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German Pages 284 Year 1967
Auswärtige Kulturpolitik Eine soziologische Analyse einiger ihrer Funktionen, Bedingungen und Formen
Von
Richard Martinus Emge
Duncker & Humblot . Berlin
Richard Martinus Emge / Auswärtige Kulturpolitik
Auswärtige Kulturpolitik Eine soziologische Analyse einiger ihrer Funktionen, Bedingungen und Formen
Von
D r . Richard Martinus Emge Privatdozent der Soziologie an der Universität Bonn
DÜNCKER
&
H Ü M B L O T / B E R L I N
A l s Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechts- u n d Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Abgeschlossen im Sommer 1965 Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
„Jedes Volk ist unvollständig und sucht sich zu ergänzen, je höher es steht, u m so mehr." Jakob Burckhardt
„Das ist ja doch gerade das Wesen der Diplomatie, daß man sich Freunde i m Ausland verschafft." Otto von Bismarck
Vorwort
Wer einen ersten Überblick über unseren Gegenstand zu gewinnen versucht, der w i r d zweierlei konstatieren: A u f der einen Seite eine nicht abreißende Folge von A r t i k e l n und Berichten vor allem i n Tageszeitungen, aber auch i n einigen Zeitschriften zu einschlägigen Fragen. Sie sind häufig emotional gefärbt, kritisieren z. B. die Regierungen, denen sie eine ungenügende Vertretung der nationalen k u l t u rellen Interessen vorwerfen, oder sie weisen andererseits Übergriffe des Staates i n die Sphäre der „reinen K u l t u r " zurück; diese Beiträge sind von höchst unterschiedlichem Niveau, aber jedenfalls schon durch ihre Anzahl beachtlich. Auf der anderen Seite aber muß das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen über unser Gesamtthema auffallen, gewiß was die deutschsprachige Literatur angeht 1 . Dies w i r d man u. a. auf zwei Gründe zurückführen können: „Die gegenwärtige Organisation der wissenschaftlichen Anstalten bietet der Arbeit auf Grenzgebieten keinen günstigen Boden", beklagte sich schon 1930 Erich Rothacker 2, und an dieser Lage hat sich seitdem, sehen w i r von jüngsten Entwicklungen ab, noch wenig geändert. Zum anderen aber sollte man unser Arbeitsgebiet vielleicht auch als Praktiker kennengelernt haben, wenn man es wissenschaftlich angehen w i l l . Einige „Maschinerien" von innen her beobachtet zu haben, deren Leistungen oder Mißerfolge so häufig berechtigte und unberechtigte K r i t i k der Öffentlichkeit herausfordern, kann auch zu objektiveren Urteilen beitragen.
1 Die einzige deutschsprachige Publikation überhaupt ist w o h l das Buch eines hervorragenden Praktikers: Carl Doka: K u l t u r e l l e Außenpolitik, Zürich 1956, eine wertvolle Zusammenstellung der organisatorischen Verhältnisse vor 10 Jahren. Der allgemeine Text bleibt leider auf etwa 30 Seiten beschränkt. Eine ältere amerikanische Publikation, die v ö l l i g vergriffen ist, bringt wichtige historische Hinweise: R u t h McMurry u n d M u n a Lee: The C u l t u r a l Approach-Another Way i n International Relations, Univ. of N o r t h Carolina Press, 1947. Der Verf. konnte diese Veröffentlichung, welche v e r schiedene Länder unter bestimmten, etwas gewaltsamen Leitmotiven behandelt, leider erst nach Fertigstellung seines Manuskriptes einsehen. Dasselbe gilt f ü r das jüngst erschienene Buch des früheren US Assistent Secretary of State for Educational and C u l t u r a l Affairs, P h i l i p H. Coombs: The F o u r t h Dimension of Foreign Policy, New Y o r k 1964. Die auf die USA zugeschnittene Darstellung konvergiert aber i m wesentlichen m i t den hier dargelegten Auffassungen. 2 Verhandlungen des 7. deutschen Soziologentages 1930, Tübingen 1931, S. 155 f.
8
Vorwort
Der Verfasser hat sich um das Thema bemüht, weil er mehrere Jahre als Kulturattache i m Ausland tätig war, i n der Kulturabteilung eines Außenministeriums auch an der Verwaltungsarbeit einer Zentralbehörde teilnahm, und weil er hofft, als Soziologe ein wenig Rüstzeug für die Analyse mitgebracht zu haben. Er war also gewissermaßen jahrelang „teilnehmender Beobachter", wie es unsere empirische Sozialforschung nennt, eine A r t der Faktensuche, welche sich speziell für wissenschaftliches Neuland empfiehlt. Daß der Beobachter dabei echt beruflich tätig war, birgt freilich auch mögliche Fehlerquellen: den zu nahen Kontakt, welchen die Forschung dann m i t dem Terminus „over rapport" belegt; es wurde versucht, diese Gefahren zu sehen und zu vermeiden. Das schwer abzugrenzende, vielgestaltige und unwegsame Gebiet kann in einem Umlauf nicht einmal abgesteckt werden. Es bedarf einer langjährigen und geduldigen Forschungsarbeit auf den einzelnen Sektoren, wozu nicht nur Forschungsjähre, sondern auch Forschungsgruppen nötig wären und auch größere finanzielle Mittel. Derartige Vorhaben stoßen aber sowohl auf mancherlei politische und „weltanschauliche" Tabus und fest etablierte „Interessen" als auch auf eine manchesmal m i t Bequemlichkeit gepaarte Skepsis: Lohnen sich solche Untersuchungen überhaupt, kann man an derartig subtile und nuancierte Dinge, wie sie sich auf dem Gebiet der K u l t u r und der auswärtigen Politik i n unübersehbarer Mannigfaltigkeit darbieten, überhaupt mit wissenschaftlichen Sonden herangehen? M i t dieser Skepsis, welche die einschlägige Forschung und Praxis erschwert und noch verhindert, daß wichtige kulturelle Beiträge für eine internationale Solidarität und zur Verringerung bedrohlicher Spannungen wirksamer geleistet werden, muß auch der vorliegende Versuch rechnen. Milliardenbeträge an Steuergeldern der verschiedenen Nationen werden jährlich ausgegeben, ohne daß die verantwortlichen Regierungen, Parlamentarier und Funktionäre die Möglichkeit hätten, sich vorher auf Grund gewissenhafter und unabhängiger Analysen über die jeweils bestmögliche Verwendung der M i t t e l klar zu werden. Sehen w i r von der Bedeutung unseres Sektors für die internationale Solidarität und die einzelnen Nationen ab: Ein Geschäftsmann, der auch nur annähernd soviel M i t t e l zu investieren hätte, wie sie der auswärtigen K u l t u r arbeit in den großen Ländern zur Verfügung stehen 3 — dabei sind sie 3 Budgetangaben sind nicht ohne weiteres zu vergleichen, da sie sehr v e r schiedene Posten umfassen. W i r nennen als Beispiele: K u l t u r - u n d Schulfonds des A . A. (1964) ca. 169 M i l l . D M Etat der „Direction Générale des Affaires Culturelles et Techniques" des französischen Außenministeriums (1964) ca. 386 M i l l . NFr.
Vorwort noch ungenügend! —, und der sich heute m i t so wenig Forschung über die Gültigkeit seiner grundlegenden Annahmen zufrieden gäbe, würde m i t Sicherheit i m Konkurrenzkampf unterliegen. „Pressuregroups", Zufälligkeiten, persönliche Neigungen und Enttäuschungen der jeweils Maßgebenden überspielen auf unserem Gebiet bewußt und unbewußt ständig die sachlichen Notwendigkeiten, sowohl was die nationalen Interessen angeht als auch i m Hinblick auf eine globale Verständigung. Es gibt Wissenschaftler und Praktiker, die bereit wären, an sorgfältigen Untersuchungen mitzuarbeiten, wenn man die Möglichkeiten hierfür böte. Einen Beweis, daß solche Kooperation zu Ergebnissen führen kann, geben bereits Arbeiten zur Bildungsforschung und Entwicklungshilfe, deren spezielle Probleme hier nicht aufgegeben waren. Daß die Fragen noch gegenüber den Ergebnissen überwiegen, liegt wohl i n der Natur fast jeder Forschungsarbeit, die nicht altbekannte und viel beackerte Gebiete erneut durchfurcht, sondern wissenschaftliches Neuland zu erschließen versucht. Gewisse Domänen, z. B. die kirchliche Arbeit und der Sport, sind auch vernachlässigt worden. Der Verfasser bedauert diese und andere Lücken, doch ging es ihm darum, die Bedeutung des Gesamtgegenstandes zu zeigen und nur an einigen Beispielen zu exemplifizieren. Ein Wort noch zum Titel: Es war zu überlegen, ob von „auswärtiger K u l t u r p o l i t i k " oder von „auswärtiger Kulturarbeit" gesprochen werden sollte. Persönlich hegt der Verfasser eine Abneigung vor dem Wort „ K u l t u r p o l i t i k " und hat es i n der Praxis möglichst vermieden. K u l t u r arbeit andererseits verharmlost aber den Gegenstand. Wenn nun der Titel von auswärtiger K u l t u r p o l i t i k spricht, so deshalb, weil eine Untersuchung i m Rahmen der politischen Soziologie die Dinge beim rechten Namen nennen muß. Vielleicht dürfte die geistesgeschichtlich erklärbare Aversion gerade unserer Gebildeten gegen Politik m i t ein Grund dafür gewesen sein, daß Deutschland auf Abwege geriet, auf denen sich auch unsere kulturelle Außenpolitik so kompromittiert hat, daß sie sich davon noch nicht wieder recht hat erholen können. Diese Abwehr erscheint darüber hinaus als ein Luxus, den sich i n unserer Welt heute kein Einsichtiger m i t ganz gutem Gewissen mehr leisten kann. Die Politisierung immer neuer Gebiete ist nicht zu ignorieren, und auch die Wissenschaft selbst w i r d sich vor schädlichen Einflüssen wohl nur dann einigermaßen freihalten können, wenn sie die Realitä-
Budget des „ B r i t i s h Council" (1963/64) ca. 11 M i l l . £ K u l t u r e l l e Außenarbeit Schwedens (1964/65) ca. 16 M i l l . K r o n e n V o n sachkundiger Seite ist berechnet worden, daß dem Department of State der U.S.A. i m Jahre 1965 für k u l turelle Zwecke zur Verfügung stehen ca. 282 M i l l . $
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Vorwort
ten rechtzeitig ins Auge zu fassen versucht. Man könnte sonst i n eine ähnliche Situation geraten, wie Archimedes i n seiner hora ultima. Der Verfasser hat sehr viel Dank abzustatten: Vor allem hat der Direktor des Instituts für Soziologie der Rheinischen Friedrich W i l helms-Universität zu Bonn, Professor Dr. Gottfried Eisermann, spontan die benötigte wissenschaftliche Heimstatt geboten, u m diese Arbeit durchführen zu können, und dabei jede i h m nur mögliche Hilfe gewährt. Herrn Professor Dr. U. Scheuner ist der Verfasser dankbar verpflichtet. Viele diplomatische Missionen i n Bonn haben geduldig Auskünfte erteilt und auf Wunsch eingeholt. Die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts zu Bonn, deren Leiter Ministerialdirektor Dr. Dieter Sattler, m i t dem Verfasser mehrfach länger über den Gegenstand sprach, hat die Arbeit durch kleinere finanzielle Beihilfen unterstützt, die vor allem Besuche bei der UNESCO, dem British Council und dem Europarat ermöglichten. Leiter und Kulturattachés von deutschen Auslandsmissionen sowie Referenten der Kulturabteilung des A. A. haben durch Unterlagen und Auskünfte die Arbeit bereichert. Hinweise der UNESCO, des Europarats, des British Council, der „Ständigen Konferenz der Kultusminister", des „Deutschen Akademischen Austauschdienstes" und des „Goethe-Instituts", u m nur wenige der vielen hilfreichen Institutionen zu nennen, wurden zu verwerten gesucht. Und wenn einleitend von Tabus gesprochen wurde, welche die Arbeit auf unserem Gebiet behindern, so waren es weniger als befürchtet.
R. M. E.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erstes
15
Kapitel
Z u unseren Begriffen 1. Der K u l t u r b e g r i i i
20 20
a) Der umfassendere Kulturbegriff
22
b) Der engere Kulturbegriff
23
c) Georg Simmel
26
d) A l f r e d Weber
28
e) Die Problematik k u l t u r e l l e r Wertungen
31
2. Der Rahmen der auswärtigen P o l i t i k
37
a) Der Begriff der P o l i t i k
37
b) Das Epitheton „auswärtig"
43
Zweites
Kapitel
Die „Interessenten"
49
1. Die Nationen
49
2. Verschiedene Institutionen
53
3. Einzelne
56
Drittes
Kapitel
Der technisch-administrative Apparat
58
1. Die staatliche K u l t u r d i p l o m a t i e
58
a) Die A r b e i t der Zentralen
59
Inhaltsverzeichnis
12
b) Die diplomatischen u n d konsularischen Auslandsvertretungen
69
c) Die Kulturattaches
75
d) Bilaterale staatliche K u l t u r a b k o m m e n
81
2. Sonderorganisationen für Auswärtige K u l t u r a r b e i t
85
a) Das Beispiel des „ B r i t i s h Council"
85
b) Repräsentative spezialisierte Organisationen
89
3. Grundsätzliches zu den verschiedenen Systemen
Viertes
99
Kapitel
Grundsätzliches zur auswärtigen Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
105
1. Selbstverständnis, Stereotype u n d Selbstdarstellung von Nationen . . . 105 2. Das ideologische Moment
111
3. „Öffentlichkeitsarbeit" u n d „Propaganda"
115
4. K u l t u r e l l e Auslandsarbeit als Ausdruck u n d Deckmantel politischer Interessen
120
5. Das Prinzip der Reziprozität
123
6. Die Bedeutung der öffentlichen Meinung
127
7. Die sog. „Weltöffentlichkeit" — Realität oder Fiktion?
134
Fünftes
Kapitel
Destinatäre i m Ausland
140
1. Machteliten u n d Oberschichten
140
2. Die Intellektuellen
150
3. Die sog. „breiten Massen"
155
4. Die weibliche Bevölkerung
160
5. Die Jugend
164
6. Gruppen eigenen Volkstums oder eigener Sprache "...
170
Inhaltsverzeichnis
13
Sechstes Kapitel Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik 1. Substanz u n d Prestige k u l t u r e l l e r Leistung i m Heimatland
175 175
2. S t r u k t u r und Organisation der k u l t u r e l l e n Sphäre i m Heimatland . . 178 3. Über „Kulturgefälle" zwischen Nationen
181
4. Die Bewertung der Rolle auswärtiger P o l i t i k
187
5. Der Einfluß nationaler Wertungen auf die Verteilung der Schwergewichte innerhalb der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k
Siebentes
190
Kapitel
Der funktionelle Zusammenhang zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht einerseits und kulturellem Einfluß andererseits
194
1. Welche Nationen verfügen i m internationalen Feld über ein hohes kulturelles Prestige?
194
2. Die Relevanz der politischen u n d wirtschaftlichen Machtstellung f ü r die k u l t u r e l l e Ausstrahlung
197
3. Die Relevanz des auswärtigen Kulturprestiges für die außenpolitische u n d ökonomische Machtstellung
Achtes
201
Kapitel
Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
206
1. Erziehungswesen u n d wissenschaftliche Zusammenarbeit
206
2. Sprache und L i t e r a t u r
216
a) Sprache
216
b) L i t e r a t u r
221
3. Bildende Künste
226
4. Musik
233
5. Theater und Oper
239
6. Die Massenmedien Film, F u n k und Fernsehen als Instrumente
245
14
Inhaltsverzeichnis Neuntes
Kapitel
Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internationalen Organisationen
254
1. Die UNESCO
254
2. Der Europarat
262
Zusammenfassung und Ausblick
269
Ausgewählte Bibliographie
278
„Das ist j a doch gerade das Wesen der Diplomatie, daß man sich Freunde i m Ausland v e r schafft." Otto v. Bismarck*
Einleitung Auswärtige Kulturpolitik, wie w i r sie hier abhandeln wollen, ist ihrem Wesen nach ein Teil der auswärtigen Politik. Soll sie wirksam sein, so darf sie nicht als Dienerin der Tagespolitik von jeweils herrschenden Machthabern und Gruppen fungieren, sondern muß die Interessen der jeweiligen Nation i m Ausland langfristig fördern, da sie, wie jede K u l t u r politik, ihrem Wesen nach nur als Planung auf längere Sicht sinnvoll ist. Diese Interessen bedeuten dabei gewiß i n unserer immer enger werdenden Welt heute bereits rein pragmatisch gesehen internationale Kooperation. Doch vollzieht sich auswärtige K u l t u r p o l i t i k als planmäßige staatliche Förderung kultureller Ausstrahlung, Begegnung und Zusammenarbeit immer i n Verbindung m i t der auswärtigen Politik der Regierung, wobei es soziologisch nicht primär wichtig ist, ob die Arbeit von staatlichen oder lediglich staatlich direkt oder indirekt geförderten, finanzierten und mehr oder weniger detailliert dirigierten Sonderorganen geleistet wird. Sie bleibt jedoch auch i n dieser weiteren Konzeption immer nur ein kleiner Teil — und zumindest zwischen Demokratien nicht der wichtigste — des dichten Netzes internationaler Kulturbeziehungen, welches die Erde i n unübersehbaren und immer wechselnden Variationen umspannt. Sie hat also i n zweifacher Hinsicht komplementären Charakter und ist ganz auf enge Zusammenarbeit m i t dem außergouvernementalen kulturellen Leben angewiesen. Auswärtige K u l t u r p o l i t i k mittels spezifischer staatlicher oder staatlicherseits subventionierter Institutionen entwickelte sich erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, zumeist auf Grund vorheriger privater Initiativen. Ohne organisatorische Apparaturen hat es einige ihrer Elemente gegeben, seit auswärtige Politik betrieben wird. Denn die Machtposition eines Landes i m internationalen Kräftefeld, die Durchsetzung seiner Absichten auch gegen Widerstreben anderer, hängt immer von der * I n einer Rede am 21. A p r i l 1887.
16
Einleitung
Anzahl und Stärke einer Reihe von Hilfsquellen verschiedener Provenienz ab, die es für seine jeweiligen Aktionen zu erschließen i n der Lage ist. Vermutlich hat die Kurie dies zuerst v o l l verstanden, wofür die Arbeit der i m Verlaufe der Gegenreformation eingesetzten „congregatio de propaganda fide" Zeugnis ablegt. Freilich haben die jeweils handelnden Individuen und Gruppen, die Akteure auf der außenpolitischen Bühne, ganz verschiedene Vorstellungen von dem Wert der einzelnen Quellen, aus denen sie K r a f t für die Durchführung ihrer jeweiligen Pläne gewinnen können. Hierbei sind sie sowohl von dem nationalen, als auch von dem internationalen System abhängig, i n welchem sie agieren. Generell kann man feststellen, daß der kulturelle Sektor der auswärtigen Politik fast überall noch mehr oder weniger stiefmütterlich behandelt wird. Als das Deutsche Reich infolge der durch seine eigenen Machthaber heraufbeschworenen Katastrophe des zweiten Weltkrieges zerstört war und sich i n seinem Westen und Süden die Bundesrepublik Deutschland m i t Hilfe der zuständigen Besatzungsmächte etablierte, wollte man „ K u l t u r " zunächst groß schreiben. Nachdem man auf politischem und militärischem Gebiet totalen Schiffbruch erlitten hatte, hoffte man, seine Zuflucht zu einem geistigen und künstlerischen Deutschland-Imago nehmen zu können, das i m Ausland nicht völlig diskreditiert war. So wählte man einen „Homme de lettres" und Honorarprofessor zum Bundespräsidenten und entsandte einen Literaten (Wilhelm Hausenstein) als ersten diplomatischen Missionschef nach Paris. So warb man dringlich u m diejenigen Vertreter des geistigen Deutschland, die noch von früher her zur Verfügung standen und sich durch die Emigration vom vergangenen Regime auch räumlich distanziert hatten. Man versuchte — um eine freilich falsche und nicht ungefährliche Etikettierung der deutschen Probleme zu verwenden —, „Weimar" zu erneuern und setzte sich von „Potsdam" ab. Die verschiedenen geistigen Substanzverluste waren jedoch so stark und der Ruin so vollkommen gewesen, daß i m deutlichen Unterschied zu den Jahren nach dem ersten Weltkrieg die erhoffte k u l t u relle Entfaltung — auch infolge der Funktionsunfähigkeit der alten Reichshauptstadt Berlin — an Weimarer Maßstäben gemessen ausblieb. Während man auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet schnell wieder Gewicht gewann, trat dann das Interesse am Kulturellen zurück. Erst wenn Konsequenzen für das wirtschaftliche Wachstum und die Verteidigungskraft aufgezeigt werden, w i r d man heute unruhig. Von Zeit zu Zeit beschäftigt sich die sog. „Öffentlichkeit" i n der Bundesrepublik, deren Organe das Gebiet der auswärtigen Politik offenbar noch für einen „vornehmeren" Gegenstand zu halten scheinen, als innenpolitische, beispielsweise kommunalpolitische Fragen, auch m i t auswärtiger Kulturpolitik. Dabei läßt sich eine auffällige Wellenbewegung des
Einleitung Interesses feststellen, die nicht einfach zu analysieren ist. A u f dem Kamm der Welle findet dann eine Bundestagsdebatte über unseren Gegenstand statt 1 , und man spricht viel von der „Stunde der auswärtigen K u l t u r politik". Die führenden Blätter und andere Massenmedien berichten dann farbig von unserer Kulturarbeit i n den verschiedenen Ländern der Erde, von ihren Erfolgen und Schwierigkeiten. Man greift dabei meist auch das Auswärtige A m t an, welches i n Ermangelung eines Bundeskultusministerium allein für die Arbeit geradezustehen hat, und dieses schweigt sich oft aus2. Für den Außenstehenden ist es freilich i n allen Ländern kaum möglich, zu erkennen, bis zu welchem Grad objektive Schwierigkeiten und Hindernisse besseren Leistungen i m Wege stehen, und wie weit technisches Versagen oder andere Unzulänglichkeiten der beteiligten Politiker und Funktionäre eine Rolle spielen. Nach einiger Zeit flaut das Interesse wieder ab, die praktische Arbeit auf dem Felde der auswärtigen Kulturbeziehungen geht weiter, undramatisch und sehr fleißig, m i t mehr oder weniger, niemals ausreichenden finanziellen M i t teln, m i t größeren und kleineren Handikaps belastet, ohne die Möglichkeit genügend langfristiger Planung. Nur von Zeit zu Zeit erreichen dann Meldungen und Kommentare über besondere Erfolge oder Mißerfolge das Bewußtsein der Öffentlichkeit, die darüber bald zur Tagesordnung übergeht. Man ist sich inzwischen i n allen Ländern klar darüber geworden, daß es nicht genügt, „ K u l t u r zu haben", sondern daß sie auch nach außen h i n präsentiert werden muß. Man hat der etwas romantischen und bequemen Vorstellung entsagt, daß sich das Gute schon von selbst durchsetzen werde. So gut wie alle größeren Nationen „organisieren" also offiziell ihre auswärtigen Kulturbeziehungen und machen dabei Fehler, die bemerkt und kritisiert werden. Ist ein Teil der K r i t i k nur allzu berechtigt, so übersehen doch viele gutgemeinte Appelle von Außenstehenden Entscheidendes: Sie ignorieren nämlich die Tatsache, daß die auswärtige K u l t u r p o l i t i k eines bestimmten Landes i n einer konkreten historischen Situation nicht isoliert, gewissermaßen i n der Retorte, revolutioniert und perfektioniert werden kann, sondern daß sie immer Teil und Ausdruck eines bestimmten gesellschaftlichen „Systems", der jeweiligen K u l t u r und Sozialstruktur, Macht- und Herrschaftsverhältnisse darstellt. Auch K u l t u r p o l i t i k i m Ausland ist also von einem Bedingungsrahmen abhängig, innerhalb dessen nur manövriert werden kann. Leuchtet es 1 W i r nennen die Bundestagsdebatten v o m 9. 5.1957, 23. 6.1960 u n d 11.12. 1963, auf deren sehr aufschlußreiche Protokolle w i r verweisen dürfen. Es scheint ein Dreijahresrhythmus zu walten, oder anders ausgedrückt: Jeder Bundestag behandelt einmal diese Fragen — vor ziemlich leeren Bänken. 2 Es ist daher sehr zu begrüßen, daß es 1965 erstmalig eine A r t Rechenschaftsbericht über die deutsche kulturelle Außenpolitik als besondere P u b l i kation herausbringen w i l l .
2 Emge
18
Einleitung
ohne weiteres ein, daß z. B. das Frankreich des „Roi Soleil" oder das Viktorianische England m i t ihrer damaligen kulturellen Ausstrahlungskraft für die auswärtige K u l t u r p o l i t i k Japans oder Italiens heute nicht als Modell herangezogen werden können, so gilt dies doch ebenfalls für die moderneren organisatorischen Apparaturen Frankreichs und Englands i n ihrer Totalität, selbst wenn einzelne Strukturelemente m i t Gewinn übernommen werden können. Auch ist immer zu berücksichtigen, daß die wichtigeren Entscheidungen hinsichtlich der uns umgebenden Realität i n Bereichen und Machtzentren gefällt werden, von denen z. B. die sog. schönen Künste, i m Unterschied etwa zum Italien des Cinquecento, sehr fern gerückt sind. Nur eine geduldige und systematische Erhellung der für auswärtige K u l t u r p o l i t i k entscheidenden Zusammenhänge, auch ein gewisses Experimentieren m i t modernen Formen und Techniken w i r d es den Interessierten innerhalb und außerhalb der organisatorischen Apparate ermöglichen, eine lediglich polemische K r i t i k von der sachlich berechtigten zu unterscheiden. Erstere zu reduzieren und letztere anzuregen sollen die folgenden Kapitel unserer Untersuchung ein wenig beitragen. Aus den Analysen praktische Konsequenzen, etwa für die kulturelle Außenpolitik der Bundesrepublik 3 zu ziehen, war hier nicht aufgegeben 4. Der Versuch, die Grundzüge auswärtiger K u l t u r p o l i t i k zu erhellen, w i r d gegenwärtig durch mehrere Wandlungen erschwert, die sich auf unserem Gebiet abspielen. So vollzieht sich auch die Kulturarbeit unter dem Schatten des großen Ost-West-Konflikts. So beansprucht i n den tendenziell ständig wachsenden Budgets für auswärtige Kulturarbeit bei den größeren europäischen und einigen weit genug entwickelten außereuropäischen Nationen die sog. „Bildungshilfe" einen zunehmenden Raum. Die Grenzen zur sog. „Öffentlichkeitsarbeit" verschwimmen angesichts der zunehmenden Bedeutung, die den Massenmedien zukommt. Und eine deutliche Tendenz ist auch die Verlagerung von Aktivitäten nationaler Stellen auf internationale Organisationen. Dies darf bereits einleitend registriert werden und w i r d weiter unten näher ausgeführt. W i r müssen diese Dinge i m Auge behalten, können aber nicht apodiktisch entscheiden, ob die herkömmliche nationale K u l t u r p o l i t i k i m Ausland als solche durch die Entwicklung völlig überholt ist, wie es oft den A n 8 Es läßt sich voraussehen, daß sich die auswärtige K u l t u r p o l i t i k der sowjetischen Zone Deutschlands weiterhin sehr entfalten w i r d . Sie w ü r d e damit dem Beispiel der Sowjetunion folgen, die i n den späten 20er Jahren, als sie u m diplomatische Anerkennung kämpfen mußte, auf k u l t u r e l l e m Gebiet höchst r ü h r i g w a r ; diese A k t i v i t ä t ist seit Stalins Tod wieder aufgenommen worden. 4 I n seinem Aufsatz: „Status u n d F u n k t i o n des Deutschen Kulturattaches", Politische Vierteljahresschrift 1963/3, hat der Verf. versucht, einige Anregungen zu geben. E i n Forschungsauftrag des Europarats weist i h n nochmals i n diese Richtung.
Einleitung schein hat und — am dezidiertesten wohl von Hellmut Becker* — auch ausgesprochen worden ist. Es gehört zu den am schwierigsten zu beantwortenden Fragen, wann ein soziales Phänomen seine Funktion einbüßt und verschwindet, da es oft i n veränderter Form fortexistiert. Man kann aber immerhin feststellen, ob die institutionelle Gestalt auf der Höhe der Zeit ist, was freilich ein Urteil lediglich i m Hinblick auf die Angepaßtheit der M i t t e l erlaubt. So gibt es beispielsweise Planungen und Sozialorganisationen, welche sich m i t Nutzen der bereits bekannten Möglichkeiten der „Rückkoppelung", der Neuanpassung bedienen und andere, welche starr oder schwerfällig bleiben. Während i m Seelischen und einigen kulturellen Bereichen für die Fremdsteuerung dort Grenzen liegen, wo die als konstitutiv empfundene Substanz angegriffen w i r d (für welche dann das „sint, ut sunt, aut non sint" gelten muß), so gibt i m Technischen der zweckrationale, maximale Erfolg auf dem gewünschten Sektor den Ausschlag. Hier klingt eine Problematik für unser ganzes Thema an, bei dem es i n verschiedener Beziehung um ein „Optimum" und nicht u m ein „ M a x i m u m " gehen muß. U m Dysfunktionen i m technischen wie auch i m tieferen Sinne zu vermeiden, brauchen die Führungsspitzen freilich eine gewisse Distanz und Ruhe zur Überlegung und dürfen nicht vom ruhigeren Nachdenken und Planen durch ein übermäßiges Arbeitspensum i n der bürokratischen „Drecklinie" abgehalten werden. Dies gilt für unser Arbeitsgebiet wie für viele andere. Der Gedanke, daß sich das Scherzwort von der gelungenen Operation und dem gestorbenen Patienten auch auf weite Gebiete des politischen und staatlichen Lebens anwenden läßt, drängt sich gelegentlich auf. Bei der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k haben die Operationen gerade erst begonnen.
5
2*
Vgl. H e l l m u t Becker: Außenpolitik u n d K u l t u r p o l i t i k , M e r k u r 10/1961.
Erstes Kapitel
Zu unseren Begriffen 1. Der Kulturbegriff Das Wort „ K u l t u r p o l i t i k " hat, zumal für den gebildeten Leser, einen unangenehmen Klang. Denn einmal sind beide Bestandteile i n ihrer semantischen Bedeutung ungemein schillernd und durch übermäßigen Gebrauch und Mißbrauch i n Verruf gekommen, zum anderen w i l l es gerade dem i n humanistischer Tradition stehenden Leser scheinen, als ob man da zwei Begriffe aneinander gekettet habe, deren Inhalte eigentlich besonders weit voneinander getrennt gehörten. W i r können uns nun schwerlich an die Fülle der vorhandenen Probleme und Formen auswärtiger „ K u l t u r p o l i t i k " heranwagen, bevor w i r nicht wenigstens einen Versuch gemacht haben, uns über die Begriffe „ K u l t u r " und „ P o l i t i k " für unsere Zwecke etwas Rechenschaft zu geben, wobei w i r anschließend auch das Epitheton „auswärtig" betrachten müssen. Daß dabei eine auch nur einigermaßen befriedigende Begriffsklärung derartig komplexer Begriffe erfolgt, w i r d i m Zusammenhang m i t dem aufgegebenen Thema niemand füglich erwarten. Aber daß man kundtut, wo für unseren Gegenstand die Problematik liegt, zumindest, wo der Verfasser sie sieht, ist m i t Recht zu erwarten. Daß sich die praktische K u l t u r p o l i t i k innen- und außenpolitisch nur allzuoft ohne solche vorherige Besinnung i n medias res stürzt oder von den Forderungen des Tages dahintreiben läßt, hat bereits manchen Schaden angerichtet; zumindest aber hat es dazu beigetragen, daß sowohl materielle wie personelle Kräfte recht unökonomisch und ohne den gewünschten Erfolg, ja stellenweise m i t geradezu entgegengesetztem Effekt erschöpft wurden und weiterhin verbraucht werden. Dem Begriff K u l t u r 1 kommt bekanntlich i n der Gegenwart keine eindeutige Bedeutung mehr zu, sondern w i r sehen uns einer fast beklemmenden Fülle von Bedeutungen gegenüber. Versuchen w i r dennoch einige Hinweise zu geben: K u l t u r , aus lat. cultura (agri), u m 1700 i n Gebrauch kommend, bedeutet ursprünglich die Urbarmachung des Bodens, den Anbau und die 1 Vgl. zum folgenden Begrifflichen: Rudolf Eisler , Wörterbuch der Philosophischen Begriffe, 4. Aufl., B e r l i n 1927, Bd. 1, S. 881 ff.
1. Der Kulturbegriff
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Pflege von Nahrungspflanzen. Daraus entwickelt sich dann der allgemeinere funktionelle Begriff der Formung, Gestaltung eines physischen oder geistigen Materials zu etwas, was nicht von selbst oder jedenfalls nicht i n solcher Weise von selbst entstanden wäre. K u l t u r t r i t t damit also i n Gegensatz zu den Gebilden der Natur, die der Mensch sich unterwirft und die er „kultiviert", indem er ihre Naturform i n eine K u l t u r f o r m überführt. K u l t u r erhält so den Sinn der Vervollkommnung, Veredelung, wobei der terminus ad quem selbstverständlich jeweils von der A r t menschlicher Wertungen und Ziele abhängig ist. Indem der Mensch nun i m Laufe seiner Entwicklung sich selbst oder seinesgleichen immer stärker objektiviert, genauer betrachtet und k r i tisch beschreibt, später analysiert, schafft er zunehmend Möglichkeiten für den gleichen Prozeß bei sich selbst, wobei er seine Anlagen i n gewünschter Richtung, vor allem durch Erziehung, entfaltet und damit das ausbildet, was man heute i n der soziologischen Literatur seine „soziokulturelle Persönlichkeit" nennt. Er kultiviert sich selbst oder andere m i t der mehr oder weniger bewußten Intentio, je nach Auffassung sittliche, künstlerische und geistige personale Kräfte auszubilden, sogar m i t der ausdrücklichen Zielsetzung, aus sich selbst oder anderen „kultivierte" Menschen zu machen 2 . Bei diesem besonders i n der Aufklärungszeit allgemeiner bewußt werdenden, ja forcierten Prozeß geht es i m Abendland letztlich u m die Verwirklichung von dem, was man unter Christentum, Humanitätswerten, einer spezifischen Menschheitsidee zu verstehen glaubt. K u l t u r w i r d somit i n Beziehung zu einzelnen Menschengruppen, dann darüber hinaus zu der ganzen Menschheit gesetzt, selbstverständlich ausgehend von der eigenen spezifischen K u l t u r . Noch heute fassen ja nicht nur so gut wie alle Angehörigen der westlichen Zivilisation, sondern auch die meisten ihrer führenden Vertreter die weltweite Kulturentwicklung ganz unbefangen so auf, als ob praktisch alle fremden Kulturen der eigenen abendländischen eingeschmolzen werden müßten und sollten; und i n dieser Ansicht werden sie natürlich dadurch bestärkt, daß die sogenannten Entwicklungsvölker, teilweise m i t alter, autochthoner, sehr hochstehender K u l t u r , technische und soziale Notwendigkeiten erkennend und also jene Ziele gleichsam als verbindlich anerkennend, sich u m eine möglichst schnelle derartige Adaptation bemühen. Die abendländische K u l t u r fand sich so i m Verlaufe der historischen Entwicklung realiter als „Maß aller Dinge". 2 Schon Cicero soll von einer seelischen u n d Geisteskultur (cultura animi) gesprochen haben (vgl. Schmidt-Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart 1961, S. 322).
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.Kap.: Zu unseren Begriffen a) Der umfassendere Kulturbegriff
Der umfassendere Kulturbegriff hat sich heute i n der sozialwissenschaftlichen Literatur durchgesetzt. Er beruht ursprünglich auf einem Begriff der Anthropologie, die verschiedene menschliche Kulturen unterscheidet, sie nacheinander oder nebeneinander setzt, jedenfalls als Totalitäten untersucht und vergleicht. Von der Bewertungsfrage w i r d dabei zunächst abgesehen und wenn man noch von „Primitivkulturen" oder „höheren Kulturen" spricht, so sind solche Termini eigentlich veraltet und sollen nur besagen, daß die betreffenden gesellschaftlichen Großgebilde weniger oder mehr entwickelt, differenziert (Herbert Spencer) sind, unserer abendländischen industriellen Gesellschaft m i t ihrer größeren Bevölkerungsballung, stärkeren Arbeitsteilung, ihren komplexeren politischen Formen, ihrer fortgeschrittenen Wissenschaft, Technik und Rationalisierung näher- oder fernerstehen. Eine werterfüllte Betrachtung scheint dann nicht mehr tragbar und unfair, schließt sie doch vom Verständnis aus; denn da fremde Kulturen auf anderen Voraussetzungen beruhen, ist der abendländische Normbegriff der K u l t u r hier nicht einfach anzuwenden. So gelingt bezeichnenderweise ja auch nicht überall das bei uns noch relativ einfach erscheinende Herauspräparieren der Diltheyschen „Kultursysteme", also beispielweise von Religion und Kunst, da sie viel zu intensiv m i t der gesamtgesellschaftlichen Totalität verwoben sind. Es ist daher kein Zufall, daß die sogenannte funktionalistische Schule 3 , die m i t Recht die große Bedeutung der Funktion einer wiederkehrenden A k t i v i t ä t für das gesamte soziale Leben betont und damit auf den älteren Lehren von Emile Dürkheim aufbaut, von dem Studium gerade der primitiven Kulturen angeregt wurde. Dieser umfassende Kulturbegriff w i r d heute also überwiegend und auch seitens der soziologischen Fachwissenschaft vertreten. Demnach „kann also der soziologische Kulturbegriff einzig so gefaßt werden, daß K u l t u r als inhärenter Bestandteil des sozialen Geschehens angesehen w i r d " 4 . K u l t u r ist nach einer anderen, der Intention nach konvergierenden Formulierung „der umfassende Zusammenhang menschlichen Verhaltens 5 " oder, wie Clyde Kluckhohn es ausdrückte: „die gesamte Lebensweise eines Volkes, das soziale Vermächtnis, welches das Individuum von seiner Gruppe ü b e r n i m m t . . . dieser technische Ausdruck hat einen umfassenderen Sinn als die ,Kultur* der Geschichte und Literatur. 3 A. R. Radcliffe-Brown, Bronislaw Malinowski, Clyde Kluckhohn, T. Parssons, R. K . Merton, G. C. Homans, u m n u r einige der bekannten, i m angelsächsischen K u l t u r r a u m wirkenden oder gewirkt habenden Gelehrten zu nennen. 4 René König (Hrsg.), Soziologie, F r a n k f u r t 1958, S. 153. 5 Bronislaw Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der K u l t u r , Zürich 1949, S. 47.
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Ein bescheidener Kochtopf ist ebenso ein Kulturprodukt wie eine Beethoven-Sonate 8 ." Hier ist i m letzten Satz bewußt provozierend formuliert, was schon Werner Sombart meinte, wenn es unter K u l t u r „alles Menschenwerk" verstand. K u l t u r w i r d damit dann auch zur jeweiligen Lebensform schlechthin: der des Abendländers, spezieller der des Amerikaners oder Franzosen, der des Chinesen, afrikanischen Buschmannes, nordamerikanischen Eskimos usw. Sie ist die Totalität der spezifischen Arten und Weisen, i n welchen ihre Angehörigen jeweils ihre Bedürfnisse nach Nahrung, Obdach, Sicherheit, Paarung, Fortpflanzung usw. erfüllen, welche Kulturprozesse sich daran bekunden und was sie daraus an Institutionen entwickeln. Es ist dies ein klarer, sauberer Kulturbegriff, der zudem den Vorteil hat, i n der internationalen Diskussion keine unnötigen terminologischen Schwierigkeiten heraufzubeschwören. Daß eine Ansicht heute herrscht, sich durchgesetzt hat, und daß andere Auffassungen als „überholt" gelten, besagt an sich noch nichts über ihre Richtigkeit oder Brauchbarkeit, da auch i n der Wissenschaft von einem glatten linearen Fortschritt nicht die Rede sein kann, und viele Umwege gemacht werden. Es beweist zunächst lediglich eine aktuelle wissenschaftliche „Mode". Aber geistesgeschichtlich w i r d man verstehen müssen, wenn heute gerade i m deutschen wissenschaftlichen Schrifttum nicht ohne eine gewisse Gereiztheit der umfassende Charakter des K u l t u r begriffs betont wird, der z. B. der angelsächsischen Literatur seit langem selbstverständlich ist. A l l z u lange und zuletzt m i t einer gewissen Manieriertheit hat man bei uns einen romantischen Kulturbegriff gewissermaßen als Kampfzeichen gegen eine sogenannte Zivilisation hochgehalten, von der man sich zu distanzieren wünschte. „Die Bedeutung der Ununterscheidbarkeit" ist jedenfalls, wie C. A. Emge feststellt, „gegenüber einer billigen Trennung antithetisch nötig" 7 . Materielle und immaterielle K u l t u r , tradierte Artefakte, Verhaltensweisen und Institutionen müssen dabei gleichermaßen i n den Blick kommen. b) Der engere Kulturbegriff Die Ablehnung des Zivilisatorischen geht geistesgeschichtlich bekanntlich vor allem auf Rousseau zurück. Romantik und Historismus hatten dann angesichts einer immer technischer werdenden und offenbar zunehmend vom ökonomischen her bestimmten Welt auf die Bedeutung des „organisch Gewachsenen", „Innerlichen", „Echten", dem eigenen Volke „Gemäßen" hingewiesen und damit etwas zu erfassen versucht, was beispielsweise auch bei der berühmten Unterscheidung von Ferdinand 8
Clyde Kluckhohn, Spiegel der Menschheit, Zürich 1951, S. 31. „Die Frage nach einem neuen Kulturbegriff", Abhandl. der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1963, S. 4. 7
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.Kap.: Zu unseren Begriffen
Tönnies zwischen „Gemeinschaft" und „Gesellschaft" 8 m i t den ihnen jeweils zugeordneten „ K ü r " - und „Wesenswillen" eine Rolle spielt. So lag es nicht fern, auch innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Seins zu unterscheiden zwischen einer „echten", je nachdem ursprünglichen oder höheren, jedenfalls m i t einem besonderen Wertakzent versehenen „ K u l t u r " und einer bloßen „Zivilisation", d. h. also einem Bereich des Äußerlichen, Technischen, Materiellen, demgegenüber man die „höheren" Werte der ersteren zu bewahren habe. Ähnliches klingt auch i n Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen" (Berlin 1918) überall an, insbesondere bei seinem Begriff des „Zivilisationsliteraten". Mag diese Unterscheidung einmal ein heuristisch fruchtbarer Gesichtspunkt gewesen sein, so transponierte man sie doch laufend derart i n die Realität, daß diese dadurch begrifflich simplifiziert erscheinen mußte. Immer wieder brach gerade hier die bekannte Neigung der Theoretiker zum Begriffsrealismus durch, ihre Neigung, die Wirklichkeit erkenntnismäßig nach ihrer jeweiligen Theorie zu modeln. Ein Höhepunkt dieser Tendenz war z. B. auch das bekannte Werk von Oswald Spengler 9, w o r i n er die Zivilisation als eine regelmäßige entartete Spätform ursprünglich bedeutsam gewesener Kulturen auffaßte. Wenn die Antithese Kultur-Zivilisation dem Sozialwissenschaftler bei der Betrachtung eines gesellschaftlichen Gebildes freilich leicht einen Bärendienst leistet, so ist sie doch wissenssoziologisch von Interesse. Sehen w i r , daß die Heimat und das Hauptwirkungsgebiet dieses berühmten Begriffsdualismus Deutschland ist, so w i r d man vielleicht sagen dürfen, daß auch hier das Wort von Anatole France gilt: „Les grands mots mènent toujours aux grands maux." Denn eine romantisierende Kulturbetrachtung — von Rousseau bis zur Jugendbewegung — hat m i t dazu beigetragen, daß gewissenlose Akteure auf der politischen Bühne i n unserer jüngeren Vergangenheit, die diese romantischen Vorstellungen ausnutzten, leichtes Spiel hatten. Zum anderen w i r d man aber auch folgendes untersuchen können: Geschah diese Abkapselung einer sogenannten höheren kulturellen Sphäre von dem angeblich minderwertigeren zivilisatorischen Sektor bei uns vielleicht gerade deshalb, w e i l sich diejenigen Kreise, welche sich als besondere Kulturträger empfanden, materiell und sozial benachteiligt oder jedenfalls nicht genügend berücksichtigt fühlten und nun gewissermaßen i n ein „inneres Reich" flüchteten (wie man es ja auch bei gewissen religiösen Phänomenen beobachten kann)? Bei der Untersuchung dieser Frage müssen w i r auf jede Apodiktik verzichten und gründlichere, möglichst untendenziöse Untersuchungen abwarten 10 . 8
Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft u n d Gesellschaft, 1. Aufl., 1887. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, München 1920—22. Sie hätten über die materielle Stellung der deutschen Intellektuellen i m 18. u n d 19. Jahrhundert Rechenschaft abzulegen. Dabei wäre einerseits an die 9
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Drittens könnte man fragen: Haben sich vielleicht die unter dem Begriff „Zivilisation" subsumierten Phänomene i m deutschen K u l t u r r a u m den Geistigen i n penetranter A r t früher bekundet, als anderenorts? Man denke i n diesem Zusammenhang etwa an den wissenschaftlich gesehen freilich reichlich ideologischen W. H. Riehl, an die passim bei Nietzsche und Jacob Burckhardt verstreuten Bemerkungen, die beide eine feine Witterung für die Gefahren besaßen, welche schon damals infolge der Industrialisierung, Kommerzialisierung und Technisierung i m deutschsprachigen Kulturbereich auftauchten. „Ihre schärfste Überspitzung hat diese Herausarbeitung eines K u l t u r Zivilisations-Gegensatzes", wie W. Hellpach feststellte 11 , freilich „erst i m letzten Menschenalter erfahren, i n welchem raffinierte, vordem kaum geahnte Steigerungen der materiellen und technischen Lebensseite m i t einem geistig zerrütteten Zustande einhergingen, den man Kulturkrise nannte". Wie die Hegeische Eule der Minerva erst i n der Dämmerung ihren Flug beginnt, so mehrten sich jetzt die Schriften, die sich m i t den früher als selbstverständlich empfundenen Kulturphänomenen befassen. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die letztlich unfruchtbare Trennung eines kulturellen „Sektors" von einem rein zivilisatorischen i m Ausland nicht annähernd so häufig anzutreffen ist. I n der französischen Geistestradition gilt „la civilisation" als der Inbegriff der m i t unserem engeren Kulturbegriff verbundenen versittlichenden und veredelnden Wirkung, ist aber gleichzeitig gerade durch den technischen Fortschritt geprägt. Der „civilisé" Montesquieus und Voltaires ist der Prototyp unseres „ K u l tivierten", aber m i t einem stärkeren Akzent auf der Ratio, als dieser. Eher w i r d i n Frankreich gerade „culture" i m Sinne unserer sogenannten Zivilisation gebraucht. Und auch in der angelsächsischen Welt herrscht, wie bereits gesagt, die Identitätsauffassung generell. W i r können es uns ersparen, nach besonders simplen Beispielen für die „Kultur"-Schwärmerei zu suchen, u m diese dann zu ironisieren. Man sollte fairerweise und i m Interesse der Diskussion für jede These ihre besten Vertreter zu Wort kommen lassen, und so begegnen wir, indem w i r nach höchstqualifizierten Verteidigern eines engeren, spezifischen Kulturbegriffes Ausschau halten, u. a. zwei berühmten deutschen Soziovon den Inhabern oft als entwürdigend empfundenen Positionen als Haushofmeister, Erzieher „ a m Gesindetisch", Bibliothekare, Reisebegleiter zu denken, andererseits aber auch an die gesellschaftlich bedeutenden Rollen eines Leibniz , Pufendorf, Wolf, Goethe u n d anderer als Gegenbeispiele. Denn vielen sehr kümmerlichen materiellen Existenzformen stehen durchaus großzügigere gegenüber, beispielsweise auch von Professoren, die ursprünglich aus dem kleinen Bürgertum stammten, m a n denke an Kant, Fichte oder Arndt Autobiographisches u n d Korrespondenzen können hier noch manche Aufschlüsse geben. 11 W. Hellpach, Einführung i n die Völkerpsychologie, 2. Aufl., Stuttgart 1944, S. 110.
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logen: Georg Simmel und Alfred Weber. A u f ihre Grundkonzeptionen soll, wenn auch notwendigerweise i n stark vereinfachender Form, hier eingegangen werden, zumal sie nicht nur an dieser Stelle, sondern auch für unser weiteres Thema i n mehrfachem Zusammenhang relevant sind. c) Georg Simmel Der bezeichnenderweise erst auf dem Umweg über die amerikanische Wissenschaft i n seinem Heimatland seit kurzem wieder besser gewürdigte bedeutende Vertreter der deutschen Gründergeneration einer Soziologie als Wissenschaft hat zum Thema der K u l t u r mehrfach und ausführlich Stellung genommen 12 . Er arbeitet dabei gemäß seiner wissenschaftlichen Stellung auf der Grenze zwischen Philosophie und Gesellschaftswissenschaft einen spezifischen Kulturbegriff heraus, und zwar versteht er darunter „diejenige A r t der individuellen Vollendung 1 8 , die sich nur durch die Aufnahme oder Benutzung eines überpersönlichen, i n irgendeinem Sinne außerhalb des Subjektes gelegenen Gebildes vollziehen kann 1 4 ". Kultiviertheit haben w i r also noch nicht i n den Fällen, wo der einzelne lediglich dieses oder jenes Spezialwissen oder -können i n sich ausbildet, sondern nach Simmel nur dort, wo er seinen Weg über „objektivierte Kulturgebilde" nimmt und diese sich innerlich zu eigen macht; Objektivierungen aus dem Bereich von Wissenschaft und Religion beispielsweise, die so gewissermaßen „Stationen" auf dem Wege darstellen, sich die Werte einer K u l t u r zugänglich zu machen. Dabei vollzieht sich dann ein „Objektivwerden des Subjekts und ein Subjektivwerden eines Objektiven", w o r i n für Simmel das Spezifische des K u l t u r prozesses liegt. Unter solchen objektivierten Kulturgebilden versteht Simmel dabei also verschiedene „Erzeugnisse des Geistes, die fortexistieren, unabhängig von ihren Schöpfern", von der ihnen gewordenen A b lehnung oder Zustimmung. Außer den bereits genannten Sphären Wissenschaft und Religion nennt er u. a. die Bereiche von Kunst, Recht, Technik und Sitte. Diesen geistigen Realitäten billigt Simmel aber den Rang von K u l t u r werten nur dann zu, wenn sie jenen Weg der individuellen Psyche durch sich hindurchleiten. Denn es gebe große Hindernisse für den K u l t i v i e rungsprozeß. So sei oft bei Menschen, die nur auf das Subjekt oder Objekt gerichtet wären, „eine scheinbar merkwürdige Gleichgültigkeit, ja eine Aversion gegen die K u l t u r anzutreffen. Das Extrem des ersten Typus ist der Säulenheilige, des anderen, der i m Fachfanatismus ein12 Vgl. vor allem Georg Simmel, Philosophische K u l t u r , Gesammelte Essays, Leipzig 1911, S. 245 ff. 18 Auch von Simmel natürlich als eine n u r i m Unendlichen liegende A u f gabe verstanden. 14 1. c., S. 256.
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geschlossene Spezialist 15 ." Und er fährt fort: „Es hat auf den ersten Blick etwas Frappierendes, daß die Träger solcher unzweifelhaften „ K u l turwerte", wie Religiosität, Persönlichkeitsausbildung, Techniken jeder A r t den Begriff der K u l t u r verachten, ja bekämpfen sollen. Dies k l ä r t sich aber sogleich durch die Einsicht, daß K u l t u r eben immer nur die Synthese einer subjektiven Entwicklung und eines objektiven geistigen Wertes bedeutet und daß die Vertretung je eines dieser Elemente i m Maße ihrer Exklusivität die Verwebung beider perhorreszieren muß 1 6 ." Damit ist die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Sachbedeutung und Kulturbedeutung ausgesprochen, was auch für viele Zweige auswärtiger K u l t u r p o l i t i k als ein guter Gesichtspunkt gelten kann. Nicht alle werden Simmel freilich bei dem ja nicht von i h m stammenden philosophischen Gedanken folgen wollen, daß der objektive Geist seine eigene Logik verfolge 17 . Dieses werde erleichtert durch die Isolierung der Objekte von dem schaffenden Subjekt infolge der Arbeitsteilung. Und Simmel sieht demgemäß i n dem „Fetischcharakter", welchen Marx den wirtschaftlichen Objekten i n der Epoche der Warenproduktion zuspricht, nur einen F a l l dieses allgemeinen Schicksals unserer K u l t u r inhalte: Ihre „immanente Entwicklungslogik" entfremde sie oft ihrem Ursprung und Zweck. Dies sei der „verhängnisvolle innere Zwangstrieb aller Technik 1 8 ". So kommt Simmel dann auch zu seiner spezifischen Auffassung von unserer abendländischen Spätkultur: Der ins Unübersehbare wachsende Vorrat des „objektivierten Geistes" umgibt den modernen Menschen, und dieser kann sich der Unzahl von Kulturelementen nicht entziehen, die für i h n nicht bedeutungslos, aber i m tiefsten Grunde auch nicht bedeutungsvoll sind. Ihre Masse w i r k e erdrückend. Und Simmel verwendet zur Kennzeichnung unseres modernen abendländischen Menschen die Umkehrung eines Wortes, das die ersten Franziskaner i n ihrer seligen A r m u t bezeichnete: A n die Stelle des „ N i h i l habentes, omnia possidentes" dieser Patres sei bei den Menschen reicher und überladener Kulturen das „Omnia habentes, n i h i l possidentes" getreten. Darin sieht er die wahre Tragödie der K u l t u r . So sympathisch auch Simmeis Kulturbegriff berührt, so klar ist doch andererseits, daß es sich hier u m einen philosophischen Begriff handelt, 15
1. c., S. 260. ibidem. Simmel ist noch vorsichtig u n d übt „Epoche", w e n n er zitiert „ u n d was er webt, das weiß k e i n Weber". Aber w i r begeben uns h i e r m i t doch bereits i n die Nachfolge Hegels u n d auch i n eine gewisse Nähe v o n Spenglers „ K u l t u r seele" u n d dem „Paideuma" v o n Frobenius. Wissenschaftlich wäre zu fragen, w o hier verschiedene, noch nicht genügend aufgeklärte soziologische u n d sozialpsychologische Regelmäßigkeiten a m Werke sind: z. B. Erstarrungs- u n d Bürokratisierungstendenzen, die „Heterogonie der Zwecke" (Wundt), I r r a d i a tionsphänomene (Carpenter-Effekt) u n d Gruppenegoismen. 18 1. c., S. 270. 16 17
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der, genial gebildet, nur einen kleinen Teil der Phänomene erfaßt, die man soziologisch als Enkulturation bezeichnet. Wollten w i r i h m ganz folgen, so müßten w i r beispielsweise schon eine Figur wie Fontanes „Stechlin" i n unserem Bereich sehr zurücksetzen. Von dem Durchschnittspublikum kultureller Veranstaltungen ganz zu schweigen. d) Alfred Weber Der Kulturbegriff Alfred Webers — etwa gleichzeitig konzipiert 1 9 — ist von ganz anderer A r t . Die historisch-soziologische Totalität w i r d von i h m für die Analyse in drei Seinsschichten (manchmal spricht er auch von Prozessen oder Bewegungen) sozusagen „operativ" auseinandergenommen, wobei er sich jedoch klar darüber bleibt, daß es sich i n Wirklichkeit u m untrennbare Teile einer Einheit handelt. Hierbei glaubt Alfred Weber nun, neben der jeweiligen „Gesellschaftsstruktur" und zweitens dem stetig fortschreitenden „Zivilisationsprozeß", worunter er den technischen Fortschrittsprozeß versteht, drittens eine eigentümliche Sphäre der K u l t u r oder Kulturbewegung finden und auch herausstellen zu können. Was versteht er darunter? Zunächst — prononciert gegen K a r l Marx formuliert, m i t dem sich Alfred Weber ebenso wie sein älterer Bruder Max Weber sein Leben hindurch auseinandersetzte — ist K u l t u r für ihn „niemals Überbau einer Gesellschaft oder was sonst, sondern deren von innen vor sich gehende Formung 2 0 ". Für die Kultursphäre sind die beiden anderen Bereiche der Wirklichkeit, also Gesellschaftsstruktur und Zivilisationsprozeß, vielmehr die Substanz, der Stoff, m i t dem sie sich seelisch auseinandersetzen muß, den sie zu verarbeiten hat. „Daraus folgt der Begriff der K u l t u r als der jeweiligen Ausdrucks- und Erlösungsform des Seelischen i n der materiell und geistig gebotenen Daseinssubstanz 21 ." So entsteht jeweils eine andere A r t von Kulturphysiognomie, Ergebnis der „seelischen Entelechie", die sich nach allen Richtungen h i n ausprägt. „Wieweit sich dabei das, was man heute die Einzelgebiete der K u l t u r nennt, auseinanderfaltet und gewissermaßen verselbständigt, hängt vom Charakter der Zeit, des geschichtlichen Orts ab 22 ." Wichtig ist i h m jedoch, der Tatsache eingedenk zu bleiben, daß alle Kultur-Emanationen schöpferisch sind, 19 Seinen Kulturbegriff hat A l f r e d Weber bereits i n seinen Vorlesungen vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt u n d 1912 auf dem 2. Deutschen Soziologentag vorgetragen. Die theoretischen Grundlagen seines Werkes finden sich systematisch dargestellt 1912 i m Archiv f ü r Sozialwissenschaft u n d Sozialp o l i t i k (Bd. 47) u n d i n seinem Beitrag „Kultursoziologie" i n A l f r e d Vierkandt (Hrsg.): Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931. Die „Prinzipien der Geschichts- u n d Kultursoziologie", München 1951, brachten dann eine letztmalige Zusammenfassung. 20 Prinzipien, S. 29. 21 a. a. O., S. 74. 22 I n seinem Beitrag i n Vierkandts Handwörterbuch, a. a. O., S. 289.
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etwas Einmaliges darstellen, i m Unterschied zu den zivilisatorischen Dingen, die allgemeingültig und übertragbar sind, und die er vor allem i n den sogenannten Entdeckungen verkörpert sieht. Während sich i m Zivilisationsprozeß daher eine stufenweise Entwicklung nachweisen läßt, gibt es i m kulturellen Bereich derartiges nicht. Vielmehr wechseln Perioden größerer oder kleinerer Produktivität mit solchen der Unproduktivität, des Stillstandes und Verfalls ab. Ist für Alfred Weber also die Kultursphäre der Bereich des Schöpferischen, des Hervorbrechens eines Irrationalen, so stößt die kultursoziologische Analyse hier, wie er selber sieht, an die Grenzen wissenschaftlicher Erhellung, jenseits derer das beginnt, was er dann — nunmehr philosophisch konzipierend — „immanente Transzendenz" nennt: „Es ist ein hinzunehmendes Faktum immanenter Transzendenz, daß das seelisch-geistige Wollen gleichsam durch uns hindurch auf die gegebene Lebenssubstanz und deren von uns selbst gewandelte Gestaltungsbildungen w i r k t , spontan, unzerstörbar, m i t der Tendenz, das, was w i r erhaben, heilig, vollendet nennen, hinzustellen 23 ." Sonst wäre es nach Alfred Weber auch nicht „verständlich, wieso ein Konsensus zwischen den Menschen besteht über das, was erhaben, schön, heilig usf. i s t . . . ein Konsensus . . . ohne den kein Historiker von der Größe eines Menschen, eines Werkes, einer Zeit, eines anderen Geschichtsgebietes zu uns sprechen, kein Kunst- oder Literaturhistoriker ein fremdes Kunstwerk seinen Hörern zu interpretieren vermöchte, kein Religions- oder Philosophiehistoriker die Erhabenheit einer fremden Ideen- oder Glaubenswelt zu vermitteln imstande wäre 2 4 ." W i r sehen also, daß K u l t u r für Alfred Weber keineswegs die soziale Totalität umfaßt, sondern etwas ganz Spezifisches darstellt: Nämlich den seelisch-geistigen Gehalt, die von innen herauswirkende Formung, ausgeprägt dann als Stileinheit. Das erinnert stark an die berühmte Formulierung Nietzsches von der K u l t u r als der „Einheit des künstlerischen Stiles i n allen Lebensäußerungen eines Volkes." I n der Tat hat Friedrich Nietzsche, ebenso wie Henri Bergson m i t seiner Konzeption des „élan vital", Alfred Weber stark beeinflußt. Bei aller Dignität, die Alfred Weber der kulturellen Sphäre zubilligt, ja gerade deshalb bleibt sie für die wissenschaftliche Analyse also doch gewissermaßen eine Residualkategorie des Unerklärbaren, ein Reservat des Transzendenten, aus dem das Kulturelle, wenn es i h m gefällt, wie ein deus ex machina hervorbricht. Ein Bereich, den die Wissenschaft vielleicht besser als unerklärbar agnostizistisch ausklammern sollte, eine Sphäre, die an diejenige der „Mütter" bei Goethe erinnert. Damit sind 23 A l f r e d Weber, Kulturgeschichte als Kultursoziologie, 2. Aufl., München 1950 (Paperback), S. 28. 24 Vierkandts Handwörterbuch, S. 290.
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w i r , wie schon gesagt, an die Grenzen soziologischer Forschung gelangt, ähnlich wie es der Psychologie ihrerseits einmal gegenüber dem Phänomen des Genialen erging. Kann eine derartige Konzeption bei bedeutenden, m i t umfassender Bildung ausgestatteten Gelehrten wie Alfred Weber als ein Zeichen geziemender Ehrfurcht vor dem Unerklärbaren gewertet werden, so ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß sich Schüler, Epigonen die Sache allzu leicht machen, und alles, was ihnen unerklärlich auf k u l t u rellem Gebiet erscheint, dann einfach dem Walten jener Kultursphäre zuschreiben, die unberechenbar, wie ein vulkanischer Untergrund, mal hier, mal dort aufbricht 25 . So daß sich dann auch Resignation breitmachen muß, wenn sich die Spontaneität der schöpferischen Leistung nicht einstellen w i l l . Gewiß läßt sich diese nicht „kommandieren", aber es gibt doch für sie bestimmte Rahmenbedingungen, die man schaffen oder zerstören kann. Uns w i l l scheinen, als habe Alfred Weber, Agnostiker, der er war, hier auch einen gewissen Ersatz für das Religiöse gesucht. So kann der spezifische Kulturbegriff unseres Heidelberger Lehrers für die vorliegende Arbeit anregen, aber nicht zugrunde gelegt werden. Es erschien aber doch richtig, ihn hier zu behandeln, zumal er repräsentativ für das steht, was ein größerer Kreis i n Deutschland, w o h l auch noch unter dem Einfluß der Romantik, unter K u l t u r versteht. Und man w i r d daraus für unser größeres Thema immerhin die Lehre vorwegnehmen können, daß nicht alles „manipulierbar" ist, was auch alle diejenigen bedenken sollten, die an unsere auswärtige K u l t u r p o l i t i k allzu große A n forderungen stellen. Dessen sollten nicht zuletzt auch die „Funktionäre" auswärtiger K u l t u r p o l i t i k selbst eingedenk bleiben. Für die wissenschaftliche Erhellung kultureller Phänomene, insbesondere auch für die Kunstsoziologie, muß aber die Forderung lauten, die vielfältigen Kausalzusammenhänge i n mühevoller Kleinarbeit weiter aufzuhellen. So bei der Beantwortung der Fragen: Unter welchen Bedingungen blühen Künste und Wissenschaften? Wann gedeihen jeweils Naturwissenschaften, Philosophie, Bildende Künste, Musik, Literatur usw.? Gibt es doch viele Faktoren, die recht banal, z.B. kraß materialistisch erscheinen, 25 M a n hat ähnlich auch lange Zeit m i t „unerklärbaren" menschlichen Trieben gearbeitet, w o m i t wenig erreicht war. Der Terminus ist inzwischen so i n Mißkredit geraten, daß m a n gelegentlich schon das K i n d m i t dem Bade ausschüttet u n d alles menschliche Verhalten als umweltbedingt erklären möchte. Dem ist entgegenzuhalten, daß wahrscheinlich beim Menschen w i e beim Tier Elemente von Verhaltensweisen i n Genen fest veranlagt sind. A u d i technisch ausgebrütete K ü k e n zeigen vor dem artiflziellen F l u g b i l d eines Raubvogels Angst- u n d Fluchtsymptome. M a n n i m m t heute an, daß die sogenannten „großen" Triebe aus zahlreichen „kleinen" Trieben verhaltensgenetisch zusammengesetzt sind.
1. Der Kulturbegriff
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von denen aber die schöpferische Leistung nicht zuletzt doch auch abhängt. Hier stellen sich der Wissenschaft noch viele Aufgaben. e) Die Problematik
kultureller
Wertungen
Aus den Darstellungen der Kulturbegriffe bei Georg Simmel und Alfred Weber dürfte jedenfalls deutlich geworden sein, wie problematisch bereits die Abgrenzung des Kulturellen ist, was uns zu äußerster Vorsicht mahnen muß, wenn es u m Bewertungen kultureller Phänomene geht. Hier wurde und w i r d fremden K u l t u r e n und ihren einzelnen Objektivationen häufig bitter unrecht getan. Nicht nur die ältere Reisebeschreibung wimmelt ja von groben und schiefen Urteilen über fremde Kulturen, sondern auch das heutige Schrifttum. Selbst wissenschaftliche Autoren von Rang haben sich bis i n unsere Zeit hinein nicht enthalten können, derartige Kerben zu vertiefen. Dabei geben antagonistische Situationen den besten Nährboden für die schärfsten, w e i l interessenmäßig stark bestimmten und emotional gefärbten Urteile ab. Dies galt weithin für die europäischen Nationen, wenn sie auf „primitivere" Kulturen stießen, deren Land und Bodenschätze sie i n Besitz zu nehmen oder auszubeuten trachteten. Was gab und gibt z. B. das Recht, fremde Kulturen zu zerstören, um sie oder ihre Bruchstücke daraufhin i n die abendländische Lebensform umzuschmelzen? Ihre indigenen Führungsgruppen anzuprangern und zu unterminieren? Die Herrschaft eingeborener Potentaten etwa zugunsten derjenigen von ölgesellschaften zu vernichten, die A b hängigkeit analphabetischer Fellachen i n die Abhängigkeit proletarisierter Industriearbeiter umzuwandeln? Hier bietet sich die bequeme These von der „höheren K u l t u r f o r m " an. Neben dem Gefühl der religiösen Superiorität spielte sie schon eine Rolle, als man das Inkareich zugunsten spanischer Konquistadoren, oder den Irokesenbund und andere nordamerikanische Indianersozietäten i m Interesse französischer oder angelsächsischer Einwanderer vernichtete. Auch die alten, durch gemeinsame Kulturtraditionen lang und eng verbundenen europäischen Nationen werten sich i n Zeiten der verschärften Konkurrenz gegenseitig ab, zumal wenn es zu Kriegen kommt 2 6 . Die Behauptimg der Überlegenheit der eigenen K u l t u r ist hier also bewußtes oder unbewußtes ideologisches Hilfsmittel i m Kampf u m die Herrschaft. Der Fragenkomplex w i r d uns noch weiter unten beschäftigen. Lassen w i r die durch Interessen bedingten groben Fehlbeurteilungen aber jetzt beiseite, so haben doch schon die Beispiele Georg Simmeis und 26 Hierzu finden sich ältere Beispiele i n der i m Ersten Weltkrieg erschienenen kleinen „Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte" des S. Fischer Verlages, der die geistige Verteidigung aktivieren wollte; erlauchte Namen aus der L i t e r a t u r u n d Wissenschaft fällen hier Urteile über Nationen, die angesichts ihrer Verfasser erstaunen müssen. I n Frankreich u n d England finden w i r damals ähnliches.
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.Kap.: Zu unseren Begriffen
Alfred Webers gezeigt, daß auch führende Sozialwissenschaftler faktisch immer wieder auch k u l t u r e l l werten; sei es expressis verbis i n ihren Schriften, wie die beiden genannten Autoren, denen man hierin z.B. noch Alexander Rüstow 27 und Helmut Plessner 28, um zwei weitere große Namen unserer Wissenschaft zu nennen, an die Seite stellen könnte, oder doch mündlich i n Lehre und Diskussion. Andererseits besteht aber die seit Max Weber unüberhörbare Forderung, die Feststellung empirischer Tatsachen und ihre positive oder negative Bewertung durch den jeweiligen Betrachter bei der wissenschaftlichen Arbeit grundsätzlich und unbedingt auseinanderzuhalten. Die Problematik ist bekannt genug. Sie führte zum berühmten Werturteilsstreit, der w o h l seinen schärfsten Ausdruck auf dem 2. Deutschen Soziologentag 1912 i n Berlin gefunden hat. Unsere Frage ist nun: Wie finden wir, mag sich der Werturteilsstreit weiter dahinschleppen 29 , obwohl er von vielen heute als l'art pour l'art angesehen wird, Maßstäbe für unser engeres Thema? Wie lassen sich, verstehen w i r K u l t u r als eine Ganzheit und nicht als einen Teil davon, kulturell wertende Aussagen überhaupt machen? Wie erkennt man das Wesentliche an der eigenen Kultur? Ist es andererseits möglich, eine fremde K u l t u r von außen i n ihrer Eigenart zu würdigen? Oder ist es vielleicht so, daß dies gerade von außen her besonders gut möglich ist? Hat man doch scherzhaft einmal gesagt, daß das letzte, was ein Tiefseefisch bemerken würde, gerade das ihn immer umgebende Wasser sei; was auch Nietzsche wußte, der schrieb: „Das Gewohnte ist am schwersten zu erkennen', das heißt als Problem zu sehen, das heißt als fremd, als fern, als ,außer uns 4 zu sehen" (Die Fröhliche Wissenschaft, V, 355). Faktisch findet man aber neben dem Unterschätzen auch noch das Überschätzen der fremden K u l t u r (wie es beide Möglichkeiten auch hinsichtlich der eigenen K u l t u r gibt), d. h. also die bekannte Einstellung zur „reference group", wie i n der neueren amerikanischen Literatur diejenige Gruppe heißt, deren Wertungsmaßstäbe sich ein Außenstehender anzueignen sucht. Hier taucht also ein altes Problem der Psychologie auf, nämlich 27 Alexander Rüstow, Ortsbestimmung der Gegenwart, 3 Bde. ErlenbachZürich 1950—57, passim. 28 Wie H e l m u t Plessner i n einem Aufsatz: Der Weg der Soziologie i n Deutschland (Merkur, Jan. 1960), betont hat, „sieht sich jede Beobachtung eines sozialen Tatbestandes auf umfassendere Horizonte verwiesen, i m H i n blick auf welche allein die theoretische Bewältigung des Tatbestandes möglich w i r d . Hier läuft auch die Grenze der Wertfreiheit f ü r die Sozialwissenschaften." 29 Der Heidelberger, M a x Weber gewidmete 15. Deutsche Soziologentag hat dies 1964 wieder eindringlich bewiesen. V o n jüngsten Veröffentlichungen nennen w i r : Christian v. Ferber: Der Werturteilsstreit 1909—1959, Versuch einer wissenschaftsgeschichtlichen Interpretation, i n : Kölner Zeitschrift f ü r Soziologie u n d Sozialpsychol., X I , 1959, u n d René König: „Einige Überlegungen zur Frage der ,Werturteilsfreiheit' bei M a x Weber", i n derselben Zeitschrift, Heft 1/1964, S. 1—29.
1. Der Kulturbegriff das d e r Selbst- oder F r e m d e r k e n n t n i s , welches n i c h t s u m m a r i s c h g u n s t e n e i n e r Seite z u entscheiden ist.
33 zu-
„ A l l e K u l t u r e n aber h a b e n A n r e c h t d a r a u f , m i t i h r e n s i t t l i c h e n u n d religiösen N o r m e n ernst genommen zu w e r d e n " ( H e l m u t h Plessner) 30. Gerade w e n n m a n d a r a n f e s t h ä l t , K u l t u r e n als T o t a l i t ä t e n z u verstehen, w a s sich i m H i n b l i c k a u f die d u r c h d e n v u l g a r i s i e r t e n engeren K u l t u r b e g r i f f angerichtete V e r w i r r u n g u n d auch z u r l e i c h t e r e n i n t e r n a t i o n a l e n wissenschaftlichen V e r s t ä n d i g u n g e m p f i e h l t , so h a t m a n a l l e n G r u n d , sich v o r S e l b s t g e r e c h t i g k e i t z u h ü t e n u n d m i t W e r t u n g e n ohne genauere K e n n t n i s d e r k u l t u r e l l e n u n d sozialen Z u s a m m e n h ä n g e v o r s i c h t i g z u sein. M a x Weber h a t g e l e h r t , daß m a n solche Z u s a m m e n h ä n g e „ d e u t e n d v e r s t e h e n 3 1 " müsse, w o b e i z u m V e r s t ä n d n i s eines b e s t i m m t e n P h ä n o m e n s die d e r j e w e i l i g e n K u l t u r z u g r u n d e l i e g e n d e n W e r t a u f f a s s u n g e n eine entscheidende R o l l e s p i e l e n 3 2 . E m i l e Dürkheim und Ferdinand Tönnies h a t t e n schon v o r h e r a u f die B e d e u t u n g g e m e i n s a m e r G l a u b e n s vorstellungen u n d Gefühle innerhalb einer Gruppe hingewiesen, was A l f r e d Vierkandt d a n n i n seiner G r u p p e n l e h r e nochmals e i n d r i n g l i c h expliziert hat33. 30
H e l m u t h Plessner: „ I m m e r noch Philosophische Anthropologie?" I n „Zeugnisse", Th. W. Adorno zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1963, S. 70. 31 Über das, was M a x Weber m i t dieser etwas dunklen Formulierung sagen wollte, hat es naturgemäß eine bis heute fortgeführte Diskussion gegeben (vgl. z. B. Raymond Aron, Deutsche Soziologie der Gegenwart, Stuttgart 1953, besonders den Abschnitt „Das Verstehen" i m K a p i t e l über M a x Weber). F ü r unseren Zusammenhang genügt es wohl, festzustellen, daß er das Eingebettetsein der soziologischen Einzelphänomene i n die jeweilige soziokulturelle Gesamtsituation i n seinen berühmten monographischen Untersuchungen eindringlich vor Augen geführt hat. 82 U m Mißverständnissen vorzubeugen: Auch M a x Weber meint m i t „zugrunde liegend" nicht, daß sie das letztlich Bestimmende der historischen E n t w i c k l u n g seien, w i e etwa bei Marx u n d Engels die ökonomischen Faktoren. Sie sind aber ein wichtiger Faktor i m Rahmen eines Kausalfaktorenpluralismus. Was hauptsächlich Agens ist, kann, w e n n überhaupt, i n dem überall v o r handenen funktionellen Zusammenhang der gesellschaftlichen Totalitäten nicht apodiktisch entschieden, sondern muß jeweils hic et nunc aufgespürt werden, wobei einmal diese, ein anderes M a l jene Kausalkette als die w i c h t i gere erscheinen w i r d . Dabei werden die „Chancen" i m Zeitalter des modernen Kapitalismus anders liegen, als zu Zeiten, i n denen m a n sich auf das Jüngste Gericht einstellte oder das Bewahren einer besonderen H a l t u n g als entscheidend ansah. 33 Vgl. hierzu Emile Dürkheim, Regeln der soziologischen Methode, hrsg. v. René König, Neuwied 1961, w o r i n ausgeführt w i r d , daß sich Rechtsnormen, Moralgebote, religiöse Dogmen usw. auf feste Glaubensvorstellungen u n d Gebräuche stützen, denen ein sozialer Zwangscharakter („contrainte sociale") zugesprochen werden muß. Ferdinand Tönnies betont i n seinem klassischen Werk, Gemeinschaft u n d Gesellschaft (1. Aufl. 1887, 6. u. 7. Aufl. Berlin 1925) die i n Gemeinschaftsverhältnissen dominierenden vererbten Denk- u n d E m p findungsweisen („Wesenwillen"). „Es gibt einen Bekenntnisschatz der Gruppe, von dem abzuweichen als Verstoß empfunden u n d geahndet w i r d " (Alfred Vierkandt, A r t i k e l „Gruppe" i n A . Vierkandt [Hrsg.], „Handwörterbuch der Soziologie", Stuttgart 1959, S. 250). 3 Emge
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1. Kap.: Zu unseren Begriffen
Worauf hier abgestellt werden soll, ist nun folgendes, wobei sich die allein auf das Geistige zielende Konzeption Georg Simmeis erweitert: Die Wertung kultureller Phänomene w i r d immer nur dann soziologisch sinnvoll sein, wenn man sie zunächst immanent betreibt, d. h. wenn man die jeweils i n Frage kommende K u l t u r i m Hinblick auf die sie tragenden und erhaltenden Kräfte versteht und dann den Grad des jeweiligen Eingepaßtseins der gerade betrachteten Einzelerscheinung i n diese Totalität feststellt. Von diesem Standpunkt aus wäre also beispielsweise die berühmte amerikanische Nachbarschaftshilfe als Frucht der für die K u l tur der Vereinigten Staaten so bedeutsam gewordenen, dann auch ideologisierten „Grenzlersituation" und -mentalität 3 4 ein wichtiger k u l t u reller Faktor, hingegen eine genauere Kenntnis des Möbelstils Louis X V . dort irrelevant 3 5 . Offenbar kommt es auch darauf an, ob das betrachtete Faktum für das Gedeihen und Uberleben der jeweiligen K u l t u r wichtig, gleichgültig oder schädlich ist 3 0 . Hier kommen w i r wieder i n die Nähe Dürkheims und seiner „contrainte sociale", wobei also „Kulturträger" dann jener wäre, welcher die Normen besonders vorbildlich erfüllt. Und man w i r d auch an ähnliche Züge i n der Gruppenkonzeption von Georges C. Hornaus denken können, der bekanntlich lehrt, „daß der soziale Rang eines Menschen i n einer Gruppe u m so höher liegt, je mehr er i n den von ihm ausgeübten Aktivitäten die Gruppennormen erfüllt 3 7 "; eine bedeutsame Einsicht, die eine empirische Regelmäßigkeit feststellt, auch wenn sie oft überlagert wird. Solche Bewertungsskalen sind nicht nur unerläßlich beim Betrachten fremder kultureller Entitäten, sondern auch hinsichtlich der eigenen kulturellen Leistungen, ja sie bilden die Voraussetzung für jede Zeit- und K u l t u r k r i t i k . Die höhere Bedeutung für die jeweilige K u l t u r , ihre Werte und Normen, kann also auch K r i t e r i u m für das kulturell Bedeutsame i n unserem Zusammenhang sein. Dabei werden technische Realisationen einmal dazu gehören, ein anderes M a l außerhalb liegen. Die Lösung dringlicher technischer Fragen, wie derjenigen der Müllabfuhr undderLärmbekämp34 Vgl. hierzu K a r l Dietrich Bracher, Der „Frontier"-Gedanke, M o t i v des amerikanischen Fortschrittsbewußtseins, Zeitschr. f. Politik, 1955/3. 35 Sinclair Lewis ironisiert einmal einen K l u b kulturbeflissener amerikanischer Damen i n seinem berühmten Roman „Mainstreet" folgendermaßen: „They're sure that they have culture salted and hung up." Eine Mahnung auch f ü r alle Funktionäre der K u l t u r p o l i t i k ! 38 „Die M o r a l der Gruppe hat ihrerseits zum Z i e l lediglich das Gedeihen der Gruppe, nicht dasjenige des I n d i v i d u u m s " (A. Vierkandt, 1. c., S. 246). Der Vorwurf, m a n näherte sich hier der berüchtigten Maxime, „Recht ist, was dem Volke nützt", zielt ins Leere, da es u m soziologische Fakten u n d nicht u m Normatives geht, übrigens auch gerade die betreffenden Anordnungen der nationalsozialistischen F ü h r u n g den Untergang Deutschlands f ü r alle Tiefersehenden herbeiführen mußten u n d ihnen daher, von allem anderen abgesehen, schon aus nationalen Erwägungen zu widerstehen war. 37 George C. Hornaus, Theorie der sozialen Gruppe, K ö l n u n d Opladen, 1960, S. 409.
1. Der Kulturbegriff
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fung i n unseren Städten, gehört heute unbedingt dazu, die sinnlose Steigerung der Schnelligkeit des Verkehrs auf unseren Straßen schwerlich, ja sie kann direkt als kulturfeindlich und gesellschaftsschädlich gelten. Ob und inwieweit die kulturellen Normen und Wertvorstellungen einen religiösen Kern haben und wie sich überhaupt das Verhältnis von K u l tur und Religion stellt, ist ein äußerst diffiziles und, wie w i r spätestens seit Max Webers Untersuchungen wissen, fundamentales Sonderproblem, auf das hier nicht eingegangen werden kann. A u f die Definition des Begriffes Religion kommt es dabei entscheidend an. Die kirchlichen Institutionen können i n gewissen Zeiten durchaus i n eine Marginalsituation geraten, religiöse Vorstellungen andererseits, auch säkularisiert, weiterhin die Dominanten einer K u l t u r bleiben. Fassen w i r nochmals stichwortartig zusammen, wie das K u l t u r problem für unser Thema gesehen w i r d 3 8 : Die Trennung von K u l t u r und Zivilisation erscheint begrifflich und sachlich steril. Ohne Differenzierung des kulturellen Totais und verschiedene Bewertung der einzelnen Funktionen und Artefakte kommen w i r aber auch nicht weiter. Als k u l turell bedeutsam sehen w i r alles an, was i n einer menschlichen Gruppe (Volk, Stand usw.) eine wesentliche Beziehung zu ihrem Gesamtstil hat, ihren jeweils verschiedenen höchsten Werten, und alles, was für ihr Florieren und ihren Bestand als K u l t u r erheblich ist. Die diesbezüglich am höchsten zu wertenden einzelnen wären demnach für uns diejenigen, welche für das Ganze besondere Bedeutung haben, sei es z. B. durch ihre spezifischen Leistungen, sei es etwa durch hohes Verantwortungsgefühl für das Ganze. Gefahren für die K u l t u r tauchen dann auf, wenn man diesbezügliche Unterschiede negiert und alles relativiert, etwa indem man Gelehrte, die sich um eine bestmögliche Gesellschaftsordnung bemühen, m i t Verkäuferinnen von Zuckerkonfekt i n ihrer k u l turellen (nicht menschlichen) Bedeutung nivelliert, Kunstwerke nicht mehr würdigt. Wenn gar einige für die Gesellschaft nebensächliche Teile in ihrer faktischen Bedeutung hypertrophieren, das soziale System aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen, so daß die Gesamtheit i n ihrer Existenz dadurch gefährdet wird, dann sind dies auch k u l t u r e l l A l a r m zeichen. So gesehen wäre also die Aufgabe der K u l t u r k r i t i k leichter und bei überschaubaren, wenig differenzierten Völkerschaften m i t einheitlicher „Moral" i m Durkheimschen Sinne, z.B. den sog. „Primitiven", ließen 88 Bei der Vieldeutigkeit der soziologischen Begriffe darf erwartet werden, daß ein A u t o r vor einer monographischen Darstellung sagt, was er unter der Sache versteht. Der Verfasser ist zu seiner Auffassung nicht zuletzt durch die Praxis der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k gelangt, wobei es u m die Repräsentanz eines Ganzen geht, was weiter unten ausführlicher dargelegt w i r d . Das V o r u r t e i l ist immer noch lebendig, auswärtige K u l t u r p o l i t i k habe i m wesentlichen die L i t e r a t u r u n d die schönen Künste zu vertreten.
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1. Kap.: Zu unseren Begriffen
sich i n der Tat dann entsprechende Wertungen anstellen. Nun haben w i r aber, was die Aufgabe ungemein erschwert, bei entwickelteren K u l turen folgende Situation: 1. Es bestehen verschiedene Schichten und Gruppierungen, deren jeweiliges moralisches „ K l i m a " und deren Wertordnungen voneinander mehr oder weniger verschieden sind, was nicht zuletzt dazu beiträgt, daß man heute so gern das Schlagwort von der „pluralistischen" Gesellschaft gebraucht. Interessenunterschiede und -konflikte liegen dabei zugrunde oder treten hinzu. 2. Es läßt sich i n großem Umfang dasjenige Phänomen aufweisen, welches man m i t einem nützlichen Begriff von W i l l i a m F. Ogburn als „cultural lag" bezeichnet 39 . Von einer gleichmäßigen Entwicklung der Gesellschaft kann heute nur selten die Rede sein, sondern die verschiedenen Teile des sozialen Systems haben ihre spezifischen Rhythmen und Geschwindigkeiten, wobei besonders auffällt, daß geistige und ethische Haltungen, auch etwa soziale Selbstdeutungen, der Entwicklung „nachhinken". Von einer anderen Warte aus w i r d man freilich m i t dem gleichen Recht W. F. Ogburn entgegenhalten können, daß gewisse Sektoren i n der Entwicklung über Gebühr „vorprellen". So steht der sich u m Selbstvollendung, besser Selbstvervollkommnung Bemühende, mag er dies bewußt oder unbewußt tun, so stehen auch einzelne Gruppen i n Zeiten des raschen sozialen Wandels vor der Frage, wohin und woran sie sich orientieren sollen. Man könnte nun noch für solche Orientierungen drei „Idealtypen" i m Sinne Max Webers nebeneinanderstellen: Diejenige Gruppe, welche sich an den alten, überkommenen „traditionalen" Formen des jeweiligen Kreises orientiert, an den Vorbildern des Vaters, Großvaters, Lehrers; konservative Adels-, Patrizier- und Bauernschichten etwa, oder die dem humanistischen Bildungsideal, den Humboldtschen Traditionen sich verbunden fühlenden Gelehrten oder Pädagogen, auch i n anderem Rahmen orthodoxe Marxisten, u m einige Beispiele herauszugreifen. Weiter denjenigen Verhaltenstyp, welcher bemüht ist, sich gewissermaßen stets „auf der Höhe der Zeit" zu halten, wie er sie auffaßt, was z. B. die vorherrschende Attitüde i n Deutschland nach Gründung des Bismarckreiches war und auch i n den USA sein dürfte; eine Haltung, die sich auch nach altem Volkswitz als zweckrational empfiehlt, da es bequem ist, „ m i t dem Strome zu schwimmen". Und drittens das Verhalten derjenigen, welche „von kommenden Dingen" zu wissen glauben, ihnen nachspüren, eine Haltung einnehmend, die w i r m i t gutem Recht „antizipierend" dann nennen können, wenn sich die vermutete Tendenz i n 39
W i l l i a m F. Ogburn, Social Change, New Y o r k 1922.
2. Der Rahmen der auswärtigen Politik
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der Folge realisiert hat. W i r finden diese Einstellung bei später als „weitschauend" apostrophierten Politikern und Wirtschaftlern, i n der Wissenschaft heute gewiß besonders verbreitet auf dem Forschungssektor der „Kybernetik". Liegen Stärken dieser drei Positionen beispielsweise i m klaren Vorbild, der meist euphorischen Wirkung der Konformität oder i m „Vorsprung" auf der Hand, so auch ihre Schwächen, etwa die Borniertheit des „ewig Gestrigen", die Abhängigkeit von herrschenden Tagesmoden oder von einer Utopie, Phantasmagorie. Mehr oder weniger sind diese drei idealtypischen Attitüden i n Kulturen des Umbaus 40 nebeneinander wirksam, welche Pluralität i n verschiedenen Prozessen der „Rückkoppelung", wie man m i t einem technischen Ausdruck sagen könnte 4 1 , die Unsicherheitstendenzen dann weiter verstärkt. I n solchen Kulturepochen ist daher eine Bewertung denkbar erschwert, denn „dem einen sin U h l ist dem andern sin Nachtigall". W i r erleben dies gegenwärtig z. B. deutlich an den heftigen Diskussionen um die Zukunft des deutschen B i l dungswesens. Ist die Feststellung der jeweils geltenden Wertskalen also schon hinsichtlich einer einzelnen entwickelten K u l t u r ein schwieriges Unterfangen und nur bei „Primitiven" relativ leicht 42 , so komplizieren sich die Verhältnisse weiter, wenn man die Aufmerksamkeit auf Prozesse richtet, wie sie bei der Konfrontation von verschiedenen K u l turen entstehen. Hier gibt es dann mannigfache und teilweise sehr subtile Einflüsse, Akkulturationsphänomene und Akzentsetzungen e contrario. Auch kann das, was innerhalb einer ungestört dahinlebenden K u l t u r ihre Stärke ausmacht, sie i n einer Konkurrenz- oder Kampfsituation gerade dem sicheren Untergang ausliefern 43 . 2. Der Rahmen der auswärtigen Politik a) Der Begriff
der Politik
K u l t u r p o l i t i k ist selbstverständlich Politik, wenn auch eine solche sui generis, eine Bindestrichpolitik. Wie über den Begriff der K u l t u r , so gibt 40
Darüber, daß w i r , u m einen bekannten Buchtitel von K a r l Mannheim zu zitieren, i n einem „Zeitalter des Umbaus" leben, besteht j a glücklicherweise Einmütigkeit. 41 Es ist bezeichnend, i n w i e starkem Maß technisch-soziale Bilder nicht n u r i n das Umgangsdeutsch, sondern auch i n die sozialwissenschaftliche Sprache Eingang gefunden haben. M a n spricht nicht n u r von: Transmissionsriemen, verklammern, steuern, verankern, Kohäsion, Stichproben usw. i m Sozialen, sondern bereits direkt von „social engineering"; darin liegt ein w i c h t i ges Symptom auch f ü r die kultursoziologische Betrachtung, w i e früher i n den „organischen" Bildern. 42 Vgl. hierzu v o r allem: R u t h Benedict: Patterns of Culture, 1934, w o r i n sie die so v ö l l i g verschiedenen Wertskalen der Pueblos Neu-Mexikos, der Dobu von Neuguinea u n d der K w a k i u t l auf Vancouver Island demonstriert. 43 Hierzu ist das aktuellste Beispiel natürlich die Frage des Überlebens von Demokratien gegenüber totalitären Regimen.
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1. Kap.: Zu unseren Begriffen
es über denjenigen der Politik ein sehr umfangreiches wissenschaftliches Schrifttum, auf das einzugehen hier nicht Aufgabe sein kann 4 4 . Die Jurisprudenz hat ihre alte reiche Tradition auch i n dieser Hinsicht, wobei der Staat i m Mittelpunkt steht. Und eine scheinbar neue, eigene Disziplin, Wissenschaft von der Politik oder politische Wissenschaft genannt, widmet sich seit dem Zweiten Weltkrieg auch i n Deutschland intensiv dem gesamten Problemkreis, nachdem die eigenen wissenschaftlichen Uberlieferungen unterbrochen waren und eine Neubelebung aus den USA erfolgen mußte. Hier geht es wiederum nur darum, für unsere ja auf ein spezifisches praktisches Anwendungsgebiet zielende Untersuchung klar zu sagen, was w i r i n soziologischer Sicht unter der Sache verstehen. Bekanntlich kann man den Begriff des Politischen i n einem engeren und i n einem weiteren Sinne verstehen. „Ganz allgemein w i r d man ,Politik' als einen zweckbewußten Eingriff i n einen Handlungsablauf definieren können 45 ." Es w i r d also etwas getan, gehandelt i m Hinblick auf ein bestimmtes Ziel oder zumindest unter einer allgemeinen Zielvorstellung. Dabei überläßt nun der politische Mensch, worauf C. A. Emge einmal hingewiesen hat, möglichst wenig dem Zufall, glaubt weniger von vornherein an eine für seine spezifischen Interessen schon günstige Entwicklung, sondern sucht i m idealtypischen Falle alle i h m wichtigen und erkennbaren Kausalketten selbst zu beeinflussen, welche zu dem von i h m gewünschten Geschehen zusammenlaufen 46 . So verstanden, treibt er also oder treibt eine bestimmte Gruppe Wirtschafts-, Sozial-, Kirchen-, Schul-, Vereins- oder Familienpolitik. Für unser Thema geht es aber selbstverständlich u m Spezielleres, u m das, was Max Weber definiert hat als „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er um44 „Die Definitionen des Begriffs Politik sind ebenso zahlreich, w i e häufig unzureichend" (G. Eisermann: Die Lehre v o n der Gesellschaft, a. a. O., S. 292). 45 G. Eisermann, ibidem. 46 Einführung i n die Rechtsphilosophie, F r a n k f u r t (Main)-Wien 1955, S. 112 u. 390 f. „Es ist hierbei grundsätzlich zu bemerken, daß es n u n nicht etwas total Politisches u n d etwas total Unpolitisches als Substanzen gibt, sondern ,nur vergleichsweise 4 benimmt sich der eine auf einem bestimmten Bereich »politischer 4 als der andere. Das Entscheidende scheint m i r dabei folgendes zu sein: Der Politischere glaubt weniger an G a r a n t e n . . . Dafür f ü h l t er sich verpflichtet . . . (sich) sozusagen den ganzen »Hebelarm 4 der Last ,bis zum letzten Erfolg 4 selber aufzubürden, indem er alle i h m ersichtlichen, zum Effekt n ö t i gen Zwischenglieder der Aktionsreihe selbst herzustellen s u c h t . . . Der w e n i ger Politische macht sich die A u f g a b e . . . leichter, insofern er an eine gemäße günstige Entwicklung g l a u b t . . . Der Politischere folgt der Maxime, sich i n der Praxis so zu benehmen, als ob es keinen Gott gäbe, der i h m hilft 4 4 (1. c., S. 390). Erstmalig dargelegt i n einer Auseinandersetzung m i t Carl Schmitts Begriff des Politischen i m „Ring 4 4 , Dezember 1935.
2. Der Rahmen der auswärtigen Politik
39
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umschließt" . Nun hat Max Weber selbst schon darauf hingewiesen, daß „Macht" ein amorpher Begriff sei. Kann man zwar auf dem Felde der Innenpolitik Politik konziser als „Kampf u m die staatliche Entscheidungsgewalt" formulieren, so müssen w i r uns auf dem außenpolitischen Terrain freilich weiterhin m i t dem Begriff der Macht begnügen, d. h. w i r haben hier, wo konkurrierende Staaten auftreten, das Streben nach einem größeren Machtanteil, nach stärkerem Einfluß. Denn schon dieser kann dazu führen, daß — auf welchen Wegen auch immer — selbst ohne Macht doch das erreicht wird, woran einer Gruppe politisch gelegen ist. Ja gerade hier, gewissermaßen i n den Vorhallen der Machtkonzentration, finden w i r für kulturpolitisches Wirken ein reiches und fruchtbares Betätigungsfeld, wie noch ausgeführt werden soll. Gerade auch i m Hinblick auf unser Thema dürfte es sich daher empfehlen, den Begriff der Macht, bei dem spätestens seit Friedrich Christoph Schlosser und Jakob Burckhardt iS leicht ein negativer und bösartiger Klang mitschwingt, weitgehend durch den neutraleren des Einflusses zu ersetzen 49 . W i r werden später sehen, daß es sich bei der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k um Macht- und Einflußvermehrung von Gruppen ebenso wie um eine solche des Staates handelt. Nun empfinden wir, wie bereits gesagt, den Begriff der Politik i n unserem Zusammenhang als unangenehm. Denn i m Unterschied zu naiveren Zeiten hat die bewußte und spürbare Politisierung unseres sozialen Lebens einen so hohen Grad erreicht, sieht man sie alle Sphären derart intensiv durchtränken, daß eine Wortbildung wie K u l t u r p o l i t i k nur anzuzeigen scheint, daß man auf kulturellem Gebiet Politik treibt, also einen Kampf um Macht welcher A r t auch immer führt und daß in diesem die politische Intention durchaus das erste, die Förderung der K u l t u r höchstens sekundär ist. Und während ein klares Präponderieren und Voranstellen des Politischen noch immerhin annehmbar erscheint, so wehrt sich doch manches i n uns dagegen, die K u l t u r als „ M i t t e l zum Zweck" zu begreifen, ja oft zu einer Camouflage degradiert zu sehen. Gerade i n unserem Zusammenhang hat man daher statt von auswärtiger K u l t u r p o l i t i k von „auswärtiger Kulturarbeit" oder „ K u l t u r w e r 47 M a x Weber, P o l i t i k als Beruf, i n : Gesammelte Politische Schriften, München 1921, S. 397. 48 „ U n d n u n ist die Macht an sich böse, gleichviel w e r sie ausübe. Sie ist k e i n Beharren, sondern eine G i e r . . . " lautet die berühmte, entscheidende Stelle i n seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen" (Kröner-Ausgabe, S. 97). V o m katholischen Standpunkt aus n a h m Romano Guardini dazu Stellung: „Die Macht", Zürich 1951. 49 M a n denke auch an den Begriff der soziologischen „Geltung". Sie reicht v o m bloß äußerlichen Beachten, Gehorchen, Folgen bis zur auch innerlichen Anerkennung, dem sich dann auch autonom gemäß Verhalten. Diese soziologische Geltung läßt sich ihrem Grad nach n u r f ü r einen konkreten Umkreis v o n Gruppen u n d I n d i v i d u e n u n d darin dann f ü r gewisse Bereiche i m V e r gleich zur Geltung anderer feststellen.
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.Kap.: Zu unseren Begriffen
bung" gesprochen, und soweit der Staat m i t dem auswärtigen Ressort unmittelbar i m Ausland agiert, von „Kulturdiplomatie". Mag eine solche Präferenz ein gutes Gespür für Nuancen erkennen lassen, freilich auch unter Umständen den kalt überlegenden Politiker, der damit gerade seine politische Wirksamkeit zu steigern meint, so ändert die gefälligere Etikette am Tatbestand nichts. W i r verbleiben immer i m Bereich auswärtiger Politik, i m Kräftefeld zwischenstaatlicher Machtkämpfe, Konkurrenzen, Antagonismen, aber auch des „do ut des" der aufrichtigen Kooperation. Auswärtige K u l t u r p o l i t i k bleibt also i n ihrem Kern immer Bestandteil der Außenpolitik eines Staates, sei es nun als Teil seiner offiziellen Diplomatie oder nicht. Sie bezeichnet die indirekt eminent politische Sphäre staatlich geförderter kultureller Ausstrahlung, die Objekte internationaler Vereinbarungen, Abkommen und Organisationen. Immer ist sie also der Politik i m engeren Sinne unterworfen, zumindest steht sie i n engster funktioneller Wechselwirkung zu ihr, wobei w i r Politik natürlich ganz wertfrei i m Sinne Max Webers verstehen. Von den außenpolitischen Intentionen w i r d es also indirekt stets weitgehend abhängen, i n welchen Bahnen sich auch die auswärtige K u l t u r p o l i t i k bewegt und welche Fracht sie trägt. So kann sie imperialistischen Tendenzen dienen, Annektionen vorbereiten, kriegführenden Mächten i m neutralen Ausland Freunde und spätere Alliierte werben, andererseits ebensogut der Völkerverständigung, ja -Verbrüderung dienen u n d i m Zeitalter über-
nationaler Zusammenschlüsse diese vorwärtstreiben helfen. I n diesem Zusammenhang mag es erlaubt sein, Carl Schmitts Begriff des Politischen zu zitieren, auch wenn seine diesbezüglichen Thesen selbstverständlich nur i m Rahmen des i n jüngster Zeit mehrfach diskutierten Gesamtwerkes v o l l zu würdigen sind 50 . Er hat i n seiner gleichlautenden Schrift 5 1 bekanntlich folgendes Theorem aufgestellt: „Die eigentlich politische Unterscheidung ist die Unterscheidung von Freund und Feind 52." Diese Unterscheidung, die er „ i n ihrem konkreten existenziellen Sinn" 5 3 verstanden haben w i l l , was doch wohl soviel bedeutet, als daß sich die Menschen faktisch so orientieren, soll „die äußerste Intensität einer Verbindung oder Trennung" 5 4 darstellen. W i r sind 50 W i r nennen außerhalb der juristischen Fachliteratur: Jürgen Fijalkowski: Die Wendung zum Führerstaat, ideologische Komponenten i n der politischen Philosophie Carl Schmitts, K ö l n u n d Opladen 1958; Christian Graf v. Krockow: Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, M a r t i n Heidegger, Stuttgart 1958; Hasso Hof mann: L e g i t i m i t ä t gegen Legalität, der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied u n d B e r l i n 1964. 51 Der Verf. hat benutzt: Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, H a m b u r g 1933 (3. Ausgabe). 52 a. a. O., S. 7. 53 a. a. O., S. 9.
w a. a. O., S. 7.
2. Der Rahmen der auswärtigen Politik
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hier also als Politiker oder Betrachter des politischen Geschehens gehalten, einzelne oder Kollektive — Carl Schmitt zielt freilich insbesondere auf Staaten — entweder m i t dem Freundes- oder m i t dem Feindesetikett zu versehen, mag es auch verschieden intensiv koloriert sein. Nun melden sich zunächst schon gewisse Bedenken, i m Feindverhältnis die äußerste Intensität einer Trennung zu sehen. Die tieferschürfenden Arbeiten der psychoanalytischen Forschung haben ältere Erkenntnisse z. B. der französischen Moralisten und Nietzsches verifiziert, daß das Feindverhältnis eine besondere, ja oft eine höchst intensive A r t der B i n dung darstellt. Die äußerste Intensität einer Trennung w i r d für uns also dann vorliegen, wenn einzelne oder Gruppen i n keiner wie auch immer gearteten Weise aufeinander wirken. Doch davon abgesehen, erscheint auch die eigentliche Freund-Feind-These für die Soziologie zu eng, mag auch die polemische Schlagkraft und Faszination eines solchen Dualismus stets groß sein 55 ; doch dürfte er häufiger an die Wirklichkeit herangetragen, als empirisch aus i h r gewonnen werden. Der Verfasser hat sich bereits vor einigen Jahren ausführlicher m i t der Pro- und Contra-Haltung von einzelnen oder Gruppen untereinander auseinandergesetzt 56 , was hier nicht wiederholt werden soll. N u r soviel mag gesagt sein: Freundschaft und Feindschaft sind zwei besonders ausgeprägte, emotionale Einstellungsweisen zum Mitmenschen, deren es viele gibt. Konkurrenzsituationen und Interessenkonflikte begünstigen letztere, ziehen sie jedoch nicht automatisch nach. Die ganz überwiegende Mehrzahl der faktischen Einstellungen gegenüber M i t menschen oder zwischen Gruppen ist weder m i t Freundschaft noch m i t Feindschaft zutreffend und erschöpfend zu bezeichnen. Es gibt unzählige Varianten, sympathische oder antipathische Einstellungen, Interesselosigkeiten und Interessiertheiten, u m psychologisch zu sprechen 57 . Der Soziologe seinerseits w i r d die Beziehungen zwischen den Individuen und Gruppen m i t seinem spezifischen Begriffsinstrumentarium zu fassen suchen, etwa verschiedene Herrschafts- und Unterordnungsverhältnisse, Protektions- und Führungsphänomene feststellen, Konkurrenz-, Neutralitäts- und Solidaritätserscheinungen aufweisen 58 . Die letzten drei Begriffe allein erstrecken sich auf das von Carl Schmitt gemeinte Gebiet, das faktisch zahlreiche Abstufungen und Nuancierungen auf55 M a n denke auch an diejenigen von Leib-Seele, Geist-Stoff, H i m m e l Hölle, gut-böse, Gemeinschaft-Gesellschaft, Proletariat-Bourgeoisie. 56 I n seiner Akademieabhandlung „Der Einzelne u n d die organisierte Gruppe", Mainz 1956, v o r allem i m K a p i t e l „Die Pro- u n d die Kontrahaltung", S. 116 ff. 57 Carl Schmitt lehnt die Deutung „ i n einem privatindividualistischen Sinn psychologisch als Ausdruck privater Gefühle u n d Neigungen" freilich ausdrücklich ab. 58 Vgl. hierzu G. Eisermann, „Die Lehre von der Gesellschaft", a. a. O., S. 110 f.
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1. Kap.: Zu unseren Begriffen
weist. Gewiß ist ein Extremfall die Kampfsituation. Aber trägt es zur Klärung bei, sie m i t einem bei Carl Schmitt geradezu ins Metaphysische spielenden Begriff der Feindschaft zu durchdringen? Gerade der politische Mensch legt sich unserer Ansicht nach Scheuklappen an, w i r d also direkt unpolitisch, falls er sich wirklich nach dem groben Freund-Feind-Schema orientiert. War Kaiser Friedrich I I I . für Bismarck Freund oder Feind? Was war Rußland für Walther Rathenau? Was die NSDAP für den Reichspräsidenten v. Hindenburg oder den Papen-Kreis? Was war General de Gaulle für John F. Kennedy? Was sind die Flüchtlingsverbände für die SPD? Genauer: Was waren sie zu welchen Zeitpunkten? W i r sehen schon aus diesen wenigen Beispielen, daß es offenbar die Analyse nicht erleichtert, die unerhört reichhaltige politische Beziehungs-, Formen- und Gefühlswelt derart zu vereinfachen. Selbst wenn man nur oberflächlich die soziologischen Konstellationen betrachtet, so erscheint der Ansatz: A erkennt B als pro A und C als contra A, zu einfach. I n der politischen Wirklichkeit finden w i r demgegenüber häufiger z. B. folgenden Tatbestand: A erstrebt i n der Rolle a das Ziel a B erstrebt i n der Rolle b das Ziel ß C erstrebt i n der Rolle c das Ziel y
und A orientiert sich politisch an den Zielvorstellungen von B und C zur Erreichung seines eigenen Zieles. So versucht er etwa dem B klarzumachen, daß für die Realisierung des Zieles ß auch a nützlich wäre, wobei w i r dann eine Koalitionssituation i n einer bestimmten historischen Konstellation hätten. Solidarität und Alliance auf der einen Seite, Opposition und Kampf auf der anderen sind dabei dann nur zwei Verhaltensgruppen aus der Unzahl der möglichen, darunter aller Couleurs der bewußten Neutralität, des Nichtbetroffen-Seins, der Indifferenz. Subtiler geht z.B. schon Adolf Grabowsky vor. Bei i h m haben w i r „eine Unterscheidung von fünf Kategorien: aktive Freunde, mögliche Freunde, aktive Feinde, mögliche Feinde und schließlich Neutrale. Dies wieder enthält das Gebot, mögliche Freunde zu aktiven Freunden zu machen und mögliche Feinde mindestens zu Neutralen 5 9 ." Die scharfe Herausarbeitung der Freund-Feind-Kategorie erscheint aber wissenssoziologisch verständlich. Denn sie kann als dialektischer Gegenzug gegen mancherlei Konzeptionen gewertet werden, die mehr oder weniger gutgläubig den politischen Kampf als überholt bezeichneten und i h n als einem ökonomisch fortgeschrittenen Zeitalter unangemessen beiseite schoben, da nunmehr eine prästabilierte Harmonie 59 A. GrabowsKy: 1948, S. 301/302.
