vollkommen zu entsprechen scheint: blitzsauber, barfuß, bekleidet mit einem dicht gerafften weißen Rock, der mit einem, auf roter Grundfarbe, mit Blumenmuster verzierten breiten Gürtel, zusammengehalten wird, und einer weißen, farbig bestickten Bluse. Um den Hals trägt sie einen Spitzenhuipil, ein feines ponchoartiges Gewebe, dessen spitze Enden über Brust und Rücken reichen, sowie eine vorne rote Kette, die 22 Zur Bedeutung des hanging out für die Ethnographie, vgl. u.a. Bernard (2011: 277-8). 23 Überlegungen nach San Miguel zu gehen, tauchen bereits eine Woche früher auf (vgl. Feldnotizen 6.12.2003) und fünf Tage später mache ich mich erstmals auf den Weg und werde dort von einer zufälligen Bekanntschaft am Weg sogleich eingeladen, an einem Fest anlässlich einer Taufe teilzunehmen (Feldnotizen 11.12.2003). Dieses Ereignis unterstreicht die Bedeutung des unstrukturierten Herumgehens und hanging out, für die Feldforschung.

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hinten mit herabhängenden bunten Bändern bestückt ist. Sie hat lange, silbrig glänzende Ohrringe und trägt die traditionelle Frisur der verheirateten weiblichen Erwachsenen, d.h. die Haare in zwei Strähnen nach vor gezogen und am Scheitel doppelt überkreuzt verschlungen, die Spitzen nach außen gezogen. Auch ihr Haus entspricht stark meinen Vorstellungen indigenen Wohnens (geprägt von dem Vorurteil, dass Indigene per se „arm“ seien und über wenige Möglichkeiten der „modernen Zivilisation“ verfügten!) – mit Erdboden und einer offenen Feuerstelle mit Dreifuß für den comal, der tönernen oder metallenen Scheibe zum Backen der tortillas, in der Küche24 – noch dazu, als bei meiner Ankunft die Schwiegertochter in der Küche am Hüftwebstuhl sitzt, beschäftigt mit der Herstellung eines huipils (ibid.). Dennoch ist meine erste Ansprechpartnerin für eine Unterkunft ein Jahr später, als ich, gemeinsam mit meiner damals neun-jährigen Tochter, zu einem längeren Aufenthalt zurückkomme, nicht Navedad, sondern Angelika aus dem Nachbarhaus, die diesem scheinbar indigenen Ideal in weit geringerem Maße entspricht. Angelika trägt zwar die klassische bestickte Bluse, wie sie für die Frauen der Region typisch ist, dazu aber einen grünen Faltenrock und Plastikschuhe. Sie trägt zwar lange Ohrringe, aber keine rote Kette und keinen huipil und sie hat auch keine Bänder, die den Rücken hinab hängen. Ihr Haar ist zu einem langen Zopf geflochten. Ihr Haus wirkt „moderner“, innen mit Betonboden und mit einem Flachdach bedeckt, während das Haus, in dem Navedad lebt, mit einem Pultdach, bestehend aus roten Dachziegeln, ausgestattet ist. Und hier kommt nun der zweite Faktor ins Spiel, der zu meiner Auswahl durch Navedads Haushalt führt. Angelika, die mich mehrmals und eindringlich eingeladen hat, doch das nächste Mal, wenn ich komme, unbedingt bei ihr zu wohnen, ist nicht zu Hause und ihre Mutter erkennt mich nicht, als ich ein Jahr später mit Kind und Kegel in ihrem Wohnzimmer stehe. Ich frage daher nach Navedad, die, wie erwähnt, im Nachbarhaus residiert, in der Hoffnung, dass diese sich an mich erinnert. Und das tut sie auch, zieht mich sogleich in ihr Haus, mit der ausdrücklichen Einladung bei ihr zu wohnen und mich wie zu Hause fühlen (Feldnotizen 13.7.2004). Die Wahl der anderen untersuchten Haushalte ergibt sich aus einer Mischung aus Zufall und Absicht. Zum einen pflege ich meine Bekanntschaften aus dem Jahr 2003, wie auch der Folgejahre, besuche die mestizischen wie auch indigenen Frauen und Männer in ihren Häusern und lerne so ihre Familien kennen. Zum anderen ergeben sich nach und nach zu den Verwandten, Nachbar_inne_n und näheren Bekannten meines Gasthaushaltes engere Bindungen und in Folge intimere Kenntnisse der häuslichen Beziehungen. Aus diesem Pool von Leuten (und Haushalten) wähle ich schließlich auch meine Partnerinnen für längere informelle Gespräche und stärker strukturierte Interviews, bezogen auf Kindheitserfahrungen und eheliche wie auch sonstige häuslichen Beziehungen, in dem Bestreben über möglichst umfassende, ergänzende Informationen zu den Lebensbedingungen zu verfügen. Auf diese Art der Datenerhebung, die einerseits eng mit der teilnehmenden Beobachtung verbunden ist, diese andererseits ergänzt (vgl. Hammersley/Atkinson 1995: 139ff.), gehe ich im folgenden Abschnitt ein.

24 Siehe dazu Kapitel V.1.1.3 und V.1.2.

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III.2.2 Informelle Gespräche und andere Formen von Interviews „Unstructured interviewing goes on all the time and just about anywhere – in homes, walking along a road, weeding a millet field, hanging out in bars, or waiting for a bus.“ (BERNARD 2011: 156; HERVORHEBUNG IM ORIGINAL) „[…] informal interviewing [is] characterized by a total lack of structure or control. The researcher just tries to remember conversations heard during the course of a day in the field.“ (IBID., HERVORHEBUNG IM ORIGINAL)

Bezieht sich das informelle Interview auf jegliche Art von Gespräch im Verlauf der Feldforschung, so ist das unstrukturierte Interview im eigentlichen Sinne stärker gelenkt, als es einen stärker formellen Charakter hat: „You sit down with another person and hold an interview. Period. Both of you know, what you’re doing, and there is no shared feeling that you’re just engaged in pleasant chitchat. Unstructured interviews are based on a clear plan that you keep constantly in mind, but are also characterized by a minimum of control over people’s responses. The idea is to get people to open up and let them express in their own terms.“ (ibid.: 157)

Das hier beschriebene „unstrukturierte“ wie auch das „informelle Interview“, in Folge auch als „(informelles) Gespräch“ bezeichnet, sind das A und O jeder Feldforschung. Bernard (ibid.) beschreibt die beiden folglich als wichtige Grundlage zum Aufbau einer Beziehung, die die Basis für stärker strukturierte, formellere (semistrukturierte) Interviews liefert (ibid.: 158-9, 164-5). Unstrukturierte Interviews sind weiters „perfect for talking to informants who would not tolerate a more formal interview“ (ibid.: 158). Gerade wenn Alltagspraxen untersucht werden, ist es darüber hinaus den Teilnehmer_inne_n oft nur schwer möglich, „entspannt zwei Stunden über ihr Leben sprechen zu können“ (Lüders 2004: 393). Entsprechend einer flexiblen Adaptierung an eine gegebene Situation und einen bestimmten Forschungsgegenstand, ist es in der Regel sinnvoll, die jeweils angemessene Interviewtechnik auszuwählen (ibid.) und nicht vorweg eine bestimmte Variante zu privilegieren. Je nach Thema und dem jeweiligen Kontext entsprechend, kann sich die eine oder andere Methode als zielführender erweisen. Während meiner Feldforschungen führe ich folglich – neben unmittelbaren Beobachtungen –, vor allem Gespräche, in Form von informellen und unstrukturierten Interviews nach Bernard (2011: 156), zur Informationsbeschaffung,25 aber auch mehrere lebensgeschichtliche, teilstrukturierte Interviews mit Frauen. Acht im Jahr

25 Die Daten von insgesamt 398 Personen fließen in der einen oder anderen Weise in die Auswertung ein, davon 189 weibliche maseualmej und 142 männliche, sowie 39 mestizische Frauen und 28 mestizische Männer aus Cuetzalan, Puebla Stadt und Mexiko Stadt.

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2005,26 vier im Folgejahr 2006;27 alle bis auf zwei28 davon, auf Tonband aufgenommen und alle, bis auf eines,29 auf Spanisch. Drei der 2006 aufgezeichneten Interviews werden, von mir ursprünglich nicht intendiert, auf ausdrücklichen Wunsch der drei Gesprächspartnerinnen, durchgeführt.30 Nicht intendiert deshalb, da ich davon abgekommen bin, weitere formelle Interviews, womöglich mit Tonband aufgenommen, durchzuführen.31 Es hat sich herausgestellt, dass informelle Gespräche, die sich in verschiedensten Zusammenhängen, 32 von unterschiedlichster Dauer und zu unterschiedlichsten Themen ergeben, weit produktiver sind als vereinbarte und unmittelbar dokumentierte Befragungen, welcher Art auch immer. 33 Tiefergehende Einsichten erlange ich in allen Fällen erst nach und nach, im Laufe der Jahre und im Zuge des wachsenden Vertrauensverhältnisses mit meinen Gesprächspartner_inne_n, die mittlerweile weit mehr als einfach Bekannte oder „Informant_inn_en“, nämlich Freund_inn_e_n sind. Biographische Details kommen, in den Worten von Christian Lüders, „in unterschiedlichen Situationen und Zusammenhängen, bruchstückhaft, konzentriert in ungezählten Anekdoten, durchdrungen von Widersprüchen und aktuellen Einfärbungen, zur Sprache“ (Lüders 2004: 393-4). Mit Männern kann und will ich nur ausnahmsweise derart enge Bindungen entwickeln, in erster Linie, um meine Beziehungen mit den Frauen nicht zu gefährden (wenngleich sich auch von Männern mit der Zeit, über die oben angesprochene „bruchstückhafte Methode“, biographische Details herausfiltern lassen). Im Falle einer größeren emotionalen Nähe zu einem Mann, wie sie mit intimeren Gesprächen womöglich entstehen würde, würde mir womöglich ein sexuelles Interesse am Ehemann, Vater oder Bruder einer meiner Freundinnen unterstellt werden. Das scheinen auch die Männer so zu sehen (die ihre Beziehungen zu ihren Ehefrauen, Müttern und Schwestern nicht gefährden wollen). Sobald ich persönliche Fragen bezogen auf Heirat und Familie stelle, werde ich von den meisten von ihnen auf die Ehefrau, Schwä26 27 28 29 30 31

Nämlich Tz 2; Tz 5; Tz 6; Tz 7; Tz 16; Tz 17; Tz 19 und Tz 21. Tz 13; Tz 15; Tz 18 und Aj 20. Tz 13 und Tz 18. Tz 2. Tz 15; Tz 18 und Aj 20. Das Interview mit Tz 13 hingegen ist von mir gewollt und geplant. Bis zum Zeitpunkt des Interviews ist unsere Beziehung nicht sehr eng, weswegen sich unsere Gespräche eher in Nebensächlichkeiten erschöpfen. Das geführte Gespräch sollte mir nähere Informationen über ihr Leben, ihre Gefühle, etc. geben. In späteren Jahren wird der Kontakt enger, vieles des damals Gesagten, wird bestätigt, ergänzt, modifiziert. 32 Z.B. auf gemeinsamen Reisen, beim „Herumlungern“ am Markt, bei Spaziergängen, wobei diese wie auch das „Herumlungern“ seitens der Frauen, mit der Suche nach bzw. dem Warten auf kauffreudige_n Tourist_inne_n. verbunden sind/ist, etc. 33 Zur Problematik der Dokumentation in bestimmten ethnographischen Zusammenhängen, vgl. auch Hammersley/Atkinson (1995: 108-9). Weiters weisen sie darauf hin, dass es in bestimmten Kontexten zielführender sein kann, auf andere Arten von Erhebungen als gezieltes Fragen, das womöglich als bedrohlich empfunden wird, zu fokussieren (ibid.: 1278). Darüber hinaus lassen sich Relevanz und Qualität der Daten aus Interviews nicht immer vorhersagen und können beträchtlich variieren (ibid.: 139). Siehe dazu auch meine Ausführungen weiter unten.

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gerin, Mutter, oder sonst eine weibliche Person des Haushalts verwiesen. Umgekehrt heißt es lange Zeit bei allen Fragen, die den Mais- oder Kaffeeanbau betrafen, ich solle mich an die Männer wenden (was auch auf die geschlechtliche Arbeitsteilung und Rollenverteilung verweist). 34 Die von Männern erhaltenen Informationen sind folglich meist eher praktischer, manchmal auch religiöser Natur. – Aber selbst bezogen auf diese scheinbar beziehungsneutralen Themen, können sich zweideutige Situationen, wie die folgende, ergeben: Ich dränge wiederholt darauf mit einem der Männer mit aufs Feld, genannt rancho bzw. milpa (siehe Kapitel IV.2.2 bis IV.2.5), gehen zu dürfen, um die damit einhergehenden Arbeitsschritte nachvollziehen zu können.35 Nur unwillig wird mir diese Bitte erfüllt; in einem Fall heißt es, der achtjährige Sohn müsse mitgehen, was mich verwundert. Erst später erfahre ich, dass das rancho der traditionelle Ort für junge, manchmal auch ältere Paare ist, ihre Sexualität auszuleben. Dementsprechend interessiert sind alle, von meinen Erlebnissen am rancho (wo ich schließlich auch ohne kindlichem „Begleitschutz“ war) zu hören und auch Jahre später noch, ist mein Besuch am rancho Gesprächsthema. Eine Interviewführung mit den Frauen gestaltet sich in den meisten Fällen schwierig, nicht zuletzt deshalb, weil ich – nach einer potentiellen Zusage und womöglich auch einer Terminvereinbarung – die jeweilige Frau oft mehrere Male besuchen muss, bis das Interview tatsächlich durchgeführt werden kann. Für ein solches formelles Gespräch muss ich in der Regel einen bis mehrere Tage einplanen. Denn oft ist der Weg weit und darüber hinaus bei starkem Regen für mich nur schwer oder gar nicht zu bewältigen. Dazu kommt das übliche socializing, sprich ich muss zumindest einen Kaffee trinken, womöglich auch zum Essen bleiben. Darüber hinaus muss ich die, von meiner potentiellen Interviewpartnerin hergestellte, artesanía, nicht nur bewundern, sondern möglichst auch davon kaufen. Manchmal hat die Frau auf unser Treffen vergessen, manchmal ergeben sich andere wichtige Termine oder Arbeiten, oder aber es ist gerade Besuch da bzw. ereignete sich sonst etwas, was die Befragung ver- oder zumindest behindert. Teilweise sind diese Be- und Verhinderungen auch gezielt herbeigeführt, da die Frauen Angst vor dem Interview haben. Diese Angst zeigt sich beispielsweise darin, dass sie immer wieder betonen, sie hätten doch nichts zu sagen, sie würden zu wenig oder zu schlecht Spanisch sprechen, ich solle doch su señor36 fragen, der wisse weit besser Bescheid (wie z.B. Tz 7). 37

34 Allerdings hat sich das geändert. Mittlerweile erhalte ich auch von Frauen detaillierte Arbeitsbeschreibungen zum Anbau und zur Pflege des Mais, wie auch eventuelle religiöse Erläuterungen und es gibt einzelne Männer, mit denen mich eine tiefe Freundschaft verbindet. 35 Das erscheint mir deshalb nicht als ungehörig, als es auch als völlig „normal“ angesehen wird, dass ich oft tagsüber als einzige Frau mit einem oder mehreren der Männer im Haus bin. Ja, selbst das gemeinsame Schlafen, von nicht in einer eheartigen Beziehung miteinander verbundenen Männern und Frauen, in einem Zimmer, erscheint niemandem verwerflich und ist, aus Sicht der maseualmej, einem Alleinbleiben einer Frau im Haus über Nacht, unbedingt vorzuziehen. Diesbezüglich spielen allerdings Alter und Heirats- wie auch Verwandtschaftsstatus der betreffenden Personen, eine entscheidende Rolle. 36 Übersetzt „ihren Herrn“, sinngemäß ihren Ehemann bzw. Lebensgefährten. Umgekehrt gilt die Ehefrau/ Lebensgefährtin als su señora.

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Dann spreche ich – auf Drängen der Frau – mit dem Mann, erkläre, dass ich mit der Frau über ihr Leben, ihre Erfahrungen sprechen wolle, der Mann erklärt das seiner Frau. Die Frau meint, sie wolle gerne darüber sprechen, habe im Moment aber keine Zeit oder müsse noch schnell… Inzwischen ist Besuch gekommen, es muss Kaffee getrunken und gegessen werden. Schließlich ist es spät und das Interview muss auf einen der nächsten Tage verschoben werden… Mehrere Male ereignen sich Verzögerungen dieser Art. In einem Fall (Aj 20) wird das Interview – auf ausdrücklichen Wunsch der Frau – in Anwesenheit des Mannes durchgeführt. Das aber heißt, dass wir warten müssen, bis der Mann nach Hause kommt und Zeit hat – d.h. es sind mehrere Besuche notwendig, bis das Gespräch stattfinden kann. Das Interview selbst ist insofern interessant, als sich in Folge eine Art Dialog zwischen den beiden ergibt, in dem sie über ihre Heirat, ihre Ehe, den Hausbau, etc. berichten und einander ergänzen, teilweise auch widersprechen. In zwei Fällen sind Sprachprobleme nicht einfach vorgeschoben, um so dem Interview möglicherweise zu entgehen. Es handelt sich um ältere Frauen, die kaum Spanisch sprechen (dieses allerdings verstehen). Ich verstehe zu dieser Zeit zwar etwas Nahuat, aber zu wenig, um ein Interview in dieser Sprache durchzuführen. In einem Fall (Tz 17) erzählt die Tochter die Lebensgeschichte ihrer Mutter – es ist der Wunsch der Tochter das zu tun, da sie meint, ihre Mutter habe „so viel gelitten“ („ha sufrido mucho“) (Feldnotizen 21.2.1005). Diese Narration, deren zentraler Inhalt die Eltern betreffend, einige Jahre später durch den Sohn bestätigt wird, ist lang und ausschweifend, mit vielen persönlichen und emotionalen Kommentaren. Ich kann vieles über die Beziehungen zwischen Mutter und Tochter, der Tochter (wie auch der Mutter) zum Vater (bzw. Ehemann) und zum Bruder (bzw. Sohn) herauslesen. Im anderen Fall ist es die Schwiegertochter, die die Erzählung einer alten Frau (Tz 2) auf Spanisch zusammenfasst. 38 Die erhaltenen Informationen fallen dem entsprechend knapp und unpersönlich aus. Auf Probleme mit dem Ehemann oder Sohn oder gar der Schwiegertochter wird, wie zu erwarten ist, nicht eingegangen. Eine weitere Schwierigkeit bei den Interviews ergibt sich aus meinem Versuch, das Gesagte mittels Aufnahmegerät zu dokumentieren (wobei selbst Mitschreiben von den Frauen als irritierend empfunden wird). Aus einem lockeren, angenehmen 37 Interessanterweise sind es vor allem Frauen mit eher harmonischen ehelichen Beziehungen (wie ich im Laufe der Jahre feststellen kann), die mich an den señor verweisen, während die Frauen mit ehelichen Gewalterfahrungen (zumindest nach der Trennung vom Mann oder dessen Tod), sehr offen darüber sprechen und keinerlei Scheu haben, ein Interview zu geben, ja womöglich selbst darauf drängen, dass ich ihr Leben und Leiden dokumentiere (wie beispielsweise Tz 19). 38 Ich weiß zunächst nicht, dass die Schwiegertochter anwesend sein wird und will das Interview ursprünglich zwar mit spanischen Fragen, aber Antworten auf Nahuat führen. Ich gehe davon aus, dass mit der Zeit entweder mein eigenes Nahuat gut genug wäre, die in dem Gespräch getätigten Aussagen der Frau richtig zu verstehen, oder aber ich eine_n Übersetzer_in finden könnte. Natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass die Qualität des Interviews unter dieser Vorgangsweise leiden würde, aber mir erschien es als ein interessantes und daher auszuprobierendes Experiment: was erzählt eine Frau, die mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen kann, dass das, was sie sagt, von ihrer Gesprächspartnerin schlecht, bis gar nicht verstanden wird.

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Gespräch wird per Knopfdruck (mit dem Einschalten des Aufnahmegeräts) eine eher verkrampfte, oft monotone Beschreibung aufeinanderfolgender Ereignisse oder Arbeitsschritte wie: „Als ich klein war arbeiteten wir viel. Der Vater säte Mais aus. Danach gingen wir den Kaffee zu ernten. Nach dem Kaffee kam der Pfeffer…“. Einmal allerdings vergisst meine Interviewpartnerin aufgrund einer persönlichen Krise, in der sie sich befindet, auf das Tonband und erzählt mir ihre Leidensgeschichte der neueren Zeit (Tz 16). Eine andere Frau (Tz 13) weist von vornherein meinen Wunsch, das Interview wie auch immer zeitgleich zu dokumentieren zurück. Auch sie befindet sich in einer Krisensituation und nutzt das Gespräch, über ihre Schwierigkeiten zu sprechen. In diesem Fall, wie im Falle aller anderen Gespräche und Ereignisse, verfasse ich anschließend ein Gedächtnisprotokoll. Trotzdem die mir in den Interviews vermittelten Informationen in der Regel harmlos und wenig persönlich sind,39 gibt es eine überraschend große Angst, jemand anderer könnte das Tonband abhören. Immer wieder muss ich betonen, dass niemand außer mir die Geschichte zu hören bekommt. Ich werde schließlich selbst so paranoid, dass ich das Gefühl habe, jemand habe sich an meinen Sachen zu schaffen gemacht und eines der Bänder abgehört (wobei ich das einzige auf Band aufgenommene persönliche Gespräch, das möglicherweise problematisch sein könnte, das allerdings unberührt wirkt, ohnehin tief in meinem Rucksack, in einem Geheimfach, versteckt habe). Ich fühle mich schuldig – wenn auch unbeabsichtigt, durch meine Unachtsamkeit – womöglich einen Vertrauensbruch begangen zu haben. Es gibt aber auch die gegenteilige Erfahrung: eine gute Freundin kommt eines Morgens extra ins Haus, um mir ihre (sehr bewegende und durch viele Gewalterfahrungen gekennzeichnete) Lebensgeschichte zu erzählen (Tz 19). Sie beharrt darauf, dass ich ihre Erzählung aufnehme und sie hat auch keinerlei Bedenken oder Ängste, dass irgendjemand aus dem Dorf diese Geschichte hören könnte. Abgesehen von Angelinas (Tz 19) freimütigem Bericht und Josefas (vgl. Interview Tz 17) Erzählung der Leidensgeschichte ihrer Mutter, sowie den beiden „Krisengeschichten“ (Tz 13, Tz 16), sind die Darstellungen der Frauen eher schleppend. Meine Intention, mittels einer erzählgenerierenden Frage, die darauf abzielt, dass die Frauen mir ihr Leben schildern, wie sie aufgewachsen sind, wie sie ihren Mann kennengelernt haben, etc., die Frauen zum Sprechen zu motivieren, erweist sich als Fehlschlag. Vielmehr muss ich auf die vorbereitete (in meinem Kopf gespeichert) Themenliste40 zurückgreifen, in der sich Fragen zur Herkunft, zu den Eltern, zur Kindheit, aber auch zur Jugend, der Heirat, der Ehe, etc. finden. Insgesamt zielt mein Interesse darauf ab, die sozialen Beziehungen der Frauen mit ihrem Umfeld – sei das in der Familie, im Haushalt, in der Gemeinde, wie auch im beruflichen Kontext –, im 39 Ausgenommen sind die von der Tochter erzählte Lebensgeschichte/n einer der beiden alten Frauen (Tz 17), sowie die der beiden Frauen, die das Interview dazu nutzen über ihre aktuellen Probleme zu sprechen (Tz 13 und Tz 16). 40 Im Sinne Hammersley und Atkinson (1995: 152) verwende ich den Begriff der „Themenliste“ und nicht den, in der stärker soziologischen Literatur verbreiteten Terminus „Leitfaden“, um die flexible Umgangsweise herauszustellen, die das Interview eher zu einer Art „aktiven“ Gespräch werden lässt, in dem der_die Forscher_in vor allem die Rolle des_der „aktiven Zuhörers_Zuhörerin“ einnimmt.

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Speziellen aber bezogen auf Frausein41 und Geschlechterverhältnisse, zu beleuchten. Je nachdem, wie sich das Gespräch gestaltet, werden mehr oder weniger Fragen gestellt.42 Die Frauen erzählen allerdings in der Regel nur das, was sie erzählen wollen, unabhängig davon ob und welche Fragen ich stelle. Hinter ihren Narrationen lassen sich in vielen Fällen stark ökonomische Motive erkennen: es gibt ein großes Bestreben eine gewisse Armut herauszustellen, eine Armut nicht an Lebensmitteln, als vielmehr an Geld, um mich zum Kauf von artesanía zu bewegen, oder noch besser, Verkaufskontakte nach Österreich herzustellen. Besonders deutlich wird das in dem bereits genannten Interview (Aj 20), an dem Mann und Frau gemeinsam teilnehmen: Mann: „Mor de ( ) [mhm] (Pause) pasamos a seguir, pero (längere Pause) ahorita cuando menos ya estamos condito, pero: (Pause) contando. [mhm] más para comer tantito (Pause) para lo dinero no“ Frau: „No alcansa ahorita, nunca no nos alcansa (lange Pause) ( )“ (71-78)43

Zwar weist der Mann darauf hin, dass sie ausreichend zu essen hätten, aber sie hätten zu wenig Geld. Die Frau (die mir einiges an artesanía zum Weiterverkauf in Österreich mitgeben will) unterbricht ihn und betont, dass das Geld nicht reicht. Im folgenden Ausschnitt aus demselben Interview, in dem ich danach frage wie alt die beiden bei ihrer Heirat waren, wird dieses wirtschaftliche Bestreben noch offensichtlicher: ((Frage nach dem Alter bei der Heirat)) Mann: „Yo tenía, tenía de [((Frau dazwischen)) „e de yo:, es de dies“] tenía dies, tenía diesiciete [diecisiete]“ ((Frau:)) „Yo quatorze años [¡quatorze!] lo le: de violencia, yo: si si, como yo, de lo, yo tenía miedo de mi papa, porque me va a regañar, porque siempre así hacía [si:], si, lo es muy eno– enojoso, si [mhm, mhm], por eso fue, es de [längere Pause] pues, ahorita estamos bien, pero (Pause) ps, es que no más que n– que no hay dinero aquí. Si como se compra unos para gasto, es muy caro ahorita en Cuetzalan [si] si:, para, para con jítomato, ahorita está caro […]“ (ibid.: 95-109)

Ich erhalte zwar eine Antwort auf meine Fragen nach dem Heiratsalter, ja auch eine Begründung, warum dieses im Falle der Frau so niedrig ist, im nächsten Satz aber, wird erneut die aktuelle schlechte ökonomische Situation angesprochen.

41 Die Themenliste wird noch unter der alten Fragestellung entwickelt, die auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede im Frausein und damit einhergehend der Genderverhältnisse bei historischen und rezenten Nahua abzielt (siehe Kapitel I.1). 42 Zur Bedeutung einer flexiblen Umgangsweise mit vorbereiteten Themenlisten, vgl. Hammersley/Atkinson (1995: 152). 43 Die Interviews werden sehr genau transkribiert, mit allen Unverständlichkeiten, Sprachfehlern, Pausen, etc. Sprachfehler ergeben sich zum Einen aus der Qualität der Aufnahme (durch die manche Wortteile unverständlich sind), zum Anderen aus dem speziellen Spanisch der cuetzaltekischen Landbevölkerung, insbesondere der Indigenen, deren Muttersprache in der Regel Nahuat ist.

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Was sich sehr schön zeigt, sind die unterschiedlichen Motivationen der Frauen, sich für ein Interview bereit zu erklären und die damit einhergehende jeweilige Rolle, die mir zugeschrieben wird. Da gibt es einmal das soeben beschriebene ökonomische Interesse – meine Rolle ist die der, wenn schon nicht reichen, so zumindest wohlhabenden gringa aus Europa, die in der Lage ist, artesanía, auch in größeren Mengen zu kaufen und weiterzuverkaufen.44 Zweitens nutzen einzelne Frauen die Gelegenheit, einer Außenstehenden ihre Probleme zu berichten, d.h. ich erhalte die Rolle der unbeteiligten Zuhörerin.45 Und drittens – hier zeigt sich eine gewisse Übereinstimmung mit der ersten Gruppe – wollen die Frauen, dass ich über ihre Situation erfahre und darüber berichte: „Sag ihnen [den Menschen in Europa] wie wir hier leben, sag ihnen, wie es uns geht!“ ist die oft gestellte Forderung, wenn sie hören, dass ich ein Buch über das Leben der Frauen schreiben wolle.46 Diese drei Motivationen zeigen sich ungeachtet dessen, dass ich bestrebt bin, meine Interviewpartnerinnen für die von ihnen zur Verfügung gestellte Zeit zu entlohnen (vgl. dazu auch Bernard 2011: 157). Tatsächlich sind sämtliche Frauen überrascht, als ich ihnen das zuvor zugesagte Geld überreichen will. Einfach fürs Reden bezahlt zu werden erscheint ihnen ungebührlich. Viele lehnen das entrüstet ab und wir einigen uns darauf, dass ich ihnen artesanía zu einem für sie günstigen Preis abkaufe (was der ersten beschriebenen Erwartungshaltung an mich entspricht und im Grunde zeigt, dass die Frauen Interesse an längerfristigen geschäftlichen Beziehungen, nicht an einem einmaligen Gewinn, haben).47 Auf der anderen Seite aber, spricht sich diese scheinbar leichte Möglichkeit, Geld zu verdienen herum und ich werde – vor allem gegen Ende meines Aufenthaltes im Jahr 2005 – von wildfremden Frauen angesprochen, ob ich nicht ein Gespräch mit ihnen führen wolle, sie hätten sehr viel zu erzählen. Aus verschiedenen Gründen – weil es sich zeitlich nicht ausgeht, weil der persönliche Kontakt fehlt, ich daher auch nicht weiß wo diese Frauen wohnen, und somit gar keine Möglichkeit für ein Treffen besteht, vor allem aber aus forschungstechnischen Gründen, die es sinnvoll erscheinen lassen, primär mir bereits aus anderen Zusammenhängen bekannte Frauen zu interviewen – nehme ich keines dieser Angebote an. Die Interviewangebote wie auch die Interviews selbst lassen sich, kurz zusammengefasst, als soziale Ereignisse mit dem_der Forscher_in in der Rolle des_der teilnehmenden Beobachers_Beobachterin, sehen und folglich auch in unterschiedlicher Weise interpretieren. Zum einen im Sinne von Informationen, die gegeben werden, zum anderen aber lassen sich aus den Handlungen und Aussagen auch die Sichtweisen und Perspektiven der beteiligten Personen herauslesen (Hammersley/Atkinson 1995: 156).

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Z.B. Tz 2; Tz 6; Tz 15; Aj 20. Tz 13; Tz 16. Z.B. Tz 5; Tz 17; Tz 19, aber auch Tz 16. Von jedem Feldaufenthalt kehre ich vollbepackt mit Armbändern, Halsbändern, Holztieren, aber auch für Österreicher_innen so „unentbehrlichen“ Dingen wie tortilla-Wärmern u.ä. zurück. Unfähig diese Kunsthandwerksprodukte weiterzuverkaufen verfüge ich mittlerweile über ein großes Reservoir potentieller Geschenke für Freund_inn_e_n und Bekannte.

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III.3 AUSWERTUNG UND D ATENANALYSE „In ethnography the analysis of data is not a distinct stage of the research.“ (HAMMERSLEY/ATKINSON 1995: 205)

Diesem Zugang verpflichtet wird – wie eingangs erwähnt – bereits vor Beginn der ersten Feldforschung mit der Analyse begonnen. Die dialektische Interaktion zwischen Datenerhebung und -analyse ist nicht nur in der Generierung von Theorien hilfreich, sondern auch in Beschreibungen und Erklärungen (ibid.). In der Praxis bleibt im Feld allerdings meist wenig Zeit zur Reflexion. Ein gewisses Maß sollte aber in jedem Fall durchgeführt werden, auch in Hinblick auf die weitere Ausrichtung der Erhebung und die Adaptierung, Präzisierung und Verfeinerung des Forschungsdesigns (ibid.: 206). III.3.1 Positionierung und Reflexivität Denn in jeder Datenerhebung (wie auch -auswertung!) wirken Einflüsse der sozialen Positionierung des_der Forschers_Forscherin, wie auch von Geschlecht, Alter, etc., der geteilten wie auch differenten Erfahrungen (beispielsweise der Elternschaft) mit (vgl. dazu u.a. Hammersley/Atkinson 1995: 129-31; Gailey 1998: 206; Behnke/Meuser 1999: 79; Bernard 2011: 176ff.). Dabei werden diese „Eigenschaften“ jeweils auch „,lokal‘ in der Interaktion mit den Erforschten erzeugt“ (Behnke/Meuser 1999: 84). Je nach situativem Zusammenhang werden Geschlecht, Alter und andere persönliche und soziale Merkmale mehr oder weniger bedeutsam. Folglich spielt der jeweilige soziale Kontext, in dem eine Handlung durchgeführt bzw. eine Aussage getätigt wird, eine wichtige Rolle, ebenso wie das zeitliche Umfeld und die, abgesehen von dem_der Forscher_in, anwesenden Personen (vgl. dazu Hammersley/Atkinson 1995: 220ff.). Deren Einstellungen, Wünsche und Meinungen, ebenso wie die der Forscherin_des Forschers, beeinflussen den Prozess der Datenerhebung und im Falle der letzteren, auch der Auswertung (vgl. Gailey 1998: 206ff.; Behnke/Meuser 1999: 48). Daher muss sich der_die Forscher_in dessen bewusst sein, „that all classes of data have their problems, all are produced socially, and none can be treated as unproblematically neutral or transparent representations of ,reality‘. The recognition of reflexivity in social research entails such awareness […]“ (Hammersley/Atkinson 1995: 169). Die permanente Reflexion sowie das Überprüfen und Überdenken der Daten sind folglich ein wichtiger Teil jeder Forschung,48 nicht nur jener, die nach den Richtlinien der grounded theory erfolgt. Neben dem Bewusstsein für den, in den Daten enthaltenen kontextuellen Bias, sind vor allem auftauchende, reflexiv-analytische Überlegungen von Bedeutung, die in Form von Memos festgehalten werden (Hammersley/Atkinson 1995: 191). Die von Bernard (2011: 435) als memoing bezeichnete Technik des Niederschreibens von Gedanken während des Lesens von selbstge-

48 Zur Bedeutung der Reflexion in der qualitativen Sozialforschung, vgl. auch Flick et al. (2004: 23); Lüders (2004: 395); u.v.a.m.

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schriebenen und anderen Texten,49 muss ständig, also bereits während der Feldforschung erfolgen. Denn nur die „regular production of research memoranda will force the ethnographer to go through […] a process of explication“ (Hammersley/Atkinson 1995: 191). All das ist notwendig, den roten Faden in der Forschung nicht zu verlieren, scheinbar Vertrautes nicht als gegeben hinzunehmen, wie auch aufkommende analytische Gedanken festzuhalten. In diesem Sinne sind Memoranden als preliminary analysis (ibid.) zu sehen, die den_die Forscher_in durch die Datenfülle leiten. Denn, wie Hammersley und Atkinson betonen: „The construction of analytic notes and memos therefore constitutes precisely the sort of internal dialogue, or thinking aloud, that is the essence of reflexive ethnography. Such activity should help one avoid lapsing into the ,natural attitude‘ and ,thinking as usual‘ in the field“ (Hammersley/Atkinson 1995: 191-2). Memoing zwingt den_die Forscher_in in Frage zu stellen, was er_sie weiß, wie dieses Wissen angeeignet wurde und fördert damit Überlegungen in Hinblick darauf, welche weiteren Schritte zu setzen sind (ibid.: 192). Das memoing wird von mir vor, nach und im Zuge der Feldforschung, parallel zur Lektüre ergänzender Literatur sowie der Erstellung der Feldnotizen durchgeführt, aber auch im Anschluss an die Phasen der empirischen Datenerhebung, indem ich die handschriftlich erstellten Daten in den PC eingebe und dabei reflektiere. Neben einer Spalte mit dem Datum und der Angabe des Wochentags (der ebenfalls eine wichtige Rolle in den verschiedenen Aktivitäten spielt) und einer mit dem genauen Text der Feldnotizen (wobei die während der Feldforschung erstellten analytischen Überlegungen jeweils in eckige Klammer gesetzt werden), gibt es eine dritte Spalte, mit Paraphrasierungen und im Zuge des Schreibens auftauchenden Gedanken und Interpretationen. Diese dritte Spalte stellt eine Grundlage für spätere Kategorien und Codierungen dar. III.3.2 Aufbereitung der Daten: Die Erstellung von diachronen Haushalts- und Personenprofilen Im Zuge der Aufarbeitung der theoretischen wie auch ethnographischen Literatur, des Recherchierens relevanter Dokumente, der aktiven Datenerhebung und der Erstellung von Memoranden, kristallisieren sich nach und nach Themenblöcke heraus, die als erste Basis für eine Zuordnung der vielfältigen Informationen dienen. Manche dieser Themenblöcke erweisen sich als zu groß, andere lassen sich als Unterthema eines größeren Blocks kategorisieren, bis schließlich, nach und nach, so die Planung (siehe unten, sowie Kapitel II.7.1), die Kapitelstruktur der Arbeit entsteht. 50 Bis dahin 49 Bernard (2011: 435) spricht in diesem Zusammenhang von „,fieldnotes‘ on observations of observations about texts“. Er beschreibt das memoing als Stufe 2 der grounded theory: (1) bezieht sich auf die Codierung nach Themen; (2) auf die Verbindung der Themen mit theoretischen Modellen und (3) auf die Überprüfung der Modelle. 50 Die ersten Sondierungen nach Kategorien, wie sie sich aus den Feldnotizen und Interviews ergeben, sind naturgemäß sehr breit und ungenau. Sie werden folglich im Laufe der Zeit überarbeitet bzw. ergänzt, wobei entscheidend für ihre endgültige Fassung, die Verknüpfung mit anderen Informationen im Zuge des Schreibprozesses ist. – Kapitel VI entspricht in Inhalt und Aufbau am stärksten diesem Vorgehen und der resultierenden Struktur.

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sind aber eine Reihe weiterer Schritte des Sortierens, der Kategorisierung und der Codierung notwendig (vgl. dazu Hammersley/Atkinson 1995: 193ff.). Die Besonderheit der Untersuchung – nämlich die einer diachronen Forschung über mehrere Jahre –, erfordert jeweils nach jedem Feldaufenthalt die Erstellung bzw. Ergänzung von Personen- und Haushaltsprofilen. Dafür wird für jede Person wie auch jeden Haushalt ein Ordner angelegt, in dem sich einerseits Berichte zur Person bzw. zum Haushalt, die während der verschiedenen Aufenthalte geschrieben werden, befinden, andererseits aber wird auf dieser Grundlage, eine Art Charakterbild der Person/des Haushalts erstellt. Letzteres beinhaltet das Geburtsdatum, den (sich womöglich wandelnden) Ehestatus, das Geschlecht, etc. bzw. die, einem Haushalt, zu einem bestimmten Zeitpunkt angehörenden Personen, die den Einwohner_inne_n des Haushalts zugutekommenden ökonomischen Aktivitäten (die sich ebenfalls ändern können), wie auch die jährlich erstellten Hauspläne und Beschreibungen der Struktur des Hauses. Ziel des Charakterbildes ist es, die individuellen Besonderheiten in fünf, bis maximal zehn Sätzen wiederzugeben, als Basis für eine Differenzierung zwischen strukturell- und persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen. Darüber hinaus können mit einem Blick, die wesentlichen Lebensbedingungen, sozialen Beziehungen in ihren grundlegenden Dynamiken wie auch die Erfahrungen der jeweiligen Menschen, erfasst werden. In einer anderen Datei werden die eine Person betreffenden Veränderungen über die Zeit festgehalten. Die Haushaltsüberblicke zeigen einerseits die Merkmale jedes Haushalts, um auf dieser Grundlage Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Häusern herausarbeiten zu können. Darüber hinaus lassen sich andererseits in übersichtlicher Weise, im Verlauf der Jahre erfolgte Transformationen darstellen, die dann in Hinblick auf ihre Bedeutung, verknüpft mit Daten aus den Beobachtungen bestimmter Verhaltensweisen der Einwohner_innen, analysiert werden können. Daher wird – neben dem Augenmerk auf Variationen in den Gestaltungen von Küche und Wohnraum (siehe Kapitel V.1.2 bis V.1.4) – den Beziehungen zwischen den Angehörigen eines Hauses untereinander besondere Bedeutung beigemessen: wie lassen diese sich während der Dauer des jeweiligen Aufenthalts einschätzen – sind die Verhaltensweisen zwischen zwei Personen durch Zärtlichkeit und vertraute Körperlichkeit geprägt, oder eher durch Meidung und unterschwellige Spannungen (wie sie zum Beispiel durch Rückzug oder Verweigerung der gemeinsamen Mahlzeiten zum Ausdruck gebracht werden)? Wie verhalten sich dieselben Personen anderen gegenüber? Gibt es in den herausgearbeiteten Grundmustern, Veränderungen im Verlauf der Jahre? Kombiniert mit den genannten, differierenden Gestaltungen der Einrichtung eines Hauses, lassen sich auf diese Weise wichtige Aussagen über den Entwicklungszyklus der verschiedenen Haushalte und damit verbunden, der Positionierung einzelner Personen im Haushalt, aber auch der Haushalte untereinander aussagen, sowohl in allgemeiner, als auch in besonderer Weise, speziell auf eine bestimmte Personengruppe bezogen. Weitere Verknüpfungen der haushalts- und personenbezogenen Daten, werden zu wiederkehrenden Ereignissen, wie dem sonntäglichen Marktbesuch oder Festen erstellt, sowie zu herausragenden Vorkommnissen, wie dem Hurrican von 2005, der schlechten Ernte und damit verbunden, dem hohen Maispreis im Jahr 2011, u.ä. Dabei hilft mir eine, von mir erstellte Übersicht (siehe Anhang, Tabelle mit wichtigen

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politischen und anderen Ereignissen), in der ich zentrale politische Ereignisse, wie Wahlen, Neuerungen in der Gesetzgebung, Aktivitäten von Indigenenorganisationen, etc., wie auch solche ökonomischer Art, vor allem betreffend die Mais- und Kaffeepreise, sowie ökologisch-klimatische Besonderheiten, d.h. Stürme, besondere Kälte, usw. vermerke. Die derart aufbereiteten Daten, in Verknüpfung mit anderen Informationen (siehe oben), werden schließlich, mithilfe des in Kapitel II.7.1 vorgestellten Analysewerkzeugs der personhood/des personing, in Hinblick auf die jeweils wirksamen Machtbeziehungen interpretiert.

IV

Mesoebene: Puebla/Cuetzalan/ Tzinacapan im Schnittpunkt der nationalen und globalen Politik und Ökonomie

Nachdem nun die Erhebungs- und Auswertungsmethoden und das zentrale Analysewerkzeug zur Erfassung der Mikrostrukturen, vor allem aber der kontextuellen Bedeutsamkeiten wie auch Veränderungen von Macht- und Autoritätsverhältnissen bekannt sind, möchte ich im folgenden Teil zunächst die Region vorstellen, um anschließend auf das ökonomische und das politisch-religiöse System Cuetzalans und Tzinacapans einzugehen. Dabei werden entsprechend der, in der Einleitung vorgestellten Methode, zur Vermeidung von Essentialismen, jeweils die Veränderungen seit der Conquista überblicksartig und mit Bezug auf wechselnde Relevanzen der Differenzmarkierungen race, class und Gender, aber auch Alter aufgezeigt.

IV.1 V ORSTELLUNG DER R EGION Das Munizipio Cuetzalan del Progreso gehört zum mexikanischen Bundesstaat Puebla; seine Hauptstadt (cabecera) San Franzisco Cuetzalan befindet sich zirka 320 Kilometer nordöstlich von Mexiko Stadt und 183 Kilometer von Puebla de Zaragoza, in einer Seehöhe von zirka 980 Meter (URL 13). Cuetzalan liegt in der Sierra Norte de Puebla, die Teil der Sierra Madre Oriental ist, einem Gebirgssystem zwischen 97°10’ und 98°20’ westlicher und zwischen 19°33’ und 20°45’ nördlicher Länge, das sich in nordöstlich-südöstlicher Richtung erstreckt (Martínez 1990: 56).1 Die Sierra teilt die aride zentrale Hochebene von der feuchten Golfküste und bildet eine Wetterscheide: die Berge halten die Regenwolken auf, die mit den westlichen Passatwinden von der Küste kommen. Das führt zu starken und häufigen Niederschlägen in der Bergregion (3000-4000 Millimeter im Jahr). Im Sommer, d.h. der Regenzeit, zwischen Juni und September, erfolgen diese in Form von heftigen Gewittern mit gussartigen Regenfällen, im Winter verursachen die nortes – kalte Winde aus dem Norden – einen feinen Dauerregen. Während es im Sommer feuchtheiß ist, mit durchschnittlichen Temperaturen zwischen 18 und 26 (bis zu 33) Grad, kann es im Winter kühl (um die sieben Grad) werden, und in Ausnahmefällen auch frieren. Die Trockenzeit ist auf die Peri1

Die Angaben des INEGI (2009b) variieren hier leicht: 19° 57’ und 20° 06’ nördliche Länge und 97° 23’ und 97° 35’ westlicher Länge, in einer Höhe zwischen 180 und 1.600 m.

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ode zwischen März und Mai beschränkt (Lupo 1995: 29-30; Alvarado Cardona et al. 2006: 45; INEGI 2009b; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 94; siehe auch diverse Eintragungen in den Feldtagebüchern). Die Region befindet sich im hydrographischen Becken von Tecolutla und wird von mehreren Flüssen durchkreuzt. Die wichtigsten sind der Apulco, der das Munizipio von Cuetzalan vom Ayotoxco (Puebla) im Nordwesten von Tecuantepec trennt, begrenzt vom Staat Veracruz, und im Südosten der Cuichat, mit geringerer Wassermenge (Lupo 1995: 30; INEGI 2009b; URL 14). Der Bevölkerungszensus von 2010 gibt 47.433 Einwohner_innen an – 24.193 Frauen und 23.240 Männer. Diese leben in 10.662 Haushalten; 8.109 davon mit männlichem, 2.553 mit weiblichem Vorstand (INEGI 2010). Insgesamt zeigt sich eine starke Zunahme der Bevölkerung, wobei sich das Verhältnis Mestiz_inn_enindigene Bevölkerung nicht wesentlich verändert: von den 39.866 Einwohner_inne_n 1996 sind 72 Prozent Angehörige der Nahuat-sprechenden Bevölkerung, zehn Prozent der Totonaca-Sprecher_innen (INEGI 1997); im Jahr 2000 ist die Bevölkerung auf 45.210 Personen gestiegen – davon 72,48 Prozent Nahuat und nach wie vor zehn Prozent Totonaca (INEGI 2001).2 Für das Jahr 2010 gibt ein Internet-Dokument der Regierung des Bundesstaats Puebla, 72,6 Prozent Indigene an, wobei allerdings nicht zwischen Nahua und Totonaca differenziert wird.3 Es gibt also zumindest drei Sprachgruppen, die in der Region koexistieren – Spanisch, Nahuat und Totonaca –, wobei der Großteil der spanisch-sprachigen (mestizischen) Bevölkerung in der Distrikthauptstadt lebt, die indigene Bevölkerung hingegen in den umliegenden Gemeinden, Dörfern und Weilern. Diese werden in acht Einheiten (pueblos oder barrios oder auch comunidades) – San Andrés Tzicuilan, San Miguel Tzinacapan, Xocoyolo, Zacatipan, Yohualichan, Santiago Yanhuitlalpan, Xiloxochico de Rafael Avila Camacho und Reyesogpan de Hidalgo – mit 143 Lokalitäten (je nach Größe als comunidades, pueblos oder ranchos bezeichnet) gruppiert (Martínez Corona 2003a: 229).4 Die spanisch-sprachige Bevölkerung dominiert: 2

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Für das Jahr 2010 hat das INEGI, anders als in den vorangegangenen Berichten, keine Daten bezüglich der Sprachverteilung für Cuetzalan veröffentlicht. Insgesamt jedoch hat die Anzahl an Personen, die eine indigene Sprache sprechen in Puebla (entgegen des allgemeinen Trends in Mexiko) seit 2000 zugenommen: 2000: 565.509 (273.228 Männer; 292.281 Frauen); 2005: 548.723 (263.717 Männer; 285.006 Frauen); 2010: 601.680 (287.445 Männer; 314.235 Frauen) (URL 15; URL 16). Gobierno del Estado de Puebla 2011-2017 (URL 17). Auf einer Tourismus-Homepage (URL 18), die zwischen 2001 und 2010 erstellt worden sein dürfte (die angegebenen Bevölkerungszahlen sind höher als im Zensus von 2001, aber etwas niedriger als 2010), finden sich Angaben zu Lage, Bevölkerung, Ökonomie, etc. sämtlicher Gemeinden und Orte des Munizipio. – Zu den Bevölkerungszahlen und anderen statistischen Daten, vgl. auch die Angaben des Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla (2009). Für die Distrikthauptstadt Cuetzalan werden hier, basierend auf den Zensusdaten des INEGI von 1995, mit insgesamt 39.850 Einwohner_inne_n, aufgeteilt in ca. 162 Lokalitäten, 4.947 Menschen genannt. Für San Andrés Tzicuilan werden 1.102 Bewohner_innen angegeben, für San Miguel Tzinacapan 2.411, für Xocoyolo 330, für Zacatipan 649, für Yohualichan 699, für Santiago Yancuitlalpan 1010, für Xiloxochico 1.332 und für Reyesogpan 1.332. Eine zwischen 2007 und

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„[…] los mestizos no sólo controlaban los puestos de autoridad del Municipio, sino también la mayoría de las actividades económicas, canalizando la casi totalidad de los recursos hacia sus propios intereses, y dejando a los productores indios con lo mínimo indispensable para sobrevivir.“ (Coronado/Hodge 2004: 104)

Die Distrikthauptstadt ist folgerichtig auch das politische, ökonomische und religiöse Zentrum der Region (vgl. neben Martínez Corona 2003a: 229 auch Coronado/Hodge 2004: 104). Sie liefert Strom u.a. in die umliegenden Gemeinden (comunidades), wobei sich die Infrastruktur mit zunehmender Entfernung vom Zentrum verschlechtert (Martínez Corona 2003a: 229). Ökonomisch von Bedeutung sind vor allem der Tourismus und der Kaffeeanbau (Coronado/Hodge 2004: 104). Cuetzalan wird auf diversen Tourismus-Homepages als pueblo mágico bzw. magic town angepriesen (vgl. u.a. URL 19; URL 20, sowie Juárez Sánchez et al. 2009: 191),5 was einerseits auf jene anthropologische Studien der 1960er, 1970er Jahre zurückgeht, die sich mit Weltbildern und magisch-religiösen Vorstellungen der indigenen Bevölkerungen befassen, 6 andererseits auf den Reichtum an Tänzen und Ritualen anlässlich verschiedener Feste für die Schutzheiligen und andere Ereignisse des indigen-katholischen Zeremonialzyklus. Dazu kommen landschaftliche Besonderheiten wie Wasserfälle und Höhlen sowie die Nähe zur archäologisch relevanten Stätte Yohualichan der El Tajín-Kultur des Spät-Klassikums (URL 23,7 aber auch architektonisch reizvolle Bauten aus der Kolonialzeit. 8

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2009 errichtete Tafel am Dorfplatz von San Miguel nennt 2.612 Einwohner_innen für diese Gemeinde, 83% davon indigen (Feldnotizen 8.8.2009). Pueblo mágico wird von Wikipedia (URL 21) als Programm der mexikanischen Regierung vorgestellt, das 2001 durch das Secretaría de Turismo de México initiiert wird, um den Tourismus in jenen Städten und Gemeinden Mexikos voranzutreiben, deren Bevölkerungen „han guardado por muchos años un estilo de vida particular y tradicional, típicamente mexicano“. Vgl. dazu auch Kastelein (2010: 356). Besonders populär wird, wie erwähnt (siehe Kapitel III.1.1), Timothy Knabs Buch „A War of the Witches: A Journey into the Underworld of the Contemporary Aztecs“, in dem in Form eines Erfahrungsberichts die Initiation in die Welt der Heiler_innen und Zauber_innen beschrieben wird. Zur Bedeutung dieses Buches, vgl. u.a. URL 22. Den Bauwerken – Pyramiden und Ballspielplatz – von Yohualichan wird eine magische Beziehung zu Teotihuacan nachgesagt (C 11 10.12.2003; Feldnotizen 11.12. 2003; Tzm 41 7.2.2006). Vgl. dazu u.a. URL 24; URL 25.

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IV.2 V ON DER S UBSISTENZPRODUKTION ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT VON DER H ERSTELLUNG VON C ASH C ROPS FÜR DEN W ELTMARKT HIN ZUR POLYCULTURE UND PLURIACTIVITY CUETZALTEKISCHER POLYBIANS In der „Enciclopedia de los Municipios de México Puebla. Cuetzalan del Progreso“ des Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla (2009) wird dem Primärsektor mit Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd und Fischfang mit 74,4 Prozent der höchste Anteil an der Gesamtwirtschaft Cuetzalans zugewiesen, gefolgt vom Tertiärsektor (Handel, Tourismus und Dienstleistungen) mit 13,1 Prozent und dem Sekundärsektor (Bergbau, Erdöl, Industriemanufakturen, Bau und Elektrizität) mit 9,8 Prozent. An erster Stelle in der Landwirtschaft werden der Anbau von Kaffee und Mais genannt, danach „el mamey, el plátano, la naranja, maracuyá, macadamia (nuez redonda) y pimienta“. Bereits 1973 beschreibt Arizpe (1973: 34-5) Obstbäume als eine der Haupteinnahmequellen des Staates Puebla, der in der Produktion von Avocados, Zitrusfrüchten, Chabacano, schwarzer Zapote etc. den ersten Platz in der mexikanischen Wirtschaft einnimmt. Im Folgenden gehe ich auf die Charakteristika der cuetzaltekischen indigenen Ökonomie und ihrer Herausbildung im Zuge des Eindringens kolonialer und postkolonialer Einflüsse in die Sierra ein, wobei hier zunächst der Schwerpunkt auf den Kaffeeanbau gelegt wird. Die Vorstellung einiger wichtiger, die indigene Bevölkerung besonders betreffenden Aspekte der anderen Wirtschaftszweige erfolgt in den Kapiteln IV.2.4 bis IV.2.6. Zu Beginn gebe ich einen kurzen historischen Überblick zu einigen, die Region betreffenden, zentralen Merkmalen der Kolonialzeit, zur nachfolgenden Einführung des Privateigentums und damit einhergehend, des kommerziellen Kaffeeanbaus. Danach zeige ich die Veränderungen seiner Relevanz und Ausrichtung im Kontext nationaler mexikanischer wie auch internationaler Ökonomie und Politik. Vorgestellt werden Besonderheiten des lokalen Kaffeeanbaus als Teil der indigenen Peasant-Ökonomie, charakterisiert durch die vielfältige Nutzung vorhandener Ressourcen wie Subsistenzlandwirtschaft, Handel, Tourismus, etc., entsprechend den oben genannten Wirtschaftszweigen der Region. Die resultierenden Weisen indigenen Wirtschaftens sind, wie sich zeigen wird, durch pluriactivity (Ploeg 2010: 8) und damit einhergehender Diversität und Flexibilität gekennzeichnet. Die Bedeutung des Tourismus wird allerdings nicht hier, sondern in den Kapiteln IV.2.6 und IV.2.7 behandelt. Migrationsarbeit ist, im Unterschied zu anderen Regionen Mexikos, zumindest in der Wahrnehmung der indigenen Bevölkerung, kein herausragendes Kennzeichen (vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 103), weswegen ich in diesem Kapitel nicht näher auf sie eingehe (vgl. jedoch Kapitel VI.1.2.2 und VI.2.1.4). Es gibt Familien, die ein oder zwei Kinder haben, die in Puebla, Mexiko Stadt, oder den USA leben, aber in der Regel kommen diese nach ein bis drei Jahren in die Heimatgemeinde zurück, um sich dort endgültig niederlassen. Dauerhafte Migration hingegen ist meist mit dem Kappen der Bande der indigenen Herkunft verbunden, denn diejenigen, die sich dafür entscheiden, schicken nur in Ausnahmefällen Geld an die verwitwete Mutter oder – noch seltener – den Vater und beteiligen sich nicht am rituell-religiösen System.

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IV.2.1 Von der kolonialen encomienda, über den Siedlungsort für wohlhabende Ausländer_innen, bis zur Einwanderung armer Mestiz_inn_en: Auswirkungen auf den Landbesitz Alessandro Lupo (1995: 33-4; ders. 2001: 339) zufolge, ist das heutige Territorium des Munizipios, zunächst Teil der vorkolonialen Provinz Tlatlauquitepec und dem aztekischen Imperium unterworfen. Die Region bezahlt Tribute in Form von Textilien, Produkten des Ambarbaumes und anderen Erzeugnissen der Region. In der frühen Kolonialzeit ist sie dann Teil einer encomienda, die von Hueytlalpan bis Tlatlauquitepec reicht und von zwei Brüdern verwaltet wird (Ramírez Suárez et al. 1992: 11). Zwischen 1531 und 1534 wird einer der beiden encomenderos Franziskanermönch, der andere geht weg, wohin ist in den Quellen nicht vermerkt. Cuetzalan und einige andere Orte werden nun direkt der Krone und den Franziskanern unterstellt. Jede administrative Einheit erhält einen Landvogt bzw. Richter (alcalde), wobei Cuetzalan – das durch Epidemien weitestgehend entvölkert ist 9 – zunächst Jonotla, später Tlatlauquitepec zugeordnet wird und folglich keinen eigenen Richter hat. Der Amtsinhaber von Tlatlauquitepec geht 1579 nach San Huan de los Llanos (dem heutigen Libres) und etabliert dort bis zum Ende der Kolonie die Verwaltung einiger der Orte der Sierra, darunter auch Cuetzalans (ibid.: 11-2). Das Gebiet ist für Europäer_innen schwer zugänglich,10 die Bevölkerungsdichte gering11 (Nutini/Isaac 1974: 279) und es gilt darüber hinaus als ökonomisch unattraktiv, weil es für die europäische Landwirtschaft ungeeignet scheint und es weder Bodenschätze noch andere nennenswerte Einkunftsmöglichkeiten gibt. Daher wird die etablierte república de indios in erster Linie als Tributquelle betrachtet und ansonsten weitestgehend sich selbst überlassen (ibid.: 62; Brewster 1996: 111-2; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 53). D.h. anders als in anderen Gebieten Mexikos gibt es keine Haciendas (Arizpe 1973: 60) und auch keine anderen Arten kolonialer Wirtschaftsbetriebe. Der Evangelisierungseifer der Franziskaner ist nach dem ersten Enthusiasmus12 nicht besonders ausgeprägt. Aufgrund von Personalknappheit gibt es seit 1567 einen 9

Lupo (1995: 34; 2001: 340-1) geht davon aus, dass es 1570 noch 4.500 Tributpflichtige (d.h. verheiratete Männer) in Tlatlauquitepec gibt, Mitte des nächsten Jahrhunderts aber nur noch 1.444. 1696 steigt die tributpflichtige Bevölkerung wieder auf 3.453 und 1799 auf 8.313 Personen an. 10 Thomson (1991: 209-10) bezeichnet das spätere Munizipio Cuetzalan vor der Errichtung des Straßensystems in den 1950er Jahren, als die am schwersten zu erreichende Region der gesamten Sierra. Signorini und Lupo (1989: 21) sprechen in Anlehnung an Nutini und Isaac, die sich ihrerseits auf Lobardo Toledano wie auf Aguirre Beltrán stützen, von der Sierra als einer regione di rifugio. 11 Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 69) sprechen von einer Gesamtbevölkerung von 240 Personen für Cuetzalan im Jahr 1550 „cuando Cuetzalan obtiene su primera merced de tierras“, von 740 Tibutpflichtigen, die in etwa 3.700 Menschen entsprechen, 1788 und 1.470 Haushaltsvorständen, d.h. 7.350 Einwohner_innen, ein Jahrhundert später. 12 Beseelt von dem Wunsch, die Annahme der neuen Religion durch die Indigenen zu erleichtern, werden bestimmte Parallelismen des alten Glaubens genutzt. Aufgegriffen werden

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säkularen Klerus, der in der Regel auch Nahuat spricht. 13 D.h. es gibt schon früh – zumindest in der späteren Distrikthauptstadt, dem Ort, an dem die Kirche des Heiligen Franz von Assisi errichtet wird – Nahuat-sprachige säkulare Pfarrer, wie auch der Bischof Mota y Ecobar, im Zuge einer pastoralen Visite im Jahre 1610, feststellen kann (Lupo 1995: 35). 1646 bezeichnet der Bischof von Puebla Juan de Palafox y Mendoza die Kirche von Cuetzalan als eine der besten von Totonacapan, wobei er besonders die Nahuat-Kenntnisse des alten Pfarrers, verantwortlich für über 200 indigene Familien, lobt (ibid.: 35-6). Neue religiöse Symbole werden eingeführt, die Indigenen neben der Zahlung von Tributen und Zehent zum Arbeitsdienst zur Errichtung von Kirchen u.ä. verpflichtet (Ramírez Suárez et al. 1992: 12). Jedenfalls kann die Bevölkerung der Sierra, ausgenommen die der administrativen und kommerziellen Zentren von Teziutlán, Zacapoaxtla und Tlatlauquitepec im Südosten und Zacatlán, Hauchinango und Pahuatlán im Nordwesten, als weitestgehend indigen angesehen werden (Nutini/Isaac 1974: 283). Dennoch ist das Gebiet nicht frei von Einflüssen kolonialer Provenienz. In Anlehnung an Nutini (1988), bezeichnet Lupo (1995: 48-9) Einflüsse, die sich abseits der unmittelbaren Kontrolle der Träger_innen kulturell hegemonialer Traditionen vollziehen, als „spontanen Synkretismus“. Dieser beruht darauf, dass sich die spanisch-katholischen Priester, nach anfänglich großem Evangelisierungseifer, der in Massentaufen und Tempelzerstörungen seinen unmittelbarsten Ausdruck findet, bald schon mit der Verwaltung der Zeremonien und der Überwachung äußerer Religiosität zufrieden geben. In einigen Bereichen des indigenen Lebens gibt es daher starke, in anderen kaum Veränderungen. Direkte Kontakte zum Klerus bzw. zur spanischen Bevölkerung gibt es, insbesondere in den ländlichen Gebieten, nur wenige (ibid.: 50), denn bis ins 18. Jahrhundert bevorzugen es „weiße“ Kleriker in den größeren Dörfern und Städten zu residieren und ihre Besuche in den kleineren Gemeinden auf ein Minimum zu beschränken (Taylor 1984: 97; Lockhart 1990: 101ff.). 1807 noch sind Pfarrer und Lehrer die einzigen nicht indigenen Einwohner in Cuetzalan (Lupo 2001: 341). Die nächsten spanisch-sprachigen Siedler_innen gibt es im barrio Xocoyolo, einer Ansiedlung von nicht-indigenen Maisbauern_bäuerinnen, die sich während der großen Hungersnot 1785-1786, auf dem rancho Xocoyolotepeque niederlassen (Thomson 1991: 210). Es besteht eine Beziehung des ökonomischen Austauschs zwischen diesen Peasants und einigen Indigenen aus Cuetzalan, die weniger Mais für den Eigenkonsum als viel-

Ähnlichkeiten in den Praktiken der Taufe, der Beichte, der Kommunion vermittels Theophagie und des Kultes der Toten. Toleriert und gefördert wird die Identifizierung der Heiligen mit autochthonen Gottheiten, indem die Kirchen auf den Ruinen der Tempel errichtet werden (Lupo 1995: 48). Neben diesem „überwachten Synkretismus“ kommt es aber zunehmend auch zu einem „spontanen Synkretismus“ (dazu siehe unten). Vgl. dazu auch Lockhart (1992: 4-5). 13 Die Franziskanermönche des 16. Jahrhunderts weisen der Kenntnis der Sprachen für das Verständnis der indigenen Bevölkerungen – ihrer Auffassung nach unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen Missionierung –, besondere Bedeutung zu (Lockhart 1992: 5; vgl. u.a. auch Olwer/Cline 1973: 187; Erdheim 1982: 63; García-Quintana/López Austin 1989: 16).

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mehr Güter für den Verkauf (z.B. Zucker bzw. panela)14 produzieren und den für ihre Ernährung erforderlichen Mais von den Bauern_Bäuerinnen aus Xocoyolo erwerben (ibid.: 212). Nach und nach aber dringen immer mehr Mestiz_inn_en und Kreol_inn_en, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch viele Italiener_innen15 und Spanier_innen, in die Sierra und damit auch nach Cuetzalan, ein (Haly 1996: 532-3; Lupo 2001: 341). Diese haben ein anderes Verständnis von Landwirtschaft, als die indigenen und mestizischen Peasants und treten in Hinblick auf die Erzeugung von Produkten für den Verkauf, in ein ökonomisches Konkurrenzverhältnis zu den Indigenen. Haben sich die ersten Siedler_innen mit schlechtem, von den bereits ansässigen Einwohner_inne_n nicht benötigtem Land, das diese an die mestizischen Peasants verpachten, begnügt, so okkupieren die neuen (größtenteils wohlhabenden) Eindringlinge das beste Land um Cuetzalan und San Andrés Tzicuilan, den Hauptsiedlungsgebieten der maseualmej. Sie betreiben auch keine Schwendwirtschaft, bei der alle zwei bis drei Jahre die Felder gewechselt werden, sondern besetzen das Territorium permanent (Thomson 1991: 212-3). Bald schon vertreiben sie die ansässige Nahua-Bevölkerung von ihren Besitztümern (Ramírez Suárez et al. 1992: 13; Argueta 1994: 125). Dabei werden neben unmittelbarer und direkter Gewalt, unterschiedliche Methoden der Täuschung und Übervorteilung angewandt (vgl. dazu auch Arizpe 1973: 94), wie das auch in den oralgeschichtlichen Erzählungen von Einwohner_inne_n aus dem Munizipio Cuetzalan, gesammelt in den 1980er Jahren, zum Ausdruck gebracht wird: „Todos los que vivimos acá […], antes vivimos en Cuetzalan. Todos nuestras familias, sí, ellos estuvieron todos en Cuetzalan, allí vivieron sus antepasados, allí tenían sus casas […]. […] Sí, mire, aquí en Cuetzalan hubo mucho, mucho abuso, verdad. […] nos han dicho hasta ahora todavía de los que viven ya ancianitos que en Cuetzalan vinieron y cuando llegaron allí primero los koyomej[16] que les dicen: ajkopachanejkej, ajkopauanij; […] les dijeron: Préstame tu casa y te vas a trabajar a tu rancho, yo te la cuido no hay problemas, tú llegas como siempre y es tu casa. […] Pasaron años, quizá diez años […] les dijeron: No, pues aquí la casa es nuestra, porque la ley dice que la casa cuando yo esté mucho tiempo, ya es mía ya, de modo que tienes que reconocerlo. Otros les dijeron: 14 D.h. die eingedickte und schließlich getrocknete Masse aus Zuckerrohrsaft, die in ihrer Form an braune Zuckerhüte erinnert (Feldnotizen 31.10.2011). 15 Arizpe (1973: 59-60) spricht von sechs italienischen Familien aus Kalabrien (ibid.: 32), die in den Südosten der Sierra, nach Cuetzalan, Mazatepec und Zacapoaxtla, eindringen. Die mestizischen Einwanderer_Einwanderinnen, stammend aus Teziutlán, Teteles und Tlatlauqui, seien erst danach gekommen (ibid.: 60). 16 Als koyomej, also „Koyot_inn_en“, werden in Cuetzalan Nicht-Indigene (meist, aber nicht immer abwertend) bezeichnet (Báez 2004b: 8; Tz 16 2.2.2005). In anderen Teilen Mexikos hat die Benennung „Koyot_inn_en“ eine andere Konnotation, in jedem Fall aber eng verbunden mit Dominanz-Verhältnissen und einem starken Aspekt der ökonomischen Übervorteilung.

132 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN Si tienes algún papel, tráelo, lo guardo aquí y te vas a trabajar, no hay problema. Y con el correr de los años el papel ya no resultó ser de la persona que le pertenecía, sino que ya había cambiando de dueño. Así es. Y hay algunos que dijeron: Pos bueno, te voy a comprar aquí. Pero le compraban en una tasita tan baja que no, que no valía eso, verdad. Y así fue como casi toda la gente se tuvo que marchar de allá.“ (Argueta 1994: 130-33)

Gestützt werden die Enteignungen auch durch rechtliche Veränderungen, die im Zuge der Unabhängigkeit von Spanien und der Bildung einer neuen (liberalen) Nation in Anlehnung an das revolutionäre Frankreich (Schryer 1987: 109; Haly 1996: 531) und der Folgeereignisse, initiiert werden (vgl. dazu auch Kapitel IV.3.3). Ab 1825 werden in verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten Gesetze zur Aufteilung des Gemeindelands und damit zur Förderung des Privateigentums erlassen (Beck 1986: 99);17 in Puebla erfolgt die diesbezügliche Dekretierung im Jahre 1828 (ibid.: 102). 1856 entsteht, als Teil der Leyes de Reformas, das Ley de desamortización de Fincas Rusticas e Urbanas (Ramírez Suárez et al. 1992: 15), „das gegen eine Entschädigung die Auflösung des Grundbesitzes von zivilen und kirchlichen Korporationen [anordnet]“ (Beck 1986: 102). Das, nach seinem Verfasser Miguel Lerdo de Tejada, Finanzminister unter Präsident Ignacio Comonfort (1855-1858), als Ley Lerdo bekannte Gesetz, sollte zwar in erster Linie den Landbesitz der Kirche treffen, um deren Macht ökonomisch zu unterwandern, es dient aber auch der Schaffung einer Schicht von Klein- und Mittelbauern_bäuerinnen, die den liberalen Staatsgedanken verwirklichen und fördern sollte. Pächter_innen von Kirchenland können dieses anzeigen und erhalten es in Folge für den Pachtwert, bei sechs Prozent jährlicher Verzinsung, als Eigentum (ibid.: 103; zum Ley Lerdo vgl. u.a. auch Thomson 1991: 207 sowie MacLeod 2000: 23). Ist zunächst gemeinschaftliches Land ausgenommen, so ändert sich das rasch und im Jahr darauf (MacLeod 2000: 25), ist neben dem kirchlichen, auch sämtlicher korporativer und kommunaler Besitz der (indigenen) Gemeinden betroffen (Ramírez Suárez et al. 1992: 15). 1863 folgt ein Gesetz für die Besetzung und Entäußerung von terrenos baldíos („brachliegendem Land“), das jedem Bürger der Republik18 das Recht gibt, bis zu 2.500 Hektar brachliegendes bzw. unbesiedeltes 17 Natürlich gibt es auch Widerstand und Gegenbewegungen, in Form von Bewegungen, die danach trachten die Nation mit der indigenen Bevölkerung zu identifizieren. Ihre Vertreter_innen, beispielsweise der Abgeordnete Rodríguez Puebla, der in den ersten Kongressen für die Erhaltung der indigenen Gemeinden kämpft (Lomnitz 1993: 360), oder auch Ignacio Ramírez, drücken ihre Forderungen in der nationalen Politik aus (Thies 2007). Ihnen und den nachfolgenden kriegerischen Wirren der Kämpfe zwischen Liberalen und Konservativen (1858-61) (Staude 2008: 67), aber auch der fehlenden Durchsetzungskraft staatlicher Einrichtungen in vielen Teilen Mexikos, ist es zu verdanken, dass es auch heute noch Kommunalland (zusätzlich zu den ejidos, wie sie im Anschluss an die mexikanische Revolution geschaffen werden) gibt (zum ejido, siehe unten). Knight (1986: 153) berichtet von einer Revolte im Kontext von Landdisputen in Zacapoaxtla zwischen 1855-56. 18 Frauen bleiben lange Zeit aus der „Bürgerschaft“ ausgeschlossen; eventuelle zusätzliche Geschlechter, wie die muxe in Juchitán existieren im damals, wie auch heute noch, vorherrschenden Denken nicht (zu den muxe, vgl. u.a. Bennholdt-Thomsen 1997; zum dualen heterosexistischen Denken allgemein, vgl. u.a. Butler 1990). Im Zuge der mexikanischen Re-

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Land, auf der Grundlage einer Anzeige, in Besitz zu nehmen (Beck 1986: 111; MacLeod 2000: 26). Aufgrund dieser Rechtslage müssen auch die Indigenen in Cuetzalan die Niederlassung mestizischer Einwanderer_Einwanderinnen in ihrem Territorium zulassen. Zwischen 1861 und 1871 erhöht sich die Zahl der ranchos, d.h. landwirtschaftlicher Betriebe mit einer für die Sierra ungewöhnlichen Größe von 200-300 Hektar, die sich im Eigentum von gente de razón19 befinden, von sechs auf zwanzig (Thomson 1991: 219). 20 Denn die maseualmej haben für ihre Ländereien, aufgrund der kolonialen Konventionen in den repúblicas de indios, keinerlei Schriftstücke, die diese dokumentieren. Nur sie kennen die Grenzen (Ramírez Suárez et al. 1992: 15), eine Tatsache, die die Inanspruchnahme ihrer Rechtsansprüche auf das Territorium wesentlich erschwert. Land muss formell auf einen bestimmten Namen geschrieben, also in Privateigentum übergeführt werden; Gemeinbesitz, wie er bis dato in Cuetzalan dominiert, ist nur in Ausnahmefällen zulässig.21 Aufgrund der neuen Regelung, ist darüber hinaus die bis dahin vorherrschende Rotationstechnik der Landbearbeitung – durch die, bei Nutzung von Territorien in unterschiedlichen Höhenlagen, bis zu drei Maisernten im Jahr möglich sind (Thomsen 1991: 212) –, nicht mehr so einfach möglich. Die Bebauung muss sich nun auf ein festgelegtes Terrain beschränken, was die Fruchtbarkeit des Bodens massiv einschränkt. In einem Dokument vom 12. September 1877 aus dem Munizipalarchiv von Cuetzalan wird auf diese Thematik eingegangen: „Antes de la Ley de Desamortización, la clase indigena que es la más numerosa ocupaba en pequeña parte sembrando en un año en un corto terreno sin renta alguna cuanto bastara a su subsistencia annual y levantada su cosecha se separaba a otro punto donde practicaba otro pequeño desmonte abandando el que antes hubo ocupado para su nueva siembra con este sistema de aprovechamiento clan es que los terrenos de Cuetzalan ni terreno mucho más bastante sería capaz para contener esa clase de sembrados. Pero vino la Ley de Adjudicaciones, se fijaba el asiento de la propiedad, los Ayuntamientos contarian sus propios que les redituasen y nadie volution werden einige der gröbsten Geschlechterungleichheiten, bezogen auf Frauen beseitigt – z.B. dürfen Frauen nun ihren Besitz selbst verwalten, wie auch Verträge eingehen –. Das Zivilrecht von 1928 schafft die juristische Gleichheit zwischen Männern und Frauen, insbesondere die Geschlechtergleichheit in der Repräsentation und Verwaltung des Heims (Deere/León 2002: 60). Auf das Wahlrecht allerdings, müssen die Frauen bis 1953 warten, wobei sie dieses nicht einfach erhalten, sondern sehr lange dafür kämpfen müssen (ibid.: 65; cf. auch Lomnitz 1993: 360). 19 Übersetzt bedeutet das „Vernunftleute“. Es handelt sich um eine Selbstbezeichnung der nicht indigenen mestizischen oder „weißen“ Bevölkerung Mexikos, mit der sie sich von den Indigenen, die stark abwertend inditos, naquitos oder tontos genannt werden, abgrenzen wollen. Vgl. dazu u.a. Nutini/Isaac (1974: 168); Thomson (1991: 206ff.); Argueta (1994: 132-3); Lupo (1995: 55); Brewster (2003); Greathouse-Amador (2005a); Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 28). 20 Zunächst wird Zuckerrohr angebaut und es werden Viehweiden geschaffen, später kommt Kaffee dazu, der das Zuckerrohr teilweise ersetzt, teilweise ergänzt (Thomson 1991: 236). 21 Zum Prozess der desamortización, wie die Umwidmung von Gemeindeland in Privateigentum genannt wird, in Cuetzalan bzw. San Andrés Tzicuilan, vgl. Thomson (1991: 235ff.).

134 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN tomaria más estensión de terreno que la que su posibilidad le permitiese aprovechar (…).“ (zit. nach Ramírez Suárez et al. 1992: 16; Klammer mit Auslassungspunkten im Original)

Die Landenteignungen sind zunächst primär auf das Gebiet rund um die Distrikthauptstadt begrenzt. Eine Strategie der Indigenen ist es daher – abgesehen von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Eindringlingen (Brewster 1996: 111, Fußnote 17), vor allem unter Francisco Agustín Dieguillo 22 (Thomson 1991: 207; Mallon 1995: 116ff.; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 75), – sich einfach in abgelegenere (höhere) Gebiete zurückzuziehen und es entstehen Ortschaften wie Zacatipan, Teil der Gemeinde San Andrés Tzicuilan, auf der anderen Seite des Cuichat (Arizpe 1973: 33; 60; vgl. auch Lupo 1995: 35). Eine andere besteht im Bestreben individuelle Landtitel zu bekommen (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 56). Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 74-5) sehen diese Strategie als insofern erfolgreich, als es aktuell eine große Zahl von indigenen Landbesitzer_inne_n gibt. Darüber hinaus wird versucht das Kommunalland offiziell als ejido23 anerkennen zu lassen. So erklärt Chapopoapan 1875 sein ejido und der Berg von Cuichat wird am 22. November 1879 zum ejido ernannt, mit einer Fläche von ca. 1800 Hektar. Das Gebiet dient der Bevölkerung als Quelle für Bauholz, Brennholz, Blätter des cuamaital-Baumes für die Herstellung von Hausdächern, aber auch der Jagd und des Sammelns wilder Früchte. Es gibt darum harte Auseinandersetzungen mit Angehörigen der mestizischen Bevölkerungsgruppe. Das Engagement des bereits erwähnten Francisco Agustín Dieguillo kann Cuichat praktisch zwei Jahrzehnte lang davor bewahren in private Hände überzugehen. Ende des 19. Jahrhunderts aber, mit Unterstützung der lokalen mestizischen Autoritäten, wird auch dieses Land privatisiert (Ramírez Suárez 22 Zu Dieguillo, der der indigenen Oberschicht (deren Angehörige in der Literatur auch als „Kazik_inn_en“ oder „Caciquen“ u.ä. bezeichnet werden; vgl. z.B. Braig 2004: 274f.; siehe auch Kapitel IV.3.1) zuzurechnen ist, vgl. v.a. Thomson (1991), sowie Kapitel IV.3.2.1. Dieguillos Bewegung gilt als „Kastenkrieg“, speziell gegen die gente de razón gerichtet (Thomson 1991: 209) (eine Sichtweise, die Thomson in seinem Beitrag in Frage stellt). Ein Aspekt dieses Protests ist – neben der Entrüstung über ein Dekret das Ley Lerdo im Distrikt umzusetzen – in der Bewaffnung und militärischen Schulung der Indigenen im Rahmen der Nationalgarde im Zuge der vorangegangenen Kämpfe gegen Franzosen und Österreicher zu sehen (ibid.: 222). Vorangetrieben wird der Aufstand u.a. auch durch die „Verhaftung der Führer“, d.h. von Angehörigen des Altenrates, bestehend aus Männern im Alter zwischen 70 und 100 (ibid.: 227-8). 23 Ejido bezeichnet zunächst den individuell genutzten Gemeinbesitz der Indigenen, als Teil des Rechts- und Schuldverhältnisses zwischen spanischer Krone, corregidor (Statthalter) und indigener Bevölkerung (Beck 1986: 161-3; Fix-Fierro 1995: 71-3; Nuijten 2004: 184ff.). In der Zeit nach der Unabhängigkeit bezeichnet es Kommunalbesitz, der legal aus den Regelungen des Gesetzes vom 25. Juni 1856 ausgenommen und damit unantastbar ist (Mallon 1995: 117). Nach der Revolution aber handelt es sich beim ejido um Staatsland, das Einzelpersonen oder auch Gruppen von Menschen zur Nutzung übergeben wird und es besteht eine Differenzierung zwischen dem (einer Gemeinde gehörenden) Kommunal- und dem (sich in Staatsbesitz befindlichen) ejido-Land (vgl. v.a. Nuijten 2004: 184ff. sowie Beck 1986: 161-3; Fix-Fierro 1995: 71-3).

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et al. 1992: 17; vgl. auch Thomson 1991: 248-9). Manche Ländereien – in Tzinacapan24 sind das Tazalolpan und Zoquita – werden von den Gemeinden als Viehweiden an Mestiz_inn_en verpachtet (ibid.: 18-9). Im Gefolge der mexikanischen Revolution (1910-1920) kommen mestizische Siedler_innen – auf der Flucht vor den Kämpfen – in die Sierra und eignen sich ebenfalls Land an (Arizpe 1973: 33). Der Ausbruch der Spanischen Grippe in Cuetzalan und San Miguel Tzinacapan, der 150 maseualmej zum Opfer fallen, erleichtert diese Usurpation. Hingegen gibt es praktisch keine Umwidmungen von Privatbesitz in ejidos (vgl. u.a. Arizpe 1973: 60; Edelman 1980: 36); vielmehr führen in diesem Teil Mexikos – paradoxerweise –, die Landreformen im Gefolge der Revolution, insbesondere unter Präsident Lazaro Cárdenas (1934-1940),25 zur Förderung des Privateigentums, wie auch zu weiteren Enteignungen der indigenen Bevölkerung, zugunsten von Mestiz_inn_en. Denn aufgrund der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, 26 kommen viele arme Mexikaner_innen, auf der Suche nach Land, in die Sierra, wo sie scheinbar ungenutztes Land besiedeln und auf der Basis der neuen Gesetze (entsprechend dem Grundsatz „Das Land denen, die es bearbeiten“, vgl. dazu u.a. Deere/Leon 2002: 88; Nuijten 2004: 184), legitimieren lassen. Darüber hinaus gibt es in den 1920er, 1930er Jahren, intensive Kampagnen seitens der Distriktverwaltung, die Besitzer_innen jeder einzelnen Landparzelle festzustellen (Arizpe 1973: 88), d.h. einen indirekten Zwang zu individuellem Landbesitz. Für die indigene Bevölkerung ist folglich die Akzeptanz des Privateigentums und die Festschreibung einzelner Parzellen auf bestimmte Personen das beste Mittel ihre Siedlungs- und Nutzungsrechte abzusichern (ibid.; vgl. auch Brewster 1996: 111-2). Gegenwärtig gibt es praktisch keine ejidos (im postrevolutionären Sinn) und kaum Gemeindeland (vgl. Martínez Borrego 1991: 73-4; Tzm 10 1.2.2006).27 Vorherrschend ist Kleinbesitz (Arizpe 1973: 88). Fast vierzehn Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu Land; jene, die Land besitzen verfügen durchschnittlich über einen halben Hektar. 20 Prozent der zugänglichen Fläche ist gepachtet oder teilgepachtet, 28 v.a. für den Maisanbau für 24 San Miguel Tzinacapan wird in der Kolonialzeit errichtet, aber vermutlich schon vorher besiedelt (Argueta 1994: 84, Fußnote 16). Die Kirche wird um 1800, auf Bestreben der Franziskaner erbaut (ibid.: 86). 25 Lazaro Cárdenas verteilt in vier Jahren mehr als doppelt so viel Land an die rurale Bevölkerung, als seine Vorgänger alle zusammen. An die 26 Millionen Acres Land (ein Acre sind dem Duden Fremdwörterlexikon [Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion 2003: 39] zufolge etwa 4.047 m2) werden neu verteilt; 12.000 Dörfer sind die Nutznießer. 1940 hat ein Drittel der Mexikaner_innen, aufgrund der agrarischen Reform, Land erhalten, meist in Form von ejidos (vgl. dazu u.a. Edelman 1980: 29; Beck 1986: 162; MacLeod 2000: 31ff.; Staude 2008: 68). 26 Zur Wirtschaftskrise und ihren Auswirkungen in Mexiko, vgl. Tutino (2001: 268-9). 27 Manuel (Tzm 1C 1.2.2006) berichtet allerdings, dass es noch vereinzelt ejidos, aber kein Gemeinschaftsland gibt. 28 Teilpacht bezieht sich in den 1960ern, im Umfeld von San Andrés Tzicuilan, beispielsweise auf die Vergabe von Land für den Kaffeeanbau: neun Jahre bleibt das Land beim Pächter_bei der Pächterin, der_die versprechen muss Kaffeesträucher zu pflanzen. Die Ernte bleibt in dieser Zeit dem_der Pächter_ in. Danach allerdings muss er_sie das Land verlassen (Arizpe 1973: 89). – Im Falle der (Teil-)Verpachtung gibt es, nach Martínez Borrego

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den Eigenbedarf (siehe unten, Kapitel IV.2.5; vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 109-10). Nur dreizehn Komma sieben Prozent besitzen größere Flächen, zwischen 2.500 Quadratmeter bis zu einem Hektar (Martínez Corona 2003a: 232; vgl. auch Martínez Borrego 1991: 74-5, 111).29 Im Allgemeinen wird auf den weniger steilen Hängen sowohl Mais als auch Kaffee angebaut, während die steileren und felsigeren Hänge dem Kaffee bzw. dem Sammeln von Holz, Kräutern u.ä. vorbehalten sind (vgl. Beaucage/Taller de Tradición Oral de CEPEC 1997: 48, 51; dies. 2012: 97). IV.2.2 Einführung und Bedeutung des Kaffeeanbaus Kaffee spielt heute, wie im Kapitel IV.1 erwähnt, eine große Rolle in der Ökonomie (vgl. u.a. auch Ramírez Suárez et al. 1992: 35-6). Seine Einführung als Cash Crop im Jahre 1870 (Brewster 1996: 111, Fußnote 17; Lupo 2001: 341), ist eng an die oben beschriebene Vertreibung vieler Indigener aus der cabecera und die damit einhergehenden Landenteignungen bzw. Privatisierungen Ende des 19. Jahrhunderts, gekoppelt.30 Der Oraltradition zufolge, gehört der erste cafetal31 einer mestizischen Familie aus Cordova Ver, die sich auch in der Schaffung und Etablierung einer lokalen mestizischen Macht engagiert. 1875 wird Cuetzalan vom indio pueblo (sinngemäß: Siedlung von Indigenen; zu den repúblicas de indios siehe Kapitel IV.3.1) in eine Stadt (villa) umgewandelt (Ramírez Suárez et al. 1992: 36); ein Jahr später, 1876, wird der Kaffeeanbau erstmals in einem Dokument erwähnt: „(…) En este Municipio no se conocen fincas rústicas de labor y si hay pequeñas fracciones en las que los vecinos de todo este Munizipio hacen sus siembras de maíz, caña dulce, fríjol, café y demás frioleras: como Ajonjolí, pepita ancha, picante y, siendo de advertir que en estos dos últimos años, el plantío de café trasplantado puede abordar en toda la comprensión a mas de cincuenta mil matas. Esos terrenos están adjudicados y dadas sus escrituras a cada dueño con (1991: 76), oft folgende Vorgangsweise: das Land wird dem_der Pächter_in zur Anlage eines cafetal oder einer Weide für mehrere Jahre überlassen. Das der Weide gewidmete Land sollten die Indigenen roden und Mais und Bohnen darauf anpflanzen. Nach zwei bis drei Jahren fordert der_die Eigentümer_in das Land zurück und lässt beispielsweise sein_ihr Vieh darauf weiden. 29 Für die 1970er, vgl. Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (1997: 52). Ihnen zufolge, reicht damals eine Fläche von zwei Hektar zur Versorgung einer Familie (deren Größe nicht näher definiert wird) mit allem, was diese benötigt (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 109). Die Grundtendenz der ungleichen Landverteilung besteht bis heute fort (Mf 1 7.2.2005; Tzm 1C 1.2.2006; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 97). 30 Der Kaffee erzielt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr hohe Weltmarktpreise (Staude 2008: 67), weshalb sein Anbau dem Bedürfnis Mexikos nach Devisen, zum Aufbau seiner nationalen, aber noch unter den Auswirkungen der Kämpfe um die Unabhängigkeit und der politischen Vorherrschaft leidenden Wirtschaft, zugutekommt. 31 Zur besonderen Anbauweise des Kaffees in der Sierra, die hier die Übersetzung „Kaffeegarten“ und nicht „Kaffeeplantage“, wie das für andere Kaffeeregionen angemessen ist, nahelegt, siehe unten.

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arreglo a la ley de 25 de junio de 1856, y la porción mas grande, según un calculo aproximado será de diez fanegas. (…)“ (ibid.; Klammern mit Auslassungspunkten und Hervorhebung im Original)

Nutini und Isaac (1974: 283) sprechen im Zusammenhang mit der Einführung des Kaffeeanbaus in der Sierra, von einer „mittleren Latifundisierung“, worunter sie die Schaffung kleiner Haciendas mit 200-300 Hektar Land verstehen. Festzuhalten ist allerdings, dass hier – anders als in Soconusco oder Chiapas (Knight 1986: 152; Staude 2008: 67) –, aufgrund der Steilheit des Geländes und seiner Kleinräumigkeit, praktisch keine Betriebe, die über diese Größe hinausgehen, zu finden sind. Auch die Schwierigkeit des Transports wirkt größeren Betrieben eher entgegen. Ein wirtschaftlich profitabler cafetal hat in der Sierra maximal 25-30 Hektar, d.h. es wird primär in kleinen und mittleren Betrieben angebaut (vgl. auch Beaucage 1974: 120).32 Es gibt vor der mexikanischen Revolution in der Sierra sechs mestizisch geführte Kaffeefincas auf einer Fläche von insgesamt 243 Hektar, die 239.430 Kilogramm Kaffee erzeugen.33 Dazu kommen Zuckerrohrfincas, mit einer Fläche von 2.150 Hektar, größtenteils ebenfalls in mestizischer Hand (Ramírez Suárez et al. 1992: 45). In Tzinacapan existieren nur „una gran finca de doce estajos y 10 pequeñas que no excedían de 1 estajo de extensión“ (ibid.: 45). Für das Jahr 1910 wird für die dort ansässige Finca Dolores eine Ernte von 8.280 Kilogramm Kaffee, angebaut auf einer Fläche von zwölf Hektar angegeben (ibid.: 42).34

32 Heute ist ein allgemeiner Trend hin zu kleineren Betrieben unter den Kaffeeproduzent_inn_en, zu beobachten. Wird der Kaffee zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit noch vor allem auf großen Plantagen für den Export angebaut, so ist er heute ein typisches Produkt von Kleinbauern_bäuerinnen (Baum/Offenhäußer 1994: 18; vgl. auch Bacon 2005: 497). Gegenwärtig stammt nur noch ein Drittel der Weltproduktion des Kaffees aus Plantagenanbau; die Hälfte kommt von mittelgroßen Betrieben (mit einer Größe zwischen zwei und 20 Hektar), ein Sechstel von Betrieben unter zwei Hektar Boden. Die Pflanzungen in Mittelamerika sind durchschnittlich zwischen fünf und 30 Hektar groß (Baum/Offenhäußer 1994: 21-2). 33 Im späten Porfiriat wird Cuetzalan auf der Grundlage seiner hohen Kaffeeernten (die u.a. auch der harten Arbeit insbesondere der indigenen Kaffeebauern_bäuerinnen und -erntearbeiter_inne_n zu verdanken sind) zu einem der blühendsten Munizipien des Staates Puebla (Thomson 1991: 250-1). 34 Das alt-kastilische Flächenmaß almud, in Mexiko und Zentralamerika estajo genannt, entspricht dort 33,027 m2 (URL 26). Diese Umrechnungszahlen erscheinen aber, in Hinblick auf Kaffeeanbau in der Sierra Norte, wesentlich zu niedrig angesetzt. Im Vergleich mit einer Tabelle, erstellt von Ramírez Suárez et al. (1992: 42-45), der diese Daten entstammen, zeigt sich vielmehr eine Gleichsetzung, von einem estajo mit einem Hektar. – Edelman gibt folgende Umrechnungszahlen bezogen auf Mais an: „Small plots are typically measured in terms of the number of liters or almudes of corn which can be sown in a particular area (a hectare is equivalent to 20 liters, 14 kilograms or 2 almudes of corn)“ (Edelman 1980: 40). Und weiter, fokussierend auf regional differierende Mengenangaben: „While the almud in use in the Sierra Norte de Puebla is widely reported to equal ten liters, that in Chiapas measures 15 liters“ (ibid.: Fußnote 10; vgl. auch ders. 2013: 492).

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Viele Mestiz_inn_en bauen allerdings den Kaffee nicht selbst an, sondern betätigen sich vor allem als Aufkäufer_innen bzw. widmen sie sich in erster Linie der Verarbeitung und Kommerzialisierung des Kaffees in großem Maßstab (vgl. Arizpe 1973: 37-8, 74; Beaucage 1974: 117; Martínez Borrego 1991: 66; Thomson 1991: 252-3). In Cuetzalan gibt es Anfang des 20. Jahrhunderts eine der modernsten Kaffeemühlen dieser Epoche (Ramírez Suárez et al. 1992: 36). Später, in den 1930er Jahren, als Land aufgrund verstärkten Bevölkerungszuzugs aus anderen Regionen Mexikos (siehe oben), knapp wird, verpachten Mestiz_inn_en auch Land für den Kaffeeanbau an die indigene Bevölkerung (Martínez Borrego 1991: 66), auch um die, seitens der Politik von Präsident Cárdenas geforderte, Bebauung des Landes sicherzustellen (siehe oben): „Cuando yo vine a despertar (nechpetanic), ya se sembraba café aquí… Pero se daba mucho. Mi padre nos obligaba a una tarea de cortar 42 kilos o seis almudes al día de café; si no, nos decía que teníamos que quedarnos allí a dormer, si no terminábamos. Los que cortaban ganaban dos reales y medio (25 centavos) al día y el almud de maíz costaba dos reales y medio. Mi padre tenía solo dos estajos de café y pagámos $2,50 de renta por el cafetal al año… El café no se vendía cereza, sino seco, a seis pesos la fanega. Entonces el dinero era pura plata.“ (Alter Mann namens Pedro Xoltoc, zit. in Arizpe 1973: 61; Hervorhebung P.Z.)

Besondere Bedeutung erlangt der Kaffeeanbau in den 1940er Jahren, einer Zeit, in der der Kaffeepreis am Weltmarkt gewaltig ansteigt (Arizpe 1973: 64; Staude 2008: 68; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 80-1). Mexiko verfolgt zu dieser Zeit eine „policy of industrial self-reliance“ (Edelman 1980: 29), verbunden mit einem Abgehen von den Agrarreformen und einer „Modernisierung“ der Landwirtschaft (ibid.; vgl. dazu u.a. auch MacLeod 2000: 33; Doremus 2001: 375; Bonfil Batalla 2002: 120ff.; de Frece/Poole 2008: 335ff.). In Cuetzalan äußert sich diese Politik u.a. im Ausbau des Straßennetzes, was die Transportmöglichkeiten von Kaffee (dessen Anbau ausgeweitet wird) und anderen Cash Crops, wesentlich erleichtert (vgl. Arizpe 1973: 64, 96; Signorini/Lupo 1989: 22; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 80). Zwei wichtige Verkehrswege der Sierra werden 1946 fertiggestellt (Nutini/Isaac 1974: 299); die Verbindung Zacapoaxtla-Cuetzalan wird schließlich 1955 eröffnet (ibid.; Arizpe 1973: 65; Signorini/Lupo 1989: 22). 35 In diesem Jahr erreicht der Kaffeepreis einen ersten Höhepunkt (Arizpe 1973: 96-7). 1958 kommt es zur Gründung des staatlichen Kaffeeinstituts INMECAFÉ (Instituto Mexi-

35 Lok (1987: 212-3) berichtet allerdings, dass Cuetzalan noch in den 1960ern vom restlichen Mexiko isoliert ist und die Strecke Zacapoaxtla-Cuetzalan einen Weg von sieben Stunden mit dem Pferd bedeutet. Erst 1960 wird, Lok zufolge, die Verbindungsstraße zwischen den beiden Städten eröffnet. Nutini und Isaac (1974: 12) berichten von einer Reise Nutinis im Jahre 1959: „El sistema de comunicaciones de la Sierra de Puebla es escaso y deficiente. […] La topografía de casi toda la Sierra hace difícil y hasta peligroso viajar a pie o en mula“. Nutini (ibid.) erwähnt aber bereits eine asphaltierte Verbindung zwischen Zacapoaxtla und Cuetzalan, was Loks diesbezüglicher Angabe widerspricht.

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cano del Café),36 das gemeinsam mit dem 1948 gegründeten Instituto Nacional Indigenista (INI),37 den Kaffeeanbau in Mexiko vorantreibt, da dieser für die Wirtschaft enorme strategische Bedeutung hat38 (vgl. Martínez Borrego 1991: 96; Gerber 2005: 43-4). Die beiden nationalen Institutionen ermutigen insbesondere auch Inhaber_innen kleiner Landparzellen in die Herstellung des Exportprodukts einzusteigen bzw. diese auszuweiten. Zwar sinkt der Kaffeepreis in den 1960ern etwas, die Straßenbauten und die Forcierung des Kaffeeanbaus durch den mexikanischen Staat aber dauern an (vgl. Arizpe 1973: 65; Brewster 2008). 1966 übernimmt INMECAFÉ für 25 Prozent der Produktion der Kleinproduzent_inn_en die Vermarktung; 1967 werden seitens des staatlichen Kaffeeinstituts direkte und fixierte Preise zugesagt, die allerdings unter den Produktionskosten liegen. Daher spielen private Kaffeeaufkäufer_innen, die einen weniger fixen, dafür potentiell höheren Preis vereinbaren, für viele der Kaffeeproduzent_inn_en weiterhin eine wichtige Rolle (Arizpe 1973: 378).39 1969 verliert Brasilien, das bis zu diesem Zeitpunkt den Weltmarkt für Kaffee dominiert, aufgrund eines Frosteinbruchs, 98 Prozent seiner Ernte. Das führt dazu, dass der Preis für mexikanischen Kaffee nach oben klettert. Das wiederum hat zur Folge, dass fast der gesamte Kaffee der Sierra verkauft und exportiert wird (ibid.: 97; vgl. auch Martínez Borrego 1991: 98). Die aus der guten Geschäftslage resultierende, nochmalige Ausweitung seines Anbaus, geht immer mehr auf Kosten der Erzeugung anderer landwirtschaftlicher Güter, vor allem des Subsistenzbedarfs (Arizpe 1973: 38). Diese Form der Modernisierung – der Hinwendung zur Cash Crop-Produktion, verbunden mit dem Abgehen vom Anbau für den Eigenbedarf – hat in den folgenden zwei Jahrzehnten, gravierende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Landarbeiter_innen und Kleinbauern_bäuerinnen (zu den Auswirkungen in Oaxaca, vgl. u.a. Staude 2008: 75-6; allgemein wie auch in Cuetzalan, vgl. Martínez Borrego 1991: 98ff.). In den 1970er Jahren erleidet Mexiko, aufgrund der vorangegangenen Politik der „Grünen Revolution“, die vor allem den, für den Export produzierenden Mittel- und Großerzeuger_inne_n, zugutegekommen ist (vgl. neben Beaucage/Taller de Tradici36 INMECAFÉ (auch INC abgekürzt) ist der Ersatz für die 1949 gegründete Comisión Nacional del Café, die sich u.a. mit Fragen der Anbautechniken befasst (Martínez Borrego 1991: 96). 37 Doremus (2001: 375) gibt das Jahr 1947 an, Staude (2008: 73) 1949, in den offiziellen im Internet veröffentlichten Dokumenten (z.B. URL 27), aber auch bei Duarte-Gómez et al. (2004: 391), findet sich 1948. 38 Mit den erwirtschafteten Devisen sollten die Investitionen in der Erdölindustrie finanziert werden (Martínez Borrego 1991: 96). 39 Alessandro Lupo (1995: 38-9) sieht das Problem des INMECAFÉ darin, dass es erstens keine Sicherheit der Kaffeeabnahme bietet und zweitens den Kaffee in zwei Raten bezahlt: zunächst bei der Übernahme und dann erst viele Monate später, und das zu einer Zeit, als die, in den 1970er, v.a. aber 1980er Jahren dreistellige Inflation, mehr als die Hälfte des gesamten Werts „auffrisst“. Zwar dürfte die Ratenzahlung, aufgrund der geringeren Inflation in den 1960ern noch nicht diese Verluste mit sich bringen, die Unsicherheit der Abnahme und der an sich niedrige Preis aber, dürften die Begeisterung der Kleinproduzent_inn_en an einer Zusammenarbeit mit INMECAFÉ merklich dämpfen.

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ón Oral del CEPEC 1997: 60, auch Edelman 1980: 29ff.; Carruthers 1996: 1012; Fitting 2011: 93-4), gleichermaßen einen Mangel an Nahrungsmitteln zur Versorgung der eigenen Bevölkerung, wie auch an Devisen zum Kauf industrieller Inputs. 40 Die Regierung muss Millionen Tonnen Mais, zu steigenden Preisen, aus dem Ausland einkaufen. 41 Gleichzeitig (teilweise auch daraus resultierend) gibt es Unruhen der ländlichen Bevölkerung.42 Die Regierungen Echeverría (1970-1976) und López Portillo (1976-1982) haben für diese Probleme vor allem eine Lösung: die (weitere) „Modernisierung“ der Landwirtschaft, nun mit dem expliziten Ziel der Erhöhung der Produktivität, auch der kleinbäuerlichen Betriebe (Edelman 1980: 32; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 60; vgl. auch Barkin 2002: 79; de León 2005: 511; Trevizo 2006: 217-8). Ab 1978 gibt es dafür, unterstützt durch die Rockefeller Foundation, die Bank für Internationale Entwicklung und die US amerikanische Agentur für Internationale Entwicklung (Agency for International Development), Förderungen und technische Unterstützung. In der Sierra erfolgt diese in einer dualen Form. Einmal im Plan Zacapoaxtla, einem allgemeinen Entwicklungsprogramm unter der Leitung von Agrarwissenschafter_inne_n, zur Förderung des Nahrungsmittelanbaus für den Verkauf (siehe Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 60); zum anderen in einem Programm zur Steigerung der Produktivität im Kaffeeanbau, unter der Ägide des bereits genannten INMECAFÉ (vgl. Edelman 1980: 33; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 60; vgl. auch Martínez Borrego 1991: 97; Moguel/Toledo 1999: 17). 43 Entsprechend der Philosophie der „Grünen Revolution“44 betrachtet INMECAFÉ die kleinen traditionellen Kaffeegärten mit ihrer Mischung aus Kaffeesträuchern und Obstbäumen (siehe unten) als unproduktiv. Das Institut vergibt folglich vermehrt günstige Kredite an die Kleinbau40 Zu den Auswirkungen auf die Umwelt, vgl. u.a. Carruthers (1996: 1010ff.). 41 Die Förderungen gehen vor allem in die bewässerten Gebiete im pazifischen Nordwesten und im Bajio. Die erreichten Produktionssteigerungen (die ja primär Exportprodukte betreffen) reichen nicht für die Versorgung der rasch wachsenden Bevölkerung Mexikos aus. 15-20% des benötigten Getreides müssen importiert werden. Das kommt der Regierung insofern teuer, als sie das Grundnahrungsmittel Mais zu einem Drittel des Weltmarktpreises an die städtischen Arbeiter_innen weitergibt, um so ein Ansteigen der Lohn- und damit der Produktionskosten in der Industrie zu verhindern (Edelman 1980: 31-2). 42 Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Landarbeiter_inne_n/Peasants und (mestizischen) Landbesitzer_inne_n wie auch der Munizipalregierung, gibt es auch in der Sierra (siehe dazu Kapitel IV.5) (vgl. Beaucage 1994: 39ff.; Haly 1996: 557). Sie führen in der Folge zur Ausweitung der „Grünen Revolution“ auf die aufständischen kleinbäuerlichen Bevölkerungsschichten (Edelman 1980: 33). Dazu siehe unten. 43 Meza et al. (1990: 89) weisen darauf hin, dass die Unterstützungen, die INMECAFÉ in Form von Krediten für Dünger, Saatgut, technische Hilfe, etc. gewährt, durch Angebot und Nachfrage der internationalen Finanzzentren wie auch der nationalen Politik, bestimmt sind. 44 Die als solche nicht verworfen wird, im Gegenteil, sollte sie auch auf die kleinen Produzent_inn_en, die nun als potentielle Erzeuger_innen von Nahrungsmitteln für die Industriearbeiter_innen und die urbanen Bevölkerungsschichten, verstärkt ins Blickfeld des Interesses geraten, ausgeweitet werden. Eine ähnliche Politik wird, unter der Ägide der Weltbank, u.a. auch in Guatemala verfolgt; vgl. dazu auch Isakson (2009: 749).

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ern_bäuerinnen, unter der Bedingung, dass sie ihre Gärten „erneuern“, d.h. die Anbaufläche für Kaffee ausweiten und neue Hochleistungssorten, wie z.B. Mondo Novo, Caturra und Borbon, anbauen. Diese Sorten scheinen insofern geeignet, die Modernisierung der Landwirtschaft und damit – in der Logik der Verfechter_innen der „Grünen Revolution“ –, das Wohlergehen der ländlichen Bevölkerung voranzutreiben, als sie schon nach drei statt nach fünf Jahren Früchte tragen und dazu noch zwei bis vier Tonnen Kaffeekirschen pro Hektar liefern, anstatt nur einer, wie die herkömmlichen Varietäten. Die Sträucher sind kleiner (was das Ernte erleichtert), sie brauchen keinen Schatten, dafür allerdings chemischen Dünger, Pestizide und einen sorgfältigen jährlichen Schnitt. Aufgrund der Kreditmöglichkeiten und der guten Preise, die zwischen 1978 und 1986 für Kaffee bezahlt werden, lassen sich viele indigene (wie auch mestizische) Bauern_Bäuerinnen überzeugen und in der Folge wird ein großer Teil des Maislandes in cafetales umgewandelt (vgl. Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 47, 61; vgl. auch Moguel/Toledo 1999: 17-8). Die Ausweitung der „Grünen Revolution“ auf die kleinen Kaffeeproduzent_inn_en der Sierra, scheint auf den ersten Blick tatsächlich erfolgreich zu sein, denn 1982 ist das Nettoeinkommen von den neuen Kaffeefeldern pro Hektar zehnmal höher als das des besten Maisfeldes. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass sich die Lebensbedingungen der Produzent_inn_en dadurch nicht verbessern, im Gegenteil. Das erwirtschaftete Geld muss größtenteils für den Kauf des immer teurer werdenden Mais,45 der ja nun von vielen Familien nicht mehr, oder nur zu einem geringen Teil, selbst produziert wird, ebenso wie für den Kauf des knapp werdenden Feuerholzes, das bisher im Überfluss in den multifunktional genutzten Kaffee- und Obstgärten zu finden war, ausgegeben werden (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 48, 51, 61). Auch die auf den herkömmlichen Feldern gesammelten Kräuter und Pflanzen, sowie das dort angebaute Obst und Gemüse, stehen nicht mehr zur Verfügung und müssen eingekauft, oder aber es muss auf ihren Konsum bzw. Verkauf (und damit das resultierende Einkommen) verzichtet werden. Trotz steigendem Arbeitsaufwand zur Pflege der, verglichen mit den herkömmlichen Sorten, empfindlichen Kaffeestauden, sinkt daher die Nahrungs- und damit auch Lebensqualität für die betroffenen Familien. Darüber hinaus ist das Programm von INMECAFÉ, für seinen Erfolg von verschiedenen, größtenteils externen Bedingungen abhängig, also solchen, die abseits der lokalen Kontrolle liegen. Insbesondere sind das auf der Seite der Ausgaben die Preise für Nahrungs- und andere Lebensmittel,46 sowie die für die

45 Zur allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen in Mexiko in den 1970er, 1980er Jahre und den steigenden Maispreisen, vgl. u.a. MacLeod (2000: 33-4). 46 Die Flora und Fauna der Sierra liefert potentiell eine Vielzahl von Rohstoffen, angefangen von Beeren, Früchten, diversen Pflanzen und Tieren für den Verzehr wie auch zu Zwecken der Heilung, über Materialien zur Herstellung von Seilen, Schnüren, Körben, Möbeln, Häusern, etc. bis zum bereits erwähnten Feuerholz. Je weniger Fläche für die dafür erforderliche Biodiversität zur Verfügung steht und je weniger Zeit die Leute in das Sammeln und Verarbeiten der vorhandenen Ressourcen stecken können, desto mehr industriell gefertigte Güter müssen über den Markt eingekauft werden, um die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Nahrung, Kleidung und Wohnen decken zu können. – Zur Verstärkung der Abhängigkeit von gekauften Nahrungsmitteln und Kleidung im Zuge von landwirtschaftlichen

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neuen Pflanzenvarietäten benötigten Farminputs, wie Düngemittel und Pestizide. Auf der Einnahmenseite betrifft das den internationalen Kaffeepreis (vgl. u.a. Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 61). Die externe Abhängigkeit zeigt sich schmerzlich, als 1989 das Quotensystem des Weltkaffeeabkommens, 47 das Herstellungsmengen und Mindestpreise festlegt, zunächst ausgesetzt und schließlich, seitens der USA und verschiedener westlicher Länder, aufgekündigt wird (Baum/Offenhäußer 1994: 43-4). In wenigen Monaten fallen die Preise, die den Produzent_inn_en gezahlt werden, „ins Bodenlose“ (ibid.: 43; vgl. auch Gerber 2005: 50; Staude 2008: 76; Talbot 2011: 79-80). 48 INMECAFÉ, das mehrere Millionen Dollar Schulden hat, wird aufgelöst. Ein Gutteil der Förderprogramme für Kleinbauern_bäuerinnen wird eingestellt (Moguel/Toledo 1999:12; Staude 2008: 76; vgl. auch Crummett 2001: 106). Dazu kommt dann im Dezember 1989 ein Frost, der die meisten Pflanzen in über 500 Meter Seehöhe in der gesamten Golfküstenregion abtötet (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 61; Pérez Nasser 2002: 138; Greathouse-Amador 2005a; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 88). Ausgelöst durch die Zerstörung vieler cafetales, kommt es zu einer Wende in der ökonomischen Ausrichtung der kleinbäuerlichen Bevölkerung Cuetzalans. Zum einen werden alternative Einkommensformen im Tourismus entwickelt (vgl. GreathouUmstrukturierungen in einem anderen Land Lateinamerikas, nämlich in Chile, vgl. u.a. Tinsman (2000: 165f.). 47 1962 wird das erste Weltkaffeeabkommen (International Coffee Agreement, kurz ICA) im Hauptquartier der Vereinten Nationen geschlossen, unterzeichnet von 42 Kaffeeexportund 17 Importländern. Die USA und Brasilien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Verwaltet wird das Abkommen durch die International Coffee Organization (ICO) in London. In Folge werden zahlreiche weitere Abkommen geschlossen (Baum/Offenhäußer 1994: 52-3). Piper (1999: 88-9) sieht einen entscheidenden Grund der Auflösung des ICA, in einer Änderung der Nachfrage hin zu teurerem milderen Kaffee, den die klassischen Hauptproduzent_inn_en nicht liefern können. Zur Analyse des Scheiterns des Abkommens, siehe auch Massarrat (1999), wobei ihm zufolge, auch eine allgemeine Überproduktion von Kaffee eine wesentliche Rolle spielt. 48 Der Preissturz ist die Folge eines Kaffeeüberangebots auf den Weltmärkten seit Mitte der 1980er. Der Kaffeekonsum stagniert weltweit, dennoch haben die Anbauländer in Zeiten hoher Kaffeepreise, zur Erwirtschaftung von Devisen, die Flächen ausgeweitet und unterlaufen damit die im Abkommen vereinbarten Quoten. Hintergrund ist u.a. der Druck des IWF, die Schulden bei Banken und Regierungen der Industrieländer zu tilgen (Baum/Offenhäußer 1994: 45). Beträgt der Rohstoffpreis 1985/86 an den internationalen Warenbörsen noch ca. 170 US-Cents pro lb (lb = ein engl. Pfund = 0,4536 kg), so beträgt er 1989 nur noch 91 Cents. Die Deviseneinnahmen der Kaffeeanbauländer sinken im selben Zeitraum von 17,4 Mrd. auf 9,1 Mrd. und auf 5,7 Mrd. 1991. Dazu kommen Kurseinbrüche des US-Dollar (ibid.: 46). 1992 sind die Preise nicht hoch genug, um auch nur die Erntearbeit zu bezahlen, nicht zu reden von den Kosten für den Anbau und die Pflege des Kaffees (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 61). Im April 1993 erreicht der Weltkaffeepreis mit 50,48 Cents/lb einen vorläufigen Tiefststand (Baum/Offenhäußer 1994: 46). – Zum Preisverfall im Zuge der Auflösung des ICA, vgl. u.a. auch Massarrat (1999: 95).

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se-Amador 2005a; dies. 2005b; sowie Kapitel IV.2.6), zum anderen geht man im Kaffeeanbau weg von der Orientierung an maximalen Anbauquoten mit Monokultur und Hochleistungssorten, hin zu diversifizierten Gartenbausystemen und – nur bedingt einem neuen Trend der Absatzmärkte in Europa und den USA entsprechend (siehe unten; zur Entwicklung des Marktes in den USA, siehe Bacon 2005: 499-500) – dem Anbau von Bio-Kaffee.49 Mit Hilfe von neuartigen Maschinen, der Umwandlung von organischem Abfall in Dünger, anderen Kaffeesorten und der Einführung ökonomisch nutzbarer Bäume (macadamia), anstelle der einfachen Schattenbäume, wird begonnen, die produktiven Bedingungen des Landes zu verändern. Nach und nach wird die Mischkultur wieder eingeführt, wie sie vor der Dominanz der Monokultur vorherrschend war (Coronado/Hodge 2004: 107). Nach Moguel und Toledo (1999: 18) werden im Jahr 1995 bei einer Gesamtfläche von 16.448 Hektar an cafetales in Cuetzalan 13.982 Hektar in der Form der traditional polyculture, 8.224 Hektar in commercial polyculture und je 822 Hektar in beschatteter und unbeschatteter Monokultur angebaut. Heute finden sich daher in der Sierra vorwiegend Systeme der traditional und der commercial polyculture. Dabei handelt es sich im Falle der traditional polyculture um „[…] a shaded coffee plantation that involves the most advanced stage of manipulation of the native forest ecosystem. […] coffee is introduced under the cover of the original forest […] [It] is grown alongside numerous useful plant species, forming a sophisticated system of managing native and introduced species – for instance, by favoring the growth of or eliminating certain tree species. The result is an exuberant ‚coffee garden‘ with a great variety of arboreal, shrublike, and herbaceous species, both wild and domesticated. In this system, coffee platantions reach maximum vegetational and architectural complexity and the highest ‚useful diversity‘.“ (Moguel/Toledo 1999: 13)

Die zweite Form der Mischkultur, die commercial polyculture, besteht hingegen aus einer Mischkultur der Kaffeesträucher mit schattengebenden Nutzbäumen. Sie entsteht durch die „[…] complete removal of the original forest canopy trees and the introduction of a set of shade trees appropriate for coffee cultivation. Rather than the original trees, the forest cover of this cultivation type comprises tree species that provide shade (such as many leguminous plants which add nitrogen to the soil) or are useful commercially, such as the nonnative trees rubber (Castilla elástica), pepper (Pimenta dioica sp), cedar (Cedrela odorata), jiniquil (Inga spp), chalahuite (Inga spp), and colorín (Erythrina spp). These trees make up the arboreal cover of

49 Wobei allerdings, Moguel und Toledo (1999:12) zufolge, Mexiko das erste Land ist, das biologischen Kaffee exportiert und dieser Ende der 1990er Jahre ca. ein Fünftel der Gesamtmenge ausmacht. Insgesamt liegt Mexiko mit einer Ernte von 4 650 000 Sack á 60 Kilogramm 1998/9 an fünfter Stelle der weltweiten Kaffeeproduktion (Best Investments/Daily Coffee Newsletter, Juni 1999, zit. nach Neuberger et al. 1999: 16). Der Anteil der Erlöse aus dem Kaffeeverkauf an den Gesamtexporten Mexikos beträgt 1970 7,1%, 1980 3%, verringert sich 1990 weiter auf 0,8% und steigt 1998 wieder an auf 1,4% (Deutscher Kaffeeverband, zit. nach Neuberger et al. 1999: 92).

144 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN polyculture plots where coffee, citrus fruits, bananas, and other cash crops are grown.“ (ibid.: 13)

Neben dem Kaffee lassen sich daher auch Orangen, Pfeffer, Bananen, etc. ernten und am Markt verkaufen. Dadurch verringert sich die Abhängigkeit von einer einzigen Cash Crop.50 Darüber hinaus können auch medizinische Kräuter und Rohmaterialien für die Herstellung handwerklicher Produkte u.a. genutzt werden, ebenso wie der cafetal nun (wieder) als Quelle für Brennholz dient (vgl. u.a. Feldnotizen 15.2.2005; 31.1.2006 zu Cuetzalan/San Miguel; sowie Meza et al. 1990: 89 zu den Totonaca in Huehuetla).51 Die Umstellung geht so weit, dass die mexikanische Regierung – jahrzehntelang mit der Förderung von Kaffeemonokultur und damit Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Varietät befasst (siehe oben) – die Sierra Norte de Puebla heute, als prioritäres Gebiet der Bewahrung der Biodiversität betrachtet. Der „traditionelle“ Kaffeeanbau bildet in diesem Zusammenhang ein entscheidendes Refugium für die biologische Vielfalt (Vergriete/Olivier 2003: 68). Viele der ranchos genannten Parzellen der ärmeren, nicht in der landwirtschaftlichen Kooperative Tosepan (siehe Kapitel IV.5.1) organisierten indigenen (und teilweise auch mestizischen) Bevölkerung, sind durch die genannten Charakteristika der commercial polyculture, mit Schatten spendenden Pfeffer- und Obstbäumen52 – im Falle der Indigenen auch vielen Pflanzen der „ursprünglichen“ Vegetation als einer Mischung der beiden Gartenbauweisen –, gekennzeichnet, ohne dass – wie das im Beiwort commercial nahe gelegt wird – ein in erster Linie kommerzieller Anbau vorliegt. „Es zahlt sich nicht aus“, ist das häufig vorgebrachte und den Marktverhältnissen53 Rechnung tragende Argument gegen eine überwiegende Produktion für den Verkauf (vgl. z.B. Feldnotizen 5.12.2003; Feldnotizen 21.7.2004; et al.). Verkauft wird nur zu einem geringen Teil und wenn, dann vor allem auf dem lokalen Markt (vgl. u.a. Feldnotizen 11.12.2003). „(Solo del rancho no se puede vivir) Del rancho no se puede vivir porque pos allí no se gana nada (Pause) allí tienes que limpiar el cafetal (Pause) yy tienes que esperlo hasta que: (Pause) s 50 Die Abhängigkeit von einer einzigen Pflanze zu minimieren entspricht, Baum und Offenhäußer (1994: 28-9) zufolge, in besonderer Weise der kleinbäuerlichen Produktion. Weitere Cash Crops werden neben dem Kaffee angebaut, ebenso wie Nahrungsmittel für die Eigenversorgung, und es werden Hühner, Ziegen und Kühe – bzw. im Falle der Indigenen Cuetzalans nicht Ziegen und Kühe, sondern Schweine und Truthennen/-hähne – gehalten. Dazu kommen noch weitere – ergänzend gedachte – Einkommen generierende Aktivitäten (vgl. dazu u.a. Isakson 2009 sowie Kapitel IV.2.4 bis IV.2.6). 51 Zur aus der polyculture resultierenden biologischen Vielfalt in Tzinacapan, vgl. auch Vergriete/Olivier (2003). 52 Vgl. dazu auch Martínez Corona (2003a: 240), die die Anbauweise des Kaffees als „de sombra“ beschreibt, als gemischt mit anderen Bäumen und Stauden wie Bananen, Zitrus, Pfeffer und mamey. Diese Art der Produktion fördere einerseits die Vielfalt der Vegetation der Region und andererseits die Verfügbarkeit von Lebensmitteln während des ganzen Jahres. 53 Ende der 1990er verfällt der Kaffeepreis noch weiter. 2002 liegt der Weltmarktpreis bei 47 pro lb (Osorio 2004: X).

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que hay lo un poquito de trajer (längere Pause) so soles nosotros no (Pause) no teníamos problema del café porque siempre como: limpiamos (Pause) el café y lo vendemos así en polvo. (Pause) Aunque no vale el café, pero no para mi, para nosotros si vale (Vale) Vale, porque pos limpiar, limpia uno y el (Pause) así en polvo, si más compran (Pause) más lo compran tu ( ) [( ) ¿mucho trabajo el café?] Mucho trabajo. Si, para siempre, así es. Lo corta uno, lo seca (Pause) ya después de que está seco pone este en la molina, ya después lo tostas, otra vez lo mueles, ya:, mucho trabajo. (Pause) Pero así es, para EN TRAER el dinero poquito. (Pause) Si no trabajas POS NO GANAS NADA DE DINERO.“ (Tz 5 2005: 521-540)

Größtenteils wird der Kaffee im eigenen Haushalt konsumiert, denn er ist mittlerweile ein wichtiges Getränk in der Region (Arizpe 1973: 75), das, stark gesüßt, bei jedem Fest, aber auch bei jedem Besuch angeboten, zum Abschluss jeder Mahlzeit getrunken wird (siehe Feldnotizen lfd.) und mittlerweile rituelle Bedeutung hat.54 Carruthers (1996: 1011) hat auf diesen Verhaltenstrend, des überwiegend eigenen Konsums biologisch angebauter (aber nicht zertifizierter) Lebensmittel unter der armen ländlichen Bevölkerung Mexikos, hingewiesen. Anders als in Ländern Nordamerikas, Japans und Westeuropas ist, ihm zufolge, der Umstieg auf organische Landwirtschaft in Mexiko nicht Ergebnis der Nachfrage durch einigermaßen finanziell abgesicherte Mittel- und Oberklassen, mit einem steigenden ökologischen, sozialen wie auch gesundheitlichen Bewusstsein. Vielmehr handelt es sich um einen Ausdruck der Krise der 1980er, oder richtiger, wie ich ergänzen möchte, im Falle des Kaffeeanbaus, der 1990er Jahre, und der damit einhergehenden Einstellung staatlicher Kredite und Förderungen im Kontext neoliberal geprägter „Strukturanpassungen“ (vgl. dazu u.a. Abrahamer Rothstein 1999: 587; Neuberger et al. 1999: 115-20; Crummett 2001: 106; für Guatemala, vgl. u.a. Hücking 1999: 9; Wagner 1999). Folglich ist es auch in erster Linie „Mexico’s smallholder sector that has turned to alternative agriculture“ (Carruthers 1996: 1012). Die meisten Produkte der biologischen Landwirtschaft verbleiben auf den lokalen Märkten und werden primär von den Peasants und den ländlichen Armen konsumiert (ibid.: 1011), also nicht nach Europa oder in die USA exportiert.55 „[…] sustainable agriculture in Mexico, as in the Third World more generally, is not a luxury but a necessity. Because it takes place largely in the smallholder and subsistence sector, most of its products are destined for household consumption or local sale. For poor subsistence farmers, low input agriculture is not just cost effective, it may be the only alternative to hunger or starvation. In rural Mexico, on the fringes of the modern cash economy, industrial agriculture loses its ‚comparative advantage‘.“ (ibid.: 1012)

54 Zu Allerheiligen erhalten die Toten täglich frischen Kaffee; ältere Leute reservieren einen Schluck Kaffee für die Erd- und Feuergottheiten (siehe Feldnotizen lfd. bzw. zu Todos Santos Feldnotizen 23.10.-3.11.2011). 55 Ploeg (2010: 7) spricht, bezogen auf die Hinwendung zu ökologischen Formen der Landwirtschaft, von „cost-reduction through greater selfprovisioning“ und sieht darin, „an active distantiation from the dominant socio-technical regime“. Isakson (2009: 730) schildert die Charakterisierung „traditioneller“ Mischkultur als „post-capitalist politics“ und zeigt ihre Gültigkeit für Gemeinden im guatemaltekischen Hochland.

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Dieser allgemeine Trend der Peasant-Ökonomie des „Globalen Südens“, wird in Cuetzalan, zum Einen durch die Peso-Abwertung Mitte der 1990er Jahre und die damit einhergehenden allgemeinen Preissteigerungen (Abrahamer Rothstein 1999: 587; Livingston 2004: 65; Washbrook 2005: 419), zum Anderen durch den weiteren Fall des Kaffeepreises 2001 sowie die starken Schwankungen am Weltmarkt noch verstärkt. „In den letzten 10 Jahren waren die Preisschwankungen im Weltmarktpreis enorm. Im Oktober 2001 sank der Kaffeepreis so stark wie zuletzt 30 Jahre zuvor. Damals ist der Kaffeemarkt über Nacht zusammen gebrochen. Das Pfund Kaffeebohnen war am Markt nur noch 45 US-Cent wert.“ (URL 28)

Der Börsenkurs vom 9.7.2012, 8 Uhr 39, liegt hingegen bei 1,77 US-Dollar das Pfund Kaffee (URL 29), also um ein Vielfaches höher als 2001. Bieten derlei Höhenflüge Spekulant_inn_en hohe Gewinnmöglichkeiten, 56 so kann das rasche Auf und Ab für Produzent_inn_en – die ihre Produktion nicht in derselben Geschwindigkeit dem Markt anpassen können – den Ruin bedeuten (vgl. dazu u.a. Koss/Zuckerhut 2011: 429; Talbot 2011: 81). Aus Erfahrung klug geworden, aber auch in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien vieler, vor allem indigener Wirtschaftsweisen (vgl. dazu u.a. Bossen 2005; de Frece/Poole 2008; Isakson 2009), stellt der Kaffeeanbau – sei es für den eigenen Konsum, sei es für den Verkauf am lokalen Markt, oder auch (im Falle der Indigenen Cuetzalans über die Kooperative Tosepan) am Weltmarkt –, nur einen Aspekt unter vielen zur Erwirtschaftung von Einkommen dar, wie das auch aus folgender Aussage deutlich wird: „(lange Pause) Bueno, ¿café? Café si tiene. [si tiene] A si. Café, naranja, si. (Pause) Allí a veces hay platano. Si. Unas limas también. (Pause) Cosas ld (längere Pause) ›de frutas‹ (Pause) maney (längere Pause) [muchas cosas diferentes] y allí, adonde siembra (längere Pause) ps allí:, allí se dan (Pause) esas calabasitas, si. Y jitomate, si lange Pause) ›nada más‹?. (Lange Pause).“ (Tz 7 2005: 161-168) „Mhm, si. (Pause) si pos e:, hace artesanía y trabaja en el campo. Si. Y yo: (Pause) trabajo poquito de artesanía y (Pause) hago de mi cocina. Si.“ (ibid.: 151-9)

Daher sollte, zumindest für einen Teil der Bevölkerung (siehe Kapitel IV.5.2), besser von polybians, nach Kearney (1996; vgl. Kapitel II.3.6), gesprochen werden. Im folgenden Kapitel gehe ich auf die Besonderheiten des Kaffeeanbaus bei den indigenen Produzent_inn_en, verglichen mit denen bei den mestizischen, ein, um anschließend weitere Einkommensformen – die, wie von Isakson (2009) für guatemaltekische Maya-Gemeinden beschrieben, als ergänzend zur – nicht zum Überleben ausreichenden – Subsistenzwirtschaft gesehen werden müssen – vorzustellen.

56 Zur Bedeutung von sogenannten Warentermingeschäften für Spekulant_inn_en, vgl. Neuberger et al. (1999: 81).

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IV.2.3 Die Besonderheiten des indigenen Kaffeeanbaus, als Ausdruck einer vielseitigen Peasant-Ökonomie Wie oben ausgeführt, dominieren in Cuetzalan, aufgrund der topographischen Gegebenheiten, aber auch als Folge einer Reihe von historischen Ereignissen, die Formen der traditional und der commercial polyculture gegenüber der, dem kapitalintensiven Agro-Business stark entgegenkommenden, unbeschatteten Monokultur. Entspricht erstere eher der indigenen Wirtschaftsweise, so werden die beiden letzteren vor allem von der mestizischen Bevölkerung betrieben. Pierre Beaucage und das Centro de Estudios y Promocion Educativa Para el Campo (CEPEC) beschreiben die mestizische Vorgangsweise bei der Schaffung und Erhaltung eines cafetal entsprechend der commercial polyculture folgendermaßen: „First, mestizos plant their coffee trees in rows, on gentle slopes, at a distance of about three meters, for a total density of 1000 coffee plants per hectare, covered by up to 100 Inga trees“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58). Die Gärten werden demnach auf gutem und leicht zugänglichem Land errichtet. Sie sind beschattet, d.h. zwischen den, in Reihen angebauten Kaffeepflanzen, finden sich Inga-, sowie – im Zitat nicht genannt – Obstund Nelkenpfefferbäume (vgl. Kapitel IV.2.2 sowie Feldnotizen 16.6.2003; 7.2.2005; et al.), wobei diese Mischkultur auch die Bodenfruchtbarkeit fördert (Tzm 1C 24.10.2011). Gedüngt wird in neuerer Zeit, wenn überhaupt, vorwiegend mit Hühnerund Schweinemist – in dieser Hinsicht gibt es praktisch keine Unterschiede zur indigenen Anbauweise (vgl. dazu u.a. die Aussage von Tzm 10 21.7.2004) –, sowie – vor allem von ärmeren Peasants – Herdasche, die allerdings oft auch Reste von verbrannten Plastiksäcken enthält, wie aus folgender Beschreibung aus meinem Feldtagebuch deutlich wird: „María erklärt, dass sie die Asche des Herdes als Dünger verwendet. Als sie ein Plastiksäckchen und ein Milchpäckchen verbrennen will, sage ich, dass das nicht gut sei, da das Gift in den Boden komme und von dort in die Pflanzen und schließlich von den Menschen aufgenommen werde. María, überzeugt, mit dem Rauch würde das Gift durch das Dach entweichen, gibt mir dennoch Recht und nimmt das Säckchen heraus, legt es beiseite. Eine halbe Stunde später wirft sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ein anderes Plastiksäckchen ins Feuer.“ (Feldnotizen 6.12.2003)

Neben der, wie hier geschildert, trotz des Verzichts auf Kunstdünger, nicht immer streng den Prinzipien organischer Landwirtschaft entsprechenden Förderung der Bodenfruchtbarkeit, gibt es noch weitere in der cafetal zu verrichtende Arbeiten, wie die Beschneidung der Bäume, wobei diese nach Beendigung der Ernte im Jänner erfolgt. Das dient dazu, die Bäume niedrig zu halten, um das Pflücken der Bohnen zu erleichtern. Die Trockenzeit, in den Monaten April und Mai, wird zur Rodung, mittels Machete, in den Zwischenräumen, genutzt. Die solcherart gepflegten Kaffeestauden tragen an die 20 Jahre Früchte, dann lässt ihre Fruchtbarkeit merklich nach und sie werden abgeholzt. Zwischenzeitlich wurden womöglich bereits frische Bäume gepflanzt, die nun beginnen Früchte zu tragen (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58). Mestizische (und hier speziell die wohlhabenderen) Landwirt_inn_e_n sind in der Regel marktorientiert in dem Sinne, dass sie Kaffee, eventuell auch andere Produkte

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(vor allem aus der Viehzucht), primär für den Verkauf erzeugen und keine oder kaum Subsistenzwirtschaft betreiben. Damit aber unterscheiden sie sich grundlegend von indigenen Peasants (ibid.).57 Denn es gibt bei letzteren nur in Ausnahmefällen eine ausschließliche Spezialisierung auf die Erzeugung und Vermarktung von Kaffee oder anderen Produkten, d.h. es wird – sofern Land vorhanden ist – immer auch ein Teil der Subsistenz selbst hergestellt. Daher wird gegenwärtig seitens der maseualmej immer wieder betont, „dass sie zum Essen kaum Geld bräuchten – es würden genug Dinge am rancho[58] wachsen“ (Tzm 10 25.7.2004). Die Erzeugung von Cash Crops dient der Ergänzung, ja der Ermöglichung, der Herstellung von Subsistenzprodukten: „Indian farmers insist on the necessity of producing at least a part of their own subsistence needs: cashcropping should be reserved for market goods. As one informant stated it: ,Nice is the life of the farmer. He plants his com and weeds it and then he harvests it so that he does not need to buy any‘ […].“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58)

Diese ideologische (und praktische) Bevorzugung der Subsistenz gegenüber Marktprodukten äußert sich auch in der Landnutzung, die zu einem guten Teil noch auf die Blütezeit des Kaffees als Cash Crop zurückgeht. Die besten Parzellen, auf den weniger steilen und leichter zugänglichen Hängen, sind für den Anbau von Mais und anderen Nahrungspflanzen, wie Bohnen, Tomaten und Kürbissen reserviert; cafetales finden sich eher auf den steileren, felsigeren Ländereien – weshalb ich bei einem Besuch eines cafetal feststelle, dass „[d]as rancho Antonios […] [eben]so unwegsam [ist] wie das von Juan“ (Feldnotizen 1.2.2006). Nach Beaucage und der Taller de Tradición Oral del CEPEC (1997: 58) gibt es auch Kaffeebäume zwischen den Häusern des Dorfes, etwas, was sich allerdings – meinen Beobachtungen nach (vgl. Feldnotizen 7.2.2005 et al.) – auch bei armen bis ärmeren Mestiz_inn_en findet bzw. ist es in einigen indigenen Gemeinden eher umgekehrt, dass die Häuser oft zwischen den Kaffeebäumen, also inmitten von cafetales errichtet sind (Feldnotizen 2.2.2006 et al.). Die Pflanzung der Bäume erfolgt nicht in Reihen, sondern „in ,beds‘ (kayok), four at a time, more irregularly and at a greater distance (four-five meters apart) than the mestizos“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58). Dadurch erübrigt sich die oben beschriebene Beschneidung der Bäume, da „the trees will bend to the outside when the branches are loaded with grain. Pickers gently pull the branches down as they work so as to make further work easier“ (ibid.; vgl. auch Feldnotizen 1.2.2006). Bei Bedarf nach Feuerholz, werden allerdings das ganze Jahr über kranke und kaputte Äste von den Kaffee- und Schattenbäumen abgeschnitten (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58). Gejätet wird weniger mit der Machete als vielmehr mit der Hand. Dadurch lassen sich für die Heilung oder die Ernährung nützliche Pflanzen leichter von anderen un57 Bzw. einigen der ärmeren bis armen Mestiz_inn_en, deren Wirtschaftsweise sich der indigenen annähert, wenngleich die Motivation dahinter weit stärker ökonomisch geprägt ist (siehe oben), als das bei den Indigenen, bei denen die cosmovisión eine entscheidende Rolle spielt, der Fall ist (vgl. Zuckerhut 2008a; dies. 2010b; sowie Kapitel IV.2.5 und IV.4). 58 Hier wird der Begriff rancho in der ebenfalls üblichen Bedeutung für landwirtschaftliche Nutzfläche, ländliches Gebiet, im Unterschied zur Stadt und zur Siedlung, verwendet.

