Argumentation und Apologetik: Argumentation und erkenntnistheoretische Prinzipien der al-Radd ?ala al-Na?ara-Literatur unter besonderer Berücksichtigung des Werkes des ?ali? ibn al-?usayn al-Ja?fari (gest. 668/1270) 9783161608223, 9783161608230, 3161608224

Der Radd ist eine apologetische Textgattung, die die eigene theologische Position argumentativ verteidigt beziehungsweis

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German Pages 542 [553] Year 2023

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Symbole
Teil I: Islamische Apologetik und Polemik: Radd
Kapitel 1: Einführung
1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie
1.2. Historische und moderne Terminologie
1.3. Forschungsstand
Kapitel 2: Definition der islamisch-christlichen argumentativen Auseinandersetzung
Kapitel 3: Apologetische und polemische Argumentationen und Literaturgattungen vom Koran bis zum Radd des al-Jaʿfarī
3.1. Vorislamische argumentative Auseinandersetzungen mit der christlichen Lehre
3.2. Radd in Koran, Hadith und Sira
3.3. Radd in den ältesten Zeugnissen für christlich-muslimische Disputationen
3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel
3.5. Radd in taʾrīkh (Geschichtsschreibung), al-milal wa-l-niḥal (›Religionen und Sekten‹) und maqālāt (Häresiographie)
3.6. Radd in philosophischen Texten
3.7. Radd in der Poesie
Teil II: Argumentation, Logik und Rationalität
Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik
4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation
4.2. Das religiöse Streitgespräch (munāẓara, majlis) und zentrale Konzepte der islamischen Argumentationstheorie
4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der argumentativen Theologie
Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze und die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie
Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse: Methode, Analyse und Bewertung
Teil III: Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī und sein Kitāb al-radd ʿalā al-Naṣārā
Kapitel 7: Al-Jaʿfarīs Leben, Werke und Interesse an der christlichen Theologie
Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī
Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen al-Jaʿfarī im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā
9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente
9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument
9.3. Das mushahada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit
9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument
9.5. Das Jesus-hungert-Argument
9.6. Das Argument gegen die These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch
9.7. Das frequentistische Argument gegen die These der Sohnschaft und das Konsequenz-Argument
9.8. Das Ewigkeitsargument
9.9. Das Argumentum a fortiori
9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu: Das tawātur-Argument und das Argument der Möglichkeit der Verwechslung
9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre
9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien als Argument für deren Fehlerhaftigkeit
9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation
Teil IV: Systematisierung und Konklusion
Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen
10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren
10.2. Interpretative und hermeneutische Argumentation
Kapitel 11: Kompositionsprinzipien: dialektische Methode, taqsīm, Thesengenerierung, Fragegenerierung, hypothetisches Satzgefüge, Analogie
Kapitel 12: Konklusion
Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī
I. Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn
II. Zweite Angelegenheit: Über die Widerlegung der Einheit
III. Dritte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)
IV. Vierte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität
V. Fünfte Angelegenheit: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums, welches die Christen bis heute besitzen
Abstract
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Wörterbücher und Nachschlagewerke
3. Sekundärliteratur
Stellenregister
Personenregister
Sachregister
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Argumentation und Apologetik: Argumentation und erkenntnistheoretische Prinzipien der al-Radd ?ala al-Na?ara-Literatur unter besonderer Berücksichtigung des Werkes des ?ali? ibn al-?usayn al-Ja?fari (gest. 668/1270)
 9783161608223, 9783161608230, 3161608224

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Sapientia Islamica Studies in Islamic Theology, Philosophy and Mysticism Edited by Lejla Demiri (Tübingen) Samuela Pagani (Lecce) Sohaira Z. Siddiqui (Doha) Editorial Board Ahmed El Shamsy, Angelika Neuwirth, Catherine Mayeur-Jaouen, Dan Madigan, Frank Griffel, Joseph van Ess †, Mohammad Hassan Khalil, Olga Lizzini, Rotraud Hansberger, and Tim J. Winter

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Serkan Ince

Argumentation und Apologetik Argumentation und erkenntnistheoretische Prinzipien der al-Radd ʿalā al-Naṣārā-Literatur unter besonderer Berücksichtigung des Werkes des Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī (gest. 668/1270)

Mohr Siebeck

Serkan Ince, geboren 1983; seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Islamische Glaubenslehre, Zentrum für Islamische Theologie, Universität Tübingen. orcid.org/0000-0002-8839-0394

ISBN 978-3-16-160822-3 / eISBN 978-3-16-160823-0 DOI 10.1628/978-3-16-160823-0 ISSN 2625-672X / eISSN 2625-6738 (Sapientia Islamica) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Das Buch, das Sie in Händen halten, ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich am 15. Juni 2020 am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen verteidigt habe. Sie befasst sich mit der Argumentativität der islamischen Apologetik und Polemik zum Christentum. Anhand mehrerer Beispielanalysen wird diese Argumentativität primär epistemologisch bestimmt. Neben dieser wissenschaftlichen Perspektive der Arbeit hat mich die Möglichkeit motiviert, eine neue und moderne Analysemethode für die islamische Systematische Theologie zu entwickeln. Ein solches Projekt ist ohne Hilfe nicht zu bewältigen: In erster Linie gilt mein Dank Gott, dem Herrn der Welten, der mir die Möglichkeit, die Gesundheit, die Kraft und die Hoffnung gegeben hat, diese Arbeit zu schreiben. Meiner Doktormutter, Frau Professorin Lejla Demiri, verdanke ich vieles. Für ihre wertvollen Anregungen, Ermutigungen und ihre Unterstützung danke ich ihr von ganzem Herzen. Was ich von Lejla Demiri über Theologie und Christlich-Muslimische Beziehungen gelernt habe, ist unermesslich. Zwischen Systematischer Theologie und Christlich-Muslimischen Beziehungen unterwegs zu sein, ist für mich das Spannendste, was die Theologie hergibt. Mit vielen Vorschlägen und Ideen hat sie mich in meinen Bemühungen sehr wohlwollend unterstützt. Ihre Unterstützung war in all den Jahren meine größte Motivation. Ein besseres Arbeitsumfeld hätte ich mir nicht wünschen können. Ein wahrer Glücksfall war meine Bekanntschaft mit Professor Christoph Lumer. Erst durch seine Unterstützung, Hilfsbereitschaft und Einführung in die Argumentationstheorie habe ich die nötigen Einsichten gewonnen, welche die Realisierung dieses Projekts möglich gemacht haben. Mit Christoph Lumer lernte ich einen Gelehrten kennen, mit dem das Lehrer-Schüler-Verhältnis so wohlwollend und unterstützend, aber gleichzeitig kritisch, was den Untersuchungsgegenstand betrifft, sein konnte, dass nur Positives dabei herauskommen konnte, wenn man sich darauf einließ. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Weg mit ihm gehen durfte. Mein ganz großer Dank gilt meinem Freund Roman Eisele, bei dem ich zunächst Logik lernte und mit dem ich dann Argumente und Analysen diskutieren durfte. Er hat meine Arbeit an der Dissertation all die Jahre mit größter Sorgfalt