Die Politik, ihre Elemente u n d ihre Probleme, Zürich
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immer stärker zum Durchbruch komme. So gab es eine bestimmte A r t von politischen Traktätchen, die i m Stile gewisser Sonntagspredigten das unpolitisch-friedliche Zeitalter der Solidarität zwischen den Menschen als entweder bereits angebrochen oder doch als unmittelbar bevorstehend betrachteten; Epigonen der großen optimistischen, fortschrittsgläubigen Systeme von Auguste Comte und Herbert Spencer. Hiergegen hat der prominente Staatsrechtler offenbar w i r k e n wollen. Die Freund-Feind-Kategorie trug jedoch leider m i t dazu bei, eine Ideologie des Kampfes wachsen zu lassen, die den totalen Krieg und sein Inferno begünstigte. Sie lebt mutatis mutandis weiter. Wissensoziologischer Entstehungsrahmen, Richtigkeit und Wirkung einer Theorie sind ja stets sorgfältig zu unterscheiden 60 . b) Das Epitheton
„auswärtig"
W i r behandeln nun i n unserer Untersuchung nicht die K u l t u r p o l i t i k generell, sondern die auswärtige Kulturpolitik, damit also einen Bereich, der sowohl unter dem Aspekt der K u l t u r , wie auch unter einem solchen der auswärtigen Politik betrachtet werden kann. Was soll uns auswärtig bedeuten? Es ist zu erwarten, daß der Begriff •für den Soziologen weiter gefaßt werden muß, als für den Staats- und Völkerrechtler, und daß er damit, wie i n allen solchen Fällen, an Schärfe verliert, liegt auf der Hand. Dafür lassen sich darunter dann aber auch zahlreiche wichtige Phänomene der internationalen Beziehungen subsumieren, die sonst unberücksichtigt bleiben müßten. 1. Von auswärtigen Angelegenheiten spricht man i m Hinblick auf Staaten. Es handelt sich u m die Beziehungen eines Staates zu den anderen, u m den Bereich derjenigen staatlichen A k t i v i t ä t , die die Interessen des eigenen Landes oder die Interessen der eigenen Staatsangehörigen i m Ausland wahrnimmt; bei Interessenvertretung geht es freilich u m einen soziologisch sehr dehnbaren Begriff. I n der Regel werden w i r ein Streben nach Machtanteil i m internationalen Feld, nach dem Gewinnen und Ausüben von Einfluß erkennen können. Vielfältig sind die Sphären und Formen auswärtiger Politik i m Ausland. Da ist zunächst, gewissermaßen als Kern- und Kristallisationssystem, als Teil der staatlichen Administration das von der Zentrale ausgespannte Netz der offiziellen diplomatischen und konsularischen Vertretungen m i t ihren jeweiligen, oft sehr umfangreichen Verwaltungsstäben. Dann haben w i r , u m weiter i m staatlichen Bereich zu 60 Das Denken i n der Freund-Feind-Kategorie hat als psychologische Real i t ä t zweifellos zugenommen. Auch der dialektische u n d historische Materialismus Moskauer Prägung w i r d j a als politische Macht nicht dadurch erledigt, daß m a n i h n wissenschaftlich widerlegt.
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.Kap.: Zu unseren Begriffen
bleiben, Abordnungen von Staatsbediensteten zu ausländischen oder internationalen Behörden. Auch notieren w i r die immer stärker zunehmenden Auslandsreisen von staatlichen Repräsentanten, des Bundespräsidenten etwa, des Bundeskanzlers, der Bundesminister und der Abgeordneten. Betrachten w i r Auslandsreisen von Politikern allgemein, die z. B. nicht ungern m i t Schwesternparteien i n anderen Ländern Fühlung nehmen, so lösen w i r uns bereits teilweise aus dem staatlichen: Rahmen. Auch gibt es sehr einflußreiche Vertretungen nichtstaatlicher Organisationen i m Ausland, denken w i r z. B. an den Wirtschaftssektor, etwa an die auswärtigen Büros der großen ölgesellschaften, die den Repräsentanten ihrer Heimatstaaten i m Ausland lokal an Bedeutung weit überlegen sein können 61 . Aber halten w i r fest: Auswärtige Politik i m engeren Sinne ist staatliche Politik. Auch auswärtige K u l t u r p o l i t i k steht so immer i n Abhängigkeit von der staatlichen Außenpolitik, auch wenn die dabei tätigen Institutionen nur vom Staate gefördert werden. Doch ebenso wie i m innerstaatlichen Bereich die Konturen der staatlichen Organisation für den einzelnen Staatsbürger i n praxi verschwimmen, denken w i r etwa an den Bereich der Sozialversicherungen, Elektrizitätswerke, Rundfunk- und Fluggesellschaften, so gilt Entsprechendes auch auf dem Gebiet der auswärtigen Politik. Hier bietet sich vielleicht sogar ein besonders reiches Anschauungsfeld, wenn man an die verschiedenen hochqualifizierten Organisationen denkt, die, vom Staate aufgebaut oder kräftig subventioniert, subsidiär auf dem Feld der auswärtigen K u l t u r politik tätig sind. W i r kommen hierauf später ausführlicher zurück. 2. W i l l man auswärtige Angelegenheiten als Soziologe betrachten, so ist es wichtig, a limine daran zu denken, daß sich die Beziehungen eines Landes zu einem anderen nur zu einem Teil i m Ausland abspielen. Die andere Hälfte vollzieht sich komplementär i m Inland. Auch hier spielt sich ja dauernd auswärtige Politik, sowohl die des eigenen Staates, als auch diejenige der anderen Mächte ab. Es arbeiten die zentralen Behörden der eigenen auswärtigen Politik, die Außenministerien m i t ihren immer umfangreicher werdenden bürokratischen Stäben. Es sind die Staats- und Regierungschefs, fast alle Minister m i t ihren Ressorts und ein Teil der Abgeordneten laufend direkt oder indirekt mehr oder weniger m i t Außenpolitik befaßt. Und die auswärtigen Missionen pflegen hier ihre Kontakte, weben an ihren Beziehungsnetzen und benutzen die verschiedensten ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle. 3. Vor unseren Augen spielt sich nun folgendes ab: Die Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik scheinen mehr und mehr zu verschwimmen. Daß ein engstes Interdependenzverhältnis zwischen ihnen besteht, ist klar. Berühmt geworden ist die Lehre vom „Primat der Außenpolitik", 61 Vgl. hierzu Lester B. Pearson: Diplomacy i n the nuclear age, Toronto 1959, S. 19.
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die insbesondere auf Leopold v. Ranke zurückgeht 62 . Das Schwergewicht dürfte aber zu verschiedenen Zeiten auf den verschiedenen Bereichen liegen. Allgemein w i r d man heute wohl konstatieren können, daß nicht nur außenpolitische Fragestellungen das innenpolitische Feld deutlich beeinflussen, sondern daß überhaupt die scharfen Zäsuren zwischen Innen- und Außenpolitik i n Auflösung begriffen sind. W i r glauben, es hier m i t einem echten Strukturwandel der internationalen Beziehungen zu t u n zu haben, wobei Verschiedenes eine Rolle zu spielen scheint: Zunächst führt schon die Herausbildung der riesigen Machtblöcke i n West und Ost alle Nationen außer den eigentlichen Weltmächten, als deren K r i t e r i u m vielfach die atomare Schlagkräftigkeit angesehen wird, dazu, die Konsequenzen aus dem faktischen Verlust der Souveränität zu ziehen und den Schutz der Großen gegen Gehorsam auf bestimmten Gebieten einzuhandeln. Jede der größeren Mächte reklamiert bestimmte „Großräume" für sich, worauf sich die darin befindlichen kleineren und kleinen Staaten einzustellen haben. Ein wie schmerzhafter und wenig gradlinig verlaufender Prozeß dies oft ist, sehen w i r beispielsweise an Frankreich. Daß sich trotz der völkerrechtlich weiterbestehenden Souveränität i m Bewußtsein der Menschen dieser Strukturwandel schon abzeichnet, scheint uns z. B. der Widerhall auf die Ermordung des Präsidenten John F. Kennedy am 22.11.1963 zu beweisen, der i n vielen Ländern der freien Welt, nicht zuletzt auch i n der Bundesrepublik Deutschland, auf weite Kreise ähnlich wie der Verlust eines eigenen Staatsoberhaupts gewirkt hat. Gewiß mögen hier noch andere Fakten mitgespielt haben, etwa das Gefühl, daß es sich hier gewissermaßen u m einen charismatischen Führer der freien Welt handelte. Aber es ergaben sich bezeichnenderweise daraus sogar „protokollarische" Folgen, wie sie bei dem Tod ausländischer Staatsoberhäupter bis dahin nicht zu ver62 „Das Maß der Unabhängigkeit gibt einem Staate seine Stellung i n der Welt; es legt i h m zugleich die Notwendigkeit auf, alle inneren Verhältnisse zu dem Zwecke einzurichten, sich zu behaupten. Dies ist sein oberstes Gesetz." (L. v. Ranke: „Politisches Gespräch", 1836, Ausgabe des Inselverlages, S. 43/44.) M a x Lenz sah i n diesen Worten Rankes w o h l nicht zu Unrecht einen seiner Kernsätze u n d fast schon die Summe seiner Geschichtsauffassung. Vgl. zum Primat der Außenpolitik Hans Rothfels: „ V o m Primat der Außenpolitik", i n „Außenpolitik", Jg. 1, 1950, S. 274—283. Jüngst: Ernst Otto Czempiel: Der P r i mat der Auswärtigen Politik, i n Politische Viertel] ahresschrift, Heft 3, 1963, S. 266—287. Die grundsätzliche Frage ist, ob es sich bei dieser Formulierung u m eine wissenschaftliche Erkenntnis oder u m ein Postulat handelt. Generell läßt sich die Innenpolitik nicht zur F u n k t i o n der Außenpolitik herabwürdigen, zu manchen Zeiten g i l t das Umgekehrte. Czempiel stellt dies gut dar, aber auch die Nützlichkeit einer solchen Staatsmaxime für manche Regierungen. Siehe auch zu dem Themenkreis: K a r l Dietrich Bracher: „Außen- u n d Innenp o l i t i k " i n : Staat u n d Politik, Frankfurt, 1957 (Fischer Lexikon), w o eine Äußerung Bismarcks v o r dem Preußischen Abgeordnetenhaus 1866 zitiert w i r d : „ M i r sind die auswärtigen Dinge an sich Zweck u n d stehen m i r höher als die übrigen." (1. c., S. 30). Die konzise Formel v o m „ P r i m a t der Außenpolit i k " soll auf W. Dilthey zurückgehen (vgl. hierzu Czempiel, a. a. O., S. 281).
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.Kap.: Zu unseren Begriffen
zeichnen waren, etwa die Absetzung offizieller Festlichkeiten, Theateraufführungen i m großen Umfang und für mehrere Tage. Weiterhin reisen auch viele leitende Staatsmänner und führende Politiker der westlichen Welt häufig nach Washington, u m sich dort Rat, ja Weisung zu holen, oft genug deutlich, wenn auch freundlich, dorthin zitiert, und sie sind sich ihrer Abhängigkeit selbstverständlich bewußt. I m Sowjetblock zeigt sich Entsprechendes noch ungleich ausgeprägter, sofern kein Schisma vorliegt. Sodann halten w i r die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik schon als solche dadurch für unsicher geworden, daß die beiden sich gegenüberstehenden Machtblöcke nicht nur durch ausgeprägte Ideologien voneinander geschieden sind, sondern daß sie auch diejenigen der anderen Hemisphäre ebensowohl innerhalb ihrer eigenen Machtbereiche, wie außerhalb langfristig und auch m i t M i t t e l n der Innenpolitik bekämpfen müssen. I m Vergleich zu den grundlegenden Unterschieden und gemeinsamen Anliegen erscheinen die Maßstäbe der überkommenen nationalen Machtpolitik als überholt und zweitrangig, zumal sie schon i n und nach den beiden Weltkriegen gründlich diskreditiert worden sind. Dem politischen Denken i n Regionen scheint die Zukunft zudem mehr zu gehören, als demjenigen entsprechend den nationalen, historisch oft zufällig gewordenen, etwa infolge dynastischer Erbfolgen entstandenen Grenzen. Weiter trägt die zunehmende Bedeutung der internationalen Organisationen, mögen diese auch als eigentliche politische Organe noch angesichts der herrschenden Machtverhältnisse versagen, zur beginnenden Auflösung der Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik bei. Was der auf Anregung des deutschen Generalpostmeisters Heinrich v. Stephan 1875 i n K r a f t getretene Weltpostverein als Typ praktisch eingeleitet hatte, w i r d nunmehr i n den verschiedensten Domänen realisiert, nämlich eine internationale Ordnung, zumindest haben w i r eine gemeinsame Inangriffnahme der Probleme. Für unser engeres Thema werden w i r später auf die UNESCO näher eingehen müssen. Wenn jede Praxis auch schnell die Illusion beseitigt, als könne man schon heute die nationale Interessenpolitik einfach überspielen, so verlagern sich doch mancherlei Gewichte auf internationale Gremien, mag dort dann das nationale Ringen offen oder intern weitergehen. Wichtig erscheint doch, daß sich bereits häufig, wie bei den europäischen Institutionen deutlich zu verfolgen war, Interessengemeinsamkeiten und Fronten über die Grenzen hinweg formieren. So harmonieren einzelne Fachressorts m i t den entsprechenden Stellen i n Nachbarländern bereits gelegentlich stärker als m i t anderen Ressorts und Interessenverbänden i n ihrem Heimatland, und auch Parteien schließen sich international — z.B. in Europäischen Parlamenten — zur Kooperation zusammen
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(„Internationale Fraktionen"). Und wenn auch das Bewußtsein der „one w o r l d indivisible" gewiß noch nicht überall vorhanden ist, so dürfte doch das Gefühl der Verantwortung auch für Gebiete außerhalb des eigenen Interessenbereichs der Staaten i m Wachsen begriffen sein. Ferner w i r d der Abbau der scharfen Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik dadurch gefördert, daß sich i m Zeitalter der Demokratie und des Parlamentarismus die Gestaltung der Außenpolitik grundsätzlich unter den Augen und unter der Kontrolle der heimatlichen Öffentlichkeit vollzieht. Man mag dies i n mancher Hinsicht bedauern oder begrüßen, so ist doch als Tatsache zu registrieren, daß es eine Geheimdiplomatie i m Stile der absoluten Monarchien i n parlamentarischen Demokratien nicht mehr geben kann. Schon Wahlkämpfe lokaler A r t werden heute bereits auch m i t außenpolitischer Argumentation geführt. Jeder einzelne Abgeordnete muß m i t den Grundproblemen der auswärtigen Politik vertraut sein oder sich jedenfalls einen solchen A n schein geben. Es verdiente einmal untersucht zu werden, i n welchem Umfang die Presse sich heute i m Unterschied zu früher der auswärtigen Politik zuwendet, und wie stark sich der A n t e i l am Gesamtumfang der Publikationen vermehrt hat, die diesen Fragen gewidmet sind. Damit sind w i r bei unserem letzten Gesichtspunkt angelangt: Presse und Öffentlichkeit beschäftigen sich heute i n allen entwickelten Ländern m i t internationalen Fragen, wobei sich nun nicht selten ein weitgehender Konsensus herausbildet. A u f die Frage, wie dies geschieht, wie weit und i n welcher Weise die Äußerungen der Massenmedia grob manipuliert werden, welche Rolle etwa die großen Presseagenturen spielen, kann hier nicht eingegangen werden. Wichtig ist i n diesem Zusammenhang aber, daß der einzelne nicht nur täglich über Wichtiges und viel Unwichtiges orientiert wird, das auf der Welt passiert, sondern daß er auch beginnt, alles als eigene Angelegenheit, als „sua causa" zu betrachten. So respektiert die Öffentlichkeit i m Grunde immer weniger, was noch die meisten demokratischen Regierungen respektiert haben und alle zu t u n vorgeben, nämlich das Recht der Staaten, ihre inneren A n gelegenheiten selbst und ohne Einmischung von außen zu regeln. (Die Außenministerien haben auf der ganzen Welt i n steigendem Maße Protesten auswärtiger Missionen nachzugehen, die sich auf kritische und aggressive Presseartikel i m Gastland über Zustände i n den jeweiligen anderen Staaten beziehen.) Das Paradebeispiel bildet die Apartheidpolitik der Südafrikanischen Union, aber man könnte auch an die Negerpolitik der USA denken. Das Heraufkommen einer Weltmeinung zu spät erkannt zu haben, war bereits einer der Fehler der deutschen Führung i m ersten Weltkrieg. Es ist zudem für die führenden Weltmächte eine politische Notwendigkeit, auch die innenpolitischen Verhältnisse der Mitgliedstaaten der von ihnen dominierten Bündnissysteme sorgfältig
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zu verfolgen und wenn möglich zu beeinflussen. Daß sie dabei i n ihrem Wunsch, diese Systeme ihrem eigenen anzupassen, manche Fehler begehen, die die Verteidigungskraft des jeweiligen Blocks gerade schwächen können, steht auf einem anderen Blatt. Es wurden hier nur einige der sicher noch zu vermehrenden Gründe dafür angeführt, warum die Unterscheidung zwischen innerer und auswärtiger Politik an Schärfe abzunehmen scheint. Dies bedeutet jedoch nicht den „Versuch, eine unhaltbare Unterscheidung aufzuheben", wie er kürzlich unternommen wurde 6 3 . Aufgehört hat der Unterschied zwischen Innen- und Außenpolitik noch keineswegs, sondern es handelt sich zunächst lediglich darum, eine Tendenz festzustellen. Daß diese Entwicklung eines Tages zu einer neuen Raum- und Rechtsordnung führen wird, ist zu erwarten und zu hoffen. Wann jedoch das Ringen der Mächte u m Vorrang und Einfluß i m internationalen Feld einmünden w i r d i n eine „planetare" Innenpolitik, i n der nur noch die einzelnen Regionen und Interessengruppen ihren Einfluß geltend zu machen suchen, ist nicht vorauszusehen. Und unter welchen Vorzeichen sich dies einmal vollziehen wird, bleibt eine offene Frage. „Quid vesper ferat, incertus est." Wäre einmal ein Weltregime realisiert, so könnte sich auch, z.B. durch Staatsstreich, die ideologische Führung total ändern. Ein unheimlicher Gedanke. Die Nationen haben sich bisher lebensfähiger erwiesen, als es beispielsweise allzu optimistische Paneuropäer wahrhaben wollten. Man tut jedenfalls gut daran, vorerst die nationale Machtpolitik noch nicht als „quantité négligeable" zu betrachten. Auch auf dem kulturellen „Sektor" ist dies deutlich genug spürbar.
63 Von Ekkehardt Krippendorf i n seinem anregenden A r t i k e l : Ist Außenp o l i t i k Außenpolitik?, Politische Vierteljahresschrift, Heft 3, 1963, S. 243—266.
Zweites Kapitel
Die „Interessenten" Die Kapitelüberschrift mag manchem Leser marxistisch klingen, was hier ganz zurückzuweisen wäre, wenn man i m Sinne eines gewissen Vulgärmarxismus darunter nur grobmaterialistische Interessen verstehen wollte. Davon kann selbstverständlich keine Rede sein. Der Titel soll vielmehr i m Sinne eines umfassenderen „cui bono" verstanden werden, wobei freilich die sehr handfesten materiellen Interessen von Gruppen und einzelnen m i t darunterfallen. Zunächst sollen i n diesem Zusammenhang die Nationen betrachtet werden. 1. Die Nationen Halten w i r uns an die sprachliche Wurzel nasci = geboren werden, so bezeichnet „Nation" eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Herkunft. Bei keiner modernen Nation, auch nicht bei den neuentstehenden i n den Entwicklungsländern, kann aber von einer solchen gleichen A b stammung gesprochen werden, da überall ethnische Mischungen vorliegen. So müssen w i r für den Begriff der Nation i n der Hauptsache das K r i t e r i u m des aus einer gemeinsamen Geschichte herleitbaren Gefühls innerer Verbundenheit heranziehen. Auch Georg Jellinek, der es zu den schwierigsten Aufgaben zählte, das Wesen der Nation festzustellen, nennt sie „etwas wesentlich Subjektives, d.h. das Merkmal eines bestimmten Bewußtseinsinhaltes" 1 . Es mag also scheinen, als sei Nation ein zu unklarer Begriff, u m ihn i n unserem Zusammenhang als „Interessenten" anzuführen. Aber da es i n dieser Abhandlung u m Soziologisch-Kulturelles geht, das sich gerade bei den zum Nationalbewußtsein gelangten Völkern in spezifischer idealtypischer Ausprägung zeigt, kann der Begriff hier schwer entbehrt werden. Darüber verkennen w i r nicht, daß sich klarer und sauberer die Regierungen herausarbeiten lassen, die heute allgemein i m Namen der Nation handeln und sprechen, ob m i t oder ohne Berechtigung. Es würde aber an dieser Stelle den Gedankengang unnötig komplizieren, wollte man auf die Divergenzen 1 Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., siebenter Neudruck, Darmstadt 1960, S. 119. Siehe auch weiter unten den Abschnitt „Selbstverständnis, Stereotype u n d Selbstdarstellung von Nationen". Das Thema ist i m H i n blick auf die deutsche Teilung hochaktuell!
4 Emge
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und Konflikte eingehen, die zwischen den Regierungen und den Nationen auch hinsichtlich der internationalen Kulturbeziehungen bestehen können. Was den Regierungen nützt, frommt nicht immer den Nationen. Verstehen w i r also unter einer Nation die Gesamtheit aller derjenigen, die sich nach einem berühmten Wort von Ernest Renan i n einem „plébiscite de tous les jours" 2 als zusammengehörig bekennen, so kann kein Zweifel sein, daß unsere Welt nicht nur i n eine Unzahl von Nationen zerfällt, sondern daß w i r auch Zeugen eines Prozesses sind, i n welchem dank der verfehlten Politik der früheren Kolonialmächte i n den zufälligen Grenzen der ehemaligen kolonialen Territorien eine Fülle neuer „Nationen" aus völkisch oft sehr heterogenen Elementen erwächst 3 . Inwiefern sind nun also Nationen, „Staatsnationen", u m zur Ausschließung von Mißverständnissen m i t Friedrich Meinecke zu sagen4, an auswärtiger K u l t u r p o l i t i k interessiert? a) Zunächst ist die Nation ins Auge zu fassen, die selbst auswärtige K u l t u r p o l i t i k betreibt. Das werden nach Lage der Dinge erwartungsgemäß vorwiegend die älteren Nationen sein, die sich bereits vor längerer Zeit konsolidiert haben und auch über die notwendigen technischen und materiellen M i t t e l verfügen. Aber diese Feststellung gilt nicht uneingeschränkt. Es verdient angemerkt zu werden, daß manche ganz jungen Nationen gerade i n einer intensiven auswärtigen K u l t u r p o l i t i k ein vorzügliches M i t t e l sehen, u m i m Konzert der Mächte besser m i t spielen zu können, ein vermehrtes Prestige zu gewinnen. Ein recht gutes Beispiel hierfür bietet Indonesien, dessen Ausgaben für kulturelle Zwecke i m Ausland prozentual ein Vielfaches derjenigen fast aller europäischen Nationen betragen, und das dadurch deutlich an Gewicht gewinnt. Ja, w i r haben hier eine Rückwirkung insofern, als der Prozeß der Nationwerdung durch diese Selbstdarstellung, die man ernsthaft und rührig dauernd i m Ausland betreibt, und an der sich beispielsweise auch die diplomatischen Missionen m i t ihrer ganzen indonesischen Belegschaft intensiv beteiligen, gefördert wird. Bei aller sonst möglichen K r i t i k an dem spektakulären Auftreten dieser Nation i n der Weltarena ist zu erkennen, daß hier richtige Einsichten zielbewußt i n die Praxis umgesetzt werden. Es ist zu erwarten, daß sich die neuen afrikanischen Nationen dieses Beispiel bald zu Herzen nehmen werden. Eine kulturelle Selbstdarstellung auch außerhalb der Grenzen ist für das Selbstbewußtsein von Nationen wichtig, ja heute kaum entbehrlich. 2
E. Renan: Qu'est-ce qu'une nation?, 1882, S. 27. Vgl. hierzu: Ulrich Schweinfurth: Der Neo-Imperialismus der A n t i - I m perialisten (Zum Problem der „kolonialen Grenzen"), Außenpolitik, Heft 1/1963, S. 5—12. 4 Er unterscheidet „ K u l t u r n a t i o n e n " u n d „Staatsnationen", wobei dann innerhalb einer echten Staatsnation Angehörige verschiedener K u l t u r n a t i o n e n leben können, w i e er am Beispiel der Schweiz zu zeigen versucht. 3
1. Die Nationen
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So verfügen die jeder Expansion und Aufdringlichkeit unverdächtigen Schweden und Schweizer über einen vorzüglichen Apparat der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k i n ihrer Stiftung „Pro Helvetia" und dem „Svenska Institutet". Ohne eine solche kulturelle Selbstdarstellung fehlt dem Agieren auf dem diplomatischen Parkett und allgemein i m internationalen Feld eine wichtige Tiefendimension. Denn Botschafter sind heute zwar höchstens noch formell, aber i n ihrer faktischen Bedeutung und Wirksamkeit genommen, nicht mehr Repräsentanten ihrer Souveräne, die man i m Ausland oft kaum kennt. Man ist nicht mehr wie früher Vertreter eines Louis XIV. oder von Friedrich dem Großen, sondern man vertritt faktisch statt der Königin Elizabeth II. oder des Präsidenten Lübke Großbritannien oder die Bundesrepublik Deutschland 5 . Die Nationen werden aber anschaulich durch ihre Menschen, deren Lebensform daher überzeugend und sympathisch dargestellt werden muß. Je plastischer und eindringlicher dies geschieht, desto leichter hat es das politische Handeln i m engeren Sinne. Auch politische Gegnerschaft w i r d dadurch i m Zaum gehalten. Denken w i r an das Wort Heinrich v. Treitschkes f der i m Hinblick auf die Franzosen einmal sagte, daß es ein unermeßliches Unglück für die Zivilisation der Welt wäre, wenn dieses alte K u l t u r v o l k nicht mehr seinen hohen Rang unter den Völkern behaupten würde. b) Interessenten sind aber auch die Nationen als Destinatäre, also diejenigen, auf deren Territorien die auswärtige K u l t u r p o l i t i k eines anderen Staates w i r k e n soll. A m deutlichsten w i r d dies heute bei einem Blick auf die „Entwicklungsländer", die sich bei den älteren Nationen teilweise i n dringlichster Weise u m deren kulturelle A k t i v i t ä t bemühen. Hier verlassen w i r natürlich unser engeres Thema und treten i n Gebiete ein, deren vielschichtige Problematik anderweitig untersucht wird. Aber auch wenn w i r i m herkömmlichen Bereich auswärtiger K u l t u r arbeit bleiben, ist leicht zu sehen, daß nicht nur einzelne, sondern ganze Nationen und deren Regierungen Interesse daran haben und haben müssen, daß andere Nationen auf ihrem Gebiet auswärtige K u l t u r p o l i t i k betreiben. Mag dies aus dem Grunde geschehen, daß man k u l t u r e l l ganz allgemein oder auf besonderen Gebieten von der anderen Nation zu lernen wünscht 8 , oder mag es gerade i n das Konzept einer Regierung 5 Gelegentlich verschieben sich die Akzente, falls nämlich die P o l i t i k eines Landes von einem m i t charismatischen Gaben (dies natürlich ganz wertfrei verstanden) ausgestatteten Politiker bestimmt w i r d . Dann mag dieser oder jener Vertreter eines Landes i m Ausland als der verlängerte A r m z. B. eines John F. Kennedy oder eines Charles de Gaulle betrachtet werden. Aber i m Grunde bleibt unsere Feststellung davon unberührt: Die Legitimation beider u n d aller modernen Staatsführer geht von ihrer Nation aus, oder w i r d zumindest bona oder mala fide so dargestellt. Seit 1792 w a r dieser Prozeß u n aufhaltsam. 6 Kenntnisse u n d Fähigkeiten anderer Völker sind oft komplementär zu den eigenen. Diese Erkenntnis hat vielfach dazu geführt, Fremde ganz bewußt
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2. Kap.: Die „Interessenten"
passen, eine andere Nation, m i t der man aus außenpolitischen Gründen enger zusammenarbeiten möchte, z. B. i n einem Militärbündnis zusammengeschlossen bleiben w i l l , i m eigenen Volke populär zu machen. Die kulturelle Tätigkeit der anderen Nation w i r d natürlich nur so lange gewünscht, als diese nicht direkte politische Ziele damit verbindet, die den Intentionen des Gastlandes zuwiderlaufen. Hier deckt sich nun das, was von der Regierung eines Landes der diplomatischen Vertretung eines anderen gesagt wird, nicht immer m i t der wahren Auffassung. Als allgemeine Regel kann gelten, daß das, was die Regierung eines Gastlandes offiziell an auswärtiger K u l t u r p o l i t i k eines anderen Staates auf ihrem Terrain begrüßt, häufig über das hinausgeht, was sie wirklich wünscht. Denn es ist nicht ganz einfach, Einwände gegen kulturelle, insbesondere hochwertige kulturelle Darbietungen zu erheben, auch wenn der dadurch dem Entsendestaat zuwachsende Sympathieanteil gerade unerwünscht ist. W i r sahen dies verschiedentlich anläßlich der großen Gastspiele sowjetrussischer Balletts, Tanzgruppen und Zirkusunternehmen, denen gegenüber sich manche Staaten i n einer ungemütlichen Zwangslage befanden. Denn natürlich gewinnt der Entsender durch kulturelle Spitzenleistungen Sympathien, die der Regierung des Gastlandes andererseits die Durchführung von politisch vielleicht erforderlichen, harten Maßnahmen erschweren. I n diesem Zusammenhang stellt sich aber auch die Frage, was denn i m „wohlverstandenen Interesse" des Gastlandes liege. Sicher w i r d man manchmal argumentieren können, daß zwar i n einer bestimmten historischen Konstellation eine Regierung durch die wirksame kulturelle Tätigkeit eines anderen Landes auf ihrem Boden i n einiger Hinsicht behindert wird, daß aber der Freundschaft zwischen zwei Nationen dadurch doch ein Dienst erwiesen werden kann, somit ä la longue doch auch dem Gastland genützt wird. So hätte es w o h l i m Interesse Deutschlands gelegen, wenn vor 1914 Frankreich und England durch eine geschickte K u l t u r p o l i t i k Sympathien für sich i m Reich zu wecken gewußt hätten, selbst wenn dadurch vielleicht auch eine Militärvorlage i m Reichstag zum Scheitern verurteilt worden wäre. Eine Regierung w i r d daher gut daran tun, auch längerfristige Entwicklungen bei ihrer Einstellung gegenüber den kulturellen Aktivitäten anderer Nationen auf ihrem Hoheitsgebiet i m Gesichtsfeld zu behalten. Der Nation als solcher frommt eine Konfrontierung m i t den kulturellen Werten anderer Völker meist. „Jedes ins L a n d zu ziehen, denken w i r an die Juden, die Hugenotten oder die Europäer generell i n unterentwickelten Gebieten. Vergessen w i r nicht, daß es noch i m vergangenen Jahrhundert englische Ingenieure waren, die die ersten deutschen Eisenbahnen errichteten. Die der Soziologie seit längerem bekannte wichtige Rolle des „Fremden" hat neuerdings G. Eis ermann i n seinem Aufsatz „Die Bedeutung des Fremden f ü r die Entwicklungsländer" m i t aktuellen Bezügen dargestellt. („Schmolles Jahrbuch", 84. Jg. 1964, 3. Heft.)
2. Verschiedene Institutionen
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Volk ist unvollständig und sucht sich zu ergänzen, je höher es steht, u m so mehr", bemerkt Jacob Burckhardt i n seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen". So lernt man voneinander und gewinnt Maßstäbe. Die Begegnung hilft, aus dem Provinzlertum herauszukommen, und ist ein Schutz davor, wieder dorthin zurückzusinken. Erst wo das Problem der echten Überfremdung auftaucht, wie es beispielsweise für Deutschland i m 17. und 18. Jahrhundert durch die französische K u l t u r leicht festzustellen ist, w i r d Vorsicht am Platze sein. Vielleicht weniger, w e i l eine solche Überfremdung absolut schädlich ist, denn es kann aus K u l t u r mischungen ja durchaus etwas Neues, Wertvolles, ja viel Wertvolleres entstehen, als w e i l aller historischen Erfahrung nach Reaktionen m i t unheilvoller Antithesis zu gewärtigen sind. W i r erleben dies heute i n vielen früheren Kolonialgebieten in aller Schroffheit. 2. Verschiedene Institutionen Über die soziologische Literatur ist i n kurzer Zeit ein Begriff i n allgemeineren Gebrauch gekommen, ja zum beliebten Schlagwort der Journalistik geworden, der damit das Schicksal von mehreren Dutzenden soziologischer Fachtermini teilt: der Begriff der „pluralistischen" Gesellschaft. Noch i n der dritten Auflage von Georg Jellineks allgemeiner Staatslehre 7 sucht man das Stichwort Pluralismus vergebens. Der Begriff bürgerte sich, worauf auch Helge Pross i n einer jüngst erschienenen Darstellung hinweist 8 , i n Deutschland erst nach dem zweiten Weltkrieg allgemein ein. Die Staatslehre kannte ihn freilich früher. Erschien noch i m vorigen Jahrhundert die bürgerliche Gesellschaft hinsichtlich ihrer Herrschaftsstruktur als i m wesentlichen monistisch (es steht angesichts der auch früher rivalisierenden dynastischen, religiösen, wirtschaftlichen usw. Gruppen freilich dahin, i n welchem Umfang sie es zu den verschiedenen Epochen auch wirklich war), so w i r d heute offensichtlich „jeder Sektor beherrscht von einer Gruppe oder von mehreren Gruppen, die von den Regenten der übrigen Teilsysteme insofern unabhängig sind, als keine den anderen einfach zu diktieren vermag" 9 . Anscheinend beherrscht i m Westen der Kompromiß das politische und gesellschaftliche Feld, und w i r tendieren zu einem Zustand, „der mehr einem Bund der vereinigten Verbände, Kirchen, Kreis- und Stadt7
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1. Aufl. 1900; mehrere Neudrucke der 3. Aufl. besorgte Walter Jellinek bis 1928. 8 Helge Pross: Z u m Begriff der pluralistischen Gesellschaft, i n : Zeugnisse, Theodor W. Adorno zum 60. Geburtstag, Frankfurt/Main, 1963, S. 439—450. Dort auch weitere Literaturangaben. Vgl. auch den entsprechenden Abschnitt i m Fischer-Lexikon Staat u n d Politik, hrsg. von Ernst Fraenkel und K a r l Dietrich Bracher , S. 236—238. 9 Helge Pross , a. a. O., S. 441.
2. Kap.: Die „Interessenten"
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republiken nahekommt, mehr einem Gruppenbund als einem Bundesstaat" 10 . Die Relevanz des Begriffes der pluralistischen Gesellschaft für unser Thema ist ohne weiteres klar: W i r d an einem Außenministerium i m Parlament oder i n Presse und Rundfunk hinsichtlich seiner K u l t u r p o l i t i k heftig K r i t i k geübt, so ist doch stets daran zu denken, daß die beanstandete offizielle Politik nicht i n einem „ I v o r y tower" erdacht und dann als ein esoterisches Glasperlenspiel planmäßig durchgeführt wird. Sondern auch i n den Kulturabteilungen dieser Ressorts, wie i n allen anderen, kommen Pläne und Entscheidungen i n der Regel unter Beteiligung, nach Befragung oder nach Kenntnisnahme spontaner Äußerungen von durch die vorgesehenen Maßnahmen Betroffenen zustande. Andererseits sind auch die parlamentarischen Äußerungen und die Pressekommentare oft inspiriert, was die auffallende und eigentümliche Wellenbewegung zu einem Teil erklären mag, die dem Interesse an der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k z. B. i n der Bundesrepublik Deutschland zu eigen ist. Natürlich sind die Kämpfe u m Macht und Einfluß, die hinter den Kulissen der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k vor sich gehen, nicht entfernt denen vergleichbar, wie sie sich etwa i m wirtschaftlichen und sozialen Raum zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden abspielen. Aber es ist doch zu berücksichtigen, daß beispielsweise Fragen der Auslandsschulen von erheblichem Interesse für Lehrerverbände sind, die für ihre i m Ausland tätigen Mitglieder eintreten; daß Konzert- und Theateragenturen und die durch sie vermittelten Personenkreise, z.B. Orchester und Theatergruppen, Einfluß zu nehmen versuchen; daß den Kirchen eine bedeutende Rolle zukommt; daß mannigfache Vereinigungen für internationale Zusammenarbeit, Jugendverbände, Sportorganisationen usf. ihre spezifischen Interessen haben, Verlage am Buchabsatz interessiert sind. Sie alle w i r k e n dann i n dieser Hinsicht, willentlich oder nicht, als „Pressure Groups", wie der plastische, wenn auch polemisch gefärbte Ausdruck lautet, machen ihren Einfluß auf die Ministerialbürokratien mehr oder weniger massiv geltend, deren Konzepte, sofern die Verantwortlichen genügend Zeit haben, solche überhaupt detaillierter zu erarbeiten, dadurch oft entscheidend verändert werden. Denn der Staat ist bei seinen Initiativen auf die Verbände als „Transmissionsriemen" angewiesen. Diese Institutionen können w i r nun ihrer Interessenrichtung nach wiederum, wie w i r es bereits früher für die Nationen taten, i n solche einteilen, die i m Ausland selber w i r k e n möchten, und i n jene, die i n ihrem eigenen Lande von den Kulturgütern anderer Nationen, von der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k anderer Staaten profitieren wollen. Sind beispielsweise Orchester und Bühnenensembles an Gastspielen inter10
Theodor Eschenburg: Herrschaft der Verbände? Stuttgart 1955, S. 87.
2. Verschiedene Institutionen
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essiert, Kirchen an einer Ausweitung ihrer Missionsarbeit, Museen an Ausstellungen, so liegt andererseits den gleichen Institutionen auch daran, kulturell hochwertige, „publikumswirksame" oder ihnen sonst förderliche Projekte durchzuführen, die aus dem Ausland kommend m i t Mitteln der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k anderer Nationen finanziert oder — häufiger — jedenfalls gefördert werden. Und ebenso wie die Außenministerien und Kultusministerien oder die offiziösen m i t auswärtiger Kulturpolitik betrauten Stellen täglich zahlreiche Anregungen und A n träge von kulturellen Organisationen erhalten, so ebenso die K u l t u r referate der Missionen i n den Gastländern, oder die Auslandsstellen der i n Frage kommenden Institutionen. Daß auch diesbezüglich die sogenannten „Entwicklungsländer" besonderes Interesse zeigen, hat sich i n den letzten Jahren i n dringlichster Weise manifestiert, wobei sich die Wünsche teilweise zu Forderungen steigerten, die alle Realisierungsmöglichkeiten weit überschreiten. Meist t r i t t hier jedoch noch der Staat als Antragsteller oder Advokat der Wünsche auf, da sich der Pluralismus der Verbände erst i n entwickelteren Sozialsystemen ausprägt. Aus dem Gesagten soll nun nicht der Eindruck entstehen, als wären die Initiativen, Wünsche oder auch Bedenken der i n Frage kommenden kulturellen Institutionen zu beklagen. Ganz i m Gegenteil! Die verschiedenen Anregungen und Pläne dieser Stellen haben einer für Kulturelles aufgeschlossenen Leitung der auswärtigen Politik grundsätzlich hochwillkommen zu sein. Auch was die Bedenken dieser Verbände angeht, so muß man sich vergegenwärtigen, daß es einfach zum Begriff der pluralistischen Gesellschaft gehört, die Verbände wesentlich auch als „Vetogruppen" 1 1 zu sehen, die anderweitig geplante Vorhaben i m eigenen oder i m Interesse der Gesamtheit, wie meist gesagt wird, zu verhindern suchen. N u r durch Äußerungen der unmittelbar Betroffenen kann sich ja überhaupt eine kulturpolitische Linie ergeben, die dann freilich auch klar sein und den „ M u t zur Lücke" haben muß. Und noch ein Weiteres kommt hinzu: Auswärtige Politik betreibt ein Staat m i t seinem eigenen Verwaltungsstab. Auswärtige K u l t u r p o l i t i k dagegen ber u h t letztlich auf den Leistungen anderer, ist daraus historisch erwachsen und kann i m wesentlichen nur gewisse Weichen stellen, Hindernisse entfernen, Wege ebnen und die kulturellen A k t i v a des eigenen Landes dem Ausland zugänglich machen. Die kulturellen Leistungen selbst aber kann sie nicht hervorzaubern.
11 „ A series of groups, each of which has struggled for and f i n a l l y attained a power to stop things conceivably i n i m i c a l to its interests." D a v i d Riesman et a l i i : The Lonely Crowd, Doubleday Anchor Books Edition, 1953, S. 247. „ B y their very nature the veto groups exist as defense groups", a. a. O., S. 248.
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2. Kap.: Die „Interessenten" 3. Einzelne
Erkennen w i r i n den Staaten oder den i n diesen ihre Form findenden Nationen sowie i n verschiedenen Institutionen die Hauptinteressenten an auswärtiger K u l t u r p o l i t i k (wie auch immer verstanden und ausgeprägt), so können w i r doch auch nicht das Interesse einzelner ignorieren, mag sich dieses auch weit seltener unverhüllt äußern. Denn auch die einzelnen haben gelernt, daß sie ihren Wünschen dann am besten Nachdruck verleihen können, wenn sie ihre Anliegen als i m Interesse „der Nation", „des Vaterlandes", „der Demokratie" oder „der Kunst" liegend vorbringen und vertreten. Besonders beliebt ist auch seit einigen Jahren die Wendung, daß das dem einzelnen am Herzen Liegende gerade besonders wichtig für die „internationale", „europäische", oder eine spezifische „bilaterale" Verständigung sei. Dieser ideologischen Hüllen bedienen sich einzelne also ebenso wie manche der bereits behandelten Institutionen. Gerade als Vertreter solcher Kollektive und i n ihrem Namen sprechend, lieben einzelne es, das ihnen persönlich förderlich Erscheinende zu betreiben. Das fängt bereits bei den Dienstreisen ins Ausland an, die bei angemessener Höhe der Reisekosten und erträglichen Lebensbedingungen mehr als nötig unternommen werden. Aber wichtiger sind für uns i n diesem Zusammenhang die einzelnen Schriftsteller, Gelehrten, Musiker, Schauspieler, Studenten, Sportler, Lehrer, Maler, Vortragsreisenden aller Sorten usw., die erwarten, daß man gerade ihren besonderen Wünschen ein hervorragendes Verständnis entgegenbringt. Gerade solchen einzelnen gegenüber kommen nun die M i t t e l verwaltenden Stellen oft i n die schwierige Lage, nicht sachkundig beurteilen zu können, wie groß die angebotene Leistung denn wirklich ist, und welche Bedeutung sie zudem i m Rahmen des vorgesehenen Projekts und i m Hinblick auf das ausgewählte Land besitzt. Zunehmend gehen daher die angegangenen Staats- und Verwaltungsstellen dazu über, Fachinstitutionen die Entscheidung zu überlassen, oder doch zumindest sie u m ihre dann i n der Regel befolgte Stellungnahme zu bitten. Ja es ist ein solches Verfahren meist direkt institutionalisiert, i n entsprechenden Vereinbarungen festgelegt oder doch gewohnheitsrechtlich eingefahren, wobei die Tendenz i n der Regel dahingeht, den entsprechenden Verbänden die Entscheidung schließlich ganz zu übertragen; schließlich ist es auch nur folgerichtig, wenn der Antragsteller von vornherein direkt dorthin verwiesen wird. Entsprechendes gilt beispielsweise i n der Bundesrepublik für das Stipendienwesen, wofür vor allem der „Deutsche Akademische Austauschdienst" oder die „Alexander-v.-Humboldt-Stiftung" zuständig sind. Beide Institutionen haben sich sehr gut bewährt.
3. Einzelne
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Schwierigkeiten treten auf, wo Organisationen eine allzu eigenwillige Politik treiben. Auch fällt auf einigen Sachgebieten Objektivität besonders schwer. Wenn es schon i n manchen wissenschaftlichen Disziplinen schwer genug ist, eine Qualifikation gerecht zu beurteilen, und w i r auch unter angesehenen Fachvertretern i n dieser Hinsicht krasse Divergenzen finden, so gilt bekanntlich das „De gustibus non est disputandum", weitgehend auf dem Gebiet der schönen Künste, wo die Entscheidungen ein Höchstmaß an Fingerspitzengefühl und oft Selbstüberwindung erfordern. Gibt es schon i n der Wissenschaft Moden, so ist ihre besondere Domäne doch die Kunst m i t ihren wechselnden Stilrichtungen. Nehmen w i r ein Beispiel aus der Musik: W i r d etwa Karl-Heinz Stockhausen, gegenwärtig der bekannteste Komponist von Elektronenmusik i n Deutschland, von einer bestimmten Stelle i m Ausland persönlich gebeten, über seine Arbeit zu sprechen und sie phonetisch zu illustrieren, so mag andererseits die u m Förderung seiner Reise ersuchte Stelle i h n als Künstler radikal ablehnen. Gerade eigenwillige und „avantgardistische" Persönlichkeiten laufen hier ein größeres Risiko. Man erinnert sich, daß vor einiger Zeit eine heftige Kontroverse über Bert Brecht entstand. „Quis judicabit?" Und welche Gesichtspunkte sollen Vorrang haben? Auch gilt es i m Hinblick auf einzelne, die sich bekanntlich nicht immer als Repräsentanten ihrer Nation fühlen, die politische Bedeutung zu erwägen, die ihrem Auslandsaufenthalt zukommt oder zukommen könnte. Gerade die Bundesrepublik muß hier sorgfältig abwägen, so beispielsweise, ob das Auftreten eines bestimmten Künstlers i n diesem oder jenem Land möglich und den Beziehungen zu diesem Land förderlich ist. So gibt es immer noch Reserven i n den USA — speziell i n New York — gegenüber bedeutenden deutschen Musikern, die auch i m nationalsozialistischen Regime prominent und vielleicht auch politisch engagiert waren. Man leistet unserer Außenpolitik, K u l t u r werbung und auch den betreffenden Künstlern selbst einen schlechten Dienst, wenn man es aus solchen Anlässen zu feindlichen Manifestationen gelangen läßt. Hier kommt dem Urteil der zuständigen Auslandsvertretung ausschlaggebende Bedeutung zu. Schließlich kann hier, u m ein weiteres Beispiel zu nennen, auch der Kulturattaches selbst und der sonstigen Funktionäre auswärtiger K u l turarbeit Erwähnung getan werden. Sie haben an einem Aufschwung ihrer Domänen neben dem sachlichen auch ein unmittelbar persönliches Interesse. Doch könnte man angesichts der andauernden Unterschätzung der auf dem Gebiete der auswärtigen Kulturarbeit liegenden Möglichkeiten hier an den berühmten Satz aus Bernard Mandevilles „Bienenfabel" denken, daß die „private vices" zu „public benefits" werden.
Drittes
Kapitel
Der technisch-administrative Apparat W i r sagten, daß auswärtige K u l t u r p o l i t i k sensu proprio entweder vom Staate selbst betrieben wird, oder doch jedenfalls i n i h m ihren M i t t e l punkt hat, wobei es soziologisch für uns zunächst nicht entscheidend sei, ob die Institutionen, welche damit befaßt sind, eigentliche staatliche Instanzen darstellen oder nur vom Staat kontrolliert und finanziert werden. Daß natürlich eine unübersehbare Anzahl von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Gruppen auf die auswärtige K u l t u r p o l i t i k einwirkt, soll dabei keineswegs übersehen werden; man denke nur etwa — als extremen F a l l derjenigen Phänomene, die sich der Erfassung wegen ihrer Imponderabilien und Flüchtigkeiten leicht entziehen — an das weite Feld des „Tourismus". Einen Übergang bilden die privaten Institutionen für internationale Zusammenarbeit; w i r werden uns i n anderem Zusammenhang noch m i t diesen Dingen zu beschäftigen haben. Betrachten w i r also zunächst: 1. Die staatliche Kulturdiplomatie I m Grunde ist die Überschrift „staatliche Kulturdiplomatie" pleonastisch. Denn als Kulturdiplomatie können w i r , wenn w i r u m Begriffsklärung bemüht sind, nur denjenigen Teil der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k bezeichnen, der bei den Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten ressortiert, analog also der Diplomatie generell. Der Sache nach, als Teil der Auswärtigen Politik uralt, und früher i n Personalunion m i t der politischen Arbeit betrieben 1 , ist ein spezifischer Apparat für diesen Bereich als eigenes Instrument auswärtiger Politik doch jungen Datums. 1 Wenn beispielsweise der Maler L u d w i g Richter i n seinen berühmten „Lebenserinnerungen eines deutschen Malers" aus seiner Zeit i n Rom 1826 notiert: „ A l s ich bei Bunsen meinen Abschiedsbesuch machte, traf ich daselbst den Kapellmeister Neukomm, den Vertrauten Talleyrands" (Neue Ausgabe der Lebenserinnerungen, Leipzig 1909, S. 279), so w i r d hier deutlich, w i e sehr sich doch damals die kulturelle Sphäre m i t der auswärtigen P o l i t i k verwob, u m so mehr, w e n n m a n berücksichtigt, daß der Gesandte des preußischen Königs Friedrich Wilhelms I I I . , Chr. K . J. Frhr. v. Bunsen, selbst ein bekannter Theologe w a r u n d wenig später zugleich als Generalsekretär des 1829 gegründeten Archäologischen Instituts i n Rom fungierte. Von den älteren diplomatischen Missionen eines Peter Paul Rubens ganz zu schweigen.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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a) Die Arbeit der Zentralen Vor dem ersten Weltkrieg gab es erst Ansätze. So hat es beispielsweise i m Auswärtigen A m t des Deutschen Reiches vor Schaffung der kulturpolitischen Abteilung i m Jahre 1920 nur zwei Referate gegeben, die sich m i t kulturellen Dingen i m engeren Sinne befaßten: ein i n den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begründetes Referat für Kunst und Wissenschaft und das 1906 eingerichtete Schulreferat. Ein Kenner der damaligen Verhältnisse, der erste Schulreferent, Geheimrat Franz Schmidt, nennt es aber einen „ I r r t u m , anzunehmen, daß diese beiden Referate kulturpolitisch ausgerichtet gewesen wären. Das Kunstund Wissenschaftsreferat hat überhaupt bis zu seiner Schließung am Ende des ersten Weltkrieges nie eine kulturpolitische A k t i v i t ä t entfaltet und nicht einmal erreicht, daß i h m zu diesem Behuf die Veranstaltung deutscher Kunstausstellungen i m Auslande, die sich die Handelsabteilung vorbehielt, überlassen wurde" 2 . Und auch i n der Vorgeschichte des Schulreferates, das zehn Jahre hindurch nur ein Anhängsel jenes anderen Referates bildete, soll — nach Schmidt — keinerlei k u l t u r politische A k t i v i t ä t zutage getreten sein. Wort und Begriff der K u l t u r politik dürften überhaupt erst i n den ersten Jahren unseres Jahrhunderts entstanden sein, i n Deutschland nicht zuletzt i m Zusammenhang m i t dem Wirken des großen preußischen Kulturpolitikers Friedrich Althoff. Eine industrialisierte Gesellschaft erhoffte sich schon damals von der Erziehung die Lösung ihrer Probleme. Aber erst i m Verlauf des ersten großen Völkerringens unseres Jahrhunderts, als der Machtanspruch und das Prestige der großen Mächte beider kriegführender Parteien heftig umstritten wurden, erkannte man die Stimmung der Völker als wichtigen Faktor, ließ die Kriegspropaganda an- und schließlich auf höchsten Touren laufen und versuchte, die öffentliche Meinung des neutralen Auslands stimmungsmäßig zu beeinflussen. Beide Seiten fingen nun an, ihre besten Künstler, z. B. Orchester, Opern- und Schauspielgruppen, für die Außenpolitik zu „aktivieren", was natürlich einen entsprechenden Planungsstab und technischen Verwaltungsapparat erforderte. Ebenso wie für das staatliche Pressewesen („Kriegspresseamt") w i r d man auch für die Entwicklung des kulturellen Sektors der auswärtigen Politik hier die effektivsten Impulse der älteren Phase finden 3 . 2
Vgl. Franz Schmidt: Anfänge deutscher K u l t u r p o l i t i k i m Ausland, i n : Zeitschrift f ü r Politik, Heft 3/1956, S. 252. 3 M a n entschloß sich nicht überall leicht dazu. Als beispielsweise der Histor i k e r K a r l Lamprecht dem Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg, einem einstigen Schulkameraden aus Schulpforta, i n Denkschriften eine A k t i v i e r u n g deutscher auswärtiger K u l t u r p o l i t i k nahelegte, antwortete i h m dieser noch 1915, er gebe zu, daß Frankreich u n d England aus ihrer Kulturpropaganda i n P o l i t i k u n d Wirtschaft bedeutenden G e w i n n gezogen hätten, u n d sei v o n der Wichtigkeit, j a der Notwendigkeit einer auswärtigen K u l t u r p o l i t i k überzeugt. Was aber i n jenen Ländern auf diesem Gebiet geleistet werde, sei keine L e i -
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
Nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde nun i m Jahre 1920 eine Kulturabteilung i m Auswärtigen A m t organisatorisch verselbständigt, während bis dahin zu den genannten beiden Referaten lediglich noch die Kirchenangelegenheiten hinzugekommen waren. Nun wuchsen die Aufgaben. Die Deutschen i m Ausland sollten betreut werden und die deutsche Wissenschaft sah sich einem Boykott gegenüber und brauchte daher Hilfe. Doch auch in anderen europäischen Ländern verlief die Entwicklung ähnlich. So schildert ein Kenner der französischen Verhältnisse die damalige Entwicklung am Quai d'Orsay, wo schon 1900 ein „Bureau des écoles" der Politischen Abteilung angegliedert worden war: „Quant à l'action culturelle, dont la France fut la première à reconnaître l'importance pour appuyer à long terme l'effort diplomatique, le soin de l'animer et de la diriger avait été confié, dès 1911, à u n organisme spécial, le Bureau des Œuvres, transformé en service en 19204." Der offizielle Titel der Abteilung lautet heute „Direction Générale des Affaires Culturelles et Techniques." Während Großbritannien m i t seinem neben einer kleinen Kulturabteilung i m Foreign Office 1935 geschaffenen „British Council" als erstes Land eigene Wege beschritt 5 , haben die Vereinigten Staaten als letzte Großmacht erst i m J u l i 1938 eine „Division of Cultural Relations" i m „Department of State" eingerichtet, doch haben die teils innerhalb und teils außerhalb des State Departments aufgebauten Organisationen für kulturelle Auslandsarbeit inzwischen mehrfache verwirrende Transformationen und Verschmelzungen m i t Informationsdiensten durchgemacht 6 . Was sind nun die Funktionen der Kulturabteilung eines Außenministeriums als der organisatorischen Zentrale der staatlichen auswärtigen Kulturarbeit? Folgende Aufgabenbereiche erscheinen als besonders wichtig: stung ihrer Regierungen, sondern der nationalen Gesamtheit, der Einheit u n d Geschlossenheit ihrer K u l t u r e n , des zielsicheren Geltungswillens der Nation selbst. Das deutsche Nationalbewußtsein sei demgegenüber noch nicht fest u n d bewußt genug; es bedürfe der Vertiefung u n d Stärkung, u n d dazu könne die Regierung nichts t u n (vgl. Franz Schmidt, ibidem, S. 255). I m zweiten W e l t krieg hatte m a n solche Skrupel nicht! 4 Jacques Chazelle: L a Diplomatie, Paris 1962, S. 63/64. 5 Aus der 1917 neben der Presseabteilung noch zusätzlich geschaffenen I n formationsabteilung des Außenministeriums ist das Propagandaministerium unter L o r d Beaverbrook hervorgegangen. A u f den „ B r i t i s h Council" gehen w i r später ausführlich ein. 6 1946 „Office of Public and Culture Affaires", 1948 „Office of International Information" u n d „Office of educational exchange", verschmolzen 1952 i n der „International Information Administration", 1953 Einrichtung der „US I n f o r mation Agency (USIA), sind einige Etappen. Die Dinge sind noch immer i m Fluß, u n d m a n experimentiert. Dabei f ä l l t es den Amerikanern offenbar sehr schwer, die langfristige K u l t u r a r b e i t auch organisatorisch v o n der aktuellen politischen Information zu trennen (vgl. P h i l i p H. Coombs, 1. c.), was sich f ü r die kulturellen A k t i v i t ä t e n schädlich auswirkt.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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1. Planung und Koordination der verschiedenen sachlichen und regionalen Aktivitäten. 2. Aufstellung des Budgets und Verwaltung der Kulturfonds. 3. Abstimmung der K u l t u r p o l i t i k m i t der allgemeinen Politik des Außenministeriums (z. B. i n Abteilungsleiterbesprechungen). 4. Ständige Verbindung und Beratung m i t den anderen Ressorts (insbesondere den Kultusministerien) und den mehr oder weniger autonomen Institutionen i m Heimatland, die auswärtige K u l t u r arbeit betreiben (z. B. dem British Council). 5. Beratung und gegebenenfalls Unterstützung von Institutionen und Einzelpersönlichkeiten i m Heimatland, die kulturell i m Ausland tät i g werden wollen oder sollen. 6. Auswertung der Berichterstattung der Auslandsmissionen und entsprechende weitere Veranlassungen. 7. Erteilung grundsätzlicher oder spezifischer Weisungen an die Auslandsmissionen. 8. Betreuung von Besuchern aus dem Ausland. Eine spezifische und altbekannte Schwierigkeit der Organisationsplanung für Außenministerien ist hier zu nennen: Die Frage nämlich, wie die Auswärtigen Ressorts grundsätzlich zu organisieren sind. Man kann nämlich entweder sogenannte Länderabteilungen schaffen, i n denen nach Ländern oder Ländergruppen (z.B. Skandinavien) gegliederte Referate die verschiedenen Sachgebiete zusammen bearbeiten (die ältere Lösung), oder man kann andererseits (der Tatsache Rechnung tragend, daß der Charakter der zu behandelnden Fragen mehr und mehr „technisches" Wissen voraussetzt) Fachabteilungen einrichten, bei denen die einzelnen Sachgebiete (z. B. die politischen, juristischen, w i r t schaftlichen oder kulturellen Angelegenheiten) unabhängig von der Frage bearbeitet werden, welche Länder betroffen sind. Die Umorganisationen, denen fast alle Außenministerien von Zeit zu Zeit unterworfen werden, zeigen, daß man die optimale Lösung noch nicht gefunden hat. I n den meisten Ländern läuft aber die Entwicklung dahin, daß man sich für eine Mittellösung entscheidet, d. h. man bildet sowohl Länderabteilungen, deren Referate einzelne Ländergruppen umfassen, als auch Fachabteilungen, deren Referate dann die einzelnen Sachgebiete bearbeiten. Daß dabei alle Fragen von größerer Bedeutung von mindestens zwei Referaten verschiedener Abteilungen gleichzeitig bearbeitet werden müssen, ist eine dabei unvermeidliche Konsequenz. Sie vergrößert naturgemäß den Zeitaufwand bei der Bearbeitung der Vorgänge, was sich aber bei der K u l t u r p o l i t i k i m Unterschied z. B. zur Pressepolitik nicht allzu ungünstig auswirkt, da Wirkung auf lange Sicht oberstes Gesetz ist. Ernster ist schon, wenn gute Projekte von k u l t u r -
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
politisch interessierter Seite aus Gründen der Tagespolitik von politischen Abteilungen torpediert werden. Andererseits kommen wertvolle Anregungen von Länderreferaten, insbesondere, wenn man das betreffende Gastland gerade politisch umwerben möchte. Hier gilt es für den verantwortungsbewußten Kulturpolitiker manchesmal sogar zu bremsen, etwa vor Staatsbesuchen, i n deren Verlauf gern m i t großzügiger Geste Geschenke kultureller A r t gemacht werden, zumal diese Gaben gelegentlich m i t Ehrendoktorhüten für die prominenten Besucher honoriert werden. Das Wesen jeder organisierten sozialen Gruppe liegt u. a. darin, daß w i r Funktionen, die den Zwecken der sozialen Gesamteinheit dienen — oder zumindest dienen sollen — auf einzelne Gruppen oder Untergruppen verteilt finden 7. Sind die Kulturabteilungen nun derartige Untergruppen i m Rahmen der Organisation eines Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, wie dieses selbst seinerseits eine solche innerhalb des größeren Verwaltungsstabs einer Regierung, so gliedern sich die Kulturabteilungen ihrerseits nun weiter auf. Als Beispiel für ein solches Organisations-Schema mag hier der Ordnungsplan der K u l t u r abteilung des Auswärtigen Amts i n Bonn aufgeführt sein, wie er sich Anfang der 60er Jahre 8 darstellte. Ref. 600: Grundsatzangelegenheiten. Ref. 601: Internationale staatliche kulturelle Institutionen, Gästeprogramm der Bundesregierung. Ref. 602: Kirchliche Beziehungen zum Ausland, kulturelle Aufgaben k a r i t a t i v e r A r t , Medizinalangelegenheiten. Ref. 603: Deutsche Schulen i m Ausland, Sprachförderung. Ref. 604: Wissenschaft, Hochschulen, Jugendfragen, Sport. Ref. 605: Kunst, F i l m , Rundfunk; Treuhandverwaltung von K u l t u r g u t . Ref. 606: Buchwesen.
Dabei sind einige, zum Teil sehr wichtige Arbeitsgebiete, z.B. die Erwachsenenbildung oder die deutschen Kulturinstitute i m Ausland nicht ausdrücklich genannt, da sie einigen der genannten Referate ziemlich unorganisch angegliedert waren. 7 I n seiner bereits genannten Akademiehandlung hat der Verfasser einschlägige Fragen behandelt. Vgl. darin insbesondere die Abschnitte I I : Wesentliche Eigenschaften der organisierten Gruppe u n d I I I . Die „Technik" des Organisierens. Es besteht i n der Soziologie eine gewisse Neigung, den Begriff der Organisation m i t Bauweise, Struktur, Qualität sozialer Körper v e r schwimmen zu lassen. Doch k o m m t die Soziologie schwer weiter, w e n n sie sich nicht u m klare Begriffsbestimmungen bemüht u n d dann daran hält. Aus der jüngsten L i t e r a t u r über Organisation nennen w i r : Renate Mayntz: „Soziologie der Organisation", H a m b u r g 1963 (rowohlts deutsche enzyklopädie). 8 Der Ordnungsplan ist i n der Publikation „Der Auswärtige Dienst der Bundesrepublik", Sondernr. „die Leistung", 10. Jg. Nr. 76 publiziert worden, die i n Zusammenarbeit m i t dem Auswärtigen A m t herausgegeben worden ist; sie verfolgte den Zweck, die Esoterik etwas zu mildern, welche f ü r die Öffentlichkeit m i t auswärtigen Angelegenheiten traditionsgemäß verbunden ist.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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Über die Arbeit der Kulturabteilung des A. A. hat der Bundesminister des Auswärtigen am 11. Dezember 1963 vor dem Bundestag folgendes erklärt 9 : „ I n der Zeit von 1956 bis 1963 ist (daher) die Zahl der Bediensteten i n der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts u m etwa 40 °/o verstärkt worden. Dieser Personalvermehrung 10 steht ein rasch anwachsender Arbeitsanfall gegenüber. So werden i m Schul- und Kulturfonds heute 166 Millionen D M gegenüber 27 Millionen D M i m Jahre 1956 verwaltet; die Zahl der vom Schulreferat vermittelten Lehrer stieg i m gleichen Zeitraum von 312 auf 1168, die Zahl der betreuten Schulen von rund 140 auf 440, die Zahl der zu bearbeitenden Kulturabkommen von 11 auf 32. Dieses Anwachsen der Aufgaben hat teilweise zu erheblichen Belastungen der Bediensteten i n der Kulturabteilung geführt." Das angeführte Zitat steht nur als Beispiel für verschiedene offizielle Äußerungen darüber, daß ein offenbar ungenügender personeller Apparat schnell ansteigenden Aufgaben und Fonds nur m i t Mühe gerecht wird. Für alle Außenministerien besteht i m Grunde die gleiche Problematik, da sich die Aufgabenbereiche der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k schnell und weit ausgedehnt haben, sich teilweise auch m i t Entwicklungspolitik überschneiden, und da der vorhandene Verwaltungsapparat nicht schnell genug modernisiert werden kann. W i r haben aber doch große Unterschiede hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und des Elans zu konstatieren, m i t dem die Anpassimg an die veränderten Verhältnisse und Aufgaben vorgenommen wird. So liegen i n Großbritannien und i n Frankreich die Verhältnisse diesbezüglich günstiger als beispielsweise i n der Bundesrepublik. I n diesem Zusammenhang müssen w i r uns nun einer wichtigen Frage zuwenden, nämlich der Stellung der Kulturabteilungen i m Rahmen der Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten. Bereits Umfang und Stellenplan eines auswärtigen Ressorts stellen ein Indiz (mehr kann vorsichtshalber nicht gesagt werden) für die Bedeutung dar, die man den Auswärtigen Angelegenheiten i n einem Staate zumißt; wobei sich das „man" wiederum auf verschiedene, an entsprechenden Entscheidungen mitwirkende Stellen bezieht, die ihrerseits sehr divergierende Vorstellungen darüber haben können. Entsprechendes kann dann innerhalb des auswärtigen Ressorts auch für die Kulturabteilung gesagt werden. Für alle höher, d. h. hier differenzierter, organisierten sozialen Gebilde gilt bekanntlich, daß nicht nur eine hierarchische Gliederung 9
Vgl. den stenographischen Bericht über die 101. Sitzung, S. 4728. Anfang 1962 arbeiteten i n der K u l t u r a b t e i l u n g des Auswärtigen A m t s zu Bonn 19 höhere Beamte neben 12 Angestellten des höheren Dienstes, d . h . w e n n w i r v o m Abteilungsleiter u n d seinem Vertreter absehen, insgesamt 29 Referenten u n d Hilfsreferenten. E i n angesichts des Arbeitsanfalls u n genügender Verwaltungsstab. 10
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
ausgebildet wird, sondern daß auch schon die einzelnen Funktionen abgesehen von der hierarchischen Ranghöhe ein verschiedenes Prestige genießen, was wiederum ein wesentliches Element des Status der betreffenden Funktionäre darstellt 11 . Während trotz mancher Bedeutungsminderungen infolge verschiedener Entwicklungen i m Verlaufe unseres Jahrhunderts dem klassischen auswärtigen Dienst jedenfalls i n der breiteren Öffentlichkeit eindeutig immer noch ein hoher Prestigewert zukommt, ist die Frage für uns erst zu erhellen, wie das Prestige der m i t kultureller Außenarbeit befaßten Abteilungen innerhalb der Organisation der Außenministerien anzusetzen ist. W i r wollen damit beginnen, daß w i r uns m i t der Auffassung auseinandersetzen, die Bedeutung einer Funktion für die Gesamtheit sei ausschlaggebend und ziehe gewissermaßen automatisch das entsprechende Prestige nach sich. So einfach liegen die Dinge nicht, und so rational entwickelt sich die soziale Wertschätzung und -hierarchie meist nicht (auch wenn eine Schicht, die keine echte Funktion mehr ausübt, über kurz oder lang beseitigt wird). Prestige und Status sind aber schwer wägbare Faktoren, bezeichnen jedenfalls nicht eine objektive Sachbedeutung, sondern resultieren aus den Wertvorstellungen der M i t glieder der sozialen Gesamtheit, innerhalb welcher eine bestimmte Rolle ausgefüllt wird. Herrschafts- und Machtfaktoren und ihre mannigfachen Nebenwirkungen, Freiheit und Unfreiheit von Positionen sind i n ihrer Bedeutung zu berücksichtigen. Auch können w i r hier m i t besonderem Nutzen den Begriff des „cultural lag" heranziehen, den, wie bereits ausgeführt, W. F. Ogburn geprägt hat 1 2 . Er w i l l besagen, nochmals auf eine knappe Formel gebracht, daß i m Laufe der historischen Entwicklung die „immaterielle" K u l t u r der „materiellen" nachhinke, woraus i n Zeiten schnellen sozialen Wandels folgt, daß die betreffende Gesellschaft i n einem Zustand teilweiser Nichtangepaßtheit lebt. Diese heuristisch wertvolle These Ogburn's wollen w i r auf unsere Fragen anwenden, aber zunächst an einem Musterbeispiel illustrieren: Der Adel, früher als Träger entscheidender sozialer Funktionen Herrschaftsund Machtinhaber, hat sich trotz seiner inzwischen eingetretenen Deklassierung immer noch Teile seines Prestiges erhalten können, obwohl diesem i n den meisten Ländern keine wichtigeren sozialen Funktionen mehr entsprechen; es sei denn, man dächte an den i m engsten populären Sprachgebrauch „gesellschaftlichen" Sektor, auf welchem die „homines novi" aller Zeiten und Länder immer nach Leitbildern Ausschau halten. Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: I n der Armee n Dies ist auch f ü r die Industriearbeit mehrfach festgestellt worden, w o bei also nicht n u r die Höhe des Lohnes u n d die Mühseligkeit oder Bequemlichkeit der Tätigkeit entscheidend sind. 12 W i l l i a m F. Ogburn: „Social Change", a. a. O.
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haben bis i n unser Jahrhundert hinein die ursprünglich ausschlaggebenden Reiterverbände 13 , die noch i m vergangenen Jahrhundert Schlachten durch Attacken entschieden, sich ein besonders hohes gesellschaftliches Prestige bewahrt, obwohl beispielsweise die Artillerie und andere modernere technische Waffengattungen seit langem von ungleich größerer Bedeutung waren. So brachte also z.B. die Versetzung eines Kavallerie-Offiziers zu einer für das Ganze, nämlich die Verteidigung des Staates, ungleich wichtigeren Eisenbahn- oder Pioniereinheit noch i m ersten D r i t t e l unseres Jahrhunderts einen deutlichen Prestige- und Statusverlust m i t sich, und zwar i n so gut wie allen europäischen Ländern. Wenden w i r jetzt unsere Status-Sonde auf den auswärtigen Dienst an: Zunächst, w i r sagten es schon, ist unbestritten, daß der auswärtige Dienst i n der Öffentlichkeit aller Länder noch einen hohen Prestigewert besitzt, auch wenn ein erheblicher Prestige-Schwund festzustellen ist. (Um den schwächer werdenden Anreiz festzustellen, bedarf es keiner teuren Umfragen durch Meinungsforschungsinstitute, sondern es gibt dafür ein einfaches Symptom: den Rückgang der Bewerbungen für den höheren auswärtigen Dienst. Das Auswärtige A m t selbst macht aus dieser Entwicklung kein Hehl und ist schon zur Werbung an Schulen und Universitäten oder durch Rundfunkvorträge übergegangen; für Frankreich liegen die Dinge beispielsweise ähnlich 14 . Es gibt hierfür sehr komplexe Gründe, auf die einzugehen, zu weit führen würde.) Nach wie vor gilt aber, daß der auswärtige Dienst genug bietet, u m von Beamten anderer Ressorts und sonstiger Behörden erstrebt zu werden. A u f Grund ihrer Leistungen oder unter dem Wirken der sogenannten „Ämterpatronage" 1 5 (berühmt waren hierfür zeitweise etwa die Corps, gewitzelt wurde auch über die „Kölner Stadtverwaltung") haben es i n der Bundesrepublik zahlreiche außenstehende Beamte erreicht, i n den Auswärtigen Dienst übernommen zu werden, wogegen sich die sogenannten „Laufbahnbeamten" stets wehren. Wie liegt nun aber innerhalb des Auswärtigen Dienstes prestigemäßig die Kulturabteilung? A l l e Erklärungen, daß z. B. die Kulturabteilung des A. A. kein „Stiefkind" sei, können, sehen w i r uns die deutschen Verhältnisse an, nichts daran ändern, daß es nicht gerade als Auszeichnung betrachtet wird, dorthin versetzt zu werden. Selbst „bona fide-" 18 M a n denke an die verschiedenen historischen Überlagerungen durch Reitervölker, w i e sie Alexander Rüstow wieder besonders untersucht hat. 14 So heißt es über die französischen Diplomaten: „ U n symptôme permet en France de mesurer leur crédite: c'est le nombre des candidatures et le rang des places disponibles à la section diplomatique de l'Ecole Nationale d'Administration, où ils so récrutent désormais. A cette bourse des valeurs de la fonction publique, la cote d u Quai d'Orsay était, jusqu'à ces derniers temps, en baisse" (Jacques Chazelle , a. a. O., S. 5). 15 Vgl. Theodor Eschenburg: Ämterpatronage, Stuttgart 1961, ausführlich besprochen von F. Lenz i n der „Zeitschrift f ü r P o l i t i k " , 1962/4, S. 370—379.
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Erklärungen über die Bedeutung der Arbeit können daran kurzfristig nichts ändern. Mehreres spielt hier eine Rolle: Zunächst gibt es i n der Kulturabteilung einen überaus hohen Anfall von reiner Verwaltungsarbeit. Die Referenten, welche täglich i m Durchschnitt etwa 100 Vorgänge teilweise recht komplizierter A r t bearbeiten müssen, wobei meist nur ihre „Pannen" bekannt werden, kommen zu keiner befriedigenden Tätigkeit. Vielfach empfinden sie auch ihre Stellungen als reine Durchgangs- und „Briefträger"-Stationen zu den eigentlich fachkundigen Organisationen, an die sie die Vorgänge weiterzugeben haben, wobei sie oft nur gerade ihr Votum beitragen können. Da sich K u l t u r nicht „machen" läßt, und es i n der staatlichen auswärtigen Kulturarbeit i m wesentlichen darauf ankommt, Wege zu ebnen, fehlt oft auch die Substanz der Arbeit. Gewiß w i r d Befriedigung empfunden, wenn es gelingt, Fonds zu erschließen und Lieblingsprojekte zu realisieren. Aber es mangelt doch offenbar noch weitgehend an dem Interesse der politischen Führung für diese kulturellen Dinge. I n Kabinettssitzungen beispielsweise werden sie so gut wie nie behandelt. Kein Kanzler oder Außenminister der Bundesrepublik hat bisher sein Interesse an der kulturellen Außenarbeit so bewiesen, daß es auch auf den mittleren und niederen Etagen der Kulturabteilung oder bei den Auslandsmissionen spürbar geworden wäre. Keiner w i r d diesen Satz lesen. Ehrgeizige Karrierebeamte haben also i n der Kulturabteilung einen viel geringeren „Zugang zur Spitze" 1 8 als i n anderen Sparten des auswärtigen Dienstes. Die eigentliche „Karriere", d. h. die Berufsdiplomatie, die nach entsprechender Ausbildung auf Diplomatenschulen von der Pike auf dient, meidet diese Abteilung auch deshalb nach Möglichkeit, mag sie auch von den Personalabteilungen als notwendige Durchgangsstation grundsätzlich festgesetzt sein. Es arbeitet hier ein hoher Prozentsatz an Angestellten (die teilweise einschlägige Vorkenntnisse besitzen), was das Prestige der Abteilung auch nicht gerade fördert. Hinzu kommt, daß auch an den fremden diplomatischen Missionen die kulturellen Angelegenheiten ebenfalls vielfach von Außenseitern oder von jüngeren Diplomaten wahrgenommen werden. Man muß sich diese Dinge sehr nüchtern klarmachen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Betrachtung unseres Untersuchungsobjekts ist es ferner, die Haltung der i n dem betreffenden Lande gesellschaftlich führenden Schichten zu untersuchen. So hatte beispielsweise i m Wilhelminischen Deutschland, insbesondere i n Preußen, auch der studierte Lehrer, den w i r als Beispiel herausgreifen, w e i l 16 Dieses fesselnde Problem behandelt Carl Schmitt i n seinem: „Gespräch über die Macht u n d den Zugang zum Machthaber", Pfullingen 1954. Es heißt dort: „Wer dem Machthaber einen Vortrag hält oder i h n informiert, hat bereits A n t e i l an der M a c h t . . . Es genügt, daß er dem menschlichen I n d i v i d u u m , i n dessen H a n d f ü r einen Augenblick die Entscheidung liegt, Eindrücke u n d Motive v e r m i t t e l t " (S. 15). Den Zugang zur Spitze haben z. B. die Pressereferenten. Er ist die „conditio sine qua non" ihrer Arbeit.
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unsere auswärtige Kulturarbeit i n der Auslands-Schularbeit eine ihrer ersten Wurzeln und weiterhin einen Hauptschwerpunkt hat, ein relativ geringeres Ansehen, verglichen m i t dem Juristen, insbesondere dem Verwaltungsjuristen. Denn i n der höheren Verwaltung herrschte der Adel vor oder gab zumindest den Ton an, und gerade der diplomatische Dienst w a r fast ausschließlich eine Adelsdomäne 17 . Dagegen hatte der Gymnasiallehrer an Prestige gegenüber seiner Stellung i m Preußen Friedrich Wilhelms I V . sogar noch eingebüßt, zumal die Ubergänge zur Universität immer seltener geworden waren. Es lassen sich für unser Gebiet eindeutig die negativen Folgen einer gesellschaftlichen Benachteiligung bestimmter kulturtragender Schichten konstatieren, die sich auch i n anderer Beziehung recht unglücklich ausgewirkt hat. W i r kommen auf das Thema weiter unten nochmals zurück, wenn w i r den funktionellen Zusammenhang zwischen kultureller Situation i m Inland und auswärtiger Kulturarbeit betrachten. Besser liegen schon die Verhältnisse i n England. So gehörten die Lehrpersonen, denen es obliegt, den Nachwuchs für die Führungsschicht des „Establishment" 1 8 zu erziehen, i n den alten englischen Eliteschulen seit langem selber zur bevorzugten Schicht, was sich auch auf das übrige Schulwesen auswirkte. Auch hat sich die traditionelle englische Oberschicht Einfluß auf die alten Universitäten bewahren können, auf Presse und Rundfunk i n überraschendem Umfang gewonnen. So ist der BBC, die britische Rundfunkgesellschaft, seit den zwanziger Jahren offenbar eine Domäne dieses „Establishment", was verhindert, daß er i n eine gesellschaftliche Oppositionshaltung abgedrängt wird, mögen auch einzelne seiner Mitarbeiter energische Sozialreformen für nötig erachten. Die traditionell maßgebenden Kreise i n England haben es jedenfalls, obwohl schon nach dem ersten Weltkrieg totgesagt, immer noch ver17
Pietro Gerbore hat festgestellt, daß bei Kriegsausbruch 1914 sämtliche neun Botschafter des Deutschen Reiches dem Adel angehörten und daß von achtunddreißig Gesandtschaften nur vier bürgerlich besetzt waren. (Pietro Gerbore: Formen und Stile der Diplomatie, Hamburg 1964, S. 259.) Über den Anteil des Adels auf führenden diplomatischen Posten seit dem 1. Weltkrieg gibt eine Namensliste Auskunft, die sich bei Wolfgang Zapf: Wandlungen der deutschen Elite, ein Zirkulationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919 bis 1961, München 1965 (Anhang) findet: 1921 waren nur 5 von 19 ausgewählten Botschafter- und Gesandtenposten m i t Adel besetzt, der seinen A n t e i l bis 1932 wieder auf 13 von 17 Stellen erhöhen konnte. K u r z vor Kriegsende 1944 waren nur 3 der aus der getroffenen Auswahl noch übrigen 9 Missionschef-Stellen m i t Trägern adliger Namen besetzt. 1962 finden w i r diesen verhältnismäßig geringen A n t e i l nochmals stark reduziert, nämlich genau halbiert, m i t 3 von 18 Missionschefs (nach Korrektur eines kleinen Fehlers bei Zapf, der einen van S. als v. S. aufführt.) 18 Vgl. hierzu den instruktiven, aber leider von einer allzu vorgefaßten Meinung ausgehenden, nämlich das „Establishment" perhorreszierenden Sammelband: The Establishment, hrsg. v. Hugh Thomas, London 1960. Es geht den Autoren bewußt u m Polemik, was berechtigt sein mag, aber die wissenschaftlichen Erkenntniswege leicht versperrt.
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standen, kulturelle Möglichkeiten zu sehen und zu nutzen, geistige Kräfte rechtzeitig zu erkennen und zu assimilieren. (Man denke nur an die Karriere von Benjamin Disraeli, der vor seinem E i n t r i t t i n die Polit i k ja ein sehr bekannter Schriftsteller war.) So ist auch der von uns später zu behandelnde „British Council" kein Tummelplatz zweitrangiger Intellektueller geworden. Und die wenigen Beamten i m Foreign Office, die K u l t u r p o l i t i k treiben und — was gerade der Labour-Politiker Ernest Bevin durchgesetzt hat — von dort aus die Kulturwerbung für Großbritannien i m Ausland kontrollieren, haben nicht das Gefühl, Außenseiter zu sein und eine geringer bewertete Arbeit zu verrichten. Was Frankreich angeht, liegen die Dinge diesbezüglich günstig: Der Quai d'Orsay ist seit langem dasjenige Außenministerium, welches die Bedeutung seiner kulturellen Dienste am höchsten einschätzt. Neben der mindestens seit Louis Philippe von Orleans, dem Bürgerkönig, durch alle Regime hindurch letztlich herrschenden Großbourgoisie, also der Industrie und dem Handel, hat es ja auch gemäß zwei- bis dreihundertjähriger Tradition das sehr repräsentative geistige Frankreich gegeben, welches seine Uberlieferungen sorgfältig pflegt und seine Rolle mit Selbstbewußtsein (man denke nur an die „Unsterblichen" der Académie Française) ausfüllt. A n diesem Geist und Prestige haben folgerichtig auch die Beamten der Kulturabteilung des französischen Außenministeriums Anteil, der „Direction générale des affaires culturelles et techniques", meist aus dem Universitätsbereich oder dem höheren Schuldienst kommende Beamte. I n den USA, um auch darüber noch ein Wort zu sagen, hat die Verbindung m i t dem Informations- und Pressewesen und die selbstverständliche Anerkennung von dessen politischer Bedeutung i m Außenamt und i m Lande überhaupt zwar dem kulturellen Sektor genützt (ebenso wie die enge Verbindung des State Department zu führenden Universitäten auffällt, man denke etwa an Prof. Conant oder Mitglieder des Brain Trust u m John F. Kennedy), gewisse Spannungen der „Specialists versus Generalists" aber nicht beseitigen können 19 . W i r kommen auf diese Problematik beim Thema „Kulturattaché" bald eingehender zurück. Das Prestige der Kulturabteilung kann also verschieden hoch sein und es steht i n engem Zusammenhang m i t dem Prestige der kulturellen Sphäre i m Lande überhaupt. I n den meisten Ländern m i t einer traditionell gewachsenen Diplomatie hat aber dieser neben der Presseabteilung jüngste organisatorische Bestandteil der jeweiligen nationalen Außenministerien noch m i t der Einstellung zu rechnen, ihn zwar als 19 Vgl. hierzu Czempiel: „Der diplomatische Dienst der Vereinigten Staaten zwischen T r a d i t i o n u n d Spezialisierung", i n : Politische Vierteljahresschrift, März 1962.
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nützlichen, aber nicht gerade zur vornehmsten Zierde gereichenden technischen Zweig zu dulden. W i r sahen, daß es dabei wesentlich auf die Haltung der tonangebenden Schichten i n dem betreifenden Lande ankommt, und daß man auch ein Außenministerium nicht isoliert betrachten kann. Vielfach zeigt sich, wie schwierig es ist, ein solches diplomatisches System zu verändern, das unter den Monarchien i m „ancien régime" seinen höchsten Glanz und seine größte Wirksamkeit besaß. Daß Sperrungen gegen die Übernahme zeitgemäßer und dringlicher Funktionen aber dem diplomatischen Dienst wie jedem anderen sozialen Gebilde nur schaden können, indem sie seinen nicht unvermeidbaren Bedeutungsverlust beschleunigen, ist eine Erkenntnis, die i n den meisten Ländern nur ungern akzeptiert wird. Dabei läge hier bei zweckmäßigen organisatorischen Voraussetzungen eine Chance, neue bedeutende Funktionen zu erfüllen, die der Diplomatie einen Großteil des verlorenen Ansehens wiedergeben könnten. Solche Funktionswandlungen können w i r i n der Geschichte bei zahlreichen Organisationen konstatieren, denken w i r nur an die verschiedenen Orden. So hat sich der Johanniterorden gewandelt, ebenso taten es andere Kampforden der Vergangenheit. So hat sich der ursprünglich recht selbstherrliche brandenburgisch-preußische Adel nach Verlust vieler Prärogativen durch die Übernahme von Pflichten i n Armee und Verwaltung bis zum Ende der Monarchie i n unserem Jahrhundert halten können, während die funktionslos gewordene französische Aristokratie bereits Ende des 18. Jahrhunderts ihr, man darf w o h l sagen, zwangsläufiges Ende gefunden hat 2 0 . So widerfährt es allen sozialen Gebilden, die sich den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht anpassen können oder wollen. W i r möchten diese düstere Prognose aber der Diplomatie hier nicht stellen. Noch haben die neuen Nationen nichts Eiligeres zu tun, als sich dieses Symbol der Souveränität schleunigst zuzulegen, mag es auch einen i n seiner Höhe kaum zu verantwortenden Prozentsatz ihrer Intelligenz außer Landes führen. Es bleibt noch Zeit für Wandlungen der Diplomatie, wobei ja keine „Metanoia" verlangt wird. b) Die diplomatischen und konsularischen
Auslandsvertretungen
Das Netz der Auslandsvertretungen, und zwar sowohl der diplomatischen (es bestehen heute aus Prestigegründen fast nur noch Botschaf20 Daß i m 19. Jahrhundert u n d noch i n unserer Zeit i n Frankreich eine sogenannte „fausse noblesse" neben wenigen verbürgten Familien ihre eitle Rolle spielte u n d spielt, ist hier n u r noch das Satyrspiel. M a n schätzt die Z a h l der falschen, selbstangenommenen Adelstitel i n Frankreich auf 15 000 gegenüber 3000—4000 Familien, deren T i t u l a t u r e n auf das Ancien Regime, die beiden Kaiserreiche oder die anderen Monarchien des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Vgl. zu diesem Thema Philippe Du Puy de Chinchamps: L a Noblesse, Paris, 1959.
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ten) als auch der konsularischen (Generalkonsulate und Konsulate), wobei die praktische Bedeutung eines größeren Generalkonsulats erheblich über derjenigen einer kleineren Botschaft liegen kann 2 1 , ist nach wie vor — was auch immer dagegen polemisiert w i r d — die conditio sine qua non jeder effektiven Außenpolitik; dies haben, wie w i r sahen, auch die „Entwicklungsländer" schnell realisiert. Die Aktivitäten dieser auswärtigen Arbeitsstäbe, die Bestandteile der Außenministerien bleiben und durch besondere Privilegien geschützt werden, deren Notwendigkeit anzuerkennen sich keine Nation grundsätzlich weigert, werden sowohl i n ihrer nach innen wie nach außen gerichteten Arbeit von den Zentralbehörden i n der Regel fest gesteuert. Grundsätzlich sind die Chefs dieser Auslandsmissionen für die gesamte Interessenvertretung ihres Landes, d. h. für alle Sparten der A r beit verantwortlich, wobei es allerdings eine „Arbeitsteilung" zwischen den diplomatischen Vertretungen und den Konsulaten gibt 2 2 . Den Missionschefs w i r d ein kleinerer oder größerer Arbeitsstab zur Verfügung gestellt 23 . So steht z. B. dem Botschafter eng zur Seite der „Conseiller", bei großen Missionen i m Rang eines Gesandten, der zur ständigen Vertretung des Missionschefs i n allen Domänen berufen ist. I m übrigen ist die Entwicklung der Auslandsvertretungen entsprechend derjenigen der Zentralen vor sich gegangen: Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Ausweitung der zu bearbeitenden Gebiete und durch die dadurch bedingte Notwendigkeit zur Spezialisierung des Arbeitsstabes; von dem Arbeitsfeld der Militärattachestäbe abgesehen, sind Innen- und Außenpolitik des Gastlandes, Wirtschaft, Rechtsfragen, K u l t u r , Presse, Sozialwesen und konsularische Angelegenheiten die Domänen. Die arbeitsteilige Entwicklung geht noch weiter, so daß an einigen Missionen be21
Dieser Tatsache w i r d schon äußerlich dadurch Rechnung getragen, daß Generalkonsuln an wichtigen Plätzen i n der Verwaltungshierarchie ihres eigenen Landes mehrere Stufen über Botschaftern i n den Kapitalen kleinerer Entwicklungsländer rangieren können. 22 Die frühere Trennung der beiden Laufbahnen, die auch einen verschiedenen Prestigewert genossen, ist als nicht mehr zeitgemäß fast überall aufgegeben worden. I n einigen Staaten den diplomatischen Missionen unters teilt, sind i n anderen Fällen (z.B. i m deutschen Auswärtigen Dienst seit seiner Wiedererrichtung i n der Bundesrepublik) die Konsulate nebenge ordnet, d. h. sie verkehren unmittelbar m i t den Außenministerien. Traditionsgemäß liegt das Schwergewicht der konsularischen A r b e i t auf dem wirtschaftlichen u n d verwaltungsjuristischen Gebiet. Politisch dienen sie vor allem der Unterricht u n g der Zentrale u n d der Botschaft, ohne i n der Regel selbst a k t i v zu werden, da n u r die diplomatische Vertretung politisch i m Rahmen der Weisungen der Zentrale gegenüber dem Gaststaat t ä t i g werden soll. A u f k u l t u r e l l e m Gebiet wächst ihnen dagegen zunehmend A r b e i t zu, vor allem werden sie v o n den örtlichen „Kolonien" des Heimatlandes gern i n Anspruch genommen. 23 V o n kleinen Konsulaten m i t vielleicht drei entsandten K r ä f t e n reicht die Skala bis zu Vertretungen, w i e beispielsweise der amerikanischen Botschaft i n Paris m i t fast 1200 Personen, w o v o n freilich n u r etwa 100 diplomatischen Status besitzen.
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reits Forstattachés und Wissenschaftsattachés (zur Verfolgung der naturwissenschaftlichen Forschung, an welcher auch aus Gründen der Verteidigung besonderes Interesse besteht) akkreditiert sind. Dazu kommen dann die technischen Dienste unter dem Kanzler. Der A n t e i l der i m engeren Sinn kulturellen Arbeit am gesamten Tätigkeitsvolumen einer Auslandsvertretung ist schon i m Einzelfall nicht ganz leicht abzuschätzen, generell nicht zu bestimmen, ö r t l i c h liegen die Verhältnisse sehr verschieden. Die Kriterien dessen, was unter k u l t u reller Arbeit verstanden wird, wechseln, wobei man n u r an die schwierige Abgrenzung zur Öffentlichkeitsarbeit und zur Entwicklungshilfe zu denken braucht. Nicht bei allen Auslandsvertretungen sind Stellen für Kulturrattachés eingerichtet, und das Vorhandensein solcher Stellen ist ebensowenig ein Beweis für die Fülle der Arbeit, wie i h r Fehlen ein Indiz für mangelnde Arbeitsmöglichkeiten. Die Elastizität des Bereiches, die Tatsache, daß man sich hier, wie selten sonst i m Auswärtigen Dienst, eine erhebliche Arbeitslast m i t Kettenreaktionen aufbürden oder dies unterlassen kann, ist ein Hindernis für die Messung. Unbestritten ist jedenfalls, daß der A n t e i l der kulturellen Arbeit generell und überall schnell zunimmt. Dies zeigt sich schon rein äußerlich am zunehmenden Volumen, das die Berichte und Materialien aus der kulturellen Sphäre innerhalb des sogenannten „Kuriergepäcks" einnehmen, d. h. an ihrem A n t e i l an der nach der Zentrale abgehenden und von dort empfangenen Dienstpost 24 . Dieses Anwachsen ergibt sich zwangsläufig aus den veränderten Aufgaben der Auslandsvertretungen, die sich heute m i t der „Öffentlichkeit" des Gastlandes auseinanderzusetzen haben und auf diese einwirken müssen. Hierzu sagt Jacques Chazelle: „Le succès d'un diplomate q u i se mesurait naguère uniquement à sa discrétion (das stimmt freilich nicht ganz, da es z. B. stets Meinungsbeeinflussung bestimmter Kreise, bewußte, heute sagt man gerne „gezielte" Indiskretionen gegeben hat) dépend désormais pour une part de son goût de paraître en public et de son aptitude à y faire valoir les mérites de son pays; d'un pays dont i l est, selon une formule américaine, devenu 'le premier agent publicitaire non spécialisé 25 ." Dazu gehört natürlich wesentlich die kulturelle Sphäre. I n dieser, zu welcher auch das ganze Gebiet des Sports gerechnet wird, t r i t t die Auslandsvertretung aus ihrer Reserve heraus, aus ihrem „ i v o r y tower", und kann zwanglos den Kontakt zur Bevölkerung des Gastlandes pflegen. Gehörte immer schon — man denke n u r an die höfische K u l t u r des „Ancien Régime" — die Teilnahme an kulturel24 U m den Arbeitsumfang v o n dieser Seite her zu ermitteln, hat das K u l turreferat einer großen deutschen Botschaft f ü r das Jahr 1964 501 Berichte an das Auswärtige A m t festgestellt, darunter 182 Drahtberichte. Die nicht festgestellten Berichte, die sich i n schwer aufzufindenden A k t e n befinden, dürften sich auf weitere 100 Berichte belaufen. Das Gesamtvolumen der Botschaftsberichte können w i r hier leider nicht publizieren. 25 Jacques Chazelle, 1. c., S. 42.
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len Veranstaltungen, an Theater, Oper, Konzert zum Beruf des Diplomaten, so hat er hier eine vorzüglich i n Demokratien wichtige Chance zu erkennen, Breiten- und Tiefenwirkung i n weiten Kreisen zu entfalten; z. B. beim Arrangieren und publizistisch geschickten Eröffnen von Ausstellungen der verschiedensten A r t oder bei Sportwettkämpfen. W i r sagten zu Beginn dieses Abschnitts, daß die A k t i v i t ä t der Auslandsmissionen von den Zentralen grundsätzlich straff gesteuert wird. Dies ist eine selbstverständliche Notwendigkeit, da nur die Zentrale den allgemeinen Uberblick besitzt und die Arbeit der verschiedenen Auslandsmissionen koordinieren kann. (Ein offizieller Verkehr zwischen Auslandsmissionen, selbst i n benachbarten Staaten findet nur i n Ausnahmefällen statt.) Die modernen Kommunikationsmittel stellen den technischen Apparat für eine solche Steuerung zur Verfügung, die noch zu Anfang unseres Jahrhunderts i n annähernder Präzision unmöglich gewesen wäre. Theoretisch kann die Auslandsvertretung heute zu jeder Tages- und Nachtzeit m i t der Heimatbehörde i n Verbindung treten, praktisch geschieht dies an allen großen Missionen. Die Selbstherrlichkeit früherer Diplomatengenerationen ist also bereits aus diesen technischen Gründen dahin. Die fortgeschrittene Bürokratisierung und die Herausbildung der spezifischen Beamtenmentalität auch i n den auswärtigen Diensten wirken sich i n gleicher Hinsicht aus. (Bei Fehlsteuerung, wie i m Hitler-Regime, ergeben sich daraus dann die entsprechenden negativen Konsequenzen, wie bei jeder straffen Organisation.) I m Unterschied zu den meisten anderen Arbeitsgebieten des auswärtigen Dienstes besteht aber auf dem Gebiet der Kulturpolitik, wie w i r ausdrücklich feststellen wollen, noch ein erhöhtes Maß an Freiheit. I m A n wendungsbereich des Konsularrechts etwa gibt es — um ein besonders kontrastierendes Arbeitsfeld zu nennen — sehr detaillierte Bestimmungen zu beachten und so gut wie ausschließlich von außen anfallende Verwaltungsvorgänge zu bearbeiten. A u f dem kulturellen Arbeitssektor dagegen lautet der Auftrag generell: Pflege der Kulturbeziehungen zu dem Gastland und Intensivierung i n beiderlei Richtung. Erhält der neu ernannte Behördenchef bei seinem Dienstantritt i n einer entsprechenden Instruktion, wenn überhaupt, dann nur wenige Hinweise auf die Entwicklungen und Möglichkeiten des kulturellen Sektors, so hat die Mission doch i n hohem Maße die Möglichkeit, selbst die Initiative zu ergreifen. Es besteht also innerhalb der hauptsächlichen Koordinaten: Kulturpotential einerseits des Gastlandes, andererseits des Heimatlandes, Höhe der verfügbaren M i t t e l und Umfang des vorhandenen Arbeitsstabs (regelrechte Kulturabteilungen bei großen Missionen, Fehlen jeder Hilfskraft bei kleinen Konsulaten) eine Potentialzone, die von Behördenleitern und Kulturreferenten weitgehend entsprechend Neigung, Begabung und Leistungsfähigkeit ausgefüllt werden kann.
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Wie die Arbeit aller institutionalisierten Sozialorganisationen ist die Kulturarbeit der Auslandsmissionen nun allen möglichen Gefahren einer verfehlten „Bürokratisierung" 2 6 ausgesetzt. Wenn einerseits die Auslandsmissionen Außenstehende, die m i t großem Elan kulturelle A n regungen geben, oft enttäuschen müssen, da sie ja schließlich Behörden sind, und sich daher i m administrativen Rahmen auch entsprechend verhalten müssen, so haben sie andererseits darüber zu wachen, daß gute Projekte nicht i m bürokratischen Gestrüpp hängenbleiben und zugrunde gehen. Scheint der Ermessensspielraum für Auslandsvertretungen generell größer zu sein, als für die Ressorts i m Inland, da die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Milieus und der anfallenden Aufgaben dazu zwingt, so gilt dies neben der Pressearbeit besonders für die K u l tur. Der Spielraum ist m i t Verantwortungsfreude und Orientierung an der Sache, auf die es ankommt, weitestgehend auszunutzen. Die zentrale Mittelbewirtschaftung 2 7 und die sich ständig vermehrenden Erlasse zu Detailfragen engen ihn freilich zunehmend ein. Der Schriftverkehr m i t der Zentralbehörde ist umständlich, oft etwas altfränkisch und zeitraubend. Auch Routineberichte von den Kulturabteilungen der Missionen an die Außenministerien werden überwiegend noch von den Behördenleitern selbst unterzeichnet, wobei noch nicht überall von entsprechenden Delegierungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht w i r d ; dadurch entstehen die berühmten sog. „Flaschenhälse". Auch an diesem Detail zeigt sich, wie schwer es ist, einen Verwaltungsapparat zu modernisieren, der einst als höchstqualifiziertes Instrument für Aufgaben geschaffen wurde, die sich inzwischen gründlich geändert haben. Aber derartige „Erstarrungsphänomene" bilden auch i m Inland ein bekanntes verwaltungstechnisches Problem, m i t dem sich alle alten Kulturnationen auseinanderzusetzen haben. Selbst Regimewechsel setzen hier — am technisch-organisatorischen Apparat manipulierend — meist weniger durch, als der Unerfahrene von ihnen erwartete; es sei denn, daß die gesamte Sozialstruktur entscheidend revolutioniert worden ist. Exkurs über die Problematik
des Begriffs
„Vertretung"
W i r sprachen von den Auslandsvertretungen und man wendet diesen Terminus leichthin an, ohne sich dabei klarzumachen, daß i n dem Begriff 26 Z u r Sache grundlegend sind i m m e r noch die entsprechenden Ausführungen i n M a x Webers „Wirtschaft u n d Gesellschaft", a. a. O., vor allem der A b schnitt: die legale Herrschaft m i t bürokratischem Verwaltungsstab. Siehe auch: C. A . Emge, Bürokratisierung unter philosophischer u n d soziologischer Sicht, Akademieabhandlung, Mainz 1951. Reiches theoretisches u n d e m p i r i sches Material i n R. K . Merton et dl. (eds): Reader i n Bureaucracy, Glencoe 1952. 27 Wo es sie überhaupt gibt, sind die Dispositionsfonds der Auslandsvertretungen für kulturelle Angelegenheiten sehr beschränkt; alle größeren Projekte müssen von den Zentralbehörden genehmigt werden, was aber u n vermeidlich erscheint.
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der Vertretung vieles und ganz verschiedenes enthalten ist, das sich auseinanderzusetzen lohnen dürfte. Da diese Überlegung nicht nur für die Auslandsvertretungen eines Landes, sondern auch für die verschiedensten Formen seiner auswärtigen Repräsentanz, sei es auf wirtschaftlichem, kulturellem oder militärischem Gebiet, von Bedeutung ist, soll sie i n unsere Abhandlung wenigstens stichwortartig und exkursorisch aufgenommen werden. 1. Zunächst haben w i r Vertretung i m Sinne z.B. der Handelsvertretung, d. h. einer Funktion, die darin liegt, daß die Interessen eines einzelnen oder eines Kollektivs durch einen einzelnen oder ein anderes Kollektiv wahrgenommen werden. Eine solche Vertretung kann offiziell, juristisch fixiert, oder indirekt, ja i m geheimen ausgeübt werden. Sie kann hauptberuflich oder nebenberuflich erfolgen. 2. Haben w i r die Vertretung als Stellvertretung, d. h. es t r i t t jemand an die Stelle eines nicht anwesenden anderen. I n diesem Sinne vert r i t t beispielsweise ein Botschafter nach alter Auffassung das Staatsoberhaupt und w i r d daher auch persönlich m i t den entsprechenden protokollarischen Ehren empfangen und verabschiedet. Ist kein Botschafter akkreditiert, haben w i r die Botschaft nur als Vertretung i m Sinne von 1. 3. Ein dritter Begriff ist derjenige, der darauf abstellt, daß ein Individuum eine Gattung vertritt, d. h. als pars pro toto darstellt. I n diesem Sinne spricht man etwa davon, jemand sei ein „typischer Vertreter" (mit jeweils mehr oder weniger schätzenswerten Eigenschaften) seines Landes, Standes, seiner Religion, einer bestimmten wissenschaftlichen Richtung (Phänomenologe, Hegelianer, Marxist usw.). Man findet diesen Wortgebrauch schon i n der Botanik und Tierzucht. 4. Vertretung eines Prinzips, einer Idee. Hier haben w i r es m i t A t t i tüden zu tun, die sich zum Teil formal, wenn auch nicht inhaltlich, der ersten Gruppe annähern. Denn es w i r d für etwas „eingetreten", eine Sache w i r d „vertreten" (die hoffentlich „vertretbar" ist). Doch kann dies auch weniger rational, als irrational geschehen, ja auch ganz unbewußt, und sich bis zu symbolhafter Bedeutung steigern. Denken w i r an Märtyrer und Heilige. So steht auch Napoleon für die Grande Armée, Kaiser Franz Joseph für die Habsburger Monarchie, was nach seinem Tode 1916 die kurze Regierungszeit seines Großneffen, des Kaisers Karl /. kontrastierend zeigte. I n diesem Sinne vertraten auch K a r l Liebknecht und Rosa Luxemburg ihre politische Ideenwelt. Es mag erlaubt sein, diese Überlegungen, die der Sache nach allgemein soziologisch relevant erscheinen, aber weiter vertieft werden müssen, hier so stehen zu lassen. Juristen und Philosophen werden den Begriff der Vertretung für ihre Zwecke noch i n ganz anderer, mehrfacher Hinsicht variieren. Es geht hier nur darum, a limine klarzumachen, daß beispielsweise ein Diplomat, ein Kulturattaché Vertreter i n mehr-
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fächern Sinne sein muß, und daß er sich dies auch selbst bisweilen klarmachen könnte. So ist der Kulturattache Vertreter der Interessen seines Landes, seiner Behörde (als Organ), unter Umständen einmal Vertreter seines Botschafters, immer Vertreter seiner Nation und K u l t u r , d. h. ihre A r t repräsentierend. Letzteres w i r d oft zu leicht genommen. W i r werden dies i m nächsten Abschnitt näher ausführen. c) Die Kulturattaches
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W i r sagten bereits, daß allen größeren Auslandsmissionen verschiedene Spezialbeamte für die einzelnen Sachgebiete zugeteilt, hierfür dem Behördenleiter „attachiert" sind (der Ausdruck bezieht sich auf die Person des Missionschefs und nicht auf die Fachgebiete). A u f dem kulturellen Sektor sind dies die Kulturattaches, denen w i r uns nunmehr zuwenden wollen. Hierbei müssen w i r zunächst auf eine Problematik eingehen, die besonders für den auswärtigen Dienst der USA 2 9 diskutiert worden ist und dabei w o h l ihren konzisesten Ausdruck i n der Formulierung „Specialist versus Generalist" gefunden hat. Eine Alternative, die sich auch für den diplomatischen Dienst aller Länder immer wieder erneut grundsätzlich stellt und über das von uns behandelte Thema weit hinausgreift, w e i l auswärtige Wirtschafts-, Presse- und Sozialpolitik gleichermaßen davon betroffen werden. Die Vertreter der fast diametral entgegengesetzten Standpunkte argumentieren — grob gesprochen — etwa folgendermaßen: A (vertritt eine häufig i n den Personalabteilungen der Außenministerien zu findende Anschauung): Die Personalplanung für den Auswärtigen Dienst ist die weitaus schwierigste i n der gesamten öffentlichen Verwaltung. Die unvermeidlichen, täglich zu überlegenden Verschiebungen zwischen den einzelnen Auslandsposten sowie zwischen diesen und der Zentrale führen zu dauernden Kettenreaktionen. I m Hinblick darauf ist es unerläßlich, i m Auswärtigen Dienst ganz überwiegend vielseitig verwendbare Kräfte zu beschäftigen, da fachlich oder regional enger spezialisierte Beamte sehr viel schwerer versetzbar sind, und sich daher oft gewissermaßen als „Sand i m Getriebe" auswirken. Zudem vertreten sie nicht selten einen einseitigen Spezialistenstandpunkt, haben nicht genügend Verständnis für die Erfordernisse der Zentrale und zeigen gelegentlich einen bedauerlichen Mangel an politischer Einsicht. I m gan28 Der Verf. ü b e r n i m m t i n diesem Abschnitt teilweise wörtlich einige Passagen aus seinem Aufsatz „Status u n d F u n k t i o n der deutschen Kulturattaches", Politische Vierteljahresschrift, a. a. O. D a r i n ist aber noch manches über die spezifisch deutschen Verhältnisse gesagt, was hier nicht wiederholt werden soll. 29 Vgl. hierzu u . a . Ernst-Otto Czempiel: Der Diplomatische Dienst der Vereinigten Staaten zwischen T r a d i t i o n u n d Spezialisierung, Politische V i e r teljahresschrift, März 1962.