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terscheiden; erstere werden stehen gelassen oder gepflückt und nach Hause genommen, letztere ausgerissen und liegen gelassen (ibid.: 59; dies. 2012: 115-6). Der Lebenszyklus einer cafetal entspricht dem Familienzyklus insofern, als frisch gebackene Haushaltsvorstände oft neue Kaffeegärten anlegen. Diese können dann bis zu dreißig Jahren, manchmal auch länger, genutzt werden. Die Bäume bleiben stehen, solange sie noch Früchte tragen. Die Söhne legen neue Pflanzungen an (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 59), sobald sie von ihrer Herkunftsfamilie unabhängig werden bzw. ihnen der Vater die Verantwortung für den Haushalt übergibt. Nach Beaucage und der Taller de Tradición Oral del CEPEC (ibid.) ergibt sich daraus die größere pflanzliche Vielfalt, die, wie in Kapitel IV.2.2 beschrieben, von Moguel und Toledo (1999: 13) als Ergebnis des Stehenlassens eines Teils der ursprünglichen Vegetation und der Pflanzung spezieller Nutzbäume, in einem komplexen System der Forcierung des Wachstums bestimmter Pflanzen und seiner Unterbindung von anderen, beschrieben wird. In Folge findet sich die für indigene cafetales typische Mischung „with citrus trees, mangoes, sapoies, yucca (Yucca spp.), and allspice, together with the odd oak, cedar, mahogany, and any other tree which had been preserved while clearing or whose seed had been dropped by a bird or squirrel“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 59), sowie, in tieferen Lagen, auch Vanillepflanzen, die sich die Bäume hinaufranken (Feldnotizen 1.2.2006). Wie bereits für den Kaffee festgestellt (siehe Kapitel IV.2.2), dient auch das aus dem cafetal gewonnene Obst, primär dem eigenen Konsum, sowie dem Verkauf am lokalen, weniger am (inter-)nationalen Markt (vgl. dazu auch Arizpe 1973: 39; Feldnotizen 11.9.2007; Tzm 1C 24.10.2011). Die Früchte, beispielsweise Orangen, werden geerntet und dann so rasch als möglich im „Tür-zu-Tür-Handel“, im Straßenverkauf oder auch am wöchentlichen Markt, vertrieben (vgl. u.a. Feldnotizen 24.10.2011). „[…] la fruta que se daba allí […] todo lo vendía, porque hay muchas frutas allí (Pause) del café (Pause) .hh alli es dee (Pause) ((aufzählend)) mandarinas, naranjas, .hh limas (Pause) chines chininas. El mes de: (Pause) empezaba vender en el mes de (Pause) julio, agosto. Vendía chininas (längere Pause) .hh (Pause) se acababa ese, después empezabamos con el corte (längere Pause) y ALLO, después es de: (Pause) e:l, ››de que se terminaba ya el café‹‹ (Pause) .hh el es de: (Pause) empeza empezaba ya con las naranjas (längere Pause) con las naranjas, con las mandarinas y todo ese, todo lo vendía. No los de [tu papá (Pause) los vendí? (Pause)] Mi mamá [tu mamá] ella es la que trabajó más (Pause).“ (Tz 16 2005: 251-259)

Ist es in der Schilderung von Marcella die Mutter, die verkauft, ist es in anderen Fällen ein Ehepaar, das sich gemeinsam auf den Weg macht, das reife Obst zu vertreiben (Feldnotizen 24.10.2011). Dabei werden immer auch – über die Weitergabe von Früchten – verwandtschaftliche und andere wichtige soziale Beziehungen gepflegt (ibid.), d.h. am Weg durch die Dörfer wird bei den Häusern von Verwandten und anderen der eigenen Familie nahestehenden Personen Halt gemacht und es werden einige der Früchte als Geschenk hinterlassen: „Manuel und seine Frau María kommen. Zunächst bekommen sie Kaffee, dann, nachdem sie sich ein wenig geziert haben, Huhn mit Suppe. María ist ein wenig zurückhaltend als sie mich

150 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN sieht. Aber bevor sie geht, bringt sie mir zwei Mandarinen. Ich soll am Mittwoch zu ihr kommen. Sie und ihr Mann sind unterwegs, Mandarinen zu verkaufen, erklärt sie. Für Marías comadre Angelica lassen die beiden einige Früchte hier; eine Frau, die zufällig auf Besuch ist, nutzt die Gelegenheit, Obst zu kaufen. Manuel und María gehen schließlich weiter zum Haus von Marías Tante, um dort ebenfalls Mandarinen vorbeizubringen.“ (ibid.)

Anders als im geschilderten Fall, wird der gleichfalls im cafetal wachsende Nelkenpfeffer (pimienta), nicht an Verwandte weitergegeben, sondern vorwiegend verkauft und erweist sich somit weniger als sozial, als vielmehr ökonomisch wertvoll. 59 Aufgrund der Höhe der Bäume ist er sehr gefährlich und schwierig zu pflücken (vgl. u.a. Feldnotizen 24.9.2013) und auch sonst in seiner Gewinnung mit höherem Arbeitsaufwand verbunden, dafür aber haltbarer, als das beim Obst der Fall ist. 60 „Entonces (Pause) corten el pimienta. (Pause) Empieza de agosto (Pause) buscanlo (Pause) mozos otra vez, (Pause) para cortar el pimienta (Pause) e de (Pause) ellos cortan, nosotros es de, también tenemos mucho trabajo en la casa porque, como cortan resimitos nosotros ya tenemos que hacerlo, semilla por semilla, para vender. [si, si, si] si. (Pause) todo de eso, nosotros, y yo y mi mamá y mis hermanos, eso era nuestro trabajo también. Le que ellos cortaban lo pimienta, nosotros teníamos mucho trabajo. Para limpiarlo. (Pause) Si es posible, secarlo. Y es muy difícil. Como es bolitas, como caniquitas (Pause) es muy difícil secarlo. [secarlo] si.“ (Tz 16 2005: 274-333)

Ist die schwierige und gefährliche Ernte Aufgabe der Burschen und Männer, die teilweise angeheuert und bezahlt werden müssen, so beteiligt sich am Reinigen und Abrebeln des pimienta die gesamte Familie, d.h. auch die Kinder helfen mit. Letzteres ist dabei durchaus mit lustvollen Aspekten verbunden, wenn die kleinen Buben und Mädchen angehalten werden, das Abrebeln durch Gehen und Hüpfen, auf den, am Boden (auf einem Plastik) liegenden Körnern, zu beschleunigen. Nachdem der Nelkenpfeffer diese Prozedur und die nachfolgende Reinigung durchlaufen hat, wird er schließlich in kleine Plastiksäckchen portioniert und eingeschweißt, eine Art der Verpackung, wie sie auch für selbst getrockneten, gerösteten und gemahlenen Kaffee durchgeführt wird, 61 und ist dann fertig für den Verkauf am Markt (Feldnotizen 30.7.2004 et al.).

59 Soziale Bedeutung erhält er durch seine Verwendung zur Herstellung von mole und damit der Weitergabe anlässlich eines Festes (siehe Kapitel IV.4.3). Mole ist eine, dem Journalisten und Mexiko-Kenner Volker Mehnert (2002: 89-90) zufolge, von Klosterschwestern, in der Kolonialzeit entwickelten Sauce, die viele unterschiedliche Zutaten, u.a. Schokolade und Chili enthält, und mittlerweile als „Nationalspeise“ des Bundesstaats Puebla Karriere gemacht hat. In Tzinacapan wird sie beispielsweise aus Chili ancho, Keksbröseln und Tomatensauce hergestellt, gewürzt zusätzlich mit pimienta, Salz und Zucker (Feldnotizen 26.9.2013ff.). 60 Gelegentlich wird aus Orangen oder Mandarinen Obstwein hergestellt, ebenfalls für den eigenen Konsum. Seine Haltbarkeit ist auf wenige Monate begrenzt (Tz 7 26.10.2011). 61 Der Kaffee wird in Mengen von einem viertel bis zu einem halben Kilo abgepackt.

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Eine weitere Pflanze des cafetal, Vanille, wird primär verkauft und praktisch kaum von den Indigenen selbst konsumiert.62 Somit finden sich am rancho einerseits Pflanzen, die primär dem Eigenbedarf dienen, auch zur Schaffung und Erhaltung sozialer Netzwerke genutzt und erst in zweiter Linie verkauft werden, wie Kaffee und Obst, andererseits solche, die vor allem für die Erwirtschaftung von Geld geerntet werden, wie m.E. pimienta und Vanille.63 Für die Haushaltsökonomie in beiden Weisen bedeutsam, sind bzw. waren darüber hinaus weitere Pflanzen, die nicht in der polyculture des Kaffeegartens angebaut werden, wie das Zuckerrohr und natürlich der in Mexiko allgegenwärtige Mais (zu letzterem siehe Kapitel IV.2.5). IV.2.4 Ein weiterer Teilbereich indigenen Wirtschaftens: der Anbau und die Verwendung von Zuckerrohr Der Anbau und die Ernte von Zuckerrohr spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts insbesondere im Nordwesten des Munizipios eine wichtige Rolle, wird aber dann in seiner Bedeutung durch den Kaffee ersetzt (Arizpe 1973: 38; Ramírez Suárez et al. 1992: 65; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 56; dies. 2012: 80-1). In erster Linie dient es für die Herstellung von panela, das in den Haushalten lange Zeit anstelle des teuren raffinierten Zuckers verwendet wird, sowie von refino, einem starken alkoholischen Getränk, wobei letzteres nicht im eigenen Haus erzeugt wird (Arizpe 1973: 38; Ramírez Suárez et al. 1992: 65). Die Destillierung erfolgt vielmehr in den Unternehmen lokaler Mestiz_inn_en, wobei hier insbesondere der Besitzer einer Hacienda in Apulco hervorsticht (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 75). D.h., die Indigenen verkaufen ihre Melasse an die Hersteller_innen von refino, um dann, mit einem Teil des so eingenommenen Geldes, bei diesen ihren Branntweinbedarf zu decken, ein, angesichts der Bedeutung von Schnaps bei den zahlreichen Festen in Cuetzalan und Umgebung, sicherlich sehr lukratives Geschäft für die Alkoholproduzent_inn_en. Ab den 1930ern wird in der Branntweinindustrie vermehrt auf das billigere Zuckerrohr aus Veracruz zurückgegriffen und sein Anbau in der Sierra in Folge weitestgehend durch den von Kaffee ersetzt (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 56; dies. 2012: 80-1). In den Erzählungen, der Leute, selbst jener, die in den 1960er Jahren geboren sind (z.B. Tz 5 2005: 631-641, 654-661), insbesondere aber der vorangegangenen Generation (z.B. Tz 2 2005: A077-A099; Tz 17 2005: A001-A036), spielt die mit dem Zuckerrohr verbundene Arbeit eine wichtige Rolle: 62 Bei meinen Feldaufenthalten werde ich zwar auf die Pflanze aufmerksam gemacht und ich kaufe Vanille am Markt, die für die Herstellung der fertigen Vanilleschoten notwendigen Arbeiten, kann ich aber nicht beobachten. Sie tauchen auch in den Erzählungen und Berichten der Leute nicht auf. 63 Im Falle des Kaffees werden nicht die Bohnen oder der geriebene Kaffee getauscht, vielmehr wird Besucher_inne_n das fertige Getränk angeboten (Feldnotizen lfd.). Ein kleiner Teil des geernteten pimienta wird in der indigenen Küche genutzt und wird so, über die ebenfalls vielen Gästen angebotenen Mahlzeiten, ebenfalls zu einem Teil des reziproken Tauschs von Gütern und Dienstleistungen zwischen verwandten und nahe stehenden Personen. Die Menge ist allerdings vergleichsweise gering.

152 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN „Sch que de aquí siembran todo siembrann (Pause) siembran caña (Pause) [caña] mhm, hm ›caña‹ (längere Pause) para que antes (Pause) los abuelos trabajaban (Pause) así en (Pause) como dices en: (Pause) panela (Pause) así trabajabe mí mamá. [ah si] (Pause) Lo levantaba a las tres de la mañana (Pause) haría (Pause) que los (Pause) levantaba les no se levantaba (längere Pause) pues (längere Pause) dice (chabanabaniztocste) (längere Pause) ya cuando amanecía estaban (Pause) el (längere Pause) ya estaba e: (Pause) la canela estaba ediendo ya (Pause) que a una vez que lleven (Pause) el agua tienen que sacar en el (Pause) el juvo, sale en el, (.) la calle.“ (Tz 5 2005: 631-641)

Nicht immer stammt das zu erntende Rohr von der eigenen Pflanzung, wie beispielsweise im Falle des mittlerweile verstorbenen Gatten von Teresa (Tz 2 2005: A088-089), deren Haushalt auch heute noch einer der ärmeren der Gemeinde San Miguel ist und über kein eigenes Land verfügt. D.h. über die Arbeit am Zuckerrohrfeld, meist mestizischer, manchmal indigener Eigentümer_innen kann, analog der Arbeit im mestizischen cafetal, insbesondere in der Vergangenheit, etwas Geld erwirtschaftet werden. Ist das Zuckerrohr, in ähnlicher Weise wie der Kaffee, zunächst mehr Cash Crop als Subsistenzmittel, wenngleich sich das im Verlauf der Geschichte verändert, so stellt sich das für den Mais völlig anders dar. Mais repräsentiert nicht nur das Subsistenzmittel par excellence, er ist auch Ausdruck nationaler mexikanischer Identität, insbesondere aber von Indigenität. Im nächsten Kapitel gehe ich auf den Maisanbau als Symbol indigener Männlichkeit ein, ebenso wie auf die, mit seiner Produktion verbundenen gesellschaftlichen Implikationen, in Hinblick auf verwandtschaftliche Bindungen und andere soziale Netzwerke. Die Bedeutung des Mais für indigene Weiblichkeit wird in Kapitel V.1.2.2 behandelt. IV.2.5 Der Maisanbau, Ausdruck und Symbol indigener Männlichkeit: tonalmil – „Sonnensaat“ – und xopamil – „Regensaat“ – Lourdes Arizpe (1973: 99-100) bezeichnet die Produktion von Mais als Luxus, der durch den Verkauf des Kaffees64 – oder wie ich ergänzen möchte, bei der ärmeren Bevölkerung zunehmend durch die Herstellung und den Verkauf von artesanía, aber auch anderer landwirtschaftlicher Produkte wie pimienta– finanziert wird. Tatsächlich ist seine Erzeugung mit Kosten verbunden, die gerade ärmere Familien nicht immer aufbringen können (Feldnotizen 16.12.2003 et al.). Dennoch besteht der Wunsch, jenes Lebensmittel, das so eng wie kein anderes mit dem Menschen in Verbindung steht, in angemessener Weise zu erzeugen (Martínez Borrego 1991: 82; Lupo 1995: 187-8; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 58; dies. 2012: 102; vgl. auch Tz 5 und Tz 7 16.12.2003, 25.1.2006; sowie Tzm 44 13.9.2007). Idealerweise sollte jeder männliche, erwachsene Nahua, mindestens einmal im Jahr, den Anbau von Mais in Angriff nehmen (Lupo 1995: 188). Denn Mais ist ein Geschenk Christus an die Menschen (ibid.: 179). Darüber hinaus gibt es eine gemeinsame Es64 Zur Erinnerung: Arizpes Daten stammen aus den 1960er, 1970er Jahren, also aus einer Zeit, in der der Kaffeeanbau für den Verkauf einen wesentlich höheren Stellenwert hat als heute.

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senz zwischen dem Menschen und dem Mais, der Mensch entwickelt sich analog dem Mais, wie auch der Mais ähnliche Eigenschaften zeigt, wie der Mensch (ibid.: 202, 210, 275; ders. 2001: 362; Knab 2009: 30; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 106, 110).65 Sein Anbau ist, wie wir sehen werden, eng mit kosmologischen Vorstellungen und religiös-rituellen Verpflichtungen verknüpft. Angefangen von der Rodung des rancho, über die Behandlung der Samen und ihre Aussaat, bis zur Ernte, sind alle Tätigkeiten durch spirituelle Aspekte und Aktivitäten geprägt (Lupo 1995: 187-8). Das Maisfeld ist, laut Haly (1996: 539), eines der zentralen religiösen Handlungsfelder.66 Die Intensität der religiösen Aktivitäten variiert allerdings zwischen den Haushalten beträchtlich, von solchen in denen alle, bei Alessandro Lupo (ibid.) und anderen beschriebenen, Vorschriften eingehalten werden, über solche, deren Einwohner_innen zu jedem wichtigen Anlass ein Gebet sprechen und die Samen in der Kirche weihen lassen (Feldnotizen 2.2.2005 et al.; Tzm 10 3.2.2005; 31.1.2006), bis zu solchen, die kaum die religiösen Gebote beachten: „Früher, die Vorfahren, die Großeltern sprachen Gebete vor der Aussaat, bevor sie mit der Arbeit begannen, zündeten Kerzen an (für Gott, für die Erde, damit der Samen aufgehe). Er selbst [Juan] mache das nicht (mehr), spräche nur ein Gebet. Sie wussten viel mehr, die antepasados. Es gäbe heute noch einige, die das machten, aber er und seine Familie nicht. Navedad bestätigt und wiederholt, dass die Großeltern und die antepasados das so machten und viel mehr wussten.“ (Feldnotizen 26.1.2006)

Im Folgenden gehe ich auf die mit dem Maisanbau verbundenen sozialen, religiösen, aber auch arbeitstechnischen Aspekte ein. IV.2.5.1 Die partielle Symbiose von Mais und Kaffee und die Besonderheiten des Mais Wie sich Mais und Kaffee bis in die 1980er Jahre67 in einer gewissen Weise ökonomisch ergänzen, so ergänzen sie sich nach wie vor in Hinblick auf die Zeiten der geforderten Arbeitsintensität (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 1997: 60). Denn abgesehen von der Ernte, die von August in den tieferen, Oktober in den höheren Lagen, bis Jänner, Februar, alle 20 Tage stattfindet (Tz 16 2005: 199-209, 264-7; Feldnotizen 27.2.2005 et al.), ist am cafetal nicht viel zu tun und es bleibt Zeit für andere Aktivitäten, wie die Produktion von Mais, die in vielerlei Hinsicht anderen Gesetzmäßigkeiten folgt als die des Kaffees (und der pimienta). Ist der Kaffee zunächst ein Cash Crop, das im Zuge der Herausbildung des mexikanischen Nationalstaats in die Region importiert wird (siehe Kapitel IV.2.2), so ist der Mais von Anfang an, weit in die vorkoloniale Geschichte reichend (vgl. u.a. MacNeish 1964; Mangelsdorf et al. 1964: 427-8; Mirambell 1990: 39), in erster Linie ein Subsistenz65 Für ähnliche Analogien bei anderen indigenen Bevölkerungsgruppen Mexikos, vgl. Chevalier und Sánchez Bain (2003), aber auch Good Eshelman (2001: 255ff.). 66 Haly (ibid.) nennt hier das semantische Feld, das das alltägliche Weltverständnis umfasst, das Umfeld der Heiligen, das Kirchhof und Haushaltsaltare inkludiert und die Maisfelder als Subsistenzquelle. 67 Wobei letzterer, wie bereits erwähnt, in neuerer Zeit abgelöst ist, durch die Erzeugung und Vermarktung von artesanía.

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gut, das zwar auch verkauft, in erster Linie aber für den eigenen Konsum hergestellt wird. In den Worten eines Einwohners von San Martín Zinacapan, wie Knab 2009 seine Forschungsstätte nennt: „Well, now we plant coffee, we harvest the coffee, we dry the coffee, we sell the coffee. but [sic!] it is with corn that we live, we eat. The holy earth nourishes us with tortillas, the holy earth sprouts the new corn. It is our life“ (Knab 2009: 16). Von daher ist es nicht verwunderlich, dass der Mais, weit stärker als der Kaffee, in das soziale und religiöse Leben der indigenen (und auch großer Teile der nicht indigenen mexikanischen) Bevölkerung eingebettet ist. Dominieren beim Kaffee individuelle Aspekte der Landnutzung und Vermarktung, so spielen im Falle des Mais, kollektive Prinzipien der gegenseitigen Unterstützung und damit auch Verschuldung, eine wesentliche Rolle, wenngleich diese zunehmend an Bedeutung verlieren.68 Zwar gibt es, wie wir in Kapitel IV.2.2 gesehen haben, in Cuetzalan und Umgebung kaum Gemeindeland und keine ejidos, aber die für den Maisanbau vorgesehene Parzelle – ob diese nun gepachtet oder in Privatbesitz ist – ist in weit stärkerem Maße Familien- im Sinne von Haushaltsland, als das beim cafetal der Fall ist (Kapitel V.1.3.1; Tzm 10 10.2.2006). Ihre Produkte dienen der Ernährung aller zum Haushalt gehörigen Wesen, Menschen wie Tiere, so wie auch alle, entsprechend ihren Fähigkeiten, an ihrer Herstellung beteiligt sind. Nur jene, die ihren Teil zur häuslichen Arbeit beigetragen haben, dürfen sie genießen. 69 Die Ablösung einer Haushaltsgruppe drückt sich folglich in der Verweigerung der gemeinsamen Arbeit und des gemeinsamen Alltagstisches der betreffenden Personen aus (vgl. Kapitel V.1.2 und V.1.3).70 Über die Zusammenarbeit im Maisanbau, wie auch den Austausch von, aus Mais hergestellten Nahrungsmitteln, wie tortillas und tamales, 71 werden verwandtschaftliche, nachbarschaftliche wie auch freundschaftliche Zugehörigkeiten in noch stärkerer Weise ausgedrückt, als über die bereits beschriebenen Gaben von Obst (Kapitel IV.2.3). Die Aufspaltung eines Haushalts kündigt sich über den Umgang mit 68 Immer öfter müssen Helfer, nach wie vor meist Verwandte einer der Personen des Haushalts, für Aussaat und Ernte, zusätzlich zur üblichen Versorgung mit Mahlzeiten und Getränken, während der Dauer der Arbeiten auch in Geld bezahlt werden (vgl. die Aussagen von Tz 16 19.7.2004; Tzm 10 18.2.2005; Tz 7 24.10.2011). Von daher entsteht der Eindruck, dass es keine kollektive landwirtschaftliche Arbeit mehr gibt, wie von mir 2010 (Zuckerhut 2010b: 60), aufgrund der Aussagen vieler Einwohner_innen San Miguels festgestellt wird. 69 Deutlich wird das in der Bezeichnung sé coza tekiti („für eine Sache zu arbeiten“) für Haushaltsgruppe (Taggart 1995: 192). Vgl. auch die Ausführungen Lupos (1995: 210) zu den Gefahren, denen sich ein Ehebrecher aussetzt, der seine Maisernte mit seiner Geliebten, als einer Frau, die nicht in der Haushaltsökonomie aktiv ist, teilen will. 70 Good Eshelman (1988: 77, 80, 81). zeigt das sehr anschaulich für die Nahua aus Ameyaltepec, einer Gemeinde am Río Balsas, Guerrero. 71 Dabei handelt es sich um Maistäschchen, mit Fleisch oder Chili-Sauce gefüllt, aber auch süß und ohne Füllung, die im Wasserdampf gedünstet werden. Wie tortillas, haben auch tamales eine lange vorkoloniale Tradition. Beispielsweise berichtet Sahagún (1989a: 140), dass es im zentralen Hochland von Mexiko, in der Zeit vor der Conquista üblich ist, anlässlich des Festes für den Gott/die Göttin Xilonen, auch als „Mazorca de Maíz“ bekannt (González Torres 1991: 199), tamales zu essen. (Zwar wird Xilonen meist als Frau dargestellt, es gibt aber auch männliche Repräsentationen dieser Gottheit; ibid.).

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diesem Grundnahrungsmittel an: „Navedad erzählt, dass sie den Mais getrennt haben. Der Sohn und die Schwiegertochter kaufen ihren, sie und ihr Mann sähen ihren aus“ (Tz 7 25.1.2006). Umgekehrt werden soziale Bande durch gegenseitige Geschenke von Maisnahrungsmitteln (wieder) hergestellt und gestärkt. 72 Seinen extremsten Ausdruck findet diese Reziprozität zu Allerheiligen: „Im Haus hat Navedad mehrere Säckchen mit Essen (vorwiegend tamales) für diverse Verwandte und Bekannte vorbereitet. Die Tochter ist bei ihrer madrina in Cuetzalan. Der Ehemann ist Essen austragen bzw. holen. Ehemann, Tochter und Sohn werden zu den verschiedenen Verwandten geschickt, das Essen hinzubringen und sie kommen mit Essen zurück. Auch für die Schwägerin gibt es mehrere Teller mit tamales (und wir bekommen mehrere Teller zurück).“ (Feldnotizen 2.11.2011)

María stellt schließlich fest: „Intercambiamos. Cambiamos tamales por tamales“ (Feldnotizen 2.11.2011). Selbst die Toten werden in diesen gegenseitigen Austausch mit einbezogen:73 „Carmen kommt mit ihrem kleinen Sohn. Sie hat von ihren Eltern tamales mit Fleisch und mole mitgebracht und panela. Sie bietet uns von den tamales an, stellt das Säckchen dann zu den Gaben für die Toten auf den Altar“ (Feldnotizen 31.10.2011). Diese soziale und religiöse Bedeutung des Mais, zusammen mit der größeren Arbeitsintensität, führen zumindest in San Miguel dazu, dass sich die ihm gewidmeten Anbauflächen, wenn möglich, auf den leichter zugänglichen Hängen, nicht allzu weit vom Wohnort entfernt befinden,74 während jene für Kaffee und pimienta, womöglich in Nachbargemeinden wie Ajotzinapan75 oder San Andrés liegen und nur über einen längeren Fußmarsch erreichbar sind (Feldnotizen 1.2.2006). Dabei gibt es aufgrund der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen der verschiedenen Höhenlagen, prinzipiell zwei Anbauperioden und damit zwei Ernten, nämlich tonalmil („Sonnensaat“, Arizpe 1973: 77; Tz 16 8.2.2005: 288-291; Tz 7 24.10.2011; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 139), die Aussaat im Dezember/Jänner, in der Höhe von Cuetzalan und andernorts, und xopamil („Regensaat“, Arizpe 1973: 78; Tz 16 8.2.2005: 320-322; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 140), die Aussaat im Juni/Juli, die ausschließlich in den tiefergelegenen und somit heißeren Regionen möglich ist (Ramírez Suárez et al. 1992: 22f.; Lupo 1995: 186; Haly 1996: 546, Fußnote 16), wie beispielweise in der Gegend von Ajotzinapan (Aj 41 25.9.2007; Feldnotizen 13.10.2013). Der Mais der ersteren gilt als der bessere (Arizpe 1973: 79). Die nahe der Ortschaft gelegenen Felder vieler Haushalte San Miguels erlauben darüber hinaus, aus klimatischen Gründen, nur die tonalmil. 72 Knab (2009: 18-9) betont die alles durchdringende Gegenseitigkeit, die bis in den Kosmos und die Welt des Übernatürlichen hineinreicht, eine Gegenseitigkeit, die, wie in Kapitel II.7.1 erwähnt, in enger Verbindung mit der Herstellung und Ausweitung von person steht. 73 Vgl. dazu auch Signorini/Lupo (1989: 50); Lupo (2001: 374). 74 In Ajotzinapan finden sich hingegen viele Häuser inmitten von cafetales (Feldnotizen 5.2.2006; 14.11.2011). 75 Die Verwendung des Landes in Ajotzinapan als cafetal bietet sich auch insofern an, als dort tropische Früchte wie auch Vanille, die, wie wir wissen, in Verbund mit dem Kaffee wachsen, besser gedeihen.

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IV.2.5.2 Die Aussaat Mit der Vorbereitung des Bodens für die „Sonnensaat“ wird spätestens im Dezember begonnen (Tzm 10 24.10.2011, 16.11.2011), die Saat selbst erfolgt in der Regel im Jänner (Tz 5 16.12.2003; Tz 7 16.12.2003). Die Vegetation muss gerodet, die Erde aufgebrochen und gelockert werden. Aufgrund der topographischen Gegebenheiten, aber auch aus Kostengründen, erfolgen diese Arbeiten in der Regel von Hand, mit Hilfe einer Machete und einer Haue (Arizpe 1973: 77; Ramírez Suárez et al. 1992: 92; Lupo 1995: 186-7; Feldnotizen 9.12.2003). Nur auf den weniger steilen Flächen kann für das Aufbrechen der Erde ein, von einem Pferd oder Muli gezogener Pflug, eingesetzt werden (Arizpe 1973: 77; Lupo 1995: 186-7), der ebenso wie das Pferd bzw. Muli, in der Regel von einem wohlhabenderen Nachbarn geborgt wird (Arizpe 1973: 76; Feldnotizen 16.7.2004 et al.). Im steileren Gelände werden, im Anschluss an die Lockerung des Bodens mit der Haue, kleine Hügel für die Samen aufgehäufelt, in flacheren Gebieten mit dem Pflug Furchen gezogen (Arizpe 1973: 77, Feldnotizen 9.12.2003). Mit Hilfe einer Stange, die in einer Spitze endet, der tatokouit, werden kleine Löcher von vier bis fünf Zentimeter Tiefe in diese Häufchen bzw. die erhöhten Teile der Furchen gegraben (Arizpe 1973: 77; Ramírez Suárez et al. 1992: 92). In jedes von ihnen kommen mehrere vorgekeimte (und in der Kirche oder von einem religiösen Spezialisten geweihte, mit copal, einer Art Weihrauch, geräucherte) Maiskörner (Lupo 1995: 201, Fußnote 40, Tz 16 8.2.2005: 273-281; Tzm 10 31.1.2006). Der Pflanzstock entspricht, laut Taggart (1986: 456), den Blitzpfeilen, mit denen der (männliche) Sonnen-Christus die (in diesem Fall weiblich gedachte) Erde besamt.76 Für die Realisierung dieser zeitaufwändigen Arbeit, die möglichst nach dem Vollmond erfolgen soll (Lupo 1995: 209), wird die mano vuelta, in einigen Gemeinden auch momakuepalo (Báez 2004b: 28) oder auch tekio (Martínez Borrego 1991: 84) genannt, organisiert. Diese Form reziproker Hilfe besteht zwischen, im Falle des Maisanbaus, in der Regel männlichen Personen, die über Verwandtschaft, compadrazgo oder einfach Freundschaft miteinander verbunden sind (Ramírez Suárez et al. 1992: 23; Báez 2004b: 28). Heute ist es jedoch zunehmend schwieriger, abgesehen von den zum Haushalt gehörenden und damit zur Mitarbeit verpflichteten Söhnen 76 Die Erde, laut Lupo (1995: 201, 139-143), auch als Trinidad angerufen, Anfang und Ende allen Lebens, ist männlich und weiblich gleichermaßen, eine Gottheit, die alles umfasst und von der alles abhängt. Blitze, heute mit den Engeln identifiziert, sind für die Erlangung, den Transport und die Verteilung des Regenwassers zuständig und zeigen somit enge Verbindungen zu den vorspanischen tlaloques, den Helfern des Regengottes Tláloc, die in den Höhlen der Berge leben (ibid.: 248-251). Zur engen Verbindung der Erde mit Tláloc, vgl. auch Knab (2009: 16ff.). Für ihn stellen Erde und Tláloc eine männlich und weiblich gleichermaßen gedachte Einheit dar, eine Einheit, die besonders deutlich in der Konzeption von talokan, der mit Lebensmitteln und Reichtümern gefüllten, aber auch gefährlichen Unterwelt, zum Ausdruck komme. Haly (1996: 541ff.) arbeitet eine Gleichsetzung von Gott Vater mit der Sonne; einer Dreifaltigkeit, die u.a. Gottvater, Gottmutter und Gottkind umfasst, mit der Erde; und den Heiligen Geist als Taube im Bauch von Maria, als Mutter Jesus mit dem Mais heraus. Diese Identifikationen sind aber nicht absolut, betont er, da es sich um lebende Metaphern handelt, die Aspekte des Christentums aufgreifen um das indigene Weltbild und seine Beziehungen zur Welt zum Ausdruck zu bringen (ibid.: 546).

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und Schwiegersöhnen, ausreichend Arbeitskräfte, rein über die momakuepalo, zu organisieren und die Helfer werden, wie bereits weiter oben, in einer Fußnote erwähnt, meist für ihre Tätigkeiten bezahlt (Tz 16 8.2.2005: 276-281; Tz 7 24.10.2011; Tzm 10 24.10.2011; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 87). Aber auch in diesem Fall wird darauf geachtet, Personen aus dem persönlichen Umfeld heranzuziehen, mit denen eine positive Beziehung besteht (Feldnotizen 19.7.2004). Denn der Feldbesitzer und seine Adjutanten dürfen (idealerweise) keine Handlungen durchgeführt haben, durch die ihr seelisches Gleichgewicht gestört ist, oder sich in einem solchem ungleichgewichtigen Stadium befinden, da sich das negativ auf das Wachstum der Pflanzen auswirken könnte (Lupo 1995: 209-11). Die Verbindung zwischen Mais und Mensch ist so eng, dass der Inhaber der Parzelle womöglich solange, bis die Pflanzen aus der Erde herausschauen, also in etwa eine Woche, sexuell enthaltsam sein soll.77 Denn die Energie, die für den Sexualakt und den damit einhergehenden Samenerguss aufgewendet würde, muss für den Mais erhalten werden, damit sie diesem für sein Wachstum bzw. der Erde für das Ausleben ihrer Fruchtbarkeit zugunsten des Sämlings zur Verfügung steht (ibid.: 211). Das Gedeihen der Pflanze hängt darüber hinaus von der Ernährung der aussäenden Personen ab. Werden vor der Arbeit, oder in einer Pause, harte Eier oder Schweinegehirne gegessen, dann stecke sich der Mais mit einem gelben und kugelförmigen Pilz an, wird Schweinsrüssel gegessen, so seien die elotes, die jungen Maiskolben, so verformt wie dieser, im Falle von Bohnen erhalte der Mais deren Farbe und wird nüchtern gearbeitet, dann hätten die elotes eine Verengung in der Mitte. Damit der Mais gesund und stark wächst, muss in jeder Hinsicht gehaltvolle Nahrung aufgenommen werden (Tz 16 8.2.2005: 278-281; vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 106), sprich Huhn oder Truthenne/-hahn78 mit mole (und tortillas), dem Essen 77 Chevalier und Sánchez Bain (2003: 156) berichten aus der Sierra Santa Marta im südlichen Veracruz, dass ein Mann sieben Tage vor der Aussaat mit keiner Frau schlafen dürfe, da sonst der Samen von Nagetieren gefressen würde. Lupo (1995: 209) erläutert für die Region um Cuetzalan, dass insbesondere der Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau gefährlich ist, da diese eine besondere Hitze ausstrahle, die sie auf den Mann und dieser auf die Saat übertrage. – Boege (2002: 133) sieht sexuelle Enthaltsamkeit beim Maisanbau als Teil der „ethnischen Geografie“ Mesoamerikas, in der das Territorium das Heilige, entsprechend der oben genannten Gegenseitigkeit, mit einschließt. Leben gilt hier als vitale, aber begrenzte Energie, „die von einem Ort auf einen anderen übertragen werden kann“ (ibid.) und die auch mit der Sexualität in Verbindung steht. Aus diesem Grund müssen „alle Teilnehmer an landwirtschaftlichen Zeremonien sexuelle Enthaltsamkeit üben“ (ibid.). 78 Für Mazateco berichtet Boege von der Vorstellung, dass der Truthahn besondere Kräfte hat und mehrere Sprachen spricht: „Er versteht Englisch, Spanisch, Mazateco und die Sprache der Erde. Er ist Übersetzer“ (Boege 1988, zit. nach Boege 2002: 129; vgl. auch Boege 2002: 133). Good Eshelman (2001: 278) betont, dass in der von ihr untersuchten Gemeinde am Río Balsas, Guerrereo, bei Tieren, die im Rahmen ritueller Anlässe konsumiert werden, die Ernährung entscheidend ist und diese daher aus der Region stammen müssen: es ist unumgänglich, dass sie „reiner Mais“ sind. In Tzinacapan und Umgebung erhalten Hühner und Truthühner_hähne zwar zusätzlich zum Mais Kraftfutter, hervorgehoben aber wird seitens der Bevölkerung, ihre Ernährung mit Mais (Tz 7 24.10.2011; Feldnotizen 27.10.2011).

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der Feste, „como si fuera el día de tu santo“, wie es ein Ritualexperte Alessandro Lupo gegenüber ausdrückt (Lupo 1995: 210). Von dieser Mahlzeit am Feld, die heute durch Kaffee ergänzt wird, muss auch die Erde ihren Anteil erhalten, d.h. die Knochen werden zusammen mit sieben – einer rituell besonders bedeutsamen Zahl – tortilla-Stücken vom Leiter der Aussaat, meist jedoch von (s)einer Frau, die das Essen gebracht hat, am Feld vergraben (Tzm 44 15.10.2013). Damit und mit den an die Erde gerichteten Gebeten, wird der Erde ein Teil jener Energie rückerstattet, die sie für das Wachstum der Feldfrüchte benötigt (Lupo 1995: 217-20, 225; ders. 2001: 36970; Knab 2009: 19),79 d.h. auch sie ist in den Zyklus von Geben und Nehmen eingebettet (Lupo 1995: 169, 219-20, 265), wie er in der mano vuelta zum Ausdruck kommt und praktisch den gesamten Kosmos durchdringt (ibid.: 269-70; ders. 2001: 368-9; Knab 2009: 18). Gleichzeitig erhalten damit die Samen einen Teil der Energie, die sie benötigen um zu wachsen (Lupo 1995: 220). Die genaue Einhaltung all dieser genannten, mit der Maisaussaat verbundenen Riten und Tabus variiert, wie eingangs erwähnt, zwischen den Haushalten, die Versorgung der Arbeiter mit dem Essen „como si fuera el día de tu santo“ (Lupo 1995: 210) aber ist Usus, hier wie bei anderen, mit der Maisherstellung verbundenen Aktivitäten (Feldnotizen 19.7.2004 et al.; Tz 5 und Tzm 10 11.11.2011). IV.2.5.3 Weitere Arbeitsschritte und rituelle Vorkehrungen im Maisanbau und seiner Ernte Im Anschluss an die Aussaat muss, trotz aller rituellen Vorkehrungen, auch physisch darauf geachtet werden, dass die Keimlinge nicht von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden. Erst wenn die Pflänzchen mindestens drei Blätter haben, ist die Gefahr weitestgehend gebannt (Arizpe 1973: 78). Hat der Mais eine gewisse Höhe erreicht, dann muss er gehäufelt werden. Dazwischen wird die Erde zwischen den Pflanzen gelockert und zweimal, im Jänner und im Juni, im Falle der „Sonnensaat“, wird gejätet (Arizpe 1973: 78; Ramírez Suárez et al. 1992: 23; Tz 16 8.2.2005: 288, 292-8; Tz 7 25.1.2006).80 79 Zur Mahlzeit am Feld, bestehend aus mole, Truthahn_huhn, tortillas und Kaffee bzw. in der Vergangenheit xokoatol, einem Mais-Schokoladegetränk und axokot, einem anderen Getränk, bestehend aus Wasser und Schokolade, vgl. auch Ramírez Suárez et al. (1992: 23). 80 Leider liefert uns Lupo zu den, mit diesen Arbeitsschritten einhergehenden, religiösen Maßnahmen keine Informationen und ich selbst hatte bisher, aus den bereits in Kapitel III.2.2 genannten Gründen, keinen Zugang zu den Aktivitäten im Umfeld des Anbaus von Mais. Die Erzählungen und Berichte meiner Gesprächspartner_innen gehen in dieser Hinsicht nicht weiter in die Tiefe und es ergibt sich auch keine Gelegenheit, die zu weiteren Ausführungen motiviert hätte: Informationen, die den religiösen Bereich betreffen, werden meist weniger auf Nachfragen gegeben, als eher zufällig, aufgrund besonderer Ereignisse. Eingeleitet werden solche Aussagen in der Regel mit dem Hinweis „Es heißt…“, „Es wird gesagt…“, für mich ein Hinweis, dass es den Betreffenden, alles Personen, die sich als „aufgeklärte“ mexikanisch-indigene Bürger_innen mit Schulbildung und Wissen über die Weltpolitik präsentieren, ein wenig peinlich ist, über Dinge zu sprechen, die seitens der hegemonialen mexikanischen Gesellschaft, als „Aberglaube“ gebrandmarkt sind. Erst bei meinem Aufenthalt im Jahr 2013, erhalte ich auf meine diesbezüglichen Fragen direkte

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Gedüngt wird in den meisten Fällen, wie schon im Zusammenhang mit dem Kaffee ausgeführt, mit Tiermist und Herdasche (vgl. u.a. Tz 7 16.9.2013); ältere Nahua betonen, dass in der Vergangenheit ganz auf Düngung verzichtet werden konnte (vgl. die Aussagen in Argueta 1994: 177, 181). Es gibt einen gewissen Widerstand chemische Mittel der Düngung und Pestizide zu verwenden, mit der nicht unberechtigten Begründung, dass die Erde durch diese schneller ihre Fruchtbarkeit verliere (Martínez Borrego 1991: 82). Zwar berichtet Arizpe (1973: 80; vgl. auch Lupo 1995: 187, aber auch Tz 16 8.2.2005: 284-8 über ihren Vater) aus den 1960er Jahren und später, dass einige Leute mit (chemischem) Dünger experimentieren und damit auch sehr gute Ergebnisse erzielen, aber sie hält fest, dass die Mehrzahl der landwirtschaftlich aktiven Bevölkerung Zacatipans überzeugt ist, dass diese Vorgangsweise dem Boden schadet. Martínez Borrego (1991: 82) und Arizpe (1973: 80) sind sich darin einig, dass den Ausschlag für die Bevorzugung biologischer Formen der Bodenverbesserung, die fehlenden Geldmittel zum Kauf industriell gefertigter Mittel geben.81 Denn auch die staatlichen Förderungen des kommerzialisierten Maisanbaus in den 1940er bis 1970er Jahren, um billige Lebensmittel für IndustriearbeiterInnen zu erhalten, sind nicht für die Infrasubsistenzbauern_bäuerinnen, wie laut Edelman (1980: 31, Fußnote 2) Personen, die in ihren vielfältigen und wechselnden Tätigkeiten Kearneys polybians (Kearney 1996) entsprechen, in Mexiko genannt werden, gedacht (ibid.: 29-31; siehe auch Kapitel IV.2.2). Zur kostenneutralen82 Förderung der Fruchtbarkeit wird seitens der indigenen Peasants Cuetzalans daher, zusätzlich zu religiös-rituellen Vorkehrungen, zur Ressourcenoptimierung, neben der Verwertung tierischer Ausscheidungen und der beim Kochen anfallenden Holzasche, auf gartenbauähnliche Formen der Mischwirtschaft, wie wir sie bereits im Zusammenhang mit dem cafetal kennengelernt haben, zurückgegriffen. Die dahinter steckende ausgeklügelte Ordnung der Pflanzen als einem sich ergänzenden ökologischen System, ist für Außenstehende nicht immer leicht erkennbar: „Das Feld ähnelt den anderen hier. […] Maisstauden, von Pflanzen umwuchert. Dazwischen einige Bäume (und Steine). Wenn man genau hinschaut, sieht man die Blätter der Kürbispflanzen, die irgendwo wachsen. Auch die Tomatenpflanzen sind eher zufällig verstreut, allerdings mehrere auf einmal.“ (Feldnotizen 26.7.2004)83

Sind die Maispflanzen etwas über einen Meter groß und beginnen sie einen gewissen Widerstand gegenüber dem Wind zu zeigen, ohne aber schon ausreichend starke Wurzeln zu haben, dann wenden sich stark spirituell orientierte Maisbauern an San Ramos, damit dieser den Wind zurückhalte. Das erfolgt mit Hilfe von Gebeten oder der Errichtung eines Pfahls mit einem Kreuz aus einer geweihten Palme in der Mitte Antworten, ohne relativierende Floskeln. Insgesamt wird die Bedeutung von Gebeten, Weihrauch und Weihwasser in der Behandlung der milpa, als Gabe an die Erde, hervorgehoben. 81 Vgl. dazu auch Carruthers (1996: 1012); Isakson (2009: 730); Ploeg (2010: 7) sowie die Ausführungen am Ende von Kapitel IV.2.2 sowie in Kapitel IV.2.3. 82 Tatsächlich das Haushaltseinkommen erhöhenden. 83 Die Häufung mehrerer Tomatenpflanzung ist darauf zurückzuführen, dass diese auf einem extra Teil des Feldes gepflanzt werden (Tzm 10 22.10.2011).

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des Feldes. Das mit San Ramos assoziierte Palmkreuz, das laut Lupo (1995: 229) eine enge Verbindung zum vorkolonialen Windgott Quetzalcóatl-Ehecatl aufweist, hält jede Art von Wind, auch den „nicht natürlichen“, bekannt als amo kuali ejekamej, der von feindseligen Personen oder Geistern geschickt wird, fern (ibid.: 228-9). Denn unter den vielen Gefahren, denen der Mais ausgesetzt ist, sind die vielfältigen Manifestationen des Windes besonders bedrohlich (Tz 16 8.2.05: 304). Die oben genannten Truthahnknochen, die im Zuge der Aussaat in der Mitte des Feldes vergraben werden, würden der Pflanze Halt gegenüber den vier Winden geben, so wie das Skelett den Körper stützt (Tzm 44 15.10.2013).84 Neben den Kräften der amo kuali ejekamej sind insbesondere die, in der Region im Sommer häufig vorkommenden, starken Stürme und heftigen Regengüsse, durch die die milpa mit Wasser überschwemmt wird und die jungen Pflanzen zu Boden gedrückt werden, gefürchtet (Lupo 1995: 230). Trockenheit hingegen ist ein geringeres Problem und kommt nur selten in einer für die Ernte bedrohlichen Form vor. Da hiervon, wenn sie dennoch auftritt, die gesamte Gemeinde betroffen ist, wird, zumindest in dem von Lupo untersuchten pueblo Yanhuitlalpan, der Pfarrer involviert, der das Bild des Schutzheiligen Santiago in einer Prozession zum Fluss Apulco tragen lässt. Dort wird eine Messe gelesen, mit der Bitte um Regen. Daneben aber gibt es auch die Möglichkeit für Einzelpersonen oder Gruppen einen religiösen Spezialisten_eine Spezialistin heranzuziehen, der_die sich direkt an die für den Regen zuständigen Wesen – unter ihnen, neben Johannes dem Täufer, auch die Blitze und die mit dem Wasser in Verbindung stehende atmalin85 – wendet. Angesprochen wird dabei auch Christus als „Retter“ der Menschen, der in dieser Eigenschaft für die Lösung menschlicher Probleme zuständig ist. Als Sonne, mit der er ebenfalls assoziiert wird, ist er direkt für die Hitze und die Trockenheit verantwortlich, deren Ende erwünscht wird. Als Herr des Himmels, hat er die Kontrolle der Phänomene und der Elemente (und damit auch des Regens) inne, die aus der oberen Schicht des Kosmos stammen. Als Wesen, das den Menschen den Mais und die anderen Anbaupflanzen gegeben hat, wird er angesprochen, die Nahrung für Körper und Seele nicht sterben zu lassen. Als oberste Himmelsautorität, kann er seinen Willen allen außermenschlichen Wesen aufzwingen, die nicht dem Bösen unterworfen sind, darunter die Blitze (ibid.: 243-5), die das Regenwasser transportieren und verteilen (siehe Fußnote in Kapitel IV.2.5.2). Anfang Mai, wenn es schon elotes, d.h. junge Maiskolben, gibt, wird der Stiel der Pflanze im oberen Teil gespalten, damit der Kolben nicht nass wird und besser trocknet. Schließlich, im Juli, August, erfolgt die Ernte, genannt pizca. Dabei wird der Kolben mitsamt den Hüllblättern (moxte) entfernt (Arizpe 1973: 78; Ramírez Suárez et al. 1992: 24; Feldnotizen 19.7.2004 et al.). Für diese zeitraubende und anstrengende Tätigkeit, die möglichst ohne Verzögerung an den trockenen Tagen durchgeführt 84 Juan schildert diesen Zusammenhang als Wissen seines Großvaters. Allerdings gibt es 2013 eine Sendung im lokalen Radio, in der diese Tradition vorgestellt wird (Tz 7 und Tz 13 15.10.2013). 85 Zu atmalin und ihrer Verbindung zur vorkolonialen Wassergöttin Chalchiutlicue, vgl. Lupo (1995: 251-2). Atmalin verwaltet die Wasserreserven (ibid.: 252), zur aktuellen Bedeutung von Chalchiutlicue unter dem Namen Malintzin in der zehn Kilometer von Cuetzalan entfernten Ansiedlung Zoapilaco, vgl. Haly (1996: 543).

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werden muss – wie in der Einleitung ausgeführt, sind die Monate Juli, August, als Teil der Regenzeit, durch heftige Gewitter mit gussartigen Regenfällen charakterisiert –, werden, analog wie bei der Aussaat, zusätzliche Arbeitskräfte benötigt. Wiederum wird – neben den Männern eines Haushalts – auf Personen aus dem verwandten Umfeld zurückgegriffen. Und wiederum werden diese mit dem „Essen der Feste“ versorgt (Tzm 10 11.11.2011), aber auch finanziell entschädigt. Bezahlt wird pro Weg der Tiere bzw. Männer (Tz 16 8.2.2005: 319-20). „Mit zwei Pferden bringen zwei Männer die erste Ladung Mais. Die Männer sind Verwandte von Marcella, werden aber für ihre Arbeit bezahlt […]. Den einen Älteren, […] spricht sie mit ,Tío‘ an. […] Marcella geht mit ihnen, einen Korb Essen und Saft mit sich tragend, aufs rancho, damit sie und die anderen Arbeiter ihre Mahlzeit am Feld einnehmen können.“ (Feldnotizen 19.7.2004)

Neben dem hier geschilderten Transport der Ernte mit, von wohlhabenderen (über compadrazgo Beziehungen verbundenen) Nachbar_inne_n oder anderen Verwandten ausgeborgten Pferden (vgl. dazu auch Ramírez Suárez et al. 1992: 23f.), erfolgt diese zusätzlich durch Menschenkraft: „Die Männer waren mit Säcken am Rücken gekommen“ (Feldnotizen 19.7.2004). Und weiter, „[i]n der Früh ist schon früh viel los. Die Erntehelfer laden Mais ab, sitzen anschließend in der Küche, essen und unterhalten sich“ (Feldnotizen 20.7.2004). IV.2.5.4 Weißer, gelber, roter und schwarzer Mais Ausgesät und damit auch geerntet werden vier Hauptsorten von Mais (Martínez Borrego 1991: 82), weißer (istak), gelber (kostik), roter (tsikat) und schwarzer bzw. blauer (yauit). Besonders wertgeschätzt, wegen der Weichheit des Teiges und seines Geschmacks, ist der weiße Mais, der daher auch am häufigsten angebaut wird, wenngleich die Pflanze als besonders schwach gilt (Lupo 1995: 221) und die geerntete Frucht häufig von Motten angefressen wird (Arizpe 1973: 75). Er gilt als ideal für die Herstellung von tortillas, weil er den Geschmack der Speisen nicht verdeckt. Der gelbe Mais hat einen ausgeprägteren Geschmack und ist schwerer zu mahlen. Er wird vor allem zur Ernährung der Haustiere verwendet. Die Stärke der Pflanze führt aber dazu, dass sie von einigen bevorzugt wird. Alle anderen Maisarten würden von diesen beiden, dem weißen und dem gelben Mais, abstammen. Dennoch heißt es, dass der rote besonders resistent sei (neben Lupo 1995: 221f.; vgl. auch Tz 7 27.10.2011) – angeblich habe er seine Farbe (und diese Stärke) vom Kontakt mit dem Blut von Christus. Der schwarze stamme vom weißen Mais her. Er habe dessen Weichheit und Geschmack, aber seine dunkle Farbe und seine relative Anfälligkeit führen dazu, dass er selten verwendet wird. Polychrome Ernte wird negativ gesehen, auch wenn sie unter Umständen Vorteile bringt: Roten zusammen mit weißen oder gelben Mais auszusäen, würde den Pflanzen eine größere Resistenz geben (Lupo 1995: 221f.). 86 Oft al86 Vgl. auch Arizpe (1973: 75) sowie Argueta (1994: 53) zur Bevorzugung des weißen Mais. Arizpe (1973: 75-6) nennt zwar vier Arten Mais, aber nur drei Farben: weiß, gelb und blau. Die vierte Variante, die sie nennt, bezeichnet sie als molkate, als Mais minderer Qualität. Es handle sich dabei um kleine, bei der Ernte übrig gebliebende Kolben, die für die Ernährung der Tiere verwendet werden (zur molkate, vgl. auch Argueta 1994: 177). Navedad (Tz

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lerdings entspricht die Farbe des geernteten Mais, nicht der des ausgesäten (ibid.: 222), oder es finden sich Körner unterschiedlicher Farbe und Farbgebung auf einund demselben Kolben (Feldnotizen lfd.). IV.2.5.5 Lagerung Unabhängig von der Farbe des Mais’, kann er aufgrund der klimatisch bedingten Feuchtigkeit nicht lange gelagert und muss im Erntejahr konsumiert werden (Arizpe 1973: 80; Ramírez Suárez et al. 1992: 24). Die Kolben, die in Säcken vom Feld zum Haus transportiert werden, werden zunächst im Hauptraum oder in der Küche, in Form eines Haufens, auf einer geflochtenen Matte (petat) deponiert (Feldnotizen 20.7.2004). Dort bleiben sie mehr oder weniger lange liegen,87 in der Regel wird der (ungeschälte, nicht entkernte) Mais aber nach und nach im selben Raum, auf einer Unterlage aus Brettern, zu einer kleinen Mauer aufgeschichtet, 88 wobei zwischen kleinen, mittelgroßen und großen Kolben unterschieden wird (Feldnotizen 20. 8. 2004). 89 Manchmal werden die verschiedenfarbigen Kolben zu liebevollen Gestaltungen von Mustern genutzt, wie einem Kreuz, gebildet aus den roten zwischen den mehrheitlich weißen Kolben, mit einer Abgrenzung aus rotem Mais am oberen wie auch am unteren Rand.90 Verrichtet wird diese Arbeit in der Regel von den Männern des Haushalts, wann immer diese zwischen ihren sonstigen Tätigkeiten Zeit finden (ibid.). Der Mais für die Aussaat wird extra gelagert, entweder aufgehängt unter dem Dach,91 oder auf einem eigenen Stoß,92 oder aber, vor allem in neuerer Zeit, in einem extra Zimmer am Dach.93

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7 27.10.2011) hingegen erzählt von der Aussaat des roten, des gelben und des weißen Mais. Sie und ihr Mann würden vom roten Mais nur wenig aussähen, aber es gäbe immer reiche Ernte. In einem Haus in Ajotzinapan (mit Betonboden) liegt der Mais noch Mitte September aufgehäuft in einem Eck (Hh 15/18.9.2007). Z.B. Hh 2/15.12.2003; Hh7/15.12.2003; Hh 5/16.2.2006, 31.10.11; Hh 1/11.9.2007, 5.8.2009; Hh 5/31.10.2011. In der Küche wie im Wohnraum wird das Maiskolbenmäuerchen oft zur Raumteilung genutzt (z.B. Hh 1/11.9.2007; Hh 5/31.10.2011). Wird der Mais im Hauptraum abgeladen, kann es aber vorkommen, dass er in die Küche umgeschichtet werden muss, wenn ein größeres Fest ins Haus steht und der Platz für die Bewirtung der Festgäste benötigt wird (Tzm 10 5.8.2009). Z.B. Hh 1/19.7.-30.8.2004. Z.B. Hh 5/31.10.2011. Hh 1/2004 et al. Z.B. Hh 1/22.10.2011.

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IV.2.5.6 Die Bedeutung des Mais’ für indigenes personing; der Maisanbau als Symbol von Männlichkeit Der Lagerung des Mais’, wie auch seiner Ernte und seinem Anbau wird also, wie wir gesehen haben, große Sorgfalt angediehen. Insbesondere die Aussaat, aber auch andere Aktivitäten im Umfeld dieses wichtigen Nahrungsmittels, sind mit einer Reihe religiöser Aktivitäten verbunden, die auf die enge Verbindung zwischen Mensch und Mais hindeuten. Einerseits müssen seitens der Arbeiter am Maisfeld verschiedene Ge- und Verbote, v.a. im Bereich der Ernährung und der Sexualität, eingehalten werden, da Fehlverhalten sich unmittelbar auf das Gedeihen des Samens und der Pflanze auswirkt. Andererseits bringen Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs soziale Beziehungen der Nähe und der Distanz zum Ausdruck bzw. festigen oder vernachlässigen diese (siehe dazu auch Kapitel V.1.2.4). Zu Beginn der, diesem Abschnitt vorangegangenen, Ausführungen zum Maisanbau, wurde bezogen auf eine gemeinsame Essenz zwischen Mensch und Mais darauf hingewiesen, dass sich idealerweise jeder Mann, zumindest einmal im Jahr, dem Maisanbau widmen sollte. Zum Abschluss des Kapitels möchte ich nun explizit auf die damit einhergehenden Aspekte indigener personhood im Sinne von personing, als einem Prozess des Hineinwachsens in soziale Vollwertigkeit, und zwar speziell der erwachsenen männlichen person, eingehen. Denn, „Mais gibt Identität; er unterscheidet die MexikanerInnen von den analteca, ‚denen, die von der anderen Seite kommen‘, und er unterscheidet vor allem die masehualmej von den koyomej, den ‚KoyotInnen‘, die Nahuatl-Bezeichnung für mestizische wie auch weiße Bevölkerungsgruppen. Allerdings ist Mais nicht gleich Mais.“ (Zuckerhut 2010b: 59)

Speziell der, unter Einhaltung der entsprechenden rituellen Sorgfalt hergestellte Mais ist es, der, zumindest in der Vergangenheit, indigene personhood garantiert. Nur dieser enthält die entsprechende Essenz, die über seinen Konsum, das wahre Menschsein der maseualmej sichert. Wenn schon nicht nach allen Regeln religiöser Kunst angebauter, so zumindest aus der Region, womöglich vom eigenen Feld oder zumindest von anderen Indigenen her stammender Mais, wird folglich auch im 21. Jahrhundert, gegenüber solchem aus anderen Regionen Mexikos oder gar anderen Weltregionen, präferiert. Dafür werden auch höhere Kosten in Kauf genommen (vgl. u.a. Tzm 10 24.10.2011). Die angesprochene gemeinsame Essenz Mensch-Mais, die zu dieser Akzeptanz eines, aus europäisch-marktwirtschaftlicher Sicht, sinnlosen Mehraufwands an Kosten und womöglich auch an Arbeit führt, findet sich in einer der drei Seeleneinheiten des Menschen, lokalisiert im Herzen, yolo, oder yolotzin, eine Bezeichnung, die auch auf den Mais (taolli) angewandt wird (Lupo 1995: 275; Tz 7 12.10.2013). Anders als die beiden anderen Seelen tonal und yekauil ist, wie im Kapitel II.7.1 erwähnt, das yolotzin untrennbar mit dem menschlichen Körper verbunden und löst sich, analog der europäisch-christlichen Seele, erst im Tod von diesem. Für ihr Gedeihen, ja ihr Überleben, und damit das Überleben des Menschen, ist sie vom Konsum von Mais abhängig, der als toyoliatzin (Lebensprinzip) lebensnotwendige Energie spendet (Lupo 1995: 275). Damit ist der Mais das einzige Element, das den Menschen in seiner Gesamtheit – Körper und Seele(n) – ernähren kann (siehe auch ibid.: 246ff.). Daher gelten Säuglinge, die noch keinen Mais gegessen haben, nicht als rich-

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tige Menschen,94 eine Vorstellung, die in enger Verbindung mit einem vorkolonialen Mythos über die Entstehung des Menschen steht. Dieser alten Erzählung zufolge, stielt der, später mit Christus gleichgesetzte Schöpfergott Quetzalcóatl, 95 auch als „Vater des Mais“ bezeichnet, den Ameisen den Mais, um ihn den neu geschaffenen „wahren“ Menschen der fünften Sonne (der damals aktuellen Welt der Mexíca, besser bekannt als Aztek_inn_en) zur Verfügung zu stellen. Erst durch die Ernährung mit Mais, unterscheiden sich die Menschen von den Gottheiten (González Torres 1991: 145; León-Portilla 2000: 166ff.) und entwickeln in weiterer Folge zwei unterschiedliche Geschlechter, und damit verbunden (immer heterosexuell gedachte), Sexualität (Zuckerhut 2003b: 90ff.). Bereits vor der Existenz der „wahren“ Menschen, kreieren die Gottheiten die Grundzüge der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Sie schaffen ein menschliches Ursprungspaar – Oxomoco und Cipactonal96 – und befehlen dem männlichen Element von Oxomoco-Cipactonal die Erde zu bearbeiten (und damit Mais zu produzieren), dem weiblichen aber den Mais zu verarbeiten und ihn auch therapeutisch in Magie und Heilkunst anzuwenden (Garibay 1965: 25). Auch heute prägt das, hier zum Ausdruck gebrachte, Ideal geschlechtlicher Komplementarität, die Vorstellungen und größtenteils auch Praktiken der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Feldarbeit gilt als Tätigkeitsbereich des Mannes, die Verarbeitung des Maises als der der Frau (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 102ff.; vgl. z.B. Tz 5 2005: A251). Deutlich werden diese Zuordnungen in den von Knab (1991: 32) beschriebenen Praktiken, Plazenta und Nabelschnur von neugeborenen Mädchen im Haus, die von Knaben am Feld zu begraben, „para que crezcan como buenos San Migueleños“, etwas, was schon in ähnlicher Form von den vorkolonialen Einwohner_inne_n des zentralen Mexiko berichtet wird (vgl. dazu Clark 1938: 89, folio 57; Sahagún 1989a: 414-6). Die Aufgabenbereiche im Zusammenhang mit Mais – seiner Produktion und Verarbeitung, um ihn für den Menschen genießbar zu machen – unterscheiden sich also je nach Geschlecht, etwas, was insofern Bedeutung hat, als erst durch den Konsum von Mais, wahre Menschlichkeit erlangt wird. Zum Ausdruck kommt diese Beziehung u.a. in der starken Ähnlichkeit zwischen dem Begriff für „menschlich, generos machen“ (takayotia) und jenem für die Fruchtbildung des Mais’ (takayoua) (Lupo 1995: 202-3), wobei in beiden Termini das Wort taka(t) – Mensch enthalten ist. Darüber hinaus, lassen sich beim Menschen, analog dem Mais, verschiedene Wachstumsstadien der Entwicklung von personhood feststellen. Aus dem befruchteten Samen entsteht eine, zunächst asexuelle und weitgehend ungeschlechtliche Pflanze bzw. ein zwischen der Menschen- und der übernatürlichen Welt stehendes Wesen, das erst nach und nach, über verschiedene Praktiken, in die soziale Welt der maseu-

94 Für die vorkoloniale Zeit, in der, ähnliche Vorstellungen existieren, vgl. Zuckerhut (2003b: 89-90). 95 Vgl. dazu Lupo (1995: 275); zur postkolonialen Adaptierung Quetzalcóatls in der Geschichte von Sentiopil, vgl. Kapitel IV.4.2. 96 Wobei aufgrund ihres göttlichen und damit auch asexuellen Charakters unklar ist, welche der beiden Figuren männlich und welche weiblich ist. Zum mehr göttlichen als menschlichen Charakter der beiden, vgl. López Austin (1984: 265).

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almej, hereingeholt wird (Báez 2004a: 76).97 Die Geschlechtslosigkeit von Säuglingen und Kleinkindern zeigt sich in ihrer Unisex-Kleidung und Frisur; ihr prekärer Status als noch nicht wirklich in der Menschenwelt angekommen, in verschiedenen rituellen und anderen Vorsichtsmaßnahmen. Zum Beispiel sollten Neugeborene idealerweise möglichst nicht von der Mutter getrennt werden, möglichst nicht das Haus verlassen bzw. nicht von fremden Menschen gesehen oder gar berührt werden. 98 Rote Bänder um das Handgelenk sollten sie vor Seelenverlust schützen (vgl. u.a. Feldnotizen 31.10.2011).99 Gestärkt werden sie in der Zwischenzeit durch das Trinken der Muttermilch, die Hitze enthält (Tz 5 5.2.2005) und so den Austrocknungsprozess vorantreibt. Babies gelten solange als „rein“ (und asexuell) solange sie noch keinen Mais gegessen haben und damit noch keine Schuld, entsprechend der bereits angesprochenen Reziprozität gegenüber der Erde, haben.100 Mit dem Beginn des Maiskonsums und damit einhergehend, der endgültigen Ablösung von der Welt des Übernatürlichen, entwickelt sich das Kind nach und nach zu einem geschlechtsspezifischen Wesen, es beginnt geschlechtsspezifische Kleidung zu tragen, Knaben werden die Haare geschnitten, während die der Mädchen lang bleiben. Und die Kinder werden verstärkt zur Übernahme und dem Erlernen geschlechtsspezifischer Tätigkeiten angehalten (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 104-5; Taggart n.d.: 9; Feldnotizen lfd.). In manchen Fällen werden Kinder erst zu diesem Zeitpunkt, d.h. im Alter von drei oder vier Jahren, getauft; Lupo (2001: 359) spricht von der Taufe als einem „vermenschlichenden Ritus“.101 Ausnahmen gibt es, wenn der Tod des Kindes befürchtet wird. In diesem Fall soll ihm die vorzeitige Überführung in den Status der_des christian@ (gleichbedeutend mit menschlichem Wesen), in einem stark verkürzten Übergangsritus,102 eine Existenz im Christ_inn_enhimmel sichern.

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Andererseits wird laut Chevalier und Sánchez Bain (2003: 67-8) bei den Golfnahua, wie auch den Popoluca, eine Parallele der erwachsenen Maispflanze mit dem Neugeborenen hergestellt, wenn es heißt, dass die Nabelschnur bei letzterem abgeschnitten wird, wie auch die Pflanze knapp über dem Boden gekappt wird. Und es wird – im Falle der Nahua von Yancuictlalpan – ein Vergleich zwischen der Mutter, die den Säugling, und der Erde, die die Pflanze nährt, gezogen (Lupo 1995: 146). 98 Zum prekären, unfertigen und daher schutzbedürftigen Status von Neugeborenen und Säuglingen, vgl. Lupo (2001: 360-1). 99 Zu ähnlichen Vorstellungen und der Bedeutung der Farbe Rot im zapotekischen Mitla (Oaxaca), vgl. Dürr (1996: 232ff.); zur guatemaltekischen Kaquchikel Gemeinde Tecpán, vgl. Fischer (1999: 483). 100 Zur, aus dieser Schuld resultierenden bzw. diese bewirkenden, Reziprozität Mensch-Erde, vgl. Lupo (1995: 219ff.); für eine ähnliche Sichtweise bei den Nahua von Ameyaltepec im Nordosten von Guerrero, vgl. Good Eshelman (2001: 274). 101 Mit der Taufe soll die tierische „Bestialität“ des tonal begrenzt werden: „A veces nos atrevemos a hacer muchas cosas: robar, matar … ¿Por qué? Porque nuestro tonal es así, es animal. Porque hay animales que son brutos, nos obligan a hacer cosas malas. Pero son los animales que andan por ahí los que nos obligan“ (ibid.; wie auch Signorini/Lupo 1989: 54; zur Bedeutung der Taufe, vgl. auch ibid.: 45). 102 Tauffeste sind wie Geburtstage, Hochzeiten und andere Feste des Lebenszyklus in der Regel mit aufwändigen Gastmählern, Musik und Tanz verbunden (siehe Kapitel IV.4.3).

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Bis zum dritten Geburtstag, der das Ende des Babyalters markiert und mit einem großen Fest gefeiert wird (Tz 7 18.10.2013; vgl. auch Tz 2 14.2.2005 et al.), ist das Risiko, dass ein Kind in Folge eines Sturzes seine Seele verliert, besonders groß, weswegen es davon abgehalten wird herumzutoben, zu laufen und zu springen (Feldnotizen 2006 et al. lfd.; Tz 7 14.10.2013). Erst mit der Heirat103 ist eine gewisse, jedoch nie vollkommene, Vollständigkeit männlicher wie auch weiblicher personhood erreicht. Voraussetzung dafür ist, idealerweise, die vollständige Beherrschung typisch männlicher bzw. weiblicher Tätigkeiten, d.h. im Falle des Mannes des Maisanbaus, im Falle der Frau der Herstellung von tortillas (vgl. u.a. Lupo 1995: 182). Beides – Maisanbau wie auch tortillaHerstellung – wird in der Praxis aus verschiedenen Gründen nicht von allen heiratswilligen Menschen beherrscht; andere Aktivitäten treten an ihre Stelle (siehe z.B. Kapitel IV.2.6). Die Ideologie dieser Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung jedoch, besteht weiter und im Falle der weiblichen Aktivitäten, wird ihre Erhaltung und Umsetzung aktiv in der Schaffung einer Reina del Huipil gefördert, zu deren Tugenden die Fähigkeit der tortilla-Erzeugung gehört (siehe Kapitel IV.4.1). Über die Heirat ist also eine soziale, wenn auch begrenzte,104 Mündigkeit, als einer reifen und sexuell aktiven Geschlechtlichkeit, erreicht. Dennoch wächst personhood noch weiter, wie auch der Mais nach der Blüte noch weitere Entwicklungsstadien durchläuft. Wie im Falle der Pflanze, das Ansetzen und Reifen der Kolben bedeutsam ist, so sind das für die Menschen, die heranwachsenden, später die erwachsenen Kinder (siehe Kapitel V.1.2.2 und V.1.2.3). Mit der Ernte bzw. dem Ausziehen der Kinder aus dem Haushalt, erfolgt eine Bedeutungsverschiebung in Richtung Kolben bzw. des neugegründeten Haushalts der Kinder. Anders als der Mais, behalten ältere Menschen (die es, wenn irgendwie möglich, verhindern, dass alle Kinder mit der Heirat aus dem elterlichen Haushalt ausziehen; siehe Kapitel V.1.2.4) jedoch ihre soziale Bedeutsamkeit, insbesondere wenn es ihnen gelingt, ihre personhood (über eine Stärkung des tonal und in weiterer Folge des yekauil, als eine Art Gegenpol des ersteren; siehe Fußnote in Kapitel II.7.1), vermittels ritueller Tätigkeiten auszuweiten. Sei das indem sie – eine nicht allen gleichermaßen zugängliche Möglichkeit – eine Ausbildung zur_zum curander@ (Heiler_in) (oder auch zu einer_einem Hexe_r) machen, sei das indem sie am politisch-religiösen Ämtersystem partizipieren und hier einen der höheren, aufwändigeren, aber auch prestigeträchtigeren Posten übernehmen (vgl. den zweiten Abschnitt von Kapitel IV.3.3.3 und IV.4; sowie Haly 1996: 546, 549, 553). Letzteres gilt vor allem als Möglichkeit männliche personhood zu stärken. Es wird sich aber zeigen (Kapitel IV.4.3), dass diese gerade in Hinblick auf die an-

– Im Falle einer „Nottaufe“ wird auf das Fest verzichtet und nur der kirchliche Akt durchgeführt (Tz 7 31.10.2011). 103 Was in der Praxis das Zusammenziehen von Mann und Frau, meist im Haushalt der Familie des Mannes, bedeutet; eine formelle Heirat mit kirchlicher Trauung erfolgt oft Jahre später, nachdem bereits mehrere Kinder geboren sind (z.B. Tz 16, Aj 41 et al.). 104 Begrenzt insofern, als das junge Paar, solange es keinen eigenen Haushalt führt, unter der Autorität des Haushaltsvorstandsehepaares steht; gesellschaftlich gibt es Einschränkungen, da viele Rechte (und Pflichten) über die Haushaltsvorstände an die Haushalte und nicht an Einzelpersonen vergeben werden.

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gemessene Durchführung eines Amtes, aufgrund der bereits angesprochenen Komplementarität der Geschlechter, nicht von der weiblichen abtrennbar ist. Selbst mit dem Tod ist die Analogie Mensch-Mais noch nicht zu Ende. Der Körper der geschwächten Pflanze, die ihre Frucht gegeben hat, stirbt, wie auch der des Menschen. Beide kehren in den Boden zurück, um solcherart zur Ernährung der Erde und damit zu ihrer künftigen Fruchtbarkeit beizutragen (Signorini/Lupo 1989: 66-7; Lupo 1995: 201-2; ders. 2001: 362-3). „Nosotros somos de la tierra: de la tierra nacimos, la tierra nos come“ erläutert der Ritualexperte M.C. gegenüber Alessandro Lupo (Lupo 1995: 201), um des Weiteren zu betonen, dass Gott sich die menschliche Seele nimmt, wie der Mensch den Mais (ibid. 201-2). Die Ähnlichkeit geht noch weiter, insofern sich der Lebenszyklus von Mensch und Pflanze als ein Prozess der zunehmenden Trockenheit erweist, von einem kalten, feuchten Beginn, hin zu einem heißen und trockenen Ende (Lupo 2001: 361ff.). Die Sonne erhitzt und trocknet Mensch und Mais gleichermaßen; sie ermöglicht das Leben und bringt beide damit in jeder Phase ihres Daseins dem Tod näher. „[…] todos los que íbanos a amanecer teníamos que morir después“, erläutert ein Einwohner Tzinacapans. Aus diesem Grund, erzählt er weiter, werde von der mythischen Schöpferfigur Sentiopil, die gegenwärtig die Rolle des „Vaters des Mais’“ übernommen hat, berichtet, dass diese sich vor dem Licht, vor der Sonne verberge. Nur so kann sie ihre Unsterblichkeit bewahren (Argueta 1994: 49). Mensch und Mais stehen, wie wir gesehen haben, in einer symbiotischen Beziehung; die Fähigkeit zum Maisanbau markiert gewissermaßen die erwachsene indigene Männlichkeit, so wie die der Maisverarbeitung, insbesondere der Herstellung von tortillas, Weiblichkeit charakterisiert. Die Übergabe des Maisfeldes vom Vater an den Sohn, der eigene Herd zum Tosten der lebenswichtigen Maisfladen in einem eigenen Haus, drückt soziale Unabhängigkeit aus, die in der Übernahme eines politischen oder religiösen Amtes durch den frisch gebackenen Haushaltsvorstand münden, und damit zur weiteren Ausweitung und Stärkung von personhood führen kann (siehe Kapitel IV.3.3.3). Von daher ist es naheliegend, dass auch unter widrigen Umständen an der eigenen Maisproduktion festgehalten wird, Mittel gesucht werden, diese sicher zu stellen. Eine der Möglichkeiten dazu ist, wie wir gesehen haben, der Anbau und Verkauf von Kaffee, der jedoch zunehmend durch andere Varianten der Erwirtschaftung von Geldeinkommen abgelöst wird. Andererseits verliert die Assoziation Mensch-Mais zumindest unter Teilen der jüngeren Bevölkerung, im Alter von 20 bis 30 Jahren, an praktischer Relevanz, nicht nur aufgrund von ökonomischer Marginalisierung mancher Haushalte (vgl. dazu Zuckerhut 2008a; dies. 2010b), sondern umgekehrt durch gesellschaftlichen Aufstieg. Junge Leute, die eine höhere Schule besucht und einen Hochschulabschluss erlangt haben, sind nicht gewillt am Maisfeld zu arbeiten, bevorzugen es tortillas mit Hilfe einer tortilla-Presse herzustellen oder gar zu kaufen. Neue Formen der Schaffung männlicher und weiblicher personhood müssen gefunden und ausgehandelt werden. IV.2.6 Einkommen in Zusammenhang mit dem Tourismus Eine der, in den letzten 30 Jahren, wenn schon nicht entstandenen, so zumindest verbesserten Möglichkeiten, Einkommen zu erwirtschaften und somit potentiell relevant in Hinblick auf personing und resultierender personhood, ist der Tourismus. Nicht

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nur ersetzt das daraus erwirtschaftete Geld, in immer größerem Maße, jenes aus dem Kaffeeanbau, wenn es darum geht die Herstellung von Mais zu subventionieren. Auch bietet sich hier ein neues Betätigungsfeld mit expliziten Bezügen zum Ausleben einer, in der Öffentlichkeit positiv konnotierten Indigenität „von oben“ (siehe Kapitel IV.4). Greathouse-Amador (2005a) geht soweit, von einer resultierenden Stärkung und Revitalisierung der indigenen sozialen und kulturellen Strukturen zu sprechen. Dabei ist seine Forcierung den cuetzaltekischen (nicht indigenen) Eliten zu verdanken, die nach dem frostbedingten Ausfall der Kaffeeernte im Jahr 1989 nach wirtschaftlichen Alternativen suchen (Greathouse-Amador 2005a; dies. 2005b: 711). Der Ausbau des Tourismus ist insofern naheliegend, als das Munizipio über eine imposante und reizvolle Landschaft verfügt, mit teilweise dicht mit Regenwald bewachsenen steilen Berghängen und dazwischen liegenden Weiden, Feldern und Dörfern. Dazu kommen „natürliche“ Attraktionen, wie eindrucksvolle Tropfsteinhöhlen und Wasserfälle.105 Ergänzt wird dieses Ambiente durch die nahegelegenen archäologischen Ausgrabungsstätten von Yohualichan mit Pyramiden und einem Ballspielplatz, deren Errichtung bis in die Zeit um 400 u.Z. zurückdatiert und mit den Toltek_inn_en, sowie dem, ebenfalls aus dieser Epoche stammenden, El Tajín, in Verbindung gebracht wird (vgl. u.a. die Tourismusbroschüre „Atepolihui“ [NN 1 o.d.]). Die Stadt Cuetzalan selbst besticht durch Bauten aus der Kolonialzeit und Kopfsteinpflaster im (auto-)verkehrsarmen Zentrum106 und unterscheidet sich damit wohltuend vom nahegelegenen Zacapoaxtla, mit seiner stark befahrenen Durchzugsstraße. Damit nicht genug, erhält sie durch die lokale Bevölkerung ein besonderes Flair. Einmal durch die Kleidung vieler Indigener – die Männer in weißen Hosen und Hemden, Sandalen, hergestellt aus Autoreifen und Lederriemen an den Füßen, breite Hüte am Kopf; die Frauen in weißen Röcken und Blusen, letztere bunt bestickt, erstere mit breiten roten oder bunten Gürteln zusammengehalten; zum anderen durch die öffentlichen Rituale und Tänze, anlässlich der Feste für den Schutz- und andere Heilige/n. Zweimal die Woche, am Donnerstag und am Sonntag, ist Markt; am Sonntag kommen Indigene und Nicht-Indigene von weit her und tragen noch weiter zur buntfolkloristischen Stimmung bei. „Indigenous men and woman flaunt their traditional dress, as white as the mist that sometimes descends into town; some carry goods on their back that they’ll sell during the day, but all walk with the pride of their ancestral legacy. Cuetzalan is a town where the past lives on, a place where streets rise and fall suddenly: for me, a lover of chaos, they are delightful to travel“ (URL 30),

lautet eine der zahlreichen Beschreibungen von San Franzisco Cuetzalan im Internet. Selbst das zeitweise doch eher unwirtliche Klima, oft gekennzeichnet durch wolkenverhangene Berge und Nebel, lässt sich, als besonderes Zeichen der Magie des Ortes, fremdenverkehrsfördernd vermarkten. Laut Greathouse-Amador (2005a) wird es von 105 Vgl. beispielsweise den Wasserfall des Flusses Istakat („Weißes Wasser“). 106 Bei meinem ersten Besuch in Cuetzalan erklärt mir ein freundlicher (mestizischer) Einwohner stolz, mit Blick auf die plaza, „das alles sei neu aus Steinen gemacht, vorher war alles aus Beton“ (Feldnotizen 4.12.2003).

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vielen Tourist_inn_en als „romantic, enchanting and magical“ beschrieben. Auf Cuetzalans Anerkennung als pueblo mágico wurde ja bereits hingewiesen (siehe Kapitel IV.1).107 Die Anfänge des Tourismus sind sicherlich schon früher anzusetzen, wenngleich die eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten in die Sierra, aufgrund der schlechten Verkehrsinfrastruktur, den Strom der Reisenden zunächst vermutlich hemmen. 108 Hemmend wirkt womöglich auch die, bis in die 1960er Jahre, laut Arizpe (1973: 49), in der Region endemische Malaria, die erst im Zuge des weiteren Ausbaus des Verkehrssystems und der damit einhergehenden Ausweitung der medizinischen Versorgung, eingedämmt werden kann. Dennoch dürfte eine der Motivationen, als 1949 die Fería del Café ins Leben gerufen wird, die sein, (zahlende) Gäste aus anderen nationalen wie auch internationalen Regionen anzuziehen. Gestützt wird dieses Anliegen durch die 1963, auf Initiative der indigenen Bevölkerung, geschaffene Fería del Hui-

107 Vgl. auch Juárez Sánchez et al. (2009: 197). Cuetzalan wird von ihnen als „catalogado como uno de los más exitosos“ der pueblos mágicos beschrieben. 108 Darüber hinaus spielt der Tourismus international erst ab den 1920er, vor allem aber ab den 1960er Jahren, mit den erweiterten Reisemöglichkeiten, auch der sozialen Mittel- und Unterschichten, zumindest der europäischen Zentrumsstaaten, eine ökonomisch bedeutsame Rolle (Baumhackl et al. 2006: 10; Kolland 2006: 255-8). Dennoch bezeichnet ihn Baumhackl (2006: 169) als wichtigsten Devisenbringer Mexikos bis zum Ölboom der 1970er Jahre. Hierfür sind womöglich vor allem die amerikanischen Gäste verantwortlich. Die Regierung des US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt ermutigt in den turbulenten Zeiten der 1930er Jahre, ihre Landsleute nach Mexiko zu reisen, in der Hoffnung, dass diese beitragen, demokratische Beziehungen zu entwickeln (Berger/Wood 2010: 8). Auch danach spielen US-amerikanische Reisende eine wichtige Rolle für die mexikanische Tourismuswirtschaft. – Im Zuge von ökonomischen Umstrukturierungen im Gefolge der Krise von 1982, wendet sich die mexikanische Regierung (noch) stärker als zuvor der Förderung des Tourismus zu. Im Nationalen Entwicklungsplan 1989-1994 wird eine Politik der Modernisierung des Tourismussektors festgelegt und auch im nachfolgenden Entwicklungsplan 1995-2000 spielt der Tourismus eine wichtige Rolle (Brenner/Aguilar 2002: 505; vgl. auch Baumhackl 2006: 177-9); im Jahr 2000 ist er der wichtigste Devisenbringer nach dem Erdöl (Stephen 2005: 164). Im Zentrum des Interesses der staatlichen Tourismusförderbehörde Fondo National de Fomento al Turismo (FONATUR), steht allerdings der Luxus- und Fünfsterntourismus (Brenner/Aguilar 2002: 510), der für Cuetzalan keine Bedeutung hat. Von den 27 Hotels, die Juárez Sánchez et al. (2009: 198) auflisten, zählt nur eines zur letztgenannten Kategorie. Erst der Entwicklungsplan 20012006 propagiert eine nachhaltige Entwicklung, die die Ökologie, wie auch die Regionalentwicklung, mit einschließt. Angestrebt wird eine Diversifizierung der Märkte, Destinationen und Produkte. Eine der hier propagierten Nachhaltigkeitsschienen, die Ausrichtung am Abendteuer-, Kultur- und Ökotourismus (Baumhackl 2006: 181-5), ist jene, an der sich die Verantwortlichen Cuetzalans bereits seit den 1990er Jahren orientieren. Aktiv in der Ausrichtung in Richtung Natur und Ökologie ist bzw. sind allerdings weniger die staatliche FONATUR, als vielmehr Nichtregierungsorganisationen wie BIOPLANETA, hervorgegangen aus der Umwelt- und Sozialbewegung der 1980er Jahre (ibid.: 187).

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pil (siehe Kapitel IV.1).109 Bis heute sind die Tage zwischen dem 30. September und dem 9. Oktober, an denen diese beiden Ereignisse stattfinden, zusammen mit den Tagen um Allerheiligen-Allerseelen und der Osterwoche, jene, die die meisten Gäste aus dem In- und Ausland anziehen. Darüber hinaus fließt der Strom der Reisenden vor allem am Wochenende (Greathouse-Amador 2005a), wenn, neben den oben genannten Attraktionen, auch der große Sonntagsmarkt (tianquiz) besucht und bestaunt werden kann (Feldnotizen lfd.). Damit ist der Tourismus, ähnlich dem Kaffeeanbau, ein Wirtschaftssektor, in dem sich der Arbeitsinput auf bestimmte, vorhersagbare Zeiträume konzentriert, und lässt sich somit gut mit Maisanbau und anderen Bereichen der indigenen Ökonomie vereinen. Dennoch ist der Nutzen, den die indigene Bevölkerung aus ihm zieht, zunächst begrenzt und beschränkt sich auf die Möglichkeit, (Kunst-)Handwerksprodukte aus eigener Produktion zu verkaufen. Ab 1976 beginnen sich Indigene aus den umliegenden pueblos in Kooperativen zu organisieren, um die Vermarktung ihrer Erzeugnisse in die eigenen Hände zu nehmen und sich von Zwischenhändler_inne_n unabhängig zu machen (vgl. Pérez Nasser 2002: 136ff.). Besonders bekannt geworden ist die, seit 1991 unter diesem Namen bestehende Frauenkooperative Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij (siehe Kapitel IV.5.1; vgl. auch Pérez Nasser 2002: 127, 143; Martínez Corona 2003a: 234ff.). Daneben existiert eine Reihe von maseualmej, die direkt an Tourist_inn_en verkaufen (vendedor@s). Dabei gibt es zunächst nur wenige Verkäufer_innen, wenngleich auch die potentiellen Käufer_innen weniger sind (Tz 7 8.8.2004; dies. 12.2.2005; et al.). In den 1990er Jahren steigen zwar die Zahlen der Besucher_innen der Stadt – Greathouse-Amador (2005a) spricht von einem Boom –, aber auch die der vendedor@s. Nach der Jahrtausendwende kommen zeitweise auf eine Touristin_einen Touristen an die zehn artesanía verkaufende Frauen (Feldnotizen lfd.). „Si, hay gente, pero no compran. Es que somos muchas vendedoras“ (Tz 7 6.10.2013), stellen insbesondere die ambulanten Händler_innen immer wieder fest. Damit wird es für indigene Familien schwieriger, die eigenen Produkte erfolgreich zu vermarkten und es müssen neue Strategien und Absatzmärkte gefunden werden. Daher gibt es eine Vielzahl von Taktiken die Besucher_innen der Stadt zum Kauf von Kunsthandwerk – in der Regel Körbe, Kindertragen, Holzschnitzereien, gewebte Schals, bestickte Blusen sowie Tortillawärmer und Sets, gewebte und geknüpfte Gürtel, aus Bändern geflochtener, teilweise auch mit kleinen Perlen versehener Schmuck, Schlüsselanhänger und andere gewebte und geflochtene Kleinigkeiten – zu bewegen. Das Spektrum reicht von der Forcierung eines positiven Bildes von Indigenität durch besondere Achtsamkeit auf Sauberkeit und Schönheit der Gesamterscheinung, über eine relative Ignoranz, d.h. es werden mestizische und traditionell-indigene Kleidungsstücke gemischt getragen, bzw. lässt die gesamte Aufmachung keine Unterschiede zur mestizischen Bevölkerung erkennen, bis hin zum bewussten Rückgriff auf das weit verbreitete Bild einer negativen Indigenität. Im letztgenannten Fall wird das Klischee der marginalisierten, pauperisierten und teilweise verwahrlosten Bevölkerungsgruppe mehr oder weniger gezielt genutzt, um Mitleid zu wecken und somit

109 So gesehen ist die indigene Bevölkerung zumindest in Cuetzalan nicht ganz unbeteiligt an der Idee zur Schaffung einer Indigenität von oben.

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die Kauflust der Reisenden zu steigern, eine Taktik, die vor allem von älteren Frauen teilweise recht erfolgreich angewandt wird (Feldnotizen lfd.). Unabhängig von der Aufmachung, fangen die Händler_innen, frisch angekommene Tourist_inn_en, direkt am Busbahnhof ab, oder sie versuchen diese beim Essen im Restaurant, vor allem aber auf den Plätzen und Straßen der Stadt, zum Kauf ihrer Produkte zu motivieren. Der Großteil der vendedor@s ist örtlich sehr flexibel, da die Ware in Säcken transportiert und nur gelegentlich auf einer am Boden ausgelegten Plastikplane drapiert wird. Es gibt jedoch auch Händler_innen, vor allem jene, die am Markt verkaufen und im Sortiment in erster Linie Webprodukte haben, mit einem eigenen Stand. Ambulante wie auch „sesshafte“ Verkäufer_innen veräußern in der Regel neben selbst oder zumindest im eigenen Haushalt hergestellten Waren solche, die sie von Verwandten, Nachbar_inne_n und Bekannten auf Kommission übernehmen (Feldnotizen lfd.). Viele Produzent_inn_en, darunter auch jene, die als ambulante vendedor@s tätig sind, treten womöglich einer der Kooperativen bei, um zusätzlich in Läden und an Kund_inn_en in Mexiko Stadt oder auch den USA liefern zu können (Feldnotizen lfd.). Aufgrund des extrem ungleichen Verhältnisses zwischen vendedor@s und Tourist_inn_en, suchen einige Verkäufer_innen nach besseren Absatzmärkten außerhalb Cuetzalans. Sie reisen an Wochenenden in den, an der Golfküste gelegenen Badeort Tecolutla, oder auch nach Tlaxcala, wo sie billige Unterkünfte gemietet haben oder bei Verwandten unterkommen (Feldnotizen lfd.). Ein Händler erzählt, er fahre von Zeit zu Zeit nach Jalapas und in andere Orte, wo er von Büro zu Büro gehe und seine Produkte verkaufe (Tzm 16 1.10.2007). Die Reiserouten werden in der Regel geheim gehalten (Tz 7 25.1.2006; Tz 6 26.1.2006), auf der Fahrt und während des Aufenthalts in einem Ort abseits der Heimatgemeinde besteht jedoch eine sehr große Solidarität und gegenseitige Unterstützung zwischen den maseualmej aus Cuetzalan (Feldnotizen 16.8.-19.8.2005, 27.-30.8.2005; 27.-29.1.2006; siehe auch Kapitel VI.1.2.3). Spätestens seit 1997, dem Jahr der Eröffnung des, von der Frauenkooperative Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij geführten Hotels Taselotzin in Cuetzalan, ergeben sich weitere Möglichkeiten für die indigene Bevölkerung, Nutzen aus dem Tourismus zu ziehen. Dabei handelt es sich bei dem Hotel um das erste Projekt dieser Art, wobei die Tatsache, dass es sich um Indigene und noch dazu um Frauen handelt, seitens der mestizischen Bevölkerung Cuetzalans zunächst mit großem Argwohn betrachtet wird (Martínez Corona 2003a: 247). Den Trend der Zeit zu Öko- und Ethnotourismus nutzend, werben die an Taselotzin Beteiligten, gezielt mit ihrer Ethnizität und einer damit in Verbindung gebrachten ökologischen Ausrichtung. „Meeting nature and our roots again“, lautet der bei Greathouse-Amador (2005a) zitierte Slogan, der sich auf Broschüren und Flyers findet. Geboten werden soll den Gästen des Hotels mehr als nur ein Schlafplatz. Vielmehr geht es den Betreiberinnen um die Vermittlung der Wertschätzung der natürlichen Umwelt und ein Näherbringen der indigenen Kultur (Martínez Corona 2003a: 247; dies. 2003b: 204-5; Greathouse-Amador 2005a; dies. 2005b: 713; Montserrat Pérez Serrano et al. 2010: 64). Gestärkt und erleichtert wird, zumindest der zweite Anspruch, durch die Einrichtung einer Casa de la Cultura in Cuetzalan im selben Jahr, in der Ausstellungen zu den indigenen Kulturen Cuetzalans zu finden sind, sowie Veranstaltungen und Kurse stattfinden (URL 31). Mittlerweile gibt es noch zwei bis drei weitere Hotels und Restaurants mit eben-

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falls ökologisch-kultureller Schwerpunktsetzung in der Region (Feldnotizen 9.12.2003; 3.2.2006; Montserrat Pérez Serrano et al. 2010: 64-5; Feldnotizen 18.9.2013; et al.). Einige, vor allem junge Indigene, setzen weniger auf Ethno- und Öko- als vielmehr auf Abenteuertourismus, wobei das Red de Turismo Alternativo (RETA) Totaltikpak, A.C. hier eine gewisse Koordinierungsfunktion innehat. Für Cuetzalan orten Montserrat Pérez Serrano et al. (2010: 63-5), neben der oben genannten und anderen, ähnlich ausgerichteten, Frauenorganisation/en, zumindest zwei Zusammenschlüsse, die diesem Netzwerk angehören. Beide, sowohl die Caminos de Herradura als auch die UeyiXolal, organisieren Führungen zu den Wasserfällen und Höhlen der Umgebung. Einige der, in diesem Geschäft tätigen, jungen Menschen, haben bereits als Kinder und Jugendliche damit begonnen, gegen Bezahlung Tourist_inn_en den Weg zu zeigen. Nun können, zumindest einzelne von ihnen, diese Aktivitäten in professionalisierter Form, womöglich ausgerüstet mit Stirnlampen und Schwimmwesten für alle Teilnehmer_innen, fortsetzen (vgl. Feldnotizen 16.9.2013 et al.). Der Tourismus erweist sich also, gesamt gesehen, durchaus als Aktivität, die Einkommen bringt, das für den Anbau von Mais, die Ausrichtung von Festen und andere Bereiche der Schaffung indigener personhood (des personing), und somit einer Indigenität von unten, verwendet werden kann. So gesehen, profitieren auch die maseualmej und nicht nur die cuetzaltekischen Mestiz_inn_en von der Vermarktung ihrer Kultur, über die Konstruktion eines folkloristischen Bildes indigenen Lebens, sprich der Einsetzung einer Indigenität von oben, seitens des mexikanischen Staates und der Munizipalregierung. Allerdings bestehen große Unterschiede in den Möglichkeiten dieses Feld zu nutzen, abhängig vom Wohnort, den Ausgangsressourcen, den verfügbaren familiären Netzwerken, etc. Einigen dieser einschränkenden oder auch befähigenden Differenzen werden wir in den folgenden Kapiteln, vor allem aber im Schwerpunktteil der Arbeit (insbesondere in Kapitel V) nachgehen. IV.2.7 Zusammenfassung und ergänzende Bemerkungen Wenn wir nun abschließend die Ausführungen von Teil IV.2, der auf den Erwerb des Lebensunterhalts fokussiert, zusammenfassen, so zeigt sich, dass eine eigenständige Behandlung indigener Ökonomie, insbesondere bezogen auf den Maisanbau, nicht möglich ist. Denn dieser ist untrennbar mit religiösen und sozialen Aspekten verknüpft. Aber auch andere wirtschaftliche Bereiche, wie die Herstellung von Kaffee, sind in ihrer Ausformung und Bedeutung jeweils in einem größeren, insbesondere politischen, Zusammenhang zu betrachten. Cuetzalan ist – wie wir gesehen haben –, seit dem 19. Jahrhundert eine Kaffeeregion, wobei die eingewanderte italienische und später kreolisch-mestizische Bevölkerung die Vermarktung, über ihre Dominanz in der Verarbeitung und im Zwischenhandel, beherrscht. Erst die Gründung der Kooperative Tosepan führt, wie noch gezeigt wird, diesbezüglich zu einer Änderung (siehe Kapitel IV.1). Anders als in anderen Teilen Mexikos gibt es heute in Cuetzalan, aufgrund seiner lokalen Besonderheiten, praktisch kein Gemeinschaftsland und kaum ejidos. Stattdessen verfügen auch die Indigenen über privates Landeigentum, größtenteils in Form von Miniparzellen. Dieses und zusätzlich gepachtetes Land nutzen sie einerseits zum Maisanbau und andererseits für Zuckerrohr, Kaffee und andere Pflanzen,

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größtenteils für die eigene Subsistenz. In Zeiten der aufstrebenden Kaffeewirtschaft, gefördert auch durch die mexikanische Regierung, wird die Pflanzung von Kaffeestauden aufgegriffen, um über den Verkauf der Bohnen den, für die indigene, im Falle des Anbaus speziell die männliche, Identität essentiellen Maisanbau zu subventionieren. Trotz der enormen Bedeutung des Mais’ für indigene personhood, gelingt es nicht allen Haushalten, das prekäre Gleichgewicht zwischen Cash- und Subsistenzökonomie zu erhalten; viele haben keinen Zugang zu Land bzw. verlieren diesen. Einige lassen sich auch von den angeblichen Vorteilen einer ausschließlichen Produktion von Kaffee für den Markt überzeugen und geben den Maisanbau völlig auf (was auch Auswirkungen auf Identität und Selbstbewusstsein hat und in vielen Fällen zu einer Krise indigener Männlichkeit führt; vgl. dazu Zuckerhut 2008a; dies. 2010b). Eine zu starke Orientierung an der ersteren ist in der Regel jedoch mit einer Verschlechterung der Lebensbedingungen verbunden, insofern auf einer Kaffeeplantage, wie sie den Vorstellungen „moderner“ Landwirtschaft im Sinne der „Grünen Revolution“ entspricht, ausschließlich Kaffee und (fast) nichts anderes zu finden ist. Erstens sind die so angebauten Pflanzen schädlingsanfälliger und es müssen Pestizide eingesetzt werden, zweitens ist chemischer Dünger notwendig, d.h. die Anbaukosten steigen, und drittens müssen viele, bislang selbst angebaute oder eingesammelte Güter für den täglichen Bedarf (wie Brennholz, Heil- und andere Nutzpflanzen, etc.), nun am Markt gekauft werden. Spätestens mit der mexikanischen Wirtschaftskrise der 1980er Jahre und dem Verfall des Kaffeepreises am Weltmarkt in den 1990er Jahren, kommt es in Folge, bei vielen der ärmeren Mestiz_inn_en, wie auch der Indigenen, zu einer Umorientierung insofern, als wieder auf herkömmliche Formen des Anbaus, die, im Falle der Indigenen mit Innovationen aus dem mestizischen kleinbäuerlichen Sektor ergänzt werden, zurückgegriffen wird. Ergebnis ist ein cafetal, auf dem viele verschiedene Pflanzen und Früchte wachsen, die sowohl im Haushalt genutzt als auch verkauft werden können. Dominiert im mestizischen Sektor die kommerzielle Orientierung, so steht in der indigenen Bevölkerung die Ausrichtung auf die Subsistenz im Vordergrund. Denn die im Kaffeegarten zu verrichtende Arbeit lässt sich hervorragend mit den am Maisfeld erforderlichen Aktivitäten ergänzen, was die ursprüngliche Nutzung des Kaffees als Mittel den Maisanbau zu finanzieren, erheblich begünstigt. Aufgrund der geschilderten marktbedingten Unsicherheiten kann der Kaffee diese Rolle allerdings nur noch bedingt einnehmen. Andere Aktivitäten, vor allem die Herstellung und der Verkauf von artesanía, treten an seine Stelle, zusätzlich zu verschiedenen Formen kurz- und längerfristiger Lohnarbeit (die bereits in der Vergangenheit ebenfalls von Bedeutung sind), aber auch neue Formen der Selbstständigkeit im Tourismussektor. Nach einer Tendenz der Umwandlung indigener Peasants in (prekäre) Lohnarbeiter_innen auf der einen Seite, und marktwirtschaftlich orientierten Kaffeeproduzent_inn_en auf der anderen Seite, erfolgt, als Ausdruck der Krise des Kaffees in den 1990er Jahren, eine Heterogenisierung der Wirtschaft in vielfältiger Weise: neben mehr oder weniger prekären Lohnarbeiter_inne_n und in Kooperativen organisierten hauptberuflichen Peasants (als Betreiber_innen kleiner landwirtschaftlicher Betriebe), gibt es eine große Bandbreite von polybians. Diese widmen sich einerseits dem Kaffee-, aber auch dem Maisanbau in Form von polyculture. Die geernteten Produkte werden von ihnen teilweise selbst konsumiert, teilweise verkauft. Darüber hinaus aber führen sie temporäre Lohnarbeit auf benachbarten fincas oder auf den Feldern

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von Verwandten und Nachbar_inne_n durch. Oder sie migrieren kurz- oder mittelfristig in die größeren Städte Mexikos oder in die USA, um dort einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Sie stellen artesanía her, vertreiben diese weitestgehend selbst und partizipieren so am Tourismusboom der letzten Jahre. Kleinen Gruppen gelingt es, die mestizische Vorherrschaft im Gastronomiesektor zu brechen und Hotels und Restaurants aufzumachen und zu führen. Immer mehr Indigene steigen darüber hinaus, aufgrund der genutzten verbesserten Bildungsmöglichkeiten der letzten Jahrzehnte, in längerfristige und weniger stark marginalisierte Jobs, wie den des Lehrers_der Lehrerin oder des Informatikers_der Informatikerin, ein. In diesem Sinne zeigt sich der, im Titel dieses Kapitels genannte Trend, „[v]on der Subsistenzproduktion, über die Abhängigkeit von der Herstellung von Cash Crops für den Weltmarkt, hin zur polyculture und pluriactivity cuetzaltekischer polybians“. Anzumerken ist, dass hier, wie auch in einem späteren Teil der Arbeit, der Begriff polybian mit den Einkommensvarianten von eher marginalisierten, aber nicht völlig verarmten indigenen Haushalten (in denen u.U. auch Lehrer_innen und Informatiker_innen leben), in Verbindung gebracht wird (siehe Kapitel IV.5.2). Die, dem Begriff immanente, Betonung der ökonomischen Vielseitigkeit ist auch für die ärmere mestizische Bevölkerung charakteristisch, auch wenn diese stärkeres Gewicht auf die Vermarktung ihrer Produkte legt. In der Fokussierung dieser Arbeit auf die vorwiegend indigen geprägte Bevölkerung San Miguels, wird darauf nur am Rande eingegangen. Aus diesem Grund wird auch die, zu Beginn des Kapitels angesprochene, Viehwirtschaft, die nahezu ausschließlich von (armen wie auch wohlhabenden oder gar reichen) Mestiz_inn_en betrieben wird, nicht behandelt. Zwar werden, laut Statistischem Zentralamt (INEGI 2009b), zwölf Prozent des Landes des Munizipios, in Form von Viehweiden genutzt, seitens der indigenen Bevölkerung aber wird Vieh auch heute noch kaum gezüchtet, abgesehen von Schweinen und Geflügel in allen Haushalten, für die jedoch kaum Weideflächen benötigt werden (für die Vergangenheit, vgl. Arizpe 1973: 39; Lupo 1995: 40). Die, bezogen auf die Ökonomie, festgestellte Verflochtenheit, mit Faktoren aus anderen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere religiösen und politischen, im Falle von Mais- und Kaffeeanbau, spiegelt sich auch in der Politik, wie im nächsten größeren Kapitel gezeigt wird. Darüber hinaus kommt die ökonomische Hegemonie jener kreolisch-mestizischen Bevölkerungsschichten, die sich, beginnend mit dem 19. Jahrhundert, indigenes Land aneignen wie auch die Verarbeitung und Vermarktung des Cash Crops Kaffee monopolisieren, im politischen Sektor besonders zum Tragen.

IV.3 D AS

POLITISCHE

S YSTEM

UND SEINE

V ERÄNDERUNGEN

Wie im Kapitel IV.2.1 erwähnt, handelt es sich bei den Gemeinden des Munizipios Cuetzalan um Teile einer ehemaligen república de indios, deren Mitglieder verschiedene Arten von Tribut an die spanische Krone und die kirchlichen Autoritäten bezahlen. „In Anlehnung an Spanien – dort hatten sich die kastilischen Dörfer im Verlauf der Rekonquista des Maurenreiches ihre Unabhängigkeit von den Feudalherren und ihre Autonomie erkämpft – erhielten auch in Neuspanien Spanier und auch Indios das Recht, sich, in ‚repúblicas‘ organi-

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siert, selbst zu regieren und ihren gemeinschaftlichen und individuellen Besitz selbst zu verwalten.“ (Beck 1986: 71)

Dem aus dieser Selbstregierung und -verwaltung resultierenden politisch-religiösen System und seinen Veränderungen im Verlauf der Geschichte, möchte ich in diesem Abschnitt der Arbeit nachgehen. IV.3.1 Die koloniale república de indios und ihre Regierung Die repúblicas de indios Zentralmexikos und der Sierra orientieren sich zunächst an den ehemaligen Strukturen des indigenen altepetl.110 Die ihnen zugeordneten Siedlungen werden allerdings entsprechend der neu eingeführten kolonialen Ordnung nach Größe und Bedeutung, ähnlich den Städten in Spanien, in ciudad, villa und pueblo geordnet (vgl. Gibson 1964: 32; Cline 2000: 195-6). Die Hauptsiedlung, wenn es eine gibt, wird die cabecera oder Hauptstadt, untergeordnete oder außen gelegene Einheiten werden zu sujetos (abhängig von der Entfernung von der cabecera, differenziert in die näheren barrios und abgelegenen estancias) (Gibson 1964: 33; Cline 2000: 195-6; vgl. auch Schryer 1987: 108). Den Städten steht ein governador vor, ein Amt, das von den Spanier_inne_n Mitte der 1540er bzw. in den frühen 1550er Jahren eingeführt wird (und das es, Haly [1996: 534] zufolge, in den spanisch-mestizischen Städten nicht gibt). Die cabildos oder Stadträte werden später, Ende der 1550er, Anfang der 1560er, in den cabeceras etabliert (Gibson 1960: 178; ders. 1964: 167, 172; Cline 2000: 196). Diese politischen Gebilde bestehen aus Amtsträger_inne_n mit denselben Titeln, wie sie in den spanischen Regierungseinheiten verbreitet sind. Alcaldes fungieren als Richter; regidores ist die Bezeichnung für die Stadträte. Die alguaciles (Gemeindediener) sind für die Einhaltung der Ordnung zuständig. Weiters gibt es Notare (escribanos) (in der Regel männlich), die die Berichte der Stadt in alphabetisch verschriftlichtem Nahuat(l) bewahren. Zusätzlich zu diesen Beamt_inn_en mit spanischen Titeln gibt es solche mit Nahuat(l)-Bezeichnungen, wie die tlalpouhqui (Landvermesser_innen), die vor allem Funktionen mit vorspanischen Wurzeln ausführen. Zwar ähnelt die äußere Form der indigenen Stadtregierung dem spanischen Modell, die Ausübung der Ämter aber folgt indigenen Mustern. Oft gibt es mehr indigene alcaldes und regidores, als das im spanischen Modell vorgesehen ist und es gibt auch sonst viele, jeweils regional spezifische Besonderheiten (Gibson 1964: 172ff.; Cline 2000: 196). So schildert Carrasco (1961: 483) in seiner klassischen Darstellung des mesoamerikanischen „Ämtersystems“ (sistema de cargos) die 110 Altepetl bedeutet wörtlich übersetzt „Wasserberg“ und steht für „Poblado, ciudad, estado, rey, soberano“ (Siméon 1977: 21), „pueblo o rey“ (Molina 1944: 4), oder auch „,Agua cerro.‘ Poblado“, laut Glossario der „Historia General de las Cosas de Nueva España“ (Sahagún 1989b: 864). Nach der spanischen Eroberung Zentralmexikos bestehen diese Siedlungseinheiten bis 1545-50 weiterhin und werden von einem tlatoani („der der spricht“, die indigene Bezeichnung für Herrscher_innen in Zentralmexiko) und von ihm abhängigen indigenen Adeligen regiert (vgl. Lockhart 1992: 428, Tab. 10.1, 429). Das altepetl wird von den Spanier_inne_n zunächst als pueblo im Sinne von „Volk“ bezeichnet und erhält James Lockhart zufolge (ibid.: 15) erst später auch im allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung einer (kleineren) Siedlungseinheit.

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Möglichkeit, dass es, im Falle der Existenz mehrerer gleichwertiger Stadtviertel, für jedes dieser barrios eigene korrespondierende Positionen gibt, oder aber die Ämter jährlich zwischen den Vierteln rotieren. In anderen Fällen korrespondieren die Amtspositionen mit einem System von Altersstufen (ibid.: 484). Zunächst, in den Anfangszeiten der repúblicas, Mitte des 16. Jahrhunderts, 111 werden für die Regierung und Verwaltung der indigenen Einheiten kooperationswillige Adelige eingesetzt (Gibson 1964: 155). 112 Im Ausgleich für ihre Bereitschaft Abgaben einzuheben und Arbeitsleistungen zu rekurrieren, ist es ihnen möglich, den Rang eines spanischen Hidalgo bzw. einer Doña zu erlangen. Sie sind von den Tributzahlungen und Dienstverpflichtungen befreit und von dem, für Indigene geltenden Verbot Waffen zu tragen, ausgenommen (Gibson 1964: 155; Tejera Gaona 1993: 197; Chance 1996: 475f.; Cline 2000: 194ff.; Potthast 2003: 57f.). Die Position der indigenen Adeligen verschlechtert sich zwar im Verlauf der Kolonialzeit (Gibson 1960: 180, 193; ders. 1964: 36, 55, 57), die Rolle der Verwalter_innen, schon bald mit dem Arawak-Wort Kazik_inn_en und in den unteren Rängen als principales bezeichnet (Gibson 1960: 175), behalten sie dennoch mancherorts bei (ibid.: 178). In vielen Regionen werden sie allerdings zunehmend durch Personen nicht adeliger Herkunft ersetzt,113 was durch den drastischen Bevölkerungsrückgang, infolge von Epidemien, erleichtert wird (ibid.: 193-4; ders. 1964: 156-165; Haly 1996: 534). Als wichtigster säkularer Regierungskörper der kolonialen indigenen Städte erweist sich also der ayuntamiento oder cabildo, der zumindest aus den vier Ämtern 114 des (1) Gouverneurs oder Statthalters (governador); (2) des Richters (alcalde); (3) der Ratsherren (regidores); und (4) des Notars (escribano) besteht (Gunsenheimer 2006: 185). Nur der Notar bezieht ein festes Gehalt. Bis auf das des Gouverneurs, können alle Ämter mehrfach besetzt sein, wobei die Amtsträger unterschiedliche Aufgabenbereiche haben. Im Wesentlichen zählt zu diesen Aufgaben die Erfüllung spezieller Anforderungen der spanischen Autoritäten, wie das Bereitstellen von Läufer_inne_n für das Post- und Kommunikationssystem; die pünktliche Ablieferung der Tributleistungen; die Organisation der Arbeitsdienste; die Rechtsprechung; die Dokumentation lokaler Geschäfte in einem Archiv; die Erhaltung öffentlicher Einrichtungen wie dem Dorfplatz, der Kirche, dem Gefängnis, eines Gästehauses, und von Straßen (ibid.).

111 Vgl. Cline (2000: 214), sowie Tejera Gaona (1993: 196), die die Gründung der repúblicas de indios in enger Verbindung mit der erzwungenen Bevölkerungskonzentration in congregaciones zur besseren Evangelisierung und ökonomischen Ausbeutung sehen. 112 Cline (2000: 193) hebt hervor, dass mit den Spanier_inne_n kooperierende Adelige von ihrer Position profitieren, jene, die das nicht tun jedoch, von den Spanier_inne_n ihres Amtes enthoben werden. Vgl. dazu auch Gibson (1960: 174). 113 Zur Auseinandersetzung mit dem Status von Kazik_inn_en und seinen historisch, wie auch regional bedingten Veränderungen in der Kolonialzeit, vgl. neben Gibson (1960) auch Chance (1996: 475-9), der sich in Folge insbesondere mit der Bedeutung von Kazik_inn_en in der Gemeinde Tecali in Puebla befasst. 114 Die Ämter werden hier in der rein männlichen Form vorgestellt, da das ihren spanischen Vorbildern entspricht.

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IV.3.2 Veränderungen in den Regierungs- und Verwaltungsstrukturen des neu entstandenen Munizipios Cuetzalan im Verlauf der Unabhängigkeit und der mexikanischen Revolution Cuetzalans cabildo befindet sich aufgrund der geringen Bevölkerungszahl zunächst in Tlatlauquitepec (siehe Kapitel IV.2.1). Erst einige Zeit nach dem Ende der Kolonialzeit, 1875, im Gefolge des verstärkten Eindringens europäischer und mestizischer Siedler_innen in die Sierra, wird Cuetzalan zu einer eigenen Verwaltungseinheit und erlangt somit – als villa – das Recht auf einen eigenen alcalde (vgl. u.a. Ramírez Suárez et al. 1992: 36; sowie Kapitel IV.2.1). Ein Dokument des Präsidiums von Zacapoaxtla, aus dem Jahr 1888, beschreibt Cuetzalan als Munizipio mit einer Ausdehnung von zwölf Quadratleguas (ca. 155,25 km2). Ihm gehören die Gemeinden (pueblos) San Francisco Cuetzalan, San Miguel Tzinacapan, San Andrés Tzicuilan und Santiago Yancuitlalpan an, sowie die ranchos (d.h. Dörfer bzw. Gehöfte) Acatepec, Taxipehual, Zoquita, Atalpan, Acaltzontla, Tahuiloco, Olopio und Cuahutanca (Ramírez Suárez et al. 1992: 14).115 Seine Regierung stellt eine Mischung aus kolonialen Arrangements und solchen des, im Anschluss an die Unabhängigkeit geschaffenen, Nationalstaats dar. Es gibt einen ayuntamiento constitucional, der direkt vom gesamten Munizipio 116 gewählt wird. Administrative und juristische Funktionen sind auf der obersten Ebene getrennt, mit einem „allgemein“ gewählten governador, dem presidente municipal oder 115 Die beiden letzteren werden von Ramírez Suárez et al. (ibid.) mit sic versehen. Auf einer Website (URL 32), die Daten zur Bevölkerungsstruktur des Munizipio in der Gegenwart angibt, finden sich neben San Francisco Cuetzalan, San Miguel Tzinacapan, San Andrés Tzicuilan und Santiago Yancuitlalpan Acatepec und Zoquitla(n) als Orte mit über 500 Einwohner_inne_n, sowie Atalpan als Gemeinde mit einer Bevölkerungszahl von unter 100. Die anderen ranchos tauchen nicht auf. Einem Dokument der Comisión Takachiualis zufolge (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000), macht sich San Miguel Tzinacapan um 1800 von Cuetzalan unabhängig und gehört bis zur Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Spanien zu San Juan de los Llanos. 116 Sprich der männlichen wahlberechtigten Bevölkerung. Frauen erhalten erst 1947 ein begrenztes, nur in den Munizipien gültiges, Wahlrecht (siehe dazu auch Fußnote in Kapitel IV.2.1). Zur Ausgrenzung der indigenen Bevölkerung im Gefolge der Unabhängigkeit von Spanien, die sich darin äußert, dass alleine der Aufruf zur Wahl der Indigenen im Bundesstaat Morelos im Jahr 1850, durch Ignacio Ramírez, zu einer Anzeige wegen „Aufrufs zum Ungehorsam und der Anstachelung zum Kastenkrieg“ (eine Anzeige, die in einem Freispruch mündet) und in Folge einem Skandal führt, vgl. Thies (2007: 126), et al. Die damals vorherrschende liberale Definition von „Mensch“ bezieht sich auf jemanden, „que ejerce plenamente su racionalidad“ (Monsiváis 1985: XXVII, zit. nach Thies 2007: 134). Rationelles Handeln wird der indigenen Bevölkerung insgesamt (Männer und Frauen, und erst recht andere Geschlechter inkludierend), wie auch den nicht indigenen Frauen abgesprochen. Zur besseren Absicherung dieser Ausschlüsse gibt es die Regelung, dass das Wahlrecht nur jene Personen erhalten, die volljährig sind, über ein jährliches Einkommen von über hundert Pesos verfügen und des Lesens und Schreibens kundig sind (Lomnitz 1993: 360).

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jefe politico bzw. alcalde,117 und einem eigenen Gericht, wobei der Richter vom jefe politico ernannt wird. Jedes barrio bzw. pueblo hat nun seinen eigenen cabildo, der sich etwas unterschiedlich zu dem der Kolonialzeit konstituiert. Anders als auf der Munizipalebene, hat der alcalde hier, neben den Regierungs-, auch Richterfunktionen inne. Ausgewählt wird er durch die auslaufenden alcaldes, in Beratung mit allen vorangegangenen alcaldes oder pasados, wie diese auch heißen. Die pasados haben beträchtliche Autorität und bilden eine Art Gerontokratie – einen informellen Altenrat –. Der Rat der pasados wird bei jeder wichtigen Entscheidung konsultiert.118 Bei seiner „Wahl“ ernennt der neue (tatsächlich von den pasados nominierte und eingesetzte) alcalde eines barrio drei bis fünf mayores und fünf bis zehn topiles, abhängig von der Größe der Gemeinde. Die alcaldes der barrios sind immer Indigene. Ein mayor und zwei topiles übernehmen jede Woche die Polizeifunktion im pueblo, um Streitigkeiten zu regeln, zwischen dem barrio und höheren Autoritäten zu vermitteln, öffentliche Arbeitsgruppen zu organisieren, Abgaben einzuheben, Männer für den Militärdienst zu rekrutieren und die Nahrungsversorgung für die Streitkräfte des Distrikts zu sichern. Keine dieser Positionen ist bezahlt. Nur in besonderen Ausnahmefällen gibt es eine Remunerierung (Thomson 1991: 216, Fußnote 26). 119 IV.3.2.1 Die nationale Unabhängigkeit: Spannungen zwischen cabecera und barrios sujetos, die Herausbildung des verschränkten Ämtersystems in den indigenen Gemeinden, sowie damit einhergehende Bestätigungen sozialer Differenzierungen Die relativ starke Autonomie, über die die cabildos bis Mitte des 19. Jahrhunderts verfügen, wird im Zuge der nationalen Unabhängigkeit (und dem resultierenden verstärkten Eindringen nicht indigener Bevölkerungsschichten in die Sierra) zunehmend in Frage gestellt, bundesstaatliche und föderale Interventionen nehmen zu. Ende des 19. Jahrhunderts finden sich die Indigenen Cuetzalans stärker durch Kirche und Staat (und damit durch gente de razón) regiert, als die gesamte Kolonialzeit hindurch (Thomson 1991: 255). In der Munizipalregierung dominieren gente de razón, die die117 Die Bezeichnung alcalde erlangt nun zunehmend die Bedeutung von „Bürgermeister_in“, wenngleich eine Person, die dieses Amt ausübt, auf der Ebene der barrios nach wie vor auch Aufgaben eines Richters wahrnimmt (siehe dazu die folgenden Ausführungen/Beschreibungen). 118 Zu den pasados, auch principales oder ancianos genannt und ihrer Bedeutung im Ämtersystem, vgl. u.a. Carrasco (1961: 484); speziell zu Cuetzalan auch Mallon (1995: 66, 68, 73). 119 Thomson stützt sich hier allerdings im Wesentlichen auf die Beschreibung Nutinis aus den 1950er, 1960er Jahren: sowohl das Zentrum als auch die ländlichen barrios haben ihren Bürgermeister (alcalde), der als Vermittler zwischen den Indigenen und den Autoritäten des Munizipios dient. Die alcaldes sind immer Indigene und sie werden durch die pasados, also jenen Personen, die zuvor als alcaldes agierten, ausgewählt. Der neue alcalde ernennt drei bis fünf mayores, entsprechend der Bevölkerungszahl des Viertels und fünf bis zehn topiles, entsprechend seiner Ausdehnung. Bei der Ernennung eines neuen alcalde wird eine Benachrichtigung zur Bestätigung nach Puebla geschickt (Nutini/Isaac 1974: 22, 169).

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se Position zu ihren Zwecken nutzen (ibid.: 256).120 Dadurch kommt es zu einer Kluft zwischen cabecera und den barrios sujetos, in denen die cabildos ausschließlich aus Indigenen zusammengesetzt sind.121 Diese arbeiten weiterhin auf der Grundlage von unbezahlten und nicht immer ganz freiwillig geleisteten persönlichen Diensten, d.h., indigene Männer sind moralisch (wenngleich nicht gesetzlich, wie in der Kolonialzeit; vgl. dazu auch Arizpe 1973: 128; Haly 1996: 535) verpflichtet, im Laufe ihres Lebens, verschiedene Ämter (cargos) einzunehmen. Wird ein Mann – und vor allem die höheren Ämter werden primär an Männer vergeben (dazu, siehe unten) – durch den Rat der pasados in eine Position ernannt, so muss er diese annehmen und möglichst optimal erfüllen, will er seine anerkannte soziale Position in der Gemeinde nicht verlieren (Thomson 1991: 256). Zwar berichtet Stephen (2005: 243, 246) für die zapotekische Gemeinde Teotitlán del Valle in Oaxaca, dass vor allem in den ökonomisch prekären Zeiten, im Anschluss an die Kämpfe der Revolution der 1920er 120 Zwar wird der Indigenenführer Francisco Agustín Dieguillo 1880, für seine Verdienste in den Kämpfen nach der Unabhängigkeit, mit dem Posten des presidente municipal belohnt, den er bis 1884 innehat, danach aber finden sich lange Zeit ausschließlich NichtIndigene in dieser Funktion (Thomson 1991: 249; vgl. auch Argueta 1994: 127). Thomson (1991: 249) spricht von einem Flores Chiefdom: Jesús Flores, verwandt mit Manuel Flores, der sich größere Ländereien der Gemeinde San Andrés Tzicuilan angeeignet hat, hat 1887-91, 1891-99 und 1901-04 die Präsidentschaft inne. Das Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla hebt Jesús Flores als jene Person hervor, die um 1870 den Kaffee eingeführt hätte (URL 33). 121 Aufgrund dieser Kluft haben die mestizischen jueces municipales Schwierigkeiten, die ihnen unterstehende indigene Bevölkerung von der Notwendigkeit des Beitrags zur national-liberalen Befreiung gegen die französische Intervention zu überzeugen. Florencia Mallon (1995: 79-80), die versucht unterschiedliche Diskurse des sich herausbildenden liberalen Nationalismus aufzudecken, zitiert eine Beschwerde vom 5. Jänner 1863, dass die indigene Bevölkerung der Region ihre Quoten nicht erfüllt: – „The inhabitants of these locations and especially the Indians, are leaving in droves, whether to distant rancherías or to other districts, because of which the census diminishes daily, and requisitions become impossible.“ (AHMZ, Paq. 1863-64-65: Exp. 214, zitiert nach Mallon 1995: 80) – Es gäbe Probleme die nationale Sache zu unterstützen, da die Indigenen, mit der Herstellung von panela beschäftigt, Angst hätten, dass ihr Produkt konfisziert würde, vermeldet Ignacio Arrieta, Oficio del Juez Municipal de Cuetzalan, am 22. Jänner 1863 (ibid.: 80, vgl. hierzu auch die Quellenangabe in Anm. 39). Dabei zeichnet sich die nördliche und östliche Sierra de Puebla dadurch aus, dass viele Indigene auf Seiten der Liberalen kämpfen, ja sogar ein eigenes Bataillon unter der Leitung des Nahua Generals Juan Francisco Lucas, dessen Vater aus einem Dorf nahe Zacapoaxtla kommt, gegründet wird (Mallon 1995: 27, 30, 44 et al.). Der oben genannte Francisco Agustín Dieguillo, bekannt als „Pala“ Agustín, aus San Andrés Tzicuilan stammend, befehligt ein, aus Indigenen zusammengesetztes Freiwilligenheer von einhundert Männern aus Cuetzalan, unter dem Oberkommando von General Méndez bzw. dessen Verbündeten Juan Francisco Lucas (Thomson 1991: 205). Auf Lucas und seine Heldentaten wird auch in den von Argueta (1994: 103ff.) gesammelten Erzählungen im Kapitel 3 Bezug genommen, auf die Bedeutung von Francisco Agustín vor allem in den Berichten des Kapitel 4 (125ff.) eingegangen.

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Jahre, viele Männer gezwungen werden müssen, höhere religiöse (d.h. sehr kostspielige) Ämter (siehe unten) einzunehmen, im allgemeinen aber besteht großes Interesse an der Nominierung für eine solche Position und ihrer Übernahme und es gibt gerade für die höheren (religiösen) Ämter mehr Interessent_inn_en als Posten. Denn die Beteiligung an diesem System in den barrios ermöglicht es einem Mann (und letztendlich der gesamten Familie) in der sozialen Hierarchie aufzusteigen, seine soziale Position in der Gemeinde, und damit seine personhood, also nicht nur zu erhalten, sondern zu festigen und auszubauen, entsprechend dem von Pedro Carrasco (1961) beschriebenen „Leitersystem“ (ibid.: 483).122 Ein Einwohner der Gemeinde San Miguel Tzinacapan vergleicht das mit dem Rangsystem beim Militär: „Pos te digo que antes sí era bonito y peor como te digo que comenzaba su servicio desde el topile, mayor, y bien, así sucesivamente, hasta llegar a lo último: organizar danzas, y ya terminando eso ya pasa ser autoridad, sí, pero todo iba por grado como el militar, de soldado raso, cabo y hasta llegar a general, sí.“ (Einwohner von San Miguel Tzinacapan, zit. nach Argueta 1994: 207)

Alle Männer einer Gemeinde müssen bereits in jungen Jahren in das System eintreten – zunächst als topiles (vgl. ibid.: 203-4), d.h. in niedrigen Positionen – und sie können sich im Lauf des Lebens „hinaufarbeiten“. Theoretisch ist es allen möglich, die Spitze der Hierarchie zu erklimmen und schließlich pasado zu werden, praktisch sind es zumindest in den größeren Gemeinden nur jene, die über ausreichende Ressourcen (d.h. Zeit, materielle Güter/Geld und soziale Netzwerke) verfügen, um die mit den höheren Ämtern verbundenen, oft beträchtlichen Unkosten zu tragen (Carrasco 1961: 483-4). Die Unterstützung durch die Familie, vor allem durch die (Ehe-)Frauen (die die mit den Ämtern einhergehenden Gastmähler und ähnliches organisieren) ist für den Erfolg entscheidend, weshalb Männer möglichst verheiratet und Vorsteher eines eigenen Haushalts sein sollten, damit sie in die oberen Amtskategorien eintreten können.123 Mallon (1995: 71) spricht von zwei Ebenen der Ämter, einer oberen, von ihr als cargos principales bezeichnet, und einer unteren, den cargos comunes.124 Die genannten politischen Ämter beider Ebenen alternieren in dieser Hierarchie mit religiösen.125 122 Zu den Merkmalen des Ämtersystems auf Grundlage einer anthropologischen Analyse, als Verbindung von individualistischen und kollektiven Tendenzen, vgl. González de la Fuente (2011). Ein guter Überblick zu den Debatten um das Ämtersystem und seiner Bedeutung in Mesoamerika, als einem der „temas centrales de la antropología mesoamericanista“ (Báez-Jorge 1998: 33) – findet sich u.a. in Báez-Jorge (ibid.: 33ff.), eine Kurzfassung in Roberts/Chick (2007: 317-8). 123 Vgl. dazu u.a. Matthews (1985), aber auch Good Eshelman (1988: 77ff.); Stephen (2005). 124 Sie verweist darauf, dass es über die Kontrolle des Nominierungsprozesses der Kandidaten für die Ämter, auch zu einer Verstärkung ethnischer Hierarchien kommen kann, in Cuetzalan etwa dergestalt, dass in den oberen Ämtern Nahua und Einwohner_innen der wohlhabenderen cabecera dominieren, in den unteren hingegen auch viele Totonaca und Angehörige ärmerer sujetos zu finden sind (ibid.). 125 Vgl. dazu für die sujetos von Cuetzalan, die Schilderungen in Argueta (1994: 202-4), aber auch Mallon (1995: 66).

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Das so gebildete Phänomen von verschränkten politischen und religiösen cargos besteht in Mexiko seit dem 18., 19. Jahrhundert; es entwickelt sich im Anschluss an die Beschränkungen und schließlich des Verbots der cofradías, der religiösen Bruderschaften, die den Großteil der Kolonialzeit hindurch den Kult der Heiligen organisieren (Lindig/Münzel 1978: 292; Cline 2000: 199, 201; Stephen 2005: 231). Dieser Kult für die zahlreichen Heiligen – mayordomías –, der mit einer Reihe von Festen und Gastmählern verbunden ist, erfolgt in vielen indigenen Gemeinden nach der Auflösung der cofradías im Rahmen des Ämtersystems (vgl. u.a. Stephen 2005: 232). Die dafür aufzuwendenden, oft beträchtlichen Mittel 126 können aus kommunalem Besitz stammen, von allen Mitgliedern der Gemeinde gemeinsam getragen werden, oder aus der Sponsor_inn_enschaft einer Familie/eines Haushalts aufgebracht werden (Carrasco 1961: 484).127 Für die Gemeinden um Cuetzalan trifft das letztgenannte zu (Feldnotizen 24.9.2007; 14.9.-4.10.2013). Das erfordert die Schaffung und Nutzung ausgedehnter sozialer Netzwerke von Männern wie von Frauen, d.h. trotzdem offiziell (scheinbar) in erster Linie Männer am Ämtersystem partizipieren, spielen die Frauen hier eine wichtige Rolle und haben darüber auch Möglichkeiten des Einflusses (siehe Kapitel IV.4.3; sowie Matthews 1985; Good Eshelman 1988: 77ff.; Stephen 2005). Abgesehen davon, ist es in der Praxis auch Frauen möglich, das Amt einer mayordoma, aber auch andere Ämter einzunehmen. 128 Anders als im Falle der 126 Die mayordomía für den zweitwichtigsten Heiligen San Miguels kostet an die 20.000 Pesos (etwas über 1.100 Euro), allerdings würden sie das nicht in Geld berechnen, erklärt mir ein ehemaliger mayordomo (Feldnotizen 3.10.2013). Stephen (2005: 242) berichtet für die Gemeinde Teotitlán del Valle in Oaxaca, von Kosten an die 60.000 Pesos in den Jahren 1988 und 1989, also vor der großen Währungsreform von 1993, für eine durchschnittlich bedeutsame mayordomía. Méndez (2009: 346-7) schildert, dass die_der mayordom@ des Heiligen Franz in Cuetzalan zwölf Gehilf_inn_en (diputad@s) ernennt, die sie_ihn bei der Organisation des Festes unterstützen. Es sei oft schwierig diese aufzutreiben, da jede_r von ihnen eine Spende von 200 Pesos beitragen müsse. Die_der mayodom@ selbst zahle aus eigener Tasche zwölftausend Pesos für Weihrauch, Essen, Schnaps und Zigaretten während des zehntägigen Festes. Dazu kämen noch die Kosten während des Jahres für die Versorgung des Heiligen mit Blumen und sauberer Kleidung. Die genannten Beträge stammen aus dem Jahr 1995. 127 Schnegg (2005: 120ff.) schildert für die Gemeinde Santa María Belén Atzitzimititlan im Bezirk Tlaxcala ein Mischsystem: Es gibt für die Organisation der jeweiligen Festivitäten für die Heiligen nicht ein bis drei zuständige mayordom@s, sondern zwischen zehn und dreihundert, wobei deren Beiträge intern je nach Bedeutung und Verantwortung variieren. Einhergehend mit einer starken Erhöhung des Aufwands und der Kosten im Verlauf der letzten Jahrzehnte stellt er eine größere Zahl von mayordom@s für einzelne Heilige fest. 128 In San Miguel Tzinacapan in den 1970er Jahren können Frauen, abgesehen vom Amt der mayordoma, allerdings nur das der diputad@s – d.h. von Personen, die die mayordom@s in ihrer Arbeit unterstützen, einnehmen (vgl. Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Im Gefolge der Aktivitäten der Frauenorganisation Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij beginnt sich das ab den 1980er Jahren zu verändern und Frauen dringen auch in stärker politische Bereiche, vor allem im Rahmen der zahlreichen Komitees, vor. Dazu und zu den nach wie vor bestehenden Begrenzungen, siehe unten.

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Männer, ist es für weibliche Personen, die ein Amt übernehmen wollen, günstiger unverheiratet zu sein (aber über einen eigenen Haushalt zu verfügen), also verwitwet zu sein, vom Mann getrennt zu leben oder einen nicht zum Haushalt gehörenden Liebhaber zu haben.129 IV.3.2.2 Die Herausbildung neuer und Verschiebung bestehender Bruchlinien und Konfliktpotentiale im Kontext neuer Anforderungen Vor allem im Anschluss an die mexikanische Revolution kommt es, im Zuge der Angleichung der Verwaltung der Munizipios und Gemeinden an das nationale System, vielerorts wieder zu einer Trennung der politischen und religiösen Systeme. So schreibt die Verfassung von 1917 die Wahl in ein politisches Amt durch die Dorfversammlung vor, wobei an dieser meist nur die (männlichen) Haushaltsvorstände teilnehmen. Abgesehen von der Entmachtung der traditionell für die Nominierung und Ernennung zuständigen pasados und somit einer Abwertung des gerontokratischen und damit verbundenen rituell-religiösen Systems, sehen Autor_inn_en wie Lynn Stephen (2005: 234) hier eine massive Schlechterstellung der Möglichkeiten für Frauen, sich an der kommunalen Politik zu beteiligen. Individuelle Fähigkeiten, wie das Sprechen der spanischen Sprache und Erfahrungen mit der Staatsbürokratie, gewinnen an Bedeutung. Gerade diese Kompetenzen fehlen vielen Frauen aber, zumindest bis in die 1990er Jahre. Darüber hinaus sind Frauen bis Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem Wahlrecht ausgeschlossen (Lomnitz 1993: 360; Deere/León 2002: 65; Stephen 2005: 248). Spannungen zwischen pasados, deren Autorität und soziale Macht aus der erfolgreichen Teilnahme am Ämtersystem resultiert, und Männern, denen es aufgrund anderer Fähigkeiten gelingt, Machtpositionen zu erlangen, zeigen sich schon früher, insbesondere während der langen Phasen kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen (die Zeit der Kämpfe gegen die französische Intervention, aber auch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen liberalen Strömungen einschließend), grob gesprochen, zwischen 1855 und 1872.130 Denn es nehmen auch Indigene aus Cuetzalan auf Seiten der Liberalen am Krieg teil (siehe dazu auch Fußnote in Kapitel IV.3.2.1). Insbesondere Bildung, Sprachkompetenz und Kontakte zur Handhabung politischer oder ökonomischer Interaktionen außerhalb der Gemeinde, gewinnen zusätzlich zu, aus der Teilnahme an den Kämpfen gewonnenem Prestige und Reichtum, an Bedeutung (Mallon 1995: 71, 74, 75, 84). Mallon (ibid.: 75) spricht in diesem Zusammenhang, in Anlehnung an Judith Stacey (1983), von 129 Das hat auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts Gültigkeit. Rodríguez Blanco (2011a: 97) stellt fest, dass die Mehrheit der Frauen, die im Munizipio Cuetzalan ein Amt einnehmen, unverheiratet ist. Für die Nahua der Gemeinde Ameyaltepec am Río Balsas, Guerrero, vgl. hierzu Good Eshelman (1988: 80-7); zu Oaxaca, vgl. Vázquez-García (2012); zur verstärkten Übernahme von ehemals männlich definierten Ämtern, auch durch verheiratete Frauen, aufgrund der Migration der Männer in der Nahua-Gemeinde San Miguel Acuexcomac in Puebla, vgl. Dáubeterre Buznego (2005). 130 Vgl. dazu Mallon (1995), aber auch Ruhl/Ibarra García (2000: 130-156), die aufgrund anderer Schwerpunktsetzungen in der Darstellung einen leicht unterschiedlichen Zeitraum angeben, nämlich 1854-1875; sowie MacLeod (2000: 25-7).