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Vorwort

begleitet. Ich bin ihm sehr dankbar für seine Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit und seine unkomplizierte Art. Viel Hilfe und persönliche Anteilnahme habe ich im Laufe der Jahre vor allem von meiner Familie erhalten. Ich möchte vor allem meiner Frau Hacer Ince dafür danken, dass sie mich in den letzten Jahren in so vielerlei Hinsicht unterstützt hat. Ein letztes Wort des Dankes gebührt all jenen, die mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben: Meinen Lehrern und Lehrerinnen an der Universität Ankara, bei denen ich ein ausgereiftes Studium der Theologie absolvieren konnte. Und den Dozentinnen und Dozenten an der Universität Bayreuth, bei denen ich mein Verständnis von Religionen durch die Religionswissenschaft erweitern konnte. Und nicht zuletzt den Kollegen an der Universität Tübingen, sei es am Zentrum für Islamische Theologie oder bei den Geschwistertheologien. In all diesen Jahren habe ich viel intertheologisches Fachwissen sammeln können, das in das vorliegende Buch eingeflossen ist. Serkan Ince

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Islamische Apologetik und Polemik: Radd . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2. Historische und moderne Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Kapitel 2: Definition der islamisch-christlichen argumentativen Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Kapitel 3: Apologetische und polemische Argumentationen und Literaturgattungen vom Koran bis zum Radd des al-Jaʿfarī . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1. Vorislamische argumentative Auseinandersetzungen mit der christlichen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.3. Radd in den ältesten Zeugnissen für christlich-muslimische Disputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel 84 3.5. Radd in taʾrīkh (Geschichtsschreibung), al-milal wa-l-niḥal (›Religionen und Sekten‹) und maqālāt (Häresiographie) . . . . . . . . . . . . . 132 3.6. Radd in philosophischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.7. Radd in der Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

Teil II: Argumentation, Logik und Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik . . . . 145 4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation . . . . . . . . . 145

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.2. Das religiöse Streitgespräch (munāẓara, majlis) und zentrale Konzepte der islamischen Argumentationstheorie . . . . . . . . . . . . 176 4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der argumentativen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze und die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse: Methode, Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

Teil III: Al-Jaʿfarī und sein Kitāb al-radd ʿalā al-Naṣārā . . . . . . . . . 257 Kapitel 7: Al-Jaʿfarīs Leben, Werke und Interesse an der christlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente . . . . . . . . . . . 300 9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 9.5. Das Jesus-hungert-Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 9.6. Das Argument gegen die These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 9.7. Das frequentistische Argument gegen die These der Sohnschaft und das Konsequenz-Argument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 9.8. Das Ewigkeitsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 9.9. Das Argumentum a fortiori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu: Das tawātur-Argument und das Argument der Möglichkeit der Verwechslung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien als Argument für deren Fehlerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation. . 410

Inhaltsverzeichnis

IX

Teil IV: Systematisierung und Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 10.2. Interpretative und hermeneutische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Kapitel 11: Kompositionsprinzipien: dialektische Methode, taqsīm, Thesengenerierung, Fragegenerierung, hypothetisches Satzgefüge, Analogie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Kapitel 12: Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī . . . . . . 449 I. Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn . . . . . . . 451 II. Zweite Angelegenheit: Über die Widerlegung der Einheit . . . . . . . . . . . . 460 III. Dritte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Tötung und Kreuzigung (Jesu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 IV. Vierte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 V. Fünfte Angelegenheit: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums, welches die Christen bis heute besitzen . . . . . . . . . . . . 479 Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 1. 2. 3.

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Wörterbücher und Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

Verzeichnis der Symbole Für die Rekonstruktion von Argumenten werden verwendet: S1, S1.1, … T, T1, Tc, … P1, P2, … eP1, eP2, … K1, K2, …

Satznummerierung zur Strukturierung des Argumentationstextes Thesen Prämissen Ergänzungsprämissen (vgl. S. 249) Konklusionen

Für die Formalisierung von Argumenten werden verwendet (die Buchstaben sind, wie in der formalen Logik weithin üblich, kursiv; dadurch wird das Prädikatsymbol P auch von dem Prämissensymbol P unterschieden): A, B, C, … P(x), … Φ, Φ1 , … x, y, z, … a, b, c, … t, t1 , … ¬ ∧ ∨ ⊻ → = ∀x(...) ∃x(...) 3 (...) ⇒

Aussagesymbole Prädikatsymbole: ›P trifft auf x zu‹ Prädikatvariablen (Prädikatenlogik 2. Stufe) Individuenvariablen Individuenkonstanten Zeitpunkte Negation: ›es ist nicht der Fall, dass …‹ Konjunktion, logisches ›und‹ Disjunktion, logisches einschließendes ›oder‹ Kontravalenz, logisches ausschließendes ›oder‹ Materiale Implikation, logisches ›wenn …, dann …‹ Identität von Individuen: ›x ist identisch mit y‹ Allquantor: ›für alle x gilt: …‹ Existenzquantor: ›es gibt mindestens ein x, für das gilt: …‹ Möglichkeitsoperator: ›es ist möglich, dass …‹ Folgerung (metasprachlich)

Für die speziellen Symbole der Syllogistik siehe S. 193–197.