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
zen gesehen, unterscheiden sie sich eher unvorteilhaft von den sorgfältig ausgewählten Beamten der „Karriere", die, von minimalen Ausnahmen abgesehen, nach einer gewissen Einarbeitung auch Wirtschafts-, Kultur-, Presse- und Sozialpolitik sachgemäß betreiben können. Es ist zudem erwünscht, daß diese Karrierebeamten sich durch eigene Praxis Kenntnisse auch auf solchen Gebieten aneignen. B (meist Vertreter der jeweiligen Fachgebiete): Unsere Entwicklung führt anerkanntermaßen auf allen Gebieten zu einer immer weiteren Differenzierung und Spezialisierung. Für den Wirtschaftssektor ist dies unzählige Male beschrieben worden. I m Unterschied zu früher, wo es dem einzelnen noch möglich schien, Polyhistor zu sein, über die verschiedensten Gebiete Bescheid zu wissen, und also auch i m auswärtigen Dienst seines Landes praktisch darin zu arbeiten, erfordert die Gegenwart so viel tieferes Fachwissen und technisches „ K n o w how", daß auch die auswärtige Politik mehr und mehr zu einer Domäne verschiedener Spezialisten wird 3 0 . Da dieser Trend irreversibel ist, und die herkömmliche Diplomatie — man mag es bedauern oder begrüßen — zum Absterben verurteilt, empfiehlt es sich, die Umstellung auf spezialisierte Dienste nunmehr entschlossen vorzunehmen. Für eine demokratische Verwaltung sollte es dabei selbstverständlich sein, eine Gleichberechtigung der verschiedenen Arbeitsgebiete herzustellen. Es sei nicht einzusehen, warum dem rein politischen Arbeitsgebiet ein derartiger Vorrang gegenüber dem wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen eingeräumt wird 3 1 . Betrachten w i r die praktische Relevanz dieser Kontroverse für unser Thema, so werden w i r objektiverweise einen Unterschied machen müssen zwischen kleineren Vertretungen auf der einen und kulturellen Schwerpunkten auf der anderen Seite. Bei den ersteren, ja manchen mittleren Vertretungen, sind die kulturellen Aufgaben auch von K a r rierebeamten wahrnehmbar, was sogar wegen der dort auf Grund des Personalmangels bestehenden Notwendigkeit häufiger Vertretungen zwischen den einzelnen Referaten angezeigt sein wird. Andererseits gew i n n t die Forderung nach Spezialisten i m Hinblick auf die größeren Missionen eindeutig das Übergewicht. Denn jede gründliche auswärtige Kulturarbeit setzt voraus, daß sich der Betreffende nicht nur i m Gastland gut auskennt und möglichst die Landessprache spricht (weshalb sich ein zu schneller Wechsel schädlich auswirkt 3 2 ), sondern daß er auch über 30 Die Einrichtung der sog. „Wissenschaftsattaches" zur Betreuung des Bereichs der naturwissenschaftlichen Forschung i m Gastland akzentuiert diese Linie. 31 Die Sphären sind i n der Realität unauflösbar miteinander verwoben, bilden i n intensiver Wechselwirkung einen einzigen funktionellen Zusammenhang, u n d lassen sich n u r gedanklich trennen. 32 Gewöhnlich bleiben Diplomaten 3 Jahre am Auslandsdienstort, eine jedenfalls für Kulturattaches allzu geringe Aufenthaltsdauer. Die meisten Praktiker sehen 5 bis 7 Jahre als die optimale jeweilige Auslandsdienstzeit f ü r Kulturattaches an.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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detaillierte Kenntnisse der kulturellen Gegebenheiten und Möglichkeiten i n seinem Heimatland verfügt, die nicht zuletzt organisatorischer A r t sein müssen. Denn der Kulturreferent hat täglich zahlreiche Hilfestellungen zu leisten, was er nur dann wirksam t u n kann, wenn er weiß, an welche Stellen man sich jeweils wenden muß und welche Anträge Erfolg versprechen. Zumal abgewiesene Antragsteller bekanntlich nicht indifferent sind, sondern Antipathie gegen die i n Frage kommenden Stellen entwickeln. Für die bedeutenderen kulturellen Außenposten kommt nun noch ein weiteres, entscheidendes Moment hinzu: sie erfordern Intellektuelle aus eigenem Recht und keine bloßen Manager und Kulturfunktionäre. „Denn hier, wo die Unabwägbarkeiten stärker noch zählen als i m allgemeinen diplomatischen Leben, kann wenig erreicht werden, wenn Geist und K u l t u r des eigenen Landes nicht glaubwürdig und anziehend repräsentiert werden 3 3 ". Die Funktion erfordert „une activité trop diversifiée pour q u ' i l ne puisse être donné une image simple; sa réussité dépend pour beaucoup de l'esprit d'initiative, du tact, du prestige personnel 34 ." Hier, wie selten sonst i n diesem Maß i n der Verwaltung, sind das „esse" und das „operari" daher auf das engste miteinander verknüpft. Bei glücklicher Auswahl der Persönlichkeiten 35 können überzeugende Beispiele der eigenen K u l t u r gegeben werden, die zwar meist i m stillen, aber auf einflußreiche Vertreter des kulturellen Lebens i m Gastlande wirken; nicht zuletzt auch auf das Irrationale, dessen Bedeutung seit den reichen Ergebnissen der tiefenpsychologischen Forschung nicht mehr bona fide übersehen werden kann. I n solchen Metropolen, „Brennpunkten" verschiedenster kultureller Strahlungen gewissermaßen, kann die K u l t u r arbeit großer Nationen nicht allein von qualifizierten Verwaltungsbeamten (selbst nicht von solchen m i t außenpolitischem Gespür) geleistet werden, deren Vor- und Nachteile Max Weber einmal folgendermaßen umrissen hat: „Sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft, daher ohne ,Liebe 4 und ,Enthusiasmus', unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe . . . waltet der ideale Beamte seines Amtes 3 8 ." Aber w i r müssen andererseits auch berücksichtigen, was Hellmut Becker zu unserem Thema einmal so formuliert hat: „Nicht nur die Beschäftigung kulturpolitisch uninteressierter Diplomaten, die noch dazu häufig wechseln, ist bedenklich. Dasselbe gilt für die Vorstellung, jeder 38
H. v. Borch i n der „Welt", Nr. 140,1961. Jean Baillou et Pierre Pelletier: Les Affaires Etrangères, Paris 1962, S. 231. 35 I n ihnen sollte der durch die zunehmende Bedeutung des Spezialwissens bedingte Kampf des „Fachmenschen"-Typus gegen das alte „Kulturmenschentum", den u. a. Max Weber empfand („Wirtschaft und Gesellschaft", a. a. O., S. 386), i m Hegeischen Sinne „aufgehoben" sein. 36 Max Weber, 1. c., S. 129. Gemeint ist natürlich der „idealtypische" Beamte. 34
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
deutsche Intellektuelle sei automatisch zum Kulturattache i m Ausland geeignet. Formale Glätte ohne Bildung ist auf diesem Posten genau so gefährlich wie geistige Introvertiertheit ohne die Fähigkeit, fremde Völker i n ihren Eigenschaften zu sehen und anzuerkennen. Bei den K u l t u r attaches und bei den Referenten der Kulturabteilung muß sich eine gewisse K r a f t der geistigen Ausstrahlung m i t gewissen technischen und organisatorischen Fähigkeiten verbinden 37 ." Es hängt natürlich i m einzelnen von den örtlichen Gegebenheiten und personellen Möglichkeiten hic et nunc ab, wie ein bestimmter Posten zu besetzen ist. Als gute Lösung für große Missionen erscheint es, das Kulturreferat einer auf kulturellem Gebiet selbst schöpferischen und darin ebenso wie i n Verwaltungsdingen erfahrenen Persönlichkeit zu übertragen und dieser einen jungen K a r rierediplomaten sowie technische Hilfskräfte an die Seite zu stellen. Spezialisierte Laufbahnen gibt es i m diplomatischen Dienst verschiedener Länder. Sehen w i r i n bezug auf die uns hier interessierende k u l turelle Arbeit zunächst von den spezifischen Institutionen ab, wie beispielsweise dem „British Council", auf die w i r unten ausführlicher eingehen werden, so handelt es sich i n der Regel u m einen erweiterten „Information Service" der einen oder anderen Form oder u m Dienstzweige, die ihr Personal aus anderen Beamtenlaufbahnen etwa der Universitätskarriere oder Schullaufbahn rekrutieren. So verfahren z.B. Frankreich und Italien. Auch i n den Vereinigten Staaten und Großbritannien gibt es Spezialistenlaufbahnen. Entscheidend muß dabei sein, daß es Speziallaufbahnen sind, die weiterführen oder daß andere Ressorts die Interessen ihrer abgeordneten Beamten wahrnehmen 38 . Das Engagieren einiger Spezialisten von Fall zu Fall bleibt eine Notlösung und stößt auf große Schwierigkeiten. Ein deutscher Außenminister hat vor dem Bundestag zu dieser Frage einmal grundsätzlich Stellung genommen: „Wenn Sie . . . haben anklingen lassen, man solle doch i n die K u l turabteilung und auf die Posten der Kulturattaches hoch- und höchstqualifizierte Leute berufen, dann darf ich Ihnen sagen, daß das schon nicht möglich ist, w e i l w i r nicht i n der Lage sind, Gehälter zu zahlen, wie etwa große Zeitungen, wie der Rundfunk oder ähnliche Institutionen 8 9 ." Leuchtet dies durchaus ein, so wäre es doch gut, einmal ernsthaft zu überlegen, Beamtenlaufbahnen für Spezialisten auch i m deutschen Auswärtigen Dienst zu schaffen, entsprechend den Vorbildern anderer Län87 H e l l m u t Becker: „Außenpolitik u n d K u l t u r p o l i t i k " , Merkur, Oktoberheft 1961. 88 „ L a presque totalité des fonctionnaires français au service des relations culturelles avec l'étranger est issue d u Ministère de l'Education N a tionale et mise à l a disposition d u Ministère des Affaires Etrangères." Diese Beamten „peuvent toujours retrouver une place dans le cadre d u Ministère de l'Education nationale q u i administre leur avancement." (Mitteilung der Französischen Botschaft, Bonn, v o m 19. Okt. 1964 an den Verf. 89 I n der Bundestagssitzung am 9. M a i 1957.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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der oder etwa den Bibliotheks- oder Archivlaufbahnen. Denn unter den gegenwärtigen Umständen ist es keineswegs verwunderlich, wenn immer wieder Klagen über das mangelnde Niveau und die ungenügende Leistungsfähigkeit auf diesem wichtigen Sektor unserer Außenpolitik laut werden. Wer w i r d die Risiken der Auslandsaufenthalte ohne Beamtensekurität und normale Beförderungschancen auf sich nehmen wollen? Privilegierung oder Unterprivilegierung bestimmter Gruppen, auch innerhalb des staatlichen Beamtenapparats, sind übrigens ja auch bezeichnend für die Wertung, die die politische Führung diesen Beamtenfunktionen für das Gesamt beimißt. (Sehen w i r von Fällen ab, wo derartige Gruppen durch andere M i t t e l Macht errungen haben, und dann ihre Privilegierung erzwingen.) Allgemein bekannt ist, daß Preußen sein M i l i t ä r planmäßig privilegiert hat, wenn auch nicht durch materielle Mittel. Es dürfte nicht allzuschwer sein, unter diesem Gesichtspunkt den kulturellen Bereich verschiedener Länder und verschiedener Epochen zu vergleichen. Besonders wichtig ist i n dieser Hinsicht die Einstufung des Erziehungswesens, worauf man gegenwärtig z. B. i n der Bundesrepublik Deutschland und den USA — wenn auch reichlich spät — aufmerksam geworden ist. Z u den qualitativen Gesichtspunkten t r i t t der quantitative. I n beider Hinsicht ist zu fragen, wie der Stellenplan für Kulturattaches i m Ausland aussieht. Für die Bundesrepublik Deutschland können w i r i m folgenden eine Übersicht geben, aus der die Bewertung sowohl i n quantitativer, als auch i n qualitativer Hinsicht erhellt: Sie basiert auf einer Anfang der 60er Jahre aufgestellten Liste der Kulturreferenten bei den deutschen Auslandsvertretungen, die sowohl Aufschluß gibt über alle hauptamtlichen Kulturattaches i m auswärtigen Dienst, als auch über diejenigen Referenten, denen die Kulturarbeit neben ihrer Tätigkeit als Presseattache als ständige Domäne übertragen worden ist 4 0 : VLRI Kulturattachés Presse- u n d Kulturattachés Insgesamt a)
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Es handelt sich also u m einen recht kleinen Personenkreis von noch nicht 50 Personen, von denen 20 Beamte des höheren Dienstes und 26 Angestellte sind, und u m Funktionäre, die m i t einer Ausnahme sämtlich den Rangstufen des Regierungs- oder Oberregierungsrats ange40 Es entsprechen dabei: Vortragender Legationsrat I. K l . = Ministerialrat; Legationsrat I. K l . = Oberregierungsrat; Legationsrat = Regierungsrat; L e gationssekretär = höh. Beamter i m Ausw. Dienst auf Probe; die Angestellten werden nach B A T I bis I I I vergütet.
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
hören. Dieser Personenkreis, der inzwischen kaum wesentlich verändert wurde, widmet sich hauptberuflich der amtlichen deutschen Kulturdiplomatie i m Ausland. Heinrich v. Brentano hat als Außenminister einmal sinngemäß gesagt, daß ein Kulturattache alle guten Eigenschaften eines Verwaltungsbeamten, Gelehrten, Künstlers und Diplomaten i n sich vereinen sollte, aber nichts von alldem ausschließlich sein dürfe. Man w i r d hinzufügen können, daß auch ein gewisser Schuß Managertum nicht ganz zu entbehren ist. Insgesamt ist damit eine Qualitätenkombination w ü n schenswert, die nicht eben häufig anzutreffen und unter den genannten Bedingungen nicht zu gewinnen oder zu halten ist. Darüber hinaus ist auch Anpassung an einen Wesenszug des Berufs erforderlich, der bei dem gesamten Auswärtigen Dienst anzutreffen ist, für die Kulturreferenten unserer Missionen aber ebenso wie für die Missionschefs w o h l besondere Bedeutung hat: Status und Rollen wachsen und schrumpfen bei den immer wieder nötigen Versetzungen zwischen Zentrale und Auslandsmissionen i n einem hohen Maße. W i r d ein Botschafter i n einem kleinen Entwicklungsland als „Exzellenz" i m Gastland m i t aller geziemender Etikette behandelt, so tut er nach seiner Rückkehr wieder Referentendienste i n der Zentrale. Ähnliches gilt für den Kulturattache. A n seinem Auslandsdienstort ist er gehalten, m i t den Spitzen des kulturellen Lebens zu verkehren, m i t Universitätspräsidenten über Stipendien zu verhandeln, mit Direktoren von Nationalgalerien über Kunstausstellungen und m i t führenden Schriftstellern über Dichterlesungen und Besuchsreisen. Die Verhaltenserwartungen seiner Umwelt i h m gegenüber drängen ihn dazu, seine Persönlichkeit — gelegentlich über Gebühr — zu entfalten, zum Beispiel, indem er Einladungen ad personam zu Vorträgen erhält. Hier w i r d die Bedeutung der Unterscheidung wichtig, welche die Soziologie zwischen dem sozialen Status einer bestimmten Position (nebst dem ihr anhaftenden sozialen Prestige) und der i n concreto jeweils verschiedenen Ausfüllung der dadurch vorgegebenen „Rollen" durch den einzelnen vornimmt. I n dieser Beziehung verfügt der Kulturattache i m Ausland über einen ungewöhnlich weiten Spielraum, der sich wohl nur demjenigen einiger künstlerischer Berufe vergleichen läßt. I n der Zentrale dagegen erledigt er dann i n der Regel die fachlich eng spezialisierten, stark weisungsgebundenen Aufgaben eines Hilfsreferenten, meist als Angestellter m i t schwachem Status. Welche anderen Berufe kennen einen derartigen Wechsel alle 3 bis 4 Jahre als Norm? A n dieser Stelle muß aber angemerkt werden, daß der für den auswärtigen Dienst fast aller Länder 4 1 übliche Wechsel zwischen Innen- und 41 Die Niederlande sind die berühmte Ausnahme m i t einem auch karrieremäßig getrennten Auslands- u n d Inlandsdienst innerhalb des auswärtigen Ressorts. Früher gab es dies häufiger, auch lange noch i n den USA, die diese Zweigleisigkeit erst nach dem 2. Weltkrieg formell beseitigt haben.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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Außendienst ein notwendiges Regulativ für mancherlei Gefahren des diplomatischen Lebens darstellt. Hier w i r d eine erzieherische Komponente des Auswärtigen Dienstes erkennbar, dem, was noch niemals genügend untersucht worden ist, idealtypisch ein hochdisziplinierter, ordensähnlicher Charakter innewohnt. Die gelegentliche Entfaltung einer Repräsentation, welche oft noch Formen des „ancien régime" bewahrt, verdeckt dies nur dem oberflächlichen Blick. Überhaupt besitzt der diplomatische Dienst i n vieler Beziehung eine eigentümliche A m b i valenz, die sich auch darin zeigt, daß die Öffentlichkeit ihn einerseits überschätzt, andererseits unterschätzt, und daß er so gut wie niemals ohne affektuelle Beimischung objektiv beurteilt wird. Was ergibt sich für die Praxis aus dem Gesagten? Für welche personalpolitischen Lösungen man sich hinsichtlich der Besetzung von K u l t u r attaché-Posten auch i m einzelnen entscheiden mag, Aufgabe bleibt: Zwischen der Scylla jener Form, die als „Primadonna"-Besetzung den Verwaltungsablauf behindert, und der Charybdis einer allgemeinen Bürokratie ohne kulturelles Fachwissen und kulturelle Ausstrahlungskraft hindurchzusteuern. Dem Verfasser erscheint der Karrierebeamte sui generis hierzu am geeignetsten und er hat bereits Anfang 1961 beim A. A. eine Speziallaufbahn für auswärtige Kulturarbeit i n einem Exposé angeregt. Ein solcher Beamter würde zwar als genuiner Intellektueller innerhalb der Ministerialbürokratie auch weiterhin seine besonderen Probleme haben 42 , aber doch genügend Verwaltungserfahrung erwerben, u m sein Spezialgebiet i m Rahmen der auswärtigen Politik erfolgreich und reibungslos zu vertreten. Die langfristige Kulturarbeit und die auf Schnelligkeit und auch auf politische Tagespolitik ausgerichtete Pressearbeit wären dabei nach Möglichkeit zu trennen, da sich die beiden wichtigen Aufgabenbereiche gegenseitig insgesamt eher hemmen als fördern. d) Bilaterale staatliche
Kulturabkommen
43
Ein Teil der bilateralen Verträge zwischen Staaten bezieht sich entweder ganz oder teilweise auf kulturelle Zusammenarbeit, wobei die unter dem Namen „Kulturabkommen" abgeschlossenen Verträge dies bereits i n ihrem Titel ausdrücken. Sie sind ein Zeichen nicht nur der Bereitschaft, sondern des Wunsches der beteiligten Regierungen, ihre Beziehungen m i t kulturellen M i t t e l n enger zu gestalten und werden daher 42 w i r verweisen hierzu auf die grundlegenden u n d thematisch w o h l noch immer einzigen Ausführungen von R. K . Merton über die „Role of the I n t e l lectual i n Public Bureaucracy", die einen Abschnitt seines Werkes „Social Theory and Social-Structure", 8. Aufl., Glencoe, 1963, S. 207—224, bilden. 43 Z u r ersten juristischen Einführung verweisen w i r auf den A r t i k e l „ K u l turabkommen" v o n Hans Kruse i n Strupp-Schlochauer (Hrsg.) : Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl., B e r l i n 1961, Bd. I I , S. 380. 6 Emge
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
gern aus Anlaß von Staatsbesuchen oder i m Zusammenhang m i t anderen bilateralen Verträgen abgeschlossen. Wenn Abkommen dieser A r t auch gewiß nicht die „conditio sine qua non" für einen fruchtbaren Kulturaustausch bilden, und gewisse Staaten, welche Kulturabkommen bisher nicht abgeschlossen haben, wie beispielsweise Kanada, trotzdem durchaus einen sehr regen Kulturaustausch pflegen können, so sind solche staatlichen Übereinkünfte doch gewiß geeignet, i h m eine feste Basis zu geben und Hemmnisse aus dem Wege zu räumen. Die politische Zielsetzung und der materiale Inhalt w i r k e n sich gemeinsam i n dieser Hinsicht aus. Wenn auch bilaterale staatliche Kulturabkommen bereits i n der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen abgeschlossen worden sind 44 , so haben sie doch seit dem Ende des zweiten Weltkriegs stark zugenommen. Die UNESCO hatte 1954 einmal eine Zusammenstellung vorgenommen, die 327 Verträge dieser A r t registrierte, woraus die Zunahme schon eindrucksvoll erhellte, die sich heute w o h l der Tausendergrenze nähert. Dies auch wenn man berücksichtigt, daß die Kriterien dessen, was K u l turabkommen heißen soll, nicht für alle Zeiten eindeutig festliegen und daß somit ein gewisser Spielraum besteht, der als Unsicherheitsfaktor für Vergleiche m i t früheren oder späteren Aufstellungen zu beachten ist. Ihrer Natur nach sind Kulturabkommen vielfach Rahmenabkommen. Dies w i r d notwendigerweise dann der Fall sein, wenn die vertragschließenden Staaten, wie z. B. die Bundesrepublik Deutschland 45 , nicht über die Kulturhoheit i n ihrem Gebiet verfügen, sondern hier verfas44 Das „ I n s t i t u t de Cooperation Intellectuelle", Paris, veröffentlichte 1938 einen „Recueil des accords intellectuels", i n dem 36 solcher A b k o m m e n aufgeführt sind (vgl. Carl Doka, 1. c., S. 153). 45 Die Bundesrepublik Deutschland hat i n dem Zeitraum von 1953 bis A n fang 1964 m i t 18 Staaten K u l t u r a b k o m m e n geschlossen, darunter m i t F r a n k reich, Großbritannien u n d den Vereinigten Staaten. „ I n der Bundesrepublik Deutschland ist der Umfang der Kompetenzen des Bundes und der Länder zweifelhaft u n d sehr umstritten. Die Zuständigkeit des Bundes zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge i m engeren Sinn sowie der (in A r t . 59 Abs. 2 Satz 2 GG ausdrücklich erwähnten) Verwaltungsabkommen folgt aus seiner Generalkompetenz i n auswärtigen Angelegenheiten nach A r t . 32, Abs. 1 GG, ohne daß sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift u n d überhaupt der Verfassung eine gegenständliche Beschränkung ergebe", heißt es i m A r t i k e l „Völkerrecht u n d
Bundesstaat" von Walter Mallmann,
in: Strupp-Schlochauer,
1. c., Bd. I I I ,
S. 644. Die Problematik wurde i n der rechtswissenschaftlichen L i t e r a t u r mehrfach behandelt. Vgl. z. B. speziell zu unserem Thema: Herbert Kraus: Die Z u ständigkeit der Länder der Bundesrepublik Deutschland zum Abschluß von K u l t u r a b k o m m e n m i t auswärtigen Staaten nach dem Bonner Grundgesetz, i n „ A r c h i v des Völkerrechts", Bd. 3 (1951/52), S. 414 ff., sowie Hermann Mosler: K u l t u r a b k o m m e n des Bundesstaats. Z u r Frage der Beschränkung der Bundesgewalt i n auswärtigen Angelegenheiten, i n : „Zeitschrift f. ausl. öffentl. Recht u. Völkerrecht", Bd. 16 (1955/56), S. 1—34. Z u r Gesamtproblematik ferner: Rudolf Bernhardt, Der Abschluß völkerrechtlicher Verträge i m Bundesstaat, K ö l n — B e r l i n 1957.
1. Die staatliche Kulturdiplomatie
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sungsmäßige oder g e w o h n h e i t s r e c h t l i c h e Reservate d e r d e n b e t r e f f e n d e n S t a a t k o n s t i t u t i e r e n d e n L ä n d e r , P r o v i n z e n u s w . bestehen. D e r A u s d r u c k R a h m e n a b k o m m e n s o l l besagen, daß i n i h n e n k e i n e k o n k r e t e n P r o g r a m m e f ü r e i n e n b e s t i m m t e n , nach A r t , U m f a n g u n d Z e i t d a u e r festgelegten K u l t u r a u s t a u s c h v e r e i n b a r t w e r d e n , s o n d e r n daß d a r i n n u r d e r R a h m e n abgesteckt w i r d , w o r i n sich die k u l t u r e l l e n B e z i e h u n g e n z w i schen d e n b e i d e n v e r t r a g s c h l i e ß e n d e n S t a a t e n k ü n f t i g besonders e n t f a l t e n sollen. Solche R a h m e n a b k o m m e n sehen m e i s t folgendes v o r , w o b e i w i r n u r die w i c h t i g s t e n Gebiete a u f f ü h r e n 4 6 : 1. Förderung von Kulturinstituten, Bibliotheken, wissenschaftlichen Anstalten, Auslandsschulen, sowie privater Vereinigungen u n d Organisationen, die bilaterale kulturelle Beziehungen pflegen. 2. Austausch von Universitätsprofessoren u n d anderen Hochschullehrern, Forschern, Schullehrern, Studenten, Künstlern, Vertretern der verschiedenen Berufsgattungen, Schülern u n d sonstigen Jugendlichen. 3. Stipendien f ü r eigene Staatsangehörige zum Studium oder zur fachlichen Ausbildung oder Forschung i m Lande des Vertragspartners u n d vice versa an Staatsangehörige des Partners zu Studiums- u n d Ausbildungszwecken i m eigenen Lande. 4. Förderung der Zusammenarbeit von Organisationen f ü r Jugend- u n d Erwachsenenbildung. Kurse u n d Praktikantenstellen f ü r L e h r - u n d E r ziehungspersonal, f ü r Schüler u n d berufstätige Jugend aus dem anderen Lande; Förderung der Zusammenarbeit der Jugend- u n d Berufsorganisationen beider Länder. 5. Pflege der Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Gesellschaften beider Staaten. 6. Förderung des Studiums der Sprache des anderen Landes an Universitäten, Hochschulen, Fachschulen u n d höheren Schulen durch entsprechende Ausrichtung der L e h r - u n d Stellenpläne; i n diesem Zusammenhang auch Förderung der Kenntnisse von Geschichte, L i t e r a t u r u n d K u l t u r des anderen Landes u n d des Verständnisses für seine Lebensform; beiderseitige Bereinigung der Geschichtsbücher. 7. V e r m i t t l u n g von Kenntnissen des Kulturgutes beider Länder durch Bücher, Zeitschriften, Vorträge, durch Konzerte, K u n s t - u n d andere A u s stellungen kultureller A r t , Theateraufführungen, R u n d f u n k - u n d Fernsehsendungen, Filme, Schallplatten. 8. Ausnutzung der Möglichkeiten f ü r eine gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse höherer Schulen des anderen Landes für die Zulassung zum Hochschulstudium sowie für eine gegenseitige Anerkennung der akademischen Grade, Diplome u n d Zeugnisse. Es ist f ü r w a h r e i n e i n d r u c k s v o l l e r A k t i o n s b e r e i c h , der i n diesen K u l t u r a b k o m m e n m i t echtem oder g e s p i e l t e m O p t i m i s m u s abgesteckt w i r d . D a aber die Soziologie i n erster L i n i e das gesellschaftliche S e i n u n d 46
Entsprechend Josef Mühlenhöver, „Die bilateralen K u l t u r a b k o m m e n der Bundesrepublik" i m „ B u l l e t i n " des Presse- u n d Informationsamts der B u n desregierung, 18. Okt. 1960, S. 1891. 6*
3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
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nicht das Sollen zum Gegenstand hat 4 7 , müssen w i r sehen, daß i n praxi auch nach langer Geltungsdauer solcher Abkommen oft eine sehr große Diskrepanz zwischen den Programmen und ihrer Realisierung besteht. W i r d selbst das gesetzte Recht des eigenen Staates nur mehr oder weniger eingehalten, was auch für den i n innerstaatliches Recht transformierten Inhalt völkerrechtlicher Verträge gilt, so liegt auf der Hand, daß reine Empfehlungen eine weit schwächere Realisierungschance besitzen. Hier kommt es nun neben der mehr oder weniger großen Staatsautorität bei der Durchführung der Kulturabkommen entscheidend darauf an, wie realistisch die Pläne i m einzelnen sind, ob die „widerspenstige Wirklichkeit" (Max Weber), die gesamtgesellschaftlichen und kulturpolitischen Konstellationen und Entwicklungstendenzen i n den beiden beteiligten Ländern i m Sinne des Abkommens wirken oder i h m zuwiderlaufen. Für die praktische Durchführung hat man daher auch Stellen geschaffen, die helfen sollen, die Buchstaben der A b kommen i n Realitäten umzusetzen, d. h. seine Ziele i m einzelnen abzustecken und die Durchführung zu überwachen. Es sind dies die sogenannten „ständigen gemischten Ausschüsse" (Kulturkommissionen), deren Bildung i n vielen Verträgen ausdrücklich vorgesehen ist. Es sind dies Gremien, i n welche die beiden vertragschließenden Parteien eine gleiche Anzahl von Mitgliedern entsenden, Diplomaten oder sonstige Regierungsvertreter sowie an der K u l t u r des anderen Landes besonders interessierte oder diesbezüglich einflußreiche Persönlichkeiten. Es sind Gremien, die der Konsultation der beteiligten Regierungen dienen und Einzelmaßnahmen zur Durchführung der einzelnen Bestimmungen vorschlagen. Hierbei w i r d stets ein wichtiger Teil der Kommissionsarbeit darin liegen, Hemmungen aufzuweisen, die der Durchführung entgegenstehen, z.B. wirtschafts- und finanzpolitische Bestimmungen bloßzulegen, die i n beiden Staaten möglicherweise die Arbeit blockieren. Dabei kann es sich herausstellen, daß die Form der „klassischen" K u l t u r abkommen den dringenden praktischen Bedürfnissen der beteiligten Staaten nicht genügend entgegenkommt, so daß zur raschen Realisierung bestimmter Projekte zusätzliche bilaterale Abkommen oder offizielle Absprachen getroffen werden müssen. I n dieser Hinsicht bietet die sog. „Entwicklungshilfe" ein reiches Anschauungs- und Experimentierfeld. Denn hier geht es ja meist weniger u m die Anknüpfung von Beziehungen, u m geistige Durchdringung, u m alle jene Domänen, die zwischen den 47
Der Verf. teilt die Ansicht derer, die es strikt ablehnen, aus der Soziologie eine A r t v o n normativer Wissenschaft zu machen. Tendenzen dieser A r t spielen, auch ohne daß es die beteiligten Wissenschaftler wollen, sowieso u n ter der Hand leicht mit. Eine solche „nExdßaoas elg aXlo vevog" steckt aber voller Gefahren, u n d der Soziologe i n der Rolle des Demiurgen ist ein Cauchemar. Er muß sich bescheiden u n d versuchen etwa zu sagen: Wenn m a n den Z u stand A erstrebt, gibt es gegenwärtig die M i t t e l B u n d C, wobei die Nebenw i r k u n g e n D u n d E eintreten werden oder können.
2. Sonderorganisationen für Auswärtige Kulturarbeit
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älteren Nationen vorwiegend ein Betätigungsfeld der geistigen Eliten darstellten und stellen, behutsam gefördert wurden und gefördert werden müssen, sondern u m rasche A k t i o n und Hilfe. Auch an dieser Stelle sehen wir, wie die veränderte Welt veränderte Formen der internationalen Beziehungen erzwingt. Unkonventionelle, moderne Formen fanden auch i n dem Abkommen über das „Deutsch-Französische Jugendwerk" vom 5. J u l i 1963 ihren rechtlichen Rahmen. 2. Sonderorganisationen für Auswärtige Kulturarbeit Während die von den auswärtigen Ressorts durchgeführte K u l t u r arbeit i n einigen Ländern i m wesentlichen auf die Kulturabteilungen der Außenministerien beschränkt bleibt, die dann auch über technisches Personal verfügen, w i r d i n anderen Ländern die Arbeit dort nur politisch gelenkt, i m übrigen aber ihre Durchführung i n größerem oder kleinerem Umfang delegiert. Das bedeutendste Beispiel für eine fast vollständige Abgabe der Arbeit finden w i r i n Großbritannien. a) Das Beispiel des British
Council 48
Private Initiative, Anregungen und Unterstützung des Foreign Office ließen 1934 ohne große Prätention das „British Committee for Relations w i t h Other Countries" entstehen, welches bald darauf den Namen „ B r i tish Council" annahm und seine offizielle Anerkennung als autonome öffentliche Institution i m Kriegs jähre 1940 durch eine „Royal Charter" erhielt 4 9 . War sich Frankreich seit langem der Tatsache bewußt, daß es eine A r t von besonderer kultureller „Sendung" zu erfüllen hatte, so stützte sich Großbritannien zunächst allein auf die solide genug erscheinenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bastionen seines Empire. Erst nach dem ersten Weltkrieg und angesichts der zunehmenden außenpolitischen Spannungen der späteren dreißiger Jahre, nicht zuletzt auch i m Hinblick auf die von den faschistischen Gegenspielern Englands geförderten Unabhängigkeitsbestrebungen i n den britischen Kolonialgebieten änderte sich dies. Die i n der Charta dem British Council zugewiesenen Aufgaben, nämlich die „promotion of a wider knowledge of the United Kingdom and the English language abroad and the development of closer cultural relations w i t h other countries" beziehen sich auf Staaten sowohl innerhalb wie außerhalb des Commonwealth, eine Unter48 Vgl. zum folgenden: The B r i t i s h Council A n n u a l Reports 1958/59, 59/60, 60/61, 61/62, 62/63, 63/64 sowie: The B r i t i s h Council: Appointments, London 1964, u n d Carl Doka, 1. c., S. 54—58. Eine erste Übersicht gibt die Broschüre: What is the B r i t i s h Council? London 1963. 49 I n dieser Charter werden die Aufgaben des Council i n recht allgemeinen Wendungen bezeichnet, u m i h m genügend Spielraum zu lassen u n d seine A n passung an wechselnde Notwendigkeiten zu ermöglichen.
3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
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Scheidung, welche sich noch heute i m organisatorischen Aufbau der Institution deutlich abzeichnet. Dabei geht es für den Council u m langfristige, nicht tagespolitische Arbeiten, was ihn z. B. von der Tätigkeit der Britischen Informationsdienste deutlich unterscheidet 50 , ein auffallender Gegensatz zu der Übung der Außenpolitik der USA, die beide Aufgaben vermischt. Die gute Aufnahme, welche die Initiativen des British Council i m Ausland i m allgemeinen finden, w i r d auch seitens der Organisation selbst darauf zurückgeführt, daß sie für politische Tagesfragen nicht eingespannt wird 5 1 . Ist es doch gerade diese Aufgabenkombination, welche die Arbeit aller jener Diplomaten i m Ausland so erschwert, die kulturelle Arbeit sowie Presse- und Informationsaufgaben i n Personalunion zu leisten haben. W i r können es uns ersparen, auf die Arbeiten des British Council i m einzelnen einzugehen, da sie sich mit dem Gesamtbereich der kulturellen Auslandsbeziehungen decken, einschließlich des Stipendienwesens, jedoch ausschließlich der Rundfunk- und Fernsehfragen i m engeren Sinne, die der „British Broadcasting Corporation (BBC)" vorbehalten sind. Erwähnen w i r hier nur, daß der Council jährlich m i t den Problemen von (1962/63) über 64 000 ausländischen Studenten konfrontiert wird, etwa 8500 Besucher aus dem Ausland betreut, 139 Büchereien unterhält, 50 bis 80 Buchausstellungen jährlich durchführt (davon 1962/63 allein 56 in Asien und Afrika), 1962/63 über 400 Theater- und Musikveranstaltungen unterstützte, die von 28 Theatergruppen und Orchestern durchgeführt wurden, sowie 40 Kunstausstellungen und 25 Fotoausstellungen i m gleichen Zeitraum zirkulieren ließ. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Arbeit sind Partnerschaftsverhältnisse zwischen britischen und ausländischen Gemeinden. Es sind dies alles umfangreiche organisatorische Aufgaben, die der Council als Zentralinstanz durchführt; dies hat den Vorteil, daß er Koordinationen und Querverbindungen zwischen den einzelnen Projekten i n eigener Regie leicht herstellen kann, was überall dort ein Problem wird, wo verschiedene Organisationen nebeneinander, vielleicht sogar i n Konkurrenz miteinander arbeiten. Seine technischen Dienste stehen für die verschiedenen Sparten gleichermaßen und dadurch rationeller und ökonomischer zur Verfügung, wozu w i r nur an die Publikationsmittel zu denken brauchen. Das organisatorische Beispiel, welches der British 50
„The Council is not responsible f o r . . . explaining B r i t i s h views on current political issues: these are the tasks o f . . . the Government's information services respectively. There are many points of contact between the Council and the information services b u t the broad division between long-term and short-term questions is recognized." (The B r i t i s h Council: Appointments, a. a. O., S. 3). 51 „The ready acceptance and co-operation which i t receives overseas is certainly due i n part to the fact that the Council has no concern w i t h day-today political issues." („What is the B r i t i s h Council?", a. a. O., S. 4).
2. Sonderorganisationen für Auswärtige Kulturarbeit
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Council i n seiner A r t einzig bietet, soll aber i n seinem Aufbau noch näher untersucht werden. Der British Council ist ein selbständiger, umfangreicher Verwaltungsstab m i t kräftigen, aber sachlich begründeten Wachstumstendenzen, die durch die Übernahme immer größerer Aufgaben der eigentlichen Entwicklungshilfe forciert werden. Die Institution hält dank ihrer Zusammensetzung die britische Regierung aus der vordersten „Drecklinie" heraus, i n welcher sich andere Regierungen bei der Durchführung ihrer auswärtigen K u l t u r p o l i t i k und Entwicklungsarbeit nicht selten Unannehmlichkeiten der verschiedenen A r t zuziehen und sich gelegentlich kompromittieren. So übernimmt der British Council auch die Durchführung aller Kulturabkommen, die Großbritannien heute i m Unterschied zu früher ebenfalls abschließt. Das Millionen-Pfund-Budget, welches i n den letzten 10 Jahren ständig angestiegen ist, und gegenüber 3 M i l l . Pfund i m Jahre 1952 nunmehr (1963/64) 11 M i l l . Pfund ausmacht, fließt zum ganz überwiegenden T e i l (1963/64 zu über drei Vierteln) aus dem Staatshaushalt, und zwar aus den Mitteln des Foreign Office, des Commonwealth Relations Office, des Colonial Office und des Department of Technical Co-Operation. Die Durchführung der Arbeit des Council w i r d bestimmt von einem Exekutivkomitee, das 30 Mitglieder umfaßt, von denen 20 als „Independent" bezeichnet werden (Abgeordnete der Regierungs- und Oppositionsparteien, Vertreter von Hochschulen, Industrie und Gewerkschaften, Vorsitzende einiger der 15 spezialisierten Fachausschüsse52, welche die Arbeit des Council lenken) und 9 „official members", die von den Ressorts nominiert werden. Der vom Exekutivkomitee gewählte Vorsitzende bedarf der Zustimmung des Foreign Office zu seiner Wahl, ebenso wie der Generaldirektor des „British Council", der ebenfalls vom gleichen Exekutivrat ernannt wird. Hier ist der entscheidende Einfluß des Foreign Office also bereits organisatorisch gleich zweimal verankert. Als Soziologe w i r d man am Rande notieren dürfen, daß der gegenwärtige (1964) Generaldirektor Sir Paul Sinker als ehemaliger Fellow and Tutor des Jesus College i n Cambridge auch von vornherein die wichtigen Beziehungen zum bereits erwähnten, durch politisches Für und Wider meist verniedlichten oder verzerrten sog. 52 Folgende Fachausschüsse, die durchschnittlich etwa 12—15 Mitglieder haben, sind als „advisory committees and panels" ehrenamtlich tätig: B r i t i s h Books Overseas Committe, Drama Committee, East Europe Committee, English Studies Committee, Linguistics Panel, Literature Panel, Fine A r t Committee, L a w Committee, Medical Panel, Music Committee, Science Committee, A g r i c u l t u r a l Panel, Science and Engineering Panel, Veterinary Panel, U n i v e r sities Committee, Committee for Commonwealth University Interchange, Scottish Panel, Welsh Panel. A u f der anderen Seite stellt der B r i t i s h Council das Sekretariat für einige technische Komitees, w i e z. B. das „Co-ordinating Committee for Drama and Music Tours Overseas" u n d ist i n den Lenkungsausschüssen zahlreicher O r ganisationen m i t ähnlicher oder verwandter Zielsetzung vertreten.
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
„Establishment" mitbringt, wie offenbar auch nicht wenige seiner M i t arbeiter. Der Posten des Generaldirektors stellt die eigentliche Brücke zwischen dem Exekutivrat und dem eigentlichen Verwaltungsstab dar, welcher 1964 insgesamt 3229 Mitarbeiter umfaßte. 353 Beamte sind nach Ubersee entsandt, denen wiederum 1600 Ortskräfte als Mitarbeiter i m Ausland zur Verfügung stehen, und 1276 Beamte arbeiten i m Vereinigten Königreich selbst, sei es i n der Londoner Zentrale oder bei den 21 Zweigstellen, die auf regionale Schwerpunkte verteilt sind. Die Zentrale ist organisatorisch sowohl i n 4 regionale Abteilungen (Commonwealth und Britische Kolonien, Europa, Außereuropa, Inland) als auch i n 6 Fachabteilungen (Künste und Wissenschaften, Medizinalangelegenheiten, Erziehungsabteilung, Verwaltungs-, Nachwuchs- und Finanzabteilung) gegliedert, und beschäftigt 1027 Mitarbeiter. Der Stellenkegel ist, seit man sich 1956 entschlossen hatte, die Arbeit i m Council zu einer Berufslaufbahn auszugestalten, vergleichsweise befriedigend, so daß jeder durchschnittlich qualifizierte Mitarbeiter des höheren Dienstes damit rechnen kann, zumindest gegen Ende seiner Berufslaufbahn den Rang eines 1. Sekretärs einer diplomatischen Vertretung (dem Oberregierungsrat entsprechend) zu erreichen. Darüber hinaus gibt es noch etwa 50 höhere Chargen, die auf den Außen- und Innendienst verteilt sind. Aus dem Gesagten erhellt, daß die Arbeit i m Council eine echte Berufslaufbahn darstellt, auch ausdrücklich als „career Service" bezeichnet wird, wobei die finanziellen Bezüge der Mitarbeiter weitgehend denen des eigentlichen diplomatischen Dienstes angeglichen sind, dessen Privilegien freilich die Vertreter des Council i n der Mehrzahl der Fälle nicht genießen. I n Gesprächen m i t über einem Dutzend Beamten des British Council haben diese dem Verfasser einhellig versichert, daß sich die laufbahnmäßige Trennung von der Berufsdiplomatie für die Kulturarbeit als ein Vorteil auswirke, und daß sie auch für sich persönlich keine Eingliederung i n den Auswärtigen Dienst wünschten. Wenn es auch nicht als ausgeschlossen erscheint, daß bei diesen Äußerungen h i n und wieder auch Ressentiments mitspielten, so w i r k t e n doch die sachlichen Argumente, die sich auf die weitgehende Freiheit von der tagespolitischen Zwecksetzung und die leistungsteigernde Wirkung der Eigenverantwortung beziehen, überzeugend. Der Dienst i m British Council besitzt deutlich Anziehungskraft. Zwischen 10 und 20 Nachwuchsbeamte können jährlich eingestellt werden, gebürtige Briten, die eine Hochschulausbildung m i t gutem Erfolg abgeschlossen haben müssen. Naturwissenschaftler sind gesucht. Alle Karrierebeamte des Council wechseln i m Laufe ihres Berufslebens ebenso wie Diplomaten zwischen Außenposten i n etwa 80 Ländern (unter denen bemerkenswerterweise die USA fehlen) und der Arbeit i m Heimatland; jeweils 4—6 Dienstjahre i m Ausland werden als
2. Sonderorganisationen für Auswärtige Kulturarbeit
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normal angesehen, eine Aufenthaltsdauer, die also das Doppelte der für Diplomaten üblicherweise vorgesehenen Zeit erreicht. Hierin schlägt sich bereits die Erkenntnis nieder, daß Kulturarbeit nicht nur langfristig w i r k t , sondern daß zu ihrer erfolgreichen Durchführung auch eine genauere Kenntnis von Land, Leuten und Institutionen des Gastlandes erforderlich ist. Eine Sondersparte des Dienstes i m British Council stellen übrigens die Laufbahnen als „English Language Officer" dar, die vor allem für Lehrer i n Frage kommen. Ist der entscheidende Einfluß des Foreign Office, wie w i r gesehen haben, bereits organisatorisch dadurch sichergestellt, daß die entscheidenden Führungsposten des British Council nur m i t seiner Zustimmung besetzt werden können, so ist es darüber hinaus Pflicht und Praxis des Council, sich auch hinsichtlich der laufenden Arbeit nach dem Außenamt zu richten. Dieses geschieht einmal dadurch, daß das Foreign Office bestimmt, in welchen Ländern der British Council aus politischen Gründen arbeiten und i n welchem Umfang er dies gegebenenfalls t u n soll, während der Council dann allerdings selbst darüber befindet, i n welcher Form dies geschieht. Die kleine Kulturabteilung des Foreign Office hat jedenfalls als Hauptaufgabe, die Verbindung m i t dem British Council zu pflegen und die genannten politischen Richtlinien zu geben. Darüber hinaus finden laufende Konsultationen statt, ebenso wie dies auch zwischen den Außenstellen des Rates und den britischen diplomatischen Missionen i m Ausland geschieht, falls der Vertreter des British Council nicht sogar ausnahmsweise direkt als Kulturattache zum Botschaftsstab gehört. Die Zusammenarbeit zwischen Foreign Office und British Council w i r d von beiden Partnern überzeugend als gut bezeichnet. Diese befriedigende Zusammenarbeit dürfte nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, daß sich viel „Epoche" hinsichtlich der politischen Weisungen auf der einen, und viel politischer Instinkt bei der Durchführung der Kulturarbeit i m einzelnen auf der anderen Seite findet. Hier kommen Fähigkeiten und Stilformen zum Tragen, die sich i n England wohl i m Laufe der Jahrhunderte besonders haben entwickeln können, was sich i m politischen Leben des Landes auch sonst erweist. b) Repräsentative, spezialisierte
Organisationen
Steht dem Staat eine umfassende Institution für Kulturbeziehungen m i t dem Ausland, wie der British Council, nicht zur Verfügung, und verfügt das Außenministerium selbst nicht über einen genügend großen technischen Apparat, so müssen die Aufgaben der auswärtigen K u l t u r politik, was ihre technische Durchführung angeht, i n größerem oder kleinerem Umfang delegiert werden. Entsprechend hat, u m das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland anzuführen, das Auswärtige A m t , dem es nicht zuletzt dank der persönlichen Bemühungen des Leiters seiner K u l -
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
turabteilung, Dr. Dieter Sattler, gelang, seinen Kulturetat (Kultur- und Schulfonds) von 61 Millionen i m Jahre 1959 auf über 169 Millionen i m Jahre 1964 zu steigern, weitgehend von dem Prinzip der Delegierung Gebrauch gemacht. Diese zunehmend durchgeführte Abgabe von Aufgaben beruhte auf zwei hauptsächlichen Kausalfaktoren, einem positiven und einem negativen: Einmal konnte die Tatsache berücksichtigt werden, daß verschiedene Organisationen i n Deutschland seit Jahren, teilweise sogar seit Jahrzehnten, recht erfolgreich auf den einzelnen Spezialgebieten tätig sind, infolgedessen eine große Sachkenntnis und ein geschultes Personal besitzen und über wichtige Beziehungen zu ausländischen Stellen verfügen. Zum anderen aber war die Delegierung aus einer Notlage heraus geboren: Es war nämlich nicht gelungen, i n positiver Korrelation zu den rasch angewachsenen Mitteln und Aufgaben der Kulturabteilung des erst 1951 wiedererrichteten Auswärtigen Amts einen dieser Aufgabenfülle auch nur einigermaßen entsprechenden personellen Ausbau durchzuführen, d.h. die Stellen der Kulturabteilung sowohl zahlenmäßig, als auch dienstrangmäßig anzuheben. Von den verschiedenen Organisationen, die sich infolgedessen m i t der Durchführung der praktischen Kulturbeziehungen Deutschlands zum Ausland immer stärker zu befassen hatten und haben und hierzu M i t t e l des A. A. erhalten, können w i r i n diesem Rahmen nur einige der wichtigsten anführen, wobei die Reihenfolge keinerlei Wertung ausdrückt: Das Goethe-Institut, München (siehe unten), Inter Nationes, Bonn (Öffentlichkeitsarbeit, Betreuung von Besuchern), den Deutschen Akademischen Austauschdienst, Bad Godesberg (Stipendien, Hochschulwesen), die Alexander-v.-Humboldt-Stiftung, Bad Godesberg (Stipendien für jüngere Gelehrte), die Carl-Duisberg-Gesellschaft, K ö l n (für Praktikantenaustausch und -ausbildung), die Friedrich-Ebert-Stif-i tung, Bonn (Erwachsenenbildung i m weiten Sinne, internationale Gewerkschaftsarbeit), das Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart (insbesondere Betreuung auslandsdeutscher Gruppen), den deutschen Kunstrat (Kunstausstellungen, Betreuung ausländischer Künstler i n Deutschland), den deutschen Musikrat (Internationale Musikbeziehungen). I n den Klammern stehen nur einschlägige Schwerpunkte. Außer der „Deutschen Forschungsgemeinschaft" (u. a. Unterstützung Deutscher Forschung i m Ausland, Finanzierung von Vortragsreisen und Gastprofessoren), der „Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder" (Kulturabkommen, internationale Hochschulfragen, Pädagogenaustausch, Auslandsschulen, Äquivalenzfragen, u m nur einige Arbeitsgebiete zu nennen) und der Westdeutschen Rektorenkonferenz (Hochschulfragen) könnten w i r i n diesem Zusammenhang noch manche anderen bedeutenden Institutionen anführen, die auch, neben ihrer
2. Sonderorganisationen für Auswärtige Kulturarbeit
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sonstigen Arbeit, die Pflege eines Sektors der internationalen K u l t u r beziehungen übernommen haben. Da jedoch die Darstellung der verschiedenen Kompetenzen und Leistungen vom Grundsätzlichen fortführen würde, müssen w i r hierzu auf die einschlägigen Publikationen der betreffenden Institutionen selbst und entsprechende Handbücher verweisen 53 . (Viele Organisationen erhalten zudem vom Auswärtigen A m t auf Antrag M i t t e l für konkrete begrenzte Aufgaben; den jeweiligen Wert der Projekte zu bestimmen, stellt eine nicht einfache A u f gabe der Kulturabteilung dar, zumal sie zur Ausschüttung von M i t t e l n durch Parteien und Interessenverbände, einzelne Abgeordnete und einflußreiche Privatpersonen immer wieder zu beeinflussen versucht wird.) I n unserem Zusammenhang wollen w i r aber die Arbeit des Goethe-Instituts i n München als ein ausgewähltes uns naheliegendes Beispiel delegierter und spezialisierter Kulturarbeit etwas näher betrachten. Die „Alliance Française" soll dann als repräsentatives französisches Beispiel einer Spezialorganisation für auswärtige K u l t u r beziehungen folgen. Das Goethe-Institut i n München Als die Weimarer Republik anläßlich der hundertjährigen Wiederkehr von Goethes Todesjahr 1932 i m Rahmen ihrer „Deutschen Akademie" 5 4 die Gründung eines besonderen „Goethe-Instituts" unterstützte, wollte sie m i t diesem Organ der deutschen Sprache dienen, ihr ohne penetrante Propaganda Freunde gewinnen, und solchen zu einer besseren Kenntnis des Deutschen verhelfen. I m folgenden Jahr schon zerbrach die Republik. Man w i r d aber sagen dürfen, daß sich das Institut als Ganzes genommen auch während des Hitlerregimes nicht kompromittiert hat. A m Ende des zweiten Weltkrieges hatte die deutsche Sprache infolge der Zerstörung jeglichen deutschen Machtpotentials, aber auch infolge der moralischen Disqualifizierung alles Deutschen zumindest i n den meisten Ländern abendländischer Tradition, als Weltsprache einen derartigen Schlag erlitten, daß sie sich davon bis heute noch nicht wieder hat erholen können. Die Sprache von Luther, Bach, Kant, Goethe, Freud und Einstein war i n vielen Ländern verfemt. Nachdem i m Jahre 1949 53 Eine erste Gesamtübersicht ermöglicht jetzt das „Jahrbuch der A u s wärtigen Kulturbeziehungen", Bonn, das von dem K u l t u r p o l i t i k e r der C D U u n d Vorsitzenden des Bundestagsausschusses f ü r K u l t u r p o l i t i k u n d Publizistik, dem Abgeordneten Dr. Berthold Martin herausgegeben w i r d . 54 Genauer: Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung u n d Pflege des Deutschtums, Sitz München; gegründet i m M a i 1925, dem Jahr der Garantieverträge von Locarno, m i t je einer wissenschaftlichen u n d praktischen A b teilung.
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die Bundesrepublik Deutschland errichtet worden war und sie nach und nach das Recht erhielt, auswärtige Vertretungen einzurichten, lag es nahe, sich auch der deutschen Sprachpflege i m Ausland und durch Ausländer wieder stärker anzunehmen; man begann, entsprechende Bemühungen auch wieder offiziell zu fördern, wobei man sich des GoetheInstituts erinnerte. Das Drängen ausländischer Kreise, z. B. ausländischer Deutschlehrer und Germanisten, spielte dabei eine wichtige katalysatorische Rolle und gab früheren Mitarbeitern den M u t zu einem bescheidenen Neuanfang i m Jahre 1952. Inzwischen ist aus der i n Bad Reichenhall mit 8 Schülern wieder begonnenen Arbeit ein imponierender Apparat für 60 000—70 000 Studierende erwachsen. Das Goethe-Institut nennt sich mit einem Zusatz „ . . . zur Pflege deutscher Sprache und K u l t u r i m Ausland". Dieser Titel ist zu weit und zu eng. Er ist zu weit, weil er einen Mantel darstellt, der demjenigen des British Council ähnelt und so einen Anspruch zu stellen scheint, der nicht vergleichbar ausgefüllt werden kann. Hierzu ist zunächst auf die ursprüngliche Aufgabenstellung hinzuweisen: Die Pflege der deutschen Sprache. Das Goethe-Institut ist immer i n erster Linie ein Sprachinstitut gewesen, und die Sprache steht auch weiterhin an erster Stelle. Nun werden w i r i n einem späteren Kapitel sehen, i n wie vielfältiger Weise damit gewiß auch die Kulturwerbung als solche i n ihren verschiedenen anderen Bezügen involviert wird. Aber zunächst ist es doch ein begrenzter Sektor. Auf diesem ist Vorzügliches, inzwischen auch für andere Staaten Beispielhaftes, geleistet worden. Zunächst organisatorisch: 1963 nahmen durch Vermittlung der rund 100 K u l t u r institute und Dozenturen (das Goethe-Institut ordnet Lehrkräfte auch zu fremden Institutionen ab) i m Ausland etwa 50 000 erwachsene Ausländer an Sprachkursen teil; i m Inland besuchten jährlich über 8000 ausländische Studenten und Praktikanten die Sprachkurse der 19 Unterrichtsstätten (deshalb erscheint auch die Titelbezeichnung „ i m Ausland" als zu eng). Aber neben dieser organisatorischen Leistung auf dem Unterrichtssektor stehen das Streben nach sprach-pädagogischer Vervollkommnung, die Entwicklung neuer Unterrichtsmittel i n engster Zusammenarbeit mit den Fortschritten der modernen Sprachwissenschaft. Eine Reihe von Lehrbüchern, Lesetexten, Textsammlungen, Büchern zur Grammatik und methodischen Anleitung legt von diesen Arbeiten Zeugnis ab. Das Goethe-Institut ist ein riesiges „Sprachlabor" geworden, i n welchem i m In- und Ausland häufig neue Methoden angewandt und ausprobiert werden. Auch entwickelt man besondere Deutsche Sprachkurse, die durch die Massenmedien Rundfunk und Fernsehen gesendet werden sollen. Der Rahmen eines Sprachinstituts ist vom Goethe-Institut aber inzwischen gesprengt worden. Denn das Auswärtige A m t hatte 1960 be-
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schlossen, auch alle deutschen Kulturinstitute i m Ausland 5 5 und einen erheblichen Teil ihrer Kulturprogramme i n die Hände des Instituts zu legen. Gewiß hatte die Entwicklung mancher Zweigstellen i m Ausland dies nahegelegt. Doch ist es nicht so gewesen, daß sich das GoetheInstitut diese neue Phase seiner Entwicklung auf Grund eines unmäßigen Wachstums oder einer besonderen Dynamik zielbewußt erkämpft hätte. Manches spricht vielmehr dafür, daß das Goethe-Institut selbst, welches sich i n acht Aufbaujahren gerade konsolidiert hatte und sein linguistisches und didaktisches Fach nunmehr beherrschte, m i t einer gewissen Sorge an die i h m neu übertragenen Aufgaben heranging, ohne recht zu wissen, ob und wie es sie zur Zufriedenheit erfüllen könne. Das Institut geriet damit i n ein Spannungsfeld verschiedenster Interessen und Machteinflüsse. Man hatte aus heterogenen Wurzeln entstandene Kulturinstitute zu übernehmen und sie i n vorsichtiger Weise i n ein Rahmenprogramm einzugliedern; man hatte, was noch nicht i n allen Fällen ganz gelungen ist, gewisse Institute aus dem bisweilen örtlich überwältigenden Einfluß der Auslandsmissionen und ihrer ständigen Klientel etwas herauszumanövrieren, ohne dabei doch die lebensnotwendige enge Verbindung zwischen diplomatischer oder konsularischer Mission einerseits und Institut andererseits zu zerstören. Man hatte auf verdiente Auslandsdeutsche und sonstige ausländische Kreise Rücksicht zu nehmen, die manche der Kulturinstitute bis dahin auch finanziell unterstützt hatten. Auch zeigten sich einige der typischen Phänomene, die auftreten, wenn bis dahin selbständige oder nur lokal abhängige Institutionen m i t starkem eigenem Kolorit einer größeren Organisation unterstellt werden, die ihre Arbeit nun auch i m Detail stärker zu dirigieren wünscht, ö r t l i c h hat es manchmal an Fingerspitzengefühl gefehlt. Aber die Richtigkeit der Entscheidung des Auswärtigen Amts hinsichtlich der Kulturinstitute i m Ausland w i r d man aus zwei Gründen unterstreichen können: Einmal ist es unmöglich, die Kontinuität guter Leistung auswärtiger Kulturinstitute und eine gewisse Gleichwertigkeit ohne sorgfältige Planung einer Zentrale i m Heimatland zu sichern. Sie müssen den Zufälligkeiten personeller, örtlicher und finanzieller A r t sowie sachfremden Einflüssen möglichst entzogen werden. Zum anderen aber scheint es richtig, wenn solche Institute nicht einer Regierung, sondern einer separaten Zentralinstanz unterstehen; dies gilt vor allem i m Falle Deutschlands, das infolge eines zwölfjährigen Mißbrauchs der für die auswärtige K u l t u r p o l i t i k zur Verfügung 55 M i t Ausnahme des New Yorker Goethehauses, das i m Jahre 1955 v o n prominenten amerikanischen Politikern begründet (unter ihnen McCloy, James Conant, General Lucius Clay, George N. Shuster), eine amerikanischdeutsche I n s t i t u t i o n blieb. Vgl. zu diesem i n seiner Rechtsform und Arbeitsweise einzigartigen I n s t i t u t den Bericht seines Programmdirektors von 1961 bis 1964, Hans E. Holthusen, i n der F A Z v o m 24. Oktober 1964.
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stehenden M i t t e l durch eine von Desperados beherrschte Regierung schweren Schaden erlitten hat. M i t diesen Erfahrungen mag es auch zusammenhängen, daß der Einfluß des Auswärtigen Amts auf das Goethe-Institut organisatorisch als noch nicht allzu stark erscheint. So ist zwar der Präsident des GoetheInstituts gegenwärtig ein bekannter ehemaliger deutscher Botschafter (Peter H. Pfeiffer), welcher auch Vorsitzender des achtköpfigen Vorstands ist, doch gehören diesem Gremium zwar Vertreter des Bankwesens an, aber w i r finden darin keinen aktiven Beamten des auswärtigen Dienstes. Auch unter den 22 berufenen „Mitgliedern" des Goethe-Instituts, welches die Rechtsform eines eingetragenen Vereins besitzt 56 , sucht man den noch aktiven Vertreter des Auswärtigen Amts vergebens. Nur i m zweiundzwanzigköpfigen Verwaltungsrat sitzen der Leiter der Kulturabteilung des A. A. und sein zuständiger Fachreferent. Die Beziehungen zwischen dem Auswärtigen A m t und dem Goethe-Institut sollen jedoch durch einen Vertrag geregelt werden, worin man ein Vorschlags- und Vetorecht des deutschen Außenministeriums bei der Besetzung von Spitzenposten des Instituts verankern will. Zwei Problemkreise bereiten dem Goethe-Institut Sorge: Sie betreffen die langfristige Finanzierung und den Status der Mitarbeiter. Was die Finanzierung angeht, so ist zunächst zu sagen, daß sie aus zwei Quellen erfolgt: Die Unterrichtsstätten i m Inland tragen sich selbst, d. h. für ihre Unterhaltung genügen die Kursgebühren. Dagegen w i r d die gesamte übrige Arbeit des Goethe-Instituts aus Zuwendungen der Kulturabteilung des A A finanziert. (Der Haushaltsvoranschlag des Goethe-Instituts für 1965 sah solche Zuwendungen i n Höhe von rund 29 Millionen D M vor.) Da dieser größere Haushaltsanteil des Instituts Teil des Haushalts der Kulturabteilung des A A ist, unterliegt er damit auch den Schwankungen der Haushaltspolitik der Bundesregierung. Hierdurch w i r d nicht nur eine langfristige Planung des Goethe-Instituts erschwert, sondern es muß auch mit plötzlichen Sparmaßnahmen und Kürzungen der Zuwendungen gerechnet werden, die das bereits Aufgebaute wieder i n Frage stellen können; selbst wenn man die „Apparatur" nur i m Notfall reduzieren wird, so ist sie doch nur sinnvoll, wenn man ihr auch die Mittel für die nötigen Programme gibt. Gewiß ein unbefriedigender Zustand, der die grundsätzliche Problemat i k und Anfälligkeit des ganzen Kulturfonds des A. A. widerspiegelt. Bei den Mitarbeitern des Goethe-Instituts, deren Status Sorge bereitet, handelt es sich u m folgende Gruppen: Leiter und stellvertretende Leiter von Instituten i m Inland oder i m Ausland, Leiter von Dozen56 A n einen Wandel dieser Rechtsform, beispielsweise i n eine Bundesanstalt, ist zwar einmal gedacht worden, doch scheint er gegenwärtig nicht zur Debatte zu stehen.
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turen und Sprachabteilungen, Sprachdozenten i m In- und Ausland, Bibliothekare, Verwaltungsangestellte, technisches Personal, hauptamtliche Ortskräfte. Dazu kommen die Abteilungsleiter, Referenten, Sachbearbeiter und sonstigen Angestellten der Zentralverwaltung i n München. Zur Zeit beschäftigt das Institut Mitarbeitergruppen i n folgender Größenordnung: Zentral Verwaltung Institute i m I n l a n d Institute i m Ausland (entsandte Kräfte) Institute i m Ausland (Ortskräfte)
114 245 231 1239.
Man bemüht sich, den noch ungenügenden Stellenplan zu verbessern, der fähigen Mitarbeitern so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Der Stellenkegel hat eine ganz breite Basis und verläuft i n einer lächerlich dünnen Spitze. Unter den fast 2000 Angestellten lassen sich diejenigen über dem Range eines Oberstudienrats an den Fingern einer Hand abzählen, und die breite Masse der höheren Angestellten, die meist Hochschulbildung haben, erreicht nur die Eingangsstufe des höheren Dienstes. Auch ist die Altersversorgung noch nicht befriedigend geregelt 57 . Die Problematik der nichtbeamteten Kulturattachés i m höheren auswärtigen Dienst zeigt sich also bei den Mitarbeitern des Goethe-Instituts noch schärfer. So erscheint also das Goethe-Institut z. Z. als eine Organisation, welche ihre endgültige Form durchaus noch nicht gefunden hat. Gewisse Möglichkeiten für einen weiteren Ausbau etwa i n Richtung des British Council sind vorhanden. Es stehen den Verbesserungswünschen aber sowohl Schwierigkeiten entgegen, welche i n der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland liegen, als auch Grundsatzentscheidungen des A. A. selbst. Auch erfordern die Leistungen anderer Institutionen für die Pflege auswärtiger Kulturarbeit i n der Bundesrepublik, die w i r trotz ihrer entsprechenden Bedeutung auf anderen Sektoren hier nicht behandeln können, entsprechende Berücksichtigung. Das Beispiel des Goethe-Instituts muß hier — als pars pro toto — genügen. Eine Ausweitung seiner Tätigkeit erfolgt gegenwärtig vor allem durch die Neueinrichtung von Filial-Instituten i m Ausland und durch die Übernahme von einigen ihm bisher noch nicht v o l l angegliederten Instituten. Hierzu käme dann noch die Möglichkeit, Aufgaben zu übernehmen, deren Notwendigkeit neu erkannt w i r d und für deren Erfüllung sich der Rahmen der Organisation zweckmäßigerweise anbietet. Dagegen würden sich die anderen mit kultureller Auslandsarbeit 57 Es ist lediglich gelungen, die Mitarbeiter der „Versorgungsanstalt des Bundes u n d der Länder" anzuschließen; i m übrigen arbeitet m a n m i t der Bundesangestelltenversicherung u n d Lebensversicherungsverträgen.
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betrauten Institutionen m i t Recht dagegen verwahren, wollte man die bisher von ihnen gut erfüllte Arbeit nunmehr dem Goethe-Institut übertragen. Es gibt Anzeichen dafür, daß kleinere Auseinandersetzungen dieser A r t bereits stattgefunden haben. Die Alliance Française W i r wenden uns nunmehr der ältesten zeitgenössischen Organisation zu, die sich planmäßig auf weltweite K u l t u r p o l i t i k i m Ausland spezialisiert. Hatte sich i m 17. und 18. Jahrhundert die Kenntnis der französischen Sprache und K u l t u r i m Verein mit der französischen Vormachtstellung i n Europa ausgebreitet (mit einem kleinen „cultural lag"), wobei der stilbildenden, freilich zentripetalen K r a f t des Hofes eines „ r o i soleil" und dem nachahmenden Wetteifer verschiedenster Fürstenhöfe einschließlich des Zarenhofes besonderes Gewicht zukam, so gab es doch hierzu keine formelle Organisation, wie w i r sie zur gleichen Zeit etwa bei religiösen Missionsbestrebungen finden. I m Unterschied zu jener Zeit konnte nun zwar die I I I . Republik mit berechtigtem Stolz auf weitere Erfolge französischer K u l t u r blicken, doch befand sie sich i n einer völlig veränderten Lage: Es galt die Niederlage von 1870/71 auch geistig zu kompensieren. Die europäische Ausstrahlungskraft des Hofes war zwar schon vor dem Ende der Dynastien Bourbon und Orleans und den diesbezüglich recht ambivalenten Schauspielen der beiden Napoleonischen Kaiserreiche unwiderbringlich dahin. Aber wenn auch der Berliner Kongreß i m Jahre 1878 das Bismarcksche Reich fast als politischen Schiedsrichter Europas gesehen hatte, so war doch die i m gleichen Jahr veranstaltete Pariser Weltausstellung mit über 13 Millionen Besuchern nicht nur die bisher imponierendste ihrer A r t , sondern dokumentierte auch eine französische geistige und geschmackliche Vormachtstellung und Anziehungskraft. Es galt also nun, den veränderten sozialen Strukturverhältnissen i m Inund Ausland auch hinsichtlich der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k Rechnung zu tragen. Dem „honnête homme", dem Leitbild unter Ludwig XIV., waren i m X V I I I . Jahrhundert bereits der „civilisé" und der „homme social" gefolgt, mit der Aufklärung entstandene Leitbilder bürgerlicher Natur. Der „Gebildete", d . h . Belesene und geschmacklich Geformte, diese bürgerliche Inkarnation abendländischer K u l t u r , wirkte, gerade in französischer Prägung, attraktiv auch auf das Ausland. Und es ist eine imponierende Leistung, wie die I I I . Republik, sich mühsam nach bewegten Anfängen und zunächst gegen monarchistische Mehrheiten konsolidierend, feste Struktur auch geistig trotz aller Gegensätze i m einzelnen gewinnt; wie sie eine Struktur herausbildet, welche i n der Dreyfußaffäre ihre Belastungsprobe schließlich besteht und dann i m wesentlichen bis zu ihrem Zusammenbrechen 1940 gehalten hat.
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Aus dieser geistigen Konstellation heraus, während außenpolitisch ein Tauziehen zu beobachten war zwischen Kräften, welche die Kolonialpolitik vorantrieben (1881 Tunis unter französischer Schutzherrschaft, i n den folgenden Jahren Entstehung der Kolonialherrschaften i n Westafrika und Indochina) und Verfechtern einer vordringlichen Revanchepolitik gegenüber Deutschland, wurde 1883 i n Paris durch die Initiative weitschauender Persönlichkeiten unter Leitung von Paul Cambon58 die „Alliance Française pour la propagation de la langue française dans les colonies et à l'étranger" 5 9 gegründet. Es wurde damit jene K u l t u r organisation geschaffen, die der französischen Politik eine äußerst wirksame Hilfe bis heute gab, mögen politische Konstellationen und Fronten auch wechseln. Die formell selbständige Alliance ist m i t ihrer wirkungsvollen Arbeit für die Verbreitung der französischen Sprache und K u l t u r außerhalb des Mutterlandes inzwischen zu einem Muster erfolgreicher K u l t u r p o l i t i k und ihrer Organisation geworden. Bedenkt man die innenpolitische Situation Frankreichs zur Zeit ihrer Entstehung, den damals zwischen kirchlich und laizistisch eingestellten Gruppen besonders heftig tobenden „ K u l t u r k a m p f " , so ist verständlich, daß sich die Organisation religiöser Propaganda enthält, zumal besagter Dualismus i m französischen Geistesleben offenbar persistiert. Aber auch i n politischer Hinsicht übt die formelle Unabhängigkeit vom Staat genießende Alliance Zurückhaltung. So n i m m t man bewußt Abstand davon, Publikationen allzu betont zu propagieren, welche nur deutliches Sprachrohr der jeweils offiziellen Regierungspolitik sind. Gegenwärtig findet man die Alliance also nicht i m Dienste des Gaullismus, wenn es auch zu ihren Aufgaben gehört, Verständnis für die politische Entwicklung des zeitgenössischen Frankreich zu vermitteln. Doch vermeidet man Diskussionen über aktuelle Politik, wo sich dies machen läßt. I m Mittelpunkt der Arbeit steht deutlich die Sprachförderung: Man vertraut den Franzosen i m Ausland und den frankophilen und frankophonen Ausländern als Hauptaufgabe an, den Gebrauch des Französischen zu erhalten und zu fördern. Die Alliance zieht also auch Ausländer heran, ja gerade diese sind i h r willkommen. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, sich zusammen m i t den Auslandsfranzosen i n französischen Kulturkreisen zu gruppieren und 58 Paul Cambon, Ministerresident i n Tunis und Schöpfer des dortigen französischen Protektorats, wurde als späterer französischer Botschafter i n London als „ambassadeur de l'Entente Cordial" bekannt und erwarb sich große Verdienste u m das Zustandekommen der „triple entente" m i t Rußland; er ist nicht zu verwechseln m i t seinem Bruder Jules Cambon, der 1907—14 Botschafter i n Berlin war. 50 W i r sind für die folgenden sachlichen Informationen vor allem dem Kulturattache der Französischen Botschaft i n Bad Godesberg, Prof. Pierre Moisy, zu Dank verpflichtet. Vgl. auch K a r l Doka, 1. c., S. 49 f.
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darin zusammenzuarbeiten. Die Komitees i m Ausland sind nach dem Vereinsrecht des Gastlandes aufgezogen. Sie sind i n ihrer Finanzierung selbstverantwortlich, wenn sie auch Zuschüsse des französischen Staates erhalten, soweit die eigenen Mittel nicht ausreichen. Diese Komitees bilden zusammen eine „association internationale" und arbeiten m i t der Pariser Zentrale, dem Generalsekretariat, zusammen, erhalten von dort auch teilweise recht prominente Vortragende, Theater- und Konzertgruppen vermittelt; sie sind aber nicht gleichgeschaltet und haben daher jeweils individuelle Formen und Physiognomien herausgebildet. Die Erfahrungen der Zentrale in Paris mit ihrem umfangreichen Unterrichtsstab und -betrieb werden z. B. durch die „Revue de l'Alliance Française" auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht. So erstreckt sich ein Netz von über 900 Komitees über die Welt, Gruppen mit insgesamt etwa 400 000 Mitgliedern, welche über kleinere oder größere Räumlichkeiten und Bibliotheken verfügen. Die Komitees unterhalten oder unterstützen auch über 800 französische Auslandsschulen, teilweise regelrechte Volks- und höhere Schulen des Gastlandes. Dabei ist es bemerkenswert, daß sich die Alliance bei ihrer Arbeit nicht nur auf einige wenige Zentren mit besonderer kultureller Ausstrahlungskraft beschränkt, sondern daß es für sie keine grundsätzlich abgeschriebenen Regionen, keine zu kleinen Städte gibt. Sie steht immer bereit, ihre Arbeit überall dort zu beginnen, wo man es wünscht und erlaubt, wobei natürlich die französische Regierung bei der Planung ein gehöriges Wort mitzureden hat 6 0 . I n zahlreichen Ländern — vor allem Südamerikas, wo ein besonderer Schwerpunkt i n Argentinien liegt, aber auch z. B. i n Holland — ist die Alliance i n so gut wie allen größeren Städten vertreten. Ihre Unterrichtstätigkeit, die sich auf ca. 80 000 Schüler aller Altersstufen erstreckt, ist ebenfalls i n Südamerika besonders intensiv, woher sich etwa zwei Drittel der gesamten Schülerzahl rekrutieren. I n Buenos Aires gibt es allein über 500 Schüler. Einige weitere Daten mögen das B i l d abrunden: 1894 begann man i n Paris mit Ferienkursen für Ausländer. 1904 zählte die Alliance bereits 50 000 Mitglieder und verfügte über 450 Komitees i m Ausland. Sofort nach dem 1. Weltkrieg, i m Jahre 1919, wurde i n Paris die „Ecole practique de langue française" für Ausländer gegründet. Bereits i m ersten Jahr nahmen an den Kursen 800 Schüler verschiedenster Nationalitäten teil. 1920 organisierte man großzügig den Bücherversand und entwikkelte das System der Gastvorträge i m Ausland. (Um 1960 waren durchschnittlich 60 Redner jährlich auf Tournee.) Und zwischen den beiden Weltkriegen finden w i r dann die Alliance hochwillkommen i n den 60 I n der Bundesrepublik arbeitet die „Alliance Française" nicht, sondern alle 18 französischen K u l t u r i n s t i t u t e unterstehen hier direkt der Botschaft. Es ist dies eine Folge des früheren Besatzungsregimes.
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Ländern der kleinen Entente tätig, wo sich vor allem die oberen Schichten besonders um die französische K u l t u r bemühten; als Gegengewicht und als Sicherung gegenüber dem bis dahin herrschenden deutschen Element z. B. der sie lange Zeit überlagernden k. u. k. Monarchie, aber auch einfach als Symbol der Zugehörigkeit zur westlichen K u l t u r . So zählten i n Polen die Schulen der Alliance 12 000 Schüler, und i n der Tschechoslowakei entstanden 72 Komitees. Auch nach dem zweiten Weltkrieg ist die Zahl derer, welche sich i n die Schule der Alliance Française begeben, um Französisch zu lernen oder es zu vervollkommnen, weiter angewachsen. Man zählte 1945: 12 000, 1952: 56 000 und 1959: 80 000 Schüler. Das Lehrpersonal umfaßt heute 150 Personen (professeurs et instituteurs), die aus Frankreich ins Ausland gegangen sind (darunter allein 12, welche aus dem französischen Erziehungswesen beurlaubt sind), und 1100 lokal engagierte Lehrkräfte. Dieser schöne Aufschwung kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die französische Sprach- und Kulturwerbung in einem ernsten Existenzkampf befindet, der durch den stürmischen Vormarsch des Englischen als Weltsprache und den Rückgang der europäischen Machtstellung bedingt ist. Teilweise w i r d französischerseits versucht, durch Propagierung eines Bilinguismus Terrain zu gewinnen. Man unternimmt alle nur möglichen Anstrengungen, um die alte hohe französische Kulturtradition und Ausstrahlung zu bewahren, der Beobachter erkennt eine sehr kräftige „response" auf die „challenge", u m Toyribee's Terminologie anzuwenden. Gewiß w i r d es von dem Erfolg der französischen Bemühungen wesentlich abhängen, ein wie großer Teil nicht nur der alten europäischen, sondern auch der antiken Tradition i n eine mögliche „one world" hinübergerettet wird, um i n die künftigen sich immer stärker nivellierenden Verhaltens- und Stilmuster einzugehen. Auch bildet die französische Geistigkeit ein beachtliches retardierendes Moment gegenüber der Tendenz zu zweckrationaler Uniformität. 3. Grundsätzliches zu den verschiedenen Systemen Wenden w i r uns nun der Frage zu, was w i r zusammenfassend über die verschiedenen behandelten Systeme zur Durchführung auswärtiger Kulturpolitik sagen können. Zunächst: Es ist seit Emile Dürkheim für die Soziologie deutlich geworden, daß die Frage nach dem sozialen Nutzen eines bestimmten soziologischen Phänomens von derjenigen nach seiner Entstehung klar getrennt werden muß. Dies gilt auch für Verwaltungsstäbe und bürokratische Organisationen, wie w i r sie behandelt haben. So sehen w i r den Funktionswandel i m auswärtigen Dienst vor sich gehen, sehen die Ver7*
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
Schiebung erheblicher Gewichte auf bisherige Randgebiete wie W i r t schaftspolitik, Öffentlichkeitsarbeit und Kulturpolitik, während die äußere Tradition seit jenen Zeiten ununterbrochen fortgeführt sein kann, i n welchen ein Botschafter i n erster Linie persönlicher Vertreter seines Souveräns bei einem anderen Herrscher war. So konnten w i r sehen, daß die „Alliance Française" vor allem dem Bestreben Frankreichs ihre Entstehung verdankte, sein Prestige gegenüber dem Deutschen Reich und in den neu erschlossenen Kolonialgebieten zu mehren, daß der British Council wesentlich aus dem Bedürfnis heraus geschaffen wurde, ein weiteres Präventivinstrument gegenüber den Eroberungsplänen Hitlers i n der Hand zu haben, und daß i n Deutschland mehrere Institutionen die Lücke ausfüllten, die das Versagen und Zusammenbrechen von zentralen Verwaltungsstellen gelassen hatte. Die von Wilhelm Wundt formulierte Gesetzmäßigkeit der „Heterogonie der Zwecke" kam jedoch inzwischen voll zum Zuge. So finden w i r heute die beiden erstgenannten Institutionen ohne besondere Frontstellung, auch nicht gegenüber dem Sowjetblock, dessen Taktiken sie nicht überall gewachsen sind, sondern als positive Strahlungszentren, gewissermaßen nach dem Prinzip „to whom i t may concern". Die verschiedenen — etwa zwanzig — deutschen Spezialorganisationen heterogener Herkunft, die sich auswärtiger Kulturarbeit widmen, sind heute u m den festen Kern der Bundesregierung gruppiert, und auch finanziell meist polarisiert. Ähnliche Wandlungen vollziehen sich allenthalben. Die gleiche Aufgabenstellung: Gewinnung von Ansehen für das eigene Land durch Weckung von Interesse und Sympathie sowie Förderung der kulturellen Zusammenarbeit formt also i n bestimmter Hinsicht, uniformiert, d. h. sie läßt auf die Dauer gleiche oder doch ähnliche Formen und Prozeduren entstehen. Daneben verliert die Frage an Bedeutung, ob die instrumentalen Verwaltungsapparaturen Bestandteil der Ministerialbürokratie der Außenministerien sind, ob sie besondere Mammutorganisationen zur Durchführung staatlicher auswärtiger K u l turpolitik auf den verschiedensten Gebieten darstellen, oder ob sie einen Ring verschiedener Organisationen zur Durchführung von spezifischen Teilaufgaben bilden, dezentralisiert sind und nur i n politischer Hinsicht von einer Regierung geleitet bzw. zu leiten versucht werden. Auch die nationalen Unterschiede verlieren, blickt man aufs Ganze, an Bedeutung, und die „Natur der Sache" (was man auch immer genauer darunter verstehen mag) drängt die ja überwiegend zweckrationalen Institutionen, sich i n einer bestimmten Richtung weiter zu entwickeln. W i r sehen den Bürokratisierungsund Rationalisierungsprozeß am Werk, dessen Grundeigenschaften Max Weber so eindringlich beschrieben hat. ö r t l i c h entstandene, lokale Gruppen m i t entsprechenden Zielsetzungen werden hiervon zunehmend erfaßt und mehr und mehr „gleichgeschaltet" oder zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Auch wenn die Anformung
3. Grundsätzliches zu den verschiedenen Systemen
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nicht planmäßig und perfektionistisch vor sich geht, ist der Prozeß doch unaufhaltsam. Bei Gesprächen zwischen Fachleuten auf den verschiedensten Gebieten über die Grenzen hinweg ergeben sich — sieht man von den totalitären Regimen ab — weit mehr Gemeinsamkeiten als Verschiedenheiten. Man arbeitet als Fachmann für bestimmte sachliche Ziele wie der Nachbar und übernimmt erfolgreiche Praktiken von anderen, teilt dafür seine eigenen Erfahrungen mit. Durch die Erschließung der Entwicklungsländer hat die kulturelle Konkurrenz i m engen Raum an Schärfe verloren und hat, wo sie noch deutlich wird, wie bei dem englisch-französischen Sprachen-Wettlauf i n Afrika, Wettkampfund nicht Kampfcharakter. Die genannten Ähnlichkeiten und Angleichungsprozesse der Verwaltungspaparaturen und -Prozeduren sind jedenfalls allen denjenigen gegenüber zu betonen, die meinen, man könne durch Umstrukturierung Wunder bewirken, die eigene Leistungsfähigkeit beispielsweise durch Eingliederungen in den oder Ausgliederungen aus dem staatlichen Verwaltungsapparat allein schon entscheidend verbessern. Auch muß man die nationalen Gegebenheiten sehen: Eine Konstruktion wie der „British Council" erfordert, wie w i r sahen, auf Seiten des gewissermaßen nur als politisches Direktorium aktiv werdenden Foreign Office sehr viel Enthaltung von Dirigismus i m Detail und kann nur funktionieren, wenn die einzelnen Funktionsträger i m großen Apparat über viel politisches Gespür verfügen, da auch i m einzelnen dauernd politische Entscheidungen fallen. Diese Qualitäten dürften sich i n England i m Laufe seiner Geschichte besonders haben ausprägen können, und das Modell wäre — jedenfalls zur Zeit — unübertragbar beispielsweise auf deutsche Verhältnisse. Das französische Rezept wiederum: Etatistische auswärtige Kulturpolitik mit staatlichen, den Auslandsmissionen direkt unterstehenden Kulturinstituten auf der einen, der „Alliance Française" auf der anderen Seite, wäre für Deutschland schwer anwendbar, weil einerseits i n großen Teilen des Auslands das Vertrauen i n den deutschen Staat noch durch die Ereignisse des Hitlerregimes gestört ist, zum anderen die auslandsdeutschen „Kolonien" noch sehr häufig i n Gruppen ganz verschiedener politischer und kultureller Prägung zerfallen sind und sich nur schwer auf gemeinsame Nenner bringen lassen. Ein weiterer Gesichtspunkt fordert aber Berücksichtigung: Man w i r d unter einer guten Verwaltung — und u m Verwaltung geht es i n diesem Kapitel doch i m Kern immer — verstehen müssen, daß die Verwaltungsgeschäfte 1. möglichst schnell und wirksam erledigt werden und 2. daß der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand möglichst gering gehalten wird, d. h. daß man möglichst wenige organisatorische M i t t e l sowie menschliche und finanzielle Reserven braucht. Wenn man die Verwaltungsvorgänge unnötig verlängert, steigen Aufwand und Kosten. Ver-
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waltungslehre und Verwaltungspolitik kennen Verwaltungsreform und Verwaltungs-Vereinfachung nun seit langem als nicht immer einfach zu konkretisierende Vokabeln. Aber i n der Kommunalverwaltung beispielsweise treten gute und schlechte Formen doch deutlicher zutage, als i n dem zahlenmäßig weit weniger Funktionäre betreffenden und sich an geographisch sehr voneinander entfernten Orten abspielenden Procedere der Kulturdiplomatie. Auch hier gibt es aber Umständlichkeiten und überflüssige Erschwerungen, beispielsweise als Folge des traditionellen diplomatischen Schriftverkehrs. So mag man es beispielsweise als unnötig kompliziert empfinden, wenn die Routine-Berichterstattung der Kulturattaches an den Missionen ihren Weg etwa über den Botschaftsrat der jeweiligen Botschaft und den Botschafter nimmt, dann nach Ankunft i m Inland über den zuständigen Referatsleiter i n der K u l turabteilung, den zuständigen Hilfsreferenten, von diesen dann zu einer der zuständigen staatlichen Verwaltungsstellen oder Organisationen außerhalb des auswärtigen Dienstes läuft, die den Vorgang dann vielleicht zuständigkeitshalber an andere Stellen abgeben, von wo er den gleichen langen Weg zurücknimmt. (In der Praxis w i r d daher bereits oft der eigentlich nicht vorschriftsmäßige Weg gewählt, direkt m i t den i n Frage kommenden Stellen i m Inland zu verkehren.) Typische Erscheinungen überflüssiger, die Funktionen erschwerender Bürokratisierung, des „Zopfes", finden sich also auch hier. Dies eine Beispiel sollte nur zeigen, daß die zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegenüber der alleinseligmachenden K r a f t neuer organisatorischer Konstruktionen i m großen, nicht gleichgesetzt werden darf m i t fehlender K r i t i k an bestehenden Strukturen und Prozeduren, die noch nirgends den rapide angewachsenen neuen Aufgaben der Gegenwart richtig gewachsen sind und daher laufend überprüft und reformiert werden müssen. Ein anderes, noch schwerer wiegendes Hindernis stellen beispielsweise die herkömmlichen Budgets dar, die immer erneut, aber immer wieder nur auf 12 Monate parlamentarisch bewilligt werden. Auch hier wären neue Formen zu entwickeln. Über K u l t u r p o l i t i k und Ausgabenkontrolle haben Hellmut Becker und Alexander Kluge Wesentliches gesagt 81 . Wir haben also gesehen, daß eine in abstracto vielleicht bestmöglich zu erarbeitende organisatorische Lösung gerade auf unserem Gebiet mit seinen vielen Variablen und Imponderabilien i n praxi nicht forciert werden kann, sondern daß man den i n den verschiedenen Ländern jeweils anders organisch gewachsenen Formen — so sehr man gerade als Soziologe gegenüber diesem von Interessengruppen gern mißbrauchten Terminus auf der H u t ist — Rechnung zu tragen hat. Sowieso stellt sich allen großzügigen Neuplanungen die „Normative Kraft des 61 H e l l m u t Becker u n d Alexander Kluge: kontrolle, Frankfurt/M. 1961.
K u l t u r p o l i t i k u n d Ausgaben-
3. Grundsätzliches zu den verschiedenen Systemen
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Faktischen", um mit Georg Jellinek zu sprechen, entgegen. Sie hat ein derartiges Gewicht, zumal bei den Regierungs- und Behördenspitzen der jeweiligen Staaten, daß entscheidende Neuordnungen von bereits in anderer Form institutionalisierten nationalen Funktionen — sieht man von revolutionären Vorgängen ab — i n unseren parteidemokratischen Wohlfahrtsstaaten nur entweder infolge eines allzu evidenten und skandalösen Versagens oder i m Prozeß des Nachgebens gegenüber genügend starken „Pressure Groups" außerhalb der Regierung erfolgen. So erscheint es beispielsweise als ein unendlich mühsames Unterfangen, den Versuch zu unternehmen, i n Deutschland eine besondere beamtete Bundeslaufbahn für auswärtige Kulturfunktionäre einzurichten, weil derartigen Plänen sowohl die Konzeption des Außenministeriums vom „Allround"-Diplomaten als auch Abwehr des Berufsbeamtentums entgegensteht, das eine weitere Verwässerung seiner Standesprinzipien und Hoheitsrechte befürchtet. Dies alles, obwohl eine solche Lösung, von der Sache her gesehen, vieles für sich hätte. Zumal sich inzwischen am deutschen Beispiel auch gezeigt hat, daß die Koordinierung der verschiedenen mit auswärtiger Kulturarbeit betrauten Organisationen i n einem „Generalstab" keine ganz einfache Sache ist. Doch halten w i r fest: Wichtiger als alle organisatorischen Überlegungen, die bei den i n Frage kommenden Fachleuten 62 sowieso zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen, erscheint die Einsicht i n die Notwendigkeit situationsgemäßer auswärtiger Kulturpolitik, eine ausreichende materielle und personelle Ausstattung der gegebenen Strukturen, sowie langfristige Planung 6 3 und Finanzierung. Alles dies geht bekanntlich Hand i n Hand bei einer sachgemäßen Verwaltung und steht in einem funktionellen Zusammenhang untereinander. Die Dinge liegen grundsätzlich nicht so verschieden von dem Erziehungswesen i m Bin¡nenbereich, wo die Anzahl und Ausstattung der Schulen sowie der Status der Lehrer ihre spezifischen, z. Z. viel diskutierten und i n die verschiedensten Bereiche wirkenden Folgen haben. W i r halten jedenfalls dafür, daß die maßgebenden Regierungsstellen auf die Dauer nicht unterlassen werden, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen, jedenfalls i n allen denjenigen Ländern, die auf eine wirksame auswärtige Kulturpolitik angewiesen sind. Diese läßt sich nicht aus der Retorte fabrizieren, sondern nur in geduldiger Arbeit über Generationen hin62
„The unattached intellectual can continue to be adamant i n abiding by his formulations, since these are not translated into action, and he often fails to see aspects of the action problem which are constantly borne i n on the intellectual. The bureaucratic intellectual, on the other hand, has l i m i t e d alternatives." (Robert K . Merton: Role of the intellectual i n bureaucracy, a. a. O., S. 218/19). 63 I n Frankreich arbeitet m a n seit 1959 m i t „Fünfjahresplänen". Das E r gebnis des ersten w i r d gerade sehr genau analysiert.
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3. Kap.: Der technisch-administrative Apparat
weg m i t Instrumenten durchführen, die an der Praxis erprobt werden und deren Qualität und Einsatz, etwa dem Vorgang der „Rückkoppelung" vergleichbar, immer neu den jeweiligen Umständen angepaßt werden muß.
Viertes Kapitel
Grundsätzliches zur auswärtigen Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit" 1. Selbstverständnis, Stereotype und Selbstdarstellung von Nationen Wie jedes Individuum auf einer bestimmten Entwicklungsstufe m i t der Aufgabe konfrontiert wird, sich um Selbstverständnis und oft auch u m eine Selbstdarstellung zu bemühen (ob es diese Aufgabe anpackt oder ihr ausweicht, ist eine andere Frage), d. h. sich dem „Challenge" gegenübersieht, aus dem Zustand des unbewußten Dahinlebens hinauszutreten und so oder so eine bestimmte Form bewußt anzunehmen, so ist diese Aufgabe auch Nationen gestellt. Ja, w i r neigen dazu, gerade darin ein wichtiges K r i t e r i u m einer Nation i m vollen Begriffssinn zu sehen, und wo w i r dieses Bemühen nicht antreffen, sondern lediglich das Gefühl der Zusammengehörigkeit vorfinden, allein von Völkern zu sprechen. Ergänzend zu dem eingangs über die Nationen Gesagten wollen w i r daher i m Zusammenhang dieses Abschnitts noch einen weiteren Satz von Georg Jellinek zitieren, der als Nation auch einmal „eine Vielheit von Menschen" bezeichnete, „die durch eine Vielheit gemeinsamer, eigentümlicher Kulturelemente und eine gemeinsame, geschichtliche Vergangenheit sich geeinigt und dadurch von anderen unterschieden weiß" 1 . So kann also ein Volk, wie Jellinek weiter ausführte, i n einem größeren oder geringeren Grade Nation sein. Wenn w i r vom Selbstverständnis der Nationen sprechen, so müssen w i r vor allem eine Gefahr vermeiden: Nämlich i n irgendeiner Weise an die Lehre vom „Volksgeist" anzuknüpfen, wie sie i m Gefolge von Herder zur Zeit der Romantik i n den verschiedenen Disziplinen ihre Ausprägung erfuhr. W i r haben es hier nämlich m i t einer A r t von Petitio Principii oder, besser gesagt, Verdoppelung der Wirklichkeit zu tun. Anstatt zu fragen, wie eine bestimmte geistige Physiognomie und die damit besonders übereinstimmenden kulturellen Institutionen denn entstanden seien, schiebt man allem einen „Volksgeist" unter, womit 1 Georg Jellinek , 1. c., S. 119. Natürlich genügt dies nicht zur Definition, da das von Jellinek Gesagte auch auf Stände (z.B. Adel) oder soziale Klassen (z. B. die Arbeiterschaft) zutreffen kann.
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
w i r nicht weiterkommen. Die Gefahren seiner Hypostasierung sind zudem praktisch immer noch nicht überwunden und tauchen in veränderter Form gegenwärtig i n den schwarzen Nationalismen, i m Rahmen der „Africanitä", auch innerhalb der USA wieder auf. Sie müssen ebenso wie diejenigen der „Massenseele" a limine vermieden werden. Inwieweit den materiellen und geistigen Faktoren (Religion, Erziehungswesen usw.) Bedeutung für die Herausbildung eines bestimmten nationalen „Stils" zukommt, ist noch nicht geklärt. Hier würden uns diese offenen Fragen von unserem Thema zu weit abführen. Der „bewußte Schicksalzusammenhang der ,Nation"' (W. Hellpach 2 ) bedeutet jedenfalls auch, „daß die Idee der ,Nation 4 bei ihren Trägern i n sehr intimen Beziehungen zu ,Prestige'-Interessen steht" 3 . „Die Überlegenheit oder doch die Unersetzlichkeit der nur kraft der Pflege der Eigenart zu bewahrenden und zu entwickelnden K u l t u r g ü t e r ' ist es denn, an welcher die Bedeutsamkeit der,Nationen' verankert zu werden pflegt 4 ." Man empfindet also etwas als der eigenen Nation spezifisch anhaftend — es braucht nicht nur positiv Gedeutetes zu sein, kann dies aber selbstverständlich als Kern nicht entbehren —, und damit taucht also hier alles das i n spezifisch nationaler Ausprägung wieder auf, was die Gruppensoziologie generell erarbeitet hat. Ihre Ergebnisse sind der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur über die Gruppe, angefangen von F. Toennies und Georg Simmel über Alfred Vierkandt und Leopold v. Wiese bis zu den modernen funktionalistischen Schulen etwa eines T. Parsons, Robert K . Merton oder C. Hornaus zu entnehmen und nicht allzu schwer auch auf Nationen anzuwenden. So finden w i r beispielsweise mehr oder weniger stark integrierte Gruppen (Nationen), wobei sich erstere durch ein höheres Maß an Kohäsion auszeichnen, von den Fremdgruppen (hier also den anderen Nationen) stärker distanzieren und ihren Mitgliedern ein durch die Zugehörigkeit zu ihr stark bestimmtes Lebensgefühl, eine A r t von subjektiver „Ich-Erhöhung" verschaffen. Die Ansprüche des Kollektivs an die Loyalität der einzelnen pflegen dann freilich entsprechend hoch zu sein, werden aber auf Grund des intensiven Solidaritätsgefühls von der Majorität w i l l i g erfüllt. Die M i t glieder der eigenen Gruppe („in-group") unterscheiden sich dann also scharf von den Fremdgruppen („out-group"). Hierin liegt eine Voraussetzung des Nationalismus, dem die Tendenz innewohnt, alle nationalen Gruppengenossen als höher, die Angehörigen fremder nationaler und völkischer Gruppen dagegen als minderwertig anzusehen. Diese der Gruppensoziologie auch sonst wohlbekannte Tendenz w i r d bei den 2 W i l l y Hellpach: Einführung i n die Völkerpsychologie, Stuttgart 1944, S. 29, ein Werk, das zwar f ü r den spezifischen Begriff der Nation enttäuschend wenig bietet, dagegen zur Gesamtproblematik eine Fülle von Anregungen gibt. 3 M a x Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a. a. O., S. 530. 4 ibidem.
1. Selbstverständnis, Stereotype und Selbstdarstellung von Nationen 107 eigentlichen Nationen ideologisiert und mit Kulturgütern ausstaffiert, „illustriert". Dazu kommt dann weiter, „daß die konventionelle Eigengruppe ,Nation 4 i n den modernen Gesellschaften Repräsentantin der gesellschaftlichen Macht ist, an der man als anerkanntes Mitglied dieser Eigengruppe . . . teilhat" 5 . Welche traurigen Konsequenzen es haben kann, wenn man des Schutzes seiner eigenen Nation verlustig geht, ohne dafür denjenigen einer anderen einzutauschen, hat unser Jahrhundert eindrücklich und brutal demonstriert. Die bei „Primitiven" festzustellende Tendenz, i n dem „Fremden" elementar den „Feind" zu sehen6 — was gegenwärtig die Durchführung einer vernünftigen Entwicklungspolitik sehr erschwert — kann jederzeit auch beim sogenannten Zivilisierten wieder aktualisiert werden. Die Problematik des Selbstverständnisses von Gruppen ist vor allem seit dem letzten Kriege mittels der sog. „Stereotypenforschung" angegangen worden, die i n den Vereinigten Staaten weit entwickelt worden ist. Es handelt sich dabei u m Vorstellungsbilder („Images") vom Wesen der eigenen und fremden Gruppen, die für die Mehrzahl der eigenen Gruppengenossen Gültigkeit haben. Das heißt also u m eine besondere A r t von „Vorurteilen". So w i r d etwa, u m bei unserem engeren Thema zu bleiben, die eigene Nation als tüchtig, sauber, zuverlässig, tapfer usw. angesehen, wobei jedoch auch bei der Selbstbeurteilung (dem sog. „Autostereotyp") negative Wertungen (leichtsinnig, schwerfällig usw.) auftreten. Letztere haben aber doch die Tendenz, sich irgendwie m i t einem positiven Akzent versehen zu lassen, wie man es ja auch aus der Individualpsychologie kennt, wo die einzelnen m i t ihren Schwächen gern kokettieren oder sie doch zumindest als die weniger bedeutsamen Nachteile der damit zusammenhängenden großen Vorzüge auffassen. Vorstellungsbilder über andere Gruppen werden entsprechend als Hetero-Stereotype bezeichnet. Als Klassiker der Stereotypenforschung, die sich wie die ganze empirische Sozialforschung i n relativ kurzer Zeit ein feingeschliffenes Instrumentarium erarbeitet hat, ist das Werk von W. Buchanan und H. Cantril: „How Nations See Each Other" 7 zu nennen. I n Weiterführung der i m zweiten Weltkrieg für die psychologische Kriegführung begonnenen Forschungen haben die Verfasser i m Auftrage der UNESCO darin nach Kriegsende die Ergebnisse von Befragungen i n acht Ländern (Australien, England, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen, Westdeutschland, Vereinigte Staaten) vorgelegt. Die Methode 5
René König, Soziologie, a. a. O., S. 304. Die Reaktionen finden sich schon beim Tier, das entweder flüchtet oder zum Angriff übergeht. Die Idealisierung u n d Romantisierung der Fremde u n d des Fremden sind späte Kulturerscheinungen. 7 Urbana 1953, vgl. darüber P. R. Hofstätter: Gruppendynamik, Hamburg 1957, S. 103 ff. 8
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
der Umfrage bestand darin, daß man 12 Eigenschaftswörter, darunter arbeitsam, grausam, herrschsüchtig, tapfer, fortschrittlich, den Befragten unterbreitete und diese aufforderte, die Adjektiva den verschiedenen Völkern, einschließlich ihres eigenen zuzuordnen. Mag es auch i m einzelnen problematisch sein, was man unter „herrschsüchtig" oder „fortschrittlich" zu verstehen hat, und was die Befragten jeweils darunter verstanden, so sind derartige Ergebnisse natürlich doch aufschlußreich. Und bevor man, u m hier kurz auf unser engstes Thema umzuschalten, auswärtige K u l t u r p o l i t i k treibt, sollte man derartige Untersuchungen kennen und konsultieren, nach Bedarf auch selbst vornehmen, u m eine solidere Ausgangsbasis zu gewinnen. Bestehen einerseits oft große Divergenzen zwischen dem Autostereotyp und den Stereotypen anderer Völker über die eigene Nation, so liegt es andererseits auf der Hand, daß sich die Vorstellungen, die man selbst über sich hat, und diejenigen der anderen darüber, gegenseitig beeinflussen. Hier lassen sich nicht nur wichtige Hinweise für die Führung der praktischen Tagespolitik gewinnen, sondern es stellen sich auch pädagogische Aufgaben. So hat Heinz E. Wolf mehrere wertvolle Untersuchungen bei deutschen Jugendlichen hinsichtlich ihrer Stereotype von anderen Nationen durchgeführt, die aufschlußreich sind und die pädagogische Praxis beschäftigen könnten 8 . Autostereotype besagen natürlich ebensowenig wie Heterostereotype, daß die eigene oder fremde Gruppe, hier: Nation, auch i n der Realität effektiv so sei. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Stereotype ist eine andere als die nach ihrem Vorhandensein und der A r t und Weise, i n der sie es sind. Generell: Daß Meinungen herrschen, ist ein wissenssoziologisches Faktum und besagt gar nichts über ihre Richtigkeit. Die Menschheit hat an die unsinnigsten Dinge geglaubt und w i r d dies, z. B. unter dem Einfluß der Propaganda und Reklame, auch weiterh i n tun. Zudem ist die Frage nach den National-Charakteren schon an sich eine äußerst delikate Sache, nicht zuletzt deshalb, w e i l die Forschungsobjekte nicht konstant bleiben, sondern auch hier alles nach dem berühmten Wort von Heraklit i m Fluß ist. Dabei sollte man andererseits auch von keinem Volk eine „Metanoia" erwarten, wie es gegenüber den Menschen der Entwicklungsländer so oft geschieht. Wo ein frappierender Wandel einzutreten scheint, liegen meist bisher durch die sozialen Verhältnisse unterdrückte oder durch Vorurteile verdunkelte Qualitäten vor. Ein recht typisches Beispiel hierfür bietet Israel, wo sich das jüdische Volk als ein vorzügliches Bauern- und Soldatenvolk bewährt, also gerade dasjenige ist, was i h m der Antisemitismus so gerne vorwarf, nicht zu sein. Schließlich müssen w i r bei der Beurteilung von 8 Z . B . „Stellungnahmen deutscher Schüler zu osteuropäischen Völkern, Kölner Z. f. Soziologie, 3/63, S. 478—510.
1. Selbstverständnis, Stereotype und Selbstdarstellung von Nationen 109 Nationalcharakteren immer fragen: Quis judicabit? Soll das Urteil der Mehrheit der Befragten maßgebend sein? Die Nation A sieht ja i n der Selbstanalyse oder i n den Augen der Nation B, der Nation C und der Nation D jeweils verschieden aus. Das Studium der Vorurteile gegenüber Farbigen, Juden und anderen religiösen Minderheiten sollte hier zu äußerster Vorsicht mahnen. Aber Stereotype bleiben gerade deswegen äußerst wichtige soziologische und psychologische Fakten und Faktoren. Die Frage der Selbstdarstellung ist nun m i t derjenigen des Selbstverständnisses eng verwandt. Sehen w i r i n ersterer gern leicht abschätzig etwas Äußeres, so muß demgegenüber gleich an den Gedanken Goethes erinnert werden: „Natur ist weder Kern noch Schale; alles ist sie m i t einem Male." (Aus „Allerdings", dem Physiker, 1820) oder an seine entsprechende Äußerung: „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen; denn was drinnen, das ist außen." (Epirrhema, 1819). So hängt vom Selbstverständnis die Selbstdarstellung ab 9 und diese, noch wesentlicher von außen beeinflußt, w i r k t auf ersteres intensiv zurück. Man kennt aus der Individualpsychologie nur zu gut jene Fälle, wo die Notwendigkeit, nach außen etwas zu verkörpern, schließlich auch das sog. Innere dementsprechend formt. Die ganze Bedeutung des „Vorbilds", ja jeder Erziehimg wäre ohne diese Zusammenhänge gar nicht denkbar. Daß unser Denken, Werten und Fühlen von unserer mitmenschlichen Umwelt weitgehend abhängt, ist für Psychologie und Soziologie heute sowieso eine Selbstverständlichkeit. Auch an die berühmte Persona-Konzeption i n der „analytischen Psychologie" von C. G. Jung muß man i m Zusammenhang m i t dem Problem der Selbstdarstellung denken. Persona (lat. Larve, Maske des Schauspielers) ist bei Jung die Bezeichnung für die bewußte Anpassung des Menschen oder Einstellung des Menschen zu seiner sozialen Umgebung, also gewissermaßen die Maske, die er trägt, und welche vor dem Hintergrund der Seele i m engeren Sinne steht. Hier ergeben sich auffallende psychologische Parallelen zu den soziologischen Konzeptionen der funktionalistischen Schule eines T. Parsons, nämlich der als zentrale Aufgabe verstandenen „Rollenanalyse". Zurück zu unseren Nationen: Ebenso wie Individuen stellen sich die zur Nation gewordenen Völker i n bestimmter Weise dar. Und zwar geht es uns hier um den bewußten Prozeß, wenn auch der Ubergang zur unbewußten Selbstdarbietung fließend ist. Nationen bemühen sich darum, so oder so gesehen zu werden. Bei einer solchen Selbstdarstellung können w i r oft auch verschiedene Adressaten, z.B. das eigene Volk, das Nachbarvolk B oder C unterscheiden, wobei es verschiedene Darstellungsarten und -inhalte geben kann, die freilich nicht zu stark voneinander differieren dürfen, u m glaubwürdig zu bleiben. (Beispiel: Groß9 W i r wollen, u m die Dinge nicht unnötig zu komplizieren, v o m M i m i k r y , der Tarnung aus situationsbedingten Gründen, hier absehen.
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4. Kap. : Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
britannen gibt sich den USA, seinen Dominien, Frankreich, China oder der Bundesrepublik Deutschland gegenüber jeweils etwas anders.) Es wäre aber verfehlt, Nationen nur wie moderne Wirtschaftsunternehmen oder politische Institutionen zu sehen, die — was die Öffentlichkeit angeht — m i t den Techniken der Public Relations, wie sie insbesondere seit der Weltwirtschaftskrise i n den USA entwickelt worden sind, um Vertrauen, Freundschaft und Verständnis werben. Nationen betonten i n der Vergangenheit weit mehr ihre Macht und Stärke, kombinieren heute noch beides. Beim Stichwort „Vertrauen" assoziieren w i r ja auch entsprechend. Nicht nur Freundlichkeit und gute Worte, sondern auch w i r k same Hilfe, ein Einstehen für den Vertrauenden, zumal bei Versprechungen, gegebenenfalls massive Hilfeleistung, bei Staaten bis zu kriegerischen Maßnahmen, werden erwartet. Das bekannte Phänomen des „Säbelrasselns" gehört hierher und ergänzt die Selbstdarstellung i m passenden oder unpassenden Augenblick. W i r erleben heute, wie Nationen immer wieder unsicher sind, wie sie sich darstellen sollen, hin und her schwanken und dadurch Vertrauen einbüßen. Wie auch immer die Entscheidung i n einer konkreten Situation ausfallen mag, Verständnis für die eigene Position, die eigenen Bedürfnisse erweckt zu haben, ist i n jedem Falle ein Aktivposten der Politik auf lange Sicht. Dazu gehört i m Zeitalter der sog. Massendemokratien wesentlich eine Darstellung des eigenen „way of life". Hier glauben w i r nun zwei hauptsächliche Spielarten unterscheiden zu können: Es kann nämlich entweder das Spezifische, das „ w i r sind nun einmal so" betont werden, oder gerade darauf abgestellt werden, die eigene Lebensform als die eigentlich für alle vernünftige, nachahmenswerte, verbindliche hinzustellen. Spanien bietet ein Beispiel für ersteres, die USA und Frankreich tendieren zu letzterem. Dabei kann jeweils noch durchaus untersucht werden, inwieweit trotz der Betonung der nationalen Spezifität doch ein Gefühl für die i m Grunde bestehende eigene menschliche Überlegenheit, für die also „eigentlich" von allen als erstrebenswert anzuerkennende, wenn auch nicht erreichbare Form der nationalen Eigenart gegeben ist. Ein solches Gefühl w i r d niemals ganz fehlen, was uns bereits früher die Soziologie der Gruppe lehrte. Die „britische Fairness", die „deutsche Treue", die „culture Française", die „Romanità" gehören, ideologisiert, i n diesen Zusammenhang. W i r sagten, daß auch große Nationen heute die Dokumentation der Stärke, das „oderint dum metuant" m i t einem Bemühen kombinieren, ja darüber vergessen, das man vielleicht am einfachsten m i t dem Titel des i n über 4 Millionen Exemplaren verbreiteten amerikanischen Bestsellers von Dale Carnegie „How to w i n friends and influence People" 10 10 Zuerst i m Jahre 1936 erschienen. Es ist dies ein bezeichnendes Datum: A m e r i k a machte unter dem i n dem gleichen Jahr wiedergewählten F. D.