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einem „demokratischen Patriarchat“. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass es zwar möglicherweise Spannungen zwischen pasados und jüngeren Männern gibt, diese aber letztendlich durch eine weitgehend übereinstimmende Vorstellung von Solidarität und Gemeinsamkeit in der Gemeinde, wie auch der Teilung von patriarchaler Macht – der „patriarchalen Dividende“ nach Connell (1995: 79) – geeint sind. Patriarchale Macht ist dabei mit bestimmten Pflichten verbunden, deren Einhaltung im privaten Raum seitens der Gemeinde kontrolliert und eingefordert wird (Mallon 1995: 75-86). IV.3.2.3 Die Verschärfung der Differenz zwischen cabecera und barrios sujetos und damit einhergehender Konflikte, sowie der Geschlechterdifferenz im Zuge und als Folge der mexikanischen Revolution Die Revolution – in den Erzählungen, die von der Taller de Tradicion Oral in San Miguel Tzinacapan zwischen 1982 und 1984 gesammelt wurden (Argueta 1994: 32), als durch die Auseinandersetzung zwischen koyomej auf Seiten der „Villistas“131 und maseualmej auf Seiten der „Carrancistas“ 132 charakterisiert, als Auseinandersetzung zwischen der kreolisch-mestizisch dominierten Distrikthauptstadt Cuetzalan und den indigenen Dorfgemeinden (ibid.: 399ff.)133 – verstärkt dieses System womöglich und 131 D.h. den Anhänger_inne_n von Pancho Villa. Die Bedeutung der villistas in der Sierra ist insofern interessant, als deren Einfluss in der Regel eher mit dem Norden Mexikos in Verbindung gebracht wird, der Süden und große Teile Zentralmexikos als Einflussregion von Emiliano Zapata gelten (vgl. z.B. Ruhl/Ibarra García 2000: 172). Andererseits gilt Villa als typischer caudillo der Einwohner_innen der Sierra (serranos), allerdings der Sierra von Chihuahua (Knight 1986: 125). 132 Der „Patriarch der Sierra“, auch „Tata Juan Francisco“ genannt, gilt ebenfalls als Anhänger der Carrancistas, also jener Personen, die zugunsten von Präsident Venustiano Carranza (1914-1920) kämpfen (Brewster 1996: 113). Letzterer ist für die Ermordung Emiliano Zapatas im Jahr 1919 verantwortlich. Die Auseinandersetzungen zwischen Villa und Carranza entzünden sich, Ruhl und Ibarra García (2000: 174) zufolge, daran, dass sich ersterer weigert „die riesigen Ländereien, die er sich angeeignet hatte, zurückzugeben“. Carranza gerät aber auch mit Zapata in Konflikt, der nicht bereit ist seine Landverteilung an Dörfer und Kleinbauern_bäuerinnen auf Kosten von Haciendas und Großgrundbesitzer_inne_n zu beenden. Villas und Zapata gehen 1914 ein Bündnis ein. Sie lehnen Carranzas als Regierungschef ab und wählen ihren eigenen Präsidenten, nämlich Eulalio Gutiérrez (ibid.). 133 Andererseits weist Brewster (2008: 540), Bezug nehmend auf Arizpe (1973: 60), zu Recht darauf hin, dass es viele Indigene gibt, die die Revolution als eine Angelegenheit der Mestiz_inn_en betrachten, mit der sie nichts zu tun haben, ebenso wie es auch Angehörige der nicht indigenen Eliten gibt, die versuchen, sich aus den revolutionären Wirren weitest möglich herauszuhalten. In Cuetzalan allerdings engagiert sich José María Flores, der einer der ersten mestizischen Kaffeeanbaufamilien des Distrikts entstammt, zusammen mit Angehörigen der, ebenfalls der Kaffeeelite angehörenden Familien Huidrobo und Calderón, zunächst gegen die Revolution. Unterstützt wird die Revolution hingegen von den Söhnen Salvador, Victor, Gustavo, Medardo und Rogelio des gleichfalls mestizischen, aber nicht der Kaffeeelite zugehörigen Miguel Vega Bernal, allerdings auf Seiten

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erweitert die patriarchale Macht bzw. beschränkt die, ohnehin begrenzte weibliche Partizipation an der Gemeindepolitik, noch weiter. Frauen haben im „traditionellen“ (verschränkten) System vor allem über ihre bedeutende Rolle im Rahmen der religiösen Amtsausübungen Möglichkeiten des Einflusses (vgl. Fußnote in Kapitel IV.3.2.1). Das religiöse System aber, als potentielle Quelle politischer Macht abseits staatlicher Kontrolle, ist den neuen (post-) revolutionären Machthabern – und dabei handelt es sich primär um Männer134 – ein besonderer Dorn im Auge (Stephen 2005: 243-4). Plutarco Elías Calles (1877-1945), 1924-1928 mexikanischer Präsident, verpflichtet 1926 die Gemeinden dazu, säkulare juntas vecinales (Nachbarschaftskomitees) einzusetzen, dazu gedacht, die rituell-religiösen Aktivitäten zu kontrollieren und regulieren (ibid: 244). Viele der ehemals von mayordom@s ausgeübten Aufgaben sollten von neu geschaffenen Komitees übernommen werden. 135 Auch andere, teilweise neu entstandene, (zivile) Aufgabenbereiche, wie Schulverwaltung und Gesundheitswesen, werden im Rahmen von lokalen Komitees abgedeckt (ibid.: 235-6). Wenn Frauen an diesen Aktivitäten beteiligt sind, dann nur auf den untersten Ebenen im Rahmen von niedrigen Hilfsdiensten (Rodríguez Blanco 2011a: 95; vgl. VázquezGarcía 2012: 325 für das gegenwärtige Oaxaca). Aber nicht nur die patriarchale Macht, vor allem der jüngeren Männer in den Gemeinden, wird verstärkt, auch die Hierarchie zwischen cabecera und sujetos, zwischen der mestizisch dominierten Munizipalmacht und den mehrheitlich von Indigenen bewohnten Gemeinden gewinnt weiter an Bedeutung.136 So werden Ämter, wie die der topiles, (zumindest vorübergehend) abgeschafft bzw. der staatlich/mestizisch kontrollierten policia municipal übertragen.137

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der Villistas. Absurderweise werden Barrios’ „indigene“ Truppen gerufen, die Ordnung im Sinne einer Unterstützung von Flores und seinen Verbündeten wieder herzustellen; Flores gilt plötzlich als Carrancista, eine Zuschreibung, die er in seinem Interesse zu nutzen weiß (Brewster 2008: 540-1). Von daher ist es nur folgerichtig, wenn Rhodes (1999: 19) festhält, „that in the aftermath of the Revolution, large land-owners in the Sierra began to regain power“. Vgl. beispielsweise die umfassenden Ausführungen von Knight (1986) zur mexikanischen Revolution, Ausführungen, deren Bedeutung von Tobler (2004: 67, Fußnote 2) und anderen hervorgehoben werden. In manchen Gemeinden dauert es bis in die 1970er Jahre und länger, bis diese Vorhaben umgesetzt werden können. Das Ämtersystem findet sich allerdings sowohl in indigenen, als auch in mestizischen Gemeinden. Im Grunde dreht sich der Konflikt um die Frage einer Orientierung an europäischen politischen Systemen und Werten (der Aufklärung), oder an solchen, die stärker auf die mesoamerikanischen Entwicklungen Rücksicht nehmen. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Bonfil Batalla (2002). Für das bereits mehrmals erwähnte Teotitlán del Valle, wo diese Übertragung der Polizeigewalt an Organe der Munizipalregierung erst in den späten 1990ern erfolgt, siehe Stephen (2005: 236). Die Comisión Takachiualis (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade o.d.) berichtet allerdings, dass die Ämter der topiles zwar in Krisenzeiten des Ämtersystems verschwinden, ebenso wie die der mayores, befasst mit der Betreuung des Gerichts, und tenientes, die sich um die Tänze kümmern, danach aber immer wieder neu auftauchen und nach wie vor bestehen. 2013 besteht zumindest für San Mi-

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„Ahora existe presidente, existe regidor, pero no hay comisionados, no hay topiles. Antes había topiles, fiscales en la iglesia, topiles en la iglesia. Había regidores y cada regidor sabía quiénes eran sus mayors; elegían mayors y policies, topiles de la iglesia y del juzgado. Por lo que sé, en Cuetzalan también había comisionados, pero les pagaban y de ahí de Cuetzalan tomaron la idea de que ya no hubiera topiles.“ (Aussage eines Einwohners San Miguels Tzinacapans, zit. in Argueta 1994: 202)

Die gerontokratische Macht der pasados wird durch ein neues System der Bindung lokaler Eliten an die nationale Partei, die Partei der Institutionalisierten Revolution (Partido Revolucionario Institucional, PRI) und ihre Vorgängerinnen ersetzt. Damit die spätere PRI, die 1929 von Calles gegründete Partido Nacional Revolutionario (PNR), ihre sozialen und ökonomischen Vorhaben umsetzen, Macht erlangen, erhalten und womöglich ausweiten kann, muss sie Bündnisse mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen – angefangen von den Gewerkschaften, bis zu in ländlichen Regionen verankerten caudillos und ihren Gefolgsleuten – eingehen (Braig 2004: 273; Franke 2004: 176). Besonders evident ist das in Puebla in den Jahren unmittelbar nach der Revolution, als die politische Stabilität besonders labil, die politische Führung ständig in Frage gestellt ist und in acht Jahren über fünfzehnmal den Inhaber wechselt. Erst in den späten 1930er Jahren, mit der Machtübernahme durch die Familie Àvila Camacho kommt hier eine gewisse (auf autoritären Strukturen beruhende) Stabilität zustande.138 Von daher haben lokale Machthaber wie Gabriel Barrios in der Sierra Norte de Puebla besondere Relevanz (Brewster 1996: 206; vgl. auch Martínez Borrego 1991: 68). Das cacicazgo von Gabriel Barrios und seiner Brüder Brewster (1996: 206) spricht von einem cacicazgo der Barrios Brüder Gabriel, Bardomiano und Demetrio zwischen 1917 und 1930139 – der Begriff Kazike hat nun die Bedeutung eines politischen Führers oder lokalen Tyrannen (Gibson 1960: 196). Dieses entsteht im Anschluss an General Juan Francisco Lucas Tod 1917, als Gabriel dessen Position übernimmt, anfangs ebenfalls im Dienste der Carrancistas, nach dem guel Tzinacapan ein gewisser Konsens, dass es keine topiles (mehr) gibt (Feldnotizen 20.9.2013). 138 Die Bedeutung der Àvila Camachos wird auch in einer Internet-Veröffentlichung des Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla (2009; siehe den Abschnitt „Personajes ilustres“ des Kapitels „Historia“) hervorgehoben. Martínez Borrego (1991: 68, 114-5) betont, dass es die Brüder Àvila Camacho sind, die die Kazik_inn_en stützen, die die Nachfolge des cacicazgo der Barrios Brüder (siehe unten) antreten. 139 Wobei Bardomiano allerdings 1923 getötet wird (ibid.: Fußnote 4). – Die drei stammen, laut Brewster (ibid.: 112), aus dem Dorf Cuacuila und sind vor allem in ihren Kinderjahren stark von den Werten ihrer Nahua-Mutter beeinflusst. Die Familie ist einigermaßen wohlhabend; aus den Aktivitäten der Pferdezucht ergeben sich stärkere Kontakte mit mestizischen Händler_inne_n in Tetela de Ocampo und Zacatlán. Gabriel gelingt es lokale Bedeutung in militärische Führung zu transformieren und umgekehrt aus seiner militärischen Befähigung regionale Bedeutsamkeit zu rekurrieren. – Zur Bedeutung von Barrios, vgl. auch Brewster (2003).

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Tod Carranzas, in dem der Soronaner_innen, eng verbunden mit dem künftigen Präsidenten Álvaro Obregón Salido. Gabriel Barrios Truppen setzen sich zunächst größtenteils aus Indigenen aus Cuacuila zusammen. Selbst, zumindest teilweise, indigener Abstammung und in der Region verwurzelt, genießt er in besonderem Maße den Respekt und das Vertrauen seiner Gefolgsleute (Brewster 1996: 113-5). Er ernennt jefes de armas in den einzelnen Gemeinden, wobei er hier auf Männer zurückgreift (die er damit auch gleichzeitig kontrolliert), die bereits über große lokale Autorität verfügen. Diese sind für die Erhaltung des Friedens in den Gemeinden und ihrer Umgebung verantwortlich und sollten Barrios Zwischenfälle über ein, auf seine Anregung etabliertes, Telefonnetzwerk melden (ibid.: 116-7). Barrios gelingt es dabei sehr gut, Zwistigkeiten zwischen Fraktionen zu seinem Vorteil zu nutzen (ibid.: 118). Im Distrikt von Zacapoaxtla allerdings, kommt er mit den dort ansässigen kreolischen Eliten, insbesondere den Familien Alcántara, Macip und Molina, in Konflikt, die die politische und ökonomische Kontrolle seit dem 16. Jahrhundert innehaben und im 19. Jahrhundert ihre Bande nach Cuetzalen ausweiten (ibid.: 120). Der Abgeordnete Claudia Tirado, Vertreter einer Fraktion der Macip Brüder Wenceslao und Ignacio und ihres Alliierten Rufino A. Landero, nutzt 1925 seine Exekutivmacht, um den ayuntamiento Cuetzalans abzusetzen, der von Barrios und dem lokalen „Kaziken“ José María Flores, der allerdings ebenfalls der nicht indigenen Elite angehört, unterstützt wird.140 Stattdessen kommen Vertraute der Macip Brüder an die Macht (ibid.: 121), Victor Vega Bernal wird Munizipalpräsident, Arnulfo Ortega, ein Neffe der Macips, lokaler Richter (Brewster 2008: 544). In der folgenden Auseinandersetzung und der schließlichen Absetzung Tirados auf Betreiben von Barrios, zeigt sich die starke Verankerung Barrios in den überregionalen Machtstrukturen, deren Vertreter sich seiner Bedeutung für die Erhaltung des lokalen Friedens und der Unterstützung durch die indigenen Gemeinden bewusst sind (Brewster 1996: 121-2). Dennoch besteht ein ständiges Misstrauen seitens der (national- und bundes-)staatlichen Autoritäten, gegenüber dem unkonventionellen caudillo und er kommt zunehmend in Verruf und Bedrängnis (ibid.: 122-4). Sein Freiwilligenheer wird schließlich durch föderale Truppen ersetzt, Barrios Einfluss in der Sierra Norte verliert an Bedeutung, das cacicazgo löst sich auf (ibid.: 124-5).

140 Im Grunde handelt es sich also um einen Konflikt innerhalb der mestizisch/kreolischen Eliten, dessen Ausgang nichts am Verhältnis zur indigenen Bevölkerung bzw. zu den untergeordneten Gemeinden ändert. Vgl. auch die bereits weiter oben, in einer Fußnote angeführten, Ausführungen Brewsters (2008: 540-2), zur Haltung der zentralen „Kaffeefamilien“ Cuetzalans Flores, Huidrobo und Calderón zur Revolution. Ignacio Macip, als entfernter Verwandter von Salvador Vega Bernal, kommt zu dessen Unterstützung. Andere Mitglieder der Macip-Familie hingegen sehen es als vorteilhafter an, sich der carrancistischen Seite zuzuwenden. – Einer der Erzähler in Argueta (1994: 210), berichtet von einem Gutsbesitzer namens Pomposo Macip, „que siempre en tiempos anteriores era el jefe político. Y cuando la repartición de terrenos, le decíamos repartición de terrenos en época de don Benito Juárez, se repartieron los terrenos y como el jefe político que era de Zacapoaxtla y nosotros pertenecemos allá, las autoritades quisieron apartarle un pedazo de tierra al jefe político, entonces le apartaron el Atepoliui“.

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IV.3.3 Entwicklungen und resultierende Spannungen im Anschluss an die Revolution Damit ist auch nach der Revolution die Macht der weißen Eliten wieder hergestellt und – über ihre Verschränkung mit der PNR – gefestigt (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; Brewster 2008: 549). Zwar verfügen die barrios sujetos, wie San Miguel Tzinacapan oder Santiago Yanhuitlalpan, nach wie vor über eine gewisse Autonomie,141 diese aber, ebenso wie der Handlungsspielraum ihrer politischen Autoritäten, ist begrenzt (Sierra 2002: 8); die letzte Entscheidung über die Einsetzung eines Kandidaten_einer Kandidatin in eines der höheren Ämter treffen die Autoritäten in Cuetzalan. Ein Dokument der, in Tzinacapan ansässigen Comisión Takachiualis (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000), verweist daher auf die Macht eines der PRI angehörenden „Kaziken“ Cuetzalans, eines Zuckerrohrproduzenten, der Anfang der 1970er Jahre praktisch seit 20 Jahren die zivilen Ämter von San Miguel kontrolliert. IV.3.3.1 Differente Auffassungen und Praktiken betreffend Übernahme und Ausübung eines politischen Amts Ist für die nicht indigenen Eliten Cuetzalans die Zugehörigkeit zu einer Partei, insbesondere zur PNR, später PRI (und die Verankerung in den Netzwerken der lokalen, bundesstaatlichen und föderalen Macht) entscheidend für den gesellschaftlichen Aufstieg, so spielt für die indigenen Bevölkerungen in den Gemeinden nach wie vor die Übernahme bestimmter politischer wie auch religiöser Ämter (und damit der Einfluss der pasados), eine entscheidende Rolle zur Erlangung sozialen Prestiges, als Ausdruck von gestärkter personhood. Zwar ist, wie erwähnt, die zivile Hierarchie nun Teil des staatlichen Systems und darüber hinaus ist die Teilnehmer_innenzahl der religiösen Hierarchie stark reduziert (Martínez Borrego 1991: 102). Einige der Aufgaben, die mit der Organisation der sozio-religiösen Aktivitäten verbunden sind, wie die direkte Teilnahme an der Ernennung, Auswahl und Verteilung der Ämter des mayordomía-Systems und der Finanzen, der Organisation der jährlichen zivilen und religiösen Feste, der gemeinschaftlichen öffentlichen Arbeiten (faenas), etc., werden nun von zivil-staatlichen Amtsträger_inne_n übernommen. Die formelle politische Struktur ist, gesamt gesehen, nach wie vor stark von der religiösen Organisation beeinflusst (ibid.: 103). Damit sind Konflikte bezüglich der Besetzung der alcaldes der barrios bzw. presidentes auxiliares municipales (als Vorsitzende der acht bestehenden juntas auxiliares),142 die alle drei Jahre von den Einwohner_inne_n der entsprechenden Gemeinde, in einer von der PNR bzw. PRI organisierten Versammlung gewählt werden, und anderer Funktionen vorprogrammiert. Mehrmals kommt es vor, dass ein von der Gemeinde gewählter Kandidat, seitens der übergeordneten (von der PRI, in den letzten Jahren zunehmend auch der Partido Acción Nacional [PAN], und den „Kaffeeeliten“ 141 Für Santiago Yanhuitlalpan, vgl. Lupo (1995: 38). Zur Entwicklung in San Miguel Tzinacapan, vgl. auch die Studie „La Autoridad como Solidaridad“ (Comisión Takachiualis/ Centro de Investigación de Prade 2000). 142 Reyesogpan de Hidalgo, San Andrés Tzicuilan, San Miguel Tzinacapan, Xiloxochico de Rafael Avila Camacho, Xocoyolo, Santiago Yancuitlalpan, Yohualichan und Zacatipan.

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dominierten) Strukturen in Cuetzalan, nicht anerkannt wird bzw. ein inkompetenter, aber von Cuetzalan favorisierter, Amtsträger eingesetzt wird.143 Eine wichtige Forderung der indigenen Gemeinden ist daher die Anerkennung der von ihnen gewählten bzw. ernannten Autoritäten seitens des Munizipios und des Staates (vgl. dazu Rhodes 1999: 23), wie auch die Möglichkeit der Absetzung unfähiger Amtsinhaber_innen.144 Vor allem aber die Einrichtung einer staatlich anerkannten indigenen Gerichtsbarkeit auf Munizipalebene – eines juzgado indígena – ist ein seit Jahrzehnten heftig umstrittenes Thema (vgl. dazu Sierra 2002; Maldonado/Terven 2008). Seit Ende der 1980er Jahre setzen sich Organisationen wie die Comisión Takachiualis (URL 34; URL 35), Maseualsiamej Mosenyolchikauanij und das Centro de Asesoría y Desarrollo entre Mujeres (CADEM) für die Anerkennung der indigenen Justiz auf Munizipalebene ein, die bislang auf die Ebene der juntas auxiliares und die Gemeinde begrenzt (Maldonado/Terven 2008: 30) und in ihrer Legitimität stark eingeschränkt ist: lokale Gerichtsentscheidungen der Gemeinden können jederzeit durch die Autoritäten in Cuetzalan in Frage gestellt und annulliert werden (Sierra 2002: 8).

143 Zur aktuellen Regierungsstruktur wie auch den Amtsinhabern des Postens des presidente municipal bis 2011 (die letzte berücksichtigte Wahl ist die von 2008), vgl. die Angaben des Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla (2009), aber auch Maldonado/Terven (2008: 74). Zur Organisation der Versammlung durch die PRI in San Miguel Tzinacapan, vgl. Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade (o.d.). In diesem Dokument wird auch von einer Wahl im Jahr 1972 berichtet, bei der ein Kandidat, der von einem der PRI angehörenden „Kaziken“ in Cuetzalan favorisiert wird, keine Stimmenmehrheit erhält, dennoch aber, mit Unterstützung durch die PRI, ins Amt eingesetzt wird. Die Gemeinde allerdings reagiert mit einer Verweigerung der faena, der verpflichtenden Gemeinschaftsarbeit, und macht den presidente auxiliar somit praktisch handlungsunfähig (vgl. auch Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Sierra (2002: 9) berichtet von einem ähnlichen Vorfall im Jahr 1999: ein unfähiger, aber durch einen Kaziken aus Cuetzalan gestützter, presidente auxiliar sollte aus seinem Amt entfernt werden, was aber von Seiten der übergeordneten Autoritäten in Cuetzalan abgelehnt wird. Auch in diesem Fall verweigern die Einwohner_innen Tzinacapans ihre Mitarbeit in den politischen Gemeindestrukturen. Auch nach der Wahl im Mai 2011 gibt es Probleme (cf. e.g. Hernández Alcántara 2011; Espinosa Sainos 2011a; ders. 2011b). 144 Sierra (2002: 5, Fußnote 10) beschreibt die politische Struktur Mexikos folgendermaßen: Mexiko ist eine föderale Republik, bestehend aus 31 Staaten und einem Föderaldistrikt. Die Föderalstruktur beinhaltet drei Regierungsebenen, jede mit ihrer eigenen Autonomie: die föderale, die staatliche und die Munizipalebene. Die nationale Verfassung definiert die Grundrechte und -gesetze und den allgemeinen Rahmen, an den sich die Staatsverfassungen anpassen müssen. Das Munizipio ist die kleinste politische Einheit, die vom Staat anerkannt wird. Sierra (ibid.) verweist auf die Forderungen indigener Bewegungen, die sie in die „regionalistische“ und die „kommunalistische“ Sichtweise differenziert. Die eine ist für die Einführung einer vierten, autonomen und pluriethnischen Regierungsebene, die andere für die Anerkennung der indigenen Gemeinden als formaler Regierungsebene.

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IV.3.3.2 Die Re-Etablierung der staatlichen Anerkennung wichtiger (an die aktuellen Bedingungen adaptierter) Elemente des politisch-religiösen Systems indigener Gemeinden Im Mai 2002 schließlich sind die Bemühungen erfolgreich und das Munizipio Cuetzalan setzt als erstes in Puebla einen juzgado indígena auf Munizipalebene ein (Maldonado/Terven 2008: 29; Feldnotizen 12.11.2011). Damit einher geht die ReOrganisation des ehemaligen Rates der pasados (von der Comisión Takachiualis auch als junta de ancianos bzw. consejo de ancianos bezeichnet) (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade o.d.), allerdings an die aktuellen Bedingungen adaptiert. Die Aufgabe des neuen Rates ist die Kontrolle und Überwachung der Aktivitäten der politischen und religiösen Autoritäten (Maldonado/Terven 2008: 32). Dem Consejo del Juzgado Indígena gehören, anders als der junta de ancianos im „traditionellen“ System, auch Frauen an (ibid.: 15, 31), was besonders dem Engagement der Frauenorganisation Maseualsiuamej zu verdanken ist (ibid.: 32). Der ehemalige stellvertretende Friedensrichter Hermilo Diego Mendoza aus Ajotzinapan, einer zu San Miguel Tzinacapan gehörenden Gemeinde, äußert sich zu seiner Zusammensetzung folgendermaßen: „El perfil [de los consejeros] es que sean muy servidores de la comunidad, que tengan servicios comunitarios, como por ejemplo las mujeres que son mayordomas, son diputados, tienen cargos en su comunidad; por eso pueden estar como consejeras.“ (zit. nach ibid.: 32)

D.h. auch die religiösen Ämter und damit einhergehend, die Rolle von Frauen, gewinnen in der Politik (wieder) an Bedeutung. Maldonado und Terven, die sich in ihrer Studie insbesondere mit den Gemeinden San Miguel Tzinacapan und Xiloxochico befassen, stellen folglich fest, dass „los sistemas de cargos incluyen tanto los civiles como los religiosos, sin que exista distinción entre ambos, además de que, según explicaron, todas las autoridades trabajan en coordinación“ (ibid.: 73; vgl. auch Rodríguez Blanco 2011a: 89). Die Mehrzahl der Ämter gilt weiterhin als servicio, d.h. es gibt keine Bezahlung. Da sie rotieren, haben viele der Autoritäten bereits mehrere unterschiedliche Ämter eingenommen (Maldonado/Terven 2008: 74). IV.3.3.3 Merkmale des gegenwärtigen Systems der Verschränkung nationalstaatlicher Munizipio- und lokal-indigener Strukturen Das aktuelle System lässt sich also in ein durch staatliche politische Strukturen geprägtes System im Munizipio und politisch-religiös ausgerichteten in den indigenen Gemeinden charakterisieren.145 Zwar gibt es auch in der cabecera religiöse Ämter, aber diese sind von den politischen weit stärker getrennt, als das in den indigenen sujetos der Fall ist. Auffallend ist die ethnische (und auch geschlechtliche) Differenzierung: Insbesondere die höheren politischen Ämter werden von männlichen Mestiz_inn_en eingenommen, die „traditionelleren“ und weniger prestigeträchtigen, wie auch die religiösen, von männlichen Mestiz_inn_en und Indigenen (Rodríguez Blanco 2011a: 91; vgl. auch Méndez 2009: 345). Frauen spielen eine auffallend geringe 145 Zur Gemeinde Zacatipan, siehe Arizpe (1973: 118ff.), zu Santiago Yancuictlalpan, vgl. Signorini/Lupo (1989: 26ff.).

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Rolle; ihre Beteiligung beschränkt sich im Wesentlichen auf kleinere mayordomías (Feldnotizen 5.12.2003). Die politische Struktur des Munizipios in der cabecera Cuetzalan An der Spitze der Verwaltung des Munizipios steht der Magistrat (ayuntamiento), bestehend aus dem Munizipalpräsidenten (presidente municipal), dem Regierungssekretariat (secretario de gobierno) und dem Stadtrat (cabildo) mit seinen Ratsherr_inn_en, sowie einer Reihe von Kommissionen. Der Munizipalpräsident wird jeweils für drei Jahre direkt von der Bevölkerung gewählt. Nahezu sämtliche der seit 1939 amtierenden presidentes municipales, sind (mestizische) Männer (vgl. die Auflistung des Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla 2009). Nur 1987, aufgrund der Bemühungen der Kooperative Tosepan, der es gelingt eines ihrer Mitglieder, Agustín Ramiro Olivares, als Kandidaten der PRI aufstellen zu lassen, ist ein „Kandidat der rancherías“ erfolgreich (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 37-8). Danach dauert es bis 2011, bis es in der nachrevolutionären Zeit einem maseual aus Ajotzinapan gelingt, dieses hohe Amt zu erlangen, wobei dieser allerdings, wie kritisiert wird, wie ein koyot gekleidet ist (Tzm 10 20.9.2013). Zuvor hatte nur einmal, in der konfliktreichen Epoche zwischen Unabhängigkeit und Revolution, 1880 bis 1894, ein Indigener – und zwar ebenfalls ein Mann –, – der bereits erwähnte Francisco Agustín Dieguillo – diese Position inne (Thomson 1991: 259, siehe auch Fußnote in Kapitel IV.3.2.1). Die einzige weiblich-indigene Kandidatin für diese Position – Rufina Villa, die 1998 von der Partido de la Revolución Democrática (PRD) nominiert wird (Rodríguez Blanco 2011a: 95, Fußnote 18) – verliert die Wahl zugunsten ihres mestizisch-männlichen Gegenkandidaten Joel Soto Velazco (vgl. Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla 2009). Größe und genaue Zusammensetzung des Magistrats wie auch des Stadtrats – die gleichfalls mestizisch-männlich dominiert sind – orientieren sich ebenfalls an den Ergebnissen der Wahl (Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla o.d.) und sind in ähnlicher Weise mestizischmännlich dominiert (Rodríguez Blanco 2011a: 91). Dem Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla (o.d.; 2009) zufolge, setzt sich der Magistrat in den Jahren 1996 bis 1999 aus dem Munizipalpräsidenten, einem Syndikus (síndico), sechs Ratsherr_inn_en oder Gemeindevertreter_ inne_n der relativen Mehrheit (regidores de mayoría relativa), sowie zwei Ratsherr_ inn_en der proportionalen Repräsentanz (regidores de representación proporcional) zusammen. Dazu kommen die Kommissionen Finanzwesen (Hacienda), Regierung Polizei und Transit (Gobernación Policía y Tránsito), Industrie und Handel (Industria y Comercio), Öffentliche Arbeiten (Obras Públicas), Gesundheit und Soziales (Salubridad y Asistencia),146 Bildung und Kulturelle Aktivitäten (Educación y Actividades Culturales), Umwelt (Ecología) sowie Landwirtschaft und Viehzucht (Agricultura y Ganadería) (Instituto Nacional para el Federalismo y el Desarrollo Municipal Gobierno del Estado de Puebla 2009). Unterstützt wird der Magistrat durch die Allgemeine Verwaltung (Procuraduría General del Estado) einerseits, die Justizgewalt (Poder Judicial) andererseits. Neben 146 Wörtlich übersetzt „Heilsamkeit und Soziales“.

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Verwaltungsbeamt_inn_en (agentes del Ministerio Público und agentes subalternos) gehören ersterer auch solche der Exekutive (policia judicial) an. Die Justizgewalt, zuständig für die Legislative, setzt sich aus einem_einer (Bezirks-)Richter_in (juez menor) und einem_einer, speziell für die indigene Bevölkerung zuständigen Richter_in (juez indígena), zusammen. Laut Maldonado und Terven (2008: 74) lässt sich die Regierungsstruktur des Munizipios folgendermaßen tabellarisch darstellen: Tabelle 1: Autoritäten des Munizipio Magistrat

Allgemeine Verwaltung

Justizgewalt

(ayuntamiento)

(Procuraduría General del Estado)

(poder judicial)

Munizipalpräsident_in

Beamter_Beamtin des öffentlichen Ministeriums

Richter_in

(presidente municipal)

(juez menor)

(agente del Ministerio Público) Regierungssekretariat (secretario de gobierno)

Untergeordnete_r Beamtin_Beamter

Indigenenrichter_in (juez indígena)

(agente subalterno) Stadtrat

Kriminalpolizei

(cabildo)

(policia judicial)

Die politisch-religiösen Strukturen der pueblos sujetos, mit Fokus auf San Miguel Tzinacapan Für jede der untergeordneten Gemeinden, d.h. für Reyesogpan de Hidalgo, San Andrés Tzicuilan, San Miguel Tzinacapan, Xiloxochico de Rafael Avila Camacho, Xocoyolo, Santiago Yancuitlalpan, Yohualichan und Zacatipan, gibt es eine junta auxiliar. Der junta auxiliar gehören der presidente auxiliar, der Sekretär und der cabildo an. Auch hier sind die oberen Ämter mehrheitlich männlich besetzt, wenngleich, zumindest in den indigenen Gemeinden, von indigenen, nicht mestizischen Männern. Nur einmal hat eine Frau, und zwar eine Mestizin, den Posten der presidente auxiliar inne: Claudia Nochebuena in Santiago Yancuitlalpan, zwischen 2001 und 2003 (Rodríguez Blanco 2011a: 95, Fußnote 18). Zusammen mit der junta auxiliar agieren verschiedene Komitees (comités comunitarios) (des Trinkwassers und der öffentlichen Arbeiten, der Schule, des Gesundheitswesens u.ä.), die Versammlung (asamblea), die Gemeindepolizist_inn_en (Maldonado/Terven 2008: 73), denen früher die topiles entsprachen (Tzm 10 20.9.2013), alles Funktionen, die als Ämter des Gemeindedienstes (cargos de servicio comunitario) gelten (Maldonado/Terven 2008: 73). Letztere unterstützen auch die Friedensrichter_innen (jueces de paz), die der juridischen Macht (poder judicial) angehören, wie auch den agente subalterno del Ministerio Público, der der allgemeinen staatlichen Verwaltung (Procuraduría General del Estado) zuzurechnen ist, und sie

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beteiligen sich an der Organisation und Arbeit in Zusammenhang mit den (religiösen) Festen der Gemeinde (ibid.: 73-4). Die Friedensrichter_innen nehmen eine eher zwiespältige Position ein. Sie gehören der staatlichen Justizgewalt an und erhalten für ihre Tätigkeit eine monatliche Aufwandsentschädigung vom Magistrat. Gleichzeitig ist ihre Funktion Teil der Ämterstruktur der Gemeinde. Sie finden sich praktisch zwischen dem indigenen und dem staatlichen System. In ihren Rechtsprüchen müssen sie das staatliche Recht mit bedenken, andererseits aber auf die costumbre, das indigene Gewohnheitsrecht, Rücksicht nehmen (ibid.: 75).147 Friedensrichter_innen, wie auch agente subalterno, werden in Tzinacapan durch die_den presidente auxiliar und den cabildo gewählt, in anderen Gemeinden, wie beispielsweise Xiloxochico durch die asamblea (ibid.: 74). Bei der asamblea handelt es sich um eine Versammlung, an der alle interessierten Einwohner_innen teilnehmen, zur Wahl einer Autorität oder für die Organisation eines Arbeitsdienstes (faena). Die faena wird durch das Komitee für Trinkwasser und Arbeiten (comité de agua potable u obras) koordiniert, zusammen mit dem Gemeinderatsmitglied für öffentliche Arbeiten, dem regidor de obras públicas del cabildo. Zur Realisierung der notwendigen Arbeiten werden, meist auf Grundlage der Wohnviertel (Feldnotizen 19.9.2007 et al.; Feldnotizen 4.11.2011 et al.), cuadrillas gebildet, d.h. Gruppen von Personen, die sich im Dienst abwechseln (Maldonado/Terven 2008: 74). Faenas finden meist am Wochenende statt, um sicherzustellen, dass die betreffenden Personen auch Zeit haben (Tzm 48 8.11.2011). Der Aufruf zur Arbeit erfolgt über das lokale Radio (z.B. Feldnotizen 18.10.2013). Hat jemand die Ankündigung gehört, so gibt er_sie die Information an die betroffenen Personen im Haushalt und in der Nachbarschaft weiter (Feldnotizen 24.9.2007). Es kann vorkommen, dass jemand erst kurz vor Beginn einer Versammlung davon Kenntnis erhält, was ihn_sie aber nicht davon abhält, gegebenenfalls umzudisponieren und hinzugehen (Feldnotizen 20.9.2007 et al.). Hat tatsächlich niemand aus einem zur faena aufgerufenen Haushalt Zeit, so muss jemand anderer einspringen, der_die dafür vom Haushaltsvorstand bezahlt wird (Tz 48 10.11. 2011). In sämtlichen Bereichen der zivilen Regierung – in der junta auxiliar und im Gemeindedienst (den cargos de servicio comunitario), wie auch der juridischen und staatlich administrativen Macht (der poder judicial und der Procuraduría General del Estado) –, dominieren (indigene) Männer:148 Frauen seien weniger qualifiziert, hätten aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen weniger Zeit als Männer und wären daher nicht an einem Amt interessiert. Weiters würden sie Probleme oder gar unangemessenes Verhalten in der presidencia verursachen, wird seitens der männlichen Autoritäten argumentiert (Rodríguez Blanco 2011a: 107). Neben den genannten zivilen, gibt es allerdings auch religiöse Ämter (cargos religiosas), die in weit stärkerem Maße als die erstgenannten, von Frauen eingenommen werden (siehe Kapitel IV.4.3). Die Zahl der hier zur Verfügung stehenden Posi147 Zu den verschiedenen Rechtssystemen – dem staatlichen Recht, Ansprüche der Einhaltung von Menschen- und von Frauenrechten, sowie dem indigenen Recht – und den Problemen ihrer Vermischung und Anwendung, vgl. Chávez/ Terven (2013). 148 Unter den insgesamt 51 Friedensrichter_inne_n im Bezirk Cuetzalan gibt es nur vier Frauen (und sieben Stellvertreterinnen) (Chávez/Terven 2013: 60).

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tionen variiert entsprechend der Einwohner_innenzahl und der Anzahl der Heiligen (-bilder bzw. -statuen in der Kirche) (imágenes) einer Gemeinde (Martínez Borrego 1991: 104). In Tzinacapan gibt es mindestens 25 imágenes, wobei an erster Stelle der Schutzheilige San Miguel, der Heilige Michael, steht, gefolgt von Àngel Custodio, dem Santo Niño, dem Heiligen Franz von Assisi, dem Santísimo, El Santo Entierro und San Ramos. Sämtliche andere Heilige gelten als unbedeutend (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Die Aufgabe des fiscal mayor (dessen Position auch in der Gegenwart primär männlich konnotiert ist) ist es, für jede_n der Heilige_n mayordom@s zu suchen, in Zusammenarbeit mit dem stellvertretenden presidente auxiliar. Der_die mayordom@ verpflichtet sich, das Fest der_des ihm_ihr zugewiesenen Heiligen zu organisieren und auszurichten. Unterstützt wird er_sie von diputad@s (Abgeordneten), die Blumen kaufen und die Kirche herrichten.149 Der teniente de danzas koordiniert die verschiedenen Tanzgruppen bei den Festen (Maldonado/Terven 2008: 74). Die Tanzgruppen selbst werden jeweils von einem (ebenfalls in der Regel männlichen) caporal de danza angeführt (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade o.d.; Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; Feldnotizen 4.2.2006; 27.9.2007). In der Übersicht von Maldenado und Terven (ibid.: 74) stellt sich das politischreligiöse System der Gemeinden wie folgt dar: Tabelle 2: Gemeinde/Gemeinschaftsautoritäten Hilfsversammlung

Allgemeine Verwaltung des Staates

Juridische Macht

Ämter des Religiöse Gemeindedienstes Ämter

(junta auxiliar)

(Procuraduría General del Estado)

(poder judicial)

(cargos de servicio comunitario) (cargos religiosas)

Hilfspräsident_in

Untergeordnete_r Beamtin_ Beamter des öffentlichen Ministeriums

Friedensrichter_in

Gemeindekomitees

(jueces de paz)

(comités comunitarios)

(presidente auxiliar)

(fiscal mayor)

(agente subalterno del Ministerio Público)

Sekretär_in

Versammlung

Mayordom@

(secretari@)

(asamblea)

(mayordomo)

149 Zu den diputad@s, die in der Regel paarweise nominiert werden und daher auch Frauen inkludieren, notwendig für die weiblichen Tätigkeitsbereiche, siehe unten, Kapitel IV. 4.3.1.

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Gemeinderat

Gemeindepolizei

(cabildo)

(topil)

(diputad@s teniente de danzas)

Das Interesse der Beteiligung an diesem sistema de cargos ist seitens der Bevölkerung, laut Maldonado und Terven (ibid.: 81), gering. Nach ihren Informationen werde in den Gemeinden kritisiert, ein Amt würde (zu) viel Aufwand und große Verantwortung bedeuten. Es seien in erster Linie Leute im Alter zwischen 30 und 50, die diese Bürde für die Gemeinschaft auf sich nehmen (ibid.: 81). In anderen Quellen wird betont, dass es vor allem schwierig sei junge Leute im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren für die (aktuell daher in dieser Form nicht mehr existierenden [Feldnotizen 20.9.2013]) Ämter der topiles zu gewinnen. Ihre Aufgaben müssten daher oft von den Inhabern des übergeordneten Amtes der mayores wahrgenommen werden (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Eine mayordomía für eine_n der höher gereihten Heiligen der Gemeinde zu übernehmen ist allerdings, meinen eigenen Informationen, wie auch den Ausführungen von Takachiualis zufolge, trotz des Bewusstseins des Aufwands und der Verantwortung, hoch begehrt und es gibt zumindest in San Miguel, zeitweise lange Wartelisten von Anwärter_inne_n (Feldnotizen 24.9.2007; Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; siehe auch Haly 1996: 552). Denn in vielen Fällen nutzen Indigene wie Mestiz_inn_en die Teilnahme im Bereich der cargos principales dazu, das so erlangte Prestige, in politische und ökonomische Macht umzusetzen (Martínez Borrego 1991: 106), wie es auch der Stärkung der Seeleneinheit tonal und damit der personhood dient (Haly 1996: 553; siehe Kapitel II.7.1, IV.2.5.1 und IV.2.5.6). Darüber hinaus funktioniert die Übernahme einer mayordomía fast wie ein Versicherungssystem. Dabei werden in der Durchführung eigene Leistungen bei den mayordom@s der Vergangenheit rückgefordert: „Their structure is that of an agricultural metaphor: a potential mayordomo, by contributing sustenance to another mayordomo at another festival, guarantees the return of sustenance at a later date. He is, in effect, planting his sustenance, to be harvested later, and consumed publicly at his own table.“ (Haly 1996: 555-6)

Gleichzeitig wird eine Art Guthaben für künftige Anlässe geschaffen – entsprechend der im Zitat von Haly verwendeten Lebensmittel- bzw. Maismetapher, wird mit der Ernte auch das Saatkorn für die kommende Saison eingefahren. Ernst zu nehmen ist darüber hinaus, bezogen auf die Bereitschaft der Übernahme einer mayordomía, oder auch die sonstige Beteiligung am Ämtersystem, das von Alessandro Lupo (2001: 375-7) vorgebrachte Argument, dass es sich in vielen Fällen um Gelübde oder Versprechen anlässlich von kritischen Situationen handle, um die_den Heiligen um Unterstützung zu bitten, oder aber ihr_ihm für ihre_seine Hilfe zu danken. Dennoch bemerkt Rodríguez Blanco (2011a: 105), dass es der Frauenorganisation Siuamej Sentekitini (Frauen, die zusammen arbeiten) aus San Andrés Tzicuilan im Jahr 1999 nur deswegen möglich ist, die mayordomía für den Schutzheiligen zu übernehmen,

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weil sich ansonsten niemand dazu bereit erklärt, eine Deutung, die angesichts der angeführten Bedeutung des Ereignisses überrascht. Bevor wir im nächsten Kapitel näher auf die mayordomía und die damit verbundenen rituell-religiösen Tänze eingehen, die, als höchster Ausdruck des religiösen Systems, zur Schaffung einer gemeinsamen indigenen Identität, abgegrenzt gegenüber einem cuetzaltekisch-mestizischen „Anderen“ (was ebenfalls für ein hohes Interesse der Beteiligung spricht), gedeutet werden können, fassen wir nochmals die wichtigsten Ereignisse und Veränderungen des politisch-religiösen Systems zusammen. IV.3.4 Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse und Veränderungen des politisch-religiösen Systems Im Rahmen der relativen politischen Autonomie einer república des indios, entwickeln die Indigenen Cuetzalans, wenngleich Tlatlauquitepec untergeordnet, im Verlauf der Kolonialzeit, ein eigenständiges politisch-religiöses System, auf Grundlage von vorkolonial-mesoamerikanischen und kolonial-christlichen Teilen. Es gibt dabei einige durch die Kolonialregierung vorgegebene Elemente, wie die Aufteilung der Ansiedlungen in cabecera und sujetos, mit einer Regierung, bestehend aus einem cabildo mit einem governador und anderen hierarchisch angeordneten Ämtern, eine Aufteilung, die sich in den sujetos widerspiegelt. Viele dieser Posten, die im Wesentlichen dem reibungslosen Ablauf der Tribut- und Arbeitsleistungen der Indigenen an die Spanier_innen dienen, werden zunächst von (in der Regel männlichen) Angehörigen der indigenen Adelsschicht eingenommen, später von ihren Nachkommen oder auch anderen Personen, denen es gelingt sich ökonomische und politische Ressourcen und Anerkennung in der Bevölkerung zu verschaffen. Die interne Gestaltung der Regierung in den repúblicas bleibt ihnen überlassen, sofern die kolonialen Interessen gewahrt sind. Das System scheint sich zu bewähren und wird auch nach der Unabhängigkeit von Spanien beibehalten bzw. von der, Ende des 19. Jahrhunderts neu gegründeten, Verwaltungseinheit Cuetzalans übernommen und entsprechend dem sich herausbildenden Nationalstaat adaptiert. Die großen Veränderungen sind der Verlust der Autonomie und die Einflussnahme und schließlich Dominanz der in die Sierra eingedrungenen italienisch-kreolisch-mestizischen Bevölkerung in der Munizipalregierung. Die Verwaltungssysteme der sujetos jedoch bleiben weitestgehend in indigener Verantwortung und sind, wie auch die munizipalen, männlich-patriarchal dominiert. In den Gemeinden etabliert sich nun ein, aus der späten Kolonialzeit stammendes, politisch-religiöses Ämtersystem (sistema de cargos), wobei jeder erwachsene Mann sich im Laufe seines Lebens von niedrigen zu immer höheren Ämtern in der sozialen Hierarchie emporarbeiten sollte. Tatsächlich gelingt es nur Männern mit ausreichend ökonomischen und sozialen Ressourcen in die höheren Positionen vorzudringen. Dabei sind soziale und ökonomische Mittel eng miteinander verknüpft: nur über die geschickte Nutzung verwandtschaftlicher und anderer Beziehungen im Sinne eines Austauschs von Gütern und Dienstleistungen ist es möglich, die hohen Kosten und sonstigen Aufwändungen für prestigeträchtigere cargos, aufzubringen. Um solche Netzwerke in ausreichendem Maße zu schaffen und zu erhalten, ist es in der Regel notwendig, nicht nur verheiratet zu sein, sondern auch einen eigenen Haushalt zu

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führen, womöglich mit abhängigen, im Haushalt lebenden erwachsenen und im besten Falle ihrererseits bereits verheirateten Kindern samt Ehepartner_inne_n (siehe Kapitel IV.4.3). Damit ist sichergestellt, dass sämtliche für das Amt erforderliche Aufgaben, die männliche und weibliche Tätigkeitsbereiche einschließen, in angemessener Weise durchgeführt werden können. Ausnahmen gibt es für weibliche Haushaltsvorstände, die verwitwet sind, oder aus anderen Gründen nicht mit einem männlichen Partner zusammenleben. Ein Sohn, Bruder oder anderer männlicher Verwandter kann hier die männliche Rolle übernehmen und damit in Verbindung, seine sozialen Beziehungen der gegenseitigen Verpflichtungen, für die Erfüllung eines (meist eher geringeren religiösen) Amtes nutzen. Die männlich-patriarchale Prägung des Systems in den Gemeinden 150 drückt sich in der Bevorzugung männlicher Haushaltsvorstände für die höheren cargos aus, wobei diese jedoch von der aktiven Mitarbeit ihrer Ehefrauen und sonstigen im Haushalt lebenden Personen abhängig sind. Über diese notwendige Komplementarität der Tätigkeiten haben vor allem ältere Frauen, die über entscheidende soziale Netzwerke verfügen, die Möglichkeit, die Politik der Gemeinde (über die von ihnen abhängigen Männer) in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jüngere Menschen, Männer wie Frauen mit einer vom Haushaltsvorstandspaar abhängigen Position, haben diesbezüglich weit geringere Optionen. Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen, den Kämpfen gegen die Franzosen und Österreicher wie auch der mexikanischen Revolution, erlangen junge, an den Kämpfen aktiv beteiligte Männer neue Macht. Sie verfügen über ein Prestige (und womöglich ökonomische Mittel), das nicht über die Teilnahme am Ämtersystem erworben ist. Später kommen Fähigkeiten, die über die Schulbildung und damit einhergehende bessere Kenntnisse des staatlichen Systems erlangt werden, dazu, die jüngere Männer auf Kosten von älteren, vor allem aber auf Kosten der Frauen befähigen, wichtige politische Positionen einzunehmen, ohne das gesamte sistema de cargos durchlaufen zu haben. Verstärkt wird das, durch die vorgeschriebene Trennung des politischen vom religiösen System, eine Trennung, die in der cabecera weitgehend umgesetzt, in den sujetos jedoch nicht durchgängig eingehalten wird. Letztere legen weiterhin großen Wert auf die erfolgte Teilnahme von Kandidaten für politische Ämter am religiösen Teil des Gemeindelebens. In der Hauptstadt Cuetzalan etabliert sich ein PNR- bzw. PRI-dominiertes Parteiensystem mestizisch-nationaler Prägung auf Kosten des älteren gerontokratischen Systems. Seine Machthaber nutzen zunächst die Einflussmöglichkeiten lokaler indigener caudillos, die ihre Bedeutung im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen erlangt haben. Mit der Konsolidierung des post-revolutionären politischen Systems kann schließlich auf diese „Zusammenarbeit“ verzichtet werden. Dennoch trachten die cuetzaltekischen (politischen und ökonomischen) Eliten danach in den Gemeinderegierungen Verbündete zu etablieren, wofür sie auch nicht davor zurückschrecken, nicht gewählte, der betroffenen Gemeinde nicht genehme und von ihr abgelehnte Kandidaten als presidente auxiliar municipal einzusetzen. Ab den 1980er, vor allem aber in den 1990er Jahren, kommt es aufgrund von lokalen, nationalen und transnationalen Menschen- und Indigenenrechtsaktivitäten 150 Patriarchal im Sinne eines einer Familie bzw. einem Haushalt vorstehenden männlichen pater familias, dem die anderen Mitglieder untergeordnet sind.

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(vgl. Kapitel IV.5.1) zu einer größeren Toleranz und einem erhöhten Interesse seitens der Kirche und der Mestiz_inn_en gegenüber der indigenen Kultur, sensibilisiert durch die politisch-identifikatorische, aber auch touristisch und ökonomisch motivierte Neubewertung der vorspanischen Vergangenheit (vgl. auch Lupo 2001: 375). In Tzinacapan wird die Comisión Takachiualis gegründet. Diese setzt sich für die Wiedereinsetzung des ehemaligen Rates der pasados ein, allerdings – auf Betreiben der Frauenorganisation Maseualsiuamej –, unter aktiver Miteinbeziehung der Frauen in die Politik. Im Zuge dessen gewinnen in den sujetos auch offiziell die religiösen Ämter erneute Relevanz. Gerade in diesem Bereich erhöht sich damit die, in der Politik nach wie vor stark marginalisierte Partizipationsmöglichkeit von Frauen – als Ehefrau eines mayordomo oder, falls die Betreffende unverheiratet ist, als eigenständige mayordoma, die sich dazu allerdings einen männlichen Partner suchen muss –. Wenngleich sich an dieser Stelle anbieten würde, die angesprochene Comisión Takachiualis und damit in Zusammenhang, die Hintergründe der Entstehung und der Bedeutung von Tosepan und Maseualsiuamej zu erläutern, möchte ich dennoch im folgenden Kapitel, wie angekündigt, mit der Vorstellung der mayordomía und der rituell-religiösen Tänzen fortsetzen, als Mittel der Herstellung einer indigenen, lokal geprägten Identität, im Kontrast zu einem als korrupt und nur auf den Kommerz ausgerichtet präsentierten, ungeliebten Cuetzalan.151

IV.4 D IE MAYORDOMÍA UND RITUELL - RELIGIÖSE T ÄNZE ALS AUSDRUCK LOKALER INDIGENER I DENTITÄT UND IHRE K OMMERZIALISIERUNG 152 IM CUETZALTEKISCH - MESTIZISCHEN „ANDEREN “ Die mayordomía ist, wie erwähnt, spätestens mit der Abschaffung der cofradías, Ende des 19. Jahrhunderts, vielerorts Teil des politisch-religiösen Systems. Dieses beinhaltet, abgesehen von den politischen, eine Reihe von unterschiedlich wichtigen religiösen Ämtern, darunter, neben der auf ein Jahr begrenzten Übernahme der Verantwortung für eine_n der Heiligen, die mindestens für sieben Jahre eingegangene Verpflichtung der Teilnahme in einer der rituell-religiösen Tanzgruppen (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Die Wertschätzung eines Amtes variiert je nach der Art der Tätigkeit, d.h. die Beteiligung am Tanz ist in den unteren Bereichen der Hierarchie zu finden, wobei der jeweilige caporal de danza153 als Manager der Gruppe, Lehrer der Tanzschritte, wie auch Übermittler der mit dem Tanz verbundenen Erzählungen und assoziierten spirituellen Haltungen und Hintergründe, die wichtigste Position in der Gruppe innehat (ibid.; Feldnotizen 4.2.2006; 27.9.2007). 151 Zu dieser Dichotomie, vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 28) bzw. zu Cuetzalan als dem ungeliebten „Anderen“, vgl. Aussagen von Tzm 13 16.9.2013; Tz 7 17.9.2013; Tz 6 19.9.2013. 152 Zu dieser Formulierung, vgl. Haly (1996: 538-9). 153 Mir ist weder in der Literatur noch im Feld eine weibliche Tanzgruppenleiterin untergekommen.

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Das höchste religiöse Amt der Gemeinde nimmt jene Person bzw. Familie ein, die das Fest für die_den Schutzheilige_n der Gemeinde ausrichtet, gefolgt von den Veranstalter_inne_n der Feierlichkeiten für die anderen Heiligen, in der Reihenfolge des ihnen jeweils zugewiesenen Rangs. Jeder_jedem dieser mayordom@s steht eine Reihe von Gehilf_inn_en für die Organisation der Arbeiten, die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen wie auch der Tänze zur Verfügung, die ihrerseits entsprechend ihrer Tätigkeit hierarchisch gereiht sind (siehe Kapitel IV.4.3). Im Folgenden gehe ich zunächst auf die Schutzheiligen von Cuetzalan und San Miguel Tzinacapan, bezogen auf ihre historisch wechselnden Merkmale und die sich verändernde Relevanz, ein. Anschließend gebe ich einen Überblick über die zentralen Charakteristika der Feste. Anhand eines dieser Merkmale, nämlich des Wechsels zwischen einem allgemein und einem nur für geladene Gäste zugänglichen Bereich, wird die Spannung zwischen der mestizisch-national geprägten Religiosität Cuetzalans und der indigenen Spiritualität San Miguel Tzinacapans aufgezeigt, eine Spannung, die Divergenzen innerhalb der Gemeinde (scheinbar) verschwinden lässt (zu letzteren siehe Kapitel IV.5.2). Auf Grundlage der erstgenannten Differenz, die sich allerdings an bestimmten Punkten, mit Aspekten, die von allen Bevölkerungsschichten geteilt werden, überschneidet, lässt sich eine „von oben“ eingesetzte (von der indigenen Bevölkerung in gewissen Zusammenhängen akzeptierte und übernommene) und eine „von unten“ geschaffene Indigenität unterscheiden. Dient erstere der Betonung einer mexikanischen, nationalen und multikulturellen Identität, die sich touristisch verkaufen lässt, so markiert zweitere den manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreichen Versuch der Abgrenzung, gegenüber dem hegemonialen, mestizisch geprägten Cuetzalan. Die beiden aufgezeigten Varianten lassen sich nicht nur in den Feierlichkeiten für die Schutzheiligen erkennen, sondern auch im Umgang mit den oben erwähnten rituell-religiösen Tänzen. Fokussieren wir nun, wie angekündigt, den Schutzpatron der cabecera, den Heiligen Franz von Assisi. IV.4.1 Cuetzalans Heiliger Franz von Assisi und seine sich verändernden Merkmale Im Versuch der indigenen Bevölkerung das Christentum näherzubringen, nutzen die ersten Missionare bestehende Ähnlichkeiten der Glaubenssysteme im Sinne eines „überwachten Synkretismus“ (Nutini 1988: 343-8). Die Merkmale von bestimmten Heiligen, sofern sie an jene indigener Gottheiten erinnern, werden hervorgehoben, Kirchen auf den Ruinen der alten Glaubensstätten errichtet, die für die christlichen Heiligen erforderlichen Zeremonien – abgesehen von den Menschenopfern und allem was damit verbunden ist – an die vorkolonialen Gepflogenheiten angenähert (Lockhart 1992: 4; Lupo 1995: 48; Cline 2000: 198-9; Roberts/Chick 2007: 317; siehe auch Fußnote in Kapitel IV.2.1).154 Von daher ist es naheliegend, dass Pedro Carra154 Dürr (1996: 23-4) berichtet von einer Kirche in Mitla (Oaxaca), die auf einem präspanischen Gebäude errichtet ist und bis Mitte der 1980er Jahre auch von Einwohner_inne_n der Nachbargemeinden häufig besucht wird. Schließlich wird sie mit der Begründung geschlossen, dort würde „Schadenszauber“ betrieben werden. 1993 stellt Dürr fest, dass die Kirche gewaltsam wieder geöffnet wurde.

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sco (1961), ein profunder Kenner der vorkolonialen Einwohner_innen des zentralen Hochlands von Mexiko, enge Verbindungen zwischen den precortesianischen Verdienstfesten und den späteren mayordomías sieht. Dennoch dürfen die, durch Eroberung, Missionierung, koloniale und nationale Gesetzgebungen und andere historische Ereignisse bedingten, Adaptierungen und Veränderungen (siehe Kapitel IV.3), auch im Sinne eines „spontanen Synkretismus“ (Nutini 1988: 343-8; siehe Kapitel IV.2.1), nicht übersehen werden. Folglich gibt es zwar gewisse, scheinbar in ganz Mexiko verbreitete, allgemeine Merkmale einer mayordomía, in den besonderen Ausformungen und Bedeutungen aber, viele lokale Besonderheiten. Auch die Ähnlichkeiten zu vorkolonialen Zeremonien lassen sich nur bedingt und wenn überhaupt, so an spezifischen Orten, in einzelnen Punkten nachvollziehen, noch dazu, als es gegenwärtig in vielen indigenen Gemeinden zwar Reichtums- und womöglich auch Klassenunterschiede gibt,155 aber keinen Kriegeradel. Besonderheiten resultieren darüber hinaus auch aus der Verflechtung von indigenen mit nicht indigenen Bevölkerungsgruppen. Die resultierenden Synkretismen156 verändern sich, passen sich an die jeweiligen Gegebenheiten an. Denn, wie auch Félix Báez-Jorge festhält: „los fenómenos sociales estén en constante movimiento y el proceso cognoscente esté también, de suyo, abierto a múltiples desarrollos […] la religión popular se examina como un fenómeno en constante transformación“ (1998: 12; vgl. dazu auch Broda 2001b: 67). Roberts und Chick (2007: 318) weisen in diesem Sinne darauf hin, dass der_die Schutzheilige einer Gemeinde zwar, wenn möglich, Eigenschaften einer wichtigen vorkolonialen Gottheit aufweist, dass es aber dennoch vorkommt, dass Heilige im Verlauf der Geschichte ausgetauscht werden. In Cuetzalan wechselt allerdings nicht der Schutzpatron, vielmehr werden die ihm zugeschriebene Bedeutung, ebenso wie die Art der Feierlichkeiten, mehrmals an die aktuellen ökonomischen und politischen Erfordernisse adaptiert. Wie bereits in Kapitel IV.2.1 dargelegt, erhält dieses, zunächst den Franziskanern überantwortete, Gebiet den Heiligen Franz von Assisi zugewiesen. Sein Feiertag fällt in die vorkolonialen Monate huey pachtli bzw. teutleco („Ankunft der Gottheiten“; Näheres dazu, siehe unten) (20.9.-9.10.) und pachtontli (González Torres 1991: 32) oder auch tepeílhuitl (10.10.-29.10.)157 genannt, wobei letzterer den Berggottheiten gewidmet ist (vgl. dazu Sahagún 1989a: 93, 154-6). Als günstig erweist sich hier womöglich, dass es in vorkolonialer Zeit, noch lange vor der 155 Wobei die Inhaber_innen der dominierenden Klassenpositionen nun unter dem Terminus Kazik_inn_en bekannt sind (siehe Kapitel IV.3.2.3). 156 Johanna Broda (2001a: 22) weist jedoch darauf hin, dass das Konzept des Synkretismus zu kurz greift, um „la extrema complejidad de los múltiples trámsitos, mezclas, indeterminaciones y semejanzas simbólicas“ zum Ausdruck zu bringen, die sich im Verlauf der Kolonialzeit herausbildet. Haly (1996: 529) lehnt dieses, in Bezug auf die indigene Bevölkerung Cuetzalans insgesamt ab, da er davon ausgeht, diese hätte sich katholische Praktiken nur dazu angeeignet, der dominanten zunächst kolonialen, später nationalen Kultur zu widerstehen. 157 Johanna Broda (2004: 40) berücksichtigt in diesen Datumsangaben die gregorianische Kalenderänderung um zehn Tage von 1582, die stattgefunden hat, nachdem Sahagún seine „Historia“ fertiggestellt hat. Bei Sahagún finden sich für teutleco der zehnte September bis zum 29. September (Sahagún 1989b: 907, Glossario), für tepeílhuitl der 30. September bis zum 19. Oktober (ibid.: 905, Glossario).

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Hegemonie der Tenochca-Tlaltelolca, heute besser bekannt als Aztek_inn_en (Zuckerhut 2010a: 143), eine Verbindung Cuetzalans mit einem lokalen Herrscher namens Matlac Ehecatl gibt (Ramírez Suárez et al. 1992: 11), wobei sich der Kalendername Ehecatl auf den Windgott Quetzalcóatl-Ehecatl bezieht. Zwischen Wind- und Berggottheiten und der damit in Verbindung stehenden Fruchtbarkeit, gibt es eine enge Verbindung, ebenso wie Quetzalcóatl („Quetzalschlange“) als eine Art Kulturheros gilt, der den Menschen den Mais und andere Lebensmittel gebracht hat (González Torres 1991: 145; León-Portilla 2000: 166ff.). Eine derartige Assoziation des alten Gottes mit dem christlichen Heiligen erscheint einerseits als sehr weit hergeholt, allerdings zeigt sie, wie auch in den folgenden Ausführungen deutlich wird, die nahezu unendliche Vielfalt an Anknüpfungspunkten, die die mesoamerikanische Kosmologie und Kosmovision bieten. Angesichts der wolkenverhangenen Berge, der häufigen und heftigen Winde und Regenfälle ist eine besondere Bedeutung von Berg-, Wind- und Regengottheiten in vor- wie auch kolonialen und postkolonialen Zeiten andererseits, auch nicht unwahrscheinlich (vgl. dazu für Tzinacapan die Ausführungen von Knab 1991; ders. 2009). Noch dazu, als sich in jenen Vorstellungen und Praktiken der indigenen Bevölkerungen, als „pueblo[s] de agricultores, ligado[s] a su agua, a su cerro“ (López Austin 1998: 76), die mit Umwelt und Landwirtschaft in Verbindung stehen, trotz aller Adaptierungen an die jeweiligen Gegebenheiten eine bemerkenswerte „continuidad temporal“ (Báez-Jorge 2000: 380) zeigt (vgl. dazu auch Broda 2001a: 23-4; dies. 2001b: 168-9; sowie Boege 2002: 128). Ein Dokument aus dem Jahr 1536 stellt dem entsprechend eine unmittelbare Beziehung zwischen Quetzalcóatl und dem, dem sechs Kilometer entfernten totonakischen Ort Jonotla zugehörigen pueblo, QueCalcoat her (ibid.: 12); García Martínez (1987: 163) weist jedoch eine aus diesen oder anderen Dokumenten ableitbare Verbindung Quetzalcóatls mit Cuetzalan zurück. Jedenfalls dauert es fast zwei Jahrhunderte, bis eine solche Beziehung greifbar wird und der, nun mit Quetzalcóatl assoziierte Heilige Franz158 seine Kraft als Spender von Leben und Fruchtbarkeit entfaltet.159 Der sich entwickelnde synkretistische Kult wird seitens der katholischen Kirche, laut Thomson (1991: 251), insbesondere in der Zeit des Porfiriats forciert, einer Zeit, in der sich die neue Kaffeeelite immer stärker etabliert. Möglicherweise sollte so, angesichts der beginnenden politischen und ökonomischen Marginalisierung, zumindest die ideologische Bindung der Indigenen an Cuetzalan vorangetrieben und erhöht werden. Der Heilige Franz gilt nun, analog zu einer der Bedeutungen von Quetzalcóatl, als „Herr des Mais’“. Zu Allerseelen holt er darüber hinaus die Toten aus ihrer Wohnung in der Unterwelt, um sie zu ihren Verwandten auf der Erde zu bringen (Báez 2004a: 74, dies. 2004c: 93), ähnlich, wie Quetzalcóatl in die Totenwelt geht. Letzterer holt jedoch nicht die Ver158 Dabei finden sich in der, bereits im Kapitel IV.2.5.6 vorgestellten, Figur des Sentiopil weit stärkere Parallelen zu dieser bedeutsamen Schöpfergottheit; vgl. z.B. die Erzählungen über Sentiopil, wie sie in Argueta (1994: 44ff.) wiedergegeben werden. 159 Vgl. dazu die Ausführungen von Haly (1996: 533-4), der davon ausgeht, dass die Schutzheiligen die Position der vorkolonialen Herrscher_innen, die mit besonderem tonalli, einer besonderen spirituellen Kraft, ausgestattet sind, einnehmen. Dabei rekurriert er auf Lockharts Hinweis, dass „Saints, like ancestors, were imagined as the parents of their people and as the true owners of the unit’s land“ (ibid.: 434).

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wandten, sondern die Knochen der Verstorbenen vorangegangener Welten, damit die Göttin Cihuacóatl („Schlangenfrau“) sie zu Mehl verarbeiten kann, um dadurch die wahren Menschen zu schaffen (Taube 1994: 65-6). Für die aufstrebenden Unternehmer_innen Cuetzalans ist zwar die synkretistische Assoziation des Heiligen Franz mit dem alten Gott Quetzalcóatl nicht unmittelbar von Bedeutung, es kommt ihnen aber nicht ungelegen, dass der Feiertag Franz von Assisis auf den dritten Oktober fällt, einem Datum, das mit dem Beginn der Kaffeeernte (zumindest in der Höhenlage von Cuetzalan) einhergeht (Thomson 1991: 251). Bis 1949 dauert es allerdings, bis diesem Umstand auch formell Rechnung getragen wird. In diesem Jahr wird die erste Kaffeemesse abgehalten (Ramírez Suárez et al. 1992: 38), auf einer nicht mehr in dieser Form bestehenden Website, sinngemäß als ‚Feier der Bohne zu der sich die Cuetzaltecos vereinigen um mit ihrer Königin, dem Kaffee zusammenzuleben‘ (URL 24) verherrlicht. Die vorwiegend von Mestiz_inn_en getragene Fería del Café findet Ende September, Anfang Oktober, also zur Zeit der einwöchigen mayordomía des Schutzheiligen, statt und beginnt mit der Krönung der Reina del Café am 30. September.160 1963 reagiert der indigen geprägte Teil der Bevölkerung mit der Kreation einer Fería del Huipil, wobei sich der Begriff huipil auf ein vorspanisches Kleidungsstück der Frauen bezieht, das in abgewandelter Form, auch heute noch Relevanz hat (ibid.). Am vierten Oktober erfolgt die Krönung der Reina del Huipil, einer jungen Frau, die – anders als die Reina del Café, die mestizischen Idealen entspricht – alle Merkmale der idealen Nahua in sich verkörpert: sie spricht Nahuat, ist in der Lage einen huipil und andere traditionelle Kleidungsstücke herzustellen und kennt die Feste, Tänze und Gewohnheiten ihrer Gemeinde (vgl. auch NN 1 o.d.: 4). Ein im Internet veröffentlichtes Video zur Krönung der Reina del Huipil im Jahr 2012 (URL 36) vermittelt den Eindruck, dass das Fest insbesondere die Einheit des Munizipio, der cabecera mit ihren untergeordneten Gemeinden, dokumentieren und festigen soll. Mehrmals wird hervorgehoben, dass alle sechs pueblos, samt ihren sujetos, daran teilnehmen würden. Aber auch seine Bedeutung für die Erhaltung der indigenen Kultur, wie auch für den Tourismus wird erwähnt, d.h. ein Konnex zwischen den Anforderungen der modernen Zeit und den Anknüpfungspunkten an die Vergangenheit hergestellt. In den Merkmalen, wie auch den nach außen getragenen Aspekten der Festivitäten zur Feier des Heiligen Franz von Assisi, zeigen sich mithin sehr schön, unterschiedliche und sich verändernde ökonomische und politische Bedeutsamkeiten. Einerseits wird auf zentrale Elemente des Maisanbaus rekurriert, andererseits der zunehmenden Relevanz des Kaffeeanbaus Rechnung getragen. Gleichzeitig dokumentiert sich in der öffentlichen Zelebration des Festes die wachsende Bedeutung der mestizischen (im Kaffeehandel und dem Tourismus aktiven) Bevölkerung, ebenso wie eine Gegenbewegung in Richtung einer Stärkung der indigenen Traditionen. Zwar bestehen, wie in den Kapiteln IV.3.3 und IV.3.4 aufgezeigt, zwischen den Hauptproponent_inn_en der stattfindenen Ferías, Spannungen vielfältiger Art, das 160 In der Broschüre „atepolihui“, benannt nach einer der berühmten Höhlen der Region, wird hingegen ein Zusammenhang des Zeitpunkts des Festes mit dem der vorkolonialen Göttin Xochiquetzal hergestellt. Das hätte schließlich zur Überlegung geführt, eine „Reina del Café como símbolo de la belleza de la mujer cuetzalteca“ (NN 1 o.d.: 4) einzuführen. Zu den Bedeutungen von Xochiquetzal, siehe unten.

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Fest selbst aber erscheint 2012, zumindest äußerlich, als ein Manifest der Einheit. Dabei erinnern viele der vorgeführten Charakteristika an Aspekte, wie sie auch von staatlicher Seite, zur Förderung des Tourismus, als Merkmale von Indigenität herausgehoben werden, ganz im Sinne der Werbung für Cuetzalan als pueblo mágico (siehe Kapitel IV.1 und IV.2.6). Ähnlich wie von Lynn Stephen (2005: 25, 31ff.), für die Zapoteca der Gemeinde Teotitlán del Valle in Oaxaca aufgezeigt, treffen hier Tourismus fördernde Bilder einer homogenen, authentischen, weil angeblich uralten, bis in die Blütezeit von El Tajín-Yohualichan zurückreichenden Nahua-TotonacaKultur,161 mit indigen-politischen Interessen der Schaffung und Erhaltung eines inneren Zusammenhalts und einer überregionalen indigenen Identität, zusammen. Auf anderen Ebenen und in anderen Kontexten allerdings, werden weniger diese Homogenitäten, als vielmehr die Differenzen hervorgehoben und ausgedrückt, wie sich in den Ausführungen zur wichtigsten mayordomía von San Miguel Tzinacapan für den Heiligen Michael zeigen wird. Betrachten wir zunächst die Hintergründe, die möglicherweise zur Übernahme dieses Heiligen als Patron geführt oder sie zumindest gefördert haben. IV.4.2 Der Erzengel Michael, Schutzheiliger von San Miguel Tzinacapan Takachiualis (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; vgl. auch Argueta 1994: 74-6, 84ff.) zufolge, gibt es in der Oraltradition San Miguel Tzinacapans, zwei Versionen über die Entstehung der Gemeinde. Eine datiert die Ansiedelung in vorkoloniale Zeiten zurück, die andere verweist auf die Gründung der Ortschaft in der Nähe eines Wasserbeckens an einer Quelle. Da die Quelle, die das Becken speist, sich nahe einer Höhle voller Fledermäuse befindet, wird der Ort Tzinacapan –„Platz der Fledermäuse“ – genannt (Argueta 1994: 85; Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; Tzm 44 2.10.2007; Feldnotizen 7.11. 2011). Um 1800 kommen katholische Missionare und bringen die Religion, weswegen mit der Errichtung einer Kirche begonnen wird, heißt es: „Por allá en los años de 1800, fue cuando hicieron la Iglesia, en esas fechas empezaron la construcción. En esa época por aquí andaban los frailes católicos, aquellos religiosos. Ellos fueron los que trajeron la religión. Como no contaban con una Iglesia, sintieron la necesidad de tener una, fue cuando empezaron a construirla.“ (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; vgl. auch Argueta 1994: 86)

Betont wird, dass alle, selbst die Frauen mitarbeiten: „Dicen que cuando estaban construyendo la Iglesia ayudaron hasta las mujeres, así jovencitas iban a cargar un morral de arena, como en esa época había poca gente, entre todos se ayudaron, todos se apoyaron en la construcción de la Iglesia.“ (ibid.; vgl. auch Argueta 1994: 86) 161 Beispielsweise heißt es in der bereits genannten Broschüre „atepolihui“: „Se cree que los primeros asentamientos fueran totonacas en el año 200 a.C., lo que se demustra por las diez zonas arqueológicas que hay en la región. Estos construyeron los principales centros ceremoniales de la región como el Tajín, Yohualichan y Xiutetelco“ (NN 1 o.d.: 2).

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Das Vorhandensein von „vasos sagrados“ in der Kirche (zusammen mit ausreichend Land zur Versorgung der dort ansässigen 167 Haushalte), wird als ein Grund angeführt, eine, ebenfalls zu dieser Zeit forcierte, Ablösung von Cuetzalan zu legitimieren (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000). Warum ausgerechnet der Heilige Michael zum Schutzheiligen ernannt und der 29. September (und nicht der achte Mai, der ebenfalls mit dem Heiligen Michael assoziiert ist, vgl. Siegen 1957: 57-8) zum Tag des wichtigsten Festes von Tzinacapan wird, dazu findet sich kein Hinweis in den von Takachiualis gesammelten und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemachten Oraltraditionen. Auch über die Auswahl der anderen 24 oder mehr Heiligen und die Grundlagen ihrer Rangordnung162 wird nichts berichtet. Dabei ist der Schutzheilige – neben der Sprache –, nach Auffassung von Lourdes Báez (2004b: 8, 14), ein zentraler Faktor der Identitätsstiftung in der Sierra Norte. Besonders deutlich wird das in der weit verbreiteten Aussage, „cada pueblo se parece a su santo“ (ibid.: 14). Eine Begründung findet sich in einer anderen, erweiterten Version der Gründung der Gemeinde, wie sie Haly (1996: 528) wieder gibt: Der Heilige Michael hätte an der Stelle der „Fledermäuse am Wasser“ eine große Schlange getötet und so den Ort bewohnbar gemacht. Diese Erzählung ist insofern interessant, als es am Rande des Fußwegs zwischen San Miguel Tzinacapan und Cuetzalan, bis 2014, ein kleines, mittlerweile ausgetrocknetes Gewässer gibt bzw. gab, von dem berichtet wird (Tzm 13 6.2. 2006), dass dort eine große, menschenfressende Schlange, nämlich die Quetzalcóat lebe, die anderen Varianten zufolge, in einer Pyramide voller Mais eingeschlossen sei (Tzm 13 6.2. 2006) bzw. getötet wurde (Tz 7 10.2.2006). Dort befindet sich, laut Inschrift, 2001 (wieder) errichtet, auch ein kleines Häuschen mit einem Jesusbild, das die Grenze zwischen den beiden Gemeinden markiert (Feldnotizen 24. 9. 2013). Wenn man bedenkt, dass sich San Miguel zur Zeit der Kirchengründung bis zum Ende der Kolonialzeit von Cuetzalan distanziert (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000) und zu einem barrio des vergleichsweise weit entfernten San Juan de los Llanos/Libres wird, so gibt diese begriffliche Koinzidenz der (getöteten) Schlange mit der mit Cuetzalan in Verbindung stehenden Schöpfergottheit doch zu denken. Die Errichtung der Kirche in der Nähe einer Höhle und einer Quelle entspricht einer bewährten missionarischen Tradition, sind doch „[e]l Cerro, la cueva, el mantanial, el árbol, en fin, el sitio sagrado que en el México antiguo consagregó peregrinajes y rituales“ (Báez-Jorge 1998: 66-7), ihre bevorzugten Orte „para los propósotos de catequización“ (ibid.). Der Heilige Michael als Patron bietet sich insofern an, als dieser angeblich seine Heiligtümer „mit Vorliebe auf den Bergen“ (Siegen 1957: 65) wünscht und seine „erste und berühmteste Erscheinung“ (ibid.: 55) mit einer Höhle in Verbindung gebracht wird, in der er und die Engel künftig verehrt werden sollten. Dazu passend, gilt er unter den Indigenen von Cuetzalan gegenwärtig als einer der Herren der Blitze und oberster Beschützer der Menschen gegenüber dem Bösen, wobei Blitze mit den Engeln identifiziert, oft aber auch durch Schlangen symbolisiert 162 Zur Erinnerung: an erster Stelle steht der Heilige Michael, gefolgt von Àngel Custodio, dem Santo Niño, dem Heiligen Franz von Assisi, dem Santísimo, El Santo Entierro und San Ramos. Alle anderen Heiligen gelten laut Takachiualis als unbedeutend (Comisión Takachiualis/Centro de Investigación de Prade 2000; vgl. Kapitel IV. 3.3.3).

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werden und in Höhlen leben. Sie bringen einerseits Wasser, sind andererseits aber auch gefährlich (Lupo 1995: 248-251). Mit seinem flammenden Schwert kann der Erzengel Michael sowohl gegen diese ambivalenten Blitze vorgehen, als auch welche hervorrufen, wie er auch mit seinen Flügeln die Geschwindigkeit des Blitzes überwinden kann (Lupo 2001: 351; Báez 2004a: 85). Sein Fest Ende September, fällt darüber hinaus in eine Zeit, die dem vorkolonialen Monat huey pachtli (González Torres 1991: 32) oder auch teutleco („Ankunft der Gottheiten“) genannt, entspricht, der vom 20. September bis zum neunten Oktober dauert (Broda 2004: 40). In dieser Zeit gibt es (vor der Conquista) eine Reihe von Zeremonien in Verbindung mit der namensgebenden Ankunft der Gottheiten. Unter anderem erhalten die jungen Burschen, die die Altäre schmücken, von den Leuten Maiskolben. Dem zuerst erscheinenden jungen und daher besonders schnellen Gott Telpochtli werden getostete und gemahlene Meldensamen, vermischt mit Wasser oder Honig und zu Bällchen geformt, dargeboten. Die Ankunft der Gottheiten zeigt sich in einem Fußabdruck in einem Häufchen Maismehl (Sahagún 1989a: 92, 152-3), d.h. die in Mesoamerika allgegenwärtige Beziehung des Menschen zum Mais und zu anderen Lebensmitteln, zeigt sich auch bei diesem Fest. Darüber hinaus verkleidet sich in Zusammenhang mit den Opferungen von Sklaven zu Ehren der Ankunft des Handelsgottes Yiacatecuhtli, ein Bursche als Fledermaus (ibid.: 154) und somit in ein Tier, das, wie wir wissen, in unmittelbarer Beziehung zu Tzinacapan steht. Dazu kommt, dass der Monat Teutleco unter anderen auch der Göttin Xochiquetzal („Blumenquetzal“) gewidmet ist (Gonazález Torres 1991: 134), die in einem Mythos in Verbindung mit eben diesem geheimnisvollen, in Höhlen lebenden Wesen gebracht wird. Es heißt, der Gott Tezcatlipoca (in der mesoamerikanischen Mythologie ein Gegenspieler, aber auch ein anderer Aspekt von Quetzalcóatl) hätte eine Fledermaus zu ihr geschickt, damit diese ihr die Vulva abbeiße und ihm bringe (ibid.: 204). Einem weiteren vorkolonialen Mythos zufolge ist Xochiquetzal die Ehefrau des Regengottes Tláloc (dessen Reich tlalocan über Höhlen zu erreichen ist; vgl. dazu Broda 1997: 53), in anderen Versionen des Maisgottes Cintéotl. Verführt durch die Liebe hervorrufenden Blumen des Baumes xochitlicacan, betrügt sie ihren Mann mit Tezcatlipoca. Zur Strafe wird nicht nur das Paar, sondern es werden auch alle anderen Gottheiten, von den Schöpferwesen Tonacatecuhtli und Tonacatecihuatl aus tamoanchan, dem Paradies der Gottheiten, vertrieben. Daraufhin verwandeln sie sich in potentiell gefährliche Wesen, die tzitzimime, von denen einige auf die Erde, andere in die Unterwelt kommen (ibid.: 203). In tamoanchan, dem „país de la lluvia y de la niebla“ (Sahagún 1938: 98, zit. nach Quezada 1996: 29) das im Westen liegt, der Region, aus der die tzitzimime ursprünglich stammen, befindet sich darüber hinaus der weiße, reife Mais (während der junge, frisch gesäte Mais nach Osten, nach tlalocan geht) (Báez-Jorge 2000: 120-1, 143). In San Miguel gibt es nun eine Überlieferung über eine Figur, die stark an den, mit dem reifen Mais in Verbindung stehenden Schöpfergott Quetzalcóatl erinnert und auch eine Verbindung zu den tzitzimime aufweist, nämlich Sentiopil (der auch als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird), das Kind eines Kolibri 163 und einer tsitsimit, einer 163 Quezada (1996: 97) erinnert daran, dass der Kolibri ein Symbol des aztekischen Schutzgottes Huitzilopochtli als junger aktiver Sonne ist und folglich in enger Verbindung mit den jungen Kriegern steht, die die Sonne auf ihrem Weg über den Himmel begleiten.

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Kanibalin (Argueta 1994: 43, 44), einer Figur die an Xochiquetzal, vor allem aber die blutrünstige Erd- und Muttergottheit Coatlicue erinnert. 164 Von Sentiopil wird erzählt, dass er den Mais in einer Höhle aufbewahrt, von wo die Menschen ihn sich später holen (ibid.: 44-5). Die vorkoloniale Göttin Xochiquetzal,165 die in der lokalen Tradition mit Cuetzalan und Umgebung in Verbindung gebracht wird (siehe Fußnote in Kapitel IV.4.1), bietet also eine Reihe von Anknüpfungspunkten, die aufgegriffen und in vielfältiger Weise adaptiert werden können. Es lassen sich über sie und ihre Ehemänner, aber auch die dem Heiligen Michael selbst zugeschriebenen Eigenschaften und Fähigkeiten, vielerlei Bezüge zu Wachstum und Fruchtbarkeit (Mais und Blitze/Wasser) herstellen, ebenso wie zur lokalen Topographie (einer Quelle und einer Höhle mit Fledermäusen, wobei Höhlen, wie erwähnt, als Eingang in die Reichtum und Fruchtbarkeit spendende Region tlalocan/talokan dienen).166 In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant zu erwähnen, dass am Höhepunkt des Festes für den Heiligen Michael, am 29. September, auch für die Ernte des vorangegangenen Jahres gedankt wird (Knab 1991: 54). Anders als im Falle des Heiligen Franz, werden die Frucht bringenden Eigenschaften des Schutzpatrons von Tzinacapan allerdings nicht durch solche, die sich kommerzialisieren lassen (sei das bezogen auf den Anbau von Cash Crops, sei das im Tourismus), ergänzt. Im Gegenteil wird aus dem Jahr 2010 von einem Konflikt mit einem Fernsehteam berichtet, dem untersagt wird die (öffentlich zugänglichen) Feierlichkeiten Ende September zu filmen (Tzm 13 16.9.2013; URL 37; URL 38; URL Zeigt sich bereits in der Zeit vor der Conquista, in einigen Zeremonien ein Bezug zu ritualisierten sexuellen Beziehungen (deren Schutzgöttin Xochiquetzal ist) (ibid.: 99), so wird der Kolibri, nun bekannt unter dem Namen chupamirto, in der Kolonialzeit zu einem wichtigen Element der Liebesmagie (ibid.: 100). 164 Siehe dazu Báez-Jorges (2000: 217ff.) Wiedergabe der Interpretationen von Ziem zur mythischen Figur der Tepusilam bei den Nahuas von Durango, einem Wesen, das der tsitsimit San Miguels in vielerlei Hinsicht ähnelt. 165 Weitere Ausführungen zu Xochiquetzal, in denen ihre Verbindung mit Wachstum, Lebensmitteln und Fruchtbarkeit, aber auch zur Sexualität und Ausschweifung aufgezeigt wird, finden sich u.a. in Báez-Jorge (2000: 131-139). Resümierend hält er, mit Hilfe eines Zitats von Noemi Quezada (1996: 28-9), fest, dass sich in ihr drei Persönlichkeiten konzentrieren, nämlich die der großen Schöpfergöttin, die der vermittelnden Göttin und die der Liebesgöttin (Báez-Jorge 2000: 138). Quezada (1996: 28-9) schildert die „diosa de las flores y del amor“ (ibid.: 28), als mit der Schaffung der ersten Menschen in Verbindung stehend, wie auch als Vermittlerin zwischen den Gottheiten. Sie führt den ersten Geschlechtsakt, wie auch die erste Geburt durch. – U.a. berichtet Báez-Jorge (2000: 134), unter Verweis auf Durán, von einem Ritual, das in enger Verbindung mit der Weihung von Samen für die Maisaussaat steht. Und Irene Nicholson (1967: 116) sieht eine enge Beziehung zwischen Xochiquetzal und Quetzalcóatl als einem weiblichen und einem männlichen Prinzip, wichtig für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, auf der Grundlage des zentralen Elements Wasser. 166 Zur Bedeutung tlalocans/talokans und den Zusammenhang mit Regen und Erde, Bergen und Höhlen im historischen Mesoamerika, wie auch bei den rezenten Nahua der Region Cuetzalans, vgl. Knab (2009: 16-8, 21).

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39). Begründet wird das, von der eigens einberufenen Versammlung der Gemeindemitglieder, einem Bericht des Takachiualis nahestehenden Journalisten Eduardo Almeida Acosta (2010) zufolge, damit, „que no se valía que se filmaran sin más ni más las danzas que implicaban mucho esfuerzo y gastos para prepararlas. Que su finalidad no era para el turismo, sino para honrar al santo. Que la cultura del pueblo no se vende. Que la cultura es algo delicado y no se debe comercializar. Que el que se iba a beneficiar era un señor Azcárraga, un millonario que se ha enriquecido con la cultura de los pueblos indígenas.“

Im selben Artikel wird auf immer wieder stattfindenden abuso (Missbrauch, Übergriff) gegen die Gemeinde und Bevölkerung von San Miguel ebenso hingewiesen, wie auf den Versuch eines Kaffeeproduzenten sich das Wasser der Gemeinde anzueignen. Zwar erscheinen die genannten Konflikte als solche der Klassenzugehörigkeit,167 unterschwellig zeigt sich hier aber womöglich wieder (die Klassendifferenz ergänzend), das schon mehrmals festgestellte Spannungsverhältnis gegenüber dem mestizisch dominierten und stärker kommerzialisierten, übergeordneten Cuetzalan. Denn laut Haly (1996: 538-9), ist die Verehrung der Heiligen für die Einwohner_innen San Miguels eine alltägliche Angelegenheit, über die Identität „in contrast to the Cuetzaltecan ,other‘“ hergestellt wird. In der Verehrung der Heiligen lässt sich dabei ein öffentlich sichtbarer und im Grunde für alle zugänglicher und ein auf geladene Gäste der Verwandt- und Nachbarschaft beschränkter Bereich unterscheiden (zu dieser Differenzierung, vgl. auch Chávez Arellano 2009: 94). Während der allgemein zugängliche Teil des Festes in Cuetzalan wichtiger Bestandteil seines Tourismus-Konzeptes ist, ist das in San Miguel nur bedingt der Fall. Zwar nutzen die artesanía-Verkäufer_innen die Gelegenheit den anwesenden Schaulustigen ihre Produkte anzupreisen und zu verkaufen, das Fest selbst, als eine Art Gemeineigentum, soll aber nicht kommerzialisiert und vermarktet werden.168 Zumindest nicht, solange nicht gesichert ist, dass die Gemeinde als solche, nicht einzelne Personen oder gar das ungeliebte Cuetzalan, davon profitiert. In gewisser Hinsicht aber, kommt es auch in Tzinacapan im „öffentlichen Bereich“, zu einer Überschneidung von Indigenität aus lokaler und aus, in diesem Fall nicht einfach nationaler, sondern katholisch-nationaler Sicht, wobei Indigenität jeweils anders gedeutet wird. Denn im öffentlichen Ritual besteht laut Lupo (2001: 383-4), eine weit stärkere Kontrolle durch den katholischen Klerus und die nationale mestizische Gesellschaft, als das im privaten Kontext der Fall ist. Dabei fließen hier stark indigenisierte Sichtweisen und Interpretationen ein, wie in Hinblick auf die 167 Zu sehen als ein Klassengegensatz zwischen den in prekären Produktionsverhältnissen stehenden Gemeindemitgliedern, als Vertreter_inne_n der weitgehend besitzlosen Unterklassen, und einem, Land und andere Güter besitzenden, Millionär bzw. einem Kaffeeproduzenten, als Vertreter der Klasse der Unternehmer_innen, der danach trachtet ersteren auch noch eines der letzten lebenswichtigen Güter, das Wasser, wegzunehmen. 168 Vgl. hierzu auch die von Rodríguez Blanco (2011b: 123, Fußnote 4) wiedergegebene Aussage einer Frau in Tzinacapan: „Aquí no lo hacen comercial, aquí es tradicional, allí es un espectáculo [en referencia a Cuetzalan]“ (eckige Klammer im Original). Ähnlich äußert sich María: „Puro dinero allá“ (Tz 6 9.9.2013).

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vielfältigen Bedeutungen des lokalen Schutzheiligen ausgeführt wurde, die an der Oberfläche in ihrer Komplexität nicht so leicht erkennbar sind. Besonders deutlich wird die in der Öffentlichkeit präsente, aus indigener und mestizischer Sicht unterschiedlich gedeutete Religiosität, in den zu Ehren Gottes und der Heiligen dargebrachten Tänzen, die als Besonderheit der indigenen Bevölkerung der Region gelten. „Son todos indios“, ist die oft gehörte Feststellung der einheimischen Mestiz_inn_en Cuetzalans angesichts der Darbietungen. Für Mestiz_inn_en handelt es sich dabei um künstlerische Ausdrucksformen teils christlicher, teils heidnischer Legenden, für die Indigenen sind sie Teil der umfassenden Reziprozität zwischen Mensch und Kosmos und ein wichtiger Aspekt ihrer cosmovisión (Lupo 2001: 383; siehe unten). IV.4.3 Zentrale Merkmale der Feste Betrachten wir zunächst die Abläufe der Festlichkeiten und ihre differenzierte Zugänglichkeit genauer, um uns so ein Bild der Schaffung von (lokaler) Indigenität zu machen, bevor wir auf die Tänze und ihre Bedeutung eingehen. Die Comisión Takachiualis und das Centro de Investigación de Prade (2000) nennen zusätzlich zum Schutzpatron 24 imágenes, während Haly (1996: 549) 28 Feste im Jahr ortet, abgesehen von Taufen, Geburtstagen, Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten des Lebenszyklus. Auf meine Frage, wie viele mayordomías es gäbe, erhalte ich die Antworten, „vierzig“ (Feldnotizen 1.10.2007) und „fünfundreißig“ (ibid.), wobei die größeren Feste mehr als eine_n mayordom@ haben; im Falle des Schutzpatrons seien es zwei (ibid.; siehe Fußnote weiter unten). Zwar gibt es bestimmte Grundmuster, die sich bei fast all diesen mayordomías und anderen Arten von Festen finden, die Größe und damit der Aufwand aber, variieren beträchtlich. 169 So ist in die, mehrere Tage andauernden, Festivitäten für den Schutzpatron, den Heiligen Michael, die gesamte Gemeinde auf die eine oder andere Weise involviert und es kommen darüber hinaus Tänzer_innen und Besucher_innen aus den umliegenden Ortschaften und Weilern, wie auch aus Cuetzalan (und manchmal auch aus Mexiko Stadt), wie aus den folgenden Beschreibungen einiger, im öffentlichen Bereich stattfindender Aktivitäten, deutlich wird: „Vor mir geht eine kleine Prozession mit Räuchergefäß und zwei gelben Blumensträußen. Aus einer Seitengasse kommt eine zweite kleine Prozession mit bunten Blumensträußen. Beim Eingang zum Kirchhof bleiben sie stehen und warten. Nach einiger Zeit kommt von oben eine Gruppe, in der sich auch Musiker befinden. Sie gehen hinter der Kirche vorbei. Irgendwann ertönt Trommeln; die beiden wartenden Gruppen gehen in den Kirchhof. Eine andere Gruppe mit Trommlerinnen und Trompetern kommt von unten herauf, geht in den Kirchhof. Unter weiterer Musik und Krachern (wobei das Böllerschießen schon vor Tagen begann) kommen verschiedene Tanzgruppen. Alle begeben sich in den Hof; ein Teil der Leute geht in die Kirche. Die anderen, vor allem die Tänzer_innen, verstreuen sich. Aus den Lautsprechern wird die Messe übertragen. Teilweise in Spanisch, teilweise in Nahuat. Auch eine Frau und ein Kind sprechen. Marisa erzählt später, sie hätten ,la ropa del Santísimo‘ [Hier: Bezeichnung für den

169 Eine sehr detaillierte Beschreibung der mayordomías, vor allem aber der Feste des Lebenszyklus, der Nahua von Tequila (Veracruz), findet sich in Hülsewiede (1992).

208 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN Heiligen Michael] geholt. Die Leute sind alle aus San Miguel. Morgen […] kämen sie auch aus anderen Orten.“ (Feldnotizen 27.9.2007)

Dabei umfasst das Fest des Heiligen Michael nicht nur einen Tag oder zwei Tage mit Kirchgang, Prozessionen, Böllerschüssen, Tänzen und Musik. Vielmehr muss der Haushalt der_des künftigen mayordom@s mehrere kleinere und größere Gastmähler, letztere für mehrere Hundert Menschen geben, beginnend am 19. September, bis zum Hauptfest am 29. September und dem letzten in diesem Zeitraum abgehaltenen, um einiges kleineren Mahl, an dem u.a. der_die mayordom@ des Àngel Custodio und seine_ihre Helfer_innen teilnehmen, am 2. Oktober (Feldnotizen 21.9.-2.10.2013; San Miguel Tzinacapan 2013). Ein weiteres größeres Gastmahl findet am 20. November, dem Tag, an dem der Heilige Michael endgültig den Satan besiegt (Tz 7 20.9.2013; Tzm 10 28.9.2013), eines am sechsten Jänner des Folgejahres statt, wenn der Santísimo (in der im obigen Zitat genannten Bedeutung) in einer Prozession um die Kirche getragen wird (Tz 7 20.9.2013). Den Höhepunkt der mayordomía, stellt, wie gesagt, die bereits am 29. September stattfindende Ankunft des Heiligen im Haus dar. Zu diesem Anlass, gibt es ein besonders aufwändiges, weil festliches Essen mit Böllerschüssen, elaboriertem Festschmuck, Prozessionen, und einer Vielzahl von Tanz- und Musikgruppen aus San Miguel, wie aus den umliegenden Gemeinden und in neuerer Zeit auch solchen aus anderen Bundesstaaten (Feldnotizen 27.9.-1.10. 2007; 19.9.-2.10.2013; San Miguel Tzinacapan 2013). Das Hauptfest ist auch mit einem großen Feuerwerk, aufgrund des festungsartigen Gerüsts für die Feuerwerkskörper, als „Abbrennen des Schlosses“ („se queman el castillo“, Feldnotizen 30. 9. 2007) bezeichnet, verbunden (Feldnotizen 29.9.2007; 29.9.2013; San Miguel Tzinacapan 2013).170 2013 hat dieses an der Spitze, passend zum Namen der Gemeinde, die Form einer Fledermaus (Feldnotizen 30.9.2013). Daneben gibt es andere, weniger wichtige Anlässe, bei denen die Prozessionen und Messen keine besonderen Reaktionen seitens der nicht unmittelbar geladenen und beteiligten Personen hervorrufen, wie aus der Szene eines kleineren Festes, in das primär eine Familie und eine Tanzgruppe von negritos involviert sind, in Ajotzinapan erkennbar ist: „Unter Musik und Tanz […] geht’s zur Kirche. Die wenigen nicht tanzenden Gäste gehen mit – vorne einige Frauen (aber nicht die Hausfrau) mit dem Räuchergefäß. […] In der Kirche wird eine Reihe von Tänzen abgehalten, dann gehen alle Beteiligten, mit Kerzen und Blumen in den Händen, von einem Heiligenbild zum nächsten; die Kerzen werden anschließend vor dem Altar am Boden abgestellt. Die Tänzer_innen formieren sich wieder, der Bänderbaum wird hereingebracht, es folgt ein ruhiger, fast demütiger Abgang.“ (Feldnotizen 4.2.2006)

170 Dieses wird allerdings durch die Gemeinde – „donado por el pueblo“ – organisiert und finanziert (San Miguel Tzinacapan 2013). Darüber hinaus gibt es zwei mayordom@s für den Heiligen Michael: einen für den großen Heiligen in der Kirche, den San Miguel Arcángel und einen für den Àngel Custodio. Zwischen ihnen und noch einer Reihe anderer in die Festivitäten involvierter Familien teilen sich die Gastmähler und Kosten einerseits auf, andererseits gibt es auch parallel stattfindende Ereignisse (Feldnotizen 2013 lfd.; San Miguel Tzinacapan 2013).

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An diesen oft nur eintägigen Festen nehmen, wie oben geschildert, womöglich primär Leute aus Verwandtschaft und Nachbarschaft teil, es werden nur wenige Musikoder Tanzgruppen geladen, es gibt zwar Böllerschüsse (wenngleich in weit geringerem Ausmaß als bei den großen mayordomías), aber kein Feuerwerk und der Festschmuck reduziert sich auf den Vorplatz zum Haus, das Haus selbst und die Kirche samt Kirchhof (Feldnotizen 13.12.2003 et al.). Insbesondere Feste des Lebenszyklus und der Eingliederung in die Kirche, anlässlich von Geburtstagen, Taufen, Erstkommunionen und Firmungen, laufen oft nach einem derart einfachen Grundmuster ab, wenngleich die Zahl der geladenen Gäste hier ebenfalls enorm sein kann. Anders als bei den Festen zugunsten von Heiligen, werden in die „privaten“ Feste vermehrt „nationale“ Elemente integriert: indem mariachis und andere Bands für die Tanzmusik bezahlt werden, ebenso wie besondere Tanzgruppen aus anderen Regionen Mexikos eingeladen (und bezahlt) werden (während im herkömmlichen System die Musiker wie auch die Tänzer_innen außer einem oder mehreren Essen, je nach Dauer des Festes bzw. ihres Auftritts, keine Vergütung bekommen); indem es bei Geburtstagswie auch Firm- oder Hochzeitsfesten eine (gekaufte) Torte gibt, wobei das Geburtstagskind/das Brautpaar von der Torte abbeißen muss und die engeren Verwandten dabei versuchen Geburtstagskind/Brautpaar mit dem Gesicht in die Torte zu tunken (Feldnotizen 21.8.2004 et al.); indem es zu Geburtstagen eine piñata gibt, ein Konstrukt aus Papiermache, gefüllt mit Süßigkeiten, das aufgehängt wird; die Kinder versuchen dieses mit verbundenen Augen mit Hilfe von Stöcken zu zerstören um an die Süßigkeiten zu gelangen (Feldnotizen 21.8.2004). In Tzinacapan und Umgebung vergeht fast kein Tag, an dem nicht eine größere oder kleinere Feier stattfindet, sei es im Rahmen des Lebenszyklus, sei es zugunsten einer_eines Heiligen oder eines anderen Anlasses des christlichen Ritualkalenders. Insgesamt besteht eine sehr hohe Bereitschaft ein Fest auszurichten und der Andrang von Bewerber_inne_n, auch für die Abhaltung der großen und wichtigen mayordomías ist, wie erwähnt, groß. Zumindest wird mir 2004, von einem der Anwärter_innen mitgeteilt, dass sich eine Familie zwei bis drei Jahre vorher bewerben müsse, wenn sie die Ausrichtung des Festes für den Heiligen Michael übernehmen wolle und es eine Warteliste gäbe (Tz 7 und Tz 13 24.9.2007). Familien, d.h. Ehepaare werden bei der Ernennung zu diesem_dieser mayordom@, wie ebenfalls bereits festgehalten, aufgrund der geschlechterdualen Aufgabenverteilung (dazu, siehe unten), bevorzugt. In der Ankündigung zu den Festlichkeiten im Umfeld der mayordomía des Heiligen Michael im September 2013, werden folglich Familien als jeweils Verantwortliche, nicht, oder nur mit einer Ausnahme, Einzelpersonen genannt (San Miguel Tzinacapan 2013; Feldnotizen 30.9.2013). Kleinere Festlichkeiten hingegen werden auch an Einzelpersonen, beispielsweise unverheiratete Frauen mit Kindern, vergeben (Feldnotizen 3.2.2006). Nur einmal, 1992 wird das große Fest für den Schutzheiligen von einer Frau, genauer gesagt einer Witwe gesponsert (Haly 1996: 562, Fußnote 21). In der Regel beginnt ein Haushalt mit der Übernahme von kleineren mayordomías, um sich im Laufe der Jahre zu den größeren, prestigereicheren (aber auch aufwändigeren) „hochzuarbeiten“. Haly (1996: 552-3) gibt an, dass idealerweise nach der Heirat (tatsächlich der Gründung eines eigenen Haushalts, die oft Jahre später erfolgt) sieben mayordomías übernommen werden. Möglich ist die Durchführung der Vielzahl der stattfindenden Feste – der großen wie der kleinen –, wie bereits mehrmals angedeutet, nur durch ein funktionierendes, wenn auch kompliziertes Netzwerk

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gegenseitiger Hilfeleistungen und daraus resultierender Verpflichtungen über die Zeit (Haly 1996: 354), ganz dem Prinzip der „Gabe“ (Mauss 1978) entsprechend. Dabei greifen Frauen auf weibliche und Männer auf männliche Solidaritätsgefüge zurück, wie sie auch durch ihre Beiträge zu den mayordomías und Festen anderer Haushalte (die im Sinne der Gabe immer größer sein müssen als das, was sie dort konsumieren), aber auch im Alltag, durch Teilnahme an Gemeinschaftsarbeiten, durch den Austausch von Essen, etc., praktisch permanent solche wichtigen Bindungen schaffen und festigen (Haly 1996: 554).171 In den Worten von Haly (1996: 555), mit Fokus auf die Feste: „Festivals are vehicles through which people formalize relations to each other. The actual work of the festival is done in its performance: in order to serve the saints people must become indebted to each other“. IV.4.3.1 Ablauf einer mayordomía Die offizielle Nominierung eines_einer mayordom@ (bzw. einer Familie/eines Haushalts) erfolgt in jedem Fall am Feiertag der_des Heiligen, die Amtszeit beginnt mit der Übergabe der Heiligenstatue. Schon lange vorher fangen die Planungen an, in die mehrere Personen des Haushalts, beispielsweise das Vorstandsehepaar und die erwachsene, unverheiratete Tochter, involviert sind (Feldnotizen 26.9.2007 et al.). Nicht nur müssen die Aufwändungen überlegt und jeweils zuständige Personen gefunden werden – es gibt für alles madrinas und padrinos, angefangen vom Geschirr bis zum Feuerwerk (Feldnotizen 28.9.2013); die m/p/adrin@s der_des Heiligen werden allerdings nicht von den künftigen mayordom@s bestimmt –, entscheidend für das gute Funktionieren und damit die Erhöhung des Prestiges des betreffenden Haushalts ist die Auswahl der diputad@s. Diese sind diejenigen, die im Vorfeld die Arbeit organisieren und durchführen, während Hausherr und Hausfrau anderen Aktivitäten nachgehen. In der Regel werden auch hierfür Ehepaare bevorzugt. Für die große mayordomía des Heiligen Michael sowie den Àngel Custodio dürfen drei Paare ernannt werden, für kleinere nur eines, wenn überhaupt (Tz 7 26.9.2013). Entsprechend der geschlechtlichen Arbeitsteilung sind die Männer in der Regel primär mit den, mit dem Schmuck der Kirche verbundenen, Funktionen, sowie anderen in ihre Tätigkeitsbereiche fallenden Aufgaben betraut: Bereits vor dem jeweiligen Gastmahl muss ausreichend Brennholz besorgt und zerkleinert werden, eventuell muss auch Wasser bereitgestellt werden, der Hof gereinigt, ein Regen- bzw. Sonnenschutz, womöglich auch eine weitere Herdestelle errichtet, werden, der Festschmuck hergestellt und aufgehängt bzw. aufgestellt werden (Feldnotizen 23.-26.9.2007; 21.25.9.2013), Arbeiten, die als „Dienst an der Gemeinschaft“ (vgl. Feldnotizen 28.9.2007) gelten. Darüber hinaus müssen sich die Männer um die Ausstattung der häuslichen Räumlichkeiten mit Bänken und Tischen kümmern und, im Falle der mayordomía für den Schutzheiligen, rechtzeitig dafür sorgen, dass die Wege in die und in der Ortschaft instand gesetzt werden (Feldnotizen 17.9.2007). Und sie sind 171 Für das ausgeprägte System von Gabe und Gegengabe der Nahua am Balsas-Fluss, das selbst die Toten mit einschließt, vgl. Good Eshelman (1988: 82) sowie dies. (1994); für den Austausch mit dem Übernatürlichen bei den Nahua der Region um Cuetzalan, vgl. u.a. Lupo (2001: 379-80). Zu einer Kritik dieses Systems bei den Zapoteca in Mitla (Oaxaca), als eines, das zu unmäßiger Verschuldung und dem ökonomischen Ruin einzelner Familien führen kann, vgl. Dürr (1996: 222-8).

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natürlich auch für die Aufräumarbeiten nach dem Fest zuständig, angefangen vom Wegräumen der Tische und Bänke, bis zur Entfernung des Regen- und Sonnenschutzes (Feldnotizen 2.10.2007). Darüber hinaus sind sie den Frauen behilflich, wenn es darum geht einen schweren Topf vom Feuer zu heben u.ä. Auch die Verarbeitung der Schweine, die im Zuge größerer mayordomías, zusätzlich zu Hühnern und Truthähnen_hühnern, geschlachtet werden, fällt zu großen Teilen in ihre Kompetenz (Feldnotizen 29.9.2013). Die Frauen sind mit allen Vorbereitungen, Planungen, Durchführungen, Überwachungen und Aufräumarbeiten (wie Abwaschen, Reinigung des Hauses, etc.), der im Haushalt durchgeführten Aktivitäten, befasst. Zu den Tätigkeiten im Vorfeld zählen, neben der Organisation von ausreichend Lebensmitteln (neben Gewürzen, Reis und Kaffee insbesondere Mais zur Herstellung von tortillas), auch die Versorgung der hilfswilligen Männer, die mit dem Festschmuck und anderen, für das Ereignis zu erledigenden Dingen, beschäftigt sind, mit Essen und Getränken (Feldnotizen 27. 9. 2007; 19.9.-2.10.2013). Darüber hinaus sind sie für die Bereitstellung der Weihrauchgefäße und einen großen Teil des Beräucherns der Heiligen, ihrer Kleidung, der diese repräsentierenden Kerzen, wie auch des Festschmuckes mit Weihrauch zuständig (Feldnotizen 19.9.-4.10.2013 lfd.). Zum festlichen Gastmahl kommen Ehepaare oft, aber nicht immer, gemeinsam – der Mann mit einer Flasche Schnaps in der Hand, die Frau mit einer Henne, bzw. einer Truthenne oder einem Truthahn unterm Arm, und Mais, sowie Gewürzen und anderen Essenszutaten in der Tasche (bezogen auf letzteres, vgl. auch Haly 1996: 554; Feldnotizen 19.9.-2.10.2013 lfd.). Nach der Begrüßung des Vorstandsehepaars begeben sich die Frauen meist in die Küche, um dort bei der Zubereitung des Essens, v.a. der tortillas, und der Aufteilung in Portionen zu helfen. Die Henne oder Truthenne_der Truthahn wird, wenn auch nicht sofort, 172 geschlachtet, zerkleinert und gekocht und fließt so, wie auch die mitgebrachten Gewürze und anderen Dinge, in den allgemeinen Nahrungsfundus ein. Einige der Frauen in der Küche, insbesondere Verwandte und diputadas, sind womöglich schon seit dem Vormittag anwesend und arbeiten bereits viele Stunden, bevor der Großteil der Festgäste und die Musiker_innen bzw. die Prozession(en) mit der_dem Heiligen und den Tanzgruppen eintreffen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Viele der in der Küche Beschäftigten essen dort auch, trinken Bier, bleiben praktisch die gesamte Dauer ihres Aufenthalts in diesem Raum. Oder sie bleiben während der Essenszubereitungen in der Küche, gehen dann nach Hause und kommen später, zum im Haus der mayordom@-Familie stattfindenden Tanz, wieder zurück. Sie und alle anderen, die irgendwie in die Organisation des Festes involviert sind, bekommen ein „Jausenpackerl“ mit (Trut-) Hühnerfleisch und mole mit nach Hause. Je nach verwandtschaftlicher oder sozialer Nähe ist dieses größer oder kleiner (Feldnotizen 29. und 30.9.2007; 19.9.-2.10.2013 lfd.). 172 Die Vorbereitungen beginnen in der Regel einige Tage vor der Ankunft der Gäste, unter Mithilfe der diputadas. Zunächst müssen also (Trut-)Hühner aus dem eigenen Fundus, die immer auch solche inkludieren, die bei vorangegangenen Festen mitgebracht wurden, geschlachtet, Mais und Gewürze aus der eigenen Produktion, zu einem anderen Anlass von Besucher_inne_n mitgebracht bzw. am Markt erworben, verwendet werden. Beim nächsten Anlass kann dann wiederum auf Gaben des zuvor abgehaltenen Gastmahls zurückgegriffen werden (Tz 7 20.9.2013).

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Der Hausherr und seine diputados sind während der Mahlzeit mit dem Servieren des Essens und dem Abservieren des schmutzigen Geschirrs beschäftigt, eventuell unterstützt von einer der Hausbewohnerinnen oder auch einem der, mit dem Haushalt, zum Beispiel über eine compadrazgo-Beziehung (siehe Kapitel V.4.1), näher verbundenen männlichen Gäste. Später, wenn schon alle gegessen haben, gehen er, aber auch seine Frau, sowie jene Gäste, die zum Dank für ihre Hilfe eine Flasche Schnaps erhalten haben, mit einer Flasche und einem Glas herum, um den Besucher_inne_n von dem Alkohol anzubieten. Es besteht die Verpflichtung das Getränk mit anderen Gästen zu teilen und die Flasche zu leeren. Das sei costumbre, erklärt eine Frau (Feldnotizen 30.9.2013). Zu später Stunde, wenn die meisten Besucher_innen schon gegangen sind, kann das unter Umständen ein schwieriges Unterfangen sein, das womöglich zu starker Alkoholisierung der im Hause Verbliebenen führt (ibid.). Oft gibt es auch refresco (gekaufte kohlensäurehältige Limonade) und Zigaretten. Während in manchen Berichten (z.B. Stephen 2005: 258ff. für Teotitlán del Valle) auf die strenge räumliche Geschlechtersegregation hingewiesen wird, wird diese, bei den von mir besuchten Anlässen, nicht besonders streng eingehalten (siehe auch Kapitel VI.1.1.4). Es ist üblich, dass die Männer aus der näheren Verwandtschaft ihr Essen in der Küche erhalten; nicht geladene Gäste oder solche, die nicht der Gemeinschaft angehören und somit auch nicht in die Arbeits- und Austauschverpflichtungen eingebunden sind, wie auch sämtliche Tänzer_innen und Musiker, erhalten ihr Essen hingegen, unabhängig vom Geschlecht, im Hauptraum. Dabei erfolgt die Bewirtung gruppenweise, eventuell, aber nicht notwendig nach Geschlechtern differenziert: die ersten, die eintreffen, 173 werden gebeten an den aufgestellten Tischen und Bänken Platz zu nehmen, bekommen zunächst Kaffee, anschließend das traditionelle Festmahl Truthenne/hahn (oft aber auch Huhn) mit mole und tortillas. Sobald alle mit dem Essen fertig sind, erfolgt der Wechsel: Plötzlich, wie auf Kommando, stehen alle auf und machen Platz für die nächste Gruppe. Nicht aus der Gegend stammende Gäste fallen dadurch auf, dass sie zunächst sitzen bleiben und erst vom Hausherrn oder einer anderen Person gebeten werden müssen, den Platz zu räumen. Die, die bereits gegessen haben, reihen sich entweder an der Wand auf (wo zuvor die sitzen, die auf ihre Bewirtung warten), gehen vors Haus, oder auch zwischenzeitlich (falls sie in der Nähe wohnen) nach Hause (Feldnotizen 2.2.2005 et al.). Noch bevor alle mit dem Essen fertig sind, machen sich die Mitglieder der geladenen Musikgruppe(n), die natürlich ebenfalls an der Mahlzeit teilgenommen haben, zum Spielen bereit und beginnen mit ihren Darbietungen. Schließlich werden Tische und Bänke weggeräumt und es beginnt der Tanz (vgl. Feldnotizen 3.2.2005; 13.10.2013). Im Falle der großen mayordomía ist dieser allerdings nicht im Haus der_des mayordom@, sondern in der großen Halle gegenüber der Kirche (Feldnotizen 29.9.2007, 30.9.2007; 29.9.2013). Bei den Tänzen, die im Haus stattfinden, gibt es eine ganz bestimmte Reihenfolge, in der die Hauptakteur_inn_e_n des Festes zur Eröffnung des Tanzes aufgefordert werden,174 ebenso wie eine vorgegebene Reihenfolge der Tänze (Feldnotizen 2.2.2005 et al.). Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Typen von Tänzen unterscheiden, nämlich 173 Im Falle einer mayordomía sind das in der Regel Tänzer_innen, die zunächst vor dem Hausaltar ihre Darbietungen machen. 174 Zunächst tanzen in der Regel die compadres; siehe dazu auch Kapitel VI.1.1.4.

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„einen bei dem das Paar zusammentanzt, und einen, bei dem sie sich gegenüber stehen und dann die Plätze tauschen“ (Feldnotizen 2.2.2005). Begonnen wird mit dem zweitgenannten: „Anfangs beginnt der Tanz immer mit einem langsamen Stück, bei dem sich Mann und Frau gegenüberstehen, dann die Seite wechseln. Das nächste Stück ist schneller, der Tanz eine Art Walzer, und das folgende noch schneller, so dass sich die Tänzer_innen vor allem auf das schnelle Auf- und Abbewegen eines Armes und die Bewegung im Raum konzentrieren.“ (Feldnotizen 15.9.2007)

IV.4.3.2 Der Wechsel zwischen einem, allgemein und einem nur geladenen Gästen zugänglichen Bereich In der Durchführung der mayordomías und anderer Feste zeigt sich ein permanenter Wechsel zwischen jenen Aktivitäten, die in der Öffentlichkeit – auf den Straßen, vor und in der Kirche – stattfinden, und jenen, die im und um das Haus der mayorom@s (und anderer dueñ@s) erfolgen und somit nur einem begrenzten Publikum zugänglich sind, geladenen Gästen, die unmittelbar Teil der sozialen Netzwerke der Veranstalter_innen sind und das Gelingen dieser hoch komplexen Veranstaltungen erst ermöglichen. Der große Tanz im Zuge des Festes für den Heiligen Michael im Jahr 2007 findet zwar – allgemein zugänglich – in der großen Halle der Gemeinde statt. Wie von Stephen (2005: 151) für die 1950er, 1960er Jahre für Teotitlán del Valle festgestellt, nehmen jedoch auch in San Miguel, bedingt durch die fortgeschrittene Stunde und die fehlenden Unterkunfts- wie auch Transportmöglichkeiten, praktisch nur Mitglieder der Gemeinde und wenige bis gar keine außenstehenden Personen, wie Tourist_inn_en, daran teil. Damit erweist sich selbst die große mayordomía San Miguel Tzinacapans als Fest der Gemeinde, zur Schaffung lokaler Identität und Gemeinsamkeit, abseits der nationalen und cuetzaltekisch-mestizischen Bestrebungen der Forcierung einer tourismusfördernden nationalen Indigenität. Der ständige Wechsel zwischen allgemeiner und begrenzter Zugänglichkeit (vgl. dazu Chávez Arellano 2009: 94) als Ausdruck der Schaffung lokaler Zugehörigkeiten und Verbindlichkeiten, wie auch die gemeinschaftliche Verantwortung der gesamten Gemeinde und darüber hinaus, für das Gelingen des großen Festes für den Heiligen Michael, zeigt sich auch in der Art und Weise, wie die Aufführung der Tänze organisiert ist. So gibt es in jedem Gemeindedistrikt mehrere Haushalte, die zumindest eine Tanzgruppe „spenden“ – alle Männer mit cargo bzw. deren Haushalte wären dazu verpflichtet, wird mir erklärt (Tzm 10 27.9.2007). Diese „Spende“ beinhaltet die mehrmalige Bewirtung der Tänzer_innen und der zugehörigen Musiker_innen im Haus, wobei diese in ähnlicher Weise, wie die bei den oben beschriebenen Gastmählern, stattfindet. Nach dem Essen gibt es jedoch keinen allgemeinen Tanz, sondern eine Darbietung der Tanzgruppe, in der Regel verbunden mit Belehrungen und Ermahnungen für die, zum Teil noch sehr jungen Tänzer_innen.175 Im Anschluss tanzt 175 Die jüngsten Tänzer_innen – und es tanzen in der Praxis Mädchen wie Burschen, trotzdem die „Tanzmeister“ oder caporales oftmals betonen, nur Burschen bzw. Männer würden tanzen – sind vier oder fünf Jahre alt, die ältesten 50 bis 60. Es sind allerdings in der Regel junge Frauen, die aktiv an einer Tanzgruppe teilnehmen, oft eine Enkelin oder andere Verwandte des caporal (z.B. Tz 101). Auch unter den Männern ist die Zahl der älte-

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die Gruppe am ersten Tag in Richtung Kirche, in den Hof und in das Gottesgebäude hinein, nach vor zum Altar. Am nächsten und am übernächsten Tag wiederholt sich die Prozedur, allerdings wird, nach der Ankunft bei der Kirche und der Fortführung des Tanzes im Kirchhof, in der stattfindenden Prozession um das Gebäude getanzt, weiter in die Kirche und schließlich zum Haus der_des mayordom@. Stundenlang sind die jungen (und auch älteren) Menschen in Bewegung, je nach Wetter und Tageszeit bei Hitze oder Kälte, auch im strömenden Regen, mehrere Tage hintereinander (Tzm 13 4.2.2006; Feldnotizen 27.9.2007 lfd. et al.), „para Díos“ (Tzm 13 4.2.2006), wie mir erklärt wird. Die Verpflichtung, auf den Festen aller wichtigen Heiligen der Region aufzutreten, kann die betreffenden Personen bis zu über 30 Tage im Jahr von ihren sonstigen Aktivitäten fernhalten, wobei hier die Vorbereitungen und Herstellung der Trachten, 176 sowie die Proben nicht eingerechnet sind (Lupo 2001: 377). Die Tänze selbst erzählen, mit wenigen Ausnahmen (siehe unten, Kapitel IV.4.5), jeweils über die Tage hinweg, eine Geschichte. Darin enthalten ist das Töten des, mit der jeweiligen Tanzgruppe assoziierten Tiers oder eines anderen Wesens: im Falle der negritos ist das eine Schlange, bei den toreros ist es ein Stier; bei den miguelitos wird nicht das, dem Heiligen Michael zugeordnete, Pferd, sondern der Teufel getötet und die santiagos, die eine spezifische Variante der Vertreibung der Mauren durch Santiago (d.h. den Heiligen Jakob, Schutzpatron Spaniens) von der Iberischen Halbinsel, vermischt mit dem Tod Christi und Gottes Zorn auf Pontius Pilatus wiedergeben, töten die mit ihnen tanzenden pilatos (Feldnotizen 28.9.2007; Tz 16 28.9.2007; Tzm 48 28.9.2007; Feldnotizen 29.9.2007; Tz 7 29.9.2007; Feldnotizen 26.-30.9. 2013; zur Geschichte der santiagos, vgl. Kodros 2007: 7; zu den Tänzen und ihren Bedeutungen, siehe Lupo 2001: 380ff.).177 IV.4.4 Aspekte von Indigenität im öffentlichen, allgemein zugänglichen Bereich Am Beispiel der zuletzt genannten santiagos lässt sich die genannte unterschiedliche Deutung öffentlich sichtbarer Religiosität besonders anschaulich demonstrieren. Von den Spanier_inne_n eingeführt, zeigt der Tanz dieser Gruppe auf den ersten Blick, die Auseinandersetzung zwischen Christ_inn_en und Maur_inn_en, als Kampf des Guten gegen das Böse, der gläubigen gegen die ungläubigen Menschen, in der Sicht der spanischen Eroberer, der Spanier_innen gegen die Indigenen (zu dieser Interpreren eher gering; anders als Frauen, tanzen Männer häufig auch nach der Heirat noch einige Jahre weiter (z.B. Tzm 16). 176 Tanztrachten müssen jährlich erneuert werden. 177 Das (meist aus Holz gefertigte) Tier muss zuvor ein Jahr lang gefüttert werden: die Schlange täglich mit einem Ei, der Teufel mit sieben Stück Fleisch (sonst stirbt jemand bei einem der Feste), das Pferd muss mit Mais, Wasser und Salz versorgt werden (sonst schwillt die Kehle dessen, der es aufbewahrt [Tzm 48 28.9.07]). Der Stier erhält, ähnlich dem Pferd, Mais, Wasser u.a. (Tzm 48 28.9.2007; Tzm 16 1.10.2007; Tzm 44 2.10.2007; zur Versorgung des Pferdes, vgl. auch Feldnotizen 29.9.2013). Während des Tanzes der negritos liegt die Schlange unter dem Altar; auf dem Altar befinden sich ein Becher Wasser und ein Ei (Feldnotizen 4.2.2006 et al.).

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tation vgl. auch Méndez 2009: 354). Umgekehrt zur spanisch-kolonialen Deutung, sind es in der Sicht der maseualmej die Indigenen, die, im Gegensatz zu den Mestiz_inn_en, das eigentliche Christentum, die wahre, weil uralte, Spiritualität repräsentieren (Lupo 1996: 275; ders. 2001: 181; Tzm 55 3.10.2013). In ihrer Variante erhält der Heilige Jakob – nach Lupo (2001: 281) als Sohn des Donners bezeichnet –, darüber hinaus die Eigenschaften als Herrscher des Blitzes, dem eine Reihe von himmlischen Gehilfen unterstehen, die die atmosphärischen Kräfte kontrollieren. Mit Hilfe seines Pferdes, seiner Lanze und einem Reifen ist er zusätzlich in der Lage, verlorengegangene Seeleneinheiten einzufangen und so zur inneren Einheit des Menschen und seiner Gesundheit beizutragen (Lupo 2001: 280ff.). Ähnliche differente Interpretationsweisen ermöglicht der besonders öffentlichkeitswirksame (und daher im Sinne der „nationalen“ Indigenität tourismusrelevante) Tanz der voladores, der in der Regel nur bei größeren Feierlichkeiten, wie der mayordomía des Schutzheiligen, oder in der Karwoche, aufgeführt wird. Aramoni Burguete (1990: 199-200) unterscheidet bei diesem, bereits aus der vorkolonialen Zeit bekannten, Ritual, drei Stufen, nämlich die Vorbereitung d.h. die Suche, Reinigung und das Aufstellen eines 30 Meter hohen Pfahls im Vorhof der Kirche, einige Tage vor dem Fest; eine weitere Reinigung des Pfahls wie auch der Tänzer_innen am Vorabend; und schließlich, am Haupttag der Feierlichkeit, das eigentliche Ritual mit seinem Höhepunkt, dem „Flug der voladores“. Entsprechend den Richtlinien von Gabe und Gegengabe werden sowohl im Wald, von wo der Baum für den Pfahl geholt wird, als auch in der Erde im Vorhof des Kirchhofs, wo er aufgestellt wird, Opfergaben, im zweiten Fall bestehend aus einem lebenden Truthahn, Getränken, Chili ancho, Mais, Blumen, u.a., unter Räuchern mit copal, eingegraben (vgl. auch C 16 und Cm 16 24.9.2013; Feldnotizen 10.10.2013; Tz 19 17.10.2013). Die Gaben an die Erde seien notwendig, sonst geschehe ein Unglück, erklärt Marisa (Tz 19 17.10.2013). Für einige Jahre ist der hölzerne Pfahl – wie es heißt, aus ökologischen und sicherheitspolitischen Gründen – in einigen Orten, darunter auch Tzinacapan, durch einen aus Metall ersetzt und es fällt der Besuch im Wald und damit auch das dortige Opfer an die Erde weg (Rodríguez Blanco 2011b: 121-2). 2012 aber wird erneut ein Holzpfahl, zusätzlich zu dem aus Metall, aufgestellt und es werden alle damit einhergehenden Rituale eingehalten.178 Am Pfahl selbst befindet sich an der Spitze (von ca. 30 Zentimeter Durchmesser) eine drehbare Plattform und ein ebenfalls drehbares quadratisches Gerüst, das in mit Tänzer_innen besetztem Zustand, an ein volles Storchennest erinnert. Vier Seile, deren Enden von den voladores vor dem Flug mit einer Schlinge um den Bauch oder die Beine gelegt werden, sind um das Holz bzw. das Metall innerhalb des Rahmens gewickelt (Feldnotizen 28.9.2007 et al.). Am Abend vor dem Höhepunkt (und Ende) des Festes, versammeln sich die fünf, manchmal auch sieben oder neun Tänzer_innen, zusammen mit den anderen Tanzgruppen im Kirchhof, um sich an den Prozessionen um und in die Kirche zu beteiligen. Ihre Darbietung stellt eine Art Höhepunkt vor dem Wiedereintritt des Àngel 178 Im ersten Jahr wird die Entfernung zwischen den beiden Pfählen zu knapp bemessen und es kommt zu einem folgenschweren, mit schweren Verletzungen endenden Zusammenstoß zweier voladores beim Flug durch die Luft (Mf 1 15.9.2013; vgl. auch Voladores San Miguel Tzinacapan 2012).

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Custodio und der beiden Statuen des Heiligen Michael in die Kirche dar (Feldnotizen 28.9.2007 et al.). An mehreren Tagen tanzen sie zunächst vor dem Schutzheiligen, dann vor dem bzw. um den Pfahl, um diesen schließlich, über die daran angebrachten Steighilfen, zu erklimmen (falls es mehr Tänzer_innen als fünf sind, beginnen zunächst fünf, die restlichen steigen erst später, sobald auf der kleinen Plattform Platz ist, hinauf). Der Anführer (caporal), ausgestattet mit Flöte und kleiner Trommel, stellt sich in die Mitte, die anderen setzen sich auf die vier Seiten des Gerüsts. Der caporal, der einerseits das Zentrum, andererseits die Sonne repräsentiert, beugt sich zunächst rückwärts, mit dem Gesicht nach oben, Flöte spielend und trommelnd, schließlich, in mehreren Runden, in die vier Himmelsrichtungen, um diese zu begrüßen. Anschließend lassen sich die vier voladores nach hinten fallen, mit dem Kopf nach unten, die Arme ausgebreitet wie Flügel, sich mit den Beinen am Seil festklammernd. Das Seil wickelt sich langsam vom Pfahl ab, wodurch eine gleichmäßige Rotationsbewegung entsteht; die entstehende Fliehkraft treibt die voladores nach außen (Feldnotizen 17.9.2007 et al.). Falls es weitere Tänzer_innen gibt, so lassen sich diese (mit dem Kopf nach oben, die Beine nach unten) an jeweils einem der bereits weitgehend abgewickelten Seile hinuntergleiten, wobei sie manchmal in mittlerer Höhe kurz, einen Arm vom Seil weggestreckt, das Gesicht nach oben gerichtet, verweilen und so zur Ästhetik des eindrucksvollen Schauspiels beitragen. Auch der caporal kommt auf diese Weise nach unten. Insgesamt werden von den „Fliegenden“ dreizehn Rotationen vollzogen, was multipliziert mit der Zahl vier, der, im mesoamerikanischen Kalender besonders wichtigen, Zahl 52 entspricht.179 Ist das Seil abgewickelt, drehen sich die kopfüber hängenden Tänzer_innen um, um schließlich, mit einem eleganten Sprung, am Boden zu landen (Feldnotizen 29.9.2007 et al.). Lupo (2001: 381-2) betont das in der Drehung der Seile verkörperte Symbol der Spirale (das sich auch in den Tänzen der quetzales und anderer Gruppen findet). Diese erinnert an das vorspanische Konzept des malinalli/ollin,180 der Schraubbewegung kosmischer Energien, die Zeit und Raum vereinigt. Gegenwärtig wird diese als eine Art von Kraft verstanden, die in der Lage ist, die heiße und leuchtende Energie – in der Sonne und in den Blitzen – zu befreien, die die Welt belebt. Die Spirale zeigt den Zyklus des Lebens, Anfang und Ende eines Zeitalters und somit Ewigkeit und Unwandelbarkeit, Wachstum und Dauerhaftigkeit. Spiralförmig ist die Nase des alten, vorkolonialen Regengottes Tláloc; das spiralische Muschelhorn ist das Kennzeichen des Windgottes Ehecatl-Quetzalcóatl. Spiralig auch ist der Weg im Zentrum der Welt, Domäne des Feuergottes, der die verschiedenen Weltenrichtungen und -ebenen miteinander verbindet (Zuckerhut 2007: 77-8). Der Haarwirbel (kuamalakach) auf 179 Alle 52 Jahre überschneiden sich der vorkoloniale Sonnen- und Wahrsagekalender. Daher werden zu diesem Termin im precortesianischen Mesoamerika alle Feuer gelöscht, um dann in einer eindrucksvollen Zeremonie wieder entzündet zu werden. Die Welt ist vor dem Untergang gerettet, ein neuer Zyklus von 52 Jahren beginnt (Sahagún 1989b: 486492). 180 Lupo spricht hier und anderswo (ibid.: 350-1) ausdrücklich von malinalli. Dieses alte Kalenderzeichen hat üblicherweise die Bedeutung von „hartes/stechendes Gras“ (Sahagún 1989b: 890), im Wörterbuch von Siméon (1977: 251) allerdings darüber hinaus auch „Schlingpflanze“, Liane, während ollin Bewegung zum Ausdruck bringt (ibid.: 354 ; Sahagún 1989b: 896).

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der Höhe des Scheitels, gilt bei den heutigen Nahua der Region um Cuetzalan, als Sitz der intellektuellen Energie des Menschen (Lupo 2001: 381). Vorkolonial gelten Kinder mit zwei Wirbeln als besonders geeignete Opfer, um Regen zu erbitten. Atmalin, die Verwalterin der Wasserreserven im heutigen Cuetzalan, trägt die Spirale, den Wirbel in ihrem Namen (Lupo 1995: 251-2). Andere Deutungen heben besonders die, im Ritual ausgedrückte, Harmonie des Kosmos hervor, eines Kosmos, mit fünf Himmelsrichtungen (symbolisiert in den fünf Tänzer_inne_n) und drei Weltenebenen – der himmlischen mit dreizehn Geschoßen (iluikak), der irdischen (taltikpak) und der neungeschoßigen Unterwelt (talokan). Aramoni Burguete (1990: 203) beispielsweise, sieht in der Drehung den Ausdruck der notwendigen Energie zur permanenten (Wieder-)Herstellung dieser kosmischen Ebenen. Seitens der lokalen Bevölkerung werden sämtliche in der Forschung genannten Assoziationen bestätigt und darüber hinaus eine Verbindung zu El Tajín hergestellt (Tzm 10 7.8.2004; Tz 13 8.8.2004; Tzm 41 7.2.2006), wobei unklar ist, ob sie sich dabei nicht auf Informationen von Anthropolog_inn_en und/oder aus dem Radio stützt. Aufgrund der enthaltenen Symbolismen bietet der „Flug der voladores“ also eine Bandbreite von Möglichkeiten, Aspekte der indigenen cosmovisión, als einem Austausch zwischen der menschlichen und der übernatürlichen Welt, zugunsten einer allumfassenden Harmonie (entsprechend der Schaffung einer „Indigenität von unten“), zum Ausdruck zu bringen. In seiner Kunstfertigkeit und Gefährlichkeit liefert er darüber hinaus Anknüpfungspunkte für die „nationale“ Indigenität, wie sie im Tourismus genutzt wird. Die Tänzer_innen trennen diese beiden Formen. Anlässlich der Feste führen sie ihre Darbietungen unentgeltlich, para Díos durch. Einige der Gruppen, und zwar speziell jene, die vorwiegend aus Mestiz_inn_en zusammengesetzt sind, gehen darüber hinaus im Sommer, als der Epoche, in der die meisten Tourist_inn_en zu erwarten sind, besonders an Wochenenden und Markttagen, ins Zentrum von Cuetzalan und machen spezielle Aufführungen für die dort zu findenden, potentiell zahlungsfähigen Gäste. Im Zuge dessen sammeln sie Geld ein (Feldnotizen 3.10.2013 et al.; Rodríguez Blanco 2011b: 121ff.). Rodríguez Blanco (2011b: 127) hebt hervor, dass von den, erst in den letzten zwei Jahrzehnten zugelassenen, weiblichen volador@s nur jene, die aus Cuetzalan (nämlich aus dem „barrio de los voladores“ Cuapech) stammen, zum Zwecke des Gelderwerbs „fliegen“ und höchstens ausnahmsweise jene aus Tzinacapan. Darüber hinaus handle es sich bei den cuetzaltekischen „Fliegerinnen“, die gegen angemessene Bezahlung auch in anderen Regionen des Landes auftreten, um Mestiz_inn_en, nicht um Indigene (vgl. auch Tz 13 9.10.2013).181 Eine derartig offensichtliche und offensive Kommerzialisierung, wie sie bei einigen voladores zu finden ist – männlichen wie auch weiblichen, mestizischen und vermutlich auch einigen indigenen –, findet sich ansonsten nur bei den quetzales, deren Aufführungen ähnliche Anknüpfungspunkte, wenn auch nicht ganz so spektakulärer Natur, für die beiden Formen von Indigenität bieten. Auch diesem Tanz wird ein vorspanischer Ursprung und ein Zusammenhang mit dem Sonnenkult nachgesagt (Burton 2004; URL 24). Die kalendarisch bedeutsame Zahl 52 äußert sich hier in der 181 Das von ihr hierfür angeführte Kriterium, die (Un-)Kenntnis des Nahuat, ist allerdings zweifelhaft.

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Zahl der durchgeführten Tanzweisen. Touristisch relevant ist vor allem der Kopfschmuck der Tanzenden, ein riesiges buntes Gebilde, das an ein Rad erinnert und das die Federn des Quetzalvogels repräsentiert. In seiner Schönheit und Farbenpracht dient er als Logo der Stadt Cuetzalan, wiedergegeben auf Websites, Broschüren, Taschen, Schlüsselanhängern, u.v.a.m. (Feldnotizen 2003-2013). IV.4.5 Die Teilnahme in einer Tanzgruppe, als Erfüllung eines religiösen cargos Ist die Übernahme einer (großen) mayodomía in Tzinacapan, allen damit verbundenen Unkosten zum Trotz, nach wie vor attraktiv bis hoch begehrt, so gilt das umso mehr für die Teilnahme in einer der Tanzgruppen.182 Es gibt kaum einen Haushalt, in dem nicht ein Tänzer_eine Tänzerin zu finden ist; fast alle erwachsenen Männer waren zumindest in ihrer Jugend in einer der zahlreichen Gruppen aktiv. Das heißt, junge Männer (und oftmals auch Frauen) treten heute offensichtlich nicht über das Amt des topil ins politisch-religiöse System ein, sondern nahezu ausschließlich über den Tanz. Die Hintergründe dafür sind vielfältig, zum einen, ähnlich der Übernahme einer mayordomía spiritueller Natur, aufgrund eines Gelübdes, um sich das Wohlwollen bestimmter Heiliger oder anderer übernatürlicher Wesen zu sichern, oder aber ihnen den Dank für bereits erwiesene Dienste zu versichern (Haly 1996: 536; Lupo 2001: 377). Zum anderen ist eine gewisse „Vorbestimmung“ insofern gegeben, als Söhne, gegebenenfalls auch Töchter und Enkelkinder von caporales de danzas oder auch einfachen Tänzer_inne_n dazu tendieren, ebenfalls einer Tanzgruppe beizutreten (Lupo 2001: 377; Feldnotizen 4.2.2006; 27.9.2007). Immer häufiger jedoch heißt es seitens der (jungen) Tänzer_innen einfach, sie würden teilnehmen, „porque me gusta“ (Rodríguez Blanco 2011b: 124). Die Möglichkeit im nahegelegenen Cuetzalan damit auch noch Geld zu verdienen, mag diese Motivation vor allem für künftige voladores wie auch quetzales noch weiter fördern. Die Verpflichtung zu tanzen gilt, wie zu Beginn des Kapitels erwähnt, für mindestens sieben Jahre; die meisten jungen Leute beenden aufgrund des hohen Zeitaufwands und der starken physischen Beanspruchung, nach ein oder zwei Siebenjahresperioden ihren Dienst.183 Eine mögliche Partizipation am touristischen Geldsegen ist so gesehen, nur von begrenzter Dauer.

182 An die fünfzehn Tanzgruppen gäbe es in San Miguel, wird mir erzählt, mit über 500 Mitgliedern (Tzm 9 22.7.2004). 2013 sind es 16, darunter auch eine ganz neu gegründete. Da der Andrang so hoch ist, sind auch die Gruppen dementsprechend groß; manche zählen über 50 Mitglieder, heißt es (Feldnotizen 21.9.2013; Tzm 10 1.10.2013; Tzm 54 1.10. 2013). 183 Z.B. Tzm 10, Tzm 13, Tzm 48, et al.