Teil I

Islamische Apologetik und Polemik: Radd

Kapitel 1

Einführung 1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie Die Entwicklung der islamischen Theologie hat zu einer Vielfalt von Textgattungen geführt. Religiös-polemische Texte, etwa die Polemik und die Apologetik (im Folgenden kurz: Radd¹), bilden eine besondere Gattung innerhalb der religiösen Texte und spielten im Mittelalter eine bedeutende Rolle, wenn es darum ging, den religiös Anderen argumentativ zu begegnen.² Der Radd als Textgattung³ zeichnet sich hauptsächlich dadurch aus, dass er die eigene religiöse und theologische Position argumentativ verteidigt oder die Ungültigkeit einer anderen religiösen Position aufzudecken versucht. Diese Texthandlungen bedienen sich unterschiedlicher Methoden.⁴ Ihre Argumente⁵ können rhetorische, aber

¹ Im Folgenden bezeichnet ›Radd‹ den Begriff und die Textgattung Radd (siehe dazu eingehend Kapitel 2 und 3, zur Definition v. a. S. 50) und ›radd‹ das arabische Wort in seinem ganzen Bedeutungsspektrum (siehe v. a. S. 48). Wie in deutschsprachiger geisteswissenschaftlicher Literatur üblich, werden doppelte (»…«) Anführungszeichen nur für wörtliche Zitate verwendet, einfache Anführungszeichen (›…‹) kennzeichnen Begriffe, Bedeutungsangaben, rekonstruierte Argumente etc. Die Titel von Werken werden durch Kursivschrift und Großschreibung markiert; die Kursivierung wird wie üblich auch für Transkriptionen sowie an einigen Stellen, wo dies zur Vermeidung von Missverständnissen nötig ist, zur Betonung verwendet. In den Anmerkungen wird Sekundärliteratur mit den Nachnamen der Autoren sowie Kurztiteln (kursiv für selbstständige Werke, in Anführungszeichen für Artikel und Aufsätze) zitiert, die vollständigen Angaben enthält das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes. ² Zur Kontroverse der Religionen im Mittelalter vgl. Jochum-Godglück u. a., »Spannungsfeld«, besonders 238–245 über die mittelalterliche Konstruktion der Religion im islamischen Andalus am Beispiel von Ibn Ḥazm (gest. 456/1064). ³ Im Folgenden wird der Radd als ›Text‹ im Sinne einer Niederschrift verstanden, in der der Argumentierende »das zu Beweisende oder Begründende vorträgt und [seine] Argumente dafür darlegt« (Lumer, »Logik« 54). ⁴ Die systematische islamische Theologie ist eine methodisch ausgerichtete Disziplin; vor allem ist sie stark argumentationstheoretisch geprägt. Josef van Ess hat diese Besonderheit auf den Punkt gebracht, indem er feststellte: »Theologie ist in erster Linie Methode« (van Ess, Erkenntnislehre 39). ⁵ Eine Übersicht über mögliche Bedeutungen von ›Argumentation‹ und ›Argument‹ bietet Christoph Lumer (Lumer, Praktische Argumentationstheorie Kapitel 2, v. a. 22–30 und 51–59). Er betont, dass für seine Argumentationstheorie lediglich zwei Bedeutungen von ›Argument‹

4

Kapitel 1: Einführung

auch streng logische Figuren enthalten, die durch Analyse rekonstruiert werden können.⁶ Festzuhalten ist, dass der Radd eine Textgattung ist, die inner-islamisch, aber auch inter-religiös betrieben wurde. Die vorliegende Studie behandelt den Radd zum Christentum. Sie betrachtet den Radd methodisch als eine Subdisziplin des Kalāms, also der systematisch-argumentativen islamischen Theologie. Die Frage, wie das möglich ist, lässt sich mit dem Hinweis beantworten, dass der gemeinsame Nenner dieser beiden Disziplinen in ihrer rationalen Methodologie liegt. Sowohl der Radd als auch der Kalām bedienen sich derselben Disputationstechniken und verfolgen dasselbe Ziel, nämlich den Adressaten mit rationalen Argumenten von der eigenen theologischen These zu überzeugen. Sie unterscheiden sich jedoch durch ihre Adressaten: Während beim Kalām im engeren Sinne der theologische Diskurs innermuslimisch und somit der Opponent ein Muslim ist, ist im Radd zum Christentum der Diskurs interreligiös mit einem nicht-muslimischen Opponenten. Bis auf diesen Unterschied weisen beide viele methodische Gemeinsamkeiten auf. Wenn die Theologie Gott zum Gegenstand des Wissens macht, dann könnte zunächst angenommen werden, dass jedes methodische Modell provisorisch bleibt; dennoch bietet sie einen Erklärungsansatz, wie Gott zu verstehen ist. Die islamischen und christlichen Erklärungsansätze unterscheiden sich an dieser Stelle in ihren Grundprämissen: die Begreifbarkeit versus die Unbegreifbarkeit Gottes.⁷ Diese Grundprämisse gibt jeweils die methodische Richtung der argumentativen Begründung in beiden Theologien vor. ausschlaggebend sind: 1. Argument als der Beweisgrund, auf den sich eine These stützt; 2. Argument im Sinne der traditionellen Logik (Lumer, Praktische Argumentationstheorie 23–30 und 59). Diese beiden Bedeutungen entsprechen dem Konzept des Arguments im Kalām (der systematisch-argumentativen islamischen Theologie), was wegen dessen erkenntnistheoretischer Ausrichtung auch nicht überraschend ist. ⁶ Die Frage, welche Art des Umgangs mit Religion die polemischen und apologetischen Schriften verfolgen, ist zentral. Der Rechtsphilosoph und Logiker Ota Weinberger gibt einen ersten Hinweis, indem er verschiedene Aspekte der Religion unterscheidet, etwa den philosophischen, den soziologischen und eben auch den logischen. Weinberger zeigt damit die Möglichkeit auf, theologische Argumente auf ihre logische Struktur sowie auf ihre erkenntnistheoretische Basis hin zu untersuchen. Er spricht in diesem Rahmen, inspiriert von Joseph Maria Bocheńskis Werk Logik der Religion, von der »Logik der Religion«. Zudem stellt Weinberger die zentrale Frage, was die logische Analyse zum theologischen Denken und Argumentieren beitragen kann, und summiert die Antwort auf drei Punkte: (a) die Struktur der logischen Bindungen und Operationen, die der theologischen Argumentation zugrunde liegen, (b) die epistemologische Basis der theologischen Argumentationen und (c) die methodologische Behandlung der Theologie (Weinberger, Glaube 11–13, 23–24). ⁷ Nach Lorenz Puntel (»Verhältnis« 23–25) ist die »wirkliche Vernunft« aus katholischtheologischer Sicht »die übernatürlich erhobene [sic] Vernunft und nicht irgendein Abstraktes im Sinne der ›natura pura‹ «. Puntel weist damit implizit darauf hin, dass theologische Wahrheiten nicht allein durch philosophische Disziplinen (wie etwa die Logik) erkannt werden können, sondern erst durch die »übernatürlich erhobene Vernunft«, welche eine »Selbstmitteilung Gottes« sei. Die allermeisten Kalām-Theologen würden diese Sichtweise ablehnen. Und gerade diese Ablehnung ist der Grund zur Heranziehung der Logik, um