2. Das ideologische Moment
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bezeichnen könnte. Auch Nationen folgen heute teilweise sehr bewußt manchen seiner Rezepte zum „ w i n people to their way of thinking, and ,seir themselves and their ideas 11 ". Wie früher die Bemühungen der verschiedenen Dynastien dahin gingen, möglichst eindringlich ihre Legitimitätsrechte unter Beweis zu stellen, so ist es heute das Streben der Regierungen, den „demokratischen" Charakter ihres Regimes kundzutun, wie auch immer die Wirklichkeit aussehen und dazu kontrastieren mag. Dieser mondialen „contrainte sociale" kann sich heute niemand, auch kein Diktator, entziehen, und hier fassen w i r ein festes Charakteristikum aller heutigen Selbstdarstellungen von Nationen. Die grundsätzlich friedliche Einstellung gehört als zweites unbedingt hinzu, und es wäre reizvoll, der Frage nachzugehen, ab wann dies so sein muß, benutzt wurde diese Propagandathese immer schon. Als drittes unabdingliches Moment können w i r das L i p penbekenntnis zu der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Nationen anführen, mögen es auch die spezifischen Verhältnisse des eigenen Landes gegenwärtig nicht gestatten, dies zu praktizieren. Deutschland unter dem Nationalsozialismus war w o h l die letzte Nation, welche die Ungleichrangigkeit der verschiedenen Nationen hinsichtlich ihres Eigenwertes offiziell auf ihre Fahnen geschrieben hatte — zweifellos ein „cultural lag". W i r finden also, fassen w i r zusammen, als obligatorische Charakteristika aller Selbstdarstellung zeitgenössischer Nationen: Betonung des grundsätzlichen demokratischen Charakters, der friedlichen Einstellung, die grundsätzliche Anerkennung der Gleichberechtigung aller Nationen und dann das Aufweisen der spezifischen Werte, die die betreifende Nation verkörpert, und derentwegen sie nicht zuletzt einen zumindest bescheidenen „Platz an der Sonne" verdiene. 2. Das ideologische Moment Bei Erwähnung der Tatsache, daß der eigene Lebensstil, die von der eigenen Nation verkörperten oder angeblich verkörperten Werte m i t einem besonderen, höheren Akzent versehen werden, waren w i r bereits beim Ideologischen. Der eigene, nationale Stil (ein Phänomen, das eine monographische Behandlung erfordert 12 ) involviert bei fortgeschritteRoosevelt, einem Meister der public relations, große Anstrengung, sich von der schweren Krise zu erholen, die der „black friday" heraufbeschworen hatte. 11 Pocket Book Edition 1955, S. 3. 12 M a n w i r d anerkennen müssen, u n d gerade dem Soziologen frommt es, dies nicht zu übersehen, daß verschiedene Nationen einen jeweils eigenartigen S t i l hervorbringen, eine Kulturphysiognomie, die sich i n ihren Institutionen u n d sonstigen kulturellen Leistungen ausprägt. Scharf ist dabei freilich jede A r t von Mystifikation abzulehnen, sondern die Kausalfaktoren geographischer, ethnischer, demographischer, ökonomischer, politischer, religiöser, juristischer usw. A r t sind zu untersuchen. Die Institutionen verstärken dann ihrerseits
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
nen Kulturnationen immer Ideologisches. Was heißt das für uns? Der Bestandteil ,,-logie" weist darauf hin, daß die ursprüngliche Idee, sagen w i r vielleicht deutlicher: die einer bestimmten Mentalität und Interessenlage entsprechenden Gedankeninhalte, kategorial verarbeitet, systematisiert worden sind, und typischerweise taucht das Wort Ideologie auch zuerst bei den französischen Enzyklopädisten auf. Man baut die Ideen zu einem System aus, freilich nicht zu wissenschaftlichem Gebrauch, sondern zum Gebrauch von größeren Gruppen, zur kollektiven Nutzung; w i r sagen dementsprechend auch, diese oder jene Gruppe vertrete oder habe eine bestimmte Ideologie. Ideologien haben dabei die Tendenz, sich ins „Weltanschauliche 13 " hinein zu erweitern und schließlich so den ganzen Menschen mitzuprägen. Der Begriff Ideologie hat nun eindeutig einen negativen Klang. Man könnte denken, daß dieser Akzent aus dem Bemühen herrührt, das Ideologische von ursprünglichen, noch nicht popularisierten und dadurch verflachten Ideen zu unterscheiden; geistesgeschichtlich stammte er aber eher aus der Konfrontierung m i t den Realitäten der Welt, m i t der praktischen Politik, i n welchem Sinne ihn Napoleon zuerst gebrauchte 14 . A u f dieser Linie begegnen w i r dann auch K a r l Marx. Zwar haben schon vor i h m andere Denker, wie z. B. Francis Bacon, auf die Notwendigkeit hingewiesen, daß der Mensch sich seiner Vorurteile und falschen Vorstellungen (z. B. der idola fori = der Götzenbilder des Marktes) entledige. Aber erst Marx hat den Gedanken, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse und der Standort des Menschen i n ihnen die A r t und Weise des Denkens bestimmen, zu einem Schwerpunkt seiner Lehre gemacht. Ideologien werden so bei i h m zu typischen „Verhüllungen" von Lebensinteressen, zum Zwecke der Selbstrechtfertigung und der Täuschung anderer hervorgebracht. Das Denken von den Verfälschungen durch Ideologien, von einem „falschen Bewußtsein" also, völlig zu befreien, wieder die Ausprägung dieser Individualität, ein Prozeß, bei dem es schließlich sehr schwierig ist, die Fragen nach den Prioritäten zu beantworten. 13 „Was ist Weltanschauung? Jedenfalls etwas Ganzes u n d etwas U n i v e r sales. Wenn z.B. v o m Wissen die Rede ist: nicht einzelnes Fachwissen, sondern das Wissen als eine Ganzheit, als Kosmos. Aber Weltanschauung ist nicht bloß ein Wissen, sondern sie manifestiert sich i n Wertungen, i n der Rangordnung der Werte. Oder beides i n anderer Ausdrucksweise: Wenn w i r von Weltanschauungen sprechen, so meinen w i r die K r ä f t e oder die Ideen, jedenfalls das Letzte u n d das Totale des Menschen, sowohl subjektiv als E r lebnis u n d K r a f t u n d Gesinnung, w i e objektiv als gegenständlich gestaltete Welt." ( K a r l Jaspers: Psychologie der Weltanschauungen, B e r l i n 1919, S. 1). 14 Der Terminus Ideologie bezeichnete ursprünglich lediglich die Lehre von den Ideen; m a n nannte Ideologen eine philosophische Schule i n Frankreich, die i n der Nachfolge von Condillac die Metaphysik v e r w a r f und die Geisteswissenschaften anthropologisch u n d psychologisch zu fundieren versuchte. „Der Begriff der Ideologie i m modernen Sinne wurde erst i n dem Augenblick geboren, als Napoleon diese Philosophengruppe (die i h n ob seiner cäsaristischen Gelüste bekämpfte) i n verächtlichem Sinne Ideologen schalt." (Karl Mannheim: Ideologie u n d Utopie, 3. Aufl., F r a n k f u r t 1952, S. 66).
2. Das ideologische Moment
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war eines seiner, wie w i r meinen, utopischen Ziele. Machen w i r uns aber a limine klar, daß die soziologischen und psychologischen Bedingtheiten einer Ideen-Genese und ihre Richtigkeit ganz unterschiedliche Dinge sind, und daß daher auf beiden Seiten der verschiedenen Barrikaden mehr oder weniger richtige und falsche „Einsichten" durch die jeweilige Situation und die involvierten Interessen gefördert werden können, so bleibt uns trotzdem der „Ideologieverdacht", wie ihn dann insbesondere K a r l Mannheim untersuchte 15 , als ein wertvolles Handwerkszeug der Analyse; ein Instrument, das allerdings versagen muß, wenn man es zum Universalwerkzeug machen w i l l . Es bestehen hier auch enge Beziehungen zu dem, was uns Vilfredo Pareto i m Rahmen seiner Lehre von den Derivationen geboten hat, die er übrigens ohne Bezugnahme auf Marx darlegt. Könnte man doch sogar „das eigentliche wissenschaftliche Anliegen Paretos . . . darin erblicken, durch eine Analyse der Begründungen des Menschen für sein Handeln zu einer K r i t i k der Ideologien, ja zu einer Theorie der Ideologien durchzustoßen" 16 . Auch Friedrich Nietzsche gehört, wie man weiß, i n diesen Zusammenhang, wobei auffällt, daß seine soziologischen Einsichten noch niemals eingehend gewürdigt worden sind. Lassen w i r aber diesen spezifischen Ideologiebegriff hier beiseite, dessen Kriterien i n der Nichtübereinstimmung m i t der Wirklichkeit i n der Form der „mehr oder weniger bewußten Lügen 1 7 und Verhüllungen der menschlichen Parteiungen 18 " gesehen werden. Verstehen w i r unter Ideologie umfassender „mehr oder weniger systematische Formulierungen vorgegebener Mentalitätsinhalte 1 9 ", die sich vom Wissen aber dadurch unterscheiden, „daß sie m i t einem B i l d von der Realität unmittelbar Stellungnahmen und Bewertungen verbinden 2 0 ", so liegt auf der Hand, daß solche Ideologien für die auswärtige K u l t u r p o l i t i k eine Bedeutung haben müssen, die man kaum überschätzen kann. Denn eine solche Politik dient immer auch dazu, den spezifischen formulierten und popularisierten Ideenschatz der jeweiligen Nation, ihre beson15
a.a.O. Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto als Wissenssoziologe, i n „ K y k l o s " , 1962, Fase. 2, S. 429; ein Aufsatz, der i m übrigen aber zeigt, daß es sich bei Pareto hier u m w e i t mehr, nämlich u m eine umfassende Wissenssoziologie handelt, von seinen weiteren bedeutenden Beiträgen zur soziologischen Theorie abgesehen. 17 w i r vertreten die Ansicht, daß es auch bei diesem engen Ideologiebegriff nicht angeht, bewußte Lügen, also den Betrug derjenigen, die es besser wissen, darunter zu subsumieren. I n diesem Sinne hat man z. B. i m 18. Jahrhundert v i e l über den „Priester- u n d Herrentrug" geklagt u n d geschrieben u n d damit eine Kampfthese gegen das ancien régime formuliert. Aber dafür bedarf es nicht des Begriffs der Ideologie! 18 K a r l Manheim: Wissenssoziologie, i n A l f r e d Vierkandt: Handwörterbuch der Soziologie, S. 660. 19 René König: Soziologie, a. a. O., S. 181. 20 a. a. O., S. 180. 16
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
deren Doktrinen und Wertungen deutlich und wirkungsfähig zu machen, somit aber auch mehr oder weniger bewußt die damit korrespondierenden und teilweise recht massiven Interessen zu fördern. Thomas Mann hat während des ersten Weltkriegs auf diese engen Zusammenhänge zwischen Außenpolitik und Ideologie i n seinem berühmten, leider allzu zeitbedingten und als eine A r t von geistiger Frontbewährung konzipierten kulturpolitischen Werk 2 1 ausführlich hingewiesen; auf Zusammenhänge, die zu Zeiten politischen Kampfes besonders deutlich hervortreten, aber auch sonst vorhanden sind und planmäßig genutzt werden. Ähnliches wiederholt sich z. B. i n unserer Zeit i n aller Schärfe zwischen Ost und West, wobei es ein schönes Beispiel einer ideologischen Selbsttäuschung wäre, zu glauben, daß die auswärtige K u l t u r p o l i t i k der westlichen Mächte etwa ideologiefrei, nur den „reinen" Werten der K u l t u r verpflichtet wäre. Haben doch gerade führende westliche Staatsmänner immer wieder coram publico gefordert, man müsse der östlichen „Sozialreligion" dringend etwas gleichwertiges, d.h. gleichermaßen wirksames entgegenstellen. Dies gilt also i m Hinblick auf unser ganzes sog. westliches Lager grundsätzlich ebenso, wie es für den kommunistischen Machtbereich gilt. Doch gerade auch die Einzelnationen betreiben, sagten wir, ihre auswärtige K u l t u r p o l i t i k von einer mehr oder weniger bewußten ideologischen Basis aus: w i r denken z.B. an den „american way of life" oder die französische Zivilisationsideologie 22 . Und w i r könnten hier noch mancherlei, etwa den neuen schnell an Bedeutung gewinnenden Begriff der „Négritude" (auf den Dichter Aimé Césaire aus Martinique und den Senegassen Senghor zurückgehend), verschiedene gewissen Nationen nützliche, ja für sie existenznotwendige Neutralitätsideologien, Egalitätsdogmen, Aufklärung und Freidenkertum prononciert laizistischer Regime, ja selbst die aus den großen Weltreligionen und ihren kleineren species erwachsenen Weltsichten als Fundamente und Agenzien auswärtiger Kulturarbeit anführen. Gerade hier w i r d wieder recht deutlich, daß sich der Ideologiebegriff i m engeren Sinne, wie i h n K a r l Mannheim vertrat, für unsere Arbeit als untauglich erweist, und daß es vielmehr darum gehen muß, „ein jeweiliges Insgesamt von Sinndeutungen und Werten 2 3 " zu erfassen. „ M i t dieser Definition der Ideologie haben w i r uns jedenfalls ein taugliches Instrument neutraler, selbst 21 Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, 1.—6. Aufl., B e r l i n 1918. Unsere Problematik w i r d darin passim behandelt u n d — k o m m t zum Vorschein. 22 Bei seinen Besuchen i n Südamerika nahm General de Gaulle gern Bezug auf die Gemeinschaft der „ L a t i n i t ä t " , welche zwischen Südamerika u n d einigen europäischen Ländern bestehe. 23 Vgl. Gottfried Eisermann: Wirtschaft und Gesellschaft, i m K a p i t e l „Ideologie u n d Utopie", Stuttgart 1964, S. 178.
3. „Öffentlichkeitsarbeit" und „Propaganda"
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,wertfreier 4 wissenssoziologischer Analyse geschaffen" 24. W i r treten dam i t niemandem zu nahe, wissen aber auch, daß es sich hier um A u f gaben handelt, die, u m gelöst zu werden, eine „Metanoia" erfordern w ü r den, d. h. praktisch, daß sie also nur i n mehr oder weniger hohem Grade bewältigt werden können. Denn „es führet uns am Gängelband ein buntes Meer von Vorurteilen" (Joh. Gottfr. Seume: Verlangtes Gutachten über Menschen und ihren Umgang). 3. „Öffentlichkeitsarbeit" und „Propaganda" Ehe w i r uns dem m i t dem Thema Ideologie bereits angeklungenen Problemkreis zuwenden, der die Verwendung kultureller Aktivitäten zur Bemäntelung, ja Tarnung politischer Interessen umfaßt, müssen w i r uns vorher kurz m i t zwei Begriffen auseinandersetzen, die man unbefangen als synonym verstehen könnte; sie werden aber seitens derjenigen, welche die damit bezeichnete Tätigkeit entfalten, peinlichst geschieden, genauer: Die Betreffenden selbst wollen die Gebiete scharf unterschieden haben. W i r meinen „Öffentlichkeitsarbeit" und „Propaganda". Worum handelt es sich dabei? Zunächst: Bei allen terminologischen Fragen können w i r u.a. einen pragmatischen von einem wissenssoziologischen Aspekt unterscheiden. So müssen w i r uns die Frage vorlegen, welche Gründe dafür sprechen, einen neuen Terminus einzuführen, wie es z. B. das Wort „Öffentlichkeitsarbeit" darstellt. Der Duden von 1961 kennt das Wort noch nicht. Die Notwendigkeit für den Gebrauch eines neuen Terminus kann einmal dadurch gegeben sein, daß eine neue Realität entstanden ist, die man benennen muß, ein Vorgang, den w i r täglich auf dem Gebiet der Technik verfolgen können. Zum anderen kann es sein, daß ein Begriff sich durch den Fortschritt der Wissenschaften als nicht mehr brauchbar erweist, etwa w e i l er zu grob ist oder w e i l er durch Popularisierung als gefährdet oder als bereits ruiniert erscheint (in der Soziologie z. B. der sowieso vage Begriff der „Masse"); auch kann es der Fall sein, daß ein Begriff aus politischen Gründen als inoppurtun erscheint (z.B. Elite). Wenn aber auch die Wissenschaft, was die wissenssoziologische Forschung noch näher untersuchen könnte, von Modeströmungen beeinflußt ist, so w i r d sie doch nicht ohne Notwendigkeit einen klareren Begriff durch einen gefälligeren, aber unschärferen ersetzen, nur u m den Interessenten damit einen Gefallen zu tun. Besteht also, müssen w i r i n diesem Zusammenhang fragen, eine Notwendigkeit, den Begriff der Öffentlichkeitsarbeit auch i n die wissenschaftliche Nomenklatur aufzunehmen, oder genügt uns der Begriff Propaganda 25 ? 24 25
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ibidem, S. 178. Denken w i r an die bekannte Auffassung v o n M a x Weber, der den Be-
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
Fragen w i r zunächst, was heißt „Propaganda"? Der Begriff bezeichnet eine Form des sozialen Handelns von eminent praktischer und politischer Bedeutung, weshalb es sicherlich für uns von Nutzen ist, wenn w i r uns zur Einführung von einem Autor leiten lassen, der wie kaum ein anderer sowohl i n der Theorie als auch i n derPraxis unseres Komplexes Bescheid weiß: w i r meinen den englischen Propagandisten Lindley Fräser. I n seinem Buch über Propaganda 26 sagt er zunächst: „Propaganda may be defined as the activity, or the art, of inducing others to behave i n a way i n which they would not behave i n its absence 27 ." Nun ist ein solches erstrebtes Verhalten eines anderen aber auch auf sonstigen Wegen zu erreichen, etwa auf den altbekannten Wegen des Zwanges i n seinen verschiedenen Formen oder etwa durch die mannigfach möglichen Anreize materieller A r t durch Bezahlung (z. B. Lohn und Bestechung), durch Auszeichnungen, die das soziale Prestige erhöhen (Orden, Belobigungen) oder durch Kombinationen von solchen Möglichkeiten, wie sie beispielsweise i m Berufsleben gang und gäbe sind. Diese Möglichkeiten sieht Fräser selbstverständlich auch. Er sagt daher richtig weiter unten: „Thus the central element i n Propagandist inducements . . . is that they depend on ,communication' rather than on concrete penalties or rewards 28 ." Wenn er dann freilich fortfährt, daß Propaganda auch unabsichtlich geschehen könne, so stellt sich die Frage nach dem Begriffsinhalt. Für uns handelt es sich dann nicht mehr u m Propaganda sensu proprio, sondern u m Beeinflussung i n anderer Weise, etwa durch ein Vorbild, so gewiß sie der Propaganda dienlich, ja ihr — was für unser Thema sehr wichtig ist und worauf w i r an anderer Stelle zurückkommen — sogar überlegen sein kann. K r i t e r i u m muß aber auch die bewußte Intention auf Seiten des Propagandisten bleiben, soll der Begriff nicht seine Konturen verlieren. Unter Propaganda wollen w i r also ein intentionales Handeln verstehen, das andere m i t M i t t e l n der Kommunikation, aber ohne direkte Bezugnahmen auf Belohnungs- oder Strafsysteme, zu einem bestimmten Verhalten veranlassen soll, das sonst nicht eintreten würde. Doch erscheint dies immer noch nicht genügend präzis. Haben w i r den Bereich der Drohung schon ausgeklammert, so müssen w i r dasselbe m i t dem Bereich der Bitte tun. Jemanden u m etwas bitten, ist nicht dasselbe, wie etwas propagieren. Man propagiert also etwas, verbreitet etwas (propagare = verbreiten), preist etwas an, und dazu gehört einmal ein Gegenstand (auch bei der Gegenpropaganda handelt es sich u m solche, nämlich um griffsapparat einmal m i t einem Netz verglich, u m darin Fische, d. h. die Realitäten einzufangen, u n d dann fortfuhr, es sei ganz gleichgültig, m i t welchen Netzen man dies vollbringe. 28 L i n d l e y Fräser: Propaganda, Oxford Univ. Press. 1. Aufl. 1957. 27 l.c.,S. 1. 28 1. c., S. 3.
3. „Öffentlichkeitsarbeit" und „Propaganda"
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Richtigstellungen, u m Stereotype des Gegners, Behauptungen über i h n usw.) und ferner zumindest der Intention nach ein größerer Kreis von Adressaten 29 . Nun ist gewiß wahr, daß der Begriff der Propaganda durch die Ereignisse unseres Jahrhunderts und durch den Mißbrauch, den die Diktaturen der verschiedensten Couleur m i t ihm getrieben haben, i n Mißkredit gekommen ist. Es ist daher verständlich, wenn man ihn, besonders i m deutschen Sprachgebrauch, zu vermeiden trachtet. I h m haftet etwas von Unwahrheit an („bloße" Propaganda), von mangelnder Humanität (indem der andere unter Umständen veranlaßt wird, nicht nur etwas zu tun, was er entsprechend der Fraserschen Definition sonst nicht t u n würde, sondern was sogar seinen eigenen Interessen zuwiderläuft) von Totalitarismus (indem konkurrierende und gegnerische Gruppen und ihre Werte nicht geduldet werden). Der Gedanke an manche Formen der Reklame, die der Sache nach unter Propaganda subsumiert werden kann, also einen engeren Begriff darstellt, liegt nahe. Es ist deshalb nur allzugut verständlich, daß man den Begriff der „Öffentlichkeitsarbeit" geprägt hat, u m dem Odium der Propaganda zu entgehen. Man spricht auch gern verschämt von „Aufklärung". Der Sache nach ist zunächst qualitativ kein Unterschied zu sehen, denn wenn man über einen Gegenstand, eine Institution, eine Gruppe planmäßig positive Informationen verbreitet, u m das Verhalten anderer i n entsprechender Weise zu beeinflussen, so macht man damit für sie schon „Propaganda". Nun könnten w i r uns Skalen der Intensität („Penetranz") und des abnehmenden Wahrheitsgehaltes denken, auf welchen man sich von einer diskreten, informativen Werbung her 3 0 der ausgesprochenen Propaganda nähert. Hierbei schlägt dann das quantitative Moment wie auf der Skala von der Gesundheit zur Krankheit i n ein qualitatives um. Notwendigerweise gehen die Formen der informativen Werbung und die der überredenden, ja überrumpelnden fließend ineinander über. So ist es auch leider eine etwas naive Anschauung, zu glauben, daß die Grenzlinie zwischen K u l t u r p o l i t i k und Kulturpropaganda für den Verantwortlichen immer leicht zu sehen und zu ziehen wäre — wie widerwärtig uns auch die letztere Wortverbindung anmutet. Aber wichtig bleibt es, i n diesem Zusammenhang zu erforschen, an welcher Stelle unserer Kontinua die Adressaten sich belästigt oder düpiert fühlen, daraufhin ver29 Der „Große Brockhaus", 15. Aufl., noch v o r dem Hitlerregime, definiert daher lakonisch Propaganda als „ i m Werbungswesen eine Tätigkeit jeder A r t , die auf breiteste Kreise zu w i r k e n sucht". 30 „Die lediglich darauf a b z i e l t . . . (den Adressaten) m i t Informationen zu versehen, über die er sonst nicht verfügen würde." Vgl. G. Eisermann: W e r bung und Wettbewerb, i n : „Wirtschaft u n d Gesellschaft", a. a. O., S. 69. I n dem Aufsatz ist der Unterschied zwischen der informativen u n d der überredenden Werbung deutlich herausgearbeitet.
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stimmt werden, wodurch dann der gegenteilige, der Bumerang-Effekt eintritt. Solche Zäsuren werden jeweils sehr verschieden liegen und sind daher nur hic et nunc zu lokalisieren, weshalb jede Werbung grundsätzlich möglichst individuell sein sollte. So dürften beispielsweise die Grade der Sättigung und der Übersättigung bei der deutschen K u l turarbeit i m Ausland nach dem Mißbrauch derselben durch das Hitlerregime i n vielen Ländern erheblich früher erreicht werden, als dies etwa bei der französischen oder amerikanischen der Fall ist, zumal letztere i n vielen Gebieten (z. B. Skandinavien, Bundesrepublik Deutschland) sehr weit offene Türen findet. Daß es aber auch für die USA, wie für jede Nation, sorgsam zu dosieren gilt, zeigt i n Europa das Beispiel Frankreichs. Aber es kommt nicht nur auf diesen praktischen Gesichtspunkt an, daß nämlich der Adressat unter dem Druck der Propaganda negativ reagieren könnte. Denn eine geschickte Propaganda w i r d dies zu vermeiden suchen und m i t der fortschreitenden Werbetechnik und auf Grund verfeinerter psychologischer Untersuchungsmethoden auch vermeiden können. Weit wichtiger ist vielmehr vom Standpunkt abendländischer Tradition her gesehen folgendes, was bereits flüchtig anklang, und worauf Friedrich Lenz deutlich hingewiesen hat: „Ein Wählenkönnen zwischen inhaltlich verschiedenen Stellungnahmen ist nach dem Sinn und Wortlaut aller bürgerlichen Grundrechte das Kernstück jeder Gedanken- und Presse-, Sprech- und Lehr-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit 31 ." Eine Meinungsdiktatur — und jede Propaganda trägt die Tendenz dazu i n sich — vernichtet aber zunehmend die sowieso stets beschränkten Möglichkeiten für ein inhaltlich eigenes Denken und Urteilen des einzelnen. Hier liegen die Wurzeln aller berechtigten Reserven gegenüber den schon allzu perfektionierten, wenn auch keineswegs allmächtigen Propagandatechniken unserer Zeit. W i r haben einleitend Lindley Fräser zugestimmt, wenn er sagte, es käme darauf an, bei den Adressaten der jeweiligen Propagandabemühungen ein bestimmtes Handeln zu erzielen. Dies darf nun freilich nicht so verstanden werden, als ob ein solches Handeln der Propaganda auf dem Fuße folgen müsse, daß Propaganda also immer direkt zu Aktionen ermuntere. Etwa i n der A r t , wie die kommerzielle Werbung für einen A r t i k e l zum Kauf desselben führen w i l l . Es genügt der politischen Propaganda vielmehr häufig durchaus, zunächst lediglich eine bestimmte Einstellung vorzubereiten oder zu erzielen; sei sie positiver A r t dem vom Propagandisten vertretenen Gegenstand oder seiner Gruppe gegenüber, sei sie es negativ hinsichtlich seiner Gegner. Und hier stoßen w i r sowohl auf die eminent politische Bedeutung auswärtiger 81 Friedrich Lenz: Werden u n d Wesen der öffentlichen Meinung, ein Beitrag zur politischen Soziologie, München 1956, S. 103.
3. „Öffentlichkeitsarbeit" und „Propaganda"
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Kulturpolitik, als auch auf das von den Geldgebern oft nicht recht verstandene Faktum, daß sie ihre politischen Früchte fast immer erst i n der ferneren Zukunft trägt. Daß sie günstige Vorurteile bei den Adressaten schafft, spätere Entscheidungen beeinflußt (man denke an den Begriff der „bias décision"). Hier sei nun insbesondere noch präzisiert, daß der Begriff des Handelns i m soziologischen Sinne, wie w i r i h n seit Max Weber anwenden, immer weit gefaßt ist, daß er ein Verhalten bedeutet, also auch das Unterlassen von Handlungen umfaßt. Dies ist i n unserem Zusammenhang wichtig, denken w i r nur an das Unterlassen eines Kriegseintritts, eines Boykotts, woraus erhellt, daß ein gewisses Maß von Propaganda vielfach einfach zur Erhaltung des „Status quo" erforderlich ist. Dies gilt für die Werbung zugunsten einer alteingeführten Zigarettenmarke ebenso wie für die Erhaltung des französischen Kultureinflusses i n früheren Kolonialgebieten Frankreichs. Das Feld der Propaganda ist weit, die Propagandatechniken sind vielgestaltig, und einiges dazu werden w i r weiter unten bei unserer Betrachtung der differenzierten M i t t e l auswärtiger K u l t u r p o l i t i k anführen können. Hier wollen w i r nur noch i m Zusammenhang m i t der Frage, wie Propaganda i m Adressaten ihre Wirkung entfaltet, folgendes Grundsätzliches festhalten: Nach Möglichkeit w i r d Propaganda nicht auf einer tabula rasa aufbauen — was ungemein schwierig ist —, sondern sie muß sich bemühen, bereits vorher bei den Adressaten bestehende Ansätze zu nutzen und zu entwickeln. Etwa vorhandene Neigungen, Aversionen (Phobien) zu festigen, an bestehende Ideologien und Vorurteile der verschiedensten A r t anzuknüpfen. So spielte Hitler sein makabres Spiel m i t den Ressentiments, die der verlorene erste Weltkrieg und der Versailler Vertrag hinterlassen mußten, und die bereits zur sog. „Dolchstoßlegende" geführt hatten. I n entsprechender Weise knüpfte er an antikapitalistische („gegen Trusts und Konzerne"), antisemitische oder antiaristokratische (während der Ubergangsregierung des „Kabinetts der Barone" unter Franz v. Papen und bei der Liquidierung des 20. J u l i 1944) Vorurteile i m Kleinbürgertum an, und die schwere Wirtschaftskrise m i t ihren vielen Millionen von Arbeitslosen und die akute Furcht vor dem Kommunismus brachten i h m zunächst die Ernte i n die Scheuer. Ebenso können antideutsche Ressentiments von daran interessierter Seite auch heute noch immer wieder leicht belebt werden. Gerne aktivieren Nachbarnationen nationale Ressentiments völkischer Minderheiten. Gut hat man daher diese Rolle der Propaganda folgendermaßen zusammengefaßt: „ L a Propagande joue toujours le rôle d'accoucheuse, même si ce sont des monstres qu'elle met à jour 3 2 ." Ganz ähnlich arbeitet ja auch die sog. Meinungspresse, indem sie den Leser durch die A r t der Auswahl und Repräsentation der Nachrichten sowie durch ihre Kom82
J.-M. Domenach: L a propagande politique, Paris 1962, S. 64.
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
mentare i n seiner vorgefaßten Meinung bestärkt und i h m dadurch das euphorische Gefühl verschafft, einmal wieder recht behalten zu haben. 4. Kulturelle Auslandsarbeit als Ausdruck und Deckmantel politischer Interessen Wie w i r w o h l einigermaßen deutlich gemacht haben, gilt uns die propagandistische Tätigkeit als solche grundsätzlich nicht für „böse an sich", um das berühmte Schlosser-Burckhardtsche Wort über die Macht auf unseren Gegenstand abzuwandeln. Sie ist lediglich ein technischscientifisches Werkzeug und steht allen möglichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Inhalten zur Verfügung, deren Wertqualität für den jeweils Urteilenden ihn die damit verbundene PropagandaA k t i o n je nachdem begrüßen oder perhorreszieren läßt. Dagegen können w i r die Einhaltung einer gewissen Marge der Wahrhaftigkeit des Propagierten und der Rücksichtnahme auf die „Menschenwürde", u m diesen leider nur allzu elastischen Begriff doch einmal hier zu verwenden, als Vertreter bestimmter Werttraditionen postulieren. Insofern dürfen w i r also auch keine grundsätzlichen Einwände gegen die Verwendung kultureller Werbemittel i m Dienste der auswärtigen Politik erheben, sondern haben die entsprechenden Fakten nur einfach zu konstatieren. Sowieso handelt es sich hierbei u m Selbstverständlichkeiten, die zumindest jedem Praktiker i n ihren Zusammenhängen nur allzu bekannt sind. Heute, wo alle Regierungen zu ihrer Legitimation auf den Willen des Volkes hinweisen, sei es, daß sie i h n sich i n mehr oder weniger demokratischen Wahlen bestätigen lassen, sei es, daß sie behaupten, Repräsentanten irgendeiner A r t von „volonté générale" zu sein, die gerade ihnen das Recht zur Herrschaft gibt (wie seinerzeit die „dei gratia" den Monarchen), haben zumindest alle Großmächte die Notwendigkeit erkannt und daraus organisatorische Folgerungen gezogen, zur Unterstützung ihrer Außenpolitik auch planmäßig die K u l turpolitik heranzuziehen. M i t dieser w i r k e n sie direkt auf andere Völker ein und verstärken somit ihr Gewicht auch bei internationalen Verhandlungen. Z u Zeiten, i n denen man auf die Anschauungen der Bevölkerungen, soweit man überhaupt davon sprechen wollte, keine Rücksicht zu nehmen brauchte, war dies freilich unnötig. Spätestens seit der französischen Revolution war aber die Meinung der Völker ausdrucksfähig und nicht mehr zu ignorieren. Auch i n dieser Hinsicht erhält der berühmte Ausspruch Goethes bei der Kanonade von Valmy seine Bedeutung. K o m m t es für die Außenpolitik eines Staates besonders darauf an, die Sympathien i n einem bestimmten anderen Lande zu gewinnen, so w i r d man sich auch m i t den sich i n diesem Fall anbietenden kulturellen M i t t e l n darum bemühen. Daher gibt es für die Außenpolitik aller
4. Kulturelle Auslandsarbeit als Ausdruck politischer Interessen
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Nationen entsprechend der jeweiligen politischen Situation mehr oder weniger konstante regionale politische Schwerpunkte i m Ausland, die dann auch i n kultureller Hinsicht deutlich Präferenz genießen oder genießen sollten (Mittelverteilung!); neben anderen Gebieten, zu denen lediglich die üblichen Kulturbeziehungen gepflegt werden. So ist also kulturelle Auslandsarbeit als ein Indiz für politische Interessen zu werten und als M i t t e l legitim. Hierbei gibt es jedoch einen praktischen Gesichtspunkt zu beachten: Die allzu starke Durchdringung der kulturellen Außenarbeit m i t tagespolitischen Intentionen bringt für die Kulturwerbung die Gefahr m i t sich, an Wirksamkeit stark einzubüßen. Neben den bereits i m vorigen Abschnitt angeführten Gefahren der Ubersättigung stoßen w i r unseres Erachtens hierbei auf einen Anwendungsfall des psychologischen Phänomens vom „effort converti". Nicht „per viam dirittam", sondern „ i n dorso" stellt sich das politische Ergebnis kultureller Ausstrahlung m i t Vorliebe ein, wobei man an die berühmte Hegeische „ L i s t der Vernunft" denken könnte, die hier dem Gastlande zur Seite steht. Ähnlich wie man sich bekanntlich nicht erfolgreich befehlen kann, einzuschlafen, es nicht „wollen" darf, da sonst gerade der gewünschte Effekt ausbleibt. Diese Dinge sind, auf die kulturelle Sphäre angewandt, freilich noch ungeklärt und sollen deshalb lediglich hypothetisch hier angeführt werden. Historisch — w i r sind uns der phänomenologischen Betrachtung bewußt — scheint manches für eine solche Auffassung zu sprechen, wie ja auch die Künste eines Landes meist verdorren, wenn sie von den politischen Mächten an einem allzu kurzen und harten Zügel geführt werden. Die sie tragenden schöpferischen Leistungen lassen sich nicht m i t strengen, äußerlichen Direktiven erzwingen, was mancher Souverän zu seinem Leidwesen hat erfahren müssen. Es lassen sich lediglich begünstigende Rahmenbedingungen schaffen. Erscheint also bereits die allzu große Abhängigkeit von der auswärtigen Politik, insbesondere von der schnell wechselnden Tagespolitik, für die Kulturarbeit i m Ausland als nachteilig, so empfinden w i r die k u l turelle Auslandsarbeit als „prostituiert", wo sie sich dazu hergibt, politische Interessen direkt zu tarnen, d.h. also Interessen zu dienen, die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Insbesondere w i r d dies dort der Fall sein, wo die K u l t u r p o l i t i k eines totalitären Staates gewissermaßen als Trojanisches Pferd eingesetzt wird, um das Gastland auch hierdurch i n eine wie immer geartete Abhängigkeit zu bringen. Für diese Möglichkeiten der K u l t u r p o l i t i k sind uns Beispiele der nationalsozialistischen Außenpolitik noch lebhaft i n Erinnerung. Hier wurde tatsächlich dem deutschen kulturellen Erbe dadurch schwerer, vielleicht nie ganz zu behebender Schaden zugefügt, daß künstlerische Leistungen (man denke an die Gasttourneen berühmter Orchester und Dirigenten
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
i n neutralen oder besetzten Ländern) als Aushängeschild für eine verlogene Propaganda mißbraucht wurden. Auch gegenwärtig werden diese Dinge i m Westen wieder i m Zusammenhang m i t den „sowjetischen Kulturoffensiven" viel diskutiert 3 3 , und gern würde man die These verfechten, daß eine „mißbrauchte" K u l t u r p o l i t i k letzten Endes zwangsläufig wegen ihrer Unwahrhaftigkeit Schiffbruch erleiden müßte. Leider reichen für eine solche Feststellung die Erfahrungen ebensowenig aus, wie die Beweise für die sympathische Anschauung, daß ehrlich auf Erden doch immer am längsten währe. Die Resultate auswärtiger K u l turpolitik sind schwer zu isolieren und die Geschichte der Menschheit strotzt bekanntlich von Beispielen, daß keineswegs immer die „honorigen" Staatswesen triumphieren; der Ursprung fast aller großen Reiche geht, wie uns Universalhistoriker und Geschichtssoziologen an einem reichen Material dargelegt haben 34 , auf spezifische Qualitäten und A k tionen zurück, die vom Standpunkt unserer bürgerlichen Moral her gesehen alles andere als erfreulich waren und immer finden w i r Gewaltanwendung. Die Sowjetunion und das kommunistische China sind etabliert. Besonders bissig hat, wie zu erwarten ist, Vilfredo Pareto m i t einem derartigen Wunschdenken i n der Politik abgerechnet. Konvergierend m i t der berühmten Bemerkung Friedrich des Großen, daß Gott m i t den stärkeren Bataillonen sei, führte er sarkastisch aus: „ I n unserer Zeit glaubt man nicht mehr, daß Gott zu erkennen gibt, auf welcher Seite bei privaten Duellen das Recht sei, aber man fährt fort, mehr oder weniger zu glauben, dies sei bei den Kriegen zwischen den Nationen der Fall 3 5 ." Auch helfe es wenig, expliziert Pareto, wenn man anstelle der göttlichen Gerechtigkeit nun eine „immanente Gerechtigkeit der Dinge" setze, die eine „wunderschöne, aber vielleicht ein wenig obskure Entität 3 6 " darstelle. W i r apostrophieren diese Selbstverständlichkeiten deshalb bewußt etwas ausführlicher, w e i l eine gewisse A r t der Kulturbetrachtung von diesen Dingen anscheinend noch nicht genügend Notiz genommen hat oder nehmen w i l l , und sich anmaßt, wie es schon Jakob Burckhardt einmal tadelte, „die Wege der ewigen Weisheit zu kennen". W i r d daher, darauf wollen w i r hinaus, der auswärtigen Kulturarbeit i n ihrer spezifischen Domäne nur genügend Freiheit gelassen, und werden ihre Einzelaktionen nicht durch kleinliche politische Gängelung frustriert, so kann damit sehr wohl hintergründigen poli33 verweisen hierzu vor allem auf die Untersuchung von Frederick C. Barghoorn: The Soviel Cultural Offensive, Princeton University Press, 1960. Barghoorn, von 1943—47 Presseattache der amerikanischen Botschaft i n Moskau, jetzt Professor an der Yale-Universität, wurde vor einiger Zeit w ä h rend einer Studienreise i n die Sowjetunion dort festgehalten. 34 M a n denke n u r an Jakob Burckhardt oder an die verschiedenen „Über-
lagerungs"-Theoretiker wie Gumplowicz, Oppenheimer oder Rüstow.
85 G. Eisermann: Vilfredo Paretos System der allgemeinen Soziologie, Stuttgart 1962, S. 145 (§ 1950). 36 ibidem, § 1933.
5. Das Prinzip der Reziprozität
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tischen Interessen und Überrumpelungsabsichten m i t der Weg gebahnt werden. „ A perversion of good means for dubious ends" (Barghoorn) ist nicht auszuschließen. I n diesem Zusammenhang sollte man sich auch klar darüber werden, daß sowohl die künstlerischen Leistungen als auch die politischen A k t i vitäten einer Nation i n der jeweiligen historischen Situation Manifestationen einer kulturellen Totalität darstellen, und es nutzt daher wenig, wenn man die angeblich „reinen" Künste von den offensichtlichen „Niederungen" der Politik abhebt, wie man das i n der abendländischen Tradition gerne tut. Von guten künstlerischen Darbietungen gehen ebenso wie von den entsprechenden sportlichen, technischen oder wissenschaftlichen Leistungen propagandistische Wirkungen aus, die der Politik des betreffenden Entsenderstaates zugute kommen, u m so mehr dann, wenn sich dieser i n politischer Isolation befindet 37 . W i r leisten uns i m Westen den Luxus, z. B. Kunst und Politik scharf voneinander zu trennen — wie w i r dieses Verfahren überhaupt auf den verschiedenen Kulturgebieten gerne anwenden —, was zwar für die Analyse statthaft ist und eine Voraussetzung auch jeder einschlägigen wissenschaftlichen Arbeit darstellt, aber doch nicht den Blick für die Interdependenz i n der Realität verschleiern darf. Diese Neigung zur isolierenden Betrachtung, die wissenssoziologisch zwar verständlich ist, läßt die Einsicht i n die mannigfachen Wechselwirkungen auch der beiden Gebiete Politik und Kunst oft verkümmern 3 8 . Eine wie späte Entwicklung, ein wie zartes K u l t u r phänomen eine solche Betrachtungsweise übrigens ist, und auf wie schwachen Füßen sie steht, haben beide Weltkriege m i t ihrer noch lange nachwirkenden Verteufelung der Kulturgüter der Gegenseite bewiesen, selbst oder bemerkenswerterweise vielmehr gerade bei Intellektuellen. 5. Das Prinzip der Reziprozität Ein typisches Modewort der Soziologie ist heute der Terminus „Interaktion". Sieht man ihn sich genauer an, so ergibt sich, daß es sich i m Grunde um nichts anderes handelt, als um den reziproken und seit lan87 E i n Generalrezept, w i e m a n sich heute i m Westen gegenüber propagandistisch gemeinten kulturellen Darbietungen aus dem kommunistischen W e l t bereich verhalten sollte, k a n n hier nicht u n d w o h l überhaupt nicht gegeben werden. Die Frage ist ein T e i l der umfassenderen Problematik, welches Maß an hergebrachter Freiheit sich die westlichen Demokratien i n Kampfsituationen leisten zu können glauben, u n d wo sie andererseits das Gesetz, nach dem sie angetreten sind, verraten. A u f die Beurteilung der Gefährdung zu einem bestimmten Zeitpunkt k o m m t es dabei ausschlaggebend an, doch gehen diesbezüglich die Meinungen bekanntlich w e i t auseinander. 38 I n seinem Buch „ L i t e r a t u r u n d P o l i t i k " , Ölten u n d Freiburg i. Br. 1963, weist H a r r y Pross dagegen k l a r einen „vielbesprochenen Dualismus von L i teratur u n d P o l i t i k " zurück, u n d folgert: „Beide Sphären sind miteinander frei oder unfrei, ihre Z u k u n f t ist gemeinsam" (S. 27).
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
gern wissenschaftlich etablierten Begriff des „sozialen Handelns", wie i h n Max Weber seinerzeit geprägt hat, nämlich u m die Bezeichnung für alles Sichverhalten, das sich am Handeln anderer orientiert 3 9 . Der Begriff kommt nun i n neuem Gewände aus den USA zurück, die die Traditionen der deutschen Soziologie vorübergehend besser pflegen konnten als w i r selber, w i r d aber jetzt i n Deutschland — was wissenssoziologisch auch wieder bemerkenswert ist — von den jungen Adepten der Soziologie vielfach wie eine neue Erkenntnis betrachtet 40 . Bisher hat aber niemand klar sagen können, welches entscheidend Neue der Begriff der Interaktion gegenüber dem bereits vor fast zwei Generationen vorgeschlagenen Begriff des sozialen Handelns enthält. Doch kommt es hier auf die Sache selbst an. Ist Begriffsmerkmal der sozialen Interaktion also Beziehung beiderseitigen Handelns aufeinander, und zwar seitens von Individuen wie von Gruppen, so fällt auch jede wie immer geartete auswärtige K u l turpolitik eines Staates gegenüber einem anderen, und gegenüber der Bevölkerung eines anderen darunter; denn selbst wenn die Bevölkerung „die kalte Schulter" zeigt, handelt sie doch sozial bedeutungsvoll. Wie es ein typisch soziales Handeln darstellt, wenn A dem B einen B a l l zuwirft, und letzterer ihn auffängt, so haben w i r eine einfache und häufige Form der auswärtigen Kulturarbeit dort, wo eine Nation auf dem Gebiet einer anderen K u l t u r p o l i t i k treibt, sie m i t ihren K u l turgütern beschenkt; was etwa manche älteren europäischen Nationen heute jungen Entwicklungsstaaten gegenüber tun. Eine Zeitlang werden letztere dafür — vielleicht — dankbar sein. Aber es kommt nun m i t Sicherheit bald der Zeitpunkt, und zwar t r i t t er i n der Regel dann ein, wenn der sich i n der reinen Empfängerrolle befindliche Staat ein gewisses Maß an nationalem Selbstbewußtsein gewonnen hat, wo dieses unilaterale Geben, dem auf der anderen Seite nur ein Nehmen entspricht, nicht mehr ausreicht. Denn hier, wie auch zwischen Individuen, entsteht daraus auf die Dauer erfahrungsgemäß fast immer ein mehr oder weniger großes Maß an Ressentiment auf Seiten des rein rezeptiven Partners. Die Wechselbeziehung auswärtiger K u l t u r p o l i t i k muß 89 „Soziales" H a n d e l n . . . soll ein solches Handeln heißen, welches seinen von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen w i r d u n d daran i n seinem A b l a u f orientiert ist." (Max Weber, W i r t schaft u n d Gesellschaft, a. a. O., S. 1.) 40 Dieses Phänomen ist häufig zu beobachten u n d zeigt, w i e einschneidend die Zäsur war, die der sozialwissenschaftlichen A r b e i t durch den Nationalsozialismus zugefügt wurde. So schreibt Elisabeth Noelle i n ihrer Einführung i n die Methoden der Demoskopie: „Bezeichnend, daß die T r a d i t i o n der deutschen Umfragen des 19. u n d frühen 20. Jahrhunderts v ö l l i g abgerissen u n d so gut w i e vergessen war, als nach 1945 Bevölkerungsumfragen i n Deutschland wieder aufkamen. M a n hielt sie f ü r eine amerikanische Erfindung." (Elisabeth Noelle: Umfragen i n der Massengesellschaft, H a m b u r g 1963, S. 9.) Entsprechendes g i l t f ü r weite Gebiete der „Politischen Wissenschaft".
5. Das Prinzip der Reziprozität
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daher zwischen einigermaßen selbstbewußten Staaten anderes aussehen, d.h. u m unser obiges Beispiel aufzugreifen, der Ball muß i n irgendeiner Weise auch zurückgeworfen werden, die Relation muß ein wechselseitiges Geben und Nehmen darstellen 41 . Nun liegt auf der Hand, daß beispielsweise neue und arme Entwicklungsländer, häufig aus zufälligem Kolonialbesitz entstanden und ohne originäre, spezifische K u l t u r innerhalb der zufälligen Staatsgrenzen, aber auch einige kleine auf dynastischen Erbverhältnissen beruhende Staaten nicht i n der Lage sind, auch nur annähernd das an „Kulturexport" zu bieten, was alte, an Bevölkerung und Staatsgebiet umfangreiche mehr organisch gewachsene Kulturnationen i n der Regel anbieten können. Aber nicht die Größe des Reservoirs ist entscheidend. Es geht hier zwar auch, aber nicht nur um materielle Dinge, weshalb man nicht eine „input-output"-Kalkulation nach äußeren Gesichtspunkten aufstellen, jedenfalls dann nicht sachlich erschöpfend aufstellen kann, w i l l man kulturelle Relationen feststellen. I n dem uns hier beschäftigenden Zusammenhang geht es vielmehr darum, daß auch ein äußerlich gesehen schwacher Partner das Gefühl gewinnt, seinerseits einiges geben zu können, und sei es auch „ n u r " i m geistigen Bereich 42 . Hier w i r d nun der Begriff des Interesses i m weiteren psychologischen Sinne relevant. Ist nur das materielle Interesse i n einem engeren soziologischen Sinne 43 vorhanden, als Hauptagens auch der kulturellen Auslandsarbeit wirksam, etwa gar u m i n einem bestimmten Gebiet w i r t schaftliche oder politische Früchte zu ernten, so läßt sich daraus keine Grundlage für eine dauerhaftere Verständigung herstellen, was sich i n der entsprechenden politischen Konstellation später zeigen w i r d ; womit freilich keineswegs bestritten werden soll, daß sich auch aus einem rein zweckrationalen Handeln nicht nur traditionales, sondern auch wertrationales und affektuelles Handeln entwickeln kann, u m auch hier wieder zweckmäßige Kategorien von Max Weber zu verwenden 44 . W i r sprachen vom Interesse i m psychologischen, weiten Sinne. Ist dies genug? Oder sollten w i r nicht vielmehr von Sympathie 4 5 spre41
Vgl. auch Carl Doka, 1. c., S. 35. Dieter Sattler hat i n diesem Zusammenhang einmal das gute B i l d von einer Seilbahn gebraucht. 42 M a n hat aus dieser Einsicht heraus beispielsweise m i t gutem Grund die Zweigstellen des Goethe-Instituts i n Indien nach dem bekannten Sanskritisten M a x Müller benannt. 43 Wenn auch bei M a x Weber der Gebrauch des Begriffs des Interesses nicht überall einheitlich ist, so neigt er doch dazu, es m i t dem ztoedcrationalen Handeln zu verbinden. So bezeichnet er i n seinem opus magnum als „bedingt durch Interessenlage" eine Regelmäßigkeit sozialen Handelns, „ w e n n u n d soweit die Chance ihres empirischen Bestandes lediglich durch rein zweckrationale Orientierung des Handelns der Einzelnen an gleichartigen E r w a r tungen bedingt ist". (Wirtschaft u n d Gesellschaft, a. a. O., S. 15.) 44 1. c., S. 12. 45 Eine gut geleitete kulturelle Außenpolitik w i r d den Stab ihrer auswärtigen Mitarbeiter so auswählen, daß jedenfalls bei den jeweiligen Auslands-
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
chen? Soziologie ist, w i r sagten es bereits, eine Wissenschaft vom Sein, nicht vom Gesollten. W i r haben auch hier also kein idealistisches B i l d auswärtiger K u l t u r p o l i t i k zu entwerfen, sondern lediglich festzustellen, daß ohne ein echtes Interesse an der K u l t u r des anderen Landes auch die Emanationen der eigenen K u l t u r auf die Dauer auf ungeeigneten Boden fallen; es sei denn, daß die K u l t u r des eigenen Landes eine so starke Ausstrahlungskraft entwickelt, daß sie jedenfalls vorübergehend auf Ressentiments keine Rücksicht zu nehmen braucht, weil A k k u l t u r a tion erstrebt wird. Dies w i r d aber nur dann der Fall sein, wenn die k u l turelle Expansion von einer überragenden politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Machtposition getragen wird, worauf w i r noch weiter unten zurückzukommen haben. Es lassen sich hierfür zu verschiedenen Zeiten und für verschiedene Regionen die Beispiele Frankreichs, Englands, Deutschlands, Rußlands, der USA usw. anführen. Aber auch diese Nationen müssen sich heute die Notwendigkeit der Reziprozität vor Augen führen und daraus die praktischen Konsequenzen ziehen 46 , wollen sie nicht das Terrain verlieren, welches sie nicht zuletzt dank ihrer zeitweiligen Machtpositionen auch k u l t u r e l l gewonnen haben. Nun läßt sich ein Interesse an anderen Kulturen nicht von oben herab befehlen. Moden 47 und Sympathien 48 spielen hierbei eine große Rolle. Aber es gibt doch bereits ganz generell Sparten der auswärtigen K u l turarbeit, bei denen dieses reziproke Verhältnis von vornherein mehr zum Zuge kommt, als auf anderen Gebieten. So ist zum Beispiel die Vorführung von Filmen über das eigene Land ein einseitiges Geben, wegen der Mechanik des ÜbermittlungsVorgangs sogar besonders ausgeprägt. Dagegen verfügen wir, indem w i r wieder nur ein Beispiel aus vielen möglichen herausgreifen, bei der Gastprofessur i n einem fremden Lande über ein M i t t e l auswärtiger Kulturpolitik, das die wechselseitige Bereicherung deutlich zum Ausdruck bringt. Nicht nur handelt es sich dabei oft um gegenseitige „Austauschprofessuren", sondern auch bereits eine Gastprofessur für sich allein genommen verkörpert dieses funktionären Sympathie zum Gastlande vorhanden ist, weshalb sich auch Kulturattaches nicht w i e andere Diplomaten routinemäßig versetzen lassen. 46 „Soviet leaders, including the not-very-polished Khrushchev, have demonstrated considerable sensitivity to the self-image of almost every k i n d of national and cultural group. They seem to realize more clearly than A m e r i cans or even Western Europeans that one of the most effective ways of flatteri n g an i n d i v i d u a l is to express appreciation of his national language, literatur, and art." (F. C. Barghoorn, 1. c., S. 20.) 47 M a n denke an die Chinoiserien des 18. Jahrhunderts, an das Interesse, welches unser Jahrhundert des Expressionismus u n d der Psychoanalyse bis dahin verachteten „archaischen" Kunsterzeugnissen entgegenbringt. 48 Hier w i r k e n gerade auch politische Sympathien, wozu an die griechischen, ungarischen u n d polnischen „Moden" i n Europa i m vergangenen Jahrhundert erinnert sei, die sich bis i n die Kleidermoden hinein ausdrückten. Es w a r die Anteilnahme am Freiheitskampf der genannten Nationen, welche Wogen der Sympathie bei anderen Völkern hervorrief.
6. Die Bedeutung der öffentlichen Meinung
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Geben und Nehmen. Es w i r d dabei ausgeteilt und rezipiert: wissenschaftliche Kenntnisse und Anregungen werden mitgeteilt und empfangen und die Erfahrungen später i m eigenen Lande wieder verwertet. Ähnliches gilt von Stipendien, die zur Aneignung bestimmter Kenntnisse i m Ausland vergeben werden, wobei die Studenten das Heimatland draußen (mehr oder weniger gut) repräsentieren. 6. Die Bedeutung der öffentlichen Meinung W i r haben bereits verschiedentlich den Ausdruck „öffentliche Meinung" gebraucht und halten es für an der Zeit, diesen Begriff i n unserem Zusammenhang etwas näher zu betrachten 49 . Auch hier stoßen w i r freilich wiederum auf die uns schon mehrfach begegnete Schwierigkeit, daß i n den Sozialwissenschaften noch immer mit Begriffen operiert werden muß, die verschwommen und vieldeutig sind. Sowohl die Begriffe „öffentlich" und „Öffentlichkeit" gehören dazu, wie auch der Terminus „Meinung". F. Tönnies hat i n seiner umfangreichen Monographie über den Gegenstand diese Begriffe sehr subtil i n ihrer verschiedenen Bedeutung untersucht, worauf w i r hier verweisen dürfen. Auch heute, über vierzig Jahre nach Erscheinen von Tönnies' Werk, ist es noch nicht gelungen, eine präzise und befriedigende Definition der öffentlichen Meinung zu finden 50 ; jedenfalls ist keine solche allgemein anerkannt worden. Man beschreibt vielmehr und versucht, einzelne Aspekte des Phänomens zu erklären. I n unserem Zusammenhang genügt es dabei, zunächst folgendes festzuhalten: Die Bedeutung der Stimmung der Massen i n der römischen Kaiserzeit und die damaligen Mittel, sie i n einem euphorischen Zustand zu erhalten, sind bekannt. Schon i m Mittelalter findet man dann die Sentenz: „Vox populi, vox dei." Darauf bezieht sich z. B. Machiavelli, wenn er i n den „Discorsi" erwähnt, nicht ohne Grund habe man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes verglichen. I n der Reformation hat sich die Macht der öffentlichen Meinung deutlich gezeigt. Bei Hume 49 A n Monographien nennen w i r : Das berühmte Werk von Ferdinand Tönnies: K r i t i k der öffentlichen Meinung, B e r l i n 1922, u n d die klassische amerikanische Darstellung von Walter Lippmann: Public Opinion, zuerst New Y o r k 1922. Ferner W i l h e l m Bauer: Die öffentliche Meinung i n der W e l t geschichte, Potsdam 1930. Friedrich Lenz untersuchte die Meinungsbildung i m Deutschland der europäischen Neuzeit: Werden u n d Wesen der öffentlichen Meinung, E i n Beitrag zur politischen Soziologie, München 1956. V o m gleichen Jahr A l f r e d Sauvy: L'opinion Publique, Presses Univers, de France. Jüngst: Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962. 50 Der Begriff w i r d aber sogar i n der Jurisprudenz gebraucht, w o beispielsweise i m § 186 des deutschen Strafgesetzbuches m i t Strafe bedroht wird, „ w e r i n Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben... i n der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist" (Üble Nachrede).
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
taucht schon ein „law of opinion or réputation" auf. Erst seit der französischen Revolution aber ist die öffentliche Meinung als ein wichtiger Faktor i m politischen Spiel erkannt, wenn auch keineswegs von allen Regimen berücksichtigt worden. Kurz vor ihrem Ausbruch sprechen Helvétius und häufig auch Necker deutlich von der unsichtbaren Macht der „opinion publique". Daß man ihre Macht öffentlich anerkennt und sie als verbindlich empfindet, ist das wesentliche und historisch Neue. Denn Meinungen als solche bilden sich i n kleineren oder größeren Kreisen immer. Man denke hierzu nur an die lebendigen Schilderungen Goethes i n seiner Autobiographie über die i n Frankfurt und selbst i n seiner eigenen Familie bestehenden Meinungsdivergenzen während des siebenjährigen Krieges 51 . Wieland kommt i n seinen „Gesprächen unter vier Augen" (1799) zu dem Schluß, daß als Konsequenz der französischen Revolution Regierungen nicht länger bestehen könnten, ohne die öffentliche Meinung zu respektieren. Worum handelt es sich nun bei diesem Phänomen der „Macht der öffentlichen Meinung", einer Erscheinung, die man zu Recht „ein geschichtliches Merkmal bestimmter gesellschaftlicher Daseinsweisen" genannt hat 52 ? Einer Macht, welche sich offenbar erst i n entwickelteren gesellschaftlichen Strukturen und bei einem gewissen Stand des zivilisatorischen Fortschritts (Buchdruckerkunst um 1450, Entstehung des Zeitungswesens i m 17., seine Entwicklung zum Machtfaktor i m 18. und 19. Jahrhundert) i n dieser Weise voll herausbilden kann. Eng ist sicher der funktionelle Zusammenhang m i t der politischen Evolution, wobei w i r die Interdependenz als sehr ausgeprägt einfach festhalten, das gegenseitige Vorantreiben der Entwicklungsprozesse, wobei sich i m Einzelfall auch Kausalbeziehungen anbieten. Es ist jedenfalls bezeichnend, daß ein zeitgenössischer französischer Autor eine Monographie über diesen Gegenstand mit den Sätzen beginnt: „L'expression ,opinion publique 4 évoque facilement à l'esprit la notion de démocratie et de libéralisme; pour certains, elle s'identifie même au régime de démocratie occidentale 53 ." Das Prinzip der Öffentlichkeit ist i n der Tat eines der wichtigen und wichtig genommenen demokratischen Grundprinzipien. Es handelt sich also u m Meinungen größerer Kreise, die sich auf öffentliche Angelegenheiten beziehen, Meinungen, die auch öffentlich zum Ausdruck kommen (es braucht nicht durch das gedruckte Wort zu sein, da dies Zensuren verhindern können; man denke auch an das Thea51 „Die Welt, die sich nicht n u r als Zuschauer, sondern auch als Richter aufgefordert fand, spaltete sich sogleich i n zwei Parteien, u n d unsere Familie w a r ein B i l d des großen Ganzen. M e i n G r o ß v a t e r . . . w a r . . . auf österreichischer Seite. M e i n V a t e r . . . neigte sich m i t der kleineren Familienhälfte gegen Preußen" („Dichtung u n d Wahrheit", Beginn des I I . Buches). 52 Friedrich Lenz, 1. c., S. 7. 58 A l f r e d Sauvy, 1. c., S. 5.
6. Die Bedeutung der öffentlichen Meinung
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ter: Beaumarchais, Schiller) und die zumindest indirekt den Anspruch erheben, repräsentativ für das Ganze zu sein 54 . Politische, wirtschaftliche, religiöse, kulturelle Fragen, Geschmacksrichtungen, Fragen der Sitte und des Brauchs 55 werden hier behandelt, Inhalt solcher öffentlichen Meinungen kann ja vielerlei sein. Aber w i r halten doch fest, daß es sich um letztlich „öffentliche" Angelegenheiten handeln muß. Denn wo dies nicht der Fall zu sein scheint, wie manchmal dann, wenn sich die öffentliche Meinung über das Verhalten eines Individuums entrüstet, geht es ja i n Wahrheit um die „contrainte sociale", u m wesentliche Normen des Rechts, der Sitte oder des Brauchs, die von und i n der Öffentlichkeit verteidigt werden. I n Diktaturen der Moderne kann es auch, worauf man mit Recht hingewiesen hat 5 8 , zwei Arten der „öffentlichen Meinung" geben: Die vom Regime beanspruchte, gewissermaßen „fiktive" und die wirkliche, mehr oder weniger unterdrückte. W i r haben dies i n unserem eigenen Lande bereits bei der sogenannten „Kristallnacht" am 9. November 1938 deutlich erleben können, wo die von bestimmten Gruppen planmäßig organisierten Gewalttaten i n der Öffentlichkeit als angeblicher Ausdruck der öffentlichen Meinung gefeiert, von der ganz überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung aber abgelehnt wurden. Deutlich war dies i n Berlin der Fall, wie jeder weiß, der die Ereignisse damals dort miterlebt und die Kommentare der Berliner gehört hat. Man nannte die Verbrechen beim Namen. Eine bekannte Kontroverse entsteht nun bei der Frage, ob man von der öffentlichen Meinung oder von den öffentlichen Meinungen zu sprechen hat. Während der Singular eine A r t von „volonté générale" impliziert, deutet der Plural auf die verschiedenen Meinungsgruppierungen innerhalb der betreffenden Gesellschaft. E m i l Dovifat vert r i t t die Ansicht, „daß es die öffentliche Meinung nicht gibt. Auch historische Beobachtungen belegen, daß dieser Begriff eine propagandistische Finte ist, ein ,Hilfsbegriff für Wissende 457 ." Das ist erfrischend 54 I n diesem Zusammenhang k a n n man die berechtigte Frage aufwerfen, w o r u m es sich handelt, w e n n die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung i n Meinungsumfragen eine Ansicht bekundet, welche aber nicht öffentlich zum Ausdruck gebracht w i r d , w e i l die Sprachrohre der öffentlichen Meinung, also Presse, Rundfunk usw. nicht mitmachen wollen oder können, u n d w e n n auch sonst, beispielsweise i n Versammlungen, Entsprechendes nicht zum Ausdruck kommt. W i r halten dafür, hier besser nicht von „öffentlicher Meinung", sondern schlichter von vorherrschender Einstellung gegenüber gewissen Fragen zu sprechen. 55 M a x Weber unterscheidet den Brauch, bei dem es lediglich auf die t a t sächliche Übung ankommt, von der Sitte, bei der diese Ü b u n g auf langer E i n gelebtheit beruht (Wirtschaft u n d Gesellschaft, S. 15). Andere (z. B. René König) sehen i n der Sitte einen größeren Grad von Ausdrücklichkeit. I m U n terschied zu den Bräuchen („folkways") enthalten Sitten („mores") dann N o r men, die von wesentlicherer Bedeutung f ü r die jeweilige Gruppe sind u n d ihre besonderen Werte stützen u n d schützen. 56 A l f r e d Sauvy, 1. c., S. 14. 57 I n „Staat und P o l i t i k " , Fischer Lexikon, a. a. O., S. 207.
9 Emge
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
deutlich. Aber so weit,wie der Nestor der deutschen Zeitungswissenschaft, wollen w i r nicht gehen, wenn auch immer größte Skepsis angebracht ist, wenn von der öffentlichen Meinung gesprochen w i r d und die alte juristische Präsumption des „fecit cui profuit" durchaus am Platze ist. Aber uns scheint andererseits doch i n vielen Fällen eine breite, einheitliche Meinungsbasis zum Vorschein zu kommen. Zudem ist wohl ein gewisser Trend feststellbar, der auf eine immer stärkere Vereinheitlichung der Meinung zielt, wofür sich mehrere Ursachen anführen lassen: Die gebesserten Verkehrsverhältnisse und die dadurch stark gestiegene Mobilität von Ort zu Ort, die Vervollkommnung des Nachrichtenwesens und die wie i m gesamten Wirtschaftsleben so auch i n der Publizistik erkennbare Tendenz zu größerer Konzentration und zu Obligopolen und Monopolen 58 . Es gibt also, und zwar wohl zunehmend Fälle, wo es durchaus angebracht ist, von einer öffentlichen Meinung i n bestimmter Hinsicht zu sprechen, da die wenigen Dissentierenden i n diesem Zusammenhang soziologisch nicht zählen. Diese einheitliche Meinungsbildung dürfte häufiger i m Negativen, bei der Ablehnung unerwünschter Institutionen und Entwicklungen feststellbar sein. Die Frage nach der Freiheit wovon ist bekanntlich leichter zu beantworten als diejenige nach der Freiheit wofür. W i r halten also dafür, daß beide Auffassungen ihre Berechtigung haben, je nach dem zu untersuchenden historischen Fall und der jeweiligen Perspektive: Gemeinsame Reaktionen und gemeinsames Wollen werden sich i n der einen, Kontroversen werden sich in anderen historischen Situationen und Fragen finden, wobei dann typischerweise die verschiedenen (oft Interessen-)Gruppen von sich mehr oder weniger laut und erfolgreich behaupten, sie verträten die öffentliche Meinung. Hier helfen heute Meinungsumfragen, die technisch immer mehr vervollkommnet werden, den Regierungen, sich auch zwischen den Wahlen ein klares B i l d von der wirklichen Stimmung und Einstellung zu bestimmten Fragen zu machen. I n diesem Zusammenhang weist E. P. Neumann einmal darauf hin, daß die Republik von Weimar u. a. daran gescheitert sei, „daß ihre führenden Kräfte es versäumten, der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen" 5 9 . Daß diese Rücksichtnahme auch außenpolitisch für Demokratien unerläßlich ist, ja mehr oder weniger auch 58 U m von den durch den Zusammenbruch 1945 einschneidend veränderten deutschen Verhältnissen hier einmal abzusehen: I n Frankreich ist die Anzahl der Tageszeitungen seit 1914 von 48 auf 16 i n Paris u n d von 269 auf 115 i n der Provinz gefallen. I n den U S A ist die Anzahl der Tageszeitungen u m ein D r i t t e l seit 1910 zurückgegangen u n d die Z a h l der Wochenzeitungen u m 50 °/o (vgl. A l f r e d Sauvy, 1. c., S. 115). Damit verlieren auch bestimmte Gruppierungen m i t ihren jeweiligen Meinungen wesentliche Ausdrucksmöglichkeiten. 59 E. P. Neumann: Politische u n d soziale Meinungsforschung i n Deutschland, i n : Empirische Sozialforschung, hrsg. v o m I n s t i t u t zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, Frankfurt, 1952, S. 46.
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für Diktaturen (man denke an Napoleon III. und die Emser Depesche60), ist bekannt. Jedenfalls w i r d man mit Ferdinand Tönnies sagen können, daß das große Publikum, welches die öffentliche Meinung eines Landes bildet, ein charakteristisches Gebilde erst der letzten Jahrhunderte ist. Die öffentliche Meinung kann sich i n größerem Ausmaß erst mit Hilfe der modernen technischen Verkehrs- und Nachrichtenmittel bilden und äußern. Wenn er aber weiter sagt: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Macht der öffentlichen Meinung fortwährend zunimmt und ferner zunehmen w i r d " 6 1 , so darf man hier an den Rand wohl ein Fragezeichen setzen, jedenfalls, wenn man von dem Begriff ausgeht, wie i h n der alte Liberale verstand. Die „Techniken", u m die öffentlichen Meinungen seitens bestimmter Machtgruppen i n bestimmte Richtungen zu manipulieren, sind inzwischen allzu weit entwickelt worden. Dieser Hinweis auf die große, wenn auch gewiß nicht totale und sogar oft überschätzte technische Manipulierbarkeit sollte schon a limine der Gefahr vorbeugen, den Begriff der öffentlichen Meinung, der ja nur ein schlechtes vorläufiges Werkzeug der Analyse ist, zu hypostasieren und i n ihr eine gewissermaßen frei schwebende Macht zu sehen; ähnlich wie man früher gelegentlich m i t dem „Volksgeist", der „Massen-" und der „Rassenseele" verfahren ist. Die öffentliche Meinung ist ein durchaus nicht geheimnisvolles, sondern für denjenigen, der i m Besitz der jeweils nötigen Kenntnisse ist, ganz verständliches Phänomen. Bei seiner Bildung wirken soziologische, psychologische, sozialpsychologische „Gesetze" ebenso mit, wie die Faktoren der konkreten historischen Situation, darunter die geschichtliche Vergangenheit der betreffenden Gruppe. Man muß hier, wie auch sonst i n den Sozialwissenschaften, die monokausale Betrachtungsweise zu vermeiden suchen. Eine bestimmte Nation, eine Provinz oder eine Gemeinde (das Phänomen der öffentlichen Meinung ist i n kleinen Städten besonders gut zu studieren) ist so und so geworden, hat ihre spezifische Geschichte, eine Bevölkerung von dem oder jenem Schlage 62 , eine so oder so geartete Verfassung, Religion, Wirtschaftslage und was dergleichen Daten mehr sind. Sie äußert nun gewisse Einstellungen bleibender oder mehr oder weniger (z. B. auf bestimmte Reize hin) vorübergehender Art. Dies ist zunächst ganz wertfrei zu konstatieren, wobei man es nicht vermeiden kann, die große 60 Hierzu verdient eine Unterredung mitgeteilt zu werden, die der K ö n i g von Preußen m i t Napoleon I I I . nach der Schlacht von Sedan i m Schlößchen Bellevue hatte, u n d über die er i n einer eigenhändigen Aufzeichnung u. a. folgendes festhielt: „Ego: A v a n t de vous quitter, Sire, j ' a i encore u n mot à dire. Je crois vous connâitre assez et vos vues politiques, pour me dire que vous n'avez pas v o u l u cette guerre, mais que Vous avez été eintraînés de la faire malgré Vous." Napoleon: „Sire, Vous avez raison mais l'opinion p u b l i que!" (F. Tönnies , 1. c., S. 160.) 61 I.e., S. 569. 82 W i r wiesen bereits auf die große Vorsicht hin, die man bei Urteilen über Nationalcharaktere üben muß.
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Bedeutung der Gefühlsstrukturen (Residuen) mit Pareto zu würdigen. Die Frage, inwieweit die öffentliche Meinung „recht hat", z.B. wenn sie schuldige oder unschuldige Opfer (Marie Antoinette!) oder A n nexionen nach Kriegen (Elsaß-Lothringen 1871) fordert, ist eine davon verschiedene nicht mehr wertfrei zu beantwortende Frage, und das Normative hat uns ja als Soziologen hier nicht zu beschäftigen. Dagegen ist für uns wieder relevant, ob und inwieweit diese sogenannte „öffentliche Meinung" „recht bekommt" und warum dies dann jeweils so ist 6 3 . Weiter ist zu untersuchen, wie diese öffentliche Meinung sich bildet und gebildet wird, welchen Einfluß darauf herrschende oder maßgebende Klassen und Gruppen haben, seien es z. B. politische, wirtschaftliche, kirchliche oder militärische, die ja oft durch Monopolisierung der Organe der Öffentlichkeit den Eindruck einer einheitlichen Meinung hervorrufen. Es ist zu fragen, welche Rolle dabei jeweils die verschiedenen Berufe spielen, z. B. die Politiker, Professoren, Lehrer, die Geistlichkeit, Publizisten, die verschiedenen Stände i n ständischen Sozialsrukturen, wie sich der Einfluß der Männer zu demjenigen der Frauen verhält, der der Jugend zu demjenigen des Alters, inwiefern die Städte bei der Meinungsbildung bedeutsamer sind, als das flache Land, Großstädte mehr als Kleinstädte und was dergleichen Fragen mehr sind. Alles dies sind legitime soziologische Forschungsgegenstände, und man kann angesichts der Fülle dieser Fragen und der meist fehlenden Antworten leider nur dem niederländischen Soziologen U. de Volder beipflichten, wenn man feststellt, daß die Soziologie bisher bei der Erforschung der öffentlichen Meinung wenig geleistet habe. Dies verwundert u m so mehr, wenn man bedenkt, daß Ferdinand Tönnies sein großes Werk bereits während des ersten Weltkrieges konzipiert hat. Aber einiges läßt sich doch noch für unser Thema hervorheben. Wenn w i r uns deutlich des BiZdcharakters bewußt bleiben, so werden w i r zum Zweck der Analyse einer bestimmten öffentlichen Meinung verschiedene „Schichten" mit Nutzen trennen können, und i m Grunde dann damit Tönnies folgen, der von verschiedenen „Aggregatzuständen" sprach, nämlich feste, flüssige und luftartige unterschied. So gibt es zunächst die meist vom oberflächlichen Beobachter unterschätzten relativ 63 Hier stoßen w i r neben Machtkonstellationen auf populäre Dogmen, etwa, daß bei der Diskussion einer Frage i n der Öffentlichkeit sich die W a h r heit durch die „fundamental wisdom of the people", w i e Jefferson einmal gesagt hat, schon herausstellen, daß der richtige Weg dann gefunden werde. Oder auf jenes andere Dogma, daß Mehrheitsbeschlüsse von größerer Weisheit seien, eine grausame Überforderung der Demokratie. Selbst w e n n sich etwa i n den späteren 30er Jahren die Mehrheit des deutschen Volkes f ü r H i t l e r u n d das Naziregime entschieden hätte, u n d es k a n n k e i n Zweifel darüber bestehen, daß dies zeitweise so war, so ist damit f ü r die Frage der Verbindlichkeit überhaupt nichts gewonnen, w o h l aber die Problematik angeschnitten, m i t der man sich weiterhin auseinanderzusetzen hat: i n welcher Weise nämlich das quantitative Prinzip ergänzt werden könnte.
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„bleibenden" Einstellungen (zu einem kleinen Teil w o h l schon durch Vererbung innerhalb der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zu erklären), eine A r t von Grundschicht. Den Bereich also etwa, den Pareto i n den Residuen der Klasse I, der Persistenz der Aggregate, beschrieben hat 64 . Es scheint immer noch so zu sein, daß die sogenannte Öffentlichkeit i m grundsätzlichen keineswegs Neuerungen begrüßt, sondern daß sie sich vielmehr i n der Regel erst dagegen wendet und darauf Wert legt, das Hergebrachte zu erhalten, da es doch wohl eo ipso richtig und bewährt sei. Von dieser Grundschicht könnte man dann zum Zweck der Analyse eine leichter veränderliche zweite Schicht abheben, die, von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen stärker beeinflußbar, deutlich auf die entsprechenden Veränderungen i n diesen Sphären reagiert, um dann schließlich drittens gewissermaßen an die Oberfläche zu gelangen, auf der, wie auf dem Meere die verschiedenen Winde ihr krauses Wellenspiel erzeugen, die Tagespolitiker, Filmgrößen und Sportler ihre Triumphe feiern oder ihre Niederlagen finden; eine Meinungssphäre, die als die am deutlichsten sichtbare, wohl die oberflächliche Anschauung von der „Wankelmütigkeit der öffentlichen Meinung" geformt hat. Alle diese natürlich fließend ineinander übergehenden und sich beeinflussenden Schichten bilden also die öffentliche Meinung, in allen diesen Schichten kann es je nachdem mehr oder weniger dauerhafte Parteiungen geben, so daß man oft von einer „geteilten" öffentlichen Meinung w i r d sprechen können. Aus der Vielzahl der i m Zusammenhang mit dem Begriff der öffentlichen Meinung auftretenden Fragestellungen sei nur noch auf zwei Gesichtspunkte hingewiesen, die besonders erwähnenswert erscheinen und die beide in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen. Das ist einmal die Tatsache, daß sich die Äußerungen der öffentlichen Meinung um einen Kristallisationspunkt herum bilden, der häufig etwas Neues darstellen wird, und dann positive oder negative, positive und negative Reaktionen hervorrufen kann. Ein neu ins Blickfeld tretendes Faktum also, das von der Öffentlichkeit gefördert oder beseitigt zu werden „verdient". Hier nun, und das ist das zweite, zeigt sich die engste Verbindung zur Aktion, weshalb man auch heute gern von „Meinungs- und Willensbildung" spricht, wobei der Wille ja nicht ein diffuser Drang, sondern etwas Zielgerichtetes darstellt. Carl Schmitt hat einmal die Auffassung vertreten, daß früher „opinio" der Gegenbegriff gegen Dogma, gegen Glauben und ähnliche Begriffe gewesen sei, heute dagegen gegenüber der „opinio" nach zwei Jahrhunderten eines bürgerlichen Liberalismus sich der neue Gegenbegriff der „ A k t i o n " aufdränge 65 . W i r 64
Vgl. G. Eisermann: Vilfredo Paretos S y s t e m . . . , a. a. O., S. 89 ff. I n einer Diskussion über „Presse u n d öffentliche Meinung" auf dem Siebenten Deutschen Soziologentag, B e r l i n 1930; „Verhandlungen" publiziert Tübingen 1931; vgl. hier S. 56 ff. 65
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wollen hier jedenfalls die enge Verbindung zur A k t i o n festhalten, die aber wohl immer schon wenigstens potentiell m i t dem Phänomen der öffentlichen Meinung gegeben war; denken w i r nur einerseits an die Beseitigung von „Ruhestörern", andererseits an den Sturm auf die Bastille, oder die gesamteuropäische Situation zur Zeit der Juli- oder Februarrevolution. Schließlich werden w i r feststellen können, daß gewisse Zeiten den Wertakzent stärker auf das Überkommene, Traditionelle, andere auf das Neue, Progressive legen und je nachdem w i r d also auch die öffentliche Meinung zumindest an der Oberfläche anders strukturiert erscheinen. Sie muß dann auch unterschiedlich angesprochen werden, was sich z. B. schon an der kommerziellen Reklame innerhalb relativ kurzer Zeitspannen ablesen läßt. Wenn auch sicher die Sozialtemperamente unter den Völkern verschieden verteilt sind, so liegt es doch für den Soziologen nahe, daß bei Wandlungen der öffentlichen Meinung schichtspezifische Attitüden der jeweils tonangebenden Gruppen besonders zum Tragen kommen. 7. Die sog. „Weltöffentlichkeit" — Realität oder Fiktion ? Wenn einige Personen i n ein Restaurant gehen, u m gemeinsam zu essen, so werden sie dort nicht die gleichen Gerichte bestellen, wie jeder für sich alleine. Schon eine so triviale Sache, wie die zum Ausdruck gebrachte Meinung über das, was man am liebsten verzehrt und was dabei in Relation zum Preis für am „günstigsten" gehalten wird, zeigt sich hier durch den stärker öffentlichen Charakter der Bestellung deutlich verändert. Hierbei mögen w i r an die Tardesche Gesetzmäßigkeit („la société c'est l'imitation") oder — besser — an die Durkheimsche K r a f t der „contrainte sociale" denken, u m diese zwei heftigen A n t i poden beide zu Wort kommen zu lassen. Auch i n einer kleinen Stadt ist das Entstehen und Wirken einer einheitlichen Meinung deutlich zu spüren, was mit allen Schattenseiten mehrere Schriftsteller so meisterhaft festgehalten haben. Daß die sogenannte öffentliche Meinung nun aber, je größer der Kreis wird, dessen Sprachrohr sie zu sein scheint, ceteris paribus immer komplexer wird, liegt auf der Hand. Schon regional w i r d sich die öffentliche Meinung beispielsweise in der Bundesrepublik deutlich differenzieren, was sich u. a. ja stets auch politisch bei Kommunalund Landeswahlen erweist. Darf man unter diesen Umständen überhaupt noch den Kreis erweitern und den M u t haben, von einer „Weltöffentlichkeit" zu sprechen? Zunächst lassen sich zwei verschiedene Aspekte unterscheiden. Einmal haben w i r die Weltöffentlichkeit als Adressat von Nachrichten und Appellen aller A r t zu betrachten, die heute dank der modernen Ver-
7. Die sog. „Weltöffentlichkeit" — Realität oder Fiktion?
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kehrs- und Nachrichtenapparaturen in Sekundenschnelle um den Globus laufen. Hierin liegt z. B. eine der Ursachen für das „Kleinerwerden" unserer Welt, die nach einem populär gewordenen Buchtitel von Wendell Wilkie zunehmend eine „one world" ist, d. h. über einen hohen Interdependenzgrad aller Zustände und Ereignisse verfügt. Ein Staatsstreich i n Südamerika, Minuten später allen führenden Politikern auf der Erde bekannt, kann eine Veranlassung für ähnliche Unternehmungen kurz darauf i n Südostasien werden, beide Aktionen mögen von dritter, weit entfernter Stelle geplant und gesteuert werden. Auf dieser möglichen Omnipräsenz aller Ereignisse von zumindest angenommener Weltbedeutung oder von vermutetem Weltinteresse beruht z. B. auch die Täuschung, der man bei der Zeitungslektüre erliegt: man liest von zahlreichen Verbrechen und meint entrüstet, diese hätten enorm zugenommen. Bei näherem Zusehen ergibt sich dann freilich, daß einige davon i n fernsten Kontinenten begangen wurden und dem sensationshungrigen Leser nur Stoff bieten sollen. Wenige weltweite Nachrichtenagenturen, wie A. P., U. P., Reuters, AFP, Tass, DPA umspannen m i t immer engeren Maschen den Erdball. Radio- und Fernsehstationen erhöhen ihren Ausstrahhmgsradius, neue Stationen kommen fast täglich hinzu. Sind noch einige Gebiete von der alles immer stärker durchdringenden Informationsflut ausgeschlossen, so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie die technischen Fazilitäten erhalten, um damit versorgt zu werden. Dieser Trend erscheint irreversibel. Das weltpolitische Schisma, welches die Nachrichtenströme zu verschiedenen Zentren leitet und von dort dann teilweise politisch gesiebt und frisiert wieder „ad usum delphini" aussendet, täuscht nicht darüber hinweg, daß ä la longue alles technisch immer mehr zusammenwächst, alles immer stärker von einer großen Nachrichtenflut überspült wird. Sowohl demokratische wie autoritäre oder totalitäre Doktrinen sind sich darüber einig, den Prozeß als solchen zu begrüßen und nach Kräften voranzutreiben, nicht zuletzt auch darin unterstützt von materiellen Interessen. Die einen tun dies nach dem Gesetz, nach welchem sie angetreten sind: aus dem wenn auch meist nur implizit vertretenen, von Sokrates über die Aufklärung bis zu uns entwickelten Glauben heraus, daß eine möglicht umfassende Informierung auch ein moralisch „richtiges" Verhalten, „gute" Entschlüsse wenn nicht schon quasi automatisch so doch schließlich zur Folge haben müsse. Andere t u n dies mit dem Gedanken, daß man durch einen starken, gelenkten Nachrichtenstrom die einzelnen nur desto besser manipulieren könne. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß die UNESCO nicht nur i n der Bekämpfung des Analphabetismus eine ihrer vornehmsten Aufgaben sieht 66 , sondern daß sie auch ganz kon68
M a n schätzt daß es 1962 etwa 500 M i l l i o n e n erwachsene Analphabeten
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4. Kap.: Auswärtige Kulturpolitik und „Öffentlichkeitsarbeit"
krete Ansichten entwickelt, wie man die sogenannten Massenkommunikationsmittel (Funk, Fernsehen, Presse und Film) ausbauen müsse. Der andere Aspekt der Weltöffentlichkeit ist ihre Rolle als Meinungsträger. Mehr als bei kleineren Regionen sollte man sich hier die Skepsis von E. Dovifat bezüglich einer öffentlichen Meinung ins Bewußtsein rufen. Denn es handelt sich jetzt nicht nur um das quantitativ und geographisch ausgedehnteste Publikum, sondern i n logischer Fortführung der Ideen von 1789 gewissermaßen auch um die „höchste Instanz". Bei aller Reserve gegenüber dem Begriff der öffentlichen Meinung ist nun aber doch nicht zu übersehen, daß es eine bestimmte A r t von Weltöffentlichkeit gibt: Ausgedrückt durch die führenden Zeitungen, deren Kommentare täglich von herrschenden Schichten in allen Ländern aufmerksam verfolgt werden, durch die großen Nachrichtendienste, welche schon i n der Auswahl und Formulierung der übermittelten Fakten meinungsbildend tätig sind, durch die Rundfunk- und Fernsehgesellschaften. Diese Weltöffentlichkeit bringt nun auch manches zum Ausdruck, was man, mag es ursprünglich durchaus von bestimmten Gruppen manipuliert gewesen sein, doch heute bereits öffentliche Weltmeinung m i t Fug und Recht nennen kann, sei es nur mangels einer besseren Bezeichnung. Eine erste Überlegung läßt bereits erkennen, daß vor diesem Areopag weitgehende Einigkeit besteht über große Bereiche, wobei die Frage, was jeweils faktisch gedacht und getan wird, hier nicht zu stellen ist. Man befürwortet überwiegend:Naturwissenschaftliche und technische Forschung, Verbesserungen i m Erziehungswesen, Erhaltung des Weltfriedens und Verstärkung der Völkerverständigung, kulturellen Austausch, Gleichheit der Berufschancen, Rechtssicherheit, „Demokratie", das Recht auf und auch die Pflicht zur Arbeit, Eroberung des Weltraums, Hebung des Gesundheitszustands usw. Man lehnt überwiegend ab: Rassen- und Völkerdiskriminierung oder Privilegierung, Folter, Aberglauben, Standesunterschiede, Analphabetismus, Krankheiten, Hungersnöte, Pauperismus, Müßiggängertum, Sklaverei, Prostitution, sexuelle Zügellosigkeiten, Kinderarbeit usw. Diese erste ganz unsystematische Aufstellung mag für manchen so selbstverständliche Dinge enthalten, daß er es nicht der Mühe wert findet, bei ihr zu verweilen. Aber ist es nicht so, daß sich unter den aufgeführten Komplexen, die meist schon Tabus darstellen, denen man sich nicht ungestraft expressis verbis entgegenstellen darf (weshalb der „Cant" perfektioniert wird), neben einigen seit alters her erstrebten oder bekämpften Erscheinungen doch auch andere befinden, die keineswegs so „natürlich" sind, wie es heute den Anschein haben mag? Zunächst ist auf der Erde gegeben hat. Die Weltbevölkerung wächst prozentual noch rascher als die Z a h l derer, die lesen u n d schreiben können.
7. Die sog. „Weltöffentlichkeit" — Realität oder Fiktion?
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die Weltöffentlichkeit nicht a limine mit der abendländischen zu identifizieren, denn sie umfaßt auch große Kulturen, die auf ganz anderen Voraussetzungen aufgebaut sind, wie z. B. die buddhistische; Kulturen, die keineswegs die „Eroberung" ihrer Umwelt aufs Panier geschrieben haben, ja die einem solchen Streben i m Grunde diametral entgegengesetzt sein können 67 . Aber auch für die abendländische Tradition selbst ist keineswegs alles so selbstverständlich: etwa die Gleichheit der Berufschancen zu erstreben oder die Beseitigung von Standesschranken, sondern es handelt sich dabei u m i n den letzten Jahrhunderten allmählich entwickelte Postulate. Auch der Gedanke der allgemeinen Arbeitspflicht ist — obwohl schon i m A l t e n und Neuen Testament enthalten 68 — keineswegs als ernst genommene Maxime so selbstverständlich, und wäre selbst i n Europa vor 100 Jahren noch durchaus nicht allgemein akzeptiert worden, man denke nur an das Persistieren feudaler Auffassungen und die weite Verbreitung des Rentnerideals. Alexis de Tocqueville notiert noch als besonders bemerkenswert für Amerika: „Fast alle Amerikaner müssen einen Beruf ausüben 69 ." W i r haben hier, wie Max Weber i n seinen berühmten Ausführungen gezeigt hat 7 0 , bekanntlich die breiten Einflüsse eines säkularisierten Puritanismus. Daß die Gleichstellung der Rassen heute ein mondiales Postulat darstellt, zeigt sich an der schwierigen außenpolitischen Situation der Südafrikanischen Union, obwohl auch dieses Land die Diskriminierung nicht zu seiner offiziellen Politik erhob, sondern nur praktiziert, während Bekenntnisse zur Gleichberechtigung abgegeben werden. Ob die Rassenintegration i n den USA ohne die Aufmerksamkeit, m i t der die „Weltöffentlichkeit" daran teilnimmt, in gleicher Weise voranschritte, ist die Frage. Als ein bekanntes Regime noch bis vor 20 Jahren (welch kurze Zeitspanne in der Weltgeschichte) die Diskriminierung von Rassen und Völkern als Teil seiner offiziellen Doktrinen vertrat, hatte es sich schon damit hoffnungslos isoliert. Es gibt also so etwas wie eine Weltmeinung, und wer sie hochmütig ignoriert, kann dadurch zu Schaden und Fall kommen. Das zweite deutsche Kaiserreich, i n seiner Außenpolitik vor allem seit Bismarcks 67 M a n denke auch an das Lob des Nichtstuns, das „ W u - W e i " von Laotse: „Tue nichts u n d alles ist getan", oder „die Welt erobern w o l l e n durch H a n deln: Ich habe erlebt, daß das mißlingt." 68 Vgl. die berühmte Stelle 1. Mose 3,19. Noch schroffer ausgedrückt i m 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher, i m 3. Kap. 10: „So jemand nicht w i l l arbeiten, der soll nicht essen"; später wörtlich eine sozialistische H a u p t forderung. 69 Alexis de Tocqueville: Die Demokratie i n Amerika, F r a n k f u r t 1956, S. 38. 70 M a x Weber: Die protestantische E t h i k u n d der Geist des Kapitalismus, i n „Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie", Tübingen 1922. Die bekannte Hauptthese, m i t der sich u.a. auch R . H . Tawney i n „Religion u n d Frühkapitalismus", deutsch Bern 1946, auseinandergesetzt hat, ist als A n t i these z. B. auf den Vulgärmarxismus dringend nötig gewesen; sie w i r d aber auch ihrerseits simplifiziert u n d überbewertet.
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Abgang für Nuancen und Imponderabilien nicht empfänglich, hat dies bereits vor 1914 erleben müssen, wo das Staatsoberhaupt zwar, wie aus den Quellen hervorgeht, keinen kriegerischen Konflikt wünschte, jedoch auf die Geschmacksnerven der Welt, insbesondere auch der damals führenden Kreise, mit seinem Bramarbasieren unangenehm w i r k t e und daher gute Ansätze für Propaganda bot. Auch was der Einmarsch i n das neutrale Belgien und die Kommentare Bethmann Hollwegs dazu i n dieser Hinsicht bedeuteten, ist i n seiner Tragweite zu spät erkannt worden. Von dem zweiten Weltkrieg i n diesem Zusammenhang zu sprechen, erübrigt sich, das Verdikt der Geschichte war deutlich genug. Diese sogenannte Weltöffentlichkeit ist also auch für die auswärtige K u l t u r politik der einzelnen Staaten von großer Bedeutung, die sie einerseits hindert und fördert, während sie andererseits selbst durch mannigfache Einzelaktionen und kulturelle Emanationen, wenn man das Geplante und das Spontane vielleicht einmal so trennen darf, beeinflußt w i r d ; ihr freilich schwer zu messendes Potential w i r d noch nicht genügend berücksichtigt. Diese öffentliche Weltmeinung entsteht und wächst ebenfalls nicht gleichmäßig und rätselhaft, sondern sie w i r d sowohl durch die bereits obengenannten Massenmedien, als auch offensichtlich von einzelnen bevorzugten regionalen Zentren aus mehr oder weniger planmäßig geformt. W i r wissen, daß innerhalb der einzelnen Staaten heute meist die Hauptstädte die Meinungen überwiegend beeinflussen. Das klassische, immer wieder zitierte Beispiel ist Paris, demgegenüber das übrige Frankreich i m Hinblick auf fast alle Gebiete der Meinungsbildung immer noch „quantité négligeable" ist. Ein Beispiel fehlender Polarisation stellt die deutsche Bundesrepublik dar, wo mangelnde Stilbildung, Unsicherheit und Unbefriedigtsein i n kultureller Hinsicht vielfach dem Fehlen einer solchen Metropole zugeschrieben werden. Jedenfalls geht auch die Formung der Weltöffentlichkeit von Zentren aus vor sich. New York, Moskau, London oder Paris sind hier (bereits oder noch) in vieler Hinsicht tonangebend, und indirekt durch diese Leitbilder werden es dann die dortigen Schöpfungen, aber auch Heterogenes, was dort jeweils hoch i m Kurs steht. Dabei werden sich verschiedene Kulturgebiete nach jeweils verschiedenen Polen h i n orientieren, können sie verschiedene, sich teilweise überschneidende Ausstrahlungsradien bilden. Mag sich eines Tages die Ubiquität eines eindeutigen und einzigen Machtzentrums mit entsprechenden Konsequenzen für die Weltmeinung herausbilden, heute ist dies noch nicht der Fall. W i r haben daher zu untersuchen: einmal für welche Gebiete regional ganz allgemein, zum anderen für welche kulturellen Domänen die einzelnen Metropolen Leitbildcharakter haben. Letzteres läßt sich z. B. für die Malerei immer noch von Paris sagen. So ließe sich feststellen, welche Bühnen einiger weniger Städte über den Welterfolg von Stücken und Schauspielern
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entscheiden oder untersuchen, ob es Entsprechendes, mutatis mutandis, auf dem Gebiet der Literatur gibt. Inwieweit sonstige Machtpositionen dabei jeweils mitspielen, sich die verschiedenen Stränge des Einflusses miteinander verflechten, auch ohne daß sie prima vista miteinander i n Verbindung stehen, das sind fesselnde Fragen, denen w i r weiter unten noch nachgehen wollen. Auch daraus w i r d sich ergeben, daß auswärtige Kulturpolitik ohne genauere Kenntnis der sozialen Mechanismen der Meinungsbildung, seien sie bewußt oder unbewußt, rational oder irrational, nicht optimal wirken kann. Und bei allem Bemühen, einige Züge der wachsenden Weltöffentlichkeit für unser Thema zu fassen: Unter ihrem dünnen Baldachin leben weiterhin die Völker und Gesellschaftsgruppen m i t ihren den einzelnen ungleich stärker angehenden spezifischen Anliegen und Problemen hic et nunc und ihren darauf bezogenen nur schwer und langsam wandelbaren Meinungen.
Fünftes Kapitel
Destinatäre im Ausland Jede auswärtige Kulturpolitik hat sich, wie dies heute auch sonst für planmäßige Werbung selbstverständlich ist, die Frage vorzulegen, an welche Kreise sie sich wenden w i l l . Hierbei werden einmal, wie w i r sahen, schon bestimmte Länder und Regionen bevorzugt werden, die für den K u l t u r p o l i t i k treibenden Staat aus den verschiedensten Gründen besondere Bedeutung haben. Aber auch was die K u l t u r p o l i t i k i n einem bestimmten Lande angeht, so sind dieses und seine Bevölkerung ja keine amorphe Masse, über die man eine praefabrizierte Kulturwerbung gleichsam „ausgießen" dürfte — i n praxi w i r d dies oft so gehandhabt —, sondern es sind i n jedem Volk verschiedene Schichten zu erkennen, die auch als Adressaten unterschieden und m i t ihren besonderen Bedürfnissen berücksichtigt werden müssen. 1. Machteliten und Oberschichten Wenn hier die Ansicht vertreten wird, daß es immer mehr oder weniger ausgeprägte und umfangreiche Machteliten gegeben hat, so befinden w i r uns mit dieser Auffassung bekanntlich i n prominenter Gesellschaft 1 . Schon bei Tieren findet man, worüber w i r seit längerer Zeit wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse besitzen, differenzierte Rangordnungen, z. B. auf dem Hühnerhof, wo jeweils genau feststeht, wer wen hacken darf (die sogenannte „Hackregel"). Es ist wissenschaftlich nicht zu beweisen, daß es bei den Hominiden generell je anders war; und es erscheint wie eine Nachwirkung von J. J. Rousseau, wenn man argumentiert, der Urzustand der Menschheit sei friedlich und harmonisch gewesen, dann durch Überlagerungen zerstört worden, wodurch — man hat i n diesem Zusammenhang geradezu von einem menschheitlichen „Sündenfall" gesprochen — geschichtete Machtstrukturen hergestellt und bis auf unsere Tage bewahrt wurden. W i r halten dafür, daß es auch i n der vorausschaubaren Zukunft Machteliten geben wird. Die Frage ist bekanntlich umstritten. Man kann für einen „zunehmenden 1 W i r weisen i n diesem Zusammenhang besonders auf Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto, M a x Weber, Roberto Michels u n d C. W r i g h t Mills hin, u m n u r einige Autoren des X X . Jahrhunderts zu nennen.
1. Machteliten und Oberschichten
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Abbau der Machtunterschiede" mancherlei anführen, z. B. die Demokratisierung i n der Politik, die zunehmende rechtliche Gleichstellung der Frau, die Milderung der Erziehung usw. So kam beispielsweise Alfred Vierkandt, allerdings vor über einer Generation, zu der Überzeugung, daß „das klassische Zeitalter der Macht heute zur Rüste" gehe2. Auch Alexander Rüstow glaubte bekanntlich an eine immer größere Zunahme der Solidarität, von dem eschatologischen Glauben der Marxisten zu schweigen. Der Gedanke berührt natürlich sehr sympathisch. Aber wie schwierig ist es, Macht — sowieso, wie schon Max Weber sah, ein amorpher Begriff — genauer zu ermessen, womit man allein den Rückgang einwandfrei konstatieren könnte. Wissenschaftlich kann man lediglich sagen: Einige Anzeichen sprechen dafür, daß der ostentative Machtgebrauch zurückgeht, aber auch i n dieser Hinsicht stellen w i r nur ungern Prognosen. W i r schätzen den i n letzter Zeit besonders durch C. W. Mills verbreiteten Terminus der „Machtelite" 3 wegen seiner Eindeutigkeit, obwohl er für denjenigen, welcher Elite und herrschende Machtgruppe i n einem sozialen Gesamt sowieso schon gleichsetzt, tautologisch w i r k t . Aber er macht doch gegenüber der um den Elitebegriff so leicht entstehenden Verwirrung deutlich, daß es hier nicht um irgendwelche ethisch hochstehenden Eliten („die Besten sollen herrschen") geht, so verdienstvoll auch die i n Hinblick darauf angestellten Überlegungen sein mögen; auch nicht u m die Eliten der verschiedenen „fachlichen" Sparten, sondern u m die faktischen Führungsschichten i m Staat. Wieder geht es nicht u m das Sollen, sondern u m das Sein, u m diejenigen Gruppen, welche sich erfolgreich Entscheidungen vorbehalten, die sie als für das gesamte Gesellschaftsgefüge und für sich selbst (was bewußt und unbewußt, wie die Wissenssoziologie lehrt, ineinandergeht) als wesentlich ansehen. Macht bedeutet nach Max Weber ja „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" 4 . Umfang und Grad der von einer solchen Elite ausgeübten Macht richtig zu erkennen, ist um so schwieriger, als der Betrachter dazu neigt, entweder die verschiedensten Ideologien zu akzeptieren, die sich vor die Machtmechanismen schieben5 oder andererseits einer verbreiteten Neigung zu vulgär2
A l f r e d Vierkandt: Kleine Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Stuttgart 1961, S. 47. Durch sein bekannt gewordenes u n d v i e l umstrittenes Werk „The Power Elite", Oxford University Press, 1956, w o r i n er die Verflechtungen der amerikanischen herrschenden Kreise insbesondere auf den politischen, wirtschaftlichen u n d militärischen Sektoren darzulegen trachtete. Gewisse Überzeichnungen sind dialektisch als Folge der Negierung einer herrschenden Schicht i n den U S A zu verstehen. 4 M a x Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a. a. O., S. 28 (§ 16). 5 Nach w i e vor bleiben hierzu Paretos Ausführungen über die „Derivationen" grundlegend, w e n n er auch bedeutende Vorläufer hat. 3
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5. Kap.: Destinatäre im Ausland
soziologischem Konstruieren oder einem Sozialmystizismus nachzugeben, einer Schwäche, die bereits erschütternde Konsequenzen gezeitigt hat. Aber an der Tatsache von i n welcher Form auch immer bestehenden Machteliten vorüberzugehen, scheint uns „Wishful thinking" der davon Ausgeschlossenen oder auch der sie naiv Genießenden. I n ihrem eigenen praktischen Verhalten machen meist auch diejenigen Theoretiker, die solche Machteliten leugnen, z. B. indem sie das Ideal einer klassenlosen Gesellschaft für realisiert erklären, durchaus Gebrauch von entsprechenden Erfahrungen und Einsichten. I n praxi weiß man dann sehr wohl, was bei uns Beziehungen zum „Palais Schaumburg", zu Parteiführungen, zu den Spitzen der Ministerialbürokratie der verschiedenen Ressorts, zum Bundesverband der Industrie oder zur Gewerkschaftsführung i n Düsseldorf bedeuten, um nur einige Machtzentren zu nennen. „ A n die Stelle einer geschlossenen Herrschaftsklasse mit gleichartigen Interessen" ist aber, wie Helge Pross für die fortgeschrittenen Industriegesellschaften richtig bemerkt 6 , „eine Vielzahl von Herrschaftsgruppen getreten". Auch sie sieht freilich die Möglichkeiten ihrer Verschmelzung. Diese sogenannten herrschenden Klassen, bei denen man mit Pareto und Eisermann zwischen einer „unmittelbar i n der gegebenen Gesellschaftspyramide die Herrschaft ausübenden Klasse und der nicht unmittelbar die Herrschaft ausübenden" 7 unterscheiden kann (denken w i r beispielsweise an die „leisure dass" von Thorstein Vehlen), treten i n mannigfaltigen Formen i n Erscheinung. Von den Despoten und Desperados, die ihre Herrschaft möglichst deutlich ausprägen wollen, führen zahlreiche Schattierungen und Couleurs bis zu jenen Arten, die ihre Herrschaftsrolle überhaupt bona oder mala fide leugnen. „They have learned that i n modern America you can exert power only by denying you have ist", heißt es i n einer bekannten Publikation von Vance Packard über die Herrschaftsschicht i n den USA 8 . Untersuchungen von Herrschaftsschichten und Formen sind hier nicht unsere Aufgabe. Aber eines ist generell festzuhalten: Wo sich Wohlstand mit einem bestimmten Maß an Muße paart, bestehen auch Möglichkeiten der kulturellen Konzeption und Hochentwicklung, die bis heute noch keine Gesamtgesellschaft hat erhalten können. „Auch i n der Massendemokratie", bemerkt K a r l Mannheim i n ähnlichem Zusammenhang einmal zutreffend, „kommt es nur dann zur kulturellen Verfeinerung — wie z. B. i n Kunst und Mode —, wenn vorher kleine geschmacksbildende Kennergruppen entstanden sind, die dann den Inhalt und die 6 Helge Pross: Z u m Begriff der Pluralistischen Gesellschaft, i n : Zeugnisse, Th. W. Adorno zum 60. Geburtstag 1963, S. 441. 7 G. Eisermann: Die Lehre v o n der Gesellschaft, a. a. O., S. 92. 8 Vance Packard: The Status Seekers, N e w Y o r k 1961, Giant Cardinal Edition, S. 19.
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Methode der Verfeinerung langsam an die übrige Gesellschaft verbreiten 9 ." Das heißt freilich weniger aktiv verbreiten, z. B. durch Erziehung und Organisation, sondern — was vielleicht wichtiger ist — auf dem Wege des Vorbild-Schaffens einer größeren Gemeinschaft zur Nachahmung empfehlen. Moden der verschiedenen A r t gingen so bisher meist von der maßgebenden, herrschenden Schicht aus und fanden von dort aus als „gesunkenes K u l t u r g u t " den Weg i n weitere Schichten, die sich nach den Zentren der Macht, der angeblichen Vornehmheit und Instruiertheit orientieren. Nachdem man eine Zeitlang i n der sozialwissenschaftlichen Theorie den Komplex der Nachahmung überstrapaziert hat, ist gegenwärtig das Pendel ins andere Extrem geschwungen. Aber das sogenannte „Ideomotorische Gesetz", welches der englische Anatom und Physiologe William Benjamin Carpenter bereits vor einem Jahrhundert erstmalig formulierte und welches besagt, daß jede Wahrnehmung oder Vorstellung einer Bewegung i m Wahrnehmenden (oder Vorstellenden) einen unwiderstehlichen Antrieb zur Ausführung dieser Bewegung hervorruft, herrscht nach wie vor i n weiten zwischenmenschlichen Bereichen; wenn es auch insofern ergänzt werden muß, als, worauf besonders W. Hellpach hingewiesen hat, Spiegel- bzw. Fluchtreakte vorkommen. Auch müssen w i r m i t Hellpach 10 zwischen absichtlicher und bewußter Nachbildung eines Verhaltens anderer und dem elementaren „ M i t ergriffenwerden", gehe es stürmisch (Panik!) oder infinitesimal (unbewußte Anformung) vor sich, unterscheiden. Das „Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das habt ihr i h m glücklich abgeguckt" aus dem 6. A u f t r i t t von „Wallensteins Lager" umfaßt beides. Neben A n gleichungsphänomenen, denen mit der „Contrainte Sociale" Emile Dürkheims weit besser beizukommen ist (weil sich der der herrschenden Tendenz Widerstrebende oder sie Ignorierende damit außerhalb seiner Gruppe stellt und sich dann die entsprechenden sozialen Sanktionen zuzieht), bleiben andere Erscheinungen, die m i t Nachahmung leichter zu erklären sind: Etwa der Einfluß der Hofkostüme des 17. und 18. Jahrhunderts auf die Mode bis i n die Volkstrachten hinein, die Ausbreitung des Zigarettenrauchens, das zunächst den „oberen Zehntausend" vorbehalten war, oder heute der Siegeszug des Whiskys i n Deutschland bis i n bäuerliche Verhältnisse hinein. Wie i n der modernen Physik einmal mit dieser, einmal mit jener Theorie gearbeitet w i r d (z. B. mit der Wellen- oder der Korpuskulartheorie, je nachdem, was jeweils praktischer ist), so braucht auch die Sozialwissenschaft nicht monoman und doktrinär zu werden. 9 K a r l Mannheim: Mensch u n d Gesellschaft i m Zeitalter des Umbaus, Darmstadt 1958, S. 97. 10 W. Hellpach: Sozialpsychologie, 2. Aufl., Stuttgart 1946, S. 180 f.
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U m nun aber zu unserem eigentlichen Thema zu kommen: Die k u l turelle Ausstrahlung und Einwirkung auf die herrschenden Schichten anderer Völker sind unter zwei Hauptgesichtspunkten von besonderem Interesse. Einmal ist die Einstellung dieser Schichten zu anderen Nationen unmittelbar wichtig, da sie auf zahlreiche politische, wirtschaftliche und militärische Entscheidungen direkten Einfluß haben. A u f die Bedeutung gefühlsmäßiger Einstellungen für angeblich rein rationale Entscheidungen und ein entsprechendes Handeln konnten w i r i m Unisono m i t bekannten soziologischen und psychologischen Theoretikern schon hinweisen. Man darf wohl die Ansicht vertreten, daß die Historie durch das Bestehen oder Fehlen solcher Affinitäten zu anderen Nationen bei Führungseliten wesentlich beeinflußt wird, da sie beispielsweise die Entwicklung auf mögliche kriegerische Verwicklungen hin fördern oder verhindern können; wobei solche Ereignisse dann gewaltige Zäsuren i n der Menschheitsgeschichte herbeizuführen vermögen. Post festum w i r d dann mit Recht gesagt, es habe eben alles so kommen müssen. Aber die eigentliche Frage ist ja stets, auf Grund welcher Kausalfaktoren die Entwicklung so verlief. Hier mag die Überlegung gestattet sein, ob nicht eine stärkere kulturelle Affinität der herrschenden Schichten fremder Nationen zur deutschen Kultur, ermöglicht durch eine ansprechendere und verständlichere Repräsentation ihrer Inhalte, eine andere politische Konstellation vor Ausbruch des ersten Weltkrieges ergeben, vielleicht sogar den Frieden erhalten hätte. Damit soll natürlich gar nichts gegen die gewichtige Rolle anderer Kausalfaktoren gesagt werden, aber wo die Parzen noch unschlüssig scheinen, spielen eben auch manche der sogenannten „Imponderabilien" ihre Rolle, die in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so „imponderabel" sind. Zum andern müssen w i r die Rolle der direkt oder indirekt herrschenden „tonangebenden" Schichten für die Orientierung der Gesamtgesellschaft eines Landes verstehen. „The propaganda of culture is i n great part an inculation of new tastes, or rather of a new schedule of proprieties, which have been adapted to the upperclass scheme of life under the guidance of the leisure-class formulation of the principles of status and pecuniary decency", bemerkte schon um die Jahrhundertwende Thorstein Vehlen 11, und dies gilt weiterhin. Es hat so gewiß auch politische Bedeutung, ob die Gattin des Präsidenten der USA i m „Weißen Haus" zu Washington und die Damen der amerikanischen Oberschicht französische K u l t u r und Kunst verehren und damit ein Beispiel für die „Women-Clubs" i m kleinsten Prairiestädtchen geben. Präsident de Gaulle weiß dies sehr wohl, wenn er die Mona Lisa aus dem Louvre über den Atlantik schickt und damit seinen politischen Toleranzspiel11 Thorstein Vehlen: The Theory of the Leisure Class, New Y o r k 1899; zitiert nach der Mentor Book-Ausgabe 1953. Eine Fülle weiterer Bemerkungen hierzu i m K a p i t e l 6: „Pecuniary Canons of Taste".