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IV.4.6 Zusammenfassung und ergänzende Bemerkungen In den Tänzen wie in den mayordomías offenbaren sich, wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, einige der grundlegenden Spannungen und Differenzen der Region, wie sie sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach herausdifferenzieren (siehe Kapitel IV.2.1, IV.3.2 und IV.3.3). Zum einen sind das solche, die zwischen dem mehr und mehr mestizisch dominierten Cuetzalan und dem weiterhin indigen geprägten Tzinacapan (wie auch anderer Gemeinden und Ortschaften der Umgebung) prägend werden, zum anderen, beginnend in der Kolonialzeit, jene zwischen einem spanisch-europäischen Katholizismus und indigenen Ausformungen des Christentums, im Anschluss an die Unabhängigkeit von Spanien, spätestens im Gefolge der mexikanischen Revolution. 184 Wesentlich verstärkt werden die Differenzen durch den Tourismusboom der letzten Jahre, sowie einem, in den 1990er Jahren an Bedeutung gewinnenden, „Diskurs der Indigenität“, mit einer nationalen und einer lokalen Version von Indigenität.185 Das religiöse wie auch das politische System der Region ist dabei in seiner Gesamtheit stark durch historische Ereignisse der spanischen Eroberung, später des Eindringens nicht indigener, nach anderen wirtschaftlichen Prinzipien agierenden Bevölkerungsschichten und ihrer wachsenden ökonomischen (und politischen) Hegemonie, geprägt. Um die Bildung einer einheitlichen Nation voranzutreiben ist, wie in Kapitel IV.3.2 und IV.3.3 aufgezeigt, die Regierung des neu geschaffenen mexikanischen Staates bestrebt, das politische vom religiösen System zu trennen, ersteres zu übernehmen und zweiteres abzuwerten, was längerfristig nur in der cabecera, nicht jedoch in den untergeordneten Gemeinden gelingt. Die Bedeutung des Festes für den Schutzheiligen bleibt aber auch in der Distrikthauptstadt bestehen. Die cuetzaltekischen Kaffeeeliten wissen dieses Ereignis in ihrem eigenen Interesse zu nutzen, indem sie die darin enthaltene landwirtschaftliche Komponente stärken und als ein Fest für den Kaffee interpretieren und umsetzen. Im Gefolge einer neu erwachten globalen Glorifizierung von Indigenität (und der mit ihr assoziierten Spiritualität) (vgl. dazu del Val 1993) gelingt es schließlich das Fest, mitsamt seinen mestizischen 184 Bereits im Diskurs und der Politik der Liberalen zur Zeit der mexikanischen Unabhängigkeit zeigt sich eine Doppelstrategie gegenüber der indigenen Bevölkerung. Einerseits wird Bezug genommen auf die „große“ Vergangenheit der „Aztek_inn_en“, Maya, etc., andererseits aber werden Indigene als solche marginalisiert und diskriminiert (Thies 2007: 111). Die Auffassung, Indigene müssten sich an die europäisch geprägte Mehrheitskultur anpassen, um der Armut zu entkommen, bleibt auch in den nachfolgenden Jahrhunderten bestehen. Der Begründer der mexikanischen Anthropologie, Manuel Gamio, setzt eine Politik des „Indigenismus“ in Gang, die die Eingliederung der indigenen Bevölkerung in die nationale Gesellschaft zum Ziel hat (Lomnitz 1993: 365-6). Die Politik des Instituto Nacional Indigenista (INI) ist daher auf ihre Integration durch Modernisierung ausgerichtet; nur die „edlen Aspekte ihrer alten Kulturen“ (Caso 1950: 85, zit. nach Gabbert 2007: 152), beispielsweise das Kunsthandwerk, sollten erhalten bleiben (ibid.). Damit sind die Weichen für eine nationale, eine Indigenität „von oben“, gelegt. 185 Zur Nutzung von Ethnizität und damit auch Indigenität als Ressource zur Legitimierung und Durchsetzung politischer Ansprüche, siehe auch Büschges und Pfaff-Czarnecka (2007).

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und indigenen Aspekten, touristisch zu vermarkten. Einerseits kommt es hier zu gewissen Gemeinsamkeiten und Überschneidungen indigener und mestizisch-nationaler Interessen, andererseits zeigen sich in diesem Zusammenhang besonders deutlich die Differenzen zwischen der (mestizisch dominierten) Distrikthauptstadt und den (indigen geprägten) untergeordneten Gemeinden. Letztere betonen ihre profunde und wahre Religiosität, verglichen mit den, wie sie sagen, nur am Gewinn interessierten, cuetzaltekischen Verantwortlichen (z.B. N.N. 30.9.2007; Tzm 55 3.10.2013; Tz 6 19.9.2013). Dabei bietet auch das cargo-System (wie in der diesbezüglichen Literatur heftig diskutiert)186 in den Gemeinden, nicht nur im politischen, sondern auch im religiösen Bereich, einerseits über die genutzten und damit immer wieder hergestellten und erweiterten reziproken und redistributiven Netzwerke zwischen Nachbar_inne_n und Verwandten, Möglichkeiten der Schaffung lokaler Gemeinsamkeit(en) und Solidaritä(en). Andererseits aber ergeben sich gleichermaßen viele Anknüpfungspunkte für die Erhaltung bzw. Stärkung gemeindeinterner Hierarchien und Spannungen – der Geschlechter, des Alters sowie des Reichtums bzw. der Klasse, aber auch – hier nicht ausgeführt, der Religion. Denn der Druck zur Teilnahme am religiösen Ämtersystem ist groß – eine Verweigerung führt zu sozialer Ausgrenzung, etwas, was Oscar Lewis (1975: 21ff.) bereits sehr anschaulich für die Familie Martínez aus Azteca geschildert hat.187 Oder auch umgekehrt, kann gesellschaftliche Marginalisierung über den Ausschluss aus dem Cargo-System vorangetrieben werden (siehe Kapitel IV.5.1). Haly (1996: 556-7) betont daher, dass besser von der Schaffung von Gemeinsamkeiten (und eng damit verbunden von Differenzen) gesprochen werden müsse: „In San Miguel Tzinacapan it is more accurate to speak of festivals creating communities, rather than a single community“ (ibid.: 557).

IV.5 D IFFERENZMARKIERUNGEN UND IHRE V ERSCHIEBUNGEN IN DER G EMEINDE S AN M IGUEL T ZINACAPAN Welcher Art sind nun diese gemeindeinternen Differenzen, die vermittels der Betonung des Unterschieds gegenüber dem cuetzaltekischen Anderen überdeckt werden? Einige davon wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln, jedoch mit Fokus auf Cuetzalan und kaum bezogen auf die untergeordneten Gemeinden, angesprochen.

186 Vgl. z.B. Schryer (1987: 111); Martínez Borrego (1991: 106ff.). 187 Stephen (2005: 255-7) beschreibt, wie in Teotitlán del Valle die Teilnahme am Ämtersystem (und den damit verbundenen Abgaben und kommunalen Arbeiten) einer Gruppe Protestant_inn_en, seitens der katholischen Mehrheitsbevölkerung, dadurch erzwungen wird, dass dem verstorbenen Oberhaupt einer der protestantischen Familien das Begräbnis am gemeindeeigenen Friedhof verweigert wird. Dürr (1996: 277ff.) hingegen stellt für Mitla fest, dass Anfang der 1990er Jahre eine Koexistenz evangelischer und anderer Sekten mit der katholischen Mehrheitsbevölkerung besteht, wobei sich erstere jedoch weiterhin in finanzieller und anderer Weise an den politischen und religiösen Aktivitäten der Gemeinde (und damit am Ämtersystem und der Gemeinschaftsarbeit) beteiligen.

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Analog der national-mexikanischen Schaffung von Indigenität, erscheint die indigen ländliche Bevölkerung der sujetos auf den ersten Blick, wenngleich gesegnet durch reichhaltige (touristisch vermarktbare) kulturelle Ausdrucksformen des religiösen Zeremoniells, so doch als eine in der politischen und ökonomischen Entwicklung zurückgebliebene und daher arme und homogene Masse (vgl. dazu u.a. del Val 1993; Alonso 2005: 54-5; Norget 2010: 123-4), höchstens mit Unterschieden des Geschlechts und des Alters, keineswegs aber des Eigentums oder gesellschaftlichen Rangs. Auch die Peasant-Literatur ist, wie wir gesehen haben (Kapitel II.3.1 und II.3.2), lange Zeit durch diese Sichtweise geprägt. Tatsächlich aber verschwinden die vorkolonialen Klassendifferenzen nicht einfach, sondern sie setzen sich in der Kolonialzeit fort, wenngleich aus „Adeligen“ (pipiltin) schließlich Kazik_inn_en werden, die ihre Macht nicht (primär) auf Herkunft und kriegerische Erfolge gründen, sondern durch die geschickte Nutzung (post-)kolonialer Ressourcen (sei das der Vermittlung zwischen indigenen und kolonialen Einheiten, sei das der Aneignung von Gemeindeland über die Möglichkeiten des Ley Lerdo, etc.). Abgesehen davon, sind nicht alle Indigenen gleichermaßen in der Landwirtschaft aktiv, wie im klassischen Bild der_des Peasant_s angedeutet. Ein Spanier, der sich 1786 in der Gemeinde Xocoyolo niederlässt berichtet beispielsweise, dass er und die anderen Angehörigen des Dorfes ihren Mais an Indigene aus Cuetzalan verkaufen, die sich nur marginal dem Maisanbau, vielmehr hingegen dem Handel mit Indigo und anderen Produkten der Region widmen (Thomson 1991: 212). Der lange Zeit einzige presidente municipal indigener Abstammung, Francisco Agustín Dieguillo, kommt aus einer der wohlhabenderen und mächtigeren Familien der Gemeinde San Andrés; im Verlauf der Kämpfe zwischen Liberalen und Konservativen erlangt er für eine begrenzte Zeit einen über Tzicuilan hinausreichenden Kazikenstatus (ibid.: lfd.). Für San Miguel berichtet Haly (1996: 557), dass es bereits um 1900 vier große Familien gibt, die den Großteil des Dorflandes kontrollieren. Nach und nach gelingt es diesen besitzenden, zwei andere, ökonomisch gesehen glücklosere Familien, weitestgehend aus den kommunalen Aktivitäten, darunter die der Teilnahme an den mayodomías, auszuschließen. Letztere trachten spätestens in den 1930er Jahren, Cárdenas’ Landreformversprechen zu ihren Gunsten zu nutzen, um die Besitztümer der ersteren aufzubrechen, was aufgrund der guten Kontakte der privilegierten Gruppe zur regierenden PRI in Cuetzalan und ihren Kenntnissen im Umgang mit der Bürokratie, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.188 Bemerkenswert ist, wie die Klassendifferenzen sich in politischen und religiösen Divergenzen spiegeln. Die landlose Gruppe, in den 1970er Jahren in der Partido Politico Socialista (PPS) aktiv, nicht nur ökonomisch marginalisiert sondern auch in religiöser Hinsicht weitestgehend aus dem Gemeindeleben ausgeschlossen, zeigt sich als besonders anfällig für die Missionierungsversuche der, in den 1970er Jahren immer aggressiver werbenden, protestantischen Sekten (ibid.; Taggart 1995: 193). Dennoch beteiligen sich ihre 188 Knab verarbeitet diese teils blutigen Auseinandersetzungen in seinem gleichnamigen Buch als „war of witches“ (1995: 147-204). Eine meiner mestizischen Freundinnen aus Cuetzalan, selbst in den 1930er Jahren erst eingewandert, berichtet von „Männern mit großen Hüten“ aus Tzinacapan, die den Indigenen alles Land weggenommen hätten. Denn letztere waren tontos und ignorantes, verkauften ihren Besitz um fünf Pesos, erzählt sie (C 1 4.2.2005).

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Mitglieder, anders als die der besitzenden, weiterhin an der faena. Die wohlhabenden Familien auf der anderen Seite, entwickeln einen extremistischen Katholizismus. Zunächst mit der PRI und der mit ihr assoziierten Confederación Nacional Campesina (CNC) verbunden, tendieren sie immer weiter nach rechts, hin zum ultrarechten Zweig der indigenistischen Ideologie von Antorcha Campesina189 (siehe unten). Dazwischen befindet sich eine dritte Gruppe, die eine Art Befreiungsideologie praktiziert und politisch einen eigenständigen Weg beschreitet. Sie wird mit den, seit den 1980er, 1990er Jahren bedeutsamen Organisationen Comisión Takachiualis 190 und Tosepan Titataniske, in Verbindung gebracht. IV.5.1 Tosepan Titataniske – „Gemeinsam werden wir siegen“ – und andere Vereinigungen Die mittlerweile in vielen ökonomischen, politischen und sozialen Bereichen aktive Sociedad Cooperativa Tosepan Titataniske,191 in Folge kurz Tosepan genannt, entsteht Beaucage (1994: 39-40) zufolge, aus Campesin@-Aktivitäten der 1970er Jahre, in der Umgebung von Zacapoaxtla, zunächst gegen eine übermäßige Anhebung der Grundsteuer. Zwar verläuft sich die, im Umfeld von Central Campesina Independiente (CCI) 192 agierende Bewegung, mit der, durch den Anbauzyklus bedingten Rückkehr der Beteiligten zu ihren landwirtschaftlichen Aktivitäten, es kommt aber in Veracruz, angeregt von der, von ehemaligen CCI-Aktivisten gegründeten, Unión Campesina Independiente (UCI), zu Landbesetzungen, die auch in die Sierra übergreifen (Edelman 1980: 35; Martínez Borrego 1991: 124-6; Beaucage 1994: 39-40). Im Norden des Munizipios Cuetzalan sind vor allem die großen potreros (Viehweiden) betroffen (Beaucage 1994: 40). Als Gegenpart bildet sich, gepuscht durch die lokale Bourgeoise und gestützt durch die nationale Politik, die bereits erwähnte ultra-konservative, katholische, antimestizische Antorcha Campesina, die mit ihrer Gewalttätigkeit und Kompromisslosigkeit ein Klima des Terrors und der gegenseitigen Verdächtigungen schafft (Martínez Borrego 1991: 127; Beaucage 1994: 40; Haly 1996: 557).193 Durch die ein189 Die laut Martínez Borrego (1991: 124) ebenfalls mit der CNC liiert ist. 190 Diese, aus Indigenen und Mestiz_inn_en aus San Miguel bestehende Organisation, entsteht 1989, unter der Schirmherrschaft des, zunächst mestizischen PRADE (Proyecto de Animación y Desarrollo), zur Verteidigung der Menschenrechte, gegen die Willkür juridischer Autoritäten gegenüber der indigenen Bevölkerung (Báez 2004b: 36-7; siehe auch Maldonado/Terven 2008: 76; sowie Almeida Acosta/Sánchez s.d.). 191 Vgl. z.B. ihre Beteiligung am Alternativ-Tourismus (URL 40). Zu ihren vielfältigen Tätigkeitsfeldern, siehe neben Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 88-9) auch Báez (2004b: 33-4); URL 41; URL 42; et al. 192 Dabei handelt es sich um eine der kommunistischen Partei Mexikos nahestehenden Organisation, die versucht die arme ländliche Bevölkerung gegen die Regierung zu vereinen. Heute trägt sie den Namen Central Independiente de Obreros Agrícolas y Campesinos (CIOAC). Zu ihrem Programm und ihrer Ausrichtung, vgl. URL 43. 193 Laut Martínez Borrego (1991: 127) wird Antorcha Campesina 1977 im Munizipio Tecomatlán, Puebla gegründet und kann ihren Einfluss in Puebla, Veracruz, Guerrero und Oaxaca geltend machen. Zunächst verbindet sie sich mit der Federación Nacional de

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schüchternden und polarisierenden Aktivitäten dieser Gruppe, verbunden mit ihrer Infiltrierung der Landbesetzer_innenbewegung, vor allem aber durch den repressiv vorangetriebenen paz rural, zur Ermöglichung der „Modernisierung“ des Landes (und damit einhergehend einer Verbesserung der Infrastruktur), unter der Präsidentschaft von López Portillo (siehe Kapitel IV.2.2), verschwindet die UCI aus der Region. Die Führer und ihre Familien werden verhaftet, vertrieben oder auch ermordet (Martínez Borrego 1991: 124, 126-7; Beaucage 1994: 42; Taggart 1995: 193). Gleichzeitig mit der erzwungenen Auflösung der Vereinigung, bildet sich eine neue Bewegung von Campesin@s in Cuetzalan und Umgebung, die in Folge immer stärkere Züge einer Indigenenorganisation zeigt. 194 Die Unión de Pequeños Productores de la Sierra (UPP) lässt sich 1980 offiziell registrieren und ändert im Zuge dessen ihren Namen in Cooperativa Agropecuaria Regional „Tosepan Titataniske“ (CARTT) (Martínez Borrego 1991: 127; Beaucage 1994: 43).195 Geht es zunächst um die eigenständige Vermarktung von Kunsthandwerksprodukten ohne Zwischenhändler_innen, so entsteht, nach einigen Rückschlägen und Hindernissen, schließlich eine Produzent_inne_en- und Konsument_inn_enkooperative, die eine Bandbreite von Produkten vertreibt und darüber hinaus sozial und politisch aktiv ist (Beaucage 1994: 43ff; Báez 2004b: 34; Feldnotizen 17.10.2011; Tz 7 24.10.2011; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 88-9).196 Wesentliche Anregungen und Unterstützung kommen von jungen, engagierten Leuten aus Mexiko D.F. und anderen Städten. Zum einen sind das Angehörige einer bereits seit 1973 in Tzinacapan aktive Gruppe,197 die ein christlich humanitäres Projekt zur sozialen Veränderung vorantreiben

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Organizaciones Bolcheviques, einer extrem linken marxistisch-leninistischen Bewegung. Anfangs noch unabhängig, beteiligt sich die Organisation an einigen Aktionen der UCI, dann aber wird sie von der Regierung vereinnahmt und ändert offenbar auch ihre ideologische Ausrichtung grundlegend. – Edelman (1980: 35-6) berichtet von Gerüchten über Auseinandersetzungen der UCI mit bewaffneten Einheiten der Landbesitzer_innen. Ein Manöver von Polizei und Armee in Cuetzalan und Zacapoaxtla im Juli 1978 wird damit in Zusammenhang gebracht. Die Hinwendung zu einer Indigenität, die sich bewusst gegen die staatlich forcierte Assimilierungspolitik, verbunden mit einem „fokloristischen Nationalismus“ (Norget 2010: 124), wendet, steht in engem Zusammenhang mit der Konferenz von Barbados des Jahres 1977, die zu einer global vernetzten und forcierten Politik der Rückbesinnung auf indigene Sprachen, indigenes Denken, etc. führt. Damit wird Indigenität zu einer Angelegenheit der Indigenen selbst, wenngleich auch Anthropolog_inn_en an diesem Prozess beteiligt sind (del Val 1993: 255-6). Wie und wann die Bezeichnung Sociedad Cooperativa Tosepan Titataniske auftaucht, entzieht sich meiner Kenntnis. Unter anderem sind sie federführend an der Organisation der Veranstaltung anlässlich des Eintreffens von Aktivist_inn_en der Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN), u.a. von Subcomandante Marcos, im Rahmen der La otra campaña der EZLN durch Puebla, beteiligt (Feldnotizen 13.2.2006). Vgl. dazu insbesondere Almeida Acosta und Sánchez (s. d.: 2); Lupo (1998: 266) präzisiert: 1973 lässt sich ein Paar mit katholischen Wurzeln – María Eugenia Sánchez de Almeida und Eduardo Almeida Acosta – in Tzinacapan nieder und gründet, gemeinsam mit einem Priester und einigen Mestiz_inn_en, das Proyecto de Animación y Desarrollo

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will, zum anderen die, im Rahmen des, zur Befriedung der ländlichen Bevölkerung seitens der mexikanischen Regierung initiierten Plans Zacapoaxtla (siehe Kapitel IV.2.2; sowie Martínez Borrego 1991: 127), tätigen Agronom_inn_en und Sozialarbeiter_innen, die über die Bürokratie 198 und die monopolistischen Strukturen des Marktes frustriert, einen anderen Weg als vorgesehen, einschlagen (Beaucage 1994: 45; ders. 1995: 299).199 Versammlungen in den Gemeinden werden organisiert, ökonomische Ungleichheiten diskutiert. Mit der Zeit entwickelt sich eine regionale Kooperative zur Vermarktung von Kunsthandwerk und landwirtschaftlichen Produkten, mit eigenen Läden, in denen Grundnahrungsmittel zu günstigen Preisen an die Mitglieder weitergegeben werden. Der Einflussbereich erstreckt sich schließlich auf über 60 Gemeinden in neun Munizipien (Beaucage 1994: 47). Bis 1991 dauert es, bis sich die Frauenorganisation Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij („Frauen, die zusammen arbeiten und sich unterstützen“) von Tosepan loslöst und mit 220 Mitgliedern in sieben Gemeinden ihre eigenen Strukturen bildet (Pérez Nasser 2002: 127, 136; Greathouse-Amador 2005a; dies. 2005b: 712-3). In San Miguel entsteht die Kooperative Yankuik Siuat („Neue Frauen“), Beaucage (1995: 308, Fußnote 14) zufolge, gegründet von einer Gruppe junger Frauen, die einen Laden zum Verkauf von Garn, Haarbändern und anderen Dingen einrichten will, die die Männer in den Geschäften der Kooperative nicht verkaufen (wollen). 2000 bis 2007 betreiben die „Neuen Frauen“ eine Bäckerei, für eine kürzere Periode auch ein Papiergeschäft und einen Kopierladen. Die 20 Mitglieder beschäftigen einen (männlichen) Bäcker, jede der Frauen arbeitet jeweils einen Monat lang in der Bäckerei als Verkäuferin und ist in dieser Zeit mit fünfzehn Prozent am Gewinn beteiligt. Nach anfänglichen Erfolgen gehen die Umsätze immer weiter zurück und schließlich zerstreut sich die Gruppe um die Bäckerei. Das politische Engagement für Frauenrechte lässt schon früher, spätestens 2006 merklich nach – der Zettel, auf dem diese aufgelistet sind, verschwindet aus dem Brotladen (Feldnotizen 2004-2007 lfd.). Der Standort der großen Kooperative Tosepan in Tzinacapan sieht sich selbst als ein wichtiges Zentrum und er gewinnt dort auch zunehmend Gewicht und Bedeutung (siehe unten). Bereits 1976 habe sich eine Gruppe von Kunsthandwerksproduzent_inn_en zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Erzeugnisse zusammengetan, um sich von den Zwischenhändler_inne_n unabhängig zu machen, heißt es in einer von Beaucage (1994: 43) widergegebenen Erzählung, zur Gründung von Tosepan. Diese eröffnet auch einen Volksladen, in dem Mais, Bohnen, Reis, Zucker und Öl verkauft (PRADE), eine Vereinigung zur Förderung indigener Gesellschaft und Kultur. Sie sponsern darüber hinaus die Taller de Tradición Oral, die sich aus jungen Indigenen, darunter einigen bilingualen Lehrer_inne_n zusammensetzt. Vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 40ff.). 198 Siehe dazu Edelman (1980: 38ff.). 199 Zur Bedeutung der Unterstützung durch nicht indigene Gruppen, siehe neben Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 40ff.); Greathouse-Amador (2005b: 712) und Almeida Acosta/Sánchez (s.d.); insbesondere auch Argueta (1994: 28). Letztere erläutert, dass sich aus der Zusammenarbeit zwischen Indigenen der Gemeinde Tzinacapan und den Mestiz_inn_en des PRADE vier miteinander verbundene Organisationen bilden, nämlich die Sociedad de Producción Rural, die Cooperativa, die Sociedad Agropecuaria del CEPEC und PRADE A.C. (ibid.).

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werden. Benachbarte Gemeinden schließen sich an und es entsteht die Sociedad de Producción Rural als Vorläuferin von Tosepan (ibid.). Der hier schon mehrmals genannte kanadische Anthropologe Pierre Beaucage (ibid.: 50) betont die Herausbildung einer regionalen Identität im Zuge der Ausbreitung der Kooperative, darauf gegründet, dass bisher unabhängig voneinander agierende lokale Organisationen nun miteinander zu diskutieren beginnen. Seinen Hauptsitz etabliert Tosepan schließlich in Cuetzalan, was von den Mitgliedern als eine Art Wiederaneignung „ihres Hauses“ gesehen wird (ibid.; ders. 1995: 303). Damit einher entwickeln sich jedoch Spannungen zwischen der in Cuetzalan residierenden Leitung und den weiterhin in den Gemeinden aktiven Mitgliedern. Vorangetrieben werden diese auch dadurch, dass erstere beginnen sich in Kleidung und Gewohnheiten an das urbane Umfeld anzupassen und sich womöglich besser in Spanisch, als in Nahuat ausdrücken können, letztere hingegen ihre lokal geprägten Gewohnheiten weitestgehend beibehalten (Beaucage 1994: 48; ders. 1995: 301-2). Eine indigene städtische Elite entsteht und, damit einhergehend, eine Ausweitung des Cuetzaltecan other: dieses inkluiert neben der mestizisch-kreolischen landbesitzenden Mittel- und Oberschicht auch (ehemalige) maseualmej. In den Gemeinden selbst nähern sich die, mit der lokalen Leitung der Kooperative(n) befassten Teilhaber_innen, zumindest in den größeren, wie Tzinacapan, mittlerweile ebenfalls stärker dem cuetzaltekischen Lebensstil an. Bereits in den 1990er Jahren kursiert ein Witz, demzufolge im Falle des Beitritts eines Mannes zu Tosepan, drei Dinge passierten: erstens werde er dick, weil er mehr esse und nicht mehr aufs Feld gehe; zweitens nehme er sich eine zweite Frau, weil er nicht mehr im Dorf schlafe; und drittens beginne er zu trinken (Beaucage 1995: 308, Fußnote 1; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 86). 2006 wird mir gesagt, dass der mit Tosepan in Tzinacapan assoziierte Faustino zwar am rancho arbeite (wobei von ihm Kaffee und Nelkenpfeffer, aber kein Mais angebaut wird), nicht jedoch seine Söhne und Schwiegersöhne. Diese arbeiten ebenso wie die Töchter und zeitweise auch die Schwiegertöchter in der Kooperative und hätten somit keine Zeit für die Arbeit am Feld (Tz 7 30.1.2006), womit indirekt der Inhalt des ersten Punkts des Witzes bestätigt wird.200 Die Häuser der Familie ähneln, von Stil und Ausstattung her, denen der mestizisch-mexikanischen Mittelschicht (unterscheiden sich aber wesentlich von denen der armen Mestiz_inn_en und natürlich der Indigenen der Region) (siehe Kapitel V.1.4). Alle Familienmitglieder tragen immer, auch bei Festen und anderen wichtigen Anlässen, westliche Kleidung, wobei diese, mit Ausnahme der von Faustino selbst, modisch und von guter Qualität ist. Sie sprechen Spanisch miteinander, wenngleich zumindest die Erwachsenen, Nahuat verstehen. Die Kinder werden im Auto zur zehn Gehminuten entfernten Schule gebracht und abgeholt. Somit zeigt sich im Lebensstil und damit einhergehend, den Verhaltensweisen, eine große Distanz zur Mehrheitsbevölkerung in der Gemeinde. Dennoch, oder gerade deshalb, besteht reges Interesse der Familie, sich an den mayordomías und anderen Aktivitäten des gegenseitigen Austauschs zu beteiligen und so die Zugehörigkeit zur Gemeinde aufrechtzuerhalten (Feldnotizen lfd.).

200 Zum zweiten Punkt ist mir nichts bekannt; der dritte Punkt trifft, bezogen auf Faustino, ebenfalls zu.

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Die Mitglieder von Tosepan (und anderer erfolgreicher Kooperativen) sind, wie sich aus dieser Schilderung nur unschwer erkennen lässt, gegenüber den nicht organisierten ökonomisch im Vorteil, sei das bezogen auf die Vermarktung von Kaffee und anderen landwirtschaftlichen Produkten, sei das bezogen auf den Verkauf von Kunsthandwerk. Zwar kaufen und verkaufen auch Nicht-Mitglieder in kleineren Mengen landwirtschaftliche Produkte und anderes bei und an Tosepan (Feldnotizen lfd.), in eine der bestehenden Organisationen einzusteigen und damit alle Vorteile genießen zu können jedoch, kostet Geld. Und im Falle von Krankheit müssen in den, auf die Vermarktung von Kunsthandwerk spezialisierten Assoziationen, die laufend zu verrichtenden Gebühren201 weiter bezahlt werden (Tz 7 11.11.2011 et al.). Die Ausrichtung der Vollmitglieder Tosepans am cuetzaltekisch-nationalen Lebensstil, verbunden mit dem fast ausschließlichen Verwenden der spanischen Sprache und der besseren Bildung der Kinder, führt, neben den ökonomischen, auch zu Vorteilen bezogen auf die Beteiligung am politischen System, noch dazu, als weiterhin eine rege Partizipation am, für die Zugehörigkeit zur Gemeinde wichtigen, religiösen besteht. Die, über die mayordomías und gegenseitige Hilfeleistungen und Verschuldungen hergestellte, lokale Indigenität, wird darüber hinaus, durch die regionalen und überregionalen Assoziationen Tosepans als Indigenenkooperative ergänzt; die potentielle politische Macht damit erhöht. Denn Tosepan ist Teil eines (trans-) nationalen Netzwerks indigener Organisationen, was besonders in ihren Verbindungen mit der Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN oder kurz zapatistas genannt) deutlich wird.202 Tosepan ist Hauptorganisator der in San Miguel stattfindenden Veranstaltung, bei der es im Rahmen der Nueva Campagna de Puebla im Jahr 2006 die Möglichkeit gibt, den legendären Subcomandante Marcos nicht nur zu sehen, sondern auch mit ihm zu sprechen. Duzende regionale und lokale Organisati-

201 Es handelt sich um relativ hohe Eintrittsgebühren von 3000 bis 8000 Pesos, die über längere Zeitperioden in Raten abbezahlt werden können. 202 Diese, mittlerweile weltweit, bekannte Bewegung tritt erstmals 1994, aus Anlass des Inkrafttretens des NAFTA-Freihandelsabkommens zwischen Mexiko und den USA, in San Cristóbal, Chiapas in Erscheinung. Stehen zunächst „allgemeine“ Peasant-Forderungen, wie Zugang zu ausreichend Landbesitz (der durch das Abkommen bedroht ist) (nach dem revolutionärem Slogan Justicia, tierra y libertad), aber auch allgemeine ökonomische und politische Themen, wie Arbeit, Wohnung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden im Zentrum (Norget 2010: 126; vgl. auch van der Haar 2005: 485; Washbrook 2005: 425, 438), so werden diese sehr rasch durch spezifischer die indigene Bevölkerung betreffende Ansprüche in den Hintergrund gedrängt bzw. abgewandelt (Köhler 2003: 234-5). Angestrebt wird nicht die Macht im Staat, sondern autonome Selbstverwaltung. Die Bewegung tritt für die Rechte der indigenen Bevölkerung Mexikos und gegen die neoliberale Politik, wie sie in dem Freihandelsabkommen zum Ausdruck gebracht wird, ein. Sie trifft sich in diesem Punkt mit Globalisierungskritiker_inne_n anderer Weltregionen, wie auch mit linken Gruppierungen innerhalb- und außerhalb Mexikos und wird umgekehrt rasch zu einem wichtigen Anknüpfungspunkt für die zunehmend transnationale Ausrichtung einer globalisierungskritischen Bewegung (Prodinger 2009: 47). Prägend werden hier die Slogans „Eine andere Welt ist möglich“ oder „Fragend gehen wir voran“ (Preguntando caminamos).

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onen sowie Hunderte von Menschen nutzen diese Gelegenheit (Feldnotizen 13.2. 2006). Die Mitglieder der Kooperative Tosepan stellen also einen ernst zu nehmenden Machtfaktor in der Gemeinde San Miguel Tzinacapan dar und tragen darüber hinaus zu Neuausformungen lokaler und (trans-) nationaler Indigenitäten bei. IV.5.2 Grobe Charakterisierung der sozialen Hierarchie(n) San Miguel Tzinacapans Somit muss die eingangs geschilderte gesellschaftliche Dreiteilung (deren Verbindung mit bestimmten politischen und religiösen Ausrichtungen ich mangels Informationen weder bestätigen noch widerlegen kann) insofern modifiziert werden, als einige der Angehörigen der dritten Gruppe, also jener, die laut Haly (siehe oben), eine Art Befreiungstheologie praktizieren und schließlich die Gründung von Tosepan vorantreiben, nun ihrerseits einen gewissen Wohlstand erwerben und Vorteile in Hinblick auf die Beteiligung am politisch-religiösen System erlangen. Auf meine Frage nach mächtigen und reichen Familien in der Gemeinde heißt es, „si, hay unos, dos o tres“ (Tz 7 26.10.2011; vgl. auch Tz 13 20.9.2007). Damit lässt sich die soziale Struktur folgendermaßen charakterisieren: An der Spitze des Munizipios befindet sich eine, mit Cuetzalan assoziierte, italienisch-kreolisch-mestizische Oberschicht reicher Unternehmer_innen, die die gesamte Region politisch und ökonomisch dominiert. Ihr Einfluss ist, wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, auch in San Miguel spürbar. Allerdings handelt es sich bei den „wahrhaft reichen“ um wenige und, angeblich untereinander zerstrittene, Familien (Mf 1 11.2.2006), was ihre Möglichkeiten der Machtausübung beschränkt.203 Auf der nächsten Ebene ist, als eine Art Mittelschicht, die wohlhabende(ere) mestizische und, in San Miguel vor allem indigene Bevölkerung, zu verorten, bestehend aus Inhaber_inne_n der besser gehenden Geschäfte, Zwischenhändler_inne_n von Kaffee und anderen Produkten, aber auch den in der Kooperative Tosepan tätigen Produzent_inn_en von Kaffee und anderen Gütern. In Tzinacapan üben ihre Mitglieder politischen Einfluss über ihre Betätigung in der Kooperative, wie auch ihre Teilnahme am politisch-religiösen Ämtersystem aus. Die dritte Schicht (in San Miguel vorwiegend indigen, wenngleich auch ihr vereinzelt Mestiz_inn_en angehören) setzt sich aus Peasants/polybians mit kleinem Landbesitz zusammen, die einerseits Mais, Kaffee und andere Früchte für die Subsistenz, sowie den Verkauf anbauen, andererseits in vielfältigen ökonomischen Aktivitäten tätig sind. Auch unter ihnen gibt es einige, die in Kunsthandwerk- und anderen Kooperativen organisiert sind. Diese Zusammenschlüsse jedoch, sind entweder klein und unbedeutend (wie Yankuik Siuat), oder die Beteiligung der genannten polybians ist (aufgrund der fehlenden Mittel sich stärker einzubringen) so marginal, dass das Einkommen aus diesem Bereich gering und unsicher ist. Die Angehörigen dieser Schicht sind im politisch-religiösen System engagiert und haben in der lokalen Politik, vor allem auf der Ebene der verschiedenen Kommitees, einen gewissen Einfluss.

203 Vgl. hierzu auch die in Kapitel IV.3.2.3 geschilderten Auseinandersetzungen um die Macht im Munizipio im Gefolge der mexikanischen Revolution.

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Am unteren Ende der sozialen Hierarchie schließlich, findet sich die Masse der armen Familien (auch hier gibt es selbst in Tzinacapan die eine oder andere mestizische Person), die über keinerlei Land verfügen, nur ein Anrecht auf einen Platz für ihr Haus/ihre Hütte haben. Die Herstellung und der Verkauf von Kunsthandwerk ist für diese Gruppe von Leuten (insbesondere die indigenen unter ihnen) nicht (einfach) für das Überleben notwendig, sondern wird von ihr lange Zeit auch als Mittel für den sozialen Aufstieg (zumindest der nächsten Generation, deren Ausbildung damit finanziert werden soll), angesehen. In den letzten Jahren, mit einer massiven Steigerung der Anzahl jener Personen, die in Cuetzalan artesanía verkaufen, ohne dass der Tourismus im selben Maße angestiegen wäre, wurden diese Hoffnungen jedoch enttäuscht. Damit bleiben Tageöhnerjobs in der Gemeinde und Umgebung, oder aber die Migration. Auch diese unterste soziale Schicht beteiligt sich am politisch-religiösen System, allerdings, finanziell bedingt eher auf die niedrigen Ränge beschränkt. 204 Abgesehen von der oberen Klasse, die sich sich in ihrem ökonomischen Verhalten und ihrem Lebensstil stark am Weltmarkt, an Europa und den USA orientiert, 205 sind alle diese Klassen/Schichten durchlässig, wie das Beispiel der Funktionäre von Tosepan sehr anschaulich zeigt. Neben der Möglichkeit des Aufstiegs für polybians/Peasants in die Mittelklasse bzw. für landlose Arme in die Gruppe der kleinen Landbesitzer_innen besteht für Angehörige der Mittelschicht wie auch der darunterliegenden Schicht immer die Gefahr in die nächste Kategorie „abzusinken“.206 In allen sozialen Klassen/Schichten sind Beziehungen des Geschlechts, der Generation und des relativen Alters von entscheidender Bedeutung und es besteht eine ständige Herausforderung und Infragestellung der Position eines Individuums im Haushalt, wie auch in der Gemeinde (siehe Kapitel IV.3.4). Wurde in den vorangegangenen Kapiteln primär auf sich überschneidende Differenzmarkierungen und ihre Verschiebungen im Munizipio und in der Gemeinde eingegangen, so wird in den folgenden Ausführungen stärker auf die Ebene des Haushalts fokussiert. Wie im Kapitel III.2.1.2 erwähnt, werden Familien aller hier genannten Gruppierungen, mit Ausnahme der obersten Klasse, in den Blick genommen, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Der Schwerpunkt liegt auf Familien der hier als Peasants/polybians titulierten Bevölkerung.

204 Vgl. hierzu die in Kapitel IV.3.1 angesprochene Differenzierung der Ämter in cargos principales und cargos comunes (Mallon 1995: 71). 205 Zur nachhaltigen Wirksamkeit der in der Kolonialzeit aus Spanien importierten limpieza de sangre auf die „Reinhaltung“ der Eliten (über die Kontrolle der Frauen) in Lateinamerika bzw. Guatemala, vgl. u.a. Smith C. (1995); Stolcke (2009). Durchlässig ist diese Klasse nach unten hin: insbesondere Frauen, die sich nicht an den strengen Moralkodex halten, laufen samt ihren Kindern Gefahr, deklassiert zu werden (ibid.). 206 Vgl. dazu allgemein Wallerstein (1983). Zur Verwendung des Terminus „Schicht“ bezogen auf die Einwohner_innen Tzinacapans, siehe Kapitel V.4.1.1.

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Mikroebene: Haushalte der maseualmej im Weltsystem – Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil I Lokale Theorien, anthropologische Theorien und soziale Praktiken

Dabei zeigt sich in der Befassung mit Haushalten und ihren durch Innen- und Außenbeziehungen definierten Verhältnissen von Dominanz und Unterordnung in besonderer Weise die Notwendigkeit eines „anthropologischen Blicks“, der neben materiellen, auch symbolische Bedeutungen berücksichtigt, eines „anthropologischen Blicks“, der die „kulturellen Bedeutungen“ ebenso herausarbeitet wie die tatsächlich angewandten, womöglich widersprüchlichen Praktiken. Nur so können Essentialisierungen der universalistischen wie auch der partikularistischen Variante vermieden werden (siehe Kapitel I.1 und III.1.2).

V.1 D ER H AUSHALT : „D IE EINES VOLLSTÄNDIGEN H AUSES “, AUSGESTATTET MIT K ÜCHE , H ERD , ALTAR UND W OHNRAUM Eine Vielzahl von Werken aus unterschiedlichsten Disziplinen befasst sich mit dem Thema Haushalt und, im Begriff impliziert, mit dem Haus, wobei im ersten Fall die ökonomische Perspektive im Vordergrund steht (vgl. Teil II dieser Arbeit), im zweiten die symbolische Ebene fokussiert wird. 1 Selten werden die beiden miteinander 1

Gar nicht zu nennen die überbordende Literatur, die sich der Thematik öffentlich und privat widmet, als ein roter Faden, der sich durch die feministische Literatur, seit ihren Anfängen, zieht. Beginnend mit der Debatte zwischen der symbolisch orientierten und der marxistisch ausgerichteten Anthropology of Women der 1970er Jahre, tauchen immer wieder Überlegungen auf, die Unterordnung von Frauen ließe sich mit der konstatierten Trennung zwischen einem politischen und einem häuslichen Bereich in Verbindung bringen. Wird zunächst darüber gestritten, ob die weibliche Unterordnung, wie auch die Dichotomie öffentlich-privat universell sei oder historisch spezifisch/entwickelt, so verschieben sich die Auseinandersetzungen mit dem Lauterwerden, oder besser gesagt, der verstärkten

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verbunden und zusätzlich mit den womöglich widersprüchlichen Handlungsweisen zwischen verschiedenen Gruppierungen, oder gar innerhalb ein- und derselben lokalen Gemeinschaft, kontrastiert. Einerseits wird intensiv über Vererbungsmuster und ihre Variationen diskutiert (vgl. insbesondere Goody 1976; Goody et al. 1976; Goody 1983; aber auch Basu 2003; et al.), oder auch über die Bedeutung haushaltsinterner Ressourcenverteilung (siehe u.a. Blumberg 1991; Cécora 1993; Ingoldsby/Smith 1995; Fontaine/Schlumbohm 2000a; Fox et al. 2002; Clark 2003; Quisumbing 2003; et al.). Darüber hinaus spielt, wie wir gesehen haben (vgl. Teil II), die Frage der Einbindung ins und Rolle von Haushalten im kapitalistische/n Weltsystem eine große Bedeutung in globalisierungs-, wie auch patriarchatskritischen Überlegungen. Andererseits entwickelt sich spätestens mit Claude Lévi-Strauss’ Konzept der „Hausgesellschaft“ (Lévi-Strauss 1982; ders. 1987) eine „Anthropologie des Hauses“, die sich mit den sozialen und symbolischen Bedeutungen der Architektur des Hauses (als Kristallisationspunkt der häuslichen Gruppe/des Haushalts), wie auch mit dem Haus als einer „moralischen Person“ befasst (Hardenberg 2007; Thomas 2012). V.1.0 Theoretischer Exkurs: Hausgesellschaft und Anthropologie des Hauses Dabei hat Lévi-Strauss’ „Hausgesellschaft“, bis auf den Begriff, wenig mit dem architektonischen Gebilde zu tun, sondern bezeichnet vielmehr eine korporative Einheit als einer moral person (Carsten/Hugh-Jones 1995b: 6, 254, Fußnote 8), oder besser gesagt einer personne morale (Gillespie 2000: 24ff.), 2 die über materielle und immaterielle Reichtümer verfügt. Diese erhält sich über die Weitergabe ihres Namens, ihrer Güter und Titel, über „reale“ und vorgestellte Verbindungen der Verwandtschaft und der Nähe (Lévi-Strauss 1982: 174, 176).3

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Wahrnehmung der Stimmen Schwarzer und Farbiger Feministinnen in den USA (und Großbritannien), hin zur Frage was die Zuordnung zu diesen Bereichen für Frauen bedeutet, bzw. welche Möglichkeiten der Befreiung (oder Unterordnung) diese womöglich bieten. Was sich zunehmend herauskristallisiert ist, dass die genannte Zweiteilung nicht notwendig in allen Weltregionen oder auch gesellschaftlichen Gruppen vorkommt, oder Bedeutung hat, und wenn sie existiert, dann durch äußerst heterogene Merkmale und Wertschätzungen wie auch Möglichkeiten, charakterisiert ist (vgl. dazu u.a. MacCormack 1980; Moore 1988; dies. 1994; Fuchs et al. 1998; Habinger/Zuckerhut 2005; Fuchs et al. 2014). Gillespie (2000: 29) weist darauf hin, dass der französische Begriff eine etwas andere Bedeutung hat, als der englische, der stark juristisch geprägt ist. Im Lévi-Strauss’schen Verständnis ist die personne morale eher im Sinne von Marcel Mauss (1997) zu sehen, als Einheit mit moralischer und legaler Persönlichkeit, autonom und verantwortlich, Inhaberin von Rechten, aber auch Verpflichtungen unterworfen. Personne definiert sich über Rollen und Beziehungen zu anderen solchen Einheiten, aber auch zur größeren Gesellschaft. Anders als im britischen Denksystem, das in der Verwandtschaftsanthropologie vorherrschend ist, müsse Lévi-Strauss zufolge, vom Denken in fixen Zuordnungen zu einer Gruppe, als einer legal person, abgegangen werden (Gillespie 2000: 30). 1991 nennt Lévi-Strauss, in einem enzyklopädischen Eintrag zum Begriff maison, folgende sechs Merkmale: „La maison est 1) une personne morale, 2) détrentrice d’un domaine, 3) composé à la fois des biens matériels et immatériels, et qui 4) se perpétue par la transmis-

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Die Idee dazu kommt ihm, als er sich mit Franz Boas’ Problem der Kategorisierung der Kwakiutl der Nordwestküste Nordamerikas 4 auseinandersetzt. Diese verbinden patri- und matrilineale, „reale“ und fiktive Abstammung, Exogamie und Endogamie und legen darüber hinaus großen Wert auf sozialen Rang. Damit verweigern sie sich jeglicher Einordnung in eine der bisherigen anthropologischen Klassifizierungen von Verwandtschaftssystemen. Im Vergleich mit den europäischen Adelshäusern des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, entdeckt Lévi-Strauss gewisse Gemeinsamkeiten zwischen dem System der Kwakiutl und dem der europäischen Adeligen. Auch bei letzteren spielt fiktive Abstammung eine Rolle, ebenso wie gegebenenfalls auf die matrilineale Deszendenz zurückgegriffen wird, wenn es um die Erhaltung des Hauses geht (Carsten/Hugh-Jones 1995b: 6-9; Chance 2000: 486; Gillespie 2000: 24ff.; Hardenberg 2007: 157-161). Über die Kategorie des Hauses lassen sich demnach scheinbar unvereinbare Aspekte von Verwandtschaft miteinander verbinden: Hausgemeinschaften kombinieren, nach Auffassung von Lévi-Strauss, Merkmale von Gesellschaften, die durch die „elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ charakterisiert sind, wie auch solche komplexerer Natur, in denen ökonomische und politische Interessen vorherrschen (LéviStrauss 1982: 186-7; ders. 1987; siehe auch Carsten/Hugh-Jones 1995b: 8). Das Modell, das aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der Auswahl, die es Menschen in ihren Selbstverortungen bezüglich Abstammung und Vererbung liefert, einen Ausweg aus der „Krise der Verwandtschaftsanthropologie“ zu bieten scheint (Sandstrom 2000: 54-5; Hardenberg 2007: 161-2),5 wird in Folge heftig diskutiert und von verschiedensten Seiten kritisiert. 6 Einerseits wird sein impliziter, latenter Funktionalismus negativ angemerkt, da dem Haus die Rolle zukommt, entgegengesetzte Prinzipien zu überwinden (Thomas 2012: 354-5). Andererseits wird LéviStrauss ein Quasi-Evolutionalismus unterstellt, da er die Hausgesellschaften zwischen elementaren und komplexen Strukturen, zwischen „vorschriftlichen“ und „modernen“ Gesellschaften einordnet (Carsten/Hugh-Jones 1995b: 9-10; Thomas 2012:

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sion de son nom, de sa fortune et de su titre en ligne réelle ou fictive, 5) tenue pour légitime á la condition que cette continuité puisse a traduire dans le langage de la parenté ou de l’alliance, ou 6) le plus souvent les deux ensemble“ (Lévi-Strauss 1991: 435, zit. nach Gillespie 2000: 27). Wie auch, etwas später, mit Alfred Kroebers Untersuchung der kalifornischen Yurok, letztere die Anthropolog_inn_en vor ähnliche Probleme der Kategorisierung stellen (Gillespie 2000: 24-5). David Schneider (1968; 1984 et al.) und auf ihm aufbauend, Sylvia Yanagisako und Jane Collier (1987) weisen darauf hin, dass die bisherige Grundlage von Verwandtschaft im Mann-Frau-Modell ein folk model der euroamerikanischen Gesellschaft ist, dessen Gültigkeit für andere Weltregionen erst herausgearbeitet werden muss. Ähnlich kritisieren Rodney Needham (1974) und Adam Kuper (1982) die Unangemessenheit der verwandtschaftsanthropologischen Modelle. Gefordert ist vielmehr die „Hinwendung zu lokalen indigenen Kategorien“ (Hardenberg 2007: 161). Zur „Krise der Verwandtschaftsanthropologie“ und nachfolgenden Entwicklungen vgl. u.a. Schweitzer (2000). Gillespie (2000: 23-4) hält fest, dass jeder einzelne von Lévi-Strauss’ aufgeführten Punkten in Folge kritisiert und in Frage gestellt wird. Eine der Kritiken hält ihm, ihr zufolge, vor, er habe den eigentlichen Gegenstand seiner Untersuchung, das physische Haus, ignoriert.

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355). Und schließlich wird die Sinnhaftigkeit der Kategorie als solches zwar anerkannt, die ihr zugeschriebenen Kriterien, werden jedoch, als teilweise zu eingrenzend, hinterfragt (Carsten/Hugh-Jones 1995b: 10ff.). Aus der Kritik an Lévi-Strauss’ Hausgesellschaft, wie auch Impulsen von Bourdieus bereits 1972 publizierten Analyse des kabylischen Hauses (Bourdieu 1979),7 entstehen in Folge eine Reihe von Untersuchungen und Modellen zur Bedeutung des Hauses.8 Beispielsweise Janet Carsten und Stephen Hugh-Jones (1995a), deren Sammelband eine der Grundlagen für spätere Debatten liefert,9 betrachten es als ein heuristisches Mittel zur Untersuchung von Prozessen, die gesellschaftliche Verbundenheit schaffen. Ähnlich Bourdieu (1979) konzentrieren sich Susan Drucker-Brown (2001) oder Daphne Spain (1997), auf Raumaufteilung und -anlage als Ausdruck sozialer Beziehungen. Christine Hugh-Jones (1979), wie auch Sarah Lund Skar (1993), widmen sich stärker der Analyse von Raum und Zeit, auf Grundlage seiner Architektur. Susanne Schröter (1998a; dies. 1998b), Willemijn de Jong (1998) und andere befassen sich mit Analogien von Körper, Raum und Geschlecht, um nur einige wenige der zahlreichen Arbeiten aus jener Anthropologie des Hauses zu nennen, die insbesondere Gender in den Mittelpunkt des Interesses stellt. In die folgenden Ausführungen fließen Überlegungen aus der „Anthropologie des Hauses“ als einer Analyse von Bedeutungssystemen ebenso mit ein, wie solche aus den stärker materialistisch orientierten Zugängen der Untersuchungen zu Haushalten. Es werden einerseits die symbolischen Konnotationen der Architektur und Einrichtung des Hauses für innerhäusliche soziale Beziehungen herausgearbeitet, andererseits werden die sozialen Praktiken, die wesentlich von unterschiedlichen Arten von Ressourcen beeinflusst sind, behandelt. Letztere werden in Anlehnung an eine „Ethnographie des Partikularen“ (Abu-Lughod 1991: 149) teilweise durch Einzelbeispiele illustriert. Auf die Bedeutung von personhood/personing als Analysewerkzeug, das in diesem Teil der Arbeit verstärkt zur Anwendung kommt, wurde bereits im Kapitel II.7.1 hingewiesen.

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Wobei interessanterweise sowohl Lévi-Strauss, als auch Bourdieu, die sozialen Praktiken insofern hervorheben, als sie betonen, dass es in sozialen (Haus-)Systemen weniger um die strikte Befolgung von Regeln, als vielmehr ihre Nutzung als Ressourcen für vielfältige Strategien geht (Gillespie 2000: 31). Viele dieser Untersuchungen, aber nicht alle, befassen sich mit Südostasien und Amazonien (Gillespie 2000: 35). Die Anwendung auf mesoamerikanische Gesellschaften wird in Kapitel V.1.1 angeschnitten. Wobei die Herausgeber_innen, in der Einleitung (Carsten/Hugh-Jones 1995b), einen guten Überblick über den Forschungsstand der 1990er Jahre zur Thematik geben.

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V.1.1 Die kulturellen Bedeutungen des Hauses und seiner Teile: Das Haus, der Altar und der Herd als Abbild des Kosmos, analog dem altepetl Haushalt, als Fokus meiner Analyse, beinhaltet im deutschen wie im englischen Sprachgebrauch den Begriff „Haus“ und auch im klassischen Nahuatl, sowie dem aktuellen Nahuat, besteht eine enge Verbindung zwischen den beiden Termini: cencaltiticate, „sie bilden einen Haushalt/eine Hausgemeinschaft“, ist die Bezeichnung der zentralen sozialen Einheit der Einwohner_innen eines Hauses im frühkolonialen Zensus des Marquesado (Hinz et al. 1983: XVII), cencalli – „die eines vollständigen Hauses“, wörtlich übersetzt „ein Haus“ – der Begriff für Familie (Molina 1944: 17; Siméon 1977: 82).10 Nochi chan kalyetonij – „los que vivimos aquí“ oder auch „alle, die in einem Haus sind“ – und ichankahuan – „la gente de la casa“ – (Arizpe 1973: 138; dies. 1989: 45) oder auch „die in ihrem Haus sind“, bezeichnet die zentrale soziale Einheit im heutigen Cuetzalan, 11 kalyetonij (sinngemäß, „die in einem Haus sind“) die Familie (Cortez Ocotlan 2011: 23; Feldnotizen 2013: o. A.). Gehen wir daher zunächst auf das Haus selbst, seine Struktur, seinen Aufbau, seine Bedeutung ein. Bereits für die vorkoloniale Zeit zeigt Louise Burkhart (1997) die vielfältigen Konnotationen von calli – Haus – auf, wenn auch bezogen auf die Bevölkerung von Tenochtitlan-Tlatelolco, angefangen von seiner kalendarischen und religiösen Symbolik, über die ökonomische, bis zur räumlichen und ihren Aussagen in Hinblick auf Gender (ibid. lfd.). Alleine die Anordnung im calli deutet auf vielfältige religiöse und gesellschaftliche Verflechtungen von Bedeutsamkeiten hin, wie sie auch gegenwärtig, in vielen indigen geprägten Regionen Mexikos, zu finden sind (zu Nahua vgl. u.a. Taggart 1995; ders. 2001; ders. 2004; ders. 2006): Die Wohnstatt der gewöhnlichen Bevölkerung besteht bereits in den präkolumbianischen Epochen aus einem rechteckigen fensterlosen Raum (dem eigentlichen calli bzw. kali), dessen Türe in einen Hof hinausgeht, um den sich weitere, von verwandten Personen okkupierte Häuser gruppieren. Terminologisch wird diese Gruppe von Verwandten unter den Terminus cemithualtin – „die eines Hofes“, nach Molina und Siméon „vna familia“ (Molina 1944: 16), bzw. „una familia; lit. los de la misma casa“, bzw. „die eines Hofes“, abgeleitet von ce („eins“) und ithualli („Hof“) (Siméon 1977: 78) – gefasst. Das Zentrum jedes einzelnen calli stellt der Herd mit seinen drei Steinen – konzipiert als weibliche Gottheiten – dar (Burkhart 1997: 29). Im Boden des Hauses, unter dem Herd begraben, sind die Nabelschnüre der darin geborenen weiblichen Kinder wie auch die Asche der Vorfahren (ibid.: 30). Mit seiner Anordnung als Viereck mit einem Zentrum erweist sich das Haus gewissermaßen als Spiegel der Struktur des Kosmos, wie auch das altepetl („poblado, ciudad, estado […]“, Siméon 1977: 21,

10 Zum Haus bzw. Haushalt als einer sozialen und kulturell bedeutsamen Einheit im vorkolonialen Zentralmexiko, vgl. u.a. auch Carrasco (1971: 368) bzw. Kellogg (1993: 211). 11 Ersteres bezieht sich allgemein auf die häusliche Gruppe, letzteres auf kollaterale Verwandte ersten und zweiten Grades (Arizpe 1973: 138; siehe auch ihre Ausführungen auf den folgenden Seiten sowie 156ff.). Familie als rein auf Verwandtschaft gegründete Kategorie hat, Arizpe zufolge (ibid.: 156), keine Bedeutung in der Sozialstruktur.

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siehe Fußnote in Kapitel IV.3.1), analog dem Kosmos angeordnet ist (ibid.: 30-1; Zuckerhut 2007: 67ff.).12 In den 1970er, 1980er Jahren besteht das, in der Regel aus Holzstangen und Bambus errichtete Haus (kali), in San Miguel Tzinacapan und anderen Gemeinden der Umgebung, ebenfalls aus einem rechteckigen, in der Regel fensterlosen Raum, später, mit der vermehrten Verwendung von Ziegeln und Beton für den Hausbau, kommen Fenster dazu, die jedoch in vielen Fällen mit Brettern verschlossen sind. Die kurzen Seiten befinden sich laut Lok (1987: 213) im Norden und Süden, die langen im Osten und Westen. Die wichtigsten Teile des Gebäudes sind die vier Stangen, die die Eckpfeiler des Hauses markieren. Jede Ecke hat ihren Heiligen: der Nordosten den Heiligen Michael, der Nordwesten den Heiligen Raphael, der Südosten den Schutzengel und der Südwesten den Heiligen Gabriel.13 Bei der Errichtung des Hauses werden dort Opfer gebracht, um einerseits von den ansässigen übernatürlichen Wesenheiten die Erlaubnis für die Besetzung des Raumes zu erwirken, andererseits eine günstige Entwicklung des häuslichen Lebens zu gewährleisten (Lupo 1995: 1523). Mindestens ebenso wichtig wie die Ecken sind, ist der zentrale Balken, der von Norden nach Süden geht und sich über die gesamte Länge erstreckt. Er trägt das Dach und teilt das Haus in Ost und West. Der Herd (siehe unten) soll direkt unter ihm errichtet werden (Lok 1987: 213-214). V.1.1.1 Exkurs: Die Gemeinde, das heutige altepetl, als Abbild des Kosmos In den Beschreibungen von Grundriss und Anordnungen eines Gebäudes von Rossana Lok (ibid.) ist also eine große Bedeutung der Himmelsrichtungen für die Einwohner_innen von Tzinacapan zu erkennen. Timothy Knab (1991: 39ff.; 2009: 102ff.) zeigt, wie diese Relevanz der fünf Himmelsrichtungen, darüber hinaus aber auch der verschiedenen vertikalen Ebenen des Kosmos (Knab 2009: 13ff.), in der räumlichen Gestaltung der Gemeinde San Martín/San Miguel (als verkleinerte aktuelle Variante eines altepetl) zum Ausdruck gebracht wird. Die als Viereck gedachte Erdoberfläche – taltikpak – befindet sich, ihm zufolge, zwischen iluikak, dem Himmel, dem ‚Bereich der Hitze, des Lichtes und des Tages‘ (ibid.: 13), und talokan, dem ‚Bereich der Dunkelheit und der Nacht‘ (ibid.; vgl. auch Knab 1991: 31). Taltikpak, wie auch talokan, sind durch eine nördliche, eine südliche, eine westliche und eine östliche, sowie eine Zentrums-Region strukturiert, jede mit ihren jeweils spezifischen Besonderheiten, wobei diese auf beiden Ebenen eng an die lokalen geographischen Bedingungen der Erdoberfläche angelehnt sind (Knab 2009: 102-3, 106ff., 130-1). In der Anordnung der rechteckigen plaza, des Zentrums der Gemeinde, selbst als Nabel der Welt (und des Kosmos) gedacht, spiegelt sich die horizontale (wie auch die vertikale) Struktur des Kosmos: Der Süden, als Region der Hitze, des Himmels und der Heiligen, ist folgerichtig der Ort, an dem sich die Kirche von San Martín/San Miguel befindet (Knab 1991: 39; ders. 2009: 104). Der Altar des Gottesgebäudes ist seinerseits im Süden bzw. im Osten14 lokalisiert (und der Haupteingang im Norden 12 Zum horizontalen Kosmos, siehe die berühmte Darstellung des Codex Fejérváry-Mayer. 13 Lupo (1995: 153) zufolge sind das dieselben Engel, die auch die Erde stützen. 14 Tatsächlich ist die Kirche von San Miguel im Osten, das heutige Gemeindeamt befindet sich nicht direkt gegenüber der Kirche, sondern ist etwas nach Süden versetzt. Unmittelbar

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bzw. Westen). Das Gemeindeamt liegt, Knab zufolge (Knab 1991: 39; ders. 2009: 104), bis ins 19. Jahrhundert im nördlichen, tatsächlich im westlichen Sektor des Gemeindezentrums, wobei der Norden, nach Knab, mit den kalten Winden (nortes) des Winters, mit Kälte und Tod assoziiert ist (Knab 2009: 107). Im Westen – in der Unterwelt als apan, „Platz des Wassers“, 15 bekannt (ibid.: 110) –, tatsächlich im Nordosten bzw. der Nordregion, ist an klaren Tagen der Golf von Mexiko zu sehen, der Osten – tonallan, ‚am Berg, auf dem die Sonne auf ihrem Weg in die Unterwelt rastet‘ (ibid.: 112) – (tatsächlich [auch] der Süden), von hohen Bergen begrenzt (ibid.: 104; vgl. auch Knab 1991: 56-7). V.1.1.2 Der häusliche Altar als Abbild des Kosmos Im Haus, wie erwähnt, ebenfalls eine Spiegelung oder auch Repräsentation des Kosmos (Signorini/Lupo 1989: 81; Lupo 2001: 343), nimmt der häusliche Altar als Wohnort der Heiligen die Stelle der Kirche ein, wenngleich sich dieser, laut Lok (1987: 214), (analog der tatsächlichen Lage der Kirche) bevorzugt im Osten und nicht im Süden befindet.16 Zusammen mit den vier Ecken des Hauses bildet der Altar eine Einheit von fünf, mit letzterem als dem Zentrum (ibid.: 116), wobei der Altar seinerseits ein Abbild des Kosmos ist (Lupo 2001: 343; Knab 2009: 21): Der obere Bereich entspricht mit seinen Heiligen dem Himmel iluikak; seine Oberfläche taltikpak, der Erde. Auf ihr befinden sich Blumen und Kerzen. Und schließlich der untere Bereich, ist jener von talokan, der Unterwelt, wo sich Relikte der Ahn_inn_en wie vorkoloniale Topfscherben oder Obsidiansplitter, Haare und Kleidungsstücke verstorbener Verwandter sowie geschwärzte Räuchergefäße befinden, entweder in der Erde vergraben, oder in einer Truhe aufbewahrt (Knab 2009: 21; zur dreigeteilten vertikalen Struktur des Kosmos vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 132).17 Während Knab (2007: 104), wie erwähnt, den Süden als Ort der Heiligen nennt, ist dieser laut Lok (1987: 214; vgl. aber auch Lupo 2001: 343), also im Osten lokaligegenüber der Kirche, im Westen, gibt es nun eine Halle, die für Versammlungen und andere gemeinschaftliche Aktivitäten, beispielsweise die große Tanzveranstaltung im Gefolge der mayordomía für den Heiligen Michael, genutzt wird (Feldnotizen lfd.). Der Golf von Mexiko, bei sonnigem Wetter in der Ferne zu erkennen, liegt im Nordosten von Tzinacapan, während im Süden und im Osten Berge den Blick verstellen. Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 134-6) beschreiben – den klimatisch-geographischen Tatsachen und weniger den kosmologischen Vorstellungen entsprechend – den Norden als Region der Hitze, den Süden als den der Kälte. 15 Apan, abgleitet von at („Wasser“) und pan, dem Suffix für „Ort, Platz“; dem „Diccionario Español – Nahuat. Nahuat – Español. Cuetzalan“ zufolge aber „Quelle“ (Cortez Ocotlan 2011: 60). 16 Auch in anderen Regionen Mexikos ist der Platz des Altars im Osten bzw. nach Osten ausgerichtet (vgl. z.B. Dürr 1996: 26), d.h. dieser Himmelsrichtung kommt eine besondere spirituelle Bedeutung zu. Die katholischen Kirchen Europas sind nach Osten ausgerichtet, d.h. im europäischen Katholizismus spielt diese Himmelsrichtung eine ähnliche Rolle. 17 Knab (1991: 32) schildert, wie bereits in Kapitel IV.2.5.6 angemerkt, dass die Nabelschnur und die Plazenta von neugeborenen Mädchen im Boden des Hauses „ausgesät“, sprich vergraben wird (wie die der Knaben am Feld), präzisiert aber nicht an welcher Stelle.

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siert, weshalb sich auch der Altar und, wie zu ergänzen ist, auch die Kirche Tzinacapans, im Osten befinden. In diese besonders wichtige Himmelsrichtung – tonalkisayampa, „wo die Sonne weggeht“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 132) – werden daher auch die Gebete gesprochen. Alle Rituale beginnen und enden am Altar (Lok 1987: 214, 216) des Hauses, wie auch der Kirche, dessen Herr der Heilige Michael ist, Schutzpatron des Hauses, des Dorfes, ja des gesamten Universums (ibid.: 124). Die Gaben an die Erde (darunter, neben Gebeten, Weihrauch, Zigaretten, einem Palmholzkreuz, Hühnerteilen u.a., auch viele Samen) 18 – zusammen kalyolot, „Herz des Hauses“ 19 genannt –, die im Zuge der Errichtung eines Hausaltars gemacht werden, sind Teil des großen Zyklus von Geben und Nehmen mit den und zwischen den verschiedenen Wesen der Welt (siehe Kapitel IV.2.5 et al.; Feldnotizen 1.2.2006). Das, was die Erde heute erhält, wird sie in Zukunft tausendfach zurückgeben, wobei der Akt des Eingrabens, der mit dem Opfer einhergeht, dem Deponieren des Samens in die Erde am Feld ähnelt (Lupo 1995: 163, 167-8) und somit an das Selbstverständnis der Einwohner_innen als pueblo de agricultores (López Austin 1998: 76) anknüpft. Dem Altar gegenüber, im Westen – tonalkalakiampa, „wo die Sonne ins Haus eintritt“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 132) –, ist der Haupteingang des Hauses (ibid.: 214), wie sich ja auch das Kirchentor gegenüber dem großen Altar in der Kirche befindet. Die Ost-West-Achse ist – und hier stimmt Lok mit Knab (2009: 110-3) überein – die Richtung, in der die Sonne auf- und untergeht. Sie kennzeichnet Anfang und Ende des irdischen Tages und damit auch Anfang und Ende des Lebens (Lok 1987: 214; zur Bedeutung der Ost-West-Achse, vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 136ff.). V.1.1.3 Der Herd als Abbild des Kosmos Im Süden (als einer Region der Hitze und des Lichtes) wird, verbunden mit einer Zeremonie (Tz 7 2.10.2013), der Herd errichtet, Sitz der häuslichen Feuergottheit (Lupo 1995: 154), der ebenfalls als Abbild des Kosmos gesehen werden kann (Lupo 2001: 343). Tixochit,20 die Feuerblume, befindet sich über einem, zusammen mit Opfergaben in der Erde (Lok 1987: 214), bzw. einer großen aus Holz oder Ziegeln errichteten Truhe voller Erde (Lupo 1995: 176; ders. 2001: 343-4), vergrabenen Tonkrug (tikomit) (Lok 1987: 214-5; Lupo 1995: 176; Tz 7 4.2.2005; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 141). Sie gilt als die „Sonne der Unterwelt“, unter der Oberfläche der Erde im Norden, und sie brennt genau unter der „Sonne der Oberwelt“ (iluikak), wenn diese im Süden auf ihrem Höhepunkt ist. Die im Norden oder im Süden platzierten Herdsteine markieren den tiefsten und den höchsten Stand der Sonne, jene im Westen und im Osten, die Punkte, an denen die Sonne beim Auf- und Untergang, die Berge berührt. Denn der Zyklus der Sonne endet nie; wenn sie auf der Erde untergeht, geht sie unter der Erde auf (Lok 1987: 218-9; Lupo 2001: 344). Die18 Zur genauen Auflistung und der Bedeutung der Opfergaben, vgl. Lupo (1995: 165ff.). 19 (Menschliche) Herzen, als etwas besonders Kostbares, sind die bevorzugte Opfergabe der vorkolonialen Bevölkerung Mesoamerikas (vgl. dazu Zuckerhut 2000: 282-4; et al.). 20 Laut Alessandro Lupo (1995: 177) wird die Blumenmetapher gerne verwendet, um Glanz und Hitze auszudrücken. Folgerichtig ist der Herr des Herdes San Antonio Tixochit (Lok 1987: 215).

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se Herdsteine (telamas) (Tz 7 4.2.2005; Cortez Ocotlan 2011: 83) tragen den Namen der Dreifaltigkeit, Gott Vater (Dios tetahtzin), Gott Sohn (Dios tepiltzin) und Gott Heiliger Geist (Dios Espíritu Santo) (Lok 1987: 218; Lupo 1995: 177f., 179; ders. 2001: 343f.), oder auch, entsprechend der alles durchdringenden geschlechtlichen Dualität, insbesondere der mit den Herdsteinen gleichgesetzten Erde (Lok 1987: 218; Lupo 1995: 163-4, 180; ders. 2001: 344), als Dios tetahtzin (Gott Vater), Dios tenantzin (Gott Mutter) und Dios tepiltzin (Gott Sohn) bzw. den Namen von drei Heiligen, wie María (Maria), Colasa (Nikolausa), Xihuana (Johanna) bezeichnet (Lupo 2001: 344, Fußnote 7). Auf diesen drei H-Erdsteinen „liegt“ der comal, eine zwar nicht rechteckige, sondern runde Scheibe aus Ton bzw. aus Metall, die nichtsdestotrotz die Erdoberfläche taltikpak repräsentiert, auf der die lebensspendende tortilla gebacken wird (Lok 1987: 218; Lupo 1995: 177; ders. 2001: 344). 21 Die „Sonne von unten“ erhitzt also die Erdoberfläche/den comal und wandelt den Mais in ein für den Menschen genießbares Lebensmittel, so wie die „Sonne von oben“ das Maisfeld erhitzt, um den Mais wachsen zu lassen (Lupo 1995: 178-9; Zuckerhut 2010b: 59). Der comal stellt eine Achse dar, an der sich die Welt nach unten spiegelt. In der Unterwelt (talokan) gibt es folgerichtig Dörfer wie bei den Menschen, Berge, Flüsse, Seen, etc. (Lok 1987: 219).22 V.1.2 Das Haus als Ausdruck sozialer Praktiken: die Küche Diese ideale Anordnung im Haus wird in der Praxis sehr flexibel gehandhabt, wie auch in der Vergangenheit das Zentrum eines altepetl bzw. der Welt nicht immer dem tatsächlichen Zentrum entspricht,23 bzw. die Aufteilung, beispielsweise der Stadt Tenochtitlan-Tlaltelolco in vier große Stadtteile (rund um den Tempelbezirk), sich an den Dämmen,24 und nicht an der exakten Ausrichtung nach den Himmelsrichtungen, orientiert. Aktuell gibt es in San Miguel Tzinacapan, aber auch im nahegelegenen Ajotzinapan, Häuser mit dem Eingang im Osten, dem Altar, der meist, aber nicht immer, gegenüber dem Eingang zu finden ist, im Westen und dem Herd im Südwesten, bzw. Nordosten, ebenso wie solche mit dem Eingang im Norden, dem Altar im Süden, und der Küche im Süden, mit dem Herd im Westen. Einen entscheidenden Einfluss hat hier weniger die religiöse Symbolik, als vielmehr die Ausrichtung an geographischen und anderen Gegebenheiten. Zum einen 21 Heute befindet sich zwischen den Herdsteinen und dem comal in der Regel ein dreibeiniges Gerüst aus Metall. 22 Zur teilweisen Spiegelung der Welt in talokan, vgl. auch Knab (1991: 37, 47). 23 Je nachdem, aus welchem Blickfeld die Welt betrachtet wird, befindet sich das Zentrum der Welt in Teotihuacan, Atzcapotzalco, Tenochtitlan oder auch weiter in Süden oder Osten. 24 Dämme, die einerseits zur Trennung zwischen Süß- und Salzwasser, andererseits als Verbindungswege zum Festland errichtet sind (vgl. dazu u.a. Escalante 1990; González 1990). In anderen Zusammenhängen kann die Exaktheit sehr wohl eine Rolle spielen und wird dem entsprechend strikt eingehalten. Vgl. dazu u.a. Brodas (1988: 70ff.) Ausführungen zum Zusammenhang des landwirtschaftlichen Kults für die Regengottheiten mit bestimmten Bergen und Bauwerken, ausgerichtet nach ganz spezifischen astrologischen Konstellationen.

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orientiert sich der Eingang (und damit der Altar) an der Straße bzw. dem Weg, an dem das Gebäude errichtet ist,25 zum anderen an der Topographie des Raumes insofern, als sich die Rückseite eines Hauses womöglich an einer Fels- oder Bergwand befindet und somit keine günstigen Bedingungen für eine Türe liefert. V.1.2.1 Die Küche und der Herd als Zentrum des Hauses, ein Ort sozialer Nähe Der Herd stellt, unabhängig von seiner Lage, insofern in allen unter- und besuchten Haushalten das Zentrum des Hauses dar (vgl. dazu auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 141), als, abgesehen von seiner rituellen und personhood schaffenden bzw. erweiternden Bedeutung bei der Heirat, 26 ein großer Teil des familiären Zusammenlebens in seiner unmittelbaren Umgebung erfolgt. Nicht nur zu den Mahlzeiten kommen die Leute des Hauses sowie näherstehende Personen hier zusammen. Es wird gekocht, gegessen und Kaffee getrunken, Informationen wie auch Klatsch werden ausgetauscht. Abhängig von den finanziellen Mitteln, aber auch den Präferenzen des Vorstandesehepaares,27 ist dieser Küchenbereich ein, mit Hilfe von Holz, Plastik und/oder Decken abgetrennter Teil des Hauses, ein aus Holz errichteter Anbau an das ebenfalls aus Holz, Bambus oder auch aus Steinen oder Betonziegeln errichtete Hauptgebäude, oder das Haus selbst ist mit Hilfe von Mauern in mehrere Räume unterteilt, von denen einer die Küche bildet. In den seltensten Fällen befinden sich letztere und womöglich auch der Herd unter dem tragenden Hauptbalken (siehe oben), noch dazu als eine wachsende Präferenz für Flachdächer besteht.28 Erfolgt der Rauchabzug in den älteren Häusern, bzw. den Wohnstätten der ärmeren Menschen durch die Ritzen und Spalten der Hauswände und des Daches, was Husten- und Lungenkrankheiten insbesondere der Frauen29 fördert, so gibt es in jenen der wohlhabenderen einen eigenen Kamin mit Abzug. Eine zumindest minimale Abtrennung der Küche vom restlichen Wohnbereich ist insofern wichtig (und findet sich folglich in allen Häusern), als die Küche als Zent25 Das trifft auf alle Häuser zu, sofern sie nicht auf einem rancho oder in einer cafetal errichtet und nur über ein Netz, oft schlammiger Pfade zu erreichen sind. 26 Anlässlich der Heirat wird am Herd mit copal geräuchert (Tz 7 2.10.2013). Hühner und andere Tiere, die neu in den Haushalt kommen, werden über dem Herdfeuer in die vier Himmelsrichtungen gehalten, „para que saben que es su casa“ (ibid.). 27 Wobei diese tatsächlich die Präferenz des Mannes, ev. auch der Frau, zum Ausdruck bringen können oder das Ergebnis eines Aushandlungs- und Diskussionsprozesses sind (siehe Kapitel V.1.2.4 und V.3). 28 Flachdächer sind zwar in Hinblick auf den Abfluss des Regenwassers gegenüber den herkömmlichen Pultdächern im Nachteil, aber auf ihnen kann erstens jederzeit ein zweites Stockwerk oder auch ein kleines Häuschen errichtet werden und sie dienen zweitens dem Trocknen der Wäsche wie auch des Kaffees, kleiner Chilis, von pimienta, etc., die gegebenenfalls über Nacht, oder an den vielen Regentagen, in diesem kleinen Häuschen gelagert werden können. 29 Frauen sind diejenigen, die, aufgrund ihrer Tätigkeiten in der Küche, viele Stunden des Tages dem Rauch ausgesetzt sind. Im Anschluss an meine Aufenthalte in der Sierra falle ich im Bus, im Flugzeug, wo auch immer, vor allem durch meinen starken Geruch, der an Räucherwaren erinnert, auf.

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rum auch das „Herz des Hauses“ darstellt. Unabhängig von ihrer tatsächlichen Lage (z.B. als Anbau und damit an das Hauptgebäude angefügt) bildet sie eine Art inneren Bereich des kali, zu dem nur eng miteinander verbundene Personen bzw. solche, denen ein gewisses Vertrauen entgegen gebracht wird, Zutritt haben. Lupo (1995: 184) erklärt die Trennung des Koch- vom Wohn-, insbesondere vom Eingangsbereich, mit dem potentiellen Neid, den der Anblick der in der Küche gestapelten Lebensmittel bei anderen Menschen hervorrufen würde. Er spricht von einer Gesellschaft begrenzter Güter, in der die Fruchtbarkeit der_des einen, immer als auf Kosten der anderen gehend, gesehen wird. In welchen Bereich des Hauses jemand gebeten wird, ob jemand bereits an der Türe abgefertigt wird (wie im Falle von Vertreter_inne_n), in den Eingangs- und Wohnbereich gebeten und dort gewissermaßen auf einem Sessel oder einer Bank bzw. einem Bett „geparkt“, 30 oder in die Küche und bei längerem Aufenthalt auch zum Essen geladen wird, bzw. im Falle höher geordneter Personen, mit denen beispielsweise eine Geschäftsbeziehung angestrebt wird, oder eine compadrazgo-Beziehung besteht, das Essen im Wohnraum serviert wird, bringt also das Verhältnis der Nähe und Distanz zur betreffenden Person, aber auch die Bedeutung des Anlasses, zum Ausdruck. V.1.2.2 Die Küche, ausgestattet mit Herd und metate, als Bereich indigener Weiblichkeit Die Küche kennzeichnet den inneren, vertrauten Bereich der Wohnstadt. Sie kann gleichzeitig als spezifisch weiblicher Raum angesehen werden.31 Denn in ihr wird der – wie wir in Kapitel V.1.1.2 gesehen haben –, für die indigene personhood so wichtige, Mais, in ein für Mensch und Tier konsumierbares Produkt, umgewandelt. Die Herstellung von nixtamal durch Kochen der Maiskörner im Kalkwasser und ihre mühselige Zerkleinerung zu einem formbaren Teig am Mahlstein (metate), ist ebenso Aufgabe der Frauen im Haushalt (und Ausdruck weiblicher personhood), wie das Formen und Rösten der Teigfladen.32 Die Bezeichnung tesini, „die, die mahlt“, für 30 In der Regel wird einer Person die ins Haus gebeten wird, ein Sitzplatz angeboten, dann verschwindet der Hausherr oder auch die Hausfrau, um mit einer Tasse oder einem Glas Kaffee oder auch einem anderen Getränk wiederzukommen. Sobald das Getränk überreicht ist, zieht sich der Hausherr_die Hausfrau in die Küche oder anderswohin zurück, um dort jene Tätigkeit zu vollenden, mit der er_sie beim Eintreffen des Besuchs beschäftigt war. Erst danach, oder wenn es dem Gast nach einer halben Stunde und länger Herumsitzen dann doch zu lange dauert und er_sie sich durch Rufen bemerkbar macht, kommt der Mann bzw. die Frau und kümmert sich um sein Anliegen. 31 Mit der Küche, als einem spezifisch weiblichen Bereich besonderer Bedeutung in den zentralmexikanischen Gemeinden Xochimilco und Ocotepec, befasst sich z.B. Christie (2006), die allerdings nicht auf die Bedeutung des Mais’ eingeht. Vielmehr fokussiert sie auf die Zusammenarbeit von Frauen anlässlich von Festen und der damit einhergehenden, herausragenden Rolle der Hausfrau. 32 Durch das Kochen des Mais’ in Kalkwasser wird die schlecht verdauliche äußere Schale des Korns entfernt. Kalk und Hitze erhöhen darüber hinaus den Nährwert der Proteine verglichen mit nicht behandelten Mais (siehe dazu u.a. Holzer 1994a; Tz 7 10.10.2013). – Zur Bedeutung der nixtamalization, vgl. auch Fitting (2011: 16). Diese wird seitens der Wissenschaft erst im Verlauf der 1940er Jahre erkannt. Lange Zeit gilt Mais als ein minderwer-

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eine Frau, bringt das in besonders deutlicher Weise zum Ausdruck, ebenso wie die Tatsache, dass jedes ältere Mädchen, jede Frau seine bzw. ihre eigene metate hat.33 Und das, trotzdem das Mahlen des Mais’ schon seit Jahrzehnten nicht mehr im Haus auf dem Mahlstein erfolgt, sondern von einer elektrischen (oder, wenn diese ausfällt bzw. auf abgelegenen ranchos auch durch eine Hand-)Mühle übernommen wird. Nur das Futter für die Tiere wird in der herkömmlichen Weise zerkleinert. Die Fähigkeit tortillas herzustellen, als Zeichen vollständiger Weiblichkeit, ist so gesehen im Denken (nicht so sehr im Handeln) der maseualmej tief verwurzelt. Indigene erwachsene personhood kennzeichnet sich, wie wir gesehen haben (vgl. Kapitel IV.2.5.6), nicht nur durch die Beherrschung geschlechtsspezifischer Tätigkeiten, wie den Anbau und die Verarbeitung von Mais, sondern auch durch Heirat, möglichst erwachsene Kinder und, mit ersterem in Verbindung stehend, eine Komplementarität der Eheleute, die sich analog zur erwachsenen personhood entwickelt. In den Anfangsjahren der Beziehung – das Paar lebt im Haushalt mit den Eltern des Mannes oder auch der Frau – ist diese Komplementarität gar nicht bis wenig existent. Der Mann arbeitet im Idealfall mit seinem Vater oder Schwiegervater auf dessen Feld, die Frau mit ihrer Mutter oder Schwiegermutter in der Küche, wo sie allerdings ihre eigene metate besitzt (diese aber nicht notwendigerweise verwendet). „Tres metates para tres mujeres“, erklärt mir Ernesto (Tzm 10 30.8.2004) auf meine Frage, warum es in der Küche seines Hauses drei Mahlsteine gibt. Ehescheidungen erfolgen wenn, dann meist in den ersten Jahren (vgl. dazu auch Manzanares 2004: 31). Mit der Geburt des ersten Kindes wird die Beziehung gestärkt, erst mit der Etablierung eines eigenen Herdes (was meist mit einer Trennung des Mais’ einhergeht, siehe Kapitel IV.2.5.6), ist (vollständige) Komplementarität erreicht. V.1.2.3 Küche/n als vordergründige Ursache und Ausdruck haushaltsinterner Spannungen In Anbetracht der Bedeutung des eigenen Herdes für das Erreichen von Komplementarität und einer damit einhergehenden vollständig(er)en, erwachsenen Weiblichkeit, ist es naheliegend, dass Frauen danach trachten dieses Ziel möglichst rasch zu erreichen. Unterstützt werden sie dabei womöglich durch ihre Ehemänner, die in ihrem eigenen personing in ähnlicher Weise eingeschränkt sind, solange sie sich vom Mais/Herd ihrer (Schwieger-)Eltern ernähren. Die (Schwieger-)Eltern auf der anderen Seite, haben völlig entgegengesetzte Interessen. Denn sie profitieren in ihrem sozialen (und ökonomischen) Status in mehrfacher Hinsicht vom Vorhandensein mehrerer, von ihnen abhängiger weitgehend erwachsener Personen im Haushalt. Neben tiges Nahrungsmittel, verglichen mit Weizen, verantwortlich für Armut und Rückständigkeit der indigenen Bevölkerung. Die Ernährung mit Mais führe zu Mangelerscheinungen, die tatsächlich allerdings nur bei der armen Bevölkerung im Süden der USA (wo Fitting zufolge, keine nixtamalization erfolgt), kaum aber in Mexiko, beobachtet werden (ibid.: 93). 33 Mit zehn, elf Jahren, manchmal auch schon früher, werden Mädchen angehalten, sich an der Produktion von tortillas zu beteiligen (zum Erwerb geschlechtsspezifischer Fähigkeiten, siehe Kapitel IV.2.5.6). Es dauert Jahre, bis der Lernprozess abgeschlossen ist; wie in Kapitel IV.2.5.6 erwähnt, verwenden junge Frauen, wenn möglich, eine tortilla-Presse aus Holz oder auch Metall, da diese die Arbeit wesentlich vereinfacht.

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der dadurch bedingten Stärkung ihrer Männlich- bzw. Weiblichkeit, genießen sie auch ökonomische Vorteile. Haushalte, die aus mehreren arbeitsfähigen Erwachsenen bestehen, verfügen über größere Reserven an Arbeitskräften, als solche mit nur einem Ehepaar. Arbeitet der Sohn am Maisfeld und versorgt die Schwiegertochter den Haushalt, so stehen dem Haushaltsvorstandspaar Zeitressourcen zur Verfügung, die z.B. in die Herstellung und den Verkauf von Kunsthandwerksprodukten investiert werden können. Damit erhöhen sich seine monetären Einkünfte und damit verbunden seine ökonomische (und über das geschickte Investieren im religiös-rituellen Bereich auch soziale) Sicherheit. Oder, vor allem ökonomisch bessergestellte Hausleute, investieren die gewonnene Zeit u.U. in politische und andere Aktivitäten, die sie in soziales Prestige umsetzen können. Das Haushaltsvorstandspaar wird daher danach trachten die Unabhängigkeit der jungen Leute möglichst lange hinauszuzögern. Werden die aus dieser Situation resultierenden Spannungen und Konflikte zwischen den Generationen zu groß (vgl. dazu auch Zuckerhut 2008a; dies. 2010b), so dass selbst eine Drohung, dem (Schwieger-)Sohn das versprochene Anrecht auf Familienland zu verweigern, seine Wirkung verliert,34 so ist die Elterngeneration zu ersten Zugeständnissen bereit. Ein Teil des Hauses wird abgetrennt, eine zweite (im Falle mehrerer im Haus lebender verheirateter Kinder womöglich auch dritte oder gar vierte) Küche, mit eigener Herdstelle, wird errichtet – eine Küche und ein Herd, deren Lage sich stärker an räumlichen Gegebenheiten, denn an religiös begründeten Idealen orientieren. Eine zweite (dritte oder vierte) Küche – Ausdruck der Komplementarität und damit erhöhten personhood der jungen Eheleute – bedeutet gleichzeitig die Existenz eines weiteren sozialen Brennpunkts innerhalb des Hauses und markiert somit auch für Außenstehende deutlich sichtbar, die Uneinigkeit im Haus und damit die Schwächung der Autorität des Vorstandspaares. Aus dieser für sie nachteiligen Situation versuchen die „Alten“ in manchen Haushalten das Beste zu machen, indem sie sich beispielsweise selbst bei den jungen Leuten zum Essen oder Kaffeetrinken einladen, wenn sie aus irgendeinem Grund nicht dazu gekommen sind das Feuer anzufachen und selbst zu kochen. Dabei achten sie darauf – im Sinne der Gegenseitigkeit – möglichst selbst einen Beitrag zur Mahlzeit zu leisten, keine oder möglichst geringe „Schulden“ zu machen: „Im Haus lädt mich Angelica gleich in ihre Küche zu einem taco[35] ein. Sie hätte keine comida [Mahlzeit] entschuldigt sie sich, bietet mir aber Avocados und eine aus Tomaten und Chilis bestehende Sauce an. Kurz darauf kommen ihre Schwiegereltern Ernesto und Leonore – Leonore hat einige tortillas mitgebracht, legt sie zum Wärmen auf den comal. Ernesto hat keine Hemmungen, sich von der Avocado und der Sauce zu bedienen. Leonore ergänzt die Mahlzeit durch ein in der Stadt gekauftes Brathuhn.“ (Feldnotizen 10.2.2006)

34 Im Falle des Schwiegersohns geht das Land genau genommen an die Tochter, wird aber von ihrem Mann bearbeitet. Die Drohung wird vor allem dann unwirksam, wenn die jungen Leute über ausreichende und einigermaßen gesicherte eigene Einkommensquellen verfügen. 35 Der Bezeichnung für eine gefüllte tortilla. Es ist üblich, z.B. Bohnen, aber auch scharfe Chili-Sauce in eine tortilla einzurollen.

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V.1.2.4 Die eigene Küche (das eigene Haus) als Zeichen vollwertigen Erwachsenseins Im Haus besteht in Folge ein gegenseitiges Geben und Nehmen zwischen den Kücheninhaber_inne_n auf gleichberechtigter Basis, anstelle der zuvor dominierenden (hierarchischen) Abhängigkeit der jüngeren Familie von der Elterngeneration. 36 Letztere sieht sich somit nicht (mehr) für die Bereitstellung von Essen für erstere und Enkelkinder verantwortlich, wie das vor der Trennung von Mais und Küche der Fall ist: „Ernesto gibt nur mir zu essen, den [Enkel-] Kindern nicht“ (Feldnotizen 14.9.2007). Im Grunde erfolgen nun sämtliche ökonomische Aktivitäten, wie auch der Konsum der Mahlzeiten, weitestgehend getrennt. Nur im politischen und religiös-rituellen Bereich ist die Ablösung des neuen Haushalts noch nicht vollzogen. Weiterhin gilt der Haushaltsvorstand als Ansprechpartner für Angelegenheiten betreffend das Ämtersystem, insbesondere wenn es um eine mayordomía geht oder die Bereitstellung von Arbeitskräften für die faena. Der nächste Schritt der Abtrennung der Familie des (Schwieger-)Sohnes, der auch in dieser Hinsicht die Unabhängigkeit mit sich bringt, besteht in der Errichtung eines eigenen Hauses, meist, aber nicht immer, in unmittelbarer Nachbarschaft des elterlichen Heims. Dafür sind materielle Ressourcen notwendig, die seitens der jungen Familie erst erwirtschaftet werden müssen. Die ökonomische Selbstständigkeit, die mit der Trennung von Mais und Küche manifestiert wird, erleichtert das. Dieser letzte Schritt zur sozialen Vollwertigkeit ist nicht für alle Nachkommen eines Haushalts gleichermaßen möglich. Vom jüngsten Sohn (xokoyot), oder in manchen Fällen von der jüngsten Tochter, wird erwartet, dass er_sie im Haus verbleibt (oder zumindest in dieses zurückkehrt) und sich um die Eltern kümmert, wenn diese zu alt und/oder gebrechlich sind, für sich selbst zu sorgen (Arizpe 1973: 179; Tz 16 8.2.2005), etwas, worauf auch Robichaux (1997) in seinem Mesoamerican household formation system Bezug nimmt (siehe Kapitel II.2). Der Vater muss im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit das gesamte Maisfeld dem (Schwieger-)Sohn überantworten, die Mutter, die Küche/den Herd an die (Tochter bzw.) Schwiegertochter übergeben. Die personhood stützt sich in dieser Lebensphase – wie erwähnt (Kapitel II.7.1 und IV.2.5.6) – primär auf das Prestige und die Stärke aus der vorangegangenen Teilnahme am Ämtersystem oder auch auf besondere übernatürliche Fähigkeiten im Bereich der Heilung oder Zauberei. Ist es einem Mann_einer Frau in der Vergangenheit nicht gelungen höhere Ämter einzunehmen oder anderwärtig rituelle Kraft zu erlangen, so geht jegliche Autorität und die damit assoziierte Handlungsfähigkeit verloren. Das Haus samt den damit verbundenen Rechten und Pflichten sind in der Verantwortung des (Schwieger-)Sohnes und seiner Frau, der alte Vater_die alte Mutter in jeder Hinsicht von ihnen abhängig. Die Angst vor einer derartigen Abhängigkeit, und damit einhergehend Rechtlosigkeit, bedingt u.a., dass auch sehr alte und hinfällige Menschen am Maisfeld bei der Arbeit oder in der Stadt am Markt beim Verkauf von Obst, Gemüse oder Kunsthandwerk anzutreffen sind.

36 Was eine leicht spannungsgeladene Atmosphäre zwischen den Generationen nicht ausschließt.

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V.1.2.5 Kurze Zusammenfassung Wenn wir unsere Ausführungen zum Haus, insbesondere der Küche, als Ausdruck sozialer Praktiken nun zusammenfassen, so zeigt sich, dass die Küche und der Herd, unabhängig von ihrer tatsächlichen Lage, das Innerste, das „Herz des Hauses“ bilden. Hier spielt sich das soziale Leben der Familie ab und es haben nur jene Personen Zugang, zu denen eine enge und vertraute Beziehung besteht. Küche und Herd bringen somit Nähe zum Ausdruck, aber wie wir gesehen haben, deutet das Vorhandensein von zwei oder mehreren Küchen auf das Gegenteil hin, nämlich auf Konflikt und Distanz. Auf die damit in Verbindung stehende Bedeutung der Küche für indigene Weiblichkeit, komme ich später noch einmal zurück. V.1.3 Das Haus als Ausdruck sozialer Praktiken: der Wohnraum Die eingangs geschilderte symbolisch-religiöse Bedeutung der Lage von Küche, Herd und Altar wird womöglich dadurch gefördert, dass es sich bei diesen Teilen des Hauses um relativ fixe, d.h. längerfristig bestehende Einrichtungen handelt. Die Küche wird, sofern das Gebäude nicht insgesamt aus- oder umgebaut wird, in der Regel nicht verlegt, es kommen höchstens noch weitere Küchen dazu, oder bestehende Zweit- und Drittküchen werden aufgelöst. Wird ein Fest gefeiert, so geht damit womöglich die Errichtung einer weiteren Feuerstelle einher, diese bleibt aber nur vorübergehend, nicht längerfristig bestehen. Der Altar kann im Falle eines gröberen Hausumbaus kurzfristig verlegt werden, ansonsten aber bleibt seine Lage, wie auch die von Küche und Herd,37 über Jahrzehnte unverändert. Anders ist das bezogen auf die Einrichtungsgegenstände des Wohnraums (aber auch der Küche) selbst: mit herkömmlichen Mitteln ausgestattete Häuser (d.h. aus den in der Region vorhandenen Materialien bestehend, von den Einwohner_inne_n der Gemeinden und nicht maschinell hergestellt), sind in ihrer Gestaltung höchst flexibel. Geschlafen wird am Erdboden, auf geflochtenen Matten (petat), die in der Früh zusammengerollt und in ein Eck gestellt werden. Für Babies gibt es hölzerne Wiegen, die an langen Seilen vom Dachbalken herabhängen.38 Kleider und andere Gegenstände werden in hölzernen oder geflochtenen Truhen, in manchen Haushalten durch Plastiktonnen ersetzt bzw. ergänzt, aufbewahrt. Tische und Bänke, die für die Gastmähler der Feste benötigt werden, werden aus Holzblöcken und Brettern kurzfristig zusammengestellt (Feldnotizen lfd.). Oft gibt es die Wand entlang eine Bank, auf der Gäste Platz nehmen können. Nur in der Küche befinden sich permanent Tisch und Sesseln (beides oft so niedrig, dass sie an Kindermöbel erinnern). Die Anordnung und teilweise Funktion dieser Gegenstände unterliegt ständiger Veränderung. Die Schlafmatten werden, wie gesagt, täglich neu auf- und zusammengerollt. Die Hausbank bleibt zwar stehen, bekommt aber sehr heterogene Aufgaben: sie dient als Sitzplatz für Familienmitglieder oder Gäste, als Ablagefläche, als Tisch

37 Die Ausrichtung orientiert sich ja weitestgehend am Haupteingang, mit dem Altar diesem gegenüber und der Küche möglichst in einem hinteren/abtrennbaren/nicht sofort einsehbaren Bereich des Hauses. Solange dieser nicht verlegt wird, werden somit auch Altar, Küche und Herd nicht versetzt. 38 Oft ist die Wiege nicht im Wohnraum, sondern in der Küche aufgehängt.

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zum Schreiben der Hausübung, etc. Die Wiege ist dann aufgehängt, wenn es unter den Einwohner_inne_n Babys gibt und dient neben ihrem eigentlichen Zweck, als zeitweiser Schlafplatz für Säuglinge und Kleinkinder während des Tages, 39 den Kindern des Hauses als Schaukel, den Erwachsenen als Ablage für Hüte, Schultertücher und andere Dinge. Nur Platz und Funktion der Holztruhe bzw. der sie ergänzenden/ersetzenden Plastiktonnen, zeichnen sich durch eine gewisse Konstanz aus. Eher in einem Eck des Hauses untergebracht, in dem sie niemanden im Weg sind, werden sie höchstens anlässlich von Festen anderswo deponiert. Jedoch nicht alle Haushalte sind in Hinblick auf Umstrukturierungen der Einrichtungsgegenstände derart flexibel. Der wesentliche Unterschied bezieht sich auf die Art der Schlafstatt. In einigen Häusern werden aus Ziegeln und Brettern Betten errichtet, damit die petat nicht direkt am Boden liegt und sie von Hühnern und anderen Haustieren weniger leicht beschmutzt werden kann, wie es heißt (Tzm 10 17.7.2006); in neuerer Zeit werden auch Bettgestelle mit Matratzen gekauft. In manchen Haushalten gibt es verhältnismäßig breite „Familienbetten“, mit Hilfe von Decken und Truhen, oder auch Kommoden, die zunehmend die Rolle der Truhen und Fässer einnehmen, vom Gemeinschaftsraum abgetrennt. Jedes Ehepaar hat seine eigene Bettstatt; kleinere Kinder, bis zum Alter von sieben, acht Jahren, schlafen bei ihren Eltern. Für die größeren gibt es eigene, nicht mit einem Sichtschutz versehene Betten, wobei jeweils zwei bis drei Geschwister (Brüder, Schwestern oder Bruder und Schwester,40 nicht jedoch Nichten/Tanten und Onkeln/Neffen), bis nach der Pubertät gemeinsam eines (mit nur einer Decke), zur Verfügung haben. Für Gäste werden zusätzliche Schlafplätze kreiert. Die Betten der Kinder, wenn viele Leute erwartet werden, auch des einen oder anderen Elternpaares, werden im Falle eines Festes vorübergehend, also nicht täglich, wie die petat, weggeräumt. Nicht oder nur ausnahmsweise weggeräumt werden hingegen dauerhaftere Raumteilungen – aus Plastik, Stoff, aber auch Holz oder Ziegeln errichtet –, die eine Art Wohnung der Familie des Sohnes_der Tochter markieren. Neben einem Bett gibt es hier womöglich auch eine Couch, einen Fernseher, eine Stereoanlage, kurz ein kleines Wohnzimmer (oft in einer Ecke im großen Wohnzimmer oder besser Wohnraum des Hauses untergebracht). Was diese Unterteilung in „Wohnungen“ weit stärker deutlich macht, als das im Falle weniger differenzierter Haupträume erkennbar ist, ist die Existenz separater Einkommen der Einwohner_innen eines Hauses, die nicht in eine gemeinsame Haushaltskasse einfließen, abseits vom gemeinsamen oder auch getrennten Maisanbau und Maiskonsum. V.1.3.1 Individuelles Eigentum und Einkommen Denn abgesehen vom Haus und dem Land für den Maisanbau, die als Familienbesitz gelten, weshalb die Produkte des letzteren dem gesamten Haushalt zur Verfügung stehen (und umgekehrt der gemeinsame Anbau und Konsum die Zusammengehörig39 In der Nacht schlafen alle kleinen Kinder, also auch Babys, bei ihren Eltern (siehe unten); während des Tages werden letztere oft mit einem Tuch auf den Rücken der Mutter oder einer nahen Verwandten gebunden. 40 Taggart (1992: 78ff.) berichtet von einem absoluten Meidungsgebot zwischen Geschwistern, etwas, was ich nicht beobachten kann, im Gegenteil schlafen Bruder und Schwester nicht nur in einem Bett, unter einer Decke, es gibt auch viel Zärtlichkeit zwischen ihnen.

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keit markiert), ist sämtlicher sonstiger Besitz in der Hand von Einzelpersonen. Innerhalb der Haushalte wird daher sehr genau differenziert, wem welches Stück Land gehört, was auch in der Verteilung des Landes der Eltern an die Kinder Beachtung findet. Väter übergeben ihren Söhnen zunächst ein Stück cafetal (das teilweise für die Erwirtschaftung von Gütern für den Eigenkonsum, zumindest in der Ideologie aber in erster Linie der Herstellung von Cash Crops dient), erst ganz am Schluss, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, das/ein (primär für die Subsistenz bestimmte/s) Maisfeld.41 Frauen bringen Land zur Errichtung eines Hauses oder auch ein kleines cafetal in die Ehe mit, Teil ihres Erbes, oft aber ausdrücklich dazu gedacht, ihnen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Schwiegerfamilie bzw. dem Ehemann zu geben. Oder eine Frau_ein Mann kauft, um sich eine finanzielle Basis für die Ablösung vom schwieger_elterlichen Haushalt zu verschaffen, eine günstig zu erwerbende, weil größtenteils aus Felsen bestehende Parzelle, um Steine herauszuschlagen und diese zu verkaufen. Denn davon, wem das Land gehört, hängt ab, wer darüber bestimmt, was mit den erwirtschafteten Erträgen passieren soll. 42 Wobei alles, was für den Verkauf bestimmt ist, sowie andere Formen monetären Einkommens, anderen Regelungen unterliegen, als Subsistenzgüter, die allen Haushaltsmitgliedern zur Verfügung stehen (sollten). Die Herstellung letzterer ist mit gemeinsamer Arbeit der Mitglieder eines Haushalts wie auch der Reziprozität größerer sozialer Netzwerke assoziiert (wenngleich auch diese Arbeit zunehmend bezahlt werden muss; siehe Kapitel IV.2.5 und V.1.2) (vgl. auch Arizpe 1973: 172ff.), während in die Erzeugung von (potentiellen) Cash Crops, in weit stärkerem Maße, mit Geld zu bezahlende Lohnarbeit einfließt. Möglicherweise hilft die Ehefrau_der Ehemann, helfen die minderjährigen Kinder bei der Ernte des Kaffees (seltener bei der von pimienta) mit, nicht aber erwachsene Angehörige des Haushalts/Hauses. Der Gewinn (oder Verlust) 41 Wobei diese Reihenfolge mit der Vorstellung des Maisfelds als Familienbesitz, wie auch der damit in Verbindung stehenden, dem Mais immanenten, Bedeutung indigener personhood zu tun hat, wie wir in Kapitel IV.2.5.6 gesehen haben. Die Weitergabe dieses Landes markiert die Übergabe von Verantwortung und der damit einhergehenden Autorität im Haushalt. 42 Lont (2000: 163) zeigt für Haushalte in Bujung, Indonesien, eine interessante und wichtige, weil bezüglich innerhäuslicher Macht- und Verteilungsverhältnisse entscheidende Tatsache auf, nämlich, dass im Budget drei Arten Geld unterschieden werden. Diese begründen, wer über seine Verwendung entscheidet. Einkaufsgeld (uang belanja) dient der Verwendung für die täglichen Haushaltsaufwendungen und wird von der Ehefrau kontrolliert. Eine Art Taschengeld (uang jajan) steht einzelnen Mitgliedern des Haushalts, wie dem Ehemann, den Kindern und älteren Personen, nicht jedoch Ehefrauen, zur persönlichen Nutzung zur Verfügung. Sparanlagen, d.h. Geld, das für künftige Investitionen beiseitegelegt wird, stellt die dritte Variante dar. Über seine Verwendung entscheiden die Eheleute gemeinsam. Die Herkunft des Geldes bestimmt darüber, wer hier mehr und wer weniger zu sagen hat. – Arizpe (1973: 171ff.) beschreibt, dass in Zacatipan zwar alle arbeitsfähigen (männlichen) Mitglieder eines Haushalts im cafetal mitarbeiten, dafür aber Geld erhalten. Allerdings entspricht die Verteilung des Geldes nicht einer Entlohnung entsprechend der Arbeitszeit oder -intensität, sondern erfolgt nach Alter und Status im Haushalt. Das führe zu Konflikten zwischen Brüdern und in weiterer Folge Aufspaltungen der Haushaltsgruppe, argumentiert sie.

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aus dem Verkauf dieser, gewissermaßen mit individuellen Mitteln (der eigenen oder mit selbst erwirtschaftetem Geld finanzierter Arbeit) hergestellten Güter, verbleibt in der Hand des _der Eigentümer_in des Landes, von dem die verkauften Güter stammen. In ähnlicher Weise steht es einer Frau_einem Mann auch frei, über ihr_sein Einkommen aus Lohnarbeit oder der Herstellung und dem Verkauf von Kunsthandwerk zu verfügen. Das so verdiente Geld ist nicht Teil des Haushaltseigentums und fließt somit auch nicht, oder nur ausnahmsweise (wenn die Frau_der Mann das wünscht), in die allgemeine Haushaltskasse ein. Manche Eltern legen daher Wert darauf, ihren Töchtern ein Handwerk, wie die Weberei lernen zu lassen, 43 oder ihnen eine gute Schulbildung zu gewähren, damit sie in der Lage sind, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften und weder von ihren Schwiegereltern, noch den Ehemännern abhängig sind.44 Vor allem junge Leute ohne Kinder verwenden selbst verdientes Geld (aus der Herstellung und dem Verkauf von Kunsthandwerk, oder im Falle der Burschen aus ihrer Tätigkeit als Tourist_inn_enführer)45 oft, um Fernseh- oder Stereogeräte, Einrichtungsgegenstände u.a. zu kaufen. Lässt sich in weniger stark nach Familieneinheiten strukturierten Häusern, an den aufgestellten Möbeln und Anlagen nicht unbedingt erkennen, wem sie gehören (und sie werden in der Regel von allen Bewohner_inne_n des Hauses gleichermaßen genutzt), so ist das im Falle der „Wohnungen“ deutlich sichtbar. V.1.4 Das Haus als Ausdruck ökonomischen (Miss-)Erfolgs Die abgetrennten „Wohnungen“, die die Besitzverhältnisse in Bezug auf Statusgüter aufzeigen, lassen, ebenso wie die vorhandenen „großen“ Bettstätten, die Zahl der verheirateten Paare in einem Haus erkennen, unabhängig davon, ob diese über eine gemeinsame oder mehrere getrennte Küchen verfügen. Erkennen lässt sich auch, ob ein Haushalt ökonomisch mehr oder weniger erfolgreich ist. Denn das Haushaltsvorstandsehepaar ist in der Regel bemüht, einen Gutteil seiner Einkünfte, sofern diese nicht für Feste benötigt werden, in die Wohnstatt zu investieren. In (etwas) wohlhabenderen Haushalten sind daher die Raumtrennungen aus Ziegeln oder zumindest Holz, in ärmeren aus Plastik oder aufgehängten Decken. Dementsprechend gibt es gekaufte Betten mit Matratzen, oder Bettgestelle mit einer einfachen petat und einer Decke als Auflage. Vor allem (aber nicht nur) in sehr armen Haushalten, wird die petat direkt auf den Boden gelegt. Die Bauweise des Hauses selbst, ob aus Holzstäben, Bambus oder aus Ziegeln bzw. Beton, ebenso wie die Art des Bodens – ob dieser aus gestampfter Erde oder aus Beton besteht,46 oder gar Fliesen verlegt sind – verweist ähnlich den Raumtren43 Vgl. hierzu die Aussagen von Tz 16 16.12.2003; dies. 5.2.2005. 44 Z.B. ist das die Grundüberzeugung in Hh 1; Hh 10; wie auch Hh 22. Aber auch viele Gespräche unter den artesanía-Verkäuferinnen am Markt, gehen in diese Richtung (Feldnotizen 11.8.2004, et al.). 45 Mädchen (wie Tz 9) betätigen sich nur ausnahmsweise als guía. 46 Wobei es darüber hinaus ein Projekt zur Förderung von betonierten Fußböden gibt. Auf einigen Häusern findet sich die Aufschrift, „Es una casa que ha piso firme“, mit einem

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nungen und Schlafplätzen m.E. auf die ökonomische Situiertheit eines Haushalts. Vor allem aber Vorhandensein und Ausstattung eines WCs bzw. eines kleinen Raums zum Duschen, meist im Hof, durch die Hintertür (über die Küche) erreichbar, gilt als Ausdruck eines gewissen Wohlstands. Angefangen von der Notwendigkeit der Verrichtung der Notdurft im Geflügelhof und der fast entrüsteten Antwort auf meine Frage nach einer Toilette „¡Aquí no tenemos baño!“ (Feldnotizen 29.8.2004), über die Existenz eines besonderen Raums mit Loch im Boden, bis zu solchen mit hellblauen Porzellanklos, finden sich, unabhängig davon, ob es Fließwasser gibt oder nicht,47 alle Varianten von Toiletten. Verflieste Böden oder gar Wände sind lange Zeit unüblich, ebenso wie die Wände in den Haushalten der polybians und Landlosen in der Regel unverputzt bleiben. Bis 2011 sind die Wände nur in den Häusern der „Mittelschicht“ verputzt, die Böden und Bäder verfliest. 2013 gibt es einige polybians, die auf einige besonders ertragreiche Jahre im Verkauf von Kunsthandwerk zurückblicken können und auch in anderer Weise begünstig sind, die dabei sind die Wände zu verputzen, Bäder einzurichten, die Wände oder auch nur den Boden im WC zu verfliesen. Aus dem (Nicht-)Vorhandensein von Betonböden, WCs, etc. dürfen dennoch keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, denn nicht in allen Fällen gehen die genannten Merkmale mit Armut oder Wohlhabenheit einher. Eine wenig begüterte Familie errichtet womöglich ein winziges Häuschen aus Ziegeln und mit Betonfußboden und stattet es mit Betten, WC, u.a. aus. Oder das Haus einer einigermaßen gut situierten Personengruppe ist bewusst in der traditionellen Bauweise aus Bambus, mit Pultdach errichtet, ohne innere Raumteilungen, was, wie ausgeführt, die Flexibilität in der Raumgestaltung wesentlich erhöht. V.1.5 Zusammenfassung und ergänzende Bemerkungen Unabhängig von Größe und Ausstattung hat das Haus im Wesentlichen über lange Zeit eines behalten, nämlich seinen rechteckigen Grundriss, mit Küche/n und Herd/e als Zentrum/Zentren. Was sich (wenn auch nicht in allen Haushalten) verändert hat, sind vor allem die verwendeten Baumaterialien und, damit einhergehend, die Möglichkeit, oder auch Notwendigkeit, Fenster einzufügen: die traditionelle Bauweise mit Wänden aus (runden) Holzstangen bzw. Bambus lässt Licht (aber auch Wind und Regen) durch die Ritzen, was bei Ziegel- oder Betonwänden nicht der Fall ist. In der Ausrichtung des Hauses spielen, egal aus welchen Materialien es besteht, aktuell weniger die Himmelsrichtungen eine Rolle, deren Bedeutung in einigen der älteren Studien besonders hervorgehoben wird (siehe oben), als vielmehr praktische Nachsatz, in dem die größere Gesundheit dieser Art von Boden hervorgehoben wird (Feldnotizen 4.11.2011). Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 99, Fußnote 7) berichten von einem föderalen Programm zur Errichtung von Wohngebäuden, das Tosepan seit 2009 koordiniert und, über die Vergabe von Krediten durch die angegliederte Bank Tosepan Tomin, vorfinanziert. 47 Das Vorhandensein von Fließwasser, womöglich im Haus, hängt davon ab, wo das Haus steht. Im Zentrum von San Miguel verfügen praktisch alle Haushalte über Fließwasser, zumindest im Hof, in Ajotzinapan und auf abgelegenen ranchos hingegen, ist die Wasserversorgung vielerorts prekär.

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Erwägungen. Wichtig ist dabei, dass sich der Altar gegenüber dem Haupteingang, die Küche/n mit dem Herd/den Herden in einem von dort nicht direkt einsehbaren Bereich befinden. Von der Küche aus führt die Tür zum Hof, in dem sich die sanitären Einrichtungen, der Platz zum Wäschewaschen, aber auch der (Trut-)Hühnerstall und ein oder mehrere Schweinepferch/e befinden. Begrenzt ist dieser, in der Regel den Hausbewohner_inne_n vorbehaltene Bereich (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 128), von einer Wand, einem Zaun oder auch Pflanzen, nur selten gruppieren sich die Häuser von Verwandten darum herum. Der eingangs erwähnte Begriff cemithualtin – „die eines Hofes“ –, aus dem vor- und frühkolonialen zentralmexikanischen Hochland, hat hier keine Gültigkeit. Sehr wohl aber leben Brüder oder Schwestern, oder auch Söhne oder Töchter, mit ihren jeweiligen Familien, häufig in der Nachbarschaft, was sich innerhalb der Ortschaft in den Aufschriften auf den Häusern, die die Nachnamen der Haushaltsvorstände angeben, widerspiegelt. Oft finden sich zwei oder dreimal dieselben Namen auf nebeneinander liegenden Häusern (Feldnotizen 2011 lfd.; u.a. auch Hh 1 und 2). Oder, wenn die Gebäude auf den Kaffee- oder Maisfeldern abseits der Dorfstraßen errichtet sind, gibt es womöglich Gruppierungen von Wohnstätten miteinander verwandter Personen, meist Eltern und Söhnen oder Brüdern mit ihren Ehefrauen und Kindern.48

V.2 D IE B EDEUTUNG DES H AUSHALTSZYKLUS FÜR PERSONHOOD UND AUSWIRKUNGEN DES SOZIALEN S TATUS EINES H AUSHALTS AUF G RÖSSE UND Z USAMMENSETZUNG Die Einzelhäuser dieser Nachbarschaften sind, wie wir in den Abschnitten V.1.3 und V.1.4 gesehen haben, in der Regel Ausdruck der erfolgreichen Unabhängigkeit einer Familie und damit ihrer Positionierung in der Gemeinde. Ob sich ein Ehepaar erst teilweise vom elterlichen Haushalt unabhängig gemacht hat, oder die Ablösung bereits vollständig erfolgt ist, prägt das Ausmaß seiner sozialen Vollständigkeit. Eine vorzeitige Unterbrechung der Entwicklung hin zur vollwertigen personhood, durch Tod oder Scheidung eines_einer der Gatt_inn_en hat, wie in diesem Kapitel gezeigt wird, Folgen, die in ihrer Schwere in Hinblick auf Handlungsfähigkeit, von den vorhandenen Ressourcen wie auch vom Geschlecht der Betroffenen, abhängig sind. Auf der anderen Seite ist die Geschwindigkeit der Ablösung einer Familie vom elterlichen Haushalt wesentlich mitgeprägt durch den ökonomischen und politischreligiösen Status des letzteren. Wohlhabendere „mächtigere“ Haushalte „ziehen“ Schwiegertöchter wie auch Schwiegersöhne „an“,49 arme hingegen schrecken sie ab. Damit sind erstere in der Regel größer als letztere. Auf diese Aspekte der Verbindung von personhood/personing und Haushaltszyklus, gehe ich im Folgenden ein, beginnend mit den Auswirkungen einer ehelichen Trennung, durch Scheidung oder Tod des Mannes, für das weibliche personing. 48 Zu dieser Anordnung, vgl. auch Arizpe (1973: 52). 49 Zu dieser Formulierung, wenngleich auf einen völlig anderen regionalen Kontext bezogen, vgl. West (2009: 280).

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V.2.1 Weibliche/s personhood/personing und Witwenschaft/Scheidung Der Status einer Frau als vollständige Erwachsene, d.h. als weiblicher Teil eines komplementär gedachten Haushaltsvorstandes, drückt sich, wie oben ausgeführt, darin aus, dass sie mit ihrem Ehemann gemeinsam, über ein eigenes Haus mit Küche, Herd und Altar verfügt. Eine Zwischenstufe auf dem Weg dorthin ist die Verfügung über eine eigene Küche mit Herd im Haus der Schwiegereltern/Eltern. Kommt es in dieser Übergangsphase oder gar vorher zur Verwitwung der Frau oder zur Scheidung, so hat das – falls sie im Haus der Eltern des verstorbenen Mannes, nicht in dem ihrer eigenen Herkunftsfamilie lebt – schwerwiegende Folgen für sie (und womöglich auch ihre Kinder). Sie muss in der Regel das Haus verlassen, ist allerhöchstens darin geduldet. Ob sie ins Haus ihrer Eltern zurückkehren kann, hängt erstens davon ab, ob diese noch leben (und Vorstand ihres Hauses sind), wenn ja, ob zweitens die räumlichen und ökonomischen Bedingungen das zulassen und drittens, ganz entscheidend, ob die Eltern ihrer Heirat zugestimmt haben, oder dagegen waren und es zum Bruch mit der Herkunftsfamilie gekommen ist. Günstig ist in jedem Fall, wenn die Frau vorgesorgt und selbst Ressourcen, z.B. Land angesammelt (oder durch die Eltern zur Verfügung gestellt bekommen) hat, auf die sie für ihr weiteres Auskommen zurückgreifen kann. Bezogen auf diesen letzten Punkt, ist Felicitas (Tz 6) stark benachteiligt, da sie zu kurz verheiratet ist, um Ressourcen anzusammeln und auch ihre Herkunftsfamilie, als der Kategorie der landlosen Tagelöhner_innen zugehörig, nicht mit „Reichtümern“ gesegnet ist. Dabei hat sie offiziell, also mit Zustimmung der Eltern und in der „traditionellen“ langwierigen Ehezeremonie, geheiratet.50 Als sich ihr Mann, schon wenige Monate nach ihrem Einzug ins Haus seiner Eltern, von ihr trennt, wird sie von ihren Schwiegereltern, obgleich schwanger, vor die Tür gesetzt. Sie kehrt ins Haus ihrer Herkunftsfamilie zurück, wo sie den gemeinsamen Sohn aus der äußerst kurzen Ehe großzieht und auch nach dem Tod der Eltern, gemeinsam mit ihren, ebenso wie sie selbst, bis heute unverheirateten Brüdern, wohnen bleibt (Tz 6 16.2.2005). Ihren Lebensunterhalt bezieht sie aus dem Verkauf von selbst hergestellten Kunsthandwerksprodukten und kleineren Arbeiten, wie Wäschewaschen, für andere Haushalte. Damit kann sie sich eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit erhalten und ist in ihrem Tun und Handeln nicht von ihren Brüdern abhängig, d.h. sie ist diesen keinerlei Rechenschaft schuldig (ibid.; Feldnotizen lfd.).51 50 Diese sieht vor, dass die Eltern die Hand des Mädchens bei ihrer Familie erbitten, was mehrere Besuche erfordert, die sich in der Vergangenheit über einen Zeitraum von zwei, manchmal auch drei Jahren erstreckten. In dieser Periode muss der künftige Bräutigam über regelmäßige Geschenke und Gaben an die Braut und ihre Familie beweisen, dass er in der Lage ist eine Familie zu versorgen (Argueta 1994: 230ff.; Manzanares 1999: 120-1; Aj 20 14.2.2006). 51 Kein einziges Mal bekomme ich zu hören, dass sie erst einen ihrer Brüder fragen müsse, oder dass sich ihre Brüder ärgern würden, wenn sie dies oder jenes mache. Als der Sohn erwachsen ist und samt Frau und Kindern im Haus wohnt, entsteht zumindest für Außenstehende wie mich der Eindruck, dass Felicitas diejenige ist, die über das Haus verfügt und die Entscheidungen trifft. Sie bekommt von ihren Brüdern aber auch keinerlei ökonomi-

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Keine Möglichkeit ins Haus ihrer Eltern zurückzukehren gibt es für Rufina, deren Mann stirbt, als die gemeinsame Tochter Mariella zwei oder drei Jahre alt ist. Auch sie muss den Haushalt der Schwiegereltern verlassen. Als junge Frau, weitestgehend ohne eigene Mittel, sieht sie sich außerstande, für sich und das Kind zu sorgen. Mariella berichtet, dass sie in Folge dort bleibt, wo es Essen für sie gibt, und dass sie oft Hunger leidet. Das ändert sich erst nach dem Tod der Mutter, als eine ökonomisch besser situierte madrina, das verwaiste Mädchen bei sich aufnimmt (Tz 7, vgl. diverse Aussagen zwischen 2005 und 2013). Weniger tragisch ist das Schicksal von Frauen (und ihren Kindern) in der Regel, wenn die Ablösung des neuen Haushalts, zum Zeitpunkt des Todes des Mannes (oder der Scheidung), bereits vollständig erfolgt ist. In den meisten mir bekannten Fällen kann die Witwe ihre bestehenden Einkommensquellen, unter Nutzung verwandtschaftlicher und anderer sozialer Netzwerke, aufrechterhalten, oder gar erweitern. 52 Häufig gelingt es ihr auf diese Weise, trotzdem sie alleinstehend ist, die weiblichmännliche Komplementarität des Haushaltsvorstandpaares auszufüllen, ja, wie in Kapitel IV.4.3 ausgeführt, sogar mayordomías durchzuführen. Männliche Rollen, vor allem im Maisanbau, werden von der Frau selbst übernommen, 53 oder aber männliche Verwandte (vor allem Söhne, aber auch Brüder) werden eingespannt (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 104). Die größere Arbeitsbelastung wird, je nachdem wie schlecht oder gut die Beziehung zum verstorbenen Ehemann war, als notwendig hingenommen,54 oder bitter beklagt.55 Eine Wiederverheiratung wird selten in Betracht gezogen, vor allem wenn Kinder vorhanden sind, die, wie immer wieder betont wird, von ihren Stiefvätern schlecht behandelt würden, oder aber auf Verlangen des neuen Ehemannes weggegeben werden müssten (z.B. Tz 57 20.7. 2004, et al.; Tz 6 2005: 196-203; Tz 19 10.10.2013). Es kann aber auch sein, dass die Frau, vor allem wenn, trotz eigenem Haushalt keine Ressourcen vorhanden sind,56 nach dem Tod des Gatten oder einer Scheidung versucht, diese über Lohnarbeit zu erwirtschaften und dazu, für mehrere Monate nach Puebla oder Mexiko Stadt, migriert. Die Kinder bleiben währenddessen bei der

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sche und auch sonst nur wenig Unterstützung, wenngleich diese sich an der Hausarbeit beteiligen. Z.B. Tz 15; Tz 18; teilweise Tz 2 und Tz 19. Wie Mariella über ihre madrina berichtet (Tz 7 15.2.2005; 30.10.2011; 5.11.11). Z.B. Tz 15; Tz 18; Tz 19. Z.B. Tz 2. Weil schon bei seiner Gründung kaum Mittel vorhanden sind, darüber hinaus der Mann womöglich sämtliches Einkommen in Alkohol umgesetzt hat und, aufgrund der damit einhergehenden Marginalisierung der Familie, kaum verwandtschaftliche Netzwerke bestehen. Z.B. Ana (Tz 19 2005: 11-13) ist früh verwaist, kennt ihre Eltern und Verwandtschaft nicht, d.h. es gibt keinerlei Ressourcen oder compadrazgo- und andere Beziehungen aus ihrer Herkunftsfamilie. – Oder der Mann eignet sich das gemeinsame Haus an, oder es stammt von seinen verstorbenen bzw. nicht mehr arbeits- und somit weitgehend handlungsunfähigen Eltern und ist rechtmäßig seines. In beiden Fällen bedeutet das, dass die Frau – wenn sie nicht in ihrer Verwandtschaft unterkommen kann –, Möglichkeiten finden muss, nicht nur die Versorgung sicherzustellen, sondern darüber hinaus auch eine Bleibe für sich und die Kinder zu errichten.

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Schwester oder einer anderen Verwandten, wobei es häufig zu Konflikten über die Behandlung der Kinder und die Verwendung des, von der Mutter geschickten Geldes, kommt. 57 Die soziale Vollständigkeit und damit Unabhängigkeit der Frau, im Sinne von Handlungsfähigkeit, bleibt jedoch erhalten. Sie ist weder ihrer Schwester noch ihren Kindern gegenüber Rechenschaft schuldig, entscheidet selbst über ihr Tun.58 Wenn eine verwitwete (oder geschiedene) Frau schon älter und eingeschränkt arbeitsfähig ist, übergibt sie womöglich Haus und eventuell verfügbares Land der Tochter oder dem Sohn, womit diese_r für ihre Versorgung zuständig ist. Damit aber verliert die Witwe/Geschiedene auch einen wesentlichen Teil ihrer personhood bzw. der damit verbundenen Autorität und begibt sich in die nahezu völlige Abhängigkeit ihrer Anverwandten.59 Gelindert wird diese Abhängigkeit durch Mithilfe im Haushalt, die jedoch – anders als dieselbe Tätigkeit der Hausfrau mit vollständiger personhood – nicht als Arbeit anerkannt wird.60 Wertschätzung und Anerkennung erfährt sie in diesem Lebensabschnitt in erster Linie aufgrund ihres Alters, sowie aus ihrer Rolle als rituelle Spezialistin und damit auch Beraterin in derartigen Angelegenheiten. Das Schmücken des Hausaltars zu Allerheiligen (z.B. Tz 17 30.10.2011) oder anlässlich eines Festes, liegt in ihrer Verantwortung, ebenso wie kleinere, im Falle ausgebildeter Heilerinnen auch größere Reinigungszeremonien, um beispielsweise Krankheiten zu vertreiben (z.B. Tz 17 12.2.2006; Tz 137 22.10.2011; Tz 164 14.10. 2013; et al.). Nicht alle Frauen können im Verlauf ihres Lebens spirituelle Kompetenzen erwerben. Concha (Tz 18), eine Witwe von 48 Jahren, hat dazu kein Talent. Dennoch übergibt sie wenige Jahre nach dem Tod ihres Mannes die Verantwortung für ihren Lebensunterhalt und den ihrer unmündigen Kinder an den 28-jährigen, unverheirateten Sohn.61 Die Folgen für ihre Handlungsfähigkeit sind gravierender, als die für ältere, rituell erfahrene Frauen. Die Dominanz und Kontrolle des Sohnes62 über sie ist enorm, ja wesentlich ausgeprägter, als ich das von anderen Frauen, die im Haushalt 57 Z.B. Tz 19 20.2.2005; 10.10.2013. 58 Wenngleich ihre personhood, bezogen auf die Gemeinde, eher gering ist und nur durch Übernahme einer mayordomía oder anderer höherer Ämter, wofür sie aber zunächst die notwendigen Netzwerke schaffen muss (und wofür sie das verdiente Geld in der Regel auch teilweise verwenden wird), ausgeweitet werden kann. 59 Z.B. Tz 17; teilweise Tz 2 und Tz 19. 60 Vgl. z.B. Hh 2/2003-2013. – Zur Wertschätzung weiblicher wie auch männlicher ökonomischer Tätigkeiten, vgl. u.a. Taggart (n.d.: 15); Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 102-8). 61 Die Altersangaben stammen aus dem Jahr 2006; der Ehemann von Concha ist seit 1995 tot. Bis 2009 ändert sich nichts an der geschilderten Situation. 2011 ist Concha aus dem kleinen Häuschen ausgezogen, in ein Haus „weiter unten“, wie mir gesagt wird (Feldnotizen 12.11.2011). Über den Verbleib des Sohnes und der beiden anderen Kinder kann ich in der knappen mir zur Verfügung stehenden Zeit, nichts in Erfahrung bringen. 62 Jung, unverheiratet und ohne Kinder, ist er im Grunde mit sehr geringer personhood ausgestattet. Diese wird aber über seine Versorgertätigkeit erhöht und übertrifft die der Mutter, zumindest innerhalb des Haushalts, an Stärke. Das gilt nicht für seinen Status in der Gemeinde.

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eines ihrer Kinder leben, kenne.63 In unserer Beziehung ist sie ständig darum besorgt, dass der Sohn womöglich zornig sei, wenn ich sie fotografiere, dass es ihm womöglich nicht recht sei, wenn sie mich zu sich ins Haus einlädt, u.v.a.m. Nachbarinnen berichten von einer heftigen Auseinandersetzung darüber, dass der junge Mann der Mutter vorwirft, mir vorgeschlagen zu haben, nach einem Fest in der Gemeinde, zu dem sie mich mitnimmt, bei ihnen zu übernachten, damit ich nicht alleine, in der Nacht, mehrere Kilometer weit, zu Fuß, nach Cuetzalan gehen muss64 (Tz 21 1.10. 2007). Die Situation von Frauen, deren Männer sterben oder sich von ihnen trennen, zusammenfassend, zeigt sich, abseits des zuletzt ausgeführten Falls, dass, wenn die Weiblichkeit einer Frau, zum Zeitpunkt der Verwitwung oder Scheidung, insofern unvollständig ist, als das Paar im Haushalt seiner Eltern lebt,65 sie, unabhängig davon, ob sie Kinder hat und wie alt diese sind, das Recht dort zu wohnen, verliert. Erfolgt eine Verwitwung/Scheidung hingegen nach erfolgter Loslösung vom schwiegerelterlichen Haushalt, dann ist es einer Frau in der Regel möglich, ihre Eigenständigkeit, und damit einher gehende Handlungsfähigkeit, zu erhalten. Voraussetzung ist, dass sie es ist, der das Haus, in dem sie lebt, gehört, bzw. notfalls über die Einschaltung staatlicher Gerichte oder lokaler Autoritäten, ihr zumindest ein Wohnrecht zugestanden wird,66 und sie darüber hinaus, über eigene Einkommensquellen verfügt. Durch geschicktes Einsetzen derselben, kann sie die, für die vollständige personhood geforderte, geschlechtliche Komplementarität weiterführen. Gelingt ihr das nicht, dann muss sie mit einem, bis zur völligen Abhängigkeit reichenden, Verlust an personhood rechnen, wie das zuletzt geschilderte Beispiel von Concha verdeutlicht. V.2.2 Männliche/s personhood/personing und Witwerschaft/Scheidung Zwar hält Hülsewiede (1992: 10, Fußnote 3) in ihrer fundierten Untersuchung der Familienfeste der Nahua von Tequila fest, dass die notwendige geschlechtsduale Zusammenarbeit nicht nur im Falle lediger oder verwitweter bzw. geschiedener Frauen durch ein Kind oder einen Elternteil vervollständigt werden kann, sondern womög63 Z.B. Tz 14 und Tz 17. Bei Tz 2 und Tz 19 ist die Situation insofern etwas anders, als diese Frauen weiterhin Kunsthandwerk herstellen und verkaufen, d.h. weiterhin als „produktiv“ gelten. Tz 2 ist darüber hinaus nach wie vor Haushaltsvorstand, auch wenn sich der Übergang zum Sohn und seiner Frau in Hinblick darauf, wer allgemeine, beispielsweise die Gestaltung des Hauses betreffende Entscheidungen trifft, 2011 bereits deutlich abzeichnet. 64 Was sie, sehr zur Verwunderung anderer Nachbarinnen (Tz 2 und Tz 21 23.2.2005), da das den Anforderungen der Gastfreundschaft entsprechen würde, nicht tut, sondern sich vielmehr mehrmals dafür entschuldigt, mich nicht bei sich aufnehmen zu können. 65 Wenn das Paar im Haus ihrer Eltern seinen Wohnsitz hat, so behält die Frau, unabhängig vom Ehestatus, ihr Wohnrecht. 66 2004 gibt es im lokalen Nahuat-sprachigen Radio einen oft wiederholten Slogan einer Beratungsstelle für Frauen. In diesem wird darauf hingewiesen, dass – entgegen der womöglich von den Leuten der Umgebung geäußerten Meinung, Haus und Land gehörten dem Mann – Frauen ein Recht darauf haben, im Haus zu bleiben. Denn: „Las mujeres tienen derechos – tienen propiedad“ (Feldnotizen 6.8.2004).

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lich auch ein unverheirateter Mann diese gemeinsam mit seiner Mutter erfüllen kann. Tatsächlich aber scheint es, zumindest in Cuetzalan, insbesondere im Alltagsleben, einem alleinstehenden Witwer (oder Geschiedenem) wesentlich schwerer zu fallen, die weibliche Komponente ehelicher Vollständigkeit zu ergänzen, als das bei Frauen der Fall ist. Sind letztere in der Regel auch mit der Arbeit am rancho vertraut (und aktiv in der Herstellung und im Verkauf von Kunsthandwerk um Einkommen zu lukrieren), so gilt das für Männer, bezogen auf die Arbeit in der Küche, nur bedingt. Die meisten Männer sind in der Lage, kleinere Mahlzeiten herzustellen oder tortillas zu wärmen (Feldnotizen lfd.), nicht aber letztere selbst herzustellen.67 Wenn es daher in angemessener Entfernung keine Möglichkeit gibt, fertige Maisfladen zu kaufen, müssen andere Möglichkeiten gefunden werden, diese zu erlangen. Beispielsweise erzählt Mario (Tzm 78 2.2.2006, 3.2.2006), dass er für seine Arbeit am Haus oder am Feld anderer Einwohner_innen der Gemeinde weniger bezahlt bekomme, da seine Frau gestorben und es daher für ihn, als alleine lebenden Mann (ohne Eltern, ohne Kinder), vor allem wichtig sei fertige Mahlzeiten (die tortillas inkludieren) zu erhalten. Andere Männer versuchen das Problem dadurch zu lösen, dass sie sich möglichst rasch wieder verheiraten,68 oder eine Art Abkommen mit einer alleinstehenden Frau treffen, wie in der Erzählung „La mano agujerada“ (Argueta 1994: 237-242) wiedergegeben: Als seine Frau ankündigt, ihn wegen seiner Untreue zu verlassen, antwortet der Mann: „Está bien, pero no te vayas a arrepentir después, porque yo voy a buscar otra, yo no voy a estar trabajando solito porque se necesita el gasto y hay que dar de comer a los mozos y tu te vas“ (ibid.: 237). Und auch den Gemeindeautoritäten gegenüber, denen der Fall vorgetragen wird, hält er fest, dass er sich eine molandera suchen müsse, da er etwas zu Essen brauche (ibid.).69 Eine besondere Dringlichkeit für eine Wiederverheiratung ergibt sich, wenn der verlassene oder verwitwete Mann (kleine) Kinder zu versorgen hat (und keine Eltern mehr, die ihn und die Kinder aufnehmen können), was für die Kinder in der Regel dramatische Folgen hat. Denn nur selten ist die neue Frau gewillt, die Kinder ihrer Vorgängerin in derselben liebevollen Weise großzuziehen, wie ihre eigenen, Miss67 Vgl. z.B. die Aussagen von Tz 5 2005: 73-91; Tz 7 2005: 36-51; Tz 16 2005: 221-233, 381-400; Tz 55 2.2.2006; Tz 22 9.10.2013. Manuel betont, dass Frauen weit härter arbeiten würden als Männer und weit mehr könnten. Es gäbe Frauen, die in der Lage seien ein Feld zu roden, Männer hingegen wären kaum mit Frauenarbeiten, insbesondere der Herstellung von tortillas, vertraut (Tzm 10 6.10.2013). Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 104) stellen fest, dass die Qualität von tortillas, die Männer nötigenfalls herstellten, „de poca calidad“ sei. An anderer Stelle (ibid.: 103) zitieren sie einen alten Mann, der darauf hinweist, dass es für einen Mann nicht klug sei, sich von seiner Frau zu trennen. Denn dann habe er niemanden, der ihm die Wäsche wasche oder seinen Mais mahle. 68 Z.B. der Vater von Tzm 35. 69 Ähnliches berichtet Holzer (1994b: 147-9) für Juchitán, wenngleich sich die dort ansässige zapotekische Bevölkerung, in vielerlei Hinsicht von der Cuetzalans unterscheidet. Die in dem Beitrag dargestellte rigide einzuhaltende geschlechtliche Arbeitsteilung, verbietet es einem Mann, selbst Lebensmittel am Markt einzukaufen, was seine Abhängigkeit von einer oder mehreren Frauen, verglichen mit dem hier geschilderten Beispiel, um ein Vielfaches erhöht.

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handlungen und Vernachlässigung sind häufig (vgl. die Schilderung der Kindheit ihres Vaters von Angelica, Tz 16 2005: 425-447). Verwitwete oder auch geschiedene Frauen mit sozialer Vollständigkeit scheinen also – vorausgesetzt die Ressourcen sind vorhanden und sie sind in der Lage, diese einigermaßen geschickt zu nutzen, um ihre personhood zu erhalten oder gar auszuweiten – alleinstehenden Männern gegenüber einen gewissen Vorteil zu genießen; eventuell vorhandene nicht erwachsene Kinder sind, sowohl im Falles des Wegfallens der Mutter, als auch des Vaters, die Leidtragenden. V.2.3 Sozialer Status, personhood und Haushaltsgröße Besagte Ressourcen aber sind in mehrerer Hinsicht von der jeweiligen Herkunftsfamilie geprägt. Wie wir gesehen haben, bedingt die ökonomische Situation eines Haushalts seinen sozialen Status in der Gemeinde insofern, als nur einigermaßen besitzende Haushalte höhere Ämter im cargo-System einnehmen können, besitzlose hingegen auf die cargos comunes (Mallon 1995: 71) beschränkt sind. Mit der Übernahme von cargos principales geht eine erhöhte spirituelle Kraft – tonal – der betreffenden Amtsträger_innen einher und damit verbunden, eine erhöhte personhood. Amt und personhood stärken den Status und damit die Einflussmöglichkeiten in der Gemeinde, wie auch im Haushalt. Denn Haushaltsvorstände mit ökonomischen, sozialen und spirituellen Ressourcen sind eher in der Lage, ihre erwachsenen und verheirateten Kinder an sich zu binden, Schwiegertöchter, aber auch Schwiegersöhne anzuziehen (und damit dem Bild des klassischen Patriarchen zu entsprechen)70 als solche, die über wenige oder gar keine derartigen Mittel verfügen. Entweder sie verzögern die Weitergabe des Landes an den Sohn_die Tochter, und/oder sie beteiligen ihn_sie, wie auch den Schwiegersohn, eventuell auch die Schwiegertochter, am Einkommen aus dem Verkauf von Kaffee oder anderer landwirtschaftlicher Produkte, unter der Bedingung, dass er_sie im elterlichen Haushalt wohnen bleibt und sich samt seiner_ihrer Familie an der Haushaltsökonomie beteiligt. Der größte, der von mir untersuchten Haushalte (Hh 3), umfasst 2009 19 Personen, davon zwölf Erwachsene: das Vorstandsehepaar, drei erwachsene verheiratete Töchter samt den dazugehörigen Ehemännern, einen erwachsenen Sohn samt Ehefrau, die fünf minderjährigen Kinder 70 Siehe Fußnote in Kapitel IV.3.4. In der Regel handelt es sich um Haushalte mit männlichem Vorstand, wenngleich es auch Haushalte mit weiblichem Vorstand gibt, in denen mehrere Familien zusammenleben. Die integrative Kraft der Haushaltsvorständin geht in dem mir bekannten Fall (Hh 11), allerdings weniger von ihren materiellen Besitztümern, als von ihrer starken Persönlichkeit aus, wenngleich gekoppelt an geschicktes und erfolgreiches Agieren, im Bereich der Herstellung und des Verkaufs von Kunsthandwerk. Im Haus (mit drei Küchen) leben 2009 (2011 ergibt sich keine Gelegenheit die Familie zu besuchen, 2013 stirbt die Haushaltsvorständin), neben der seit vielen Jahren verwitweten Gabriella, zwei verheiratete Söhne mit Ehefrauen und Kindern, ein unverheirateter Sohn und eine unverheiratete Tochter, zusammen neun Personen. Neun Personen in einem Haus ist unter den polybians San Miguels und Ajotzinapans nichts Unübliches. Wie sich die Haushaltsdynamik nach dem Tod von Gabriella weiter entwickeln wird, ist zum Zeitpunkt des letzten Feldaufenthalts 2013, noch nicht abzusehen. – Zum Zusammenhang zwischen Ressourcen und Haushaltsgröße, vgl. auch Arizpe (1973: 170ff.).