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Um die Argumentativität der theologischen Genres analysieren zu können, reicht eine einfache Inhaltsanalyse nicht aus; vielmehr bedarf es einer methodisch kontrollierten und argumentationstheoretisch fundierten Analyse von Argumenten und Argumentationen, um so auch uns heute gar nicht mehr vertraute theologische Herangehensweisen analytisch rekonstruieren zu können.⁸ Die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie nach Christoph Lumer, an die sich die vorliegende Studie methodisch anlehnt,⁹ bietet einen solchen Ansatz. Diese Studie will bewusst nicht nur eine ›logische Analyse‹, sondern eine argumentationstheoretische Analyse anwenden, weil die Argumentationstheorie die Logik einschließt, aber nicht umgekehrt. Dabei bietet die Argumentationstheorie Perspektiven, die über die reine Logik weit hinausgehen. Lumer stellt fest, dass Argumentationstheorie und Logik eigenständige Disziplinen sind, und fordert, dass die Argumentationstheorie die Logik »als Organon der Begründung und Kritik ergänzen muß«.¹⁰ Die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie nach Lumer unterscheidet Rhetorik¹¹ und Argumentationstheorie dadurch, dass Rhetorik die Funktion hat, zu überreden, wogegen die (erkenntnistheoretisch konzipierte) Argumentation die Funktion hat, zu überzeugen.¹² Diese Unterscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Analyse der Radd-Texte. Vor allem stellt sich die zentrale Frage, inwieweit islamische Radd-Texte rhetorische Mittel heranziehen und inwieweit sie logische oder andere erkenntnistheoretisch valide Argumentationsformen benutzen, um die eigene Position und Theologie zu verteidigen bzw. die Ungültigkeit der anderen Religion darzulegen, was (i.) die eigene Theologie nach logischen Schlüssen zu konstruieren und (ii.) der christlichen Theologie argumentativ mit logischen Schlüssen zu begegnen. ⁸ Schon Walther Kindt hat in seiner Darstellung von methodologischen Problemen der empirischen Argumentationsforschung auf die Notwendigkeit eines systematisch durchdachten Argumentationsbegriffs hingewiesen (Kindt, »Probleme«). U. a. aus diesem Grund stützt sich diese Studie auf den erkenntnistheoretisch definierten Argumentationsbegriff von Lumer, dem zufolge eine Argumentation eine geordnete Folge von Urteilen, Aussagen oder Werturteilen mit einem Argumentationsindikator, mit einer These sowie Gründen oder Argumenten für diese These ist. Für diese sowie alternative Definitionen von ›Argumentation‹ vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 22–30 und 58–76. ⁹ Die Ausführungen über Lumer in van Eemeren u. a., Handbook 394–399 geben eine knappe, aber gute Einführung in Lumers Argumentationstheorie. ¹⁰ Lumer, »Logik« 53. ¹¹ Zu unterscheiden von der Rhetorik des Überredens ist die sog. Argumentationsrhetorik, die Logik, Dialektik und Rhetorik in sich subsumiert (vgl. hierzu Ueding, Rhetorik 7–9) und damit die Grenzen der Rhetorik als Überredungskunst zu durchbrechen versucht. Zudem ist die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der islamischen Rhetorik (ʿilm al-balāgha) als rhetorische Stilmittelforschung davon zu unterscheiden, welche sich in ʿilm al-maʿānī, ʿilm al-bayān und ʿilm al-badīʿ aufteilt und Argumentationsformen stilistisch betrachtet (vgl. hierzu Schaade, »Balāg̲h̲a« 637, sowie Stock, Stilistik). ¹² Diese Unterscheidung zwischen Überreden und Überzeugen geht letztlich schon auf Platon zurück. Zur Unterscheidung in der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie nach Lumer, der zufolge Rhetorik auf bloßen Glauben und (erkenntnistheoretisch konzipierte) Argumentation auf Erkenntnis zielt, siehe insbesondere Lumer, »Überreden«.

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letztlich Aussagen darüber erlaubt, wie die islamische Theologie sich selbst begründet (vor allem, wenn es um die göttlichen Attribute geht¹³) und zeigt, dass sich eine Theologie oft relativ zu anderen Theologien verhält. Weiter ist zu fragen, was die Erkenntnis, welche argumentativen Mittel der islamische Radd heranzieht, uns deutlich macht. Soll die Heranziehung der Logik lediglich eine pseudowissenschaftliche Seriosität vorgaukeln, oder zeugt diese Art des Argumentierens von einer ernstzunehmenden wissenschaftlichen Methodik im Mittelalter und speziell in den polemischen und apologetischen Texten?¹⁴ In der vorliegenden Studie wird dementsprechend der Versuch unternommen, diese polemische Herangehensweise argumentationstheoretisch einzuordnen. Insbesondere fragen wir uns, ob die Polemiker tatsächlich an einem wissenschaftlichen Diskurs interessiert waren oder ob ihr Anliegen lediglich darin bestand, die Gegenseite mit allen möglichen Mitteln zu schlagen.¹⁵ Daher werden wir untersuchen, welche Funktionen dem logischen Aufbau apologetischer und polemischer Argumente zugrunde liegen. Zugespitzt können wir fragen: Würde ein muslimischer Apologet auch die eigene Religion für ungültig erklären, wenn er durch die Methoden, die er benutzt, um die Ungültigkeit der anderen Religion darzulegen, selbst zu dem Schluss käme, dass die eigene Religion ungültig wäre? An dieser Frage entscheidet sich, inwieweit muslimische Polemiker die polemische Diskussion mit anderen Religionen ernst meinten und sie wissenschaftlich und erkenntnistheoretisch auffassten oder ob die Logik für sie nur ein Mittel zum Zweck war.