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räum erweitert. Welche symptomatische Bedeutung es beispielsweise hat und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, daß i n der jüngeren Generation gerade der deutschen Oberschicht Autochthones weniger ästimiert wird, ist eine nicht ganz nebensächliche Frage. Man sollte sie möglichst wertfrei und ohne Ressentiments stellen und zu beantworten suchen, wobei auch historische Parallelen gezogen werden können. Die Überschrift unseres Abschnitts lautet „Machteliten und Oberschichten". Diese Formulierung hat nur dann Sinn, wenn w i r in Machteliten und Oberschichten etwas begrifflich Verschiedenes sehen. Das ist grundsätzlich auch der Fall und w i r halten es für richtig, daß die Soziologie eine solche Unterscheidung zur Hand hat. Besonders für den Fall, daß beides auseinanderklafft, wie etwa bei politischen Umstürzen, wo sich einige Desperados gewaltsam die Macht angeeignet haben, aber die alte Ober schickt daneben erhalten bleibt; oder für solche Gesellschaftsordnungen, wo, wie i n genossenschaftlichen Sozialstrukturen primitiver Stämme, zwar von Machtzentren (Sitzen der Häuptlinge oder der Zauberer), aber nicht von eigentlichen Oberschichten gesprochen werden kann. I m Hinblick auf unser Thema w i r d aber beides praktisch meist zusammenfallen. W i l l man die Unterscheidung von Machtelite und Oberschicht i n unserem Zusammenhang aufrechterhalten, so könnte man sagen, daß die kulturelle Werbung um erstere eher der praktischen Politik, die Begegnung der Oberschicht m i t der jeweiligen fremden K u l t u r eher auf lange Sicht der Verbreitung der betreffenden K u l t u r güter von oben ausstrahlend in weitere Schichten des Gastlandes hinein dienen wird. Aber diese Überlegungen erscheinen vielleicht, wo w i r die Realitäten erfassen wollen, als zu subtil, mögen sie auch als Gesichtspunkt stehenbleiben. I n beiden Fällen geht es dabei u m „Schlüsselgruppen" der Meinungsbildung. Der Umfang der Ausstrahlung über die eigene Schicht hinaus hängt dabei von der sozio-kulturellen Situation ab. Der Eingang, den ausländische Kulturgüter bei den Oberschichten anderer Länder finden, w i r d nun durch verschiedene Faktoren erleichtert. Einmal haben länger etablierte Oberschichten i n der Regel eine bessere Ausbildung erhalten (nicht immer dagegen die möglicherweise aus proletarischen oder proletaroiden Schichten stammenden Machteliten), zu der auch nicht zuletzt Kenntnisse i n Fremdsprachen gehören. Hier haben diejenigen Nationen, welche Nationalsprachen besitzen, die an ausländischen Schulen als Weltsprachen gelehrt werden, sehr viel leichteren Zugang. Auch sonst bietet höhere Bildung naturgemäß manche Ansatzpunkte: So sind die Angehörigen der Oberschicht vielfach i m Ausland gereist, haben sich dort zu Studien aufgehalten oder sind an solchen Möglichkeiten für die Zukunft interessiert. Sie schätzen die sogenannte höhere Bildung, zeigen Interesse an Kunst und Literatur, wobei die Frauen nicht selten vorangehen, und haben Leistungen 10 Emge
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anderer Nationen, ihre Literatur, bildende Kunst, Musik schon i n einigen Erzeugnissen kennengelernt. Auch verfügen Oberschichten nicht selten über internationale Beziehungen, z.B. beruflicher, kommerzieller oder verwandtschaftlicher A r t — d e n k e n w i r als prototypisch dafür an den europäischen Hochadel oder führende jüdische Familien —, was alles leichteren Zugang auch zu ausländischer K u l t u r ermöglicht, es dieser andersherum betrachtet erleichtert, Eingang i m Gastland zu finden. Walther Rathenau betrachtete einmal nostalgisch die alte europäische kosmopolite Oberschicht: „Diese Freizügigkeit der Oberen stieß nicht auf nationale Kulturgegensätze. Wohin sie sich wendete, traf sie die gleiche Glaubensherrschaft der Kirche, die gleichen ritterlichen Gebräuche, die gleiche Sprache der Gebildeten, den gleichen Inhalt der Bildung und K u l t u r . Der Begriff der Nationalität wurde nur undeutlich, etwa i m Sinne einer Sprachabgrenzung, empfunden." Und er fährt kontrastierend fort: „Der Niedergeborene hat nur Eine Heimat, Eine Sprache, Einen Glauben, Eine Überlieferung, die seiner Väter. Das Fremde ist i h m unverständlich und verhaßt 12 ." Nationalistische Regime haben daher nicht selten die Oberschicht ihres eigenen Landes als suspekt betrachtet, als Medium für unerwünschte fremde Infiltrationen. Es wäre lohnend, i n diesem Zusammenhang zu untersuchen, wie sich die soziale Klassen-, Berufs- und Schichtzugehörigkeit über die Grenzen hinweg zu den nationalen Bindungen verhält, doch erforderte das eine Spezialstudie. Dagegen mögen Überlegungen über den sogenannten Snob-Appeal hier gestattet sein. Exkurs über den „Snob Appeal" Was verstehen w i r unter diesem angelsächsischen Terminus, der zwar eine negative, zumindest leicht ironische Klangfarbe hat, aber auf einen Tatbestand zielt, der für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben auch unserer Gegenwart von großer Bedeutung ist. Untersuchungen über den etymologischen Ursprung des Wortes Snob (möglicherweise aus dem i n englischen Universitätslisten registrierten „sine nobilitate" = s. nob. entstanden) haben zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Festzustellen ist, daß besonders seit dem Erscheinen von W. Thackeray's „Book of Snobs" (1848) darunter eine Person verstanden wird, die sich, wie der Große Brockhaus es formuliert, „ m i t übertriebener Hochachtung vor Vornehmheit und Reichtum, den Anschein einer höheren gesellschaftlichen Stellung zu geben sucht, als ihr nach Herkunft und M i t t e l n zukommt 1 3 ." Der „Snob Appeal" ist dann also der oft 12
W. Rathenau: V o n kommenden Dingen, Berlin 1917, S. 236. 15. Aufl. 1928—35. W i r registrieren, daß hier noch die H e r k u n f t als eine selbstverständliche Determinante der gesellschaftlichen Stellung angesehen wird! 13
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genau berechnete und i m organisierten Werbewesen industrieller Gesellschaften perfektionierte Appell an diese Eigenschaften. „ V i e l zuviel Wert auf die Meinung anderer zu legen, ist ein allgemein herrschender Irrwahn", schreibt Schopenhauer i n dem für unser Thema anregenden Kapitel „Von dem, was Einer vorstellt" seiner berühmten „Aphorismen zur Lebensweisheit" (1850 vollendet) und fährt dann etwas weiter unten fort: „Dieser Wahn bietet allerdings dem, der die Menschen zu beherrschen oder sonst zu lenken hat, eine bequeme Handhabe dar 1 4 ." Und grundsätzlich richtig sieht er i m gleichen Zusammenhang, daß ohne unsere Eitelkeiten und Prätentionen, „unser Prunken und Großtun" der Luxus „kaum Vio" dessen sein würde, was er ist. Damit, daß man entsprechenden gesellschaftlichen Erscheinungen als angeblich zu unseriös das wissenschaftliche Interesse versagt, kann man ihre Bedeutung nicht aus der Welt schaffen. Snobistische Tendenzen haben gelegentlich selbst Einfluß auf die Welthistorie, wenn man etwa an die deutsche, sich am Hof- und Militäradel fast lächerlich orientierende Oberschicht des angesehenen Bürgertums nach 1871 denkt; auch sind sie unter gewissen Umständen als Zeichen der Entspannung zu registrieren, wenn sie, wie gegenwärtig i n einigen Ostblockländern, gewissermaßen ein geringeres Übel, eine A r t von „humanem" Element i n einer sonst überwiegend von ideologischem Fanatismus bestimmten Gesellschaftsordnimg darstellen. I n der angelsächsischen wissenschaftlichen Literatur hat man, anders als i n Deutschland, keine Scheu davor, diese Dinge zu untersuchen. So hat ein Autor vom Hange eines Thorstein Vehlen i n seiner heute eine Renaissance erlebenden Untersuchung „The Theory of the Leisure Class 15 " glänzende Analysen zu unserem Thema besonders i m H i n blick auf die neureichen Oberschichten Amerikas der Jahrhundertwende vorgelegt. Vance Packard hat i n seinem Bestseller „The status seekers" (1959), w o r i n er entsprechenden Tendenzen i n der gesamten amerikanischen Gesellschaft nachspürt, den Ausdruck direkt zu einer Kapitalüberschrift verwendet. M i t C. N. Parkinsons „In-Laws & Out-Laws" (1962) begegnen w i r dann den Essays zu diesem Thema, wie sie i n England häufiger sind (z. B. von Nancy Mitford) und stoßen schließlich auf Fundgruben i n den entsprechenden Darstellungen i n Romanform, deren Ergiebigkeit seit Georg Lukäcs' literarischen Untersuchungen nicht mehr bezweifelt werden kann: Etwa bei Galsworthy, Wilde und Somerset Maugham, früher i n Frankreich bei Stendhal und Balzac. A u f dem Theater ging z.B. das unübertreffliche Paradigma des „Bourgeois Gentil14 A r t h u r Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit, Reclam-Ausgabe, 1949, S. 54. Das darin über die Aufrechterhaltung bestimmter Ehrenkodizes durch Staaten u n d Schichten Gesagte ist v o n hoher soziologischer Relevanz, bisher aber von unserer Fachwissenschaft nicht ausgewertet worden. 15 1. Aufl. 1899, M a c m i l l a n Co.
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homme" Moliere's voraus. Auch i m Märchen klingen schon ähnliche Töne an (Grimms Erzählung „Vom Fischer und sine Fru"). Snobismus ist also, wie unsere Beispiele zeigen, denen man ohne große Mühe noch antike Schriftsteller zeitlich w i r d voransetzen können, eine altbekannte Erscheinung, die i n allen höher entwickelten Kulturen auftritt. Doch ist unsere Hypothese, daß der rechte soziologische Spielraum für die Verbreitung dieser Erscheinung erst dann entsteht, wenn die alten Standesschranken sich auflösen und sich an die Stelle des Prestiges von Familie und Herkunft nicht nur dasjenige des Berufs, sondern auch dasjenige der materiellen M i t t e l schiebt (oder wenn ein umgekehrter Prozeß abläuft). Es wäre also dann, wenn w i r den Gedanken fortführen, der Snobismus als weiter verbreitetes Phänomen Symptom für eine offenere, zumindest stärker zirkulierende Gesellschaft. W i r glauben, daß man i n bestimmten Ubergangsphasen, wo sich die alten Standesstrukturen noch trotz bereits fortgeschrittener sozialer Mobilität erhalten haben, diese Einstellung (Fehieinstellung würden manche Schulen sagen) am stärksten und häufigsten ausgeprägt findet. Eine solche Hypothese könnte z. B. an Hand von Literatur und Korrespondenzen, die sich m i t dem Phänomen zu bestimmten Zeiten stärker, schwächer oder überhaupt nicht befassen, erhärtet werden. Sollten snobistische Tendenzen auch i n der amerikanischen Gesellschaft größeren U m fang haben, so würde das nach unserer Hypothese auf gewisse (noch oder schon) bestehende ständische Elemente hinweisen, eine fesselnde Thematik. Ist also das „sich den Anschein einer höheren gesellschaftlichen Stellung geben" entscheidendes Kriterium, so genügt es nicht, Reichtum zu besitzen, u m Prestige zu gewinnen, sondern man muß ihn auch zur Schau stellen. Dieses Ziel kann auf den verschiedensten Wegen und m i t mannigfaltigen M i t t e l n angestrebt werden: Anspruchsvolle Wohnung, Kleidung oder Schmuckstücke sind hierfür altbekannte Instrumente, ebenso wie Orden und Titulaturen. Die moderne Technik bietet m i t ihrer Hierarchie der Automobile, m i t Rundfunk- und Fernsehapparaten (es gibt i n den USA Fernsehapparate und -antennen, die reine Atrappen sind) immer neue Möglichkeiten, den gesellschaftlichen Status unter Beweis zu stellen. Urlaubsreisen i n Länder und Orte, die gerade „en vogue" sind, dienen dem gleichen Ziel. I n diesem Gesamtzusammenhang w i r d auch der Begriff der „Reference Group", der Bezugsgruppe, wichtig, den die amerikanische Soziologie (vor allem R. K . Merton) systematisch entwickelt und bekanntgemacht hat. Sie versteht darunter soziale Gruppen, deren Wertmaßstäbe und Verhaltensnormen sich Angehörige anderer Gruppen zu eigen machen, zumal wenn sie i n sie einzugehen wünschen. Dies w i r d i n der Regel die soziale Distanz zwischen den Außenstehenden und der „Re-
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ference Group" verringern, andererseits aber auch die Stellung der Betreffenden i n ihren bisherigen Eigengruppen belasten. Ob freilich generell die Distanz zu der erstrebten Bezugsgruppe verringert wird, was die amerikanische Forschung anzunehmen scheint, dürfte gerade i m Hinblick auf das Phänomen des Snobismus fraglich sein. I n bestimmten Fällen mag sich die Referenzgruppe gegen Aspiranten, die sie aus irgendwelchen Gründen ablehnt, nur desto prononcierter absetzen. Noch nicht fixierte Elemente der Situation setzen dann die genannte soziale Faustregel außer Kraft. Den verschiedenen Statussymbolen kommt nun i n der Gegenwart besondere Bedeutung zu, da w i r nicht nur eine sehr verstärkte soziologische Mobilität i n horizontaler und vertikaler Richtung feststellen können, sondern auch eine große Mobilität i n geographischer Beziehung. Der an einen anderen Ort neu Zugezogene muß dort i n der Regel auf das Sozialprestige Verzicht leisten, welches er an seinem alten Wohnort und welches u.U. schon seine Familie dort durch Generationen hindurch besessen haben mag. Er w i r d versuchen, es neu aufzubauen, wozu i h m neben seiner Berufsstellung eben auch die „conspicious consumption" (Vehlen), der auffällige Verbrauch dienen muß. Wo das Sozialprestige dagegen gesichert ist, fällt diese Notwendigkeit fort, was sich nicht selten an der bescheidenen Lebensführung z. B. von Universitätsprofessoren (berufliches Prestige) oder auch heute noch mancher alteingesessener Geschlechter (Familienprestige) zeigt. I n manchen Fällen w i r d man dabei sogar die Symptome eines „e contrario" bewußt betonten Schäbigkeits-, zumindest Schlichtheitsprinzips feststellen können. Die Relevanz des Komplexes „Snob Appeal" für unser umfassenderes Thema liegt auf der Hand. Wenn die Kreise, denen man sich i n den verschiedenen Ländern anzugleichen trachtet, bestimmte Elemente fremder Kulturen hochschätzen, sie sich aneignen, w i r d diesen auch, wie w i r schon i m Abschnitt über Machteliten und Oberschichten sahen, daraus eine über solche engeren Kreise hinausgehende Bedeutung erwachsen. So gibt es einen Snob-Appeal für Sprachen, für Kleidermoden, für Musik und Malerei. „Man" studierte eben, wenn man zur englischen Oberklasse gehörte, vor dem ersten Weltkrieg Gesang i n Deutschland, entsprechend ging man als bildender Künstler nach Paris oder München. Bestimmte Länder und Hochschulen sind so auch — nicht immer der Qualität des Gebotenen i n allen Fächern entsprechend — zur wissenschaftlichen Ausbildung Mode i n Kreisen, die auf sich halten. So ging man u m die Jahrhundertwende nach Berlin oder Leipzig, so geht man heute nach den USA, auch i n Fächern, w o r i n dort wenig geboten wird. Man kauft französische Impressionisten, trägt englische Anzüge, hat bestimmte Schriftsteller zu kennen, andere nicht.
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Es ist für die deutsche auswärtige Politik von Bedeutung, sich klarzumachen, daß w i r nach zwei verlorenen Kriegen und allem was geschehen ist, i n den weitgehend international orientierten gesellschaftlich tonangebenden Oberschichten eine geringe Rolle spielen, daß dort unsere kulturellen Leistungen weitgehend unbekannt sind — von einigen klassischen Komponisten abgesehen, die i m Unterschied zu den französischen Impressionisten aber ihrer Nationalität gleichsam entkleidet sind. Eine solche Feststellung hat m i t der Frage, inwieweit derartige Schichten urteilsfähig sind und i n der Sache maßgebend sein sollten, nichts zu tun. Auch i m Inland werden bedeutende kulturelle Leistungen oft verkannt, nicht selten für immer. Die Feststellung des Geschmacks derjenigen, welche die „Reference Group" für den SnobAppeal bilden, ist lediglich ein allerdings wichtiger Bestandteil der Analyse kultureller Situationen. 2. Die Intellektuellen Diese i n ihrer Abgrenzung und Kennzeichnung umstrittenen Gruppen 16 gehören teilweise zu den bereits behandelten Oberschichten. Doch gilt dies nur für ihren kleineren Teil und sie setzen sich i n manchen Sozialsystemen über die Mittelschichten bis i n proletaroide Kreise hinein fort, sinken auch intermittierend — z. B. i n Zeiten größerer A r beitslosigkeit — dorthin ab; man kann selbst einige am Rande der Gesellschaft i n Formen der „Bohème" lebende Kreise i n mancher Beziehung dazurechnen. Diese Gruppen der „Intellektuellen" sind für unser Thema „Schlüsselfiguren". W i r sprechen nicht von „Intelligenz", w e i l der deutsche Sprachgebrauch überwiegend darunter auch die breiten, gewissermaßen „technischen" Führungsgruppen m i t höherer Ausbildung subsumiert. Diese Experten der verschiedenen Gebiete, funktionale Eliten, haben sich entsprechend dem wachsenden Bedarf i n der Produktionssphäre, sowie i n der staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltung i n unserem Jahrhundert laufend vermehrt. Die praktizierenden Juristen, Volkswirtschaftler, Physiker, Diplomingenieure und Architekten gehören m i t vielen anderen Berufsgruppen hierher. Uns geht es aber für unser Thema weniger u m diese allgemeine, höhere Fachgeschultheit, so wichtig sie ist, (man kann sie am besten 16 Vgl. zur L i t e r a t u r : Theodor Geiger: Aufgaben u n d Stellung der I n t e l l i genz i n der Gesellschaft, Stuttgart 1949. Louis Bodin: Les Intellectuels, Paris 1962. Polemisch: Julien Benda: L a Trahision des clercs, Paris 1927 u n d Raymond A r o n : L ' o p i u m des intellectuels, Paris 1955 (deutsch: O p i u m f ü r I n t e l lektuelle, oder die Sucht nach Weltanschauung, K ö l n - B e r l i n 1957). Jüngst: René König: V o m Beruf des Intellektuellen, i n : Soziologische Orientierungen, K ö l n u n d B e r l i n 1965, S. 235—257. Robert Mertons A r b e i t : Role of the Intellect u a l i n Public Bureaucracy (aufgenommen i n : Social Theory and Social Structure) nannten w i r bereits.
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über ihre Berufsorganisationen und m i t fachlichen Fragen ansprechen), sondern wesentlich mehr u m die i n einem engeren Sinne Intellektuellen. Das heißt u m eine Schicht, die sich auch ihrer eigenen Intentio nach als wesentlich kulturtragend, als für die kulturelle Entwicklung verantwortlich empfindet. Eine klare Begriffsbestimmung des Intellektuellen ist bisher nicht möglich gewesen. Aber es w i r d sich hier vorzugsweise um Hochschullehrer, Lehrer, Geistliche, Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Künstler, sowie Buch- und Kunsthändler handeln. Z u diesen rechnen dann natürlich Teile der obengenannten funktionalen Eliten, wie andererseits keineswegs alle Dozenten, Geistliche oder Verleger als Intellektuelle i n unserem engeren Sinne anzusprechen sind. Hieraus ergibt sich, daß es für den Intellektuellen, welchen w i r hier ins Auge fassen, auch subjektive Kriterien gibt: er muß sich selbst als geistigen Menschen empfinden, an geistigen Dingen wirklich A n t e i l nehmen. W i r könnten so idealtypisch von den Intellektuellen sprechen, die „sich engagieren", i n welcher Weise auch immer, i m Unterschied zu derjenigen Intelligenz, die nur von Institutionen engagiert ist. Es ist i n diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß der Begriff des Intellektuellen jung ist, i n Frankreich erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bekannt wurde, als nämlich i m Zusammenhang m i t der Dreyfus-Affäre i n der Zeitung „L* Aurore" ein „Manifest des intellectuels" veröffentlicht wurde, ein Aufruf, welcher gegen Rechtsverletzungen und Unklarheiten des berüchtigten Prozesses protestierte und die Unterschriften zahlreicher Prominenter des französischen Geisteslebens t r u g (Emile Zola, Anatole France, Marcel Proust, Léon Blum u. v. a.) 17 . Über die Stellung der Intellektuellen i n der Gesamtgesellschaft ist besonders i m Zusammenhang m i t Elitestudien nachgedacht und geschrieben worden, i m Grunde seit Plato seinen berühmten Satz von den Königen und Philosophen formulierte. Z u unserer Zeit lag das Thema i n Deutschland u. a. Max und Alfred Weber, Max Scheler, K a r l Mannheim und Theodor Geiger am Herzen. Die große Zeit der Intellektuellen war diejenige des 18. Jahrhunderts i n Frankreich, wo sie der Revolution den Weg bahnten, eine Tatsache, die Jean-Paul Sartre zu der Bemerkung veranlaßte, „la classe au pouvoir, après u n siècle et demi, nous fait encore l'honneur de nous craindre un peu", wobei er freilich dann i n Klammern hinzusetzt „très peu" 1 8 . I m Mittelalter ausgesprochen kosmopolitisch, waren die Intellektuellen später Geburtshelfer des Nationalismus. Für die russische Geschichte der letzten 100 Jahre ist die zentrale Rolle der „Intelligentsia" evident. I n jeder Nation und zu den verschiedenen historischen Zeitpunkten ist die Stellung der sog. Intellektuellen verschieden und Generalisierungen sind daher schwierig. So ist 17 18
Louis Bodin, 1. c., S. 6. Mitgeteilt 1. c., S. 18.
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das bekannte Wort von der sog. „sozial frei schwebenden Intelligenz" (Alfred Weber und K a r l Mannheim) heuristisch zwar einmal fruchtbar gewesen und nötig gegenüber dem Glauben an einen wissenssoziologischen Determinus des Materiellen, führt aber doch auch leicht i n die Irre. Daß sich besitzlose Intelligenz, die nichts zu verlieren hat, radikalen politischen Strömungen m i t Vorliebe anschließt, ist altbekannt. Schon Bismarck sah dies klar: „Die Vorarbeiter der Revolution rekrutierten sich bei uns ziemlich ausschließlich aus dem gelehrten Proletariat (man beachte die gleichsinnige Benutzung dieses Terminus wie bei K a r l Marx) . . . Es sind die studierten und hochgebildeten Herrn ohne Besitz 19 ." Julien Benda hat i n seinem Buch „ L a trahision des clercs" (1927) das Überlaufen der Intellektuellen zum radikalen Nationalismus, Raymond Aron i n seinem „L'Opium des Intellectuels" (1955) ihre Schwäche für den Kommunismus aufgezeigt. Demgegenüber postulierte Theodor Geiger drei Funktionen der Intelligenz, nämlich neben der Vergeistigung des Daseins und der Rationalisierung des Lebens auch die K r i t i k an der Macht, und er hält besonders die Erfüllung des letzten Auftrags für die vornehmste Pflicht des I n t e l l e k t u e l l e n 2 0 . Es ist nun die Frage, ob i n fortgeschrittenen Industriegesellschaften eine wahrhaft unabhängige Schicht kultureller Persönlichkeiten überhaupt noch möglich ist, da sie alle, auf ihr laufendes Einkommen angewiesen, zu mehr oder weniger gutbezahlten Experten und Werkzeugen verschiedener Machtgruppen werden. Das Ringen u m geistige Freiheit können w i r täglich an den Universitäten und bei einigen unserer besten Schriftsteller und Journalisten verfolgen. Von solchen Verhaltensweisen gehen seit dem Zeitalter des Sokrates immer wieder Wirkungen aus, die auch sozial recht relevant werden können. Hierauf hat besonders Alfred v. Martin hingewiesen 21 . I n diesem Zusammenhang unterscheidet Ralf Dahrendorf drei typische Haltungen der deutschen Intelligenz zu Staat und Gesellschaft, die er an Goethe, Hölderlin und Heine exemplifiziert, wobei die erste Haltung das Arrangement m i t den herrschenden Schichten, die zweite die unpolitische Abkapselung und die dritte die Separation, die virulente K r i t i k an der eigenen Nation bis zur auch physischen Emigration bedeutet 22 . Demgegenüber w i r d der Typ des Intellektuellen, der sich als Mitglied seiner Gesellschaft weiß und fühlt, aber dabei kritisch bleibt, bei uns oft ver19 I n einem Brief v o m 4. 8.1879 an K ö n i g L u d w i g v. Bayern, abgedruckt i m 18. K a p i t e l der „Gedanken u n d Erinnerungen". 20 Von einem ähnlichen Standpunkt aus, aber die Aufgabe weiter fassend, spricht René König von „seiner ursprünglichen F u n k t i o n als A n a l y t i k e r u n d K r i t i k e r menschlicher Verhältnisse" (Soziologische Orientierungen, a.a.O., S. 244). 21 Unter dem von i h m bearbeiteten Stichwort „Intelligenz" i m „Wörterbuch der Soziologie", a. a. O., S. 235—242. 22 Gesellschaft u n d Freiheit, München, 1961, S. 288 ff.
2. Die Intellektuellen
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mißt. Doch ist auch i n anderen Ländern die Stellung des Intellektuellen problematisch, z. B. bekanntermaßen i n England, worauf George Orwell drastisch hingewiesen hat. M i t Sorgen denken w i r auch an einige Entwicklungsländer, deren i m Ausland erzogene und ihren heimatlichen Traditionen entfremdete Intellektuelle zum Teil nach ihrer Rückkehr trotz ihrer akademischen Grade ein proletarisiertes Arbeitslosenheer vermehren und so i n bekannter Weise die Radikalisierung vorantreiben. Der jetzt unisono geforderte Ausbau von Bildungseinrichtungen i n den Entwicklungsländern selbst soll wenigstens den Gefahren der Entwurzelung entgegenwirken. Ziehen w i r festere Verbindungslinien zwischen unserem umfassenderen Thema der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k und dem hier über die Intellektuellen Gesagten, so ergibt sich zunächst: Ebenso wie diese Gruppen als selbstverständliche, spontane oder speziell beauftragte Träger der Kulturarbeit i m Ausland wirken, sind sie auch die hauptsächlichen direkten Destinatäre i m Gastland. Denn sie sind i m gesamten Erziehungs- und Bildungswesen tätig, als Verleger von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, als Schriftsteller und Journalisten, i n den Rundfunk- und Fernsehstationen, als Theaterintendanten und Schauspieler, i n verschiedenen Funktionen beim Film, als Musiker und Konzertagenten, als bildende Künstler, Museumsleiter, Buch- und Kunsthändler; auch finden w i r sie i n entsprechenden Stellungen i n staatlichen Behörden und i n den Verbänden. Hier überall liegen entscheidende meinungsbildende Kontakte und Ansätze, Möglichkeiten zur Multiplikation. Von hier aus werden neue Gedanken und Pläne lanciert. Hier ist Verständnis, ja gelegentlich Dankbarkeit für geistige Bereicherung und Förderung, z. B. durch Einladungen zu Studienreisen, zu erhoffen. Wo diese Intellektuellenschicht ausgeprägte nationale Aversionen hat, wie sie beispielsweise diejenige Italiens gegenüber Deutschland seit Kriegsende kultiviert, prägt sie auch das B i l d der Kulturbeziehungen stärker als eine u. U. davon deutlich abweichende generelle Einstellung der Bevölkerung. Wo sie positiv eingestellt ist, zieht sie andererseits leicht durch die ihr zur Verfügung stehenden Massenmedia und durch ihr Prestige die Bevölkerung auf die Dauer mit. Ihre Rolle w i r k t sich, kurz gesagt, i m internationalen Feld ähnlich mobilisierend aus, wie i m nationalen. Nun gibt es innerhalb der Intellektuellenschicht nicht nur die verschiedenen Untergruppen m i t verschiedener Mentalität, z. B. beamtete 23 Dozenten und Lehrer, Journalisten, Künstler, Kleriker, deren politische Bedeutung sich i n der Geschichte vieler Nationen immer wieder erwiesen hat, sondern auch erhebliche Rangunterschiede. Daher liegt eine 23
Es liegt auf der Hand, daß die Beamteneigenschaft bei einem T e i l der Intellektuellen auch psychische Konsequenzen hat, sie zu einer Intelligenz sui generis macht. W i r erinnern an die bereits genannten Ausführungen von
R. K. Merton.
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5. Kap.: Destinatre im Ausland
ausgesprochene Gefahr für jede auswärtige K u l t u r p o l i t i k darin, daß gerade die falschen, relativ Bedeutungslosen innerhalb der Intelligenz gefördert werden, zweit- und drittrangige Vertreter ihrer Sparten, da diese sich mangels eigener, direkter Möglichkeiten besonders gerne um staatliche Hilfe bemühen, sich zuweilen auch in diplomatischer Geselligkeit aufzuhalten lieben. Hier liegt bei den Auslandsmissionen eine große Verantwortung, und es zeigt sich die Notwendigkeit, i m geistigen Leben des Gastlandes gut Bescheid zu wissen. Und es erweist sich gerade hier wieder deutlich die Beschränktheit jedes quantitativen Denkens i n kulturellen Dingen. Fünf richtig ausgewählte führende Vertreter der Intelligenz eines Landes zu individuellen Besuchsreisen einzuladen und ihnen dabei i n richtiger, sachkundiger und nicht penetranter Weise Hilfe zu leisten, ist wirkungsvoller, als fünfzig drittklassige Vertreter i n einer A r t von Gesellschaftsreisen durch das Land zu schleusen, was sich freilich auf dem Papier zunächst besser ausmacht. Welche Einstellungen beispielsweise André Malraux und Jean-Paul Sartre i n Frankreich, George Elliot und Bertrand Rüssel i n England, Georg Lukàcs i n Ungarn, die maßgebenden Männer des Political Science Department in Harvard gegenüber anderen Ländern haben, ist i n seinen Auswirkungen unschätzbar. Jede Gruppe hat ihre „Meinungsführer". Auch intellektuelle Prominenz ist, wie die übrige Menschheit, nicht grundsätzlich unbeeinflußbar. Eine i n diesem Zusammenhang immer wieder auftauchende Frage ist, ob man mehr oder weniger prononcierte Gegner der eigenen Nation umwerben oder links liegen lassen soll. Das Problem stellt sich schon ähnlich i m innenpolitischen Bereich. Wenn darauf auch nur i m konkreten Fall eine A n t w o r t möglich ist und nicht generell, so darf hierzu doch ein Verslein aus der Metternich-Zeit zitiert werden: „ E r schalt das Aristokratenpack und schimpfte auf Titel und Orden. Da flog ein Bändchen an seinen Frack, vor Schreck ist er stumm geworden." Intellektuelle und besonders Künstler sind für staatliche Ehrungen empfänglicher als sie zugeben. Die Hofmarschallämter und Präsidialkanzleien verfügen hierzu über reiches Material. Autoritäre Staaten haben es leicht, den für sie wichtigen ausländischen Intellektuellen staatliche Auszeichnungen, auch rein akademische und künstlerische Ehrungen zukommen zu lassen, was sich politisch sehr auszahlt. Schließlich mag noch kurz darauf hingewiesen werden, daß i n der Moderne häufiger ausgesprochene Intellektuelle von bescheidenen A n fangspositionen bis i n die höchsten Staats- und Machtpositionen gelangen, was vordem i m Abendland schwierig und fast nur auf dem Wege der kirchlichen Hierarchie möglich war. So waren nicht nur die meisten Führer der großen französischen und russischen Revolution typische Intellektuelle, sondern auch Benjamin Disraeli, Mussolini und Goebbels;
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es sind heute Fidel Castro und zahlreiche führende Politiker der Entwicklungsländer, selbst wenn sie sich als Gewerkschaftsführer oder Militärs drapieren. Aber dies ist ein anderes Thema der Soziologie der Politik. 3. Die sog. „breiten Massen"24 Man macht der internationalen K u l t u r p o l i t i k immer wieder, besonders häufig i n der Presse, zum Vorwurf, daß sie sich darauf beschränke, kleine, auserlesene Kreise zu pflegen, und darüber vergesse, Breitenw i r k u n g zu entfalten, weiteren Schichten i n den Gastländern etwas zu bieten. Daß sie damit i n einer veralteten Weise, nicht genügend w i r k sam, ja, wie auch schon gesagt wurde, „undemokratisch" vorgehe. Versuchen wir, das Begründete von dem Unberechtigten an diesem Vorw u r f zu trennen, der es verdient, ernst genommen zu werden. Denn es gehört zu den unabweisbaren Forderungen der Demokratie, immer weiteren Kreisen einen wachsenden „Kulturkonsum" zu ermöglichen. Derartige Vorwürfe können sich zudem auch bei Parlamentsbeschlüssen und Kommissionssitzungen über entsprechende Budgets recht negativ auswirken. Zunächst: Es gibt zweifellos Kulturpolitik, die so tut, als hätten die sozialen Umschichtungen und politischen Wandlungen unseres Jahrhunderts nicht stattgefunden. Es gibt Veranstaltungen, bei denen man sich i n örtlichkeiten vor dem ersten Weltkrieg zurückversetzt glaubt, wo alte Herzoginnen und Kommerzienratswitwen i n den Salons den Ton angaben. Es gibt Auslandsmissionen, d. h. genauer gesagt diplomatisches Personal, das eine ausgesprochene Schwäche für die sog. „alte, gute Gesellschaft" hat, ja, man kann die heute offiziell meist verneinte Frage stellen, ob nicht eine solche Neigung bei vielen Angehörigen der diplomatischen Karriere aller Länder immer noch erheblich mitspiele. Nun sind die Wirkungsmöglichkeiten führender Kreise von gestern i n allen Sozialstrukturen mehr oder weniger beschränkt, auch ist oft ihre Attitüde begreiflicherweise gegenüber der Gegenwart allzu voreingenommen (schon Bismarck hatte seine Schwierigkeiten m i t deutschen 24 Der Begriff der „Masse" ist seit Gustave Le Bon (Psychologie des foules, zuerst Paris 1895) ein Modebegriff gewisser soziologischer Richtungen gewesen, der sich als allzu schillernd u n d wissenschaftlich steril erwiesen hat (vgl. Th. Geiger: Die Legende von der Massengesellschaft, i n : Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie, 39, 1950/51, sowie René König: Gustave L e Bon, Kantstudien 1932). V o r allem muß m a n v o r der pejorativen Tendenz auf der H u t sein, denn eine große Anzahl ist an sich soziologisch weder mehr noch weniger „ w e r t " , als ein I n d i v i d u u m oder eine kleine Gruppe. M a n k a n n i m m e r n u r konkret fragen, i m H i n b l i c k worauf sich eine größere oder kleinere Z a h l i n welcher Weise auswirkt. Wenn hier der Ausdruck „breite Massen" v e r wendet w i r d , so geht es u m die große Anzahl der Adressaten, sowie u m die Breite der Streuung i n alle Schichten.
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5. Kap.: Destinatäre im Ausland
Diplomaten i n Paris, denen die Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie und die Beziehungen zum Faubourg St. Germain allzusehr am Herzen lagen). Es ist ferner manches richtig an dem Vorwurf, daß auswärtige K u l t u r p o l i t i k oft nicht i n die Tiefe dringt, daß sie dann gewissermaßen „l'art pour l'art" bleibt, damit letztlich ihre Aufgabe verfehlt, der nationalen Außenpolitik zu dienen und die Völker zu verbinden. Es ist ein Beweis ihres Versagens, wenn sie statt dessen immer wieder dieselben, für Heimat- und Gastland nicht maßgebenden Kreise pflegt (z. B. i m Ausland lebende, eine A r t „Hofkamarilla" der Missionen bildende eigene Landsleute) und sich m i t deren relativ leicht zu erlangendem Beifall zufriedengibt; wenn sie darüber den berühmten „man i n the street" als Adressaten vergißt, u m den heute jede Regierung zu werben hat. Für alle Länder hat grundsätzlich zu gelten, was der Generalsekretär des British Council i n der Bundesrepublik, Mr. R. Seymour, einmal folgendermaßen ausdrückte: „Die Bedeutung einer internationalen offiziellen Kulturarbeit und die Kriterien ihres Erfolges erblicken w i r darin, daß diese es ermöglicht, Kontakte zwischen nahezu allen Bevölkerungsschichten verschiedener Länder herbeizuführen" (in einem Schreiben vom 11. 8.1964 an den Verf.). U m konkreter zu werden, müssen w i r aber zweierlei unterscheiden: Einmal die echte und nicht nur gespielte Intention, sowohl weiteren Kreisen des Gastlandes etwas von der K u l t u r des eigenen Landes zu vermitteln, als auch eben dadurch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den betreifenden Nationen zu fördern. Und zweitens: Die verschiedenen Wege, auf denen dieses Ziel erreicht werden kann. Über die Berechtigung, ersteres von auswärtiger K u l t u r p o l i t i k zu verlangen, sollte i n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, selbst wenn man, wie w i r oben zum Ausdruck brachten, gegenüber der sog. öffentlichen Meinung etwas Skepsis walten läßt, leicht Einigkeit bestehen. Wer dieses Postulat nicht als legitim empfindet oder aus den Augen verliert, während er sich nur einiger i h m besonders liegender Spezialzweige auswärtiger Kulturarbeit annimmt, erzielt nur beschränkte Wirkung. Etwas ganz anderes ist es dagegen, die Frage zu untersuchen, auf welchen Wegen die Völker sich m i t kulturellen Mitteln auch in ihren breiteren Schichten nähergebracht werden können. W i r warnten schon oben davor, Nationen als amorphe Massen zu betrachten und zu behandeln. „Wer den Blick auf das Volksganze richtet, der sieht doch bald, daß es sich i n Hinsicht auf Weltbild, Weltwertung und Grundsätze der Lebensführung sehr gründlich unterscheidet. W i r Sehen heute die Dinge nicht mehr so einfach an wie Herder 2 5 ." W i r wissen, daß die einzelnen Gesellschaftsschichten oft eine sehr verschie25 L e v i n Schücking: Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, 3. A u f lage Bern u n d München 1961, S. 11.
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dene geistige Haltung haben, verschiedene „Subkulturen" darstellen und daß sie deshalb auch i n verschiedener Weise angesprochen werden müssen; was nicht zwangsläufig eine Qualitätsminderung von oben nach unten bedeutet, wie große Religionen beweisen. Eindeutig ist so auch die Aufspaltung i n verschiedene Sektoren bei der industriellen Gesellschaft, die man u. a. auch darum pluralistisch nennt. Dieser Begriff besagt nicht nur, daß die oberste Herrschaftsausübung durch Teilung beschränkt ist, sondern auch, daß „jeder Sektor beherrscht w i r d von einer Gruppe oder von mehreren Gruppen 26 ." Und setzen w i r statt „beherrscht" das schwächere Prädikat „beeinflußt", so vermehrt sich die Zahl der Gruppen noch erheblich. Selbst die sich äußerlich gern als monolithische Blöcke darstellenden totalitären Staaten zerfallen für den Kenner i n mehrere rivalisierende Gruppen und Schichten m i t verschiedenen Einstellungen, auch wenn sie ihnen sichtbar keinen rechten Ausdruck zu verleihen vermögen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß jede auswärtige Kulturpolitik, welche die sog. „Massen" erfolgreich ansprechen w i l l , mehrgleisig vorgehen muß. Einmal w i r d sie den direkten hinsichtlich der Destinatare nicht näher spezifizierten Weg beschreiten: Man konfrontiert eigene k u l turelle Leistungen direkt m i t der allgemeinen Öffentlichkeit des Gastlandes, fördert beispielsweise Theater- und Zirkusgastspiele, sportliche Darbietungen oder öffentliche Konzerte. Ein noch weit größeres Publik u m erreicht man m i t Hilfe der sog. Massenmedia Film, Rundfunk und Fernsehen, durch Zeitungen und Zeitschriften, i n der Regel nicht eigene, sondern diejenigen des Gastlandes, die geeignetes Material erhalten. Hier arbeiten K u l t u r - und Öffentlichkeitsarbeit so eng zusammen, daß Trennungslinien nur artifiziell zu ziehen sind. A u f der anderen Seite kann auch die Kulturarbeit, welche auf die Sympathie der breiten Öffentlichkeit zielt, dies zwar langsamer, aber oft intensiver und dauerhafter dadurch tun, daß sie zunächst spezifische Gruppen anspricht, m i t ihnen zusammenarbeitet und durch diese dann indirekt weitere Kreise erreicht: Es handelt sich hier u m die berühmten „Multiplikatoren". Solche Gruppen sind neben den Publizisten etwa die Organisationen für Erwachsenenbildung, die Gewerkschaften, die K i r chen, die Sportverbände, last not least die Schulen und Hochschulen. I n dieser Hinsicht hat sich nach dem Kriege die amerikanische K u l t u r werbung, obwohl sie sehr eng m i t dem politischen Auftrag der „Reeducation" verbunden war, i n Deutschland als gewandt und einfallsreich erwiesen 27 . 26
Helge Pross: Z u m Begriff Die amerikanische „Neue sind hier besonders zu nennen. die M i t t e l hierfür strichen oder 27
der pluralistischen Gesellschaft, a. a. O., S. 441. Zeitung" u n d die zahlreichen „Amerikahäuser" Die amerikanischen Regierungsstellen, welche drastisch reduzierten, waren schlecht beraten.
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5. Kap.: Destinatäre im Ausland
Schließlich müssen i n diesem Zusammenhang noch als wichtige W i r kungszellen die Kulturzentren i m Ausland erwähnt werden, z.B. die Goethe-Institute und Zweigstellen des „Institut Français", welche zumindest potentiell allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen zur Verfügung stehen. Der Wunsch, möglichst breite Schichten i m Ausland zu erreichen, sieht sich nun zwei Hauptkomplexen von Schwierigkeiten gegenüber: Einmal sind die zur Verfügung stehenden materiellen und personellen M i t t e l nicht unbegrenzt. Ebenso wie jeder Staat, der auswärtige K u l t u r politik treibt, regionale Schwerpunkte bilden muß, ist er auch gezwungen, innerhalb eines Landes Wichtigeres dem Unwichtigeren, Dringlicheres dem weniger Dringlichen vorzuziehen. Es gilt, konkrete Wünsche des Gastlandes zu erfüllen, die sich nur vorübergehend bietenden Möglichkeiten (z.B. Wanderausstellungen, Konzertreisen) bestmöglich auszunutzen. So rangieren beispielsweise Professoren der Politischen Wissenschaft, die Informationen über die politische Struktur des Heimatlandes erbitten, vor Interessenten an Briefpartnerschaften. Ein Frühstück m i t dem Direktor der Nationalgalerie, der für eine große Kunstausstellung gewonnen werden soll, muß wichtiger genommen werden, als ein Vortrag vor einer kleinen Pfadfindergruppe i n der Provinz. So verlangt die Primaballerina des gastierenden eigenen Staatsballetts stärkere Betreuung als ein durchreisender Student. Die personelle Unterbesetzung, über die fast alle Außenstellen m i t Recht klagen, da das Arbeitsfeld sich seit dem zweiten Weltkrieg und der Konkurrenz der Weltblöcke außerordentlich vergrößert hat, zwingt zur Auswahl. Daß diese jeweils richtig, d. h. i m Sinne einer größtmöglichen Wirksamkeit der kulturellen Ausstrahlung ausfällt, entscheidet über die Qualität der i m Ausland tätigen Funktionäre. Hier kommen w i r wieder auf das oben bereits Gesagte zurück, daß eine allzu starke Bindung an diplomatische Z i r k e l den Kulturattaché wichtigere Dinge versäumen läßt. I m Zusammenhang dieses Abschnitts ergibt sich, daß die Teilnahme an einem Kongreß für Erwachsenenbildung, an einer großen Sportveranstaltung, an welcher die eigene Nation teilnimmt, Rücksprachen m i t Gastprofessoren aus der Heimat, die oft vor großen Auditorien sprechen, der üblichen diplomatischen Geselligkeit grundsätzlich vorzugehen hat. Hier w i r d noch vieles falsch gemacht. Aber noch ein anderer Komplex von Hindernissen steht dem Wunsche, Breitenwirkung zu erzielen, i m Wege. Es sind dies das mangelnde Interesse, die mangelnde Vorbildung und gewisse Vorurteile gegenüber der sog. „höheren Bildung" i n breiteren Schichten. Die Kulturarbeit der Gewerkschaftsbewegungen, der Kirchen, der Erwachsenenbildung kennt diese Dinge genau. Hier hat man i n einer langjährigen Praxis gesehen, was getan werden kann, und wo die Grenzen mancher Be-
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mühungen liegen, auch i n unseren technisch fortgeschrittenen Industriegesellschaften. Hier weiß man, daß es unmöglich ist, gewisse Sektoren des sozialen Lebens fruchtbar zu kultivieren, wenn diesem Bemühen die Strukturelemente der ganzen Gesellschaftsordnung eines Landes entgegenstehen. Die genannten Institutionen können i n ihrem eigenen Lande versuchen, hier — auch auf dem Wege über die Parteien — A b hilfe zu schaffen. Die auswärtige Kulturarbeit fremder Nationen hat jedoch, so schwer es oft ankommen mag, bei der K r i t i k an Zuständen? des Gastlandes größte Zurückhaltung zu üben. Sie kann vielleicht Beispiele bekanntmachen, Anregungen geben, auf ausdrücklichen Wunsch vieleicht auch einmal raten, bei der Beurteilung des Bildungswesens und der Sozialstruktur des Gastlandes hat sie sich jedoch diszipliniert zurückzuhalten. Dies gilt für die Herrschaftsstruktur i m Gastland, für dortige Erziehungsfragen (sogar für die Beseitigung des Analphabetismus, der ja eine sehr bedeutsame politische Seite hat), besonders auch für das religiöse Gebiet. Daß i n diesen Dingen die sog. Entwicklungshilfe eine andere Einstellung einnehmen kann, zeigt einmal mehr, daß auswärtige K u l t u r p o l i t i k und Entwicklungshilfe zwei verschiedene Dinge sind, die man grundsätzlich nicht miteinander verwechseln darf. Denn ihre Intentionen und Funktionen sind verschieden. Machen w i r uns klar, daß es auf der Erde noch immer schätzungsweise 700 Millionen erwachsene Analphabeten gibt, daß fast die Hälfte aller Kinder keine Schule besucht 28 und daß selbst i n der Bundesrepublik nur 6 °/o eines Jahrgangs A b i t u r machen, so werfen w i r damit einige Schlaglichter auf die Schwierigkeiten, die einer Breitenwirkung entgegenstehen. Es w i r d immer wieder vergessen, auch bei der politischen Öffentlichkeitsarbeit, wie gering die Grundkenntnisse breiter Bevölkerungsschichten über fremde Länder sind. Gelegentlich wurden i n der Presse Ergebnisse von Umfragen i m Ausland apostrophiert, die eine krasse Unkenntnis von der Situation Deutschlands und Berlins verrieten und damit das Gesagte drastisch bestätigen. Aber wer weiß i n Deutschland, selbst unter Akademikern, wirklich Bescheid über die gegenwärtigen Staatsgrenzen und die politische Lage i n Afrika oder i m Fernen Osten? Hier stoßen w i r dann freilich auch auf die Frage, was es sinnvollerweise für den einzelnen überhaupt zu lehren und zu lernen gilt. Die jeweils verschiedene Beurteilung der praktischen Möglichkeiten, etwa der Bildungsfähigkeit des Menschen, w i r d hier von politischen, religiösen, „weltanschaulichen" Haltungen beeinflußt. Z u den ältesten „progressiven" Auffassungen gehört aber nicht nur der Glaube an die grundsätzlich hohe Bildungsfähigkeit des Menschen, sondern auch an seine Bildungswilligkeit, obwohl jeder Lehrer und Dozent ständig die 28
Beides nach Schätzungen der UNESCO.
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zahlreichen „Ausnahmen" erlebt 29 . Es gehört dazu auch der Sokratische Glaube, daß vermehrtes Wissen schließlich zum wie auch immer verstandenen „Guten" führe, obwohl die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte nicht von Analphabeten begangen wurden und werden. Dieser undifferenzierte Fortschrittsglaube steht i n den USA 3 0 und i n der Sowjetunion, also bei den dominierenden Weltmächten, nach wie vor i n voller Blüte. M i t der Frage nach dem Optimum menschlicher Bildung und Ausbildung geht unser Gedankengang aber i n philosophische, psychologische und sozialpädagogische Bereiche über, die uns zu weit fortführen. Halten w i r trotz einer gewissen Skepsis getrost für unseren Zusammenhang fest, daß i n der Kulturarbeit fast aller Nationen i m Hinblick auf w i r k liche Breitenwirkung noch sehr viel versäumt wird, so daß auch Qualität, die Popularisierung vertrüge und weiteren Kreisen etwas zu bieten hätte, i m Verborgenen und Esoterischen eingeschlossen bleibt. So ist beispielsweise i n der Bundesrepublik Deutschland für alle diejenigen, welche nicht gerade Kontakte zu diplomatischen Missionen pflegen, einschlägig arbeiten oder i m Bonner Raum wohnen, von der Kulturarbeit fremder Nationen wenig zu verspüren. Fast überall gibt es auf unserem Gebiet zwischen der abstoßenden Penetranz der Kulturpropaganda gewisser Diktaturen und einer Schmalspurdiplomatie m i t engem W i r kungsradius noch einen breiten Raum auszufüllen. Wenn man m i t kulturellen M i t t e l n dazu beitragen w i l l , daß dem äußeren Zusammenrücken der Menschheit aus technischen Gründen und m i t technischen Mitteln auch ein inneres Näherkommen der Völker entsprechen soll, so muß man die Gesamtgesellschaften i m Auge behalten. Für die Zukunft des vereinten Europa ist dies ebenfalls eine Schicksalsfrage, die i n den letzten zehn Jahren ihrer Lösung nicht nähergekommen zu sein scheint. Gute Ansätze sind hier vernachlässigt worden. 4. Die weibliche Bevölkerung Graf Hermann Keyserling beschrieb i n seinem Amerikabuch w o h l als erster ausführlich die dominierende Rolle, welche die Frau dort spielt, ja er formulierte, daß die Frauen i n den Vereinigten Staaten „eine höhere Kaste" darstellten 31 . Man kennt die Neigung dieses philo29 Es ist keineswegs gesagt, daß die Bildungswilligkeit der höheren Schulbildung entsprechend wächst. 30 Vgl. hierzu James R. Conant: Gleichheit der Chancen, Bad Nauheim 1955, S. 9 ff. Der amerikanische Gelehrte u n d frühere Hochkommissar u n d Botschafter i n Deutschland betont hier, auch i n Auseinandersetzung m i t Friedrich Meinecke, die tragende Bedeutung dieses Optimismus für die amerikanische Gesellschaftsordnung. Die Auffassung enthält säkularisierte religiöse Momente. 31 H. Keyserling: Amerika, der Aufgang einer neuen Welt, Stuttgart u n d B e r l i n 1930, S. 299.
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sophischen Schriftstellers zu schockierenden Aussagen, zu starken Überzeichnungen, u m das, was er als bedeutsam empfand, auch anderen deutlich zu machen. Uns soll das Zitat hier nur als Einführung zu einem kurzen Abschnitt dienen, den w i r aus zweierlei Gründen für notwendig halten: Einmal i m Hinblick auf die besondere Bedeutung der Frau für die internationalen Kulturbeziehungen, zum anderen, w e i l diese Bedeutung i n der Praxis immer noch nicht genügend berücksichtigt wird. Auch andere Beobachter haben seitdem den großen Einfluß der Frau i n Amerika beschrieben. Steht es i n anderen Ländern anders? Wie sieht es historisch aus32? Bei einem geschichtlichen Rückblick w i r d man nicht nur an die verschiedenen einflußreichen, teilweise bedeutenden Frauen auf Thronen und i m Bereich der Höfe (Bismarcks ständiger Ärger), sondern auch an die verschiedenen Salons denken müssen, i n denen große und kleine Politik getrieben wurde; vor allem i n Frankreich seit der Ninon de Lenclos, dann i m 18. und 19. Jahrhundert (die großen, tonangebenden Courtisanen, dann Mme. de Staël , Mme. de Récamier), aber auch i n Berlin (Rahel Varnhagen), i n London, Rom, Wien, New York, Boston, den vielen kleineren Musenhöfen (Frau v. Stein, Bettina); später dann auch an das politische Engagement (Bertha v. Suttner, L i l y Braun oder die angelsächsischen Frauenrechtlerinnen). Gewiß haben w i r hier Destinatäre, die i n jedem Land und jedem Zeitalter wiederum eine andere Stellung i m sozialen Gesamt einnehmen, deren jeweils ganz verschiedene Rollen 3 3 ergründet und beachtet werden müssen, wenn man sie für die internationalen Kulturbeziehungen fruchtbar zu machen versucht. Schon was die Herrinnen i m Weißen Haus i n Washington und die Ehefrauen der Generalsekretäre der kommunistischen Partei der Sowjetunion von der K u l t u r anderer Völker halten, ist nicht ohne Relevanz, auch für den Gang der internationalen Politik. Wichtiger aber: Nachdem i m Zuge der Demokratisierung die Frauen sich mehr und mehr Berufsbereiche erschließen, die bis dahin eifersüchtig verteidigte Reservate der Männer waren, dokumentiert sich auch außerhalb der privaten Foyers und der ausgesprochenen Frauenorganisationen, die z. B. das amerikanische Leben so stark bestimmen, der Einfluß der Frau i n der modernen Industriegesellschaft erfreulicherweise immer stärker. Nachdem i n einer äußerlich von Männern beherrschten und organisierten Gesellschaft i m Abendland jahrhundertelang bewußt und unbewußt das Vorurteil gepflegt wurde, die Frau sei intellektuell minderwertig, hat freilich i n notwendiger Reaktion darauf das Pendel i n anderer Richtung 32
Anregungen bei H. v. Eckardt: Die Macht der Frau, Stuttgart 1949. Grundlegend w o h l immer noch: Margret Mead: M a n n u n d Weib, H a m burg 1958. W i r nennen ferner: H. Sveistrup u n d A. v. Zahn-Harnack (Hrsg.): Die Frauenfrage i n Deutschland 1790—1930, 1934. Charlotte Luetkens: Women and a new Society, London 1946. G. Bremme: Die politische Rolle der Frau i n Deutschland, Göttingen 1956. A l va Myrdal u n d Viola Klein: Die Doppelrolle der Frau i n Familie u n d Beruf, K ö l n - B e r l i n 1962. 33
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ausgeschlagen, und man hat zeitweise die völlige Gleichartigkeit und Gleichstellung beider Geschlechter postuliert. Schon aus physischen Gründen ist letztere unmöglich und es herrscht sowohl physiologisch, psychologisch als auch soziologisch i n noch auszumachendem Grade ein komplementäres Verhältnis 3 4 , wobei beide Gruppen freilich grundsätzlich gleichwertig sind, und daher auch gleich berechtigt sein müssen. Wichtige Funktionen als Produzenten i m Haushalt verloren die Frauen i m Zuge der fortschreitenden Arbeitsteilung und Industrialisierung, ein zusätzlicher Grund, weshalb sie nun — wollten sie nicht an Bedeutung sogar noch einbüßen — nach der vollen beruflichen Gleichberechtigung streben mußten. Nun ist die Erhellung der spezifischen Veranlagung der Frau, ihrer besonderen Begabungen höchst kompliziert, die wissenschaftliche A r beit daran ist erst begonnen worden und sie w i r d durch Vorurteile i n positiver, wie i n negativer Weise noch immer behindert 35 . Jeder Fachpsychologe weiß, daß man Intelligenztests ja ganz verschieden anlegen kann, wodurch dann i n wissenschaftlich sauberer, wenn auch beschränkter Weise ganz verschiedene ja kontroverse Ergebnisse erzielt werden. So wurden, da man nicht spezifisch männliche und spezifisch weibliche Intelligenztests entwickeln wollte, bewußt Verfahren erarbeitet, deren Kriterien keine großen Geschlechtsunterschiede ergeben. Sehr w o h l ergeben sie sich aber bei praktischen Leistungen i n der Schule und i m Berufsleben, wobei die verschiedenen Geschlechter — auch m i t Unterschieden i n der Altersentwicklung — auf den verschiedenen Gebieten führen oder zurückfallen. Es gibt so angeblich solche meßbaren Unterschiede bezüglich der mathematischen Begabung, innerhalb dieser wiederum für Geometrie, Arithmetik usw. Recht schwierig erweist sich dabei dann freilich die Zuordnung der Kausalfaktoren der unterschiedlichen Leistung, da die gesellschaftlichen Postulate und „patterns of Behaviour" die verschiedenen Geschlechter deutlich i n verschiedene Richtungen abdrängen. M i t Recht bemerkt z. B. Ely Chinoy: „Even if, as seems likely, there are inherent psychological differences which affect the social roles of men and women, the available evidence suggests that they can be so overlaid w i t h cultural demands that their influence may not be readily apparent 36 ." Dann wäre eine ganz andere Frage, inwieweit es wünschenswert wäre, das Mög84 Diese Tatsache hat i n klassischer dichterischer F o r m bekanntlich Plato i n seinem „Gastmahl" dargestellt, w o er Aristophanes die Sage von der Teil u n g des ursprünglich gemeinschaftlichen Geschlechtes vortragen läßt. M a n denke auch an das chinesische „ Y i n u n d Yang". 35 Wie sehr m a n sich hier noch am Anfang wissenschaftlicher Forschung befindet, bewies erst kürzlich wieder das Symposion des Medical Center der Universität von Kalifornien: „The Potential of Woman", San Francisco 1963. Es steht m i t diesen Forschungen ähnlich w i e m i t der Völkercharakterologie. 36 E l y Chinoy: Society, a. a. O., S. 43.
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liehe aneinander anzugleichen. Hierüber finden sich kluge Bemerkungen bei Margaret Mead. Sie stellt, nachdem sie am Beispiel von sieben Inselstämmen der Südsee dargelegt hat, daß es für keines der Geschlechter eine einzige Daseinsnorm gibt, dann fest: „Jede Anpassung, die einen Unterschied, eine besondere Anfälligkeit beim einen Geschlecht und eine besondere Stärke beim anderen verschleiert, vermindert auch ihre Fähigkeit, sich gegenseitig zu ergänzen 37 ." Und sie meint, „daß immer noch die Möglichkeit besteht, daß die Welt mehr verliert, wenn sie die Geschlechtsdifferenzierung opfert als sie bei Einschränkung des Gebrauchs dieser Intelligenz auf bestimmte Lebenszweige verlieren würde" 3 8 . Gewiß werden w i r i m M a x i m u m der Geschlechtsassimilierung nicht das Optimum sehen können. M a n muß n u r andererseits den „Ideologieverdacht" nicht ganz einschlafen lassen. Doch kommen w i r wieder zu unserem engeren Thema zurück. Da man heute nicht mehr daran denkt, die Frau auf Tätigkeiten i m Hause zu beschränken (wo dies noch geschieht, wie i n einigen K u l t u r e n außerhalb der westlichen Zivilisation und des kommunistischen Machtbereichs, lockert sich eine solche Isolierung der Frauen rasch), treffen w i r sie i n allen Bereichen unserer Kulturarbeit. Sie ist hier sogar wichtiger, als i n vielen anderen Berufssparten. Gerade an den amerikanischen Verhältnissen w i r d deutlich, wie stark große Gebiete der K u l t u r i n unserem engeren Sinne aus welchen Gründen auch immer gerade eine Sache der Frauen werden und für länger bleiben können. I m Unterschied zur alten europäischen K u l t u r , deren Oberschichten sich gemäß antiker Tradition seit der Renaissance etwas darauf zugute taten, die Künste zu pflegen, w o r i n Souveräne, Adelskoterien und Patriziat wetteiferten, dabei ein Mäzenatentum entwickelnd, das meist zugleich ein Kennertum und oft ein ausübender, gehobener Dilettantismus w a r (z.B. Gedichte und Kompositionen Friedrich d. Gr.), sind i n den USA die Künste ebenso wie große Teile des Erziehungswesens zur Domäne der Frau geworden. Ja, es besteht i n der amerikanischen Männerwelt sogar eine A r t Vorurteil, daß die Beschäftigung m i t den Künsten „immännlich" sei, eine Qualifizierung, die man dort als weit schimpflicher empfindet als beispielsweise i n Frankreich 3 9 . (In vielen primitiven K u l t u r e n sind die Künste andererseits, w o h l wegen ihrer magischen und religiösen Bezüge, Reservat der Männer, wie beispiels37
Margaret Mead, 1. c., S. 238. a. a. O., S. 239. Eine Bewährung von Frauen i n ausgesprochenen Männerberufen w i r d hingegen geschätzt. Die Frage, w i e hoch das weibliche und das männliche Element i n einer gegebenen Gesellschaft gewertet werden, ist auch soziologisch relevant. Man könnte die Hypothese aufstellen, daß K u l t u r e n m i t mangelnder V i r i l i t ä t durch Idealisierung eines „He-Man" und Verachtung oder Verniedlichung der Frau (auch indem man sie zum Sexualspielzeug erniedrigt) überkompensieren. 38
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weise das Malen auf Bali.) So liegt es also für die USA deutlich auf der Hand, daß man sich, u m ausländischer Kunst Eingang zu verschaffen, hier weitgehend an die sich dafür verantwortlich fühlenden Frauen wenden muß. Denn diese sind nicht nur hauptberuflich auf dem Kunstsektor sehr zahlreich, sondern sie bestimmen darüber hinaus entscheidend in den dort meist privaten Gremien, die über Theater, Opernhäuser und Galerien wachen. Ja, diese sind vielfach ihre Kreationen. I n Ländern, welche die Pflege der Künste ebenso wie die der Wissenschaften gemäß einer von den Dynastien, von der Kirche und den Städten übernommenen Tradition als „nobile officium" des Staates empfinden, w i r d dies natürlich anders sein. Aber auch hier stößt man mehr und mehr auf Frauen, die sich i n den verantwortlichen Regierungsstellen und i n den einschlägigen Institutionen vorzüglich bewähren. Zudem w i r d die „pädagogische Provinz" immer stärker zur ausgesprochenen Domäne der Frau (sehen w i r vom Hochschulwesen ab, wo sie noch häufig diskriminiert ist), und hier w i l l auswärtige K u l turarbeit ja besonders wirken. So üben die Frauen i n veränderter Form heute auch hauptberuflich eine ihrer traditionellen abendländischen Funktionen aus, nämlich i n kulturellen Dingen ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Seit dem höfischen Rittertum m i t Frauendienst und Minnesang i m 12. und 13. Jahrhundert, als die Sitte von vornehmen Frauen verlangte, neben ihrem rein hausfraulichen Wirken auch i m Kreise der Männer hervorzutreten, ist diese Verpflichtung i m Abendland nie ganz erloschen. 5. Die Jugend Der Altersaufbau jeder Bevölkerung zeigt bekanntlich eine i n Relation zum Gesamtbild mehr oder weniger breite Basis, welche die j u gendlichen Jahrgänge umfaßt, wobei man je nach dem Zweck der Betrachtung die Zäsur gegenüber den „Erwachsenen" höher oder tiefer ansetzen kann; eine Zäsur, die sich nicht einfach biologisch ergibt, sondern die von soziologischen, psychologischen und kulturhistorischen Momenten beeinflußt wird 4 0 . Auch die Wertung, welche die Jugend i n 40 Die Erforschung der i n Ausmaß u n d Qualität n u r konkret festzustellenden jugendlichen „Subkulturen" findet bei Soziologen u n d Pädagogen, aber auch bei der privaten Wirtschaft zunehmendes Interesse. Auch die Regierungen versuchen durch umfangreiche Enqueten über die Situation der Jugend K l a r h e i t zu gewinnen. Neben dem sehr bekanntgewordenen Buch von H e l m u t Schelsky: Die Skeptische Generation, 4. Aufl. Düsseldorf u. K ö l n 1960, nennen w i r an jüngsten Veröffentlichungen die v o m „Deutschen Jugendinstitut" herausgegebene Serie „Überblick zur wissenschaftlichen Jugendkunde", bisher 18 Publikationen (Juventa Verlag, München), sowie L u d w i g v. Friedeburg (Hrsg.): Jugend i n der modernen Gesellschaft, Neue wissenschaftliche B i b l i o thek, K ö l n u n d B e r l i n 1965. Dem zuletzt genannten Werk, i n welchem leider
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einer Gesellschaftsordnung genießt, ihr spezifisches Sozialprestige, wechselt stark entsprechend den verschiedenen Gesellschaftsformen, was am anderen Ende der Lebensalterskala gleichermaßen für das Alter gilt 4 1 . Man ist immer wieder erstaunt, i n Theaterstücken und Romanen der vergangenen Jahrhunderte nicht nur halben Kindern in erwachsener Attitüde und Rolle zu begegnen, sondern auch Vierzigjährige zu sehen, die über ihr Alter, sei es auch kokettierend, klagen. I n der amerikanischen Gesellschaft spricht man dagegen heute auch von grauhaarigen Erwachsenen i m Freundeskreis als von „boys and girls", und i n der Bundesrepublik muß man sich heute als Älterer erst daran gewöhnen, daß bei studentischen Tanzveranstaltungen z. B. von „Jungens" gesprochen wird, während die entsprechenden Teilnehmer bis i n die fünfziger Jahre hinein noch als „Herren" apostrophiert wurden. Dies ist symptomatisch dafür, daß i n der Moderne, besonders rasch i m 20. Jahrhundert, die Jugend an Wertschätzung und Bedeutung merk- und meßbar stark gewonnen hat. Fand um die Jahrhundertwende ein geistiger Aufbruch statt, der ein jugendlicher Protest gegenüber wilhelminischer und viktorianischer Bürgerlichkeit der älteren Generationen war (man denke für Deutschland z. B. an die „ Jugendbewegung", den „ Jugendstil" und die Zeitschrift „Jugend"), so haben der Siegeszug des Sports und die Technisierung das Gewicht der Jugend weiter verstärkt. So meint man heute vielfach, bereits aus technisch-organisatorischen Gründen mehr und mehr entscheidende Posten am besten i n möglichst jugendliche Hände legen zu müssen. Gewiß ist die physische und psychische Belastung i n Spitzenstellungen enorm gewachsen (man vergleiche etwa den Arbeits- und Lebensstil, den sich noch ein Bismarck leisten konnte, mit dem eines zeitgenössischen Bundeskanzlers), aber es liegt auch entscheidend an der geistigen Wertung. Das Moderne, Kommende w i r d mehr als je gefragt, ein Faktum, das sich auch auf die kommerzielle Werbung auswirkt und von dort verstärkt wird. Dem entspricht die Akzentverlagerung auf die Jugend. ein besonderer Abschnitt über P o l i t i k fehlt, ist eine vorzügliche, sehr ausführliche Bibliographie angefügt, auf welche w i r hier verweisen dürfen. 41 Ebenso w i e j a auch die ganz verschiedene Wertung des Überlieferten, Althergebrachten gegenüber dem Neuen, Fortschrittlichen i n verschiedenen Zeitepochen auffällt. Es ist bemerkenswert, m i t welch pseudoreligiöser I n brunst die beiden doch n u r i m Gesamt einer Korrelation sinnvollen Seiten vertreten werden. I n der Regel w i r d man das A l t e r als Verteidiger des A l t hergebrachten finden u n d die Jugend auf Seiten des Neuen sehen, doch ist dies, auch i n der Wissenschaft, nicht notwendig so. So gibt es beispielsweise Situationen, w o die älteren Jahrgänge einer herrschenden Schicht meinen, sich Reformen, Konzessionen nicht mehr entziehen können, während gerade die Jugend dieser Schicht einen harten K u r s vertritt. I m allgemeinen haben aber i n der P o l i t i k Ältestenräte, Senate, Postulierungen von Mindestaltern f ü r passives Wahlrecht oder bestimmte Ä m t e r (z. B. 40 Jahre für den deutschen B u n despräsidenten) den Zweck, allzu jugendlichem Elan vorzubeugen.
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Zwischen weitestgehender Ausschaltung vom öffentlichen Leben und dominierender Stellung gibt es mannigfache Rollen jugendlicher Schichten und Gruppen innerhalb einer gesellschaftlichen Totalität. Geschichte, Wirtschafts- und Sozialstruktur einer gegebenen Gesellschaft spielen hier ebenso m i t wie religiöse Momente, wie aber auch die aktuelle Situation, i n welcher sich die betreffende Sozietät befindet. Zeiten m i l i tärischer Bedrohung, kriegerischer Ereignisse, aber auch scharfe Konkurrenz erfordern andere Konfigurationen als lang dauernde Friedenszeiten; starke Mobilität bringt auch der Jugend größere Chancen und höhere Geltung als überwiegend statische Perioden. I n diesem Zusammenhang muß wenigstens kurz das Generationenproblem gestreift werden. Für grundlegend halten wir, seinen doppelten Aspekt zu sehen: Einmal den lebensalterlichen, der erkennen läßt, daß immer und überall Zwanzigjährige aus physischen, psychischen und soziologischen Gründen die gleiche Umwelt anders ansehen, anders i n sie hineinwirken und auf sie reagieren, als z.B. Sechzig jährige. Zum andern aber dann auch den zeitalterlichen, kulturhistorischen Aspekt, der den sozialen Wandel erhellt: I n gewissen Zeiten haben Söhne und Töchter eine völlig andere Lebensanschauung und Einstellung, als ihre Eltern sie i m gleichen Alter besaßen. I m Extremfall haben w i r dabei den Generationenbruch. Während das erste Phänomen, der lebensalterliche Unterschied, immer vorhanden und auch sprichwörtlich ist, fällt das zweite nur i n Zeiten stärkeren sozialen Wandels auf, sehr ausgeprägt z. B. heute. Diese methodische Trennung zweier Phänomene, die sich in der Realität natürlich miteinander verflechten, ist bereits vor 30 Jahren von W. Hellpach vorgenommen worden 42 , ohne daß damit verhindert werden konnte, daß noch heute bei der Behandlung des Generationsproblems die beiden verschiedenen Hauptgesichtspunkte, angereichert mit Vorurteilen, bunt durcheinandergewürfelt werden. Sowohl berechtigte als auch unberechtigte Forderungen (im Hinblick auf den sozialen Wandlungsprozeß) werden i m übrigen immer i m Namen der Jugend erhoben, als auch i m Hinblick auf ihre „Unreife" abgelehnt 43 . Politische, religiöse, weltanschauliche Strömungen, Parteien und sonstige Vereinigungen wissen von der Bedeutung der Jugend für die Durchsetzung ihrer Anliegen und für den Fortbestand ihrer Gruppen. So gliedern sich beispielsweise Parteien gerne Jugendorganisationen an und nutzen damit die „bündischen" Prädispositionen und die leichtere Formbarkeit der jugendlichen Jahrgänge. Auch w i r d ein möglichst junges Durchschnittsalter von Wählern und Parteimitgliedern, wie es Um42
Vgl. W. Hellpach: Sozialpsychologie, 2. Aufl. Stuttgart 1946, S. 106 ff. Der Gegensatz zwischen j u n g u n d alt ließ Thackeray formulieren: „Die Jungen meinen, daß die A l t e n d u m m sind — die A l t e n wissen, daß die Jungen d u m m sind." 43
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fragen und Parteisekretariate publizieren, gern propagandistisch ausgenutzt, da der Jugend ja „die Zukunft gehöre". Es läge nun nahe, i m Hinblick auf unser Thema zu sagen, daß w i r von der Jugend mit Fug und Recht Verbesserungen der internationalen Beziehungen und der Völkerverständigung erwarten dürfen. Man hört dies oft, doch ist Vorsicht am Platze. Gewiß ist die Jugend i m heutigen Europa durch Erlebnisse und Erinnerungen an Vernichtungskriege und Nachkriegselend weniger belastet, sie hat unter verbrecherischen Regimen und Maßnahmen weniger gelitten oder weniger Erinnerung daran. Aber es kommt doch, da w i r versuchen, unser Thema i n einem größeren Zusammenhang zu sehen, entscheidend auf die Situation i n einem geschichtlichen Entwicklungsprozeß an, i n den eine Jugend immer gestellt ist. So kann sie also genau so gut zu viel größerem Haß, Nationalismus, Chauvinismus gebracht werden, als er i n ihren Eltern und Vorfahren je lebte, ja sogar i m völligen Widerspruch zu ihrer Tradition. Beispiele liegen i n Europa nicht lange zurück. Hat sich i m westlichen Nachkriegseuropa gezeigt, daß die Jugend schnell bereit zur Versöhnung war, ja daß sie einen besonderen Elan zur Europäischen Einigung beitrug, der i n „typisch" jugendlichen Formen zum Ausdruck kam (Verbrennen von Grenzpfählen, Schlagbäumen usw.), so w i r d gegenwärtig i n anderen Teilen Europas und der Welt, auch unseres eigenen Landes, die Jugend — auch von bis dahin relativ friedlich dahinlebenden Völkern — gegen andere Nationen aufgehetzt. Man denke etwa an fanatische Jugendliche des kommunistischen China, dessen ältere Bevölkerung nach unzähligen Umstürzen und Kriegswirren vor allem Ruhebedürfnis zeigt, was dem Regime höchst unerwünscht ist. Müssen w i r also die, wenn auch noch so verlockende Hypothese ablehnen, daß von der Jugend generell mehr Völkerfreundschaft zu erwarten sei, so sind die jugendlichen Jahrgänge doch aus anderen und teilweise schon genannten Gründen besonderer Beachtung und Betreuung wert: Ihnen fällt aus verständlichen Gründen die Führung i n den kommenden Jahrzehnten zu, sie sind als Jugend noch stärker formbar und i n ihren Urteilen, wenn auch nicht unbedingt aufgeschlossener, so doch weniger endgültig fixiert: So kann gute Saat noch wachsen, d. h., thematisch konkreter gesprochen, es können Sympathie und Verständnis für andere Nationen noch geweckt und entwickelt werden. Sehr vielartig sind die Mittel und Wege, dies zu tun. Einmal gilt schon ein wichtiges Bemühen dem Verhindern von negativen Einflüssen. So bemüht man sich darum, beispielsweise aus den Schulbüchern alles das zu entfernen, was andere Nationen zu Unrecht herabsetzen und den Keim zu Völkerfeindschaften legen könnte 44 . Die besonders i n den USA 44 Das internationale Schulbuchinstitut i n Braunschweig unter Leitung von Christian Eckardt leistet hier seit längerem wertvolle Arbeit, wobei sich besonders die bilaterale Zusammenarbeit bewährt hat.
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betriebene Vorurteilsforschung hat ergeben, i n welch frühem Alter hier die Weichen verhängnisvoll gestellt werden können. Aber ebenso hat bereits i n der Kindheit das Bemühen um das Positive, um Toleranz, um Kontakte und Kennenlernen einzusetzen: Hier werden Brieffreundschaften zwischen Schülern verschiedener Nationen angeknüpft, denen Besuche folgen, wo dies räumlich und finanziell möglich ist 4 5 ; hier gibt es einen regelrechten Schüleraustausch, Freundschaften zwischen Jugendgruppen verschiedener Nationen, zumal wo diese zu internationalen Verbänden zusammengeschlossen sind (Scoutismus, YMCA, Jungsozialisten usw.), w i r haben Jugendtreffen und Begegnungen der verschiedensten Art, Jugendwandern i n fremde Länder, Teilnahme an Sportveranstaltungen und ähnliches. Den internationalen Jugendverbänden fällt gerade hier große Verantwortung zu, und die Ausbildung der Lehrer, die in anderen Ländern Gastrollen ausüben können, die ihren internationalen Gesichtskreis erweitern, bekommt hier ein zusätzliches Gewicht. Sie sind potentielle „opinion leaders" der Schüler. Wie ernst man diese Dinge nicht nur zu nehmen hat, sondern gegenwärtig auch bereits nimmt, zeigt u. a. die Tatsache, daß i m Rahmen der Deutsch-Französischen Freundschaftsverträge, die nach mehreren Generationen der Gegnerschaft zwischen beiden Völkern eine Entente herstellen sollen, das „deutsch-französische Jugendwerk" mit einem hohen Etat bereits zum auffälligen Schwerpunkt geworden ist. Man mag darüber i m einzelnen denken, wie man w i l l , hinsichtlich des Politischen und Technischen, so steht doch außer Frage, daß hier die Übel psychologischer Völkerverhetzung einmal an der Wurzel gefaßt werden könnten. Es ist auch kein Zufall, daß fast alle größeren Außenministerien Referate für Jugendarbeit besitzen (vielfach mit den Referaten für Fragen des Sports verbunden) und daß sich hier die Arbeit ständig vermehrt. Obwohl gerade i m Bereich der Jugendarbeit manch* Wichtigtuer auftritt und unausgereifte Projekte häufig sind (die dann, auch ohne offizielle Unterstützung durchgeführt, leicht größere Schwierigkeiten verursachen), so liegt doch auf diesem Gebiet ein besonders befriedigendes Tätigkeitsfeld der internationalen Kulturarbeit. Sie umfaßt auch den Austausch und die Betreuung von jungen, ausländischen Praktikanten, die ihre Berufsausbildung i m Ausland erweitern wollen, und geht dann i n die internationale Hochschul- und Studentenarbeit über, die w i r aber erst weiter unten behandeln werden. I n diesem Zusammenhang kann aber doch schon kurz auf das besonders wichtige Gebiet der sogenannten Auslandsschulen hingewiesen 45
Ebenso w i e sich V o r - u n d Familiennamen m i t den Persönlichkeitsbildern derjenigen assoziativ vermengen, die sie tragen, so werden auch unsere „ I m a ges" von Nationen durch Begegnungen m i t deren Angehörigen mitgeprägt. Dadurch können Stereotype der Propaganda, des Films etc. w i r k s a m k o r r i giert werden.
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werden. Entstanden teilweise sehr früh (z.B. ist die älteste und noch heute bestehende deutsche Auslandsschule die 1575 i n Kopenhagen gegründete St. Petrischule, man denke auch an das berühmte „französische Gymnasium" in Berlin), dienten sie zunächst den Bedürfnissen von Emigranten, die als Fremde in den Einwanderungsländern dort entweder keine geeigneten Unterrichts ans t alten vorfanden, als religiöse Minderheiten eigene Erziehungsinstitutionen wünschten (die sich ursprünglich ja stets an die Religionsgemeinschaften anlehnten) oder i n jüngerer Zeit aus nationalen Gründen besonderen Wert auf die Erhaltung ihrer Muttersprache legten. Die Auslandsschulen gehen also ursprünglich nicht auf staatliche Planung zurück, sondern verdanken ihre Existenz der oft erstaunlich kräftigen Privatinitiative aktiver und opferbereiter Minderheitsgruppen i m Ausland. Heute werden die Auslandsschulen freilich meist von den Heimatregierungen unterstützt und teilweise auch neu eingerichtet, wobei man zunehmend Wert auf die Mitarbeit des Gastlandes legt und legen muß, seitdem das Schulwesen sich als staatliche Domäne durchgesetzt hat, fast überall Schulzwang besteht und staatliche „Bildungspatente" zunehmend Bedeutung gewinnen. Das Vorhandensein eines echten privaten Bedarfs w i r d durch die Bildung von Schulvereinen zum Ausdruck gebracht und die Schule gern, wie z. B. durchweg i m Falle der deutschen Auslandsschulen, von eingetragenen Vereinen nach dem Recht des Gastlandes betrieben. M i t diesen schließen i m Falle der deutschen Auslandsschulen die von ihren Kultusministerien beurlaubten Lehrer privatrechtliche Dienstverträge. Doch gibt es auch andere Formen. Festzuhalten bleibt das Faktum, daß die früher meist staatlicherseits sehr vernachlässigten und armen Auslandsschulen heute zu einem Schwerpunkt auswärtiger Kulturarbeit geworden sind. So betreute 1963 die Deutsche Bundesrepublik 440 Auslandsschulen, und der Schulfonds, der vom Auswärtigen A m t verwaltet wird, beträgt fast die Hälfte der für die übrige Kulturarbeit zur Verfügung stehenden Mittel 4 6 . Zugrunde liegt der Gedanke, daß Sprachkenntnisse i m allgemeinen als Grundlage jeder engeren Beziehungen von Ausländern zur eigenen K u l t u r angesehen werden können 4 7 und bekanntlich i m Kindes- und Jugendalter hierbei sehr viel schnellere Resultate erzielt werden. Hinzu kommt, daß mit der Errichtung und dem Ausbau von Schulen oft dringenden lokalen Bedürfnissen entsprochen w i r d und daß sie als Begegnungsstätten (man spricht direkt von „Begegnungsschulen") verschiedener Nationalitäten völkerverbindende 46 V o n den der K u l t u r a b t e i l u n g des Auswärtigen A m t s i m Jahre 1964 zur Verfügung gestellten r u n d 169 M i l l . D M entfielen auf den Schulfonds etwa 52 M i l l . 47 Daß es auch Ausnahmen von diesem Erfordernis gibt, beweist u. a. die große noch nicht staatlich forcierte Ausstrahlung russischer K u l t u r , insbesondere Literatur, i n der zweiten Hälfte des 19. u n d zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
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Funktionen vorzüglich erfüllen können. Frühzeitige Koedukation verschiedener Nationalitäten kann bei objektiver Haltung der Erzieher mit der Beseitigung der Fremdheitsphänomene auch -den Aversionen vorbeugen, die mit dem Fremdheitserlebnis so leicht verbunden sind; dies ist auch der Grund dafür, weshalb entsprechende Forderungen für die Verfechter der Rassengleichheit i n verschiedenen Ländern so zentral sind. Grundsätzlich ist es daher auch zu begrüßen, wenn sich Auslandsschulen nicht nur auf eine nationale Minorität i m Gastland beschränken, sonderen auch einen bestimmten Prozentsatz von Kindern der Gastnation mit unterrichten. 6. Gruppen eigenen Volkstums oder eigener Sprache Jede Auslandsvertretung eines Staates, jedes seiner auswärtigen Kulturinstitute w i r d von Anfang an mehr oder weniger ausgedehnte und intensive Beziehungen mit Angehörigen der eigenen Nationalität 4 8 pflegen, welche i m Gastland vorübergehend oder dauernd leben. M i t Menschen, -die noch die Nationalität des Staates besitzen, der vertreten wird, oder sie ursprünglich besessen und aus was für Gründen auch immer aufgegeben haben. Und auch mit Menschen, die i m Gastland geboren sind und von Geburt her seine Staatsangehörigkeit besitzen, aber doch die Sprache der Auslandsvertretung sprechen und die K u l t u r der durch diese vertretenen Nation als ihre eigene empfinden und pflegen (oft bei völkischen Minderheiten, aber auch bei einzelnen Familien). Die Relationen zwischen offiziellen und offiziösen Außenstellen eines Landes und den genannten, sehr verschiedenartigen Gruppen und einzelnen i m Gastland sind von großer praktischer Relevanz für die zwischenstaatlichen Beziehungen. Obwohl die Beziehungen zu diesen Gruppen erheblichen Wert haben können, sind sie keineswegs immer einfach und harmonisch, sondern häufig komplex und kompliziert, wobei die Erwartungen der verschiedenen Gruppen und Institutionen (inklusive derjenigen von dritter Seite) nicht immer koordiniert und erfüllt werden können und auch ausgesprochene Interessenkonflikte auftreten. Einzelne und Gruppen anderer Nationalität in einem Lande sind dort i m soziologischen Sinne immer mehr oder weniger „Fremde", so gut sie es kennen mögen und sollten sie auch juristisch eingebürgert sein. Völkische Minderheiten bilden „Subkulturen", d. h. kulturelle Untergruppen, was nicht identisch m i t Unterschichten ist, da es ja durchaus auch 48
Nationalitätenfragen haben i n Europa besonders zwischen den beiden Weltkriegen große Beachtung gefunden u n d eine umfangreiche L i t e r a t u r hervorgebracht. Vgl. Eugen Lemberg: Geschichte des Nationalismus i n Europa, Stuttgart 1950, insbes. K a p i t e l V I I I : Die Nationalitätenfrage (S. 221—266).
6. Gruppen eigenen Volkstums oder eigener Sprache
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Oberschichtskulturen mit eigenem heterogenem Stil (z.B. i n früheren Kolonialgebieten) sein können. Diese einzelnen und Gruppen fremder Nationalität oder Sprache befinden sich sowohl ihrer gegenwärtigen Heimat, als auch ihrem Herkunftsland gegenüber i n einer spezifischen Rolle, fühlen sich i n einer bestimmten, nicht mehr ganz naiven, sondern mehr oder weniger bewußten und reflektierten, oft emotional positiv oder negativ aufgeladenen Attitüde. Hierbei trifft man mannigfaltige Spielarten an, je nachdem, wann, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen die ursprüngliche Heimat der Familie oder des einzelnen verlassen wurde, wie sich beruflicher Erfolg, menschliche Kontakte und Akkulturation (d. h. die Aneignung der fremden K u l t u r durch den oder die Betreffenden) gestaltet haben. Hierbei ergeben sich mannigfache Kombinationen, etwa die Perhorreszierung der alten Heimat w i r d mit der Apotheose der neuen kombiniert, oder es findet das Umgekehrte statt, vielfache Nuancen der Einstellung sind zu beachten, z. B. Ablehnung der Politik und Sozialstruktur des Ursprungslandes (die Auswanderer aus Deutschland 1848) kombiniert mit nostalgischen Gefühlen; auch erhebliche Schwankungen der Einstellung und Stimmung sind häufig sowie überraschende Aktualisierungen verschiedener Persönlichkeitsseiten aus verschiedenen Anlässen. Ihrer Natur nach erscheinen die genannten Gruppen zunächst wie geschaffen, um „ M i t t l e r " zwischen Nationen zu sein, da sie die Kenntnis verschiedener nationaler Kulturelemente miteinander verbinden. Aus dem Gesagten dürfte aber bereits klargeworden sein, daß diese Prädisposition i m Einzelfall sehr genau zu untersuchen ist. Schon für die allgemeine Gruppenforschung ist zu fragen, wer am besten die B r ü k ken schlägt, ob w i r ein optimales Ergebnis dort zu erwarten haben, wo ein Angehöriger einer Gruppe sich bereits weitgehend mit einer anderen identifiziert hat (die berühmte „Reference Group") und unter welchen Umständen dies so ist. Auch hier steht die soziologische Forschung noch vor unbewältigten Aufgaben. Es ist übrigens auch eine alte, immer wieder diskutierte Frage in der Diplomatie, ob man auf einen Auslandsposten einen für die dortigen Verhältnisse besonders eingenommenen Missionschef entsenden soll, als Botschafter zum Vatikan z. B. eher einen Katholiken als Protestanten. Die i m Ausland lange ansässigen eigenen Volksangehörigen fühlen sich jedenfalls i n doppelter Hinsicht kompetent: als gründliche Kenner des Gastlandes, welches z. B. Diplomaten i n der Regel nur i n dem kurzen Zeitraum von drei Jahren zu studieren die Möglichkeit haben, und ferner als Repräsentanten ihrer heimatlichen Kultur, die sie i n einer bestimmten Form verstehen, vertreten und verkünden. Sie haben längere Erfahrung m i t Sympathien und Antipathien, die i n der Gastbevölkerung hinsichtlich ihres U r sprungslandes bestehen, und wissen vielfach besser Bescheid über per-
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5. Kap.: Destinatre im Ausland
sonale, materielle und organisatorische Schwierigkeiten und Möglichkeiten; sie verfügen über persönliche Kontakte und familiäre Beziehungen, die zu nutzen für Auslandsmissionen und Auslandsinstitute interessant und wertvoll sein kann. A u f der anderen Seite aber sind diese i m Gastland ansässigen Gruppen m i t bestimmten Handikaps hinsichtlich ihrer Nutzung für die zwischenstaatliche Kulturarbeit belastet, die ihre Qualifikationen oft sehr mindern, ihre Rolle als Mittler entwerten und die betreffenden sogar zu Hindernissen werden lassen können: So fühlen sie sich verständlicherweise nicht selten als -die eigentlichen, „echten" Vertreter ihres Landes, reagieren deshalb äußerst empfindlich, wenn sie übergangen werden, drängen ihren Rat und ihre Hilfe förmlich auf, haben gewisse monopolistische Tendenzen und besitzen auf Grund ihrer langjährigen Abwesenheit oder überhaupt fehlender persönlicher Anschauung von ihrem Ursprungsland ein Imago dieser Heimat, das mit der Realität nicht (nicht mehr) übereinstimmt 49 . Hinzu kommt, daß diese Gruppen oft nicht leicht verstehen, daß es den Auslandsvertretungen vor allem darum gehen muß, die kulturellen Kontakte m i t dem betreffenden Gastland zu pflegen, und daß der Verkehr mit den eigenen oder früheren Landsleuten nicht ihre Hauptaufgabe ist, wenn sie ihnen auch, wo erforderlich, Rat und Hilfe geben. So muß es der Kulturarbeit der amerikanischen Botschaft i n Paris ungleich stärker u m die Franzosen, als u m die i n Frankreich lebenden Amerikaner gehen, so kann sich die Kulturarbeit der deutschen Botschaft i n Washington nicht i n erster L i nie um die früher oder später eingewanderten „Deutsch-Amerikaner" kümmern 5 0 . Hier gilt es also für die Auslandsmissionen, der bekannten menschlichen Neigung der Assoziierung von Gleichen 51 bewußt ent49
So haben sich viele auslandsdeutsche Gruppen lange das B i l d des deutschen Kaiserreiches erhalten, teilweise bis heute, u n d es w a r für die deutschen Auslandsmissionen nach dem zweiten Weltkrieg nicht einfach, ihnen die aktuellen Probleme Deutschlands nahezubringen. Dies ging bis zum Festhalten an den alten deutschen Reichsfarben schwarz-weiß-rot. Ähnliches gilt für viele B r i t e n i m Ausland, die noch der imperialistischen Tradition eines Rudyard Kipling oder Cecil Rhodes anhängen, nicht i m m e r zur Freude b r i t i scher Auslandsdienste. I n Kolonialgebieten, die inzwischen ihre Selbständigkeit errungen haben, entstehen aus antiquierten Haltungen früherer europäischer Oberschichten manche Belastungen. 50 U m wieder das deutsche Beispiel, welches uns am nächsten liegt, heranzuziehen, so gibt es gerade i m Auslandsdeutschtum die verschiedensten oft miteinander verfeindeten oder doch zumindest voneinander sehr distancierten Gruppen: Die alten Kolonien von vor dem ersten Weltkrieg, die Emigration aus den Jahren der großen Arbeitslosigkeit, die Emigranten aus dem H i t l e r regime, Gruppen, die sich i m nationalsozialistischen Sinne exponiert u n d kompromittiert haben, sowie die sonstigen Auswanderer nach dem zweiten Weltkrieg. 51 Die Soziologie braucht diese alten, längst bekannten sozialpsychologischen Phänomene nicht über den Neues bietenden modernen Theorien zu vergessen. I n vielen Sprachen ist sprichwörtlich: „Gleich u n d Gleich gesellt sich
6. Gruppen eigenen Volkstums oder eigener Sprache
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gegenzusteuern, damit nicht außer der stets vorhandenen, bereits sehr einseitigen „Diplomateninzucht" auch noch ein breiter und fester Kreis der sogenannten „Kolonie" die betreffende Außenstelle abkapselt, gelegentlich majorisiert und damit ihre Ausstrahlung i m Lande reduziert. Etwas ganz anderes ist es natürlich, Institutionen zu fördern, die sich das Ziel gesetzt haben, vom Inland aus den Kontakt mit den eigenen Volksangehörigen i m Ausland zu pflegen 52 , um diesen zu helfen, ihre eigenen kulturellen Traditionen für sich und ihre Kinder aufrechtzuerhalten. Denn was i n dieser Beziehung i m Ausland von isolierten einzelnen und Gruppen schon mit ganz kümmerlichen Mitteln geleistet wird, ist oft bewunderungswürdig und verdient Förderung. Die zwischenstaatliche Kulturpolitik darf aber nicht die Tatsache ignorieren, daß i n bestimmten Fällen kulturelle Minoritäten i n dem Staatsverband einer fremden nationalen K u l t u r keineswegs eine positive Mittlerrolle spielen, sondern i m Gegenteil eine schwere Belastung der Kulturbeziehungen darstellen können. Dies w i r d immer dann der Fall sein, wenn sie i n einen ausgesprochen politischen Gegensatz zu ihrem Staatsverband getreten sind, regelmäßig dann, wenn die Zugehörigkeit keine freiwillige ist, sondern von der Mehrheit abgelehnt wird; insbesondere also, wenn die Staatszugehörigkeit auf einer territorialen Veränderung nach kriegerischen Konflikten beruht. So waren Elsässer und Lothringer französischer K u l t u r i m Verband des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1918 keine Förderer der Kulturbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, so sind es die Südtiroler deutsch-österreichischer K u l t u r i m italienischen Staatsverband seit dem Friedensvertrag von St. Germain noch nicht geworden. Diese „Nationalitätenprobleme" haben besonders nach dem ersten Weltkrieg i n Europa eine Rolle gespielt, als man zwar das Selbstbestimmungsrecht nicht immer respektierte, aber noch nicht zu den Zwangsmitteln der Massenvertreibung gegriffen hatte. Entsprechende Probleme bestehen überall i n der Welt. Seit der Nationalsozialismus auslandsdeutsche Volksgruppen als sogenannte „Fünfte Kolonnen" 5 3 mobilisierte und mißbrauchte, ist die Furcht vor derartigen Rollen kultureller Minderheiten nicht mehr geschwunden. gern", „ Q u i se ressemble s'assemble", „Birds of a feather flock together", „ C h i si somiglia, si piglia". 52 W i r nennen hier für Deutschland vor allem das 1917 gegründete „Deutsche Auslandsinstitut" i n Stuttgart (vgl. Franz Thierfelder: Auslandsdeutschtum u n d internationale K u l t u r p o l i t i k , Außenpolitik, Heft 10/57, S. 627—633), das seinen Tätigkeitsbereich inzwischen sehr ausgedehnt hat. 53 Der Ausdruck „fünfte Kolonne" wurde i m spanischen Bürgerkrieg der 30er Jahre bekannt, als General Franco die Republikaner i n 4 Kolonnen angriff, während eine fünfte hinter der republikanischen Front unterminierend fungierte.
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5. Kap.: Destinatäre im Ausland
I n diesem Zusammenhang halten w i r es für nötig, noch einmal an das eingangs von uns über die Nationalität Gesagte anzuknüpfen. Es w i r d nämlich immer wieder von Staaten versucht, frühere Staatsangehörige i n Konfliktsituationen für politische Zwecke zu aktivieren, indem man gewissermaßen einen „character indelebilis" postuliert. Dies widerspricht nun diametral der früher von uns zitierten Auffassung von Nation als dem „plébiscite de tous les jours", wie sie sich i m Liberalismus durchgesetzt hat, entspricht aber andererseits Volkszählungspraktiken i n manchen Ländern. Daß politische Haltung und kultureller U r sprung sehr wohl divergieren können, dafür gibt es zahllose Beispiele, z. B. schon die Hugenotten- und Refugiéfamilien, aus denen sich prominente preußische Offiziersgeschlechter entwickelten. Daß diese Dinge immer wieder problematisch werden können, bewies jüngst der Fall der Einstein-Briefmarke 54 . Ob die Hypostasierung der Nationalität ihren Höhepunkt i m mondialen Rahmen schon überschritten hat, ist offen. Es hat jedenfalls immer etwas Peinliches, wenn kulturelle Leistungen gegen den Willen der Autoren selbst von Nationen mit Beschlag belegt werden 55 .
54
Die Deutsche Bundespost wollte A l b e r t Einstein i n die Serie großer Deutscher aufnehmen, was seine Familie nicht wünschte. 55 Besonders grotesk sind die Fälle, w o Nationen sich u m die Volkszugehörigkeit genialer Menschen streiten, die i n Zeiten gelebt haben, die dererlei Dinge noch nicht wichtig nahmen (Der F a l l Kopernikus /).
Sechstes Kapitel
Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik 1. Substanz und Prestige kultureller Leistung im Heimatland
Wir haben oben die Vorstellung abgelehnt, daß auswärtige K u l t u r politik die eigene K u l t u r gewissermaßen wie eine Ware, gefällig verpackt, i m Ausland „verkaufen" könne und die Diskrepanz dieser Konzeption zu den sich i n der Realität vollziehenden Prozessen festgestellt. So einfach liegen, wie w i r sahen, die Dinge nicht. Aber w i r müssen doch andererseits erkennen, daß sich das Kulturelle, um das es unserer Untersuchung geht, nicht nur i m Atmosphärischen, oder sogar nur i n Lippenbekenntnissen finden darf, sondern daß es hierbei doch u m eine, wenn auch schwierig zu erfassende „Substanz" geht. Ohne diese m i t scharfen Konturen herauspräparieren zu können, läßt sich doch soviel sagen: Die i m Ausland zu vertretende K u l t u r muß sich i n Leistungen manifestieren, w i l l man i m Ausland mehr als eine Lebensform schlechthin vermitteln. Und diese Leistungen dürfen nicht rein musealen Charakter tragen, sondern sie müssen mehr oder weniger lebendig, d. h. der lebenden Generation bekannt und für sie als Werte relevant sein. Wenn man die gegenwärtig beliebten K r i t i k e n an der deutschen auswärtigen Kulturpolitik analysiert, so kommt man zu dem Ergebnis, daß hier vielfach ein berechtigtes Unbehagen über mangelnde Ausstrahlung ein falsches Objekt der K r i t i k gefunden hat, daß der Sack geschlagen wird, wo es i m Grunde u m den Esel geht. W i r wollen damit sagen, daß man oft Vorwürfe gegen den Apparat der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k erhebt, der es angeblich nicht verstünde, die deutsche K u l t u r i m Ausland wirksam zu propagieren, wo es doch auf manchen Gebieten einfach an ihrer Kraft und ihrem Inhalt mangelt. Ja, man könnte wohl i n gewissen Fällen Analogien zu individualpsychologischen Erscheinungen herstellen, zu dem nicht seltenen Phänomen nämlich, daß bei mangelnder wirklicher eigener Leistung — mag dieser Mangel bewußt eingestanden oder unbewußt wirksam sein — der Anspruch an die äußere Geltung des Individuums innerhalb seiner jeweiligen sozialen Umwelt
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6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik
höher und höher geschraubt wird, bis, wie die Tiefenpsychologie immer wieder erfährt, die Diskrepanz peinlich, ja unerträglich wird. Die Lebendigkeit und tiefere „Geltung" der eigenen kulturellen Tradition i m Inland, die Anteilnahme, welche neue schöpferische Leistungen i n der Öffentlichkeit des Heimatlandes und bei seinen führenden Schichten finden, Prestige und sozialer Status der auf dem engeren kulturellen Sektor Tätigen, Höhe der Honorierung ihrer Leistungen, alles dieses ist zunächst ins Auge zu fassen, wenn man eine mangelnde kulturelle Ausstrahlung nach außen zu bemerken glaubt und ihr auf den Grund zu kommen sucht. Es ist immer zunächst nach der „Substanz" zu fragen, um die es geht, und nach der Beachtung, welche sie i m jeweiligen Inland findet. Mangelnde Qualität dieser Substanz oder mangelndes Qualitätsgefühl der heimatlichen Umwelt echter Leistung gegenüber kann durch keine noch so gewandte Propagierung i m Ausland auf die Dauer ersetzt werden. Es ist hier wie bei jeder Werbung. Selbst große Leistungen aus der Vergangenheit einer Nation können der auswärtigen Kulturarbeit nur dann einen stärker und weiter w i r kenden Inhalt geben, wenn sie lebendig geblieben oder wieder geworden sind. Das heißt, wenn dem durch sie i m Ausland wachgerufenen Interesse auch i m Inland entsprochen wird, so daß tiefere sachliche und oft dann auch menschliche Beziehungen darüber entstehen. Es ist dagegen unmöglich, i m Ausland künstlich Kulturtraditionen lebendig zu halten, die i m Inland abgestorben sind. Wo dies doch der Fall zu sein scheint, handelt es sich dann eben nicht um eine lebendige Kulturbeziehung, sondern u m Akte kultureller Befruchtung, u m Rezeptionen, wie es deren unzählige gibt. Gewiß werden selbst i m Zeitalter der Massenmedien und raschen Kommunikationswege die Bilder der Nationen und Völker nach außen hin stets einen gewissen „lag" gegenüber der i m Inland sich darbietenden lebendigen Gegenwart aufweisen. Aber es ist z. B. unrealistisch zu erwarten, daß ausländische Bildungseliten und Führungsschichten echtes Interesse an Künstlern gewinnen könnten, die den entsprechenden Spitzen i m Inland nichts bedeuten. I m Inland unbekannte Künstler bleiben dies i n der Regel auch i m Ausland, und der Satz, daß der Prophet nichts i n seinem Heimatland gelte, erhält seine positive Version erst bei zumindest zeitweiliger Auswanderung. Ist die deutsche Literatur bis zur Romantik dem Durchschnittsdeutschen unbekannt, so bleibt sie es auch i m Ausland. Ignorieren w i r unsere zeitgenössischen Maler und Musiker, so haben sie keine Chance, Weltgeltung zu gewinnen, jedenfalls solange sie i m Lande bleiben. Wird die Qualität unserer Hochschulen i m Inland gering gewertet, breitet sich hier nach einem Übermaß an Selbstbewußtsein um die Jahrhundertwende ein Minderwertigkeitsgefühl aus, so schreckt dieses Gefühl auch qualifizierte Ausländer und potentielle
1. Substanz u n d Prestige k u l t u r e l l e r Leistung i m Heimatland
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Schüler ab und treibt qualifizierte Gelehrte zu Auswanderung, die es sachlich nicht nötig hätten. Auch hier drängen sich die Parallelen zur Individualpsychologie förmlich auf 1 . Und wenn sich auch die kulturelle Breitenwirkung nicht auf Kommando einstellt, so ist doch ein gewisses M i n i m u m an kulturellem Selbstbewußtsein Voraussetzung jeder Ausstrahlung, wie immer wieder am französischen Beispiel studiert werden kann. Daß jede größere Prätention dann immer auch Gegenbewegungen hervorruft, ändert nichts an der Tatsache. Das Prestige kultureller Leistung hängt unter anderem eng zusammen mit dem Sozialprestige der sogenannten kulturellen Berufe, wobei letzteres für uns den Vorteil bietet, leichter gemessen werden zu können. Freilich sind unter den Berufsgruppen die sogenannten „ K u l turschaffenden" — um diesen persistierenden Ausdruck aus dem Wörterbuch einer angeblichen Arbeiterbewegung hier einmal anzuführen — hinsichtlich ihres Sozialprestiges immer noch schwierig genug zu fixieren. Denn i m Unterschied zu Professionen, wie beispielsweise denen des Arztes, Pfarrers oder Friseurs, die i n der öffentlichen Meinung in ihrem Berufsbild klar umrissen sind und daher auch einen klaren Prestigewert besitzen, erfährt jeder empirische Sozialforscher bei entsprechenden Umfragen, wie unsicher z.B. Künstler und Schriftsteller eingeordnet werden. Können Wissenschaft und Forschung i n unserem Zeitalter über einen hohen und klaren Prestigewert verfügen, so bestehen hinsichtlich der Künstler nicht nur große Schwankungen, sondern es wirken sich anscheinend auch noch ältere Sozialvorstellungen negativ aus, darunter vielleicht sogar noch die „Unehrlichkeit" mancher dieser Berufe i m Mittelalter. Es erscheint uns daher als Gegengewicht richtig, wenn Nationen ganz bewußt ihre guten Künstler prominent herausstellen, ihnen dazu entsprechende Ränge und Auszeichnungen zukommen lassen (z. B. den Orden Pour le Mérite, Mitgliedschaften i n Akademien wie der Académie Française, höhere Staatsstellungen usw. 2 ). Dies hat schon Fontane gesehen und gefordert 3 .
1 M a n denke n u r an die bedeutsamen Konsequenzen positiver oder negativer Autosuggestion, an Émile Coué u n d an die einflußreichen populären Schulen, die sich auch unabhängig von i h m besonders i n A m e r i k a (wichtiger Bestandteil der „Christian Science", reiner ausgeprägt i m „ N e w Thought") ausgebreitet haben; sie fanden auch i n den vielgelesenen Büchern eines Dale Carnegie ihren Niederschlag. 2 M a n sollte nicht allzu b i l l i g über Künstlereitelkeiten witzeln. Dem Verf. steht noch die eindrucksvolle Todesanzeige von Ernst Barlach vor Augen, die 1938 den verfemten Künstler als Ritter des Ordens Pour le Mérite auswies. Es w a r bedeutsam, Carl v. Ossietzki den Nobelpreis ins Konzentrationslager zukommen zu lassen. Daß der Intellektuelle u n d Künstler i n PreußenDeutschland n u r zeitweise (z. B. unter Friedrich d. Gr., Friedrich Wilhelm IV. u n d i n der Weimarer Republik) entsprechendes Ansehen genoß, ist für unsere K u l t u r von Schaden gewesen. I m wilhelminischen Deutschland w a r die
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Emge
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6. Kap. : Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik 2. Struktur und Organisation der kulturellen Sphäre im Heimatland
Haben w i r erkannt, daß das Vorhandensein einer genügend großen kulturellen Substanz die Vorbedingung jeder wirksamen kulturellen Außenpolitik darstellt, daß die kulturelle Situation i m Inland maßgebend ist und das Florleren von Künsten und Wissenschaften conditio sine qua non jeder stärkeren Ausstrahlung, so werden Struktur und Organisation der kulturellen Sektoren i m Heimatland wichtige Faktoren auch für unser Thema. Nicht nur aus dem „technischen" Grunde, daß die Organisationen und Funktionäre auswärtiger Kulturarbeit immer wieder mit den entsprechenden Realitäten konfrontiert werden, sondern schon aus dem tieferen, daß bereits die Qualität der k u l t u rellen Leistungen selber durch diese Strukturen und Organisationsformen entscheidend beeinflußt wird. Kein Soziologe w i r d sich mit der äußeren Tatsache abfinden, daß Nationen zu verschiedenen Zeiten ihrer Geschichte kulturell produktiv oder unproduktiv sind, daß sie für ihre Produktivität wechselnd jeweils verschiedene Domänen finden, sondern er w i r d allzu einfache kultur-philosophische Spekulationen über „Jugend" oder „ A l t e r " der betreffenden Kulturen beiseite lassen und nach den jeweils gegebenen Bedingungen fragen. So muß dies für unser spezielleres Thema geschehen. Wenn auch auf diesem Gebiet erst mit der Arbeit begonnen worden ist, weshalb sich z. B. die gegenwärtige Diskussion über aktuelle Bildungsfragen noch mehr durch Quantität, als durch Qualität auszeichnet, so beginnt man doch auch i n der Öffentlichkeit die Bedeutung einiger Zusammenhänge zu sehen. Freilich scheinen noch viele Diskussionsbeiträge den Mangel aufzuweisen, daß sie das jeweilige Thema isoliert, d. h. ohne seine notwendigen gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen betrachten, die sonst Unverständliches oft schlagartig erhellen können. U m Beispiele aus unserem engeren Studiengebiet anzuführen: Wenn man sich über die mangelhafte Ausstrahlungskraft deutscher K u l t u r beklagt und die Ursache hierfür nur i n allerhand organisatorischen oder personellen Mängeln der kulturellen Außenpolitik sucht, so versäumt man, auf das gesunkene Prestige jeder nicht ökonomisch i n absehbarer Zeit nutzbaren geistigen und jeder künstlerischen Leistung überhaupt einzugehen und den möglichen Ursachen hierfür nachzuspüren. Man w i r d daran gehindert, das Fehlen einer funktionsfähigen Hauptstadt i n ihren zahlreichen kulturellen Konsequenzen zu erkennen und schließlich die Auswirkungen eines kulturpolitischen Föderalismus i m Hinblick auf „kleine Exzellenz" Adolf v. Menzel eine rühmliche Ausnahme auf künstlerischem Gebiet. 3 Th. Fontane: Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller, Magazin für Literatur, Bd. 60/1891, S. 818 f.