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all dieser Paare, sowie zwei Bedienstete.71 Damit steht dieser, ohnehin schon begünstigten Gruppierung eine größere Zahl von Arbeitskräften zur Verfügung, was weiter zur Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation beiträgt. Dennoch ist diese Ausweitung der Haushaltsgröße und der damit einhergehenden Disposition über Arbeitskraft, begrenzt. Je mehr Familien unter einem Dach leben, desto größer das Spannungs- und Konfliktpotential, d.h. über kurz oder lang wird sich eine der Untergruppen ablösen und ihr eigenes Haus errichten. Oder das Familienoberhaupt muss seine Agenden an die (Schwieger-)Söhne weitergeben, was längerfristig zur Aufsplitterung des Familienverbands und damit auch seines Vermögens führt. Im genannten Beispiel hat der Sohn Ricardo bereits ein Haus unmittelbar neben dem der Eltern erbaut, gearbeitet und gegessen aber, wird weiterhin gemeinsam in der elterlichen Küche.72 Die väterliche Arbeitsfähigkeit und damit einhergehende Autorität hat 2011, verglichen mit früheren Jahren, bereits spürbar nachgelassen, Ricardo übernimmt mehr und mehr die Position seines Vaters Miguel. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese von seinen Schwestern und deren Ehemännern (die über eigene Einkommen aus ihrer Arbeit in der Kooperative Tosepan verfügen) in Frage gestellt wird und die Auflösung der Haus- (oder besser gesagt „Häuser-“)gemeinschaft erfolgt. Auf der anderen Seite versuchen sich Kinder aus Familien mit wenigen oder gar keinen Ressourcen möglichst rasch unabhängig zu machen, da die vorhandenen Mittel nicht ausreichend sind, sie und/oder weitere Personen zu versorgen. Entweder es gelingt ihnen einen eigenen Haushalt zu gründen, oder sie ziehen – im Falle einer Heirat – zu den Eltern der Ehepartnerin_des Ehepartners (und versuchen möglichst rasch die erforderlichen Mittel für die Errichtung eines eigenen Hauses zu erwirtschaften). Dass ein Mann in den Haushalt der Familie seiner Frau übersiedelt, erfolgt vor allem dann, wenn die Schwiegerfamilie über einen höheren Status (und mehr Ressourcen) verfügt als die eigene, wie die, des oben beschriebenen Haushalts von Miguel (Hh 3), wenn es im Herkunftshaushalt der Frau keine Söhne gibt (vgl. Arizpe 1973: 167) aber auch, zumindest in einzelnen Fällen, in ethnisch gemischten Ehen. Pablo (Tzm 1C), ein Mestize aus ärmsten Verhältnissen, heiratet in keine wohlhabende, aber verglichen mit seiner eigenen, sozial und ökonomisch etwas besser gestellte indigene Familie ein. Nachdem das Paar zunächst kurzfristig bei seinen (auf einem nahe San Miguel gelegenen rancho lebenden) Eltern unterkommt, wechselt es schon bald, auf Wunsch der Frau, ins Haus ihrer (schon seit längerem verwitweten) 71 2011 ist nur noch einer dieser Bediensteten im Haus, da die weibliche Angestellte, die für die Versorgung der, 2009 noch sehr kleinen Kinder zuständig ist, nicht mehr benötigt wird. Die Zahl der Familienmitglieder aber bleibt gleich. Auch in diesem Haus stirbt die „Hausfrau“ im Jahr 2013. Eine der Töchter äußert sich dahingehend, dass das Haus dem Vater gehöre, sie selbst sich aber als verantwortlich dafür sehe, die Familie nach dem Tod der Mutter zusammenzuhalten. Und sie hebt hervor, dass das ein schwieriges Unterfangen sei (Feldnotizen 16.9.2013). 72 Die Kategorisierung als „ein Haushalt“ erfolgt in diesem Fall darüber, dass das elterliche Haus der primäre Aufenthaltsort der Familien ist. Das Haus des Sohnes (mit dessen Errichtung bereits 2003 begonnen wird, aber seine Fertigstellung dauert mehrere Jahre), wie auch ein weiteres Haus, das einer der verheirateten Töchter gehört, werden ausschließlich zum Schlafen genutzt.

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Mutter, in dem auch der Bruder mit Frau und Kind lebt. Prestige und Besitz der Familie der Frau in der Gemeinde, wenn auch gering, als einer indigenen, ins Ämtersystem involvierten Einheit, geben hierfür den Ausschlag.73 Nacho (Tzm 49), ein junger Nahua, zieht ins Haus der Eltern seiner totonakischen Frau Angelica, die ebenso wie ihre Mutter, immer wieder betont, dass es völlig normal und üblich sei, dass ein junges Paar bei den Eltern der Frau wohnt (Feldnotizen 11.8.2004; 6.8.2009, et al.).74 Zwar ähnelt der soziale und ökonomische Status von Nachos Herkunftsfamilie dem der Familie seiner Frau, aber aufgrund der Tatsache, der vollständigen Integration der Haushaltsgruppe Angelicas in die Gemeinde, die sich in der aktiven Beteiligung am politisch-religiösen System ausdrückt, gelingt es ihr offensichtlich, ihren Gatten von den Vorteilen einer matrilokalen Residenz zu überzeugen. Schließlich aber, 2013, hat sich das Paar selbstständig gemacht und bewohnt ein eigenes Haus. Die Mutter der Frau begründet das mit der zunehmenden Platznot, sowie Streitigkeiten zwischen den Enkelkindern, denn auch ein Sohn ist mittlerweile verheiratet und lebt mit Frau und Kind im Haushalt seiner Eltern (Feldnotizen 11.10.2013). In jedem Fall partizipieren (und profitieren) die jungen Leute darüber, dass sie im gemeinsamen Haushalt mit den Schwieger_Eltern leben, an der Position und dem Prestige ihrer Unterkunftsgeber_innen, sind damit aber in einer Situation der Unterordnung und Abhängigkeit. Sie sind der Autorität des Haushaltsvorstandspaares, also der Schwieger_Eltern unterstellt (gewissermaßen als ein Teil von deren Ausmaß an personhood), einer Autorität, die in der Vergangenheit (und in gewissem Sinne auch heute noch) körperliche Gewalt als Form der Verhaltenskorrektur inkludiert.

V.3 P ERSONHOOD

UND

AUTORITÄT

IM

H AUSHALT

Dieser innerhäuslichen Autorität und ihren unterschiedlichen Ausprägungen mit speziellem Fokus auf Ehepaare, sind die folgenden Ausführungen gewidmet. Zunächst behandle ich die Problematik einer gemäßigten „erzieherischen“ Gewalt in Form von Schlägen, die jeweils den vollständigeren persons gegenüber den unvollständigeren – tendenziell Erwachsenen gegenüber Kindern, Verheirateten gegenüber Unverheirateten, Älteren gegenüber Jüngeren, etc. – zugestanden wird. Wir werden sehen, dass es unterschiedliche Sichtweisen über ihre Legitimität und Sinnhaftigkeit gibt. Es wird sich aber auch zeigen, dass insbesondere in Ehen mit sehr ungleich verteilten Ressourcen und auseinanderklaffender personhood, neben der „erzieherischen“, auch übermäßige, gesellschaftlich nicht akzeptierte Gewalt des vergleichsweise mächtigen Mannes gegenüber der, verglichen mit ihm, wesentlich machtloseren Frau vorkommen kann.

73 Indigenität, verbunden mit Ressourcen, hat in diesem Zusammenhang, in diesem speziellen Kontext, einen höheren Stellenwert, als die Zugehörigkeit zur mexikanischen Mehrheitsbevölkerung. 74 Es heißt, dass es in Tzinacapan verschwindend wenige totonakische Familien gibt (Feldnotizen 16.12.2003; vgl. auch 17.7.2004 sowie 3.2.2005), eine davon die, in die Nacho einheiratet.

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Diese Form einer gewalttätigen Geschlechterhierarchie, auf die vor allem im „Diskurs des ‚klassischen‘ Feminismus“ immer wieder verwiesen wird (siehe Kapitel III.1.1 und III.1.2), darf nicht zu vorschnellen Annahmen ihrer Allgemeingültigkeit oder gar gesellschaftlichen Akzeptanz 75 verleiten. Selbst in zunächst leicht ungleichen Beziehungen von Eheleuten zugunsten des Mannes, kann sich über das gemeinsame Arbeiten, die Geburt und die sozialisierende Begleitung des Heranwachsens der gemeinsamen Kinder, etc. und die damit einhergehende Herausbildung und Stärkung einer gemeinsamen ehelichen personhood, eine egalitär-geschlechtliche Komplementarität entwickeln. Ähnlich ist das, wenn der Ausgangspunkt bereits zu Beginn, in Hinblick auf die materiellen und spirituellen Ressourcen gleich ist. Auch diese Ehen sind in der Regel eher durch gegenseitige Wertschätzung und Gleichberechtigung charakterisiert, denn durch männliche Dominanz und Gewalt. In Haushalten, in denen die Frau in höherem Ausmaß über spirituelle und materielle Mittel verfügt als der Mann, gibt es in manchen Fällen eine eheliche Komplementarität mit mehr oder weniger ausgeprägter weiblicher Dominanz. Diese weibliche Dominanz geht jedoch – anders als die männliche – selten soweit, auch körperliche Gewalt zu inkludieren. Umgekehrt kann aber eine potentielle weibliche Dominanz oder Gleichstellung der Geschlechter bzw. eine nur unmerkliche Besserstellung des Mannes, Männer mit labiler personhood veranlassen sich – nicht ganz den gesellschaftlichen Normen entsprechend – ihre Machtkompetenz im Haushalt mittels körperlicher und anderer Formen von Gewalt zu sichern. V.3.1 Das Recht Gewalt auszuüben, als Ausdruck innerhäuslicher Autorität Nicht ganz den gesellschaftlichen Normen entspricht diese Form der Schaffung und Erhaltung von Macht insofern, als innerhalb des Haushalts, wie angedeutet, eine klare Hierarchie entsprechend der personhood besteht, wobei die jeweils vollständigeren persons über mehr Autorität verfügen, als die unvollständigeren. Ältere Geschwister haben in der Regel keine Hemmungen, ihre daraus resultierende Dominanz gegenüber den jüngeren auszuüben und in vielen Fällen wird das auch von ihnen erwartet. Die Autorität im Haushalt beinhaltet erzieherische Pflichten, die das Recht auf die Ausübung körperlicher Gewalt, als Mittel der Bestrafung, in gemäßigter Form mit einschließt. Zwar wird darauf Wert gelegt, dass Kinder von ihren Eltern (und nur in Ausnahmefällen von anderen, aufgrund ihrer personhood dazu Befugten) bestraft werden (Feldnotizen 16.7.2004 et al.), diese jedoch sind für das Wohlverhalten ihrer Nachkommen verantwortlich und werden gegebenenfalls vom Haushaltsvorstand_ der Haushaltsvorständin auf diese Pflicht hingewiesen (ibid.). In welcher Form richtiges Benehmen vermittelt, ob tatsächlich körperliche Gewalt ausgeübt wird oder nicht, ist jeweils variabel. Elizabeta ist überzeugt, dass Kinder manchmal geschlagen

75 Übermäßige oder ungerechtfertigte Gewalt (wenn die Autoritätskompetenz ignoriert, missbräuchlich eingesetzt oder überschritten wird) gilt als gefährlich, da sie zum Seelenverlust führen kann und wird in jeder Form abgelehnt (vgl. dazu Zuckerhut 2010b: 65).

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werden müssen,76 da „sie sonst nicht verstehen“ (Tz 16 7.2.2005), auch wenn sie ihr Verhalten im Nachhinein bedauern würde: „Am Heimweg unterhalten wir uns, dass Kinder nicht geschlagen werden sollten. Elizabeta meint, dass es ihr nachher immer leid tut und [ihre Tochter] Blanca, die mir ihre Hand gegeben hat, meint, die Mutter schlägt sie und entschuldigt sich dann. Dann erzählt sie, dass es wie Feuer brennt, wenn die Mutter sie schlägt.“ (Feldnotizen 7.2.2005)

Ihr Mann hingegen, lehnt diese Form der Erziehung ab (Tzm 48 29.7.2004). Eine ähnliche Haltung nimmt Roberto (Tzm 10) ein, 77 der die Zuweisung von zusätzlichen (kleineren) Arbeiten, wie das Schlichten von Mais oder Holz, als Mittel der Bestrafung bevorzugt, ein Mittel, das er auch seinen mit im Haus lebenden Enkelkindern gegenüber anwendet (vgl. z.B. Feldnotizen 26.7.2004). Autorität und damit einhergehend, gegebenenfalls Gewalt, kann im Grunde, gegenüber allen untergeordneten Personen/persons im Haushalt, auch gegenüber erwachsenen (weiblichen wie männlichen) Kindern sowie Schwiegertöchtern und -söhnen ausgeübt werden. Alter und Geschlecht, aber auch Elternschaft78 und Heiratsstatus79 spielen hier (als die personhood determinierend), in Hinblick auf die ausgeübten Praktiken, eine entscheidende Rolle. Ältere Hauseinwohner_innen sind ihr in Familien, in denen Gewalt als legitime Weise Autorität zu zeigen angesehen wird, seltener ausgesetzt als jüngere, Männer weniger oft als Frauen, solche mit Kindern weniger oft als kinderlose, Verheiratete in geringerem Maße als Unverheiratete. Junge, gerade erst ins Haus gekommene und daher in der Regel kinderlose Frauen, mehr oder weniger abgeschnitten von ihren Verwandten, laufen von daher besonders Gefahr, von der Schwiegermutter (seltener dem Schwiegervater), d.h. von jemanden die (der), verglichen mit einer jungen frisch verheirateten Frau, mit vollständigerer personhood ausgestattet ist, geschlagen zu werden, wenn sie ihre häuslichen Aufgaben nicht in angemessener Weise erfüllen (siehe dazu Zuckerhut 2008a; dies. 2010b: 65). Aus diesem Grund wenden sich die Heiratspat_inn_en im Rahmen der, bei Argueta (1994: 232-3) beschriebenen traditionellen Hochzeitszeremonie, mit der Ermahnung an die Eltern des künftigen Ehemannes, „que no la [la novia] maltratan, que la traten bien, en fin todo“ (ibid.: 233).

76 Und es kommt auch immer wieder vor, dass sie eines ihrer Kinder körperlich züchtigt (z.B. Feldnotizen 29.07.2004, 02.08.2004, 10.08.2004; 07.02.2005). 77 Zwar habe ich Roberto oft zornig erlebt, zumindest in meiner Gegenwart aber ist er nie in irgendeiner Form gewalttätig und er agiert vor allem nie mit ilihuiz – „ohne zu denken“ (Siméon 1977: 188), mit „Macht, Kraft und ohne Verantwortung“ (Taggart n.d.) –, auch nicht in volltrunkenem Zustand (wobei ein solcher Zustand bei ihm eine absolute Ausnahme darstellt). 78 Die innerhäusliche Autorität wächst tendenziell mit der Elternschaft, teilweise auch unabhängig von Heiratsstatus und Geschlecht (siehe z.B. Hh 1/2011). Zur Bedeutung von Mutterschaft, unabhängig vom Heiratsstatus, für die weibliche Identität, vgl. Manzanares (1999: 124). 79 Zur rapide ansteigenden Autorität mit der Heirat, und in Folge mit der Geburt eines Kindes, siehe z.B. Hh 2/2009; 2011.

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Wenn sich nun, wie González Montes (1999: 102) festhält, das „Recht“, eine junge Frau aus „erzieherischen Gründen“ zu schlagen, in den letzten Jahrzehnten, von den Schwiegereltern hin zum Ehemann verschiebt, dann ist das womöglich mit neuen (oder besser, mit Blick auf die Vergangenheit und einige der Voraussetzungen für politische Ämter, anderen) Formen der Macht, der Ausweitung der Handlungsfähigkeit junger Männer, abseits traditioneller Mechanismen des personing, erklärbar. Diese verfügen, wie erwähnt, über Schulbildung und sehr gute Spanischkenntnisse und damit einhergehend, oft schon in jungen Jahren, über eigene, oder sehr lukrative und vor allem von den Eltern unabhängige Einkommensformen (aus dem Tourismus, aus der Lohnarbeit); viele verweigern daher auch die Mitarbeit am Feld des Vaters (sofern eines vorhanden ist). Die jungen Ehefrauen aber können sich der Verpflichtung zur Unterstützung der Schwiegermutter in der Hausarbeit, vor allem in den ersten Ehejahren, nicht entziehen. Dadurch, und wenn sie darüber hinaus noch kleine Kinder versorgen müssen, sind sie in der Ausübung ihrer sonstigen produktiven Aktivitäten (die als Mittel der Ablösung vom schwiegerelterlichen Haushalt eine immer größere Bedeutung erlangen) stark eingeschränkt, was sich (trotzdem sie verheiratet sind und Kinder haben) negativ auf ihren innerfamilialen Status auswirkt. Damit verschlechtert sich ihre Position, verglichen mit der ihrer Männer, wodurch diese berechtigt sind, ihnen gegenüber Autorität, auch vermittels körperlicher Gewalt, auszuüben. 80 Gefördert wird die resultierende Machtungleichheit durch eine in der Gemeinde, wie auch im Munizipio (und dem mexikanischen Nationalstaat) vorherrschende patriarchale Ideologie, die in der häufig getätigten Aussage „Aquí mandan los hombres“ (z.B. Tz 16 2005: 621), zum Ausdruck kommt. Ist die hier geschilderte Form männlicher Dominanz – trotz ideologischer Absicherung –, in vielen Fällen eine vorübergehende, die sich mit dem Älterwerden (der Kinder wie auch der Frau selbst) und damit einhergehender erhöhter Produktivität im ökonomischen wie auch spirituellen Bereich und daraus resultierender größerer sozialer Vollständigkeit der Frau verändern kann,81 so gibt es andere Konstellationen, die womöglich eine längerfristige geschlechtliche Ungleichheit begünstigen. V.3.2 Gewalt, als Ausdruck von Alters- oder Ressourcendifferenzen und einer damit einhergehenden, ausgeprägt hierarchischen Komplementarität der Eheleute Besonders anfällig für eine längerfristige hierarchische Komplementarität der Eheleute, die womöglich auch illegitime, übermäßige Gewalt inkludiert, sind in Vergangenheit wie Gegenwart Paare, die sich durch Alter und/oder Ressourcen deutlich 80 Wobei allerdings gerade in Haushalten, in denen physische Gewalt als legitimes Erziehungsmittel abgelehnt wird, die Schwieger_Eltern zu verhindern wissen, dass der Mann die Frau schlägt (z.B. Hh 2). – Diese relative Benachteiligung junger Frauen, in Bezug auf eigenes Einkommen, gilt nicht für Frauen, die eigene Ressourcen, wie eine cafetal, mit in die Ehe bringen. Sehr wohl aber sind die Herstellung und vor allem der Verkauf von Kunsthandwerk, durch das Vorhandensein kleiner, zu beaufsichtigender Kinder, stark eingeschränkt. 81 Wobei der Weg dorthin womöglich von vielen Auseinandersetzungen und Konflikten geprägt ist.

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voneinander unterscheiden. In der Regel handelt es sich um Haushalte, die relativ bald nach der Heirat gegründet werden oder von Beginn an neolokal sind, in denen der Ehemann meist deutlich älter ist als die Frau. 82 Der Mann ist in diesem Fall über sein Alter, seine Teilnahme in den unteren Rängen des Ämtersystems und womöglich die Verfügung über Haus und Feld (oder auch andere Einkommensquellen) in der Entwicklung seiner personhood relativ fortgeschritten. Für ihre weitere Stärkung und Vervollständigung fehlen ihm primär Heirat und Kinder, möglicherweise auch seine Anerkennung als Haushaltsvorstand und damit als vollwertiges Mitglied der Gemeinde, was ihn – bei Vorhandensein der entsprechenden Mittel – zu höheren Ämtern befähigt. Oder es handelt sich um einen verwitweten oder geschiedenen und somit sozial vollständigen, in der Gemeinde als vollwertig anerkannten Mann, der diese Vollständigkeit über eine Heirat erhalten und fortsetzen oder auch ausweiten will. Auf der Grundlage seiner Macht/Kraft gelingt es ihm u.U. eine sehr junge Frau (bzw. in den meisten Fällen eher ihre Familie) von den Vorteilen einer Ehe mit ihm zu überzeugen. Anders als der Mann, ist seine potentielle Gemahlin, kraft Alter und verfügbaren Mitteln, von einem vollständigen Erwachsensein weit entfernt. Das Haus und die damit einhergehenden produktiven Möglichkeiten, wie auch spirituelle Kompetenzen, sind nicht von ihr, gemeinsam mit ihrem Mann nach und nach (von den Schwieger_Eltern oder auch vermittels eigener Einkommensquellen bzw. ritueller Aktivitäten), im Sinne einer langsamen Herausbildung und Entwicklung (gleichberechtigt) komplementärer ehelicher personhood angeeignet. Vielmehr kommt sie als Fremde, als eine Art Gast ins Haus des Mannes (und nicht wie sonst der Schwiegereltern) und muss sich ihr Recht auf Anwesenheit und folglich auch auf Mitsprache, vermittels ihrer Arbeit, des Gebärens von Kindern, wie auch der Aneignung spiritueller Macht, erst erwerben. Die Hierarchie ist damit vorgegeben, ihre Verflachung oder gar Abschaffung, ein langwieriger, wenn nicht gar unmöglicher Prozess. So berichten einige der Frauen, die in den 1930er, 1940er Jahren geboren wurden, dass sie mehr oder weniger gegen ihren Willen, von den Eltern, mit zum Teil wesentlich älteren Männern verheiratet werden,83 die bereits über ein eigenes Haus und Land verfügen, etwa weil die Eltern tot sind, wie im folgenden Beispiel. Alina, die aus einer kinderreichen, wenig begüterten Familie stammt, wird von ihren Eltern gedrängt, einen zwar in etwa gleich alten, aber ihr bislang nicht bekannten Mann, mit eigenem Haus und Land, zu ehelichen. Ganz der Etikette entsprechend, kommt dieser zwei Jahre lang regelmäßig mit Brennholz, Lebensmitteln und anderen Geschenken beim Haus der Eltern vorbei, um zu dokumentieren, dass er in der Lage ist mit seiner 82 Z.B. Hh 3, Hh 7, Hh 9 und Hh 11. Es lassen sich nicht alle geschilderten Beispiele mit eigenen Haushaltscodes kennzeichnen. Vor allem, wenn mehrere Familien zusammenleben bzw. sich die Zusammensetzung der Einwohner_innen womöglich mit der Zeit grundlegend verändert hat, finden sich bezogen auf einen Haushalt, sehr unterschiedliche Arten der Ehebeziehung. Es werden daher in den entsprechenden Beispielen die Personen angegeben, von denen die Informationen stammen oder auf die sie sich beziehen, nicht die Haushalte. 83 Z.B. Tz 17; Tz 58. Die Ehe mit einem womöglich wesentlich älteren, von den Eltern ausgesuchten Mann ist hingegen für viele der heute 20-30-jährigen Frauen undenkbar (vgl. z.B. Feldnotizen 7.8.2004).

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Arbeit eine Familie zu ernähren.84 Nach der Heirat zieht das Paar in sein Haus auf einem abgelegenen Gehöft. Der Mann entpuppt sich zwar als fleißig, gleichzeitig aber eifersüchtig, jähzornig und gewalttätig. Möglicherweise ist er zu jung, die ihm zugewiesene Verantwortung als Haushaltsvorstand und vollwertiges Mitglied der Gemeinde zu tragen. Jedenfalls gelingt es ihm nicht, die animalische Kraft, seines tonal zu kontrollieren und ohne ilihuiz zu handeln (siehe Fußnote in Kapitel V.3.1; nähere Ausführungen dazu siehe unten, Kapitel V.3.5). In der Abgeschiedenheit des ranchos gibt es keine Verwandten, die ihm Einhalt gebieten oder in den Auseinandersetzungen vermitteln könnten.85 Entsprechend der angesprochenen Hierarchie ist er derjenige, der alleine über das Haushaltseinkommen verfügt. Darüber hinaus maßt er sich an, die Bewegungsfreiheit seiner Frau zu kontrollieren und versucht, aus seiner Sicht, allzu häufige Besuche bei ihren Eltern zu verhindern (Tz 5 5.2.2005; Tz 17 2005: 56-149). Damit will er, nach Auffassung der Tochter (Tz 5 21.2.2005), insbesondere vermeiden, dass Alina ihren Eltern und Brüdern von seinen sozial unannehmbaren Gewaltexzessen erzählt, deren Bekanntwerden womöglich Sanktionen nach sich ziehen würde. Auch die im Jahr 2010 ca. 50-jährige Franca (Tz 18) wird gedrängt einen, in diesem Fall noch dazu wesentlich älteren, ihr zuvor nicht bekannten Mann, mit eigenem Haus und Einkommen zu heiraten (Tz 18 16.2.2006). Dadurch, dass das Paar inmitten der Ortschaft San Miguel lebt, ist die Gewalt, der die Frau ausgesetzt ist, begrenzt und der Mann scheint seine Handlungen besser kontrollieren zu können. Doch auch diese Ehe ist durch eine deutliche Hierarchie gekennzeichnet, eine klare Abhängigkeit der (jungen) Frau von ihrem deutlich älteren und besitzenden Mann. Franca betont, dass sie während der Zeit ihrer Ehe über keine eigenen Einkommensquellen oder sonstige finanzielle Mittel verfügt und für jeden Einkauf ihren Mann um Geld bitten muss. Dieser versorgt seine Familie zwar mit allem Lebenswichtigen, aber er weigert sich seiner Frau Kleidung zu kaufen, mit dem Argument, sie wolle sich nur für andere Männer schön machen (Tz 18 1.10.2010). Diese Form der streng hierarchischen Komplementarität, wie sie in den beiden geschilderten Fällen deutlich wird, mit dem Einkommen schaffenden Mann und der von ihm abhängigen und vorwiegend im Haus tätigen Frau, lässt sich ideologisch sehr gut mit dem Konzept der geteilten personhood verbinden und begründen: die Geschlechter sind ungleich und folglich in unterschiedlichen Positionen. Aufgabe des Mannes ist es, die Familie zu erhalten und zu versorgen, die der Frau ist es, dem Mann zu dienen und zu gehorchen (vgl. dazu u.a. Manzanares 1999: 114ff.). Vorangetrieben und gestützt wird die männliche Dominanz dieser Art von Beziehungen, durch die bereits erwähnte patriarchale Grundhaltung in Staat, Munizipio und Gemeinde, in der das Recht des Mannes seine Frau zu schlagen, wenn diese ihre Pflichten nicht erfüllt, hervorgehoben wird (Tzm 48 28.7. 2004; Tz 16 2005: 621, B000). 86 84 Siehe dazu die erwähnte Beschreibung bei Argueta (1994: 229ff.). 85 Zur Vulnerabilität von Frauen, die abseits der Kontrolle der Schwieger_Eltern mit ihrem Mann zusammenleben, siehe auch Manzanares (2004: 43). Sie stellt fest, dass die Gefahr in der Zeit unmittelbar nach dem Beginn des Zusammenlebens eines Paares in einem eigenen Haus am größten ist. 86 Die männlich mestizischen Autoritäten im Munizipio Cuetzalan sprechen lange Zeit ebenfalls von einem „legalen“ Recht des Mannes, seine Frau zu schlagen, wenn sie ihren Pflich-

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Auf der anderen Seite kann sich die dualgeschlechtliche Zusammengehörigkeit in derselben Weise in Form von Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt äußern. Daher wird seitens vieler Männer einerseits die Verschiedenheit von Mann und Frau betont, andererseits die Notwendigkeit, wenn nicht gar Verpflichtung, Frauen zu respektieren: „Mann und Frau sind verschieden, wenngleich die Frau respektiert werden muss“ (Tzm 10 8.8.2004).87 Die Besonderheiten und Tätigkeiten beider Geschlechter sind in dieser Version geteilter personhood gleichermaßen wertvoll. Entscheidend ist ihre gegenseitige Ergänzung und Zusammenarbeit auf gleichberechtigter Basis. Wichtiger noch, als die hier zum Ausdruck gebrachte verbale Anerkennung und Wertschätzung von Frauen ist, dass diese Wertschätzung und eine resultierende Egalität in vielen Fällen, abseits der ringsum vorherrschenden männlichen Dominanz, auch tatsächlich umgesetzt und gelebt werden. V.3.3 Gleichberechtigte Komplementarität der Eheleute Denn neben den geschilderten eindeutig hierarchischen und teilweise durch physische und andere Formen von Gewalt charakterisierten Beziehungen von Eheleuten, gibt es auch solche, die durch eine ausgesprochen gleichberechtigte Komplementarität gekennzeichnet sind.88 Diese sind das entweder von Beginn der Beziehung an, oder werden es im Verlauf der Verfestigung des ehelichen Bandes über gemeinsame Kinder, gemeinsames Arbeiten und die Erwirtschaftung gemeinsamer materieller wie auch spiritueller Ressourcen und schließlich der Unabhängigkeit von den Schwieger_Eltern. Drei solche egalitär-geschlechtliche Beziehungen will ich im Folgenden vorstellen.89 ten nicht nachkommt (González Montes 1998: 33). Zwar werden bereits Mitte der 1990er Jahre Gesetze gegen häusliche Gewalt erlassen (siehe unten, Fußnote in Kapitel V.3.5), aber die Lateinamerika-Nachrichten berichten (URL 44) von einem 2010 (!) in Kraft getretenen nationalen „Gesetz für das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben“. Insbesondere CADEM und Maseualsiuamej setzten sich seit Jahren, mit wechselndem Erfolg, für Frauenrechte ein. Inwiefern die Grundhaltung der genannten Autoritäten, abseits der Gesetzgebung, nach wie vor von einer legitimen männlichen Ausübung von Gewalt ausgeht (was zu befürchten ist), müsste noch untersucht werden. Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 104ff.) berichten hingegen von verschiedenen Strafen seitens übernatürlicher Wesen, denen Frauen wie Männer ausgesetzt sind, wenn sie ihre Aufgaben vernachlässigen oder fahrlässig handeln. 87 Vgl. u.a. auch Tzm 1C; Tzm 14; Tzm 35; Tzm 41; Tzm 44; Tzm 48; Ajm 37; Ajm 38; Ajm 39; Ajm 40. Auch hierzu finden sich Hinweise in den Ausführungen von Manzanares (1999: 118). Auffällig in ihrer Darstellung ist, dass sie den Frauen beschränkenden Normen, keine diesen widersprechenden Praktiken gegenüberstellt. Im Falle der Vorstellungen, welche Pflichten und Eigenschaften einem Mann zukommen hingegen, werden vor allem die Abweichungen hervorgehoben. Dadurch entsteht der Eindruck, einer in allen Lebensbereichen eingeschränkten Frau, gegenüber einem unverantwortlich agierenden und häufig gewalttätigen Mann. 88 Z.B. Hh 1; Hh 6; Hh 10; Hh 12; Hh 13; Hh 14; Hh 15; Hh 22; Hh 24. 89 Das Alter der Personen, die die Paare konstituieren, liegt zwischen 38 und 62. Die jüngsten werden Mitte der 1970er Jahre geboren, die ältesten Ende der 1940er Jahre und die dazwi-

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Navedad (Tz 7) und Juan (Tzm 10) heiraten in jungen Jahren, gegen den Willen von Navedads Tante, bei der das Mädchen lebt. Als früh verwaist, hat die junge Frau keine Ausbildung und kaum ein Erbe und sie verliert die Unterstützung der Tante, die sie vor die Tür setzt, als diese von ihrer Beziehung mit Juan hört. Letzterer, Halbwaise und ebenfalls ohne nennenswerte Schulbildung, kann sich, anders als Navedad, auf die Solidarität seiner Herkunftsfamilie stützen, einer Familie, die über ein eigenes Haus und etwas Land sowie eine gewisse Integration ins Ämtersystem verfügt. Von daher ist er bereits in jungen Jahren als Musiker und Tänzer aktiv. Die Ausgangssituation ist also leicht ungleich zugunsten von Juan, 90 was sich aber im Verlauf der gemeinsam verbrachten Jahre immer mehr ausgleicht. Die beiden leben mehrere Jahre im Haus von Juans Mutter (Tz 7 15.2.2005: A098ff.; Tz 7 10.11.2011). Die erste Zeit, bis zur Geburt des ersten Kindes, nutzen sie, um Geld aus der Arbeit als Erntehelfer_innen auf einer nahegelegenen Kaffeefinca zu verdienen. Sie arbeiten viel und hart, „como hormigas“ (Tz 7 6.2.2005), wie sie sagen, und bekommen nur wenig bezahlt. Sie pflücken Kaffee, schlichten Holz und transportieren letzteres von Tzinacapan nach Cuetzalan.91 Die beiden charakterisieren diese Zeit mit der Aussage: „Sufrimos mucho“ (Feldnotizen 6.2.2005). Navedad näht und bestickt darüber hinaus Blusen, wie sie von den Frauen der Region getragen werden, die sie dann verkauft. Schließlich beginnt das Paar – als erstes in der Gemeinde, wie Navedad und Juan betonen –, andere Arten von Kunsthandwerksprodukten, d.h. geknüpfte Hals- und Armbänder, Schlüsselanhänger, bestickte Tortillawärmer, Zigarettentäschchen u.ä. herzustellen und zu vermarkten. Anders als heute, ist es damals, vor über drei Jahrzehnten, wesentlich leichter Käufer_innen zu finden, da die Konkurrenz vergleichsweise gering ist (Tzm 10 12.2. 2005; Tz 7 15.2.2005: A129ff.; siehe auch Kapitel IV.2.6). Nach und nach zeigen die Anstrengungen der beiden Erfolg und sie können ihr eigenes Haus, auf Land, das Juan von seiner Mutter erhält, errichten (Tz 7 15.2.2005: A098ff.; 15.10.2013). Damit einher geht eine wachsende Beteiligung im politischreligiösen System. Juan ist zeitweise Mitglied, aber auch Vorsitzender verschiedener Komitees, die beiden übernehmen zunächst kleinere, schließlich auch größere mayordomías, darunter die des Heiligen Michaels (Feldnotizen 2004-2013). Die jahrelange gemeinsame Arbeit, die auch nach der Gründung des eigenen Haushalts fortgesetzt wird, zeigt nicht nur im religiös-rituellen Bereich und der einhergehenden Anerkennung in der Gemeinde Wirkung: Eine gleichberechtigte, auf gegenseitiger Wertschätzung und ebensolchem Vertrauen beruhende Beziehung kennzeichnet die Ehe. Das Paar ist äußerst harmonisch im Umgang und es besteht viel Zärtlichkeit zwischen den beiden. Alles wird zwischen ihnen abgesprochen – angefangen davon ob und wann Juan aufs rancho geht, um seinen Kaffee zu ernten, schen, Ende der 1950er. Egalitär-geschlechtliche Komplementarität kann somit weder als ein spezifisches Phänomen der näheren Vergangenheit (d.h. v.a. für ältere Leute zutreffend), noch der Gegenwart (also v.a. für jüngere Leute geltend) angesehen werden. 90 Der, abseits der materiellen und spirituellen Ressourcen, auch das Privileg hat, männlichen Geschlechts zu sein, etwas, was, wie wir gehört haben, in Staat und Gemeinde forciert wird. Allerdings ist Juan etwas jünger als seine Frau, wobei diese Altersdifferenz kaum ins Gewicht fällt. 91 Zu Fuß, ohne Tragtier, mehrere Kilometer über einen Berg.

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bis hin zu der Frage ob und wann Navedad mit mir nach Tlaxcala fahren soll. Trotzdem, wie erwähnt, Geldeinkommen in der Regel jener Person zusteht, die es erwirtschaftet bzw. von deren Land es kommt, haben sie eine gemeinsame Kassa, die von Navedad verwaltet wird. Unabhängig davon, ob das Geld aus dem Verkauf des Kaffees von jenem Land stammt, das Juan von seinem Vater geerbt hat, oder aus der Arbeit von Navedads Verkauf von Kunsthandwerksprodukten, wird jede Entscheidung, was damit passieren soll, gemeinsam getroffen. Darüber hinaus gilt alles, was mit der Herstellung und dem Verkauf von artesanía zu tun hat, angefangen von der Art der hergestellten Produkte, über ihre Anzahl oder auch die Übernahme von Kommissionsware, als Kompetenzbereich der Frau (wenngleich die Details letztendlich gemeinsam besprochen werden). Und das, trotzdem Juan es ist, der viele Jahre lang, einen großen Teil der, von Navedad verkauften Gegenstände, erzeugt. Navedad, als „Schatzmeisterin“ sämtlichen Einkommens, kann kleinere Ausgaben für sich, die Kinder oder auch die Versorgung des Haushalts ohne Rückfrage tätigen. Juan hingegen, der alles, was er verdient an seine Frau weitergibt, muss selbst für Einkäufe für den eigenen Bedarf (z.B. den Kauf eines Hutes, einer Machete, o.ä.) sowie für jeden Sack Tierfutter, den er erwirbt, bei ihr um Geld anfragen (Feldnotizen lfd.). Aus der zu Beginn ihrer Beziehung leicht ungleichen personhood der beiden, entwickelt sich so über die Jahre eine der Egalität und gegenseitigen Wertschätzung. 92 Auch die Ehe zwischen Marcella (Tz 16) und Urbano (Tzm 48) ist durch eine solch gleichberechtigte Komplementarität geprägt. Dabei handelt es sich hier ebenfalls um eine Beziehung, die von der weiblichen Bezugsperson des Mädchens – in diesem Fall der Mutter – zunächst abgelehnt wird. Und auch diese Verbindung beginnt damit, dass die junge Frau ins Haus der Eltern des Mannes zieht, eines (jungen) Mannes, der aus einer in der Gemeinde wohletablierten Familie stammt und lange Jahre aktiv tanzt. Dennoch ist das Verhältnis zwischen den beiden von Beginn an ausgeglichener, als das zunächst zwischen Navedad und Juan der Fall ist. Marcella hat erstens ein Handwerk (die Weberei) gelernt und zweitens von ihrem Vater, der sie im Unterschied zur Mutter von Anfang an unterstützt, ein Stück Land, als Grundlage für eine spätere Unabhängigkeit von den Schwiegereltern, erhalten. Von Beginn an, werden alle Entscheidungen von beiden gemeinsam getroffen, auch wenn Marcella in vielen Fällen die treibende Kraft ist. Durch ihr Engagement werden die Mittel zur Errichtung des eigenen Hauses erwirtschaftet und es erfolgt schließlich die Ablösung vom Haushalt der Familie ihres Mannes. Die Übernahme der ersten mayordomía ist nur noch eine Frage der Zeit (Feldnotizen 2004-2011). Anders als die Paare in den soeben geschilderten Beispielen, sind Juana (Aj 20) und Ernesto (Ajm 39) gezwungen, sich sehr rasch ein eigenes Haus zu bauen. Juana 92 Wenn es, aufgrund von Navedads Position als „Schatzmeisterin“ erscheint, dass im Grunde sie diejenige ist, die die Beziehung dominiert, dann muss das an dieser Stelle relativiert werden. Navedad trifft keine über den täglichen Einkauf hinausgehende Entscheidung alleine; ihre alleinige Verfügungsgewalt über kleinere Geldsummen wird durch eine etwas dominante Persönlichkeit ihres Mannes ausgeglichen. Andererseits gelingt es Navedad in schwierigen Situationen praktisch immer, ihren Mann von problematischen Handlungsweisen abzuhalten bzw. ihn von ihrer eigenen Sichtweise zu überzeugen. Umgekehrt gelingt es ihm, sie von der einen oder anderen Reise mit mir (v.a. um neue Verkaufsmöglichkeiten auszuloten) zu bewegen.

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kann auf keine Unterstützung von ihrer Familie rechnen, da sie diese, aus Angst vor ihrem jähzornigen Vater, fast fluchtartig verlässt (Aj 20 13.2.2006; Feldnotizen 8.10.2013). Ernesto stammt aus ärmsten Verhältnissen, weswegen auch von seiner Verwandtschaft kaum Ressourcen zu erwarten sind. Dennoch erhalten die beiden ein Stück Land, um eine Bleibe aus Holz und Plastikplanen zu errichten. Sie arbeiten hart, er am gepachteten Feld, sie im Hausgarten und der Bienenzucht sowie in der Erzeugung von artesanía, die sie einer Verwandten zum Weiterverkauf übergibt. Trotz dieser unterschiedlichen Arbeitsbereiche, werden Entscheidungen über die Verwendung des Einkommens, ebenfalls von beiden gemeinsam getroffen und auch sonst ist die Beziehung der beiden durch gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen gekennzeichnet (Feldnotizen 2006-2013). V.3.4 Beziehungen mit weiblicher Dominanz Neben diesen, durch eine gleichberechtigte Komplementarität geprägten Ehen, gibt es auch solche, mit einer mehr oder weniger ausgeprägten weiblichen Dominanz,93 einer weiblichen Dominanz, die auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen ist. Beispielsweise betonen manche der Frauen, bei unterschiedlichen Gelegenheiten, sie müssten zunächst ihren señor fragen, bevor sie eine auf sie selbst oder den Haushalt bezogene Entscheidung treffen. Bei näherer Betrachtung jedoch, erweist sich das „Fragen“, weniger als ein „Fragen“ im Sinne eines „Erlaubnis Bittens“ – wie das in der Aussage „si me deja“ (Tz 5 28.7.2004) nahegelegt wird –, als vielmehr als ein „Informieren“ des Ehemannes oder auch ein „Diskutieren“ des Für und Wider als einer Unterstützung bei der eigenen Entscheidungsfindung. Ähnlich, wie in den geschilderten egalitären Beziehungen, gibt es in diesen Ehen oft eine gemeinsame Haushaltskasse, die von der Frau verwaltet wird. „Ah si [¿si?] si. (Pause) Todo lo que: (längere Pause) si, todo lo que: vente aunque sea poquito pero pos como no que: un poquito que gane (Pause) tampoco no se lo quito todo (Pause) tiene que:, tiene derecho de comprarse, comprar algo para él (längere Pause) Que pos, (Pause) se tiene así tiene que hacer ah, pos a veces como decimos ›de saberse.‹ nosotros (Pause) si voy agamos el dinero, y después quien?, nosotros sabemos, las mujeres, y también el hombre. (Pause) Porque pos el. sabe. que lo que se va a comprar (Pause) si. (Pause) No::, no el vende y:, pos lleve allí il iro ps ame todo el dinero tengo que verdad yo.“ (Tz 5 2005: 202-14)

Dabei wird zwar u.U. gemeinsam besprochen und diskutiert, wie das Einkommen ausgegeben werden soll, die letztendliche Entscheidung aber wird von der Frau getroffen. So erzählt Gabriella (Tz 5 18.2.2005), dass sie plant, ein Häuschen für sich auf dem Flachdach des Hauses, bauen zu lassen, ein Häuschen mit Glasfenstern und verschließbaren Fensterläden. Zwar ist es ihr Mann León, der dieses, mit Unterstützung eines bezahlten Arbeiters, errichtet, aber das Projekt wird in der Familie als ihres angesehen. Es ist folglich Gabriella, die die Oberaufsicht innehat und kontrolliert, dass alles entsprechend ihren Vorstellungen durchgeführt wird (vgl. u.a. Feldnotizen 93 Z.B. Hh 2; Hh 4 und Hh 25, eine Zeitlang (bis zur Trennung des Paares) auch Hh 11. Auch hier finden sich Paare unterschiedlichen Alters, geboren im Zeitraum zwischen 1945 und 1965.

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31.1.2006). Neben der Bestimmung über die Durchführung von derart großen Projekten, werden auch kleinere Entscheidungen, wie die, wo der Kaffee zum Trocknen aufgelegt wird, von ihr getroffen (Feldnotizen 31.1.2006 et al.). In der Erziehung des Sohnes ist ebenfalls sie die Tonangebende. Sie beschließt, dass dieser eine Schule besuchen und nicht Bauer werden soll. Daher hält sie ihren Mann davon ab, den Jungen zur Arbeit mit aufs rancho zu nehmen, wie das ansonsten in Vater-SohnBeziehungen üblich ist (Tz 7 31.1.2006; Feldnotizen 1.10.2007). Ein Teil von Gabriellas häuslicher Macht beruht, neben ihrem hohen Beitrag zum Familieneinkommen, darauf, dass sie diejenige ist, der das Haus und auch das Maisfeld gehört, wenngleich León sein eigenes cafetal hat. Auch die politisch-religiöse Integration in die Gemeinde scheint primär über sie zu laufen, denn Gabriella verfügt über ausgedehnte verwandtschaftliche Bande weit über Tzinacapan hinaus, die sie intensiv hegt und pflegt. In anderen Beziehungen mit einer leicht weiblichen Dominanz, werden die Einkommen der Eheleute getrennt verwaltet. Dabei ist das der Frau, ähnlich wie im soeben geschilderten Beispiel von Gabriella und León, meist höher als das des Mannes oder zumindest in etwa gleich. 94 Gabriella und andere Frauen betonen daher, wie wichtig es ist, dass Frauen ihr eigenes Geld verdienen (u.a. Tz 5 5.2.2005). Denn über die Verwendung ihres Einkommens können sie autonom entscheiden. Falls in der Beziehung Probleme auftauchen, können sie ihre Ressourcen auch nutzen, sich von ihrem Mann zu trennen, selbst wenn Kinder zu versorgen sind, wie wir bereits in Kapitel V.2.1 festgestellt haben. So agiert Roberta (Tz 15), die früh lernt, ihren Lebensunterhalt aus der Erzeugung und dem Verkauf von artesanía herzustellen. Als sie heiratet, verfügt sie über eine autonome Basis, die ihr zugutekommt, als sie erfährt, dass ihr Mann sie betrügt. Ohne viel Federlesen trennt sie sich von ihm, schließlich übernimmt sie das Haus der Mutter, in dem sie mit ihren vier Kindern in Folge lebt (Tz 15 19.2.2006; Feldnotizen 2004-2009). V.3.5 Die Ausübung von Gewalt zum Erhalt oder zur Etablierung männlicher Macht Gerade die Möglichkeiten, die die Verfügung über unterschiedlichste Ressourcen Frauen bieten, in Haushalt und Familie Macht auszuüben, oder sich von ihrem Gatten zu trennen, sind für Männer mit labiler personhood bedrohlich. Labile personhood bezieht sich dabei auf Männer, die in der Etablierung und/oder Ausweitung ihrer Männlichkeit gravierend eingeschränkt oder gestört sind, etwa durch Land- oder Jobverlust, oder wenn ihnen ein Amt oder eine mayordomía, wie ihnen erscheint, ungerechtfertigt verweigert wird (siehe dazu auch Zuckerhut 2010b: 65-6). Labile personhood bezieht sich aber auch – oft mit der genannten Identitätskrise einhergehend – auf ein Ungleichgewicht der Seeleneinheiten, eine Unfähigkeit mit Begierden, Wünschen und Gefühlen umzugehen. Dem Mann gelingt es nicht die tierisch-emotionale Kraft seines tonal unter Kontrolle zu bringen (siehe Fußnote in Kapitel V.3.1 und Kapitel V.3.5), weshalb er in Folge mit ilihuiz – mit unbeherrschtem Handeln – agiert. Die ohnehin von ihm kaum zu bändigende (heiße) Kraft des tonal, wird womöglich dadurch weiter entfesselt, dass er zusätzliche „Hitze“ in sich aufnimmt. Bei94 Z.B. Hh 11 und Hh 25.

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spielsweise illegitime und übermäßige Sexualität oder Sexualität zum falschen Zeitpunkt, trocknet den Mann aus und fördert diese Hitze (Lupo 1995: 209).95 Aber auch der (übermäßige) Konsum von Alkohol trägt zu seiner Erhitzung bei. Illegitime Sexualität – vor allem in Form von Untreue des Mannes –, wie auch Alkoholmissbrauch, ziehen daher häufig weiteres unbeherrschtes Handeln, mit einer sozial unannehmbaren Gewalt, nicht nur gegenüber Männern, sondern insbesondere auch gegenüber der Partnerin und womöglich den Kindern, nach sich (vgl. auch Taggart n.d.: 6, 25; González Montes 1998: 31; Manzanares 2004: 40ff.). Nicht immer ist diese Partnerin ressourcenmäßig privilegiert. In den hier vorgestellten Fällen, sind Mann und Frau in etwa im selben Stadium ihrer personhood, mit einer leichten ökonomischen Besserstellung des Mannes. Estela (Tz 59) heiratet jung, mit Einverständnis der Eltern. Wie allgemein üblich, zieht sie ins Haus der Familie ihres Mannes. Es stellt sich heraus, dass ihr Schwiegervater nicht in der Lage ist, sein tonal zu kontrollieren und seine Frau schlägt. Ihre eigene Beziehung hingegen scheint zunächst in Ordnung. Als Estela aber das erste Kind bekommt, sucht ihr Mann Manuel seine sexuellen Gelüste andernorts zu befriedigen. Als sie sich darüber beschwert, sperrt er sie ein und misshandelt sie. Die Schwiegermutter will ihr helfen, was ihr Mann verhindert, indem er sie ebenfalls schlägt. In den weiteren Ehejahren ändert sich nichts an dieser, im Grunde untragbaren, Situation. Irgendwann hat Estela genug von der Untreue und Gewalt ihres Mannes und sie kehrt mit mittlerweile zwei Kindern zu ihrer eigenen Familie zurück. Manuel kann sie dennoch überzeugen wieder mit ihm zusammenzuziehen und eine Weile geht alles gut. Aber „el señor le gusto mucho las mujeres, otra vez empezó a con sus problemas (Pause) o:tra vez .hh encontró a otra mujer“ (Tz 16 2006: 536-8), erzählt Estelas Schwester. Wieder schlägt er seine Frau, die nun mit einem dritten Kind schwanger ist. Estelas Vater mischt sich ein, meint Manuel müsse sich zurückhalten, schließlich sei er der Mann. Um keinen Ärger mit den Schwiegereltern zu bekommen, will er die junge Familie zwar nicht bei sich aufnehmen, nicht mit Manuel zusammen arbeiten und essen, wie er sagt, aber er baut seiner Tochter ein Haus. Manuel bekommt die Auflage sich ordentlich zu benehmen, wenn er mit Frau und Kindern in diesem Haus leben will. Estela ist nun in ihrem Haus, sie hat die Macht betont ihr Vater gegenüber dem Schwiegersohn (ibid.: 540-610). Mariella, die aus erster Ehe zwei Kinder, aber kaum Mittel zu ihrer Versorgung hat, zieht mit einem otro señor, mit Jaime, zusammen, was sich als schwerer Fehler erweist. Jaime ist alkoholkrank und schlägt regelmäßig Frau und Kinder: „[…] después me pegaba mucho – me pegaba mucho, sufrí“ (Tz 19 2006: 55). Nahezu sämtliches Geld, das er verdient, vertrinkt er in der Kantine: „[…] no:, no me da a mi gasto, le que trabajaba (Pause) llev–, lo levaba a la cantina NO MARI allí lo iba a acabar. (Pause) .hh Entonc– yo sufrí mucho con mis hijos.“ (ibid.: 56-7). Selbst als Mariella schwanger ist misshandelt er sie grausamst: 95 Zur zerstörenden Kraft von Sexualität, vgl. Taggart (1992: 82, 88; ders. n.d.: 21, 22, 25); vgl. auch Chevalier und Sánchez Bains (2003: 53-4) Ausführungen zur Sexualität bei den „Golfnahua“, als etwas, was im Mann zu einem Übermaß an Hitze führen kann. Auf die Gefahr sexueller Beziehungen mit menstruierenden Frauen für Männer, weisen González Montes (1998: 42-3, Fußnote 11) zufolge, auch die indigenen Hebammen und Heilerinnen Cuetzalans hin.

268 | AUTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN „[…] una vez me garretió, me pegó aquí, pero yo no me dejéme, que me pega aquí mi mi panza, adonde (Pause) estaba mi hijita. Estuve, me faltabam (Pause) (Pause) le faltaba cinco: (Pause) meses para (Pause) ah para nacer. [cinco] Si:, entonces yo:, yo me agastraba yo para mi iba yo al baño no me podía yo parar de que me pegó (Pause) ›si‹, entonces dee, después ya:, ves que yo (Pause) protegí m:ucho mi mi hija (Pause) para que no le pasar a ella (Pause) nada [si]. Si. .(Pause) Y hasta ahorita, (Pause) siendo que a veces me duele aquí.“ (Tz 19 2006: 6175).

In ihrem Fall gibt es keinen Vater, der sie unterstützen kann. Sechs Jahre lang, bis zu Jaimes Tod, dauert ihr Leiden an (Tz 19 22.2.2005; 10.10.2013). Ähnlich Jaime, spricht Pedro96 gerne und in hohem Maße dem Alkohol zu und auch er zeigt Tendenzen zur Gewalttätigkeit gegenüber den von ihm Abhängigen. Anders als Jaime jedoch, ist er ökonomisch erfolgreich und über seine aktive Beteiligung am Ämtersystem in der Gemeinde ein geachteter Mann. Erst seiner sehr resoluten Enkeltochter und der geballten Macht mehrerer erwachsener Frauen im Haushalt gelingt es, ihn einigermaßen unter Kontrolle zu halten, wenn auch nicht immer erfolgreich. Eines Nachmittags beispielsweise, beobachte ich Pedro, wie er, mit einer Flasche Schnaps unter seiner Jacke versteckt, in einen nahe seinem Haus gelegenen Schuppen schleicht. Später entdeckt ihn seine Tochter, als sie aus dem Gebäude etwas holen will. Ihr lautes Schimpfen, angesichts des trinkenden Vaters, ist weithin zu hören (Feldnotizen 1.11.2011). Männer, denen, wie in den geschilderten Beispielen, aus welchem Grund auch immer, die hoch geschätzte, gesellschaftliche Fähigkeit des Maßhaltens abhanden gekommen ist (oder die diese, in einem womöglich disharmonischen Umfeld, nicht entwickeln konnten),97 tendieren folglich dazu, sich die fehlende Anerkennung und Autorität im Haushalt, durch die Ausübung nicht legitimer, oft maßloser Gewalt, anzueignen. Ihre Unsicherheit, ihr mangelndes Selbstbewusstsein, resultierend aus einer gestörten Männlichkeitsentwicklung, führt in vielen Fällen auch zu einer ständigen Angst, von ihren Frauen betrogen oder verlassen zu werden, d.h. Eifersucht ist ein häufig genanntes Motiv in ehelichen Auseinandersetzungen (Manzanares 2004: 40ff.). Die Einschränkungen und Kontrolle, denen solche Männer ihre Frauen aussetzen, verbunden mit körperlichen und seelischen Misshandlungen, die letztendlich zu einem Verkümmern der weiblichen personhood, seelischem Ungleichgewicht und Krankheit führen (González Montes 1998 : 46-9), kennzeichnen (erzwungene) asymmetrische Geschlechterverhältnisse, die sich auf keine legitime, wohl aber lange Zeit auf eine legale,98 Grundlage stützen können. Die Autorität der Männer ist, mit Be-

96 Aus Anonymisierungsgründen werden zu diesem Beispiel weder Personen- noch Haushaltscodes angegeben. 97 Zur Bedeutung der Harmonie in der einzelnen Person, im Haushalt, in der Gemeinde wie im Kosmos und damit einhergehend die Wertschätzung des Maßhaltens, vgl. u.a. Zuckerhut (2010b: 60-1). Zum Wert von Harmonie und Mäßigung, siehe auch Taggart (1992: 83f.). 98 Im Gefolge der UN-Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko Stadt und den Aktivitäten der „Dekade der Frau“, die damit eingeleitet wird, kommt es Ende der 1980er Jahre, unter der Präsidentschaft von Salinas de Gortari (1988-1994), zu einer Verbesserung der Gesetzge-

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zugnahme auf ihre personhood, widerrechtlich angeeignet, noch dazu, als sie in vielen Fällen ihren Verpflichtungen, die Familie zu versorgen, nicht nachkommen und somit auch keine Komplementarität der Eheleute gegeben ist. Soziale, politische und ökonomische Krisen, wie sie vor allem in Umbruchsituationen zu finden sind (z.B. der Revolution und anderer Phasen kriegerischer Auseinandersetzungen, oder im Kontext der Kaffeekrise, wie auch im Gefolge von Klimakatastrophen wie Frost oder Hurrikans), fördern diese Art missbräuchlicher Autorität und Machtausübung (zu den Krisen siehe Kapitel IV.2.1 und IV.2.2, zu Revolution und Krieg Kapitel IV.3.2). V.3.6 Zusammenfassung und weiterführende Überlegungen Mit den in diesem Kapitel vorgestellten Macht- und Autoritätsbeziehungen in Haushalten, auf Grundlage unterschiedlicher personhood, befinden wir uns im Zentrum unserer Analyse. Einerseits zeigen sich Ausprägungen der in Gemeinde und teilweise darüber hinausgehenden gerontokratischen und patriarchalen Strukturen, andererseits aber gravierende Abweichungen von letzteren, in einigen der Beziehungen von Ehepaaren. Denn das gesellschaftliche Ideal der geschlechtlichen Komplementarität von Mann und Frau, lässt eine große Bandbreite von Interpretationsmöglichkeiten und Praktiken zu, von einer hierarchisch-patriarchalen Variante, über eine der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung, bis hin zu einer mit leicht weiblicher Dominanz. Einerseits wirken zwar die gesamtgesellschaftlich „dominanten Markierungen der Differenz“ des Alters und des Geschlechts, aber auch des Verwandtschaftsstatus im Haushalt, andererseits aber werden vielfältige Ressourcen genutzt, die eigene personhood zu stärken und damit die Position im Haushalt zu verbessern. Potentielle Benachteiligungen durch Alter, Geschlecht oder Verwandtschaftsstatus lassen sich über die Aneignung ökonomischer oder auch ritueller Mittel verringern oder auch beseitigen. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass hier sehr unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse zusammenkommen und es sich nie um eine einfache Aneignung von Macht und womöglich Autorität handeln kann, sondern um eine fluide, um eine Machterlangung, die sich in einem permanenten Prozess des Aushandelns befindet. Nicht immer kann die eigene Position verbessert werden, sondern auch Rückschläge und in Folge Verschlechterungen sind möglich. Eine besondere Angst vor derartigen Benachteiligungen, lässt sich in jenen Beziehungen finden, in denen (in der Regel männliche übermäßige) Gewalt das hauptsächliche Mittel zur Etablierung und Erhaltung häuslicher Autorität darstellt.

bung im Bereich der familiären Gewalt. Bis 1997 aber dauert es, bis spezielle Gesetze gegen Gewalt in der Familie erlassen werden und Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird (Lang 2002: 88-9). Laut Manzanares (2004: 33) bringen Frauen in Cuetzalan nur selten eine Klage wegen Misshandlung vor Gericht. Grund sind die demotivierenden Erfahrungen: Die Richter empfehlen der Frau nach Hause zurückzukehren, oder der Mann wird zwar eingesperrt, kommt aber, nach Bezahlung einer Gebühr, wieder frei (einer Gebühr, die die Ehefrau bezahlt, weil sie den Mann zum Arbeiten braucht, damit die Ausgaben der Familie bestritten werden können). Oder es gibt eine Kumpanei zwischen Richter und Ehemann und die Forderungen der Frau werden nicht ernst genommen.

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Die Möglichkeiten der Stärkung oder Schwächung von personhood, wie auch innerhäuslicher Autorität99 inkludieren dabei nicht nur persönliche und innerhäusliche Ressourcen, sondern auch darüber hinausgehende Faktoren spielen eine Rolle. Neben der (ökonomischen, sozialen, politischen und rituellen) Stellung des Haushalts in der Gemeinde und den damit einhergehenden Möglichkeiten der Ausweitung der Haushaltsgröße wie auch der Geschwindigkeit seiner Extraktion und Kontraktion zeigen – ihrerseits die Haushaltszyklen beeinflussend – politische, ökonomische wie auch ökologische Ereignisse ihre Wirkung. In den vorangegangenen Kapiteln wurden einige davon in ihrer Bedeutung für die „dominanten Markierungen der Differenz“ der Ethnizität, der sozialen Klasse, aber auch des Alters und des Geschlechts und ihren jeweiligen Verschiebungen aufgezeigt. Im folgenden Abschnitt gehe ich auf die bislang vernachlässigten Möglichkeiten, die sich über die Etablierung sozialer Netzwerke, vor allem der Verwandtschaft ergeben ein, wobei ich das Augenmerk insbesondere auf die compadrazgo-Beziehung richten möchte.

V.4 V ERWANDTSCHAFTLICHE UND ANDERE SOZIALE N ETZWERKE In der Befassung mit Verwandtschaft und sozialen Netzwerken kommen wir erneut zur Thematik der Lévi-Strauss’schen Hausgesellschaft, als Möglichkeit zur Bezeichnung von Sozialeinheiten mit scheinbar unüberwindbaren Gegensätzen. Denn die Besonderheiten vieler mesoamerikanischer Systeme, als Mischung aus verwandtschaftlichen und territorialen Prinzipien, wie sie auch für Cuetzalan charakteristisch ist, führen zu widersprüchlichen Charakterisierungen und Benennungen. Auf der einen Seite wird die comunidad, die Gemeinde, oder auch das barrio ins Zentrum des Interesses gestellt (Nutini 1996: 83-4),100 auf der anderen Seite, wenn auch in weit geringerem Ausmaß, rücken verwandtschaftliche Zusammenhänge ins Blickfeld und das Augenmerk wird auf kindreds101 oder auch conicle clans (Kirchhoff 1955) gelegt (Monaghan 1996: 181). Damit einher geht die bilaterale Verwandtschaftsstruktur

Die, wie wir gesehen haben, zwar in der Regel mit dem Ausmaß an personhood einhergeht. In den zuletzt geschilderten Beispielen von Männern mit labiler personhood, die sich diese Autorität gewissermaßen widerrechtlich aneignen, zeigt sich aber, dass das Ausmaß an personhood und Autorität auch auseinanderklaffen können. 100 Beispielsweise Oscar Lewis (1944: xvii) wählt in seiner restudy der Gemeinde Tepozlán das barrio und die Familie als Grundeinheit seiner Analyse. Seiner Auffassung nach, lassen sich Forschungen in Mexiko nach zwei Typen differenzieren: zum einen Studien von Historiker_inne_n, Geograph_inn_en, Ökonom_inn_en und Soziolog_inn_en, die sich der Nation als Ganzes widmen. Zum anderen anthropologische Untersuchungen einzelner Gemeinden. Bezogen auf letztere kritisiert er nicht ganz zu Unrecht, den „ideologischen Lokalismus“, sprich ihre Vernachlässigung des größeren Bezugsrahmens der Nation und darüber hinausgehend (ibid.: xx). Auch Truex (1996) wählt das barrio als Ausgangspunkt seiner Analyse zapotekischer Sozialstruktur. 101 Für das vorkoloniale Zentralmexiko, vgl. u.a. Kellogg (1988: 137); für die Charakterisierung der Strukturen Cuetzalans als kindred, vgl. u.a. Lupo (1995: 41f.). 99

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(wenngleich mit stark patrilateralen und patrilokalen Präferenzen), die es erlaubt, je nach Bedarf, die väterliche oder die mütterliche Seite zu betonen und Verbindungen in beide Richtungen zu nutzen.102 All das zusammen veranlasst einige Autor_inn_en auf das „Haus“, in seiner sozialen und symbolischen Bedeutung, als Analyseraster zurückzugreifen. Insbesondere für das vor- und frühkoloniale tecalli („Adelshaus“) (Chance 2000) und das calpulli („Großes Haus“) scheint dieses in besonderer Weise anwendbar. In beiden Institutionen findet sich, zusätzlich zu den genannten Merkmalen der Territorialität und der Verwandtschaft mit bilateraler Abstammung, die Koexistenz von Exo- und Endogamie, die Verfügung über materielle und immaterielle Güter – angefangen von Land bis hin zu Titeln und Schutzgottheiten –, sowie eine Nachfolge von Positionen und Ämtern, die durch eine Mischung aus Wahl und Erbfolge geregelt ist.103 Auch bezogen auf postkoloniale indigene Gemeinden greifen einige Forscher_innen das Konzept des Hauses auf. Beispielsweise Monaghan (1996) bezeichnet die Gemeinde der mixtekischen Stadt Santiago Nuyoo (Oaxaca), aufgrund der Ausweitung der Beziehungen der Kooperation und des Austauschs über den Haushalt hinaus, als eine Art großes Haus. Sandstrom (2000) arbeitet für die Nahua-Gemeinde Amatlán im nördlichen Veracruz die entscheidende Bedeutung des Hauses in der Sozialstruktur, in all ihrer Widersprüchlichkeit heraus. Dabei legt er großes Augenmerk auf den Pragmatismus der betreffenden Menschen im Umgang mit Regeln und Normen. Auf diese Weise kann Sandstrom die Bandbreite an Möglichkeiten aufzeigen, mit denen es den Einwohner_inne_n von Amatlán gelingt auf ökologische Probleme, ebenso wie auf solche, resultierend aus dem Kolonialismus, aus gewalttätigen Auseinandersetzungen um Land, wie auch auf Ressourcenknappheit und andere Herausforderungen zu reagieren. Eine besondere Flexibilität ergibt sich dabei durch die angesprochene Mischung aus Territorialität und Verwandtschaft, wobei letztere auch die spirituelle Verwandtschaft, das compadrazgo-System inkludiert. V.4.1 Compadrazgo-Beziehungen Dieses ist seit der Kolonialzeit ein wichtiges Element in der Organisation des Gemeindelebens (vgl. dazu u.a. Schnegg 2007: 9), unabhängig davon, ob letztere in Analogie eines Hauses beschrieben wird oder nicht. Mintz und Wolf (1950) zeigen schon sehr früh die Herkunft der compadrazgo aus der Alten Welt, Foster (1953) ihre Einführung in die Neue Welt, Nutini die Entwicklung seit der Eroberung bis in die 1970er Jahre (Nutini 1976; ders. 1996: 82f.).104 Dennoch hält Schnegg (2007: 9) fest, dass es im Grunde keine einzige Studie gibt, die eine systematische historische Untersuchung vornimmt.

102 Zur bilateralen Abstammung im vorkolonialen Zentralmexiko und ihren Charakteristika, vgl. Zuckerhut (2000: 343-5); für Cuetzalan, vgl. Arizpe (1973: 182ff.); Lupo (1995: 41f.); allgemeiner bzw. für andere Regionen Mexikos, vgl. auch Nutini (1996: 81); Sandstrom (2000: 59); et al. 103 Zu den Merkmalen der Hausgesellschaft, siehe Kapitel V.1.0. Zu jenen des vorkolonialen tecalli und calpulli sowie die Debatten dazu, vgl. u.a. Zuckerhut (2000: 112 lfd.). 104 Einen neueren Überblick zur Literatur geben Gill-Hopple und Brage-Hudson (2012).

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Worum handelt es sich nun bei dieser so bedeutsamen Einrichtung, die dem soeben genannten Forscher (ibid.) zufolge, als eine der ersten Lateinamerikas, das Interesse der Anthropolog_inn_en weckte? Die Grundlage der compadrazgo bilden Beziehungen zwischen Personen, die durch das Ritual der Taufe, der Firmung, der Heirat oder auch eines anderen Anlasses miteinander verbunden sind. Für die Sierra Norte geben Nutini und Isaac (1974: 23), neben den genannten, die Erstkommunion und das Begräbnis an, sowie religiöse Anlässe, wie die Kreuzparade, die Weihung von Heiligenbildern, die Einweihung eines Hauses und Reinigungszeremonien. Aber auch anlässlich des Schuleintritts wie auch -abschlusses eines Kindes wird in der Regel eine Patin (madrina) gesucht (Feldnotizen 15.2.2005; Tz 51 16.2.2005; Feldnotizen 17.9.2013). 105 Entsprechend der Bedeutung des Anlasses, aber auch der geforderten Gabe, wird zwischen mehr oder weniger wichtigen compadrazgo-Beziehungen unterschieden. Beispielsweise werde ich gefragt, ob ich zu Claras Fest, anlässlich des dritten Geburtstags ihrer Tochter kommen wolle, sie suche noch eine madrina. Als ich mich überrascht zeige, dass eine so wichtige Angelegenheit gewissermaßen zwischen Tür und Angel besprochen wird, erklärt Claras Freundin Amanda, es handle sich in diesem Fall nur um eine kleine compadrazgo, um die in der Kirche. Daher sei es auch nicht weiter schlimm, wenn ich keine Zeit habe (Tz 60 15.9.2007). Im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zur Feier anlässlich des dritten Geburtstags eines Kindes, werden seitens der betreffenden Familien, madrin@s für die Torte, das Geschirr, die Musik, etc. gesucht (Feldnotizen 28.9.2013, 7.10.2013). In Zusammenhang mit dem baldigen Schulabschluss eines jungen Mannes, stellt seine Mutter zufrieden fest, er habe schon eine madrina für die Zeremonie (Tz 7 16.10.2013). Und ich selbst gelte, aufgrund meines Angebots, ihm einen Flug nach Österreich samt dortigem Aufenthalt zu finanzieren, als madrina für die Fernreise (ibid.).106 105 Nach Gill-Hopple und Brage-Hudson (2012: 119) nennt Nutini, in einer Publikation aus dem Jahr 1984, insgesamt 31 Gelegenheiten, die eine compadrazgo erfordern, darunter auch die Fünzehnjahrfeier. Schnegg (2007: 11) unterscheidet allgemein für Mesoamerika drei Typen: (1) die klassische Pateneltern-Patenkind-Beziehung im Gefolge von Taufe, Heirat und Firmung; (2) säkulare Übergangsriten wie bestimmte Geburtstage, Schuleintritt bzw. -abschluss; und (3) die Einweihung neuer Besitztümer, angefangen von Häusern über Autos bis zu Öfen. Heilige tauchen in seiner Liste nicht auf, werden aber im Verlauf des Artikels wie auch einer vorangegangenen Publikation (2005: 123ff.) ebenfalls genannt. 106 Elizabeth Fitting (2011: 214-5) stellt für die Gemeinde San José Miahuatlán im südlichen Tehuacán-Tal ebenfalls eine Vielzahl von m/p/adrin@s fest – für die Torte, für das erstellte Video, für die Dekoration, etc. Sie interpretiert diese als Ergebnis der neuen Anforderungen an Feste und ihrer Ausweitung im Zuge neuer finanzieller Mittel aus remittances aus den USA, bei gleichzeitiger Verringerung der Bedeutung der compadrazgo für soziale Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung. Dürr (1996: 229) bemerkt Anfang der 1990er Jahre ihrerseits eine Steigerung der Anzahl von Pat_inn_en, aber auch eine Erhöhung, der damit verbundenen finanziellen Belastungen, verglichen mit den 1930ern. Ein Teil der Patenschaften ist allerdings temporär, d.h. es handelt sich um eine einmalige und keine längerfristige Verpflichtung. Ähnlich argumentiert Schnegg (2005: 170), wenn er für Santa María Belén Atzitzimititlan (Tlaxcala) feststellt, dass die seit den 1970er Jah-

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Unabhängig von der jeweils spezifischen Bedeutung, lassen sich laut Mintz und Wolf (1950: 341), die gewissermaßen zu den Klassikern in der Auseinandersetzung mit diesem Thema zählen, in der Regel drei involvierte Individuen, oder besser gesagt Gruppen von Personen, unterscheiden: (1) der_die Initiierte, in der Regel ein Kind, aber, wie ich ergänzen möchte, kann es sich auch um eine Heiligendarstellung wie die des Niño Dios handeln (Feldnotizen 3.2.2005; 5.2.2006); (2) die Eltern der_des Initiierten; und (3) die_den zeremonielle_/n Sponsor_in/n_en der_des Initiierten. Das erste Band verknüpft Eltern und Kind bzw. die_den Heilige_n und erfolgt innerhalb der engeren, im Falle von Heiligen, spirituell gedachten, Familie. Das zweite verbindet das Kind oder die_den Heilige_n und den_die zeremonielle_n Sponsor_in, einer Person, die von außerhalb der Grenzen der unmittelbaren Familie kommen soll und stellt somit eine Erweiterung des sozialen Bezugssystems dar. Das dritte verbindet die Eltern des Kindes mit dem_der zeremoniellen Sponsoren_Sponsorin des Kindes und vergrößert damit auch deren verwandtschaftlichen Netzwerke. Eltern und Pateneltern nennen einander compadres, d.h. Co-Eltern eines Kindes oder eines_einer Heiligen. Angesichts der vielen Anlässe, die eine_n, in San Miguel in der Regel sogar mehrere, comadre/s (tiotenantsin) und compadre/s (tiotetattsin) bzw. m/p/adrin@s (tiotenantsin/ tiotetattsin) erfordern, lassen sich somit weit ausgedehnte Beziehungsgefüge, weit über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus schaffen. 107 Sandstrom (1996: 168) bezeichnet die compadrazgo daher, bezogen auf das bereits genannte Amatlán, als eine „strategy through which individuals enlarge their social network“. Und Schnegg (2005; 2007), der in einer ethnohistorischen Studie auf die Nutzung dieses Systems in schwierigen Zeiten in der Gemeinde Santa María Belén Atzitzimititlan in Tlaxcala hinweist, betont die Notwendigkeit von Netzwerkanalysen, 108 um die große Reichweite verwandtschaftlicher Kontakte in andere Regionen und soziale Schichten aufzuzeigen. Über das bereits mehrmals erwähnte System gegenseitigen Gebens und Nehmens, werden die solcherart geschaffenen Beziehungsgefüge erhalten und womöglich verstärkt und können dem entsprechend auch genutzt werden. In diesem Sinne spricht Rossana Lok vom Allerheiligenfest, das, wie wir gesehen haben (siehe Kapitel IV.2.5.1), als Tauschfest par excellence betrachtet werden kann, als „la fiesta de los Compadres“ (Lok 1991, zit. nach Báez 2004b: 29; vgl. auch die Aussage von Tz 16 2.11.2011).

ren enorm gestiegenen Kosten, beispielsweise für Hochzeiten, insbesondere in ärmeren Familien, über ein breites Netzwerk von m/p/adrin@s für die Torte, die Musik, etc. ausgelagert bzw. umverteilt werden. 107 Dabei gibt es nach Foster (1969), zumindest in der Maya-Gemeinde Tzintzuntzan, so etwas wie eine optimale Größe. Junge, frisch verheiratete Paare trachten danach ihre Netzwerke zu erweitern und Personen abseits des verwandtschaftlichen Gefüges mit einzubeziehen. Ältere Paare hingegen, die bereits über ausgedehnte Beziehungsstrukturen verfügen, versuchen diese, durch Rückgriff auf Verwandte, zu begrenzen und damit ihre rituellen und sozialen Verpflichtungen nicht unnötig auszuweiten. 108 Zur (hier jedoch nicht verwendeten) Methode der Netzwerkforschung, vgl. u.a. Stegbauer/Häußling 2010.

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Dabei finden sich die mit der compadrazgo-Beziehung einhergehenden Verpflichtungen nicht nur im Ritual, sondern in vielfältigen Kontexten. Im Alltag muss einer comadre oder einem compadre, die_der zu Besuch kommt zu essen und zu trinken angeboten werden und umgekehrt muss der_die Besucher_in das Angebot annehmen. Insbesondere über den, in der offerierten Mahlzeit enthaltenen Mais, kann so, vermittels der gemeinsamen Essenz von Mensch und Mais im jeweiligen yolo, eine erweiterte personhood und somit auch soziale Nähe hergestellt werden (siehe Kapitel IV.2.5.6). Soziale Spannungen oder gar Feindseligkeiten und Distanz werden daher durch eine Verweigerung zu essen und zu trinken (Mintz/Wolf 1950: 355-6), und damit die Verweigerung dieser Co-Essenz, zum Ausdruck gebracht. Neben und mit der Gabe (und der verpflichtenden Annahme) von Essen, werden in der compadrazgo-Beziehung Arbeit und Respekt weiter gegeben. Good Eshelman (1994: 152, 245) spricht allgemein für Mesoamerika von einer Zirkulation von tequitl (tekit und chiualis in Cuetzalan), d.h. Arbeit im Sinne von Energie, 109 verbunden mit Respekt (tlacaiita bei Good Eshelman; takachiualoni in Cuetzalan) und Liebe (tlazohtla bei Good Eshelman; tasoj bzw. tasojtalis in Cuetzalan). Die Eltern des Kindes und das Kind selbst sind den Pateneltern gegenüber in besonderem Maße zu tlacaiita und tlazohtla verpflichtet (vgl. dazu auch Stephen 2005: 46ff.; Tz 7 17.9.2013). Insbesondere (aber nicht ausschließlich) gegenüber den Tauf- und Heiratspat_inn_en muss bei Bedarf tequitl/tekit bzw. chiualis geleistet werden (cf. auch Mintz/Wolf 1950: 342). Ausmaß und Art hängen jeweils von der Bedeutung der compadrazgoBeziehung ab. Einige dieser Dienstleistungen wurden bereits genannt: die Arbeitsunterstützung beim Maisanbau und der -ernte, der allerdings ein immer geringerer Stellenwert zukommt; vor allem aber die Mithilfe anlässlich von Festen, die nach wie vor von entscheidender Bedeutung ist und die für alle Arten von compadrazgoBeziehungen, größere und kleinere, gilt. Der Einladung von compadres zu einem Gastmahl und den damit einhergehenden Hilfeleistungen und Mitbringseln (siehe Kapitel IV.4.3), kann sich niemand entziehen. Ist jemand selbst nicht in der Lage ihr Folge zu leisten, so muss ein_e andere_r Familienangehörige_r desselben Geschlechts wie die geladene, aber verhinderte Person, geschickt werden. 110 Im Falle der größeren und bedeutenderen compadrazgo-Beziehungen der Taufe, Firmung oder Heirat, müssen die Pateneltern das Patenkind ihrerseits unterstützen, sei es finanziell, sei es in anderer Weise. Sie kaufen die Kleidung für die Taufe, die 109 Wobei insbesondere über die Arbeit, die mit dem Maisanbau und seiner Verarbeitung in Verbindung steht, tona, Hitze, die Energie der Sonne, angeeignet und transferiert wird. Über den Konsum von Mais wird toyoliatzin, die lebensnotwendige Energie aufgenommen, die wiederum in Form von tekit weitergegeben und umgesetzt wird (siehe dazu Kapitel IV.2.5.6). Nach Beaucage und der Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 100ff.) bezieht sich der Terminus tekit in Tzinacapan und Umgebung, ausschließlich auf die Kraft und Energie fordernde männliche Arbeit am Feld, die Arbeit der Frauen hingegen, d.h. die Transformation der, von den Männern hergestellten Produkte in Lebensmittel, wird mit dem Begriff chiualis benannt, der stärker auf Transformation und das in der betreffenden Arbeit enthaltene Wissen fokussiert (ibid.: 107). 110 Zur Bedeutung von Essen und Arbeit zur Schaffung und Erhaltung gemeinsamer lebensnotwendiger Energie und damit von Verwandtschaft und Nähe, vgl. auch Sandstrom (2000: 71).

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Firmung und/oder die Hochzeit111 und stiften im Falle des Todes des Patenkindes den Sarg oder die Totenkleider (vgl. u.a. Hülsewiede 1992: 12-3, et al.; Sault 2004: 89; Tz 7 18.10.2013; et al.). Sie sollten sich gegebenenfalls um die Erziehung und Ausbildung des Kindes kümmern, um Jobmöglichkeiten, soziale Kontakte, Gesundheitsvorsorge, kurz um alles was sie bieten können. Falls letztere sterben, sollten sie das Kind bei sich aufnehmen (Gill-Hopple/Brage-Hudson 2012: 118-9). Darüber hinaus können sie im Falle von Auseinandersetzungen in der Ehe, in der Familie, aber auch in anderen Kontexten als Vermittler_ innen angerufen werden (vgl. dazu u.a. Foster 2002: 355; Sault 2004: 82). Gerade letzteres ist eine wichtige Ressource für Frauen in gewalttätigen Ehebeziehungen (vgl. hierzu u.a. Mejía 1995: 7; González Montes 1998: 30; Tz 7 17.9.2013).112 Die, mit der compadrazgo verbundenen, teilweise sehr umfassenden, Verpflichtungen führen in der Literatur, beginnend in den 1950er Jahren, zu heftigen Diskussionen um ihre Bedeutung. Handelt es sich um einen sozialen Mechanismus zur Schaffung und Erhaltung von Solidarität oder umgekehrt, um einen Ausdruck und Bestätigung von Hierarchie, ist die Frage, die im Zentrum der Auseinandersetzungen steht. Tatsächlich finden sich beide Mechanismen, sowohl innerhalb einer Gemeinde als auch über diese hinausreichend (Mintz/Wolf 1950). Nach dieser Einsicht, wird über die jeweiligen Bedeutungen dieser Koexistenz und im Zuge dessen, die Natur der Peasant-community debattiert (zu dieser Debatte vgl. u.a. Woodrick 1995: 221). Nutini (1996: 84) zufolge, ist die compadrazgo auf der Gemeindeebene egalitär und horizontal und dient der Erweiterung von gleichberechtigten Beziehungsnetzwerken. Über diese hinausgehend jedoch, in Beziehungen mit Personen aus der weiteren Region, der Stadt und dem Nationalstaat, ist sie hierarchisch und begründet Abhängigkeitsbeziehungen des Typs patron-client. Mintz und Wolf (1950) hingegen differenzieren weniger zwischen der Gemeinde und darüber hinausgehend, als vielmehr zwischen den Klassen. Innerhalb einer sozialen Klasse ist sie reziprok, zwischen den Klassen hingegen ausbeuterisch-hierarchisch. In homogenen, kaum stratifizierten Gemeinden ist das System vorwiegend horizontal (intra-class), gibt es aber interagierende Klassen, dann ist es vertikal (inter-class). In einer Situation raschen sozialen Wandels schließlich vervielfältigen sich die compadrazgo-Mechanismen und es finden sich womöglich beide Varianten in ein- und derselben Gemeinde (Mintz/Wolf 1950: 364). Beispiele aus aktuelleren Forschungen zeigen alle diskutierten Formen, d.h. die jeweilige Ausprägung hängt von den spezifischen Bedingungen und Kontexten, aber auch den angewandten sozialen Praktiken, ab. So dokumentiert die amerikanische Anhropologin Nicole Sault (2004) compadrazgo als eine die Gemeinschaftssolidarität stärkenden Institution, wenn sie die Rolle der comadres als Vermittlerinnen in 111 Ebenso sind die compadres von Heiligen wie auch des Heiligen Kreuzes dazu verpflichtet diese neu einzukleiden (vgl. u.a. Tzm 13 27.9.2007; García 2009: 111-2; Feldnotizen 26.9.2013). 112 Wobei die beiden genannten Autorinnen das eher als theoretische, denn als tatsächlich genutzte oder zu nutzende Ressource sehen, die noch dazu auf die Heiratsmadrina_den Heiratspadrino begrenzt ist. Mariella (Tz 7 17.9.2013) hingegen betont, dass auch die Tauf- oder Firmmadrina intervenieren müsste, die Männer heutzutage aber, weit weniger als früher, den nötigen Respekt aufbringen und nur selten auf sie hören würden.

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drohenden gewaltsamen Konflikten in einer zapotekischen Gemeinde in Oaxaca analysiert. Lynn Stephen (2005) auf der anderen Seite zeigt die Koexistenz horizontaler und vertikaler compadrazgo-Beziehungen, wie auch ihre Adaptierung an und ihre Veränderung unter neue/n Bedingungen. Für die vertikale Form stellt sie die zunehmende Ausbeutung über die Verpflichtung zur Arbeit von Weber_inne_n für die_den im lokalen, nationalen oder auch internationalen Handel mit Webprodukten aktive_n m/p/adrin@ heraus. Frances Abrahamer Rothstein (1999) hingegen zeigt, bezogen auf die zentralmexikanische Gemeinde San Cosme Mazatecochco, wie derlei asymmetrische Verbindungen seitens der Patenkinder genutzt werden. Sie beschreibt, wie Frauen aus besser gestellten Haushalten auf diese zurückgreifen, um Ausbildungen zu erhalten, die sie für besser bezahlte Jobs qualifizieren. Frauen aus ärmeren Familien hingegen rekurrieren auf ihre madrinas oder auch padrinos, falls diese Inhaber_innen von kleinen häuslichen Nähwerkstätten sind, um überhaupt einen Job zu erhalten. Und Schnegg (2007: 17-8) betont die Fähigkeit, über die compadrazgo Beziehungen zu Personen, die in anderen Ökosystemen residieren, zu knüpfen und somit Zugang zu vielfältigen Ressourcen zu erlangen. Woodrick (1995) verweist auf die Möglichkeit von Frauen, über die Wahl der compadres_comadres, MutterTochter-Beziehungen im Anschluss an die Heirat der letzteren, zu stärken. V.4.1.1 Intra-strata-, inter-strata- und inter-class-Beziehungen In San Miguel finden sich sowohl horizontale als auch vertikale Beziehungen, lokale, regionale wie auch überregionale, bis Mexiko-Stadt und in die USA und nach Kanada reichende Verbindungen. Dabei erweist sich der Begriff inter-class für viele, wenn auch nicht für alle, der über San Miguel hinausreichenden Verbindungen, als durchaus zutreffend, wobei sich zeigen wird, dass nicht alle dieser inter-classBeziehungen per se ausbeuterisch sind. Für Beziehungen innerhalb der Gemeinde hingegen, sind die Termini intra- und inter-strata wesentlich angemessener als intraund inter-class. Denn Klasse im marxistischen Sinne bezieht sich auf den jeweiligen Zugang zu und die Verfügung über Produktionsmittel und die daraus resultierenden Produktionsverhältnisse (die „Klasse an sich“). Darüber hinaus spielt im günstigsten Fall auch das Klassenbewusstsein eine Rolle (die „Klasse für sich“). 113 Zwar könnten die „Mittelschicht“ und die der „Landlosen“ (siehe Kapitel IV.5.2) aufgrund ihres (Nicht-)Zugangs zu Land und die teilweise daraus resultierenden Produktionsverhältnisse, in denen die „Landlosen“ auf den Ländereien der „Mittelschicht“ arbeiten, deutlich als „Klassen an sich“ unterschieden werden. Und auch eine Herausbildung von Klassenbewusstsein mit „Klassen für sich“ ließe sich finden, wenn die Kämpfe 113 Immanuel Wallerstein (1980: 196) betont, dass Klasse beides ist: „relationship to the means of production, and hence position in the economic system“ und in dem Maße zur realen Akteurin wird, in dem sie ein Klassenbewusstsein bekommt. Edward P. Thompson (1980a: 158) hebt die Entstehung von Klassenformationen „am Schnittpunkt zwischen Determinierung und Selbsttätigkeit“ hervor. – Zu einer aktuelleren Auseinandersetzung mit dem Marx’schen Klassenbegriff, vgl. u.a. Reitter (2004) und Heinrich (2004). Auf die anthropologische Debatte zum Klassenbegriff, die besonders intensiv in den 1980er Jahren geführt wird und in der vor allem auf die nicht-materiellen Aspekte von Produktionsverhältnissen verwiesen wird, gehe ich an dieser Stelle nicht ein (vgl. auch Zuckerhut 2000: 172-3 bzw. in Verbindung mit der Produktionsweisendebatte, ibid.: 27ff.).

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zwischen Antorcha Campesina und UCI als Klassenkampf interpretiert werden (wobei sich die Klassen-, bzw. Schichtzugehörigkeiten, wie wir gesehen haben, im Verlauf der Geschichte ändern, siehe Kapitel IV.2.1, IV.2.2, IV.3 und IV.5). Die Übergänge der „Mittelschicht“, wie auch der „Landlosen“ zu den polybians aber sind auf beiden Ebenen fließender, als das im Klassenbegriff impliziert ist114 (was ja den Aufstieg von Angehörigen Tosepans in die „Mittelschicht“ erst möglich gemacht hat), abgesehen davon, dass polybians in sich uneindeutig sind, wie Kearney in seinem an amphibians angelehnten Begriff ja zum Ausdruck bringen will (siehe Kapitel II.3.6). Die Verwendung des eher schwammigen Begriffs „Schicht“, der mehr auf den sozialen Status, denn auf Produktionsverhältnisse abzielt, anstelle von „Klasse“ bringt diese Unmöglichkeit der klaren Abgrenzung in weit besserem Maße zum Ausdruck. Noch dazu als sich die „Mittelschicht“ zwar in gewisser Weise einem mestizischmittelständischem Lebensstil nähert, ihr Habitus im Bourdieuschen Sinne (Bourdieu 1983: 186) zumindest in der Elterngeneration in vielerlei Hinsicht aber dem der polybians, wie auch der Landlosen entspricht.115 Gehen wir zunächst auf die Beziehungen innerhalb ein- und derselben Schicht in der Gemeinde San Miguel wie auch zu Personen aus den umliegenden Siedlungen und Gehöften ein. Intra-strata-Beziehungen innerhalb der Gemeinde und zu Personen der umliegenden barrios und ranchos Besonders intensive Assoziationen zwischen „Gleichen“ bestehen einerseits innerhalb von Tzinacapan, andererseits zu Einwohner_inne_n Ajotzinapans und anderer barrios und ranchos der näheren Umgebung. Nicht alle dieser compadrazgos stellen eine tatsächliche Erweiterung des Beziehungsnetzwerks dar, denn in einigen Fällen handelt es sich um Verwandte, die sich solcherart enger aneinander binden. Die Gründe für die Suche und Auswahl von compadres aus dem verwandtschaftlichen Umfeld sind vielfältig und müssten jeweils im Einzelfall herausgearbeitet werden. Einer davon ist möglicherweise der von Foster (1969) genannte Versuch, eine zu breite Ausweitung der mit den unterschiedlichen Formen von Verwandtschaft einhergehenden Verpflichtungen einzugrenzen. Ein anderer bezieht sich stärker auf den Zusammenhalt der bestehenden sozialen Gruppierungen. Beispielsweise im Falle von Reinalda (Aj 44) ist die Patin die Mutter-Mutter-Bruder-Frau. Über die compadrazgo wird die Verbindung zwischen den beiden Familien, die durch latente Feindseligkeiten geprägt ist, intensiviert und gestärkt. Auf diese Weise kann vermieden werden, dass die sozialen Spannungen zu einem Auseinanderbrechen des Netzwerks führen. Welche (weiteren) Vorteile bieten nun diese intra-strata-Beziehungen für die Beteiligten, abgesehen von der allgemeinen Notwendigkeit, auf möglichst viele Perso-

114 Klasse ist, zumindest in die aufsteigende Richtung, aus meiner Sicht, mehr in der Ideologie, denn in der Praxis durchlässig. Nur wenigen gelingt tatsächlich der vielzitierte Sprung „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Die umgekehrte Bewegung findet sich hingegen weitaus häufiger. 115 In dieser Hinsicht könnte auch von einer „Klasse im Übergang“ bzw. einer emerging class gesprochen werden.

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nen zur Unterstützung für die Umsetzung politischer und religiöser Ämter oder auch den Maisanbau und anderer Arbeiten116 zurückgreifen zu können? Weiter oben wurde, als eine der Verpflichtungen von compadres, die Sorge um die Erziehung und Ausbildung des Kindes, wie auch um seine gesundheitliche Versorgung und ähnliches genannt, vorausgesetzt die Eltern sind selbst nicht in der Lage, diese Dinge anzubieten. Auf der horizontalen compadrazgo-Ebene, mit einigermaßen ausgeglichenen Ressourcen der beteiligten Familien, beschränkt sich diese Obligation in der Regel auf Ratschläge bzw. Besprechungen mit den und Empfehlungen an die Eltern des Patenkindes. Gegebenenfalls wohnt das Patenkind eine Zeitlang bei den compadres, wenn das erforderlich ist, um ihm den Schulbesuch zu ermöglichen. Dazu kommt die Verpflichtung zur Aufnahme eines verwaisten Kindes durch die Pateneltern (Tz 7 17.9.2013, 21.9.2013). Das Kind selbst kann, wie erwähnt, vor allem im Gefolge von Konflikten – mit den Eltern wie auch der Ehefrau_dem Ehemann –, auf die Unterstützung seiner madrina oder auch seines padrino der Heirat, der Taufe oder Firmung zählen (Tz 7 17.9.2013), eine Möglichkeit, die – betreffend die Heiratsmadrina – wegfällt, wenn das Paar ohne kirchliche oder staatliche Legalisierung zusammenlebt (González Montes 1998: 30). Da viele Paare, vor allem aus Kosten- und anderen Gründen, ihre Beziehung, wenn überhaupt, erst nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder legalisieren (Manzanares 1999: 122) 117 steht diese Option daher nicht allen maseualmej gleichermaßen offen. Erschwert wird der Rückgriff auf diese Ressource unter Umständen dadurch, dass die Betroffenen womöglich auf einem abgelegenen rancho leben und die Kontaktmöglichkeit zu den Verwandten dadurch stark behindert sind. 118 Abgesehen von diesen allgemeinen, mehr oder weniger verfügbaren, Vorteilen der compadrazgo-Beziehung, die im Grunde in allen hier geschilderten lokalen bis überregionalen Varianten zu finden sind, zeigt sich, dass Schneggs (2007) These der Nutzung unterschiedlicher Ökosysteme und Ressourcen durch compadres insbesondere für jene Einwohner_innen Tzinacapans zutrifft, die keine Ländereien im tiefer gelegenen Ajotzinapan ihr eigen nennen.119 Aufgrund der Höhenlage und dem damit 116 Wenngleich diese Arbeiten, wie erwähnt, mittlerweile bezahlt werden. 117 Z.B. Angela (Aj 41), die bereits mehrere schulpflichtige Kinder hat, als sie heiratet (Feldnotizen 14.10.2013). Víki (Tz 56 3.11.2011), die mit dem zweiten Kind schwanger ist, beschwert sich, dass der Pfarrer angedroht habe, Kinder nicht zu taufen, sollten die Eltern nicht spätestens nach dem ersten Kind verheiratet sind. Einige Monate später heiratet sie den Vater ihrer Kinder. 118 Die Einschaltung von madrinas oder padrinos im Falle innerhäuslicher Konflikte, steht beiden Geschlechtern offen. Von ehelicher oder häuslicher Gewalt sind allerdings, wie wir gesehen haben (siehe Kapitel V.3), primär Frauen betroffen, weshalb in der feministischen Literatur (z.B. Mejía Flores 1995; González Montes 1998: 30; Manzanares 2004) ausschließlich von den Möglichkeiten für Frauen die Rede ist. 119 Und theoretisch wäre das auch für höher gelegene Gebiete zutreffend, in denen Äpfel, Karotten, Kraut, Kartoffeln, etc. gedeihen. Bezogen auf solche Netzwerke verfüge ich jedoch über keine Informationen. Es kommt auch nie vor, dass jemand zu Besuch ist und derlei Produkte hinterlässt, oder umgekehrt jemand aus meinem oder einem anderen mir näher bekannten Haushalt von einem Besuch beladen mit Äpfeln o.ä. zurückkommt. Vielmehr werden diese Güter durchgängig am Markt gekauft (Feldnotizen lfd.). Zu be-

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einhergehenden etwas anderen Klima, gedeihen dort Pflanzen wie Limonen und Mandarinen besser als in San Miguel und Umgebung. Auf die Weitergabe von frisch geernteten Früchten an spirituelle und andere Verwandte wurde ja bereits hingewiesen (siehe Kapitel IV.2.3; vgl. auch Tz 7 14.10.2013). Umgekehrt bietet die compadrazgo für Menschen aus Ajotzinapan den Vorteil, über eine Art Stützpunkt auf dem Weg nach Cuetzalan zu verfügen. Vor allem in der Vergangenheit, bevor die Straße zwischen Tzinacapan und Ajotzinapan bzw. nach Cuetzalan ausgebaut wurde und daher die Strecke in der Regel zu Fuß bewältigt werden musste, war es wichtig, im Falle eines Unwetters, Unterschlupf zu finden oder, wenn es am Abend nach dem Marktbesuch in Cuetzalan etwas später geworden ist, gegebenenfalls auch im auf halber Strecke gelegenen San Miguel übernachten zu können (z.B. Ajm 40 2004-2013 lfd.). Kinder, die auf abgelegenen barrios oder ranchos zu Hause sind und die nahe Tzinacapan gelegene Secundaria oder auch die Präparatoria in Cuetzalan besuchen,120 kehren womöglich bei der comadre auf ein Frühstück oder ein Mittagessen ein (siehe u.a. Feldnotizen 31.1.2006; 18.9.2007; 6.11.2011). Über Verwandte und/oder eine madrina in San Miguel können darüber hinaus Kunsthandwerksprodukte vertrieben werden, da Tzinacapan, wie gesagt, näher bei Cuetzalan liegt und somit bessere Möglichkeiten für den regelmäßigen Verkauf bietet. Es gibt also eine Reihe von Gründen eine rituelle Verwandtschaft mit Personen derselben Kategorie aus Tzinacapan oder einer der umliegenden pueblos und ranchos einzugehen. Einige davon überschneiden sich mit ähnlichen Banden zwischen „Gleichen“, die mit Einwohner_inne_n Cuetzalans und anderen Regionen Mexikos eingegangen werden. Dennoch weisen letztere Besonderheiten auf, durch die sie sich von ersteren unterscheiden. Intra-strata-Beziehungen in die Distrikthauptstadt Cuetzalan und darüber hinaus Das, eine Beziehung zu in Cuetzalan lebenden Personen einzugehen, begünstigende Argument, über einen Stützpunkt für Kinder wie Erwachsene in der Distrikthauptstadt beim Markt- oder Schulbesuch oder bei anderen Anlässen zu verfügen, trifft sicherlich auch hier zu. Darüber hinaus lassen sich womöglich die besseren Kenntnisse der Munizipalverwaltung und -bürokratie der cuetzaltekischen Verwandtschaft nutzen. Hingegen unterscheiden sich Klima und Vegetation kaum zwischen den beiden Orten. Weder erlangen die Einwohner_innen San Miguels über Verwandte oder compadres in Cuetzalan Früchte und Gemüse, das in ihrer Gemeinde nicht gedeiht, noch umgekehrt. achten ist, dass die Beziehungen zu Zacapoaxtla, das von der lokalen Bevölkerung mit diesen Früchten und Gemüsen in Verbindung gebracht wird, in noch größerem Maße angespannt sind, als das gegenüber Cuetzalan der Fall ist. So wird die Überzeugung geäußert, dass die Hilfslieferungen, die im Anschluss an das Erdbeben 1999 in die Region gekommen sind, größtenteils in Zacapoaxtla hängenblieben; den Rest behielt der damalige presidente municipal Cuetzalans für sich (Feldnotizen 27.7.2004). 120 Im Anschluss an sechs Jahre Grundschule (primaria), können drei Jahre Mittelschule (secundaria) und schließlich drei Jahre Oberschule (preparatoria) besucht werden. Die preparatoria, kurz prepa genannt, endet mit Matura/Abitur, d.h. ihr Abschluss berechtigt zum Besuch der Universität (URL 47; Feldnotizen 1992, 2001, sowie 2003-2013 lfd.).

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Vor allem für Angehörige von Tosepan oder Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij und ähnlichen Organisationen bietet die compadrazgo jedoch eine gute Möglichkeit, politische wie auch ökonomische Vernetzungen, weit über den lokalen Zusammenhalt hinausgehend, zu intensivieren. Die nationalen und transnationalen Indigenenbewegungen erhalten so einen besonderen Kitt. Neben den genannten intra-strata-, bestehen auf all den genannten Ebenen – in und zwischen Gemeinden aus der Region, national und transnational – auch interstrata-, abseits der Gemeinde-Ebene, auch inter-class Beziehungen. Aber bleiben wir zunächst bei jenen innerhalb der Gemeinde, bevor wir uns mit darüber hinausgehenden Vernetzungen befassen. Inter-strata-Beziehungen innerhalb der Gemeinde Innerhalb von San Miguel sind hier zum einen jene zwischen der indigenen „Mittelschicht“ und polybians zu nennen, zum anderen aber auch die zwischen „Mittelschicht“ und Besitzlosen und schließlich jene zwischen polybians und Besitzlosen. Die für andere Regionen Mesoamerikas geschilderten Ausbeutungsverhältnisse derartiger compadrazgos, wenn sie überhaupt vorhanden sind, halten sich in Grenzen 121 und nehmen in der Regel keinen patron-client-Charakter ein. Die Angehörigen der „Mittelschicht“ sind auf die Unterstützung der unteren Schichten angewiesen, um ihre Rolle im Ämtersystem, vor allem im religiösen Bereich, wahrnehmen zu können. Polybians profitieren durch die Möglichkeit, sich von wohlhabenderen compadres Tragtiere ausborgen (Feldnotizen 19.7.2004), ausnahmsweise auch die Maismühle mitbenützen zu können (Feldnotizen 24.9.2007), sowie – und das gilt auch für compadrazgos mit Landlosen –, ähnlich wie ihre compadres aus der „Mittelschicht“, durch die Mithilfe zur Durchführung politischer und religiöser Ämter. Polybians versuchen von den politischen und damit oft einhergehenden ökonomischen Netzwerken und Informationen der „Mittelschicht“ zu profitieren, Landlose, von denen der ökonomisch besser gestellten Haushalte. Die Angehörigen der untersten sozialen Schicht, aber auch manche polybians, haben ein Interesse, über ihre compadres, bezahlte, wenn auch meist vorübergehende und prekäre Jobs im Haushalt oder im (Haus-)Bau, aber auch am Maisfeld und im cafetal zu erhalten. Umgekehrt wird von compadres erwartet, derlei Tätigkeiten primär an ihre (spirituellen) Verwandten zu vergeben und auch in anderen Zusammenhängen diese zu bevorzugen oder zumindest mit zu berücksichtigen (vgl. u.a. Feldnotizen 17.9.2013ff.). Inter-class und inter-strata-Beziehungen über die Gemeinde hinausgehend Diese Erwartungshaltung kennzeichnet auch jene vertikalen Beziehungen, die über die Gemeinde hinausreichen und in einigen Fällen bis in die USA, nach Kanada und Europa reichen. Inter-strata- und inter-class-Beziehungen nach Cuetzalan Die Konstruktion Cuetzalans als other verhindert nicht, dass seitens der Einwohner_innen San Miguels vereinzelt auch compadres aus der dort ansässigen mestizi121 Was neben den oben genannten Gründen die Bezeichnung strata anstelle von class nahelegt.

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schen Mittelschicht gesucht werden. Verbindungen zur cuetzaltekischen Elite hingegen werden kaum bis gar nicht eingegangen. Dabei bietet die compadrazgo dieser, Land und andere Produktionsmittel besitzenden Klasse, die Möglichkeit eines privilegierten Zugangs zu Arbeitskräften, zu Pächter_inne_n, zum günstigen Erwerb von landwirtschaftlichen Produkten, wie Kaffee, aber auch zu Kund_inn_en in ihren Läden, in denen angefangen vom Werkzeug über Lebensmittel bis zu Kleidung und Stoffen, alles vertrieben wird. Offenbar sind die historisch gewachsenen Animositäten, resultierend aus einer früh etablierten ethnischen und damit einhergehenden Klassendifferenz (siehe Kapitel IV.2.1 und IV.2.2), so groß, dass maseualmej derartige Verbindungen, die theoretisch auch ihnen gewisse ökonomische und andere Vorteile (der Schulbildung für das Patenkind, des begünstigten Zugangs zu staatlichbürokratischen und anderen Informationen, etc.) bieten, eher meiden. Anders ist das bezogen auf die Mittelschicht(en). Insbesondere compadrazgos mit Lehrer_inne_n, aber auch solche mit ausgewählten (Zwischen-)Händler_inne_n 122 landwirtschaftlicher und anderer Produkte, erfreuen sich einer gewissen Beliebtheit. Beispielsweise José Louis (Cm 15), ein ehemaliger Kaffeeexporteur aus Cuetzalan, der nun in der Vermarktung von Kunsthandwerk aktiv ist, ist compadre der artesanía-Herstellerin María (Tz 19). Einerseits gibt María ihre Produkte bevorzugt an ihn weiter, sofern sie sie nicht selbst verkauft, andererseits ist er bemüht, sie bei der Ausweitung ihrer Verkaufsnetzwerke, zum Beispiel nach Österreich, zu unterstützen (Feldnotizen 14.11.2011). Von welcher Seite und aus welchen Gründen die compadrazgo angebahnt wird, kann dabei sehr unterschiedlich sein. Blanca (Tz 13) stammt aus einer Familie von polybians, unterrichtet aber im Zuge ihrer Ausbildung zur Lehrerin an einer Primaria. Als sie schwanger wird und ihr Kind bekommen und alleine großziehen will, bietet sich ihr die Leiterin der Schule als madrina an, um ihr in dieser schwierigen Situation Hilfe und Unterstützung zu leisten. Die nunmehrige comadre kümmert sich nicht nur um Blancas Ausbildung, sie verschafft ihr auch einen Platz für ihren Sohn in der schuleigenen Kinderkrippe (Feldnotizen 22.10.2011, 31.10.2011). Genießen die San Miguelaner_innen, wie das Beispiel Blanca, aber auch das von María zeigt, über die inter-strata-compadrazgo nach Cuetzalan Vorteile in Hinblick auf Jobmöglichkeiten, Informationen, Kontakte u.ä., so spielen für die mestizischen Mittelschichtsangehörigen neben den weiter oben, in Bezug auf Eliten genannten potentiellen Vorteilen, in ausgewählten Fällen auch Exotismen eine Rolle. Donna Estela (C 11), beispielsweise, Lehrersgattin und Heilerin mestizischer Herkunft in Cuetzalan, gibt sich selbst gerne einen besonderen Touch. Sie kleidet sich in lange, wallende Gewänder, am Kopf eine Art Turban (Feldnotizen 5.12 2003 et al.; 21.10.2011). Sie reist für zwei Tage nach Mexiko Stadt um sich dort einen Bonsai zu kaufen (Feldnotizen 21.10.2011). An den Wänden ihres Zimmers, das sie für Heilungen nutzt, hängen Bilder verschiedener Gurus der Hare-Krishna-Bewegung. Stolz zeigt sie mir ein Exemplar von Sahagun’s „Historia General de las Cosas de Nueva España“ auf Nahuatl, das ihr ein befreundeter Wissenschaftler vermacht hat. Sie 122 Ausgewählte Zwischenhändler_inne_n insofern, als zumindest seit dem Existieren und Erfolg Tosepans und anderer Kooperativen, wie auch der Aktivitäten der Comisión Takachiualis, ein starkes Misstrauen gegenüber als ausbeuterisch betrachteten Beziehungen besteht und diese, wenn irgendwie möglich, vermieden werden.

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spricht mit ihrer (mestizischen) Schwiegertochter Nahuat, obgleich sie selbst dieses erst vor wenigen Jahren gelernt hat. Vor allem aber genießt sie es, ihre „armen“ indigenen comadres zum Essen einzuladen (Feldnotizen 10.12.2003). Entsprechend der Bedeutung, die die compadrazgo mit maseualmej für ihr Selbstbild als weltoffene, in vielen Dingen bewanderte und allen Kulturen beheimatete, etwas geheimnisumwobene Person hat, dürfte auch hier die Anbahnung der compadrazgo von ihrer, d.h. von der mestizischen Seite ausgehen. Häufiger jedoch ist es, zumindest der Literatur zufolge, dass die indigenen Eltern eines Kindes bei den potentiellen (mestizischen) compadres anfragen, ob diese eine solche Verbindung mit ihnen eingehen.123 Bevorzugte vertikale Verbindungen sind dabei weniger solche mit Einwohner_inne_n Cuetzalans, die ja, wie wir gehört haben (siehe Kapitel IV.4.1) immer ein bisschen misstrauisch betrachtet werden. 124 Inter-strata- und inter-class-Beziehungen nach Puebla-Stadt, Mexiko-Stadt und in andere mexikanische Städte Vielmehr werden Kontakte zu Personen geknüpft, die zwar häufig nach Cuetzalan reisen, beispielsweise weil sie dort ein Haus haben, oder um Geschäfte zu machen, ihren Hauptwohnsitz aber in Puebla, Mexiko oder einer anderen größeren Stadt des Landes haben (vgl. dazu u.a. die Aussage von Tzm 44 15.2.2005). Die enorme Differenz des Lebensstandards, wesentlich begründet in Bildungsdifferenzen und anderen verfügbaren Ressourcen, die in ihrer Wirksamkeit in ökonomischer Bedeutung, fast schon eigenständigen Produktionsmitteln gleichkommen, rechtfertigt es hier, wie auch in den im folgenden Abschnitt behandelten transnationalen Beziehungen, in vielen Fällen von inter-class-Relationen zu sprechen. Zwar dominieren auch in diesen compadrazgos, jene mit Lehrer_inne_n und (ausgewählten) (Zwischen-) Händler_inne_n von Kunsthandwerk und anderen Produkten, aber zumindest bei den ersteren handelt es sich vor allem um solche, die an ausländischen Privatschulen unterrichten und daher über ein wesentlich höheres Einkommen verfügen, als die oben genannten cuetzaltekischen. Zu diesen inter-class Beziehungen sind auch jene mit inund ausländischen Anthropolog_inn_en und anderen Forscher_innen, 125 zu zählen, die ja, wie wir wissen, seit Jahrzehnten in der Region aktiv sind (siehe Kapitel III.1.1). Eher als inter-strata-Relation einordnen, lässt sich die des Großstädters Paul, den ich an der Busstation kennenlerne. Er reist alle zwei Wochen nach San Miguel, um Kunsthandwerksprodukte einzukaufen, die seine Schwester in ihrem Laden in Mexiko Stadt verkauft. Bevorzugt wendet er sich an jene Produzent_inn_en, mit denen er über eine compadrazgo verbunden ist. Eine hervorragende Qualität der artesanía ist 123 Zu Anfragen an Personen, die nicht aus der Gemeinde kommen, vgl. Stephen (2005: 266). 124 Meine eigenen, zum Teil sehr intensiven Bande zu mestizischen Peasant-Familien, die, wenngleich keine Großgrundbesitzer_innen, so doch über einiges Land in Cuetzalan verfügen, werden von meinen Freund_inn_en in San Miguel zwar toleriert, aber nicht wirklich gerne gesehen (Feldnotizen lfd.). – Angelica (Tz 7 17.9.2013) reagiert auf die Frage nach compadres aus Cuetzalan mit ungläubigen Gelächter und dem Hinweis, dass die Leute dort „anders“ seien. 125 Zu den compadrazgos mit ausländischen Forscher_inne_n, siehe unten.

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ihm auf diese Weise garantiert (C 1 24.2.2005). Umgekehrt berichtet Celia (Aj 41), dass ihr compadre zwar von Zeit zu Zeit komme, um bestickte Blusen zu kaufen, es aber nie sicher sei wann er komme und wie viele er kaufe (Feldnotizen 28.10.2011). Günstiger sind da Verbindungen mit jenen compadres aus Puebla oder Mexiko Stadt, die sich sporadisch in den Ferien oder längerfristig in Cuetzalan niederlassen wollen und sich ein Haus kaufen oder bauen. So hat Juan (Tzm 10), aufgrund seiner comadres aus Puebla- und Mexiko-Stadt, seit Jahren ein mehr oder weniger fixes Einkommen als Verwalter bzw. Hausmeister der Ferienresidenzen seiner rituellen Verwandten aus der Stadt. Zeitweise kann er seinen Schwager und compadre, seine Neffen und Söhne aus San Miguel und Ajotzinapan an diesem ökonomischen Segen partizipieren lassen. Denn die sporadischen Besucherinnen aus Puebla und Mexiko D.F. sind froh, eine Vertrauensperson vor Ort zu haben, die sich in ihrer Abwesenheit um die Erhaltung und Reparatur von Haus und Garten kümmert. Als Beatrice (Mf 1), eine Lehrerin aus Puebla Stadt, beschließt, ein Haus nahe Tzinacapan für ihren Sohn errichten zu lassen, beauftragt sie ihren compadre Juan mit der Organisation und Beaufsichtigung der Bauarbeiten. Entsprechend den Anforderungen der Verwandtschaft und compadrazgo stellt dieser in erster Linie Personen aus seinem Umfeld ein, was für ihn auch den Vorteil hat, dass er sich hundertprozentig auf ihre Loyalität und damit die Qualität der Arbeitsleistung verlassen kann (Feldnotizen 2006 et al.). Umgekehrt nimmt die comadre aus Puebla Stadt in Juans Familie eine, ihrer ökonomischen Bedeutung entsprechende, herausragende Stellung ein, höher als andere, über derartige Beziehungen verbundene Personen. Ihre Besuche gleichen einem Festakt: das Haus wird geputzt, besonderes Essen gekocht (z.B. Feldnotizen 5.2.2005 et al.). Wenn sie sich ankündigt, werden sämtliche anderen Aktivitäten, angefangen von der Geschäftsreise nach Tecolutla, bis zur Wallfahrt ins nahe gelegene Jonotla, abgesagt. Beatrice, die ihre Rolle als comadre ernst nimmt, was ihre Beliebtheit und den Respekt, der ihr entgegengebracht wird, noch weiter steigert, bringt für alle Kinder des Hauses, neben Spielsachen auch Zahnbürsten mit, organisiert und bezahlt den Zahnarztbesuch, lädt alle Einwohner_innen des Hauses zu Ausflügen in nicht allzu weit entfernte sehenswerte Orte ein, etc., kurz sie kümmert sich um Gesundheit und Bildung ihrer rituellen Familie (vgl. z.B. Feldnotizen 6.2.2006). Im Laufe der Zeit verändert sich die Art der Beziehung jedoch, Klagen über die comadre, die zu wenig, vor allem keinen Urlaub und keinen Krankenstand bezahle, Versprechungen mache, die sie dann nicht einhalte u.ä. häufen sich (Feldnotizen 15.9.2013 et al.). Umgekehrt beschwert sich die comadre, dass Juan seine Verpflichtung zu regelmäßiger Arbeit nicht ernst genug nehme (Feldnotizen 15.9.2013). Das ehemals scheinbar durch gegenseitigen Nutzen gekennzeichnete Verhältnis verwandelt sich, aus der Sicht Juans und seiner Frau, in ein ausbeuterisches zwischen patron und client (Feldnotizen 15.9.2013 et al.). Zum Ausdruck kommen hier einerseits Klassen-, andererseits ethnische Differenzen und daraus resultierende/s Verständnislosigkeit und Fehlverhalten auf beiden Seiten. Vertikale, in hohem Maße durch Ungleichheit gekennzeichnete, Beziehungen müssen dennoch nicht notwendig ausbeuterisch sein. Gerade die zwischen Anthropolog_inn_en und anderen Forscher_inne_n zu maseualmej, lassen sich in vielen Fällen als gleichermaßen vertikal, bezogen auf die Klassen- oder Schichtzugehörigkeit und dennoch gleichberechtigt, bezogen auf den gegenseitigen Nutzen, wenn nicht gar ver-

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tikal zugunsten der maseualmej, charakterisieren. Letztere haben jedoch häufig keinen nationalen, als vielmehr einen transnationalen Charakter und verbinden Personengruppen aus unterschiedlichen Nationalstaaten. Transnationale inter-class-Beziehungen Diese transnationalen Bande zwischen Mexikaner_inne_n und europäischen, amerikanischen oder auch kanadischen Anthropolog_inn_en werden in zahlreichen Ethnographien beschrieben, angefangen von Ruth Behars besonderem Verhältnis zu ihrer comadre Esperanza (Behar 1993), bis zur Schilderung der Lebensgeschichte einer mexikanischen Frau durch die Wiener Anthropologin Bettina Nagl (2005), die mit ihrer Interviewpartnerin und Freundin Chana, ebenfalls eine compadrazgoBeziehung eingeht. Pierre Beaucage verweist in der Einleitung eines seiner, zusammen mit der Taller de Tradición Oral del CEPEC herausgegebenen, Bücher (2012: 52) auf seine rituellen Verpflichtungen und ich begegne dem_der einen oder anderen Einwohner_in Tzinacapans, der_die mich auf seinen_ihren compadre aus Kanada oder einer anderen Weltregion verweist, der ebenfalls Interviews mache und einer ähnlichen Arbeit nachgehe wie ich, kurz Anthropologe sei (z.B. Feldnotizen 23.2. 2005). Der Vorteil, den Wissenschafter_innen aus diesen Beziehungen ziehen, ist klar: sie verfügen über intensive Bande, die ihnen Einblicke in die Lebensweisen der Region gewähren, die ihnen ansonsten nicht, oder in geringerem Maße möglich wären. Für die maseualmej auf der anderen Seite, ergibt sich aus dieser Form der compadrazgo nicht nur eine besondere Art von Prestige, sondern sie stellt ein Versicherungssystem dar, auf das in Notzeiten zurückgegriffen werden kann. In Krisenmomenten, wenn aufgrund einer schweren oder länger andauernden Krankheit das Haushaltseinkommen bei gleichzeitig höheren Ausgaben (für Arztbesuche und Medizin) sinkt, wird in vielen Fällen die comadre oder der compadre über Telefon oder Internet kontaktiert und um Unterstützung gebeten (vgl. z.B. Feldnotizen 21.2.2005). Anthropolog_inn_en und andere Forscher_innen sind somit in das soziale System integriert und nehmen eine wichtige Rolle im lokalen Gefüge ein. Diese transnationale und klar vertikale compadrazgo lässt sich nicht automatisch als negativ und ausbeuterisch gegenüber den maseualmej interpretieren, vorausgesetzt die betreffenden Wissenschafter_innen nehmen ihre Rolle ernst und erfüllen die, mit ihr einhergehenden Erwartungen und Obligationen. Als Teil des familiären Netzwerks sind sie zu finanzieller und sonstiger Unterstützung ebenso verpflichtet, wie – wenn irgend möglich – zur Teilnahme an wichtigen mayordomías und anderen rituellen Anlässen.126

126 Zwar keine comadre, aber Teil des Hauses (nochi chan kalyetonij) kann ich die Enttäuschung durch das Telefon nahezu körperlich spüren, wenn ich mich entschuldigen muss, nicht zur Hochzeit des Sohnes oder zur großen mayordomía zu kommen. Umgekehrt ist die Freude und Zufriedenheit umso größer, wenn ich ankündigen kann, dass ich komme und an der Feierlichkeit teilnehme.

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V.4.2 Zusammenfassung und ergänzende Bemerkungen Somit zeigt sich in der compadrazgo eine Vielzahl von Bedeutungen und Möglichkeiten ihrer Nutzung. Sie dient einerseits dem Vorstandsehepaar eines Haushalts zur Festigung und in gewisser Weise Ausweitung ihrer personhood, über die Vergrößerung oder auch Intensivierung des Netzwerkes, in dem tekit, chiualis und Respekt in unmittelbarer und transformierter Form (über den Austausch von Essen, das Mais enthält) weitergegeben wird. Damit einher, geht die Stärkung sozialer Bande, weit über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus und in manchen Fällen auch die Verminderung von familiären und anderen Spannungen, wie das das Beispiel der padrinos von Reinalda (Aj 44) nahelegt. Günstig ist es in jedem Fall, über möglichst vielfältige, differierende Kontakte zu verfügen. Denn entsprechend dem Wohnort, der Schicht- und Klassenzugehörigkeit, etc., bieten sich jeweils unterschiedliche Varianten von Vorteilen an. Wie wir gesehen haben, helfen compadrazgo-Beziehungen materielle und immaterielle Ressourcen, angefangen von Obst und Gemüse, über Rohmaterialien für die Herstellung von Kunsthandwerk, bis zu Informationen und Wissen, etc., aus unterschiedlichen Ökosystemen, wie auch sozialen Schichten und Klassen zu erlangen. Compadres und comadres unterstützen sich gegenseitig in unmittelbar ökonomischen Belangen, die der Erhöhung des Haushaltseinkommens dienen. Das betrifft die Vermarktung von Produkten ebenso wie die Vermittlung von Jobs und Arbeitskräften. Insbesondere transnationale Verbindungen und solche zu besser gestellten Personen aus den größeren mexikanischen Städten bieten darüber hinaus die Möglichkeit, in Notlagen finanzielle Mittel zu rekurrieren. Die rituelle Verwandtschaft zu Angehörigen der cuetzaltekischen Elite wird allerdings vermieden. Eine nicht ungerechtfertigte Angst, dass eine solche, seitens der herrschenden Klasse, zu ökonomischer und politischer Ausbeutung der maseualmej führen könnte, dürfte hierfür der Grund sein. Dazu kommt ein gewisser Unwille der Oberschichtsangehörigen, sich an den rituellen Aktivitäten der Gemeinde zu beteiligen, was die bereits bestehende, historisch bedingte Kluft und das Misstrauen zwischen ihnen und der indigenen Mehrheitsbevölkerung noch erweitert. Unter den mestizischen Angehörigen der mittleren und unteren sozialen Schichten auf der anderen Seite, variiert die Bereitschaft zur Beteiligung am religiösen Ämtersystem, was in differierenden Arten von Beziehungen zu den maseualmej mündet: von sehr eng mit Heirats- und compadrazgo-Banden, bis hin zu abgrenzend, separiert, mit rassistischen Konnotationen. 127 Seitens der Einwohner_innen Tzinacapans, bestehen zwar auch den cuetzaltekischen mestizischen Mittel- und Unterschichten gegenüber gewisse Ressentiments, diese werden aber, anders als gegenüber den Eliten, gegebenenfalls zugunsten pragmatischer Überlegungen oder auch aufgrund bereits bestehender freundschaftlicher Beziehungen überwunden, wie das Beispiel von Blanca (Tz 13) zeigt. Dem Patenkind auf der anderen Seite, bietet die spirituelle Verbindung mit padrinos aus allen sozialen Schichten und Klassen, mit den oben genannten Einschrän127 So erklärt mir ein junger Mann die Bedeutung der razas: „[…] es gibt Leute, wie die in San Miguel, –schmutzig, dumm… – und andere mit sombreros, die anders aussehen, weniger dumm sind. Das sind die razas“ (Feldnotizen 19.2.2005).

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kungen, eine vermittelnde Instanz im Falle häuslicher Konflikte. Ebenfalls schichtund klassenunabhängig, aber eng mit dem Wohnort der Beteiligten verbunden, kann die Möglichkeit bei den padrinos zu wohnen, eine entscheidende Variable sein, ob jemanden der Schul- oder auch Universitätsbesuch möglich ist. Auf diese und andere Weise kann die Patin_der Pate, die_der aus einer besser gestellten Schicht oder Klasse, als das „Kind“ stammt, Unterstützung in der schulischen Ausbildung und dem beruflichen Weiterkommen gewährleisten. Wenn nötig, nehmen p/m/adrin@s ihr verwaistes Patenkind auch bei sich auf. Wenn Sandstrom (2000), wie eingangs erwähnt, die compadrazgo als wichtige Ressource im Umgang mit schwierigen Situationen betrachtet, so ist dem bezogen auf Cuetzalan, betreffend die vielfältigen Möglichkeiten unterschiedliche Varianten von Beziehungen und ihrer Vorteile zu nutzen, zuzustimmen. Zuzustimmen ist ihm auch in der Heraushebung der besonderen Relevanz des Hauses und der kombinierten Bedeutung von Territorialität und Verwandtschaft, wobei letztere die compadrazgo inkludiert. Eine Bezeichnung der gesamten Gemeinde als „Großes Haus“ (Monaghan 1996) ist insofern passend, als in der Gemeinde ähnliche Mechanismen der Schaffung von Nähe und Distanz über gemeinsames Arbeiten und Essen, oder die Verweigerung derselben, zu finden sind. In gewisser Weise lässt sich der Zusammenhalt von Menschengruppen im Haus, in der Gemeinde und darüber hinausgehend, bis in übernatürliche Sphären hinein, über den mit den verschiedenen Formen von Verwandtschaft einhergehenden Austausch von tekit und chiualis (materialisiert in Mahlzeiten mit Mais und anderen Gütern) und der damit einhergehenden gemeinsamen Essenz, als eine Erweiterung von personhood, über die Person und den unmittelbaren Haushalt hinausgehend, betrachten. Über den Austausch von Arbeit und Essen wird Zusammengehörigkeit, Gemeinsamkeit und in Folge auch Verwandtschaft hergestellt, eine Zusammengehörigkeit die mit spirituellen und anderen Wesen des Kosmos gleichermaßen etabliert werden kann. Dieses flexible und anpassungsfähige Konzept erlaubt es, im Sinne Sandstroms (2000), mit sehr heterogenen Situationen umzugehen.

VI

Haushalte der maseualmej im Weltsystem, Haushalte der maseualmej im Kosmos, Teil II Zugehörigkeiten, Solidaritäten und (weitere) Konflikte

Die Bedeutung von Geben und Nehmen, gemeinsamem Konsum und ebensolcher Arbeit, sowie ein Zusammenspiel von Territorialität (des Hauses und der Gemeinde) und (konstruierter) Verwandtschaft/Zugehörigkeit zur Familie/zum Haushalt, zeigt sich teilweise auch in den folgenden Ausführungen. Besonderes Augenmerk wird hier auf Ausweitungen und Verringerungen der Zahl der, im und für den Haushalt arbeitenden und somit zu versorgenden, Personen gelegt. Zunächst werden jene systemimmanenten Ereignisse analysiert, die eine kurzfristige Erweiterung bzw. Reduktion der Haushaltsgröße bedingen, wie Bauarbeiten im Haus, die Maisernte, die Vorbereitungen und Durchführung einer mayordomía, mehrtägige Besuche von Verwandten und Bekannten, oder Geschäftsreisen. Diese sind insofern von Bedeutung, als sie eine Herausforderung für etablierte Beziehungs- und Verhaltensmuster von Autorität und Unterordnung darstellen und damit ein Potential zu einer, zumindest vorübergehend wirksamen, Veränderung implizieren. Anschließend wird auf Vorkommnisse eingegangen, die im Sinne von positiven wie auch negativen Krisen1 als Möglichkeiten zur Herausbildung neuer Bedingungen für Umstrukturierungen von Machtrelationen zu sehen sind. Ausgelöst werden können diese einerseits durch längerfristige Erweiterungen von Haushalten, andererseits durch die plötzliche Verringerung der Zahl der Mitglieder auf lange Sicht. Einige solche Geschehnisse – Heirat, die Geburt eines Kindes, aber auch der Tod eines Haushaltsmitglieds – wurden, mit Blick auf geschlechtlich differierendes personing, in Kapitel V thematisiert. Im Unterschied dazu liegt nun der Schwerpunkt weniger bei daraus resultierenden Schwierigkeiten, Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten bzw. -einschränkungen von einzelnen Personen innerhalb des Haushalts, vielmehr werden Verschiebungen und Re-Etablierungen in der Gesamtheit der haushaltsinternen Strukturen und darüber hinausgehend, in den Blick genommen. Wie zuvor wird auch hier großes Augenmerk auf das Auseinanderdriften sozialer Normen und Idealvorstellungen und den gelebten Verhaltensweisen und Praktiken gelegt. Die genannten Ereignisse sind in dem Sinne unerwartet (und somit potentiell krisenhaft), als nicht immer genau geplant werden kann, ob und wann ein junges Paar zueinander findet, ob und wann 1

Zum Umgang mit Krise als einem heuristischem Prinzip in der Kultur- und Sozialanthropologie, vgl. Beck/Knecht (2012: 68-70).

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Kinder zu erwarten sind, wann jemand stirbt, etc. Gleichzeitig stellen sie insofern eine strukturelle und systemimmanente Bedingung dar, als zu erwarten ist, dass sie über kurz oder lang stattfinden. Von daher gibt es soziale Regelungen, wie mit solchen Situationen umzugehen ist. Wie in Kapitel V aufgezeigt, sind diese Vorgaben nicht starr und uniform, vielmehr lassen sie eine Vielfalt von Variationen zu. Im Folgenden liegt ein Fokus – neben der Befassung mit vorhersag- und bis zu einem gewissen Punkt planbaren systemimmanenten Ereignissen – bei der Betrachtung plötzlich auftretender Situationen, d.h. solchen, die zum Zeitpunkt ihres Eintretens (noch) nicht erwartet werden. Auch für diese Unwägbarkeiten gibt es Richtlinien, die dabei helfen sollen, den starken Bruch mit der „Normalität“ des Haushaltszyklus, wie auch des Lebens der Haushaltsmitglieder, in den Griff zu bekommen. Die geforderte Flexibilität der Umgangsformen, um mit der Geburt von nicht geplanten und gewünschten Kindern, mit Krankheit, oder dem unerwarteten Tod von Menschen umzugehen, führt u.U. dennoch zu Unsicherheiten und daraus resultierenden oder auch zutage tretenden, aber bereits latent vorhandenen, Spannungen und Konflikten. Gehen wir zunächst auf kurzfristige Veränderungen ein, die ob ihrer Systemimmanenz und Normalität erwarten lassen, dass Umstrukturierungen des Beziehungsgefüges innerhalb der Haushalte, wenn überhaupt welche erfolgen, dann vorübergehender Natur sind.

VI.1 AUSWIRKUNGEN KURZFRISTIGER T RANSFORMATIONEN DER H AUSHALTSZUSAMMENSETZUNG Diese kurzfristigen Transformationen können durch einen Zuwachs der für den Haushalt tätigen oder aus anderen Gründen zu versorgenden Mitglieder, oder auch durch ihre Verringerung bedingt sein. Ersteres bedeutet in der Regel einen erhöhten Arbeitsaufwand für einen Teil der den Haushalt konstituierenden Personen, meist jenen weiblichen Geschlechts. Letzteres bedingt in vielen Fällen einen Entfall von Arbeitskraft und somit ebenfalls eine Erhöhung des notwendigen Inputs durch andere Mitglieder, um diesen zu kompensieren. Die Fähigkeit zu arbeiten wirkt, wie wir gesehen haben, wesentlich in der Konstituierung von personhood und damit einhergehender Kraft, Macht und in Folge auch Autorität. Festgehalten wurde in den vorangegangenen Ausführungen jedoch auch, dass über die Beherrschung geschlechtsspezifischer und anderer Tätigkeiten hinaus, eine Reihe weiterer Faktoren – wie Alter, Heirats- und Verwandtschaftsstatus, das Vorhandensein und Alter von Kindern, rituelle Kompetenzen, etc. – für erfolgreiches personing erforderlich sind. Was nun in diesem Kontext zu prüfen ist, ist die Frage, inwieweit eine erhöhte Arbeitsbelastung von Haushaltsmitgliedern oder andere Faktoren, die im Zuge kurzfristiger Erweiterungen oder auch Verringerungen der Haushaltsgröße auftreten und personhood und somit den haushaltsinternen Status stärken oder auch schwächen, das interne, möglicherweise auch das externe Autoritätsgefüge berühren und wenn ja, wie nachhaltig und in welcher Form.

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VI.1.1 Die Auswirkungen von kurzfristigen Erweiterungen von Haushalten auf interne Machtgefüge Eine Vergrößerung der Zahl, der in einem Haushalt zu versorgenden Personen, ergibt sich, wie bereits angedeutet, in folgenden Zusammenhängen: (1) Wenn größere Arbeiten im und am Haus zu verrichten sind, die in ihrem Ausmaß oder von ihren Anforderungen her die Kapazität der Einwohner_innen übersteigen (siehe dazu Feldnotizen 24.-31.1.2006; 24.10.2011; 27.9.2013; et al.). (2) Im Gefolge des Maisanbaus und seiner Ernte werden in der Regel, wie in Kapitel IV.2.5 ausgeführt, ebenfalls Helfer benötigt.2 (3) Anlässlich der Übernahme einer größeren mayordomía, gibt es das Recht auf diputad@s, d.h. Personen, die die mayordom@s bei Organisation und Durchführung der erforderlichen Arbeiten unterstützen (siehe Kapitel IV.3.1). (4) Im Zuge von Festen muss an einem oder mehreren Tagen eine große Zahl von Gästen versorgt werden (siehe Kapitel IV.3). (5) Im Zusammenhang mit der compadrazgo wurde bereits darauf hingewiesen, dass womöglich rituelle, aber auch andere Verwandte zeitweise mit im Haus leben, beispielsweise um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen (vgl. Kapitel V.4.1.2). Dazu kommen (6) verwandte und nicht verwandte Besucher_innen aus Mexiko Stadt, Puebla Stadt, den USA, Kanada, Europa, etc., die für einen Zeitraum von mehreren Tagen bis Wochen im Haus aufgenommen werden. Gehen wir zunächst auf den ersten Punkt ein, die tageweise und sporadische Erweiterung der Arbeits- oder besser gesagt der Konsumgemeinschaft des Haushalts. VI.1.1.1 Tageweise Erweiterung der im Haushalt zu versorgenden Personen, aufgrund von Arbeiten am und im Haus Solche Arbeiten am oder im Haus, die von den Einwohner_inne_n nicht selbst durchgeführt werden können, bedeuten insofern eine zumindest tageweise Ausweitung der Zahl, der mit Essen zu versorgenden Personen, als, im Unterschied zum klassischen kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnis, in der moralischen Ökonomie 3 indigener (wie auch anderer) Peasant-Gemeinden, Wert auf eine Kompensation gelegt wird, die über eine rein finanzielle Transaktion hinausgeht. Damit jemand gute Arbeit leistet, muss er_sie auch gut essen, halten Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 106) fest. Zwar wird in Kapitel V.2.2, Mario mit der Aussage zitiert, dass er für seine Arbeit weniger bezahlt bekommt, weil er, als allein lebender Witwer, darauf angewiesen ist, fertige Mahlzeiten zu erhalten (Tzm 78 2.2.2006, 3.2.2006). Tatsächlich aber bekommen, wie ich während meiner Aufenthalte immer wieder beobachten kann, sämtliche Arbeiter, während des gesamten 2

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Die Obst-, Kaffee- und pimienta-Ernte hingegen erfolgt in allen mir zugänglichen Haushalten ohne zusätzliche Arbeitskraft von außen. Es gibt aber Hinweise, dass dem nicht immer so war bzw. ist, dass beispielsweise junge Burschen angeheuert werden, das schwierige Pflücken der pimienta durchzuführen (Tz 16 7.2.2005: 325-326). Zum Begriff der „moralischen Ökonomie“, vgl. Thompson (1980b), zu seiner Anwendung in Zusammenhang mit Subsistenzwirtschaft und Peasant-Gemeinschaften, vgl. Scott (1976); für Cuetzalan, vgl. Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 111, 202). Auf die Bedeutung dieses Konzepts in der Debatte um das widerständische Potential der peasantry wurde bereits in Kapitel II.3.1 hingewiesen.