¹³ Für die Annahme, dass die argumentative Auseinandersetzung mit dem Christentum die Theorie der göttlichen Attribute im Islam maßgeblich beeinflusst hat, siehe Wolfson, Kalam 58–64, 112–132. Vgl. dazu auch Rissanen, Encounter 127–131, der Pro- und ContraArgumente für diese Annahme wiedergibt. ¹⁴ Die Anwendung der Wissenschaft der Logik (ʿilm al-manṭiq) auf metaphysische und theologische Fragestellungen, wie sie in den polemischen Schriften geschieht, kann als Hinweis darauf gelten, dass der Diskurs als wissenschaftliche Angelegenheit betrachtet wurde. Schon Ibn Sīnā wies auf das Wechselspiel zwischen manṭiq und Wissenschaft hin, wenn er sagte: Die Logik sei der Diener der Wissenschaft (khādim al-ʿulūm), denn »sie ist nicht eine Wissenschaft für sich, sondern ein Mittel (wasīla), um Wissenschaften zu erwerben« (zitiert nach Arnaldez, »Manṭiḳ« 442–452). ¹⁵ An dieser Stelle ist es von zentraler Bedeutung, zu erkennen, welche theoretische Grundlage die Polemik hat. Denn ist sie jadal, so besteht das Ziel der Polemik darin, den Opponenten mit allen Mitteln zu schlagen; ist sie dagegen ein munāẓara (bzw. burhān), so ist das Ziel in erster Linie, durch eine dialektische Methode die Wahrheit über die Streitfrage herauszustellen. Ohnehin ist ein Argument als jadal bezeichnet, wenn es Prämissen der Typen mashhūrāt (›allgemein bekannte Prämissen‹) oder musallamāt (›anerkannte Prämissen‹) heranzieht, die epistemisch schwach sind und keine gewisse Erkenntnis begründen. Munāẓara hingegen versucht, epistemisch gesicherte Prämissen heranzuziehen, weshalb munāẓara auf die Erkenntnis der Wahrheit abzielt, wogegen jadal dem rhetorischen Überreden entspricht (vgl. Özen, »Hilâf« 528). Zum Unterschied zwischen jadal und munāẓara vgl. weiter Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 101; für die Erkenntnisorientiertheit des munāẓara vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 54.

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Sicher ist, dass der innerislamische theologische Diskurs die Logik als ein wissenschaftliches Werkzeug betrachtete; zumindest theoretisch unterwarfen sich die Teilnehmer dieses Diskurses, dessen Grundlage die rationale Argumentation war, den Regeln der Logik. Eben dieser Umstand – dass die Grundlage des Diskurses die rationale Argumentation war – charakterisiert die islamische Theologie bzw. die islamische theologische Dialektik, den Kalām.¹⁶ Dass die Muʿtaziliten an der Einführung dieser rationalen Herangehensweise in die islamische Theologie maßgeblich beteiligt waren, ist längst bekannt. Auch wenn das griechische Erbe aus der Spätantike die Rationalität der islamischen Theologie beeinflusst zu haben scheint, gelangte dieses Erbe doch nur über Umwege in das muʿtazilītische Denken. Khalid Blankinship weist zu Recht darauf hin, dass das Charakteristische an der Lehre der Muʿtaziliten gerade ist, dass ihren religiösen Diskursen und Thesen rationale Elemente zugrunde lagen; er stellt dabei jedoch eine wichtige Entwicklung fest. Während die frühen Muʿtaziliten (vor dem 8. bis zum 9. Jahrhundert) keinen wesentlichen Zugang zum griechischen Wissen besaßen, konnten sie im Reifestadium der muʿtazilitischen Lehre (im 10. Jahrhundert) ihre Logik, Terminologie und Argumentationsweise aus den sich entwickelnden irakischen Systematisierungen der arabischen Grammatik und des Rechts ableiten und ihr theologisches Denken an der hellenistischen Methodik schulen, die im Laufe der abbasidischen Herrschaft immer populärer wurde. Laut Blankinship kam somit die griechische Logik und Argumentationstheorie erst durch die arabische Grammatik und Rechtswissenschaft (fiqh) in den Kalām, also durch zwei Wissenschaften, in die schon früher griechische Elemente eingeflossen waren. Während die meisten Muʿtaziliten selbst weder Philosophen waren noch sich für Philosophie als solche interessierten, profitierten die Muʿtaziliten doch vom Studium der Logik und Physik und spekulierten über philosophische Probleme.¹⁷ Ähnlich erging es den Ashʿarīten, die sich die Logik zunächst durch Umwege über den fiqh aneigneten und sich erst später die aristotelische Logik zu eigen machten.¹⁸ Dazu trug maßgeblich Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn Ismāʿīl ibn Isḥāq al-Ashʿarī (gest. 324/935) bei, der, nachdem die Muʿtaziliten den logischen Ansatz fest in ihre Theologie eingebaut hatten, versuchte, die Lehren der sog. ahl al-sunna wa-l-jamāʿa (»Leute der Sunna und der Gemeinschaft«) rational zu verteidigen. Ohnehin begann die Übersetzungsinitiative im großen Umfang erst im 9. Jahrhundert. Vor allem die Bagdader Übersetzungsinitiative um den Kalifen al-Maʾmūn und die Gründung des ›Hauses der Weisheit‹ (bayt al-ḥikma) im Jahr 825 führte zur Einführung des griechischen Erbes – das islamische Denken wurde so u. a. durch Medizin, Astronomie und Mathematik, durch die hellenistische Philosophie und vor allem durch die aristotelische Logik und

¹⁶ Zum Begriff des Kalāms siehe hier Kapitel 2 und 4, besonders S. 22 Anmerkung 96 und S. 23 Anmerkung 97. ¹⁷ Vgl. Blankinship, »Early Creed« 50–51. ¹⁸ Vgl. Caspar, Historical Introduction 213. Vgl. Çetres, Kelâm für die gegenseitige Beeinflussung von fiqh, Kalām und Logik.