2. S t r u k t u r u n d Organisation der k u l t u r e l l e n Sphäre i m Heimatland
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unser Thema überprüfen, der i n seiner gegenwärtigen Form zwar durchaus nicht kulturfeindlich schlechthin ist — i n gewisser Hinsicht sogar das Gegenteil —, aber doch für die organisatorische Durchführung bestimmter Ziele recht hinderlich. Es muß daher für die Verantwortlichen ermüdend sein, wenn immer wieder auf das Beispiel Frankreichs verwiesen wird, dessen zentralistische Struktur ihm i m Hinblick auf seine kulturelle Außenpolitik ganz andere Möglichkeiten gibt — von allem anderen abgesehen — und das sich daher schon aus diesem Grunde von unseren Verhältnissen unterscheidet. Ein weiteres Beispiel für das von uns Gemeinte ist das Erziehungswesen, dessen Struktur i n der letzten Zeit einen Mittelpunkt des Interesses bildet. Dazu trugen wesentlich die Probleme bei, welche sich i m Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe stellten, die man bekanntlich zunehmend auch als Bildungshilfe versteht, und sie ließen die Aufmerksamkeit nicht ohne kräftige K r i t i k auch auf das vielfach noch i n den Formen des 19. Jahrhunderts weiter existierende Bildungswesen der älteren europäischen Nationen zurückfallen. Dieses w i r d daher mehr und mehr systematisch untersucht 4 . Dabei ist es kultursoziologisch bezeichnend, daß die Forderung nach höherer Bildung für den Menschen, die beispielsweise i m 18. Jahrhundert nicht nur das Werk der Enzyklopädisten trug, sondern auch einen Antrieb für die große Französische Revolution bildete, daß diese Forderung nach höherer Bildung und Vervollkommnung des Menschen als solche auch i m sogenannten Abendland i n den Hintergrund getreten ist, und für Festreden reserviert bleibt. Dagegen finden w i r eine intensive und breite Argumentation, daß man bei geringem Bildungsstand auch wirtschaftlich überrundet werde. Erst von diesen ökonomischen Aspekten kann man heute hoffen, daß sie die Augen (und, wie w i r vielleicht hinzufügen dürfen, die Taschen) der maßgebenden Staats- und Wirtschaftskreise öffnen werden 5 . A u f der Hand liegt jedenfalls, daß Nationen, die nicht i n der Lage sind, ihre eigenen Bildungsprobleme befriedigend zu lösen, auch i m 4 Z. B. von Fr. Edding i n seiner grundlegenden: Ökonomie des Bildungswesens, Lehren u n d Lernen als Haushalt u n d als Investition, Freiburg 1963. Auch sind hier die wichtigen Untersuchungen u n d Zusammenstellungen zu nennen, die amtlicherseits laufend erstellt werden, z. B. f ü r die O E C D - K o n ferenz i n Washington 1961 über Wirtschaftswachstum u n d Ausbau des E r ziehungswesens (Deutsche Arbeitsmaterialien von Bernhard v. Mutius, ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, eindrucksvoll zusammengestellt). Polemisch, aber sachlich w o h l überwiegend treffend behandelte G. Picht die deutsche Bildungssituation i n einer aufsehenerregenden A r t i k e l serie i n „Christ u n d Welt". 5 Von den drei Wissensformen Heilswissen, Bildungswissen u n d Leistungsresp. Herrschaftswissens, die M a x Scheler i n einer Auseinandersetzung m i t Comte als zeitlos gültige Wesensformen einer bewußten Weltorientierung verstand, dominiert heute bei uns letzteres i n allen Schichten, sogar einschließlich der kirchlichen. Das „savoir pour prévoir" ist also eindeutig geworden. 12*
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6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik
internationalen Feld diesbezüglich ins Hintertreffen geraten. Es beginnt dann, wie bereits angedeutet, hinsichtlich der Hochschulen des betreffenden Landes ein circulus vitiosus: Der u m sich greifende, i m einzelnen wahre oder falsche Ruf von dem sinkenden oder gesunkenen Leistungsniveau läßt eigene Begabungen ins Ausland gehen und hält die besten ausländischen Begabungen fern. Er zieht dagegen die zweite und dritte Garnitur an, welche dann i n ihre respektiven Heimatländer zurückgekehrt, mit entsprechenden Examina i n der Tasche, das Bildungsprestige ihrer zeitweiligen Gastländer weiter reduzieren. Auch muß sich, was entscheidender ist, jedes mangelnde Ausbildungsniveau auf die eigenen Leistungen über kurz oder lang auswirken. Ist — um eine weitere einfache Illustration zu bringen — der schulische und private Musikunterricht i n einem Lande an Umfang und Qualität gering, so w i r d voraussichtlich die heranwachsende Generation selbst bei guter musikalischer Begabung international kaum i n nennenswertem Umfang brillieren können. Denn es ist hierfür immer eine gewisse Breite des Nachwuchses als Reservoir wichtig, wie es sich besonders deutlich auf dem Gebiet des Sports zeigt. Auch auf dem Bildungssektor werden also Versäumnisse und Mißstände des Inlands auf organisatorischem Gebiet gern der auswärtigen Kulturarbeit zu Unrecht angelastet. Es besteht, wo nicht durch andere Faktoren überdeckt, ein klares Korrelationsverhältnis zwischen Leistungsbreite und -niveau i m Inland und Ausstrahlung nach außen. Daneben gibt es freilich auch Fälle, wo die auswärtige Kulturpolitik, wie die Bildungssphäre des Landes überhaupt, noch i n einer A r t von „Cultural lag" bona oder mala fide etwas repräsentiert, was an der Wurzel bereits zugrunde gegangen ist oder i n Kürze — auf Grund entsprechender Versäumnisse der Bildungsplanung — zugrunde gehen muß. Umgekehrt braucht selbst i m Zeitalter der Massenmedien jede Leistung eine gewisse Zeit, u m auch i m Ausland gebührend bekannt zu werden. Schließlich sei i m Zusammenhang dieses Abschnitts noch folgende Überlegung wenigstens i m Ansatz festgehalten: Ist vielleicht die k u l turelle Ausstrahlung — schon instrumental — dort am stärksten möglich, wo das sozialkulturelle System i n sich keine schroffen Standes- und Klassenschranken kennt, seine Leitbilder und Wertschätzungen daher weitgehend allgemeinverständlich und verbindlich sind und auch Neues bereits immanent leicht von oben den Weg i n alle Schichten findet? So daß sich also, analog der vertikalen Promulgation, auch eine solche in horizontaler Richtung über die Landesgrenzen hinweg leichter vollzöge? M i t der Beweisführung für eine solche, historisch sicher an manchen Beispielen zu illustrierende Theorie würde man auch dem demokratischen Gedanken einen Dienst erweisen. Der Beweis bleibt jedoch i n allen Stücken erst anzutreten.
3. Über „Kulturgefälle" zwischen Nationen
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3. Über „Kulturgefälle" zwischen Nationen „Die Verschiedenheit von Kulturen kann ad infinitum dokumentiert werden" (Ruth Benedict). W i r müssen aber noch einmal auf die Frage nach dem „Kulturgefälle" zwischen Nationen zurückkommen. Haben w i r oben gesehen, daß dieser Begriff nur schwer anwendbar ist, wo ganz verschiedene Wertungen i m Spiel sind, so dürfte doch folgendes eindeutig sein: Abgesehen von der Frage nach dem verschieden großen, allgemeinen Potential, das gewissen Nationen ein großes Ubergewicht gibt (auf den funktionellen Zusammenhang zwischen politischer und w i r t schaftlicher Macht und kulturellem Einfluß kommen w i r i n Kürze zurück), lassen sich auch durchaus höhere oder geringere kulturelle Leistungen auf einem bestimmten Gebiet, i n eindeutiger Hinsicht miteinander vergleichen, d. h. i m Rahmen einer fairen, objektiven Wertung, die nicht den Menschen als solchen6, sondern bestimmte von ihm vollbrachte Leistungen vergleicht. Ohne auf Fragen einzugehen, die unsere Aufgabe überschreiten, wie diejenigen, ob, wann und i n welcher Lage man überhaupt diesem oder jenem Vorbild, besser zunächst: Beispiel, nachstreben soll, ob man diese oder jene fremden Institutionen i m i tieren, diese oder jene Kenntnisse sich (unter diesen oder jenen Opfern) aneignen soll, darf man doch objektiv sagen: A u f dem Sektor X sind die Leistungen i m Lande A hervorragend, könnte Land B von Land A etwas lernen, darf man also auch legitim von einem Leistungsgefälle, von Wertunterschieden sprechen. Es gibt weitestgehenden Consensus darüber, wo sich gute, durchschnittliche und schlechte chirurgische K l i niken befinden. Genauer: verschieden einzustufende Chirurgen, Krankenhäuser, Operationsgeräte, was sich nun noch weiterhin differenzieren läßt. Niemand w i r d bestreiten, daß Entwicklungsländer hinsichtlich der Errichtung von Ingenieurschulen und Technischen Hochschulen von den älteren europäischen Nationen, den USA und manchen Ländern des britischen Commonwealth vieles, wenn nicht häufig alles zu lernen haben. Messen w i r Leistungen aneinander, so wissen w i r doch, sowohl hinsichtlich der Völker, als auch hinsichtlich der Individuen: „non omnes possumus omnia." Je nach dem i n Frage kommenden k u l 6 „ I n d i v i d u u m est ineffabile". Eine dem Fetischismus meßbarer Leistung immer totaler anheimfallende Zeit, sollte sich von Zeit zu Zeit daran erinnern, daß das „operari" nicht i n jeder Beziehung über das „esse" zu stellen ist. Dies entspricht weder christlichem, noch humanistischem Denken (das Humboldtsche Bildungsideal), wodurch beide gewisse Gegengewichte gegen allzu rationalistische Planungen i m menschlichen Bereich darstellen können. Verschiedene fernöstliche Soziallehren setzen j a geradezu den Akzent auf das Nichthandeln. Freilich ist, wie w i r sehen müssen, auch hier eine Leistung, oft sogar eine eminente, aufgegeben u n d durch langes Training mühsam zu erwerben; z. B. eine solche der Konzentration. Z u r Gesamtproblematik natürlich nach w i e vor: M a x Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen 1920/21.
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6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik
turellen Gebiet, nach welchem gefragt ist, werden die verschiedenen Nationen Gebende und Nehmende sein. Solches gilt selbstverständlich nicht nur hinsichtlich der Beziehungen zwischen „alten" und „jungen" Völkern, um diese fragwürdigen Epitheta 7 hier einmal zu verwenden, sondern auch hinsichtlich aller Kulturbeziehungen überhaupt. Daß kulturelle Schwerpunkte entstehen, ist nicht nur ein immer wieder zu beobachtendes Faktum, sondern liegt auch i m Sinne eines auf konkreten Teilgebieten ja möglichen „Fortschritts" (klammern w i r die linear nicht progressive künstlerische Leistung hier einmal aus); es dient jedenfalls einer für die schöpferische Leistung günstigen, „dichten", durch zahlreiche Elemente zu künftigen Innovationen prädestinierten und anregenden Atmosphäre, wenn solche Zentren international bekannt, entsprechend gewürdigt, genutzt und weiterentwickelt werden. Bereits arbeitstechnisch ergibt sich die Notwendigkeit einer Kräftekonzentration auf immer mehr wissenschaftlichen Gebieten. Man w i r d sich also — um einige Beispiele herauszugreifen — zum Studium der Kybernetik heute nach den USA zu begeben haben, man w i r d Elektronenmusik vielleicht am besten i n Köln, künstlerische Formgebung von Möbeln und Haushaltsgegenständen i n Skandinavien studieren. Gewisse Schwergewichte liegen schon i n der Natur der Sache, etwa, daß man das „case law" und sein historisches Werden i n Großbritannien, die verschiedenen Yogaformen in Indien studiert. A u f der Hand liegt ferner, daß große Forschungsgebiete, voran solche der Naturwissenschaften, heute den Einsatz derartig hoher finanzieller Mittel erfordern, daß nur wenige Staaten daran denken können, hier miteinander zu konkurrieren. Dies wiederum mag das „Gefälle" weiter verstärken, es für lange Zeit fixieren. Auswärtige Kulturpolitik kann hier an der Lage der Dinge nichts ändern, sie kann Schwerpunkte nicht künstlich bilden, sondern lediglich die vorhandenen oder entstehenden bekannter und zugänglicher machen. Sie hat Wandlungen — auch wo dies bitter ist — anzuerkennen. Was Dresden i n musikalischer Hinsicht um 1900 war, München für den Expressionismus wenig später, mag heute mutatis mutandis nur i n New York oder i n Paris zu finden sein. War das „Bauhaus" in Weimar und später i n Dessau u. a. für Formgebung weltberühmt, so nannten w i r für die Gegenwart Skandinavien, oder w i r könnten auch die amerikanischen Wirkungsstätten emigrierter Bauhauskünstler anführen. Ausländischen Schwerpunktbildungen aus Gründen des nationalen Prestiges bewußt entgegenzuwirken, wird, solange das Zeitalter der Nationen andauert, immer wieder versucht werden, zu7 Sind Chinesen, Griechen, Äthiopier junge oder alte Völker? Es gibt m a n nigfaltige Kombinationen v o n alten u n d jungen, d . h . althergebrachten u n d jüngsterworbenen Kulturzügen. Meist zielt man entweder auf den Prozeß der Nationwerdung oder den Technisierungsgrad ab.
3. Über „Kulturgefälle" zwischen Nationen
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mal sich häufig ganz konkrete wirtschaftliche, ja i n einigen Sparten auch militärische Interessen damit verbinden. Ein solches Abkapseln ist aber nicht nur der alten europäischen, an übernationalen Werten orientierten Tradition fremd, sondern läuft auch dem Streben nach kulturellen Höchstleistungen zuwider. Künste und Wissenschaften haben sich, jedenfalls personifiziert i n ihren besten Vertretern, fast nie durch nationale Grenzen davon abhalten lassen, Förderung vom Ausland her zu suchen. (Daß es hierfür Behinderungen gab und gibt, steht auf einem anderen Blatt.) Oft verleihen auch i m Ausland arbeitende Künstler und Wissenschaftler ihrem Heimatland Prestige durch Leistungen, welche i m nationalen Rahmen nicht erreicht worden wären. Sprechen w i r von „Kulturgefälle", so vergleichen w i r höhere und niedrigere Ebenen. Selbst wenn diese Relationen lediglich i n bestimmter Hinsicht bestehen, so muß doch bei Gruppen in solcher Lage immer mit dem Auftauchen jener „Ressentiments" 8 gerechnet werden, die nicht nur dem Prozeß der Rezeption hinderlich werden, ja ihn geradezu unmöglich machen können, sondern die auch so oft i n der Geschichte eine explosive Rolle gespielt haben. Nationen löschen gern aus ihrem Gedächtnis, daß immer und überall i n der Geschichte Lehrer- und Schülerverhältnisse 9 bestanden haben, gerade auch zwischen Völkern. Dies braucht völkerpsychologisch natürlich genausowenig wie individualpsychologisch zu Aversionen zu führen. W i r stoßen hier auf ein fesselndes und brennend aktuelles Problem. Denn w i r wissen, daß zahlreiche Führer der revolutionären Bewegungen i n den ehemaligen Kolonialgebieten ihre Ausbildung i n den Mutterländern, teilweise unter erheblicher Förderung durch die Kolonialherren, erhalten haben. Oxford, Cambridge oder die Sorbonne sind Stationen i m curriculum vitae vieler Führer zur nationalen Unabhängigkeit. I n jeweils ganz verschiedenem Mischungsverhältnis wirken sich dabei in der individuellen Entwicklung vorsätzliche Planung, Ressentiments über wirkliche oder vermeintliche Zurücksetzungen und politische Chancen aus. I n der Geschichte hat es derartige Fälle immer wieder gegeben, die besonders objektiv wohl am spätrömischen Weltreich zu studieren wären. Der chinesische Kommunismus zeigt ähnliche Fakten. Man w i r d beim Versuch einer Ätiologie Parallelen zu den Sozialrevolutionären innerhalb einer Nation ziehen können, denen i n der überwiegenden Mehrzahl der 8
Der Begriff des „Ressentiments", der auf Nietzsche zurückgeht, w u r d e von M a x Scheler ausführlich behandelt. Vgl. M. Scheler: V o m Umsturz der Werte, Leipzig 1919, Bd. I, K a p i t e l : Das Ressentiment i m A u f b a u der M o ralen. Einer Anregung von C. A. Emge folgend, berücksichtigen w i r vier Formen solcher Fehlbewertungen: Das Überschätzen des Eigenen oder des Fremden, sowie das Unterschätzen des Eigenen oder des Fremden. 9 Eine soziologisch u n d i n ihren philosophischen Bezügen ebenfalls vor allem von Scheler untersuchte Konstellation.
1 8 4 6 . Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik Fälle die alte Gesellschaftsordnung zwar die M i t t e l zum Erwerb von Kenntnissen gab oder eine gehobene Ausbildung wenigstens ermöglichte, während andererseits der Aufstieg der betreffenden i n die führenden Schichten aus den verschiedensten Gründen blockiert blieb. Auch hier kann man Vilfredo Pareto als zwar immer wieder schockierenden Analytiker befragen. Das, was er über die ausschlaggebende Haltung der herrschenden Klassen ausführt, kann man auf das Nationenverhältnis ohne Gewaltsamkeit übertragen: Es kommt für eine einigermaßen friedliche Entwicklung auf die Bereitschaft der innerhalb des Gefälles Höherstehenden, Lehrenden an, die Rezipierenden i n ein echtes Solidaritätsverhältnis, in einen an der Sache orientierten Sozialzusammenhang aufzunehmen, welcher ihnen schließlich auch eine gleichberechtigte soziale Position eröffnet. Dagegen führen Überheblichkeit und das Betonen der sozialen Zäsuren — sind Gleichberechtigung und soziale Mobilität in ihrer Potentialität erst einmal erkannt — zwangsläufig zu antagonistischen Prozessen. Der Superioritätsdünkel läßt sich freilich generell nicht durch eine plötzliche Metanoia ablegen, aber doch durch zweck- und wertrationale Überlegungen und auch durch affektuelle Einflüsse (z. B. infolge von Team-Geist, Kameraderie, Konkubinat und Konnubium) wandeln. Ohne einen Optimismus zu teilen, wie er bei Dürkheim und Spencer durchscheint, w i r d man doch sagen dürfen, daß ebenso wie ökonomisch, so auch kulturell kooperative und komplementäre Beziehungen global zunehmen. Dies schließt Gegentendenzen, Abkapselungen und blutigste Antagonismen nicht aus und gibt keine Gewähr dafür, daß nicht nach jahrhunderterlanger Kooperation völkische Minderheiten oder schwächere Nachbarn auszutilgen versucht werden. Aber wie schon früher die Kreuzzüge oder fernöstliche Missionsstationen unsere Kunstformen, wie indische philosophische Lehren die Philosophie eines A r t h u r Schopenhauer beeinflußt haben, so fanden Yogatechniken vor einer Generation i m autogenen Training von I. H. Schultz Eingang in die Fachmedizin, und so werden heute bereits Schwerpunkte von, wie man bislang sagte, ausgesprochen abendländischer Lehre und Forschung in erst kürzlich auf westlichen Kurs eingeschwenkten Ländern des Ostens entwickelt. I n der Geschichte der Künste und Wissenschaften ist es übrigens nicht selten, daß gewissermaßen exportiertes Kulturgut i n neuer Form angereichert und nunmehr auch das Ursprungsland bereichernd zurückkehrt. Auch die Geschichte der Soziologie bietet hierfür gutes Anschauungsmaterial, wozu w i r nur an den Einfluß der Ideen von Max Weber i n den USA zu denken brauchen. Es ist hoffentlich verständlich geworden, daß man beim Vergleich von Gesellschaftssystemen auch i n kultureller Hinsicht gewissermaßen mehrdimensional vorgehen muß, wobei die Frage der Bewertung der
3. Über „Kulturgefälle" zwischen Nationen
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einzelnen Faktoren, wie w i r sahen, kompliziert und von dem Sozialwissenschaftler allein nicht vorzunehmen ist. Es ist zu einfach, wenn auch für den Abendländer bequem und befriedigend, wenn man beispielsweise ein Kulturgefälle hinsichtlich der materiellen Modalitäten von Eheschließungen derart annimmt, daß man die „Kaufehe" unter die Eheform rangiert, bei welcher die Braut eine Mitgift mitbringt. Hier werden soziokulturelle Einzelphänomene aus dem Gesamtzusammenhang gerissen und dann einseitig und schief bewertet. Aber auch überall dort, wo wirklich ein solches Gefälle zu konstatieren ist und wo sich zwei Partner auf einem Sektor als intentional Gebende und Nehmende begegnen, gilt es für auswärtige Kulturpolitik folgendes zu beachten: Es muß „Empfängerpolitik" getrieben werden, d. h. der überlegene, aus welchen Gründen auch immer eine kulturelle Bereicherung des anderen Landes wünschende Staat muß sich i n die Lage, und zwar i n die Gefühls- und Interessenlage des Partners versetzen. „Kulturexport" ist nicht Selbstzweck, m i t welchem ein wie immer geartetes „Soll" erfüllt wird, sondern es kommt darauf an, bei einem bestimmten, vorher i m groben durchaus angebbaren Publikum Eingang und Resonanz zu finden, seinen bestehenden Bedürfnissen und Wünschen zu entsprechen, sie womöglich zu befriedigen. Diesbezüglich zeigt man sich nicht selten höchst unbekümmert. Man muß hier oft an jene Fabeln denken, i n denen z. B. der Hund das Pferd mit Knochen beglücken möchte, oder dieses den Hund mit Hafer 10 . Die offizielle internationale K u l t u r p o l i t i k ist noch sehr weit von dem entfernt, was man „Marktforschung" nennt. Häufig werden die durch Pressure-groups i m Inland aufgedrängten Erzeugnisse oder Darbietungen ohne Rücksicht auf bestehendes Kulturgefälle, auf Interesse, Aufnahmebereitschaft und Aufnahmefähigkeit i m Ausland untergebracht. Eine grobschlächtige, wenig differenzierte Außenkulturpolitik ist i n der Regel die Hauptursache solcher Fehlarrangements. I n der Öffentlichkeit und in kulturpolitischen Debatten entscheidet man gern hinsichtlich des Inhalts und der Formen auswärtiger K u l t u r p o l i t i k nach binnenländischen Maßstäben, und auch auf Grund von Emotionen. 10
„ W i l l s t nicht Salz u n d Schmalz verlieren, Mußt gemäß den Urgeschichten, Wenn die Leute w i l l s t gastieren, Dich nach Schnauz u n d Schnabel richten". (Moral u n d Schlußzeilen der Goetheschen Parabel „Fuchs u n d Kranich"). Auch La Fontaine hat nach antiken Vorbildern diesen Gedanken i n seiner Fabel „ L e Coq et la Perle" zum Ausdruck gebracht: „ U n j o u r u n coq détourna une perle, q u ' i l donna au beau premier lapidaire. Je la crois fine, d i t - i l ; Mais la moindre grain de m i l serait mieux mon affaire." Gutes Material f ü r eine wertpsychologische Propädeutik.
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6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik
So bilden sich scharfe Alternativen, die gern auch „weltanschaulich" verbrämt werden. Man denke an die vieldiskutierte Alternative Kammerorchester oder Schuhplattlergruppe. Statt dessen mußte es differenzierter heißen: Wo und wann Kammerorchester, wo und wann Schuhplattler, wobei die auswärtigen Missionen, zumindest potentiell, darüber nach entsprechenden Recherchen am besten befinden können. Die bisherigen Erfahrungen i m Bereich der Entwicklungshilfe haben ganz deutlich werden lassen, daß die vorhandenen Kulturgefälle nicht durch noch so hohe Geldgaben von heute auf morgen beseitigt werden können — Erfahrungen freilich, die auf Kosten erheblicher finanzieller Mittel gemacht wurden. Wozu die europäischen Nationen Jahrhunderte brauchten (denken w i r an die Entwicklung des Arbeitsethos, eines an Kalkülen orientierten Gewinnstrebens, verfeinerter ästhetischer Empfindungsformen) kann nicht über Nacht, bestenfalls i m Sturmschritt nachgeholt werden. W i r vergessen allzuleicht die Vorbedingungen des sozialen Wandels und die eigene kulturelle Vergangenheit. Nicht nur ist es wenig ergiebig, teuren Samen i n unbebautes Land fallen zu lassen, sondern größere Diskrepanzen des kulturellen Niveaus können leicht zu Negativem führen. Wenn um 1960 an den technischen Hochschulen in der Bundesrepublik rund 80 °/o der Ausländer ihre Examina nicht bestanden 11 , so haben w i r darin nicht nur eine Sackgasse, sondern Schlimmeres, nämlich einen Holzweg zu sehen, auf welchem diejenigen, welche ihn gehen wollen oder sollen, zu Gegnern des Gastlandes werden müssen 12 . Es ist unvermeidbar, daß sich bei diesen durchgefallenen Examenskandidaten tiefe Ressentiments bilden, daß sie, ob mit Recht oder Unrecht, die „Schuld" bei ihren Examinatoren suchen. Das Ignorieren oder Zuleichtnehmen kultureller Gefälle durch einen oder gar beide Partner führt also zu Frustrationen, zu Aversionen und schließlich zu Antagonismen 13 . Auch treffen w i r häufig auf den Typ, der entsprechend unserer erstgenannten Ressentiment-Form, nämlich dem Überbewerten des Fremden, sich äußerlich der fremden Bezugskultur 11
Vgl. „Die Entwicklungsländer u n d unsere Hilfe. Z u r Entwicklungsp o l i t i k der CDU/CSU", Bonn 1961, S. 70. Die Ziffer gewinnt noch an Gewicht, w e n n man bedenkt, daß ein Großteil der Ausländer sich überhaupt nicht zum Examen meldet. 12 Vgl. Prodosh Aich: Farbige unter Weißen, K ö l n - B e r l i n 1962. Auch verschiedene frühere Arbeiten von Dieter Danckwortt sind hierzu wichtig. 13 Dies gilt es übrigens auch i m binnenländischen Raum zu berücksichtigen, w o es u m subtilere Dinge geht. W i r erleben dies vielfach hinsichtlich der modernen Kunstformen. E i n unvorbereitetes P u b l i k u m w i r d immer wieder durch — häufig minderwertige — Reproduktionen i n Massenmedien, durch Plastiken i n öffentlichen Gärten, durch Konzertstücke i n komplexen Programmen m i t Kunstformen konfrontiert, die sich seinem Verständnis entziehen, u n d auf welche es dann häufig emotionell negativ reagiert. Auch das eigene V o l k ist k u l t u r e l l k e i n monolythischer Block, mag es auch von außen her gesehen oft so scheinen, sondern ein Sozialgebilde, das aus Schichten zusammengesetzt ist, die auch kulturelle Gefälle aufweisen.
4. Die Bewertung der Holle auswärtiger Politik
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krampfhaft konformistisch anpaßt, ohne Rücksicht auf die Normen seiner angestammten Gesellschaft, ja gegen sie. Innerseelische und soziologische Kulturkonflikte mit den bekannten Folgen sind dann unvermeidlich. Hier liegt eine große Verantwortung für abendländische und sonstige „Entwicklungspolitiker". Wachsende Proletarierschichten i n Afrika und Asien lassen an ihrer Richtungslosigkeit erkennen, daß hier gewachsene Kulturformen zerbrochen wurden, bevor die Möglichkeit bestand, fremde zu akkulturieren: „ Z u Anbeginn gab Gott jedem Volk eine Schale, eine tönerne Trinkschale, und aus dieser Schale tranken sie ihr Leben. Sie schöpften alle aus dem gleichen Wasser, aber sie hatten verschiedene Schalen. Die unsere ist jetzt zerbrochen. Jetzt ist es aus m i t uns 14 ." Von den unglücklichen Resultaten einer solchen Entwicklung kann sich jeder überzeugen, der nordamerikanische Indianerreservationen besucht. Auch bei der Entwicklungshilfe geht es also um ein „Optimum" und nicht um ein „Maximum".
4. Die Bewertung der Rolle auswärtiger Politik A u f die Frage danach, wer auswärtige Kulturpolitik treibt, werden w i r nach dem eingangs Gesagten m i t der Vermutung antworten können: I n mehr oder weniger großem Umfang, mehr oder weniger bewußt alle Nationen, welche auswärtige Politik überhaupt zu führen i n der Lage sind (und, dürfen w i r gleich hinzufügen, der Substanz nach i n wesentlicher Hinsicht auch einige andere 15 ). I n dem Maße, i n welchem die Notwendigkeit erkannt wird, auswärtige Politik zu treiben und ihr entsprochen wird, wachsen heute auch die kulturpolitischen Bemühungen i m Ausland. Dies w i r d man für die Gegenwart in dieser generellen Weise formulieren dürfen, da die auswärtige K u l t u r p o l i t i k i m Zeitalter der Massendemokratien als unerläßliches, i n enger Beziehung zur politischen Öffentlichkeitsarbeit überhaupt stehendes Werkzeug erkannt ist und demzufolge überall und immer stärker praktiziert wird. Ihre A n wendung w i r d i n den genannten Fällen nicht nur von der politischen und administrativen Spitze gefordert, sondern auch die sog. öffentliche Meinung drängt durch ihre Organe in diese Richtung, wobei sich das stets vorhandene Bedürfnis nach möglichst vorteilhafter Selbstdarstel14 Äußerung eines Häuptlings der Digger Indians, mitgeteilt von R u t h Benedict (Urformen der K u l t u r , H a m b u r g 1955, S. 21/22). 15 Auch w e n n die Nation sich noch nicht i n einem mehr oder weniger souveränen Staatswesen repräsentieren darf, k a n n kulturpolitische Betätigung i m Ausland angezeigt, j a besonders w i c h t i g u n d geradezu ein M i t t e l dafür sein, den Prozeß der Staatswerdung voranzutreiben. M a n denke etwa an die Polnische Nation bis 1918. Natürlich wäre dies, da Staatlichkeit u n d Planmäßigkeit fehlen, eine formal unzulässig weite Auslegung unseres Begriffs. Dies ist eine Definitionsfrage. Uns k o m m t es hier n u r darauf an, Triebkräfte aufzuspüren.
6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik lung m i t den direkten Wünschen und Notwendigkeiten wirksamer Außenpolitik untrennbar verbindet. Immer stärker kommt ja sogar einem von Außenkontakten wenig berührten Binnenländer die enge Interdependenz der politischen und wirtschaftlichen Faktoren i m internationalen, weitgehend heute bereits mondialen Rahmen zum Bewußtsein; daß alle Autarkie- und Isolierungsbestrebungen i n unserem Jahrhundert zunehmend zum Scheitern verurteilt sind, hat die Entwicklung i m zweiten Weltkrieg und i n den seither vergangenen Jahrzehnten nicht nur Wissenschaftlern und direkt oder indirekt involvierten Praktikern, sondern einer immer breiteren Öffentlichkeit deutlich klarwerden lassen. Das Faktum, eine zu Außenpolitik verpflichtete Nation zu sein, führt also zwangsläufig dazu, auch selbst auswärtige Kulturpolitik zu treiben. Aber auch das Umgekehrte — die Berechtigung erweisend hier von einem funktionellen Zusammenhang zu sprechen — ist möglich: Die bereits stärker entwickelten kulturellen Beziehungen zum Ausland, das entstandene Kulturprestige i n fremden Ländern, zieht eine Intensivierung der rein politischen Außenarbeit i n der betreffenden Richtung nach sich, ja mag sie gelegentlich gebieterisch fordern 1 6 ; was die demokratischen Nationen angeht, wiederum nicht zuletzt durch die Sprachrohre der öffentlichen Meinung i m eigenen Lande. Ist auswärtige Politik also für schlechthin alle Staaten Teil ihrer Existenz und K r i t e r i u m der — zumindest formalen — Souveränität von Nationen, so ist doch die Bedeutung der auswärtigen Beziehungen für die verschiedenen Staatsvölker und ihre sozialen Institutionen ganz verschieden groß, und das Internationale spielt eine verschieden große Rolle auch i m Bewußtsein der eigenen Öffentlichkeit. Staaten sind in verschiedenem Umfang von anderen Staaten abhängig, fester oder loser i n das internationale System verflochten und daher zum mehr oder weniger intensiven Mitspielen verpflichtet. Wo sich Irland und die Schweiz noch abseits halten können, mag dies für die USA oder Großbritannien unmöglich geworden sein, aus was für Gründen sich auch immer die stärkere oder schwächere Involviertheit ergibt. Hier wäre es nun ein vielleicht lohnendes, wenn auch nicht einfaches Untersuchungsthema, i m Rahmen unserer größeren Thematik festzustellen, ob und inwieweit sich feste Korrelationen ergeben zwischen intensiver auswärtiger Kulturpolitik und dem Bewußtsein, größere „Rollen" i m internationalen System zu spielen oder spielen zu sollen. Man w i r d dabei etwa die Hypothese aufstellen dürfen, daß das Bewußtsein, Weltmacht 18 Ähnliches ist uns bezüglich der wirtschaftlich-politischen Verhältnisse vertrauter, was besonders deutlich an der geschichtlichen Entwicklung von Handelsniederlassungen i m Ausland zu Kolonien zu studieren ist, m i t dem so bezeichnenden Übergangsstadium der „Schutzgebiete".
4. Die Bewertung der Holle auswärtiger Politik
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zu sein, wie z. B. i m Falle der USA, eine erhöhte Verantwortung zu tragen, auch eine Verbreitung, ja Aufoktroyierung der eigenen soziokulturellen Formen und Inhalte nahegelegt, diese fast zwangsläufig m i t sich bringt 1 7 . Hier wäre dann also die intensivierte auswärtige K u l turpolitik gewissermaßen eine Funktion der übernommenen Rolle als Weltmacht. Man w i r d andererseits auf Fälle verweisen können, i n denen offenbar gerade eine politisch und militärisch, jedenfalls machtpolitisch schwache Position i m internationalen Kräftespiel den Gedanken an eine Intensivierung der kulturpolitischen Möglichkeiten i m Ausland nahelegt. I n der Tat zeichnen sich einige sog. neutrale, sich als kleinere Mächte fühlende und ausdrücklich selbst so bezeichnende Staaten, wie Schweden und die Schweiz, durch eine qualifizierte auswärtige Kulturpolitik aus. Der Versuch, auf diesem Weg zu Ansehen und Einfluß zu kommen, w i r d allgemein als legitim und unaggressiv aufgefaßt. Eine andere Situation ergibt sich natürlich dort, wo sich das frühere politische Machtpotential dauernd oder vorübergehend erschöpft hat, wo es disqualifiziert ist oder wo sonstige taktische Gründe dafür sprechen, daß man der Kulturpolitik den Vorzug gibt 1 8 . Aus diesen Möglichkeiten und Kombinationen nun aber bereits Regelmäßigkeiten hinsichtlich der Intensität der auswärtigen Kulturpolitik ableiten zu wollen, wäre sicher voreilig. Halten w i r daher i n diesem Zusammenhang lediglich als wesentlichen, noch schärfer zu fixierenden Gesichtspunkt fest: Es bestehen mannigfache, i n ihren Regelmäßigkeiten noch zu erforschende Zusammenhänge zwischen der Bewertung, welche die auswärtige Politik und die Stellung des eigenen Staates i m internationalen Feld innerhalb einer Nation finden (d.h., wie hier kaum gesagt zu werden braucht, bei ihren verschiedenen Macht ausübenden und Meinung bildenden Gruppen), und der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k als einem bewußt kultivierten oder unbewußt mitbestellten Teilgebiet der außenpolitischen Aktivität. Besonders deutlich erweisen sich diese Zusammenhänge bei der Bereitstellung der finanziellen M i t t e l durch die Organe, welche hierzu jeweils berufen und i n der Lage sind. Genügt die Einsicht einer kleinen herrschenden Klasse unter oligarchischen Verhältnissen, so müssen Demokratien ein unter Umständen fehlendes oder noch allzu schwach entwickeltes Verständnis für die Notwendigkeiten wirksamer internatio17 Dabei k a n n der Wunsch nach Rezeption, A k k u l t u r a t i o n seitens der schwächeren, direkt oder indirekt Schutz suchenden Gruppen oft die Türen weit öffnen, j a einen Sog ausüben. W i r kommen hierauf i n dem A b s d i n i t t über die Interdependenz von politischer u n d kultureller Macht ausführlicher zurück. 18 „Wer sich nicht m i t der Löwenhaut bekleiden kann, nehme den Fuchspelz" (Balthasar Gracians Handorakel, M a x i m e 220). Auch bei Staaten handelt es sich jedoch nicht immer u m bewußte Camouflagen.
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6. Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik
ler Politik und für die hierfür aufzubringenden Opfer durch planmäßige politische Erziehung pflegen. Schon i n den parlamentarischen Gremien besteht diese Einsicht, wie man weiß, nicht immer. U m sie zu vertiefen, läßt man Parlamentarier mehr und mehr auf Staatskosten i m Ausland reisen. 5. Der Einfluß nationaler Wertungen auf die Verteilung der Schwergewichte innerhalb der auswärtigen Kulturpolitik Auswärtige K u l t u r p o l i t i k spielt sich, wie dargelegt, nicht i m leeren Raum ab, sondern sie ist mannigfachen Einflüssen ausgesetzt, unter denen w i r jetzt die inländischen Wertungen ins Auge fassen wollen. Wie jede Politik vollzieht sie sich nicht allein rational und zweckmäßig i m Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auf Signale aus dem Ausland reagierend, die die Notwendigkeiten i m internationalen Kräftespiel mitteilen. Sondern w i r finden auch auf unserem Gebiet Präferenzen vor, die sich auf den verschiedensten Wegen i m Inland auswirken und — sei es internalisiert qua Funktionär, sei es durch Pressure-groups oder Organe der öffentlichen Meinung — zu Schwerpunktbildungen eigener und auch irrationaler A r t führen. Solche Präferenzen bestehen sowohl hinsichtlich bestimmter Adressaten, als auch hinsichtlich einzelner Sachgebiete. Zunächst das erste: a) I n jeder Nation machen sich, wie w i r bereits früher sahen, Präferenzen für bestimmte andere Völker und für einzelne Untergruppen (Schichten beispielsweise) innerhalb dieser Fremdgruppen geltend. Die Stereotypenforschung hat ein gutes Material über die gegenüber anderen Völkern bestehenden Sympathien und Antipathien vorgelegt, gelegentlich auch untersucht, inwieweit sich die verschiedenen Völker bestimmter Affinitäten zueinander bewußt sind. Schon rationale Überlegungen, zweckrationale Motive legen es nahe, i m Hinblick auf die internationale Lage bestimmte Nationen zu bevorzugen oder zu vernachlässigen (wobei sich freilich oft erst hinterher feststellen läßt, ob die Beurteilung der Lage seinerzeit auch richtig, d. h. zweckentsprechend war). Regierungen haben es innenpolitisch nun gewiß leichter, wenn sie sich auch hinsichtlich ihrer Außenpolitik breit auf die sog. öffentliche Meinung stützen können. I n diesen Fällen unterstreicht etwa die auswärtige K u l t u r p o l i t i k die auswärtige Tagespolitik. Freilich w i r d man konstatieren dürfen, daß von der Möglichkeit, gerade durch die Kulturpolit i k Lücken der Außenpolitik auszufüllen, nicht i n dem Maße Gebrauch gemacht wird, wie es denkbar und wünschenswert für die betreffenden Nationen wäre. Wenn w i r einzelne für Kontakte i n Frage kommende Schichten und sonstige Gruppen innerhalb der jeweiligen fremden Sozialstrukturen nannten, so wollen w i r hier ergänzen, daß es die dem
5. Der Einfluß nationaler Wertungen
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eigenen Volk, den eigenen maßgebenden Gruppen nahestehenden oder doch freundlich gegenüberstehenden fremden Gruppen sind, die man zu Recht oder Unrecht bevorzugt. Auch die alte Faustregel, daß der Feind meines Feindes mein Freund sei, kommt hier wieder ins Spiel, wobei die Geschichte freilich voll von Beispielen ist, wo eine sich allzu klug dünkende Außenpolitik dabei aufs falsche Pferd gesetzt hat. Es läßt sich nun nicht verkennen, daß es die Außenpolitik demokratisch regierter Länder ungleich schwieriger hat, der Bismarckschen Maxime vom „wenden können" zu folgen, und daß sich die Staatsführung dabei oft ähnlich dem Zauberlehrling als der Gefangene einer öffentlichen Meinung findet, die sie i n dieser Form selbst fabriziert hat. Wo aber ersichtlich ist, daß es für die Nation lebenswichtig auf das Gewinnen von bisherigen Gegnern ankommt, seien es Nationen oder einflußreiche Gruppen i n ihnen, da verpaßt eine auf Erbfreundschaften und -feindschaften ausruhende und entsprechend auch ihre internationale Kulturpolitik kanalisierende Staatsführung nicht nur die Chancen, sondern kann das Kollektiv, welches sie vertritt, auch hierdurch i n Abgründe führen. Daß mehr oder weniger wechselnde Schwerpunkte gebildet werden müssen, um den ebenfalls variablen internationalen Konstellationen Rechnung zu tragen und m i t den vorhandenen Mitteln auszukommen, steht dazu in keinem Widerspruch. b) W i r kommen zu den Gebieten. Wie bereits dem i m engeren Sinne Kulturellen i n verschiedenen Nationen verschiedene Bedeutung und verschiedener Rang zugemessen werden, so ergeben sich auch innerhalb dieser Sphäre wiederum erhebliche Unterschiede bezüglich der einzelnen Gebiete. Wenn auch empirische Untersuchungen hierüber erst noch anzustellen wären, so steht doch die Tatsache als solche außer Zweifel, daß Wissenschaften und Künste und ihre einzelnen Sparten den einzelnen Nationen ganz Verschiedenes bedeuten. Jedem, der die K u l t u r sphären verschiedener Nationen kennt, drängt sich dies auf. Leicht wäre es, zunächst Äußerungen hierüber zu sammeln. So hat Hermann Kantorowicz darauf hingewiesen, daß die Musik i n Deutschland eine viel größere Lebensmacht darstelle, als die Dichtung 19 . Abel Miroglio teilt die Vermutung mit 2 0 , daß die i n einer kleineren Stadt parellellaufenden öffentlichen Vorträge eines Wissenschaftlers und eines Romanciers i n Deutschland eine größere Chance für den Wissenschaftler, in Frankreich dagegen für den Literaten böten, das Auditorium zu füllen. Beide Bemerkungen entbehren natürlich noch des Beweises, und die 19 I n seinem zuerst 1922 i m „Logos" erschienen Nekrolog auf M a x Weber, erneut abgedruckt i n „ M a x Weber zum Gedächtnis", Sonderheft 7 der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u n d Sozialpsychologie, Jahrgang 1963. 20 I n seinem an den Universitäten Bonn u n d K ö l n gehaltenen Vortrag über den französischen Nationalcharakter, abgedruckt i n der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u. Sozialpsychologie, Heft 4/1963, S. 693—710.
1 9 2 6 . Kap.: Kulturelle Situation im Inland und auswärtige Kulturpolitik dahinterstehenden Gedanken müßten zu verifizierbaren Hypothesen geformt werden. Daß es hier nicht nur wesentliche Unterschiede gibt, sondern daß auch wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen sind, steht wohl außer Zweifel. Und es gibt keinen Grund, das Terrain der Völkercharakterologie seitens der i n Frage kommenden Wissenschaften vom Menschen kampflos der Belletristik, dem Journalismus, wenn nicht gar einer nicht ungefährlichen, ideologisch beeinflußten Scharlatanerie i m wissenschaftlichen Gewände zu überlassen, wie sie z. B. die „Hassenlehre" des Nationalsozialismus darstellte. Die Konsequenzen der „bevorzugten Ausdrucksfelder" kultureller nationaler Leistungen für die auswärtige Kulturpolitik liegen auf der Hand. Machen w i r uns die Auffassung von Kantorowicz einmal als noch zu überprüfenden, aber für die Gegenwart wahrscheinlich richtigen A n satz zu eigen, so ergibt sich hieraus, daß z. B. deutsche Konzertveranstaltungen i m Ausland seitens der eigenen Landsleute als bedeutendere Dokumentation und Repräsentation empfunden werden dürften, als — ceteris paribus — Dichterlesungen. Dies dann i m Unterschied etwa zu Frankreich. Auch besteht natürlich ein Interdependenzverhältnis zwischen der Qualität einer Leistung und dem Wert, welchen man ihr i n der Öffentlichkeit beimißt, wenn es sich dabei auch gewiß nicht einfach und generell u m eine positive Korrelation zwischen Wertschätzung und Leistung handelt. Denn die Geschichte der Künste und Wissenschaften ist nicht nur reich an Beispielen, wo großen schöpferischen und künstlerischen Leistungen die Anerkennung versagt blieb, sondern auch an solchen, wo ein traditional gesonnenes Publikum abgesunkenen oder erstarrten Leistungen nach wie vor Beifall zollt, weil die Sitte es so fordert. Beides sind dabei nur die verschiedenen Seiten derselben Medaille 21 . Aber die allgemeine Wertschätzung, die eine Kultursparte 21 W i r sagten bereits, daß ganz unabhängig von der Qualität i n manchen Gesellschaften u n d bei manchen I n d i v i d u e n (Altersstufen!) das Überkommene, Traditionelle, bei anderen das jeweils Neue den höheren Wertakzent trägt. Als Soziologen dürfen w i r uns nicht damit begnügen, hier v o n verschiedenen Persönlichkeits-Typen zu sprechen (obwohl dies sicher auch mitspielt u n d es auch ethnische Unterschiede gibt), sondern w i r müssen nach den Bedingungen fragen, welche die eine oder andere Einstellung begünstigen. So gibt es K u l turen, die bei temperamentsmäßig lebhafter, aufgeschlossener Bevölkerung i m Wechsel, i m Neuen doch offenbar keinen Anreiz empfinden (man denke an Jahrtausende hindurch relativ stationäre Kulturen), während gegenwärtig i m Westen die rerum novarum cupiditas oft zu einer Plage f ü r den Westler selber w i r d , unter welcher er — auch finanziell! — ächzt. Hierüber hat eine Soziologie der Mode Näheres zu erarbeiten, ein Anwendungsgebiet unserer Wissenschaft, dessen Bedeutung nicht nur, was w o h l heute überall gesehen w i r d , i n ökonomischer Hinsicht groß ist, sondern das z. B. auch f ü r die Soziologie der P o l i t i k wichtig ist. (Man denke an den Ruf nach „neuen" Leuten.) M a n w i r d heute nicht mehr, w i e es lange geschah, die Soziologie der Mode als wissenschaftliche Spielerei abtun. Nachdem sich schon f r ü h Georg Simmel damit beschäftigte, arbeitet heute u. a. auch René König darüber.
5. Der Einfluß nationaler Wertungen
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genießt, führt dem Gebiet doch i n der Regel laufend Talente zu 22 , die sich sonst i n anderen Richtungen betätigen würden, und diese fördern dann seine weitere Entwicklung. Dies gilt für die Oper ebenso wie für die Philosophie. So exzellieren dann verschiedene Nationen i n Verschiedenem, halten sich auf dieses oder jenes etwas Besonders zugute, erkennen sich selbst mit Vorliebe darin wieder. Auch materielle Mittel sind infolgedessen für die verschiedenen Gebiete i n verschiedenen Ländern verschieden leicht zu erhalten, wobei freilich die Wertschätzungen der die Gelder verwaltenden Bürokratien nicht immer den i n der Bevölkerung dominierenden Neigungen genau zu entsprechen brauchen.
22 Auch hier liegen die Dinge freilich soziologisch nicht einfach. So haben gewisse Zeiten bestimmten Kunstschöpfungen zwar hohen T r i b u t gezollt, den schaffenden Künstler aber an der Hochachtung nicht automatisch teilnehmen lassen, j a die entsprechenden Berufe oft i m Gegenteil diskriminiert. M a n denke an die Spieler gewisser Musikinstrumente i m A l t e r t u m oder an die Jahrhunderte hindurch u n d bis an die Schwelle der Gegenwart auch bei uns zu den mehr oder weniger „unehrlichen" Leuten rechnenden Schauspieler.
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Emge
„Kulturprestige u n d Machtprestige sind eng verbündet. Jeder siegreiche K r i e g fördert das K u l t u r p r e s t i g e . . . Ob er der ,Kulturentwicklung' zugute kommt, ist eine andere, nicht mehr,wertfrei' zu lösende Frage."
Max Weber
Siebentes Kapitel
Der funktionelle Zusammenhang zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht einerseits und kulturellem Einfluß andererseits 1. Welche Nationen verfügen im internationalen Feld über ein hohes kulturelles Prestige? Stellen w i r uns, um unser zentrales Thema nun von einer anderen Seite anzugehen, diese Frage, so werden sich, sowohl beim Hinblick auf unsere Gegenwart, als auch beim Rückblick auf die Historie, einige Staaten markant herausheben. U m welche A r t von Staaten handelt es sich? Begrenzen w i r uns auf die herkömmlicherweise als Abendland bezeichnete Welt, so ist unsere These, daß es sich bei dieser Gruppe von Ausstrahlungsregionen u m Staaten handeln wird, die entweder selbst über eine auch i n anderer (politischer, militärischer oder wirtschaftlicher) Beziehung bedeutende Stellung i m internationalen System verfügen, oder die, wenn dies nicht der Fall ist, doch über eine solche Position i n der jüngeren oder ferneren Vergangenheit verfügt haben; schließlich kann es sein, daß sie auf kulturellem Gebiet Traditionen fortführen, welche durch Staatswesen begründet worden sind, als deren Nachfolger sie de jure oder de facto, z. B. i m Hinblick auf den geographischen Bedingungsrahmen oder ihre Bevölkerung bezeichnet werden können. Lassen w i r die primären Hochkulturen i n Ägypten und Babylonien beiseite, weil man sowieso darüber streiten kann, inwieweit w i r hier den okzidentalen Rahmen verlassen, wiewohl der Westen einen Großteil ihrer Errungenschaften, wie Kalender, Schrift, Bürokratie oder Geometrie auswertete. Auch sind diese am N i l und i m Zweistromland gelegenen, i n schmale Flußräume eingeschlossenen, dadurch weitgehend abgekap-
1. Welche Nationen verfügen über ein hohes kulturelles Prestige?
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selten Kulturen ohne zwangsweise sehr subjektive Deutungen 1 schwer aufzuhellen. Ebenso mag auch der jüdische, sehr spezifische Bereich i n diesem Zusammenhang beiseite bleiben, da es uns hier i n erster Linie um Staaten geht. Aber dann, klarer zu sehen, die griechischen Stadtstaaten. Nehmen w i r als Höhepunkt kultureller Kraft die sog. griechische Klassik, das Perikleische Zeitalter, die K u l t u r , deren geistiger und künstlerischer Mittelpunkt Athen war, der Magnet und Sammelplatz für Philosophen, Künstler, Dichter und Redner aller A r t , so haben w i r einen kräftigen äußeren Bedingungsrahmen: Athen hatte sich gegenüber dem Osten und Westen nach schwerer Bedrohung durchgesetzt, es hatte die Perser abgewehrt und gegenüber dem machtpolitisch konkurrierenden Sparta eine „balance of power" hergestellt. Alle Küstengebiete der nördlichen Ägäis gehörten zum Seebund und damit zum politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsgebiet Athens. Das Volk der Athener stützte sich auf Männer, „die den ganzen Seeraum, der nach Osten und Westen von den Barbaren gesäubert war, beherrschten, die mit ihren Schiifen i n jeden Winkel dieses Seeraumes dringen und überall so auftreten konnten, wie die Engländer es zu einer bestimmten Zeit auf dem Weltmeer vermochten" 2 . Die wirtschaftliche Machtstellung als Einfuhr- und Ausfuhrzentrum war gewaltig und unangefochten und erstreckte sich bis nach Rußland. Kulturhistoriker mögen entscheiden, ob bereits damals oder erst i m nächsten Jahrhundert, nach dem Absturz von dem Höhepunkt der politischen und w i r t schaftlichen Macht, die kulturelle Ausstrahlungskraft nicht nur am hellsten war, sondern auch am stärksten und breitesten wirkte 3 . Der Zusammenhang mit der Machtentfaltung ist jedenfalls deutlich. Zeigte sich das Griechentum i m weiteren Verlauf als kräftiges K u l t u r ferment i m Alexanderreich, nach Osten bis zum Indus verbreitet, nach Westen zu i n der oft beschriebenen Weise Rom befruchtend, so ist dieses selbst dann ebenfalls durch militärische und staatsbürgerliche Tugenden groß geworden, und hat dadurch die starken Fundamente auch zu seiner kulturellen Ausstrahlung gelegt. Aber wie w i r bereits die Frage aufwarfen, ob die Zeit der größten Ausstrahlung einer K u l t u r auch mit dem Höhepunkt der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht korreliert, oder ob man vielmehr häufiger eine A r t von „cultural 1 Oswald Spengler , A l f r e d Weber u n d Alexander Rüstow, u m n u r einige unserer Wissenschaft zumindest sehr verbundene Denker u n d Deuter zu nennen, haben dies von ihren ganz verschiedenen Gesichtspunkten her u n d unter Vorlage eines stupenden, nicht leicht verifizierbaren Materials versucht. 2 A l f r e d Weber , Kulturgeschichte als Kultursoziologie, Neuauflage M ü n chen 1963, S. 147. 8 N u n folgt das Weiterleben der griechischen K u l t u r „als geistige Macht, als Feuerherd derjenigen Flamme, die von den Poleis unabhängig u n d i n z w i schen ein mächtiges Bedürfnis der Hellenen geworden ist; der Geist zeigt sich auf einmal kosmopolitisch." (Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Kröner-Ausgabe, S. 122.)
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7. Kap.: Machtstellung und Kultureinfluß
ldLg"(Ogburn) w i r d feststellen können, so kann man die weitere Frage stellen, ob w i r mit Recht eben die Machtposition als „Fundament" bezeichneten. Wie es denn dazu gekommen sei, wenn w i r — um einen großen Sprung i n der Geschichte zu machen — etwa i m Frankreich Ludwigs XIV. wieder alle genannten Potenzen vorfänden. Ob es hier denn klare Kausalbeziehungen gebe, Prioritäten, so daß w i r uns damit dann in einer Disputation der A r t vergleichbar befänden, wie sie sich seit über hundert Jahren immer erneut an den Thesen von Marx und Engels entzündet hat. Ebenso wie sowohl falsche Jünger als auch Gegner die Marxsche These von den i n letzter Instanz bestimmenden ökonomischen Faktoren zu simplifizieren lieben 4 , geschieht es auch entsprechend mit den großen davon abweichenden, ihnen angeblich diametral entgegengesetzten Thesen, so wenn man beispielsweise Max Weber gerne zu einem „Idealisten", d. h. einem Anhänger der These von den Ideen als den primae causae stempeln möchte, wogegen sich dieser selbst gewehrt hat 5 . „Unnütze Prioritätsfragen" nennt dies Jacob Burckhardt und das, was er von seinen sog. drei Potenzen, Staat, Religion und K u l t u r sagt, daß sie nämlich i n der Funktion abzuwechseln scheinen, daß es vorzugsweise politische und vorzugsweise religiöse Zeiten gebe, daß das Bedingen und Bedingtsein der verschiedenen Sphären „oft in raschem Umschlag" wechsele, daß sich der Blick häufig noch lange darüber täusche, welche die aktive und welche die passive Seite sei, daß jedenfalls i n Zeiten hoher K u l t u r immer alles auf allen Stufen des Bedingens und der Bedingtheit gleichzeitig existiere 6 , das dünkt uns ein guter Ausgangspunkt auch für unsere spezifischeren Bemühungen zu sein. Der funktionelle Zusammenhang der Sphären ist das Wesentliche, auch auf außenpolitischem Gebiet. Kaum gibt es Beispiele, wo eine große kulturelle Ausstrahlung ohne aktuelle oder frühere Machtentfaltung des betreffenden Staates vor sich ging oder eine letztere ohne kulturelle Wirkung blieb. Das Weimar der Goethezeit ist eine der berühmten Ausnahmen. Wie stand es, können w i r fragen, um ein letztes Beispiel aus der Historie zu bringen, m i t dem großen englischen Kulturprestige i m X I X . Jahrhundert? Auch hier stoßen w i r auf die wirtschaftliche Kraft, den technischen Vorsprung, der z. B. dazu führte, daß man sich i n Deutschland die Ingenieure zum Eisenbahnbau von jenseits des Kanals 4 Vgl. hierzu Gottfried Eisermann: Vilfredo Pareto als Wissenssoziologe, „kyklos", Vol. XV-1962-Fasc. 2, S. 454/455 (auch m i t entsprechenden Zitaten). 5 „Hans Delbrück hatte Webers sogenannte Calvinismus-KapitalismusTheorie i m Sinne anti-marxistischer sogenannter „idealistischer" Geschichtsauffassung auszubreiten versucht; Weber protestierte dagegen u n d sagte m i r : ,Ich muß mich dagegen wehren; ich b i n v i e l materialistischer als Delbrück glaubt.'" (Paul Honigsheim: Erinnerungen an M a x Weber, i m bereits genannten Max-Weber-Gedächtnis-Heft der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u n d Sozialpsychologie, 1963, S. 202.) 8 Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen, a. a. O., S. 30.
2. Die Relevanz der Machtstellung für die kulturelle Ausstrahlung
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kommen ließ. Was liegt, kommen w i r zur Gegenwart, dem amerikanischen Kulturprestige zugrunde, das sich i n einem halben Jahrhundert an Stelle der bis dahin eher vorherrschenden Herablassung Nordamerika gegenüber auch i n Europa durchgesetzt hat? Es sind sicher Qualitätsüberlegenheiten auf vielen wichtigen kulturellen Gebieten vorhanden 7 , aber finden w i r nicht vor allem eine Auswirkung der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht? Läuft die auswärtige K u l t u r p o l i t i k Amerikas nicht überall dort offene Türen ein, wo sich nicht konträre Machteinflüsse geltend machen? 2. Die Relevanz der politischen und wirtschaftlichen Machtstellung für die kulturelle Ausstrahlung Das Gesagte bedarf weiterer Erläuterung; denn es befriedigt nicht, den engen funktionellen Zusammenhang der kulturellen, wirtschaftschaftlichen und politischen Machtstellung und des damit verbundenen Prestiges einfach zu behaupten. Z u sehr sind zudem immer noch die Theoreme von der ökonomischen oder ideellen „prima causa" beliebt, was wissenssoziologisch und auch psychologisch aus der persönlichen Antithese gegenüber billigem ideologischem Geschwätz beider Seiten auch auf unserem Spezialgebiet verständlich ist. Daher sei noch einmal etwas ausführlicher auf die verschiedenen Sphären i n ihrer wechselseitigen Bezogenheit eingegangen 8 , obwohl w i r uns der relativen W i l l k ü r ihrer für Erkenntniszwecke vorgenommenen Trennung w o h l bewußt sind und die i n der Realität unauflösbar verwobenen Stränge nur für die Analyse artifiziell und zur besseren Anschaulichkeit auseinanderflechten. Und zwar soll — da die Wechselwirkung zwischen Politik und Ökonomie hier nicht als Aufgabe gestellt ist — auf die Wechselwirkung zwischen der politischen (einschließlich der militärischen, denn das ist für unser Anliegen zunächst dasselbe) und wirtschaftlichen Machtstellung einerseits und dem Kulturprestige andererseits eingegangen werden. Zunächst die Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Machtstellung auf die kulturelle Ausstrahlung. Gerade der Intellektuelle, der heute i n seiner bekannten und oft beschriebenen Opposition gegenüber dem Staat und seinen Organen steht, vielleicht auch seelisch unter der Zerstörung geistiger Werte i n totalitären Regimen gelitten 7
So steht es zwar ganz außer Zweifel, daß gerade die Soziologie i n den U S A einen besonderen Aufschwung genommen hat, daß w i r von dort w e r t volle Anregungen erfahren u n d vieles lernen können. Es läßt aber doch gelegentlich schmunzeln, w e n n man bei jüngeren deutschen Fachkollegen relativ unbekannte amerikanische Autoren m i t Thesen zitiert findet, die europäische Denker des vorigen Jahrhunderts längst vorweggenommen haben. 8 Die beiden Positionen sind m i t Niveau i n einer Kontroverse i n der Presse zwischen dem deutschen Kulturattache i n Washington Hans-Erich Haack u n d Generalkonsul Robert Dvorak vertreten worden. Leider hat sich daraus kein echter Dialog entwickelt („Die W e l t " vom 16. 3. u n d v o m 6.4.1963).
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7. Kap.: Machtstellung und Kultureinfluß
hat oder sich durch das Schwinden humanistischer Bildung bei den politischen und administrativen Führungsschichten verletzt fühlt, ist geneigt, indem er die Fahne der „ K u l t u r " hoch hält, hier manches zu übersehen, ja er zeigt sich für diese Momente oft fast blind 9 . W i r erwähnten bereits die Auffassung von Thorstein Vehlen, daß sich kulturelle Maßstäbe von oben nach unten verbreiten, und zitieren hierzu eine weitere Äußerung von ihm: „ I n any Community where dass distinctions are somewhat vague, all canons of reputability and decency, and all Standards of consumption, are traced back by insensible gradations to the usages and habits of thought of the highest social and pecuniary class 10 ." W i r sind hierauf schon ausführlicher anläßlich unserer Beschäftigung mit den Adressaten auswärtiger Kulturpolitik eingegangen und wollen i n unserem jetzigen Zusammenhang dazu noch auf folgendes hinweisen: „Überall auf der ganzen Welt können w i r seit Beginn der Menschheitsgeschichte Beispiele dafür aufzeigen, daß Völker imstande waren, die K u l t u r von Völkern anderen Blutes zu übernehmen 11 ." Die entscheidende Frage lautet nun: Wann aber geschieht dies? I n der Regel doch dann, wenn diese anderen Völker einen derartigen Machtzuwachs erfahren haben, daß es dem i n Frage stehenden Volk notwendig oder zumindest angezeigt erscheint (wir vermeiden bewußt den Ausdruck „nützlich"), sich einzelnes oder gar alles der partiell oder total als überlegen empfundenen K u l t u r anzueignen. Der krasseste Fall ist dabei natürlich die Überlagerung mit Gewaltmitteln. Uns w i l l scheinen, daß jede wissenschaftliche Beschäftigung mit internationaler K u l t u r p o l i t i k gewissermaßen i n der L u f t hängt, wenn man diese Grundtatsachen nicht sehen möchte oder sie i n ein vergangenes, heute angeblich gottlob überwundenes Stadium der Menschheitsgeschichte verweist. Die gewaltsame Unterwerfung und Überlagerung 12 ist gewiß ein Extremfall, der aber nicht nur i n den Kolonialgebieten bis i n die Ge9 W i r können i n diesem Zusammenhang nicht untersuchen, worauf diese partielle Blindheit beruht. Der Gedanke ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, daß sich z. B. das deutsche Bürgertum, aus welchem auch unsere geistigen Repräsentanten kamen, nach dem Scheitern der Demokratischen Bewegung u m die M i t t e des vorigen Jahrhunderts oft i n einem romantischen Idealismus verkapselte, natürlich weitgehend unbewußt. Es ließen sich für solche geistigen Entwicklungen sicher noch andere Beispiele i n der Geschichte aufzeigen. 10 Thorstein Vehlen, 1. c., S. 81. Wenn er die Aussage auf Gemeinschaften beschränkt, deren Klassenunterschiede „somewhat vague" sind, so meint er hiermit offenbar die Tatsache, daß i n einer ausgeprägten Kastengesellschaft die Verhaltens- u n d Geschmacksregeln der verschiedenen Schichten scharf voneinander geschieden sind u n d sich weniger beeinflussen. 11 R u t h Benedict, 1. c., S. 16. 12 Keineswegs ist dann die vollkommene kulturelle A n f o r m u n g der U n t e r worfenen von der neuen Oberschicht immer beabsichtigt, sondern m a n fordert manchesmal lediglich Ehrfurcht vor der überlegenen Lebensform; der Zugang zu manchen der gewissermaßen „höheren Weihen" w i r d dann gerade versperrt (Kastenwesen Indiens!) Quod licet Jovi, non licet bovi.
2. Die Relevanz der Machtstellung für die kulturelle Ausstrahlung
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genwart hinein praktiziert wird. Von diesem Extrem aus lassen sich immer geringere Dosierungen politischer und wirtschaftlicher Macht der Vorbildgruppe, der „reference-group", verfolgen, bis h i n zu jenen schwachen Ausprägungen, wo die Machtstruktur den beiden involvierten Gruppen kaum mehr bewußt ist. Hierher gehören dann auch subtilere Formen der wirtschaftlichen Dominanz. „Die Herrschaft des Geldes i s t . . . viel despotischer und bestimmt die Interessen und privaten Sphären menschlichen Seins viel intensiver als das Herrschaftssystem irgendeines despotischen Fürsten, der ja nur über politische M i t t e l des Zwanges verfügt. Dieses . . . ändert von sich aus auch immer die soziale Funktion des feistes 4 i n unserer Gesellschaft", behauptet K a r l Mannheim 13 sicher m i t viel Recht, zumindest für die abendländische Gesellschaft der Moderne 14 . Die konvergierende Äußerung Max Webers, daß Geld auf die Dauer alles kaufe, haben w i r bereits früher zitiert und auch Georg Simmel schildert i n seiner „Philosophie des Geldes", wie der sehr Reiche eine A r t von fast magischer Aura u m sich bildet, innerhalb derer ihm auch Dinge von alleine zufallen, die i n gar keiner Abhängigkeit zu seinen Geldquellen stehen. M i t Geld w i r d also auch heute, sowohl durch die Wirkung des großen Rahmens der wirtschaftlichen Machtkonstellationen, als auch durch direkte Einzelaktionen nicht nur auswärtige Politik 1 5 , sondern auch überwiegend die auswärtige K u l t u r p o l i t i k gemacht. Daß man davon nicht gerne spricht, ist ja nicht verwunderlich. I n diesem Zusammenhang erscheint es naheliegend, auf die Lehren von K a r l Marx hinzuweisen. Wenn man sie von der vulgärmarxistischen Verflachung befreit, bleibt als Grundauffassung bestehen, daß er die soziale Totalität ebenfalls als einen funktionellen Zusammenhang sieht, i n dem freilich doch immer die ökonomischen Faktoren die „ i n letzter Instanz" entscheidenden innerhalb der sozialen Interdependenz sind. Auch wenn man dem genialen Theoretiker nicht darin folgen möchte, so dürfte es doch für alle wissenschaftlich objektiven Betrachtungen seither kaum mehr möglich sein, den bedeutenden Einfluß der materiellen Gegebenheiten, hier also des Wirtschaftlichen zu ignorieren, vielleicht aus dem unbewußten Gefühl heraus, daß dadurch gewisse Wunschvorstellungen von der „Kalokagathia" beeinträchtigt werden. Man w i r d recht damit haben, jedenfalls für die abendländische Moderne, um die es Marx ja ging, den Einfluß der wirtschaftlichen Fak13
K a r l Mannheim: Über das Wesen u n d die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgsstrebens, i n : A r c h i v f. Sozialwissenschaften u n d Sozialpolitik, Bd. 63,1930, S. 468/269. 14 Doch meinte auch schon François Villon: „Quand on est riche, on peut passer partout", was zu seiner Zeit freilich noch weniger galt. 15 „ M i t einigen Tausend erreicht m a n nichts, aber m i t fünfhundert- bis achthunderttausend M a r k k a n n m a n i m Auslande so manches durchsetzen." Otto v. Bismarck am 15. M a i 1894 nach Tagebuchaufzeichnungen v. Poschin-
gers, zit. in 0.v. Bismarck: Gespräche, a. a. O., S. 355.
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7. Kap.: Machtstellung und Kultureinfluß
toren als alle anderen Faktoren intensiv mitbedingend anzusetzen. Das heißt keineswegs, daß das ökonomische nun auch immer und überall ausschlaggebend sei. Ein Bereich menschlichen Verhaltens kann i n einigen Gesellschaften dominieren, in anderen ganz zurücktreten. Er kann aber, worauf auch Ruth Benedict hingewiesen hat, ein ganzes Gesellschaftssystem so dominieren, „daß schließlich Probleme, die überhaupt nichts m i t i h m zu t u n haben, nach seinem Schema gelöst werden müssen" 18 . Es ist ein i n den Sozialwissenschaften lange verbreiteter I r r t u m gewesen, zu glauben, daß psychische Realitäten i m Grunde keine „richtigen" Realitäten seien, was wie das Ignorieren elektrischer Phänomene anmutet, oder der atomaren Vorgänge, die das unbewaffnete Auge nicht sehen kann. Wird also i n einer gegebenen Gesellschaft an die ausschlaggebende Rolle der ökonomischen Faktoren für das Soziale fest geglaubt, so darf man sie i n dem betreffenden Kultursystem und für den betreffenden Zeitraum immanent in der Tat als hypothetische prima causa nehmen, wie es andere Faktoren i n Kulturen sind, deren grundlegende Denk- und Handelsmuster dann auf diese ausgerichtet sind. Wie dem aber auch jeweils sei, immer w i r d es für unseren Gegenstand auf die Machtstellung des betreffenden kulturell ausstrahlenden, oder gar auswärtige K u l t u r p o l i t i k planmäßig und bewußt betreibenden Sozialgebildes entscheidend ankommen, mag nun das wirtschaftliche Schwergewicht, das militärische Potential oder eine auf anderen Faktoren (z. B. auf Tradition, Charisma, Herrschaftswillen) beruhende politische Überlegenheit zugrunde liegen. Was die Wissenssoziologie hinsichtlich der verschiedenen Klassenideologien festgestellt hat, bleibt dabei bezüglich der nationalen Ideologien i m internationalen Wettkampf noch zu erarbeiten 17 , vermutlich ein weites und fruchtbares Forschungsfeld. Dabei könnte als ein Ansatz z. B. der berühmte Satz dienen, daß die herrschenden Ideen einer Zeit stets nur die Ideen der herrschenden Klasse seien, was i n unserem Zusammenhang also heißen würde: Die Denk- und Handelnsmuster einer K u l t u r setzen sich auf Grund der Machtüberlegenheit des betreffenden Sozialsystems dann auch jenseits seiner Grenzen durch, was auch immer der Grad ihrer „Richtigkeit" oder die A r t ihrer Wertorientierung i m einzelnen sein mag 18 . 16 17
Ruth Benedict, 1. c., S. 39.
Als erhebliche Vorarbeiten, die aber darunter leiden, daß sie i n der agonalen Situation des ersten Weltkriegs konzipiert wurden, seien hier die einschlägigen Publikationen von M a x Scheler angeführt. Sie sind i m 6. Band der neuen Schelerschen Gesamtausgabe aufgenommen worden („Schriften zur Soziologie u n d Weltanschauungslehre", Bern u n d München 1963). W i r nennen hier daraus vor allem die beiden Aufsätze: Über die Nationalideen der großen Nationen, sowie: Der Geist u n d die ideellen Grundlagen der Demokratie der großen Nationen. 18 Bei aller Sympathie für die betreffenden Theorien können w i r uns nicht entschließen, die i m m e r deutlichere Realisierung der menschlichen Freiheit
3. Die Relevanz des auswärtigen Kulturprestiges für die Machtstellung
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3. Die Relevanz des auswärtigen Kulturprestiges für die außenpolitische und ökonomische Machtstellung „ M i t Politik kann man keine Kultur, aber m i t K u l t u r Politik machen." Diese bezeichnende Äußerung, die der Altliberale Theodor Heuss einmal i n einer Rede tat, bringt die humanistische Bildungstradition des deutschen Bürgertums besonders gut zum Ausdruck. Entspricht sie i n ihrem ersten Teil nicht der von uns i m vorigen Abschnitt explizierten Auffassung, so können w i r die politische Intentio recht gut verstehen und die Betonung der Antithese gegen eine zwölfjährige Vollpolitisierung durch den situationsverantwortlichen Politiker für richtig halten. Der zweite Teil des zitierten Satzes soll nun aber, auch i m H i n blick auf das ökonomische, i n diesem Absatz unterstrichen werden. W i r haben oben bereits das Verhältnis zwischen den USA und Europa als Beispiel dafür herangezogen, daß die politische und militärische Weltmachtposition eines Landes i n ihrem Gefolge stets auch einen dominierenden kulturellen Einfluß mit sich bringt. Betrachten w i r aber die Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten nun einmal i n umgekehrter geographischer Richtung, so ergibt sich auch: Trotz der relativ schwindenden politischen und ökonomischen Macht der europäischen Staaten hat die „Europäisierung", wenn man so sagen darf, der USA stark zugenommen, was unisono alle Besucher bestätigen, die aus Europa nach längeren Zeiträumen wieder die Vereinigten Staaten besuchen. „Wirkung" eines Kulturherdes haben w i r also auch hier, und zwar losgelöst von den äußerlich greifbaren Machtfaktoren; es ist eine Wirkung, wie sie sich, was w i r schon andeuteten, von Hellas ausgehend nach dem Ende seiner größten Machtentfaltung nachweisen läßt, wie sie auch, was viel beschrieben worden ist, das niederbrechende Byzanz auf Mitteleuropa ausübte, wodurch dort die Flamme der Renaissance m i t entfacht worden ist" 1 9 . W i r haben gerade auf diese Beispiele hingewie(Dolf Sternberger) oder immer wachsende Bedeutung des Konsensus gegenüber der Gewalt (Alexander Rüstow) zu prognostizieren. W i r halten es beispielsweise nicht für v ö l l i g ausgeschlossen, daß k ü n f t i g einmal ein K u l t u r system dominieren w i r d , welches, auf asiatische oder afrikanische Machtpositionen gestützt u n d mondiale Respektierung erzwingend, Lehren des M a r xismus und gewisser Rassentheoretiker zu einem Denkmuster verschmilzt u n d dann natürlich auch die ganze Menschheitsgeschichte einmal wieder neu interpretiert. Trotz des stupenden technischen Fortschritts, aller zunehmenden I n tellektualisierung u n d Rationalisierung, ist der K a m p f der Ideologien keineswegs vorüber. 19 Es wäre eine wissenssoziologische Aufgabe, zu untersuchen, wieweit beispielsweise europäische Gelehrte, die Europa während der Herrschaftszeit des Nationalsozialismus verließen, i n den USA eine ähnliche Rolle gespielt haben u n d noch spielen, w i e es die aus Byzanz nach Italien geflüchteten Geistigen i m Quatrocento taten. (Vgl. hierzu Helge Pross: Die deutsche akademische Emigration nach den Vereinigten Staaten 1933—1941, B e r l i n u n d München 1955.)
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7. Kap.: Machtstellung und Kultureinfluß
sen, weil sie zeigen, daß auch ohne sonstige aktuell wirksame Machtfaktoren bedeutende Kulturherde noch von sich aus wirken, was man immerhin versuchen kann, dort zu leugnen, wo sich die verschiedensten materiellen und geistigen Machtfaktoren unauflösbar durchdringen. Ein weiters Beispiel dürfte die Geschichte des jüdischen Volkes bieten. Hier erlebten w i r i n jüngster Zeit, wie das geistige und allgemeine k u l turelle Prestige schließlich (selbstverständlich dann „technisch" wieder auf dem Umweg über verschiedene errungene Machtpositionen) nach langer Zeit erneut eine nationale politische und ökonomische Stellung erringen konnte, die i m Verhältnis zum demographischen und geographischen Bedingungsrahmen bedeutend und imponierend ist. W i r kommen hier zu dem, was man auch, ohne es i n irgendeiner Weise zu mystifizieren, „moralische Macht" nennen könnte, eine besondere Form des Prestiges unter Völkern, wie sich besonders am Beispiel der Schweiz deutlich zeigen läßt. Auch hier besteht ja eine starke Diskrepanz zu der sonstigen Potenz der Schweiz. Die Bedeutung des kulturellen Prestige eines Landes i m Ausland für seine Machtstellung i m internationalen Feld w i r d von Praktikern der Politik seit eh und je unbewußt, aber sehr oft auch bewußt eingesetzt. Schon i n der Prunkentfaltung urtümlicher Potentaten finden w i r für unser Thema relevante Züge, die sich noch i n den höfischen Theatern und Balletts des 18. und 19. Jahrhunderts zeigen. Dies ist K u l t u r als „Statussymbol", und die Verhältnisse liegen dabei soziologisch gar nicht wesentlich anders, als bei der heute so gern untersuchten „conspicious consumption" der Haushalte, um den berühmten Ausdruck von Thorstein Vehlen 20 zu gebrauchen. W i l l y Hellpach machte mit Recht auf die kulturelle Tragweite des Luxus aufmerksam 21 , was i n diesem Zusammenhang ebenfalls von Belang ist. Er führte dabei an, daß anläßlich der Festsetzung der Zivilliste der jungen Königin Elizabeth II. der Führer der Labour-Partei, Clement Attlee, sich Abstrichen daran m i t der Warnung davor widersetzt habe, die Spitze des Staates „langweilig" werden zu lassen 22 . Auch Gneisenaus Wort, daß der Bestand der Throne auf Poesie gegründet sei, ließe sich in diesem Sinne deuten. Beide zunächst innenpolitisch gemeinten Äußerungen haben auch ihre außenpolitische Seite. Das Musterbeispiel bleibt immer der Hof von Versailles unter LudwigXIV. Die Sowjetunion weiß von diesen Zusammenhängen offenbar auch, wofür z. B. das Residieren i m K r e m l und die Pflege der Balletts spricht. Ist Prachtentfaltung ein an die Sinnenfreudigkeit appel20
Thorstein Vehlen, 1. c., K a p i t e l 4. W i l l y Hellpach, Kulturpsychologie, Stuttgart 1953, S. 126. Vgl. auch die Monographie v o n Werner Somhart: L u x u s u n d Kapitalismus, München u n d Leipzig 1922. 22 Die Weimarer Republik hat i n dieser Hinsicht wichtige soziologische Fakten ignoriert, was zu i h r e m Zusammenbruch beigetragen hat. 21
3. Die Relevanz des auswärtigen Kulturprestiges für die Machtstellung
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lierendes Mittel, dessen Wirkung bereits je nachdem, welche ethnischen, sozialen oder Altersgruppen angesprochen werden, variiert, so haben w i r auf der anderen Seite die werbende Kraft, welche subtile „verfeinerte" Kulturformen und Schöpfungen auf dafür aufnahmebereite Destinatäre ausüben, wohl m i t einem kulturhistorischen Höhepunkt hinsichtlich der Wirkung bis zum Auftreten von J. J. Rousseau. Auch die „fin de siecle"-Atmosphäre i n Europa um 1900 war hierfür günstig. Max Scheler hat einmal darauf hingewiesen 23 , daß das soziale Prestige seinem Wesen nach eine Relations- und Differenzierungskategorie sei. Das heißt also für unser Thema, daß i m Unterschied möglicherweise zum Reichtum verschiedener Nationen, der, indem er diesseits und jenseits der Grenzen anwächst, sich gegenseitig fördern kann, es bei jedem Prestigegewinn eines Partners andererseits nicht ohne Prestigeverlust der anderen Teilnehmer i n dem jeweiligen sozialen System abgehen kann. Dies gilt sowohl zwischen einzelnen und Gruppen innerhalb ein und derselben Nation, als auch i m Verhältnis zwischen diesen i m internationalen Feld. Während dies bei kleinen Nationen noch unauffällig bleibt, w i r d das Gesagte deutlich i m Verhältnis der großen Mächte untereinander, ist es hier täglich an Symptomen aufzeigbar. Dabei spielt nun also das Kulturprestige, selbst wenn w i r K u l t u r i m engeren Sinne verstehen, seine bedeutende Rolle neben demjenigen z. B. i n m i l i tärischer oder wirtschaftlicher Hinsicht. Dieser Zusammenhang w i r d besonders deutlich i m Falle Frankreichs. Hat dieses, worauf ebenfalls Max Scheler hinwies, den Prestigegedanken „der Idee realer Macht und der faktischen Ausnutzung der Territorien und Volkskräfte ganz unverhältnismäßig übergeordnet" 24 , wozu sich seit der Machtübernahme General de Gaulles wieder besonders deutliche Illustrationen finden lassen, so erhellt daraus auch, warum der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k i n Frankreich eine weit größere Aufmerksamkeit gewidmet wird, als i n anderen Ländern. Doch auch anderswo sind diese Gedankengänge durchaus nicht unbekannt. Hanns-Erich Haack hat i n der Tageszeitung „Die Welt" m i t Recht eingeräumt 25 , daß deutsche Sprachkurse und Schulen i m Ausland „als M i t t e l zur Förderung der deutschen Industrieproduktion oder sogar zu rein imperialistischen Eroberungszwecken" benutzt worden sind. Es ist für jeden Reklamefachmann eine Selbstverständlichkeit, daß steigende Sympathien, die dem britischen Gentlemanideal entgegengebracht werden, sich auch günstig auf die Verkaufsergebnisse englischer Tuche auswirken, was die Zeitungsanzeigen täglich illustrieren. Hat sich einer Weltöffentlichkeit die Vorstellung vom „fair play" als einer typisch englischen Ver23 24 25
M a x Scheler: Das Nationale i m Denken Frankreichs, 1. c., S. 147. a. a. O., S. 146. K u l t u r : Das Stiefkind der deutschen Diplomatie, Nr. v o m 16. 3.1963.
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7. Kap.: Machtstellung und Kultureinfluß
h a l t e n s w e i s e 2 8 e i n g e p r ä g t , h a t es auch die b r i t i s c h e D i p l o m a t i e leichter. D e m g e g e n ü b e r g l a u b t e m a n i n Deutschland, sich lange Z e i t ü b e r diese Z u s a m m e n h ä n g e h i n w e g s e t z e n z u k ö n n e n , da sie sich n i c h t a d oculos w i e die Gravitationsgesetze d e m o n s t r i e r e n lassen. Es w e r d e n aber gerade d u r c h k u l t u r e l l e E i n f l u ß n a h m e n w i c h t i g e G e f ü h l s s t r u k t u r e n beeinflußt, deren B e d e u t u n g , w i e w i r schon sahen, Pareto i m m e r w i e d e r b e t o n t h a t 2 7 . D a m i t k o m m e n w i r aber auch a u f die S p u r m a n c h e r der sog. „ I m p o n d e r a b i l i e n der P o l i t i k , die o f t v i e l m ä c h t i g e r w i r k e n als die F r a g e des m a t e r i e l l e n u n d d i r e k t e n Interesses, u n d die m a n n i c h t m i ß achten soll i n i h r e r B e d e u t u n g 2 8 . " Es h a t den Anschein, als ob diese R e a l i t ä t e n v o n Wissenschaft, W i r t s c h a f t u n d I n n e n p o l i t i k bereits i n w e i t e m U m f a n g e r k a n n t w o r d e n seien u n d v o n e i n e r i n t e n s i v e n u n d w i s senschaftlich f u n d i e r t e n Werbepsychologie ( „ T h e H i d d e n Persuadera") bis ü b e r die b i s h e r i m A b e n d l a n d als zulässig angesehenen G r e n z e n h i n aus i n die P r a x i s umgesetzt w e r d e n . I n der i n t e r n a t i o n a l e n P o l i t i k dagegen zeigt sich a u f a l l e n S e i t e n noch eine s t a r k e V o r l i e b e f ü r eine A r t 26 Hier sieht m a n deutlich, w i e künstlich es ist, Kulturelles n u r auf das Gebiet der Künste u n d Wissenschaften begrenzen zu wollen. Unser Thema verlöre dann an Interesse. 27 Pareto hat als erster Sozialwissenschaftler, w e n n m a n von dem etwas dubiosen Gustave le Bon absieht, die nichtlogischen Elemente der komplexen faktischen Handlungsabläufe i n den M i t t e l p u n k t seiner Soziologie gerückt. Er bringt hier, ebenso w i e Freud auf dem Gebiet der Psychologie, die Antithese gegen ein einseitiges aufklärerisches Vernunftdenken schroff zum Ausdruck. Nichtwissenschaftliche Autoren haben ähnliches schon früher betont. M a n denke n u r an den Herzog v. Larochefoucauld (1613—1680) u n d seine Maximen, darunter das berühmte: „Nos vertus ne sont, le plus souvent, que des vices déguisés." Goethe schreibt i n den „Leiden des jungen Werther" (1774): „Daß die K i n d e r nicht wissen, w a r u m sie wollen, darin sind alle hochgelahrte Schulu n d Hofmeister einig; daß aber auch Erwachsene gleich K i n d e r n auf diesem Erdboden herumtaumeln, u n d w i e jene nicht wissen, woher sie kommen u n d w o h i n sie gehen, ebensowenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen u n d Birkenreiser regiert werden: Das w i l l niemand gern glauben, u n d mich dünkt, man k a n n es m i t Händen greifen." I n England bringt schon etwas früher der 4. Earl of Chesterfield (1649—1773) i n seinen berühmten Briefen an seinen Sohn immer wieder diesen Gedanken zum Ausdruck, z.B. am 5.12.1749: „Those who suppose that men i n général act rationally because they are called rational creatures, k n o w very l i t t l e of the w o r l d ; and i f they act themselves upon that supposition, w i l l , nine times i n ten, f i n d themselves grossly mistaken." Auch Nietzsche ist natürlich eine Fundgrube für derartige Erkenntnisse. Es bleibt nicht einzusehen, w a r u m die Soziologie i m Unterschied zur Psychologie dies nicht anerkennen soll, w e i l große Demagogen sich diese Dispositionen der Menschennatur zunutze machen. Es ist wissenssoziologisch zwar nicht verwunderlich, daß m a n die befriedigende Konzeption v o m „homo sapiens", der auch gern dem „homo oeconomicus" u n d dem „homo democraticus" gleichgesetzt w i r d , möglichst unversehrt erhalten möchte. Die Pflicht zur rationalen Arbeitsweise unserer Wissenschaft „darf aber natürlich nicht als ein rationalistisches V o r u r t e i l der Soziologie, sondern n u r als methodisches M i t t e l verstanden u n d also nicht etwa zu dem Glauben an die tatsächliche Vorherrschaft des Rationalen über das Leben umgedeutet werden" (Max Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, a. a. O., S. 3). 28 Bismarck i n einer Rede am 27.3.1879.
3. Die Relevanz des auswärtigen Kulturprestiges für die Machtstellung
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der sog. „Realpolitik", die sich von derjenigen der erfolgreichen großen Realpolitiker i n der Geschichte aber dadurch unterscheidet, daß sie die wesentlichen Domänen der Gefühlsstrukturen anderer zugunsten äußerlicher Machtentfaltung und ideologischer Konsequenz vernachlässigt. Damit w i r recht verstanden werden: Die Erkenntnis der Bedeutung des kulturellen Prestiges und seine Anwendung auch i m internationalen Kräftespiel hat nichts mit der Auffassung zu tun, als ob nun etwa Ideen die primae causae und unabhängigen Variablen i n der geschichtlichen Evolution wären. Aber auch Überzeugungen sind Realitäten und manchesmal ausschlaggebende Faktoren; wohl um so mehr, je unreflektierter, „selbstverständlicher" sie sind. Und wenn es einer Nation gelingt, den i n ihrer K u l t u r verkörperten Werten als allgemein verbindlichen, zumindest als zu respektierenden breite Anerkennung zu verschaffen, so hat sie damit ein großes Machtpotential auf ihre Seite gebracht. So ist Frankreich innerhalb der westlichen Welt, aber auch weit darüber hinaus, als der Bannerträger alter K u l t u r und Zivilisation, als Hort der schönen Künste und feiner Lebensart anerkannt. Es ist kein reiner Zufall, daß Paris seit längerem vor dem Schicksal der Zerstörung bewahrt geblieben ist, und ähnliches gilt auch für Rom. Man kann sich die Frage stellen, ob die Sympathie eines großen Teiles der Welt nicht heute noch verhindern dürfte, daß diesen beiden Städten das Schicksal Berlins bereitet würde. So bahnt das kulturelle Prestige, mag es auf rationalen oder irrationalen Faktoren beruhen, i n manchen Fällen sogar Truppen den Weg oder vermehrt ihre K r a f t bei der Verteidigung. Aus der Geschichte sei an die „grande armée" Napoleons erinnert, die sich anfänglich als Wegbereiterin von K u l t u r und Fortschritt fühlte und auch weithin so begrüßt wurde. I n der Gegenwart wären i m Hinblick darauf ostasiatische Spannungs- und Kampfgebiete zu analysieren.
Achtes Kapitel
Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen Es kann hier nicht darum gehen, eine Aufzählung aller verschiedenen Bereiche auswärtiger Kulturpolitik zu geben und ihre Möglichkeiten, Planungen, Leistungen und Schwierigkeiten i m einzelnen abzuhandeln. Dies wäre i n unserem Zusammenhang nicht einmal für ein einzelnes Land möglich. Solche Materialsammlungen und Darstellungen müssen den i n Frage kommenden sachkundigen Sonderorganisationen für ihre jeweiligen Arbeitsgebiete überlassen bleiben; ihre Organisationsformen und Funktionsabläufe können pauschal nicht abgehandelt werden. A n dererseits ist es vielleicht doch statthaft, das bisher Ausgeführte i m Hinblick auf ausgewählte einzelne Domänen etwas zu ergänzen, auf einige spezifische Bedingungen und Möglichkeiten aufmerksam zu machen und damit auch von den einzelnen Bereichen her unser Thema weiter zu erfassen. Sowohl Bildungs-, als auch Kunstsoziologie können hierzu Beiträge leisten. Zur Fundierung der praktischen Arbeit müßten die Fachwissenschaften stärker herangezogen werden, deren Forschungsergebnisse i n diesem summarischen Kapitel nur exemplifikatorisch angeführt werden können. Vielleicht trägt es aber ein wenig dazu bei, die Notwendigkeit spezifischer Untersuchungen i m Rahmen der Grundlagenforschung deutlich zu machen. 1. Erziehungswesen und wissenschaftliche Zusammenarbeit a) I m Rahmen des Sozialisations- und Enkulturationsprozesses, den jeder Mensch zu allen Zeiten und i n allen Kulturen, wenn auch i n noch so verschiedener Weise durchläuft, ist Erziehung die planmäßige Einwirkung auf den Menschen, vor allem auf die sich erst zu Vollmitgliedern der Gesellschaft entwickelnden Kinder und Jugendlichen. Sie erfüllt gleichzeitig die beiden Aufgaben der Kulturübermittlung und der Menschenbildung. Dabei geht es ihr nun neben der Ausbildung von spezifischen, innerhalb des betreffenden Sozialsystems gefragten Fertigkeiten gewiß u m die Tradierung der ganzen eigenen K u l t u r . Aber doch schon früh i n der historisch übersehbaren Menschheitsgeschichte erfolgen i m Rahmen der Erziehung bewußte Rückgriffe auf andere Kulturen. Einmal geschieht dies ständig i n der Form, daß geeignet erscheinende,
1. Erziehungswesen und wissenschaftliche Zusammenarbeit
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heterogene Kulturelemente i n die eigene K u l t u r eingeschmolzen werden, und zwar bewußt, neben den vielleicht dem Umfang nach noch größeren unabsichtlichen Rezeptionen. Z u m anderen aber werden fremde Kulturelemente auch gerade i n ihrer Eigenschaft als solche geschätzt und deutlich herausgestellt, nicht selten paradigmatisch. I n dieser Weise spielt beispielsweise die Antike bis heute ihre bedeutsame Rolle als schwer zu ersetzendes Formelement unseres höheren Erziehungswesens, und i m gleichen Zusammenhang hat man oft gesagt, dem Deutschen fromme eine Schulung an der französischen, zumal cartesianischen „clarté". Dabei ist nun die komplementäre Qualität des fremden Kulturguts zum Autochthonen wesentlich, es muß eine Lücke ausfüllen. Hier taucht das bekannte soziologische Erfahrungsgut wieder auf, das i m Zusammenhang m i t der Gestalt des „Fremden" 1 erarbeitet worden ist. Dieser erweist sich i m Gastland dann als erfolgreich, wenn einmal die krassesten Formen der Xenophobie, die allen urtümlichen Menschen eignen, gemildert sind, dann aber auch der Fremde über Haltungen, Fähigkeiten und Geschicklichkeiten verfügt, welche die einheimische Bevölkerung nicht i m gleichen Maße besitzt, aber verwenden kann, oft sogar nötig braucht. Dies w i r d besonders bei einem mehr oder weniger hohen Grad von sozialem Wandel der F a l l sein, den dann der Fremde auch seinerseits wieder beschleunigt. I m Erziehungswesen t r i t t uns der Fremde direkt als ausländischer Lehrer gegenüber, nicht nur als Sprachlehrer 2 , sondern auch als Instruktor i n allerlei Fertigkeiten, die i n seinem Heimatlande zu besonderer Vollendung gebracht worden sind (schon früh z.B. als Fecht- und Tanzmeister, als Lehrer schöner Künste). Auch ganze Schulen werden importiert oder nach dem ausländischen Vorbild aufgezogen, man denke etwa an den weltweiten Siegeszug des Fröbelschen „Kindergartens", an die Errichtimg der deutschen Landerziehungsheime (Hermann-Lietz-Schulen) nach englischen Vorbildern (und die Rückimportierung der Weiterentwicklung z. B. i n der 1 Vgl. hierzu neben dem bereits angeführten Aufsatz von Gottfried Eisermann i n „Schmollers Jahrbuch" 1964 an älteren Veröffentlichungen: Georg Simmeis berühmten „ E x k u r s über den Fremden" i n seiner „Soziologie", Robert Michels Soziologie des Fremden, i n „Jahrbuch f ü r Soziologie", I. Bd., Karlsruhe 1925; A l f r e d Schütz: The Stranger, i n : American Journal of Sociology, vol. 49 (1944). 2 Infolge der ausgeprägten nationalstaatlichen Entwicklung, aber auch aus den angeblichen Notwendigkeiten bürokratisch-administrativer A r t heraus (Beamtenrecht), sind seit hundert Jahren Ausländer als reguläre Lehrkräfte unserer Schulen i m m e r seltener geworden, teilweise v ö l l i g verschwunden. M a n versucht gegenwärtig durch das I n s t i t u t der Lehrerassistenten, die f ü r ein Gastjahr ins Ausland beurlaubt werden, sich die besonderen Qualifikationen ausländischer Lehrkräfte wieder stärker nutzbar zu machen, u n d gleichzeitig diesen selbst ein unmittelbares Anschauungsbild von Land, Leuten u n d Sprache zu geben, über die sie u n d i n der sie später unterrichten sollen.
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8. Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
Form Salems nach Gordonstown) oder — noch ausgeprägter — an das berühmte vom Großen Kurfürsten gestiftete „Französische Gymnasium" zu Berlin oder an das deutsche Gymnasium i n Budapest. Ein sehr aktuelles auch politisch wichtiges Beispiel aus dem später zu behandelnden Hochschulsektor ist die rasch angewachsene und wissenschaftlich renommierte „American University of Caire" (eine Schwesterinstitution besteht i n Beirut), die sogar von der Tochter des Staatspräsidenten Nasser besucht wird. A n diesem Beispiel w i r d auch wieder deutlich, daß Oberschichten Wert darauf legen, sich durch Aneignung führender fremder Kulturen fortzubilden, was übrigens nicht selten auch i n der Absicht geschieht, sich dadurch besonders zu akzentuieren, von den eigenen Unterschichten abzuheben. Dies galt typisch von der französisch orientierten deutschen Oberschicht des 18. Jahrhunderts, und bis i n unser Jahrhundert hinein wurden Kinder begüterter Familien z.B. i m slavischen Sprachraum durch französische, englische und deutsche Hauslehrer entsprechend erzogen. Aber auch anderswo wurden die englische Miß, die französische Mademoiselle oder das deutsche Fräulein zu bekannten Erziehertypen. Ferner suchen ethnisch fremde Subkulturen Rückhalt an Schulen des eigenen Kultursystems, man denke nur an die amerikanischen Schüler i n der Bundesrepublik oder an die deutschen Auslandsschulen. Es ist ein der Völkerverständigung dienender Gedanke, diese Schulen, wie bereits erwähnt, zu Begegnungsschulen auszugestalten, sie der Koedukation verschiedener ethnischer Gruppen zu widmen. Vorübergehend können solche Begegnungen, die, u m positiv w i r k e n zu können, freilich stets eine sachgemäße Vorbereitung und Proportionalität erfordern, auch i m Rahmen des i n jüngster Zeit stark angewachsenen Schüleraustauschs erfolgen 3 . Werden durch die genannten Aktivitäten auf dem Gebiet des Erziehungswesens bedeutende völkerverbindende Sozialbeziehungen hergestellt, so muß man sich doch klar darüber sein, daß sie nur dann i n größerem Umfang belastungsfähig sein dürften, wenn sie die beiden i n Frage kommenden K u l t u r - und Erziehungssysteme organisch verbinden, oder zumindest nicht allzu krasse Widersprüche akzentuieren. Wem daher an der Vermeidung von Völkerfeindschaften gelegen ist, der muß wünschen, daß die jeweiligen nationalen Erziehungssysteme den immer vorhandenen Gegensatz zwischen „in-group" und „out-group", zwischen der eigenen Nation und den fremden Nationen nicht übermäßig kultivieren. Hier liegt neben der Förderung der historischen Wahrheit, eine der wichtigsten Aufgaben für alle diejenigen, die sich die Aufgabe 3 Es ist jedenfalls wichtig, daß die unmittelbare Anschauung i m jugendlichen, noch stärker bildungsfähigen A l t e r einsetzt, u m dem Erstarrungsprozeß der „Stereotype" vorzubeugen, die erfahrungsgemäß auch durch spätere Anschauung immer n u r wieder bestätigt zu werden pflegen. W i r haben auf die Bedeutung derartiger Fixationen bereits früher hingewiesen.
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gesetzt haben, den Geschichtsunterricht und die Geschichtsbücher international zu entschärfen 4 . I m Geographieunterricht ist ebenfalls reiche Gelegenheit geboten, für oder wider eine Völkerverständigung zu w i r ken, und eine Vulgärcharakterologie der Nationen treibt hier häufig nicht immer harmlose späte Blüten. Auch ganz generell gilt es, etwaige Aggressionstriebe 5 i n ungefährliche Bahnen zu lenken, sie zu kanalisieren, zu sublimieren, Rivalität und Kampfeslust i n friedliche Konkurrenz und Wettbewerbseifer zu wandeln 6 . Es hängt offenbar, worauf u. a. K a r l Mannheim deutlich hingewiesen hat, wesentlich von den sozialen Einrichtungen ab, ob die i n der Struktur des Menschen angelegten Möglichkeiten eine kriegerische oder friedliche Ausprägung erfahren. Was die Möglichkeiten angeht, die interkulturellen Relationen zu verbessern, so darf jedenfalls nochmals ausdrücklich wiederholt werden, daß m i t individuellen Freundschaften und unzähligen „Begegnungen" allein nichts Wesentliches und Dauerndes zu erreichen ist, sondern daß die geistige Orientierung oder Umorientierung der nationalen Großgruppen als solcher das Entscheidende bleibt. „Eine der traditionellen Gebiete der Erziehungssoziologie stellt die Analyse der Beziehungen zwischen den Zielsetzungen der Bildungsinstitutionen und den allgemeinen Werthaltungen und Idealen der Gesellschaft dar 7 ." So hat Charlotte Lütkens die deutschen Schulen i n der Bundesrepublik treffend als „Mittelklasseninstitutionen" analysiert und m i t Recht betont 8 , daß selbst eine Erziehung zur Anpassung „unzulänglich und gefährlich [sei], solange sie auf dem Glauben an eine prästabilisierte Harmonie der sozialen 4 W i r erwähnten schon die hervorragenden Bemühungen des Internationalen Schulbuchinstituts i n Braunschweig (Leitung Prof. Dr. Georg Eckert). Eine sehr gute Übersicht über diesen Problemkreis, die m a n soziologisch noch h i n sichtlich der Widerstände etwas ergänzen könnte, bietet Carl August Schröder: Die Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit, Braunschweig 1961. 5 M a n w i r d immer skeptischer gegenüber den sog. Triebpsychologien. Nach Meinung der meisten psychoanalytischen Schulen ist aber der „Aggressionstrieb", ebenso w i e der Sexualtrieb, eine letzte, unveränderliche Antriebskraft des menschlichen Handelns. Diese Ansicht hatte schon Sigmund Freud z. B. 1931 i n einem berühmt gewordenen Briefwechsel m i t Albert Einstein über die Frage „ w a r u m Krieg?" vertreten. Beide Grundtriebe zeigen nach dieser Lehre lediglich eine gewisse Verwandlungsfähigkeit. 6 Wer an diesen Fragen tiefer interessiert ist, findet Ausführlicheres dazu bei W i l l y Hellpach: Pax Futura, Die Erziehung des friedlichen Menschen durch eine konservative Demokratie, Braunschweig 1949, besonders i m K a pitel „Gruppenzucht u n d Darstellungssucht", S. 51—60. Auch sei i n diesem Zusammenhang auf einige gute Bemerkungen bei K a r l Mannheim: Mensch u n d Gesellschaft i m Zeitalter des Umbaus, a. a. O., S. 147—150 hingewiesen. 7 W i l b u r B. Brookover: Soziologie der Erziehung, i n : „Soziologie der Schule", Sonderheft 4 der Kölner Zeitschrift f. Soziologie u n d Sozialpsychologie, 1949, S. 191. 8 Charlotte Lütkens: Die Schule als Mittelklassen-Institution, i m gleichen Sonderheft, S. 38.
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Kräfte und der Vernunft ruht". Dies gilt natürlich auch i m Hinblick auf die internationalen Beziehungen. Dabei ist i n der Praxis, jedenfalls i n derjenigen unserer entwickelten Industriegesellschaften, der Elementar» und Oberschullehrer oft die Schlüsselfigur. b) Sind weite Kulturbereiche, wie die „schönen Künste", den Zentren von Macht und Einfluß immer ferner gerückt, offenbar zur „quantité négligeable" geworden, so ist ein anderer „Sektor" des kulturellen Lebens an Bedeutung immer schneller angewachsen: derjenige der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften. Es ist „zunächst eine unumstößliche Tatsache, daß die Wissenschaft ihrem Wesen nach international ist". Dieses bekannte Wort Max Plancks ist, wie w i r wissen, i m Laufe der Geschichte nicht immer unangefochten geblieben (Forderungen nach „deutscher" Wissenschaft usw.). Aber doch muß jeder Einsichtige und Aufrichtige zugeben: Unsere zeitgenössische Wissenschaft ist durch weltweite Zusammenarbeit geworden und charakterisiert; sie baut auf den ersten mathematischen Erkenntnissen der beiden alten Stromländer, der Griechen, aber auch Inder und Ostaraber ebenso auf, wie auf der arabischen Tradierung des Aristotelischen Lehrguts, auf Descartes und Kant ebenso, wie auf Locke und Hume; sie fragt i m Unterschied zu nationalem Prestigebedürfnis nicht danach, ob die Konzeption der Quanten- und Relativitätstheorien auf deutschem, die Uranentdeckung auf französischem, die Erfindung des Penicillins auf englischem Boden vonstatten gingen. Bereits die mittelalterlichen Universitäten, überall Latein als Unterrichtssprache gebrauchend, ermöglichten den verschiedenen Völkern des Abendlandes, an ihrer Arbeit teilzunehmen, sei es als Lehrende oder Lernende, wobei die Nationalgedanken, die i m europäischen Raum während der Gotik gegen die Einheit der Kirche und die übernationalen Feudalideen anzuwachsen begannen, zunächst noch kaum eine Rolle spielten. Man strebte von allen Regionen an die sich u m 1200 i n Bologna und i n Paris bildende „universitas magistrorum et scolarium". So gab es an der Pariser Universität außer den verschiedenen französischen „nations" (Landesmannschaften) auch eine nation d'Angleterre, d'Allemagne (seit 1436 urkundlich) und die Professoren trugen auf der gemeinsamen Basis christlichen Gedankengutes die weitgehend übereinstimmenden Wissensgebiete einmal an dieser, dann an jener Universität vor. Durch Abwanderung von Dozenten und Studenten aus älteren Universitäten über die Grenzen hinweg, entstanden Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt und Leipzig (Professoren und Studenten aus Prag und Paris) 9 . Magister- und Doktorgrade galten überall i m Abendlande, eine „venia ubique legendi" wurde weitgehend anerkannt. Die trotz primitiver Verkehrs- und Nachrichtenmittel 9 Vgl. H e l m u t Schelsky, Einsamkeit u n d Freiheit, Idee u n d Gestalt der deutschen Universität u n d ihrer Reformen, Hamburg 1963, S. 17.
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große geographische Mobilität der Dozenten und Studenten entsprach der bemerkenswerten schichtenspezifischen Mobilität auf dem Hochschulsektor 10 . Die konfessionellen Spaltungen infolge der Reformation und die Ausbildung der Nationalstaaten führten zwar zu zahlreichen Universitätsgründungen und Gegengründungen, w i r k t e n sich aber bekanntlich auf Forschung und Lehre i n einer den Erfahrungsaustausch und die wissenschaftliche Diskussion auch wieder beengenden Weise aus. W i r können diese Entwicklung, die aus manchen Universitäten i n verschiedenen Ländern dann auch wahre Hochburgen und Brutstätten des Nationalismus machte und weiterhin macht, hier nicht nachzeichnen, sie zerstörte die „Gelehrtenrepublik". Auch Universitäten lassen sich nicht von der gesellschaftlichen Totalität, die sie umgibt, isolieren. I m einzelnen Forscher w i r k e n neben der wissenschaftlichen Intention nicht nur „Interessen", sondern auch von seiner sozialen Umwelt ständig beeinflußte Gefühlsstrukturen, die bei heftiger Erregung der nationalen Leidenschaften das wissenschaftliche Ethos überrennen oder die Erkenntnis dem Forscher selbst unbewußt verfälschen können 1 1 . Jeder ernst zu nehmende Gelehrte weiß aber, daß die Erzielung qualifizierter wissenschaftlicher Leistung, ihre Weiterentwicklung, ja oft auch nur der Anschluß an das jeweilige Arbeitsgebiet nicht ohne Berücksichtigung ausländischer Fachliteratur, auf vielen Gebieten auch nicht ohne Teilnahme an internationalen Kongressen möglich ist. Die internationale Zusammenarbeit der Wissenschaft „ist u m so notwendiger, als die Aufgaben zunehmen, bei denen isolierte Lösungen nicht mehr zu erwarten sind. Die Entwicklung der Nachrichtentechnik ermöglicht es heute, ohne Zeitverlust irgendwo gemachte Feststellungen auszutauschen und Forschungsergebnisse zu übermitteln . . . Manche wissenschaftliche Vorhaben weiten sich so aus, daß zu ihrer Durchführung besondere internationale Trägerinstitutionen notwendig werden. Das gilt nicht zuletzt für ihre finanzielle Förderung" 1 2 . M i t diesen Fragen haben sich i n den letzten Jahren vor allem die OECD, die UNESCO und die N A T O befaßt. So heißt es i n der von der OECD herausgegebenen 10 Die Universität überwand hinsichtlich der sozialen Herkunft bereits manche Schranken der mittelalterlichen Gesellschaft. Lehrer und Studenten kamen aus Ritterschaft, Bürgertum und Bauernschaft, aus armen und reichen Häusern. „Der Hauptteil der Studierenden k a m aus den Familien der Handwerker und des kleinen Gewerbes" (Schelsky, 1. c., S. 14). Der „Doctor juris utriusque" konnte den Graduierten als „praenobilissimus" dem Uradel gleichstellen. 11 M a x Wundt z. B. hat unter dem Einfluß der i m 1. Weltkrieg aufgewühlten Leidenschaften allen Ernstes gemeint, i n der Treue den Zentralbegriff „deutscher Weltanschauung" sehen zu können („Die Treue als K e r n deutscher Weltanschauung", 2. Aufl. 1925), u m von den zahlreichen u n d weit gröberen Entgleisungen der 30er und 40er Jahre zu schweigen. 12 Jahrbuch 1959 des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft, S. 233.