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Zeitraums, den sie im, am und für ein Haus tätig sind, unabhängig ob ledig und bei den Eltern wohnend, verheiratet oder verwitwet, mit oder ohne eigenen Haushalt, neben Kaffee, Brot und refresco, zwei bis drei Mahlzeiten am Tag (Feldnotizen lfd.). Da in der Regel nicht mehr als zwei bis drei Männer gleichzeitig beschäftigt werden, ist der dafür erforderliche Mehraufwand an Arbeit für die Frau(en) des Haushalts nicht all zu groß: sind die Einkommensverhältnisse einigermaßen abgesichert (und nur solche Haushalte können sich einen Ausbau des Hauses unter Zuhilfenahme bezahlter Arbeitskraft leisten), so ist in den meisten Häusern zu den Mahlzeiten ohnehin mehr Essen, als die Familie zu ihrer Versorgung benötigt, verfügbar, um auch für unerwartet auftauchende Gäste, sowie für die Bewirtung von Arbeitern gerüstet zu sein.4 Insgesamt ändert sich durch die Anwesenheit der Männer nicht viel, außer dass sie, tätigkeitsbedingt, Schmutz und Unordnung verursachen, an deren Beseitigung sich alle im Haus lebenden Erwachsenen – Frauen und Männer –, sofern ihnen das zeitlich und körperlich möglich ist, beteiligen (vgl. Feldnotizen 17.9.3013, et al.). Die Beziehungen der Menschen untereinander, offen zutage tretende wie auch unterschwellig vorhandene Verhältnisse von Über- und Unterordnung, werden durch diese Art von kurzfristiger Ausweitung der durch den Haushalt zu versorgenden Personen nicht beeinträchtigt. VI.1.1.2 Tageweise Erweiterung der im Haushalt zu versorgenden Personen im Zuge des Maisanbaus Die zweite Variante tageweiser Haushaltserweiterung ist, wie wir in einem anderen Zusammenhang in Kapitel IV.2.5.2 festgehalten haben, durch die Verpflichtung zur Versorgung der Helfer im Maisanbau mit einer Mahlzeit „como si fuera el día de tu santo“ (Lupo 1995: 210), gekennzeichnet (vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 106). Hier ist der Aufwand für die Frauen insofern höher, als (Trut-)Hühner geschlachtet und zusammen mit der arbeitsintensiven mole zubereitet werden müssen, oder – in weniger nach traditionellen Vorstellungen agierenden Haushalten – zumindest eine ansehnliche Fleischmahlzeit bereitet werden muss. Daher hilft u.U. eine nahe Verwandte in der Küche mit (vgl. Feldnotizen 19.-21.7. 2004). Darüber hinaus muss die Mittagsmahlzeit aufs Feld gebracht werden, eine Aufgabe, die häufig der Schwiegertochter übertragen (Tz 16 2005: 382-6, 724-30; Feldnotizen 20.7.2004) und von dieser in vielen Fällen ambivalent betrachtet wird. Einerseits bietet der Gang aufs Feld die Möglichkeit, aus dem Haus zu kommen, was insbesondere jene Frauen schätzen, die von klein auf gerne am rancho oder auf der milpa mitarbeiten und die Arbeit im Freien gewohnt sind (Tz 16 2005: 724-30). Darüber hinaus muss die positive, weil personhood stärkende Wirkung des, mit dieser Tätigkeit verbundenen spirituell-religiösen Aspekts, mit berücksichtigt werden. Denn die Frau bringt zumindest bei der Aussaat nicht nur den Männern Essen und Trinken, sondern sie ist auch für die Kompensation der Erde, für die dieser entzogenen Energie, die sie für das Wachstum der Pflanzen braucht, zuständig (vgl. Kapitel IV.2.5.2). Andererseits müssen womöglich frisch gebackene Mütter ihre Säuglinge bei den Schwiegermüttern lassen, d.h. bei Menschen, denen sie in einigen Fällen unterstellen, 4

Etwaige Überschüsse werden am nächsten Tag verzehrt, einmal aufgewärmte tortillas, die bei einer nochmaligen Erhitzung deutlich an Geschmack verlieren, an die Tiere – Katzen, Hunde, Hühner und Truthühner – verfüttert (Feldnotizen lfd.).

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gegen ihre Beziehung zum Sohn zu opponieren und denen sie daher auch nicht vertrauen (vgl. u.a. Tz 16 2005: 724-30; Tz 19 10.10.2013; Tz 26a 16.10. 2013). Schon vorher, in den letzten Monaten der Schwangerschaft, wird der Gang aufs Feld von manchen Frauen als Belastung (Tz 16 29.7.2004) und als Versuch der Schwiegermutter, die Schwangerschaft zu unterbinden, angesehen (Tz 26a 15.10. 2013). Darüber hinaus setzen sie sich stärker, als wenn sie im Haus bleiben, dem Vorwurf der Untreue aus, ein manchmal von der Schwiegermutter angewandtes Mittel, den Sohn gegen seine Frau aufzubringen, diesen somit für sich selbst zu vereinnahmen und solcherart Kontrolle auszuüben (Tz 16 7.2.2005 356-361; Tz 7 15.10. 2013; vgl. dazu u.a. Collier 1974; Lamphere 1974: 111). D.h., über die mit dem Maisanbau verbundenen Tätigkeiten, kommen latente Animositäten und Spannungen zum Ausdruck und verstärken sich womöglich. Innerhäusliche Hierarchien werden hier, trotz eines möglichen (geringfügigen) Anwachsens spiritueller Kompetenz der jungen Frauen, nicht in Frage gestellt als vielmehr offengelegt und verschärft (siehe dazu auch Kapitel V.1.2.3). VI.1.1.3 Die Anwesenheit von diputad@s im Zuge der Vorbereitung und Durchführung von mayordomías Anders als die beiden zuvor genannten, mehr oder weniger häufig (im Falle von Arbeiten im Haus) bzw. regelmäßig jedes Jahr stattfindenden Gelegenheiten (im Falle des Maisanbaus), die zu partiellen Haushaltserweiterungen im Sinne von Konsum-, teilweise auch von Arbeitsgemeinschaften führen, 5 sind jene, die im Kontext von großen mayordomías erfolgen, selten und sporadisch, dafür, wie wir sehen werden, in Hinblick auf die variierende Bedeutsamkeit von Differenzmarkierungen entsprechend dem gesellschaftlichen Kontext, umso aussagekräftiger. Nicht mit jeder mayordomía geht das Recht auf diputad@s einher, nicht jeder Haushalt kann es sich leisten, eine der großen und aufwändigen, mit diesem Privileg verbundenen mayordomías durchzuführen (siehe Kapitel IV.4.3, insbesondere Kapitel IV.4.3.1). Das Ehepaar Marcela und Fernando, dessen Haus(halt) zirka 1975 errichtet wurde, erzählt beispielsweise, dass es bisher dreimal die Gelegenheit hatte, ein solch großes Fest zu organisieren: jenes für den Heiligen Michael, jenes für den Àngel Custodio, mit jeweils drei Paaren von diputad@s, und jenes für das Niño Díos (Feldnotizen 26.9.2013). Auch andere mir bekannte Familien weisen auf nicht mehr als drei, maximal vier Durchführungen, derart wichtiger Ereignisse hin.6 Schon viele Tage vor dem Fest ist der Haushaltsvorstand, manchmal zusammen mit seiner Frau, unterwegs, nicht nur um Gäste einzuladen, sondern auch die gewünschten Personen als diputad@s zu gewinnen (Feldnotizen 16.9.2013 et al.). Besonders begehrt sind Männer aus Yohualichan, die als Experten für die Herstellung 5

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Erfolgt im Falle des Maisanbaus eine gemeinsame Arbeit und somit Ausweitung der Arbeitsgemeinschaft des Haushalts, so ist das bezogen auf Arbeiten am und im Haus manchmal, aber nicht immer der Fall. Häufig arbeiten die dafür angeworbenen und bezahlten Männer alleine, womöglich ohne, dass einer der im Haus lebenden Männer überhaupt anwesend ist, während die anwesenden Frauen ihren eigenen Tätigkeiten nachgehen. Zusammen mit den kleineren mayordomías kommen die Haushaltsvorstandspaare dennoch auf ihre sieben, d.h. die von Haly (1996: 552-3), als optimal bezeichnete Anzahl (siehe Kapitel IV.4.3), oder auch mehr religiöse Feste, die sie im Verlauf ihres Lebens ausrichten.

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des Festschmucks gelten (Tz 7 17.9.2013). Auch die Erfahrungen in der Organisation und Durchführung von Festen, insbesondere der Frauen, spielen eine Rolle bei der Auswahl. In jedem Fall muss für die Besuche bei potentiellen Helfer_inne_n ausreichend Zeit veranschlagt werden, nicht nur, da der Weg in andere Orte wie Yohualichen weit ist, sondern auch, da es der Anstand gebietet, Kaffee, eine Mahlzeit und Schnaps anzunehmen (Feldnotizen 14.9.2013, 19.9.2013). Die Herstellung und der Verkauf von Kunsthandwerksprodukten werden daher zurückgestellt; im Falle einer Lohnarbeit muss (in der Regel unbezahlter) Urlaub genommen werden. Die im Haus und am Feld oder im cafetal zu verrichtenden Tätigkeiten müssen entweder in aller Früh oder spät abends durchgeführt bzw. von anderen Haushaltsmitgliedern übernommen werden. Die ältesten im Hause lebenden erwachsenen (Schwieger-)Söhne und (Schwieger-)Töchter sind, gereiht nach Alter und Heiratsstatus, in Abwesenheit des Haushaltsvorstands(ehepaares) für den reibungslosen Ablauf des Alltagsgeschehens verantwortlich und gewinnen somit vorübergehend an innerhäuslicher Entscheidungskompetenz (ibid.; siehe auch Kapitel VI.1.2). Am Tag bevor die Vorbereitungen des Festes beginnen, kommen die diputad@s ins Haus der mayordom@s, um die genaue Planung zu besprechen. Sie werden im Hauptraum empfangen, wobei der Hausherr, dem Anlass und seiner Autorität entsprechend, seinen Hut trägt. Sie erhalten dort Kaffee, später auch eine Mahlzeit. Die mit ihrem Besuch und der Bewirtung verbundene Aufregung unterbricht die Routine des Hauses. Darüber hinaus wird bei dieser Gelegenheit ausdrücklich Wert auf die formale Einhaltung gesellschaftlich vorgegebener Statusdifferenzen der offiziellen Position einer Person im Haushalt, des Alters, des Geschlechts, etc., die im innerhäuslichen Alltag in vielen Fällen eine vergleichsweise geringe oder gar keine Rolle spielen, gelegt (Feldnotizen 16.9.2013; siehe Kapitel V.3). Das ändert sich an den nachfolgenden Tagen, an denen die diputad@s bereits in der Früh ins und zum Haus kommen und oft bis in die Nacht hinein bleiben. Vor allem die Frauen halten sich in Folge einen Großteil der Zeit in der Küche auf, bringen ihre Kinder und Enkelkinder mit, damit diese nicht alleine zu Hause und unbeaufsichtigt sind. Zeitweise werden letztere auch zur Mithilfe herangezogen. Die Männer verbringen ebenfalls viele Stunden im Haus der mayordom@s und werden dort mit Essen und Trinken versorgt. Sie bereiten Brennholz, kümmern sich darum, dass ausreichend Tische und Bänke verfügbar sind, u.ä. Dazwischen sind sie häufig unterwegs, um die Tätigkeiten bei der Kirche zu koordinieren, Materialien für den Festschmuck (dessen Herstellung sie organisieren und überwachen müssen) u.a. zu besorgen, etc. (Feldnotizen 16.9.2013ff.). Von der formalen Haltung des ersten Tages und dem Bestreben, die offizielle gesellschaftliche Rangordnung der Einnahme der Rolle und Position des mayordomos bzw. des Haushaltsvorstands u.ä. einzuhalten, ist nur wenig zu bemerken. Die diputad@s und ihre Familien werden gewissermaßen in den Haushaltsalltag integriert, wobei die innerhalb der einzelnen Familien relevanten Hierarchien des Geschlechts, des Alters und des Verwandtschaftsstatus fortbestehen (können); diese sind jedoch, wie wir gesehen haben (vgl. Kapitel V.1.3), zwischen den häuslichen Einheiten in sehr unterschiedlichen Weisen ausgeprägt. Zeitweise sind die diputad@s und ihre Angehörigen alleine im Haus, da die Hausleute ihren Tätigkeiten am Markt, am Feld und andernorts nachgehen. Ist die Hausfrau anwesend, so legt sie Wert darauf, ihren „Abgeordneten“ bei der Ankunft

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am Morgen Kaffee und Brot zu servieren und sie achtet darauf, dass sie ausreichend zu essen bekommen und abends nicht ohne gegessen zu haben das Haus verlassen, wie sie das auch bei anderen Mitgliedern des Haushalts tut. In ihrer Abwesenheit übernimmt die (Schwieger-)Tochter diese Aufgabe, ist weder eine Tochter noch eine andere weibliche zum Haus gehörige Verwandte anwesend, so kümmern sich die bereits anwesenden Frauen, nur ausnahmsweise die männlichen Mitglieder des Haushalts darum, dass Neuankömmlinge versorgt werden (Feldnotizen 16.9.2013ff.). Anders als zum Zeitpunkt ihrer Ernennung, haben die diputadas nun selbstverständlichen und unhinterfragten Zugang zur Küche als innerem Teil des Hauses. Damit einher geht das Recht sich selbst und andere, in Maßen, aus den Ressourcen des Haushalts zu bedienen, wobei meist, wenn auch nicht immer, die oben genannten Regeln, wer sich wann für die Verteilung von Essen oder Trinken zuständig fühlt, eingehalten werden. Diputd@s und ihre Familien werden auf diese Weise in den Haushalt hereingeholt, von, mit besonderem Respekt zu behandelnden Fremden, zu (vorübergehenden) Mitgliedern gemacht. Formale Rollenzuschreibungen verlieren, zugunsten einer vertrauten Selbstverständlichkeit alltäglicher Umgangsformen, an Bedeutung. Letzteres beinhaltet, dass die dem Haushalt zugehörigen Männer (die, wie wir soeben festgestellt haben, die diputados für die Dauer ihrer Funktion inkludieren), keine Hemmungen haben, sich gegebenenfalls in der Küche selbst zu bedienen, sich selbst nicht nur Essen, sondern auch tortillas vom comal wie auch Kaffee aus dem Topf zu nehmen oder auch Tassen und Teller abzuwaschen (Feldnotizen 17.9.2013, et al.). Derlei Formen der Aufweichung der idealen geschlechtlichen Arbeits- und Raumzuteilung (vgl. Kapitel V.1.2.1) sind Teil des Alltagslebens und finden sich in sehr vielen Haushalten, unabhängig vom Alter der betreffenden Personen. Ältere Männer über 60 beteiligen sich ebenso mehr oder weniger intensiv an der Hausarbeit, wie junge.7 Diese Überschreitung von Genderkompetenzen wird jedoch zurückgenommen, wenn offiziell Gäste zu versorgen sind, beispielsweise wenn die Helfer zur Herstellung des Festschmucks ihre Mahlzeit bekommen, oder Tänzer_innen versorgt werden müssen, wie auch dann, wenn der Heilige bzw. die mit ihm assoziierten Prunkkerzen (ceras) ins Haus kommen, oder dieses wieder verlassen. Zu diesen Anlässen wird verstärkt auf die formelle Einhaltung von Regeln geachtet, d.h. die diputados kommen zwar in die Küche, um Kaffee oder Essen zu holen, nehmen sich aber nicht selbst tortillas oder Kaffee und waschen kein Geschirr. Selbst in größter Hektik und Eile wartet ein Mann, bis eine der Frauen Zeit hat, einige der fertigen, in einem Korb eingepackten tortillas herauszunehmen und auf ein Teller zu legen, um sie den hungrigen Gästen servieren zu können. Ebenso werden Verzögerungen in Kauf genom7

Z.B. der ca. 1940 geborene Ernesto (Tzm 20), oder der einige Jahre jüngere Pancho (Tzm 14), wie auch der 2013 achtzehnjährige Eusebio (Tzm 13). Männer erhitzen Kaffee und tortillas und kochen kleinere Gerichte für sich und die im Haushalt anwesenden Kinder, wenn keine der zuständigen Frauen verfügbar ist (siehe unten, Kapitel VI.1.2.1). Sie reinigen das von ihnen verwendete Geschirr, eher selten auch das anderer Personen. Praktisch in allen Haushalten ist es üblich, dass ledige Burschen und Männer, ab einem Alter von acht, neun Jahren, ebenso wie Mädchen und Frauen, ihre Wäsche selbst waschen. Soweit, dass auch die eigene Wäsche im Haushalt der mayordom@s gewaschen wird, geht die Integration der diputad@s allerdings nicht.

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men, wenn keine sauberen Tassen oder Teller verfügbar sind. Beispielweise kommt Carlos in die Küche und verlangt, „Sé café para Pacho“, und, „Sé comida…“.8 Während er an „normalen“ Tagen womöglich darauf hingewiesen würde, wo Kaffee oder Essen zu finden sei, ist es in diesem Kontext selbstverständlich, dass eine der anwesenden Frauen ihm das Benötigte bereitstellt (Feldnotizen 27.9.2013). Innerhalb der Gruppe der männlichen wie auch der weiblichen diputad@s scheint sich hingegen ein solch ausgeprägter Wechsel zwischen informellen und formellen Gelegenheiten nicht in einer verstärkten oder abgeschwächten Beachtung, beispielsweise von Alters- oder Verwandtschaftsdifferenzen,9 bemerkbar zu machen. In den Vorbereitungen für das Festessen tauschen die Frauen ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus. Neue Rezeptvarianten werden interessiert zur Kenntnis genommen, womöglich gleich aufgegriffen und umgesetzt. Es gibt eine Absprache darüber, wer wann den copal im Weihrauchgefäß am Altar erneuert, Blumen besorgt, in die Kirche zur Prozession geht, etc. Erscheint es manchmal so, dass die älteste (und erfahrenste) Frau das Geschehen dominiert, so orientieren sie und die anderen sich im nächsten Moment an den Vorschlägen der jüngsten diputada oder auch der jungen, unverheirateten, wenngleich volljährigen Tochter (Feldnotizen 27.9.2013, 28.9.2013). Die Hausfrau müsse zwar die Aktivitäten koordinieren, erzählt Mariana, es sei aber nicht von vorne herein festgelegt, wer was mache (Tz 7 17.9.2013). Ähnlich organisieren die Männer, trotz der Hauptverantwortung des Hausherrn, die von ihnen zu verrichtenden und zu koordinierenden Tätigkeiten im Gefolge von Besprechungen über die Vorgangsweise und nicht entsprechend einer festgelegten Hierarchie des Alters, der Verwandtschaft oder der Erfahrung, wenngleich in Zusammenhang mit der komplizierten Herstellung des Festschmucks, die damit verbundenen Kenntnisse eine wichtige Rolle spielen (Feldnotizen 27.9.2013, 28.9.2013). Die in der und um die Kirche, im Zuge des Festes für den Heiligen Michael und der anderen, zu diesem Zeitpunkt gefeierten Heiligen, stattfindenden offiziellen Ereignisse hingegen, erfordern eine striktere Zurschaustellung von Hierarchien (auch) innerhalb einer Geschlechtergruppe. Diese erfolgt in diesem Kontext jedoch nicht nach Erfahrung, Alter oder Geschlecht der diputad@s eines mayordom@-Paares bzw. seiner Angehörigen, sondern entsprechend der Hierarchie der Heiligen. Sie wirkt also nicht innerhalb des Haushaltsgefüges, sondern außerhalb desselben, zwischen den, für die Heiligen verantwortlichen, Haushalten und ihren Angehörigen. Beispielsweise beim Heraus- und Herunterholen der Heiligen aus ihren Glaskästen und von ihren Sockeln, zu Beginn der Festlichkeiten, ist als erste Statue, die des Heiligen Michaels an der Reihe, wobei hiermit vor allem die mayordomos und diputados des Heiligen Michaels, des Àngel Custodo und die Kirchendiener befasst sind. Die anderen Heiligen sind ebenfalls in der Verantwortung ihrer jeweiligen mayor-

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Sé bedeutet „eins“ bzw. „eine“ oder „einen“. Die Verwendung einer derartigen Mischung aus Nahuat und Spanisch ist typisch für die Region. Das Geflecht von compadrazgos in der Gemeinde und darüber hinausgehend ist aufgrund der Vielzahl von Gelegenheiten, die eine madrina oder einen padrino erfordern, so dicht, dass es kaum ein Ereignis gibt, an dem Personen beteiligt sind, die keine compadres_comadres – rituelle Verwandte – sind.

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dom@s10 und diputados. Die Frauen sind größtenteils für das im religiösen Kontext so wichtige Räuchern der Statuen mit copal zuständig. Bei den dazwischen, an verschiedenen Tagen stattfindenden Prozessionen kommen in umgekehrter Reihenfolge zuerst die weniger bedeutenden Heiligen, d.h. der Heilige Santiago, der Heilige Gabriel, der Heilige Raffael und der Heilige Franz, danach der Àngel Custodo, nach ihm der kleinere Heilige Michael, der während des restlichen Jahres in einem Häuschen hinter der Kirche untergebracht ist und schließlich, ganz zum Schluss, der große Heilige Michael, der sich ansonsten in der Kirche hinter dem Altar befindet. Die jeweiligen mayordom@s und ihre diputad@s, sowie Blumenträger_innen und Familienangehörigen sind in der Nähe der entsprechenden Heiligenstatuen zu finden. Ihre interne Anordnung folgt eher organisatorischen Notwendigkeiten, denn vorgegebenen Normen: wichtig ist, dass diputadas oder auch mayordomas bzw. eine weibliche Verwandte, die sie vertritt, unmittelbar neben den Statuen gehen, da sie die Räuchergefäße tragen. In ihrer Nähe sind notwendigerweise auch jene Personen zu finden, die Ersatzholzkohle und copal mit sich führen. (Feldnotizen 28.9.2007; 25.9.2013 et al.). Es kann durchaus vorkommen, dass der kleine Sohn eines der Männer, die die Statue tragen, um in der Nähe seines Vaters zu bleiben, direkt unter der Trage des Heiligen geht (Feldnotizen 1.10.2013). Gesamt gesehen lassen die, im Zuge größerer mayordomías erfolgenden, kurzfristigen Haushaltserweiterungen mit diputad@s eine Differenzierung der Verhaltensweisen, je nachdem, wie formell der Anlass ist, erkennen. Es gibt eine nach außen vorgestellte Hierarchie, die im Kontext offizieller Ereignisse zum Tragen kommt. Im Alltag hingegen wird auf informelle Statusdifferenzen und Verhaltensweisen zurückgegriffen, die sich in einigen Fällen von den formellen grundlegend unterscheiden. Diese Alltagsebene bietet Raum für Veränderungen, wenn etwa unterschiedliche Vorstellungen angemessenen Gender- oder Altersverhaltens der diputat@s und der Haushaltsmitglieder aufeinandertreffen und in Folge diskutiert und ausgehandelt werden. Ob und wie nachhaltig derlei Transformationen wirksam werden, hängt von einer Reihe von Faktoren ab und müsste jeweils im Einzelfall betrachtet werden. Die mayordomía als solches bietet dem Haushalt und seinen Mitgliedern, wie auch den diputad@s, die Möglichkeit, spirituelle Kompetenz zu erwerben bzw. auszuweiten, ein Faktum, das nicht mit der Ausweitung des Haushalts, als vielmehr der gesellschaftlich-religiösen Bedeutung des Ereignisses selbst in Verbindung steht. Wenn, wie beobachtet, die Tochter aufgrund von Krankheit der Mutter, viele der letzterer zugewiesenen Aufgaben nicht nur im Haus, sondern auch in der und um die Kirche übernimmt, so zeugt das einerseits von einer großen Vertrautheit zwischen den beiden, andererseits bietet es der Tochter eine Ausweitung ihrer diesbezüglichen personhood und damit Autorität im Haushalt. Die resultierende starke Position – wie sie sich im Verlauf mehrerer solcher Ereignisse ergibt – ist dauerhaft, also nicht, wie die bisher geschilderten Änderungen von innerhäuslichen Beziehungsmustern, vorübergehender Natur. Sie ergänzt die der Mutter, ersetzt sie nicht und stellt sie auch nicht in Frage, solange die Eltern die Leitung der Hausgemeinschaft innehaben (vgl. Feldnotizen 2003-2013). 10 2013 gibt es für den Heiligen Franz eine mayordoma, die daher auch, nachdem seine Statue von seinem Sockel heruntergeholt wurde, seine Reinigung übernimmt.

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Gehen wir in Folge auf weitere Gegebenheiten ein, die es einerseits Haushalten, andererseits einzelnen Mitgliedern derselben erlauben, soziale und rituelle Kompetenzen und somit einen erhöhten sozialen Status zu erwerben, was womöglich zu Umstrukturierungen oder Verschiebungen in der Haushaltshierarchie führen kann. Die in Folge analysierten Ereignisse – mayordomías und andere rituell-religiöse Anlässe, die die Verköstigung vieler Menschen bedeuten – zeichnen sich in besonderer Weise durch ihren weitestgehend formellen Charakter aus. Betrachten wir daher auch in diesem Kontext, inwieweit sozial vorgegebenen Differenzierungen des Geschlechts, des Alters, des Verwandtschaftsstatus, etc. hervorgehoben oder aber verschoben, variiert oder gar aufgelöst werden. VI.1.1.4 Die tageweise Erweiterung von Haushalten aufgrund von Festen und anderen sozialen Ereignissen Mayordomías, aber auch andere Feste und Ereignisse (z.B. anlässlich des Todes eines Haushaltsmitglieds), kennzeichnen sich u.a. dadurch, dass für die Dauer von einem oder mehreren Tagen, zusätzlich zu den diputad@s (im Falle der genannten größeren Feierlichkeiten), eine Vielzahl von Leuten – Verwandte, Nachbar_inne_n, aber auch nicht verwandte und weniger bis gar nicht bekannte Personen – ins Haus kommen, um zu arbeiten, zu tanzen, zu beten und/oder zu essen und zu trinken (vgl. Kapitel IV.3). In diesem Sinne stellen sie, wenngleich geplant und, abgesehen von den großen mayordomías, vergleichsweise häufig vorkommend, Ausnahmesituationen mit besonderen Herausforderungen dar, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten der Etablierung und Festigung sozialer Bindungen. Haushaltsinterne Hierarchien und Differenzierungen werden kurzfristig nur soweit berührt, als gesellschaftliche Vorgaben eine Hervorhebung von Geschlechter- oder anderen spezifischen Rollen verlangen (vgl. auch Abschnitt IV.1.1.3). Gehen wir daher auf jene Zusammenhänge ein, in denen formalisierte Verhaltensweisen bedeutsam und wo bzw. wann sie gelockert werden. Im Falle kleinerer Anlässe wird spätestens in der Früh des Festtages mit den unmittelbaren Vorbereitungen begonnen, bei größeren Feierlichkeiten, wie ausgeführt, bereits einige Tage früher. (Trut-)Hühner werden geschlachtet, gerupft, gewaschen, zerkleinert und schließlich gekocht, ebenso wie Reis gewaschen und gekocht wird. Mole-Pasta, bestehend aus gerösteten und anschließend fein gemahlenen Chili anchos, anderen Gewürzen und Wasser, die womöglich noch von einem vorangegangenen Ereignis vorhanden ist, wird mit Suppe und pürierten Tomaten vermischt und zu einer dicken Sauce eingekocht. Mais muss (bereits am Vortag) abgerebelt, nixtamal und daraus tortillas müssen hergestellt werden. Vor allem (verwandte, aber auch nicht verwandte) Nachbar_inne_n arbeiten hier zusammen. Nach und nach kommen weitere Verwandte, Bekannte, Nachbar_inne_n vorbei, wobei sich vor allem die Frauen an den Küchenarbeiten, die Männer gegebenenfalls an anderen Tätigkeiten, wie dem Aufstellen und Wegräumen der Bänke, oder dem Servieren von Speis und Trank, beteiligen (vgl. auch Kapitel IV.4.3.1).11 11 Die, im Vergleich zu den Frauen, relative Untätigkeit von Männern unmittelbar während eines Festes, wird von Männern wie Frauen festgestellt, wie allgemein die Auffassung besteht, dass Männer zwar physisch schwerere Arbeiten verrichten, diese aber nur sporadisch durchführen (müssen). Frauen hingegen sind durchgehend gefordert (vgl. u.a. Tzm 10 6.10.

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Ältere und jüngere, erfahrenere und weniger erfahrene, verheiratete und unverheiratete Frauen, comadres und Nicht-comadres arbeiten zusammen. Auffallend ist, dass auch in diesem größeren Kontext – zeitweise sind womöglich über 50 Frauen in der Küche tätig –, die zwischen den Frauen bestehenden Strukturen und Verhaltensweisen einen stark informellen Charakter aufweisen. Die, angesichts dessen, dass die Beteiligten in dieser spezifischen Konstellation, die noch dazu ständig wechselt, noch nie zusammengearbeitet haben, überraschend gut funktionierende Kooperation, dominiert offenbar über einer zur Schaustellung von Hierarchie. Unabhängig vom Beruf, vom sozialen Status in der Gemeinde, vom Alter, etc. leisten alle ihren Beitrag. Indigene Lehrerinnen finden sich neben vendedoras, Mitarbeiterinnen bei Tosepan neben campesinas. Die Heiratscomadre hilft ebenso bei der Herstellung von tortillas und anderen Küchentätigkeiten, wie die Tochter, die Nachbarin, die Mutter und die Schwägerin (Feldnotizen 13.10.2013, 29.9.2013, et al.). Die Frauen wissen, dass von ihnen erwartet wird, dass sie mitarbeiten – oft werden Gespräche seitens einer der Beteiligten mit dem Hinweis unterbrochen, dass sie nun wieder in der Küche helfen müsse (Feldnotizen 29.9.2013). Einmal werde ich gebeten auf das kleine Enkelkind einer der Besucherinnen zu achten, damit diese sich ihrer Verpflichtung gegenüber der Gastgeberin widmen kann (ibid.). Die Frauen wissen gleichzeitig auch, dass sie das Recht haben auszurasten und zu essen, sie nicht übermäßig zur Arbeit gedrängt werden dürfen, auch nicht von der ihnen an Status überlegenen Hausfrau und mayordoma: „Gloria hilft abwaschen. Später sitzt sie beim Feuer und isst, als die Hausfrau kommt und meint, die tortillas müssten gewärmt werden. Gloria isst unbeirrt weiter, reagiert nicht. Eine alte Frau hingegen, die ebenfalls am Feuer sitzt, aber bereits fertig gegessen hat, kümmert sich darum. Erst als Gloria fertig gegessen hat, beteiligt sie sich wieder an den notwendigen Arbeiten.“ (Feldnotizen 3.2.2005)

Es ist nicht Gloria, die dem Ruf der Hausfrau nach Erhitzung der tortillas Folge leistet, sondern eine ältere und somit ihr im Grunde an personhood überlegene Frau. Erst nach Beendigung ihrer Mahlzeit, widmet sie sich erneut den erforderlichen Aktivitäten. Ausgenommen von der verpflichtenden Erwartung in der Küche zu helfen, sind, neben den nicht formell eingeladenen Personen (z.B. Müttern, die ihre tanzenden Kinder begleiten oder vorbeikommende Touristinnen), nur sehr alte oder kranke Frauen (Feldnotizen 30.9.2013), ebenso wie jene, die ganz offensichtlich einer anderen Klasse angehören und aus einem anderen Umfeld stammen, wie beispielsweise die in Kapitel V.4.1.4.2 vorgestellte comadre aus Puebla Stadt (Feldnotizen 13.10. 2013). In der Küche, als dem zentralen, aber „inneren Raum“ des Hauses, halten sich nicht nur Frauen auf, auch der eine oder andere Mann nimmt seine Mahlzeit dort zu sich oder hilft mit, einen Topf vom Feuer zu heben, o. ä. (vgl. u.a. Feldnotizen 3.2. 2005). Genderdifferenzen und das Wissen um potentielle Genderhierarchien werden 2013). Während der Feste täten die Männer des Hauses nichts anderes, als die Gäste zu begrüßen, stellt Marcella leicht genervt fest, während die Frauen ununterbrochen arbeiteten (Tz 7 1.10.2013).

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angesichts des formalen Anlasses eingehalten, gleichzeitig gezielt angesprochen und spielerisch hinterfragt, wie folgende Episode zum Ausdruck bringt: „Irgendwann während des Tages meinte [der Hausherr] Florentino spaßhalber, er wolle sein Essen – wenn er klopfe müsse es da sein. Die Frauen lachen, eine meint, er könne schon klopfen… Als Florentino isst und schließlich keine tortilla mehr hat, fragt er alle Frauen der Reihe nach, ihm welche zu geben – erst beim dritten Versuch ist er erfolgreich. Die Frauen, die nicht im Haus leben, sondern zu Besuch sind, sind im Unterschied zum Hausherrn, nicht darauf angewiesen, dass jemand sie bedient; sie nehmen sich ihre tortillas selbst.“ (Feldnotizen 3.2.2005)

Während, wie bereits oben, in Kapitel VI.1.1.3 ausgeführt, im Alltag, Männer durchaus keine Probleme haben sich ihr Essen, ihre tortillas selbst zu nehmen, ist das bei Festen nicht einmal Hausbewohnern möglich, den Haushaltsvorstand wie auch alte Männer mit ausgeprägter personhood inkludierend. Damit sind sie, wie im Zitat festgehalten, selbst den, nur für kurze Zeit ins Haus gekommenen, Besucherinnen gegenüber benachteiligt. Geschlechtszugehörigkeit dominiert in diesem Kontext gegenüber dem im Alltag gelebten Status der Zugehörigkeit zum Haushalt. Im „äußeren“ Hauptraum des Hauses hingegen, als einem, wenn auch begrenzt, öffentlich zugänglichen Bereich, werden Gender-Normen nicht in der oben beschriebenen scherzhaften Weise thematisiert und, trotz des formalen Rahmens, nur bedingt eingehalten. Während im Alltag tendenziell Männer vor Frauen, Gäste vor Hausbewohner_inne_n, jedoch Kinder vor anderen Erwachsenen ihre Mahlzeit serviert bekommen und häufig alle zusammen an einem Tisch essen, sind es bei Festen oft, wenn auch nicht immer die Frauen (zusammen mit den kleineren Kindern) und Mädchen, die zuerst zu Tisch gebeten und verköstigt werden, erst nach ihnen die Männer und Buben (z.B. Feldnotizen 2.2.2005; 4.10.2013). Immer wieder kommt es allerdings auch vor, dass an den Tischen Frauen und Männer gemischt zu finden sind, das Essen einfach auf den Tisch gestellt und von den dort Sitzenden ohne vorgegebene geschlechtliche oder sonstige Ordnung weitergegeben wird. Dabei sind die Anlässe äußerst unterschiedlich; die letztgenannte geschlechtliche Uneindeutigkeit der Essgruppen findet sich bei Geburtstagsfesten (Feldnotizen 15.12.2003; 21.8.2004) und bei Gastmählern, die im Anschluss an die Firmung abgehalten werden (Feldnotizen 13.10.2013), ebenso wie solchen anlässlich kleinerer oder größerer mayordomías (Feldnotizen 4.2.2006; 29.9.2013), oder auch im Anschluss an die Gebete, die für eine_n Verstorbene_n gesprochen werden (Feldnotizen 2.10.2013, 14.10.2013). Während des Tanzes, der im Falle von kleineren mayordomías ebenso wie bei Hochzeiten, Tauf-, Geburtstags-, Erstkommunions- und Firmfeiern nach der Mahlzeit stattfindet, gibt es in ähnlicher Weise auf der einen Seite eine geschlechtliche Differenzierung, mit mehr oder weniger erkennbaren Frauen- und Männerbereichen; und auch diese werden auf der anderen Seite, immer wieder durchbrochen, wobei in diesem Zusammenhang offenbar auch das Alter und die Generationenzugehörigkeit der Beteiligten eine Rolle spielt: „Im Haus wird getanzt, wobei die Männer vor dem Haus schon recht betrunken wirken. […] Wie draußen, sitzen auch an der inneren Hauswand die Männer der Reihe nach aufgereiht – eine Linie weißer Hüte vor dem wogenden Meer der Tanzenden.

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[…] Fernando […] ist […] auf der Seite des Hauses, wo sich die Frauen befinden. Er hat einen Sitzplatz für mich. Im Fraueneck wird mir allerdings die Sicht auf die Tanzenden etwas versperrt. Dafür hab ich nun die Jugendlichen besser im Blick, die sich in der Mitte des Raumes tummeln. Zunächst sitzt eine Reihe Mädchen auf einer Bank. Darunter eines, das Hosen und ein auf ‚Piratenart‘ gebundenes Kopftuch trägt. Mehrere Burschen kommen, bleiben vor der Bank stehen, werfen sich Bemerkungen zu, lachen (tun cool), rauchen, einer von ihnen bringt eines der Mädchen dazu aufzustehen, ein anderer setzt sich nun zwischen die Mädchen. Ein Weilchen später sitzen Mädchen und Burschen durcheinander auf der Bank. Das Mädchen mit dem Piratenkopftuch liegt fast quer über zwei Burschen, einer hat den Arm um es gelegt. Als die anderen Mädchen im Verlauf des Abends tanzen, bleibt es bei den Burschen sitzen, nun schon etwas gedämpfter, nicht mehr ganz so aufgedreht.“ (Feldnotizen 13.2.2005)

Frauen- und Männerbereich vermischen sich, wo zunächst die Frauen sitzen, finden sich später die Männer. Darüber hinaus vermengen sich „traditionellere“, stärker mit Indigenität assoziierte und formalisiertere Verhaltensweisen – im hier zitierten Beispiel der Art des Tanzes – mit solchen, die auch im mestizischen Sektor Mexikos zu finden sind, in Tzinacapan und Umgebung mehr den Jugendlichen bzw. nahen Verwandten vorbehalten, wie das zwanglose Schäkern und Gerangel unter den jungen Leuten. Geht der Anspruch vorgegebenen Richtlinien und Formalitäten gerecht zu werden, bei den Älteren und Verheirateten so weit, dass die Männer, selbst während des Tanzes, die Hüte aufbehalten, so entsprechen die Jugendlichen, weder in Kleidung, noch Verhalten, derartigen Vorgaben. Burschen und Mädchen tragen Jeans und T-Shirts, erstere, haben Kappen oder gar keine Kopfbedeckung auf. Sie necken sich und rangeln miteinander, wie das sonst nur innerhalb des Haushalts, der Familie üblich ist.12 Besonders zur Schau gestellt und wichtig genommen werden soziale Vorgaben des Geschlechts, verknüpft mit der (rituellen) verwandtschaftlichen Position jedoch dann, wenn beispielsweise anlässlich einer Taufe oder bei den Feierlichkeiten des Niño Dios die compadres mit dem Taufkind bzw. dem Niño Dios zum Wohnhaus des Kindes kommen. Die compadres mit dem Kind werden vom Hausherrn, von der Hausfrau, den näheren Verwandten und schließlich von allen anderen Leuten, die sich im Haus befinden – zuerst den Frauen, dann den Männern, mit copal und Kreuzzeichen empfangen. Erst danach dürfen sie und ihre Begleiter_innen das Haus betreten (Feldnotizen 13.12.2003; 3.2.2005; 15.9.2007). Auch bei den mayordomías für den Heiligen Michael wie auch für den Àngel Custodo, erfolgt die Begrüßung des Heiligen und der ceras, wenn diese von ihren madrinas ins Haus gebracht werden, auf eine formalisierte Art und Weise: „Als die Prozession kommt, hören alle [vor dem und im Haus stattfindenden] Tänze auf. Das kleine Heiligenbild wird von seinen Trägern und madrinas ins Haus gebracht, diese müssen aber zunächst an der Schwelle warten. Der Hausherr, die Hausfrau räuchern zur Begrüßung, dann alle Frauen, die im Haus gearbeitet haben. In einer langen Reihe warten sie, bis sie dran 12 Wobei ob ihres Verhaltens zu vermuten ist, dass es sich um miteinander verwandte und daher einander von klein auf vertraute Jugendliche handelt. Das Überraschende ist also weniger das Verhalten als solches, als vielmehr der (halb-)öffentliche Rahmen, in dem dieses stattfindet.

300 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN sind. Danach sind die Männer an der Reihe. Nachdem der Heilige am Altar ist, die Prunkkerzen [aufgestellt sind] […], kommen auch die Gäste herein, die die Prozession begleitet haben.“ (Feldnotizen 30.9.2013; vgl. auch Feldnotizen 29.9.2007)

Im Falle von Taufen, besonderen Geburtstagsfesten und Hochzeiten spielen die Taufund Heiratsmadrinas und -padrinos noch weitere fix vorgegebene Rollen: „Erst isst der padrino, die madrina sitzt mit den anderen Wartenden an der Wand. Dann, mit der zweiten Partie, isst die madrina. Sie sind es, die jeweils mit einem ‚tasojkamatik‘ [„danke“], die Tafel aufheben. Allerdings gibt es noch eine dritte Essrunde, die ohne diese Formalität auskommt. Der padrino sitzt beim Essen am Kopfende, die madrina an der Längsseite zur Türe hin.“ (Feldnotizen 15.9.2007)

Der padrino und die madrina sind es auch, die den Tanz einleiten: „Den ersten Tanz beginnt der padrino mit der Kindesmutter. Dabei wenden sich alle, bevor sie zu tanzen beginnen, zum Altar, wo der copal qualmt, bekreuzigen sich mit dem obligaten Kuss auf die Hand. Ein Mann schlenkert das copal-Gefäß, um den zum Erliegen gekommenen Rauch neu anzufachen. Die padrinos fordern schließlich die Leute zum Tanzen auf. Sie stellen die Paare zusammen.“ (Feldnotizen 15.9.2007; vgl. auch Feldnotizen 2.2.2005; 18.9.2007)

Ähnlich stark formalisiert ist die Rolle der madrinas und padrinos und anderer Personen bei weniger vergnüglichen Anlässen, nämlich jenen des rosario, des Betens des Rosenkranzes, der bzw. das nach dem Tod eines Menschen im ersten Jahr monatlich, danach sieben Jahre lang, jeweils am Todestag, stattfindet (Tz 7 3.10.2013). Von ihrem Haus, zu dem der_des Verstorbenen, wird von der madrina und dem padrino, ein Kreuz, geschmückt mit weißen Schärpen, sowie weißer Blumenschmuck getragen. Der Toten nahestehende bzw. von den p/m/adrin@s geladene Personen folgen in einer Prozession. Ein_e Vorbeter_in spricht in singendem Ton die Gebete. Die Prozessionsteilnehmer_innen, die brennende Kerzen tragen, fallen von Zeit zu Zeit in den Singsang mit ein. Die Prozedur beim Eintritt ins Haus folgt der bereits oben, für andere, erfreulichere Kontexte beschriebenen. Zuerst sind die madrina und der padrino an der Reihe, danach die Frauen und schließlich, sofern noch Platz im Haus ist, die Männer. Beim nachfolgenden Essen wird diese Reihenfolge, wie bereits in anderen Zusammenhängen beobachtet (siehe oben), meist, aber nicht immer eingehalten (Feldnotizen 2.10.2013, 14.10.2013): „Ich sitze zusammen mit Gerardo und Clemencia an einem Tisch. Ein Mann mit Brille sitzt mit seiner Frau bei uns, ebenso wie zwei weitere Männer, von denen einer von der Tochter der Verstorbenen mit ‚tío‘ angesprochen wird. Juan setzt sich zu den beiden Männern. Später fordert er eine Frau, die noch keinen Platz hat, auf, sich neben mich zu setzen.“ (Feldnotizen 14.10.2013)

Selbst bei tragischen Anlässen, wie es die Totenfeste bzw. rosarios sind, werden also einerseits Hierarchien und Differenzen ernst genommen, andererseits, vor allem was die Genderkomponente anbelangt, nur bedingt eingehalten.

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In spezifischen Kontexten ruft jedoch die Infragestellung der Aufgaben und Vorrechte von madrinas und padrinos Unmut und Kopfschütteln hervor. Deutlich wird das abseits der oben genannten Situationen, als anlässlich der Firmung ihres Neffen und Patenkindes Ernesto, Mariana und Mauricio ihre erwachsene, aber unverheiratete Tochter beauftragen, eine Torte zu besorgen. Der Tradition entsprechend, wird die Torte dem Firmling feierlich an der Türschwelle überreicht. Als es jedoch später darum geht, die Torte anzuschneiden, wird nicht, wie es sich gehört, die Tortenmadrina gerufen, diese Aufgabe zu übernehmen. Vielmehr erfolgen Zer- und Verteilung durch andere, nicht dafür zuständige Gäste. Tage später noch wird in Familie und Nachbarschaft über das ungebührliche Verhalten dieser Menschen debattiert (Feldnotizen 13.10.2013ff.): „Vor allem die Torte wird immer wieder erwähnt, die von einer der Frauen (der jungen mit den roten Schuhen) verteilt worden war. Mariana fragt mich, ob das die Torte von ihrer Tochter war, die Torte, die die Tochter gebracht hat. Ihre Schwägerin fragt, ob nicht Marianas Enkelin die Torte verteilt hat, was diese verneint.“ (Feldnotizen 13.10. 2013)

Während also Gendernormen in vielen Zusammenhängen einerseits spaßhalber hinterfragt, andererseits im geeigneten Kontext ohne Konsequenzen durchbrochen und in Frage gestellt werden, ist das bei Vorgaben, die rituellen Verwandten betreffend, nicht oder zumindest in geringerem Maße der Fall. Nur m/p/adrin@s selbst können eine Vertretung (im genannten Beispiel die Tochter oder die Enkelin) beauftragen, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Wichtig dabei ist auch, dass es sich um eine Person des gleichen Geschlechts wie die_der m/p/adrin@ handelt, da gerade bezogen auf die Aufgaben der rituellen Verwandtschaft starkes Augenmerk auf die Einhaltung geschlechtlicher Vorgaben gelegt wird. Undenkbar wäre beispielsweise ein Tanz der madrina mit der Kindesmutter, des padrino mit dem Kindesvater im Rahmen einer Taufe oder eines Geburtstagsfests o.ä. Zusammengefasst zeigt sich, dass im Zuge von Festen die Arbeits- wie auch die Konsumgemeinschaft des Haushalts erweitert und im Gefolge dieser Erweiterung kontextuell unterschiedlich mit gesellschaftlich relevanten Ungleichheiten umgegangen wird. Wie schon in Bezug auf die (vorübergehende) Ausweitung der Hausgemeinschaft auf die diputad@s festgehalten, erfolgt die Kooperation der Frauen in der Küche in einer sehr entspannten Atmosphäre, in der Hierarchien und Statusdifferenzen hintangestellt sind. Strikt eingehalten hingegen werden bei offiziellen Gelegenheiten Gendernormen, die im Alltag weniger bis gar keine Rolle spielen, die es Männern verbieten, sich in der Küche selbst zu bedienen oder gar als weiblich konnotierte Tätigkeiten zu verrichten. Abseits der Küche sind die Verhaltensvorgaben des Geschlechts und der (rituellen) Verwandtschaft formalisierter, die des Geschlechts werden jedoch, außer im Falle von m/p/adrin@s, weit weniger streng umgesetzt. Bezogen auf Geschlecht, abseits der Normen, die rituelle Verwandtschaft betreffend, scheinen sich in diesem offiziellen Kontext, verstärkt informelle, alltägliche Verhaltensweisen durchzusetzen, womöglich durch die feministischen Aktivitäten der letzten Jahrzehnte begünstigt. Nicht die geänderten Relationen im Haushalt aufgrund der besonderen Situation der Feste wirken folglich auf die Alltagsbeziehungen im Haushalt, sondern, eventuell durch Maseualsiuamej und andere Organisationen und Grup-

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pierungen „salonfähig“ gemacht,13 spiegelt sich der informelle, lockere Umgang des täglichen Lebens, mit Ausnahme der compadrazgo, im religiös-rituellen Kontext. Die Durchführung der Rituale und mit diesen einhergehenden Feste, stärkt nicht nur, wie in der Literatur nahegelegt (vgl. u.a. Matthews 1985), die personhood des Haushaltsvorstandsehepaares oder des männlichen Haushaltsvorstands (zu dieser Sicht vgl. u.a. Carrasco 1961), sondern aller seiner erwachsenen Mitglieder und somit des gesamten Haushalts (vgl. dazu auch Arizpe 1973: 127, 205). Dies erfolgt neben der religiös-rituellen Komponente darüber, dass im Zuge der intensiven Zusammenarbeit und der gemeinsam durchgeführten und erlebten Rituale mit Verwandten, Nachbar_inne_n, etc., die Beziehungsnetzwerke wesentlich ausgeweitet und intensiviert werden. Letzteres kommt auch jenen Haushaltsmitgliedern zugute, die sich im Gefolge familiärer Auseinandersetzungen oder aus anderen Gründen, von der Hausgruppe lösen und ihren eigenen Haushalt gründen. Auch sie können auf Beziehungsgeflechten aufbauen, die lange zuvor, im Zusammenhang mit festlichen Ereignissen im Herkunftshaushalt geknüpft wurden. VI.1.1.5 Die tageweise Erweiterung von Haushalten durch die vorübergehende Aufnahme von Verwandten Keine Ausweitung, wohl aber eine Intensivierung von bestehenden Netzwerken, stellen Haushaltserweiterungen aufgrund der vorübergehenden Aufnahme von meist jungen Verwandten dar. Vor allem Kinder und Jugendliche, die von abgelegenen ranchos kommen und beispielsweise in Tzinacapan oder Cuetzalan die Schule besuchen, aber auch im Falle, dass es nach einem familiären oder anderen Ereignis zu spät wird, um vor Anbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen, verbringen oft die eine oder andere Nacht, oder auch mehrere Tage hintereinander, bei Angehörigen in San Miguel. Anders als bezogen auf die zuvor ausgeführten Haushaltserweiterungen, zu denen es einerseits Informationen aus der Literatur wie auch aus den Interviews gibt und darüber hinaus – im Falle der mayordomías und Feste – solche, aus sehr unterschiedlichen Haushalten, kann hier nur auf Informationen und Beobachtungen aus dem Umfeld zweier eng verwandter Familien zurückgegriffen werden. Es ist daher unklar, inwiefern sich ähnliche Mechanismen und Verhaltensweisen auch in anderen Häusern finden, oder ob es sich um eine Ausnahme und Besonderheit handelt, wenn solche Verwandte, vor allem wenn sie öfter im Haus nächtigen, als partiell an- und abwesende Mitglieder des Haushalts gelten bzw. wie solche behandelt werden. Diese Zugehörigkeit zum Haushalt äußert sich in einer Selbstverständlichkeit des Verhaltens und des Umgangs, wie sie anderen Verwandten derselben Familie gegenüber, die nicht im Haus wohnen, nicht vorhanden ist. Kommen die Eltern oder auch Geschwister des zeitweise im Haus lebenden Jugendlichen auf Besuch, so bewegen selbst sie sich – trotzdem sie womöglich ebenfalls nahe Verwandte, der den Haushalt konstituierenden Personen sind – nicht mit derselben Vertrautheit und Selbstver13 Manzanares (1999: 114) zufolge wird ein Mann, der „weibliche“ Tätigkeiten, wie das Erhitzen von tortillas oder Geschirrwaschen, durchführt, schief angesehen. Selbst im Falle von Krankheit oder Abwesenheit der Frau bleibe die Herstellung der Mahlzeiten in Händen weiblicher Verwandter oder Freundinnen. Zu meinen diesbezüglich anderen Erfahrungen mit letzterem, siehe Kapitel VI.1.2 und VI.4.

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ständlichkeit in Küche und Hauptraum. Und auch die Hausleute verhalten sich ihnen gegenüber stärker nach formalisierten Vorgaben, als sie das gegenüber der_dem Jugendlichen tun. Die Besucher_innen nehmen nicht selbst Kaffee oder Essen, es wird ihnen serviert – je nach verwandtschaftlicher Nähe und Anlass des Besuchs in der Küche oder im Hauptraum. Der_das zeitweise im Haus lebende Bursche_Mädchen hingegen ist angehalten, sich selbst zu bedienen. Er_sie ist für das Aufstellen seines_ihres Schlafplatzes zuständig. Von ihm_ihr wird erwartet, sich an kleineren Haushaltstätigkeiten wie dem Abrubbeln von Mais zu beteiligen (Feldnotizen 20042013 lfd.). Darüber hinaus sind die Beziehungen von sporadisch im Haus lebenden jungen Leuten zu ihren Cousins und Cousinen, analog denen zwischen Geschwistern, besonders eng und vielfach durch neckende Zärtlichkeit gekennzeichnet (z.B. Feldnotizen 23.7.2004, et al.). Ein Mädchen schildert, dass sie ihrem Vetter all ihre Probleme anvertrauen kann und dieser sie zum Tanz mitnehme, wenn ihre Brüder nicht dazu bereit sind (Feldnotizen 6.2.2006). Hingegen ist die Beziehung zum Bruder besagten Vetters, der nur sporadisch auf Besuch kommt und dabei wie ein Gast behandelt wird, um einiges distanzierter (Feldnotizen lfd.). Trotz der, verglichen mit den oben genannten Anlässen, weit nachhaltigeren Haushaltserweiterung, lassen sich keine grundlegenden Änderungen der internen Autoritäts- und Machtstrukturen feststellen. Zeitweise verändern sich möglicherweise etwaige Allianzen im Zuge von kurzfristigen Animositäten unter den jungen Leuten des Hauses, etwa wer sich wann welche CD anhören darf, wie weit die Verschwiegenheit im Falle kleinerer Vergehen oder Heimlichkeiten einer_eines der Jugendlichen gegenüber den Erwachsenen geht, etc. Diese wirken sich jedoch, soweit erkennbar, nicht auf das Gesamtgefüge aus. VI.1.1.6 Die mehrtägige und längere Anwesenheit von Besucher_inne_n aus Mexiko Stadt, Puebla Stadt, den USA, Europa Wie aber ist das in Hinblick auf andere partielle Haushaltserweiterungen, abseits von Arbeit oder rituellen Anlässen, durch verwandte und nicht verwandte Personen, die mehrere Tage, Wochen, oder gar Monate andauern können? Inwiefern lassen sich hier Adaptierungen, Transformationen oder Re-Etablierungen erkennen? Die in dieser Kategorie zusammengefassten Personengruppen inkludieren erwachsene Kinder und ihre Freund_inn_e_n, die aufgrund von Universitätsbesuch oder Militärpflicht, aber auch von Migration für einen längeren Zeitraum nicht (mehr) zu Hause, sondern in Puebla, Tlaxcala oder Mexiko Stadt leben und in den Ferien, im Urlaub oder im Zuge besonderer Ereignisse für einige Tage nach Hause zurückkehren. Ihr gehören weiters jene Menschen an, die zu Studienzwecken nach Tzinacapan kommen und von einer der vielen gastfreundlichen Familien für die Dauer ihres Aufenthalts aufgenommen werden. In der Stadt lebende erwachsene Kinder und ihre Freund_inn_e_n, die vorübergehend auf Besuch kommen Eine dauerhafte Migration ist zwar, wie im Einstieg zu Kapitel IV.2 bereits angemerkt, kein sehr ausgeprägtes Phänomen, wohl aber gibt es in einigen Haushalten eine oder mehrere Personen, die sich vorübergehend in einer der größeren Städte

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Mexikos oder andernorts aufhalten, sei es, um zu studieren, sei es, um der ein- bis mehrjährigen Verpflichtung zum Militärdienst14 nachzukommen, sei es um Geld zu verdienen.15 Soweit es die zeitlichen und ökonomischen Ressourcen zulassen, kommen diese jungen Leute für ein Wochenende oder länger, mehr oder weniger häufig, ins Haus ihrer Eltern zurück. Manche von ihnen bringen einen Freund_eine Freundin – bei dem_der es sich womöglich um den_die zukünftige_n Gatten_Gattin handelt – mit (z.B. Tzm 9 2005).16 Die Aufregung der Mutter, ja der gesamten Familie, ist in der Regel groß, wenn sich, beispielsweise der Sohn Ernesto, nach längerer Zeit der Abwesenheit ankündigt. Sein, in der Zwischenzeit weggeräumtes, Bett wird aufgestellt, Geschäftsreisen werden verschoben, die Hausfrau kocht mole für ihn (vgl. z.B. Feldnotizen 4.2.2005 et al.). Nach der Ankunft drängen sich die Geschwister und im Haus wohnenden Neffen und Nichten um ihn. Teilweise genießt er Privilegien – indem er als erster zu essen erhält, zumindest die ersten ein bis zwei Tage, in der Früh ungestört und lange schlafen kann, seine Mutter ihm die Wäsche wäscht, u.ä. –, teilweise aber nimmt er, wie alle anderen, am Gemeinschaftsleben und damit auch an der Arbeit des Haushalts teil: er sieht mit den Geschwistern und deren Kindern fern, albert mit ihnen herum und wird von den Eltern dazu herangezogen, die Schweine zu füttern, artesanía herzustellen oder Mais abzurubbeln (Feldnotizen 9.-13.2.2005, 16.-21.2.2005). Kommt Ernestos Freundin Francisca mit, ist die Aufregung ähnlich groß, die gezeigte Vertrautheit und Selbstverständlichkeit des innerfamiliären Umgangs jedoch gedämpfter. Francisca hat, trotzdem sie nicht das erste Mal auf Besuch ist, einen privilegierten Gaststatus. Dennoch wird ihr, als potentieller Schwiegertochter, automatisch ein Platz im Bett des Sohnes zugewiesen. 17 Der Hausherr genießt es, sich mit ihr 14 Ein freiwilliger Dienst für drei Jahre, oft Grundlage für eine spätere Laufbahn als Berufssoldat, ist laut Aussagen betroffener Mütter (Tz 81 13.2.2005; Tz 7 24.2.2005; Tz 6 8.8. 2009; u.a.), ebenfalls möglich. Darüber hinaus können auf freiwilliger Basis auch Frauen dem Militär beitreten (URL 45). Letzteres spielt jedoch in Cuetzalan kaum eine Rolle. 15 Aufgrund der Notwendigkeit für den Sohn von Marcela und Eusebio, sich sein Studium selbst zu verdienen, dauert dieses wie auch der damit verbundene Stadtaufenthalt, entsprechend länger. Daher ist seine partielle An- und Abwesenheit weit länger als üblich (siehe Hh 13). 16 Auch die folgenden Ausführungen zum Besuch des Sohnes und seiner künftigen Frau beziehen sich, ähnlich wie jene in Kapitel VI.1.1.5, auf einen spezifischen Haushalt und können daher nur bedingt verallgemeinert werden. 17 Bei meinem ersten Aufenthalt erhalten meine Tochter und ich zunächst ein gemeinsames Bett, als erstere sich darüber beschwert, dass ich zu viel Platz brauche, bekommen wir jeweils ein eigenes (Feldnotizen 13.7.2004). Die Folgeaufenthalte habe ich immer alleine eine Schlafstatt, einmal, in einer Ausnahmesituation, teile ich diese mit der Tochter des Hauses (Feldnotizen 8.-9.2.2006). Als, bei meinem Aufenthalt 2013, ein nicht verwandter junger Mann im Haus übernachtet, wird er im Bett des etwa gleichaltrigen Sohnes, mit diesem gemeinsam untergebracht (Feldnotizen 23.9.2013). Als, während desselben Aufenthalts, jedoch eine junge Frau, die mit dem noch nicht ganz achtzehnjährigen Sohn gekommen ist, die Nacht im Haus verbringt, wird ihr zwar das Bett dieses Sohnes zum Schlafen zugewiesen, der junge Mann selbst jedoch, wird in die Schlafstatt seines Bruders „verbannt“ (Feldnotizen 9.10.2013).

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zu unterhalten, wie er das ansonsten vor allem mit Besucher_inne_n, zeitweise auch mit seiner akademisch gebildeten Tochter, nicht aber mit seiner Schwiegertochter tut. Die Hausfrau behandelt sie in der ihr eigenen freundlich-höflichen Art. Schwester und Bruder beziehen sie einerseits in ihre Gespräche und Scherze mit dem Bruder mit ein, schließen sie andererseits – indem sie Nahuat sprechen –, stellenweise, auch aus (Feldnotizen 4.2.-9.2.2005). Die im Haus lebende Schwiegertochter ist ihr gegenüber freundlich reserviert. Sie wundert sich, was ihre Schwiegereltern wohl von dem Mädchen halten, das „nichts könne“ (sprich keine tortillas machen) und „nichts esse“ (d.h. den Konsum von tortillas verweigert) (Feldnotizen 8.2.2005). Die junge Frau selbst ist ihren potentiellen Schwiegereltern gegenüber ängstlich und respektvoll, traut sich zunächst kaum, sich in der Küche zu den anderen zu setzen. Ihren potentiellen Schwägern und Schwägerinnen gegenüber hingegen ist sie gelöster, äußert laut ihren Unmut, wenn sie nichts versteht, da diese Nahuat sprechen (Feldnotizen 4.2.-9.2.2005), hat keine Hemmungen ihren Freund und seine Schwester des Morgens lautstark aufzuwecken: „In der Früh […] versucht die junge Frau [ihren Freund] Ernesto und [seine Schwester] Margara aus dem Bett zu ‚hetzen‘. Sie sollten laufen gehen: Ernesto hätte vor der Anreise gemeint, sie würden hier jeden Morgen laufen, [erklärt sie mir]. Aber Ernesto will nicht aufstehen. Sie zieht ihm die Decke weg, er jammert es sei kalt. Sie schreit, ‚Steh auf, steh auf!‘. Dazwischen versucht sie Margara zum Aufstehen zu bewegen, die zwar ‚ja‘ sagt, sich aber nicht rührt.“ (Feldnotizen 5.2.2005)

In dieser frühen Phase der Beziehung bemüht sich Francisca also, eine zumindest oberflächlich freundschaftliche Bindung zu den Geschwistern ihres Freundes aufzubauen, den Schwiegereltern gegenüber hingegen bleibt sie zurückhaltend und reserviert. Letztere sind ihr gegenüber aufgeschlossen und freundlich und das, obwohl abzusehen ist, dass der Sohn, im Falle einer Ehe mit dem Mädchen, nicht mehr nach San Miguel zurückkehren wird. Francisca, die aus Mexiko Stadt stammt und dort Englisch studiert, gefalle es hier nicht, es sei ihr zu kalt und es gäbe ihrer Ansicht nach zu viel Armut, erklärt mir die Schwiegertochter eines Abends (Feldnotizen 6.2. 2013). Vermutlich stört Francisca sich am gestampften Erdboden sowie dem offenen Feuer in der Küche, wie auch an den, zugegeben für viele Stadtbewohner_innen etwas gewöhnungsbedürftigen, sanitären Anlagen. Wenn wir zusammenfassen, so lassen weder der Besuch des Sohnes alleine, noch der, den er gemeinsam mit seiner künftigen Frau absolviert, größere Veränderungen der haushaltsinternen Beziehungen erkennen. Ernesto wird schnell (wieder) in seine Position im Gesamtgefüge integriert, Francisca hat mehr Gast- denn Schwiegertochterstatus. Während ersterer sehr wohl für verschiedene Arbeiten im Haushalt herangezogen wird, ist das bei letzterer nicht der Fall. Ist und bleibt Ernesto Mitglied des Haushalts und der Familie, so gilt Francisca (noch) nicht als solches. Sie ist in die Konsum-, nicht aber in die Arbeitsgemeinschaft integriert. Und sie ist nicht in die alltägliche Selbstverständlichkeit des oben beschriebenen „Sich-selbst-Essen-nehmen“ oder auch „Essen-an-andere-verteilen“ inkludiert, die das Zusammenleben der Familie kennzeichnet.

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Wenden wir uns nun der zweiten Gruppe Personen zu, die für einen etwas längeren Zeitraum im Haus aufgenommen und versorgt werden, nämlich der der Student_innen und Forscher_innen. Im Haus vorübergehend aufgenommene Student_inn_en und Forscher_innen Diese ist insofern von Bedeutung, als die in Kapitel III.2.1.2 beschriebene, rasche und unkomplizierte Aufnahme von „Fremden“ in einem indigenen Haushalt keine Ausnahme und auch keine Seltenheit darstellt. Ich erfahre von einem französischen Biologen, der ein Jahr lang bei einer Familie in Tzinacapan lebt, sich dafür bedankt, indem er dem Sohn des Hauses ein Pferd kauft. Jahre später wird meine Anwesenheit genutzt, die Beziehung zu diesem Mann wieder aufleben zu lassen: ich werde gebeten einen Brief an ihn weiterzuschicken, da ich doch auch aus Europa bin. Diese Tatsache wird als Absicherung für die verlässliche Ankunft der Botschaft beim Empfänger angesehen (Feldnotizen 19.2.2005). Die Vermittlung ist erfolgreich. Während meines Aufenthalts 2006 kündigt der Franzose seinen baldigen Besuch an (Feldnotizen 24.1.2006). Clemencia (Tz 15 20.2.2005) erzählt von einer holländischen Forscherin, die zwei Wochen in ihrem Haus verbringt. Sie lernt tortillas machen und die Herstellung von artesanía. Später kommt sie noch einmal, um Kunsthandwerksprodukte zu kaufen, dann nicht mehr, schildert die Frau. 18 Miguel und seine Gattin Juana beherbergen 2011 für eine Woche eine Gruppe von sechs Biologiestudierenden der Universidad Autónoma de México, samt Lehrer in ihrem Haus. Da ich – anders als im Falle der oben geschilderten Besuche – diesen direkt mitverfolgen kann, möchte ich im Folgenden näher darauf eingehen. Potentielle Verschiebung innerhäuslicher Machtstrukturen: Gendering und Hausfrauisierung Als ich zum Haus komme, um die beiden, nach meiner über zwei Jahre dauernden Abwesenheit, erstmals zu besuchen, ist Miguel, der Musiker und Bandleader ist, gerade auf dem Sprung zu einer Aufführung. Während er mich ins Haus begleitet, erklärt er, er hätte Student_inn_en der UNAM bei sich aufgenommen. Ich solle zusammen mit ihnen zu dem Fest nachkommen, bei dem er spiele. Miguel genießt die Anwesenheit der angehenden Biolog_inn_en ganz offensichtlich und er betont, was er von ihnen alles lernen könne (Feldnotizen 29.10.2011, 7.11.2011). In seinen Aktivitäten ist er weder eingeschränkt, noch bedeutet die Anwesenheit von sieben zusätzlichen Personen im Haus für ihn eine Ausweitung seines Arbeitsaufwands. Im Gegenteil nutzt er sie, um zusätzliches Publikum für seine Bandauftritte zu haben (Feldnotizen 29.10.2011). Anders stellt sich die Situation für seine Frau Juana dar, wenngleich auch sie betont, Gefallen an dem Besuch zu haben. Als sie mich den jungen Leuten vorstellt, sitzen diese um einen Tisch, nur mäßig an Juana und mir interessiert. Der Tisch be-

18 Das Interesse an der Herstellung, vor allem aber am Kauf von artesanía, öffnet viele Türen, wie ich feststellen konnte. Nachdem sich das Gerücht verbreitet, ich würde im Gegenzug für Kost und Quartier größere Mengen Kunsthandwerk kaufen und nach Österreich exportieren, erhalte ich eine Vielzahl von Einladungen, mir bislang unbekannter Menschen, doch bei ihnen zu wohnen.

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findet sich im Hauptraum, in dem zwei Zelte aufgestellt sind – ein großes für die Studierenden, ein kleineres für den maestro. Auch sonst ist – ausgenommen das Schlafzimmer – jeder Bereich des Hauses von der Anwesenheit der Gäste aus Mexiko Stadt durchdrungen. Dabei sind diese vor allem mit sich selbst beschäftigt und kümmern sich nur dann um das Vorhandensein von Juana, wenn sie etwas benötigen, fast als wäre sie eine Bedienstete auf einem improvisierten „Indoor-Campingplatz“. Juana kocht für die Gruppe, bereitet und holt Brennholz, wobei der Bedarf insbesondere durch das Heißwasserbedürfnis der Gäste zum täglichen, oft mehrmaligen Duschen wesentlich größer ist, als sonst. Sie lässt Wasser in einen großen Topf einlaufen und erhitzt diesen über dem Feuer, sie reinigt die Zimmer und das Bad, kurz ihr Arbeitsaufwand als, zumindest zu diesem Zeitpunkt, einziger erwachsener Frau im Haus, ist wesentlich höher als an anderen Tagen. Dennoch betont sie, die Mehrarbeit mache ihr nichts aus, im Gegenteil, es gefalle ihr, die Leute hier zu haben. Anders als ihr Mann wird sie jedoch, trotz ihrer hervorragenden Spanischkenntnisse und eines Schulabschlusses, der höher ist als der Miguels, weder von den jungen Leuten, noch vom Lehrer besonders geachtet oder als Gesprächspartnerin geschätzt. Dabei ist sie mit ihren Kindern, während der Anwesenheit der Siebenergruppe, in ihren Aufenthaltsmöglichkeiten im Wesentlichen auf Küche und Schlafraum begrenzt (Feldnotizen 29.10.2011). Während die Beziehung zwischen Miguel und Juana im gewöhnlichen Alltag durch gegenseitige Wertschätzung und Komplementarität gekennzeichnet ist, zeigt sich in diesem Zusammenhang eine Verschiebung zugunsten Miguels. Juana bleibt die Arbeit, während Miguel an Prestige (gegenüber der Gruppe, aber auch in seiner Band) gewinnt. Längerfristig zeigt sich, verstärkt durch diese und ähnliche Begegnungen, eine Tendenz der „Hausfrauisierung“ Juanas (zu diesem Konzept, vgl. Kapitel II.3.4). Sie beteiligt sich immer weniger an der Herstellung von Kunsthandwerksprodukten, überlässt diese und den Verkauf ihren Kindern und ihrem Mann. Sie verdient zwar weiterhin eigenes Geld – nun über die Aufzucht und den anschließenden Verkauf von Hühnern –, aber sie beklagt gleichzeitig ihre Beschränkung auf innerhäusliche Aktivitäten: „Wegen der Kinder könne sie nicht weg, erklärt sie. Solange diese noch zur Schule gingen, müsse sie hier sein, um sie mit Essen zu versorgen. Und unmittelbar danach fragt sie, ob es auch in Österreich Hausfrauen gäbe. Zuvor hatte sie erklärt, dass sie den Ausbau des Hauses mit dem Verkauf von artesanía finanziert hätten. Aber nun würden sie und ihre Familie immer weniger verkaufen.“ (Feldnotizen 29.10.2011)

Nie zuvor bezeichnete eine der Frauen Tzinacapans sich direkt oder – wie in diesem Falle – indirekt als Hausfrau. Nahua-Frauen definieren sich als vendedoras, als campesinas, als Geschäftsinhaberin, etc. (Feldnotizen lfd.). Eine junge Frau, die soeben ihre Schule beendet hat, antwortet auf meine Frage, was sie nun mache, stolz, sie besticke Blusen (Aj 44 2.10.2013). Eine andere betont, sie sei zu Hause und kümmere sich darum, dass alle zu essen haben, eine Aufgabe, die früher ihre Mutter innehatte. Sie betont dabei insbesondere ihre Bedeutung für den Zusammenhalt der Familie (Tz 32 16.9.2013). Anders Juana in diesem Kontext. Die Anwesenheit der Student_inn_en und ihres Lehrers offenbart das in Kapitel II.5 beschriebene, auch in der mexikanischen Domi-

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nanzgesellschaft weit verbreitete Gendering (vgl. hierzu Kapitel II.6), d.h. eine Tendenz der Transformation der, von Frauen durchgeführten, wertgeschätzten Haushaltsarbeit, hin zu einer als selbstverständlich angenommenen, abgewerteten Hausarbeit. Ganz den kapitalistisch-bürgerlichen Normen der Anerkennung des produktiven und kreativ-künstlerischen Mannes, auf Kosten der, als sein Gegenteil konstruierten Frau entsprechend, verhält sich die Gruppe Juana gegenüber nicht in derselben respektvollen Weise, wie sie das Miguel gegenüber tut (und Juanas Position als Hausherrin angemessen wäre). Juanas daraus resultierendes Empfinden der Unzufriedenheit und Minderwertigkeit wird durch die, dieser Begegnung zugrundeliegende, ebenfalls in der nationalen mexikanischen Gesellschaft verankerte, rassistische Komponente, wie sie in Kapitel III.1.1 und III.1.2, im Zusammenhang mit dem „Diskurs des klassischen Feminismus“ angedeutet wurde, noch verstärkt. Analog dem, in intellektuellen, urbanen Kreisen weit verbreiteten Bild, der ungebildeten, servilen und somit langweilig erscheinenden indigenen Frau, besteht seitens der jungen Leute, die sich selbst als emanzipiert und modern präsentieren, kein Interesse, sich mit Juana auseinanderzusetzen. Miguel hingegen bedient als Musiker, der sich als weltoffen und gleichzeitig mit der Tradition vertraut gibt, sowohl das Bedürfnis nach Exotismus, als auch das, nach einem kritischen, mit dem modernen Leben vertrauten Gesprächspartner. In dieser Konstellation kann Juana nur verlieren. Die Ignoranz der Gruppe verstärkt das bei ihr, wie auch vielen anderen indigenen Frauen bestehende Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber „gebildeten“ Stadtbewohner_inne_n.19 Darüber hinaus verringert das Zuviel an, verglichen mit der ihres Gatten, nur wenig prestigeträchtiger und immer weniger Einkommen generierender Arbeit, Juanas Handlungsfähigkeit und ihre Möglichkeit zur Festigung oder gar Ausweitung ihrer personhood. Letzteres wird auch dadurch eingeschränkt, dass Miguel als Musiker zwar selbst vom Ämtersystem und den vielen Festen in Gemeinde und Umgebung profitiert, diesem gegenüber als moderner Mann, der weit gereist ist und bereits in den USA war, zunehmend negativ eingestellt ist und es somit indirekt ablehnt, selbst, beispielsweise eine mayordomía zu übernehmen (Feldnotizen 7.11.2011; 15.10. 2013). Zwei Jahre später beklagt Juana sich dezidiert über die viele (Haus-)Arbeit, die sie habe – dabei sind zu diesem Zeitpunkt keine zusätzlichen Personen im Haus zu versorgen. „[…] sie müsse für die Buben kochen, sie seien doch Männer. Und dass [ihre Tochter] Alexandra und sie gesprochen hätten, es sei besser nicht zu heiraten, da gäbe es nicht so viel Arbeit. 19 Wiederholt bekomme ich von Nahua-Frauen zu hören, sie wüssten nichts, hätten kaum Schulbildung und würden nur schlecht Spanisch sprechen, alles Qualitäten, die im nationalen Kontext von Bedeutung sind. Weiter oben, in einem der Unterkapitel, findet sich jedoch auch die Aussage einer Frau, die künftige Ehefrau ihres Schwagers „könne nichts“ mit Verweis auf ihre Unfähigkeit tortillas herzustellen, den indigenen Werten von Frausein entsprechend, die sich deutlich von den zuvor genannten, hegemonialen unterscheiden. Dabei spricht die künftige Ehefrau, als Angehörige der mexikanischen Mehrheitsbevölkerung, perfekt Spanisch und sie studiert Englisch. Innerhalb des indigenen Kontextes, der in Hinblick auf eine mögliche Heirat entscheidend ist, hat das keinen Wert, wohl aber im (oberflächlichen) Kontakt mit „Fremden“.

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Sie würde gerne reisen, dazu wird es vermutlich nie kommen. Sie wirkt traurig und gedrückt.“ (Feldnotizen 16.9.2013)

Weiterhin lobt Miguel Juanas Fähigkeiten, weiterhin ist sie diejenige, die das Haushaltsbudget verwaltet, dennoch kommt die, bereits 2011 spürbare Unzufriedenheit, nun sehr deutlich zum Ausdruck. Einerseits begründet sie ihre Situation mit Genderund anderen sozialen Normen – als verheiratete Frau habe sie viel Arbeit; sie müsse für ihre Söhne kochen, da diese Männer seien –, andererseits möchte sie sozialen Vorgaben und Zwängen entkommen und reisen. Genährt wird dieser Wunsch durch Beispiele aus ihrer unmittelbaren Umgebung, dass das auch Frauen möglich ist. Denn anders als Juana sind ihre beiden Töchter Alexandra und Leonora selten zu Hause; beide studieren, beide sind kinderlos und unverheiratet, beide sind viel unterwegs, häufig in anderen Teilen Mexikos (Feldnotizen 2011 und 2013 lfd.). Das und die Erinnerung an die aus Mexiko Stadt angereisten Student_inn_en – darunter einige Frauen, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit ganz offensichtlich genießen –, ebenso wie meine Anwesenheit als, aus Österreich stammender, offenbar verheirateter Anthropologin mit Kind,20 die dennoch ihre häuslichen Verpflichtungen delegieren und wegfahren kann, zeigen ihr andere Möglichkeiten, auch als Frau, ihr Leben zu gestalten. Dennoch erscheinen ihr diese nicht zugänglich, was sie traurig und unzufrieden macht. „Beim letzten Besuch erzählt sie, dass ihre Tochter sie oft frage, ob ihr die ewige Küchenarbeit nicht auf die Nerven gehe. Ja, sagt sie, aber was soll sie machen. Und sie meint, sie würde gerne mit mir kommen, fremde Länder kennen lernen.“ (Feldnotizen 16.10.2013)

Die Tochter und meine Anwesenheit verweisen sie auf strukturell bedingte Grenzen ihres Handlungsspielraums, die sie meint, nicht überschreiten zu können. Die Präsenz der Gäste aus Mexiko Stadt jedoch, bringt darüber hinaus, in besonderer Weise, die symbolische Gewalt, der in Mexiko und in Tzinacapan wirksamen patriarchalen Dominanz, ans Tageslicht. Die Student_inn_en und ihr Lehrer betrachten Juana als Hausfrau, ihre Arbeit als, in ihren Resultaten für sie angenehm, aber, verglichen mit der von Miguel, von geringem Wert. Sie selbst sieht es als ihre Pflicht an, für „die Männer“ zu kochen. Sie ist stolz auf die künstlerischen Leistungen ihres Mannes und ihrer Söhne, die in die Fußstapfen ihres Vaters treten. Sie versucht sie daher optimal zu versorgen, sie von jeglicher Hausarbeit zu entlasten. Miguel ist einer der wenigen Männer, die ich in Tzinacapan kenne, die ich nie dabei beobachte, dass sie tortillas wärmen, Essen oder Kaffee kochen. Und das in einer Familie, in der der Mann wiederholt die Notwendigkeit der Gleichberechtigung der Frauen betont (z.B. Feldnotizen 7.11.2011) und die Tochter von ihrer Verwirklichung im gegenwärtigen Tzinacapan überzeugt ist: „[…] im Unterschied zu früher [würden] die Frauen nicht (mehr) unterdrückt […], [hätten] dieselben Rechte […] wie die Männer, betont Alexandra“ (Feldnotizen 16.10.2013).

20 Für den Status als „verheiratete Frau“ reicht anzugeben, einen señor zu haben, unabhängig vom Zusammenleben oder dem legalen Status.

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Gleichbleiben der innerhäuslichen Machtstrukturen: Stärkung des Selbstbewusstseins und der Handlungsmacht ssämtlicher erwachsener Haushaltsmitglieder In einem anderen Haushalt hingegen scheinen Besuche und Kontakte zu Leuten aus Mexiko Stadt, aus Frankreich, etc., wie auch meine Präsenz die gegenteilige Wirkung, die Stärkung von Handlungsmacht, Kompetenz und Selbstbewusstsein, nicht nur ausgewählter, sondern sämtlicher erwachsener Hauseinwohner_innen, zu zeigen. Dabei sind es nicht dezidiert Anwesenheit und Handeln der „Fremden“, die prägend sind, vielmehr bestätigen und verstärken diese nur das Anwachsen der personhood, das personing der Hausleute. Diese Ausweitung von Fähigkeiten und damit einhergehender Autorität, zeigt sich über die Jahre, ohne dass eine nennenswerte Verschiebung haushaltsinterner Hierarchien damit verbunden ist, da alle Mitglieder gleichermaßen nach und nach an Kompetenz gewinnen. Betrachten wir nun explizit jene Aspekte, die sich mit meiner Anwesenheit in Verbindung bringen lassen. Michaela knüpft, über ihre Tätigkeit als Verkäuferin von Kunsthandwerk, häufig und leicht Kontakte zu Fremden. Immer wieder lädt sie diese zu sich ein und macht damit weitestgehend positive Erfahrungen. Sie gewinnt eine comadre aus Mexiko Stadt, eine aus Guadalajara und eine Schwester aus Österreich. Häufig kommen Freund_inn_e_n der Familie aus verschiedenen Teilen Mexikos, den USA und Europa zu Besuch. Dennoch ist sie im Haus lange Zeit zurückhaltend, fast scheu und überlässt das Reden ihrem Mann Eusebio. Einerseits ist sie nicht wirklich von ihren Spanischkenntnissen überzeugt, andererseits verunsichert sie ihre – wie sie meint – geringe Bildung. Immer wieder bekomme ich zu hören, das könne sie mir nicht sagen, das wisse sie nicht, da müsse sie ihren Mann oder ihre Tochter fragen. Erst 2006 ändert sich das. Nach und nach beginnt sie selbst in Eusebios Anwesenheit, nicht nur über ihre eigenen Tätigkeits- und Kompetenzbereiche, sondern auch über die ihres Mannes zu erzählen. Spanischkenntnisse und Bildung sind nun kein Thema mehr (Feldnotizen 2003-2013). Vorangegangen sind dieser, mir gegenüber immer größeren Offenheit und deutlicher zur Schau gestellten Selbstsicherheit, mehrere gemeinsame Fahrten nach Tecolutla, Tlaxcala und Jalapas. Dabei ist es für Michaela zunächst keine Selbstverständlichkeit zu reisen. Sie hat Angst vor der langen Fahrt im Autobus, insbesondere der Notwendigkeit am Weg nach Tecolutla einen Fluss zu überqueren. Dennoch lässt sie sich von Eusebio überzeugen die Fahrt anzutreten (Feldnotizen 20.8.2004, 24.8. 2004). In Tecolutla angekommen, flößt ihr das Meer größten Respekt ein. Sie überwindet ihre Angst und posiert für ein Foto mit den Füßen im Wasser (Feldnotizen 27.8.2004, 28.8.2004). Insgesamt ist die Reise erfolgreich. In Folge reisen sie, ihre Schwägerin und ihr Schwager fast wöchentlich in besagten Badeort, um dort artesanía zu verkaufen. Bei meinen späteren Aufenthalten ist sie selbst es, die fragt, ob wir nicht nach Tlaxcala, Jalapas oder anderswohin fahren könnten, damit sie den Weg kennenlerne und prüfen könne, ob es sich lohne, zum Verkaufen dorthin zu fahren (Feldnotizen 29.1.2006; et al.). Verglichen mit Tecolutla, erscheinen Tlaxcala und Jalapas wie Großstädte, was den Autoverkehr betrifft. Aber auch diese Herausforderungen meistert sie problemlos. All das trägt, zusammen mit anderen personhood stärkenden Ereignissen, darunter der Ausrichtung mehrerer mayordomías und anderer Feste, zu ihrer immer größeren Selbstsicherheit bei. 2013 kann sie sich sogar

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vorstellen, im Flugzeug nach Österreich zu fliegen, etwas, was zwei Jahre zuvor noch undenkbar für sie ist (ibid.). Im Haushalt ist ihre Position als gleichberechtigte Partnerin ihres Mannes nie in Frage gestellt. Die personhood beider wächst im Laufe der Zeit. Nicht nur Michaela, auch Eusebio gelingt es, abseits der vorgegebenen Wege des Maisanbaus, der Elternschaft, etc., Kompetenzen zu erlangen und so sein personing zusätzlich voranzutreiben. Vor allem im ehemals devoten, nun sehr selbstständigen Auftreten gegenüber nicht indigenen Autoritäten, äußert sich das. Ist er im Gespräch mit diesen zunächst noch unterwürfig und extrem höflich (vgl. z.B. die Aufzeichnungen in den Feldnotizen 27.1.2006), so ist seine Haltung einige Jahre später weit lockerer. Er unterhält sich mit manchen von ihnen so, wie er das mit Menschen tut, die auf derselben gesellschaftlichen Ebene stehen wie er selbst, macht Scherze, lacht, wenn er mit ihnen spricht (z.B. Feldnotizen 28.9.2013). Einen kleinen Beitrag zu dieser neuen Haltung leistet – neben der Ausrichtung der mayordomías und Feste – seine (über seine Frau vermittelte) erfolgreiche Kommunikation mit Menschen aus anderen Ländern. Andererseits gewinnen auch die anderen Haushaltsmitglieder im Laufe der Zeit – über Schulabschlüsse, über den Erwerb beruflicher Kompetenzen und Erfolge, etc. – an Autorität und Handlungsmacht, so dass sich innerhalb des Haushalts, gesamt gesehen, wenig an den bestehenden Machtstrukturen ändert. Vom Gast zum Haushaltsmitglied: Integration in bestehende Machtstrukturen Ich selbst erlange über die Jahre vom Gast mit Sonderrechten, zunehmend die Position eines im Ausland lebenden, aber immer wieder kehrenden Familienmitglieds, mit damit einhergehenden Rechten und Pflichten. 21 Zwar wird mein besonderer Status insofern anerkannt, als ich, anders als andere Frauen des Haushalts, keine Küchenarbeit machen muss, meine Mitarbeit im Haus wird aber durchaus erwartet. Ich gelte als unfähig zur Hausarbeit und habe außerdem, wie immer wieder betont wird, genug eigene Arbeit zu verrichten. Dennoch zögert Eusebio nicht, mich zu bitten, das Haus zu hüten, ihm eine Stange oder die Taschenlampe zu halten o.ä.; die Tochter und Schwiegertochter ersuchen mich, ihnen aus Cuetzalan Stoff oder anderes mitzubringen, das Kind zu füttern oder kurz aufzupassen, dass es nicht fällt. Michaela rechnet mit mir, wenn sie außer Haus muss und gleichzeitig ihren Enkel zu beaufsichtigen hat. Mehrmals kommt es vor, dass sie mich beauftragt Kind, Haus und Vieh in ihrer Abwesenheit zu hüten, oft mehrere Stunden lang. Wenn in dieser Zeit Gäste kommen, liegt es in meiner Verantwortung diese mit Kaffee zu versorgen. Wird in meiner Abwesenheit (weil ich in Österreich bin) jemand aus der Familie krank, oder tritt sonst eine Notsituation ein, so werde ich telefonisch kontaktiert und um Unterstützung gebeten. Umgekehrt werde ich immer wieder darauf hingewiesen, dass ich jederzeit kommen und im Haus wohnen könne. Ich werde ermuntert auch nachts anzuklopfen, und dass natürlich auch meine Kinder und „mein Mann“ willkommen sind. Während meiner Aufenthalte wird erwartet, dass ich selbst mein Badewasser erhitze – wenngleich sie mich dabei nach wie vor unterstützen, da ich als ungeschickt gelte. Erwartet wird auch, dass ich in der Früh selbst meinen Kaffee, mein Brot nehme, etc., kurz 21 Auf die Bedeutung der Schaffung, aber auch Auflösung von Verwandtschafts- insbesondere Geschwisterbeziehungen im Verlauf des Lebens weisen u.a. Thelen et al. (2013: 2) hin.

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mich wie die anderen Haushaltsmitglieder benehme. „Sois de la familia“, ist die oft geäußerte Feststellung (z.B. Feldnotizen 31.10.2011; 8.10.2013). Nach und nach wird die formell-höfliche Bezeichnung siuatsin („Frau“ in der Höflichkeitsform), wenn über mich gesprochen wird, durch meinen Namen ersetzt. 2013 werde ich von jüngeren Haushaltsmitgliedern zeitweise mit dem vertraulichen nana („Mutter“) 22 angerufen (z.B. Feldnotizen 10.10.2013). Trotz meiner stets vorübergehenden, höchstens mehrere Wochen andauernden Besuche, können diese also, gesamt gesehen, als eine längerfristige Erweiterung des Haushalts angesehen werden. Dabei werden bei jedem meiner Aufenthalte neue Facetten meiner Beziehung zu den verschiedenen Familienmitgliedern hinzugefügt und meine Integration wächst. Dennoch ändert mein Auftauchen die bestehenden Autoritätsgefüge, wenn überhaupt, dann höchstens vorübergehend, trotzdem ich in diese eingegliedert werde und meine spezifische Position erlange. Fremde als umkämpfte Ressource: Spannungen zwischen Haushalten Was sich womöglich durch meine Anwesenheit verändert, sind Beziehungen zwischen den Haushalten. Besteht doch eine permanente latente Konkurrenzsituation zwischen Schwiegerpersonen, auch nach der Übersiedlung junger Familien in ein eigenes Haus. Mit Argusaugen wird seitens der Schwestern und Schwägerinnen darauf geachtet, ob ich für meine Aufenthalte bezahle (Feldnotizen 16.2.2006; et al.), ob und wie viele Kunsthandwerksprodukte ich kaufe, bzw. dass ich solche auch von ihnen in ausreichenden Mengen erwerbe, etc. (Feldnotizen 24.7.2004; et al.). Eifersüchtig wird die immer engere Beziehung zwischen mir und Michaela thematisiert und kritisiert. „Immer bleibst du nur bei ihnen, nie bei uns“, ist die wiederkehrende Äußerung einer Verwandten (Feldnotizen 30.8.2004; 23.2.2005; 31.1.2006; et al.). Und Eusebios Mutter geht so weit hervorzuheben, dass ich für sie wie eine Tochter, ihre Tochter (d.h. nicht die Schwiegertochter Michaela) daher meine Schwester sei (Feldnotizen 10.2.2005). Wiederholt werde ich von der Schwägerin zu gemeinsamen Reisen nach Tecolutla oder auch ins nahegelegene Jonotla aufgefordert (Feldnotizen 5.2.2005; et al.). Umgekehrt erklärt Eusebio, seine Schwägerin und ihr Mann seien ganz anders als sie, würden viel mehr streiten und er rät mir ab, bei einem meiner nächsten Aufenthalte, dort unterzukommen (Feldnotizen 29.8.2004). Ich erscheine also als eine Art umkämpfte Ressource und Möglichkeit aktuelle und bereits seit längerem schwelende Probleme und Schwierigkeiten auszusprechen. Die bestehenden Spannungen kommen so deutlicher zum Ausdruck, wenngleich sich die leichte soziale Ungleichheit zwischen den Haushalten nicht nachhaltig ändert. Ins Haus kommende Student_inn_en und Forscher_innen wirken, wenn wir den Inhalt dieses Abschnitts in wenigen Sätzen beschreiben, auf die haushaltsinternen und darüber hinausgehenden Beziehungen in widersprüchlicher Weise. Zum einen können sie vorhandene Tendenzen der Hausfrauisierung forcieren und so, verbunden mit anderen personhood, wenn schon nicht schwächenden, so diese auch nicht stärkenden Faktoren, längerfristig zu einer Verschiebung innerhäuslicher Machtrelationen führen. Andererseits aber können sie – ebenfalls wieder im Kontext mit anderen 22 Die Anrede mit nana für Frauen, tata (Vater) für Männer, die älter sind, als der_die Sprechende, ist unter einander nahestehenden Personen weit verbreitet. Auch die diputad@s sprechen sich gegenseitig, wie auch die mayordom@s, mit diesem Terminus an.

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Aspekten – latent vorhandene Kompetenzen und Fähigkeiten zum Vorschein bringen und solcherart das personing der Mitglieder eines Haushalts vorantreiben. Darüber hinaus führen sie in manchen Zusammenhängen zur Offenlegung bestehender Konflikte, ohne dass damit eine Veränderung der Autoritätsverhältnisse einhergeht. VI.1.1.7 Zusammenfassung und ergänzende Bemerkungen Die tage- oder auch wochen- bis monateweise Ausweitung von Haushalten als solche führt, wie erwartet, weniger zu Verschiebungen von Autoritäts- und Machtstrukturen, wohl aber werden in ihrem Gefolge Spannungen deutlich bzw. verstärken sich bereits vorhandene Tendenzen. Feste und ähnliche Ereignisse, wie auch die Aufnahme von (ökonomisch potenten und exotisch wirkenden) Fremden fördern das Prestige im gesamten sozialen Gefüge der Gemeinde, was im ersteren Fall mit der Ausweitung von personhood aller Mitglieder der betreffenden Haushalte einhergeht, im zweiten womöglich das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit einzelner oder mehrerer Mitglieder derselben vorantreibt. Die wachsende Kompetenz und Anerkennung einer Person kann jedoch auch zu Verunsicherung und Unzufriedenheit anderer und in längerer Folge, verbunden mit anderen personhood stärkenden oder schwächenden Ereignissen, zu Statusveränderungen führen. Besagte Ausweitung von Haushalten erfolgt in unterschiedlich intensiver Weise, was auch in Umfang und Art der gemeinsam durchgeführten Aktivitäten zum Ausdruck kommt. Im und für das Haus (ohne einen rituellen Kontext) arbeitende Personen von Außerhalb bleiben (Kapitel VI.1.1.1), trotz einer möglichen partiellen Konsum- und Arbeitsgemeinschaft, Außenstehende und Fremde. Im Falle des Maisanbaus (Kapitel VI.1.1.2) hingegen, spielen die gemeinsame Arbeit und die gemeinsame Mahlzeit der Männer am Feld eine besondere Rolle. Die Verbindung der Teilnehmer_innen erfolgt primär über die gemeinsame Essenz mit dem Mais, an dessen Produktion alle beteiligt sind und der in Form von tortillas, von allen, inklusive der Erde, konsumiert wird. Trotz dieser Ko-Essenz gelten die Arbeitenden auf der milpa nicht als Angehörige des Haushalts, wenngleich zu ihnen eine besondere Nähe besteht. Diputad@s auf der anderen Seite (Kapitel VI.1.1.3) werden sehr schnell in den Haushalt integriert, was nicht nur in der gemeinsamen Arbeit und dem gemeinsamen Konsum zum Ausdruck kommt, sondern auch in der informellen Art des Umgangs miteinander. Analog den Hausbewohner_inne_n bewegen sie sich frei in allen Räumen des Hauses und sind angehalten sich Dinge des täglichen Bedarfs in Küche und Bad selbst zu nehmen. Eine Ausnahme dieser Selbstverständlichkeit ergibt sich für Männer im Zuge offizieller Ereignisse, wenn geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen schlagend werden. Letztere werden allgemein im Rahmen von Festen und anderen größeren Ereignissen bedeutsam (Kapitel VI.1.1.4), speziell aber in der Küche sowie in Verbindung mit spezifischen Ritualen, bei denen darüber hinaus spezielles Augenmerk auf rituelle Verwandtschaft gelegt wird, eingehalten. Im Zusammenhang mit Festen und ähnlichen Anlässen, lassen sich geladene Personen, die ins Haus kommen, um zu arbeiten und in diesem Zusammenhang auch konsumieren und solche, die ihren rituellen und anderen Verpflichtungen nachkommen und tanzen bzw. Musik machen, unterscheiden. Letztere ähneln weit stärker Festgästen, wie sie in Österreich bekannt und verbreitet sind, als erstere. Sie erhalten ihre Mahlzeiten folglich auch nicht in der Küche, sondern im Hauptraum des Hauses.

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Erstere hingegen sind für die Dauer des Anlasses Teil der häuslichen Arbeits- und Konsumgemeinschaft und werden teilweise in der Küche versorgt. Eine Differenzierung zwischen Mitgliedern des Haushalts und Gästen, zeigt sich auch in der vorübergehenden Beherbergung von Verwandten, deren Freund_inn_en und Fremden (Kapitel VI.1.1.5 und VI.1.1.6). Während von ersteren eine Beteiligung an den Haushaltsaktivitäten erwartet wird und sie sich ähnlich den diputad@s teilweise selbst darum kümmern müssen, ihren Kaffee, ihr Brot, ihre tortillas oder auch ihre Seife, ihr Waschpulver und ihr Klopapier zu erhalten, so werden letztere bedient, aber es wird von ihnen auch keine Mithilfe an der Arbeit erwartet. Über diese Verhaltensweisen und Erwartungshaltungen lässt sich eine eventuelle Umwandlung von Gästen in Haushaltsmitglieder, ihre zunehmende Integration ins familiäre Beziehungsgeflecht beobachten. Betrachten wir nun im nächsten Abschnitt die kurzfristige Verringerung der Zahl der Haushaltsmitglieder. VI.1.2 Die Auswirkungen von kurzfristigen Abwesenheiten von Haushaltsmitgliedern auf interne Machtgefüge Hierfür sind, abgesehen von der Arbeit auf der milpa und am rancho bzw. im cafetal oder von Marktbesuchen, folgende Kontexte verantwortlich: (1) Arbeitsverpflichtungen im Rahmen der faena, sowie stunden- oder tageweise Abwesenheiten von Einwohner_inne_n des Hauses aufgrund von Versammlungen, Festen und anderen Verpflichtungen, wie z.B. der Mitgliedschaft in einer Tanzgruppe. (2) Mehrmonatige und -jährige, aber vorübergehende Studien-, lohnarbeits- und militärdienstbedingte Absenzen. Und (3) mehrtägige Geschäftsreisen sowie Verwandtenbesuche und Vergnügungsreisen. VI.1.2.1 Stunden- oder tageweise Abwesenheiten von Einwohner_inne_n eines Hauses aufgrund der Teilnahme an der faena, Versammlungen, Festen u.ä. Von kurzfristigen Reduktionen seiner Größe durch die Teilnahme eines oder mehrerer Mitglieder an der faena, an Versammlungen oder Festen, ist jeder Haushalt betroffen und in sehr vielen Haushalten gibt es darüber hinaus eine_n oder mehrere Tänzer_innen. Diese Art von Abwesenheiten unterscheidet sich im Grunde nicht von solchen, die bedingt sind durch die Arbeit im cafetal oder auf der milpa, den Besuch am Markt in Cuetzalan oder andere berufs- und einkaufsrelevante Absenzen. Die Teilnahme am Arbeitsdienst der Gemeinde, wie auch an Versammlungen, Festen oder Tanzaufführungen und -proben gehört in derselben Weise zu den sozialen Verpflichtungen der Haushalte, wie die Beteiligung an den notwendigen Aktivitäten zur Erhaltung des Familienlebens, zu jenen der einzelnen Haushaltsmitglieder. Dabei ist nicht festgelegt, wer zur faena oder einem Fest geht, nur Geschlecht und Arbeitsfähigkeit spielen hier eine Rolle. So kann ein Haushaltsvorstand durchaus seinen Sohn zum Arbeitsdienst schicken, vorausgesetzt dieser ist körperlich und geistig in der Lage, die geforderten Tätigkeiten auch durchzuführen (siehe den zweiten Abschnitt in Kapitel IV.3.3.3). Oder eine Frau schickt ihre Tochter, sie in der Küche einer mayordoma zu vertreten, sofern diese tortillas herstellen kann (vgl. u.a. Feldnotizen 21.9.2013). Schwieriger wird es bei Versammlungen, wobei hier die Funktion, die

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jemand im Kontext, in dem das Treffen stattfindet, einnimmt, entscheidend ist. Zu Schulversammlungen, die von den entsprechenden Autoritäten für die Eltern einberufen werden, kann auch eine erwachsene Tochter gehen (Tz 7 26.9.2007). Der Vorsitzende des Wasserkomitees hingegen muss selbst an dessen Sitzungen teilnehmen (Feldnotizen 17.9.2007ff.). Und auch Tänzer_innen können sich nicht vertreten lassen (siehe Kapitel IV.4.5). Was alle diese Arten von Abwesenheiten, abseits möglicher Vertretungen, vergleichsweise schwieriger handhabbar macht als andere ist, dass ihre Dauer in vielen Fällen nur schwer vorhersagbar ist, bzw. die Betroffenen nicht einfach zu einer festgelegten Zeit nach Hause gehen können.23 So heißt es beispielsweise über die faena, dass diese solange dauert, „bis das Vorhaben fertig ist. Allerdings jeweils nur einen Tag die Woche, am Sonntag. Damit die Leute auch Zeit haben“ (Tzm 48 8.11.2011). Insbesondere die zahlreichen reuniones, an denen Frauen teilnehmen müssen – der Schule, der Kooperative, des Regierungsprogramms Oportunidades,24 etc. – nehmen oft weit mehr Zeit in Anspruch, als von den Betroffenen angenommen (vgl. u.a. Feldnotizen 12.9.2007). Angekündigt wird nur ihr Beginn, nicht ihre Dauer (vgl. Feldnotizen 24.8.2004, 31.8.2004; 7.2.2006; et al.). Versammlungen, wie die des Wasserkomitees, müssen darüber hinaus womöglich an mehreren Tagen abgehalten werden, dazwischen die dort vereinbarten Schritte zur Sicherung der Wasserversorgung gesetzt werden (Feldnotizen 16.9.2007, 17.9.2007, 20.9.2007, 24.9.2007). Unabhängig davon, ob ihre Dauer vorhersehbar ist oder nicht, sind es diese kurzfristigen Reduktionen, der im Haushalt anwesenden Anzahl von Personen, die in hohem Maße innerhäusliche Konflikte zwischen den Generationen (und in Folge sehr oft auch zwischen Eheleuten) zum Ausdruck bringen oder auch hervorrufen. Denn die Möglichkeit sich an den genannten Aktivitäten zu beteiligen, oder aber die Zeit für das Lukrieren eigenen Einkommens zu nutzen zu können steht, wie in Kapitel V.1.2.3 und anderswo (vgl. insbesondere Kapitel IV.3.4 und IV.4) ausgeführt, wesentlich mit der Schaffung und Ausweitung von personhood, dem personing in Verbindung. Haben Töchter und Söhne, wie auch Schwiegersöhne und Schwiegertöchter kein Problem damit, ihre (Schwieger-) Mütter und (Schwieger-) Väter bei der faena, bei Festen oder auch bei politischen Versammlungen zu vertreten – ihre dortige Anwesenheit hilft ihnen womöglich selbst Kontakte zu knüpfen und ihre eigenen Netzwerke zu errichten bzw. ihre Interessen voranzutreiben, aber auch ihre Kompetenz herauszustellen –, so stellt sich die Situation anders dar, wenn umgekehrt von ihnen verlangt wird, dass sie zu Hause bleiben und die zu verrichtenden Alltagsaktivitäten im Maisanbau, seiner Verarbeitung u.a. übernehmen. Mehrmals beklagt Ana Isabel, dass ihre Schwiegereltern ständig unterwegs seien und sämtliche Hausarbeiten ihr, 23 Die Arbeit am Maisfeld oder Verkaufstätigkeiten am Markt lassen sich in ihrer Dauer ebenso wenig festlegen, bieten aber mehr Möglichkeit, gegebenenfalls einfach früher aufzuhören, wenn beispielsweise der Besuch der comadre aus Puebla Stadt angesagt ist. 24 Dieses Programm der mexikanischen Regierung soll die Armut im Land verringern. Gegründet wird es 2002; ihm geht das 1997 ins Leben gerufene Progresa voran. Im Gegenzug für den Nachweis, dass die Kinder regelmäßig die Schule besuchen, sich die Familie medizinisch untersuchen und versorgen lässt, etc., werden an die Mütter bzw. an ausgewählte Personengruppen kleinere Geldbeträge vergeben (Tz 7 8.10. 2013; Tz 16 17.10.2013; vgl. auch URL 46).

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die Arbeiten auf der milpa weitestgehend ihrem Mann überlassen würden (Feldnotizen 15.8.2004; et al.; vgl. auch Tz 16 7.2.2005: 731-9). Besonders konfliktbehaftet sind folgerichtig jene Veranstaltungen oder Arten von Aktivitäten, zu denen nur bestimmte Personen gehen können, und die noch dazu der Stärkung von deren Prestige und Autorität in der Gemeinde dienen (Feldnotizen 19.9.2007; et al.). Allgemein gilt die Regel, dass sich das Haushaltsvorstandsehepaar in Abwesenheit von den erwachsenen, verheirateten, aber zum Haushalt gehörenden Kindern und deren Ehegatt_inn_en vertreten lässt, bzw. von der verwitweten, mit im Haus lebenden alten Mutter. Gibt es zwei Herde und somit Haushalte oder insgesamt nur ein Ehepaar, dann sind die erwachsenen, im Haus lebenden, unverheirateten Kinder zuständig. Die Aufgaben werden geschlechtlich zugewiesen, die Verantwortung ihrer Durchführung entsprechend dem relativen Alter übernommen (Feldnotizen 24.8.2004; et al.). Da die Arbeit von Frauen kontinuierlicher und permanent zu verrichten, die der Männer hingegen auf bestimmte Zeitpunkte konzentriert ist, sind es v.a. die Tätigkeiten ersterer, die unbedingt gemacht werden müssen und nicht verschoben werden können. Abgesehen davon, werden für männliche Arbeiten häufiger Arbeitskräfte angeworben und bezahlt, als für weibliche (Feldnotizen lfd.). Für nicht aufzuschiebende Tätigkeiten gibt es, neben den oben beschriebenen, noch weitere, mehr oder weniger eingespielte, Verhaltensweisen, wie damit umgegangen wird, wenn die dafür zuständige zentrale Arbeitskraft im Haus fehlt. Dabei kann die gewählte Vorgangsweise gegebenenfalls auch von der in der Literatur beschriebenen geschlechtlichen Arbeitsteilung (vgl. u.a. Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 102-4) abweichen. Ist beispielsweise die Hausfrau weg und keine andere Frau anwesend, dann übernimmt in vielen Fällen der Haushaltsvorstand selbst die Versorgung der im Haus verbliebenen Kinder und eventueller Gäste (Feldnotizen 24.7.2004; et al.). „Juan kocht irgendwas, rührt in einem großen Topf“ notiere ich in meinem Tagebuch (Feldnotizen 24.7.2004). Und weiter, am folgenden Tag: „Er bereitet nicht nur Serviettenständer zur weiteren Bearbeitung vor und schwatzt dabei mit einem Nachbarn, sondern wärmt auch tortillas für uns [d.h. für seine Enkelkinder, seinen zehnjährigen Sohn sowie für meine Tochter und mich], achtet darauf, dass alle Kinder essen – dabei ist er ziemlich streng, v.a. über seinen Sohn ärgert er sich, da dieser, seiner Auffassung nach, zu wenig isst –. Anschließend wäscht er das Geschirr.“ (Feldnotizen 25.7.2004)

Ist auch der Haushaltsvorstand verhindert, so ist sein ältester Sohn zuständig (z.B. Feldnotizen 11.11.2011 et al.). Ist sonst niemand da, dann kann es auch vorkommen, dass der zehnjährige Sohn einspringt (Feldnotizen 31.1.2006). „Im Haus ist nur [der jüngste Sohn] Manuel und sieht fern. Die anderen sind in der Kirche – wegen der mayordomía, bestätigt er auf mein Nachfragen. Manuel fragt, ob wir essen wollen, richtet das Feuer, um uns die tortillas zu wärmen.“ (Feldnotizen 8.8.2009)

Geschlechtlich vorgegebene Zuständigkeiten werden also gegebenenfalls von andersgeschlechtlichen Personen übernommen, wobei hier, analog zu anderen Kontexten, Position und relatives Alter relevant sind. D.h. die Hauptverantwortung liegt beim Haushaltsvorstand, in seiner Abwesenheit beim ältesten, bzw. jeweils nächstältesten, bis hin zum jüngsten Sohn.

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Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich die, bereits in Kapitel V.2.3 festgestellte, Privilegierung von Haushalten mit mehr als einem Ehepaar, trotz des damit einhergehenden erhöhten innerhäuslichen Konfliktpotentials. In solchen Häusern ist es problemlos möglich, den kurzfristigen Ausfall der Arbeitskraft des Haushaltsvorstands, wie auch der Haushaltsvorständin zu kompensieren. Besteht der Haushalt insgesamt nur aus einer oder zwei Personen, so sind zwar weniger Tätigkeiten zu verrichten, es gibt aber auch (fast) niemanden im Falle von Abwesenheit, diese zu übernehmen. Hier ist es am ehesten notwendig, dass Frauen Männerarbeit und Männer Frauenarbeit verrichten.25 Aber selbst wenn es nicht unbedingt notwendig ist, wird, wie wir gesehen haben, auch in einigen der größeren Haushalte, von den im Haus lebenden Männern erwartet, dass sie kleinere Haushaltsaktivitäten durchführen. Neben der Selbstbedienung in der Küche, zu der alle Haushaltsmitglieder, sofern dazu körperlich und geistig in der Lage, angehalten sind und dem Waschen der eigenen Wäsche durch Söhne, ab dem Alter von acht, neun Jahren, helfen Ehemänner in vielen Familien auch dezidiert ihren Gattinnen in der Küche (Feldnotizen lfd.). Miguel, der lange Zeit aktiv in der Menschenrechtsorganisation Takachiualis ist, stellt im Zuge des Bohnenauslösens für die Abendmahlzeit scherzhaft fest, es gäbe Menschenrechte, und diese besagten, dass Männer ihren Frauen bei der Arbeit helfen (Tzm 10 22.9.2013). Ob Männer Frauenarbeiten übernehmen oder sich zumindest daran beteiligen, ist nicht in allen Haushalten gleich geregelt. Es lässt sich eine große Bandbreite von Umgangsformen finden, von der häufigen und aktiven Mithilfe bzw. Übernahme (siehe oben), bis zur völligen Verweigerung von Hausarbeiten seitens der männlichen Hauseinwohner. 26 Tendenziell helfen Männer ihren Frauen eher in Familien mit gleichberechtigten Gender-Strukturen, jedoch kann umgekehrt, im Falle einer strikten Einhaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, nicht automatisch auf männliche Dominanz geschlossen werden (siehe Unterabschnitt in Kapitel VI.1.1.6). Die Selbstdefinition der Frauen als vendedora, campesina, Lehrerin, etc., oder aber (eher unüblich) als Hausfrau und die jeweils damit einhergehenden Tätigkeiten und Einkommensmöglichkeiten spielen eine große Rolle, ob und in welchem Ausmaß die Unterstützung der männlichen Haushaltsmitglieder eingefordert wird. Wenn auf der anderen Seite Männerarbeiten eher selten von Frauen durchgeführt werden, so ist dieser Umstand nicht notwendigerweise auf die innerhäuslichen Dominanzverhältnisse oder die berufliche Selbstdefinition der Männer zurückzuführen, sondern steht in Verbindung mit der ohnehin hohen und v.a. durchgängigen Arbeitsbelastung der weiblichen Gesellschaftsmitglieder. Erkennen lassen sich jedenfalls in der Gesellschaft vorherrschende und in die Familien hineinwirkende Hierarchien des Geschlechts, des Haushaltsstatus, des Alters, u.ä. in der oben beschriebenen Übergabe der Verantwortung, zur Durchführung notwendiger Tätigkeiten bei Abwesenheit (siehe dazu auch Kapitel V.3, insbesondere V.3.1). Die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse von Dominanz und Unterordnung spiegeln sich insbesondere in den Möglichkeiten sich dieser Verpflichtung zu verweigern, bzw. sie an andere Haushaltsmitglieder weiterzugeben. Der Haushaltsvorstand kann sich im Falle der Absenz seiner Frau der Hausarbeit entziehen, indem er 25 Z.B. Hh 5/2005-2013; Hh 8/2003-2009; Hh 16/2006; et al. 26 Z.B. Hh 3/lfd., Hh 10/lfd., et al.

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sie einer anderen Person im Haus überträgt bzw. bleibt die Arbeit u.U. bis zur Rückkehr der Hausherrin liegen. Die Haushaltsvorständin kann ihren Mann ersuchen, ihr zu helfen, ob er das tut, bleibt ihm überlassen. Abgesehen vom gestörten häuslichen Frieden, gibt es keinerlei gesellschaftlichen Druck, ihn dazu zu bringen. Im Gegenteil können Männer, mit Verweis auf die Vernachlässigung von Haushaltsaktivitäten, ihren Frauen eine Lohnarbeit oder auch die Beteiligung in einer politischen Gruppierung verweigern oder gar die Scheidung androhen (Tz 16 7.2.2005: A 061-5). Von ihren Söhnen kann eine Frau erwarten, dass diese ihre eigene Wäsche waschen, etc., sie kann sie aber nicht dazu verpflichten, auch die Reinigung der Kleider und anderer Dinge ihrer Schwestern, Väter oder anderer Hauseinwohner_innen zu übernehmen. Töchter und Schwiegertöchter sind in der Regel ebenfalls nur mit ihrer eigenen Wäsche bzw. der ihrer Ehemänner und Kinder befasst, sie sind aber, aus Sicht der Familie wie auch der Gesamtgesellschaft, zur Mitarbeit in der Küche und bei der Hausreinigung verpflichtet (Feldnotizen lfd.). Im Unterschied zur Schwiegertochter kann sich die Tochter dieser Beteiligung an der Hausarbeit zumindest partiell, zugunsten ihrer Ausbildung oder auch ihres Jobs, entziehen. Beispielsweise hat Angelica wiederholt Streit mit ihren Schwiegereltern, weil sie zeitweise in einem Copy-Shop arbeitet (vgl. Feldnotizen 7.2.2005, et al.), während María, die im Haus lebende erwachsene Tochter des Haushaltsvorstandsehepaares, fünf Tage die Woche von sieben Uhr morgens bis sieben oder acht Uhr abends, berufsbedingt außer Haus ist. Selbst die häufige, ebenfalls mit ihrem Job in Verbindung stehende Abwesenheit letzterer an den Wochenenden und die daher insgesamt sehr geringe Beteiligung Marías an der Hausarbeit, wird seitens der Hausleute ohne Murren akzeptiert (Feldnotizen 2011, 2013). Wenn wir nun kurz zusammenfassen und darauf aufbauend unsere Analyse, betreffend der sich verändernden bzw. gleichbleibenden Macht- und Autoritätsverhältnisse fortführen, so zeigt sich, dass es einerseits notwendige Absenzen einzelner Haushaltsmitglieder gibt, die zwar möglicherweise ein wenig Geld (im Falle von Oportunidades) oder andere Vorteile (wie bessere Straßen und Wege im Falle der faena, ein Schulbuffet im Falle der Schulversammlung, etc.), aber kein Prestige bringen. Zur Erhöhung der personhood tragen sie indirekt bei, da neue Kontakte geknüpft bzw. alte verstärkt und ausgeweitet werden können. Andererseits bringt die Teilnahme am politisch-religiösen cargo-System (als Tänzer_in, als Vorsitzende_r des Wasserkomitees, etc.) Einzelpersonen und, in vielen Fällen auch den mit ihnen verbundenen Haushalten, soziales Ansehen und stärkt somit ihre personhood und Autorität in der Gemeinde. Insbesondere Schwiegertöchter, die, wie wir u.a. in Kapitel V.1.2.3 gesehen haben, eine besonders schwierige Position im Haushalt einnehmen (siehe auch Kapitel V.2.1), sehen zwar ihre ersatzweise Teilnahme an den Küchenarbeiten im Rahmen einer Festeinladung als Möglichkeit an, die eigene personhood und die ihrer Familie voranzutreiben (indem sie die Gelegenheit nutzen eigene Netzwerke aufzubauen). Die Übernahme der im Haus notwendigen Tätigkeiten, um den Hausleuten die Teilnahme an einer politischen Versammlung, an einer Festeinladung, etc. zu ermöglichen, lehnen sie aber ab. Auf der einen Seite sind sie dazu, aufgrund ihres innerfamiliären Status verpflichtet, auf der anderen Seite sehen sie sich im Zuge der Stärkung ihrer eigenen personhood (durch Kinder, eigenes Einkommen, etc.) zunehmend in der Lage, sich gegen diese Verpflichtung zur Wehr zu setzen,

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bzw. diese zu hinterfragen. Innerhäusliche Konflikte, die schließlich zur Aufspaltung der Hausgemeinschaft führen, sind die Folge. Die Situation von erwachsenen verheirateten wie auch unverheirateten Söhnen und Töchtern stellt sich insofern etwas anders dar, als ihnen im Unterschied zu Schwiegertöchtern, erstens eigene Beteiligungen an Tänzen oder in Komitees zugestanden wird und zweitens ihre Weiter- bzw. Ausbildung bzw. Berufstätigkeit als Grund geringerer Mitarbeit im Haushalt in vielen, wenngleich nicht in allen Familien, akzeptiert wird. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass die Schulbildung eines Sohnes_einer Tochter in ökonomisch prekären Zeiten abgebrochen werden muss (Tzm 34 31.1.2006) bzw. insbesondere in der Vergangenheit vielen Mädchen der Besuch der secundaria verweigert wird (vgl. u.a. Tz 16 7.2.2005: 173-182, 465-474; siehe auch Manzanares 2004: 32). Gesamt gesehen sind größere Haushalte gegenüber kleineren im Vorteil. Einheiten mit (zu) wenigen Erwachsenen haben stärkere Probleme, das personing ihrer Mitglieder über die Teilnahme an Komitees, Tanzgruppen, etc. voranzutreiben, als solche mit mehreren Männern und/oder Frauen. Damit einhergehend ist die Tatsache, dass potentiell ältere Menschen begünstigt sind, da nur sie erwachsene, im Haus lebende Kinder haben können, während jüngere – sofern sie bereits über einen eigenen Haushalt verfügen – meist kleine Kinder, die sie versorgen müssen, d.h. keine Arbeitsunterstützung sondern eine höhere Belastung, haben. Ausgeglichen werden kann eine geringe Zahl arbeitsfähiger Erwachsener über ökonomische Ressourcen, indem die benötigten Arbeitskräfte von außen hereingeholt und somit bezahlt werden. Letzteres ist v.a. bezogen auf männliche Tätigkeitsbereiche der Fall, weibliche Arbeiten werden u. U. auch von Männern durchgeführt. Fehlen diese Mittel, dann müssen auch Frauen – trotz ihrer ohnedies hohen Arbeitsintensität – männliche Tätigkeitsfelder übernehmen (vgl. Tz 22 9.10.2013). VI.1.2.2 Mehrmonatige und -jährige, aber vorübergehende studien-, lohnarbeits- und militärdienstbedingte Absenzen Die Arbeitsbelastung einer Frau, in einem solchen single familiy-Haushalt mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern und nur geringen Ressourcen, steigt weiter an, wenn der Mann für mehrere Monate nach Puebla- oder Mexiko-Stadt oder gar in die USA migriert. Nicht nur ist sie für die Dauer seiner Abwesenheit für sämtliche Hausund Erziehungsarbeit – inklusive der damit verbundenen häufigen Versammlungen der Schule, wie auch von Oportunidades – alleine zuständig, auch die Einhaltung der faena muss von ihr organisiert und ein etwaiger Vertreter ihres Mannes bezahlt werden. Dazu kommen soziale Verpflichtungen der Teilnahme an Festen und Totenfeiern, zur Schaffung und Erhaltung der notwendigen Netzwerke. Sie muss sich darüber hinaus alleine um die Besorgung des zum Kochen notwendigen Brennholzes, wie auch die Erwirtschaftung des Haushaltseinkommens kümmern. In solchen Familien werden Kinder verstärkt herangezogen Holz zu suchen, Kunsthandwerkprodukte herzustellen und zu verkaufen u.ä. Die Hausherrin hat sämtliche Autorität im Haushalt, aber auch sämtliche Verantwortung für sein Funktionieren und seine Erhaltung. Beides – Autorität und Verantwortung – gibt sie in der Regel zumindest teilweise, nach Rückkehr des Gatten, an diesen ab. War seine Reise ökonomisch erfolgreich, so können die finanziellen Mittel in den Ausbau des Hauses, den Erwerb von Werkzeugen und Geräten zur effizienteren Herstellung von (Kunst-)Handwerksprodukten und die

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Abhaltung der einen oder anderen mayordomía bzw. eines anderen Festes gesteckt werden. Wird durch letzteres die personhood des gesamten Haushalts in der Gemeinde erhöht, so wirken sich die, in der Migration gemachten Erfahrungen, womöglich auf das Selbstbewusstsein des Mannes aus. Zum einen sind diese negativ, ist er doch abseits der Heimatgemeinde besonderen Diskriminierungen ausgesetzt (vgl. u.a. Tzm 44 13.9.2007). Beispielsweise notiere ich die Erfahrungen von Eusebio: „Es war schwer in den USA – mit Englisch tat er sich schwer, verstand die Befehle der Vorgesetzten oft nicht. Aber die anderen Lateinamerikaner halfen ihm. Er gewann Freunde, z.B. aus Puerto Rico. […] Eusebio erklärt, dass das Leben hier [in Tzinacapan] besser sei, als in den USA. Hier habe er sein Auslangen, seine Arbeit, seine Musik, hätte keinen Chef, könne sich die Zeit selbst einteilen und würde nicht rassistisch beschimpft. Auch wenn es natürlich auch in Mexiko Rassismus gäbe: gegenüber Indigenen, gegenüber Dicken, gegenüber Dünnen…“ (ibid.)

Zum anderen sind die gemachten Erfahrungen in ihrer Wirkung positiv, da er andere Lebensformen, andere Produkte und Arbeitsweisen kennenlernt (ibid.): „Aus den US hat er kein Geld, aber Wissen mitgebracht“, bemerkt Eusebio einige Jahre später (Tzm 44 16.11.2011). Letzteres kann zu einer Erhöhung seiner personhood führen. Die Zeit der Alleinverantwortung für Haus und Kinder hat jedoch auch die Selbstsicherheit seiner Frau gestärkt, 27 d.h. beide gewinnen an Fähigkeiten und Kompetenz. Ob das als Chance angesehen und weiterentwickelt wird, oder zu Spannungen und Auseinandersetzungen führt, hängt von der Qualität der Beziehung der beiden ab, von ihrer gegenseitigen Wertschätzung oder dem Bestreben die_den anderen unterzuordnen. Lebt eine Frau, während der Abwesenheit ihres Mannes, im Haus der Schwiegereltern, so ist ihre Arbeitsbelastung und Verantwortung geringer, dafür ist sie der Autorität der Schwiegereltern unterstellt. Letztere machen womöglich die Schwiegertochter für die Reise des Sohnes und die damit verbundene fehlende Arbeitskraft verantwortlich. Die Rückkehr des Gatten wird seitens der Frau umso sehnsüchtiger erwartet, als mit dem von ihm verdienten Geld die Errichtung eines eigenen Hauses und die damit einhergehende Unabhängigkeit und soziale Vollständigkeit einher gehen kann (vgl. dazu auch Pauli 2008: 177-8). In ähnlicher Weise treibt der mehrjährige Aufenthalt in Puebla-, Mexiko- oder einer anderen Stadt zu Studienzwecken das personing junger Leute voran, vorausgesetzt, sie können ihre Ausbildung beenden und in eine adäquate Beschäftigung umsetzen. Denn letztere bildet – über das dadurch erwirtschaftete Einkommen – eine wichtige Basis für die Errichtung eines eigenen Haushalts und die Beteiligung am Ämtersystem. Im Elternhaushalt macht sich ihre Abwesenheit vor allem dann negativ bemerkbar, wenn es keine weitere erwachsene Person gibt, die der Mutter_dem Vater zur Hand gehen oder diese_n vertreten kann. Ähnliches gilt für die militärbedingte Abwesenheit von Söhnen. Trotzdem das Militär als Möglichkeit gilt, auch ohne Schulabschluss Karriere zu machen und ein einigermaßen anständiges Einkommen zu erwirtschaften (Tz 13 11.10.2013; Tzm 13 14.10.2013), nutzen nur wenige junge 27 Hierzu, wenngleich für eine andere mexikanische ländliche Gemeinde, sowie die allgemeine Debatte reflektierend, vgl. Pauli (2008: 171-2).

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Männer diese Möglichkeit. Vermutlich ist der geforderte Bruch mit der Herkunftsgemeinde zu groß. Darüber hinaus sind sie als Indigene besonderen Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt (Tzm 44 13.2.2005; Tz 13 17.9.2007). Die meisten kehren folglich nach einem, zwei oder drei Jahren nach Cuetzalan zurück, beenden ihre Ausbildung oder arbeiten am Feld oder in der Werkstadt des Vaters. Dennoch fürchten Väter, vor allem aber Mütter, dass ihre Kinder, wenn sie einmal aus dem Munizipio weggehen, nicht wieder zurückwollen, sich in der Stadt oder mit einem_einer Städter_in verheiraten. Besondere Angst haben Eltern mit nur einem Sohn oder einer Tochter: „[…] si mi hijo fue par arriba (Pause) fue a trabajar, (Pause) fue al militar (Pause) va a encontrar a una señora de por allí, una muchacha, y que no puede moler (Pause) y para mi (Pause) quien me da a m– moler ((lachen)) ( ) DEJE comprar para comer [si ( ) una de la ciudad no puede] Si, de la ciudad, ((lachend)) no es igual de aquí. (Pause) De aquí una muchacha que encuentra, ps ella sabe el, siempre sabe el ( ) Que no que va a hacer. Y si no, (Pause) si no te gusta ps puedes así [así es] Aso (lange Pause) pero si no (Pause) en la ciudad (Pause) ps no es igual [no es igual] No es igual (längere Pause) oje:, los mujeres, las muchachas pos siempre (Pause) por costumbre moler (lange Pause) a de barrer, pueden hacer muchas cosas (längere Pause).“ (Rufina) (Tz 5 14.2.2005: 468-482)

Auffallend an Rufinas Äußerung ist, dass sie in erster Linie die potentielle Unterstützung durch die künftige Frau des Sohnes thematisiert, nicht die durch den Sohn. Dabei geht sie weniger davon aus, dass der junge Mann nicht mehr in die Gemeinde zurückkommt, sondern, dass er seine (aus ihrer Sicht unfähige, weil nicht aus der Region stammende) Frau mitbringt. Denn Eltern, insbesondere Mütter, nutzen in der Regel die gesellschaftliche Norm für sich, dass Kinder für die Versorgung ihrer (alten) Eltern zuständig sind. Insbesondere, wenn es nur einen Sohn gibt: „Pos no creo que se queda porque como es el único (Pause) si es el único (tiene la) y o como le llige (responsibilidad) te digo vas a ir estudiar pero no te no te piensas que te vas a quedar allí. El estudio si vas a ir le digo por allá de tu trabajo que: (Pause) el estudio que estás haciendo vas estudiar. Te tienes que regresar, ya de que aunque estás viajando si CON EL ES trabajo pero (Pause) por lo menos ya tu te ya dejes también de cuidar de nosotros (Pause) ››EN DE COMO YO‹‹ va a quedar solita (Pause).“ (Tz 6 16.2.2005: 295-306)

Dennoch gibt es Familien, in denen Söhnen misstraut wird (wie das auch im Zitat von Rufina anklingt). Gelten diese doch als weit weniger zuverlässig als Töchter (Tz 19 10.10.2013).28 Es wird daher in besonderem Maße darauf geachtet, dass, entgegen der allgemeinen virilokalen Tendenz, zumindest eine Tochter im Haus oder zumindest in der Nähe der Wohnstatt bleibt. Aus diesem Grund muss Manuela ihren Plan in Tlaxcala Gesundheitswissenschaft zu studieren, auf Wunsch der Eltern, aufgeben 28 Woodrick (1995: 220) verweist auf eine, von feministischen Forscherinnen, bezogen auf Mexiko festgestellte Tendenz, dass Frauen ihren Töchtern stärker vertrauen, als ihren Söhnen, da die emotionale Abhängigkeit der Frauen von Männern, insgesamt eher gering ist. Damit sind umgekehrt für die Töchter ihre Mütter die einzige Quelle unbedingter Liebe und Sicherheit.

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(Feldnotizen 6.-12.2.2006), wie auch ihre Cousine davon abgehalten wird, nach Puebla zum Arbeiten zu migrieren (Feldnotizen 8.10.2013). Sie ist die einzige Tochter; ihre Mutter braucht sie, wird in beiden Fällen wiederholt hervorgehoben (vgl. auch Feldnotizen 7.8.2009). Denn, wie schon mehrmals erwähnt, helfen die im Haus lebenden und mitarbeitenden Töchter und Schwiegertöchter der Hausherrin – neben der von meiner Interviewpartnerin Rufina genannten wichtigen Arbeit, die sie leisten – bei der Weiterentwicklung ihrer personhood und der ihres Haushalts, Söhne und Schwiegersöhne bei der des Hausherrn (und des Haushalts). Darüber hinaus ist die emotionale Bindung zwischen Müttern und Töchtern in vielen (wenn auch nicht in allen) Familien eine besonders enge und herzliche. VI.1.2.3 Mehrtägige Geschäftsreisen sowie Verwandtenbesuche und Vergnügungsreisen Mehrtägige Geschäftsreisen Besonders wichtig sind vom Haushaltsvorstandsehepaar abhängige, aber arbeitsfähige Männer und Frauen in jenen Haushalten, die einen Gutteil des Einkommens aus dem Verkauf von artesanía erwirtschaften. Wie in Kapitel IV.2.6 ausgeführt, wird es aufgrund des wachsenden Ungleichgewichts zwischen Verkäufer_inne_n und Tourist_inn_en immer wichtiger, neue Märkte zu erschließen, u.a. indem Geschäftsreisen nach Tecolutla, Tlaxcala, etc. gemacht werden. Aufgrund der Entfernung müssen für solche Geschäftsreisen drei bis vier Tage veranschlagt werden. Während dieser Zeit werden sämtliche im Haus anstehenden Arbeiten von den zurückgebliebenen Haushaltsmitgliedern gemacht, was wiederum die potentiellen Konfliktachsen zwischen den Generationen verstärkt. Denn das Einkommen aus dem Verkauf von Kunsthandwerksprodukten kann nicht nur dazu verwendet werden, Häuser zu errichten oder auszubauen, sondern auch für die Ausbildung der Kinder, sowie die Durchführung einer mayordomía, oder auch für andere prestigeträchtige und in Folge personhood stärkende Ereignisse. Damit ist die Möglichkeit solche Reisen durchführen zu können oder nicht, von entscheidender Relevanz. Das erklärt, warum Gabriella verärgert feststellt, dass ihre Schwiegermutter wegfahren kann, obwohl sie so viele Hühner hat, sie selbst hingegen zu Hause bleiben muss (Feldnotizen 3.2.2006). Erst wenn die Eltern zu alt sind, ihre Rolle als Haushaltsvorstandsehepaar auszuüben, ist es der, mit im Haushalt lebenden, Folgegeneration erlaubt, selbst Geschäftsreisen unternehmen. Dann ist es womöglich die Schwiegermutter, die die Aufgaben ihrer Schwiegertochter übernehmen und u.U. auf die Enkelkinder aufpassen muss. Die Bedeutung solcher Reisen zeigt sich darin, dass viele mit ihnen einhergehende Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden. So gibt es in Tecolutla spezielle Quartiere, die von den Cuetzaltec@s dauerhaft gemietet werden. Dabei sind diese Unterkünfte von ausnehmend schlechter Qualität, überteuert und folglich überbelegt (Feldnotizen 27.-29.1.2006). Der Aufenthalt wird weiter erschwert durch die rassistische Grundhaltung, gepaart mit einer gewissen Geldgier, die den Indigenen seitens ihrer Vermieter_innen entgegengebracht wird. Selbst einer sehr niedrigen sozialen Schicht zugehörig, betrachten die Haus- oder besser Barackenbesitzerin und ihre bereits zu Mittag betrunkenen Söhne einer dieser Unterkünfte, die maseualmej als sozial weit unter ihnen stehend. In Übereinstimmung mit den in Mexiko weit verbreiteten

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Vorurteilen, dass Indigene schmutzig, unzivilisiert und unehrlich seien, gibt es genaueste Regeln betreffend die Benutzung der desolaten Toilette und es wird peinlich genau darauf geachtet, dass die Miete bereits vor dem vereinbarten Termin bezahlt wird (Feldnotizen 28.1.2006, 29.1.2006). Bereits am Weg nach Tecolutla (aber auch anderswohin), sind die vendedor@s mit solchen und anderen Ressentiments konfrontiert. Selbst von freundlich gesinnten Tagelöhnern werden weibliche Nahua mit dem etwas abschätzigen Terminus „María“ angesprochen (Feldnotizen 27.8.2004). Eine Frau, die in der Nähe der Busstation in Tehuantepec einen Laden führt, wundert sich, wie ich denn bei Indigenen wohnen könne. „Son pobres. No hay comodidades“ bemerkt sie. Es gäbe kein Bad, keine Bequemlichkeit. Und die Frauen könnten nicht kochen (ibid.). Solche Vorurteile, verknüpft mit Anfeindungen und Diskriminierungen, sind es vermutlich, die dazu führen, dass während der Fahrt und am Reiseziel selbst, zwischen den vendedor@s aus Tzinacapan und Umgebung, große Solidarität und Verbundenheit herrscht. Sie tauschen Informationen aus, teilen Essen und Trinken, passen gegenseitig auf ihre Ware auf, etc. (Feldnotizen 28.1.2006, 29.1.2006). In noch größerem Ausmaß als zu Hause, übernehmen Männer auf solchen Geschäftsreisen die erforderlichen Frauenarbeiten und umgekehrt. Personen beiderlei Geschlechts kaufen ein, verteilen Essen, auch an Nicht-Verwandte aus Tzinacapan und Umgebung, richten die Betten; nur zum Wasserholen für die Toilette werden bevorzugt Männer geschickt (Feldnotizen 27.-29.1.2006). Abgesehen davon, ist alles Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet, in der kurzen Zeit des Aufenthalts, möglichst viel zu verkaufen, d.h. die Verkäufer_innen von Kunsthandwerksprodukten schlafen und essen kaum und sind stundenlang in der Hitze, am heißen Sand unterwegs – viele der Frauen barfuß (ibid.). Dementsprechend erschöpft sind sie nach ihrer Rückkehr, wo die im Haus lebenden Verwandten, während ihrer Abwesenheit, ihre Arbeiten und Aufgaben übernommen haben (siehe u.a. Kapitel VI.1.2.1; Feldnotizen 27.-29.8.2004; 3.2.-6.2.2006, 17.2.2006-20.2.2006; 14.9.-16.9.2007 et al.). Verwandtenbesuche und Vergnügungsreisen Verwandtenbesuche und Vergnügungsreisen in mehrere Stunden Fahrzeit entfernte Städte sind im Prinzip weniger konfliktbehaftet als die eben beschriebenen Geschäftsreisen, bringen sie doch weder Einkommen und nur geringes Prestige. Auch in diesem Zusammenhang sind maseualmej häufig Diskriminierungen ausgesetzt, was dazu führt, dass ältere Menschen, nur wenn es unbedingt nötig ist, das Munizipio verlassen. Junge Leute hingegen, die in der Regel sehr gut Spanisch sprechen, schützen sich durch westlich-moderne Kleidung und Frisuren, wodurch sie nicht sofort als Indigene zu erkennen sind. Da ihre Anwesenheit zu Hause jedoch in vielen Fällen erforderlich ist, sind ihre Reisemöglichkeiten in der Regel auf seltene Absenzen und nur für wenige Tage begrenzt. Spannungen und heftig(er)e Auseinandersetzungen gibt es dann, wenn Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern nach Mexiko Stadt oder anderswohin fahren (Feldnotizen 11.9.2007). Sind gar ein Mädchen und ein Bursche zusammen unterwegs, dann kommt es vor, dass beispielsweise der Vater des Mädchens ihnen nachreist und die beiden in die Heimatgemeinde zurückholt. In Folge kann das zu Feindseligkeiten zwischen den Familien führen (allerdings nicht, wie

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in der Vergangenheit, zu einer automatischen und somit gewissermaßen erzwungenen Heirat der jungen Leute) (Feldnotizen 11.10.2013).29 VI.1.2.4 Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen Abgesehen von den zuletzt genannten Fällen, die die Rebellion der Jungen gegen vorgefertigte Strukturen zum Ausdruck bringen, gibt es, wie in diesem Abschnitt der Arbeit deutlich wurde, während kurzfristiger Abwesenheiten, unabhängig von ihrer Dauer, allgemeine Regelungen, wer in Abwesenheit der Hausleute für welche Arbeit zuständig ist. Darüber hinaus existieren Haushalte, in denen – aus Notwendigkeit aufgrund der geringen Haushaltsgröße, aber auch als Zeichen gegenseitiger Wertschätzung und um Überbeanspruchung v.a. der Partnerin zu verhindern – Männer Frauenarbeit, seltener Frauen Männerarbeit, verrichten. Abgesehen davon, besteht eine Hierarchie des relativen Alters, wie auch des Verwandtschaftsstatus in Hinblick darauf, wer wann und von wem, zu welchen Tätigkeiten herangezogen werden kann. Insbesondere junge Schwiegertöchter ohne eigene Ressourcen, haben in der Regel wenig Möglichkeiten, sich derartigen Verpflichtungen zu entziehen, wobei es im Laufe der Jahre, wenn sie älter werden, eigene Einkommensformen entwickeln und ihre personhood wächst, zu immer häufigeren und heftigeren Auseinandersetzungen mit den Schwiegereltern kommen kann. Stellen sich ihre Männer auf Seite ihrer Eltern, so resultiert das in Konflikten zwischen den Eheleuten (siehe Kapitel V.2.1). Nach und nach gelingt es den meisten Frauen dennoch, ihre Gatten von der Notwendigkeit einer Loslösung vom Herkunftshaushalt, zu überzeugen. Zur Erlangung der dafür notwendigen Mittel greifen manche Männer auf die Möglichkeit der Migrationsarbeit zurück, was zunächst die Spannungen zwischen seiner Frau und seinen Eltern erhöht, im Endeffekt, nach erfolgter Trennung der Haushalte, aber die personhood des Paares stärkt. Eine andere Möglichkeit, das nötige Geld für die Errichtung eines eigenen Hauses zu verdienen, bieten Geschäftsreisen nach Tecolutla, Tlaxcala, etc. Da in vielen Haushalten jedoch auch die Elterngeneration einen wichtigen Teil ihres Einkommens aus der Herstellung und dem Verkauf von artesanía erwirtschaftet, ergibt sich daraus ein weiteres Konfliktpotential. Insgesamt spielt die Art und Weise einer Tätigkeit eine Rolle in Hinblick darauf, ob diese bereitwillig oder mit Murren und Widerwillen übernommen wird. Schwiegertöchter, aber auch andere Haushaltsmitglieder sind bereit, anstelle der Hausfrau, eine Versammlung zu besuchen, ihre Aufgaben, im Rahmen einer mayordomía oder eines anderen festlichen Anlasses, zu übernehmen, etc. Denn diese Gelegenheiten können zur Ausweitung der eigenen Netzwerke genutzt werden, während umgekehrt die Verpflichtung, die liegengebliebenen Haushaltsaktivitäten zu übernehmen, die Vorantreibung eigener personhood eher behindert.

29 Argueta (1994: 236) führt, neben der „traditionellen“ Variante der Heirat, in der die Frau erbeten wird, auch an, „[c]uando se roban a la muchacha“.