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Metaphysik bereichert.¹⁹ Robert Caspar stellt richtig dar, dass die Bagdader Übersetzungsinitiative bei den Muslimen eine große intellektuelle Entwicklung auslöste. Vor allem der fiqh, aber auch Sprachwissenschaft und Logik lehnten sich an dieses griechische Erbe an, und über jene Disziplinen wurde dieses Erbe dann an weitere klassische islamische Wissenschaften übermittelt.²⁰ Fortan setzte der fiqh die Syllogistik ein und das Streben nach Rationalität beeinflusste das gesamte islamische Denken. Caspar betont zu Recht, dass die Anfänge des Kalāms eng mit dem Versuch verknüpft sind, die Botschaft der Offenbarung durch die rationalen griechischen Theorien zu begründen und zu verteidigen.²¹ Der Logik kam im Islam schon sehr früh die Funktion eines Werkzeugs zu, das zur Verteidigung vorhandener, aber auch zur Konstruktion neuer Thesen diente. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass auch der Radd diese Methode sehr stark heranzieht, wenn Muslime Christen argumentativ begegnen. Es sollte nicht unerwähnt gelassen werden, dass dieser rationale Anspruch der islamischen Theologie und die aristotelische Syllogistik bereits im 10. Jahrhundert und in den folgenden Jahrhunderten auch kritisiert wurde. Die Vorstellung, dass die Logik als Instrument zur Unterscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit von Aussagen dienen könnte, war für einige Gelehrte nicht akzeptabel. Sie setzten sich jedoch nicht durch; wahrscheinlich, weil ihre Kritikpunkte, etwa, dass die aristotelische Logik eine griechische Technik und daher für das Arabische ungeeignet sei, nicht stichhaltig waren.²² Die Entstehung der Idee der Wahrheitssuche ist sehr gut bei al-Kindī zu beobachten. Ihm zufolge sollte griechisches Denken, auch wenn es nicht arabisch oder islamisch ist, begrüßt werden, denn dieses griechische Erbe, das in der Vergangenheit im Besitz der Wahrheit gewesen sei, würde die eigenen Bemühungen um die Erforschung der Wahrheit unterstützen.²³ Die durchaus vorhandene Kritik an Aristoteles und

¹⁹ Zur Bagdader Übersetzungsinitiative vgl. Steinschneider, Übersetzungen; Walzer, Greek into Arabic; Gutas, Translation Movement. ²⁰ Sehr eindrucksvoll fasst Leaman den Einfluss des griechischen Erbes zusammen: »[…] Greek approaches became part and parcel of theoretical work in Islam, especially in areas such as theology and law. Here the discussions of dialectical reasoning were employed in order to present arguments more securely, and once Greek thought was naturalized in Arabic it painlessly became part of the Islamic approach to justification and explanation. The very rich tradition of Hellenic thought […] was thus available to Arabic literature and was incorporated at many levels of Islamic thought, enabling Muslims to express themselves in terms that were appropriate for debate and argument with non-Muslims. Once the need for interfaith argument had passed, Greek thought became important in helping the Islamic world to present its arguments in as universal a form as possible, employing demonstrative and rigorous forms of reasoning which transcended the specificity of Islam itself. This was what many Arabic thinkers found exciting about Greek literature: its ambitions to encompass all of humanity or reality with its assertions, and its construction of a methodology that is powerful enough to carry this out.« (Leaman, »Greek Literature« 258). ²¹ Vgl. Caspar, Historical Introduction 170–171. ²² Vgl. Perkams, »Historischer Überblick« 37–38. ²³ Vgl. Adamson, »Rezeption« 145.

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auch an der Syllogistik resultiert maßgeblich aus den Einflüssen der aristotelischen und neuplatonischen Lehren auf die Theologie und aus dem Diskurs über die Frage, ob diese Lehren der islamischen Lehre entsprachen. Dennoch hat die Syllogistik als Werkzeug in der Philosophie, aber auch in der argumentativen Theologie, immer einen Vorrang gehabt, weil sie die Regeln liefert, nach denen Wahrheit methodisch sicher erkannt werden kann. Al-Taftāzānīs Tahdhīb al-Mantiq wa al-Kalām (»Erbauung der Logik und des Kalām«) bietet ein gutes Beispiel für die Integration der Logik in die Theologie. Vor allem aber stellt das Werk des al-Ghazālī einen Wendepunkt in der Theologie dar. Nicht nur sein Tahāfut al-falāsifa, sondern auch sein Kompendium zur Rechtsmethodik Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl enthält die wichtigsten Grundlagen aristotelischer Logik. Al-Ghazālī betrachtet letzteres nicht nur als eine Einführung in Logik und Beweisführung, sondern als eine Einführung in alle Wissenschaften. Daran wird der Rang deutlich, den er der Logik zuschreibt: Alle Wissenschaften haben sich an der Logik und Beweisführung zu orientieren, wenn sie sichere Erkenntnisse gewinnen wollen.²⁴ Daher nimmt die Logik spätestens seit al-Ghazālī einen wichtigen und festen Platz in der Propädeutik der Theologie ein.²⁵ In dieser Studie bleiben christliche Antworten auf muslimische Argumente und christlichen Polemiken gegen die islamische Lehre weitgehend unberücksichtigt, weil diese nicht zum islamischen Radd zählen. Doch die Existenz einer umfangreichen christlichen Polemik gegen den Islam zeigt auch, dass das Nebeneinanderleben zu dem Wunsch führte, sich gegenseitig tiefgründig kennenzulernen, das Verhältnis beider Religionen klarzustellen und die Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber dem Anderen mit Argumenten zu demonstrieren.²⁶ Griffith weist zu Recht darauf hin, dass arabisch-christliche Apologeten gleichermaßen wie die muslimischen dem Islam argumentativ und apologetisch begegneten, um einerseits den Koran als fehlerhafte Schrift zu erweisen, andererseits die christliche Lehre zu beweisen und zu verteidigen.²⁷ Als Beispiel, um die argumentative Dimension der christlichen Apologetik wenigstens anzudeuten, sei an dieser Stelle eine der frühesten arabischchristlichen Apologien genannt. Der Text, dessen Autor unbekannt ist, wurde von Margaret Dunlop Gibson, der ersten Herausgeberin, als Fī tathlīth Allāh al-wāḥid (»Über die dreieinige Natur Gottes«) betitelt.²⁸ Wie Samirs Inhaltsanalyse zeigt, versucht der Text, die Trinitätslehre argumentativ zu beweisen, indem er sich philosophischer, biblischer und rationaler Argumente bedient, ganz ähnlich wie der islamische Radd gegenüber christlichen Lehren.²⁹ Dass