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Publikation „Science and the Policies of Governments": „Such currently active research areas as geodesy, oceanography, meteorology, astrology, and space science are international by their substance, and can only suffer form lack of co-operation among n a t i o n s . . . Research of engineering projects may involve the use and development of such expensive equipment — particle accelerators, radio telescopes, oceanographic research vessels, modern weapons, satellite systems — that the cost must be shared" 13 . Die zwischenstaatlichen Abkommen, die solche Forschungsvorhaben ermöglichen, etwa Atomforschungsstellen, Sternwarten und dergleichen mehren sich daher. Freilich gilt es auch, einige Nachteile zu sehen, die der wissenschaftlichen Arbeit seitens einer forcierten Internationalisierung drohen, wovon man sich nicht selten auf internationalen Kongressen überzeugen kann, deren wissenschaftlicher Ertrag zum Aufwand oft i n keinem angemessenen Verhältnis steht 14 . Wissenschaftler als Diplomaten anzusehen und „einzusetzen" geht nur i n Ausnahmefällen an. Scheler sagte zu dieser Frage: „ I n seiner Intention darf den Forscher also weder der nationale noch der internationale Gedanke leiten — sondern eben nur die Sache15. Doch muß sich die so postulierte „Gesinnungsethik" des reinen Wissenschaftlers m i t der „Verantwortungsethik" eines unterrichteten Staatsbürgers der Gegenwart auf mancherlei Forschungsgebieten verbinden, wenn man die tödlichen Gefahren eines neuerlichen Weltkrieges m i t ihren äußersten Konsequenzen vermeiden w i l l . Das berühmte Begriffspaar Max Webers 18 ist auch bei dieser Anwendung nicht kontradiktorisch. Aus der Fülle der Organisationen, die auf dem Erziehungssektor und i m Rahmen der Wissenschaft die „manifeste" oder „latente" Funktion (R. K . Merton 17) der internationalen Zusammenarbeit und Völkerverständigung ausüben, seien hier nur die i n den letzten Jahren an Zahl stark angewachsenen internationalen wissenschaftlichen Gesellschaf13 OECD: Science and the Policies of Governments, the Implications of Science and Technology for National and International Affairs, Paris 1963, S. 43 f. W i r verweisen insbesondere auf den dritten T e i l dieser Veröffentlichung: Science i n International Affairs. Ferner nennen w i r : Dana Wilgress, Co-operation i n Scientific and Technical Research, OECD, Paris 1960. 14 Offenbar eignen sich nicht alle Disziplinen gleichermaßen f ü r Erörterungen auf wissenschaftlichen Kongressen u n d i m internationalen Rahmen. Die ersten internationalen wissenschaftlichen Kongresse fanden i n Belgien, Frankreich u n d Deutschland u m die M i t t e des vorigen Jahrhunderts statt. 15 Vgl. seinen Aufsatz: „Das Nationale i m Denken Frankreichs", i n : „Schriften zur Soziologie u n d Weltanschauungslehre", 2. Aufl., B e r l i n u n d München, 1963, S. 133. 16 Erstmalig erläutert Anfang 1919 i n seinem aufsehenerregenden Vortrag „ P o l i t i k als Beruf" vor Studenten der Universität München, abgedruckt i n : Gesammelte politische Schriften, München 1921, S. 396—450. 17 Vgl. zu diesem Begriffsgebrauch Robert K . Merton: Social Theory and Social Structure, a. a. O., Kap. I.
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ten 1 8 und damit zusammenhängend bereits vorwegnehmend die später eingehender behandelte UNESCO genannt. Dabei könnte man wieder einen Anwendungsfall des i n unserem Zusammenhang bereits früher zitierten „effort converti" darin sehen, daß sich von den rund 400 internationalen Organisationen („organisations non gouvernementales") 19 , m i t denen die UNESCO zusammenarbeitet, gerade die wissenschaftlichen angeblich besser bewährt haben sollen als solche, die sich expressis verbis die Völkerverständigung zum Ziel gesetzt haben. Auch hat die UNESCO bei der Gründung internationaler wissenschaftlicher Vereinigungen selbst entscheidend mitgewirkt 2 0 und dabei auch besonders den interdisziplinären Anforderungen Rechnung zu tragen versucht. Denn an die Stelle nationaler Schranken und Grenzen treten i n der Wissenschaft bekanntermaßen nur allzugern die Fakultätsschranken 21 , was zwar aus historischen Gründen und wegen der Notwendigkeit immer stärkerer Spezialisierung verständlich ist, aber die Erhellung der Realitäten verzögert, an welche die verschiedenen Disziplinen komplementär ihre jeweiligen Koordinaten anzulegen haben. Aus unserem engeren Bereich nennen w i r von diesen Initiativen, die übrigens auf einer älteren amerikanischen Tradition aufbauen, vor allem: das „International Committee for Social Science Documentation" und den „International Social Science Council". Kein Einsichter w i r d nun erwarten, daß sich i n diesen, wie i n anderen internationalen wissenschaftlichen Gremien die nationalen Belange zur „quantité négligeable" verflüchtigen. Man denke hierzu nur an die oft erbitterten Diskussionen, die um die Arbeits- und Kongreßsprachen entstehen, zumal dabei nicht nur eine Prestigefrage aufgeworfen wird, sondern i n verschiedenem Stärkegrad für die einzelnen Disziplinen, Qualität und Wirkungsmöglichkeit der einzelnen Beiträge selbst involviert sind; hier liegt ein bislang offenbar nicht genügend bearbeitetes Gebiet der Kommunikationsforschung. Auch gibt es i m wissenschaftlichen Bereich jeweils national dominierende „Schulen", die sich untereinander Kontroversen liefern, wodurch dann leicht — durch psychische 18 Die OECD hat i m Jahre 1963 ein Verzeichnis ausgewählter wissenschaftlicher Organisationen m i t internationalem Charakter zusammengestellt, das recht instruktiv, aber nicht publiziert ist: International Scientific Organisations, 2 Teile, Paris 1963 (zum Handgebrauch des Ministerial Meeting on Science, 3. u n d 4. Oktober 1963). 19 V o n diesen erhielten 36 Organisationen, die zur Realisierung der UNESCO-Projekte besonders beigetragen haben, i m Jahre 1962 v o n dieser die Summe von 700 000 20 W i r nennen z.B. die „International Sociological Association", die i n zwischen 5 Weltkongresse veranstaltet hat. 21 A n die Stelle der verschiedenen Muttersprachen m i t ihren die Verständigung erschwerenden technischen u n d k u l t u r e l l e n Barrieren treten dann die Fachsprachen u n d oftmals auch Fachüberheblichkeiten.
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Irradiation — nationale Scheidewände aufgebaut werden, die m i t der Sache nichts zu t u n haben. Aber man w i r d doch m i t aller gebotenen Vorsicht sagen dürfen: I m wissenschaftlichen Bereich finden wir, seit es Forschung gibt, stärkste Stützpfeiler für die Verständigung über die staatlichen Grenzen hinweg, mögen sie, zumal i m Zeitalter totaler Kriegführung, auch oft von nationalen Sentiments überspült worden sein. Hier lagen frühe Wurzeln auswärtiger Kulturarbeit, z. B. auf dem Gebiet der Archäologie u m die Mitte des vorigen Jahrhunderts oder bei der hier einmal glücklichen Initiative Kaisers Wilhelms I I . zum Austausch von Gastprofessoren m i t Amerika. Hier boten sich auch erneut verläßliche Ansatzpunkte für die Verständigung nach den beiden Weltkriegen, man denke etwa an die Rollen eines Albert Einstein nach dem ersten, eines Max Planck oder K a r l Jaspers nach dem zweiten Weltkrieg. Als wesentlichen Beitrag zu der alten soziologischen Problematik, ob nationalen oder Schichts- (Berufs-)Solidaritäten größeres Gewicht beizumessen sei 22 , was nur jeweils hic et nunc beantwortet werden kann, muß man auch heute das Bestehen einer „Gelehrtenrepublik" anerkennen, die ihren spezifischen Sittenkodex besitzt und ihn trotz schwerer Verstöße, die dagegen i n und nach Kriegen vorkommen, auch zu bewahren weiß. M i t diesem Sittenkodex sehen sich auch die Außenministerien gelegentlich konfrontiert, welche sich bemühen, i m wissenschaftlichen Bereich ihre nationalstaatlichen Interessen durchzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich hier hinsichtlich der Gelehrten aus Mitteldeutschland i n einer besonders prekären Situation. Man kann Wissenschaftlern aber nicht zumuten, daß sie anerkannten Fachvertretern die internationale Zusammenarbeit aus politischen Gründen unmöglich machen. Die sog. „Staatsraison" und das wissenschaftliche Ethos stießen z.B. i m Frühjahr 1964 hart aufeinander, als dem Auswärtigen A m t die Fehlleitung eines Antrags auf Unterstützung einer Vortragsreise des Hamburger Historikers Prof. Fritz Fischer den willkommenen Anlaß bot, diese Reise nicht zu finanzieren, da Professor Fischer die These von der Hauptschuld Deutschlands am ersten Weltkrieg vertritt. Die Affäre hat Staub aufgewirbelt und dem deutschen Ansehen geschadet23. Da man freilich von keinem Außenministerium erwarten kann, daß es i h m politisch unbequeme Vorhaben auch noch zu unterstützen sucht (es sei denn, man erkenne, daß Selbstkritik i n dem konkreten Falle als Zeichen der Objektivität die beste, w e i l sehr subtile Propaganda darstellt, wie generell das berühmte britische
22 Hierzu Christian Graf v. Krockow: Nationalbewußtsein u n d Gesellschaftsbewußtsein. Pol. Viertelj. Schrift, 1/141. 23 Es entstand nicht n u r eine lebhafte Pressedebatte m i t scharfen A n g r i f fen gegen das Auswärtige A m t , sondern auch zwölf amerikanische Professoren f ü r neuere Geschichte veröffentlichten einen Protestbrief.
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„Understatement"), wäre aus dem Vorgefallenen w o h l die Konsequenz zu ziehen, die Verwaltung derartiger Finanzierungsfonds noch stärker an wissenschaftliche Institutionen zu delegieren. Entsprechend der auf der Ebene der Fachwissenschaftler bereits weitgehend realisierten internationalen Gemeinschaft, die auch i n der wieder zunehmenden Berufung ausländischer Gelehrter auf Lehrstühle i n Europa ihren Ausdruck findet 24, stoßen w i r auf Bemühungen, auch den Wechsel der Studenten über die Grenzen hinweg zu erleichtern. Diese Fragen finden laufend sachkundige Prüfung 2 5 , so daß w i r uns hier ganz kurz fassen dürfen. Es ist für den Außenstehenden leicht, der radikalen Beseitigung bürokratischer Barrieren grundsätzlich das Wort zu reden, schwerer für den Praktiker, die rebus sie stantibus richtigen Entscheidungen zu treffen, eine Erkenntnis, wie sie sich übrigens jeder Oppositionspartei aufdrängt, die nach einem Wahlsieg zur Regierung berufen wird. Vor allem handelt es sich u m die wichtigen „Äquivalenzfragen", d. h. u m das Problem, wie man ausländische Examina und Studienzeiten richtig bewertet und dieser Bewertung dann zur A n erkennung verhilft. Diese Frage hat vor allem folgenden, die internationale Mobilität der Studenten behindernden Doppelaspekt: Einmal sieht sich der Student, dessen Studiengang i n allen Ländern immer stärker reglementiert wird, und dem schon aus finanziellen Gründen i n den meisten Fällen an einem baldigen, erfolgreichen Abschlußexamen i n seinem Heimatland gelegen ist, von einem Auslandsstudium abgehalten, das entweder nicht i n den vorgezeichneten Rahmen seines Studienganges paßt, oder (und) dessen dafür aufgewandte Zeit i h m i n seinem Heimatland nicht oder nicht entsprechend honoriert wird. A u f der anderen Seite können Länder, die ihre Hochschuleinrichtungen aus Steuergeldern finanzieren, und oft i m Verhältnis zum Lehrpersonal und den Hochschuleinrichtungen unter einer Überfülle an Studierenden zu leiden haben, (wie die Bundesrepublik), kein Interesse daran haben, größere Mengen von Ausländern an ihre Hochschulen zu ziehen, zumal wenn diese durch eine mangelhafte Vorbildung auffal24 Während die Berufung von Ausländern auf zahlreiche Lehrstühle der eigenen Hochschulen f ü r die Entwicklungsländer heute eine Notwendigkeit ist, hat i n Europa die Perfektionierung der Beamtenrechte zunächst die Berufung ausländischer Gelehrter an inländische Hochschulen erschwert. Die Entwicklung scheint auf G r u n d der Forschungsnotwendigkeiten wieder gegenläufig, doch müßte dies durch gründliche empirische Untersuchungen jeweils f ü r die einzelnen Länder verifiziert werden. Die U S A haben durch die A u f nahme der akademischen Emigration aus Europa während des nationalsozialistischen Regimes großen Vorteil gezogen u n d sind f ü r ihre Hilfsbereitschaft (man denke an die bedeutende Rolle der „ N e w School for Social Research" i n New York) gewissermaßen belohnt worden. 25 w i r verweisen hier auf die Untersuchungen u n d einschlägigen V e r öffentlichungen der UNESCO, des Europarats, des ständigen Sekretariats der Kultusministerkonferenz der Länder, der Westdeutschen Rektorenkonferenz u n d des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
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len 2 6 . Hier h i l f t es nicht weiter, der Hochschulbürokratie ständig ein zu geringes Interesse und Verständnis für die Belange einer weltweiten Wissenschaft vorzuwerfen, sondern objektive Gremien müssen unter Heranziehung von orientierten Vertretern der Hochschulen Vorschläge und Richtlinien ausarbeiten, die durch zwischenstaatliche, bilaterale oder multilaterale Abkommen realisiert werden können. Gewiß w i r d man überall auch hinsichtlich dieser Fragen auf die Auswirkungen der bekannten soziologischen Tatsache stoßen, daß i n allen i m Gleichgewicht befindlichen sozialen Systemen die eigenen Werte und Leistungen überschätzt, die fremden unterschätzt werden. Manifestationen dieser Tendenz kann man schon innerhalb der einzelnen Nationen hinsichtlich der verschiedenen Hochschulen feststellen, wobei die Unterschiede der Selbst- und Fremdbewertung oft eklatant sind. Aber auf der anderen Seite gilt doch, was der Wissenschaftsrat i n seinen Anregungen zur Gestalt neuer Hochschulen lapidar so zusammenfaßte: „Die Hochschulen sind i n ihren Studienplänen einerseits von den höheren Schulen (Ausbildungsstand der Abiturienten), andererseits von den Wünschen und Vorstellungen der Träger akademischer Berufe (z.B. Prüfungen für den Staatsdienst, Forderung der Promotion für eine Anstellung i n der Wirtschaft) abhängig 27 ." U m Mißverständnissen und Fehleinschätzungen vorzubeugen, würden w i r vorziehen zu sagen: mit abhängig. Dem Spielraum, u m den Wünschen ausländischer Studenten entgegenzukommen, sind jedenfalls schon durch die Sozialstruktur des eigenen Landes Grenzen gesetzt 28 . 2. Sprache und Literatur a) Sprache Nur der Mensch scheint nach dem, was w i r heute wissen, sprechen zu können, und alle Menschen sprechen von einem gewissen Alter an. Nicht28 Das Problem stellt sich i n voller Schärfe f ü r die Studenten aus den E n t wicklungsländern; vgl. hierzu u. a. die bereits zitierte Untersuchung von Prodosh Aich: Farbige unter Weißen, a. a. O., einen sehr verdienstvollen Beitrag, über welchen die Diskussion auf wissenschaftlicher u n d administrativer Ebene noch andauert. W i r nennen auch: M. Brewster Smith, Attitudes and A d j u s t ment i n Cross-Cultural Contact: Recent Studies of Foreign Students, Journal of Social Issues, Vol. X I I , No 1,1956. 27 „Anregungen des Wissenschaftsrates zur Gestalt neuer Hochschulen", 1962, S. 15, Absatz c (zitiert bei H. Schelsky: Einsamkeit u n d Freiheit, a. a. O., S. 308). 28 Es hat sich daher w e i t h i n die Auffassung durchgesetzt, daß z. B. f ü r die Studierenden der Entwicklungsländer eine Ausbildung i m Heimatland grundsätzlich vorzuziehen sei, w o f ü r durch Hilfsmaßnahmen die entsprechenden Hochsdiuleinrichtungen aufzubauen sind. Das Aufweisen der sachlich besten Lösung hat freilich noch niemals genügt, sie auch durchzusetzen, w o Gefühlsstrukturen entgegenwirken.
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sprechen-Können ist ein Zeichen schwerer Krankheit. Tiere scheinen keine eigentliche Sprache zu haben — eine unendlich schwierige und zur Zeit noch nicht völlig gelöste Frage —, sondern nur emotionelle Ausdrucksmittel, höchstens ein bis zwei Dutzend Signale, die etwa Gefahr, Hunger, Brunst oder das Auffinden von Futter anzeigen. Auch Primaten, wie Schimpasen oder Orang-Utans, die ganz i n menschlichen Gemeinschaften aufwachsen, bleiben ohne Sprache 29 . Es ist unwahrscheinlich, daß w i r ohne Sprache denken könnten, jedenfalls prägt die Struktur unserer Sprache das Denken i n entscheidender Weise und das Wachsen der menschlichen Kulturen geht m i t der Entwicklung der Sprachen Hand i n Hand. Ein Jahrhundert lang ist die Sprache daher der Kerngegenstand der Völkerpsychologie gewesen 30 . Jede Sprache ist, was schon Herder und W. v. Humboldt wußten, m i t einer besonderen A r t , die Welt zu betrachten und die Erfahrungen zu interpretieren, verbunden: „Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst" (W. v. Humboldt). Es ist so für eine Konferenz keineswegs unerheblich oder nur ein technisches Problem, i n welcher Sprache verhandelt wird. Die Frage, ob z. B. auf Englisch oder Französisch konferiert wird, beeinflußt nicht nur den Konferenzstil, sondern oft wesentlich den inhaltlichen Verlauf und damit das Ergebnis der Debatte. I n jeder Sprache „ist ein ganzer Komplex unbewußter Voraussetzungen über die Welt und das Leben i n der Welt verborgen" 31 . Diese Erkenntnis involviert nicht die Vorstellung von einem mystischen „Sprachgeist", einem jener Popanze, wie sie uns auch i n der Form des „Rassen-" oder „Massengeistes" begegnen. Jede Sprache bleibt ein „soziales Objektivgebilde" (Vierkandt). Schon ihr jeweiliges Vokabularium zeigt, was für eine K u l t u r wichtig ist. So gibt es i n „primitiven" Sprachen oft unzählige Pflanzen- und Tiernamen, i m Arabischen soll es Tausende von Worten für das Kamel, die einzelnen Teile seines Körpers und seine Ausrüstung geben. Es sind also i n der Sprache ein geistiger Gehalt, ein Fundus an Wissen, eine soziale Erbschaft lebendig. Die Muttersprache ist „der eigentliche Ort, an dem sich die intellektuelle Auseinandersetzung des Menschen m i t seiner Umwelt vollzieht" 3 2 . Sie ist ein 29
Vgl. W. N. u n d L . A. Kellog: The Ape and the Child, N e w Y o r k 1933. W i l h e l m Wundt widmete die ersten beiden Bände seiner achtbändigen, heute freilich k a u m mehr gelesenen „Völkerpsychologie" der Sprache. „Wundts klassische Vorlesung über »Völkerpsychologie' an der Universität Leipzig, die von außerordentlichem Einfluß auf die Befassung m i t völkerpsychologischen Dingen i n der ganzen W e l t geworden ist, widmete i n der Regel der Sprache gut zwei D r i t t e l des Semesters" (W. Hellpach: Einführung i n die V ö l k e r psychologie, 2. Aufl., 1944, S. 45). 31 Clyde Kluckhohn : Spiegel der Menschheit (Mirror for Man), Zürich 1951, S. 176. 32 L. Weisgerber: Sprache, i n : A l f r e d Vierkandt (Hrsg.): Handwörterbuch der Soziologie, a. a. O., S. 600. 30
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Hauptmittel der Enkulturation, d. h. des Sozialisationsprozesses, durch welchen die Abstammungskultur vermittelt wird. Das K i n d lernt durch seine Muttersprache wie seine Umgebung zu denken. Die Relevanz des Gesagten für unser Thema liegt auf der Hand. Wohl ist echte Zweisprachigkeit außerhalb von Grenzgebieten relativ selten und i n ihrem Wert manchmal umstritten, d. h. es gibt Kontroversen über die Frage, ob die dadurch für die Persönlichkeit gewonnenen Vorteile nicht durch entsprechende Nachteile aufgewogen, ja übertroffen werden 38 . Wenn also auch bei der Abwägung die verschiedenen Werthierarchien ins Spiel kommen, so w i r d man doch vom Standpunkt unserer gesamten Tradition und Erfahrung aus und i m Interesse der Völkerverständigung originäre Zweisprachigkeit begrüßen müssen, mag sie auch für die betreffende Persönlichkeit gewisse Risiken enthalten 3 4 . Ja, man w i r d i n diesem Zusammenhang fragen dürfen, ob nicht der Rückgang echter Zweisprachigkeit, ja, Mehrsprachigkeit i n den herrschenden Schichten wesentlich m i t dazu beigetragen hat, die Kriege zwischen Nationalstaaten zu jenem ideologischen Radikalismus zu treiben, der i n Zeitaltern einer kosmopolitischen, eng verwandten und verschwägerten Oberschicht undenkbar gewesen wäre. Von Kaiser Karl V. ist der Ausspruch überliefert: „So viel Sprachen einer spricht, so viel mehr ist er ein Mensch." Wurden also hinsichtlich ursprünglicher Mehrsprachigkeit von Individuen auch schon m a l Bedenken geäußert, so gilt doch zumindest i n der gesamten abendländischen K u l t u r seit langem die Begegnung m i t fremden Sprachen als eine so wichtige Bereicherung — und nicht nur aus utilitaristischen Gründen —, daß sie planmäßig durch die sonst noch so verschiedenen Erziehungssysteme vermittelt w i r d . N u r das Lesen der Originaltexte erschließt fremde K u l t u r e n völlig, während für jede Übersetzung immer ein wenig das alte, italienische Sprichwort „traduttore, tradittore" gilt. Auch bei der wissenschaftlichen Arbeit stößt man immer wieder auf diese Tatsache. Wenn auch über den Zeitpunkt, zu welchem Kinder i n den Schulen i n fremden Sprachen unterwiesen werden sollen, verschiedene Auffassungen bestehen, so gibt es doch auf der ganzen Welt heute kein höheres Schulsystem ohne Fremdsprachenunterricht, ohne Verweise auf fremde Kulturformen.
88 Die wissenschaftliche Diskussion ist durch politische Momente behindert, da sich die kontroversen wissenschaftlichen Thesen leicht einerseits m i t nationalistischen, andererseits m i t kosmopolitischen Tendenzen verbinden. 84 A l l z u pessimistisch scheint uns Leo Weisgerber zu urteilen, daß Z w i e sprachigkeit „ n u r i n Ausnahmefällen ohne Schäden zu verwirklichen" sei (Leo Weisgerber, a. a. O., S. 604). Welches empirische Material mag einem solchen U r t e i l zugrunde liegen?
2. Sprache und Literatur
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Man muß sich allerdings davor hüten, an eine feste positive Korrelation zwischen wachsender Fremdsprachenkenntnis und Sympathie zu der betreffenden Nation zu glauben, da die Dinge komplizierter liegen. Immer muß man die jeweilige Ausgangskonstellation berücksichtigen, stets hat man zu fragen, unter welchen Umständen die Aneignung einer fremden Sprache jeweils erfolgt; ob sich der Lernprozeß etwa auf Grund eigener Strebungen entwickelt 3 5 , unterstützt durch intensive Zielvorstellungen, oder i m Rahmen eines Zwangssystems, etwa oktroyiert i n Kolonialgebieten oder bei Kriegsgefangenen. Man kann auch verschiedene Mischformen finden, bei denen einerseits einem direkten äußeren Zwang gefolgt wird, andererseits aber auch die eigene Intention den Lernprozeß fördert, indem entweder die Beherrschung der Sprache direktes Endziel ist, oder man darin doch ein M i t t e l zum Erreichen eines weiteren Zweckes sieht, etwa zur Erringung eines Diploms, das bestimmte Möglichkeiten eröffnen soll. Man kann unterscheiden zwischen einer Sprache als einem rein technischen Vehikel, was heute bereits vielfach beim Englischen zutrifft, und andererseits ihrer Kulturrepräsentanz i n den Augen der Adepten, was w o h l beim Französischen stärker der Fall ist. Und man w i r d oft dialektische Entwicklungen feststellen, die sowohl i m Lernprozeß selbst ihre Ursache haben können, als auch i n der Konfrontierung m i t der fremden Kulturform, die zunächst anzieht, dann wieder abstößt. Es gibt bekanntlich auch psychologisch das Phänomen der Übersättigung. Jedenfalls kann auch bei völliger Beherrschung der fremden Sprache und bei genauer Kenntnis der betreffenden fremden K u l t u r unter bestimmten und durchaus nicht seltenen Voraussetzungen Aversion größeren oder geringeren Grades bestehen. Denken w i r an die ursprüngliche oder andauernde Zugehörigkeit des Lernenden zu einer wirklich oder vermeintlich diskriminierten Schicht, zu einer fremdsprachigen Subkultur. Denken w i r z. B. an Verhältnisse i n der k. und k. Monarchie, wo Anfang des 19. Jahrhunderts einige magyarische Adelige i m ungarischen Parlament lateinisch sprachen, w e i l sie ungarisch nicht sprechen konnten und deutsch nicht sprechen wollten. Auch kennen w i r genügend Beispiele aus den beiden Weltkriegen, wo auf allen Seiten gerade renommierte Vertreter der i n Frage kommenden Neuphilologie zu besonders krassen Fehlurteilen über die von ihnen intensiv durchforschte K u l t u r des Gegners kamen, Fehlurteilen, die Verurteilungen waren. Aber diese extremen 35 Hier spielt das Prestige einer Sprache eine große Rolle: „Jeder Berliner f ü h l t sich jetzt schon gehoben, w e n n ein w i r k l i c h e r englischer J o c k e y . . . i h n anredet u n d i h m Gelegenheit gibt, the Queen's english zu radebrechen", schreibt Bismarck i n einem Brief an General v. Gerlach i m Jahre 1856 (vgl.: Bismarcks Briefe an den General Leopold v. Gerlach, neu hrsg. von Horst
Kohl Berlin 1896, S. 292).
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Fälle zitieren w i r nur, u m vor einer naiven Fortschrittsgläubigkeit auch auf diesem Gebiet zu warnen. Alles dies zugestanden — immer w i r d doch die Sprachwerbung einen Schwerpunkt, wenn nicht, wie bei den sogenannten Weltsprachen, sogar den Mittelpunkt der Kulturwerbung i m Ausland bilden. „Étendre l'influence de la France à l'étranger par la propagation de la langue française", bezeichnet der kleine „Larousse" (1951) lakonisch als A u f gabe der „Alliance française". Heute ist man meist nicht mehr so offenherzig, mag auch teilweise wirklich anders empfinden. Man w i r d vielleicht sagen können, daß sich in unserer Zeit der äußere Akzent von der Fremdsprache als Kulturausdruck mehr auf die Fremdsprache als technisches Verständigungsmittel verlagert, denken w i r z.B. an die Rolle des Englischen i m Flugwesen oder als Militärjargon der NATO. Freilich sahen w i r früher schon, daß eine Sprache i m Unterschied etwa zur mathematischen Darstellung oder dem Morse-Alphabet immer auch eine schwere und spezifische kulturelle Fracht trägt und daß dieser Charakter auch reaktiviert werden kann. Es ist nicht zu übersehen, daß beispielsweise bei der Entwicklungshilfe als Bildungshilfe Macht- und Prestigestreben der ihren Bildungsapparat anbietenden Nationen gerade i m Sprachlichen deutlich mitspielen. So w i r d örtlich z. B. ein Wettrennen zwischen dem französischen und angelsächsischen Sprach- und K u l tureinfluß i m nachkolonialen Terrain gelaufen, u m wenigstens auf diese Weise k u l t u r e l l präsent zu bleiben, m i t wichtigen Konsequenzen auf den verschiedenen Gebieten. Die Motive mischen sich auch hier, man w i r d manifeste und latente Funktionen auch bei der Bildungshilfe auf Seiten der Gebenden und Nehmenden aufspüren können. Wenn bei der Ausbildung der örtlichen Lehrkräfte und bei der Ausrichtung auf örtliche Bedürfnisse die altehrwürdige kulturelle Erbschaft der gebenden Nationen vom Empfänger zunächst als Nebensache betrachtet wird, da der „Werkzeugcharakter" auch hier i m Vordergrund steht, so braucht das die gebenden Staaten nicht anzufechten: Durch Sprachentscheidungen werden nämlich große politische und wirtschaftliche Weichen für die Zukunft gestellt. Wenn der Jahresbericht des „British Council" 1960/61 i n einem A r t i k e l „The English Language Abroad" bemerkt: „Whoever learns to speak modern English or to read i t has potential ties w i t h Britain" 3 6 , so w i r d man hinzufügen können, daß einige dieser Bindungen nicht nur potentiell, sondern quasi automatisch eintreten, mag es zunächst sogar i n antithetischen Formen geschehen. Deshalb legt man i n Kulturabkommen auch stets größten Wert auf die Förderung der eigenen Sprache i m Fremdsprachenunterricht der Schulen des Partnerstaates 37 . Daß die deutsche Sprache als Weltsprache noch dis36 37
The B r i t i s h Council's A n n u a l Report 1960/61, S. 17. Hierbei werden politische Akzente gesetzt. So ist es bemerkenswert, daß
2. Sprache und Literatur
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k r i m i n i e r t w i r d , i s t eine d e r schwersten H y p o t h e k e n f ü r unsere ausw ä r t i g e K u l t u r a r b e i t . Es e r w e c k t z u d e m n i c h t u n g e f ä h r l i c h e Ressentiments, o b w o h l d i e E n t w i c k l u n g selbst v e r s c h u l d e t w a r 3 7 a .
b)
Literatur
I s t L i t e r a t u r i m w e i t e r e n S i n n die G e s a m t h e i t d e r s c h r i f t l i c h n i e d e r gelegten Ä u ß e r u n g e n menschlichen Geistes, so s o l l es u n s i n diesem Z u s a m m e n h a n g u m d e n engeren B e g r i f f gehen. W i r lassen auch d i e w i s s e n schaftliche F a c h l i t e r a t u r beiseite, o b w o h l sie s o w o h l f ü r d e n K u l t u r austausch g e n e r e l l e i n e n der w i c h t i g s t e n S c h w e r p u n k t e b i l d e t , als auch i m R a h m e n d e r a u s w ä r t i g e n s t a a t l i c h e n K u l t u r a r b e i t z. B . e i n e n g r o ß e n T e i l der B u c h s p e n d e n ausmacht. A b e r sie s t e l l t gegenüber dem, w a s w i r b e r e i t s i m K a p i t e l ü b e r E r z i e h u n g s w e s e n u n d Wissenschaft sagten, k e i n e g r u n d s ä t z l i c h n e u e n F r a g e n , s o n d e r n b i e t e t n u r technische V e r sand- u n d V e r t e i l e r p r o b l e m e . A u c h i h r e A b k ö m m l i n g e p o p u l ä r w i s s e n schaftlicher A r t , „ S a c h b ü c h e r " d e r verschiedensten Gebiete, Fach- u n d L e h r b ü c h e r e r f ü l l e n einfach k o n k r e t e B e d ü r f n i s s e 3 8 , w e r d e n h ä u f i g d i r e k t angefordert, z u m a l d o r t , w o entsprechende P u b l i k a t i o n e n noch n i c h t bei dem i m Januar 1965 i n Paris unterzeichneten K u l t u r a b k o m m e n zwischen Frankreich u n d Rumänien, letzteres der französischen Sprache k ü n f t i g den ersten Rang i m Fremdsprachenunterricht einräumen w i l l . Es entspricht dies zwar älterer rumänischer Neigung, ist aber nichtsdestoweniger f ü r ein Ostblockland auch politisch aufschlußreich, selbst ein romanisches. 37a Die K o m p r o m i t t i e r u n g des Deutschen infolge der unzähligen Verbrechen des Naziregimes hat zwar nachgelassen. Die Entscheidung über die Rolle der deutschen Sprache als internationale Verkehrs- u n d Wissenschaftssprache fällt aber gegenwärtig, u n d zwar wesentlich gerade i n Osteuropa. I h r Rang k o m m t heute noch u. a. darin zum Ausdruck, daß Deutsch zum regulären Lehrplan der höheren Schulen vieler ausländischer Staaten gehört. Die Tatsache aber, daß Deutsch keine der vier offiziellen Sprachen der UNO ist, u n d damit auch keine der Amtssprache der UNESCO, ist ein i n seinen weittragenden Auswirkungen k a u m zu überschätzender Vorentscheid, dem sich zahlreiche internationale O r ganisationen bereits angepaßt haben. W i l l man die deutsche Sprache jedoch seitens der i n Frage kommenden Regierungen als internationale Verkehrs- u n d Kongreßsprache auf höheren, vor allem europäischen Ebenen (z. B. i m Europarat) nicht couragierter vertreten, sollte man den einzelnen Vertretern i n i n t e r nationalen Organisationen keine Vorwürfe machen, w e n n Deutsch dort e l i m i niert bleibt oder w i r d . M a n muß dann ohne Lamento die Konsequenzen sehen: Deutsch würde zur Lokalsprache, w i e schon Italienisch, Schwedisch oder H o l ländisch. Es gäbe dann allerdings auch f ü r ausländische Oberschüler i m m e r weniger Motive, Deutsch zu lernen, u n d alle Geschäftigkeit m i t den deutschen Auslandsschulen könnte an dieser Entwicklung auf längere Sicht nichts ändern. Auch die Hochschätzung etwa f ü r Luther, K a n t , Goethe, M a r x , Freud oder Einstein würde dann deren Muttersprache international nicht retten. 38 „1962 erschienen i n der Bundesrepublik Deutschland u n d West-Berlin r u n d 17 800 B ü c h e r . . . mehr als die Hälfte dieser Buchproduktion gehört zur großen Gruppe der sogenannten Fach-, Sach- u n d wissenschaftlichen L i t e r a tur, die gemeinhin von der Öffentlichkeit n u r am Rande wahrgenommen w i r d " (I. V. Spenker: Das wissenschaftliche Buch u n d seine Kunden, Welt der Literatur, 26.11.1964, S. 638).
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8. Kap. : Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
oder erst i n Ansätzen vorhanden sind. A u f ganz neue Probleme stoßen w i r aber dort, wo es u m die Literatur als Kunstform geht. Dabei muß dann aber „neben der beabsichtigten Geformtheit, w e l c h e . . . ein Charakteristikum jeder Kunst ist, zugleich auch ein Element des Fiktiven vorhanden sein" 39 . Freilich ist die Grenze nach „unten" h i n nicht leicht zu ziehen, d.h. zur Sphäre derjenigen Publikationen hin, welche die künstlerische Geformtheit vermissen lassen. A m krassesten ist dies etwa bei den Trivialromanen 4 0 der Fall, den laufenden Serien „wahrer Geschichten", den „romans du cœur", welche — unter Pseudonymen erscheinend, hinter denen sich jeweils verschiedene Autoren verbergen — stereotypisch immer die gleichen Schemata hundertfach abhandeln. Solche primitiven Gattungen bieten dem internationalen Austausch wenig Probleme, was auch zahlreiche Kriminalromane beweisen. K a r i katurhaft zugespitzt finden w i r ähnliches i n der weltweiten und rapiden Ausbreitung der sogenannten „comics" i n den letzten Jahren, deren Stereotype übrigens ein bedeutendes Potential auch für die politische Propaganda darstellen. Ganz anders liegen die Dinge bei der sogenannten „schönen" Literatur. Hier zeigt sich, daß jede höhere Literaturform nicht nur, wie L i teratur überhaupt, aus durchaus feststellbaren kulturellen Quellen gespeist und i m konkreten gesellschaftlichen Rahmen konzipiert wird, sondern daß sie auch Leserkreise voraussetzt, die i n ihrer A r t , i n ihrem Umfang und i n ihrer Aufnahmefähigkeit weit schwerer abzuschätzen sind als die festen Kundenstämme der Trivialromane. Es gibt doch zu denken, wenn sogar i n einem so „literarischen" Land wie Frankreich die bedeutendsten Verleger m i t einem großen A n f a l l von „échecs", also geschäftlichen Versagern bei schöngeistiger Literatur zu rechnen haben, der bis zu 60 oder 70 % der publizierten Titel betragen kann 4 1 . Schon innerhalb eines Landes formieren sich die sogenannten „Gebildeten" i n verschiedene Lesergruppen, die i n mancherlei Beziehungen zu sozialen Schichten und Gruppen, zu religiösen, „weltanschaulichen", politischen Tendenzen zu setzen sind. Sie bilden also Leserkreise, die i m Grunde nicht nur die jeweiligen künstlerischen Richtungen akklamieren oder ablehnen. Nehmen w i r die berühmten zwanziger Jahre i n Deutschland als Beispiel, so ist sofort einleuchtend, daß es nicht die gleichen Kreise 39 Paul Honigsheim: Soziologie der Kunst, Musik u n d Literatur, i n : G. Eisermann (Hrsg.): Die Lehre v o n der Gesellschaft, a. a. O., S. 362. 40 Vgl. hierzu die Untersuchung von Walter Butz: Der Trivialroman, seine Formen u n d seine Hersteller, Köln/Opladen 1961. Es handelt sich übrigens u m eine recht alte Gattung, mag auch an Stelle des Hirtenmädchens eine moderne „schlichte" u n d verkitschte Mädchenexistenz getreten sein. 41 Robert Escarpit: Sociologie de la literature, Paris 1960, S. 84. U n d er schreibt vorher: „ U n ouvrage de littérature courant n'est guere rentable s'il est tiré à moins de 5 ou 6000 exemplaires, mais i l faut en vendre au moins 2000 pour que l'opération ne soit pas déficitaire" (a. a. O., S. 67).
2. Sprache und Literatur
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waren und sein konnten, welche Thomas oder Heinrich Mann, R. M. Rilke, Gerhart Hauptmann, Börries v. Münchhausen, Ernst Jünger, Ernst Wiechert, René Schickele, Hermann Hesse, Bert Brecht, Jakob Wassermann, Hugo v. Hofmannsthal oder Alfred Döblin lasen, von der besonderen Esoterik etwa eines Robert Musil oder Rudolf Kassner ganz zu schweigen. Eine willkürliche Auswahl (aus welcher übrigens der inzwischen bei uns eingetretene Qualitätsschwund erschütternd klar wird), die aber stellvertretend für Schichten, Kreise und Zirkel steht, für Lesergemeinden, die sich teils überschneiden, teils m i t elitärer Ideologie abkapseln (Stefan George!) und gegenseitig perhorreszieren. „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation", wie es Hugo v. Hofmannsthal einmal i n einer Rede i n München (1927) formulierte, ist also i n viele Unterräume aufgeteilt, deren Türen selbst den Schichten m i t höherer Schulbildung nur zum Teil offenstehen. Denn die jeweiligen Untergruppen errichten durch ihre „contrainte sociale" Schranken auch für den literarischen Geschmack, bei deren Überschreitung gewisse Sanktionen drohen, z.B. Mißbilligung der Gruppengenossen, die den geschmacklichen Renegaten dadurch i n seinem bisherigen Kreise isoliert, ja daraus ausschließen kann. Ist das literarische Publikum also bereits innerhalb einer Nation begrenzt 42 , schwer überschaubar und differenziert, was soll man nun vom Ausland erwarten? Von Lesergruppen ganz anderer Kulturprägung, sofern sie sich überhaupt bilden? Einen gewissen Anhalt geben die Exportziffern. So hat man darauf hingewiesen, daß sich der Export deutschsprachiger Bücher nach den USA von einem Gesamtwert von 10 052 000 D M i m Jahre 1959 auf einen Wert von 18 958 000 D M i m Jahre 1963 erhöht hat 4 3 ; und man schätzt, daß die amerikanischen Importziffern weiter steigen werden. Es wäre interessant zu wissen, wie sich die Ziffern aufgliedern, einen wie hohen Prozentsatz davon die schöne Literatur ausmacht, und ob der A n t e i l gestiegen oder gefallen ist. Da die Emigrantengeneration der dreißiger Jahre langsam ausstirbt, muß sich das Interesse also auf andere Kreise, z. B. solche der Hochschulen, verlagert haben. Hier mag man auch den Begriff der „Weltliteratur" ins Feld führen, der — zumindest was Deutschland angeht — w o h l auf Goethe zurückgeführt werden kann. So sagte dieser am 31. Januar 1827 zu Eckermann: „Ich sehe immer mehr, daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit i s t . . . Nationalliteratur w i l l jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit." Hierbei w i r d freilich nicht ganz deutlich, 42 Befragungen sollen ergeben haben, daß r u n d zwei D r i t t e l der befragten Bundesbürger nicht i n der Lage waren, auch n u r einen lebenden deutschen Dichter oder Schriftsteller zu nennen. 45 Vgl. „Die Welt der L i t e r a t u r " , 1.10.1964.
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8 Kap.: Einige Spezifka ausgewählter Arbeitsdomänen
ob Goethe mehr an einen Begriff des Ranges oder der Wirkung dachte. Uns kann es — zumal w i r für literarische Rangfragen nicht kompetent sind — als Soziologen nur u m faktische Wirkung gehen, wenn auch gewiß nicht nur i m Hinblick auf das Quantitative, sondern auch auf das Qualitative. Dabei haben sich die Fragen darauf zu beziehen, i n welchen Nationen welche ausländische Literatur i n welcher Weise eingeschätzt wird, worauf dann nach sozialen Gruppen zu differenzieren wäre und zu ergründen bliebe, worauf Akklamation oder Ablehnung i m einzelnen beruhen. Leider hat die Literatursoziologie bisher auf diese Fragen noch keine befriedigenden Antworten geben können. Es wären hierzu vor allem die verschiedenen Ansätze der beiden kleinen Literatursoziologien von Levin L. Schücking und Robert Escarpit weiterzuentwickeln 44 . Bisher kann man lediglich feststellen, daß auch bei der Wirkung über jeweilige Landes- und Kulturgrenzen hinaus bestimmte Kreise i m Ausland entscheidend sind, Ausstrahlungszentren m i t literarischem und sonstigem Einfluß; Publikumskerne also, welche Levin Schücking „Geschmacksträger" nennt, die auch fremde Autoren propagieren und — falls die Ausstrahlungskraft wirksam genug ist und der betreffende Autor den geschmacklichen Erwartungen größerer Kreise entspricht — ihre Werke zu „Bestsellern" werden lassen können. Dieser Prozeß ließe sich durch die Literaturgeschichte verfolgen, wobei bei dem Publikumserfolg auch das Interesse für das Heimatland des Autors, diesbezügliche Sympathien oder Antipathien m i t ins Spiel kommen. Z u den genannten literarisch tonangebenden Kreisen Kontakt zu halten, ihnen zeitgenössische, aber auch i m Gastland unbekannte ältere Literatur des eigenen Landes nahezubringen, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Kulturattaches bei den diplomatischen Missionen. Dieser Aufgabe dienen u. a. auch die Buchausstellungen, obwohl sie ebenso wie die auf die Dauer noch wichtigeren Bibliotheken oder Leseräume der K u l t u r institute potentiell m i t einem größeren Besucherkreis rechnen. Aber die A r t des Gebotenen, vielfach auch der Lokalitäten, i n denen aufgestellt oder ausgestellt wird, präjudizieren doch bestimmte Adressatenkreise. Gehen diese bei den Bibliotheken und Buchausstellungen mehr i n die Breite, so muß auf der anderen Seite das besondere Augenmerk auf vier soziologische Schlüsselfiguren für diesen Abschnitt gerichtet werden, wie w i r sie i m Verleger, Verlagslektor, Literaturkritiker 4 5 und Buchhändler 4 6 vor uns sehen, Gestalten, bei welchen ideelle und materielle Verm i t t l u n g jeweils verschieden vertreten und kombiniert sind. 44 L e v i n L . Schücking: Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, 1923, 3. Aufl. Bern u n d München 1961. Robert Escarpit: Sociologie de la L i terature, a. a. O. 45 Vgl. Georg Lukâcs : Schriftsteller u n d K r i t i k e r , i n : Schriften zur L i t e r a tursoziologie, Neuwied 1961. 46 W i r nennen hierzu Horst Kliemann: A u f dem Acker des Buches, Bei-
2. Sprache und Literatur
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Es versteht sich von selbst, daß die großen Sprachblöcke 47 hinsichtlich der Ausstrahlungskraft ihrer Literatur auf mancherlei Weise i m Vorteil sind. Zunächst ermöglicht ein großer „Konsumentenkreis" rein technisch bereits billigere Auflagen der betreffenden Werke, die dann i m Ausland von denen, welche die betreffende Sprache beherrschen, ebenfalls erstanden werden können (man denke auch an die zeitgenössischen Pocket-books und Paperback-Serien, die zudem Eingang auch i n denjenigen Teil des Buchhandels finden, der nebenher von Zeitungsständen, Drugstores usw. betrieben wird). Von diesem technischen Vorteil aber abgesehen, fördert bereits die Ausstrahlungskraft großer Sprachblöcke und das m i t ihnen verbundene verschiedenartige Machtpotential die Pflege der betreffenden Sprachen i m Ausland, ja macht sie oft zu einer Sprache der Oberschichten; dadurch werden sie manchesmal zu einer zweiten, schließlich einzigen Landessprache i n (oft abhängigen und benachbarten) Gebieten ursprünglich anderer Zunge 48 . Es genügt hierzu, an die geschichtlichen Beispiele des Griechischen, Lateinischen, Französischen, Deutschen zu denken, oder an das Englische der Gegenwart, dessen rapide Ausbreitung immer stärker zu konstatieren ist, z. B. jüngst i m deutschen Annoncenwesen und an der Einführung des Englischen als Pflichtsprache für unsere Volksschüler. I m kleineren regionalen Rahmen sei an das Schwedische i n Finnland erinnert. Faktisch träge zu Problemen des Buches u n d des Buchhandels, hrsg. von Theo Werner
Dengler, Freiburg 1963.
47 Robert Escarpit gibt (1. c., S. 72) folgende Ziffern für die des Lesens k u n dige Bevölkerung u m 1950: Der angelsächsische Bereich umfaßt 208 M i l l . Menschen Der russische Bereich umfaßt 136 M i l l . Menschen Der chinesische Bereich umfaßt 132 M i l l . Menschen Der japanische Bereich umfaßt 77 M i l l . Menschen Der deutsche Bereich umfaßt 74 M i l l . Menschen Der spanische Bereich umfaßt 62 M i l l . Menschen Der französische Bereich umfaßt 52 M i l l . Menschen (Die deutsche Ziffer liegt wesentlich höher. V o r den politisch bedingten V e r zerrungen nach oben u n d unten gab 1929 der „Große Brockhaus" die Gesamtzahl der Deutschsprachigen m i t 113 M i l l i o n e n an, wobei die Zahl der A n a l p h beten nicht sehr ins Gewicht fallen dürfte. Die Bevölkerung der ehemaligen deutschen Reichsgebiete allein umfaßte 1955 über 72 Millionen, wozu noch fast 7 M i l l i o n e n Österreicher und über 3 M i l l i o n e n Deutschschweizer zu rechnen wären, ebenfalls k a u m Analphabeten. Z u dieser Z a h l von 82 Millionen kämen dann noch deutschsprachige Minderheiten außerhalb der genannten Länder, über welche das von den Vereinten Nationen herausgegebene Demographische Jahrbuch i n seinen Tabellen „Population by language" für die einzelnen L ä n der Auskunft gibt; vgl. Demographic Yearbook 1963, New Y o r k 1964, S. 321—329). 48 „Die Tschechen waren, als V o l k von eigener Sprache u n d K u l t u r u m 1800 fast ausgelöscht, i m deutschen K u l t u r k r e i s aufgegangen. N u r noch die L a n d bevölkerung und die Unterschicht der Städte i m inneren Böhmen und Mähren sprachen tschechisch. Die Oberschicht w a r bis tief i n das Kleinbürgertum h i n ein eingedeutscht" (Eugen Lemberg : Geschichte des Nationalismus i n Europa, a. a. O., S. 173).
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Emge
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8. Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
orientiert man sich eben gern an den gegebenen Machtverhältnissen, mag der einzelne auch an rationelle Gründe anderer A r t glauben. Was die Ubersetzungen angeht 49 , so können sie gewiß ein Indiz für das Interesse abgeben, das i n einem Sprachbereich an der Literatur anderer Zungen besteht. Aus geringen Ziffern oder aus ihrem Fehlen w i r d man jedoch nicht immer unbedingt das Gegenteil herauslesen können, da die Verhältnisse so liegen können, daß die betroffenen Interessentenkreise (z.B. Oberschichten) der Fremdsprache gut mächtig sind. Bis i n unser Jahrhundert hinein hielten sich die international ja vielfach verwandten und verschwägerten Eliten auf ihre Polyglotterie etwas zugute. Kaiser Franz Joseph sprach, wo i h m dies angebracht schien, jede der Sprachen der alten Habsburger Monarchie. Das Fehlen von Sprachkenntnissen i n politischen Führungsschichten (z. B. nach revolutionären Umwälzungen) muß andererseits das internationale Mißtrauen stimulieren. 3. Bildende Künste Unter diesem Fachausdruck, den die Ästhetik des 19. Jahrhunderts populär gemacht hat, verstehen w i r außer der zuweilen gesondert aufgeführten Architektur vor allem Bildhauerkunst, Malerei, die graphischen Künste und das Kunstgewerbe. Die Bezeichnung geht auf den Gedanken zurück, daß i m Unterschied zu den sog. „redenden" (Literatur) und musikalischen Künsten das Kunstwerk hier i n sichtbarer Form gebildet und durch das Auge vom Menschen direkt aufgenommen wird. Von den Höhlenmalereien des jüngeren Paläolithikums, den urtümlichen Darstellungen von Jagdszenen, bis zu den Werken der abstrakten Malerei, des Surrealismus, ja selbst den Abbildungen i n illustrierten Zeitschriften und i n den „comics" zieht sich eine Entwicklungslinie, welche magische Komponenten aufweist, mögen diese sofort ins Auge fallen oder sich nur der sorgfältigen Analyse offenbaren. Hieraus, wie auch aus der Unmittelbarkeit des Eindrucks 50 , der oft Impulse zu einem Tätigwerden des Betrachters enthält, ergibt sich nicht zuletzt die vielseitige Bedeutung des Gebiets. Meinten noch u m 1900 einige sich auf großer Zivilisationshöhe wähnende Kreise das Gebiet als Randzone, als l'art pour l'art, betrachten zu können, so ergaben sich inzwischen i n Reklame, F i l m und Fernsehen derartig neue, ungeahnte Möglichkeiten, daß man eines Besseren belehrt wurde. 49 Die UNESCO veröffentlicht seit 1950 laufend einen „ I n d e x Translationum". 50 Vgl. hierzu die Ausführungen v o n M a r t a Mierendorff u n d Heinrich Tost: Grundlegung einer Kunstsoziologie, Kölner Zeitschrift f. Soziologie, 1953/54, S. 1—15, insbesondere das auf S. 7 über den „Kunstschock" Gesagte.
3. Bildende Künste
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Nach offenbar rein magischen Frühstufen können w i r feststellen: „ I n den institutionalisierten Schriftkulturen w i r d Malerei Mittel zur Glorifikation 5 1 ." Man glorifiziert dabei sowohl jenseitige, wie weltliche Mächte, denken w i r an die Ausstattung von Kirchen oder Schlössern. Man symbolisiert die Schönheit, die Tapferkeit oder Treue. M i t der Wendung zum Individuellen verherrlicht man Einzelpersönlichkeiten. I n den Diktaturen unseres Jahrhunderts glorifiziert man den Staat, die Revolution, die Partei, den Arbeiter, Soldaten oder Bauern, i n B i l d und Plastik oder i n repräsentativer, oft monumentaler Architektur. Attribute und Symbole finden i m Dienst der Glorifizierung reichlich Anwendung, von den Attributen der Heiligen über die Wappen von Standespersonen bis zu Hammer und Sichel. Für unser engeres Thema bieten sich also mannigfache Möglichkeiten zu direkter oder indirekter Glorifikation, Repräsentation, bescheidener ausgedrückt nationaler „Selbstdarstellung" oder Werbung durch einzelne Werke der bildenden Kunst 5 2 . Insbesondere seit der Romantik hat man i n der Kunst eines der wichtigsten Ausdrucksfelder für den „Volksgeist" gesehen, Auffassungen, welche sich jedoch seit dem Aufkommen abstrakter Richtungen, etwa „geometrisch" anmutender Darstellungen i n der modernen Kunst, eindeutig urbi et orbi frustriert sehen. Überall w i r d man die Tendenz zu einem Schwinden des in vielen älteren Kunstwerken und in einigen Regionen auch heute noch feststellbaren nationalen Kolorits konstatieren können, weshalb das nationale Pathos gegenüber der nichtgegenständlichen Kunst, die das Nationale zudem ja auch i m dargestellten Objekt nicht bringen kann, überwiegend feindlich Stellung bezieht. Eine nicht ganz leicht zu deutende Ausnahme stellt die Förderung oder doch Toleranz dar, welche der italienische Faschismus kubistischen und futuristischen Schöpfungen angedeihen ließ, wobei das „Zukunftsträchtige" eine Rolle gespielt haben mag. Jedenfalls scheint sicher: Auch die Einspannung der bildenden Künste für nationale Zwecke i m internationalen Feld ist eine Zeiterscheinung. Sie widerspricht i m Grunde dem internationalen Charakter, welchen die Kunst nicht aufgeben kann, w i l l sie nicht steril werden. Ebenso wie Wissenschaft und Technik ist die Kunst, trotz der Tatsache, daß sich bedeutende nationale Schulen herausbildeten, nicht durch Staatsgrenzen einzuzäumen. Ein kurzer Rückblick auf die Kunstgeschichte muß sofort zeigen, daß — sehen w i r von einfacher Volkskunst i m Rahmen der Folklore ab — seit eh und je Zentren hochqualifizierter künstlerischer 51 Paul Honigsheim : Soziologie der Kunst, M u s i k u n d Literatur, i n : G o t t fried Eisermann (Hrsg): Die Lehre v o n der Gesellschaft, a. a. O., S. 360. 52 Die noch nicht einmal immer i m betreifenden Lande geschaffen sein müssen, denken w i r an die Ausstellung der Mona Lisa i n Washington zum Ruhme des „Louvre" u n d damit Frankreichs.
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Leistung bestanden, zu welchen Mitarbeiter und Schüler aus aller Herren Länder zusammenkamen oder gerufen wurden. Wer fragt bei dem zunächst i n Weimar dann i n Dessau etablierten „Bauhaus" danach, ob Kandinsky aus Rußland, Klee aus der Schweiz, Feininger aus den USA und Moholy Nagy aus Ungarn kamen, um dieses uns naheliegende Beispiel zu erwähnen? Eine Bundesrepublik, welche mit Bauhausausstellungen ihr Prestige zu erhöhen trachtet, kann ihr Bestreben daher nicht auf die „deutschen" Maler beziehen, sondern höchstens auf den trotz aller Schwierigkeiten kulturell so fruchtbaren genius loci der damaligen Republik. Die Gewichte verlagern sich, international gesehen, auf den verschiedenen Gebieten einmal hierhin und einmal dorthin, nach Nord, Süd, Ost oder West, i n romanische, angelsächsische, slawische oder germanische Länder. Wichtiger erscheint dem rückschauenden Betrachter aber die gesamte Stilepoche, innerhalb derer er meist nur regional herrschende Stilausprägungen erkennt, Variationen des großen Grundthemas. Der Europarat veranstaltet seit Jahren Ausstellungen, i n welchen die europäischen Stilepochen als Gesamtheit über die binneneuropäischen Landesgrenzen hinweg deutlich gemacht werden. Sehr zu Recht. Wer w i l l beispielsweise feststellen, zu welchem nationalen Ruhm die künstlerischen Leistungen i n den alten Habsburger Ländern heute beitragen sollen? So haben w i r die Renaissance, das Rokoko, die Romantik als europäische Phänomene, finden w i r Barock sogar i n Südamerika oder den Klassizismus iin den Vereinigten Staaten. Das jeweils neue Stilempfinden setzt sich i n weiten Regionen durch, mögen die k u l turgeschichtlichen geistigen Ausgangspunkte auch wie beim Rokoko jenseits des Rheins, wie bei der Romantik jenseits des Kanals liegen, die Impressionisten i n Paris, die Expressionisten zunächst i n München oder Dresden Aufsehen erregt haben. Die Ausdrucksformen der bildenden Kunst sind internationaler als diejenigen der an die Sprache, an ganz spezifische Wortbedeutungen gebundenen Literatur, sie ist darin der Musik ähnlicher. Für die Architektur gilt das Nämliche. Man holte sich schon früh seine Baumeister, woher man wollte. Mag der Geist Friedrichs d. Großen i n „Sanssouci" herrschen, das Schlößchen an sich könnte i n vielen Ländern Europas stehen. Wer kann heute i m Hansaviertel Berlins die Bauten der Architekten verschiedener Nationalität diesbezüglich auseinanderhalten? Dagegen lassen sich Einflüsse von Walter Gropius oder Edouard Le Corbusier feststellen. Was ergibt sich nun für die auswärtige K u l t u r p o l i t i k der Gegenwart aus dem Gesagten? Die Zeit nationaler Repräsentation scheint gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst eindeutig vorbei. Man möchte daher sagen: Qualität allein w i r d werbende Kraft entfalten. Dazu braucht sie freilich stets Rahmenbedingungen. Kulturelle Außenpolitik sollte ihr daher Wege bahnen: indem sie das Kunststudium i m Ausland er-
3. Bildende Künste
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leichtert (denken w i r an die V i l l a Massimo i n Rom 53 ), Stipendien an Künstler vergibt, dem Kunsthandel keine bürokratischen Schwierigkeiten macht, dem, was sie für gut hält, auf vielerlei Weisen den Weg bahnt und ihm mit den Mitteln der Publizistik Resonanz verschafft. Konsensus über Qualität herzustellen, ist freilich i n einer Zeit schwierig, deren Eliten kein einheitliches Stilgefühl mehr besitzen. Dabei kann es sich gewiß nicht darum handeln, daß der Geschmack von Mindsterialbürokratien dominiert, wie etwa bei der Ausstattung auswärtiger Botschaftsgebäude. I n unserem Zusammenhang ist nun auf die i m Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik als „Schaufenster" wichtigen Kunstausstellungen einzugehen, welche für die sie tragenden kulturellen Konzeptionen und deren Niveau bezeichnend sind, sie geradezu meßbar machen. Handelt es sich nicht um Kunstwerke, die für große nationale Epochen als besonders repräsentativ angesehen werden oder historische Ereignisse und Gestalten direkt abbilden, so soll dem Prestige der betreffenden Nation auf indirektem Wege, eben durch die künstlerische Ausstrahlungskraft gedient werden. Diese zu konstatieren, vermag die Soziologie nur insoweit (man könnte sagen platt positivistisch), als die W i r kung sich i m Betrachter merkbar widerspiegelt. Ebenso wie für die große künstlerische Leistung gibt es auch für ihre Wirkung günstige und ungünstige, ja sie ganz ausschließende Bedingungsrahmen. Z w i schen den Sozialstrukturen einer Gesellschaft und den i n ihr wirkenden Künstlern bestehen enge Interdependenzbeziehungen 54 , wenn auch keine quasi automatischen Abhängigkeiten. International gilt Entsprechendes. Die Machtstellung eines Landes oder das Interesse, welches man ihm politisch entgegenbringt, werden günstige Rahmenbedingun53 Die deutsche Akademie i n der V i l l a Massimo i n Rom entstand aus einer Schenkung des Industriekaufmanns u n d Mäzens Eduard Arnhold. Vorübergehend v o n den A l l i i e r t e n beschlagnahmt, dient sie heute wieder ihrem u r sprünglichen Zweck, K ü n s t l e r n einen Aufenthalt i n Rom zu ermöglichen. Z u den Stipendiaten u n d Ehrengästen gehörten u.a.: A. v. Hildebrand , Hans
Pölzig, Gerhard Mareks, Schmidt-Rottluff.
54 W i r nennen an einschlägiger kunstsoziologischer L i t e r a t u r aus der v o n Alphons Silbermann herausgegebenen Reihe „ K u n s t u n d K o m m u n i k a t i o n " das Buch von Bruce A. Watson: Kunst, Künstler u n d soziale Kontrolle, K ö l n / Upiaden 1961, w o r i n die Prozesse der sozialen Kontrolle u n d der Demokratisierung an der ästhetischen Elite aufgezeigt werden, genauer gesagt beim Maler. Ferner die bekannte zweibändige „Sozialgeschichte der K u n s t u n d L i t e r a t u r " von A r n o l d Hauser, München 1953, zwei Beiträge i n G. Eisermann (Hrsg.): „Wirtschaft u n d Kultursystem", Erlenbach-Zürich und S t u t t gart 1955, nämlich A l f r e d Weber: Über die moderne K u n s t u n d i h r Publikum, u n d Peter Meyer: Die K u n s t u n d i h r P u b l i k u m ; sowie die bereits früher v o n uns zitierte: „Soziologie der Kunst, Musik u n d L i t e r a t u r " von Paul Honigsheim i n G. Eisermanns „Lehre von der Gesellschaft", a. a. O. Schließlich sei noch auf die dem Thema gewidmeten Verhandlungen des V I I . Deutschen Soziologentages 1930 i n Berlin verwiesen (u.a. Vorträge von Erich Rothacker
und Kurt Breysig).
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8 Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
gen für eine Anerkennung seiner Leistungen auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst schaffen, aber sie müssen doch eben vorhanden sein. So w i r d die ästhetische Elite zwar ihr Interesse für Rußland beispielsweise auf Ikonen erstrecken, aber sie w i r d nicht die zeitgenössische, den Bolschewismus i n panegyrischer Weise verherrlichende Sowjetmalerei akzeptieren. Lenin i n wehendem Militärmantel erfüllt zwar als Abbildung i n sowjetischen Schulbüchern eine pädagogische Funktion, aber auf dem internationalen Parkett, welches das Kunstpublikum frequentiert, w i r k t er sich für die Sowjetunion nachteilig aus; ist man hier noch durchaus gewillt, einen den St. Bernhard überschreitenden Napoleon von J. L. David zu goutieren, so kommen selbst handwerklich gut gemalte naturalistische Verherrlichungen nationalen Ruhmes einfach mindestens 50 Jahre zu spät. A n dieser Stelle muß aber gleich folgendes angemerkt werden: Die ästhetisch maßgebende Elite, mit weitgehend gleichen internationalen Wertbegriffen (die natürlich wechseln und auch der kommerziellen Manipulierbarkeit unterliegen) ist und bleibt nur eine hauchdünne Schicht. Sie deckt sich — selbst wenn man noch die von ihr ausgehenden Emanationen des „Snob-Appeal" hinzunimmt — nicht mit anderen bestehenden Eliten (z. B. Machteliten) und ihr Geschmack ist schon gar nicht derjenige der Gesamtbevölkerung. W i r sehen dies i m eigenen Volk. Es genügt, daran zu erinnern, daß beispielsweise die moderne Plastik fast ausschließlich von Staatsaufträgen lebt, daß sie — selbst wo es sich u m kleinere Kunstwerke handelt — keinen Eingang i n die Wohnungen selbst des oberen Mittelstandes findet. Der Radius der nichtgegenständlichen Kunst ist bekanntlich begrenzt. Sie bedarf häufig — obwohl der Kreis der Kenner und Liebhaber schnell gewachsen ist — der Interpretation, worauf u. a. Arnold Gehlen deutlich hingewiesen hat 5 5 ; dieses Bedürfnis nach Interpretation sucht eine hohe Anzahl von kommentierender Literatur zu erfüllen. „Sie gehört zum Wesen der Sache selbst, sie ist substanzieller Bestandteil dieser Kunst, man muß sie, anders gesagt, objektivieren und in das B i l d mit hineinsehen . . . der Kommentar gehört zum Bildinhalt, zur Substanz der neuen Kunst 5 6 ." A n dieser Aussage ist wohl viel Richtiges, und es ergibt sich bereits daraus, daß die nichtgegenständliche bildende Kunst auf ein ungeschultes, zuweilen ließe sich direkt formulieren, „nichteingeweihtes" Publikum zwar ästhetisch oder auf die Emotionen wirken kann, ebenso wie organische oder anorganische Natur (z. B. Kristalle; die Hinwendung zum Anorganischen i n der modernen Kunst ist ja eines der Zentralthemen i n Hans 55 A r n o l d Gehlen: Soziologischer Kommentar zur modernen Malerei, „ M e r k u r " , 1958/4, S. 301—315. Jüngst wieder i n : Zeitbilder zur Soziologie u n d Ästhetik der modernen Malerei, 2. Aufl. Frankfurt/M. — Bonn 1965, besonders i m I X . Teil: Kommentarbedürftigkeit, S. 162—169. 56 ibidem, S. 304.
3. Bildende Künste
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Sedlmayrs „Verlust der Mitte"). Doch bedarf die nichtgegenständliche Kunst, um ihre Aussagefunktion voll erfüllen zu können, der Mittler, zu denen der dozierende oder schreibende Künstler auch bereits selber gehören kann. Fehlen diese Mittler oder fehlen die geistigen Voraussetzungen zur Aufnahme beim Publikum, so ist ein Verständnis schwer möglich, ja es kann Aversion eintreten, sofern bestehende Schranken der Konvention beim Publikum allzu krass durchbrochen werden. Aus dem Gesagten erhellt, daß Kunst-Ausstellungen als M i t t e l auswärtiger Kulturpolitik nicht nach ihrem künstlerischen Rang allein, sondern nach ihrem Wert i m Hinblick auf bestimmte Adressatenschichten i n diesem oder jenem Ausland auszurichten und zu beurteilen sind, einem Wert, welcher ja höchst variieren kann. Ausstellungen genialer Bauhausmaler gehören also nicht i n kleine amerikanische Prairiestädte oder i n den afrikanischen Busch, so sehr sich einige vereinzelt dort lebende Kunstfreunde von Geschmack und K u l t u r auch darüber beglückt fühlen mögen. Es ist damit zu rechnen, daß künstlerisch gesehen wertlose Ausstellungen wie z. B. solche sowjetischer Gemälde, welche wackere Traktorenfahrer und Parteigenossen i m Einsatz darstellen oder Szenen aus der Oktoberrevolution verherrlichen, i n einfachen Bevölkerungskreisen besser „ankommen". Es gibt keine zwingende positive Korrelation zwischen künstlerischem Wert und Erfolg an sich. Selbst Besucherzahlen sind noch lange kein K r i t e r i u m für letzteren. Stets ist das potentiell wirklich ansprechbare, d. h. für die in Frage kommenden künstlerisch gestalteten Kultursymbole zugängliche Kunstpublikum abzuschätzen. Dies muß zunächst am Ort, m i t Hilfe der Auslandsvertretungen und örtlichen Kunstfachleute, z.B. der Museumsdirektoren geschehen, wobei freilich diese beiden Gruppen ausgesprochen dazu neigen, i m eigenen Interesse den Erfolg zu überschätzen oder gar bewußt zu übertreiben. Generell w i r d man von der Faustregel ausgehen dürfen, daß das Publikum Werke der ihm zumindest dem Namen nach bereits bekannten Künstler zu sehen wünscht oder doch solche mit „ A n mutungsqualitäten", die bereits Vertrautem entsprechen, um diesen Begriff der experimentellen Sinnespsychologie zu verwenden. W i r stoßen damit auf einen Spezialfall dessen, was w i r bereits oben über Propaganda sagten, daß sie nämlich am sichersten dort Erfolg hat, wo sie vorhandene Ansätze weiterentwickelt. Die technische Durchführung der Ausstellungen liegt heute fast überall i n der Hand von Experten, und zwar sowohl i m Inland bei der Zusammenstellung (die natürlich mannigfachen Gruppeneinflüssen unterliegt), als auch i m Ausland bei der Durchführung der Tourneen. Diese fachmännische Leitung ist eine zwingende Voraussetzung dafür, daß die Besitzer der Kunstwerke (überwiegend heute die Museen und Galerien) diese überhaupt zur Verfügung stellen. Auch so ist das Risiko noch hoch
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8. Kap. : Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
genug. Soweit zeitgenössische Kunst involviert ist, erfüllen Ausstellungen auch Angebotsfunktionen i m Sinne eines Marktes, und auch Ausstellungen älterer Kunst haben ihre kommerziellen Auswirkungen. Daher werden kleinere Ausstellungen gerne von Kunsthändlern übernommen oder doch entriert (in New York gibt es z. B. etwa 500 private Galerien), wie ja überhaupt der Kunsthandel mit seinem großen finanziellen und publizistischen Machtapparat bei der auswärtigen Kulturpolit i k auf diesem Felde ein gewichtiges, wenn auch oft nach außen verschwiegendes Wort mitredet. Er dürfte faktisch mehr Einfluß auf die Qualitäts- und Preismaßstäbe jedenfalls der zeitgenössischen Kunst haben, als Kunstwissenschaft und Kunstkritik, wobei letztere dem kommerziellen Einfluß weitgehend ausgeliefert ist. Der Einfluß der Regierungen auf die Kunstkritik ist demgegenüber — von totalitären Regimen abgesehen — äußerst schwach, wenn man bei Tourneen die ausländische K r i t i k auch auf mancherlei Weise freundlich zu stimmen versucht. Aber K r i t i k e r von Rang sind empfindlich, und folgen durchaus nicht immer dem Bekenntnis, das der die Tournee veranstaltende Staat auf diese Weise zu den gezeigten Künstlern ablegt, zu dem Gewicht des Gezeigten, zu seiner künstlerischen Relevanz. Es gilt daher, sorgfältig zu planen und abzuwägen, da eine qualitativ ungenügende oder auch nur als solche angesehene Ausstellung das künstlerische Prestige eines Landes am jeweiligen Auslandsort empfindlich beeinträchtigen kann, und eine solche Scharte schon aus technischen Gründen schwer auszumerzen sein kann. Noch ein weiteres Wort soll gesagt sein über das Ausstellen von Kunstwerken überhaupt und über Ausstellungsreisen von Kunstwerken i m besonderen. Es ist bereits eine alte Kontroverse, ob man Kunstwerke am Ort, wo sie gewachsen sind oder für den sie zumindest geschaffen wurden, belassen sollte, oder ob es vorzuziehen sei, geeignete Bestände i n großen Pinakotheken und Glyptotheken zu sammeln. Gesichtspunkte der Sicherheit, aber vor allem auch Machtkonstellationen (die Kollektionen der Fürsten!) haben die Frage zugunsten der Sammlungen entschieden, die sich freilich i m Laufe der Zeit wiederum aus „Häusern der Zusammenhanglosigkeit" (Paul Valéry) zu einer gewissermaßen „organischen" Einheit entwickeln können. Unserer Zeit blieb es aber vorbehalten, die großen Reiseausstellungen von Kunstwerken zu organisieren 57 . M i t der Reise der i n drei Kisten verpackten Pietà von Michelangelo aus dem Petersdom zu Rom zur Weltausstellung nach 87 Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die kriegerischen Ereignisse, die schon 1939 die aus dem Prado evakuierten Bilder zu einer Ausstellung nach Genf führten, deutsche Bildwerke aus Münchener u n d Wiesbadener Depots zu Rundreisen nach den U S A oder die Dresdner Gemälde nach Moskau oder Leningrad brachten.
4. Musik
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New York 1964, der Mona Lisa aus dem Louvre nach Washington 58 , schließlich der Venus von Milo nach Tokio (wobei sie leicht beschädigt wurde), hat diese Tendenz einen bisher nicht erreichten Gipfel erreicht, der freilich neben Beifall auch lebhafte K r i t i k hervorgerufen hat. Unter dem Mantel demokratischer Menschenfreundlichkeit, die möglichst viele an großen Schöpfungen Anteil nehmen lassen w i l l , sieht hier doch auch Prestigestreben hervor, welches nicht davor haltmacht, die größten Kunstschöpfungen der Menschheit i n den Dienst vordergründiger Propaganda zu stellen 59 . Es ist hier mit Hecht die „Sinnentstellung" angeprangert worden, die darin liegt, daß Meditationsobjekte und Zentren der Gläubigkeit gewissermaßen zu „Schaubudenartikeln" werden, um dem Prestigebedürfnis des Besitzers Genüge zu tun. Hier werden ohne Zweifel gewisse Tabus durchbrochen, um einen vorübergehenden zweckrationalen Nutzeffekt zu erreichen 60 . Anders liegen die Dinge von der Sache her da, wo ein künstlerischer Gesamtzusammenhang deutlich gemacht werden soll, etwa indem man das weitverstreute Werk eines Künstlers einmal konzentriert oder, wie bei den großen Ausstellungen des Europarates, eine Epoche i n ihren verschiedenen Bezügen herausarbeitet und zur Geltung bringt. 4. Musik Das über den internationalen Charakter der bildenden Künste Gesagte läßt sich i n noch ausgeprägterem Maße auf das musikalische Gebiet übertragen 61 , weshalb w i r uns hier kürzer fassen können. Auch hier 58 Malraux bezeichnete dabei die Ausleihe der „Gioconda" als den Dank Frankreichs für die amerikanische Hilfe i m zweiten Weltkrieg. 59 Eine tiefere Werbeabsicht liegt selbstverständlich vielen K u n s t w e r k e n a limine zugrunde. 60 Der F a l l der Pietä w i r k t zwar besonders kraß, doch ist er lediglich symptomatisch f ü r die sich vollziehenden Änderungen i n den Bereichen der Gefühlsstrukturen u n d Auffassungen. So w i r d m a n als nicht zufällig die K o i n zidenz registrieren dürfen, daß sich etwa gleichzeitig nicht n u r das englische Königshaus unentwegt auf Reisen befindet, sondern daß auch der Heilige Vater den V a t i k a n verläßt, u m sich zu Besuchen ins Ausland zu begeben. Derartige Neuerungen werden stets v o n fortschrittlicher Seite uneingeschränkt begrüßt, doch sind sie soziologisch ambivalent. Die Potentaten der Welt empfangen seit eh u n d je lieber, als daß sie selbst Besuche machen. Eine allzu große Gewandtheit läßt auch an Paretos Lehren denken: Nach i h m ist ein Schwinden der Residuen der „Persistenz der Aggregate", grosso modo also eines unreflektierten u n d selbstverständlichen Konservatismus, der keine Einbrüche und faulen Kompromisse duldet, zugunsten eines „Instinktes der Kombinationen" bei den Herrschaftsschichten ein Anzeichen schwindender Führungsqualitäten. I n unserem Zusammenhang: Ist es ein Zufall, daß Wilhelm II., i m V o l k witzelnd „der Reisekaiser" genannt (im Unterschied zu seinen Vorgängern, dem „greisen" u n d dem „weisen" Kaiser), auch der letzte deutsche Kaiser war? Ähnliche Thesen v e r t r i t t der amerikanische Historiker u n d Soziologe Crane Brinton (vgl.: Die Revolution u n d ihre Gesetze, Frankf. 1959). 61 Schreckt die Deutschtümelei, genauer der Germanenkult, welcher sich u m Bayreuth zu ranken begann, heute ab, so ironisiert m a n auch Hypostasie-
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erscheint es unsinnig (wenn auch die Praxis der Auslandsarbeit auf entsprechende Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen muß), etwa zwischen den Bundesrepubliken Deutschland und Österreich darüber zu streiten, wer Beethoven repräsentieren dürfe oder zwischen Deutschland und England diesbezüglich über Händel zu räsonnieren. Die nationalen Kategorien wirken auch hier deutlich und zunehmend als spanische Stiefel. Die Beispiele wären leicht zu vermehren, führten uns aber zu keiner weiteren Erkenntnis als derjenigen der auf dem Gebiet der Musik besonders weit fortgeschrittenen Internationalisierung. Dagegen halten w i r folgende Spezifika für beachtenswert. Bei den bildenden Künsten hatten w i r (wenn w i r vom „Kommentator" absehen) lediglich zwischen den KunstProduzenten und den Kunstkonsumenten unterschieden; eine Unterscheidung, die übrigens i n urtümlichen Gesellschaften für einige Kunstformen undurchführbar ist, da eine Nichtbeteiligung an der Kunstausübung aus der Gesellschaft ausschließt und — wo die Aktivitäten ursprünglich m i t Geisterbeschwörung, Magie und K u l t verknüpft sind — auch vom Wohlwollen jenseitiger Kräfte. Bei der Musik begegnen w i r nun (was auch für einige weitere Kunstformen gilt) der Hauptrolle des sog. „reproduzierenden" Künstlers, des Interpreten, und zwar zunehmend als derjenigen eines Spezialisten. W i r haben hier einen Anwendungsfall der Arbeitsteilung vor uns, deren Voranschreiten, wie bekannt, ein hauptsächliches Strukturelement der Gesellschaftsentwicklung ist, und diese, was oft dargelegt worden ist, überhaupt erst ermöglicht. Noch bei einem Musiker wie beispielsweise Louis Spohr durchdringen sich die Funktionen des Violinvirtuosen und des Komponisten, wozu noch diejenige des Hofkapellmeisters kam, derart, daß man nicht recht zu sagen weiß, wo das Schwergewicht liegt. Spätere, noch prominentere Beispiele sind Franz Liszt und (als Dirigent) Richard Strauss. Doch erscheint Virtuosität i n eigentümlicher Weise ambivalent 82 . Sie scheint gelegentlich der Größe musikalischer Schöpfung Abbruch zu tun, eine der bis heute konstatierbaren Wirkungen früherer gesellschaftlicher Deklassierung des Künstlers 63 , der sich dann aus kompensatorischen Gründen um so stärker dem Primadonnenkult hingibt, der um ihn getrieben wird. rungen „slavischer Seele", welche sich i m Hinblick auf die Musik v o n Tschaikowski oder Dvorak finden. Selbstverständlich ist die Verwendung volksmusikalischer Traditionen l e g i t i m w i e noch bei Sibelius, u n d es sind A f f i n i täten der Völker u n d Völkergruppen zu bestimmten Musikformen zu k o n statieren. 62 I n Hermann Bahrs berühmtem „Dialog v o m Marsyas" w i r d diese Problematik sichtbar: „ars m i h i non tanta est, valeas mea tibea". Es ist die A n strengung, die — w i e i n vorindustriellen Gesellschaften die Arbeit meistens — hier deklassierend w i r k t . 63 Memoirenwerke sind neben Ordnungen der verschiedenen Gebietskörperschaften eine Fundgrube für Untersuchungen über die gesellschaftliche Stellung des Künstlers. M a n denke auch an die L i t e r a t u r (Wilhelm Meister!).
4. Musik
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Die Reproduktion t r i t t auf dem Gebiet der Musik auch i n der auswärtigen Kulturpolitik i n den Vordergrund. Während viele ältere deutsche Komponisten Allgemeingut der musikliebenden Welt geworden sind, und man es daher als einen extremen Radius propagandistischer Irradiation zu verstehen hat, wenn Musikwerke deutscher Komponisten in Kriegs- oder ersten Nachkriegszeiten diskriminiert wurden 6 4 , es andererseits aber auch keinen besonderen Prestigezuwachs ergibt, wenn sie in Konzerten oder über den Rundfunk gespielt werden, so liegen die Dinge anders, wenn w i r uns Orchestern oder Virtuosen zuwenden. Wenn das Berliner Philharmonische Orchester unter Wilhelm Furtwängler zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes i m Ausland konzertierte, so war dies nicht nur ein künstlerisches Ereignis ersten Ranges, sondern auch ein ausgesprochenes Politikum. Es darf daher nicht verwundern, wenn ausübende Musiker, die man zu Recht oder Unrecht m i t dem Hitlerregime identifiziert, heute noch immer nicht überall auftreten können, ohne Protestaktionen befürchten zu müssen 65 . Sind diese negativen Reaktionen i n ihrer Zielrichtung nur allzu deutlich auszumachen, so sind i m umgekehrten Falle Feststellungen weit schwieriger, nämlich bei der Beantwortung der Frage, inwieweit i m Applaus Sympathie für das Heimatland des Künstlers mitschwingt. Die Wirkung w i r d aber auf jeden Fall erreicht, wenn der Künstler erst einmal Erfolg hat: Der Trugschluß nämlich, daß eine Nation, welche solche Künstler hervorbringt, auch politisch mindestens nicht ganz so schlimm sein könne, genauer: ihre politische Führung. Bei den Musikdarbietungen i m Ausland stehen nun, grob klassifiziert, für die praktische Arbeit folgende Hauptkategorien i m Vordergrund: 1. Das klassische Repertoire, welches mehr oder weniger auf der ganDiese Seiten einer Musiksoziologie behandelt auch Hans Engel: M u s i k u n d Gesellschaft, B e r l i n u n d Wunsiedel 1960 (vor allem T e i l I I I : Die Stellung des Musikers i n der Gesellschaft). Dagegen ging es Theodor W. Adorno i n seinen Vorlesungen über Musiksoziologie (veröffentlicht als „Einleitung i n die M u siksoziologie", F r a n k f u r t 1962) u m „die gesellschaftliche Dechiffrierung m u sikalischer Phänomene selbst, die Einsicht i n i h r wesentliches Verhältnis zur realen Gesellschaft, i n ihren inneren sozialen Gehalt u n d ihre F u n k t i o n " (vgl. I.e., S. 204). Die musiksoziologischen Arbeiten v o n Alphons Silbermann schließlich (ihre Prinzipien sind besonders deutlich i n dem Buch „Wovon lebt die Musik", Regensburg 1957, dargelegt) bringen die musiksoziologischen Probleme i n den „größeren Zusammenhang zeitgemäßer strukturell-funktionaler Analysen der Gesellschaft." E i n umfangreiches Manuskript v o n Paul Honigsheim über M u s i k u n d Gesellschaft harrt, nicht ganz vollendet, posthumer V e r öffentlichung. Diese Ansätze, die zu würdigen w i r nicht kompetent sind, erscheinen nicht unvereinbar. Sie ermöglichen zusammen eine weitere Erhellung des Gegenstandes. 64 Eine Antithese zur Diffamierung der Kompositionen jüdischer K o m ponisten i m Hitlerregime. 65 M a n muß dies von dem auch weitverbreiteten u n d w o h l recht alten V o r urteil unterscheiden, daß ein sog. unmoralischer Mensch k e i n bedeutender Künstler sein könne. Vgl. Bruce A. Watson, 1. c., S. 11 f.
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8 Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
zen Welt bekannt ist und i n allen Konzertsälen gespielt w i r d und über dessen künstlerischen Wert Konsensus besteht (wenn man auch über Detail- und Interpretationsfragen heftig streitet). 2. Stücke moderner, noch unbekannter Komponisten, die der „guten", oder wie es auch in Statistiken heißt, „ernsten" Musik zugerechnet werden. Es w i r d sich dabei um Werke handeln, welche das Heimatland für förderungswürdig ansieht, wozu w i r an die Auflagen erinnern, welche auch i m Binnenland hinsichtlich der Programmgestaltung gemacht werden. 3. Unterhaltungsmusik i m weitesten Sinne: Das Repertoire von Platz- und Wirtshauskonzerten, ein Teil der Operettenmusik, des Programms der Männerchöre. 4. Volksmusik. M i t diesem aus der Romantik stammenden Begriff w i r d jedoch heute ein historisches Bildungsgut erfaßt, das nur noch unter sorgfältiger Pflege in Schulen und Gesangsvereinen gedeiht, während das „Volk", wenn überhaupt, „Schlager" singt, deren Erfolg die Industrie weitgehend provoziert. 5. Jazz (der leicht in den politischen Sog 68 gerät — i n umgekehrter Richtung wie die Volksmusik — und um die Mitte der 30er Jahre sowohl i n Deutschland wie i n der UdSSR als dekadenter Auswurf kapitalistischer Gesellschaftsformen angeprangert wurde, weshalb er von Oppositionellen i n den betreffenden Ländern gerade darum geliebt wurde). Über die prozentuale Verteilung der genannten Musikarten i m Rahmen der auswärtigen Kulturarbeit gibt es immer wieder heftige Diskussionen. Die eine Seite möchte gewisse Musikgattungen ganz ausschalten, weil es sich nicht eigentlich um „kulturelle Werte" handele, die da vermittelt werden, die andere Seite erhebt Vorwürfe, wenn Kammermusik i m esoterischen Rahmen vor kleinstem Kreise verhallt, z. B. in Botschafterresidenzen. Hierzu darf man folgendes sagen: Zunächst ist es schon überhaupt die Frage, welchen Umfang musikalische Darbietungen i m Rahmen der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k haben 66 Das Thema Musik und Politik ist tiefgründig. E i n m a l haben w i r bekanntlich den emotionellen Aspekt, weshalb zumindest seit der französischen Revolution M u s i k bewußt als M i t t e l zur politischen Lenkung, als Führungsinstrument zur Beeinflussung der Gefühlsstrukturen eingesetzt w i r d . Auch Napoleon meinte, v o n allen Künsten habe die Musik den größten Einfluß auf die menschlichen Leidenschaften u n d sei darum besonders zu fördern. Denken w i r neben den zündenden Revolutionsliedern u n d Nationalhymnen auch an die verschiedenen Durchhaltetendenzen, die i n der Marschmusik zum Ausdruck kommen (hierbei kommen w i r i n die Nachbarschaft zum Thema „ A r b e i t u n d Rhythmus"), so sind w i r i n der Lage, das Wort zu verstehen, welches Thomas Mann i m „Zauberberg" dem Settembrini i n den M u n d legt, daß Musik nämlich schlechthin „gefährlich" u n d „politisch verdächtig" sei. I h r e A m b i v a lenz i m Hinblick auf die A k t i o n (anfeuernd oder hindernd), w a r schon der A n t i k e bekannt. E i n Beispiel aus jüngster Zeit: Bobby D a r i n t r u g 1962 den Song v o m Mackie Messer i n New Y o r k so eindrucksvoll vor, daß nach der Vorstellung einige Jugendliche m i t Messern auf Passanten losgingen, woraufh i n die Funkstationen CBS u n d WCBS New Y o r k die Sendungen sämtlicher Vokalversionen dieses Songs verboten (vgl. H. Chr. Worbs: Der Schlager, Bremen 1963, S. 258).
4. Musik
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sollen. Eine Rangordnung der verschiedenen Arbeitsdomänen, von welchen die Musik nur eine, wenn auch oft bevorzugte darstellt, läßt sich nicht aufstellen. Insgesamt hört man heute — entgegen mancher k u l turpessimistischen Vorstellung — weit mehr Musik als zu früheren Zeiten. Aber es ist zu erkennen, daß der Musik i n einigen Sozialsystemen eine größere Bedeutung zugemessen wird, als i n anderen, was sowohl hinsichtlich der missionierenden Nation, als auch hinsichtlich des Gastlandes gilt. W i r sagten bereits, daß i n Deutschland die Musik vermutlich eine größere „Lebensmacht" darstellt (wir zitierten Hermann Kantoro wicz) als die Dichtung, i n anderen Ländern liegen die Dinge umgekehrt. Einige Länder arbeiten daher bei ihrer Kulturpolitik i m Ausland gern mit Musik, „kommen" damit i n der Regel auch „gut an", aber die Ausstrahlung kann doch eben bestenfalls so weit reichen, wie die Wirkung der Musik i n dem betreffenden Lande generell. Hier liegt eine ständige „Crux" insofern, als diese Reichweite ja eben auch i n den einzelnen Ländern selbst noch fast unerforscht ist. Es gibt bisher zwar viele unverbindliche Äußerungen hierüber, doch allenfalls erste wissenschaftliche Forschungsansätze. Auch schreiten Sozialprozeß und Technisierung voran und mit ihnen ändert sich häufig die Rolle der Musik i n den einzelnen Ländern. So ist beispielsweise i n Deutschland, dem „klassischen" Land der Lieder, die Rolle und Bedeutung des Gesangs innerhalb einer Generation rapide zurückgegangen: Weder singt man noch viel, noch gilt es international als unerläßlich, zum Gesangsstudium nach Deutschland zu kommen. Es erhebt sich dann aber, konkreter auf ein Gastland bezogen, auch hier die weitere Frage, welche sozialen Gruppen man ansprechen will. Solange sich auswärtige Kulturpolitik nicht als Hauptziel gesetzt hat, die sog. „höhere K u l t u r " zu fördern, sondern solange sie in erster Linie als politisches Mittel verstanden wird, um einem Staat Freunde zu gewinnen, seine Stellung i n der Welt zu stärken, solange ist es auch völlig legitim, die verschiedenen Musikgattungen gleichermaßen i m Auge zu behalten und anzuwenden. Denn man muß sich auf die potentiellen Konsumenten einstellen. Es scheint aber der auswärtigen Kulturpolitik nur selten bewußt zu sein, daß, wie Rundfunkstatistiken beweisen (Konzertstatistiken sind selten), „nicht die Gelegenheit, sondern die Bildung ausschlaggebend für die Auswahl ist, die der Hörer aus dem Programm trifft 6 7 ." So nannten bei einer Umfrage in Süddeutschland 1953 auf die Frage: Welche Musik hören Sie besonders gern i m Rundfunk? von den Hörern mit Volksschulbildung nur 4 °/o das Symphoniekonzert und nur 3 °/o die Kammermusik 6 8 . Massenattraktionen sind also mit klassischer 67
Hans Engel , 1. c., S. 344. ibidem, S. 345; erinnern w i r uns i n diesem Zusammenhang daran, daß i n der Bundesrepublik 8 2 % der Bevölkerung n u r die Volksschule besucht haben (1961). 68
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Musik — rebus sie stantibus — nicht zu erzielen: Wenn die Gruppe der höher Gebildeten bekanntlich überall relativ klein ist, so ist es die Gruppe der wirklichen Musikliebhaber ebenso, und beide Teilgruppen ergeben — kombiniert — ein entsprechend noch kleineres Segment des Publikums, welches wirklich die Darbietungen höherer Musikformen goutiert 6 9 . Dabei läßt sich generell sagen, daß die Musikkonsumenten symphonische Musik der Kammermusik vorziehen, wofür verschiedene Gründe angeführt werden. Geht es aber nun einer Regierung darum, i n einem bestimmten Ausland Massenwirkung zu erzielen, Sympathien i n der Breite zu erwerben, so ist es ein durchaus legitimes Mittel, Volksund Unterhaltungsmusik durch bayerische Trachtenkapellen, schottische Dudelsackpfeifer oder russische Kosakenchöre 70 anzubieten. Entsprechend w i r d man die Jugend anderer Länder nicht nur durch die Kommunikationskanäle etwa der der guten Musik verpflichteten „Jeunesses Musicales" ansprechen, sondern auch durch „Jam Sessions" m i t qualifizierten Jazzbands 71 . Bei den Beziehungen zu Gruppen des eigenen Volkstums i m Ausland kann, z. B. i m deutschen Fall, der Pflege des Liedguts durch Gesangvereine ein besonderes Gewicht zufallen. Grundsätzlich verstößt es also nicht gegen Ziele und Funktionen auswärtiger Kulturpolitik, das anzubieten, was Beifall findet, sieht man von ausgesprochenem Kitsch und schlechter Qualität ab. Der Außenpolitiker darf freilich von seinem Standpunkt aus darauf verweisen, daß es i n einem konkreten Fall oppurtuner wäre, dieses oder jenes zu tun oder zu unterlassen, indem er etwa vorschlägt, die Anfachung der deutschen Sangeslust i n einem Lande etwas behutsamer zu handhaben, das gegen seine deutschen Volksgruppen sowieso schon etwas allergisch ist. Oder vice versa, wo dies frommt. Technische Fragen sind hier nicht zu behandeln, doch dürfen w i r wenigstens folgendes sagen: Jedes Orchester und jeder Solist von Rang (Berufsmusiker) ist heute zumindest den einheimischen Konzertagenturen bekannt, von denen es z. B. i n den USA fast tausend geben soll. 69
Der Snob-Appeal spielt freilich auch hier eine entscheidende Rolle. Die „ H i g h Society" reist w e i t zu Festspielen nach Bayreuth oder Salzburg; was würde aus den nordamerikanischen Orchestern, w e n n nicht entsprechende Gesellschaftszirkel sie durch ihre Komitees am Leben erhielten? Eine M u s i k planung i m Rahmen der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k w i r d daher auch die grobe Einteilung des Publikums i n Laien, Kenner u n d Snobs berücksichtigen, wobei sich die ersten beiden Gruppen m i t der dritten überschneiden. 70 „ M i t beinahe demonstrativem Beifall werden i n diesen Tagen i n L a u sanne u n d Genf vor ausverkauften Sälen 180 Tänzer u n d Sänger gefeiert, die zu einem Chor der sowjetischen Roten Armee gehören. Das Auftreten dieses Chores, gar i n Uniform, der nach erfolgreichen Gastspielen i n den Vereinigten Staaten n u n durch Westeuropa reist, bringt i n der Schweiz die Gemüter i n Wallung" (Frankfurter Allgemeine Zeitung v o m 12. 2.1964). 71 Jazz ist gesellschaftlich weitgehend indifferent, obwohl er i n seinen anspruchsvolleren Formen auch ein wichtiges Feld f ü r den juvenilen Snobismus abgibt.
5. Theater und Oper
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Außenministerien und Auslandsmissionen können und sollen daher nur subsidiär tätig werden, und nicht ihren Ehrgeiz darein setzen, als Hilfsagenturen für mittelmäßige oder gar schwache Produktionen zu dienen. Sie sollen dagegen Verbindung herstellen und finanzielle Hilfe leisten, etwa indem sie Ausfallgarantien geben, sie haben für die nötige Publizität auch ihrerseits Sorge zu tragen. Das musikalische Unternehmertum der Agenturen ist schwierig zu behandeln, eher skeptisch hinsichtlich der Erfolge, zu keinen Risiken bereit; es ist kommerziell orientiert und ebensowenig wie der Künstler selber zu besonderem Idealismus verpflichtet. Gemeinsam m i t den Musikkritikern (deren oft reichlich esoterische K r i t i k e n freilich nur von einem kleinen Kreis verfolgt werden) und den entsprechenden Rundfunkabteilungen stellen sie eine Macht dar, m i t der die Außenministerien nicht konkurrieren können. Diese sind auch insofern i m Nachteil, als sowohl die Spitzenqualitäten der Orchester und Solisten, als auch die geeigneten Räumlichkeiten lange i m voraus verplant sind, und sich also auch hier die Schwierigkeiten erweisen, nur m i t einem Einjahresbudget planen zu können. Das ökologische, die örtlichkeiten und Räumlichkeiten werden übrigens bei schneller und oberflächlicher K r i t i k an auswärtiger K u l t u r p o l i t i k oft vergessen. Für große Städte mit internationalem Musikleben, für Festspielorte wie Bayreuth, Salzburg oder Edinbourgh gelten völlig andere Bedingungen, wie für kleine Haupt- oder Provinzstädte, i n denen berühmte Orchester und Solisten vielleicht i n Kinosälen mit schlechtester Akustik zu spielen haben 72 . Ungeeignete Räumlichkeiten stellen eine große Belastung für Musiker dar, die sich ein heterogenes, ihnen unbekanntes Publikum erst erobern müssen, wobei, wie w i r sahen, sowieso bereits mannigfache Imponderabilien mitspielen. Wichtige Faktoren der Ausgangssituation sind die einschlägigen Zellen und Cliquen i m Gastlande mit ihrem Urteil, ihren Neigungen und ihren Fehden, sowie eine vielleicht bereits vorhandene Popularität der i n Frage kommenden Werke und Interpreten durch Schallplatte und Rundfunk. 5. Theater und Oper Primitive Darstellungen des Kampfes zwischen Dämonen und guten Geistern stellen den K e i m des Theaters dar. Gelegentlich liest man in der Tagespresse von Veranstaltungen ländlicher Theater, nach deren Ende das Publikum gegenüber den Darstellern von Schurkenrollen zu Tätlichkeiten übergeht. Hier w i r d besonders deutlich, eine wie starke 72 Mozart i n nordamerikanischen Mehrzweckhallen, die auch f ü r Parteitage u n d Viehmärkte dienen, w i r k t ebenso deplaciert, w i e die elektronische Musik von Stockhausen i n der Godesberger Redoute, einem K l e i n o d des rheinischen Rokoko. I n beiden Fällen ist der Rahmen „ungerecht" i m doppelten Sinne.
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Suggestivkraft das Theater entwickeln kann, welches „Menschen von Fleisch und B l u t " auf die Bühne bringt 7 3 . Die Realität des Theaters überdeckt so i n historischen Stücken die Realität der Geschichte derart, daß w i r beispielsweise i m deutschsprachigen Kulturkreis Maria Stuart oder Don Carlos noch immer mit Schillers Augen und nicht mit denjenigen der historischen Forschung sehen. Das Theaterpublikum ist ein relativ leicht zu studierendes Publikum sui generis. Es „ w i l l keine Meinungen empfangen, es w i l l nicht, wenigstens nicht unmittelbar, belehrt werden, noch weniger in Glaubens- oder anderen Meinungen bestärkt oder erschüttert werden; und doch hat auch das Schauspiel nicht selten dergleichen Wirkungen 74." Bekannt ist die politisch zündende Rolle, welche Beaumarchais' Stücke am Vorabend der Französischen Revolution gespielt haben. Denken w i r an die starken Wirkungen von Schillers Dramen und der berühmt gewordenen Zitate darin („Geben Sie Gedankenfreiheit"; „ich kann nicht Fürstendiener sein"; „der Mensch ist frei und wäre er i n Ketten geboren"; „ w i r wollen frei sein, wie die Väter waren"; „eher den Tod als i n der Knechtschaft leben" usw. 75 ). Und, aktueller werdend: denken w i r an Bert Brechts Schöpfungen und ihre dynamische Kraft, die bedeutende W i r kung beispielsweise der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe" nicht nur als sozialkritisches, sondern auch als ein die amerikanischen Verhältnisse kritisierendes Stück, denken w i r an den „Stellvertreter" von Hochhuth und an die zahlreichen Debatten und Skandale, die sich daran entzündeten. Betrachten w i r also das Theater nicht herablassend als „l'art pour l'art", wie es Politiker und Diplomaten noch immer gerne tun, sondern achten w i r auf seine sehr deutlichen sozialen Potenzen. Eine Ahnung von diesen Zusammenhängen und nicht nur die Vorstellung, daß Theaterbesuch der „Faulheit" förderlich sei, mag auch die frühere Ablehnung der Puritaner gegen das Theater erklären, welches
78 Diese W i r k u n g des tatsächlich anwesenden Menschen setzt auch Georg Lukäcs hoch an: „Denn nicht i n den Worten u n d Gebärden der Schauspieler oder i n den Geschehnissen des Dramas liegt die W i r k u n g der Theatereffekte, sondern i n der Macht, m i t der ein Mensch, der lebendige W i l l e eines lebendigen Menschen, unvermittelt u n d ohne hemmende L e i t u n g auf eine geradeso lebendige Menge ausströmt. Die Bühne ist absolute Gegenwart." (Gedanken zu einer Ästhetik des Kinos, Frankfurter Zeitung v o m 10. 9.1913, neuerdings i n den von Peter Ludz ausgewählten Schriften v o n Lukäcs zur L i t e r a t u r soziologie, Neuwied 1961). 74 F. Tönnies: K r i t i k der öffentlichen Meinung, a. a. O., S. 83. 75 Folgender Erlaß des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Dr. Lammers v o m 7. J u n i 1941 ist i n diesem Zusammenhang von Interesse: „Geheim u n d streng vertraulich. — Der Führer wünscht, daß das Schauspiel „ W i l h e l m T e i l " von Friedrich v. Schiller k ü n f t i g i n den Theatern nicht mehr aufgeführt u n d als Lesestoff i n den Schulen nicht mehr behandelt w i r d " (vgl. Hildegard Brenner, Die K u n s t p o l i t i k des Nationalsozialismus, H a m b u r g 1963, S. 209).
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sie bekanntlich, worauf auch Max Weber hingewiesen hat 7 6 , als verwerflich betrachteten. Sie übersahen aber die großen Möglichkeiten des Theaters als pädagogisches Instrument, welche schon der Antike bekannt waren, und auf die Schiller in klassischer Weise hingewiesen hat: „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" (1784). Infolgedessen kann man auch heute noch eine deutliche Benachteiligung des Theaterwesens i n angelsächsischen Ländern konstatieren. Als pädagogisches Instrument bleibt die Bühne jedoch auch für die internationale K u l t u r p o l i t i k wertvoll, was übrigens auch daraus erhellt, daß sich die „Moral Rearmement"-Bewegung (Caux) stark auf Theateraufführungen stützt. Theater ist nun, ebenso wie w i r es bereits bei der Musik sahen, für verschiedene Länder verschieden wichtig. Sozialtemperamente spielen hier sicher eine Rolle, aber ebenso die historische Entwicklung, die sozialen Institutionen und last not least die Vorlieben der politisch herrschenden Gruppen. Daher wechselt das B i l d i m Laufe der Geschichte. Wo gegen Ende des vorigen Jahrhunderts i n Meiningen der „Theaterherzog" Georg IL m i t einer i h m in morganatischer Ehe angetrauten Schauspielerin eine überschäumende Theaterbegeisterung entzündete, w i r d der Besucher heute nichts Entsprechendes mehr entdecken. Immerhin ist bekannt, daß w i r der deutschen Kleinstaatelei, der Liebhaberei und dem Ehrgeiz der Fürstenhäuser unsere zahlreichen Bühnen verdanken, die dann auch die Republik weiter zu unterstützen sich verpflichtet fühlte 7 7 . Sowohl Inklinationen von Geschmack und Sozialtemperament, als auch vor allem reiche dynastische Traditionen haben Österreich zu dem Prototyp eines Landes werden lassen, das seinen Theatern als nationalen Institutionen und als Ausdruck nationaler Mentalität höchsten Rang zuerkennt. Man weist nicht ungern darauf hin, daß der österreichische Staat mehr zur Subventionierung der beiden Staatstheater ausgibt als für den gesamten auswärtigen Dienst 78 . Entsprechendes Gewicht hat diese Seite infolgedessen auch i m Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik, sie prägt das künstlerische „Image" des Landes auch dem Ausland gegenüber. Was die Theatergastspiele i m Ausland angeht, so lassen sie sich nur i n wenigen Fällen ohne eine größere finanzielle Unterstützung der betreffenden Außenministerien durchfüh76 M a x Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, I., 2. Aufl. 1922, S. 187: „es sei daran erinnert: w i e die puritanische Stadtbehörde das Theater i n Stratford-on-Avon noch bei Shakespeares Lebzeiten u n d A u f enthalt dort i n seiner letzten Lebenszeit schloß." Unter der Herrschaft Oliver Cromwells w u r d e n dann überall i n England Theateraufführungen verboten. 77 I n der Saison 1961/62 bestanden i m Bundesgebiet einschließlich WestBerlins 130 öffentliche Theater, die von 19 015 000 Zuschauern besucht w u r d e n (Statistisches Taschenbuch 1964, S. 38). 78 Mündliche M i t t e i l u n g des österreichischen Presse- u n d Kulturattaches i n Bonn, 1964.
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ren, was für musikalische Darbietungen noch eher möglich ist. Nicht nur zwingt, wie schon bei den Musikern, der Terminkalender zu kostspieligen Flugreisen, es entstehen auch höhere Kosten für Kulissen, Proben, technisches Hilfspersonal und noch manches andere, was nicht i m entferntesten aus dem normalen Budget, schon gar nicht aus den Eintrittsgeldern bestritten werden kann. So erforderte das Gründgens-Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses Hamburg m i t dem I. Teil des „Faust" i n New York i m Jahre 1961 eine Zuwendung des A. A. i n Höhe von 450 000 DM. I m Unterschied zur Pantomime, die w i r als Nebengleis hier trotz auch heute bedeutender Leistungen beiseite lassen dürfen, und i m Unterschied zum Ballett, i n dem nur wenige Nationen brillieren 7 9 , bedarf das Theater nun aber als eines zur darstellerischen Leistung hinzukommenden Faktors der Sprache. Theater ist ja zweierlei: sowohl Literatur, als auch — falls aufgeführt — szenische Wirklichkeit, Handlung. Hier können w i r an einiges i m Kapitel Sprache und Literatur Gesagte anknüpfen. Wieder sind es die Weltsprachen, welche i m Vorteil sind, i n erster Linie das Englische und Französische, die neben den antiken Sprachen auch einen besonderen Rang als Bildungsgut errungen und sich erhalten haben. Hinsichtlich des Deutschen haben w i r — wie bereits früher dargelegt — schwere Einbußen zu verzeichnen, auch nicht — sehen w i r vom „Jiddischen" ab — eine derartig breite geographische Streuung erreicht. Man hat nie genau festgestellt, ein wie hoher Prozentsatz des New Yorker Publikums, welches das bereits angeführte FaustGastspiel m i t Gründgens sah, aus deutschen Emigranten oder deutschsprechenden Minoritäten bestand. Der Prozentsatz dürfte sehr hoch gewesen sein. Bei derartigen Aufführungen geht sonst — selbst m i t einem die wichtigsten Passagen interpretierenden Übersetzerdienst (Kopfhörer) — Wesentliches durch Nichtverstehen verloren. Wenn etwa um die gleiche Zeit Bert Brechts „Dreigroschenoper" zwei Jahre lang der größte New Yorker Theatererfolg außerhalb des Broadway war, so entstand durch diese amerikanische Aufführung auf Englisch jedenfalls eine ungleich größere Breitenwirkung. Auf verschiedenen Wegen kann also auch durch das Medium des Theaters zur Kenntnis fremder nationaler Kulturen und zur Verständigung 79 Es ist bemerkenswert, w i e diese ursprünglich typisch royalistische Kunstform, welche nach dem Sieg der Französischen Revolution verfolgt wurde, so daß weltberühmte Tänzer Ludwigs XVI. nach England flüchten mußten, heute i n der Sowjetunion als großer kultureller u n d auch außenpolitisch wichtiger Aktivposten w i e zu Zeiten der Romanows gehegt w i r d . Die royalistische Tradition zeigt sich dagegen wieder deutlich i n England, w o das erst 1931 m i t Hilfe russischer Emigranten gegründete Ballett, heute das Royal Ballet, Covent Garden, die besondere Protektion der K ö n i g i n genießt. Auch auf Brüssel, Kopenhagen u n d Stockholm könnte man i n diesem Zusammenhang verweisen, da auch dort königliche Residenzen u n d bekannte Balletts bestehen.
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zwischen den Völkern beigetragen werden. Aufführungen i n der Originalsprache werden auch i n Zukunft die Ausnahme bleiben, abgesehen vor allem vom Englischen, welches mehr und mehr internationales Verständigungsmittel i m Sinne eines Esperanto zu werden scheint, von den französischen Klassikern und italienischen Opern. Daraus ergibt sich auch schon eine Beschränkung von Gastspielen, zumal die gastierenden Schauspieler fast immer auch i m Heimatland ihre festen Engagements haben. Aufführungen durch landeseigene Ensembles werden also zwar i n der Regel Übersetzungen bringen, doch damit beweisen, daß dort die Stücke etwas bedeuten, zum mindesten den Intendanten. Statistiken über die Herkunft der gespielten Stücke sind daher für unser Thema aufschlußreich und zeigen Trends an, die mit dem entsprechenden Buchkonsum von Titeln ausländischer Autoren verglichen werden können. Sehr indikativ sind auch die z. B. an amerikanischen aber auch europäischen Hochschulen und Oberschulen beliebten fremdsprachigen Theateraufführungen durch Studenten und Schüler. Hier mit Rat und Tat zu helfen, ist ein „nobile officium" der Missionen, zumal hier kommerzielle Interessen i n geringem Umfang ins Spiel kommen und die noch leichter zu beeindruckende jugendliche Psyche oft für ein Leben lang der betreifenden fremden K u l t u r gewonnen wird. Was für einen jugendlichen Laienschauspieler die Bühne bedeuten kann, hat mit nicht zu überbietender Darstellungskraft Goethe i n seinem „Wilhelm Meister" gezeigt. Die Oper, mag i n ihr nun das formal musikalische oder die dramatische Handlung den essentiellen Schwerpunkt bilden, hat i m Rahmen der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k zwar auch ihre Rolle, doch sind die Kosten für Auslandsreisen derart hoch und die technischen Voraussetzungen (Mobilität des großen personellen Apparats, Zusammenspiel mit dem Orchester, Akustik, Sprach-, Kostüm- und Kulissenf ragen, praktisch ja zumindest die Kombination von Theater- und Konzertvorbereitungen) derart kompliziert, daß Auslandsgastspiele die großen Ausnahmen bleiben müssen. Die Frage, welche Kreise überhaupt Opern besuchen, und wer sich durch diese Kunstgattung besonders angesprochen fühlt, w i r d i n letzter Zeit viel diskutiert. Man hat sie zur kleinbürgerlichen Feierabendunterhaltung gestempelt, ihr auch schon oft den Tod vorausgesagt. Sicher ist sie i n vielen Städten „gesunkenes Kulturgut". Auch die Oper steht natürlich deutlich i n der Tradition der Höfe, zu deren Glorifizierung sie wegen ihres Reichtums an künstlerischen Mitteln (Gesangskunst, Darstellungskunst, bildender Kunst auf der Bühne und Instrumentalmusik) besonders beitragen konnte. Selbst kleinste Fürsten haben diese aus Italien eingeführten Kunstformen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch hier in Nachahmung des Glanzes des französischen Hofes begierig aufgegriffen, zum Teil aber schon damals 16*
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8. Kap. : Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
wegen der hohen Kosten deshalb viel K r i t i k erfahren. Auch heute noch „ n i m m t i n der Kunstpflege der deutschen Länder die Oper den größten Teil der staatlichen M i t t e l für Musikpflege i n Anspruch 80 ." Sind also Gastspiele erschwert, so steht die Oper als Mittel höchster staatlicher Repräsentation auch ohne Auslandstourneen häufig i m Dienste der auswärtigen Politik und Kulturpolitik. Nicht nur w i r d das Prestige einer Nation durch die Pflege der Opernkunst augenfällig vermehrt und es werden fremde Staatsoberhäupter bei ihren Visiten durch Galavorstellungen geehrt, sondern die Opernhäuser üben auch besondere Anziehungskraft auf internationale zahlungskräftige, doch heute i n ihrem Bedürfnis nach äußerer Repräsentation meist nicht befriedigte Oberschichten aus. W i r nannten das Beispiel Österreichs, könnten hierzu aber ebensogut auf die Mailänder Skala, die Pariser Oper 8 1 oder die Festspiele i n Bayreuth hinweisen. Außer diesen deutlich plutokratischen Zügen möchte man ferner notieren, daß eine gewisse i n Konzert- und Theatersälen sowieso heutzutage immer etwas vorhandene, manchmal pseudoreligiöse Weihestimmung sich i m Opernmilieu leicht verdichtet 82 , weshalb man spöttisch von „Wallfahrten" zu jenen Orten spricht. Auch nationales Pathos mag sich hineinmischen, das die sowieso dem modernen Publikum immer weniger konzedierten Mißfallenskundgebungen dann fast als Sakrileg empfindet und auch Diskussionen um Qualitätsfragen hemmt. Es zeigt sich dann eine Identifizierung mit der Nation und dem Staat, was i m Falle Bayreuths zu Kompromittierungen führte, die z. B. Theodor Heuss als Bundespräsident noch alle Einladungen dorthin ablehnen ließ. Die Gegenwart zeigt uns ein weiteres, sehr drastisches Beispiel dafür, wie gerade die Oper bewußt zum Instrument für politische Doktrinen und politischen Agitationen gemacht werden kann: Peking. Die kürzlichen Reformen geben der Peking-Oper zeitgenössische revolutionäre Themen auf, i n deren Mittelpunkt Bauern, Arbeiter und Soldaten stehen, und machen sie damit zu einem wichtigen Bestandteil und Werkzeug der chinesischen Revolution auf dem kulturellen Sektor 83 . Man w i l l diese berühmte Oper 80 81
Engel, 1. c., S. 22.