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VI.1.3 Kurzfristige Transformationen von Haushalten als personelle und räumliche Ausweitung von Haushalten Neben den, in Kapitel VI.1.1 und VI.1.2 ausgeführten Auswirkungen von kurzfristigen Transformationen der Haushaltszusammensetzung auf interne Machtgefüge, lassen sich in diesem Kontext noch weitere wichtige Aspekte erkennen. Wie in Zusammenhang mit der compadrazgo festgestellt (Kapitel V.4.1 und V.4.2), zeigt sich eine Bedeutung des Austauschs von Arbeit und Essen für Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft. Über gemeinsames Arbeiten und Essen, den Austausch von tekit/chiualis, verbunden mit Respekt und Liebe, erfolgt in vielen Fällen eine Ausweitung des Haushalts. Das Vorhandensein letzterer – takachiualoni und tasojtalis – ist es womöglich, was die Tätigkeit der Arbeiter am und im Haus, von denen am Feld und vor allem von den diputad@s, sowie den geladenen Helfer_inne_n bei Festen unterscheidet, so dass erstere, trotzdem sie für das und im Haus arbeiten, keine Mitglieder desselben werden. Letztere hingegen erlangen für die Dauer ihrer Mitarbeit (und des damit verbundenen „Mitessens“) zumindest partielle Integration. Diese teilweise Eingliederung zeigt sich in den Verhaltensweisen und damit verbunden, den zugänglichen Räumlichkeiten. Größere Nähe impliziert zwangloseren Umgang mit gesellschaftlich vorgegebenen Normen ebenso, wie den Zugang in den „innersten Raum des Hauses“, die Küche. In rituell formalisierten Kontexten wird jedoch, auch unter Personen, die solcherart in den Haushalt integriert sind, auf die Einhaltung von Normen geachtet, wenngleich es auch hier immer wieder zu Abweichungen kommen kann und kommt. Kurzfristige Absenzen von Haushaltsmitgliedern stellen keine Reduktion der Haushaltsgröße dar, die Mitglieder gehören, unabhängig von ihrem Aufenthalts- und Arbeitsort, weiterhin dazu. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Ausweitung des Haushalts auf andere Örtlichkeiten. Im Falle von faenas, mayordomías und anderen derartigen Ereignissen, kommt es womöglich zu einer Überschneidung, teilweise einem zeitweiligen Verschmelzen verschiedener Haushalte, wenn diese Mitglieder, zur Durchführung bestimmter Aufgaben im Rahmen eines größeren Vorhabens, bereitstellen. Mit Monaghan (1996) könnte hier von einem „großen Haus“ gesprochen werden, dessen Grenzen fließend sind und sich jeweils, entsprechend den Anforderungen, verlagern. Die Analogie des Hauses bedeutet dabei keineswegs, dass immer einheitliche Interessen verfolgt werden. Gerade die Auseinandersetzung mit haushaltsinternen Strukturen, verweist auf die höchst unterschiedlichen Interessen der Mitglieder und die damit einhergehenden Konfliktachsen. Wie im „kleinen“ Haushalt, gibt es auch in der größeren Gemeinschaft, Unterschiede in der Verfügung über Ressourcen, der Kompetenzen, des Geschlechts, des relativen Alters, der über personhood zugeschriebenen Autorität, etc. Diese Unterschiede werden oberflächlich betrachtet zwar hingenommen, tatsächlich aber ständig in Frage gestellt, d.h. die jeweils eingenommenen Positionen müssen immer wieder bestätigt oder neu ausgehandelt werden. Dem mit fließenden Grenzen und Zugehörigkeiten versehenen „großen Haus“ der indigenen Gemeinde(n) gegenüber, steht die (mestizische) Außenwelt, die als feindselig erlebt wird, wenn auch in unterschiedlicher Weise. Gilt die Munizipalhauptstadt als Cuetzaltecan other, so bietet sie doch Vorteile gegenüber anderen mexikanischen oder gar amerikanischen Städten und Regionen. Vendedor@s benötigen in der eige-

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nen Stadt keine Verkaufsgenehmigung – „Somos de aquí“, betont eine von ihnen (Tz 5 26.8.2004). Indigene Sprache und Erscheinungsbild stellen entsprechend der „Indigenität von oben“, einen wichtigen Teil des Erscheinungsbildes der Stadt dar. Erfolgt dennoch Diskriminierung, bestehen Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es gibt beispielsweise Geschäfte, die von den maseualmej bevorzugt, andere, die dezidiert gemieden werden. (Feldnotizen lfd.) Angelica, eine Mestizin, die in Cuetzalan einen Hühnerstand betreibt, bemüht sich mit ihren Kund_inn_en Nahuat zu sprechen. Das fördert das Geschäft, meint sie (C 16 15.9.2013). Dem gegenüber stehen mehr oder weniger offen rassistische Anfeindungen und Diskriminierungen in anderen Teilen des Landes oder auch des Auslandes, denen weniger leicht begegnet werden kann. Es kommt aber dennoch immer wieder vor, dass der_die eine oder andere sich diesen stellen muss. Militärdienst, Migration und Geschäftsreisen sind eine unangenehme, aber notwendige Pflicht, sich in die feindliche Außenwelt zu begeben. Außer in den wenigen Fällen, in denen es einer Person, beispielsweise über Heirat, gelingt, in die mestizische Welt einzutauchen, gibt es daher ein Bestreben, diese Aufenthalte möglichst kurz, oder zumindest vorübergehend zu halten. Darüber hinaus besteht ein besonderer Zusammenhalt zwischen den maseualmej „in der Fremde“, während des Aufenthalts, der hilft, mit den dortigen Herausforderungen, umzugehen (siehe Abschnitt in Kapitel VI.1.2.3). Dennoch werden nicht alle Erfahrungen und Informationen, die in und mit diesem „Außen“ gemacht werden, abgelehnt. Im Gegenteil besteht großes Interesse an allem Neuen. Entgegen der, in mestizischen Kreisen weit verbreiteten Meinung, dass es sehr schwer wäre, engeren Kontakt zu Indigenen zu bekommen, sind Gäste aus Puebla-, Mexiko-Stadt, etc., oder auch aus Europa und den USA, in vielen Haushalten gern gesehen. Über die compadrazgo, aber auch die Aufnahme als Familienmitglied, werden viele von ihnen in die Netzwerke der Haushalte integriert. In einem gewissen Sinne können diese Einbindungen als Strategien einer langfristigen Einbindung zusätzlicher Personen, auf die in Krisenfällen als Ressource zurückgegriffen wird, angesehen werden (siehe auch Abschnitt in Kapitel V.4.1.4).

VI.2 AUSWIRKUNGEN LANGFRISTIGER T RANSFORMATIONEN DER H AUSHALTSZUSAMMENSETZUNG Betrachten wir im Folgenden weitere längerfristig wirksame Veränderungen der Zusammensetzung von Haushalten, insbesondere, wenn auch nicht ausschließlich, solche, die womöglich unerwünscht und unfreiwillig sind. Auch hier lassen sich Erweiterungen und Verringerungen erkennen. VI.2.1 Die Auswirkungen von langfristigen Erweiterungen von Haushalten auf interne Machtgefüge Langfristige Vergrößerungen von Haushalten ergeben sich durch Heirat, die Geburt von Kindern, die Aufnahme von Kindern von Verwandten, sowie die Rückkehr von Söhnen_Töchtern ins Elternhaus, nach Trennung von ihrer Gattin_ihrem Gatten. Da-

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bei erweist sich die erstgenannte, in Hinblick auf innerhäusliche Autoritäts- und Machtbeziehungen, als die bedeutsamste. VI.2.1.1 Haushaltserweiterung durch Heirat Die Konflikte, die sich durch das Hereinkommen von Schwiegertöchtern in einen Haushalt ergeben, wurden in den vorangegangenen Kapiteln in vielfältiger Weise thematisiert und diskutiert. Gehen wir in Folge auf die widersprüchlichen Erwartungen und Hoffnungen der beteiligten Personen ein, die diese Konstellation so schwierig machen. Der Schwerpunkt liegt hier bei den Beziehungen der Frauen im Haushalt. Diese rücken, aufgrund der intensiveren Nähe in der alltäglichen Arbeit, stärker ins Blickfeld, als die zwischen Frauen und Männern, bzw. der Männer untereinander. Darüber hinaus, bin ich in meinen Forschungen auf die Haushalte, sowie die Aktivitäten der Frauen fokussiert. Auf die Schwierigkeiten, die zu intensive Kontakte mit den Männern für meine Beziehungen zu den Frauen bedeuteten, wurde bereits hingewiesen (vgl. Kapitel III.2.1.2). Nur in Ausnahmefällen, begleite ich die Männer eines Haushalts auf (eventuellen gemeinsamen) täglichen Wegen, beobachte ich sie in ihren (eher unregelmäßig stattfindenden gemeinsamen) außerhäuslichen Arbeitszusammenhängen. Ebenfalls aus Mangel an Daten, kann im Folgenden, nicht auf die Situation von Haushalten mit hereinkommenden Schwiegersöhnen eingegangen werden. Die Kontakte zu, in solchen Gebilden lebenden Personen, sind zu sporadisch, als dass sich einigermaßen gültige Aussagen treffen ließen. Nur so viel kann gesagt werden: in den beiden mir bekannten Haushalten, in die zwischen 2003 und 2013 ein junger Mann eingeheiratet hat bzw. mit den Schwiegereltern lebt, besteht keine besonders intensive Zusammenarbeit zwischen Vater und Schwiegersohn, was das Spannungspotential zwischen diesen vermutlich stark verringert. Ambivalenzen in Schwiegermutter-Schwiegertochter-Beziehungen: Eifersucht und hohe Erwartungen Jane Collier fasst die, in den 1970er Jahren in der Anthropologie dominierende und m.E. für Cuetzalan zu Beginn des 21. Jahrhunderts gültige Sichtweise der Problematik, der sich Frauen gegenüber sehen, die in einen virilokal erweiterten Haushalt hineinheiraten, folgendermaßen zusammen: „they move from the loneliness of early marriage, through competent motherhood, to domineering old age“ (Collier 1974: 92). Heirat ist folglich für die junge Braut eine traumatische Angelegenheit, da sie in eine Gemeinschaft eintritt, in der sie am unteren Ende der Statushierarchie steht und mit der Schwiegermutter um die Loyalität ihres Mannes/Sohnes konkurrieren muss (ibid.: 92-3). Michelle Lamphere ergänzt, bezogen auf patrizentrierte Peasant-Gemeinden, dass die jungen Frauen als Fremde in den Haushalt eintreten und über die Geburt von Söhnen (bezogen auf Cuetzalan von Söhnen und von Töchtern) ihren Platz, oder besser ihre Zugehörigkeit, erlangen (Lamphere 1974: 104;). 30 Weder von 30 Pauli (2008: 174), Brown (1997; 2004) zitierend, die von einem „mother-in-law-belt“ spricht, der vom Mittelmeerraum bis in den Pazifik reicht, betont, dass dessen Charakteristika auch für die Amerikas zutreffend sind. Die genannten Merkmale entsprechen den bereits von Collier (1974) und Lamphere (1974) beschriebenen. „Life as a mute servant was a recurring theme, often complemented by descriptions of loneliness and depression attributable to the loss of natal family and friends“, charakterisiert Pauli (2008: 175) die Situation

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Collier noch von Lamphere in diesem Zusammenhang erwähnt, werden die Erwartungen der Hausherrin, bezogen auf Arbeitserleichterung und Unterstützung in der häuslichen Arbeit, deren Nicht-Erfüllung ebenfalls zur Brisanz der innerhäuslichen Situation beitragen kann. Entscheidend dafür ist nicht einfach, dass, oder ob eine Schwiegertochter ins Haus kommt, sondern auch, welche Qualitäten und Fähigkeiten sie mitbringt. Weiter oben (Kapitel VI.1.2.2) wurden im Zusammenhang mit der Angst Rufinas, dass ihr einziger Sohn, im Rahmen des Militärdienstes, eine Mestizin kennenlernt und heiratet, einige der Kompetenzen genannt, die sie von der Frau ihres Sohnes erwartet. In Übereinstimmung mit dem zentralen Wert der Maisverarbeitung, wird vor allem auf die Fähigkeit Mais zu mahlen, hingewiesen. Aber auch das Kehren, im vorkolonialen Mesoamerika eine wichtige rituelle Tätigkeit, die mehrmals täglich erfolgen muss (Burkhart 1997: 33-51), wird erwähnt. Im Zuge eines Gesprächs über die bevorstehende Heirat der Tochter einer vendedora, präzisiert Ocotlan, eine ältere Frau, weiter: „hacer tortillas, lavar, preparar comida, arreglar la casa“ (Tz 58 13.8. 2004). Besonders junge Frauen, aber auch solche mit höherer Schulbildung, verfügen oft (noch) nicht über diese Qualitäten bzw. sind nicht gewillt sich darauf zu beschränken (wodurch längerfristig ein Wandel bezüglich der Anforderungen an weibliche personhood erfolgen könnte). Weiter oben (Kapitel V.1.2.2) wurde ja bereits darauf aufmerksam gemacht, dass gegenwärtig der Mais in den seltensten Fällen selbst und auf der metate gemahlen und auch für die Herstellung von tortillas, vermehrt auf tortilla-Pressen zurückgegriffen wird. Teilweise im Widerspruch dazu, die innerhäusliche Situation in jedem Fall erschwerend, gibt es eine ideologische Tendenz zu einer lohnarbeitsbezogenen Hausfrauisierung, d.h. einer, vor allem durch (amerikanische) Seifenopern und Werbespots im Fernsehen (Feldnotizen lfd.), geschürten Erwartung, dass ein Mann, sofern er nicht (zusammen mit seinem Vater) eine milpa bewirtschaftet, mit seiner Lohnarbeit ausreichend Geld für sich, seine Frau und eventuell vorhandene Kinder verdient, die Frau, im Gegenzug zu Hause den Haushalt führt. Besonders anfällig für diese Sicht sind junge Männer mit einer gewissen Bildung, d.h. dem Abschluss der secundaria, möglicherweise auch der prepa, oder gar einem Studium. Anders als ihre Eltern, sind viele von ihnen nicht am Anbau von Mais, Kaffee und anderen Gütern interessiert.31 Im Anschluss an die Schule bzw. die Universität o.ä., suchen sie daher einen bezahlten Job abseits der Landwirtschaft. Die schlechte Bezahlung lässt jedoch vieler junger Frauen in der Gemeinde Pueblo Nuevo, im Bundesstaat Mexiko. – Zur Position der Schwiegertochter als einer Fremden, die erst über die Geburt und „Aufzucht“ von Kindern Verwandtschaftsstatus erlangt, vgl. Van Vleet (2002: 578), wobei diese sich auf Sullk’ata in den bolivianischen Anden bezieht. Vgl. auch Harvey (1994: 74, 77, et al.), die, bezogen auf das Dorf Ocongate, Cusco, in den südperuanischen Anden, in der nur teilweise gegebenen Verwandtschaft der Frau, ein grundlegendes Handlungsmuster von sexueller Eifersucht und Gewalt sieht. Umgekehrt, sind es in vielen Gruppierungen der indigenen Amazonasbevölkerung die Männer, die als Fremde in die Familie kommen und erst in diese hinein sozialisiert werden müssen (zu den Debatten, die sich daraus ergeben, vgl. u.a. Grubner 2003). 31 Eine Ausnahme stellen jene maseualmej dar, die bei Tosepan aktiv und darüber hinaus, bzw. aus diesem Grund stark politisch motiviert sind.

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eine unabhängige Existenz nicht zu, d.h. sie bleiben im Haus ihrer Eltern wohnen. Daraus resultiert die widersprüchliche Situation, dass z.B. ein junger, frisch verheirateter Mann und seine Frau, in den Herkunftshaushalt des Mannes, „teilintegriert“ sind. Der junge Mann beteiligt sich nicht am (väterlichen) Maisanbau, verfügt aber über ein eigenes (wenngleich geringes) Einkommen, das aufgrund der übernommenen Ideologie des „Ernährer-Hausfrau-Modells“ (Krüger 2007), allerdings nicht durch Einkünfte seiner Frau ergänzt wird (wie das bei seinen Eltern der Fall war und ist). Vor allem in der ersten Zeit wird dem Paar jedoch (noch) keine eigene Küche zugestanden, d.h. sie sind auf der Konsumebene allgemein, wie auch der Ebene der weiblichen Arbeit, Teil des elterlichen Haushalts. Folglich wird von der Frau nicht einfach erwartet, einen single family-Haushalt zu führen, entsprechend dem „Ernährer-Hausfrau-Modell“, vielmehr muss sie sich – wie auch in anderen virilokalen Haushalten üblich – in die bestehenden Haushaltsstrukturen ein-, insbesondere der Schwiegermutter unterordnen und die, von dieser angeordneten, Tätigkeiten ausführen. Dabei sind die Erwartungen der älteren Frau an die Entlastung im Haushalt (wie auch die Versorgung im Alter) sehr hoch, besonders dann, wenn es nur ein einziges Kind – einen Sohn – gibt. Erschwerend ist, dass es vielen Hausherrinnen nicht einfach darum geht, dass bestimmte Arbeiten gemacht werden, sie müssen auf eine spezifische Art und Weise durchgeführt werden. Beispielsweise erwarten sie, dass tortillas in der herkömmlichen Weise, nämlich mit der Hand und nicht mit Hilfe einer Presse, hergestellt werden, was den dafür nötigen Zeitaufwand stark erhöht (Feldnotizen 2009ff.). Dazu kommt eine gewisse Eifersucht auf die jungen Frauen, mit denen sie um die Gunst und die Liebe ihrer Kinder buhlen. Diese Mischung aus hohen Ansprüchen und Konkurrenz, stellt eine äußerst ungünstige Ausgangsbasis für ein Leben auf vergleichsweise engem Raum dar. Noch dazu, als junge Männer, aus beruflichen und anderen Gründen, häufig nur wenig Zeit zu Hause verbringen. Größtenteils sind ihre Gattinnen entweder mit ihren Schwiegermüttern (und eventuell deren Müttern oder auch mit Schwestern der Männer o.ä.) im Haus, oder auch alleine, wenn die Hausherrinnen bei einer Versammlung, einem Fest oder auch beruflich unterwegs sind und es sonst keine Hausbewohnerinnen gibt. Die jungen Frauen sind es, die das Haus auskehren, Fleisch schneiden und kochen, etc. Dabei wird ihre Arbeit immer ungenügend sein, kann nie den hohen Ansprüchen der Mütter ihrer Männer voll entsprechen (Feldnotizen lfd.). Die aus dieser Konstellation resultierenden Konflikte, die eine hohe Gefahr der Misshandlung der jungen Frauen beinhalten, wurden bereits angesprochen (Kapitel V.3.1). Die inständige und explizite Bitte der Heiratsm/p/adrin@s im Rahmen der traditionellen Ehezeremonie, an die Eltern des Mannes, seine künftige Gattin nicht zu misshandeln, ist, damals wie heute, berechtigt. Mehrmals bekomme ich von Freundinnen zu hören, ihre Schwiegermutter habe sie „como un animal“ behandelt (Feldnotizen 15.10.2013) und als „perrita“ oder mit einem ähnlich abwertenden und verletzenden Terminus bezeichnet (Tz 19 10.10.2013). Diese und andere Formen verbaler und psychischer Gewalt sind, neben der, seltener aber doch vorkommenden, körperlichen Misshandlung, nach wie vor weit verbreitet. 32 32 Manzanares (2004: 35-6, 43) stellt diese Gewalt ebenfalls fest, kommt jedoch zur Auffassung, dass sie, verglichen mit der junger Männer gegenüber ihren Ehefrauen in single family househoulds, eher gering ist. Das Zusammenleben der jungen Frau mit den Schwiegerel-

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Die Misshandlung von Schwiegertöchtern als Ausdruck von Mutter-Sohn-Konflikten, wie auch als Mittel zur Stärkung der haushaltsinternen Position als Mutter und ältere Frau Abgesehen von der Eifersucht, werden seitens der älteren Frauen oft Streitigkeiten mit ihren Söhnen, über die (seelische) Verletzung ihrer (leichter greifbaren, weil ständig anwesenden) Gattinnen, ausgetragen (Feldnotizen 16.10.2013, 18.10.2013; siehe dazu auch Kapitel VI.2.1.2.1.1). Stellvertretende Konfliktaustragung, verbunden mit der Konkurrenz um Söhne, sowie dem Bestreben, zwischen den eigenen Positionen als Mütter und ältere Frauen und denen der Schwiegertöchter, eine größtmögliche Distanz beizubehalten, gehen in einzelnen Fällen so weit, dass versucht wird, die Vervollständigung der personhood der jungen Frauen und vor allem ihre stärkere Integration in den Haushalt über die Geburt von Kindern, zu verhindern. Das erfolgt u.a. dann, wenn die Gattinnen der Söhne nicht den Vorstellungen der Hausherrinnen entsprechen, die Heirat womöglich gegen den Wunsch der Eltern erfolgt. So erinnert sich Estela mit Bitterkeit, dass ihre Schwiegermutter ihr in der Schwangerschaft schmutziges Wasser zu trinken gab, damit sie das Kind verliere. Darüber hinaus, erzählt sie weiter, behauptete die ältere Frau ihrem Sohn gegenüber, Estela habe sexuelle Beziehungen mit anderen Männern, was diesen gegen seine junge Frau aufbrachte (Feldnotizen 15.10.2013) und Estelas „loneliness of early marriage“ (Collier 1974: 92) noch verstärkte, eine Einsamkeit, die umso größer war, da sie jung und gegen den Willen ihrer Herkunftsfamilie heiratete.33 Streit, als Ressource in den Auseinandersetzungen um die Fähigkeit, die Handlungen anderer zu bestimmen Trotz ihrer Jugend und ihres relativen Fremdheitsstatus, hat auch eine relativ frisch gebackene Ehefrau, Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen, z.B. über die Verweigerung, die Haushaltsarbeit in der von der Schwiegermutter gewünschten Weise durchzuführen. Das Widerstandspotential und die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen sich mit wachsender personhood, also dem Alter der Frau, der Zeit, die sie im Haushalt verbringt, vor allem aber der Zahl und dem Alter von Kindern, die sie gebiert und großzieht. Marina erzählt, dass ihre Schwägerin am Vortag bei ihr zu Besuch war und weinte. Grund waren die heftigen Auseinandersetzungen mit der Schwiegertochter (Feldnotizen 16.10.2013). Umgekehrt erlebe ich mehrmals, dass junge Frauen aus Ärger und Frust über die Einschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit seitens der

tern stellt, ihr zufolge, eher einen Schutzfaktor, denn ein Gefahrenpotential dar. – Zur Problematik des Zusammenlebens von Schwiegermüttern und -töchtern in mexikanischen und Haushalten in anderen Weltregionen, vgl. auch Pauli (2008: 171, 174, et al.). Zur häufig resultierenden Gewalt der ersteren gegenüber letzteren, aber auch des Ehemannes gegenüber seiner Frau in Pueblo Nuevo im Bundesstaat Mexiko, vgl. dies. (ibid.: 176). Die virilokale Lebensweise ist, ihr zufolge, kein Schutz vor ehelicher Gewalt, da die Schwiegermutter tendenziell ihren Sohn unterstützen würde. Junge Ehefrauen dürften nicht über die erfahrene Gewalt sprechen, auch nicht mit ihren eigenen Eltern (ibid.: 176-7). 33 Sie heiratet mit 17; die Mutter verweigert in Folge jeglichen Kontakt zu ihr. Zu den Hintergründen dieser extremen Ablehnung seitens der Schwiegermutter, siehe unten, wie auch Kapitel VI.2.1.2.

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Schwiegereltern in Tränen ausbrechen, gleichzeitig aber betonen, sie ließen sich nicht unterkriegen, würden letztendlich ihr eigenes Haus und damit ihre Unabhängigkeit von den Schwiegereltern bekommen (z.B. Feldnotizen 7.2.2005). Collier (1974: 94) spricht sinngemäß von einer Art Ressource der Frauen, über Streitigkeiten den Blick auf kritische Angelegenheiten zu lenken und so die Männer im eigenen Umfeld, zum Handeln zu bringen. Im Falle der, im Haus der Schwiegereltern lebenden Gattinnen in Tzinacapan und Umgebung, bedeutet das, die Errichtung eines eigenen Herdes/ einer eigenen Küche oder gar eines Hauses (und somit die Ausweitung ihrer personhood) voranzutreiben. Damit könnte – wieder mit Collier (1974: 94) – davon gesprochen werden, dass zwischen den Frauen Auseinandersetzungen darum stattfinden, wer von ihnen die (größere) Fähigkeit hat, die Handlungen von anderen – insbesondere der Ehemänner und Söhne – zu bestimmen. Die Beziehungen zwischen den in einem Haus lebenden Schwägerinnen Welche Position ebenfalls im Haus lebende Töchter und weitere Schwiegertöchter in einem solchen Kampf um größere Unabhängigkeit und Handlungsmacht einnehmen, hängt davon ab, was diesen für ihre eigene Situation jeweils als günstig oder notwendig erscheint. Sich mit der Mutter zu verbünden, stärkt die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Die oben geschilderte Einsamkeit von Estela ist insofern besonders ausgeprägt, als ihre Schwägerin, die mit ihrem Bruder in ständiger Konkurrenz, um die Gunst der Mutter steht, die Hausherrin im Versuch Estelas ungeborenes Kind zu töten, noch bestärkt (Feldnotizen 15.10.2013).34 Andererseits sind die, im Haus lebenden, unverheirateten Töchter oft auf die Unterstützung bzw. das Stillschweigen der Schwägerin angewiesen, wenn es darum geht, Freiraum zu erlangen, um sich beispielsweise mit ihrem Freund zu treffen, den Nachmittag mit Freundinnen in der Stadt, oder im Internetcafé beim Computerspiel zu verbringen (Feldnotizen 2005 lfd.; 2006 lfd.). Schwiegertöchter untereinander profitieren u.U. ebenfalls von einer informellen Übereinkunft, etwaige „Vergehen“ der jeweils anderen nicht zu verraten, stehen aber womöglich in Konkurrenz um die vorhandenen Ressourcen (des innerhäuslichen Raumes, des Erbes an Land, etc.), die sie zur ersehnten Etablierung ihres eigenen Haushalts benötigen. Und im Falle sehr guter und vertraulicher Geschwisterbeziehungen besteht eventuell eine eifersüchtige Konkurrenz, um die Liebe und Zuwendung des Bruders/Mannes, zwischen den Frauen (vgl. Feldnotizen 4.2.2005 lfd.; 6.2.2006 lfd.). Eine solche Ambivalenz der Beziehung – einerseits einer gewissen notwendigen Solidarität, andererseits des Wettbewerbs – kennzeichnet nicht nur die Beziehungen zwischen Töchtern und Schwiegertöchtern, wie auch der Schwiegertöchter untereinander, sondern auch die zwischen Geschwistern (Feldnotizen 2004-2013). Dabei sind ältere Geschwister – vor allem Brüder –, auf der Grundlage der Hierarchie des relativen Alters, oft auch des Geschlechts, dieser Ambivalenz weniger stark ausgesetzt, als ihre jüngeren (insbesondere die weiblichen) Geschwister. Die daraus resultierenden Spannungen werden im Verhalten gegenüber der Ehefrau des Bruders (siehe oben das Beispiel von Estela) oder auch seiner Kinder ausgetragen. Gehen wird daher im nächsten Abschnitt, auf die Auswirkungen der Geburt von Kindern, auf die inner34 Zur Bedeutung von Rivalitäten zwischen Geschwistern, als einem wichtigen Thema psychologischer wie auch anthropologischer Studien, vgl. Thelen et al. (2013: 8).

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häuslichen Machtstrukturen ein, bzw. wie das Vorhandensein von Kindern, seitens der Haushaltsmitglieder, in ihren jeweiligen Bestrebungen zur Erlangung von Handlungskompetenz und personhood, genutzt werden (können). VI.2.1.2 Haushaltserweiterung durch die Geburt von Kindern Durch die Geburt von Kindern bedingte Haushaltserweiterungen, erscheinen auf den ersten Blick weit weniger konfliktbehaftet, als jene im Gefolge von Heirat. Dabei markiert diese einen wichtigen Schritt im personing einer jungen Frau, sei das eine ins Haus hereingeheiratete Schwiegertochter, sei das eine im Haus verbliebene Tochter oder auch die Hausfrau selbst. Das Verhalten gegenüber Kindern als Ausdruck innerhäuslicher Beziehungen Wie in Kapitel VI.2.1.1, bezogen auf ins Haus kommende Frauen, dargelegt, zeigen sich auch im Verhalten gegenüber den, in einen Haushalt hinzugekommenen Kindern, bestehende oder auch neu entstandene Ambivalenzen und Spannungen zwischen den Einwohner_inne_n. Insbesondere das, mit ihrer Geburt einhergehende fortschreitende personing ihrer Eltern, kann sich als bedrohlich für bestehende Autoritätsstrukturen erweisen. Auseinandersetzungen um die innerhäusliche Autorität zwischen Mutter und Sohn (und dessen Frau) Denn über die Geburt und das Großziehen von Kindern wird, wie wir gesehen haben, Erwachsensein von Männern wie von Frauen hergestellt bzw. vorangetrieben. Aus diesem Grund ist Estelas Schwiegermutter María daran gelegen, die Elternschaft ihres Sohnes Manuel und seiner Frau zu verhindern. Zwar würde damit, zumindest potentiell, auch ihre eigene personhood gestärkt und ausgeweitet, aufgrund ihrer spezifischen Situation als alleinerziehender Mutter, erscheint ihr dieser Vorteil aber gering, angesichts der Bedrohung, dem (noch sehr) jungen Sohn und seiner Frau, Haushaltskompetenzen abzugeben, was ihre Position als Haushaltsvorständin womöglich in Frage stellt. Noch dazu als sie nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die ihrer Tochter verteidigen muss. Denn über die Heirat und die Vaterschaft gewinnt ihr Sohn an Eigenständigkeit und Kompetenz. 35 Als einzigem erwachsenen Mann im Haus, kommt ihm die Versorgung des Haushalts mit Mais zu, was ihm, verglichen mit anderen Burschen seines Alters, in eine vergleichsweise gute Position gegenüber seiner Mutter und seiner Schwester versetzt. Die Angst Marías, aus ihrer Rolle als Hausherrin verdrängt zu werden, ist somit nicht ganz unbegründet, ihre massive Ablehnung der Schwiegertochter (und deren Schwangerschaft) damit erklärbar, trotz der Arbeitsentlastung, die eine zusätzliche weibliche Person im Haus für sie bringt.

35 Vgl. dazu auch Tzm 12, dessen soziale Anerkennung, trotz seiner Jugend – er ist 17, als seine schwangere Freundin ins Haus seiner Eltern zieht –, aufgrund seiner Heirat und der nachfolgenden Geburt eines Sohnes, wesentlich steigt. Vom verantwortungslosen, als „loco“ geltenden Jugendlichen, wird er in den Status eines, wenn auch von seinen Eltern abhängigen, Familienvaters transformiert. In Folge übernimmt er kleinere Ämter im Rahmen von mayordomías und anderen zeremoniellen Anlässen in Familie, Verwandtschaft und Gemeinde (Feldnotizen 2006-2013).

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Kinder als Mittel der Konfliktaustragung zwischen Geschwistern Ähnlich sieht sich ihre Tochter Angelica in ihren Ansprüchen auf Land und Haus, wie auch ihrer innerhäuslichen Position durch Estela und vor allem deren künftige Mutterschaft (und damit stärkere Integration in den Haushalt), bedroht. Zwar findet die Mutter, nach mehreren heftigen Auseinandersetzungen, eine für alle tragbare Lösung, indem sie dem Sohn ein Stück Land zur Errichtung seines eigenen Hauses bereitstellt. Die Tochter gilt in Folge als Hauserbin und ist somit für die Versorgung der Mutter im Alter zuständig. Als Erbin muss sie auch nach der Heirat (mit ihrem Mann) im Haus der Mutter wohnen bleiben. Die ambivalente, durch Misstrauen und Neid, bzw. Eifersucht gekennzeichnete Haltung gegenüber dem Bruder und damit auch seiner Frau, bleibt dennoch bestehen. Die Beziehung zu Manuel, ist umso schwieriger, als von Geschwistern allgemein erwartet wird, dass sie zusammen halten.36 Dabei sind – entsprechend den gesellschaftlich vorgegebenen Machtstrukturen – die älteren für die jüngeren verantwortlich und üben diesen gegenüber eine legitime Autorität aus (siehe Kapitel V.3). Ein solches Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Normen und tatsächlichen Empfindungen, findet sich in vielen Geschwisterbeziehungen. Noch komplizierter wird die Situation, wenn unterschiedliche Arten von autoritätsfördernden bzw. -schwächenden Differenzmarkierungen zusammenkommen. Im oben geschilderten Beispiel von Angelica und ihrem Bruder Manuel, scheinen die Positionen klar verteilt. Manuel ist der ältere und noch dazu ein Mann. Zusätzlich stärkt er/sich seine personhood und in Folge Autorität gegenüber seiner Schwester durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes. Dennoch ist nicht er derjenige, der das mütterliche Haus übernimmt, sondern seine – mittlerweile ebenfalls verheiratete, aber zunächst kinderlose – Schwester. In einem anderen Haushalt bleiben sowohl (älterer) Bruder, als auch (jüngere) Schwester nach ihrer Heirat, die anlässlich der bevorstehenden Geburt des ersten Kindes erfolgt, (zunächst) samt ihren Gatt_inn_en im elterlichen Haus wohnen. Ähnlich wie im Beispiel Estelas ausgeführt, werden auch hier die Konflikte der Geschwister, über die Kinder ausgetragen, wenn auch erst nach deren Geburt. Die Kinder hätten sich nicht vertragen, deswegen sei die Tochter mit ihrer Familie ausgezogen, berichtet Aurora (Feldnotizen 11.10.2013). Komplizierter ist die Geschwisterbeziehung im Falle der, im Haus der Eltern verbleibenden, jedoch unverheirateten jungen Mutter Alicia. Auch hier versucht ihr älterer Bruder Carlos seine Rechte oder besser Position, vermittelt über das Kind seiner Schwester zu behaupten. Indem Carlos seine Schwester immer wieder an ihre Verpflichtungen als Mutter erinnert, versucht er ihren Handlungsspielraum einzuschränken und sie in eine untergeordnete Rolle im Haus zurückzudrängen. Zwar ist Carlos der ältere der beiden, und noch dazu ein Mann, aber Alicia hat die bessere Bildung 36 Vgl. dazu u.a. die Aussage von Tz 16, betreffend ihre Töchter: „Sie müssen sich verstehen, sie sind doch Schwestern!“ (16.2.2005), oder Knabs (1991: 52-3) Ausführungen zu den ajmotoknihuan. Diese Wesen, „die nicht unsere Brüder sind“ (was ihre grundlegende Verschiedenheit zum Menschen zum Ausdruck bringt), bestrafen jene Menschen, die nicht in Harmonie mit ihrer Umwelt leben, sei das die natürliche oder die soziale. Diese Harmonie impliziert das Zusammenhalten der als Geschwister gedachten Menschen und die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Hierarchien.

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und den prestigeträchtigeren Job. Carlos hat zwar Frau und Kind, lebt aber getrennt von diesen, während Alicia nie geheiratet hat. Carlos gilt als sozial vollständig, denn er hat sein Erbe bereits erhalten, als er für seine Familie ein eigenes, von dem der Eltern unabhängiges Haus errichtete. Alicia ist diejenige, die die Mutter in Abwesenheit oder Krankheit vertritt. Sie ist es, von der die künftige Versorgung der Eltern erwartet wird, wenn diese nicht mehr selbst dazu in der Lage sind. Infolgedessen ist sie die potentielle Hauserbin. Carlos kann zwar in seiner prekären Situation als geschiedener Mann auf seine Herkunftsrechte pochen und erhält auf dieser Grundlage einen Schlafplatz und Essen, im Grunde gehört er jedoch nur (noch bzw. wieder) partiell dem Elternhaushalt an. Er ist in bestimmte innerhäusliche Arbeitsverpflichtungen involviert, nimmt sich selbst Essen und Kaffee, etc., hat aber kein ständiges Bett im Haus und ist – im Unterschied zu seiner Schwester – nicht in innerhäusliche Entscheidungsstrukturen eingebunden. Trotzdem er männlich, älter und zumindest theoretisch sozial vollständig (mit potentiell eigenem Haushalt) ist, ist ihm seine Schwester in vielerlei Hinsicht überlegen. Verstärkt wird ihre Überlegenheit und die damit einhergehende innerhäuslich vergleichsweise mächtige Position, zusätzlich noch durch die Geburt ihres Sohnes, da dieser von seinen Großeltern über alle Maßen geliebt wird. Ihr Bruder befindet sich somit in einer höchst widersprüchlichen und schwierigen Situation. Anders als seine Eltern, fühlt er sich daher wenig bemüßigt, Alicia bei der Versorgung ihres Kindes zu unterstützen. Mehrmals kommt es vor, dass er „vergisst“ die Haustüre zu schließen, trotzdem seine Schwester dabei ist, das Baby zu baden und es kalt draußen ist (Feldnotizen 2011 lfd.). Und er verweist sie immer wieder auf ihre mütterlichen Pflichten. Wenn er vermutet, dass das Kind etwas anstellt, geht er nicht selbst nachsehen, was es tut, sondern ruft seine Schwester (Feldnotizen 16.9.2013). Ebenso sagt er zu ihr, sie solle den Buben füttern, wenn dieser nicht essen will (Feldnotizen 22.9.2013), anstatt, dass er selbst ihn füttert. Der Vater der beiden Geschwister hingegen, ist stolz darauf, wenn es ihm gelingt dem Kind sein Essen schmackhaft zu machen und wetteifert mit seiner Frau, den Knaben mit Nahrung zu versorgen (Feldnotizen 2011 lfd.; 2013 lfd.). Als Alicia einmal ohne Kind unterwegs ist und zu Hause anruft, ob alles in Ordnung ist, antwortet ihr Bruder, ihr Sohn weine („choca mopil“). Auf diese Weise versucht er, sie dazu zu bringen, möglichst rasch nach Hause zu kommen oder zumindest ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Abwesenheit zu haben. Als sie dann zurück ist, macht er ihr Vorhaltungen, dass sie solange weg war, und dass sie sich nicht um ihr Kind kümmere (Feldnotizen 11.11.2011). Ein andermal, als Alicia und ihre Mutter beim Kochen sind, ruft er sie, sie solle den Buben von der Nachbarin holen, er sei dort eingeschlafen, anstatt ihn selbst von dort mitzubringen (Feldnotizen 23.9.2013). Der Umgang mit Enkelkindern als Ausdruck der Schwiegermutter-SchwiegertochterBeziehung Das Verhalten gegenüber den im Haus lebenden Kindern bzw. die Intensität der Unterstützung ihrer Mütter (und Väter) bei ihrer Versorgung, zeigt also in welchem Verhältnis, die betreffenden Erwachsenen, zueinander stehen. Potentielle Konflikte, aber auch emotionale Verbundenheit, werden über die Kinder zum Ausdruck gebracht. Neben den geschilderten Beispielen von ambivalenten Geschwisterbeziehungen und dem der Schwiegermutter, die versucht ihre Position im Haus gegenüber

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ihrem Sohn zu behaupten und damit in Verbindung, ihre ablehnende Haltung gegenüber der Schwiegertochter zum Ausdruck bringt, indem sie versucht deren Elternschaft zu verhindern, gibt es noch andere, nicht ganz so negative Varianten des Umgangs. Zum Beispiel reagiert Marcela, deren Sohn Juan sehr jung heiratet, da seine Freundin Livia schwanger ist, scheinbar gelassen auf die Ankunft der jungen Frau, dabei ist ihre Haltung zwiespältig. Sie betont, dass sie aufgrund der Tatsache, dass nun eine Schwiegertochter im Haus ist, weder mehr noch weniger Arbeit habe, dass sich im Grunde nicht viel verändert habe (Feldnotizen 22.10.2011). Sie ist stolz auf ihr(e) Enkelkind(er), hat allerdings häufig Streit mit Livia. Der daraus resultierende Ärger äußert sich darin, dass sie nahezu sämtliche Arbeit und Verantwortung für die Kinder letzterer überlässt, insbesondere in Zeiten vermehrter Streitigkeiten. Selbst im Gefolge einer Einladung, im Zuge derer Livia in der Küche hilft, übernimmt sie die Beaufsichtigung der Kinder nur für vergleichsweise kurze Zeit. Am Rückweg hilft sie ihr nicht, das Baby zu tragen und kümmert sich auch nicht darum, ob Livia oder der größere Bub zurückbleiben. Dabei ist es bereits finster, der Weg ist schlecht und Livia führt keine Lampe mit sich (Feldnotizen 12.10.2013). Völlig anders verhält sich da Clemencia, als sie in eine ähnliche Situation kommt wie Marcela, nämlich, dass eine Schwiegertochter unvermutet, aufgrund der Schwangerschaft der letzteren, ins Haus kommt. Clemencia übernimmt sofort nach seiner/ deren Geburt einen großen Teil der Sorge um das bzw. die Kind/er. Oft kommt es vor, dass die junge Frau unterwegs ist – alleine, mit ihrem Manne und/oder mit einem ihrer Nachkommen – oder im Haus arbeitet, während Clemencia eines der Kinder oder beide beaufsichtigt, ihm/ihnen zu essen gibt, es/sie wickelt, etc. (vgl. z.B. Feldnotizen 15.11.2011; 16.9.2013). Sind die beiden zusammen unterwegs, so ist Clemencia diejenige, die das kleine Mädchen trägt und womöglich darüber hinaus, den Buben an der Hand führt (z.B. Feldnotizen 19.9.2013). Offenbar ist die Beziehung der beiden Frauen so gut, dass eine tatsächliche Zusammenarbeit auch in der Kinderbetreuung möglich ist. Kooperation der Eheleute Die oben geschilderte „loneliness“ der frühen Heirat einer Frau und nachfolgende Alleinverantwortung für das/die Kind/er wird u.U. durch das Verhalten des Ehemannes oder auch des Schwiegervaters gemildert. Männer unterstützen ihre Frauen nicht nur bei der Küchenarbeit, sondern auch in der Kindererziehung. Selbst jene, die selten zu Hause sind und sich wenig bis gar nicht in der Küche betätigen, spielen mit dem kleinen Sohn_der kleinen Tochter, damit die Mutter sich anderen Tätigkeiten widmen kann (vgl. z.B. Feldnotizen 2013 lfd.). Oder ein Mann nimmt das/die größere/n Kind/er mit zum Einkaufen in die Stadt, aufs rancho, zu einer Versammlung u.ä. (Feldnotizen 28.9.2013 et al.). Auseinandersetzungen um die innerhäusliche Autorität zwischen dem Haushaltsvorstandsehepaar Schwieger- bzw. Großväter scheinen in besonderer Weise in die Versorgung ihrer Enkelkinder eingebunden zu sein, was im Falle einer konfliktreichen Beziehung zwischen Schwiegermutter und -tochter, eine Beschneidung der Handlungskompetenz der ersteren bedeuten kann. Beispielsweise ignoriert Marcelas Mann Eliseo die Aus-

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einandersetzungen zwischen ihr und Livia bzw. versucht die geringe Beteiligung seiner Frau in der Kinderversorgung, durch verstärkte eigene Aktivitäten auszugleichen. Er wickelt das jüngere Kind, geht mit dem größeren Buben aufs Klo, er füttert die Knaben und nimmt Livia das/die Kind/er ab, wenn diese zu tun hat, oder auch um es ihr zu ermöglichen, in Ruhe zu essen (vgl. Feldnotizen 2011 und 2013 lfd.). Damit nimmt er Marcela, zumindest teilweise, die Möglichkeit, ihren Konflikt mit Livia über die Verweigerung zur Unterstützung in der Arbeit mit den Kindern zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Darüber hinaus darf das Gefühl der Unterstützung und Akzeptanz im Haushalt, das Livia dadurch bekommt, nicht vernachlässigt werden. Die Folge sind Spannungen zwischen Eliseo und Marcela, die sich von ihrem Mann hintergangen fühlt. Letzterer ist folglich in der schwierigen Situation, zwischen seiner Frau und seiner Schwiegertochter zu stehen und eine Möglichkeit der Vermittlung zu finden. Die positive, aber die Handlungsmöglichkeiten seiner Frau einschränkende Haltung eines Mannes gegenüber seiner Schwiegertochter (wiederum vermittelt über die Kinder), ist womöglich dadurch begründet, dass dieser die Gelegenheit nutzt, schon länger schwelende Konflikte mit seiner Gattin zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Beispielsweise wirkt die Ehe zwischen Mario und Berenice auf den ersten Blick harmonisch und ausgeglichen, bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, dass Berenice die Macht in der Beziehung innehat. Ihr gehört das Haus, sie verwaltet das Geld und trifft die Entscheidungen im Haushalt. Als nun eine Schwiegertochter und bald darauf ein Enkelkind ins Haus kommt, sieht Mario die Gelegenheit gekommen, dieser Dominanz etwas entgegenzusetzen, indem er sich nicht offen, aber vermittelt über seine Unterstützung bei der Kinderbetreuung, auf die Seite seiner Schwiegertochter stellt. Damit gewinnt er nicht nur deren Loyalität, sondern auch die seines Sohnes, d.h. das innerhäusliche Autoritätsgefüge verschiebt sich zu seinen Gunsten (Feldnotizen lfd.). Trotzdem also Berenice verheiratet ist, einen eigenen Haushalt und einen erwachsenen Sohn, samt Ehefrau und Kindern hat, kurz mit vollständiger personhood ausgestattet ist, führt das Vorhandensein von Schwiegertochter und Enkelkindern, in ihrem Fall, nicht zu einer Stärkung ihrer innerhäuslichen Autorität, sondern umgekehrt zu einer Schwächung. Der Umgang mit (kleinen) Kindern bietet also eine Art Ressource, nicht nur der Eltern, zur Etablierung und Stärkung ihrer personhood, sondern auch anderer Haushaltsmitglieder. Je nachdem, wie die Beziehung zur Mutter/zum Vater ist, ist das Verhalten ihnen gegenüber geprägt durch Distanz oder Fürsorge. Ersteres kann, im Extremfall, zur alleinigen Verantwortung einer Mutter für ihr(e) Kinder führen, ohne Entlastung bei anderen Tätigkeiten. Zweiteres hingegen ermöglicht es der Mutter/dem Vater u.U., sich zusätzlichen, Einkommen schaffenden oder die Ausbildung vorantreibenden, Aktivitäten zu widmen. Kinder als Mittel der Ausweitung der Beziehungen zwischen Haushalten Die Geburt von Kindern stellt, abseits der innerhäuslichen Möglichkeiten positive oder negative Beziehungen voranzutreiben, ein Mittel zur Ausweitung von Relationen auf andere Haushalte dar, etwas, was in der „klassischen Verwandtschaftsanthropologie“ im Anschluss an Lévi-Strauss, unter den Terminus „Allianzsysteme“ gefasst wird (Haller 2005: 221). Diese potentielle Verbindung zwischen den Einheiten ist es,

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die dazu führt, dass den sexuellen Beziehungen und der Heirat in hierarchisch gegliederten Gesellschaften so großes Augenmerk geschenkt wird. Über Heirat und Nachkommenschaft wird Politik gemacht, werden Bündnisse neu geschaffen oder gestärkt. Die eheliche Verbindung zweier Menschen ist folglich keine individuelle Angelegenheit, sondern eine gesellschaftlich-soziale. In der Vergangenheit wird daher die Entscheidung nicht von den jungen Leuten selbst, sondern von ihren Familien getroffen, wenngleich es zumindest formal ein Einspruchsrecht gibt (Argueta 1994: 229-30). Wie bereits ausgeführt, ist eine derartige „Fremdbestimmung“ heute undenkbar und auch in der Vergangenheit gibt es eine Reihe von Beziehungen, die sich diesem Ideal entziehen. Auf die Bedeutung des Fakts, ob die Eltern einer Frau_eines Mannes, mit der Wahl des Partners_der Partnerin einverstanden sind, wurde bereits mehrmals hingewiesen. Die Geburt eines Kindes kann nun dazu führen, dass die Eltern einer Frau_eines Mannes ihre ablehnende Haltung überdenken und die Verbindung zur Tochter_zum Sohn und damit auch zu ihrer Schwiegerfamilie (wieder) aufnehmen. Vor allem für junge Mütter, ist eine gute Beziehung zur Mutter, eine wichtige Unterstützung. Beispielsweise Livia kann sich, trotz der ablehnenden Haltung ihrer Schwiegermutter ihr gegenüber, dadurch Freiraum verschaffen, dass sie ihr/e Kind/er zu ihrer Mutter bringen und auch über Nacht dort lassen kann (Feldnotizen 16.9.2013). Damit gelingt es ihr, die fehlende Unterstützung in ihrem aktuellen Umfeld auszugleichen. Sie nutzt gewissermaßen ihre Bande zu ihrer Herkunftsfamilie, um ihre schwache Position im neuen Haushalt und in weiterer Folge ihre personhood zu stärken. Auf der einen Seite bestehen im Gefolge der Geburt von Kindern stärkere Bande zwischen bisher eher marginal miteinander verbundenen Familien. Auf der anderen Seite aber sind diese nicht immer erwünscht, oder bieten zumindest zusätzliches Konfliktpotential. Weit bessere Möglichkeiten der gezielten Ausweitung von Netzwerken als über die Heirat und sexuellen Beziehungen der eigenen Nachkommen, die, wie wir gesehen haben, immer einen starken Faktor der Willkür und Zufälligkeit enthalten, bieten sich über das compadrazgo-System (siehe Kapitel V.4.1). VI.2.1.3 Haushaltserweiterungen durch die Aufnahme von Kindern von Verwandten In den bisherigen Ausführungen wurde die Geburt von Kindern unter der Annahme thematisiert, dass diese bei ihren Müttern bleiben (Kapitel VI.2.1.2), höchstens im Falle ihres Todes oder aus ökonomischen Gründen bei Verwandten Unterkunft finden (siehe Kapitel V.2.1 und V.2.2). Bei meinen letzten beiden Aufenthalten, stoße ich jedoch auf eine Art Adoptions- oder Pflegekindsystem, das von den beschriebenen Mustern abweicht. Trotzdem in den Schulen ausführliche Beratungen und Informationen zum Thema Verhütung durchgeführt werden und auch im Rahmen des Programms Oportunidades regelmäßige Gespräche mit jungen Leuten zu diesem Thema gibt (Tz 16 17.10.2013), kommt es immer wieder zu unerwünschten Schwangerschaften. Nicht immer wollen die jungen Leute ihr weiteres Leben gemeinsam verbringen, nicht immer stoßen die jungen Frauen auf Verständnis in ihrer Herkunftsfamilie bzw. erscheint ihnen ein Kind als zu großes Hemmnis in der Verwirklichung ihrer Lebenspläne. Abtreibung ist praktisch kein Thema und wird Manzanares

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(1999: 124) zufolge auch im Falle unehelicher Geburt abgelehnt. 37 Als Ausweg bietet sich, dass die Mutter des Mannes oder der Frau das Baby bei sich aufnimmt und großzieht. Als ich 2013 Estela, nach zwei Jahren Abwesenheit, erstmals wieder begegne, hat die alte Frau ein Baby bei sich. Wohl wissend, dass Estela vier erwachsene Kinder und dem entsprechend viele Enkelkinder hat und diese oft mitnimmt, wenn sie Verwandte besucht, auf den Markt geht o.a., denke ich mir nichts dabei (Feldnotizen 28. 9.2013). Erst als sie auch in Zusammenhängen, die mit einem kleinen Kind nur schwer zu bewältigen sind, den Knaben bei sich hat, werde ich stutzig (Feldnotizen 29.9.2013, 30.9.2013). Es stellt sich heraus, dass es sich um das Kind ihres jüngsten Sohnes handelt. Seine Mutter will es nicht, erklärt sie, deswegen zieht sie es groß. Sie hat es gleich vom Krankenhaus bekommen. Ihr Sohn, der Vater des Buben, der eine Ausbildung zum Lehrer macht, die er selbst finanzieren muss, ist unterwegs Geld zu verdienen. Er bezahlt die Milch und andere Unkosten, die Estela durch das Baby hat, sämtliche Arbeit und Verantwortung aber bleiben ihr überlassen. Das ist nicht leicht, da das Kind oft in der Nacht aufwacht und sie auch während des Tages wenig Unterstützung hat. Ihre Kinder sind alle ausgezogen, wenngleich zwei der Söhne mit ihren Familien in unmittelbarer Nachbarschaft wohnen. Sporadisch kommt eines der Enkelkinder ihr zu helfen. Insgesamt aber ist sie auf sich alleine gestellt, da auch ihr Mann, beruflich bedingt, selten zu Hause ist. Vor allem ihre Aktivitäten über die Herstellung von Kunsthandwerksprodukten Geld zu verdienen, leiden darunter. Allerdings ist sie diejenige, die das Haushaltseinkommen verwaltet, d.h. ihre mehr oder weniger gleichberechtigte Position im Haus, dürfte durch die resultierende Einkommensverschiebung zugunsten ihres Mannes, nicht betroffen sein (Feldnotizen 8.10.2013). Etwas anders gelagert ist der Fall eines Kindes, das bei der Mutter seiner Mutter unterkommt, wenngleich auch hier keine innerhäusliche Autoritätsverschiebung erfolgt. Als ich Nacho kennenlerne, ist er eineinhalb Jahre alt (Feldnotizen 14.11. 2011). Seine Mutter hat einen neuen Freund und lebt bei diesem, deswegen lebt der Bub bei seiner verwitweten Großmutter Augusta. Mit im Haushalt leben Augustas Mutter Beatrice und Augustas jüngster, noch unverheirateter Sohn. Vor allem Beatrice ist eine wichtige Unterstützung bei der Hausarbeit und der Versorgung des Kindes. Während sich Beatrice um den Kleinen kümmert, kann Augusta ihren Arbeiten in Haus und Hof nachgehen, Kunsthandwerksprodukte herstellen und verkaufen oder auch Versammlungen besuchen, alles Tätigkeiten, die wichtig sind, ihre potentiell schwierige Position (als Witwe mit geringen Mitteln) in der Gemeinde zu stärken. Voraussetzung ist die gute und durch gegenseitiges Vertrauen geprägte Beziehung zwischen Mutter und Tochter (Feldnotizen 10.10.2013). VI.2.1.4 Haushalts(wieder)erweiterungen durch die Rückkehr von Migrant_inn_en In einem Abschnitt von Kapitel VI.1.1.6 befassten wir uns mit Besuchen von Haushaltsmitgliedern, die (in der Regel vorübergehend) migriert sind. Kehren diese nun nach Hause zurück, so zeigen sich ähnliche Tendenzen, wie oben beschrieben. Nach der ersten Freude und einer damit verbundenen Privilegierung, kommt es sehr rasch 37 Was nicht heißt, dass sie nicht vorkommt.

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zu einer Wiedereingliederung in die innerhäuslichen Strukturen. Je nachdem, ob es dem_der ehemaligen Migranten_ Migrantin gelungen ist, in der Stadt, ihre beruflichen und andere Kompetenzen zu erhöhen, steigt er_sie in die Haushaltsökonomie ein oder versucht in Cuetzalan und Umgebung einen seiner_ihrer Ausbildung entsprechenden Job zu bekommen. Ersteres bedeutet eine Arbeitserleichterung für die Eltern, letzteres ist zwar potentiell bedrohlich, da der junge Mensch u.U. vermehrte Geldmittel erwirtschaften und sich von seiner Herkunftsfamilie unabhängig machen kann (was seine innerhäusliche Verhandlungsposition wesentlich stärkt), wird in der Regel aber positiv gesehen. Hat der_die ehemalige Migrant_ in bereits einen eigenen Haushalt, so wird das in der Fremde verdiente Geld zur Verbesserung der Wohnstrukturen oder auch dem Kauf von Arbeitsmaterialien z.B. für die Herstellung von Kunsthandwerksprodukten verwendet. VI.2.1.5 Haushalts(wieder)erweiterungen durch die Rückkehr von Söhnen oder Töchtern aufgrund von Trennung oder Scheidung In den vorangegangenen Ausführungen, insbesondere in Kapitel V.1, wurde auf die Bedeutung der Verfügung über eigene Ressourcen von (jungen) (Ehe-)Frauen hingewiesen, damit sie, im Falle einer Trennung/Scheidung von ihren Männern, ihre Handlungsfähigkeit erhalten oder gar ausweiten können. Herausgestellt wurde dabei auch die Bedeutung eigener Häuser, insbesondere, wenn die Frauen Kinder haben. Ansonsten müssen sie mit ihren Kindern in den Haushalt der Eltern zurückkehren, eine Option, die m.E. nur gegeben ist, wenn diese noch leben.38 Bisher nicht, oder nur am Rande thematisiert, wurde der Fall, dass u.U. auch Männer gezwungen sind, bei ihren Eltern unterzukommen, wenngleich, aufgrund ihrer Unfähigkeit Aspekte weiblicher personhood auszugleichen, auf ihre größere Schwierigkeit, einen eigenständigen Haushalt zu führen, hingewiesen wurde (siehe Kapitel V.2.2). Möglicherweise relativiert sich diese Schwierigkeit mit der festgestellten verstärkten Übernahme von Haushaltstätigkeiten und damit einhergehenden neuen Kompetenzen, durch Männer. Oben (Unterkapitel zu Kapitel VI.2.1.2) wurde die prekäre Situation von Carlos geschildert, der, trotz seiner (oben nicht erwähnten) Fähigkeit zu kochen, zu waschen, u.ä., in den Elternhaushalt zurückkehrt und seine „neue“ Machtlosigkeit gegenüber seiner Schwester dadurch in den Griff zu kommen versucht, dass er Alicia einerseits immer wieder an ihre Mutterrolle erinnert, sie andererseits aber in der Kinderbetreuung nicht unterstützt. VI.2.1.6 Kurze Zusammenfassung In den längerfristig wirksamen Erweiterungen der Haushaltszusammensetzung zeigen sich, wie zu erwarten war, insbesondere jene als relevant für Änderungen im Autoritätsgefüge, die mit Heirat und der Geburt von Kindern in Verbindung stehen. Zum einen verdeutlicht sich in diesem Kontext, die besondere Problematik von Schwiegermutter-Schwiegertochter-Beziehungen, zum anderen wird die neue Situation u.U. von anderen Haushaltsmitgliedern genutzt, die eigene Position zu stärken 38 Theoretisch wäre auch eine Rückkehr ins Haus des Bruders_der Schwester möglich, was eine noch stärkere innerhäusliche Statusverschlechterung und Rechtlosigkeit nach sich zöge, als das beim Zurückgehen in den elterlichen Haushalt der Fall ist.

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oder zumindest einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken. Eine Reihe latent vorhandener Konflikte von Haushaltsmitgliedern werden über das Verhalten gegenüber den neu hinzugekommenen Personen ausgetragen. Dabei lässt sich Streit als eine Art Ressource erkennen, das Verhalten anderer zu bestimmen. VI.2.2 Die Auswirkungen von langfristigen Reduktionen von Haushalten auf interne Machtgefüge Langfristige Verringerungen der Haushaltsgröße, wobei streng genommen, nicht von „Verringerung“ gesprochen werden kann (siehe unten, Kapitel VI.2.3), ergeben sich durch den Tod eines Haushaltsmitglieds, die Ablösung eines Haushalts vom elterlichen Gefüge, das Weggehen junger Menschen durch Heirat, wie auch durch Migration. Einige der damit einhergehenden Veränderungen in den Autoritätsstrukturen wurden bereits in anderen Zusammenhängen angesprochen (siehe Kapitel VI.1.2.2). Zu nennen ist hier der Entfall von Arbeitskraft und der Kontrolle des Sohnes_der Tochter durch das Haushaltsvorstandsehepaar im Falle von Heirat, Migration oder auch die Neugründung eines Haushalts durch die Kindergeneration. VI.2.2.1 Veränderungen des haushaltsinternen Gefüges aufgrund des Todes eines Haushaltsmitglieds Der Tod ist in Cuetzalan nach wie vor ein alltägliches Phänomen (für die Vergangenheit, vgl. Arizpe 1973: 204-5). Die Lebensbedingungen sind hart; Menschen über 60, oder gar 70, gelten als alt: 39 „[¿Tu mamá, cuantos años tiene?] Setenta y cinco [Setenta y cinco] Setenta y cinco años (längere Pause) y yo pienso que esa edad que tiene (Pause) para esa edad que alcanza yo ese“ (Tz 5 2005: 444-7). Dabei ist die Sterblichkeitsrate im Bezirk Cuetzalan im Jahr 2010 mit 5,3 Prozent etwas niedriger, als die des Bundesstaates Puebla insgesamt, mit 5,4 Prozent auf tausend Einwohner_innen (Gobierno de Puebla o.d.: 2). In San Miguel Tzinacapan ist der Anteil der über 60-jährigen, einer Tourismushomepage zufolge (URL 18), bei knapp zehn Prozent.40 Als Hauptursachen des Ablebens werden für das Munizipio, an erster und herausragender Stelle, Herzkrankheiten, gefolgt von Diabetes Mellitus, Gefäßkrankheiten und Tumore, genannt (Gobierno de Puebla o.d.: 2). Zwar hinterlässt (fast) jede_r Tote eine Lücke, aber das Sterben älterer Menschen wirkt sich in anderer Weise auf die Nachkommen aus, als das im Falle des Todes jüngerer Menschen der Fall ist. Die oft sehr prekäre Situation von (teil-) verwaisten minderjährigen Kindern wurde ja bereits in Kapitel V.2 thematisiert. Besonders bedrohlich für den Gesamthaushalt ist der vorzeitige Tod des Hausherrn_der Hausherrin, da dieser womöglich die Auflösung des familiären Zusammenhalts zur Folge hat.41 Vorzeitig bezieht sich darauf, dass ein Mensch noch nicht 39 Viele der älteren, über 60-jährigen Frauen heben hervor, dass sie das nächste Mal, wenn ich komme, womöglich schon tot seien (Feldnotizen lfd.). 40 Für Österreich gibt die Statistik Austria einen Anteil von 17,9% von Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren an. Die 60-65-jährigen sind in die Statistik der 20-64-jährigen (61,8%) subsumiert (URL 48). 41 Arizpe (1973: 204) hingegen stellt für die Gemeinde Zacatipan Ende der 1960er Jahre, eine Verlängerung der Zeit des Zusammenlebens verheirateter Geschwister fest.

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als alt gilt, sein Tod im Grunde für alle unterwartet kommt und womöglich noch nicht alle seine Kinder das Erwachsenenalter erlangt haben. Bedrohlich ist dieser auch aufgrund der potentiellen ökonomischen Folgen – viele Männer und Frauen berichten, dass sie ihre Ausbildung abbrechen müssen bzw. gar nicht damit beginnen können, da aufgrund des Todes der Mutter_des Vaters die Mittel fehlen, diese zu bezahlen (z.B. Tz 5 2005: 62-72; Tzm 34 31.1.2006). In anderen Zusammenhängen hingegen wird der Tod eines Haushaltsmitglieds, selbst des Haushaltsvorstands als Erlösung empfunden. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich bei der_dem Verstorbenen um einen gewalttätigen Mann, also eine Person handelt, die nicht in der Lage ist, die animalische Kraft ihres tonal unter Kontrolle zu bringen (vgl. Kapitel V.3.5). Die Nachkommen, wie auch die Ehefrauen solcher Männer, äußern sich mir gegenüber mit keinem Wort des Bedauerns, über den Tod des Gatten oder Vaters, im Gegenteil. Die Autorität im Haushalt verschiebt sich nach dem Dahinscheiden des „Haustyrannen“, in einer für alle Beteiligten positiv erlebten Weise, hin zur Ehefrau, oder, falls diese nicht (mehr) als arbeitsfähig gilt (siehe Kapitel V.2.1), zu einem ihrer erwachsenen Kinder. Ökonomische und andere Benachteiligungen werden als geringeres Übel, angesichts der Befreiung von jahrelangen Demütigungen und Misshandlungen, gerne in Kauf genommen. Handelt es sich bei einer_einem Verstorbenen hingegen um eine geschätzte und geliebte Person, dann kommt es vor, dass der Sohn_die Tochter, der Gatte_die Gattin oder auch der Bruder_die Schwester noch Jahre nach ihrem Tod, in Tränen ausbricht, wenn er_sie von ihm_ihr spricht. Auch in solchen Fällen, teilt sich das Autoritätsgefüge im Haushalt unter den Verbliebenen neu auf, diese Neuordnung, wird aber nicht als Erlösung empfunden. Unabhängig von der Beliebtheit, vom Alter der_des Verstorbenen, wie auch den möglichen ökonomischen und anderen Folgen, bleibt sie_er jedoch Teil des Haushalts. Deutlich wird dies zunächst im Zusammenhang mit den Begräbnisfeierlichkeiten (Argueta 1994: 170-1), danach jährlich zu Allerheiligen, wenn die Toten im Allgemeinen, die des Hauses im Besonderen, mit Weihrauch, Blumen, Totenbrot, Obst, verschiedenen Arten von tamales und Kaffee oder auch atole, verstorbene Kinder darüber hinaus mit Spielzeug, versorgt werden. Mit diesen Gaben müssen die Verstorbenen das ganze Jahr über auskommen, d.h. die Einwohner_innen des Hauses sollten diesbezüglich möglichst großzügig sein (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 278; Feldnotizen 2011 lfd.). Früher hätten sich die Altäre unter der Last des Essens und anderer Dinge gebogen, wird häufig betont (z.B. Tz 7 2.11. 2011). Wenn ihr Appetit nach geeigneten Opfergaben nicht erfüllt wird, dann stellen die Verstorbenen eine große Gefahr für die Lebenden dar und sie versuchen, diese mit sich in die Unterwelt zu nehmen (Lupo 2001: 255-6). Auch abseits von Allerheiligen gilt eine Rückkehr der Toten ins Haus, trotz ihrer potentiellen Zugehörigkeit und ihrer prinzipiell wohlwollenden Vermittler_innenrolle zu Gott (ibid.) als gefährlich. Daher werden zusätzlich zur dreitägigen Totenwache, unmittelbar nach dem Verscheiden eines Menschen, im ersten Jahr seines Todes jedes Monat, in den folgenden sieben Jahren, jeweils am Todestag, Rosenkranzgebete abgehalten, zu denen die m/p/adrin@s und andere geladene Gäste kommen, um den Verstorbenen die Rei-

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se ins Totenreich zu erleichtern und so ihr Bedürfnis in ihr ehemaliges Wohnhaus zu kommen, zu verringern (Tz 7 3.10.2013; Tz 19 10.10.2013).42 Der Tod eines Haushaltsmitglieds führt, wenn wir die zentralen Aussagen dieses Abschnitts zusammenfassen, zu Verschiebungen des Autoritätsgefüges im Haushalt und kann die Aufspaltung desselben zur Folge haben. Diese Neuordnung erfolgt ungeachtet dessen, dass Menschen nach ihrem Tod nicht aufhören, Teil des Haushalts zu sein, wenngleich ihre Anwesenheit nur zu bestimmten Zeiten erwünscht ist, ansonsten als gefährlich und bedrohlich gilt, und zwar unabhängig davon, ob der_die Verstorbene zu Lebzeiten beliebt oder gefürchtet war. Die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Totenwache, dem Begräbnis und den monatlichen bzw. jährlichen Rosenkranzgebeten auf der anderen Seite, können zwar zu Auseinandersetzungen zwischen Verwandten darüber führen, wer die Kosten zu tragen hat, fördern aber insgesamt das soziale Gefüge zwischen Haushalten. Verwandte, Pat_inn_en und Freund_inn_e_n der_des Toten sollten sich an den Kosten und Arbeiten für diese Rituale, die immer auch mit einer Mahlzeit für alle Mitwirkenden, inklusive die_den Tote_n, verbunden sind, beteiligen (Argueta 1994: 254-6, 170-1, 175).

VI.3 Z USAMMENFASSUNG Im Zusammenhang mit kurzfristigen und systemimmanenten Veränderungen der Haushaltszusammensetzung befassten wir uns zunächst mit solchen Erweiterungen des Haushalts, die im Zuge von Arbeiten im, am und für das Haus bzw. den Haushalt erfolgen. Zum einen betrifft das Arbeiter, die nur am Rande, über eine gemeinsame Mahlzeit, in die Gemeinschaft integriert werden, wobei diese im Falle des Maisanbaus besondere Relevanz hat und eine spirituelle Verbindung zwischen Erde, Menschen und Mais schafft. Zum anderen inkludiert das diputad@s, die im Zusammenhang mit der Durchführung größerer mayordomías ins Haus kommen. Hier erfolgt ein intensives gemeinsames Arbeiten und Konsumieren und in Folge, eine nahezu vollständige Eingliederung in die Haushaltsgruppe, was sich im alltäglichen Verhalten des selbstverständlichen Aufenthalts in der Küche und des „Sich-selbst-Essennehmens“ ausdrückt. Kommen jedoch im Zuge des Festes Gäste ins Haus, so ist das Verhalten der Haushaltsmitglieder, die diputad@s inkludierend, in mancher Hinsicht stärker formalisiert und folgt geschlechtlichen Vorgaben. Innerhalb der Gruppe der Frauen wie auch der Männer aber, behalten die Beziehungen einen stark informellen und lockeren Charakter. Hierarchien und entsprechende Verhaltensvorgaben zeigen sich jedoch zwischen den Haushalten, entsprechend der Bedeutung der ihnen überantworteten Heiligen. Ähnliche Muster des Wechsels zwischen formellen und infor42 Zur potentiellen Gefährlichkeit der Seelen der Verstorbenen, vgl. auch Signorini (1982: 315); Lupo (1995: 114-5). Besonders bedrohlich sind, Alessandro Lupo (2001: 355) zufolge, jene, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind. – Zum Begräbnis und den Grabbeigaben, vgl. Argueta (1994: 254ff.). Bei Argueta (ibid.: 256) wird berichtet, dass Menschen, die bei ihrem Tod bereits erwachsen sind, alles, was ihnen ins Grab mitgegeben wird, in siebenfacher Ausführung erhalten, Kinder in fünffacher. Die Toten erhalten auch Mais, da sie womöglich an einen Ort kämen, an dem Truthähne nach ihnen picken wollten. Mit dem Mais aber, könnten sie diese von sich ablenken.

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mellen Verhaltensweisen und damit einhergehend, der Infragestellung und Überwindung von Gender- und Altersnormen oder anderer Differenzmarkierungen und ihrer strikten Einhaltung, zeigen sich in allen Formen von Gastmählern, seien diese zu Ehren eines Heiligen, anlässlich eines Geburtstags oder eines Totenfests. Eine andere Form der Haushaltserweiterung stellt die zeitweise Aufnahme einer_eines Verwandten dar, für eine oder mehrere Nächte, mehr oder weniger regelmäßig. Hier dominieren der gemeinsame Konsum und das gemeinsame Schlafen gegenüber dem gemeinsamen Arbeiten, wenngleich der_die Betreffende durchaus für kleinere Haushaltsaufgaben herangezogen wird. Die oben geschilderte Selbstverständlichkeit des Essennehmens, wie auch des Zugangs zur Küche ist auch hier gegeben. Ähnliches gilt für Menschen, auch Forscher_innen, die für längere Zeit im Haushalt aufgenommen werden. Wenn sie, oder auch in der Stadt oder im Ausland lebende Kinder, nach längerer Abwesenheit ins Haus zurückkehren, werden sie, nach anfänglich bevorzugter Behandlung, sehr rasch ins Alltagsleben (re-)integriert. Menschen mit Gästestatus hingegen sind weit stärker formalen Verhaltensvorgaben ausgesetzt. Sie erhalten bei den Mahlzeiten den besten Platz, womöglich im Wohnzimmer, nicht in der Küche, sie bekommen (scheinbar) zuerst und (scheinbar) das beste Essen. All diese Haushaltserweiterungen haben nur in Ausnahmefällen Auswirkungen auf das haushaltsinterne Autoritätsgefüge, häufig jedoch auf die Beziehungen zwischen den Haushalten. Mayordomías und die Ausrichtung anderer Arten von Festen stärken das Prestige des Haushalts und in weiterer Folge die personhood seiner Mitglieder. Die Integration von Forscher_inne_n aus anderen Weltregionen wird teilweise gezielt genutzt, um die Haushaltsressourcen auszuweiten und so gegenüber anderen Haushalten, beispielsweise in den Vertriebsmöglichkeiten von Kunsthandwerksprodukten, im Vorteil zu sein. Kurzfristige Verringerungen der Haushaltsgröße, aufgrund von Abwesenheiten von Haushaltsmitgliedern, sind v.a. unter dem Aspekt zu sehen, wer in der Zwischenzeit ihre Aufgaben übernimmt/übernehmen kann. Hier, wie in anderen Zusammenhängen, zeigen sich die Vorteile größerer Haushalte mit mehreren erwachsenen Personen, gegenüber kleineren. Zum einen sind diese Abwesenheiten sozial vorgegeben (wie die faena, aber auch eine Festeinladung, oder eine der zahlreichen Versammlungen), zum anderen handelt es sich um Möglichkeiten soziales Prestige zu erlangen (z.B. im Falle der Feste), Wissen und Informationen zu lukrieren (im Falle vieler der Versammlungen) oder auch ökonomische Mittel zu erwirtschaften (wie im Falle von Geschäftsreisen, zum Teil auch den Versammlungen von Oportunidades). Von daher bestehen in vielen Haushalten latente Auseinandersetzungen darum, wer im Haus bleibt und wer zu den diversen sozialen und anderen Verpflichtungen geht. Besonders spannungsbeladen sind hier die Schwiegerkinder-Schwiegereltern-Beziehungen. Andere, mehrjährige Haushaltsreduktionen ergeben sich durch das Studium, die Lohnarbeit oder den Militärdienst von Haushaltsmitgliedern in Puebla-, Tlaxcalaoder Mexiko Stadt oder anderswo. Vor allem die Abwesenheit des Haushaltsvorstands, kann sich negativ auf das Haushaltswohl auswirken, wenngleich seine Frau in dieser Zeit an innerhäuslicher Kompetenz gewinnt. Die in der Migration erwirtschafteten Mittel werden nach der Rückkehr genutzt, ein eigenes Haus zu errichten oder auch das bereits bestehende weiter auszubauen. Von Söhnen und Töchtern wird er-

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wartet, dass sie nach beendeter Ausbildung, nach Ende des Militärdienstes o. ä. nach Hause zurückkommen, um gegebenenfalls die Versorgung der Eltern im Alter zu übernehmen. Im Zusammenhang mit dem kurz- oder auch längerfristigen Leben in der Fremde, zeigt sich eine Solidarisierung der maseualmej, um rassistischen Tendenzen entgegenzuwirken bzw. junge Leute versuchen, durch Kleidung, Sprache u.a., dem „Stigma der Indigenität“ zu entkommen. Bezogen auf die längerfristigen Haushaltserweiterungen, wurden vor allem Heirat und Geburt in den Blick genommen, die Heirat als ein Ereignis, das in Folge mit vielen Konflikten einhergehen kann, die Geburt eines Kindes, als etwas, was von verschiedenen Haushaltsmitgliedern als Ressource zur Stärkung der eigenen Position genutzt werden kann. In den Verhaltensweisen betreffend den_die ins Haus kommende_n Heiratspartner_in, wie auch eines neu geborenen Kindes, spiegelt sich eine Bandbreite von Interessen. Sie werden genutzt Konflikte mit dem Ehemann_der Ehefrau auszutragen, mit dem Vater_der Mutter des Kindes, etc. Es könnte bildlich, von einem Gezerre an ihnen als Spielsteine gesprochen werden, in der täglichen Auseinandersetzung, der im Haus lebenden Personen, zur Erweiterung oder zumindest Verteidigung der eigenen Position. Von besonderem Interesse in Hinblick auf Veränderungen haushaltsinterner Autoritätsverhältnisse ist jedoch die Rückkehr eines Sohnes_einer Tochter ins Elternhaus nach dessen_deren Scheidung, da er_sie nun, anders als vor seinem_ihren Weggang, im familiären Gefüge machtlos ist und sich seine_ihre Position neu erarbeiten muss. An dieser Situation zeigt sich besonders deutlich, dass im Grunde keine Haushaltsreduktionen erfolgen,43 weder kurz- noch langfristig, nur Erweiterungen: Personen, die migrieren, das Haus aufgrund von Heirat o.ä. verlassen, aber auch im Falle von Tod hören nicht auf Mitglied zu sein, wenngleich sie einen neuen Status in der Hausgemeinschaft einnehmen. Es besteht immer die Möglichkeit der Rückkehr, aber in eine vergleichsweise untergeordnete Position, was diese in vielen Fällen als unattraktiv erscheinen lässt. Bezogen auf Tote, wird deren Rückkehr ins Haus, seitens seiner Einwohner_innen, mit Ausnahme von Allerheiligen, gefürchtet. Die monatlichen, später jährlichen Rosenkranzgebete für Tote, haben daher zum Ziel, den_die Tote_n bei seiner_ihrer Reise in die Totenwelt zu unterstützen und sein_ihr Interesse einer Rückkehr in den Haushalt, auf null zu verringern.

VI.4 D ER U MGANG

MIT SCHWEREN , LANG ANHALTENDEN K RANKHEITEN

Eine der Gefahren, die ein zu enger Kontakt mit Verstorbenen impliziert, ist ihr Neid auf die Lebenden und ihr damit einhergehendes Bestreben, deren Seelen zu sich in die Totenwelt zu holen. (Schwere) Krankheiten lassen sich in vielen Fällen auf den Raub des tonal oder auch des nagual bzw. des yekauil – da gehen die Meinungen in der Literatur wie auch der indigenen Bevölkerung selbst auseinander (siehe Fußnote

43 Ausgenommen sind Schwiegertöchter, die, warum auch immer, (noch) nicht wirklich in den Haushalt integriert sind; vgl. Kapitel V.2.1.

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in Kapitel II.7.1) –, durch eine der vielen übernatürlichen Wesenheiten, die unter dem Begriff ejekat („Wind“) zusammengefasst werden, darunter auch die Seelen der Verstorbenen, zurückführen (Signorini 1982: 315; Knab 1991: 34; Lupo 1995: 114-5; Tz 7 14.10.2013). Krankheiten, die mit Seelenverlust und einem damit einhergehenden Ungleichgewicht des Menschen (des Zusammenspiels von Körper und Seeleneinheiten, aber auch der Haushaltsgemeinschaft, der Gemeinde, des Kosmos; vgl. Zuckerhut 2010b) in Verbindung gebracht werden, spiegeln oft soziale Spannungen, von denen die genannten zwischen Toten und Lebenden, nur eine Form darstellen. Krankheit und in Folge der Tod, resultieren darüber hinaus aus „schlechten Taten“, weswegen „a la Tierra y al Dios“ (Argueta 1994: 241) rechtzeitig um Verzeihung gebeten werden müssen. Nicht immer ist der_die Kranke der_diejenige, der_die die Krankheit durch sein_ihr Verhalten ausgelöst hat. So wird von einem Pfarrer berichtet, der schwer krank wird, weil die Mitglieder seiner Gemeinde ihn nicht respektieren und schlecht behandeln (ibid.: 257-8). Als Yolandas Säugling nicht mehr trinkt, nicht schläft, nur weint und immer dünner wird, die Ärzte jedoch nichts finden können, lässt sie ihn von einer Heilerin behandeln. Diese stellt fest, das Kind sei krank geworden, weil die Leute sich ärgerten, neidisch seien, weil es so dick und schön sei mit seinen schwarzen Locken. Und Yolanda zeigt mir Fotos von dem dicken, pausbäckigen Buben. Er sei vor seiner Erkrankung fröhlicher gewesen, nun sei er viel ernster, stellt sie fest (Feldnotizen 23.10.2011). Darüber hinaus kann auch großer Ärger zu Krankheit führen (Tz 7 22.10.2011; Tz 13 23.10.2011). Weitere Ursachen sind der „Schrecken“ (nemoujtil), das mal ojo (ixchikauak), d.h. ein starker und daher gefährlicher Blick, sowie die Nähe von Menschen mit „starkem Blut“ (chikauak iesyo) (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 281; vgl. auch Manzanares 2004: 32; Tz 7 22.10.2011; Tz 13 23.10. 2011). Ein wesentlicher Schritt in der Heilung ist in jedem Fall die (Wieder-)Herstellung des Gleichgewichts der person, d.h. ein_e Heiler_in reist nach miktan, in die Totenwelt, oder auch nach talokan, die Unterwelt, um die verlorene Seeleneinheit zu finden und zurückzuholen (Lupo 1995: 114-5; Tz 7 14.10.2013). Parallel dazu wird meist auch ein_e Vertreter_in der Biomedizin konsultiert (Tzm 10 22.10.2011). Wesentliche Voraussetzung für Erfolg ist jedoch die Unterstützung der Erde und darüber hinaus Bündnispartner_innen in der Welt der Heiligen zu bekommen, d.h. die kosmische Harmonie zu stärken. Daher spielen Gebete an diese eine wichtige Rolle (Lupo 1995 lfd.; Argueta 1994: 261-2).44 Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 279) berichten weiters, dass im Falle eines kranken Kindes, ein „padrino de la iglesia“ (tiopantokay) gesucht werde. Dieser begleitet die Familie, zusammen mit Kerzen und Blumen in die Kirche, spricht dort ein Gebet und reinigt

44 Die Überzeugung, dass Heilige einen wesentlichen Beitrag zur Heilung leisten können, teilen breite Teile der Bevölkerung der Region. Der Vielzahl von indigenen und mestizischen Heiler_inne_n gemeinsam ist, dass sie diese in ihren Ritualen anrufen (z.B. C 11 10.12.2003; sowie Tz 57 und Tzm 108 9.10.2013). Indigene Heiler_innen rufen darüber hinaus jedoch die Erde und die Engel, die Blitze, an: „[S]e invoca a los ángeles, a los àngeles verdes, ellos son los rayos“, damit diese die verlorene Seele suchen (Argueta 1994: 261).

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das Kind mit den Blumen, mit denen er zuvor über die Statue des Heiligen Michael gestrichen hat. In der Regel wird im Gefolge einer Krankheit ein Versprechen geleistet, sich an einer Tanzgruppe zu beteiligen oder für eine_n Heilige_n ein Fest auszurichten oder zumindest daran teilzunehmen. An welche_n Heilige_n sich die Familie wendet, hängt von der Krankheit, aber auch von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Betroffenen ab (ibid.: 280; vgl. Kapitel IV.4.3.1). Ähnlich wie im Zusammenhang mit dem Maisanbau (vgl. Kapitel IV.2.5), zeigt sich hier eine Logik, die sich grundlegend von der kapitalistischen, wie sie im Verlauf des langen 16. Jahrhunderts entwickelt wird (vgl. Kapitel II.4), unterscheidet. Trotzdem eine Arbeitskraft wegfällt, oder zumindest mehr und intensivere Arbeit für Pflege und Versorgung einer_eines Kranken notwendig ist, wird nicht mit einer Verringerung der religiösen und spirituellen Aktivitäten reagiert, sondern im Gegenteil, mit ihrer Intensivierung. Darüber hinaus werden hohe Ausgaben, zusätzlich zu den nötigen Mitteln zum Kauf von Medizin und zur Bezahlung der Heiler_innen und Ärzte_Ärztinnen, in Kauf genommen (vgl. dazu auch Kapitel II.3.2). Innerhalb der Familie bzw. des Haushalts, verlangt die Krankheit eines der Mitglieder, ein verstärktes Zusammenwirken und -arbeiten sämtlicher Hauseinwohner_ innen, bereits vor der Ausrichtung des versprochenen Festes für eine_n Heilige_n. Vor allem wenn Personen ausfallen, die einen wichtigen Teil der Haushaltsarbeit leisten, ist der Mehraufwand an Arbeit für die anderen Familienmitglieder beträchtlich. Miguel und Angelica erzählen, dass Miguel, als seine Frau krank war, zusätzlich zu seinen sonstigen Arbeiten, sämtliche Hausarbeit übernahm: angefangen vom Kochen und dem Waschen des Geschirrs, bis zum Wäschewaschen. Und auch später noch, als Angelica gelegentliche Schwächeanfälle hat, ist er bemüht, ihr möglichst viel an Arbeit abzunehmen (Feldnotizen 2009-2013). Eine schwere Krankheit ist in jedem Fall eine Herausforderung des haushaltsinternen Autoritätsgefüges, wobei in Hinblick auf die Auswirkungen entscheidend ist, wer krank ist, d.h. welche Position die erkrankte Person darin einnimmt. Erkrankt beispielweise die Hausherrin in einem geschlechtshierarchisch organisierten Haushalt, so werden die geschlechtlichen Ungleichheiten zwischen den Eheleuten womöglich verschärft und es liegt an anderen Einwohner_inne_n des Hauses oder auch Verwandten der Frau, die nicht im Haus leben, die Gesundung der Kranken voranzutreiben. So müssen Felicitas schulpflichtige Kinder, die aufgrund der Gewalttätigkeit ihres Ehemannes sehr oft krank ist, ihre Aufgaben übernehmen (Tz 5 2005: 164175), wenngleich auch der Vater vermehrt Haushaltstätigkeiten verrichten muss (ibid.: 45-56). Erkrankt hingegen der Mann, so stärkt das – bei aller Mehrarbeit –, in vielen Fällen die Position der Frau. In Haushalten, die stärker egalitär ausgerichtet sind, werden die bestehenden gleichberechtigten Strukturen durch die Krankheit tendenziell gestärkt, wie das im oben geschilderten Beispiel von Angelica und Miguel der Fall ist, ebenso wie im Haushalt von Mariella und ihren beiden Brüdern (Hh 8): Die Krankheit eines der Brüder fördert die bestehende Solidarität und den Zusammenhalt der Geschwister untereinander, deren Beziehung bereits vorher durch starkes gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung charakterisiert ist. Stärker noch, als die haushaltsinternen Machtgefüge, spiegeln sich im Gefolge von Krankheit, Ungleichheiten und Spannungen zwischen (verwandten) Haushalten. Beispielsweise wird im Falle der Erkrankung einer älteren Frau_eines älteren Man-

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nes, die_der im Haus eines ihrer_seiner Kinder lebt, von den anderen Kindern erwartet, ebenfalls ihren Beitrag zur Gesundung der Mutter_des Vaters zu leisten. Das kann in Form von Geld für Medikamente und Arztbesuche erfolgen, oder in Form von Lebensmitteln. Häufig fühlt sich eine_r der Töchter_Söhne benachteiligt und unterstellt, dass die anderen Geschwister zu wenig zur Gesundheit des Vaters_der Mutter beitragen würden (Feldnotizen 14.2.2005, 21.2.2005; 14.10.2013; et al.). Krankheiten werden, wie oben ausgeführt, zumindest teilweise auf eine gestörte Harmonie des Körpers der_des Kranken, des Haushalts, der Gemeinde zurückgeführt, die durch Heilungszeremonien sowie das Versprechen (und seine Einhaltung) eine mayordomía durchzuführen oder einer Tanzgruppe beizutreten, wieder hergestellt werden muss. Diese Wiederherstellung ist nicht notwendigerweise mit der Verringerung von haushaltsinternen Hierarchien verbunden, im Gegenteil. Innerhalb der Haushalte werden bestehende Autoritätsstrukturen in der Regel verstärkt, seien diese nun stärker hierarchischer, oder gleichberechtigter Natur. Gleichzeitig aber können sie, aufgrund von Schuldzuweisungen an Verwandte, diese würden zu wenig zur Heilung der_des Kranken beitragen, in zwischenfamiliären Spannungen resultieren.

VI.5 D ER U MGANG MIT DER UNGEWOLLTEN S CHWANGERSCHAFT EINER , NOCH IM H AUS IHRER E LTERN LEBENDEN , UNVERHEIRATETEN T OCHTER Vorhandene geschlechtliche Ungleichheiten und patriarchale Tendenzen innerhalb von Haushalten spiegeln bzw. verstärken sich auch in Zusammenhang mit der nicht geplanten und daher in der Regel nicht erwünschten Schwangerschaft einer Tochter. Denn, trotzdem sich in den moralischen Vorstellungen der maseualmej, ihren eigenen Aussagen zufolge, vieles geändert hat – in der Vergangenheit hätte ein Mädchen einen Burschen nicht einmal ansehen dürfen, wird immer wieder betont (Tz 7 11.10.2013)45 – löst die Schwangerschaft einer unverheirateten Frau, die (noch) im Haushalt ihrer Eltern lebt, in vielen Fällen heftige innerhäusliche Auseinandersetzungen aus. So erzählt Teresa, dass ihr Mann Eliseo „se enoja mucho“, als er mitbekommt, dass die gemeinsame, trotz ihrer 22 Jahren unverheiratete und daher noch bei ihnen lebende Tochter Rufina, schwanger ist. Es gelingt Teresa jedoch Eliseo davon zu überzeugen, dass er seiner Tochter gegenüber, eine besondere und nicht abzugebende Verantwortung hat (Feldnotizen 24.10.2011). Rufina weigert sich, den Vater ihres Kindes zu heiraten und bleibt bei ihren Eltern wohnen. Es stellt sich heraus, dass die Geburt ihres Sohnes, ihren ohnehin günstigen Status, als einziger Tochter im Haus, insgesamt nicht erschwert oder verschlechtert, sondern vielmehr wesentlich

45 Einer der maseualmej, dessen Aussagen in die, von Argueta (1994: 155) gesammelten Oraltraditionen eingehen, berichtet, dass Väter die Länge der Abwesenheiten ihrer Töchter zum Wasserholen, Wäschewaschen, etc. sehr genau kontrollieren, um den Kontakt mit Burschen zu verhindern. Darüber hinaus heißt es, werden in der Vergangenheit viele Mädchen, in Hinblick auf sexuelle Angelegenheiten, in völliger Unwissenheit gelassen (vgl. u.a. Tz 5 2005: 258-9).

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verbessert. Wenngleich unverheiratet, wird sie nun als Erwachsene anerkannt und geschätzt (Feldnotizen 2013 lfd.). Vor allem die Eltern von Töchtern versuchen, ihnen nicht genehme Beziehungen ihres Kindes mit einem Burschen, zu unterbinden. Notfalls gehen sie das Mädchen suchen, fragen bei den Eltern des Burschen, bei Freund_inn_en und Bekannten nach, wo es sein könnte und holen es nach Hause zurück (Feldnotizen 11.10.2013). Dabei wäre eine unerwünschte Schwangerschaft aufgrund sexueller Kontakte leicht in anderer Weise zu verhindern. Gibt es doch seitens der mexikanischen Regierung, breite Informationskampagnen zur Verwendung von Verhütungsmitteln. Bei meinem ersten Aufenthalt im Jahr 2003 fallen mir Plakate und Aufschriften auf, die auf die Möglichkeit des kostenlosen Erwerbs von Kondomen hinweisen – wobei diese auch im Kontext mit Kampagnen gegen AIDS zu sehen sind. Im Rahmen des Programms Oportunidades werden insbesondere mit jungen Leuten, Aufklärungsgespräche geführt (Tz 16 17.10.2013). Die Mütter von Töchtern wie auch von Söhnen heben die Bedeutung der Verhütung hervor und betonen, sie würden mit ihren Kindern darüber sprechen – denn ein Kind zu bekommen bedeute Verantwortung, für den Mann ebenso wie für die Frau (Tz 7 11.10.2013; Tz 16 17.10.2013). Trotz all dieser Bemühungen, kommt es dennoch zu unerwünschten Schwangerschaften. Nicht in allen Fällen ist es möglich, wie im Beispiel von Rufina geschildert, dass die (meist junge) Mutter mit ihrem Kind in ihrem Herkunftshaushalt wohnen bleibt. Manche Jugendliche heiraten bereits mit fünfzehn oder sechzehn Jahren, was dazu führt, dass sie die Schule vorzeitig verlassen. Oder ein Mädchen überlässt die Versorgung und Pflege ihres Babys ihrer Mutter bzw. der Mutter des Kindesvaters (siehe Kapitel VI.2.1.3). Auf die damit einhergehenden Änderungen im innerhäuslichen Autoritätsgefüge, wurde in den vorangegangenen Kapiteln verwiesen (Kapitel VI.2.1.1 und VI.2.1.3).

VI.6 D ER U MGANG

MIT DEM T OD VON H AUSTIEREN ALS EINEM ÖKONOMISCHEN ODER EMOTIONALEN V ERLUST

Andere einen Haushalt betreffende Krisen ergeben sich aus dem Tod von Haustieren. Zum einen sind diese ökonomischer Natur – beispielsweise, wenn ein Schwein stirbt –, zum anderen haben sie rituelle und soziale Auswirkungen. Schweine werden für die Versorgung von Gästen bei Festen, aber auch als Geldanlage gezüchtet. Sonderausgaben unterschiedlicher Art werden über ihren Verkauf finanziert. Wenn daher ein solches Tier stirbt, so bedeutet das in der Regel einen finanziellen Verlust, der umso höher ist, je größer und dicker es bei seinem Tod bereits ist. Es kann weder gegessen noch verkauft werden, sondern muss anderwärtig entsorgt, z.B. im Hof hinter dem Haus vergraben werden. Ernesto erzählt, dass er durch den Tod eines Schweines, 800 Pesos verloren hat. Noch nie sei ihm ein Schwein so gestorben – Hühner schon, aber ein Schwein nicht –, betont er (Tzm 10 6.2.2005). Einen geringeren ökonomischen, dafür aber einen zusätzlich rituellen Verlust, bedeutet der Tod eines Huhns, insbesondere aber eines Truthahns_huhns. Ihre religiös-spirituelle Bedeutung zeigt sich, wie wir gesehen haben, im Zusammenhang mit

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dem Maisanbau (Kapitel IV.2.5.2) und mit der mayordomía und anderen Festen (Kapitel IV.4.3.1).46 Besondere soziale Relevanz, kommt dem Tod von Hunden zu. Hunde sind in Cuetzalan und Umgebung allgegenwärtig, auch wenn es Versuche seitens der Munizipalregierung gibt, ihre Zahl einzudämmen: jeder Haushalt dürfe nicht mehr als einen Hund haben (Tz 46 7.2.2006) – eine Regelung, die selten eingehalten wird. Es wird jedoch seitens der maseualmej darauf geachtet, die Hunde nicht in die Hauptstadt mitzunehmen (Feldnotizen 2.10.2007). Diese Tiere gehören (ähnlich wie Katzen)47 zum Haushalt, sind gewissermaßen Mitglied desselben, nehmen aber eine besondere Position ein. Einerseits ist ihre Anwesenheit im Haus selbstverständlich, andererseits werden sie (anders als Katzen, die aufgrund ihrer Aufgabe Mäuse und Ratten zu fangen, immer im Haus geduldet sind) selbst bei Sturm und Regen hinaus gejagt. Sie sind Mitglied des Haushalts, auf der untersten Stufe und sie sind es nicht. Sie erhalten, ebenso wie Katzen, regelmäßig ihr Futter, in Form von tortillas, wie aus der folgenden Beschreibung aus meinem Feldtagebuch deutlich wird: „[Der Hund] Blanco bekam gestern fast zehn Tortillas. Immer wenn er Hunger hat, kratzt er an der Küchentüre. [Die Hausherrin] Marcela gibt ihm jeweils drei tortillas ins Maul, mit denen er verschwindet, um sie zu essen. Dann kommt er, die nächsten zu holen“ (Feldnotizen 23.9.2013). Dabei haben Hunde keineswegs das Recht, sich ihr Essen selbst zu nehmen, wie das bei anderen Haushaltsmitgliedern der Fall ist (siehe oben, Kapitel V.1). Auch das Recht, sich selbstverständlich in allen Räumen des Hauses zu bewegen, ist ihnen (anders als Katzen), zumindest zeitweise, verwehrt (Feldnotizen 2003-2013 lfd.). Andererseits gibt es eine weit verbreitete Erzählung, die die Nähe zwischen Hund und Mensch aufzeigt: ein verwitweter Mann muss sein kleines Kind alleine zu Hause lassen, um am Feld zu arbeiten. Seine Hündin kehrt jedoch vor ihm ins Haus zurück. Als der Mann am Abend in sein Heim kommt, liegt das Kind sauber und satt in seiner Wiege. Das passiert jeden Tag, bis der maseual eines Tages vorzeitig zurückkehrt und entdeckt, dass es sich bei der Hündin, um seine verstorbene Frau handelt, die sich in seiner Abwe46 Zur besonderen Bedeutung von Truthühnern und -hähnen, vgl. auch Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 187-8, 192). 47 Reaktionen auf den Tod einer Katze kann ich nicht beobachten. Mir wird nur auf den Tag genau berichtet, wann der Kater Misto (abgeleitet vom Wort miston, „Katze“), der drei Jahre mit im Haus lebt und seinen Schlafplatz direkt am Herd hat, verschwunden ist (Feldnotizen 5.8.2009, 7.8.2009). Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 192) berichten, dass Katzen, aufgrund der ihnen nachgesagten besonderen Kräfte, gefürchtet sind, schwarze Katzenfelle zur Heilung vom „starken Blick“ verbrannt werden. Die von ihnen konstatierte Seltenheit dieser Tiere, kann von mir nicht bestätigt werden. In vielen Haushalten gibt es zumindest eine, meist aber drei oder vier Katzen, häufig gut gepflegt – teilweise sterilisiert und geimpft. Und, ganz anders, als von Beaucage und der Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 192) nahegelegt, heißt es bei Argueta (1994: 236) im Zusammenhang mit Ratschlägen an junge Leute, die soeben geheiratet haben: „Se puede tener en casa la imagen de algún santo. Se puedo tener un gato, un perro; también debemos tener un poco de semilla, de maíz para el sostenimiento. Todas las cosas, plantas como naranja, café, plátano. Debemos tener todas esas cosas para seguir viviendo. Todo eso así acaba“ (Hervorhebung P.Z.).

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senheit um das gemeinsame Kind kümmert (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 193). Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 192-3) erklären die besondere Stellung von Hunden mit ihrer (aus der vorkolonialen Zeit stammenden) Bedeutung, Toten bei ihrer Reise ins Totenreich miktan, beim Überqueren eines zu überwindenden reißenden Flusses zu helfen,48 eine Vorstellung, die auch Dürr (1996: 268) bei den Zapoteca in Mitla (Oaxaca) Anfang der 1990er Jahre feststellen kann. Jedenfalls wird in eng miteinander verbundenen Familien jeweils genau darauf geachtet, ob der eigene Hund seitens der Verwandten nicht getreten oder sonst wie misshandelt wird. Immer wieder werde ich gefragt, ob Sebastiano den Hund seines Schwagers wohl nicht schlage (z.B. Feldnotizen 1.2.2006). Zufrieden stellt María fest, dass ihre Schwägerin ihre Hündin jeden Abend füttert (Feldnotizen 1.2.2006). Als die kleine Hündin ihrer Tochter schwer krank ist und nicht frisst, versucht Alicia, die Seele des Tieres mit Hilfe von Gebeten und copal zu finden und in seinen Körper zurückzuholen (Feldnotizen 12.2.2006). Als Marcos Hund Lupo von einem Auto totgefahren wird, verdächtigt Marco seinen Schwager Juan für Lupos Tod verantwortlich zu sein. Lange dauert es, bis Juan und seine Frau, Marco überzeugen können, dass sie nichts dafür könnten, dass Lupo zur Straße rannte, wo er dann überfahren wurde. Seine Leiche wird schließlich nach Hause geholt und im Hof begraben. Wochen später, bis zu meiner Abreise, ist Lupos plötzlicher Tod noch immer Gesprächsthema (Feldnotizen 24.-27.9.2013, et al.). Der Tod eines Hundes wirkt auf die Beziehungen zwischen den Haushalten insofern latente Spannungen über Schuldzuweisungen zum Ausdruck gebracht werden. 49 Sterben andere Haustiere, so bedeutet das einen rituellen oder auch ökonomischen Verlust und wirkt sich insofern auf die Beziehungen zwischen, aber auch innerhalb eines Haushalts aus, als damit Ressourcen verloren gehen, die für den sozialen Aufstieg in der Gemeinde oder auch die Errichtung eines eigenen Hauses und somit die Unabhängigkeit vom (schwieger-) elterlichen Haushalt, genutzt werden könnten.

VI.7 D ER U MGANG

MIT E RNTEAUSFÄLLEN UND EVENTUELL RESULTIERENDEN HOHEN K OSTEN VON L EBENSMITTELN

Ressourcenverlust und stark einschränkende, ökonomische Zwänge resultieren insbesondere jedoch aus schlechten Ernten, vor allem des Mais und daraus folgenden hohen Kosten dieses Grundnahrungsmittels. In der Vergangenheit wird das Problem der Maisknappheit durch den Rückgriff auf Bananen zur Herstellung von tortillas, gelöst. So ist, den in Argueta gesammelten Oraltraditionen zufolge, beispielsweise

48 Sahagún (1989a: 219ff.) nennt unter den Gefahren, die Tote, die eines „natürlichen“ Todes verstorben sind, zu überwinden haben, die notwendige Überquerung des neunfachen Wassers chiconaoapa. Ein roter oder gelber Hund wird ihnen mitgegeben, damit dieser sie über das tosende Wasser bringt. 49 Theoretisch wären derlei Schuldzuweisungen auch innerhalb des Haushalts möglich, beispielsweise, dass die Schwiegertochter oder der Sohn für den Tod des Hundes verantwortlich gemacht wird.

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während der Zeit des Profiriats, die Not besonders groß: „En aquel tiempo cuando se escasó el maíz, de veras no había, comían camote de plátano y plátano tierno; lo hervían en un bote y lo comíamos como si fuera tortilla“ (Argueta 1994: 148; vgl. auch ibid.: 149, 151-2). Und Fernando berichtet aus seiner weniger weit zurückliegenden Kindheit und Jugend in den 1970er, 1980er Jahren: „[…] dass sie früher tortillas aus Bananen gegessen hätten, denn sie hatten nicht so viel Mais. Er korrigiert sich auf Geld. Die hätten gut geschmeckt. Die Früchte der Pflanze mit den riechenden tamales-Blättern, könnten ebenfalls gegessen werden. Und er nennt noch verschiedene andere Pflanzen/Kräuter, die essbar sind und gut schmecken. Sie hätten nur nicht immer Zeit, sie zu sammeln.“ (Tzm 10 29.10.2011)

Ähnliches erzählt auch Yolanda: „y antes dice comían (längere Pause) de que no habían mucho maís (Pause) comían hasta los platanos, esos tiernes (Pause) .hh lo ilvían (Pause) ›y lo matavaran alli?‹ un poquito de: (Pause) nixtamal (Pause) con eso hicían los tortillas (Pause) si an nos tortillas MIS Todos con ese ya: (Pause) ya lo anochaban (Pause) la masa. Con los platanos. [con los platanos (Pause) para que están más grande] Para que se amandanda la masa, así a pasar (längere Pause) y comían, comíamos (Pause) kilites [kilites] Kilites comíamos, comíamos mazapa (Pause) esos kilites (Pause).“ (Tz 5 2005: 687-696)

Die Bedeutung der milpa und insbesondere des cafetal in polyculture (siehe Kapitel IV.2.3), als Absicherung für Notzeiten, zeigt sich in dieser flexiblen Nutzung von Bananen und anderen essbaren Pflanzen besonders deutlich. Bezogen auf Haushaltsstrukturen bestätigt sich nur teilweise die Annahme, dass sich mit der Adaptierung der Nahrung an die verfügbaren Ressourcen vor allem die Verteilung der Arbeitszeit, u.U. nicht nur bezogen auf die Einzelpersonen, sondern auch zwischen den Leuten, die die verschiedenen Tätigkeiten durchführen, verschiebt. Ernte und Verarbeitung des Mais nehmen einen geringeren Teil der Zeit in Anspruch, dafür gewinnt das Pflücken der Bananen und Sammeln von essbaren Kräutern, Wurzeln und Früchten und deren Zubereitung an Gewicht. Die Ernte von Wildpflanzen wie auch Obst, erfolgt in vielen der mir bekannten Haushalte, durch den männlichen Haushaltsvorstand und andere Personen, die auf der milpa und im cafetal aktiv sind. Einige Frauen berichten, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend bzw. in der ersten Zeit ihrer Ehe seitens der Eltern und Schwiegereltern ebenfalls zu derlei Tätigkeiten herangezogen wurden.50 Da alle Regionen außerhalb des Dorfes als potentiell gefährlich gelten, und das umso mehr, je weiter sie von den bebauten Gebieten entfernt sind (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 133), ist das Sammeln und Ernten von Wild50 Z.B. Tz 16 7.2.2005, 7.-8.2.2005: 199ff., 8.2.2005: 480; Tz 19 22.2.2005: 007-011; vgl. in gewisser Weise auch Argueta (1994: 184), wenngleich die von ihr zitierte Frau, nur vom Pflücken von Bananen für den Verkauf berichtet. Zu möglichen, in potentiellen Konflikten zu suchenden Hintergründen, dass junge Frauen in die monte geschickt werden, vgl. die Ausführungen zu den innerhäuslichen Konflikten infolge der Heirat eines jungen Mannes, in Kapitel VI.2.1.1.

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pflanzen und -früchten mit einem gewissen Risiko verbunden. Denn die Suche nach essbaren Pflanzen (und auch Tieren), führt neben Ausflügen auf die milpa und in den cafetal, auch in nicht kultivierte Teile der Sierra, genannt kuoujtaj, „Ort(e) der Bäume“, genauer der „hohen Bäume“, ueyikuoujtaj, wenngleich diese heute auf besonders schwer zugängliche und bearbeitbare Bergregionen, mit steilen und schroffen Abhängen – ouijkan, „schwierige, gefährliche Orte“ –, beschränkt sind (Beaucage/ Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 111, 132; vgl. auch Argueta 1994: 151-2; Lupo 1995: 195). In diesen stark bewaldeten Gebieten finden sich die Eingänge zu den Unterwelten, darunter auch nach talokan. Hier wohnen jene Wesen, die die milpa wachsen lassen (talokan talkaltianij) und hier verkehren die tierischen Alter ego der Menschen (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 111, 132-3). Darüber hinaus lebt hier der kuautaueuentzin, der „kleine Alte des Waldes“, Hüter der „wilden“ Welt (Lupo 1995: 192-3; ders. 2001: 252, Fußnote 14).51 All das macht den nicht bewirtschafteten Berg (monte oder montaña) zu einem wichtigen, aber auch gefährlichen Ort, nicht nur bei den Einwohner_inne_n Tzinacapans und Umgebung, sondern auch bei anderen Nahua: „A la montaña se le asignan atributos tanto positivos como negativos o atemorizantes. Es benévola al proporcionar alimentos, maderas, bejucos y animales que satisfacen necesidades básicas de los pobladores, pero al mismo tiempo, la es peligrosa“ (Godínez Guevara/Lazos Chavero 2003: 155).52 Godínez Guevara und Lazos Chavero (2003: 156ff.) stellen in ihrer Untersuchung zur Wahrnehmung der Umwelt durch Nahuafrauen in der Gemeinde Tatahucapan de Juárez, im Süden von Veracruz, fest, dass Frauen in der Vergangenheit, trotz der genannten Gefahren, die monte weit häufiger aufsuchten, als das heute der Fall ist. Dass, anders als früher, gegenwärtig vor allem Männer das Sammeln von Früchten und Kräutern durchführen, erklären sie mit der Verringerung und der damit einhergehenden schwereren Zugänglichkeit, der nicht kultivierten Gebiete. Darüber hinaus bestehe, insbesondere bei jungen Frauen, ein sehr geringes Interesse an derlei Tätigkeiten, die als mühsam und anstrengend empfunden und daher gerne den Männern überlassen werden. Beaucage und die Taller de Tradición Oral del CEPEC (2012: 133) hingegen betonen, für die maseualmej von Cuetzalan, die Gefährlichkeit des „wilden“ Raumes vor allem für Frauen, die den Angriffen, der dort lebenden übernatürlichen Wesen besonders heftig ausgesetzt seien. Tatsächlich allerdings gibt es – vor allem ältere – Frauen, die zum Sammeln von natürlichen Materialien für artesanía, wie auch von Kräutern u.a., die monte aufsuchen – an den Wasserfällen des Flusses Istakat („Weißes Wasser“), einem der ouijkan, gäbe es besonders schöne Fasern, wird mir erklärt (Tz 15 31.1.2006; 19.9.2007). Die geschilderten Gefahren gehen dabei weniger von den Hüter_inne_n der Berge und anderer Wesen, als vielmehr von (männlichen) Menschen aus. So berichtet Marcela, dass sie sich in ihrer Jugend am Weg von Jonotla nach San Miguel, einem Fußweg, der am Istakat vorbeiführt bzw. diesen kreuzt, mehrmals gegen Betrunkene zur Wehr setzen muss, was ihr mit Hilfe eines Steins und ihres vehementen Auftretens auch gelingt (Tz 19 10.10.2013). 51 Zur Bedeutung des nicht kultivierten Berges, als einem lebenden Wesen, in dem gleichzeitig die Beschützer_innen dieses Raumes und seiner Vegetation leben, bei Nahua der Gemeinde Tuxtla, im Süden von Veracruz, vgl. auch Godínez Guevara/Lazos Chavero (2003: 155). 52 Zu dieser Ambivalenz und Unberechenbarkeit, vgl. auch Lupo (2001: 352-3).

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Heute weigern sich vor allem jüngere Frauen auf der anderen Seite, aufs rancho oder gar in die monte zu gehen. Es sei ungemütlich und anstrengend und es gäbe jede Menge Stechfliegen und andere unangenehme Dinge, erklären sie (z.B. Tz 5 31.1.2006; et al.). Möglicherweise sind also in früheren Jahren Männer wie Frauen gleichermaßen mit dem Sammeln und Pflücken der, für die Ernährung notwendigen bzw. den Mais ersetzenden oder zumindest ergänzenden, Pflanzen befasst, heute jedoch sind es primär Männer, die diese von der milpa, vom rancho oder auch Ausflügen in die monte, mit nach Hause bringen. Dabei haben Wildpflanzen und Bananen nicht (mehr) denselben Stellenwert wie früher. Sie werden weniger als wichtiger Teil der Mahlzeit, als vielmehr als Leckerbissen bzw. Obstsnack zubereitet oder auch roh verzehrt (Feldnotizen lfd.). Ernteausfälle von und damit Versorgungsengpässe mit Mais werden, wie in geringerem Maße bereits in der Vergangenheit, damals wie heute äußerst ungern, durch Rückgriff auf, ansonsten gering geschätzten Mais aus anderen Regionen Mexikos ausgeglichen. Alejandra erzählt, dass sie und ihre Eltern, als es einmal keinen Mais gibt, bis nach Zacapoaxtla gehen, um welchen einzukaufen (Tz 5 2005: 676-687). Argueta (1994: 151) berichtet, zeitlich viel weiter zurückliegend, von der Not während des Porfiriats, die dazu führt, dass Fuhrwerke mit Maisladungen angehalten und gezwungen werden, den Mais zu verkaufen. Einige maseualmej nutzen selbst die Gelegenheit und reisen nach Veracruz, um dort günstig Mais ein- und in Cuetzalan teurer zu verkaufen (ibid.: 196-7). Nichtsdestotrotz besteht eine Art moralischer Ökonomie, die es verbietet, auf Kosten der Not der anderen maseualmej, Mais (und durch seinen überteuerten Verkauf, Geld) zu akkumulieren: „Y en Cuetzalan atajaban a los arrieros que llevaban maíz a tierra caliente. Allí los detenían, no los dejaban pasar, los obligaban a que allí vendieran su maíz. Daban a cada familia medio almud para que les alcanzara a todos. Después hubo arrieros que empezaron a pasar por aquí rumbo a Jonotla, pero también aquí los detenían para que el maíz se quedara aquí, porque no había maíz. A los ricos de aquí de San Miguel que tenían algo de mazorca, la autoridad los obligaba a venderle a la gente para que se repartiera, que no nada más uno tuviera qué comer y otros nada.“ (Argueta 1994: 151)

Diese Denkweise, die speziell den Mais, nicht jedoch als Cash Crops angesehene Produkte, wie den Kaffee, betrifft, besteht weiter fort: Die Kooperative Tosepan arbeitet mit der, 1962 offiziell ins Leben gerufenen parastaatlichen Agentur CONASUPO (Compañía Nacional de Subsistencias Populares) zusammen, deren Grundprinzipien – Mais und andere Grundnahrungsmittel von kleinen und mittleren Produzent_inn_en zu subventionierten Preisen zu kaufen und günstig an die Konsument_inn_en weiterzuverkaufen – bereits unter Präsident Cárdenas entwickelt werden (Fitting 2011: 86, 95). Tosepans lokale Verkaufsstellen sind Teil von CONASUPOs Einzelhandelsläden DICONSA, die im Unterschied zu CONASUPO selbst, das 1999 aufgelöst wird, auch heute noch fortbestehen (URL 49). 1984 kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Tosepan und DICONSA, als seitens der Zentrale der letzteren die Order ergeht, im Gefolge der durch die große Finanzkrise von 1982 (scheinbar) notwendigen Strukturanpassungsprogramme, die Preise für Mais in ihren Läden zu verdoppeln und so an die des internationalen Marktes zu adaptieren. Ein

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solches Ansinnen erweckt den Zorn der Kooperativemitglieder: Der Mais im Lager „era ‚SU‘ maíz; que esa era ‚SU‘ cooperativa, no un ‚punto de venta‘ de Discona. Nadie negaba que la cooperativa fuera una institución económica, pero se trata de una economía moral In taol tonemilis (,El maíz es nuestra vida‘)“ (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 44; Hervorhebungen im Original). Die Preise für andere Lebensmittel könnten erhöht werden, nicht aber die für Mais, wird betont (ibid.). Letzteres ist, dieser moralischen Ökonomie zufolge, nur in gut nachvollziehbaren Ausnahmefällen zulässig. Im Jahr 2003 sind einzelne Haushalte von Ernteausfällen aufgrund von Trockenheit betroffen, weshalb es zu keinen besonderen Engpässen oder Teuerungen kommt. 2011 hingegen sind die Auswirkungen klimatisch bedingter Engpässe, gravierender. Von vielen Leuten bekomme ich zu hören, dass sie Mais dazukaufen müssen, da die Ernte schlecht ist. Selbst die Kooperative (Tosepan) habe nur wenig Mais, weswegen die Preise hoch seien und nur eine begrenzte Menge pro Haushalt abgegeben werde, heißt es (Tzm 10 23.10.1011; Tzm 14 31.10.2011; Tz 6 11.11.2011, 13.11.2011). Anders als bei der von DISCONSA geforderten Preiserhöhung von 1984, bei der mit globalen und nationalen Notwendigkeiten argumentiert wird, ist für die Einwohner_innen Tzinacapans diese lokal nachvollziehbare Begründung schlüssig, sind die Teuerungen und Limitierungen somit akzeptabel. Viele Haushalte reagieren auf diese Situation in der Form, dass sie den vergleichsweise teuren Mais von Tosepan für die Mahlzeiten der Menschen beziehen, für die Fütterung der Haustiere (Schweine und Geflügel) jedoch, auf solchen, der aus anderen Regionen Mexikos stammt und billiger zu bekommen ist, zurückgreifen (ibid.). Die Ursachen für schlechte Ernten werden, zumindest in der Vergangenheit, u.a. in asozialem Verhalten gesehen, wie aus einer, bei Argueta (1994: 145-6) wiedergegebenen Erzählung hervorgeht: Ein Mann weigert sich, seiner Mutter Mais zu geben, als diese ihn darum bittet. Zur Strafe schickt der Heilige Michael eine Heuschreckenplage, die die Ernte vernichtet. Auch andere übernatürliche Wesenheiten reagieren auf menschliches Fehlverhalten: „Desgracias que ocurrieron en la zona, muestran que además de los sufrimientos causados por los hombres [in der Zeit vor der mexikanischen Revolution], también se vivieron castigos mandados por Nuestro Padre. Madre Tierra“ (ibid.: 125). Knab (1991: 52-3) nennt insbesondere die ajmotoknihuan („sie sind nicht unsere Brüder“), die Einwohner_innen der Unterwelt, zu denen die oben genannten Wesen des ueyikuoujtaj zählen, als jene, die Menschen bestrafen, die nicht in Harmonie mit der natürlichen oder sozialen Welt leben. Und Lupo weist darauf hin, dass manchmal auch der kuautaueuentzin, der „kleine Alte des Waldes“, antisoziale Verhaltensweisen der Menschen bestraft (Lupo 1995: 193).53 Reagiert wird seitens der Menschen, insbesondere wenn der Maisanbau betroffen ist – ähnlich wie im Zusammenhang mit Krankheit berichtet –, mit einem verstärkten Input in den religiös-rituellen Bereich (Argueta 1994: 145-6). Wieder geht es um eine Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Mensch, Gemeinde und Kosmos. 53 Schlehe (2010) verweist für Java darauf, dass Menschen vielfältige Erklärungen für Katastrophen heranziehen, aufklärerisch-wissenschaftliche, wie auch solche, die in den lokalen Weltbildern verortet sind. Ähnliches lässt sich auch für die Einwohner_innen Tzinacapans festhalten.

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Haushaltsinterne Veränderungen sind somit analog den, oben in Zusammenhang mit kurzfristigen Ausweitungen von Haushalten im Zuge von mayordomías (VI.1.1.3 und VI.1.1.4) geschilderten, aber auch stunden- oder tageweisen Abwesenheiten von Mitgliedern (Kapitel VI.2.1), zu sehen. Andere ökonomische Zwänge, die jedoch die indigene Identität nicht in derselben Weise betreffen, wie die, die aus Missernten des Mais resultieren, ergeben sich aus schlechten Erträgen bei Kaffee, pimienta und anderen Cash Crops. Das Jahr 2003 kennzeichnet sich durch eine besonders schlechte Ernte von Kaffee und, daraus resultierend, sehr niedrigen Pflückpreisen (Tz 6 16.12.2003; C 1 16.12.2003).54 D.h. es sind nicht nur jene Haushalte betroffen, die Kaffee anbauen und verkaufen, sondern auch Personen, die ihr Einkommen über die Erntearbeit aufbessern. 2004 hat zwar die Ernte ein normales Ausmaß, aber der Preis, der am Markt für Kaffee bezahlt wird, ist niedrig (Tzm 10 8.8.2004). Wie in den Kapiteln IV.2.1 und IV.2.2 ausgeführt, sind die Reaktionen darauf weniger durch verstärkten Input im religiös-rituellen Bereich gekennzeichnet, als vielmehr durch verstärkten Eigenkonsum, auf Kosten des Verkaufs von Kaffee. Schlechte Ernten, niedrige Pflück- und hohe Lebensmittelpreise berühren Autoritäts- und Machtverhältnisse innerhalb und zwischen Haushalten insofern, als die verfügbaren Geldmittel zur Ausrichtung von Festen, zum Ausbau des Hauses, zur Errichtung eines unabhängigen Haushalts, etc., aber auch zur Finanzierung der Ausbildung eines Sohnes_einer Tochter, geringer sind. Wie in vielerlei anderer Hinsicht sind auch hiervon ärmere Haushalte stärker betroffen als reichere, solche mit wenigen arbeitsfähigen Erwachsenen mehr, als solche mit mehreren. 55 Teilweise zeigen sich auch in diesem Kontext Spannungen zwischen Haushalten, wie das in Argueta geschilderte Beispiel asozialen Verhaltens, als Ursache für eine Heuschreckenplage, zeigt.

VI.8 D ER U MGANG MIT U MWELTKATASTROPHEN IM G EFOLGE VON H URRIKANS Andere Katastrophen, mit nur zum Teil ähnlichen sozialen Auswirkungen, ergeben sich im Zuge der häufig auftretenden Stürme und damit einhergehenden heftigen Regenfälle. Besonders gefürchtet sind der „große Wind“ (ueyiejekat), der Nordwind und der Wind des Südwestens. Ersterer bringt die Gewitter im Frühjahr und die Wirbelstürme im Herbst und kann die Felder zerstören und Dächer abdecken. Der Nordwind auf der anderen Seite, ist kalt und bringt starke und plötzliche Windböen im Herbst, manchmal auch Hagel oder gar Schnee im Dezember oder Jänner, „alle sieben Jahre“, wie es heißt. Der schlimmste aller natürlichen Winde, ist der des Südwestens (tonalejekat, „Sonnenwind“), denn er kommt immer unerwartet, zerstört Maisfelder

54 Vgl. die Aussagen von Tz 7 13.11.2011, 15.11.2011 für die ebenfalls schlechte Ernte von Kaffee und pimienta im Jahr 2010. 55 Gibt es eine höhere Zahl potentieller Arbeitskräfte, so können die verringerten Einnahmen bzw. die Erwirtschaftung der Kosten für höhere Preise, leichter durch andere Aktivitäten ausgeglichen werden.

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und kann darüber hinaus Kaffeesträucher, wie auch Obstbäume entlauben (Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 138-9): „Después sembrábamos y cuando ya estaba por salir la espiga venían los aguaceros con viento. Antes venían tempestades con relámpagos y de veras relampagueaba, la siembra se acababa. A veces en abril venía el viento caliente y también acababa con las siembras. Derrumbaba las casas, que eran de horcones, y si éstos no estaben bien enterrados, los tumbaba.“ (Argueta 1994: 148-9)

Aufgrund der Stürme, heftigen Regenfälle und Gewitter, kommt es vor, dass die Straße gesperrt ist und ganze Häuser weggerissen werden – im Munizipio Cuetzalan, ebenso wie an der Golfküste in Tecolutla (Feldnotizen 24.1.2006, 27.1.2006; 11.9. 2007; 15.9.2013). Mariella berichtet, dass der Sturm im Sommer 2007 ihr neu errichtetes Dachgeschoß verwüstet. Darüber hinaus wütet er in Tecolutla, wo er das Dach der gemieteten Baracke abdeckt, was dazu führte, dass all ihre Sachen, ihre Verkaufswaren im Schlamm liegen. Sie kann die artesanía waschen, weswegen der ökonomische Verlust gering ist (Tz 5 11.9.2007, 12.9.2007). Das kleine Häuschen von Blanca und Ernesto, einem älteren Ehepaar, ist vom Hurrican völlig zerstört, all ihre Sachen sind weggeschwemmt, d.h. hier sind die Auswirkungen des Sturms existenzieller Natur (Tz 22 16.9.2007). Das Dach von Augustas Haus wird weggerissen; seither hat sie immer Angst davor, dass so etwas wieder passiert (Tz 19 14.11.2011). Viele Häuser sind beschädigt und voller Schlamm. Andere Leute, wie Gabriella, verlieren ihre pimienta-Bäume und damit eine wichtige Einkommensquelle (Tz 6 19.9.2007; vgl. auch Tz 7 19.9.2007). Teilweise sind auch die Rohmaterialien zur Herstellung von Kunsthandwerksprodukten verwüstet (Tz 15 19.9.2007). María und Pedro hingegen, sind nur leicht betroffen. Ihnen zerstören Wind und Regen nur ihre Tomatenpflanzen vor dem Haus (Tz 51 13.9. 2007). Zwar gibt es seitens der Regierung Hilfslieferungen und Entschädigungszahlungen, doch es ist schwierig diese tatsächlich zu bekommen. Zum einen gibt es ein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, dem zufolge vor allem jene Anspruch auf Geld haben, die besonders starke Verluste erlitten haben (Tz 5 17.9.2007). Zum anderen gelingt es vor allem jenen, ihre Ansprüche einzufordern, die die entsprechenden Beziehungen haben, z.B. einer Organisation angehören (Tz 5 und Tz 7 17.9.2007). Darüber hinaus bleiben Hilfsgüter oft in Zacapoaxtla hängen und werden von den dortigen Eliten für sich vereinnahmt (Tzm 10 2.11.2011). Im Gefolge des Erdbebens des Jahres 1999, das mit starken Regenfällen und Überschwemmungen einhergeht, behält der Präsident Cuetzalans jene wenigen Güter, die den Weg von Zacapoaxtla nach Cuetzalan finden, für sich, wird seitens einiger Einwohner_innen Tzinacapans kritisiert (Feldnotizen 2004 et al.). Manuel berichtet, dass sein Sohn ihn drängt, nach Zacapoaxtla zu gehen, um etwas von den Sachen zu bekommen. Nach langer und umständlicher Reise kommen er und sein Sohn mit einem Kilogramm Reis und einem Kilogramm Getreide nach Hause zurück. Ihre Unkosten belaufen sich 75 Pesos (Tzm 10 9.8.2004). In den Möglichkeiten Rechte geltend zu machen, spiegeln sich also regionale, ethnische und soziale Differenzierungen – jene mit Beziehungen zu gesellschaftlichen Machthaber_inne_n sind begünstigt, während jene, die das nicht haben, über

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weit geringere Mittel verfügen, sich durchzusetzen. Dennoch dominieren im Zusammenhang mit derlei katastrophenbedingten Zerstörungen Aspekte des Zusammenhalts und der Solidarität. Nachbar_inne_n und Verwandte helfen einander beim Wiederaufbau ihrer Häuser, wie auch in anderer Weise. Hier zeigt sich die Bedeutung der verschiedenen Arten von compadrazgo (siehe Kapitel V.4). Clemencia nimmt eine Gruppe Touristinnen bei sich auf, die durch das Vermuren der Straßen nicht abreisen können. Sie versorgt sie aus den Lebensmittelreserven des Haushalts, da es aufgrund der Straßensperren in den Läden nichts zu kaufen gibt (Tzm 10 2.11.2011). Bereits während der Katastrophe von 1999 beherbergt sie eine junge Touristin eine Woche lang bei sich (Tz 7 8.8.2004, 9.8.2004). Möglicherweise sind nicht alle Angehörigen von Clemencias Familie glücklich über ihre Hilfsbereitschaft, niemand jedoch äußerst sich in irgendeiner Weise negativ darüber. Im Gegenteil, ergibt sich zwischen Clemencias Tochter und der jungen Frau, die 1999 mehrere Tage mit im Haus wohnt, eine langjährige Freundschaft (Feldnotizen 28.9.2013).56

VI.9 S ONSTIGE K RISEN Weit deutlicher spiegeln sich Beziehungsstrukturen innerhalb von und zwischen Haushalten im Kontext anderer Krisen, die in Zusammenhang mit den Verhaltensweisen junger Haushaltsmitglieder stehen. Insbesondere, wenn in einen der Söhne große Hoffnungen gesetzt und viel Geld und Energie in seine Ausbildung und Zukunft investiert wird, ist die Enttäuschung umso größer, wenn dieser den Anforderungen nicht entspricht (siehe auch Kapitel VI.1.2.2). Zwei Jahre lang ziehen sich die Diskussionen und Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Alejandro und seinen Eltern hin, als dieser mit vierzehn Jahren aufhört die Schule zu besuchen. Familie und Verwandtschaft besprechen die Angelegenheit, stellen fest, Alejandro arbeite nichts, tue nichts, helfe nicht und wolle nichts: er wolle weder in die Schule gehen, noch arbeiten (Feldnotizen 30.1.2006). Immer wieder gibt es (nicht ganz unbegründete) Gerüchte, er habe sich betrunken (Feldnotizen 2.2.2006; Feldnotizen 1.10. 2007). Sein Aussehen wird kritisiert, es gibt Überlegungen, ob er eine Freundin habe (Feldnotizen 14.2.2006; 1.10.2007). Zwischen seinen Eltern gibt es Auseinandersetzungen darum, wer die Verantwortung für das seltsame Verhalten des Sohnes trage; die Verwandten sprechen ebenfalls darüber. Alejandros Onkel Gabriel echauffiert sich besonders und stellt fest: er hat alles – es gibt ein cafetal, ein Maisfeld, ein Haus, Eltern, die alles bezahlen. Gabriels Eltern kritisieren, dass Alejandros Eltern, diesen zu sehr verwöhnt hätten, ihn zu wenig zur Arbeit am rancho herangezogen, sich andererseits aber zu wenig um ihn gekümmert hätten. Immer hätten sie gearbeitet, nie wirklich für das Kind Zeit gehabt (Feldnotizen 30.1.2006, 31.1.2006, 1.2.2006, 11.2. 2006; 1.10.2007). Alejandros Verhalten führt also zum Aufbrechen oder Deutlichwerden bestehender Konfliktachsen – die zwischen seinen Eltern, die permanent um die Dominanz im Haushalt ringen. Weiters zeigt sich eine Bruchlinie, zwischen Gabriel und seinen eigenen Eltern um sein Erbe, wenn Gabriel festhält, dass Alejandro alles habe, da er 56 Zu Autoritätsveränderungen im Gefolge der Aufnahme von Gästen, siehe auch Kapitel VI.1.1.6.

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der Einzige ist (während er selbst mehrere Geschwister hat); und eine weitere, zwischen Alejandros Eltern und ihren Verwandten, wenn diese ersteren vorwerfen, ihren Sohn vernachlässigt und nicht richtig erzogen zu haben. Unterschwellig tritt hier eine Auseinandersetzung um Zeit- und Arbeitsressourcen zu Tage.

VI.10 Z USAMMENFASSUNG UND ABSCHLIESSENDE B EMERKUNGEN Dieses Kapitel befasste sich mit unterschiedlichsten Arten von Zwängen, denen Haushalte ausgesetzt sind und wie diese von ihren Mitgliedern analog Ressourcen, zur Erhaltung oder Verbesserung ihrer haushaltsinternen Position, genutzt werden (können). Was sich zeigt, ist, dass Haushalt keine festgefügte Einheit, sondern besser als ein sich ständig verändernder Prozess, zu beschreiben ist. Dabei definieren die, den im Haus Anwesenden zugestandenen Verhaltensweisen, die Art der Mitgliedschaft, einer Mitgliedschaft, die in der Regel auch bei längerer Abwesenheit, ja selbst nach dem Tod eines Menschen erhalten bleibt. Entsprechend der Intensität des Zusammen-Essens und Zusammen-Arbeitens bzw. Zusammen-Lebens, definiert und verändert sich die Position der einzelnen Personen in diesem Gefüge, bezogen auf Nähe und Distanz. Deutlich wird in diesem Kapitel darüber hinaus – wie bereits im vorangegangenen (Teil V) –, dass Haushalte in sich keine homogene Einheit mit vorgefertigten und unveränderlichen Hierarchien des Alters und des Geschlechts sind, sondern ihre Mitglieder vielmehr, über unterschiedliche ihnen zur Verfügung stehende Mittel versuchen, ihren Status jeweils zu verbessern. Das gelingt auf Kosten, oder auch gemeinsam mit anderen, im Haushalt lebenden Personen. Zu den angewandten Mitteln zählen neu ins Haus kommende Mitglieder ebenso, wie die Abwesenheit von Personen (z.B. Tote, Migrant_inn_en, u.a.), die Teile der Hausgemeinschaft sind, wie auch ökonomische, soziale und rituelle, ja selbst auf den ersten Blick negative Krisen. Entscheidend ist jeweils das richtige Maß an Solidarität und Eigennutz. Haustiere, insbesondere Hunde und Katzen, sind Teil des Haushalts und aufgrund ihres Konsums von tortillas, Teil der gemeinsamen Essenz mit Mais, die die menschliche personhood charakterisiert. Die Beziehung Mensch-Hund ist durch ihre religiös-rituelle Bedeutung eine besondere, was auch in Erzählungen zum Ausdruck gebracht wird. Dennoch stehen Hunde, wie auch andere zum Haushalt gehörende Tiere, auf der untersten Stufe der haushaltsinternen Hierarchie. Ihr Vorhandensein wird zwar womöglich genutzt, die Beziehungen zwischen Personen, v.a. zwischen Haushalten auszuhandeln, sie selbst aber haben keine Möglichkeit, ihre niedrige Position zu verändern. Die Bemühungen der menschlichen Haushaltsmitglieder zur Erlangung einer besseren Position im familiären Gefüge, sind nicht immer erfolgreich. Wie wir gesehen haben, zeigen insbesondere vorübergehende oder sporadische Haushaltserweiterungen im Gefolge von Arbeiten, mayordomías oder dem Besuch von Kindern, die längere Zeit in der Stadt leben oder auch von aus dem Ausland stammenden Forscher_inne_n, die die permanent im Haushalt lebenden Personen für sich zu nutzen trachten, keine längerfristig wirksamen Verschiebungen des Autoritätsgefüges. Hin-

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gegen kann die langfristige Beziehung einer Familie zu Personen aus dem Ausland wesentlichen Einfluss auf die Beziehungen zwischen Haushalten haben und hier zu Veränderungen führen. Im Zusammenhang mit der Abwesenheit von männlichen Haushaltsmitgliedern aufgrund von Migration zeigt sich, dass ein Zugewinn an haushaltsinterner Macht (beispielsweise der zurück gebliebenen Ehefrau), nicht immer freiwillig erfolgt. Kehrt der Migrant zurück, pendelt sich das Gefüge im Haushalt womöglich auf ein Gleichgewicht ein, da nicht nur die zurückgebliebene Gattin an Autorität und Kompetenz gewonnen hat, sondern auch der Mann aufgrund seiner Erfahrungen in der Fremde. Die Ausrichtung einer mayordomía durch einen Haushalt als Reaktion auf eine schwere Krankheit eines seiner Mitglieder, kann als Ressource, zum Erlangen von Prestige und damit einhergehend, Autorität in der gesamten Gemeinde, interpretiert werden, was darüber hinaus, zu einer Stärkung der Positionierung gegenüber verwandten Haushalten führt. Die Ausweitung der personhood des Haushaltsvorstandspaares, wie auch der anderen Mitglieder des Haushalts, erfolgt über die Herstellung und Förderung des Gleichgewichts mit Kosmos und Gemeinde und bedingt in Folge deren Gesundheit ebenso, wie die des betreffenden Haushalts und seiner Mitglieder. Der investierte Aufwand an Arbeit, Geld und anderen Ressourcen ist somit nicht „unsinnig“ und „unökonomisch“, wie das aus einer kapitalistischen Logik erscheinen würde, sondern vielmehr höchst rationell und effizient. Die Effizienz zeigt sich auch in der gestärkten Solidarität und Zusammenarbeit innerhalb des Haushalts, die für die erfolgreiche Durchführung des Festes erforderlich ist. Darüber hinaus werden die Bande zwischen den Haushalten, in vielen Fällen auch zwischen den Gemeinden (da viele der Geladenen aus den umliegenden Dörfern und rancherías kommen), gestärkt. Im Kontext der Vorbereitungen und Durchführung von mayordomías, aber auch des Ausfalls an weiblicher Arbeitskraft durch schwere Krankheit, zeigen sich darüber hinaus besonders deutlich, die äußerst flexiblen Umgangsweisen mit Vorgaben des Geschlechts und des Alters. Entsprechend dem Kontext werden diese in Frage gestellt oder aber revitalisiert. Ob und in welcher Form eine Infragestellung geschlechtlicher (sozial vorgegebener) Hierarchien erfolgt, hängt jeweils stark vom Gesamtgefüge des Haushalts ab – ob dieser stark patriarchal, gleichberechtigt oder tendenziell „matriarchal“ (im Sinne einer Dominanz der Hausherrin) ausgerichtet ist. Patriarchal organisierte Familieneinheiten, tendieren weit stärker zur Einhaltung und Verfestigung von Geschlechter- und Altersvorgaben, als gleichberechtigt ausgerichtet, oder solche mit weiblicher Dominanz, insofern, als diese tendenziell, die patriarchale Dominanz des Hausherrn begünstigen. In ähnlicher Weise spiegeln sich im Umgang mit (unerwünschten) Schwangerschaften von jungen, unverheirateten Frauen, die jeweils vorherrschenden Autoritätsmuster in den Haushalten. In tendenziell patriarchalen Familien werden Töchter häufig gezwungen sich früh zu verheiraten oder ihre Kinder wegzugeben. In gleichberechtigten oder gar „matriarchal“ geprägten Haushalten aber können sie u.U. mitsamt ihrem Kind im Haus ihrer Eltern wohnen bleiben und gewinnen als Mutter womöglich noch an innerfamiliärem Status. Ökonomische Zwänge, die sich aus Ernteausfällen, insbesondere des Mais ergeben, werden durch Rückgriff auf andere Ressourcen, auch aus der monte ausgegli-

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chen, gleichzeitig aber wird versucht, das, über die Missernte zum Ausdruck gebrachte Ungleichgewicht mit dem Kosmos, wieder herzustellen. Trotzdem Regionen abseits des Dorfes, insbesondere jene, die nicht bebaut sind, als Orte einer Reihe übernatürlicher Wesen gelten und als solche, vor allem als für Personen weiblichen Geschlechts besonders gefährlich gelten, gibt es immer wieder Frauen, die sich nicht davon abhalten lassen, diese zum Sammeln von Früchten, Kräutern oder auch Rohmaterialien für artesanía zu besuchen. Abgesehen davon, drückt sich im Auftrag einer Frau an ihre Schwiegertochter, zum Sammeln von Kräutern oder anderen Dingen aufs rancho oder gar in die monte zu gehen, u.U. eine Aversion der älteren, gegenüber der jüngeren Frau aus (zu letzterem vgl. Kapitel VI.2.1.1). Nicht immer jedoch ist dieses Ansuchen für junge Frauen verstörend, vor allem jene, die am rancho aufgewachsen und ihrem Vater bei der Arbeit am Feld geholfen haben, genießen in vielen Fällen die Möglichkeit aus dem Haus zu kommen (vgl. z.B. Tz 16 7.2.2005: 6889). Gegenwärtig lehnen vor allem die jüngeren Frauen den Gang in die unwirtliche monte jedoch aus anderen Gründen – als zu mühsam und beschwerlich –, ab. Meist wird daher der Hausherr oder ein anderes männliches Familienmitglied ausgeschickt, Pflanzen und kleine Tiere zu sammeln oder Obst zu pflücken. Damit verschieben sich die Arbeitsintensitäten innerhalb des Haushalts von den Frauen, hin zu den Männern, von der Verarbeitung der Lebensmittel, hin zu ihrer Beschaffung. Denn die Zubereitung von Bananentortillas oder von kilit (Wildpflanzen), erfordert einen wesentlich geringeren Zeitaufwand als die von Mais. In den letzten Jahrzehnten wird jedoch weniger auf Bananen oder kilit, als vielmehr auf den, in „normalen Zeiten“ eher ungeliebten Mais aus anderen Regionen, zurückgegriffen. Wildwachsende Pflanzen aus der monte oder vom rancho stellen nunmehr eine selten zubereitete Besonderheit dar, Bananen werden als Obst, nicht als Grundnahrungsmittel gegessen. Bevor Mais, der nicht aus der Region stammt, konsumiert wird, wird versucht sämtliche lokalen Ressourcen auszuschöpfen. Unter Bezugnahme auf Werte, die einer moralischen Ökonomie entstammen, werden in der Vergangenheit reichere maseualmej angehalten, ihren Mais zu einem akzeptablen Preis an ärmere weiterzuverkaufen. Ein höherer Maispreis und die begrenzte Abgabe des Korns, gilt allerdings dann als gerechtfertigt, wenn eindeutig ist, dass es selbst in den Lagern der Kooperative Tosepan zu wenig von diesem Grundnahrungsmittel gibt und Teuerung, wie auch eine limitierte Abgabe dazu dient, dennoch eine, zumindest minimale Versorgung aller zu gewährleisten. Der vergleichsweise teure Mais von Tosepan wird dann, seitens der Haushalte, für die Herstellung von tortillas und tamales genutzt, die Tiere hingegen, werden mit billigerem aus anderen Regionen Mexikos gefüttert. Andere, zunächst nicht unmittelbar ökonomisch erscheinende Zwänge, ergeben sich aus den häufig auftretenden Stürmen und heftigen Regenfällen und anderen wetterbedingten Katastrophen. Maisfelder werden zerstört, Häuser abgedeckt oder ganz weggeschwemmt, Ernten vernichtet. Zeitweise ist die gesamte Region, durch Erdrutsche und resultierende Unpassierbarkeit der Straßen, völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Seitens der mexikanischen Regierung und von NGOs gibt es in solchen Fällen zwar Hilfsgelder und Entschädigungszahlungen, diese kommen jedoch, nach einer nicht unbegründeten, weit verbreiteten Auffassung, primär jenen, mit guten Beziehungen zu den regierenden Eliten, zugute. In diesen Kontexten spiegeln sich ethnische, regionale und soziale Unterschiede, die über die Gemeinde hinausgehen, aber in diese hineinwirken.