²⁴ Vgl. al-Ghazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl Bd. 1, 45–47. ²⁵ Vgl. Eichner, »Avicenna-Rezeption« 55–56. ²⁶ Vgl. Fritsch, Islam und Christentum 2. ²⁷ Vgl. Griffith, »Christian Texts« 203–233. ²⁸ Vgl. Gibson, »Introduction« VI. ²⁹ Samir, »Earliest Arab Apology« 57–114. Nicht nur in der apologetischen Methode weist die islamische Tradition eine Übereinstimmung mit der christlichen auf, sondern auch in der Methode des Kalāms, denn nicht nur der Islam wandte die rationale Methode des

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die christliche Apologetik vor allem die Trinität zu verteidigen bemüht war, ist kein Zufall; denn der islamische Radd ist in erster Linie eine argumentative Zurückweisung der trinitarischen Christologie. Zum einen haben muslimische Autoren das Ziel, das Jesus-Bild des Korans zu verteidigen, zum anderen haben sie erkannt, dass die Christologie das zentrale Thema der christlichen Theologie ist (jedenfalls im Vergleich und in Abgrenzung zu Judentum und Islam). Sie sehen einen Widerspruch in der Trinitätslehre, die besagt, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist den einen Gott ausmachen und dabei gleichwertig sind, aber gleichzeitig Vater, Sohn und Heiligen Geist als drei Personen bzw. Hypostasen voneinander unterscheidet.³⁰ Alle anderen Themen leiten sich von der Christologie her, so ist selbst das ›Buch‹ (gemeint ist das Evangelium) an der Person Jesu orientiert.³¹ Daher war es für beide Seiten argumentativ zentral, die Christologie des jeweiligen Opponenten zu widerlegen. Dabei wählt der islamische Radd hauptsächlich zwei Strategien, die in summa, was die Textkomposition angeht, ineinander fallen: die argumentative Verneinung der Gottheit Jesu und das Abstreiten der Authentizität der Evangelien. Praktisch zieht ein Radd-Text zunächst die erste Strategie heran. Falls der Opponent überzeugt würde, destruiert diese Annahme auch die Glaubwürdigkeit der Evangelien. Wenn nicht, dann versucht der Autor des Radd-Textes die Evangelien zu destruieren, um die Authentizität ihrer Aussagen zur Christologie in Frage zu stellen.³² Als Antwort darauf konstruierten christliche Apologeten Argumente für die Gottheit Jesu. Hermann Stieglecker fasst diese Argumente wie folgt zusammen: »1. Der Messias wird von Isaias (7,14) Emmanuel, d. h. Gottmituns genannt, und der Evangelist Matthäus sagt ausdrücklich, dass Jesus dieser verheißene Emmanuel, dieser Gottmituns, also wahrer Gott ist. (Mt. 1,23) 2. Jesus wird zum Unterschied von allen anderen Propheten ›Rab[b]‹, d. h. Herr genannt; diese Bezeichnung weist klar auf seine Gottheit hin. 3. Der Engel Gabriel sagt von ihm, daß er ›Sohn Gottes‹ genannt werden wird. (Lk. 1,35) Kalāms systematisch an, sondern auch die christliche Theologie (vgl. Burman, »Christian Kalām« 38–49; Griffith, »Faith and Reason« 1–43). Ab dem 8. Jahrhundert entwickelte sich nicht nur bei den Muslimen eine rationale Theologie, sondern auch bei den Christen, die auf Arabisch schrieben (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 645). Auch wenn alJaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā das Christentum als rationalitätsfern betrachtet, erkennt man die Hochschätzung der Rationalität in Judentum, Christentum und Islam doch schon daran, dass alle drei Religionen eine nach einem Gottesbeweis suchende Theologie entwickelten. ³⁰ Vgl. Gioia, Theological Epistemology 24–32. Eine besonders luzide Darstellung der komplizierten Herausbildung dieser christlichen Dogmen bietet Hägglund, Geschichte 53–67 (Trinitätslehre) und 67–80 (Christologie i. e. S.). Vgl. etwa auch Rusch, Trinitarian Controversy sowie Hauschild, Lehrbuch Bd. 1, 1–54 (Trinitätslehre) und 161–217 (Christologie i. e. S.) mit weiteren Literaturhinweisen. ³¹ Kessler, »Christologie« 241. ³² Der Text des Radds gestaltet und entwickelt sich durch die argumentative und diskursive Kontroverse, und dies führt die gegenseitige interreligiöse Beeinflussung – zumindest in der Textentstehung des Radds – exemplarisch und deutlich vor.