Die der Pariser Oper (ohne „Opéra comique") v o m Staat gewährte j ä h r liche Unterstützung betrug u m 1960 1221 M i l l . alte Francs, d. h. fast 10 M i l l . D M (1. c., S. 26). 82 Dies w a r nicht immer so. Noch 1837 berichtete der Komponist Otto Nicolai aus Italien: „Jede Familie von einiger Bedeutung hat ihre eigene Loge, i n die man eingeladen w i r d u n d w o m a n seine Visiten macht, als ob es i n deren Behausung geschehe. M a n konversiert, spielt Karten, lacht, scherzt u n d k ü m m e r t sich wenig u m die Musik." (1. c., S. 30) Auch an ähnliche Schilderungen i n Romanen v o n Stendhal darf erinnert werden. 83 „Die revolutionären Peking-Opern u zeitgenössischen Themen zeugen davon, daß dank der glänzenden Führung der Lehre von Mao Tse-tung über L i t e r a t u r u n d K u n s t der erste Schritt nach v o r n bei der Erziehung u n d Beeinflussung des Publikums entsprechend den sozialistischen kommunistischen Ideen gemacht wurde", schreibt die offiziöse „Peking-Rundschau" am 22. Sep-
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(„Paris le découvrait récemment avec enthousiasme", Le Monde vom 27./28. September 1964) künftig mit ihren kräftigen politischen Themen auch i m Ausland stärker „einsetzen". Auch hier wäre es kurzsichtig, mit intellektuellem und alteuropäischem Hochmut anzunehmen, mangelndes künstlerisches Niveau verhindere den Erfolg, zumal hier ja Elemente höchster alter K u l t u r mit der massiven politischen Propaganda verwoben werden. Man w i r d dann sehen können, wie i m Kontrast zur Marginalrolle, zu welcher Opernaufführungen i n kleineren europäischen Städten abgesunken sind, sie hier in neuer Form kraftvoller Ausdruck staatlichen Machtbewußtseins und Machtanspruchs werden. Soziologisch gesehen also einem der Gesetze folgend, nach welchem sie angetreten sind. Beachtlich ist jedoch die Ausweitung des Zuschauerkreises auf alle sozialen Schichten, was i n der sog. westlichen Welt, von der italienischen und Wiener Volksoper abgesehen, kaum gelungen ist. 6. Die Massenmedien Film, Funk und Fernsehen als Instrumente Wie es sich erübrigt, auf die Bedeutung der Massenmedien i m 20. Jahrhundert noch besonders hinzuweisen, so braucht man auch nicht länger auszuführen, daß ihnen i m Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik eine immer wichtigere instrumentale Rolle zufällt; ihre Berücksichtigung ist geeignet, dem häufigen Vorwurf zu begegnen, daß die Kulturarbeit nicht genügend breite Bevölkerungsschichten erreiche. Ist man sich über das Grundsätzliche also schnell einig, so ergeben sich aber auch hier wiederum mannigfache Fragen der Analyse und Anwendung i m einzelnen, der Präferenz, und es gilt das Terrain richtig abzuschätzen, auf welchem die betreffenden Arbeiten vonstatten gehen können. Hierbei ist zunächst zu konstatieren, daß sich i m Rahmen der Hochschulforschung die einschlägigen Probleme „zwischen den Stühlen" befinden. Erst in unserem Jahrhundert entstanden, werden sie hier noch nicht überall als „legitim" betrachtet und ihre wissenschaftliche, objektive Erhellung ist z. B. i n Deutschland dadurch gehindert, daß die Rezeption der entsprechenden Sachgebiete als Forschungsgegenstände der Sozialforschung i m Unterschied zu den USA nur zögern erfolgt. Die Folge davon ist, daß das Feld weitgehend einer aus Weltanschauung, Interessentenpolitik und K u l t u r k r i t i k gemischten, ohne wissenschaftliches Ethos betriebenen Zweckforschung oder Feuilletonistik überlassen bleibt. Dies entspricht natürlich auch den Wünschen vieler Interessenten! Nur gelegentlich, etwa bei den Diskussionen u m das Zweite Fernsehen, w i r d der Zeitungsleser einige hintergründigere Seiten dieser i n ihrer Bedeutung immer noch unterschätzten Machtkomplexe gewahr. „ N i ange, ni tember 1964, i n der Wiedergabe eines langen Leitartikels der „Hongqi" (Roten Fahne) v o m 30. J u n i 1964. Der lesenswerte A r t i k e l trägt die Überschrift „Eine große Revolution an der K u l t u r f r o n t " u n d ist ganz der Peking-Oper gewidmet.
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bête", bedürfen sie dringend der objektiven wissenschaftlichen K l ä rung i n politischer, wirtschaftlicher, psychologischer und soziologischer Hinsicht. Die Jurisprudenz ist bereits seit längerem m i t der rechtlichen Seite der Massenmedien befaßt. Zunächst: Was heißt „Massenmedien 84 "? Der Ausdruck, welcher i n vieler Hinsicht ausgelegt werden könnte, hat sich für diejenigen der publizistischen Kommunikationsmittel eingebürgert, welche eine größere Anzahl von Menschen gleichzeitig und auf den Wegen technischer Vervielfältigung ansprechen. Sie scheinen heute unentbehrlich geworden. Die UNESCO schlug den Entwicklungsländern vor, als M i n i m u m für jeweils 100 Einwohner anzustreben: 10 Exemplare von Tageszeitungen, 5 Hundfunkempfänger, 2 Kinoplätze und 2 Fernsehgeräte. Neben der i m 17. Jahrhundert entstandenen Presse (1609 erste europäische Zeitung von Johann Carolus i n Straßburg) gehören also zu den Massenmedien der u m die Jahrhundertwende entstandene F i l m (1895 das „Bioskop" von M a x Skladanowsky i m Berliner „Wintergarten" sowie die Patente für die Gebrüder Lumière ), der Rundfunk (erste Rundfunkübertragung i n New Y o r k 1913) und das Fernsehen (erste Programmdienste 1935 i n Deutschland, Großbritannien, England und den USA). Während w i r die Presse hier beiseite lassen, da die betreffenden Fragen besser i m Rahmen monographischer Untersuchungen über auswärtige P o l i t i k und Presse behandelt werden, wenden w i r uns den auch für Analphabeten verständlichen Massenmedien zu, zunächst dem F i l m 8 5 . V o m Film g i l t zunächst vieles bereits f ü r das Theater Ausgeführte, u n d manche seiner Nachteile, die noch Georg Lukäcs gegenüber dem Theater feststellte, treten infolge der technischen V e r v o l l k o m m n u n g unseres Mediums, insbesondere durch die Verbesserungen des Tons, der 84 W i r nennen an einschlägiger Literatur zunächst für mehrere Bezirke zusammen: Erich Feldmann: Theorie der Massenmedien Presse, Film, Funk, Fernsehen. München/Basel 1962; Robert K . Merton: Mass Persuasion, New Y o r k 1946; ders.: Social Theory and Social Structure, a.a.O., Kapitel X I V : Studies i n Radio and F i l m Propaganda (mit Paul F. Lazarsfeld); Lotte H. Eisner und Heinz Friedrich (Hrsg.): F i l m Rundfunk, Fernsehen, Fischer Lexikon, Frankfurt/M. 1958; M. Janowitz und R. Schulze: Neue Strömungen
in der Erforschung der Massenkommunikation, in: R. König und H. Maus
(Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung, Stuttgart 1958. Die UNESCO veröffentlicht eine Schriftenreihe „Press, F i l m Radio". 85 A n Literatur nennen w i r : E. Attenloh: Zur Soziologie des Films, Jena 1914; Curt Wesse: Großmacht Film, Berlin 1928; F. Stepun: Theater und Film, München 1953; J. P. Bayer: Sociology of the Film, London 1946; ders.: British Cinema and their Audiences, London 1949; Siegfried Kracauer: Von Caligari bis Hitler, Hamburg 1958; Wolfenstein und Lettes: Movies, Glencoe 1950; Georg Schmidt, Werner Schmalenbach und Peter Bächlin: Der F i l m w i r t schaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch, Basel 1947; den Beitrag von P. Hei-
mann über „Film" in den von W. Bernsdorf
und F. Bülow herausgegebenen
„Wörterbuch der Soziologie", a.a.O.; experimental-psychologisch: Herbert Woelker, Das Problem der F i l m w i r k u n g , Bonn 1955 (Abhandlungen zur P h i losophie, Psychologie und Pädagogik, Nr. 6).
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Farbe und Plastizität immer weiter i n den Hintergrund. W i r finden beim F i l m heute ebenso die Illusion der Realität, das spontane Mitergriffenwerden, den Identifizierungsprozeß m i t dem „Helden" oder den „guten" Mächten, die Parteinahme also für bestimmte einzelne und Gruppen und implizite die Frontstellung gegen andere (Schwarzweiß-Malerei aller Schattierungen). I m Unterschied zum Theater kommt als spezifisches Novum hinzu: Die „universale Verwendbarkeit und Verständlichkeit" (P. Heimann), auf welcher die internationale Rolle und Macht des modernen Films begründet ist. So betrug die rein deutsche Spielfilmproduktion 1964 nur mehr 34 Filme 8 6 , für die Bedürfnisse der i m Jahre 1962 gezählten 6331 Filmtheater der Bundesrepublik und West-Berlins eine sehr kleine Zahl. Die USA verfügen über einen A n t e i l von rund 40 % am Verleihumsatz i n der Bundesrepublik, während rund 30 % auf deutsche Firmen und die restlichen 30 °/o auf andere Länder entfallen. Es liegt auf der Hand, daß die „dokumentarische" Uberzeugungskraft, welche dem F i l m innewohnt, die heute das Theater vielfach noch übertreffende Realitätswirkung, welche sich bis zur Intensität des Augenzeugenerlebnisses steigern kann (so daß der Zuschauer später das i n der Realität und i m F i l m Gesehene i n seiner Erinnerung vermengt), von großer Relevanz für unser Thema sein muß. Hätten w i r lediglich die routinemäßig von den Auslandsmissionen und Kulturinstituten geleistete Filmarbeit i m Auge, so könnten w i r uns auf wenige Zeilen beschränken, und darin von den sich überall ähnelnden Archiven von „Kulturfilmen" berichten, die sich i m Niveau nicht wesentlich von denjenigen unterscheiden, welche man auch i n besseren Reisebüros und i n Filmtheatern als Vorfilme zu sehen bekommt. Es gibt hier einige bekannte praktische Probleme, etwa die von den zuständigen Stellen i m Heimatland oft nur ungenügend berücksichtigte Sprachenfrage (einschließlich des nicht irrelevanten Unterschieds, ob z. B. i n Oxford-englisch oder amerikanisch synchronisiert wird) oder die Berücksichtigung der besonderen Mentalität der Gastländer, die etwa muntere T r i n k szenen aus religiösen Gründen verabscheuen kann. Aber man w i r d doch auf Kriegszeiten rekurrieren müssen, w i l l man die Bedeutung des filmischen Bereichs i n unserem Zusammenhang ganz erfassen, w i l l man sehen, welche Möglichkeiten hier liegen und welche Gefahren hier lauern. Es handelt sich u m große potentielle Kräfte, die i n Spannungszeiten sowohl m i t subtilen als auch m i t drastischen M i t t e l n ausgelöst werden können. W i r brauchen nicht auf die i n dem amerikanischen Bestseller „The Hidden Persuaders" 87 aufgeführten Möglichkeiten „unter88 Die größte Produktionsziffer der Welt weist gegenwärtig Japan auf. Z u r F i l m p r o d u k t i o n der einzelnen Länder vgl.: Statistical Yearbook 1964, hrsg. von den Vereinten Nationen, New Y o r k 1965, S. 708 f. 87 Vance Packard: The Hidden Persuaders, 4. Aufl. als Cardinal-Taschenbuch, New Y o r k 1958; deutsch: Die geheimen Verführer, Düsseldorf 1958.
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schwelliger" Wirkungen zurückzukommen, durch Einblendung von Propagandamaterial erzielt, welches so kurzfristig dargeboten wird, daß es dem Bewußtsein entgeht. Hier steht bis heute die einwandfreie psychologische Verifikation noch aus und die Manipulierbarkeit des Menschen ist w o h l generell überbewertet. Aber es gibt genügend anderes Material: Denken w i r an die deutlichen oder verschwiegeneren Tendenzen, welche Spielfilme enthalten können. Die unermüdliche Arbeit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland i n Rom und aller unserer Generalkonsulate und Konsulate i n Italien beim Ausleihen von Kulturfilmen kann i n einem Jahr nur einen Bruchteil der Wirkung kompensieren, welche durch einen gleichzeitig dort laufenden erfolgreichen Spielfilm erreicht wird, i n welchem Hauptpersonen und Verhältnisse, die m i t der Bundesrepublik assoziiert werden, abstoßend erscheinen. Generell können w i r auch i m F i l m unterscheiden: a) die nationalen „Stereotype" 88 , b) die Darstellung w i r k licher oder erfundener „historischer Fakten" und c) die Darstellung oder Verzerrung gegenwärtiger Verhältnisse. Denken w i r — um ein weiteres Beispiel anzuführen — an die Wirkung, welche einige der vorzüglichen selbstkritischen amerikanischen Filme (etwa „Westside story" oder „Die Faust i m Nacken") i n Korea oder Vietnam oder auch bereits i n Frankreich und Italien haben müssen, so stoßen w i r deutlich auch auf die außenpolitische Bedeutung der Filmkunst. Aus wertvoller Selbstkritik, die das Gangsterwesen oder die Rassendiskriminierung anprangert, und bei Einsichtigen auch als Objektivität gewürdigt wird, können schließlich plumpe Waffen gegen die Autoren selbst werden. Es gibt auch einige zeitgenössische deutsche Filme dieser A r t , die der künstlerischen Qualität und sozialkritischen Intention nach zur besten Nachkriegsproduktion gehören. Dabei stoßen w i r auf zwei wichtige Funktionen des Spielfilms: Erstens auf seine Rolle als „Reflektor" der Wirklichkeit, für die er u m so eher gehalten wird, je primitiver das Publikum ist, und zweitens auf seine Rolle als Mitgestalter der Gesellschaft, sei es, daß er das Publikum absichtlich oder unabsichtlich zum Dargestellten hinführt (Leitbildcharakter), sei es, daß er die Zuschauer davon abschreckt, wie z.B. i n den bekannten „Aufklärungsfilmen" 8 9 . Die Zusammenhänge sind noch nicht genügend erforscht, wenn auch bereits wertvolle wissenschaftliche Ansätze bestehen. Inhaltsanalysen (Content-Analysis) z.B. i m Hinblick auf Leitbilder, Stereotype und Symbole sowie Untersuchungen der W i r k u n g auf den Zuschauer (Response-Analysis) unter Heran88 Hierüber gibt es bereits eine A r b e i t : Siegfried Kracauer: National Types as Hollywood Presents them. A Pilot Study for UNESCO (in „ T h e Public Opinion Quarterly", Princeton, F r ü h j a h r 1949). 89 Aus dem Gesagten erhellt, eine w i e große Bedeutung es auf die Dauer haben muß, w e n n z. B. i n den Entwicklungsländern der deutsche F i l m , w i e es angesichts der bundesrepublikanischen Filmmisere der F a l l ist, zunehmend durch die sowjetzonalen Produkte der Defa vertreten w i r d .
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Ziehung von Kontrollgruppen werden hier gewiß noch weiterführen. Die Methoden gehen auf Forschungen zurück, die vor allem i n den USA i m zweiten Weltkrieg angestellt worden sind. W i r verweisen i n diesem Zusammenhang auf Harold D. Lasswell, der während des Krieges eine Abteilung des amerikanischen Kriegsministeriums zum experimentellen Studium der „war-time Communications" leitete, auf Bernard Berelson 90 oder die grundlegenden Untersuchungen von Paul F. Lazarsfeld i m „Bureau of Applied Social Research" der Columbia-Universität. Sie können bereits für manche Gebiete der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k Verwendung finden. I n der Praxis stoßen auch auf dem Filmsektor manchesmal w i r t schaftliche Interessen, die sich gerade hier i n einem gnadenlosen Existenzkampf befinden, m i t den Interessen der Regierungen zusammen, nicht zuletzt was den Vertrieb der Filme i m Ausland angeht. Hier liegen auch erkennbare temporäre und partielle Nachteile für Demokratien, die sich konkurrierenden totalitären Regimen gegenübersehen. Ähnliche Konflikte können entstehen, wenn sich hoher künstlerischer Rang m i t negativer propagandistischer Wirkung verbindet 9 1 . Es erscheint m i t den Regeln liberaler Demokratie unvereinbar, staatlicherseits hier Restriktionen auszuüben, es sei denn, juristische Tatbestände erforderten dies. Wenn sich aber nun einerseits die staatliche auswärtige Kulturarbeit jeder „Zäsur" und aller Eingriffe i n den kommerziellen Vertrieb von für das Ausland ungeeigneten Filmen enthalten soll, so w i r d man andererseits nicht von ihr erwarten können, daß sie Filme, welche ihrer Politik zuwiderlaufen, m i t finanziellen M i t t e l n oder durch Hilfestellung bei der Nominierung für Festspiele auch noch fördert. Die Filmindustrie betrachtet den Staat (zu Recht) als verpflichtet, für die Nöte der einheimischen Filmproduktion Verständnis zu haben und nach Möglichkeit den Export zu erleichtern. Sie verlangt aber manchesmal (zu Unrecht) von ihm, daß er dabei gegenüber der künstlerischen Qualität und den politischen Gesichtspunkten blind sein solle. Was auf den fast 100 000 Filmtheatern der Welt vor jährlich etwa 10 Milliarden Besuchern gespielt wird, verdient aus den eingangs dargelegten Gründen und angesichts der zunehmenden Bevorzugung des Optischen auch i n alten Kulturländern jedenfalls ein eminent politisches Interesse der Regierungen. Auch i m „kalten Krieg" werden hier Schlachten geschlagen und entschieden, deren Siege lautloser, aber nichtsdestoweniger oft bedeutsamer sind, als manche Militäraktionen. 90 Bernard Berelson: Content Analysis i n communication Research, Glencoe 1952. 01 Es ist auch hier ein häufiger Fehler, anzunehmen, daß Propagandawerke keine künstlerische Höhe erreichen könnten. Das früheste u n d berühmteste Beispiel ist w o h l der „Panzerkreuzer Potemkin" von Eisenstein (1926).
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8. Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
Während w i r auf den F i l m i m Fernsehen weiter unten zurückkommen, wenden w i r uns nun dem Rundfunk? 2 zu. Der Hörfunk erreicht heute jede Hütte. 1962 hatten i m Bundesgebiet 79,3 °/o aller Haushalte Radio, wobei diese offizielle Zahl noch u m die Schwarzhörer vermehrt werden muß. I n Kanada beträgt der Prozentsatz sogar 96%. Die diffuse akustische Funktion des Rundfunks erreicht i n vielen Ländern praktisch, da der Zuhörerkreis durch Nachbarn vergrößert werden werden kann, die gesamte Bevölkerung. Daß sich die auswärtige K u l t u r politik dieses ubiquitären Mediums bedient, ist selbstverständlich. Zunächst kann durch den Funk die Verbindung zu den Landsleuten i m Ausland aufrechterhalten, generell zu Menschen gleicher Sprache angebahnt und unterhalten werden. Hierbei w i r d neben der selbstverständlichen Pflege der angestammten Kulturen und technischen Hilfe zu ihrer Erhaltung aber bereits die propagandistische, missionierende Funktion stärker oder schwächer ins Spiel kommen, die dann bei den fremdsprachigen Sendungen überwiegt. Moskau hatte m i t solchen fremdsprachigen Sendungen u m die Mitte der zwanziger Jahre begonnen, Mussolini einige Jahre später regelmäßige Ausstrahlungen nach Nordafrika und dem mittleren Osten einrichten lassen, i m Geiste jenes ehemaligen Reiterdenkmals i n Tripolis, das den Duce m i t dem „Schwert des Islam" zeigte. I n welchem Maße sich das Hitlerregime des Rundfunks als einer starken Propagandawaffe bediente, braucht hier nicht ausgeführt zu werden; der m i t Zynismus gepaarte politische Fanatismus, welcher innenpolitisch zunächst zum spektakulären Sieg führte, da er sich nicht nur m i t psychologischen Einsichten, sondern auch m i t technisch modernsten Werkzeugen verband, erzielte anfänglich auch außenpolitisch einige propagandistische Erfolge. Hinsichtlich der sorgfältig geplanten alliierten Gegenmaßnahmen, die w o h l am wirkungsvollsten i m Rahmen des Britischen Rundfunks (BBC) erfolgten, darf auf das bereits früher zitierte Buch „Propaganda" von Lindley Fräser verwiesen werden. Der „Wellenkrieg" geht seitdem m i t anderen Frontstellungen weiter. Unser Bemühen, an verschiedener Stelle den „existentiellen" Charakter unserer verschiedenen Arbeitsbereiche durch Hinweise auf drastische politische Ausnutzung herauszustellen, soll uns aber keineswegs den Blick für das weite Feld trüben, auf dem sich die positiven Seiten auswärtiger Kulturarbeit stündlich zeigen; denn nichts wäre falscher, als zu resümieren, also wäre doch eben „Alles nur Propaganda". So sehen wir, wie sich gerade auch auf dem Rundfunksektor die inter92 W i r nennen an L i t e r a t u r : Friedrich Lenz: Einführung i n die Soziologie des Rundfunks, Emsdetten 1952; Alphons Silbermann: Musik, Rundfunk, H ö rer; K ö l n u n d Opladen 1959; K a r l Rössel-Majdan: Rundfunk u n d K u l t u r politik, K ö l n u n d Opladen o. J. U n d seitens eines Praktikers: Hans Bredow: Aus meinem Archiv. Probleme des Rundfunks, Heidelberg 1950.
6. Die Massenmedien Film, Funk und Fernsehen als Instrumente
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nationale Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch über die Grenzen hinweg unentwegt vollziehen. Gilt für die Programmgestaltung allgemein — zumindest als Lippenbekenntnis — die bekannte Formel des BBC: „education, information, recreation" 93 , und hat man dem Rundfunk wegen der Mannigfaltigkeit seines Programmangebots eine A r t „Warenhauscharakter" (E. K . Fischer) zugesprochen, so ist man immer und überall auf der Suche nach neuem und attraktivem Sendestoff. Dieser soll dort, wo Sender auf rein kommerzieller Basis arbeiten, wie Tausende von Rundfunkstationen i n den USA, auch noch möglichst „ b i l l i g " sein. Hier liegt daher einer der Ansatzpunkte für die internationale Kulturarbeit sowohl der Rundfunkstationen untereinander, die zu ständigen Absprachen und kommerziellen Vereinbarungen hinsichtlich der Übernahme fremder Sendungen kommen, als auch gelegentlich für die staatliche auswärtige Kulturpolitik. Diese bietet ihre Vermittlungsdienste vor allem kleineren Sendern an und liefert diesen auch selber Material: Schallplatten, Tonbänder, Informationen. Ausschlaggebend kann die staatliche Außenpolitik auf dem Rundfunksektor i n Friedenszeiten jedoch per se nur dort werden, wo dieser, wie es z.B. beim französischen Rundfunk RTF der F a l l ist, gleichzeitig abhängige Regierungsstelle und Fach-Institution darstellt, d.h. wo es sich direkt oder indirekt um Staatsrundfunk handelt. Kombinieren w i r die Suggestivkräfte des bewegten Bildes und des Tons, insbesondere der menschlichen Stimme, m i t dem universalen Netzwerk, welches immer dichter die Welt umspannt und künftig jede m i t den entsprechenden Fazilitäten ausgestattete Behausung erreichen wird, sei es Beduinenzelt oder Eskimo-Iglu, so haben w i r die Großmacht Fernsehen. I n einem Lande wie Kanada, das diesbezüglich als richtungsweisend angesehen werden darf, haben bereits 83 °/o der Haushalte Fernsehapparate (ein Teil des restlichen wenigstens Fernsehattrappen) und die Programme werden durchschnittlich 4 3 A Stunden täglich eingeschaltet 94 . Die Entwicklung läuft überall i n ähnliche Richtung, während es andererseits zu den beliebtesten Themen der K u l t u r - und Gesellschaftskritik gehört, das Fernsehen (wie früher das Kino) für mannigfache Übel, z. B. die Zerstörung des Familienlebens oder der persönlichen, schöpferischen Initiative verantwortlich zu machen, was jedoch erst zu beweisen wäre 9 5 . Gegenüber dem Fernsehen befindet sich allerdings der F i l m i n der Defensive, i n einem ernsten Existenzkampf, oder sagen w i r genauer: Es sind dies die Lichtspieltheater. Auch bezüg93 G i l t dies f ü r die Programmgestaltung, so darf damit nicht die F u n k t i o n des Rundfunks verwechselt werden. Beim Hörer beispielsweise erfüllt das Radio auch das Bedürfnis nach Gesellschaft, Belebung der „Totenstille", E n t spannung usw. 94 Angabe des offiziellen „Canada Handbook", Ottawa 1963, S. 120. 95 So geben z. B. Fernsehsendungen auch Anlaß zu neuen Diskussionen am Familientisch.
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8. Kap.: Einige Spezifika ausgewählter Arbeitsdomänen
lieh des Films sind die kanadischen Verhältnisse aufschlußreich, ergeben sie doch, daß von 3446 i m Jahre 1960 dort hergestellten Filmen aller Sorten bereits 2854 speziell für das Fernsehen hergestellt wurden. Liegt diese Relation hier zum Teil an der überhaupt geringen Spielfilmproduktion des Landes, so darf man doch i n den genannten Ziffern einen Hinweis auf künftige mondiale Verhältnisse sehen. Was Spielfilme angeht, so beherrschen heute noch die älteren Bestände die Fernsehschirme der Welt. Es gehörte u m die Wende der 60er Jahre zu den Sorgen der deutschen diplomatischen und konsularischen Vertretungen i n den USA und Kanada, jede Woche Beschwerden von Auslandsdeutschen über Fernsehfilme entgegennehmen zu müssen, welche bei der Darstellung von Greueltaten des NS-Regimes dieses m i t der gesamten Wehrmacht und dem deutschen Volk gleichsetzten: Propagandafilme der Kriegszeit, die von den kleineren privaten kommerziellen Stationen b i l l i g m i t anderen alten Filmen entliehen worden waren 9 8 . Ein Beweis für die Suggestivkraft des Fernsehmediums war es nun, daß Kinder deutscher Herkunft i n den Schulen daraufhin häufig Handgreiflichkeiten ausgesetzt waren. Der deutsche Bundestag hat sich m i t dem Problem auseinandersetzen müssen. Weil die Fernseh-Apparaturen, wie alles Technische, zunächst wertneutral sind (wobei freilich das dialektische Moment des Umschlagens der Quantität i n die Qualität auch hier etwa i n der Form des Narkotikums ins Spiel kommen kann), so liegt auch für die Völkerverständigung das Positive neben dem Negativen als Füllung von Leerstellen bereit. Auf der einen Seite kann ein Extrem i n die Nähe jener Erscheinungen führen, wie w i r sie i n der bedrückenden Zukunftsutopie von George Orwell („1984") geschildert bekamen. Andererseits werden aber auch immer mehr Möglichkeiten genutzt, das Fernsehen als Erziehungsmittel nicht nur zu partiellen Fertigkeiten, insbesondere zur Beseitigung des Analphabetentums zu benutzen 97 , sondern es gelegentlich auch zur unabhängigen Meinungsbildung zu verwenden. Muß es jeder auswärtigen K u l t u r p o l i t i k darauf ankommen, ein verständliches „ B i l d " des jeweiligen Heimatlandes zu vermitteln, so steht hier ein vorzügliches M i t t e l zu diesem Zweck bereit: Daß es genutzt wird, beweisen z. B. die zahlreichen Einladungen an ausländische Fernsehteams, u m Land und Leute und deren jeweilige Probleme i n Bildreportagen festzuhalten und publik zu machen; dafür spricht ferner die Bereitwillig96 Die letzte Station dieser Filme werden wahrscheinlich die „ E n t w i c k lungsländer" sein! 97 Hierzu k a n n auf die reichen von der UNESCO gesammelten Erfahrungen i n der Bildungshilfe verwiesen werden. Vgl. den Aufsatz von Henny de Jong (Department of Mass Communication der UNESCO): F i l m u n d Fernsehen i n den Entwicklungsländern, i n der v o n der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Schrift: „Der Beitrag der Massenmedien zur Erziehungsarbeit i n den Entwicklungsländern, Bonn 1960.
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keit so gut wie aller führender Staatsmänner i n der Welt, sich i n immer neuen Interviews, einschließlich der riskanteren, w e i l nicht korrigierbaren Direktübertragungen, über die verschiedensten Probleme ihres Landes zu äußern. Auch die Filmbestände der Missionen und K u l t u r institute werden vom kleineren kommerziellen Fernsehen gern i n A n spruch genommen (was übrigens mancherlei rechtliche Probleme aufwirft). Rechnet man das Auftreten ausländischer Künstler und Sportler i m Fernsehen hinzu, so ergibt sich insgesamt eine ständige und immer breiter werdende Apperzeptionsmöglichkeit fremder Eigenarten, die zur Überwindung des Fremdheitsaffekts m i t allen seinen beschriebenen hostilen Qualitäten führen kann. Und dies u m so mehr, als die dem Entstehen eines Solidaritätsgefühls oft zuwiderlaufende allzu große räumliche Enge 98 fehlt und der Partner auf dem Fernsehschirm jederzeit verabschiedet werden darf. Abschließend sei noch bemerkt, daß die gern gestellte Frage, ob man die einzelnen Massenmedien nach ihrer W i r k k r a f t auf den Rezipienten schon generell fest staffeln könne, für unser Gebiet bis heute verneint werden muß. Auch die Vertrauenswürdigkeit der Medien ist variabel. Sie w i r d von der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Kommunikatoren ebenso beeinflußt, wie von Alter, Bildungsgrad und Gewohnheiten der Rezipienten.
98 Was G. Hornaus i n seinem sonst so wertvollen Buch „Theorie der sozialen Gruppe", deutsch K ö l n u. Opladen 1960, vielleicht mangels „existentieller" Erfahrungen nicht berücksichtigt.
Neuntes Kapitel
Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internationalen Organisationen I m Verlaufe unserer Arbeit stellt sich uns notwendigerweise die Frage, ob w i r i n das Thema auswärtige K u l t u r p o l i t i k auch die Arbeit derjenigen Organisationen einbeziehen müssen, welche sich als internationale Behörden die Förderung kultureller Anliegen speziell zum Ziel gesetzt haben, und wenn ja, i n welchem Umfang w i r dies tun sollen. Von der Sache her muß die Frage bejaht werden. A u f der anderen Seite verlassen w i r damit den von uns selbst gezogenen Rahmen, welcher uns darauf beschränken soll, Funktionen und Strukturen dessen aufzuhellen, was man unter auswärtiger staatlicher K u l t u r p o l i t i k sensu proprio versteht. Der Begriff „auswärtig" ist ja nur als Korrelat zu einem „inneren" Bereich sinnvoll, der internationalen Organisationen fehlt (sieht man von dem Verwaltungsstab ab). Auch verlangen internationale Regierungsorganisationen, wie beispielsweise die UNESCO, das hervorragendste Beispiel dieser A r t , monographische Untersuchungen, ebenso wie die unser Thema ebenfalls stark berührende K u l t u r arbeit des Europarats. W i r werden aber i n unserem Zusammenhang doch einige Gesichtspunkte behandeln dürfen, die für die auswärtige K u l t u r politik i m engeren Sinne von besonderer Bedeutung erscheinen, sie vielleicht auch deutlicher i n ihren Begrenztheiten hervortreten lassen. Das Problem stellt sich analog zu demjenigen der auswärtigen Politik i n ihrem Verhältnis zur UNO. 1. Die UNESCO Versucht man sich über die „United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization" (UNESCO), eine der 12 fachlichen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen, zu orientieren, so fällt zunächst auf, wie wenig Literatur es über diese Institution gibt, die selbst publikationsfreudig ist 1 . Sieht man von den von der UNESCO selbst publizierten Informationsbroschüren über ihre Arbeit ab, die meist nur we1
E i n Verzeichnis der 1964 verfügbaren Publikationen enthält 267 Titel, darunter 8 Periodika. Darüber hinaus gibt es noch eine große Anzahl von Veröffentlichungen, die v o n der UNESCO unterstützt worden sind.
1. Die UNESCO
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nige Seiten umfassen, so lassen sich etwa ein knappes Dutzend Monographien nennen 2 . Von soziologischer Seite hat man diese Institution, die sich selbst u m die soziologische Forschung besondere Verdienste erworben hat, noch nicht monographisch behandelt. Ist es für den Außenstehenden sehr schwierig, ohne eingehende und längere Studien ein richtiges B i l d von der Arbeitsweise (d.h. von den faktischen soziologischen Abläufen, nicht den formellen Verfahrensprozeduren), den Strukturwandlungen, Schwergewichtsverschiebungen, Leistungen und Versäumnissen dieser Mammutorganisation zu gewinnen, so werden w i r doch, ohne auf die vielfältigen Einzelvorhaben einzugehen, folgende Aspekte für unser Thema festhalten dürfen: Die UNESCO hat die Bedeutung unseres Forschungsgebiets, nämlich der internationalen Kulturarbeit, i n dem Bewußtsein der Öffentlichkeit entschieden gehoben. Wie man auch immer Erziehung, Wissenschaft und K u l t u r voneinander abgrenzen und i n ihrer jeweiligen Bedeutung betonen mag 3 — die UNESCO selbst sieht diese Abgrenzung als problematisch an —, so ist doch schon die Tatsache, daß eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen m i t 113 Mitgliedstaaten (1964), einem ordentlichen Budget von über 46 Millionen Dollar (1965—1966), wozu noch 30 Millionen Dollar eines Spezialfonds zur Entwicklungshilfe 4 und über 16 Millionen sonstige M i t t e l („Assistence technique") kommen 5 , sich internationalen kulturellen Aufgaben speziell widmet, ein bedeutender meinungsbildender Faktor; er könnte allen denjenigen zu denken geben, die kulturelle Aufgaben als nebensächlich ansehen. Auch ein Stab von etwa 500 internationalen Beamten, 700 Angehörigen der Bürodienste 2 Mehr konnten uns auch i n der Bibliothek der UNESCO selbst nicht angegeben werden. W i r führen als die wichtigsten auf: Julian Huxley : UNESCO, its purpose and its philosophy, Washington 1947, w o r i n der erste Generalsekretär der UNESCO seine freilich sehr persönlich gefärbte Auffassung von der zugrunde liegenden Doktrin der Organisation zum Ausdruck bringt; Heinrich Kipp: UNESCO, Recht, sittliche Grundlage, Aufgabe. München 1957; Walter H. C. Laves und Charles A. Thomson: UNESCO, purpose, progress, prospects, Indiana Univ.press 1957; George N. Shuster: UNESCO: assessment and promise, New York 1963. I n letzter Zeit hat besonders das Buch von Jean Thomas: UNESCO, Paris 1962, Beachtung gefunden, eines ehemaligen stellvertretenden Generaldirektors der Organisation. 3 „Ich habe gute persönliche Gründe zu bestätigen, daß i n den Augen der Urheber das Hauptverdienst dieser Anordnung darin bestand, daß sie die Reihenfolge der Buchstaben i m abgekürzten Namen der Organisation befolgte" (der Generalsekretär der UNESCO, René Maheu, i n einem Interview m i t der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 1.2.1964). 4 „Ce fonds, dont la création a été autorisé par PAssemblé-générale des Nations Unies en 1958, est u n nouvel élément de l'appareil international d'assistance au progrès économique des pays insuffisamment développés." (Qu'est-ce que l'UNESCO? Documentation sur PUNESCO-1, Troisième édition 1963, S. 10, wo sich auch die Angabe des ordentlichen Budgets findet. 5 I m Budget für 1965/66 werden 50,1% ordentlichen M i t t e l n 49,9% aus außerordentlichen Fonds gegenüberstehen, deren Verwendung von anderen Organismen abhängt — ein für die UNESCO als Organisation nicht ganz harmloser Tatbestand!
256 9- Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisationen und des technischen Personals, und von Hunderten vorübergehend für besondere Aufgaben eingestellten Experten hat gewiß sein Eigengewicht, wenn er auch häufig zu K r i t i k als Anwendungsfall von „Parkinson's l a w " herausfordert. Nach der Satzung der UNESCO t r i t t alle zwei Jahre die Generalkonferenz zu einer ordentlichen Sitzung zusammen, eine Vollversammlung, für welche die Regierungen der Mitgliedstaaten bis zu 5 Vertreter benennen können und auf welcher jeder Mitgliedstaat über eine Stimme verfügt. Die bisherigen 13 Generalkonferenzen, zwischen welche sich noch mindestens zwei Sitzungen des „Exekutivrates" jährlich schieben 6 , haben einer bedeutenden Anzahl führender Persönlichkeiten aus der Ministerialbürokratie und dem außerbehördlichen kulturellen Leben praktische Fragen der internationalen Kulturarbeit nahegebracht. Wenn sich bei den Generalkonferenzen auch durchaus nicht immer einhellige Meinungen ergaben, so fand doch ein ständiger kulturpolitischer Erfahrungsaustausch auf hoher Ebene statt, eine ständige Demonstration dafür, welche erhebliche, auch i n ihren politischen Implikationen bedeutsame Rolle der internationalen K u l t u r p o l i t i k zukommt. Diese Interdependenz w i r d gerade dann am stärksten einleuchten, wenn die kulturpolitischen Auffassungen leidenschaftlich aufeinanderprallen und materielle und nationale Interessen der Beteiligten sich dabei weitgehend decouvrieren. Dennoch gelang es bisher immer, eine gemeinsame Linie zu finden, ohne daß die Öffentlichkeit i n diesem oder jenem Lande revoltierte. Die Intensität der Zusammenarbeit der Regierungsvertreter, auf der ja i m Unterschied zu dem Vorläufer der UNESCO, der auf A n regimg des Völkerbundes ins Leben gerufenen „Commission internationale de coopération intellectuelle" 7 die Arbeit der UNESCO beruht, w i r d auch dadurch illustriert, daß zusätzlich zu den Generalkonferenzen und den Sitzungen des Exekutivrats i m Zeitraum 1962/63 22 weitere internationale Regierungskonferenzen der UNESCO stattgefunden haben. Die Nationalkommissionen der UNESCO, zu deren Bildung die M i t gliedstaaten aufgefordert sind, haben zwar die anfängliche Hoffnung der Pariser Zentrale, sie könnten diese Fachorganisation der Vereinten Nationen i n den verschiedenen Ländern „populär" und zu einem ge6 Der E x e k u t i v r a t besteht aus 30 v o n der Generalkonferenz zu wählenden Mitgliedern. Die USA, die Sowjetunion, Großbritannien u n d Frankreich sind ständige Mitglieder! 7 Diese 1921 gebildete Kommission f ü r internationale geistige Zusammenarbeit, die n u r anregende u n d beratende Funktionen erfüllen sollte, u n d der zunächst 12 dann 15 hervorragende Persönlichkeiten des k u l t u r e l l e n Lebens angehörten (u. a. H e n r i Bergson , Marie Curie, A l b e r t Einstein) berief ihre Mitglieder nicht als Vertreter der Regierungen u n d verfügte auch über keinen Verwaltungsapparat. A u f G r u n d eines Angebots der französischen Regierung k a m es 1926 zur Errichtung des „Instituts f ü r geistige Zusammenarbeit", dessen Nachlaß später die UNESCO antrat.
1. Die UNESCO
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wichtigen geistigen Faktor machen, insgesamt enttäuscht. Es kann erwartet werden, daß Meinungsumfragen über die UNESCO einen sehr geringen diesbezüglichen Wissenstand und ein geringes Vertrauen i n ihre Leistungsfähigkeit verraten würden. Die Kommissionen erfüllen aber andererseits nicht nur ihre Aufgabe, die jeweiligen Regierungen i n allen UNESCO-Fragen zu beraten und an der Ausführung spezifischer Programme mitzuwirken, i n vielen Ländern zur Zufriedenheit, sondern sie wirken auch, was hier wichtiger scheint, dank ihrer Zusammensetzung 8 als ein Kommunikationssystem zu den maßgebenden kulturellen Institutionen i n den jeweiligen Ländern. Hierdurch orientieren sie i n Frage kommende nationale Stellen laufend über UNESCOPläne und Möglichkeiten und geben andererseits auch Anliegen und Anregungen an das Generalsekretariat i n Paris weiter. Sie tragen dazu bei, Fremdheitsgefühle und Scheu vor einer undurchsichtigen internationalen Mammutbehörde zu überwinden. „Stimuler, aider, organiser la collaboration des spécialistes sur le plan international dans les domaines de sa compétence demeure la première tâche de l'UNESCO 9 ." Dies findet bereits rein äußerlich seinen Ausdruck darin, daß die UNESCO m i t rund 400 nichtstaatlichen Organisationen des kulturellen Sektors ständig zusammenarbeitet, von denen etwa 150 beratende Funktionen ausüben. Nicht weniger als 385 regionale oder internationale Konferenzen von Spezialisten haben entweder auf Initiative und unter der Verantwortung der UNESCO i m Berichtszeitraum 1962/63 stattgefunden, oder doch zumindest m i t ihrer Hilfe und unter ihrer Schirmherrschaft. Wenn auch solche Expertentreffen meist i n der weiteren Öffentlichkeit wenig Beachtung finden und ihre Ergebnisse sich summarischer Beurteilung entziehen, so w i r d dadurch doch ein wichtiger Beitrag sowohl zur Herausbildung einer A r t von „planetarischer Solidarität" der Künste und Wissenschaften, als auch zur Festigung der kulturellen Beziehungen zwischen den einzelnen Nationen geleistet, wozu w i r auf das i m vorigen Kapitel 8 Gesagte zurückverweisen dürfen. M i t Recht drängen Generalkonferenz und Exekutivrat freilich auf eine Verringerung der hohen Anzahl von Konferenzen und Treffen sowie auf ihre bessere Koordinierung und Vorbereitung. W i r erwarten jetzt den Einwand: Ist dies alles notwendig? Muß auch auf kulturellem Gebiet alles organisiert und zentralisiert werden? Eine A n t w o r t darauf kann zunächst sein, daß die i n den letzten hundert 8
Von den r u n d 90 Mitgliedern der hier als Beispiel herangezogenen Deutschen UNESCO-Kommission werden bis zu 50 auf Vorschlag von Körperschaften aus dem Bereich der Wissenschaft, der Kunst, der Erziehung, der Volksbildung und der Publizistik gewählt. Bundesregierung u n d K u l t u s ministerien der Länder sind ex officio vertreten. 9 „Evaluation des activités de l'UNESCO (1962—63) et perspectives d'aven i r " (UNESCO-Arbeitsunterlage 13C/4 v o m 14. September 1964 f ü r die 13. Generalkonferenz, S. 2). 17
Emge
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9 Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisation
Jahren von den anwachsenden Nationalismen und ebenfalls anwachsenden Bürokratien erbauten Barrieren viele früher übliche Formen des kulturellen Gedankenaustauschs, den „Commerz der Geister" erschwert, ja teilweise unmöglich gemacht haben. Selbst während der Napoleonischen Kriege m i t England konnten britische Wissenschaftler noch nach Paris kommen, ohne behindert zu werden. Daher hat also die UNESCO eine große Bedeutung als Austauschzentrum der verschiedenen nationalen und regionalen kulturellen Werte, Kräfte und Initiativen gewinnen können und sie ist schon deshalb aus dem Bilde unserer Z i vilisation nicht mehr fortzudenken. Ferner ist zu bedenken, daß, was zuerst Jakob Burckhardt aufgefallen ist, Wissensaneignung heute als ein „Recht" betrachtet und gefordert wird, als ein „Grundrecht", welches übrigens gerade i n den Publikationen und Programmen der UNESCO immer wieder zitiert wird. Schon i n ihrer Präambel heißt es, die Signatarstaaten seien „résolus à assurer à tous le plein et égal accès à l'éducation". Hierzu bedarf es großer organisatorischer Apparaturen. Kommen w i r jetzt zu dem inhaltlichen Kern der UNESCO-Arbeit, so zeigt sich: Er ist immer eindeutiger das Erziehungswesen i m weitesten Sinne geworden 10 . Ist es unmöglich, hier auf Einzelprojekte einzugehen, so w i r d man doch hoffen können, daß sich damit ein großer Kreis zu schließen beginnt, daß die UNESCO, soweit man es ihr entsprechend dem Wunsch ihres Generaldirektors und vieler Verantwortlicher gestattet, i n gewisser Weise zu ihrem Ursprung und zu ihrer umfassenden Aufgabe zurückfindet. Diese Aufgabe ist deutlich i m ersten A r t i k e l („Buts et fonctions") der Konvention zur Gründung der UNESCO festgelegt, und lautet i m Absatz 1: „L'Organisation se propose de contribuer au maintien de la paix et de la sécurité en resserrant, par l'éducation, la science et la culture, la collaboration entre nations, afin d'ssurer le respect universel de la justice, de la loi, des droits de l'homme et des libertés fondamentales pour t o u s . . . " Hinter dieser üblichen, an zahlreiche andere Präambeln erinnernden Phraseologie standen doch — trotz ihrer bekannten Unklarheit i m einzelnen — Uberzeugungskraft und der moralische Anspruch, die durch den zweiten Weltkrieg erschütterten Prinzipien einer zunächst freilich abendländischen, aus Christentum und Humanismus gespeisten, m i t den politischen Ideen von 1789 verwobenen Ethik wiederherzustellen. Hierzu gehört beispielsweise die Erziehung zur Rassentoleranz, welche die UNESCO anfänglich m i t besonderem Eifer betrieb. Aber immer stärker traten dann i n den fünfziger Jahren die „technischen" Fragen, vor allem solche der Erziehungsplanung, i n den Vordergrund, immer stärker die 10
Die Generalkonferenz von 1960 hat i n ihrer Resolution 8. 62 sogar expressis verbis der Erziehung, „considéré sous toutes ses formes et à tous ses niveaux", generelle Priorität zuerkannt.
1. Die UNESCO
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Ausrichtung auf die „unterentwickelten Länder", der Kampf gegen den Analphabetismus. Es ist ein historisches Verdienst der UNESCO, früh und immer wieder darauf hingewiesen zu haben, daß Entwicklungshilfe ohne Bildungshilfe sinnlos ist. Doch immer weniger erschien die Überm i t t l u n g eines Bildungsinhalts vordringlich, gegenüber dem Technischen, dem Werkzeug, der Kommunikation. Manche Mitarbeiter verfielen offenbar, bewußt oder unbewußt, dem Irrtum, welchen schon Jahrtausende vor ihnen Sokrates beging, nämlich zu glauben, daß sich aus der Übermittlung von Wissensstoff auch die Ethik gewissermaßen von selbst ergäbe. Ein etwas flacher Fortschrittsglaube begann sich auszubreiten. Man vergaß, daß der überwiegende Teil allen Schrifttums besser ungeschrieben bliebe, wozu man nicht erst an extreme Fälle wie Hetzschriften der verschiedensten A r t zu denken hat, welche die Völker-, Klassen- und Rassenverständigung stören, ja vernichten. Man glaubte und glaubt vielfach noch, daß eine intensive Verbesserung aller möglichen Massenkommunikationsmittel an sich bereits „Fortschritt" wäre 1 1 , ohne zu überlegen, was inhaltlich auf diesen Wegen alles propagiert werden kann. I n totalitären Staaten beispielsweise erscheinen aber, vom Standpunkt humanitärer Tradition aus betrachtet, Massenkommunikationsmittel eher von Übel, da sie den Totalitarismus und das technische Funktionieren seiner Maschinerie überhaupt erst ermöglichen (von exogener konterkarrierender Aufklärung abgesehen.) Es scheint, daß jetzt führende UNESCO-Beamte die Gefahren dieses einseitigen Perfektionierungsstrebens erkannt haben. Erstens ist das Bildungswesen sowieso ein integraler Bestandteil der jeweiligen Sozialstruktur, und ein improportionales Forcieren dieses bisher allzusehr vernachlässigten Sektors erscheint ebenso problematisch, wie sein Nachhinken für den ökonomischen Prozeß hinderlich ist 1 2 . Daß Schreiben und Lesen allein auch politisch keinen Segen bringt, sondern oft eher schadet, wenn die betreffende Gemeinschaft keine Verwendung dafür hat, und wenn ein halbgebildetes Proletariertum dann auf Propagandamaterial hereinfällt, dürfte inzwischen immer mehr eingesehen wer11
W i r erwähnten bereits den Vorschlag der UNESCO, Anstrengungen zu unternehmen, damit jedes L a n d der Welt mindestens über das i m folgenden genannte M i n i m u m an Informationsmitteln je hundert Einwohner verfügen könne: 10 Exemplare von Tageszeitungen, 5 Rundfunkempfänger, 2 Kinoplätze, 2 Fernsehgeräte. 12 Es stellt sich zudem die Frage, wieweit er separat überhaupt zu realisieren ist, worauf u . a . Ernst E. Bosch i n kritischen Überlegungen zur W e l t kampagne zur Bekämpfung des Analphabetismus hingewiesen hat: Das Fernziel des Lernens muß seinem Sinn nach verständlich u n d reizvoll sein, damit der Lernende die Mühe auf sich n i m m t , oder die Eltern die K i n d e r zu den Arbeiten zwingen. (Vgl. Neue Zürcher Zeitung v o m 9. Okt. 1963, B l a t t 7, w o übrigens auch der Gedanke der organischen Einbettung des Bildungswesens i n die Sozialstruktur hervorgehoben w i r d : „So gesehen ist die Alphabetisierung eine ganz bestimmte Phase eines Community-development-Programms.") 17*
260 9 Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisationen den. Der Ausbildungsprozeß ist also stets auf die allgemeine Entwicklung des Gemeinwesens abzustimmen. Ferner: Es geht generell nicht nur um Wissensaneignung, sondern auch um „Bildung", ein ja den älteren Nationen recht vertrautes Problem. Es ist daher sehr zu begrüßen, wenn der Generaldirektor der UNESCO, René Maheu, erklärt: „S'agissant de l'aide au développement son rôle (gemeint ist die Rolle der UNESCO, d. V.) n'est pas de se transformer en un simple agent d'exécution de cette aide. I l est, au contraire, de transformer cette aide en intégrant son contenu opérationnel à une pensée scientifique et éthique, inspirée par des préoccupations humanistes 13 ." Und i n dem bereits einmal zitierten Dokument 13 C/4 vom 14. September 1964 heißt es: „ L a vocation de l'UNESCO est essentiellement éthique. Son but, l'Acte constitutif le marque avec force, est d'agir sur les esprits ... Les progrès de l'éducation, de la science et de la culture ne sont pas pour elle des fins en soi" (Abschnitt 69). Das i m Jahre 1963 i n Paris gegründete „Institut internationale de planification de l'éducation" w i r d diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit zu schenken haben, w i l l es sich nicht m i t der Rolle eines großen Elektronengehirns begnügen. Von dem Erfolg dieser humanitären Aufgabe hängt letztlich auch die Beantwortung der Frage ab, ob die UNESCO ihre satzungsgemäße Pflicht erfüllt, der Völkerverständigung zu dienen. Hiermit münden w i r auch wieder i n unser Generalthema ein: Erleichtert zwar gewiß der Kampf gegen den Analphabetismus den „Absatz" auswärtiger K u l t u r politik, indem die Aufnahmefähigkeit für Broschüren, Buchausstellungen usw. anwächst, so w i r d doch alles i n Frage gestellt, wenn eine Halbbildungsstufe nicht überschritten wird, die nach aller Erfahrimg leicht zu Krieg und Genocid führt. I n Deutschland jedenfalls sollten w i r auf Grund unserer Erfahrungen von der Vorstellung frei sein, Fortschritte des Wissens müßten zu Fortschritten der Humanität i n einer positiven Korrelation stehen. Vom Standpunkt der politischen Soziologie ist schließlich hinzuzufügen: Die Einsichten führender UNESCO-Funktionäre und einsichtiger Mitglieder der Generalversammlung und des Exekutivrats vermögen nicht alles. A u f längere Sicht entscheiden auch hier die Abstimmungs-, genauer: die Machtverhältnisse i m Völkerkonzert, zu denen die früher behandelte Weltöffentlichkeit, spontan oder manipuliert reagierend, beiträgt. I n der Generalkonferenz der UNESCO hat jedes Land nur eine Stimme, wobei angemerkt werden muß, daß fast die Hälfte der 113 M i t gliedstaaten des Jahres 1964 bei der Gründung der UNESCO noch nicht existiert hat. I m Exekutivrat ist über die Hälfte der Mitgliedstaaten 13 UNESCO: Projet de Programme et de Budget pour 1965—66, Introduction, Abs. 30.
1. Die UNESCO
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an Entwicklungshilfe interessiert. I m Generalsekretariat, wo bisher die französischen 14 und — allerdings schwächer — britischen 15 Einflüsse am stärksten scheinen, w i r d gegenwärtig das Drängen des afrikanischen Blocks, der sich zu Arbeitsgruppen und gemeinsamen Aktionen zusammenschließt, zunehmend gespürt. Hat ein i m Jahre 1956 beschlossenes, großangelegtes Projekt zur Förderung der „gegenseitigen Hochschätzung kultureller Werte i n Orient und Okzident" bereits Früchte getragen, so dürfte vor allem eines der drei neuen, vom Generaldirektor 1964 vorgeschlagenen Studienvorhaben auch für die Verständigung m i t den afrikanischen Völkern besonders wichtig werden: „Les Problèms auxquels ont à faire face les nations ayant récemment accédé à l'indépendance 16 ." Dies muß als ein sowohl für die Hilfeleistung für die betreffenden Nationen, als auch für deren sachliche Selbsteinschätzung grundlegendes, schließlich auch als ein für die UNESCO selbst sehr genuines Forschungsobjekt angesehen werden. Demgegenüber könnte man sich z.B. die sehr kostspieligen Studien über die „Trockenzonen" (zones arides) ebensogut von der „Food-andAgriculture-Organization" der UNO i n Rom betreut denken. W i r sehen eine gewisse Gefahr für die UNESCO darin, daß sie nicht zuletzt i m einseitigen und etwas vordergründigen Interesse der Entwicklungsländer, welches auf das schlechte Gewissen der Abendländer 14 „Si nous possédons u n avantage, i l tiendrait d'une part au fait que la culture française a toujours été marquée par une tendance à l'universalité, q u ' i l existe en France une tradition séculaire de générosité, de libéralité dans l'ordre de la pensée, q u i sont bien dans l'esprit de la future organisation; d'autre part que toutes les branches, toutes les formes de la civilisation h u maine . . . s'y sont toujours développées de pair et en liaison réciproque", erklärte Léon B l u m auf der „Conférence en vue de la création d'une Organisation des Nations Unies pour l'éducation, la science et la culture", London, J u n i 1946, i n seinem Plädoyer f ü r Paris als Sitz des Generalsekretariats (zit. bei Jean Thomas, 1. c., S. 14. Thomas fährt dann auf S. 20 fort: „ D u fait qu'elle y a son siège, UNESCO contribue sans aucune doute à conserver à Paris sa place de métropole intellectuelle d u monde"). Auch der Quai d'Orsay hat die Bedeutung der UNESCO sowohl als solcher, als auch für die K o m m u n i k a t i o n u n d Tradition französischer K u l t u r w e r t e , z. B. über die Erziehungshilfe i n Afrika, i n vollem Umfang erkannt. 15 „Der B r i t i s h Council w a r es, der i m Jahre 1942 nach Beratung m i t dem Foreign Office die Einberufung einer Konferenz der alliierten Erziehungsminister vorschlug, die zu einer ständigen Einrichtung i m Verlauf des zweiten Weltkriegs wurde, aus deren Bemühungen dann schließlich die UNESCO entstand" (Heinrich Kipp, I.e., S.23); denn „poursuivant cette collaboration d u temps de guèrre, les gouvernements d u Royaume-Uni et de la France convoquèrent à Londres, en novembre 1945, une réunion q u i groupait des représentants de 44 pays et au cours de laquelle fut rédigé l'Acte constitutif de l'UNESCO." (Qu'est-ce que l'UNESCO?, S. 8). 16 Die beiden anderen neu angeregten Studienthemen sind „ l a dénonciat i o n des préjugés raciaux" u n d die „analyse prospective des conséquences économiques et sociales d'un désarmement éventuel". Bei letzterem Thema erhebt sich freilich nicht n u r die Frage nach einem utopischen oder progressiven Bewußtsein, sondern auch diejenige danach, wie die psychologischen Auswirkungen eventueller Ergebnisse sein würden!
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9 Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisation
wegen der Sünden des Kolonialzeitalters trifft, sowie aus der Sorge heraus, bestimmte Gelder könnten anderen Stellen zufließen, technische Mammutprogramme i n Angriff nimmt, die ihre Kräfte verschlingen. W i r halten demgegenüber dafür, daß Hilfen für die geistige Orientierung der heterogenen und scharf konkurrierenden Menschheitsgruppen, die Verstärkung einer „Infrastruktur" für die geistige Zusammenarbeit und den Kulturaustausch z. B. durch genügende Unterstützung der jeweiligen internationalen Fachorganisationen, die Ergründung ihrer Behinderungen, z.B. durch falsche Stereotype und Xenophobien, die diskrete Arbeit an gewissen „Leitbildern" und an ihrer Verwirklichung auf die Dauer wichtiger sind, als das Brillieren m i t Leistungsziffern technischer A r t und m i t Großprojekten. Auch wenn die UNESCO selbst die Bedeutung der „philosophischen" Orientierung ihrer Arbeit durchaus sieht und betont, so w i r d man immerhin am Rande notieren dürfen, daß der A n t e i l der für die „Sciences sociales, sciences humaines et activités culturelles" bestimmten Haushaltsmittel i n den letzten drei Haushaltsperioden ständig verringert wurde 1 7 . Wenn es auch viele Kenner der UNESCO-Arbeit begrüßen, daß die Großorganisation, welche unter ihrem Personal auf Grund des allerdings nicht i n jeder Hinsicht gleichmäßig durchgeführten nationalen Proporzsystems auch unnütze Funktionäre mitschleppt, i n der Erziehungshilfe für Entwicklungsländer eine konkrete und kompakte Aufgabe gefunden hat, so besteht doch immer die Gefahr technokratischer Einseitigkeit. Wenn es nicht gelingt, die Vorurteile diesseits und jenseits der verschiedenen sichtbaren und unsichtbaren Barrikaden i n zäher Arbeit über die Dekaden hinweg abzubauen, so erscheint auch i n diesem Rahmen jeder technische Fortschritt ambivalent. 2. Der Europarat Ist die UNESCO der organisatorische Ausdruck einer weltweiten k u l turellen Zusammenarbeit, so ist die Kulturarbeit des Europarats 18 die 17
1961/62 29 °/o 1963/64 27,8 °/o 1965/66 25,8 °/o. Das Budget f ü r die „Sciences exactes et naturelles" stieg i m gleichen Zeitr a u m von 16,7% auf 21,9% (vgl.: Project de Programme et de Budget pour 1965—66, Introduction, Absatz 69.). 18 Folgende Quellen sind u.a. zugänglich: Le Conseil de l'Europe, Petit Manuel d u Conseil de l'Europe, Straßburg, laufende Neuauflagen. Council of Europe: Cultural and Scientific Co-operation i n Europe, I : Council for Cultur a l Co-operation, I I : Cultural Fund, Straßburg 1962 (Resolutionen u n d Statuten). Die „rapports annuels" des Conseil de la Cooperation Culturelle et Fonds Culturel d u Conseil de l'Europe, die alljährlich dem Ministerrat des Europarats vorgelegt werden. Das „ I n f o r m a t i o n B u l l e t i n " des CCC.
2. Der Europarat
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entsprechende Manifestation einer multilateralen Kooperation i m regionalen Rahmen. Der 1949 ins Leben gerufene Europarat, dem heute 17 Staaten angehören, verdankt einer Zeit sein Entstehen, welche sich unmittelbar nach der Erschütterung der nach dem ersten Weltkrieg geschaffenen Staatenordnung darum bemühte, neue und i n die Zukunft weisende Formen zu entwickeln. Es war eine Zeit, i n welcher in vielen Ländern Europas, zumal i n Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Italien und den Beneluxländern ein militanter Elan, nicht zuletzt bei der Jugend, für gesamteuropäische, ja übernationale Lösungen zu verzeichnen war (wir erinneren an die Aufrufe der europäischen Föderalisten, die Arbeit des Mouvement Européen, m i t einem Höhepunkt auf dem Haager Kongreß 1948). Ob und inwieweit der Europarat ein geeignetes politisches Instrument zur Förderung solcher Pläne darstellen konnte, fällt nicht i n unsere Kompetenz zu untersuchen. Doch registrieren wir, daß die K u l turarbeit des Europarats in den ersten 10 Jahren seines Bestehens deutlich ein Mittel dafür darstellte, dem europäischen Gedanken weiter zum Durchbruch zu verhelfen, oder i h m doch zumindest plastischen Ausdruck zu verleihen. Hierin waren auch Erfolge zu verzeichnen, obwohl man insofern gegen den Strom schwamm, als der populäre Enthusiasmus der letzten vierziger und frühen fünfziger Jahre für die Einigung Europas seitdem merklich abgeklungen ist. Die Zeit, i n der die Jugend mehrerer Länder sich zum Niederreißen von Zollschranken in symbolischer A k t i o n zusammenfand, scheint vorüber. Ein gutes und perennierendes Beispiel für jene erste Zielsetzung des Europarats sind aber bis heute jene von i h m organisierten repräsentativen Ausstellungen geblieben, in denen das gemeinsame kulturelle Erbe Europas, die vielfältigen zwischen den einzelnen Nationen gewebten Fäden, die zahllosen wechselseitigen Beeinflussungen, insbesondere Befruchtungen deutlich gemacht werden sollten und auch m i t Erfolg demonstriert wurden und noch werden (z. B. l'Europe humaniste 1954, Triomphe du maniérisme 1955, Dixseptième siècle européen, réalisme, classicisme et baroque 1956, siècle du Rococo 1958, Mouvement romantique 1959, u m nur einige Ausstellungstitel zu nennen. Die 10. Ausstellung dieser A r t , 1965 i n Aachen, war dem Reich Karls des Großen gewidmet.). Wilhelm Wundt hat als „Heterogonie der Zwecke" die Erfahrungstatsache formuliert, daß sich jede ursprüngliche Zwecksetzung einer geschichtlichen Aktion nach A r t , Richtung und Stärke verändert. So sehen w i r ebenso wie bei der UNESCO, die sich immer stärker zu einem Instrument der Erziehungs- und Entwicklungshilfe formt, auch beim Europarat Wandlungen, eine erste Etappe seiner Kulturarbeit mit den fünfziger Jahren zu Ende gehen und neuen Inhalten und Formen weichen. Die ersten Jahre dienten, wie gesagt, überwiegend der zielbewußten
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9 Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisation
Förderung eines „europäischen Bewußtseins". I m Dezember 1954 unterzeichnete man ein „Europäisches Kulturabkommen", welches statt einer Vielzahl von zweiseitigen Abkommen das Ziel verfolgte, bei den Bürgern der Mitgliedstaaten Verständnis für die Sprache, die Geschichte und die K u l t u r der anderen Länder zu pflegen. Auch Nichtmitglieder des Rates konnten aufgefordert werden, der Konvention beizutreten, eine Übung, welche übrigens auch für andere Europaratsabkommen gilt. Ein Wandel vollzog sich 1958/59, als man mit der Übernahme der kulturellen Aufgaben der Westeuropäischen Union (WEU) und mit der Errichtung eines Kulturfonds 1 9 erkannte, neue Plattformen erarbeiten zu müssen, wollte man nicht auf ein Nebengeleise abgeschoben werden. I m Grunde zog man damit nur das richtige Fazit aus den politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen der ersten Jahre auch auf kulturellem Gebiet. Man weiß, daß der Europarat keinen supranationalen Charakter anstrebt, und daß er gegenüber den gemeinsamen Institutionen der sechs EWG-Länder politisch ins Hintertreffen geraten ist. Aber er bleibt doch mit seiner beratenden Versammlung von Vertretern der nationalen Parlamente das erste internationale parlamentarische Forum i n der Geschichte, mögen seine Kompetenzen auch noch so beschränkt sein, da es sich, wie der Name schon sagt, nur um eine beratende Körperschaft ohne gesetzgeberische Befugnisse handelt. So können hier Ansichten zum Ausdruck kommen, denen man zwar nur panegyrisch den Namen „europäische öffentliche Meinung" beilegen kann, die aber doch anzeigen, wie parlamentarische Gruppen der beteiligten europäischen Staaten zu einzelnen Fragen stehen. Gegenüber einer Solidarität der nationalen Vertreter lassen sich schon parteipolitische Gruppierungen über die Grenzen hinweg i n Ansätzen aufzeigen. Und i n einem besonderen parlamentarischen „Cultural and Scientific Committee" w i r d versucht, gemeinsame Haltungen auch hinsichtlich kultureller Fragen zu erarbeiten und bestimmte kulturpolitische Anliegen zu lancieren. 19 Dieser 1959 errichtete Fonds, der auch befugt ist, von außergouvernementalen Stellen Gelder anzunehmen, hat freilich noch einen sehr bescheidenen Umfang. F ü r 1963 w u r d e n seitens der Mitgliedstaaten ca. 1,8 M i l l i o n e n Francs zur Verfügung gestellt. Selbst w e n n man berücksichtigt, daß die Gastländer, i n denen Veranstaltungen des Europarats stattfinden, dabei anfallende Kosten überwiegend bestreiten, ist h i e r m i t w i r k l i c h Großes nicht zu leisten. Erinnern w i r uns zum Vergleich daran, daß die 1913 errichtete Rockefeiler Foundation aus einem Vermögen von 318 M i l l i o n e n Dollar ein jährliches E i n kommen v o n 17,5 M i l l i o n e n bezieht, die 1936 gegründete Ford Foundation gar durch ein Vermögen von 520 M i l l i o n e n Dollar ein Einkommen von 48 M i l l i o n e n Dollar jährlich besitzt (vgl. Bruno E. Werner: Maecenas i n USA, i n : Jahresr i n g 57/59, Jahrbuch des Kulturkreises i m Bundesverband der Deutschen I n dustrie, Stuttgart 1957, S. 299). M a n ersieht hieraus, daß die Ford Foundation jährlich ein größeres Einkommen hat, als das ordentliche Budget der UNESCO ausmacht.
2. Der Europarat
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I n unserer Zeit fortgeschrittener Spezialisierung auf den verschiedensten Gebieten und der daraus folgenden Unmöglichkeit für den einzelnen Politiker — wie für jeden einzelnen —, die ihn jeweils angehenden Dinge auch nur annähernd zu beherrschen oder zumindest zu erfassen, sind der Glaube an die Experten und die Abhängigkeit von ihnen notwendigerweise gewachsen. Man kennt so i m nationalen Rahmen die „Beiräte" bei den verschiedenen Ressorts der Regierungen. Entsprechend suchte auch der Europarat für bestimmte Gebiete die Mitarbeit von Experten, die er i n permanenten oder i n ad-hoc-Komitees zu Rate zieht. Als ein solches Komitee kann man zunächst auch den sog. „Council for Cultural Cooperation" (CCC) verstehen, der allerdings nebst seinen verschiedenen Unterkomitees ein besonderes Schwergewicht entwickelt hat und, obwohl er lediglich ein „comité de charactère technique" darstellt, doch gern die verpflichtende Funktion erfüllt, das internationale europäische Kulturgremium der Regierungen zu sein. Wir wollen uns nun zunächst kurz mit der organisatorischen Struktur dieses Rates befassen, der zum Mittelpunkt der gesamten Kulturarbeit des Europarats geworden ist. Der nach jahrelangem Experimentieren m i t einem Komitee von K u l t u r expert en mit Wirkung vom 1.1.1962 vom Ministerausschuß des Europarats nicht ganz ohne Bedenken ins Leben gerufene „Council for Cultural Cooperation", kurz CCC genannt, setzt sich folgendermaßen zusammen: Je zwei RegierungsVertreter der Mitgliedstaaten des Europarats, zu welchen noch Vertreter anderer, dem europäischen Kulturabkommen beigetretener Staaten kommen (Vatikan und Spanien); drei Mitglieder der beratenden Versammlung des Europarats (in der Regel der Vorsitzende und die stellvertretenden Vorsitzenden des K u l t u r - und Wissenschaftsausschusses); die Vorsitzenden der drei vom CCC eingerichteten ständigen Komitees für Erziehungsfragen, und schließlich zwei Vertreter der „European Cultural Foundation 2 0 ". Der CCC, welcher zweimal jährlich i n Plenarsitzungen tagt, hat folgende Aufgaben: ,,a) draw up, for submission to the Committees of Ministers, proposais concerning the cultural policy of the Council of Europe; b) co-ordinate and give effect to the overall cultural programme of the Council of Europe; and c) allocate the ressources of the Cultural Fund 2 1 ." 20 Es handelt sich hierbei u m eine private I n s t i t u t i o n m i t Sitz i n Amsterdam, die jedoch durch das intensive persönliche Engagement ihres Präsidenten Prinz Bernhard d. Niederlande einen offiziösen Anstrich erhalten hat. 21 Resolution (61)39, am 16. Dezember 1961 v o m Ministerrat des Europarats angenommen. Der Kulturfonds befindet sich also — strenggenommen — außerhalb der Jurisdiktion des Europarats, was der K u l t u r a r b e i t eine größere Bewegungsfreiheit gibt.
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9 Kap. : Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisationen
U m zur Erfüllung dieser Aufgaben i n der Lage zu sein, bedarf der Rat für kulturelle Zusammenarbeit, i n welchem meist die Leiter der Kulturabteilungen der Außenämter und ihre zuständigen Referenten sitzen, natürlich eines Verwaltungsapparats. Diese Aufgabe eines Unterbaus erfüllt die Erziehungs- und Kulturabteilung des Europarats („Direction de renseignement et des affaires culturelles et scientifiques"), welche sich i n folgende bezeichnende Unterabteilungen gliedert: Enseignement supérieure et recherche Enseignement général et technique, Education extra-scolaire, Affaires culturelles 22 , Affaires générales (Sekretariat des Rats und des Kulturfonds; pädagogische Dokumentation; Publikationen), wozu noch ein Referat für Film, Fernsehen und andere audiovisuelle Techniken kommt 2 3 . Den drei erstgenannten Unterabteilungen entsprechen drei ständige Sonderausschüsse des Rates. Hier sitzen die eigentlichen Experten, wenn auch wieder weitgehend i m ministerialen Gewände, d. h. w i r treffen hier z. B. Vertreter der Erziehungs- und Jugendministerien, i m Falle der Bundesrepublik auch die Vorsitzenden der entsprechenden Ausschüsse der Kultusministerkonferenz. Nach dieser zur Erhellung der Zusammenhänge leider unentbehrlichen Skizzierung des organisatorischen Gerüstes, welches noch insofern zu ergänzen wäre, als der Leiter der Kulturabteilung des Europarats i n Personalunion auch als ständiger Generalsekretär der regelmäßigen, wenn auch nicht institutionalisierten Konferenzen der europäischen Erziehungsminister fungiert 2 4 , ist für uns zu fragen: Was steckt faktisch an Inhalt i n dieser reichlich komplizierten Konstruktion? Welches ist ihre wirkliche Funktion? Dabei dürfen w i r vorausschicken, daß sich angesichts der geringen Möglichkeiten, die sich dem Europarat für eine Wirksamkeit auf politischem Terrain bieten, das Schwergewicht seines kulturellen Arbeitssektors zunehmend verstärkt hat, was — i n allerdings geringerem Maße — sonst nur von dem Aufgabenbereich gesagt werden kann, der sich m i t Menschenrechtsfragen befaßt. 22 Die Namensgebung ist unglücklich. Es handelt sich i m Grunde u m eine Residualkategorie nach Abzug verschiedener Domänen des Erziehungswesens i m engeren Sinne. 23 Es w u n d e r t nicht, daß sich hier die „widerspenstige W i r k l i c h k e i t " (Max Weber) i n der F o r m von Interessengruppen stärker bemerkbar macht. So heißt es i m Jahresbericht des CCC f ü r 1963 auf S. 10: „ E n ce q u i concerne la télévision, i l n'a pas encore été possible de parvenir a u n accord de coopération avec les intérêts commerciaux en cause." Die A r b e i t des Europarats bleibt also auf diesem Gebiet zunächst überwiegend theoretisch. 24 I m A p r i l 1964 fand die 4. Konferenz dieser A r t statt. Die Konferenzen führen zu Resolutionen, welche die A r b e i t des CCC i n p r a x i bereits w e i t gehend abstecken.
2. Der Europarat
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W i r haben eingangs davon gesprochen, daß man deutliche Etappen i m Verlauf der Kulturarbeit des Europarats unterscheiden kann, und daß sich die zweite Etappe von der ersten, nämlich derjenigen einer ausdrücklichen Propaganda für den europäischen Einigungsgedanken, deutlich unterscheide. Worin liegt nun das Neue, was die Arbeit seit dem Ende der fünfziger Jahre prägt? Das Neue ist der zunehmend technisch-instrumentale Charakter des Apparates, welcher seiner Aufgabe immer weniger darin sieht, selbst neue Projekte mit mehr oder weniger konstatierbarer Wirkung für das Zusammenwachsen der Europäischen Nationen auszudenken, der nicht mehr etwas mühsam danach strebt, eigene Lorbeeren zu pflücken oder für sich selbst neue Funktionen zu erfinden, sondern der gewillt ist, sich i n den Dienst vorhandener echter Bedürfnisse der einzelnen Länder zu stellen. Dieser Entwicklungsprozeß, der noch nicht abgeschlossen, aber i m Gange ist, vollzieht sich nicht ganz ohne Widerstände und auch nicht gradlinig. Aber es ist doch bereits so, daß die kulturellen Dienste des Europarats, mag ihr organisatorischer Aufbau für den Außenstehenden auch reichlich kompliziert erscheinen, mögen die verschiedenen Deklarationen auch verglichen mit dem zur Verfügung stehenden Potential noch anspruchsvoll wirken, doch bereits zentrale Funktionen erfüllen und für weitere bereitstehen. Sie sind nach ihrem anläßlich der Einrichtung des CCC erfolgten Ausbau hierfür ein brauchbarer organisatorischer Apparat, eine Clearing-Stelle, ein neutrales Parkett. Je mehr sinnvolle und konkrete Aufgaben von außen an den kulturellen Apparat in Straßburg auf den verschiedensten Wegen — dem parlamentarischen, dem ministeriellen oder von nationalen oder internationalen Fachgremien her — herangetragen werden, desto mehr gewinnen die Dienste des Europarats an Bedeutung. Ob er potentiell die Keimzelle einer gesamteuropäischen Kulturexekutive darstellt, was einige der Straßburger Funktionäre wohl glauben, vermögen w i r nicht zu beantworten. Überwiegend sehen sie aber die eigene Arbeit nüchterner. Innerhalb des kulturellen Aufgabenbereiches des Europarates dominieren also zunehmend die Erziehungsaufgaben, ganz entsprechend der Entwicklungstendenz, die w i r schon bei der UNESCO konstatieren konnten: „ L e Programme de coopération culturelle du Conseil de TEurope est done tout naturellement devenu, au premier chef, un Programme de coopération dans le domaine éducatif", formulierte man offiziell 25 . I n den drei Fachkomitees des Rates für kulturelle Zusammenarbeit, welche sich mit den verschiedenen Erziehungsdomänen befassen (Hochschulwesen und Forschung, allgemeinbildendes und Berufsschulwesen, außerschulische Erziehung und Erwachsenenbildung), sowie i n den korrespondierenden Unterabteilungen des permanenten Straß25
I m Jahresbericht des „Conseils de l a coopération culturelle" 1963, S. 7.
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9 Kap.: Beispiele kultureller Zusammenarbeit in internat. Organisation
burger Verwaltungsstabes sind die Aufgaben seit 1962 laufend angewachsen. Das Schwergewicht, welches die verschiedenen Erziehungsfragen auf dem Umweg über wirtschaftliche und militärische Anliegen sowohl national, als auch i n gemeinsamen Unternehmungen gewinnen, schlägt sich notwendigerweise auch i n Straßburg nieder. Äquivalenzprobleme auf den verschiedenen Gebieten und Ebenen 26 , Kommunikationsaufgaben zwischen den nationalen und internationalen Gremien (Kultusministerkonferenzen, OECE, UNESCO, Rektorenkonferenzen, pädagogischen Forschungsstellen usw.) nehmen wachsenden Raum ein. I n einer Zeit, welche auf immer neuen Gebieten an die Grenzen der nationalen Potenzen stößt, wächst die Notwendigkeit für institutionalisierte multilaterale Information und Kooperation 27 und konzentriert sich für Europa nicht zuletzt hier. Man systematisiert und konkretisiert, gibt Initialzündungen und kommt damit — zunehmend von den Erziehungsministern beeinflußt — aus dem bei der politischen Arbeit des Europarats bisweilen herrschenden K l i m a eines „Zauberbergs" zu den Realitäten. Hier können nationale Projekte, Techniken und Erfahrungen des einen Mitgliedstaates den anderen bekannt werden und nützen. Hier können Anhänger oder Gegner von Suprastrukturen, Verfechter föderalistischer Zukunftspläne oder Anhänger eines „Europe des patries" sich i n praktischer Kulturarbeit bewähren. Sie haben es darin gewiß leichter als die Parlamentarier, welche zu politischer Arbeit nach Straßburg kommen. Dabei ist freilich die Tendenz nicht zu übersehen, daß die vielfarbigen nationalen Traditionen unter dem Druck der weltpolitischen Verhältnisse auch hier dem allgemeinen Trend zur Organisation und Planifikation anheimfallen, daß ebenso wie national, so auch i n diesem internationalen Rahmen Kulturelles zunehmend programmiert wird.
20 Sie haben bereits i n den fünfziger Jahren zum Abschluß einer Reihe von multilateralen A b k o m m e n geführt, welche außer dem bereits angeführten K u l t u r a b k o m m e n von 1954 hier zu nennen wären: Konvention über die Anerkennung der Gleichwertigkeit v o n Reifezeugnissen, unterzeichnet 1953. Konvention über die gegenseitige Anerkennung von Studienzeiten, unterzeichnet 1956. Konvention über die gegenseitige Anerkennung v o n akademischen Graden, unterzeichnet 1959. 27 Siehe hierzu auch: N. Sombart: Internationale K u l t u r p o l i t i k statt Außenpolitik, Frankfurter Hefte 11/1963.
Zusammenfassung und Ausblick Zum Abschluß soll versucht werden, die Hauptgedankengänge und die uns am wichtigsten erscheinenden Arbeitsergebnisse knapp zusammenzufassen. Es ergaben sich dabei einige Thesen, die — bei aller Unvollkommenheit, ja vielleicht gerade deshalb — zu weiterer Diskussion und Forschung anregen mögen. 1. Ausgangspunkt war die Vermutung, daß eine wissenschaftliche Inangriffnahme des Gebietes der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k möglich sei. Einige Möglichkeiten hofft der Verfasser deutlich gemacht zu haben. Es bestehen fließende Grenzen zu der sog. „Public relations-Arbeit", die dadurch, daß sie auch von Nationen betrieben wird, nicht geringere Eignung als Forschungsgegenstand besitzt, als die entsprechende Arbeit etwa von „Verbänden". Die auswärtige Kulturarbeit erschöpft sich jedoch nicht darin, Teilgebiet der nationalen „Öffentlichkeitsarbeit" zu sein, sondern es bestehen nur Überschneidungen, auch wenn sich hinsichtlich der Durchführung vielfach ähnliche Problemstellungen ergeben. So sind die nationalen Auto- und Fremd-Stereotype, die m i t den Massenmedien zusammenhängenden Fragen, die sozialen Strukturen und die Wertskalen der Länder, i n denen man arbeiten w i l l , wissenschaftliche Forschungsthemen, ohne deren vorherige Erhellung man auf die Dauer nicht gut weiterkommt. Vor- und Nachteile verschiedener Organisationsund Kommunikationssysteme, die Vermeidung überflüssiger oder sogar dysfunktionaler Bürokratisierung auch i n unserem Bereich waren andere. W i l l man zu genaueren Ergebnissen kommen, so müssen auch hier mehrere Wissenschaften zusammenarbeiten, wie es auf verschiedenen Wissenschaftsgebieten zunehmend geschieht und sich z. B. auch auf dem Nachbargebiet der Bildungsforschung angebahnt hat. 2. Eine wissenschaftliche Durchdringung des Gegenstandes wurde aber nicht nur als möglich, sondern auch als notwendig bezeichnet. Unsere Untersuchung hat die Vermutung bestätigt, daß auswärtige K u l t u r politik i n fast allen Ländern immer noch ein an die traditionellen auswärtigen Dienste mehr oder weniger äußerlich und widerstrebend angehängter Aufgabenbereich ist, der i n seiner Dignität weder das Bewußtsein der übrigen Sparten der Außenpolitik genügend durchdringt, noch einen entsprechenden Status besitzt. Dabei stellt er gemeinsam mit der öffentlichkeits- und Pressearbeit i m Zeitalter der Massendemokra-
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Zusammenfassung und Ausblick
tien und -diktaturen nicht nur seinem inneren Gewicht, sondern auch seinem Arbeitsumfang nach einen Schwerpunkt dar. Diese innerliche Nichtanerkennung 1 führt dazu, daß m i t wenigen Ausnahmen weder die Apparaturen für auswärtige Kulturbeziehungen noch infolge der geistigen Reserven gegenüber solchen und anderen neuen Funktionsbereichen die diplomatischen Dienste als Ganze den Erfordernissen unserer Zeit voll angepaßt sind. U m m i t W i l l i a m F. Ogburn zu sprechen, zeigt sich hier ein „Cultural lag", welcher neben anderen Faktoren bewirkt, daß sich die Bedeutung der Diplomatie sowohl national, als auch international verringert, während sich neue Schwergewichte bei funktionstüchtigen Spezialorganisationen bilden. Die den ursprünglich zweckmäßigen Traditionen des Wiener Kongresses weiterhin verhaftete Diplomatie erfährt zwar gegenwärtig durch die „homines novi" der Entwicklungsländer eine Blutzufuhr (soziologisch vielleicht den jüngeren Nobilitierungen der Bourgeoisie vergleichbar), doch gewinnt sie dadurch nicht an Funktionskraft, sondern ist vielfach nur teures Statussymbol einer neuerworbenen Souveränität. Die auswärtigen Dienste werden sich aber gewiß wandeln, um auch für die wichtigen Funktionen, die ihnen neben der intergouvernementalen Aufgabe neu zugewachsen sind, brauchbare Werkzeuge zu werden. Wer zuerst i n der Außenpolitik neben den rein politischen, wirtschaftlichen und militärischen Faktoren die volle Bedeutung unseres Gebietes erkennt und hier moderne Methoden und Organisationsformen anwendet, w i r d — wie überall scxnst in unserer Zeit des schnellen kulturellen und sozialen Wandels — ceteris paribus erheblich an Gewicht gewinnen. W i l l man nicht große Kapitalien alljährlich vergeuden oder doch m i t ungenügender Rendite anlegen, so muß man sich auch auf unserem Gebiet relevante wissenschaftliche Erkenntnisse zunutze machen oder sie zu erarbeiten suchen. Wenn man i n den Kriegsministerien schon eine „Psychologische Kriegführung" für den casus belli vorbereitet, so sollte i m Frieden die kulturelle Außenpolitik der Regierungen gerade diesen Ernstfall zu vermeiden helfen 2 . 3. Auswärtige Kulturarbeit läßt sich jedoch nicht i m leeren Raum perfektionieren. Es zeigten sich uns i n bezug auf zwei Komplexe große funktionelle Zusammenhänge, von denen es ungleich stärker als von der partiellen organisatorischen Struktur und den Methoden des spezifischen 1 W i r erinnerten an die entsprechenden Anerkennungsschwierigkeiten bis i n unser Jahrhundert hinein i n den Armeen hinsichtlich der technischen Waffengattungen. 2 ..The total cost of a l l international cultural programs sponsored b y the U n i t e d States government adds u p to less than 1 per cent of our total m i l i t a r y budget" (Philip H. Coombs: The F o u r t h Dimension of Foreign Policy, a. a. O., S. XI.).
Zusammenfassung und Ausblick Apparats abhängt, i n welchem Grade eine kulturelle Ausstrahlung stattfindet und w i r k t . a) Der i m engeren Sinne „kulturelle" Sektor ist Teil des jeweiligen umfassenderen kulturellen und sozialen Systems der einzelnen Nation, mit welchem er durch unzählige Fäden auf das engste verwoben ist. W i r hoben i n diesem Zusammenhang u. a. hervor, daß Qualität und Prestige der kulturellen Leistungen i m Heimatland, insbesondere ihre Ästimierung durch die eigenen herrschenden Schichten, die Ausstrahlung über die Grenzen hinweg wesentlich mitbestimmen. A u f die Dauer halten auch i n der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k keine „Potemkinschen Dörfer" stand und selbst die Konservierung und Propagierung traditioneller Werte und historischer Leistungen kann immer nur eine Teildomäne der Arbeit sein. Unter anderem w i r k t sich hier auch der Verwaltungsaufbau des jeweiligen Staates aus, weshalb z. B. die kulturelle Außenpolitik der Bundesregierung an manche Hindernisse stößt, die i m föderalistischen System liegen, mag dieses für andere kulturelle Bereiche noch so großen Wert haben. b) Der funktionelle Zusammenhang läßt sich auch deutlich hinsichtlich der Kräfteverteilung und des Kräftespiels i m internationalen Feld zeigen. W i r versuchten darzulegen, daß einerseits die kulturelle Wirkkraft nach außen von der generellen außenpolitischen Machtposition einer Nation fast immer abhängig ist und damit z. B. von den außenpolitischen Manifestationen des wirtschaftlichen und militärischen Potentials. Hierauf läßt sich u. a. auch der Leitbildcharakter zurückführen, den die USA gegenwärtig für die „westliche" Welt und darüber hinaus angenommen haben. Es wurde dann aber andererseits ausgeführt, wie auch der i m engeren Sinne politische, wirtschaftliche und militärische Einfluß eines Landes i m internationalen Feld vielfältig, wenn auch den Akteuren oft unbewußt, von seinem kulturellen Prestige beeinflußt wird. Hierbei spielt auch der kulturelle Rang der verschiedenen Hauptstädte eine Rolle. 4. I n vieler Hinsicht zeigte sich, daß es darauf ankommt, i n den Gastländern an die bereits vorhandenen Gefühlsstrukturen anzuknüpfen, echte Interessen ausfindig zu machen und vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen. Allzuoft w i r d überall noch das, was man selbst für wertvoll hält (oder was einflußreiche Gruppen i m Heimatland als wertvoll deklarieren) ohne Rücksicht auf die Adressatengruppen i m Ausland und ihre ganz verschiedenen Mentalitäten und Interessenrichtungen exportiert. Es könnte für einen Volkswirtschaftler reizvoll und für die Sache ergiebig sein, unser Thema i n Beziehung zum nationalökonomischen Wertbegriff und Grenznutzen zu setzen und entsprechend zu durchdenken. Jedenfalls erscheint „Marktforschung" nötig, wozu nicht impressionistische Schilderungen ständig wechselnder Funktionäre am
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Zusammenfassung und Ausblick
Auslandsort genügen, die auch heute noch meist unvorbereitet ihre jeweiligen Posten antreten, ihren Vorgängern oft nicht einmal begegnen, und abgelöst werden, sobald sie das Gastland besser kennen. Es wäre eine gewisse Feld- und Meinungsforschung zu betreiben, wozu i n geeigneten und für das Heimatland relevanten Fällen u. a. auch einschlägige Institutionen für Demoskopie herangezogen werden könnten. Daß nebenher eine möglichst gewissenhafte Erfüllung von Einzelwünschen versucht wird, ein möglichst aufrichtiger Erfahrungsaustausch überall dort, wo dadurch keine vitalen nationalen Interessen gefährdet werden, versteht sich von selbst. Aus dem echten Interesse für die Haltung und Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse der jeweiligen fremden Nation und für ihre Wandlungen ergibt sich auch teilweise schon quasi automatisch die i m übrigen sehr bewußt zu entwickelnde Zweiseitigkeit, die Nachfrage nach dem, was das Gastland zu bieten hat. Der soziologische Begriff der „Komplementarität der Erwartungen" zeigt hier eine deutliche Tendenz zur Egalität. 5. W i r erkannten die Notwendigkeit, eine Pluralität von Adressaten i m Auge zu behalten. Es erschien ebenso unvollkommen, sich in unserer Zeit auf kleine Zirkel der sog. „guten Gesellschaft" zu beschränken — bis vor kurzem das französische Rezept — wie andererseits diese mit kleinbürgerlichem Ressentiment zu vernachlässigen. Gewahren w i r hier meist auch politische Machtzentren, so kommt es i m Zeitalter der Massendemokratie und sonstiger Regime, denen ebenfalls zunehmend an Popularität gelegen sein muß, auf alle Schichten der Bevölkerung an. M i t wissenssoziologischer Selbstkritik sind also Hindernisse für den Erfolg zu sehen, die auch hier aus einer Ignorierung der gern geleugneten oder unterschätzten verschiedenartigen „Eliten" resultieren (einen Fehler, den die Sowjetunion kaum begeht 3 ) oder andererseits aus einer Vernachlässigung des berühmten „Mannes auf der Straße". Bei der technischen Durchführung der Arbeit w i r d man dabei vor allem auf „ M u l t i plikatoren" achten müssen, d. h. auf weiter ausstrahlende einzelne oder Teilgruppen. W i r sahen das Feld der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k von formellen Organisationen durchzogen, erkannten es aber andererseits auch als ein Wirkungsgebiet derjenigen Gruppierungen, die als informelle, spontane Gebilde i n der Frühzeit der Sozialforschung vernachlässigt, dann dialektisch teilweise überschätzt wurden. Neben den Organisationen des Erziehungswesens, der Massenmedien, des künstlerischen Lebens usw. gilt es also auch i n Kontakt mit den schwerer faßbaren, aber meinungsbildenden, aktive Kerne darstellenden Zirkeln, Cliquen, Subkulturen zu kommen, die keine organisatorische Form be3
Was nicht verwundert, w e n n m a n an die „elitären" Lehren Lenins von der „schöpferischen Minderheit" u n d an revolutionäre P r a k t i k e n überhaupt denkt. M i t t e l - u n d Südamerika werden hierfür voraussichtlich noch reichen Anschauungsstoff liefern.
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sitzen. Auch hier wiederum heißt es, vorhandene Ansätze, z. B. stereotype Vorstellungen von Untergruppen, z. B. von intellektuellen Kreisen, zu sehen und ihre jeweiligen Bedürfnisse aufzuspüren. Das häßliche Modewort „gezielt" bietet sich i n diesem Zusammenhang an, während nach unserer Schätzung heute noch fast 50 °/o der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k fast aller Länder ohne bleibendes Ergebnis versickert 4 . Zum Erfolg gehört auch die Nachbetreuung von geförderten Gruppen und einzelnen. Fremdheitsempfindungen werden selten durch Einzelaktionen abgebaut, und die durch Außenkontakte hergestellten Sympathien bleiben nicht ein für allemal konstant. Die Regel von G. C. Hornaus, daß die Sympathie zwischen zwei oder mehreren Menschen wächst, wenn die Häufigkeit des Kontaktes zwischen ihnen zunimmt, dünkte zwar nicht unter allen Umständen gültig, bleibt aber eine gute Faustregel auch für die hier behandelte Arbeitsdomäne. 6. Man könnte meinen, eine tiefere Gerechtigkeit auf unserem Gebiet insofern am Werke zu sehen, als internationale Kulturbeziehungen nicht gefahrlos als Instrument der politischen Propaganda eingesetzt werden können — eine Erkenntnis, die bewußt oder unbewußt wohl auch der Abneigung gegen den Terminus K u l t u r p o l i t i k zugrunde liegt. I m Unterschied vielleicht zu der einfachen und direkten politischen Propaganda scheint bei den auswärtigen Kulturbeziehungen der Erfolg i n dem Maße abzunehmen, als die direkte nationalpolitische Intention zum Vorschein kommt. Hier liegen möglicherweise „realdialektische" Zusammenhänge und psychologische Gesetzmäßigkeiten vor. Man darf also mit Rücksicht auf die Erfahrungen des „effort converti" bei der Kulturarbeit den politischen Erfolg nicht direkt anstreben. Er stellt sich vielmehr indirekt, i n dorso ein, wenn man sich ernsthaft um die kulturellen Aufgaben bemüht. 7. Gegenüber den zahlreichen Vorwürfen und Kritiken, gegenüber gutgemeinten, aber einseitigen Vorschlägen und Beschwörungen, was auswärtige Kulturarbeit sein solle oder nicht sein dürfe, gegenüber Pseudomachiavellisten einerseits und idealistischen Lippenbekenntnissen andererseits, halten w i r vor allem dreierlei Funktionen auswärtiger Kulturpolitik für gegeben, die allesamt ihre Berechtigung haben. K u l turelle Außenpolitik ist: a) I n ihrer heutigen Gestalt historisch entstanden als Instrument zur Mehrung des politischen Prestiges, der Machtposition und des Einflusses 4 Die Frage nach der Meßbarkeit der Erfolge auswärtiger K u l t u r p o l i t i k stellt sich i m m e r wieder. Noch gilt, was F. C. Barghoom schreibt: „Even under the most favorable conditions research b y competent scholars on student exchange and other aspects of international culture contact has not yet led to conclusive results, although findings of researchers to date are suggestive and usefull" (The Soviet C u l t u r a l Offensive, a. a. O., S. 338/339).
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des eigenen Landes 5 . Sie dient damit eindeutig den vermeintlichen Interessen der jeweiligen Nation und hat auch die Verpflichtung, die Interessen der verschiedenen nationalen kulturellen Sektoren, Gruppen und Persönlichkeiten i m internationalen Raum zu sehen und zu fördern. Es wäre Illusion, diese Funktionen für erloschen zu halten. b) Sie ist das Instrument zur bewußten und planmäßigen Selbstdarstellung einer Nation i m Ausland, sie hilft, ein bestimmtes nationales „Imago" zu formen und jenseits der Grenzen einzuprägen. Dabei handelt es sich meist um ein idealisiertes Auto-Stereotyp (was schon beinahe auf eine Tautologie hinausläuft), wobei ein gewisses Kokettieren mit kleinen Schwächen die positive Wirkung erhöht. Stilelemente — sie gehören zu den zahlreichen Variablen, die bei dem noch völlig ungeklärten Begriff des „Nationalcharakters" ins Spiel kommen — wirken sich hierbei besonders aus. c) Sie ist ein Instrument zur Anregung und Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet und zum Erfahrungsaustausch. Dieser Charakter hat sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges stärker herausgebildet, und die Tendenz ist erfreulicherweise weiter zunehmend. Hier kommt mehr und mehr das zum Tragen, was Robert K . Merton die „technological propaganda or the propaganda of facts" nennt 6 , das zunehmende Bedürfnis „for specific, almost technological information". Alle diese Funktionen sind faktisch gegeben und sie entsprechen, rebus sie stantibus, echten Bedürfnissen. Die Schwergewichte sind aber sowohl bei den einzelnen Nationen, als auch i n ihren jeweiligen bilateralen oder multilateralen Beziehungen verschieden verteilt und sie wechseln m i t der historischen Situation. Kann das Streben nach Macht i m internationalen Feld auch auf unserem Gebiet die anderen Funktionen überspielen, die Kulturarbeit dadurch, wenn man so w i l l , „prostituieren", so dient doch andererseits das Bemühen u m Selbstdarstellung letztlich auch der Völkerverständigung, gemäß dem Wort von Georges Duhamel: „ i l faut connaître les différences pour les surpasser." Die Unterschätzung der nationalen Unterschiede oder ihre bewußte Ignorierung bedingen ja u.a. nicht selten die Sterilität mancher Arbeitsbereiche internationaler Organisationen. 8. Es gibt auch i m kulturellen, analog zum wirtschaftlichen und m i l i tärischen Bereich, zunehmend Gebiete, die von einzelnen Nationen nicht oder nicht mehr allein bewältigt werden können. Eine multilaterale Zusammenarbeit erscheint dann angezeigt, oder ist sogar die conditio sine qua non fruchtbarer Tätigkeit. Organisationen wie die UNESCO und 5 Hierzu Michiya Shimbori et a l i i : Measuring a Nation's Prestige, The American Journal of Sociology, J u l i 1963. 6 R. K . Merton: Studies i n Radio and F i l m Propaganda, a. a. O., S. 525.
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der Europarat wurden von uns i n diesem Zusammenhang genannt und i n ihren entsprechenden Funktionen zu würdigen versucht. Man kann hier — abstrahieren w i r von den politischen und moralischen „Werten", die i n der wachsenden Kooperation und damit möglichen Solidarität liegen — eine A r t „Sachzwang" am Werk sehen, der organisatorischen und technischen Apparaturen innewohnt 7 . Man braucht zur Verdeutlichung nicht die extremen Beispiele der Weltraumforschung, der Atommeiler oder Elektronenrechnung anzuführen, sondern es genügt, an die Äquivalenzprobleme i m Bildungswesen zu erinnern, u m die Notwendigkeit der Kooperation zu erkennen. Auch psychologische Momente erfordern Berücksichtigung, etwa i n der Entwicklungshilfe, wo die Bedürftigen die Hilfe internationaler Gremien derjenigen nationaler Stellen vorziehen (man könnte sich i n diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob nicht i n manchen Regionen eine gesamteuropäische k u l t u relle Repräsentanz bereits angebrachter wäre, als nationale K u l t u r institute, gegen welche sich die Xenophobie abwechselnd richtet). Es mag analog zur Tendenz auf den Arbeitsmärkten, sich unpersönlichen Institutionen lieber zu unterstellen, als einer persönlichen Herrschaft, i m internationalen Feld zunehmend zur Hinwendung zu regionalen und mondialen Instanzen kommen. Die internationalen Organisationen t u n jedenfalls gut daran, daß sie neben den einzelnen technischen Projekten die Aufgabe als letztlich entscheidend i m Auge behalten, für künftige größere Gemeinschaften geistiges und moralisches Rüstzeug bereitzustellen. Hiermit mündet unsere Zusammenfassung i n die abschließende Frage nach künftigen Entwicklungstendenzen . Eines halten w i r angesichts der sozio-kulturellen Strukturwandlungen für sicher: K u l t u r - und Öffentlichkeitsarbeit werden i n der auswärtigen Politik neben dem intergouvernementalen, dem militärischen und wirtschaftlichen Arbeitsbereich eine immer größere Rolle spielen. Sie werden dabei einerseits i n unserem technokratischen Zeitalter perfektioniert und teilweise „versachlicht", andererseits aber auch weiterhin politisch manipuliert werden, da hier noch große, unausgeschöpfte Reserven für das politische Prestige liegen. Die erforderlichen immer größeren Investitionen dürften sich, sofern sie „gezielt" erfolgen, hier weiter gut rentieren, was außer Frankreich und der Sowjetunion 8 einige jüngere Nationen, wie z. B. Indonesien, bereits erprobt haben. Zur Überprüfung der Prämissen und zur Feststellung der Ergebnisse w i r d man, wie bei der binnenländischen 7 Er ist andererseits auch darin zu sehen, daß Spezialgebiete aus der a l l gemeinen auswärtigen K u l t u r v e r w a l t u n g ausgeklammert u n d kompetenten Spezialorganisationen überlassen werden. Deren Entwicklung zu immer größerer Autonomie erfolgt u. a. i m Interesse der jeweiligen spezifischen Sache. Die Crux ist aber dann i m m e r die Koordinierung der verschiedenen operativen Gruppen. 8 Frederic C. Barghoorn: The Soviet Cultural Offensive, a. a. O.
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Arbeit der sogenannten „Kulturindustrie", zunehmend zu empirischen Methoden gelangen, wie sie z. B. der Rundfunk von der Hörerforschung her kennt. Insgesamt w i r d der Ertrag jedoch auch weiterhin erst i m Laufe der nächsten Jahrzehnte richtig zu würdigen sein, wobei die Verhältnisse ähnlich wie bei der Bildungsökonomie liegen. Inhaltlich dürfte der Erziehungs- und Forschungssektor sein Gewicht auch i m Rahmen der auswärtigen K u l t u r p o l i t i k verstärken, wofür die neue Funktion des „Wissenschaftsattaches" ein Indiz ist. Erziehung erscheint unserer Zeit als Panazee, wozu w i r Einschränkungen notierten. Wie man bei der Ökonomie des Bildungswesens neben der „Ausbildung" die „Bildung" nicht vergessen darf, da sie zu derjenigen Distanz beiträgt, die Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen läßt, so dürfen auf unserem Gebiet nicht vor lauter „Kulturmache" jene kulturellen Werte verschüttet werden, die w i r — so schwierig sie auch immer zu definieren sein mögen — m i t einem für uns noch sinnvollen Menschenbild verbinden und daher bewahren wollen. Kulturpessimisten könnten fragen, ob w i r nicht entsprechend dem berühmten Wort von der Eule der Minerva unsere Mühe auf einen Gegenstand verwandt hätten, der recht deutlich das Ende der „ K u l t u r " anzeige, die nun i m machtpolitischen Bereich auch international manipuliert und entwürdigt werde. W i r glauben dies nicht. A l l z u groß ist doch gerade hier die Zone der echten Freiheit, der Zusammenarbeit und des Erfahrungsaustausches, und auch die gegenwärtig darin Tätigen sind überwiegend noch nicht zu jenen reinen Funktionären, „vierten Menschen", um m i t Alfred Weber zu sprechen, geworden, die es zweifellos zunehmend gibt, aber i n anderer historischer Gestalt vielleicht auch früher gegeben hat. Dieter Sattler meint sogar, i n der auswärtigen K u l t u r arbeit ein Dominieren der Tendenz von der Selbstdarstellung zum Erfahrungsaustausch feststellen zu können, während w i r uns m i t einem Funktionspluralismus zumindest noch für die Gegenwart bescheiden wollen. Die Entscheidung hierüber hängt von der allgemeinen politischen Entwicklung ab, und von der A n t w o r t auf die bereits angeschnittene große Frage nach dem Ende des Nationalismus. Hierzu darf noch ein Wort gesagt sein: Die Soziologie sucht sozio-kulturelle Fakten und Gesetzmäßigkeiten zu erfassen. Sie kann, wie bekannte Beispiele zeigen (z.B. J. Schurrtpeters und W. Hellpachs optimistische Prognosen für Deutschland u m 1930), aber nicht i m großen prognostizieren. Eine normative Disziplin ist sie schon gar nicht, auch wenn sie m i t ihren Analysen dazu beitragen kann, daß Praktiker die einzelnen Stränge des sozialen und kulturellen Wandels i n eine jeweils gewünschte Richtung zu lenken suchen (darin liegen bekanntlich auch Gefahren für die Soziologie ebenso wie für andere Disziplinen, etwa die Psychologie oder Atomphysik). Insofern konnten w i r also immer nur davon ausgehen, was i n dem untersuchten
Zusammenfassung und Ausblick spezifischen Wirkungsfeld heute feststellbar ist, und nicht davon, was werden könnte oder sollte. Feststellbar ist einerseits das Aufflammen nationalistischer, ja chauvinistischer Politik i n dem Verhalten der seit dem zweiten Weltkrieg entstandenen unabhängigen Staaten Afrikas und Asiens, welche heute bereits die Mehrzahl bilden. A u f der anderen Seite scheint der Nationalismus i m Abendland äußerlich abgeflaut, er gilt, zumal ihn die Ratio als den heutigen Erfordernissen inadäquat, ja zuwider erkannte, nicht mehr als zeitgemäß. Damit ist er jedoch noch nicht tot, wie schon oft behauptet wurde. I n der kulturellen Außenpolitik sehen w i r sowohl ein Feld seines Ausdrucks, als auch ein M i t t e l zur Uberwindung der erst durch ihn hervorgerufenen, mannigfachen, nationalen Abkapselungen und bürokratischen Hindernisse. Inwieweit ein durchaus denkbarer künftiger Regionalismus an Stelle der Nationalismen ähnliche Symptome eines gesteigerten Großgruppenbewußtseins zeitigen würde, m i t entsprechenden supranationalen K u l turchauvinismen, ist noch nicht auszumachen. Daneben erscheinen ja auch die Rassenprobleme m i t ihren kulturellen Implikationen und ihren Ideologisierungen erst tendenziell auf dem Wege zur Lösung. Wer möchte nicht an die Entwicklung zu einer „one world", zu einer immer größeren Solidarität glauben, welche die voraussagbare wachsende materielle Einheit unseres Globus i m Sinne einer weltweiten Interdependenz z.B. der wissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen erst erträglich machen würde. Aber der Verfasser schließt doch lieber m i t den Worten einer berühmten akademischen Antrittsvorlesung: „Es fällt i h m schwer, wieder unter die blinde Herrschaft der Notwendigkeit zu geben, was unter dem geliehenen Lichte des Verstandes angefangen hat, eine so heitere Gestalt zu gewinnen. Er nimmt also diese Harmonie aus sich selbst heraus, und verpflanzt sie außer sich i n die Ordnung der Dinge, d. i. er bringt einen vernünftigen Zweck i n den Gang der Welt und ein teleologisches Prinzip i n die Weltgeschichte ... Er sieht es durch tausend bestimmende Fakten bestätigt, und durch ebenso viele andere widerlegt; aber solange i n der Reihe der Weltveränderungen noch wichtige Bindungsglieder fehlen, solange das Schicksal über soviel Begebenheiten den letzten Aufschluß noch zurückhält, erklärt er diese Frage für unentschieden 9." Daß die Homindien eines Tages von dieser Erde verschwinden oder m i t ihr untergehen werden, ist gewiß. Ob ihnen dies aber i m Zustand einer den Agon zügelnden Solidarität widerfahren wird, oder i m Todeskampf fanatisierter Sozialsysteme, vermag niemand wissenschaftlich zu prognostizieren. Bei dem Urteil hierüber entscheidet letztlich das Numinose. 9 Schiller: „Was heißt u n d zu welchem Ende studiert m a n Universalgeschichte": Eine akademische Antrittsrede. Zuerst i m „Deutschen M e r k u r " , November 1789.
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