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Begegnet wird diesen Herausforderungen, bei allen gemeindeinternen Differenzen, mit verstärkter Zusammenarbeit und Solidarität der maseualmej untereinander, aber auch gegenüber jenen Fremden, die ebenfalls von den Unwettern und ihren Folgen betroffen sind. Beispielsweise, wenn es aufgrund vermurter Straßen unmöglich ist, aus Cuetzalan und Umgebung wegzukommen und es aufgrund der Abgeschnittenheit, selbst in den Geschäften keine Lebensmittel zu kaufen gibt, zeigt sich diese Solidarität. Indigene Familien nehmen Tourist_inn_en bei sich auf und versorgen diese aus ihren eigenen Reserven. In einigen Fällen resultieren daraus langjährige Freundschaften. Die haushaltsinternen Auswirkungen entsprechen denen, wie sie in einem der Unterkapitel zu Kapitel VI.1.1.6 beschrieben wurden. Stellen derlei Katastrophen gravierende ökonomische Bedrohungen dar, für die es aber soziale Mechanismen des Umgangs gibt, so sind innerhäusliche Probleme, die sich aus den adoleszenten Aufmüpfigkeiten, insbesondere von Söhnen ergeben, nicht über diese Art der Zusammenarbeit in den Griff zu bekommen. Latente Konflikte zwischen den Eltern des jungen Mannes, zwischen anderen Personen des Haushalts oder zwischen verwandten Haushalten, ja sogar innerhalb des Nachbarhaushalts, kommen hier verstärkt zum Vorschein (während die Vernichtung von Feldern, etc. diese zurückdrängen und die Solidarität und Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rücken). Insgesamt zeigen sich also im Gefolge von Zwängen und Möglichkeiten, Tendenzen sehr widersprüchlicher Art. Einerseits werden Solidarität und Gemeinsamkeit hervorgehoben und in Krisenzeiten auch genutzt, andererseits aber bestehen stark individualistische Tendenzen, was sich in potentiellen Spannungen und Konfliktachsen innerhalb und zwischen den Haushalten ausdrückt.

VII Ein weiter Weg… Von den theoretischen Ausführungen zu Globalisierung und Haushalten im Weltsystem, hin zu Haushalten der maseualmej im Weltsystem und im Kosmos Ergebnisse, Reflexionen und theoretische Implikationen der innerhäuslichen Dynamiken von Macht und Autorität, im Schnittfeld divergierender Achsen der Differenz

Ein weiter Weg liegt hinter uns. Nun gilt es inne zu halten und die Reise in ihren wichtigsten Eckpunkten Revue passieren zu lassen. Versuchen wir zunächst unsere Forschungsfrage und ihre alternative Formulierung jeweils in wenigen Sätzen zu beantworten. Bezogen auf erstere – Wie wirken ökonomische und andere Zwänge, aber auch neue Perspektiven eröffnende Möglichkeiten auf haushaltsinterne Strukturen und Verhaltensweisen und wie agieren die Mitglieder eines Haushalts, um ökonomische, politische und andere Strukturen in vielfältiger Weise für sich zu nutzen? – stellt sich heraus, dass sich die großen Veränderungen im Verlauf der Geschichte in ihren Auswirkungen auf Haushalte tendenziell, d.h. in den veränderten Beziehungen zwischen Haushalten bzw. in variierenden Bedeutungen von Klasse, Geschlecht, Alter u.ä. auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene erkennen lassen, nicht jedoch bezogen auf die Handlungsmöglichkeiten einzelner Mitglieder.1 Denn die detaillierte Untersuchung und Analyse innerhäuslicher Beziehungen der Gegenwart zeigt, dass derlei Handlungsmöglichkeiten zwar durch 1

Zur Erinnerung: Ausgangspunkt sind zunächst die in Kapitel II.6 vorgestellten Orientierungspunkte 3 und 4 von Wallerstein und Smith (1992a: 13-21) zur Analyse von Haushalten im Weltsystem, nämlich (3) die Betrachtung von Zyklen und Trends der Weltwirtschaft in ihrer Wirkung auf Haushaltsstrukturen; und (4) der Einfluss der Staatsmaschinerie auf die Bildung und Neubildung von Haushaltsstrukturen. Bezogen auf die Staatsmaschinerie, ist deren Entstehung und Infragestellung im Verlauf der mexikanischen Geschichte ein wesentlicher Aspekt, der die Rahmenbedingungen zumindest mit determiniert (siehe Kapitel IV.3). Die Grenzen und infolgedessen notwendigen Ausweitungen dieser Orientierungspunkte wurden in Kapitel II.2, II.6 und II.7 aufgezeigt.

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strukturelle Bedingungen geprägt, aber nicht vorbestimmt sind. Die Herausarbeitung dieser abweichenden und widersprüchlichen Praktiken in ihren historischen Veränderungen erfordert eine weitere, in die Tiefe gehende Aufarbeitung geschichtlicher Quellen, wie sie im Rahmen der vorliegenden Forschung unter anderem aus finanziellen Gründen nicht durchgeführt werden konnte.2 Mit der Darstellung der historischen Verflechtungen und ihrer Transformationen, im Zuge vertikaler globaler und nationaler Interaktionen, lassen sich allerdings die Rahmenbedingungen gegenwärtig bestehender Haushalte, als sich verändernd und ständig im Fluss, dokumentieren. Für das Aufzeigen der aktuellen Aktivitäten von Haushaltsmitgliedern, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Strukturen zu nutzen, erweist sich die zweite Formulierung – Wie stellen sich Macht- und Autoritätsverhältnisse, entsprechend den dominanten Markierungen der Differenz, immer wieder (neu) her (reproduzieren und verändern sich gleichzeitig), angesichts gleichbleibender, wie auch sich verändernder, struktureller und anderer Bedingungen in Haushalten und Gemeinden? – insofern treffend, als deutlich wird, dass haushaltsinterne Autoritätsstrukturen auf der einen Seite bemerkenswert gleich bleiben – oft verändert sich der Status des Haushalts insgesamt, nicht jedoch der innerhäusliche Status der einzelnen Mitglieder. Auf der anderen Seite bieten die in Kapitel VI beschriebenen positiven und negativen Krisen eine Reihe von Anhaltspunkten, die interne Struktur zu verändern. Größere Umstrukturierungen sind in der Regel von heftigen Auseinandersetzungen begleitet, die oft in der Aufteilung in verschiedene Hausgruppen münden. Damit bestätigt sich die in Kapitel II.2 vorgestellte Konzeption von Haushalt als einem dynamischen Geflecht von Beziehungen, das durch gemeinsames Arbeiten, Essen, manchmal auch Schlafen, permanent hergestellt, verändert, wie auch verfestigt wird. Einerseits bleibt eine einmal bestehende Mitgliedschaft auch nach Loslösung von Personen oder Personengruppen zumindest weitestgehend weiter bestehen, 3 andererseits variiert die Intensität der Zugehörigkeit, was sich im Recht-sich-selbst-Essen-zu-nehmen und -sich-im-Haus-frei-bewegen ausdrückt. So gesehen kann in Zusammenhang mit auftretenden Chancen und Risiken von einem Zusammenziehen oder auch einer Ausweitung von Haushalten – räumlich und vermittels der Verflechtung von verschiedenen Haushalten – gesprochen werden. Die Betrachtung von Haushalt als „incomepooling“ oder auch „resource-pooling unit“ (Kapitel II.6) hingegen erweist sich, wie bereits in Kapitel II.2 auf Grundlage anthropologischer Haushaltsdefinitionen aufgezeigt, als nicht oder nur bedingt zutreffend. Weder wird alles Einkommen, noch werden sämtliche Ressourcen unter den Angehörigen eines Haushalts geteilt (siehe Kapitel V und VI).

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Da sämtliche Forschungen von mir selbst finanziert wurden, gab es keine Mittel zur Bezahlung von Mitarbeiter_inne_n im Feld – weder im ethnographischen noch in dem der Archive. Damit hätten, neben den Recherchen zu relevanten historischen Dokumenten, auch ihre Transkription, etc. selbst durchgeführt werden müssen. Angesichts meiner knapp bemessenen Zeit, die mir jeweils (ökonomisch, beruflich und familiär bedingt) für Feldaufenthalte zur Verfügung stand, war ein solches Vorhaben, bei gleichzeitigem Anspruch auf die Durchführung einer teilnehmenden Beobachtung, nicht umsetzbar. Eine Ausnahme stellen (noch nicht) vollständig integrierte Schwiegertöchter dar; vgl. Kapitel V.2.1.

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Vielmehr nutzen die einzelnen Mitglieder dieser sich permanent verändernden, aber immer wieder auf ähnliche Grundprinzipien zurückkommenden Haushalte, in ihren Bestrebungen zur Verbesserung ihrer gesellschaftlichen wie auch haushaltsinternen Position, in einer Mischung aus Solidarität und Eigennutz, sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, auf Kosten der, wie auch gemeinsam mit anderen im Haushalt lebenden Personen. Loslösung und Vernetzung, Ausdruck der allgemeinen Dynamik von Haushaltszyklen, sind Teil dieser vielfältigen genutzten Ressourcen. Gehen wir im Folgenden diesen und anderen Ergebnissen der Arbeit in ihren politischen und theoretischen Implikationen nach. Ausgehend vom theoretischen Konzept des Weltsystems und der Lokalisierung Mexikos als Teil der Semiperipherie, bewegten wir uns zeitlich weit in die Geschichte zurück, in die Zeit der Entstehung der kapitalistischen Weltökonomie. Wir folgten dem Prozess der (fortgesetzten) ursprünglichen Akkumulation in Europa, der sich zunächst in ideologischen Umstrukturierungen der Haushaltswirtschaft und praktischen Auswirkungen eines gewaltsam durchgesetzten Gendering äußert(e). Wir sahen, wie in diesem Zusammenhang Körper, Arbeit und Rohstoffe immer mehr als Teile einer gratis auszubeutenden Natur umdefiniert und neu konstruiert wurden (und nach wie vor werden). Die „Entdeckung“ Lateinamerikas und die gleichermaßen gewaltsam durchgeführte Eingliederung der mesoamerikanischen Stadtstaaten und zahlreicher anderer seiner Bevölkerungsgruppen, in das entstehende und schließlich weltumspannende Wirtschaftssystem, stell(t)en in diesem Zusammenhang wichtige Meilensteine dar. Wir sahen, wie im Zuge der genannten Umstrukturierungen Haushalts-, sprich Subsistenzwirtschaften und damit in Verbindung kleinbäuerliche Produktionsweisen zunehmend als zu beseitigendes Entwicklungshemmnis definiert wurden (und werden). Wir sahen gleichzeitig, dass es nicht darum geht, sämtliche unbezahlte, der menschlichen Reproduktion dienende Arbeit, auf denen diese Ökonomien zu einem großen Teil beruh(t)en, in entlohnte Tätigkeiten umzuwandeln. Vielmehr sollten Autarkie und Selbstgenügsamkeit von Haushaltswirtschaften, Gemeinden, ja von ganzen Weltregionen abgeschafft und eine Abhängigkeit der betroffenen Menschen von kapitalistisch-marktwirtschaftlich wirtschaftenden, immer größer werdenden Unternehmungen forciert werden. Gleichzeitig sollte/n unbezahlte Reproduktionsarbeit, sei das im Haushalt, sei das in der Landwirtschaft, weiterhin erhalten und auf diese Weise die Lohnkosten gering gehalten werden. Wir erkannten, dass sich infolgedessen Haushalte, als Einheiten, in denen heute der Großteil der Weltbevölkerung lebt, weder alleine durch Subsistenzaktivitäten noch durch Lohnarbeit versorgen können, sondern dass eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten und Einkommen zu ihrem Bestehen notwendig sind. Wir erkannten jedoch auch, dass „Haushalt“ eine Art Passepartout-Begriff darstellt, etwas, das alle kennen, das bei näherer Betrachtung allerdings mit unterschiedlichsten Merkmalen ausgestattet ist.4 Haushalt entpuppte sich als ein äußerst variables Gebilde, mit hete4

Vgl. dazu Pomata (1983: 123), die in Anlehnung an Needham (1975), Gender als Passepartout- und somit polythetischen Begriff charakterisiert, sowie Scott (1996: 174), zur Beschreibung von „Mann“ und „Frau“ als gleichzeitig leer und überfließend. Leer, weil diese Worte keine letzte, transzendierende Bedeutung haben. Überfließend, weil, selbst wenn sie

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rogenen, sich immer wieder verändernden Grundlagen seiner Zusammensetzung, eine Erkenntnis, die sich auch in den empirischen Erhebungen bestätigte. In ähnlicher Weise erwies sich die, vom Konzept her, mit der klassischen Haushalts- und Subsistenzwirtschaft in Verbindung gebrachte peasantry, als in sich inhomogen, auf vielfältige Wirtschafts- und Lebensweisen angewiesen und in ständiger Veränderung begriffen. Eine solche Verflechtung unterschiedlicher, sich permanent neu ordnender Lebens- und Wirtschaftsweisen und damit einher gehender Formen von Dominanz und Unterordnung, stellten wir schließlich im mexikanischen Munizipio Cuetzalan fest. Es zeigte sich dabei, dass speziell die indigene Bevölkerung Cuetzalans, in ihrem Selbstverständnis und Handeln, nicht nur in heterogenen und fluktuierenden Weisen in das globale kapitalistische Weltsystem, sondern darüber hinaus auch in ein System eingebettet war und ist, das den gesamten Kosmos inkludiert. 5 Nur unter Einbeziehung der spirituellen Komponenten lassen sich Macht- und Autoritätsbeziehungen in und zwischen Haushalten sinnvoll analysieren, was durch den Rückgriff auf das Konzept der personhood in seiner indigenen Variante ermöglicht werden sollte. Eine derart umfassende Sicht von Ökonomie und Politik kommt jedoch in den eingangs vorgestellten Globalisierungstheorien (Kapitel II.1), ebenso wie im von mir präferierten Weltsystemansatz und in einigen der feministischen Zugänge der Intersektionalität 6 zu kurz, was eine wesentliche Schwäche ausmacht (Kapitel II.7). Diese verknappte Zugangsweise, wie sie für das spätestens seit der Aufklärung vorherrschende Wissenschaftssystem typisch ist, könnte als Teil und Ergebnis einer Art (fortgesetzten) ursprünglichen Akkumulation im Bereich der Erkenntnis – Ausdruck einer umfassenden „epistemischen Gewalt“ (Spivak 1988; 2008; et al.; vgl. auch Garbe 2013) – beschrieben werden. Mignolo (2012: 49-50) bezeichnet die resultierende Kontrolle von Subjektivität und Wissen als eine der Säulen der kolonialen Matrix der Macht. „Partikulare“, nur für bestimmte Bereiche und auf Grundlage eingeschränkter Mittel und Methoden festgestellte Wahrheiten werden als universell gültig präsentiert. 7 Wir werden weiter unten noch einmal auf diesen Aspekt zurückkommen. Zunächst betrachteten wir Veränderungen in den ökonomischen und politischen Verflechtungen und Ausrichtungen in der Gebirgsregion Cuetzalan, die als entscheidende Schritte einer fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation, aber auch ihrer Verzögerung und daraus resultierenden lokalen Ausprägung, mit spezifischen, die Lebens- und Umweltbedingungen (wieder) verbessernden Tendenzen, angesehen werden können. Wir sahen, dass das Gebiet aufgrund seiner Unzugänglichkeit, wäh-

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als fixiert erscheinen, enthalten sie in sich alternative, geleugnete oder unterdrückte Definitionen. Ähnlich wie Gender, lässt sich auch „Haushalt“ als scheinbar bekannt und doch mit sehr unterschiedlichen Konnotationen behaftet, erkennen. Bezogen auf kosmologische Weltbilder und ihre Bedeutung bei einer Vielzahl von Bevölkerungsgruppen in Mexiko, vgl. u.a. Dürr (2011: 98-9). Vgl. u.a. Browne/Misra (2003); McCall (2005); Ackerly/True (2008); Kerner (2009); Hankivsky/Cormier (2011). Zur Partikularität in der Produktion ethnographischer Texte und der damit einhergehenden, notwendigen „Fiktion“ anthropologischen Schreibens, vgl. auch Clifford (1993), wenngleich dieser andere Interessen und einen anderen Ausgangspunkt hat. Vgl. dazu u.a. auch Gottowik (1997); Zips (2014).

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rend der Kolonialzeit weitgehend sich selbst überlassen war. Die primär, wenn auch nicht ausschließlich, auf dem Maisanbau für die Subsistenz beruhende Wirtschaft, charakterisierte sich durch regionale Selbstversorgung. Von den Kleinbauern und bäuerinnen erzeugte Überschüsse wurden für die Versorgung der lokalen Eliten, des Franziskanerordens und die von der Kolonialregierung geforderten Abgaben genutzt. Im gegen Ende der Kolonialzeit entstandenen, verschränkten Ämtersystem dominierten die pasados, d.h. alte Männer, die sämtliche Ämter durchlaufen haben. Für die Übernahme und Durchführung ihrer Positionen waren sie auf Ehefrauen und weibliche Verwandte angewiesen. Vergleichsweise spät, erst Ende des 19. Jahrhunderts, kam es zu gröberen Veränderungen und umfassenderen Aneignungen von politischen Rechten, Arbeit, Land und Rohstoffen durch kapitalistisch agierende Akteur_inn_e_n. Italienische und mestizisch-mexikanische Geschäftsleute setzten sich in Cuetzalan fest und es gelang ihnen, eine immer größere Macht in der Bezirksregierung zu erlangen und sich einen großen Teil der Landressourcen der unmittelbaren Umgebung anzueignen. Materielle Ressourcen sowie die Verfügung über soziale oder politische überregionale Netzwerke gewannen in den indigenen Gemeinden, betreffend die Möglichkeit ein Amt zu übernehmen, an Bedeutung. Im Zuge der mexikanischen Revolution verlor Alter an Relevanz, zugunsten von Männlichkeit, verbunden mit Schriftkundigkeit und Spanischkenntnissen. Junge Männer dominierten nun auf Kosten der älteren und der Frauen (jeden Alters). Fortgesetzt und ausgeweitet wurden diese vielfältigen und widersprüchlichen Akkumulationsprozesse in den 1930er Jahren, mit der Ankunft und Landnahme armer mestizisch-mexikanischer Siedler_innen. Land wurde zur knappen Ressource. In intensiverem Ausmaß als je zuvor mussten und müssen nun ergänzende Einkommensmöglichkeiten gesucht werden. Ein Teil der kleinbäuerlichen Bevölkerung – mestizischer wie auch indigener Herkunft – fand eine wichtige Quelle im Anbau von Kaffee für den Verkauf. Daneben waren (und sind) die Haushalte, zur Bestreitung ihrer monetären Ausgaben, auf tage- und saisonweise Lohnarbeit ihrer Mitglieder auf den größeren Kaffeeplantagen oder auch den Zuckerrohrfeldern im Küstengebiet von Veracruz angewiesen. Politisch wurde die PRI, die eng mit den mestizisch-italienischen Kaffeeeliten Cuetzalans verflochten war (und ist), immer mächtiger und bestimmt(e) nicht nur die Bezirksregierung, sondern dominiert(e), zumindest indirekt, auch die Politik der untergeordneten Gemeinden. Letztere aber hielten (und halten) am verschränkten Ämtersystem, als einer zentralen Möglichkeit zur Stärkung von personhood, fest, was unweigerlich zum Konflikt mit der cabecera führen muss(te). Als Ende der 1980er Jahre die Kaffeepreise drastisch fielen und darüber hinaus ein Frost einen Großteil der Kaffeesträucher vernichtete, zeigte sich die besondere Fähigkeit der lokalen Bevölkerung, Krisen in positiv zu nutzende Möglichkeiten, in Ressourcen umzuwandeln. Neue Kaffeegärten wurden angelegt, nun nicht mit den, bis in die 1970er Jahre von der mexikanischen Regierung forcierten und subventionierten, empfindlichen Hochleistungssorten, sondern mit robusteren Varietäten, in einem Mischsystem mit anderen Pflanzen. Damit wurden die regionalen Beziehungen von Dominanz und Unterordnung neu geordnet, wenngleich keineswegs grundlegend umstrukturiert. Die Abhängigkeit von mestizischen und staatlichen Zwischenhändler_inne_n reduzierte sich, die Möglich-

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keiten für indigene Haushalte, auf Grundlage der lokal vorhandenen Ressourcen in der Region zu überleben erhöhten sich. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spiel(t)en die Aktivitäten der Indigenenkooperative Tosepan, aber auch der wachsende Tourismus. Migration in eine der größeren mexikanischen Städte oder in die USA hat(te) für die maseualmej, als ein Ergebnis dieser Umorientierung, vergleichsweise geringe Bedeutung. Andere Reisen, wie jene nach Veracruz, werden heute nicht mehr, wie in der Vergangenheit, dazu unternommen, um auf den dortigen Plantagen zu arbeiten, sondern um, beispielsweise im Badeort Tecolutla, Kunsthandwerksprodukte zu verkaufen. Was (scheinbar) unverändert bleibt, ist die Bedeutung des Maisanbaus, weniger im ökonomischen Sinne, als vielmehr in Hinblick auf indigene Identität. Da, vermittelt über die Seeleneinheit des yolo, eine gemeinsame Essenz zwischen dem Menschen und dem Mais besteht, muss der Mais, wenn er nicht selbst angebaut wird, zumindest aus der Region stammen. Ein Teil der oben genannten Fähigkeit, die fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation mit lokalen, für die Lebensqualität zuträglichen Bedeutungen zu versehen, ist auf diese Mensch-Mais-Identität und auf das resultierende Beharren auf eigener oder zumindest regionaler Versorgung zurückzuführen. Zu dieser lokalen Bedeutungszuschreibung und nachfolgenden leichten Umorientierung und Verschiebung trägt die besondere ökonomische Logik bei, die sich im Zusammenhang mit dem Maisanbau wie auch vielen anderen Aktivitäten zeigt. Cash Crops, wie Kaffee, später die Herstellung und Vermarktung von Kunsthandwerksprodukten, werden genutzt, um den, aus einer kapitalistischen Sichtweise betrachtet, unrentablen Maisanbau zu subventionieren. Analog den Beobachtungen von Elizabeth Fitting (2011: 107), im von ihr untersuchten Tehuacán-Tal, kann der Maisanbau als Teil einer Strategie gegen eine Akkumulation durch Enteignung (in unserem Fall der indigenen Identität) interpretiert werden. Die Erzeugung und Verarbeitung dieses Getreides markiert weibliche und männliche personhood, die dabei erfolgte Zusammenarbeit und der nachfolgende Konsum definieren Haushaltszusammengehörigkeit und Nähe. Soziale Netzwerke zwischen den Lebenden, wie auch den Lebenden und den Toten, charakterisieren sich über den gemeinsam erfolgten Konsum von Mais. Die Bedeutung des Maisanbaus als Strategie des Widerstands gegen Enteignung (indigener Identität und damit einhergehender spezifischer Formen von Wissen und Erkenntnis) wird auch von den nationalen Indigenen- und anderen Organisationen erkannt. In einem, seit den 1990er Jahren verstärkt geführten und genutzten „Diskurs der Indigenität“, nimmt die Darstellung der indigenen Bevölkerung als „Maismenschen“, die Mais „seit Jahrtausenden, im Einklang mit der Natur“ anbauen, eine zentrale Rolle ein, und das trotz der zahlreichen Brüche und Veränderungen im Umgang mit dieser zugegebenermaßen zentralen Pflanze mexikanischer Ernährung (vgl. dazu u.a. Fitting 2011: 115-6). Der „Diskurs der Indigenität“ und die Vernetzung mit nationalen und transnationalen Indigenenorganisationen stellt für die maseualmej eine (weitere) wichtige Ressource dar. In der Auseinandersetzung mit der mestizischen Distriktregierung gelang es, unter Bezugnahme auf „uralte“ Traditionen des Gewohnheitsrechts und basisdemokratischer Konsensentscheidungen sowie unter Verweis auf das Abkommen von San Andrés, eine indigene Gerichtsbarkeit einzusetzen und eine neue Variante des ehemaligen Rates der pasados zu etablieren (zur Bedeutung des Abkommens von

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San Andrés, vgl. u.a. Vázquez-García 2012: 324). Letzterem gehören nun, im Unterschied zu früher, auch Frauen an. Dennoch dominier(t)en in der Politik nach wie vor Männer, lange Zeit in der Bezirksregierung insbesondere mestizische Männer. Erst in neuerer Zeit gelingt es vereinzelt auch maseualmej, das hohe Amt des presidente municipal zu erlangen. 8 Entgegen der im „Diskurs der Indigenität“ nahegelegten Homogenität der indigenen Bevölkerung zeigen sich in diesen politischen Erfolgen die internen ökonomischen Differenzen, die in der Region lange Tradition haben, wenngleich es Verschiebungen betreffend die begünstigten und die benachteiligten Gruppen gibt. Aktuell lässt sich in der Gemeinde San Miguel Tzinacapan zwischen einer in der Leitung von Tosepan aktiven Mittelschicht, polybians und Landlosen unterscheiden, jeweils mit unterschiedlichen Zusammensetzungen und Gewichtungen, betreffend die Herkunft des Haushaltseinkommens, aber auch seiner Größe. Die bestehenden Reichtumsunterschiede wirken in die Haushalte und die Möglichkeiten ihrer Mitglieder hinein, ihre personhood zu vervollständigen oder auszuweiten und somit Autorität in Familie und Gemeinde zu erlangen. Die Abhängigkeit von Kindern in wohlhabenden Haushalten von ihrer Herkunftsfamilie ist größer, als die von solchen aus ärmeren. Ein entscheidendes, von allen Gruppen, wohlhabenderen, wie auch weniger wohlhabenden oder armen, wenn auch in unterschiedlicher Weise und Intensität genutztes Mittel im „Widerstand gegen Enteignung“ offenbarte sich uns im Fest für den Schutzheiligen, dessen propagierte besondere Spiritualität, mit der Profanität der Festivitäten des mestizischen Cuetzalan, kontrastiert wird. Dieses Fest und andere mayordomías, sowie die vielen verschiedenen Tänze, die in diesem Kontext aufgeführt werden, gewinnen als Merkmale indigener Identität gegenüber dem Maisanbau immer mehr an Bedeutung. In dem Maße, in dem der Anteil an aktiv Mais anbauenden maseualmej zurückgeht (wenngleich seine ideologische Bedeutung unverändert bleibt), steigt die Relevanz der Beteiligung am Festesystem, sei das als mayordom@, sei das als diputad@, als Gast oder als Tänzer_in. Wiederum zeigt sich die besondere Logik, die der rationell kapitalistischen widerspricht. Im Falle von Katastrophen, Krankheiten und anderen Krisen, werden diese religiös-rituellen Aktivitäten, die mit hohen Kosten verbunden sind, erhöht, nicht verringert. 9 Diese besondere Logik konnten wir in der Gemeinde als solche wie auch in Einzelhaushalten, in den Reaktionen der ökonomisch begünstigen Angehörigen Tosepans ebenso wie in jenen der weniger privilegierten Bevölkerungsschichten, feststellen. Entscheidend für die Ermöglichung einer lokal geprägten, verglichen mit ande8

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Wenngleich in einigen Fällen unter der Bevölkerung Tzinacapans umstritten ist, ob es sich um maseualmej handelt, wenn sich die Betreffenden „westlich“ kleiden. Vgl. dazu die in einem Abschnitt von Kapitel IV.3.3.3 zitierte Aussage von Tzm 10 20.9.2013, der aus Ajotzinapan stammende presidente municipal, der 2011 die Wahl gewinnt, sei wie ein koyot gekleidet. Schlehe (2010: 115) stellt eine neu ausgebildete Bedeutung von Tradition für Java fest, als Mittel der persönlichen wie auch der kollektiven Orientierung, in einer sich modernisierenden und globalisierenden Welt. Was seitens der lokalen Bevölkerung als „Tradition“ gesehen wird, erweist sich dabei als äußerst heterogen. Ähnliches lässt sich in Cuetzalan erkennen.

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ren Gebieten Mexikos menschen- und insbesondere indigenenfreundlicheren Ausprägung der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation ist dabei nicht die Existenz dieser besonderen Logik als solcher, sondern ihre Koexistenz mit der marktwirtschaftlich-kapitalistischen. In der Gemeinde wie in den Haushalten gibt es Bereiche, die sich dementsprechend an der einen, andere, die sich an der anderen Logik orientieren. Maisanbau, Krankheiten und Umwelt- bzw. Erntekatastrophen erfordern den Rückgriff auf die „kosmologisch-spirituelle“ Logik, Cash Crop-Produktion, Lohnarbeit u.ä. die Einhaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Im Falle der ersteren dominieren Aspekte der Solidarität und Gemeinschaftlichkeit, im zweiten Falle jene der Individualität. Dieser Dualismus ist es, der in unserer Analyse haushaltsinterner Strukturen und Verhaltensweisen deutlich zum Vorschein kommt, sich gewissermaßen wie ein roter Faden durch sämtliche Haushalte hindurchgehend erkennen lässt. Dieser Dualismus ist es auch, der Haushalte in Tzinacapan und Umgebung so ähnlich, scheinbar kulturellen Normen folgend, und doch so heterogen macht, diesen Normen widersprechend und sie im Laufe der Zeit nach und nach verändernd: Im Sinne der Gemeinschaftlichkeit gibt es für alles Regeln, angefangen von der Ausrichtung des Hauses, bis zur Zusammensetzung seiner Mitglieder. Im Sinne des Individualismus werden diese Regeln permanent durchbrochen, in Frage gestellt, neu definiert. So gilt beispielsweise der Herd als Zentrum des Hauses, aber ob sich dieses Zentrum tatsächlich im Zentrum oder außerhalb des eigentlichen Hauses, in einem Anbau befindet, oder ob es gar mehrere Herde und somit Zentren gibt, variiert. Die Küche gilt als weiblicher Ort, die Verarbeitung des Mais’ als spezifisch weibliche Fähigkeit. Im Alltag wie auch bei Festen halten sich jedoch nicht nur Frauen im Küchenbereich auf, wenngleich der Zugang bei Festen auf wenige ausgewählte Männer beschränkt ist. Im Alltag wird von Männern erwartet, sich an der Haus- und damit auch Küchenarbeit zu beteiligen, bei Festen ist ihnen das weitgehend untersagt. Junge Menschen sollten nach ihrer Heirat zur Familie der Eltern des Mannes ziehen, tatsächlich ziehen manche Paare auch zu den Eltern der Frau oder errichten – wenngleich in Ausnahmefällen – gleich zu Beginn ihrer Beziehung ihre eigene Residenz. Der junge Mann sollte dem Vater, gegebenenfalls auch Schwiegervater, bei der Arbeit am Maisfeld helfen, tatsächlich gibt es eine Reihe junger Männer, die sämtliche landwirtschaftliche Arbeiten ablehnen und sich beispielsweise im Tourismus betätigen. Ihre Männlichkeit versuchen sie durch verstärkte Beteiligung am Ämtersystem, als Tänzer wie auch durch andere Aktivitäten zu erlangen. Junge Frauen versuchen sich ebenfalls der Arbeit, in ihrem Fall für die Schwiegermutter (nicht, wie die jungen Männer, für den Vater), zu entziehen und eigenes Geld zu verdienen. Im Haus der Schwiegereltern, als einem ihnen eher feindlich gesinnten Umfeld lebend, gelingt ihnen das weniger leicht als ihren Ehemännern. Hingegen können Töchter, die nach ihrer Heirat zu Hause wohnen bleiben, meist auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Mütter zählen, wenn sie eine Ausbildung machen wollen oder eine Lohnarbeit annehmen. In den Kapiteln V und VI wurden viele solche Beispiele und die resultierenden Schwierigkeiten, wie auch eventuelle Verschiebungen haushaltsinterner Autoritätsverhältnisse ausgeführt. Was deutlich wurde ist, dass zum einen Möglichkeiten zur Erlangung eines individuellen Vorteils von jungen und alten Menschen, von Frauen wie von Männern, von Verheirateten wie auch Unverheirateten, etc. aufgegriffen und

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genutzt werden. Zum anderen sind die gesteckten Ziele, aber auch die zur Verfügung stehenden Ressourcen, stark kollektiv geprägt. So erfordert die (individuelle) „Vervollständigung“ und Stärkung von männlicher wie auch weiblicher personhood, wichtige Voraussetzung für die Erlangung rechtmäßiger Autorität, neben der Heirat, die Errichtung sozialer Netzwerke und die Beteiligung am religiös-rituellen Ämtersystem, wovon in der Folge der gesamte Haushalt und die Gemeinde profitieren. Die aus dieser Widersprüchlichkeit resultierenden Spannungspotentiale und Konfliktachsen sind vielfältig, teilweise in den vorgegebenen Normen selbst, teilweise in ihrer Durchbrechung begründet. Erinnert sei hier nur an die praktisch in allen Haushalten auftretenden Auseinandersetzungen darüber, wer die für die Versorgung der Mitglieder notwendigen Tätigkeiten verrichtet und wer sich anderen Aktivitäten, die Geld oder Prestige bringen, widmen darf. Denn die für die Gemeinde beschriebenen ökonomischen Differenzen zwischen Haushalten, lassen sich auch innerhalb derselben finden, da monetäres Einkommen nicht der kollektiven, sondern der individuellen Logik unterliegt und folglich dem_ derjenigen gehört, der_die es verdient hat. Das führt einerseits zu widersprüchlich gestalteten Einrichtungen – beispielweise mit offenem Feuer am Küchenboden und Latrine im Hof, gleichzeitig aber PC, Wohnzimmergarnitur und Fernseher in einem, meist abgegrenzten Teil des Hauptraums. Andererseits entwickeln vor allem Eheleute für sich Regelungen, die dieser individualistischen Haltung widersprechen. Häufig ist es die Frau, der die Aufgabe der Verwaltung der Einkünfte überantwortet wird und meist werden, insbesondere größere Ausgaben, gemeinsam besprochen und entschieden. Grundlage dafür bietet die im Konzept der personhood angelegte, notwendige Komplementarität der Geschlechter, die in patriarchal-hierarchischer, ausgeprägt egalitärer wie auch in Frauen begünstigender Weise ausgelegt und umgesetzt werden kann. Je ungleicher die Ausgangbedingungen der Eheleute sind, desto schwieriger ist es, selbst im Verlauf der gemeinsam verbrachten Jahre, eine gleichberechtigte Beziehung zu entwickeln. Ist der Mann ungleich älter als die Frau oder verfügt er bereits bei der Heirat über ein eigenes Haus und somit weitestgehend vollständige personhood, dann ist seine Dominanz gewissermaßen vorgegeben. Vorausschauende Eltern beugen dem vor und geben ihrer Tochter eine gute Ausbildung – indem sie ihr ein Handwerk wie die Weberei beibringen oder sie die Schule besuchen lassen –, oder statten sie gleich bei der Heirat mit eigenem Land aus, sofern ihnen das aufgrund ihrer eigenen sozio-ökonomischen Situation möglich ist. Die in Mexiko wie auch in der Gemeinde vorherrschende männliche Dominanz, verbunden mit den, in manchen Haushalten bestehenden, asozialen Tendenzen im Umgang mit verwitweten Schwiegertöchtern und deren Kindern, legen gleichermaßen nahe, dass Eltern, wenn möglich, ihre Töchter mit einer Hausparzelle, einer milpa, einem cafetal oder anderen Ressourcen versorgen bzw. Frauen selbst danach trachten, möglichst vor, aber auch während der Ehe über eigene Geld- und andere Mittel zu verfügen. Auf diese Notwendigkeit verweisen die geschilderten Beispiele von Witwen, die mitsamt ihren Kindern nach dem Tod ihres Mannes von dessen Eltern aus dem Haus geworfen wurden und in der Folge u.U. ohne Bleibe sind. Denn eine Rückkehr ins elterliche Haus ist nur dann möglich, wenn die Heirat mit Einverständnis der Eltern erfolgte bzw. die Eltern noch leben. Es zeigte sich, dass vollständig handlungsfähige Frauen mit eigenen Ressourcen in der Lage sind, sich und ihre Kinder zu versorgen und sich darüber hinaus am reli-

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giös-politischen System der Gemeinde zu beteiligen und so ihre eigene personhood und die ihrer Kinder zu erhöhen. Männer erwiesen sich als weniger befähigt alleine einen Haushalt zu führen, da ihnen in der Regel die Fähigkeit der Herstellung von tortillas, die Grundlage für jede anständige Mahlzeit, fehlt. Aus diesen und den vorangegangenen Ausführungen wurde die Relevanz der Differenzmarkierungen Klasse/Schicht, Geschlecht, Alter, Heirats- und Verwandtschaftsstatus, als Basis für eine auf personhood begründete Autorität deutlich, ebenso wie deren variable Wirksamkeit, entsprechend den jeweils spezifischen Bedingungen. Als weitere zentrale Komponente erwies sich die compadrazgo, die sich gleichzeitig als eine wichtige Ressource zur Ausweitung von Handlungskompetenzen erkennen ließ. Wiederum zeigten sich gleichermaßen individualistische wie auch kollektive Tendenzen. Compadrazgo-Beziehungen werden mit sehr unterschiedlichen Menschen eingegangen und dienen daher auch sehr heterogenen Zwecken. Angefangen von der Stärkung bestehender verwandtschaftlicher Beziehungen, über den Wunsch bestehende Spannungen zu verringern, die Nutzung unterschiedlicher Ressourcen, bis zur Schaffung eines Versicherungssystems für Notzeiten, reicht ihre Bandbreite. Einen mächtigen compadre zu haben, kann die Position eines Mannes_einer Frau im Haushalt wie auch in der Gemeinde wesentlich stärken. Madrinas sind Streitschlichterinnen und stellen somit ein wichtiges Potential für Frauen (wie auch für Männer) zur Lösung innerhäuslicher Konflikte dar. Jeder Mensch hat sein spezifisches, individuelles Netzwerk von m/p/adrin@s und comadres_compadres. Über die Vielzahl von miteinander verflochtenen compadrazgo-Netzwerken konstituiert sich die Gemeinde ebenso, wie sich über die Gemeinde hinausgehende Beziehungen gleichberechtigter wie auch hierarchischer-ausbeuterischer Natur bilden. Den entscheidenden Zusammenhalt der compadrazgo- wie auch sämtlicher anderer Beziehungen stellen permanent neu zu schaffende bzw. zu stärkende Bande gemeinsamen Essens, im näheren Umfeld auch der gemeinsamen Arbeit dar. Zugrunde liegt ihnen ein verpflichtendes System von Gabe und Gegengabe, das sich über die Menschenwelt hinaus bis in die kosmischen und spirituellen Beziehungen erstreckt. Diese notwendige Reziprozität, der sich im Grunde niemand entziehen kann, verbietet rein altruistisches Handeln und begründet gleichermaßen individualistische wie auch kollektiv-solidarische Prinzipien. In ihren Handlungsstrategien und -optionen müssen männliche wie auch weibliche, alte wie auch junge maseualmej die möglichen und erwünschten weiteren Implikationen und potentiellen Netzwerke der gegenseitigen Verschuldung mitdenken. Individualistisches Streben nach Autorität und Anerkennung, in gewisser Weise im sozial-religiösen System vorgegeben, ist somit an gemeinschaftliche Strukturen und ihre Stärkung gebunden. Individualistisches, ja egoistisches und solidarisch-kollektives Handeln sind eng aneinander gekoppelt. So dient die Durchführung einer mayordomía, bei näherer Betrachtung, immer Eigeninteressen, wie z.B. Gesundheit, Prestige, Anerkennung, in ihren Auswirkungen aber stärkt sie Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit. Die Einwohner_innen San Miguel Tzinacapans erweisen sich somit als eine widersprüchlich erscheinende Bevölkerungsgruppe, die einerseits stark kollektiv geprägt ist, mit breiten solidarischen Netzwerken, andererseits zutiefst egozentriert und misstrauisch (aber auch neugierig) gegenüber allen und allem Anderen. Sie sind

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gleichzeitig stark traditionsgebunden und andererseits Neuem gegenüber offen und interessiert.10 Diese Ambivalenzen spiegeln sich in allen Beziehungen, innerhalb der und zwischen den Gemeinden ebenso, wie auch innerhalb der und zwischen den Haushalten. Besteht nach außen hin und vor allem gegenüber Bedrohungen von außen eine zur Schau gestellte Einheit, so zeig(t)en sich aufgrund der vielen Widersprüche im „Inneren“ (der Gemeinde wie auch der Haushalte) eine ganze Reihe von Bruch- und Konfliktlinien, die im Zuge verschiedener Gegebenheiten aufbrechen oder zumindest erahnt werden können. Denn in den Bestrebungen, die eigene Position zu verbessern, werden, wie gesagt, sämtliche verfügbaren Möglichkeiten genutzt – materielle wie immaterielle, von der Natur, der Regierung oder NROs bereit gestellte ebenso wie spirituelle. Einige der geschilderten Varianten zur Stärkung oder Erhöhung des eigenen Status basieren wesentlich auf der Kränkung, Demütigung, ja Schädigung anderer Personen im Haushalt und in der Gemeinde. Diese lassen sich das in der Regel nicht gefallen, greifen ihrerseits die jeweils passenden Möglichkeiten auf und nützen diese für sich. Die bestehenden Beziehungsstrukturen werden daher permanent in Frage gestellt, umkämpft und befinden sich folglich in ständiger Bewegung. Gleichzeitig aber bleiben grundlegende Hierarchien (des Alters, des Geschlechts, des Heiratsstatus, etc.), die sich in spezifischen Kontexten verändern, ja in ihrer Bedeutung verkehren können, sofern sie auf der auf personhood begründeten und damit sozial anerkannten Autorität beruhen, trotz alledem, auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang bezogen, bemerkenswert unverändert, zwar nicht ewig, aber doch über längere Zeitepochen hinweg.11 Gesamt gesehen scheint es, als wären Normen und kulturelle Werte eine Art Orientierung, um die herum die spezifischen Verhaltensweisen oszillieren, wobei es Überschneidungen zwischen Theorie und Praxis gibt, aber nie völlige Deckungsgleichheit. Daraus ergeben sich Konstanz und Veränderung als ineinander verflochtene, einander ergänzende Bedingungen des sozialen Lebens gleichermaßen: Konstanz im Sinne bestehender Strukturen und Institutionen, aber auch der sozialen Normen, die (scheinbar) über Generationen hinweg erhalten bleiben; Veränderung insofern, als nicht nur die (historischen, ökonomischen, ökologischen…) Bedingungen, innerhalb derer diese Strukturen, etc. zu finden sind, nicht gleich bleiben, nie gleich bleiben können, und andererseits menschliches Handeln immer auch ein Abweichen von vorgegebenen Mustern, eigene Interpretationen von Normen, Werten und Regeln 10 Beispielsweise zeigt sich Rodríguez Blanco überrascht, dass in San Miguel Tzinacapan (wenn auch nur vorübergehend) ein metallener Pfahl für den Tanz der voladores zugelassen wird: „[U]n pueblo como San Miguel Tzinacapan, tan preocupado por mantener la tradición” (2011b: 122). Parallel zu diesem (auch politisch motivierten) Interesse der Aufrechterhaltung „der Tradition“, besteht, wie wir gesehen haben, eine ständige Rezeption und Nutzung neuer Technologien, wie Internet oder Videokamera. 11 Wobei diese kontextuellen Veränderungen das Potential für längerfristige Transformationen implizieren. Gingrich und Zips (2003: 286) sprechen in diesem Zusammenhang von „praxeologischer Strukturgeschichte“, davon, dass Personen einerseits frei handeln, andererseits aber durch Habitus und Strukturen, geprägt bzw. disponiert sind. Strukturen reproduzieren und verändern sich durch das Handeln und Deuten der Akteur_inn_e_n (vgl. hierzu auch Wernhart/Zips 2014: 21, et al.).

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impliziert. So gesehen können die Indigenen Cuetzalans (und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Einwohner_innen vieler anderer mexikanischer Gemeinden), nicht als Teil des in Kapitel II.2 vorgestellten, Ende der 1990er Jahre konstatierten, einheitlichen „Mesoamerican household formation system“ (Robichaux 1997: 150, 157) betrachtet werden, wenngleich sich ein solches auf Grundlage einer primär quantitativen Untersuchung finden ließe. Denn letzteres ist, laut seinem Schöpfer Robichaux (ibid.; 2002), wie erwähnt, durch einen spezifischen Entwicklungszyklus gekennzeichnet, dem „Mesoamerican developmental cycle of domestic groups“. Charakteristisch ist, um den zentralen Inhalt des Konzepts noch einmal zusammenzufassen, die Virilokalität der älteren Söhne, die sich mit ihren Frauen im Elternhaus niederlassen, bald aber in der Nähe ihren eigenen Haushalt errichten. Nur der jüngste Sohn, als Hauserbe und somit für die Versorgung der nicht mehr arbeitsfähigen Eltern zuständig, bleibt in der Herkunftsresidenz. Diese Art des Haushaltszyklus und der damit einhergehenden Residenzregeln ist, wie aufgezeigt, zwar (auch) in Cuetzalan vorherrschend. Gleichzeitig aber wird deutlich, dass uxorilokale und andere mögliche Wohnformen nicht als Ausnahme zu betrachten sind, die nur dann gewählt wird, wenn es keine Söhne gibt oder im Falle von ausgeprägten Konflikten in der Familie des Mannes sowie bei Raumknappheit oder, wenn Vater oder Mutter verwitwet ist (Robichaux 1997: 156-7). Ebenso wenig lassen sich neolokale Haushalte primär als Ausdruck verstärkten Einkommens der jüngeren Generation und somit einer allgemeinen Tendenz der letzten Jahrzehnte ansehen, wie von Pauli (2002; 2008; 2013) für Pueblo Nuevo aufgezeigt oder von González Montes (1999) allgemein für das ländliche Mexiko nahegelegt. Vielmehr definiert sich die jeweils gewählte Residenzform, entsprechend der Nutzung aller verfügbaren Möglichkeiten der verschiedenen (potentiellen) Haushaltsmitglieder, über eine Bandbreite von Variablen (vgl. Kapitel V.1.3, V.1.4, V.2), von denen eine wesentliche, der Reichtum der Herkunftsfamilie (und weniger der Nachfolgegeneration) ist (Kapitel V.2.3). Einige andere der festgestellten Variablen – z.B. die Unterstützung durch die Herkunftsfamilie (der Frau) wie auch die Beziehung der Eheleute untereinander –, werden auch von Pauli (2008: 176) genannt.12 Interessant an unseren Ergebnissen ist in diesem Zusammenhang nicht nur, dass Theorie und Praxis, gesellschaftliche Norm und tatsächliches Verhalten in vielen Fällen voneinander abweichen, sondern dass es immer wieder vorkommt, dass die Normen (d.h. die geäußerte Theorie, wie etwas sein soll) an die spezifischen Handlungsweisen adaptiert werden.13 In Kapitel V.2.3 findet sich das Beispiel eines jungen Nahua-Mannes, der ins Haus der (totonakischen) Familie seiner Frau einzieht, was seitens der betroffenen Frauen als völlig normal und üblich beschrieben wird. Ließe sich 12 Der Unterschied zu Robichaux liegt weniger in den genannten Gründen (wobei die von Robichaux genannten einige wenige, unter einer Vielzahl, womöglich miteinander verflochtener Anlässe darstellen), sondern in ihrer Bewertung: Handelt es sich um eine nur im Notfall gewählte Ausnahmeerscheinung, oder um ein zulässiges Mittel, das bei Bedarf, wenn es, warum auch immer, günstiger erscheint, gewählt wird. 13 Ein Phänomen, das Drexler (2009), in Zusammenhang mit der cosmovisión und der Bedeutung der monte, bei den Nasa (Páez) in Kolumbien aufzeigt. Unterschiedliche Akteur_inn_e_n, mit unterschiedlichen Interessen, entwickeln jeweils variierende Sichtweisen und Interpretationen.

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diese geäußerte Theorie der Norm von Uxorilokalität u.U. als Ausdruck ethnischer Besonderheit definieren (was bedeutete, dass die Totonaca vom „Mesoamerican household formation system“ grundlegend abweichen), so ist das in einem anderen Fall, bezogen auf ein anderes Phänomen, nicht möglich. In Kapitel VI.5, im Zusammenhang mit der Befassung des Umgangs mit unerwünschten Schwangerschaften von im Elternhaus lebenden, unverheirateten Töchtern, wird seitens einer der betroffenen Mütter die Theorie (und einzuhaltende Norm) der Verantwortung von Vätern gegenüber ihren Töchtern aufgestellt und als Grundlage für weitgehende soziale Verpflichtungen der jungen Frau und ihrem Kind gegenüber, genommen. In gewisser Weise, lassen sich die aufgestellten und entsprechend den Bedingungen adaptieren Theorien über gesellschaftliche Ideale, Normen und Werte selbst als Ressourcen oder Möglichkeiten ansehen, die seitens der einzelnen maseualmej genutzt werden, ihre Position voranzutreiben und zu stärken. Inwiefern sie sich durchsetzen können, hängt von einer Reihe zusätzlicher Faktoren ab, darunter auch von der personhood, der sie unmittelbar umgebenden Familien- und Haushaltsmitglieder. Widersprüchliche Aussagen und Verhaltensweisen über angemessenes Verhalten von (älteren oder jüngeren, verheirateten oder unverheirateten, etc.) Frauen, wie sie u.v.a., auch von Fitting (2011: 119ff.) in San José Miahuatlán im südlichen Tehuacán-Tal beobachtet werden, sind in diesem Kontext zu sehen. Mit Joan Scott (1996: 167-8) könnte hier von einem Wettstreit zwischen herrschenden und alternativen, aber bislang unterdrückten normativen Konzepten, um allgemeine Gültigkeit gesprochen werden. Handlungsfähigkeiten und -möglichkeiten sind, wie wir gesehen haben, in ihren Auswirkungen nie isoliert, ausschließlich auf Einzelpersonen bezogen zu sehen, sondern immer im Gesamtzusammenhang oder zumindest in einem breiteren Kontext zu interpretieren. Entscheidend ist es einerseits die differences within in den Blick zu nehmen, die Unterschiede in den Interpretationen und Handlungsweisungen innerhalb einer Region, einer Gemeinde, eines Haushalts, einer „Kultur“ wie auch andererseits, die Veränderungen von „Traditionen“, von lokal vorherrschenden (aber nicht notwendig von allen geteilten) Sichtweisen und Theorien. Es stimmt zwar, dass sich immer wieder hegemoniale Deutungsmuster zeigen (die, wie bereits von Scott [ibid.] festgestellt, den Eindruck allgemeiner und ausschließlicher Gültigkeit vermitteln), aber es gilt auch die Abweichungen, die gegenhegemonialen Sichtweisen aufzuzeigen und herauszuarbeiten. Denn gerade hierin zeigen sich vielfältige Potentiale der Veränderung. So gesehen, kann weder von der Mesoamerikanischen noch von der westlichen „Kultur“ oder „Tradition“ oder „Haushaltsformation“, etc. gesprochen werden, wenngleich sich vorherrschende Tendenzen und ihre Entwicklungen und Veränderungen, aber eben immer auch ihre spezifischen und bedeutsamen Abweichungen aufzeigen lassen (siehe Kapitel II.5 sowie Kapitel V und VI). Damit aber kommen wir nicht nur auf die Notwendigkeit der dynamischen Fassung von Begriffen, Konzepten und Zugangsweisen zurück, sondern auch auf die oben angesprochene (fortgesetzte) ursprüngliche Akkumulation von Erkenntnis und Wissen, als Teil einer kolonialen Matrix der Macht. Nicht nur normative Konzepte erwecken den Eindruck alleiniger Gültigkeit auf Kosten alternativer Zugänge; im Zuge der globalen Ausbreitung westlich-rationaler Denk- und Wissenschaftssysteme werden andere Epistemologien marginalisiert und als „nicht zeitgemäß“ und ungültig verdrängt (siehe Kapitel II.7). Eines der dabei angewandten Mittel ist die Setzung

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von Dualismen eines „Entweder-oder“, der zufolge die gleichzeitige und gleichermaßen anerkannte Wirksamkeit und Gültigkeit unterschiedlicher Zugänge als unmöglich präsentiert wird. Ähnlich wie Sabine Strasser (2010), die mit ihrer Forderung nach einem „kritischen Relativismus“ der resultierenden Pattstellung eines „entweder universalistische oder relativistische bzw. partikularistische (Kultur-) Konzepte“ entkommen möchte (siehe Kapitel III.1.2), plädiert Walter Mignolo (2012: 205-6) für eine Auflösung dieser Dichotomie. Während sich Strasser primär gegen essentialisierte Zuschreibungen von Kultur, Geschlecht u.a. wendet, geht Mignolo in seinen Ansprüchen weit darüber hinaus (wenngleich er durch seine Vernachlässigung der zentralen Kategorie Geschlecht, andererseits weit hinter Strasser „zurückbleibt“), geht es ihm doch um eine „Dekolonialisierung“ von Denk- und Wissenssystemen. Die von ihm geforderte Pluriversalität soll die hegemonial gesetzte „Universalität“ nicht einfach ersetzen, sondern vielmehr umfassen. Beruht das vorherrschende (darunter auch das wissenschaftliche) Denken auf Ausschließung und Ausgrenzung (von Epistemologien, von Weltregionen, von Menschengruppen, von Sinneseindrücken, von Mitteln/Methoden des Erkenntnisgewinns, etc.), so charakterisiert sich Pluriversalität durch eine einschließende Logik. Gefordert ist daher nicht die Ersetzung eines Wissenssystems durch ein anderes, sondern vielmehr der Austausch und Dialog verschiedenster Epistemologien (vgl. hierzu auch Wernhart/Zips 2014: 28, Zips 2014). Dies zu erreichen, erfordert ein Leben und Denken im Grenzland: „Eine Welt, in der viele Welten koexistieren können, lässt sich nur durch verteilte Arbeit und gemeinsame Ziele in der Vielfalt derer erreichen, die Grenzen bewohnen oder die als Bewohner_innen von Territorien (Europa oder die USA) die von der Migration hervorgebrachten Grenzen zu bewohnen beginnen.“ (Mignolo 2012: 205)

Das Bewohnen der Grenzen impliziert Mischung, eine Mischung, die bei näherer Betrachtung immer und überall gegeben ist (vgl. dazu Narayan 1993: 680-1). Denn anders als in dem obigen Zitat Mignolos angedeutet, ist der Status einer „Grenzländerin“, von Gloria Anzaldúas berühmter „New Mestiza“ (auf die sich Mignolo in seinen Ausführungen stützt), nicht auf Einwohner_innen geographischer Grenzregionen und Migrant_inn_en beschränkt (vgl. dazu auch Gupta/Ferguson 1997: 47). „Asombra pensar que nos hemos quedado en ese pozo oscuro donde el mundo encierra a las lebianas. Asombra pensar que hemos, como feministas y lesbianas, cerrado nuestros corrazónes a los hombres, a nuestros hermanos los jotos, desheredados y marginales como nosotros. Being the supreme crossers of cultures, homosexuals have strong bonds with the queer white, Black, Asian, Native American, Latino, and with the queer in Italy, Australia and the rest of the planet. We come from all colors, all classes, all races, all time periods.“ (Anzaldúa 2007: 106; Hervorhebung im Original)

Alle Marginalisierten – homosexuelle, queere Menschen jeglicher Herkunft, Indigene, etc. – gehören dazu und bergen in sich das Potential der Übertretung (und damit Ausweitung und Verschiebung) der Grenzen.

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„Our role is to link people with each other – the Blacks with Jews with Indians with Asians with whites with extraterrestrials. It is to transfer ideas and information from one culture to another. Colored homosexuals have more knowledge of other cultures, have always been at the forefront (although sometimes in the closet) of all liberation struggles in this country […].“ (ibid.: 106-7)

Somit sind auch Cuetzalans maseualmej „Grenzländer_innen“, wobei sie diesen Status in ihrem „Widerstand gegen Enteignung“ gezielt nutzen. Seit Jahrhunderten in vielfältigen Grenzländern, zwischen verschiedenen Logiken und Handlungsweisen, bewegen sie sich zwischen verschiedenen „Kulturen“ und „Traditionen“, durchmischen und verändern diese somit permanent. In diesen Auseinandersetzungen um Wissenssysteme, die immer auch mit dem Anspruch des Setzens von Normen verbunden sind, spielen die beschriebenen „abweichenden“ (grenzüberschreitenden) Haltungen und Aktivitäten eine ganz zentrale Rolle. Mit diesen „Abweichungen“ aber, den differences within, erfolgt eine ständige Neu- und Umdefinition von Grenzen, ein permanentes Ver-rücken von Grenzen und Machtbeziehungen (Trinh 1996: 150). Damit stellen sich Macht- und Autoritätsverhältnisse, entsprechend den dominanten Markierungen der Differenz immer wieder (neu) her (reproduzieren und verändern sich gleichzeitig), sowohl bezogen auf die maseualmej im globalen und nationalen Gefüge, als auch im innerregionalen Kontext in der Gemeinde und in den einzelnen Haushalten. Ver-rückt werden müssen entsprechend der Herstellung von Pluriversalität auch wissenschaftliche Konventionen, in denen Ökonomie, Religion, Politik, etc. fein säuberlich voneinander getrennt werden. Denn: „Durch das Ver-rücken wird es dieser klassifizierenden Welt nicht gestattet, ihre Macht zur Klassifikation auszuüben, ohne auf ihre eigene ethnozentrische Klassifikation zu weisen. […] Ver-rücken ist eine Möglichkeit zu überleben. […] Jene, die ver-rückt, macht Fortschritte, wenn sie die Differenz unaufhörlich in die Wiederholungen einbezieht, wenn sie immer und immer wieder in Frage stellt, was als offensichtlich hingenommen wird, und dabei die eigenen Denkgewohnheiten zerstört, auflöst, was zum Klischee geworden ist, und sich an der Veränderung überkommener Vorstellungen beteiligt.“ (ibid.: 150-1)

In diesem Projekt der Ver-rückung von Epistemologien können Anthropolog_inn_en wichtige Beiträge leisten.14 Wenn nun, seit Marcel Mauss’ (1978 [1923-24]) bahnbrechenden Aufsatz, in neuerer Zeit eine immer stärkere Verengung des breiten Zugangs zu Gabe und Gegengabe auf eine rein auf ökonomischen Kriterien „der Nützlichkeit“ und „der Vernunft“ (Sieber 2005: 19 ) beruhende Tauschlogik erfolgt, so 14 Für solche Zugänge, wenngleich diese, zur Vermeidung von Essenzialisierungen, durch eine historische Analyse und das Aufzeigen der differences-within unbedingt ergänzt werden müssten, vgl. u.v.a. Gay-y-Blasco 1997; Astuti 1998; Rival 1998; 2005; et al.; Viveiros de Castro 1998; et al.; Busby 1999; oder die Beiträge in dem von Gingrich und Mader 2002 herausgegebenen Sammelband „Metamorphosen der Natur“ (Gingrich/Mader 2002a). Zur Einforderung der Verbindung verschiedener Epistemologien, vgl. auch Gingrich (2009: 188).

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muss dieser Ein-rückung mit einer Ver-rückung in Richtung erneuter und erweiterter Vermischung entgegengewirkt werden. Insbesondere auch deswegen, als in dem Hin- und Hergezerre über die Gültigkeit von Epistemologien in den letzten Jahrzehnten „hyperrationale“ und neoliberale Zugänge auf Kosten eines umfassenderen Verständnisses an Stärke zu gewinnen scheinen. Grenzziehungen erweisen sich damit als Teil der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation von Wissen und Wissenssystemen. Ihre notwendige Auflösung und die damit einhergehende Anerkennung der permanenten Durchmischung von Menschen, Denkweisen, etc. zur Entwicklung von Pluriversalität ist folglich ein weiter und steiniger Weg, ein Weg, der vielen von uns als nahezu nicht zu bewältigen erscheint. Deutlich wird das in den pessimistischen Worten von Ruth Behar, auf deren Aussagen wir bereits zu Beginn unserer Reise Bezug genommen haben: „We cross borders, but we don’t erase them; we take our borders with us“ (Behar 2003: 320). Zumindest aber die Ver-rückung und Nicht-Hinnahme ihrer Unveränderbarkeit muss, als Teil eines globalen Widerstandes gegen Enteignung, trotz scheinbarer Aussichtslosigkeit immer neu in Angriff genommen und fortgesetzt werden.

Quellenverzeichnis

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4. S ONSTIGE Q UELLEN CEPEC. 1983-1990. Maseual Sanilmej. Cuentos Indígenas de la Región de San Miguel Tzinacapan, Puebla. 12 Tomos. Feldnotizen 10. Juni bis 23. September 1992. Feldnotizen 7. Jänner bis 28. Mai 2001. Feldnotizen 29. November bis 20. Dezember 2003. Feldnotizen 2. Juli bis 10.September 2004. Feldnotizen 1. Februar bis 2. März 2005. Feldnotizen 12. Jänner bis 23. Februar 2006. Feldnotizen 3. September bis 10. Oktober 2007. Feldnotizen 28. Juli bis 25. August 2009. Feldnotizen 8. Oktober bis 25. November 2011. Feldnotizen 7. September bis 21. Oktober 2013. Gespräch mit Peter Schweitzer 3.9.2014, am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.

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INEGI (Instituto Nacional de Estadística Geografía e Informática). 1997. Dass. 2001. Dass. 2009a. Prontuario de información geográfica municipal de los Estados Unidos Mexicanos Cuetzalan del Progreso, Puebla Clave geoestadística 21043. Dass. 2010. Interview mit Aj 20 13.2.2006, in der Küche ihres Hauses in Ajotzinapan Interview mit Tz 2 23.2.2005, im Hauptraum ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 5 14.2.2005, in der Küche ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 5 über Tz 17 21.2.2005, am Dach ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 6 16.2.2005, im Hauptraum ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 7 15.2.2005, im Hauptraum ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 13 6.2.2006, in der Küche ihres Elternhauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 15 19.2.2006, im Hauptraum ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 16 7.2.und 8.2.2005, an ihrem Arbeitsplatz Interview mit Tz 18 16.2.2006, in der Küche ihres Hauses in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 19 22.2.2005, im Hauptraum des Hauses von nahen Bekannten in San Miguel Tzinacapan Interview mit Tz 21 23.2.2005 im Hauptraum des Hauses ihrer Schwiegereltern in San Miguel Tzinacapan Knab, Timothy J. and Sánchez, María Eugenia. 1975. Animistic Beliefs of San Miguel Tzinacapan. Typescript. Kodros, Craig E. 2007. The Lightening Spirits. Incidents of Travel through Myths, Time and the Journey of Life. United States: Lulu. NN 1. o.d. Atepolihui. Turismo Alternativo. Cuetzalan la aventura de tu vida. Pueblo Mágico. Historia – que visitor – Fiestas. Oficina de Turismo. 2002-2005. Direccion de Turismo Municipal Cuetzalan, Puebla. San Miguel Tzinacapan. 2013. En honor a nuestro santo patrón San Miguel Arcángel. Plakat der Ankündigung der Festlichkeiten vom 19. September bis zum 2. Oktober 2013 anlässlich der in diesem Zeitraum stattfindenden mayordomías in San Miguel Tzinacapan. Statuten des Vereins ARGE Wiener Ethnologinnen (ZVR-Zahl 751327620), laut Statutenänderung, angezeigt am 8.10.2010, genehmigt durch die Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Vereins-. Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten, am 8.11.2010. Taggart, James. n.d. The Nahua. Unpublished manuscript.

432 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

5. G ESPRÄCHSPARTNER _ INNEN (F ELDNOTIZEN ) 1 Aj 20: 2004 lfd. Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1950ern. Aj 41: 2006 lfd. Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1980ern. Aj 42: 2004 lfd. Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1970ern. Aj 44: 2004 lfd. Mädchen/Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1990ern. Aj 99: 2006. Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1980ern. Ajm 37: 2006 lfd. Mann, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1980ern. Ajm 38: 2006 lfd. Mann, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1970ern. Ajm 39: 2006 lfd. Mann, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1950ern. Ajm 40: 2004 lfd. Mann, wohnhaft in Ajotzinapan, geb. in den 1980ern. C 1: 2003-2011. Frau, wohnhaft in Cuetzalan, geb. in den 1940ern. C 11: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in Cuetzalan, geb. in den 1940ern. C 16: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in Cuetzalan, geb. in den 1940ern. Cm 15: 2011. Mann, wohnhaft in Cuetzalan, geb. in den 1960ern. Cm 16: 2013. Mann, wohnhaft in Cuetzalan, geb. in den 1980ern. Mf 1: 2005 lfd. Frau, wohnhaft in Puebla Stadt, geb. in den 1940ern. N.N.: 2007. Zufällige Gesprächspartnerin aus Tzinacapan. Tz 1: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 2: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1930ern. Tz 5: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 6: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 7: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tz 8: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 9: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 13: 2003 lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 14: 2003. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1930ern. Tz 15: 2003-2011. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tz 16: 2003lfd. Frau aus San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 17: 2003-2011. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1930ern. Tz 18: 2003lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 19: 2004lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tz 21: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 22: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tz 26a: 2003lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tz 32: 2004lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 46: 2006. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 47: 2006lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tz 48: 2006. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 51: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 54: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 55: 2004lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tz 56: 2009lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. 1

Die Angaben enthalten jeweils den Personencode, den Zeitraum, in dem mehr oder weniger regelmäßige Kontakte stattfinden, den Wohnort und den Zeitraum der Geburt. Ist keine Jahreszahl des Kontakts angegeben, so ist mir die Person nur aus Erzählungen bekannt.

Q UELLENVERZEICHNIS

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Tz 57: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 58: 2003lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1930ern. Tz 59: 2005lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 60: 2006lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 61: 2004lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1930ern. Tz 62: 2013. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 63: 2013. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tz 81: 2005. Frau, wohnhaft in Ajotzinapan, geb.in den 1970ern. Tz 84: 2006. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tz 85: 2006. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tz 101: 2006. Mädchen/Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tz 107: 2006. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tz 137: 2011lfd. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tz 164: 2013. Frau, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 1C: 2003lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tzm 5: 2003lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tzm 6: 2003lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tzm 9: 2005lfd. Mann, zunächst wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tzm 10: 2003lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tzm 12: 2004lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tzm 13: 2004lfd. Bursche/Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tzm 14: 2003lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern. Tzm 16: 2005lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tzm 19: 2005lfd. Bub, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 2000ern. Tzm 20: 2005-2007. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 22: 2007lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tzm 28: 2006lfd. Bub, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 2000ern. Tzm 34: 2006lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tzm 35: 2006lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 41: 2006lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tzm 44: 2004lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tzm 47: 2005lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 48: 2004lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tzm 49: 2009lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1990ern. Tzm 51: 2011lfd. Bub, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 2010ern. Tzm 52: Mann, wohnhaft in Mexiko Stadt, geb. in den 1970ern. Tzm 54: 2013. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1950ern. Tzm 55: 2006 lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 68: 2004. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1970ern. Tzm 76: 2006. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1980ern. Tzm 78: 2006. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1940ern. Tzm 108: 2011lfd. Mann, wohnhaft in San Miguel Tzinacapan, geb. in den 1960ern.

434 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

6. H AUSHALTE 2 Hh 1: 2003 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 2: 2003 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 3: 2004 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 4: 2003 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 5: 2006 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 6: 2005 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 7: 2003-2009. San Miguel Tzinacapan. Hh 8: 2003 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 9: 2005 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 10: 2005 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 11: 2003-2011. San Miguel Tzinacapan. Hh 12: 2006 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 13: 2006 lfd. Ajotzinapan. Hh 14: 2006 lfd. Ajotzinapan. Hh 15: 2007 lfd. Ajotzinapan. Hh 16: 2006. San Miguel Tzinacapan. Hh 17: 2003. San Miguel Tzinacapan. Hh 18: 2003. San Miguel Tzinacapan. Hh 19: 2004-2011. San Miguel Tzinacpan. Hh 20: 2005. Ajotzinapan. Hh 21: 2006. Ajotzinapan. Hh 22: 2009 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 23: 2013. Ajotzinapan. Hh 24: San Miguel Tzinacapan. Hh 25: San Miguel Tzinacpan. Hh 26: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 27: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 28: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 29: 2003. San Miguel Tzinacapan. Hh 30: 2004 lfd. San Miguel Tzinacapan. Hh 31: San Miguel Tzinacapan. Hh 32: San Miguel Tzinacpan. Hh 33: 2007. San Miguel Tzinacapan. Hh 34: San Miguel Tzinacapan. Hh 35: San Miguel Tzinacapan. Hh 36: 2007. San Miguel Tzinacapan. Hh 37: 2007. San Miguel Tzinacapan. Hh 38: 2007. San Miguel Tzinacapan. Hh 39: San Miguel Tzinacapan. Hh 40: 2009-2011. San Miguel Tzinacapan. Hh 41: 2011 lfd. San Miguel Tzinacapan. 2

Die Angaben enthalten jeweils Haushaltsnummer: Jahr/e des Kontakts. Ort. Ist keine Jahreszahl angegeben, so ist mir der Haushalt nur aus den Erzählungen seiner Einwohner_innen bekannt, d.h. das Haus selbst wird von mir nicht besucht.

Q UELLENVERZEICHNIS

Hh 42: 2011. San Miguel Tzinacapan. Hh 43: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 44: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 45: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 46: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 47: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 48: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh 49: San Miguel Tzinacapan. Hh 50: 2013. San Miguel Tzinacapan. Hh C1: 2003 lfd. Cuetzalan. Hh C1b: 2003 lfd. Cuetzalan. Hh C1c: 2003 lfd. Cuetzalan. Hh C1d: 2003-2006. Cuetzalan. Hh C1e: 2007. Cuetzalan. Hh C1f: 2003. Cuetzalan. Hh C2: 2003. Cuetzalan. Hh C3: 2003 lfd. Cuetzalan. Hh XY1: 2003. Tehuantepec.

| 435

Anhang

H INWEISE

ZUR

T RANSKRIPTION DER I NTERVIEWS

(Schreibweise erstellt in Anlehnung an Bernard 2011: 425) : – Länge; mehrere Doppelpunkte bedeuten mehr Länge ››Text‹‹ – Worte in doppelten Anführungszeichen dieser Art, werden schneller gesprochen als in der normalen Sprache (.) – kurze, unpassende Pause (Pause) – kurze Pause; auf die Angabe der Dauer der Pause in Sekunden wurde verzichtet. (längere Pause) – etwas längere Pause (lange Pause) – lange Pause ( ) – die Worte sind unverständlich und ließen sich nicht rekonstruieren (Text) – in Klammer stehender Text markiert Passagen, über deren Bedeutung keine absolute Sicherheit besteht [Text] – Kursiv geschriebener Text in eckiger Klammer verweist auf Fragen/Zwischenbemerkungen der Interviewerin [Text] – Unterbrechung einer Person durch eine andere TEXT – Großbuchstaben verweisen darauf, dass diese Worte lauter gesprochen sind als der Rest ›Text‹ – diese Art von Anführungszeichen verweist darauf, dass die Worte leiser gesprochen sind als der Rest Text – der Text ist betont ? – Erheben der Stimme . – Abfallen der Stimme = – sofortiger Wechsel nach Ende des Vorangegangenen .hh und hh – einatmen und ausatmen – – langer Gedankenstrich bedeutet ein abruptes Ende mitten im Wort ((Kommentar P.Z.)) […] – Kennzeichnung von Auslassungen von Passagen, die im Kontext, in dem das Zitat verwendet wird, nicht relevant sind.

438 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

T ABELLE MIT

WICHTIGEN POLITISCHEN UND ANDEREN E REIGNISSEN 5. Jahrhundert 7. Jahrhundert 12.,13. Jahrhundert

1454

15. Jahrhundert 1492

1493

1516-1521 1522

1531-34

1535

1543

1545-50 1540er, 1550 1550er, 1560er 1567 1579

Die Region ist von Totonaca dominiert (Lupo 1995: 33) Errichtung von Yohualichan (Lupo 1995: 33) Druck auf die lokale weitestgehend totonakische Bevölkerung durch Eindringen und Eroberungen durch Nahuat(l)-sprachige chichimeca (Lupo 1995: 33) aufgrund einer Trockenheit im Tal von Mexiko (Lupo 1995: 33) kommt es zur Einwanderung/dem Eindringen von Nahuatl-sprachigen Menschen aus dem Hochland von Mexiko (Lupo 1995: 33) Tlatlauquitepec wird durch Texcoco erobert (Lupo 1995: 33) Kolumbus landet auf einer der heute als Bahamas bekannten Inseln, die er Guanahani nennt, ein Ereignis, das in Europa als „Entdeckung“ Amerikas bekannt geworden ist Bulle von Papst Alexander VI, in der die Inbesitznahme neu entdeckter Inseln und Kontinente mit einem Missionsauftrag verbunden wird (Beck 1986: 68) Eroberung von Tenochtitlan-Tlaltelolco durch Hernán Cortés und seine Gefolgsleute Eroberung der Region um Cuetzalan durch die Spanier; das spätere Cuetzalan gehört in Folge zu einer encomienda, die von Hueytlalpan bis Tlatlauquitepec reicht (Ramírez Suárez et al. 1992: 11) Cuetzalan wird von der Spanischen Krone verwaltet, die den Orden der Franziskaner damit beauftragen Zunächst ist es Jonotla zugeordnet, später Tlatlauquitepec Einsetzung des Vizekönigs von Neuspanien Spanier_inne_n ist es erlaubt Land von Indigenen zu kaufen (Beck 1986: 70) Neue Gesetze des Indienrat für Neuspanien (Beck 1986: 69): Verbot der Versklavung von Indigenen (Beck 1986: 69) Abschaffung des Systems der encomiendas (Beck 1986: 69) Weiterbestehen des altepetl Einführung des Amts des governadors Etablierung von cabildos Vizekönig Marqués de Falco garantiert jedem Dorf einen Mindestbesitz, den fundo legal (Beck 1986: 76) Die Verwaltung Cuetzalans wechselt nach San Juan de los Llanos (Libres) (Ramírez Suárez et al. 1992: 11-2)

A NHANG

1590 1601

1632 1785-1786

Ca. 1800 1810-1821 1821 1821-1823 1824-1864 1824-1828 1824

1828

---1830-1832 (1833) 1832

1833-1835 1835

1835-1836 1836 1836-1837 1837-1840 1840-1841 1841

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Repartimientos werden nur noch zu Jäte- und Erntezeiten zugelassen. (Beck 1986: 85) Indigene dürfen „selbst entscheiden, für welchen Herren sie arbeiten wollten, wodurch eine bessere Behandlung indianischer Arbeitskräfte erzwungen werden konnte.“ (Beck 1986: 85) Sämtliche repartimientos, ausgenommen temporäre Arbeit in den Minen, werden abgeschafft (Beck 1986: 85) Año de hambre im kolonialen Mexiko Spanischsprachige Siedler_innen lassen sich in Folge auf dem rancho Xocoyolotepeque in der Sierra Norte nieder San Miguel Tzinacapan löst sich von Cuetzalan und unterstellt sich der Verwaltung von San Juan de los Llanos Mexikanischer Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanische Kolonialherrschaft Plan von Iguala Kaiserreich Mexiko Erste Republik Präsident Manuel Félix Fernández (Guadalupe Victoria) (1786-1843) Indigene (Männer) werden zu freien Bürgern Schaffung der Grundlagen zur Abschaffung der repúblicas de indios und damit verbundener indigener Sonderrechte (v.a. des Gemeinschaftslandes, aber auch der Selbstverwaltung) (Beck 1986: 99) wird Manuel Gomez Pedraza (1789-1851) mexikanischer Präsident, im selben Jahr abgelöst durch Vicente Guerrero (1782-1831) Dekret zur Aufteilung des Gemeindelandes in Puebla Präsident Anastasio Bustamente (1780-1853) (erste Präsidentschaft) Präsident Melchor Múzquiz (1790-1844), im selben Jahr abgelöst durch Anastasio Bustamente (zweite Präsidentschaft) Antonio López de Santa Ana (1794-1876) (erste Präsidentschaft) Einsetzen der Sieta Leyes durch Präsident Antonio López de Santa Ana zur Stärkung der Föderalregierung (Lomnitz 1993: 358) Präsident Miguel Barragán (1789-1836) Texas erklärt seine Unabhängigkeit Präsident José Justo Caro (1794-1864) Präsident Anastasio Bustamente (dritte Präsidentschaft) Präsident Nicolás Bravo (1786-1854) Präsident Javier Echeverria (1797-1852), der im selben Jahr von Antonio López de Santa Ana abgelöst wird

440 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

1841-1844 1844-1845 1845 1845-1846 1846-1848 1846 1846-1847 1847-1848 1848 1848-1851 1851-1853 1853

1853-1855

1855

1855-1858 1855-1856 1856

1857

1857-1861 1858 1859-1860 1861-1872 1860er, 1870er 1862-1867 1862

Präsident Antonio López de Santa Ana (zweite Präsidentschaft) Präsident Valentin Canalizo (1794-1850) Texas wird zum 28. Bundesstaat der USA Präsident José Joaquín de Herrera (1792-1854) (erste Präsidentschaft) Mexikanisch-Amerikanischer Krieg; in Folge verliert Mexiko große Teile seines Hoheitsgebietes an die USA Präsident Mariano Peredes y Arrillaga (1797-1849), im selben Jahr abgelöst durch Antonio López de Santa Ana Präsident Antonio López de Santa Ana (dritte Präsidentschaft) Präsident Pedro María Anaya (1795-1854) Präsident Manuel de la Pena y Pena (1789-1850), abgelöst durch José Joaquín de Herrera Präsident José Joaquín de Herrera (zweite Präsidentschaft) Präsident Mariano Arista (1802-1855) Präsident Juan Bautista Ceballos (1811-1859), abgelöst durch Manuel Lombardini (1802-1853), der wiederum durch Antonio López de Santa Ana abgelöst wurde Präsident Antonio López de Santa Ana (vierte Präsidentschaft) Santa Ana verkauft 77.700 km2 Land an die USA Präsident Martin Carrera (1806-1871), abgelöst durch Rómulo Díaz de la Vega (1800-1877), der seinerseits durch Ignacio Comonfort abgelöst wurde Präsident Ignacio Comonfort (1812-1863) Revolte in Zacapoaxtla im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um Land (Knight 1986: 153) Ley de desamortización de Fincas Rusticas e Urbanas (Ley Lerdo) zur Privatisierung von Kirchen-, in Folge auch von Gemeindeland Ausarbeitung einer neuen Verfassung, stark geprägt durch den späteren Präsidenten Benito Juárez, der Leyes de la Reforma – nun ist auch das indigene Gemeindeland von den Privatisierungen betroffen Reformkrieg Präsident Félipe Zuluoga (1813-1898) Präsident Miguel Miramon (1832-1867) Präsident Benito Juárez (1806-1872) Einführung des Kaffees als Cash Crop in Cuetzalan Französische Intervention/Regentschaft von Kaiser Maximilian I (1832-1867) Der cuetzaltekische capitán der Nationalgarde Francisco Agustín Dieguillo (Palagustín) besiegt die Franzosen in der Schlacht vom 5. Mai

A NHANG

| 441

Gesetz über die Besetzung und Entäußerung von terrenos baldíos 1868-1894 widerstehen die Indigenen Cuetzalans mehrfach dem Eindringen und der Aneignung von Kaffeepflanzer_inne_n in und von ihre/n Gemeinschaftsländer/n 1870-1879 „Kastenkrieg“ gegen die Landgesetzgebung und damit einhergehenden Enteignungen in der Sierra Norte 1872-1876 Präsident Sebastián Lerdo de Tejada (1827-1889), 1876, nach einer zweiten Wahl zum Präsidenten, von Antonio López de Santa Ana gestürzt 1875 Verschärfung der Gesetzgebung zur Enteignung von Gemeinschaftsland (MacLeod 2000: 26) ---Cuetzalan wird von der república de indios zur Stadt und erlangt damit das Recht auf einen eigenen alcalde Mestiz_inne_en und Italiener_innen dringen in die Region in und um Cuetzalan ein, um Land für den kommerziellen Kaffeeanbau zu roden ---Chapopoapan in der Sierra Norrte erklärt sein ejido um das Gemeindeland vor Enteignung zu schützen 1876 Interimspräsidentschaft von José María Iglesias (18231891) 1876-1877 Juan Nepomuceno Méndez (1820-1894) löst ihn in der Interimspräsidentschaft ab 1877-1911 Porfiriat: Diktatur von Antonio López de Santa Ana, zunächst legitim gewählt und mit Unterbrechungen 1877-1880 Präsident Antonio López de Santa Ana (fünfte Präsidentschaft) 1879 Cuichat in der Sierra Norte wird zum Schutz vor Enteignung zum ejido erklärt 1880-1884 Präsident Manuel González 1883 Weitere Verschärfung der Gesetzgebung zur Enteignung von Gemeinschaftsland 1884-1888 Präsident Antonio López de Santa Ana (fünfte Präsidentschaft, zweite Amtsperiode nach dem Reformkrieg) 1888, 1892, 1896, 1900, 1904 und 1910 weitere Vereidigungen zum Präsidenten 1880-1884 Francisco Agustín Dieguillo übt als erster und bisher einziger maseual das Amt des presidente municipal in Cuetzalan aus 1894 Weitere Verschärfung der Gesetzgebung zur Enteignung von Gemeinschaftsland 1895 Cuetzalan wird per Dekret zum Munizipio 1897-1899 Jesús Flores ist presidente municipal in Cuetzalan 1901-1904 Jesús Flores ist presidente municipal in Cuetzalan 1910-1920 Mexikanische Revolution 1911 Interimspräsident Francisco León de la Barra (18631939) 1911-1913 Präsident Francisco Ignacio Madero (1873-1913) 1863

442 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

1913

1913-1914 1914 1914-1918 1914-1920 1917 ------1917-1930

1918 1919 1920 1920-1924 1924-1928 1925 1926 ---1928

1926-1929 1920er, 1930er Jahre 1928-1930 1928-1930 1929 1930-1932 1932-1934 1932 1934-1940 1938

1939-1942

Präsident (für weniger als eine Stunde) Pedro José Domingo de la Calzada Manuel María Lascuráin Paredes (1856-1952) Präsident José Victoriano Huerta Márquez (1850-1916) Präsident Francisco Sebastián Carvajal (1870-1932) Erster Weltkrieg Präsident Venustiano Carranza 1859-1920) Verabschiedung der mexikanischen Verfassung erbittet Xochiapulco (Atzalan) in der Sierra Norte Landrechte eines ejido General Juan Francisco Lucas stirbt; Gabriel Barrios übernimmt seine Position Die Barrios-Familie kann sich während der Revolution in der Sierra Norte größere Ländereien aneignen; die Brüder Gabriel und Demetrio Barrios üben große Macht aus 150 Einwohner_innen San Miguel Tzinacapans sterben an der Spanischen Grippe (Argueta 1994: 144) Gründung der International Labour Organization (ILO) Präsident Adolfo de la Huerta (1881-1955) Präsident Álvaro Obregón Salido (1880-1928) Präsident Plutarco Elías Calles (1877-1945) Absetzen des ayuntamiento von Cuetzalan auf Betreiben des Abgeordneten Claudia Tirado Ley Calles (drastische Beschneidung der Freiheit der katholischen Kirche) Die Gemeinden werden zur Einrichtung säkularer juntas vecinales verpflichtet Juristische Gleichheit von Mann und Frau; Geschlechtergleichheit in der Repräsentation und Verwaltung des Heimes Guerra Cristera Kampagnen zur Feststellung der Besitzer_innen von Landparzellen in Cuetzalan (Arizpe 1973: 88) Beginn der Weltwirtschaftskrise Präsident Emilio Portes Gil (1891-1978) Gründung der Partido Nacional Revolucionario (PNR) Präsident Pascual Ortiz Rubio (1877-1963) Präsident Abelardo Luján Rodríguez (1889-1967), PNR Provisorische Zusage für das ejido Atzalan in der Sierra Norte Präsident Lázaro Cárdenas del Río (1895-1970), PNR Verstaatlichung der Ölindustrie und Gründung des Mineralölkonzerns Petróleos Mexicanos (PEMEX); die USA reagieren mit Boykott Verstaatlichung der Elektrizitätswerk Munizipalpräsident Cuetzalan Agustín Germán Marquez Sánchez

A NHANG

1939-1945 1940-1946 1940 ---1940er

1942 1942-1945 1942-1944 1942

1945-1948 1946 ---1946-1952 1946

1947 1948 1948-1951 1949 ---1951-1954 1952-1958 1953 1954-1957 1955 ----

1957-1960 1958-1964

| 443

Zweiter Weltkrieg Präsident Manuel Ávila Camacho (1897-1955), PNR Primer Congreso Indigenista Interamericano Eröffnung einer Pflasterstraße von Cuetzalan bis zum Fluss Cuichat Anstieg des Kaffeepreises Bessere Transport- und somit der Verkaufsmöglichkeiten des Kaffees aus der Region um Cuetzalan Kaffeeanbau in großem Stil Land gewinnt an Wert Gründung des Instituto Indigenista Interamericano Munizipalpräsident Cuetzalan Genaro Patiño Fuxa Zweites bracero-Programm Gründung einer Forschungseinrichtung zur Entwicklung produktiverer Mais- und Weizensorten, finanziert durch Rockefeller Foundation und Weltbank (Edelman 1980: 31) Munizipalpräsident Cuetzalan José Ma. Alvarado Die ILO wird zur ersten spezialisierten Geschäftsstelle der UN Umbenennung der Partido Nacional Revolucionario (PNR) in Partido Revolucionario Institucional (PRI) Präsident Miguel Alemán Valdés (ca. 1900-1983), PRI (Weitgehende) Fertigstellung der beiden wichtigsten Straßen zur Verbindung Cuetzalans mit anderen Teilen Mexikos auf die Munizipien eingeschränktes Wahlrecht der Frauen Gründung des Instituto Nacional Indigenista (INI) Munizipalpräsident Cuetzalan Faustino Orduña B. Gründung der Comisión Nacional del Café Cuetzalans Kaffeeeliten etablieren die Fería del Café Munizipalpräsident Cuetzalan Antonio Revuelta Meléndez Präsident Adolfo Ruiz Cortines (1890-1973), PRI Aktives und passives Frauenwahlrecht Munizipalpräsident Cuetzalan Dr. Manuel Morales Ramos Höhepunkt des Weltmarktpreises des Kaffees Eröffnung der Verbindungsstraße Zacapoaxtla-Cuetzalan, wenngleich diese erst 1959/1960 einigermaßen komfortabel befahrbar ist Munizipalpräsident Cuetzalan J. Heberto Calderón Calderón Präsident Adolfo López Mateos (1910-1969), PRI

444 | A UTORITÄT UND M ACHT IN N AHUA-H AUSHALTEN

1958

---1960-1963 1961

1962

1963 1963-1966 1964-1970 1966

1966-1969 1967

---1968 1969-1972 1969

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1971 1972-1975 1972

Gründung des staatlichen Kaffeeinstituts Instituto Mexicano del Café (INMECAFÉ oder IMC), das die Comisión Nacional del Café ablöst Gründung des Hospital Mixto in Cuetzalan Munizipalpräsident Cuetzalan Fernando Fernández Errichtung einer Kaffeepresse in La Soledad, in der Nähe von Mazatepec Bau einer Straße von Mazatepec nach Tlatlauqui (Arizpe 1973: 65) International Coffee Agreement (ICA), unterzeichnet von 42 Kaffee-Export- und 17 Importländern; führende Rolle der USA und Brasiliens Verwaltung durch die International Coffee Organization (ICO) in London Cuetzalans Indigene etablieren die Fería del Huipil Munizipalpräsident Cuetzalan Rafael Molina Martínez Präsident Gustavo Díaz Ordaz Bolaños Cacho (19111979), PRI Das Instituto Mexicano del Café übernimmt 25 Prozent der Vermarktung der Exportproduktion von Cuetzalans Kleinproduzent_inn_en In diesem Jahr sind die Genehmigungen jedoch schlecht mit der Confederación Nacional Campesina (CNC) ausgehandelt; die Preise sinken aufgrund von Spekulation (Arizpe 1973: 37-8) Munizipalpräsident Cuetzalan Moisés Alvarado Lechuga verteilt das Instituto Mexicano del Café die Genehmigungen direkt und fixiert Minimalpreise, die jedoch unter den Produktionskosten liegen; viele Kleinproduzent_inn_en wenden sich (wieder) an private Kaffeeaufkäufer_innen (Arizpe 1973: 38) Einsetzen des Plan Puebla, einer Art grüner Revolution für Peasants (Edelman 1980: 33) Massaker von Tlaltelolco Munizipalpräsident Cuetzalan Rafael Molina Martínez die Nationale Vereinigung der Kaffeeproduzent_inn_en fordert, dass zumindest die Hälfte der Kaffeeernte vor den Fluktuationen des Preises gesichert wird (Arizpe 1973: 38) Frost vernichtet 98 Prozent der brasilianischen Kaffeeernte Praktisch der gesamte Kaffee der Sierra wird exportiert Konferenz und Deklaration von Barbardos I Munizipalpräsident Cuetzalan Fernando Mora Herrera Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen in Stockholm

A NHANG

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1973

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---1974

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1974-1975 1975-1978 1975-1985 1975 ------1976-1982 1976

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Straße von der Autobahn durch Nauzontla nach Xochitlán, errichtet durch kommunale Arbeit (Edelman 1980: 38) Eingliederung des Plan Puebla in die Secretaría de Agricultura y Ganadería als Teil des Programa Nacional de Desarrollo Agrícola en Áreas de Temporal (PRONDAAT), das durch das Colegio de Postgraduados der Escuela Nacional de Agrícultura verwaltet wird (Edelman 1980: 33) Einrichtung des Programa de Inversiones Para el Desarrollo Rural (PIDER), laut Edelman (1980: 34) dem größten von der Weltbank finanzierten ländliche Entwicklungsversuch in der Welt Gründung des Proyecto de Animación y Desarrollo (PRADE) in San Miguel Tzinacapan Errichtung eines regionalen Zentrums des Colegio de Postgraduados in Puebla-Stadt zur Koordinierung des Puebla- und Tlaxcala-Plans und zweier neuer Pläne in den Bergregionen rund um Zacapoaxtla und Chiautla. Ein Gutteil der Finanzierung stammt von PIDER (Edelman 1980: 34) Einsetzen des Plan Zacapoaxtla, einem Projekt des PIDER, auf der Grundlage des Plan Puebla, das in sieben Municipios der Sierra Norte de Puebla operiert (Edelman 1980: 36) In der Sierra Norte werden Wasserleitungen, Radio- und Telefonsysteme errichtet Munizipalpräsident Cuetzalan Fernando Fernández Gramatgez UN-Frauendekade Jahr der Frau; UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko Stadt Etablierung einer Zweigstelle der Regierungskreditbank Banco de Credito Rural del Centro Sur in Zacapoaxtla Anerkennung des ejido Atzalan in der Sierra Norte (Beaucage 1994: 42) Präsident José López Portillo y Pacheco (1920-2004), PRI Coalición de Mujeres Feministas – drei Forderungen stehen im Zentrum: Gewollte Mutterschaft, das Recht auf Sexualerziehung, die Verwendung von Verhütungsmitteln und Abtreibung auf Verlangen mit einschließend;Freiheit von sexueller Gewalt; Lesbische (und schwule) Rechte (Marcos 2005: 83) Besetzung der San Isidro Finca (Inhaber: Gustavo Macip, wohnhaft in Puebla Stadt, und Rene Macip, Präsident des Munizipio Zacapoaxtla) nahe Texocoyohuac, Zacapo-

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axtla durch landlose Mitglieder des Acoaco ejido; Vertreibung durch Armee und die föderale Polizei große campesino-Demonstration in der landwirtschaftlichen Hauptstadt des Zentrums von Veracruz Martinez de la Torre, organisiert von der Unión Campesina Independiente (UCI) (Beaucage 1994: 39) Gründung einer Kunsthandwerkskooperative in San Miguel Tzinacapan; Entstehung der Sociedad de Producción Rural als Vorläuferorganisation von Tosepan (Beaucage 1994: 43) Konferenz und Deklaration von Barbardos II: Indigenität wird in Folge zu einer Angelegenheit der Indigenen selbst Munizipalpräsident Cuetzalan Angel Molina González Gründung der Taller de Tradición Oral in San Miguel Tzinacapan UN-Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen (Mitte der UNFrauendekade) Die Unión des Pequeños Productores de la Sierra (UPP) lässt sich unter dem Namen Cooperativa Agropecuaria Regional „Tosepan Titataniske“ (CARTT) registrieren Munizipalpräsident Cuetzalan Adalberto Soto Velazco Große Öl- und Finanzkrise Mexikos Präsident Miguel de la Madrid Hurtado (1934-2012), PRI Munizipalpräsident Cuetzalan Prof. Humberto Cruz Hernández UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi ein Erdbeben zerstört große Teile im Zentrum von Mexiko Stadt Munizipalpräsident Cuetzalan Agustín Ramiro Olivares Präsident Carlos Salinas de Gortari (*1948), PRI Annahme der Indigenous and Tribal Peoples Convention (C 169) durch die ILO in Genf Aussetzung des Quotensystems des Weltkaffeeabkommens (Baum/Offenhäußer 1994: 44) und damit drastisches Absinken des Kaffeepreises (Staude 2008: 76) Krise der Kaffeewirtschaft Mexikos Frost in Cuetzalan; Vernichtung großer Teile der Kaffeeproduktion Auflösung von INMECAFÉ und Einstellung der meisten Förderprogramme für Kleinbauern_bäuerinnen (Staude 2008: 76; Moguel/Toledo 1999: 12) Munizipalpräsident Cuetzalan Prof. Edgardo González Galicia Verschiedene Programme und Organisationen, um die Kaffeepreiskrise aufzufangen (Staude 2008: 78)

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Inkrafttreten der Indigenous and Tribal Peoples Convention (C 169) der ILO Gründung der Frauenorganisation Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij in Cuetzalan als eigenständige, von Tosepan unabhängige Organisation Privatisierung der mexikanischen Banken und Einschränkung des Zugangs zu „weichen Krediten“ (de León 2005: 512) Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro Unterzeichnung des North American Free Trade Agreement (NAFTA) vorläufiger Tiefststand des Weltkaffeepreises mit 50,48 Cents/lb (Baum/Offenhäußer 1994: 46) Währungsreform in Mexiko Munizipalpräsident Cuetzalan Getulio Osiel Calixto Tlatelpa Inkrafttreten des North American Free Trade Agreement Aufstand der zapatistas Gründung des Lokalradios Voz de la Sierra Norte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking Konferenz Rio+5 in New York Akute Krise des Pesos; im Dezember dieses Jahres verliert der Peso über Nacht die Hälfte seines Werts. Die Mittelklassen können ihre Dollarschulden nicht mehr bezahlen; die Armen verlieren an Kaufkraft (Washbrook 2005: 419) Präsident Ernesto Zedillo Ponce de León (*1951), PRI Munizipalpräsident Cuetzalan Javier Mora Molina Abkommen von San Andrés Währungsreform in Mexiko Projekt zur Verbesserung des Wohnraums in Cuetzalan (Martínez Corona 2003a: 248) Gründung der Coordinadora Nacional de Mujeres Indígenas (CONAMI) (Marcos 2005: 96) Eröffnung des Hotels Taselotzin, geführt von den Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij in Cuetzalan In Cuetzalan wird die Casa de la Cultura etabliert Erdbeben, starke Regenfälle und Überschwemmungen – Cuetzalan ist für mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten (Feldnotizen 8.8.2004, 9.8.2004; Beaucage/Taller de Tradición Oral del CEPEC 2012: 278, Fußnote 41) Munizipalpräsident Cuetzalan Joel Soto Velazco Präsident Vicente Fox (*1942), Partido Acción Nacional (PAN)

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2000 2000-2007 2001 2001 2002 ---2002-2005 2004 2005-2008 2005 2006-2012 2006

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2011-2017 2011-2013 2012-aktuell 2012 2013 ----

die EZLN ruft zum Referendum Consulta nacional por los derechos de las mujeres auf Yankuik Siuat betreiben eine Bäckerei in San Miguel Tzinacapan Marcha Zapatista nach Mexiko Stadt Initiierung des Programms der pueblos mágicos durch das Secretaría de Turismo de México Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannisburg Sinken des Weltkaffeepreises auf 47 Cent/Pfund (Wintgens 2004: X) Munizipalpräsident Cuetzalan Fidel Jesús González Galicia Ansteigen des Kaffeepreises Munizipalpräsident Cuetzalan José Norberto H. Aparicio Bonilla (PAN) Hurrican zerstört Häuser in Tecolutla, aber auch in San Miguel Tzinacapan Präsident Felipe de Jesús Calderón Hinojosa (*1962), PAN Aussendung von 7000 Sicherheitskräfte nach Michoacán zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens Beginn des Drogenkrieges Nueva Campagna de Puebla der zapatistas Hurrican zerstört Häuser in Tecolutla, unten am Fluss wie auch in San Miguel Globale Finanzkrise Munizipalpräsident Cuetzalan Manuel Morales Sot Ein Fernsehteam wird in San Miguel Tzinacapan davon abgehalten, die Festlichkeiten der mayordomía für den Schutzheiligen zu filmen Munizipalpräsident Cuetzalan Arturo Báez Carmona Presidente auxiliar San Miguel Tzinacapan C. Alejandro Villa de Jesús Präsident Enrique Peña Nieto (*1966), PRI Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung Rio+20 in Rio de Janeiro UN-Weltfrauenkonferenz in New York Starke Regenfälle führen zum Abrutschen von Muren auf die Straße nach Cuetzalan und in Folge zu einer zwei- bis dreitägigen Straßensperre

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS CADEM (Centro de Asesoría y Desarrollo entre Mujeres) CARTT (Cooperativa Agropecuaria Regional „Tosepan Titataniske“) CCI (Central Campesina Independiente) CEPEC (Centro de Estudios y Promoción Educativa para el Campo) CIESAS (Centro de Investigaciones y Estudios Superiores en Antropología Social) CIOAC (Central Independiente de Obreros Agrícolas y Campesinos) CNC (Confederación Nacional Campesina) CONAMI (Coordinadora Nacional de Mujeres Indígenas) CONASUPO (Compañía Nacional de Subsistencias Populares) EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) FONAES (Fondo Nacional de Empresas Sociales) FONATUR (Fondo National de Fomento al Turismo) Hh (Haushalt) ICA (International Coffee Agreement) ICO (International Coffee Organization) ILO (International Labour Organization) IMC (Instituto Mexicano del Café) INEGI (Instituto Nacional de Estadística Geografía e Informática) INI (Instituto Nacional Indigenista) INMECAFÉ (Instituto Mexicano del Café, INC) IWF (Internationaler Währungsfond) NAFTA (North American Free Trade Agreement) NRO (Nicht-Regierungs-Organisation) PAN (Partido Acción Nacional) PEMEX (Petróleos Mexicanos) PIDER (Programa de Inversiones Para el Desarrollo Rural) PNR (Partido Nacional Revolutionario) PPS (Partido Politico Socialista ) PRADE (Proyecto de Animación y Desarrollo) PRD (Partido de la Revolución Democrática) PRI (Partido Revolucionario Institucional) PRONDAAT (Programa Nacional de Desarrollo Agrícola en Áreas de Temporal) RETA (Red de Turismo Alternativo) UCI (Unión Campesina Independiente) UN (United Nations) UN AID (United States Agency for International Development) UPP (Unión de Pequeños Productores de la Sierra) USA (United States of America)

Glossar

abuso – Missbrauch, Übergriff agente subalterno del Ministerio Público – untergeordnete_r Verwaltungsbeamter_beamtin der Staatsanwaltschaft agente del Ministerio Público – Verwaltungsbeamter_beamtin der Staatsanwaltschaft agente subalterno – untergeordnete_r Verwaltungsbeamtin_beamter Agricultura y Ganadería – „Landwirtschaft und Viehzucht“; Teil des Magistrat Cuetzalans ajmotoknihuan (Nahuat) – „die, die nicht unsere Brüder sind“; übernatürliche Wesen der monte, der Unterwelt talokan entstammend. alcalde – Landvogt bzw. Richter; kolonialer Regierungsbeamter; in der postkolonialen Regierung Cuetzalans erlangt der Begriff die Bedeutung von Bürgermeister_in; siehe auch presidente municipal sowie jefe politico; in den untergeordneten Gemeinden hat der alcalde auch in postkolonialer Zeit Regierungs- und Richterfunktion gleichermaßen. Sämtliche ehemaligen alcaldes, auch pasados genannt, bilden den cabildo, der den amtierenden alcalde berät. alguacil – Gemeindediener almud – in Mexiko und Zentralamerika estajo genannt, das sich an der Menge Getreide, die auf einer bestimmten Fläche gesät werden kann, orientiert. Die Flächen- bzw. Mengenangaben dazu sind widersprüchlich. Sie reichen von 33,027 m2 über einen halben, bis zu einem Hektar. altepet(l) (Nahuat[l]) – „Wasserberg“; Stadtstaat, Gemeinde amo kuali ejekamej (Nahuat) – „schlechte Winde“; übernatürlicher, gefährlicher Wind analtekoj (analtecos) (Nahuat) – „die von der anderen Seite“; Fremde ancianos – ehemalige Inhaber_innen der höchsten religiös-zivilen Ämter; Teil des cabildo in den der Bezirkshauptstadt Cuetzalan untergeordneten Gemeinden; siehe auch pasados, sowie principales und alcalde Àngel Custodio – „Wächterengel“, Schutzengel Antorcha Campesina – ultrarechte Campesin@-Organisation apan (Nahuat) – „Platz des Wassers“, Quelle artesanía – Kunsthandwerk(sprodukte) asamblea – „Versammlung“; Teil der Gemeinderegierung at (Nahuat) – „Wasser“ atmalin (Nahuat) – „Wasserwirbel“, „Kreis/Spirale des Wassers“; weiblich konzipiertes Wesen, das die Wasserreserven verwaltet atole – Maisgetränk

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atole de arroz – süßes Getränk aus Reisstärke axokot (Nahuat) – „Wasserschokolade“; Getränk aus Wasser und Schokolade ayuntamiento – Regierung in den repúblicas de indios; siehe auch cabildo ayuntamiento constitucional – cuetzaltekische Regierung nach der Unabhängigkeit von Spanien, die, entsprechend der nationalen Verfassung von den wahlberechtigten Bürgern gewählt wird barrio – Stadtteil, aber auch der Bezirkshauptstadt (cabecera) untergeordnete Gemeinde barrio sujeto – einer cabecera untergeordnete Gemeinde cabecera – Bezirkshauptstadt cabildo – Stadt- oder Altenrat; siehe auch regidor cacicazgo – Herrschaftsgebiet eines Anführers/Herrschers (Kaziken)_einer Anführerin/Herrscherin (Kazikin) cafetal – Kaffeegarten calli (Nahuatl) – „Haus“ calpulli (Nahuatl) – „Großes Haus“, Wohn- und Abstammungseinheit Campesin@ – Bezeichnung für Landarbeiter_innen, manchmal auch für Peasants oder insgesamt die am Land lebenden sozialen Unterschichten caporal de danza – Leiter_in einer Tanzgruppe cargo – „Amt“ cargos comunes – niedrigere Ämter, die von allen Einwohner_innen der Gemeinde/n eingenommen werden können cargos de servicio comunitario – „Ämter des Gemeindedienstes“; verschiedene (unbezahlte) Funktionen und Tätigkeiten, die in der Gemeindeverwaltung durchzuführen sind cargos principales – höhere Ämter, die in größeren Gemeinden nur Personen, die über ausreichende Ressourcen verfügen, eingenommen werden können cargos religiosas – „religiöse Ämter“ Casa de la Cultura – „Haus der Kultur“ caudill@ – Anführer_in ce (Nahuatl) – „eins“ cemithualtin (Nahuatl) – „die eines Hofes“; Familie cencalli (Nahuatl) – „die eines vollständigen Hauses“; „ein Haus“; Familie cencaltiticate (Nahuatl) – „sie bilden einen Haushalt/eine Hausgemeinschaft“ ceras – Prunkkerzen bzw. kunstfertiges Gebilde aus Wachs, mit Abbildern eines Heiligen, in den Farben, die mit diesem Heiligen assoziiert sind; hergestellt werden diese in der Gemeinde San Andrés Tzicuilan chiconaoapa (Nahuatl) – „neunfaches Wasser“; Fluss/Flüsse der Unterwelt, der/die von den Toten überquert werden muss/müssen chikauak iesyo (Nahuat) – starkes und daher gefährliches, potentiell bei anderen Menschen Krankheiten verursachendes, Blut chiualis (Nahuat) – Arbeit, Tätigkeit christian@ – (getaufter und somit wahrer) Mensch chupamirto – Kolibri Cihuacóatl (Nahuatl) – „Schlangenfrau“; Mutter- bzw. Erdgottheit Cintéotl (Nahuatl) –Maisgottheit cipactli (Nahuatl) – mythisches, krokodilartiges Tier; Erdmonster

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Cipactonal (Nahuatl) – „Farbe oder Glanz des cipactli“; Gottheit; Teil eines mythisch-menschlichen Ursprungspaars; siehe auch Oxomoco ciudad – Stadt; koloniale Siedlungskategorie closed corporate community – von Eric Wolf für mesoamerikanische kleinbäuerliche Bevölkerungen entwickeltes Konzept cofradía – religiöse Bruderschaften, die aus Europa in die spanischen Kolonien gebracht werden und dort eine besondere Ausprägung erhielten comadre – „Mit-Mutter“; Patin bzw. Mutter des Patenkindes comal – runde Scheibe aus Ton oder Metall zum Backen von tortillas, aber auch zum Rösten von Kaffee und Gewürzen comida – Mahlzeit, gekochtes Essen Comisión Takachiualis (Nahuat) – Menschenrechtsorganisation comité de agua potable u obras – Komitee für Trinkwasser und Arbeiten comités comunitarios – Komitees in den Gemeinden compadrazgo – rituelle Verwandtschaft compadres – „Ko-Eltern“ comunidad – Gemeinde, Gemeinschaft congregaciones – in der Kolonialzeit erzwungene Bevölkerungskonzentrationen zur besseren Missionierung und Kontrolle conjugal bias – Sichtweise, die von einem heterosexuellen (Ehe-)Paar ausgeht und andere Formen von Beziehungen und Zusammenleben aus dem Blick verliert bzw. als Abweichung klassifiziert copal – Weihrauch corregidor – Stadthalter; kolonialer Beamter cosmovisión – Weltbild, Kosmovision costumbre – „Angewohnheit, Brauch, Sitte“; hier auch verwendet im Sinne von (indigenem) Gewohnheitsrecht cuadrilla – Arbeitsgruppen, Gruppen von Personen, die sich in der faena abwechseln cuamaital – Baum, dessen Blätter in der Vergangenheit zum Dachdecken verwendet werden cuartillo – Maßeinheit, in etwa 0,512 Liter curander@ – Heiler_in desamortización – Bezeichnung für die Umwidmung von Gemeindeland in Privateigentum im Zuge der Anwendung des Ley Lerdo in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Dios Espíritu Santo – Gott Heiliger Geist Dios tenantzin (Nahuat) – „Gott Mutter“ Dios tepiltzin (Nahuat) – „Gott Sohn“ Dios tetahtzin (Nahuat) – „Gott Vater/Väterchen“ diputad@s – Gehilfe_Gehilfin bei einer wichtigen mayordomía dueñ@ – Herr_in, Besitzer_in, Familienoberhaupt ecahuil (Nahuat) – siehe yekauil Ecología – „Ökologie“; Teil des Magistrats Cuetzalans Educación y Actividades Culturales – „Bildung und kulturelle Aktivitäten“; Teil des Magistrats Cuetzalans Ehecatl (Nahuatl) – Kalendername „Wind“; vorkoloniale Windgottheit; siehe auch Quetzalcóatl-Ehecatl

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ejekat (Nahuat) – „Wind“ ejido – in der Kolonialzeit Bezeichnung für indigenes Gemeinschaftsland; nach der Revolution wird das an Einzelpersonen oder Gruppen zur Nutzung überlassene Staatsland mit diesem Terminus versehen El Santo Entierro – „der Heilige Begrabene“ elotes – junger Mais encomender@ – Inhaber_in einer encomienda encomienda – Bezeichnung für ein Gebiet, das seitens der spanischen Kone, mitsamt seiner Bevölkerung, einem verdienten conquistador zur Verwaltung überlassen ist. Einerseits sollten Abgaben und Arbeitsleistungen für die Krone eingehoben werden, andererseits obliegt dem encomendero die Verpflichtung die Bevölkerung seines Gebiets zu schützen und im christlichen Glauben zu unterweisen. In der Praxis nutzen die encomenderos ihre Gebiete um möglichst rasch Reichtümer zu erwerben escriban@ – Notar_in, Gerichtsschreiber_in, Schreiber_in estajo – siehe almud estancia – etwas abgelegene untergeordnete Einheit einer cabecera (im Unterschied zum nahegelegenen barrio) extended family – lateral oder lineal erweiterte Familie faena – Gemeinschaftsarbeit, Arbeitsdienst familia (lat.) –Hausgemeinschaft im Alten Rom fase de intelectuales orgánicos – beginnend in den späten 1980er Jahren, treten vermehrt Indigene als (Co-)Autor_inn_en von Publikationen über ihre Gemeinden und Lebensweisen auf Fería del Café – Kaffeemesse Fería del Huipil – „Messe des Huipil“ finca – (span. Grundstück) hier: Bezeichnung für eine Cash Crop orientierte Farm, bewirtschaftet von koyomej; allgemein Landgut mit angeschlossener Plantage fiscal mayor – oberster Finanzbeamter der Gemeinde, auch zuständig für die Suche von mayordom@s gente de razón – „Vernunftleute“; Selbstbezeichnung der mestizischen und kreolischen Bevölkerung Gobernación Policía y Tránsito – „Regierung Polizei und Transit“; Teil des Magistrats Cuetzalans governador – kolonialer Herrscher in indigenen Gebieten; Gouverneur, Statthalter gring@ – Bezeichnung für Menschen aus den USA und Europa guía – Tourist_inn_enführer Haciendas – Kommission für Finanzwesen des Magistrats Cuetzalans household mode of production – von Maria Mies u.a. entwickeltes Konzept zur Beschreibung der Gemeinsamkeit von Hausfrauen in der „Ersten“ und Kleinbauern_bäuerinnen in der „Dritten Welt“ huey pachtli (Nahuatl) – vorkolonialer Monat, den Zeitraum 20.9.-9.10 umfassend huipil – aus vorkolonialer Zeit stammende Oberkleidung der Frauen, die in Cuetzalan zu einem luftigen, vorne und hinten spitz zulaufenden Poncho transformiert wurde Huitzilopochtli (Nahuatl) – „Kolibri links“; vorkolonialer Schutzgott der „Aztek_inn_en“

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ichankahuan (Nahuat) – „die in ihrem Haus sind“ ihíyotl (Nahuatl) – anthropomorphe Seeleneinheit, die in der Leber verortet ist ilhuicac (Nahuatl) – Himmel, Oberwelt ilihuiz (Nahuat) – „ohne zu denken“; Handeln mit „Macht, Kraft und ohne Verantwortung“ iluikak (Nahuat) – Himmel, Oberwelt imágenes – Heilige/nbilder, -statuen indio pueblo – siehe repúblicas de indios Industria y Comercio – „Industrie und Handel“; Teil des Magistrats Cuetzalans intelectuales orgánicos – Terminis von Pierre Beaucage, zur Bezeichnung von Indigenen, die ihre eigenen Gemeinden erforschen und dokumentieren istak (Nahuat) – „weiß“ ithualli (Nahuatl) – „Hof“ ixchikauak (Nahuat) – siehe auch „mal ojo“; starker und daher gefährlicher Blick jefe politico – Bürgermeister Cuetzalans bzw. des Munizipios; siehe auch presidente municipal sowie alcalde jefes de armas – „Waffenführer“; militärische Verantwortliche in den einzelnen Gemeinden des cacicazgo von Gabriel Barrios und seinen Brüdern, verantwortlich für den Frieden in ihren Gemeinden und Umgebung und die Kommunikation mit Barrios jueces de paz – Friedensrichter_innen juez indígena – für die indigene Bevölkerung zuständige_r Richter_in juez menor – untergeordnete_r Richter_in, Bezirksrichter_in juez municipal – Munizipalrichter; hoher Regierungsbeamter im nachkolonialen Cuetzalan junta auxiliar – „Hilfsversammlung“; „Hilfsrat“; Rat in den der cabecera untergeordneten Gemeinden juntas vecinales – Nachbarschaftskomitees, nach der mexikanischen Revolution vom Präsidenten Calles zur Kontrolle der religiös-rituellen Aktivitäten eingesetzt juzgado indígena – Indigene Gerichtsbarkeit kali (Nahuat) – „Haus“ kalyetonij (Nahuat) – „Familie“ kalyolot (Nahuat) – „Herz des Hauses“ kilit (Nahuat) – Bezeichnung für bestimmte Arten essbarer Blätter von Wildpflanzen kostik (Nahuat) – „gelb“ koyomej (Nahuat) – „Kojot_inn_en“; Bezeichnung für nicht indigene Menschen, meist für Mestiz_inn_en, Mz. koyot (Nahuat) – „Koyotin_Koyote“, Bezeichnung für einen nicht indigenen Menschen, meist für eine_n Mestizin_Mestizen, Ez. kuamalakach (Nahuat) – Haarwirbel auf Höhe des Scheitels kuautaueuentzin (Nahuat) – der „kleine Alte des Waldes“, Hüter der „wilden“ Welt kuoujtaj – „Ort der Bäume“; siehe monte kyrios (altgriech.) – Hausherr, männlicher Haushaltsvorstand im Alten Griechenland léper@s – mexikanische Bezeichnung für ökonomisch stark benachteiligte Menschen niedrigen sozialen Status, die auf der Straße leben und in der Regel kriminalisiert werden madrina – Patin

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maestro – Lehrer maison (frz.) – „Haus“ mal ojo – siehe ixchikauak; „böser Blick“; hier: starker und gefährlicher Blick malinalli (Nahuatl) – „hartes Gras, Liane“, vorspanisches Kalenderzeichen mano vuelta – gegenseitige Hilfe, v.a. im Maisanbau maquiladoras – Weltmarktfabriken mariachi – mexikanische Musikgruppe, mit eigener Aufmachung und einem typischen Musikstil maseual (Nahuat) – Selbstbezeichnung für Indigene, Ez. maseualmej (auch: masehualmej; macehualmej; macehuales) (Nahuat) – Selbstbezeichnung der indigenen Bevölkerung Cuetzalans, Mz. Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij (Nahuat) – „indigene Frauen, die zusammen arbeiten und sich unterstützen“; Frauenorganisation im Bezirk Cuetzalan mayordom@ – Verantwortliche_r für die, teilweise auch Sponser_in der Organisation einer mayordomía mayordomía – oft mehrtägiges, mehrmals im Jahr stattfindendes Fest für eine_n Heilige_n mayores – Teil der Regierung in den der Distrikthauptstadt untergeordneten Gemeinden; unter dem presidente auxiliar stehend, befasst mit der Organisation des Polizeiwesens, der Gemeinschaftsarbeit, aber auch der Betreuung des Gerichts; ihnen unterstellt sind die topiles Mesoamerican culture core – Bezeichnung für eine angenommene gemeinsame kulturelle Essenz mesoamerikanischer Bevölkerungen metate – Mahlstein Mexíca – Selbstbezeichnung der seit dem 19. Jahrhundert als „Aztek_inn_en“ bekannten Einwohner_innen der Stadt Tenochtitlan-Tlaltelolco México imaginario – „vorgestelltes Mexiko“; Bezeichnung für die an Europa und den USA ausgerichteten Eliten México profundo – „tiefes/profundes Mexiko“; Bezeichnung für die stärker mexikanisch/mesoamerikanisch geprägten (mestizischen) Bevölkerungsschichten Mexikos miguelitos – Tanzgruppe miktan (Nahuat) – Unterwelt, Totenwelt milpa – Maisfeld miston (Nahuat) – „Katze“ Mixto (Nahuat) – Krankenhaus, in dem sowohl biomedizinische als auch traditionelle Methoden der Behandlung durchgeführt werden molandera – hier: „Mahlerin“, Frau, die tortillas herstellt/herstellen kann mole – in Tzinacapan: Sauce aus getrocknetem, geröstetem und fein zermahlenem Chili ancho (großen, dunklen Chilis), Gewürzen, oft auch Bananen, Keksen, Tomatensauce und Suppe molkate (Nahuat) – Mais minderer Qualität momakuepalo (Nahuat) – gegenseitige Hilfe, vor allem im Maisanbau; siehe auch mano vuelta und tekio monte – wilde, d.h. nicht landwirtschaftlich genutzte Landschaft, heute meist in schwer zugänglichen, gebirgigen Regionen; siehe kuoujtaj moxte – Hüllblätter des Mais

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multiple family-Haushalt – Zusammenschluss mehrerer Familieneinheiten nagual (Nahuat) – tierisches Alter-Ego nana (Nahuat) – „Mutter“; vertrauliche Anrede für eine ältere Frau negritos – Tanzgruppe nemouhtil (Nahuat) – siehe nemoujtil nemoujtil (Nahuat) – Schrecken, verursacht Krankheit aufgrund von Seelenverlust nixtamal – Maismasse, hergestellt durch Kochen in Kalkwasser und Mahlen der weichgekochten Körner no family-Haushalt – Zusammenschluss bzw. Wohneinheit, die nicht auf familiären/verwandtschaftlichen Banden begründet ist nochi chan kalyetonij (Nahuat) – „alle, die in einem Haus sind“ nonagual (Nahuat) – siehe nahual nortes – kalte Winde aus dem Norden notonal (Nahuat) – siehe tonal noyolo (Nahuat) – siehe yolo Obras Públicas – „Öffentliche Arbeiten“; Teil des Magistrats Cuetzalans oikonomia (altgr.) – (Haus-)Wirtschaft im Alten Griechenland oikos (altgr.) – Haus im Alten Griechenland ollin (Nahuatl) – „Bewegung“ Ometéotl (Nahuatl) – „Gottheit der Zweiheit“, dualgeschlechtlich, residiert im obersten (doppelt gedachten) Himmel Oportunidades – Regierungsprogramm zur Verringerung der Armut ouijkan (Nahuat) – schwieriger, gefährlicher Ort Oxomoco (Nahuatl) – vorkoloniale Gottheit; Teil eines mythisch-menschlichen Ursprungspaar; siehe auch Cipactonal pachtontli (Nahuatl) – vorkolonialer Monat im Zeitraum 10.10.-29.10. padrino – Pate panela – Rohzucker pasado – ehemalige Inhaber der höchsten Positionen im religiös-rituellen Ämtersystem; siehe auch alcalde sowie principales pater familias – Familienoberhaupt, Vorstand des (römischen) Haushalts peasantry – Kleinbauernschaft, mit bestimmten zugeschriebenen (und daher auch widersprüchlichen) Merkmalen person – handlungsfähiges Wesen, das sich aus verschiedenen Komponenten seelischer, geistiger und körperlicher Natur zusammensetzen kann personhood – anthropologisches Konzept zur Bezeichnung des in vielen Fällen prozesshaft gedachten Personseins bzw. der Personwerdung personing –Prozess der Herausbildung und Veränderung von persons petat (Nahuat) – geflochtene Matte pilatos – mit den santiagos in enger Beziehung stehende Tänzer_innen pimienta – Nelkenpfeffer piñata – bunte Figuren aus Papiermaché (früher Ton), gefüllt mit Süßigkeiten; ein Kind, dem die Augen verbunden wurden, muss versuchen die piñata mit einem Stock zu zerschlagen. Ist das gelungen, so versuchen alle anwesenden Kinder so viele der herausgefallenen Süßigkeiten als möglich zu ergattern pipiltin (Nahuatl) – „Kinder“; Bezeichnung für „Adelige“ pizca – Maisernte

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plaza – Hauptplatz; siehe auch tianquiz pluriactivity – Konzept von Jan Douwe van der Ploeg (2010) zur Bezeichnung der vielfältigen Aktivitäten von Kleinbauern_bäuerinnen poder judicial – juridische Macht, Justizgewalt Poder Judicial – „Justizgewalt“; unterstützendes Gremium des Magistrats Cuetzalans policia judicial – Kriminalpolizei policia municipal – der Distriktregierung unterstellte Polizei polis – (altgr.) – Stadtstaat im Alten Griechenland polybians – Terminus, entwickelt von Michael Kearney, um die Vielseitigkeit von Lebens- und Identitätsweisen von Menschen zu beschreiben, die gemeinhin als peasantry zusammengefasst werden. polyculture – kultivierte Pflanzenvielfalt im Kaffeegarten prepa – Kurzwort für preparatoria preparatoria – Oberschule, die mit Matura/Abitur endet, die dann zum Besuch der Universität berechtigt presidencia – Präsidium presidente auxiliar – Bürgermeister einer der Bezirkshauptstadt untergeordneten Gemeinde presidente auxiliar municipal – siehe presidente auxiliar presidente municipal – Bürgermeister der Bezirkshauptstadt bzw. des gesamten Munizipios; siehe auch jefe politico und alcalde primaria – Grundschule, Volksschule principales – „Hauptleute“; Bezeichnung für Verwalter_innen in den unteren Rängen der repúblicas de indios; in der postkolonialen Regierung der der Bezirkshauptstadt Cuetzalan untergeordneten Gemeinden werden auch ehemalige alcaldes bzw. Inhaber_innen der höchsten religiös-zivilen Ämter so bezeichnet; siehe auch pasados und ancianos Procuraduría General del Estado – „Allgemeine Verwaltung des Staates“; den Magistrat Cuetzalans unterstützendes Gremium pueblo – Volk, Gemeinde, Siedlungseinheit pueblo mágico – dieser Titel wird an Gemeinden/Städten mit „typisch mexikanischer Lebensweise“ vergeben. Hintergrund ist ein 2001 initiiertes Programm des mexikanischen Sekretariats für Tourismus Quetzalcóat (Nahuat) – Sagenfigur: große menschenfressende Schlange, die in einem Gewässer nahe San Miguel Tzinacapan, einer anderen Version zufolge, eingeschlossen in einer Pyramide voller Mais lebt Quetzalcóatl (Nahuatl) – „Quetzalfederschlange“; Gottheit Quetzalcóatl-Ehecatl (Nahuatl) – Windgott quetzales – Tanzgruppe rancho – Bezeichnung für landwirtschaftlich genutzte Parzelle, sei das für den Maisanbau, für Kaffee oder andere Pflanzen; unter der mestizischen Bevölkerung allen auch Viehweiden unter diesen Begriff. Andererseits fallen auch kleine Ansiedlungen und Gehöfte, wie auch ländliche Wohneinheiten als solche unter diesen Terminus refino – Zuckerrohrschnaps refresco – alkoholfreies, in der Regel gekauftes und kohlensäurehältiges Getränk (ausgenommen Cola)

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regidor – Stadtrat, Ratsherr (Kolonialzeit) regidor de obras públicas del cabildo – Gemeinderatsmitglied für öffentliche Arbeiten des Rates regidores de mayoría relativa – „Ratsher_inn_en der relativen Mehrheit“; Teil des Magistrats Cuetzalans regidores de representación proporcional – „Ratsherr_inn_en der proportionalen Repräsentanz“; Teil des Magistrats Cuetzalans Reina del Café – Kaffeekönigin Reina del Huipil – „Königin des huipil“ república de indios – koloniale, den Indigenen zugeteilte Verwaltungseinheit reunión – Versammlung, Sitzung, Arbeitsbesprechung rosario – Beten des Rosenkranzes Salubridad y Asistencia – „Heilsamkeit und Unterstützung“; Teil des Magistrats Cuetzalans San Miguel – Heiliger Michael, Schutzheiliger von San Miguel Tzinacapan San Ramos – „Heiliger Palmzweig“ Santiago – „Heiliger Jakob“ santiagos – Tanzgruppe Santísimo – „Allerheiligst“ Santo Niño – „Heiliges Kind“ sé (Nahuat) – „eins“ sé coza tekiti – „für eine Sache arbeiten“; von Taggart (1995: 192) festgestellte Bezeichnung für Haushaltsgruppe secretario de gobierno – Regierungssekretariat des ayuntamientos Cuetzalan secundaria – Mittelschule zwischen der Grundschule (primaria) und der Oberschule (preparatoria) señor_a – Bezeichnung für den Ehemann_die Ehefrau, übersetzt „Herr_in“ (bzw. „Dame“), „Gebieter_in“ Sentiopil (Nahuat) – mythische Figur mit Anklängen an den vorkolonialen Gott Quetzalcóatl (der wiederum mit Christus assoziiert wird) als jener, dem die Menschen den Mais verdanken servicio – (unbezahlter) Dienst an der Gemeinschaft simple family-Haushalt – „klassischer“ Kernfamilienhaushalt, sowie Haushalte bestehend aus einem Ehepaar ohne Kinder, sowie solchen, die aus einem Vater und Kind/ern oder auch einer Mutter und Kind/ern bestehen síndico – „Syndikus“; Teil des Magistrats Cuetzalans sistema de cargos – „Ämtersystem“ Siuamej Sentekitini (Nahuat) – „Frauen, die zusammen arbeiten“; Frauenorganisation aus San Andrés Tzicuilan siuatsin (Nahuat) – Frau (Höflichkeitsform; abgeleitet von siuat) Sociedad Cooperativa Tosepan Titataniske – siehe Tosepan Titataniske sociedades campesinas – ländliche Gemeinschaften solidaries – aus einer einzigen Person bestehender Haushalt sujeto – der Bezirkshauptstadt (cabecera) untergeordnete Gemeinde taco – eingerollte und mit Bohnen, Chili-Sauce, o.a. gefüllte tortilla Takachiualis (Nahuat) – „Respekt“; siehe Comisión Takachiualis takachiualoni (Nahuat) – „Respekt“

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takat (Nahuat) – „Mensch“ takayotia (Nahuat) – menschlich, generos machen; vermenschlichen takayoua (Nahuat) – Fruchtbildung des Mais Taller de Tradición Oral – Organisation in San Miguel Tzinacapan, die sich die Sammlung, Dokumentation und Publikation von Oraltraditionen zum Ziel gesetzt hat talokan (Nahuat) – Unterwelt talokan talkaltianij (Nahuat) – Wesen, die die milpa wachsen lassen, Bewohner_innen von talokan taltikpak (Nahuat) – „auf der Erde“; Erdoberfläche tamales – in Dampf gegarte Speise aus Maisteig, entweder mit Fleisch oder ChiliSauce gefüllt, oder gemischt mit Bohnen, oder auch mit Zucker gesüßt tamoanchan (Nahuatl) – vorkoloniales Paradies der Gottheiten taolli (Nahuat) – „Mais“ Taselotzin (Nahuat) – „Das, was die Erde produziert“; von der indigenen Frauenorganisation Maseualsiuamej Mosenyolchikauanij geführtes Hotel tasoj (Nahuat) – „Liebe“; siehe auch tasojtalis tasojkamatik (Nahuat) – „danke“ tasojtalis (Nahuat) – „Liebe“; siehe auch tasoj tata (Nahuat) – „Vater“, vertrauliche Anrede für einen älteren Mann tatokouit (Nahuat) – angespitzter Stab zum Graben kleiner Löcher für die Maisaussaat tecalli (Nahuatl) – vorkoloniales Adelshaus tekio (Nahuat) – gegenseitige Hilfe, v.a. im Maisanbau; siehe auch: mano vuelta und momakuepalo tekit (Nahuat) – Arbeit, Tätigkeit, Aufgabe telamas (Nahuat) – die drei Herdsteine, auf denen der comal oder ein Kochtopf ruht Telpochtli (Nahuatl) – „jung“; „Bursche“; auch eine der Bezeichnungen für den Gott Tezcatlipoca teniente – Verantwortliche_r für die Organisation der Tänze im Rahmen der mayordomías teniente de danzas – siehe teniente tepeílhuitl (Nahuatl) – vorkolonialer Monat im Zeitraum 10.10.-29.10. Tepusilam – mythische Figur bei den Nahuas von Durango, ähnlich der tsitsimit tequila – Agavenschnaps tequitl (Nahuatl) – Arbeit, Verpflichtung, Aufgabe terrenos baldíos – angeblich brach liegendes Land, das mexikanische Bürger nach der Unabhängigkeit, auf der Grundlage des Ley Lerdo in Besitz nehmen können, unter der Voraussetzung, dieses in Hinkunft landwirtschaftlich zu nutzen teutleco (Nahuatl) – „Ankunft der Gottheiten“ teyolia (Nahuatl) – unsterbliche Seeleneinheit, die im Herzen sitzt, die während des Lebens untrennbar mit dem Körper verbunden ist Tezcatlipoca (Nahuatl) – „Rauchender Spiegel“; Gott tianquiz – Markt, Marktplatz, auch verwendet für Hauptplatz; siehe auch: plaza tikomit (Nahuat) – „Feuerkrug“, abgeleitet von tit, „Feuer“ und komit, „Krug“ tío – Onkel

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tiopantokay (Nahuat) – „Pate der Kirche“; wichtig für die Heilung eines kranken Kindes tiotenantsin (Nahuat) – Patin, aber auch comadre, der gegenseitigen Bezeichnung zwischen der Patin eines Kindes und seiner Mutter/seines Vaters tiotetattsin (Nahuat) – Pate, aber auch compadre, der gegenseitigen Bezeichnung zwischen dem Paten eines Kindes und seiner Mutter/seines Vaters tixochit (Nahuat) – „Feuerblume“; abgeleitet von tit, „Feuer“ und xochit, „Blume“, Herdfeuer tlacaiita (Nahuatl) – „Respekt“ tlacolol (Nahuatl) – Hackkultur, Art der, aus der vorspanischen Zeit stammenden, Landbebauung in Tepoztlán, wie sie zumindest in den 1940er Jahren noch durchgeführt wird, angewandt auf steilen, nicht für den Pfluganbau geeigneten Hängen Tláloc (Nahuatl) – Regengott tlalocan (Nahuatl) – „Paradies“ des Regengottes Tláloc tlaloques (Nahuatl) –Regengottheiten bzw. Helfer_innen des Regengottes Tláloc tlalpouhqui (Nahuatl) – kolonial: Landvermesser_innen tlalticpac (Nahuatl) – Erdoberfläche tlatoani (Nahuatl) – „der, der spricht“; Bezeichnung für Herrscher_in im vorkolonialen Mesoamerika tlazohtla (Nahuatl) – „Liebe“ Toci (Nahuatl) – „Unsere Großmutter“; Erd- und Muttergottheit Todos Santos – Allerheiligen, oder genauer übersetzt „Alle(r)seelen“ tona (Nahuat) – „Hitze“ Tonacatecihuatl (Nahuatl) – Gottheit der Lebensmittel, Schöpfergott (weiblicher Aspekt) Tonacatecuhtli (Nahuatl) – Gottheit der Lebensmittel, Schöpfergott (männlicher Aspekt) tonal (Nahuat) – Seeleneinheit, verbunden mit einem Tier; heiße und animalische Kraft tonalejekat (Nahuat) – „Sonnenwind“, Wind des Südwestens tonalkalakiampa (Nahuat) – „wo die Sonne ins Haus eintritt“, Bezug nehmend auf den Sonnenuntergang, Westen tonalkisayampa (Nahuat) – „wo die Sonne weggeht“, Bezug nehmend auf den Sonnenaufgang, Osten tonallan (Nahuat) – Knab zufolge „am Berg, auf dem die Sonne auf ihrem Weg in die Unterwelt rastet“, Osten; siehe tonalkisayampa tonalli (Nahuatl) – siehe tonal tonalmil (Nahuat) – „Sonnensaat“; diese erfolgt im Dezember/Jänner topil/es – Teil der Regierung in den der Distrikthauptstadt untergeordneten Gemeinden; in der Regel üben topiles Polizeifunktionen oder Hilfsdienste in der Kirche aus; sie sind den mayores untergeordnet; das Amt eines topil ist eine der untersten Stufen im Ämtersystem in der Vergangenheit toreros – Tanzgruppe tortilla – gebackene Maisfladen Tosepan (Nahuat) – Kurzbezeichnung für Tosepan Titataniske Tosepan Titataniske (Nahuat) – Kooperative der indigenen Bevölkerung Cuetzalans Tosepan Tomin (Nahuat) – Bank der Kooperative Tosepan

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toyoliatzin (Nahuat) – mit dem Mais verbundenes Lebensprinzip Trinidad – Dreifaltigkeit tsikat (Nahuat) – rot (Mais) tsitsimit (Nahuat) – mythisches, menschenfressendes, weibliche Wesen tzitzimime (Nahuatl) – gefährliche Wesen, ohne Fleisch, nur aus Knochen bestehend, deren Hälse und Köpfe von menschlichen Herzen umgeben sind ueyiejekat (Nahuat) – „großer Wind“ ueyikuoujtaj (Nahuat) – „Ort der hohen Bäume“; siehe auch kuoujtaj bzw. monte vendedor@s – hier: selbstständige Straßenverkäufer_innen von Kunsthandwerksprodukten villa – einer Stadt entsprechende Siedlungskategorie voladores – Tänzer, die sich von einem 20 Meter hohen Pfahl herunterlassen, den Flug von Vögeln simulierend Xilonen (Nahuatl) – Gott_Göttin des jungen Mais Xochiquetzal (Nahuatl) – „Blumenquetzal“, Göttin der Schönheit und der Liebe xochitlicacan (Nahuatl) – Baum, dessen Blumen Liebe hervorrufen xokoatol (Nahuat) – atole (Maisgetränk) mit Schokolade bzw. Kakao xokoyot (Nahuat) – jüngster Sohn xopamil (Nahuat) – „Regensaat“; diese erfolgt im Juni/Juli und ist nur in den tiefergelegeneren und somit heißeren Regionen möglich Yankuik Siuat (Nahuat) – „Neue Frauen“; indigene Frauenorganisation yauit (Nahuat) – blau (Mais) yekauil (Nahuat) – anthropomorph vorgestellte Seeleneinheit, im Kopf und im Blut verortet, entsprechend dem vorkolonialen ihíyotl Yiacatecuhtli (Nahuatl) – „Herr der großen Nase“ oder „Herr, der leitet“; Gott der Händler_innen yolo(t) (Nahuat) – Seeleneinheit, die in enger Verbindung mit Mais steht yolotzin (Nahuat) – Seeleneinheit, die in enger Verbindung mit Mais steht; siehe auch yolo youal (Nahuat) – „Nacht“; siehe auch yolo

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