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4. Der himmlische Vater selber bezeugt: ›Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.‹ (3,17) 5. Jesu übernatürliche Empfängnis. 6. Jesus bezeichnet sich selber als Gottes Sohn, z. B. ›Ehe Abraham ward, bin ich!‹ (Joh. 8,58) oder sein Bekenntnis vor Kaiphas. 7. Die Apostel bekennen seine Gottheit, z. B. Mt. 16,16. 8. Die Wunder Jesu, vor allem seine Auferstehung. 9. Die Wunder, welche im Namen Jesu gewirkt werden. 10. Die Wunder, welche durch das Kreuz geschahen, u. a. m.«³³

Vergleicht man diese Beweise der Christen mit den Argumenten in Radd-Texten, dann zeigt sich, dass muslimische Autoren (so auch al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā) sehr wohl verstanden und studiert haben, auf welchen Grundlagen der Glaube an die Gottheit Jesu bei den Christen basiert und an welchen kritischen Punkten eine Argumentation gegen diese Thesen ansetzen muss. Denn ihre Argumentationen richten sich – wie im Text al-Jaʿfarīs deutlich ersichtlich ist – vor allem gegen die oben aufgeführten christlichen Thesen, gegen die al-Jaʿfarī beispielsweise alternative Interpretationen biblischer Belegstellen oder Widerlegungen christlicher Voraussetzungen anführt. Dies zeigt außerdem, dass das Genre des Radds zum einen auf geläufige Argumente der Christen antwortete, zum anderen neue Argumente gegen die christliche Lehre oder für die Wahrheit des Islams konstruierte. Wichtig ist an dieser Stelle, dass der Streit im Rahmen der theologischen Polemik und Apologetik eine intellektuelle und konstruktive Auseinandersetzung war, auch wenn diese Polemik exklusivistisch war. Sie stellt damit ein gutes Beispiel dafür dar, wie sich der exklusivistische Ansatz im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung intellektuell gestalten kann.³⁴ Wie die historischen Quellen berichten, wurden zahlreiche majlis (Disputationssitzung) organisiert, in denen Christen mit Muslimen oft tagelang argumentativ diskutierten³⁵ und ihre Argumente gegeneinander ausspielten, mit dem Ziel, den Opponenten von der Wahrheit der eigenen Religion zu überzeugen.³⁶ Dadurch

³³ Stieglecker, Glaubenslehren 283. ³⁴ Vgl. zur Diskussion von Exklusivitätsanspruch und Rationalisierung der religiösen Begründungen Graf, Wahrheitsansprüche. ³⁵ Diese Diskussionen im Rahmen eines majlis waren Debatten (jadal) und Disputationen (munāẓara) über theologische Fragestellungen, denn die majlis hatte eine eigene Methode, der die Teilnehmer folgen mussten; sie waren klar argumentativ (vgl. van Ess, »Disputationspraxis«). Obwohl viele Diskussionen in den majlis das Ziel hatten, den Opponenten durch Argumente zu überzeugen, waren oft auch rhetorische Mittel erlaubt (zu rhetorischen Mitteln in den majlis vgl. Munir-ud-Din, Muslim Education 67–71). Diese Diskussionen wurden oft schriftlich festgehalten. Ein solcher schriftlich aufgezeichneter christlich-muslimischer majlis ist beispielsweise das Kitāb al-majālis (»Buch der Sitzungen«) des Elias von Nisibis (gest. 438/1046), in dem sieben Sitzungen der Diskussion wiedergegeben werden (vgl. Monferrer Sala, »Kitāb al-majālis« 730–731; vgl. hierzu auch Griffith, »Monk«). Vgl. ebenso Cohen/ Somekh, »Majālis«. ³⁶ Vgl. Griffith, »Monk« 28.

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wurde auch die schriftliche Auseinandersetzung angeregt.³⁷ Frühe Streitgespräche, etwa im frühen 9. Jahrhundert, welche durch den abbasidischen Kalifen al-Maʾmūn (reg. 198/813–218/833) im Rahmen solcher majlis organisiert wurden, hatten auch eine politische Intention, weil die Politik durch diese Gespräche die Sicherheit erhielt, dass eine bestimmte Gruppe nicht die Oberhand gewann. Durch die argumentative Auseinandersetzung hielten sich die Parteien gegenseitig in Schach. Diese Kultur führte letztendlich zu einem relativ friedlichen Zusammenleben.³⁸ Womöglich ist die erkenntnistheoretisch ausgerichtete Apologetik und Polemik (im Gegensatz zur rein rhetorischen und schmähenden) selbst ein Erzeugnis der Freiheit. Denn im Mittelalter genossen Christen im islamischen Orient Freiheiten, die dem Austausch zwischen den beiden Religionen förderlich waren; nur dadurch konnte sich ein argumentativer Diskurs entwickeln, der unter despotischen Bedingungen gar nicht möglich gewesen wäre. In seinem Kitāb al-amwāl³⁹ (»Das Buch der Einnahmen«) macht Abū Jaʿfar Aḥmad ibn Naṣr al-Dāwūdī al-Asadī (gest. 401 oder 402/1011 oder 1012) deutlich, dass die Christen unter islamischer Herrschaft die Freiheit der Religionsausübung hatten und frei darin waren, ihre Kirchen zu errichten und zu verwalten.⁴⁰ Christen, die im Staatsdienst standen, waren bemüht und hatten auch die Erlaubnis, sich mit den Muslimen in Sachen Religion auszutauschen. Hierzu kann als bekanntestes Beispiel Johannes von Damaskus genannt werden (auch: Johannes Damascenus; gest. wahrscheinlich vor 754),⁴¹ dessen Familie generationenlang im Staatsdienst der Umayyaden stand und der zahlreiche apologetische und polemische Argumente zum Islam konstruierte.⁴² Diesem Beispiel folgten die Kopten, die am Hofe der Fatimiden in Ägypten dienten.⁴³ Generell war das Leben der Christen im islamischen Orient, mit einigen Ausnahmen, ziemlich friedlich und sie genossen, so al-Jāḥiẓ’ Bericht über das 9. Jahrhundert, eine gewisse Gleichberechtigung mit den Muslimen.⁴⁴ Diese Voraussetzungen

³⁷ Vgl. Griffith, »Abbasid Times« 76. Ein Autor, der selbst weniger polemisch vorging, jedoch in seinem Jadhwat al-muqtabis fī taʾrīkh ʿulamāʾ al-Andalus (etwa: »Eine Fackel für den nach Erleuchtung über die Geschichte der Gelehrten von al-Andalus Suchenden«) über die majālis u. a. zwischen Muslimen und Christen in al-Andalus berichtet, ist Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Abī Nasṛ Futūḥ al-Azdī al-Ḥumaydī al-Ẓāhirī (geb. 1029, gest. 1095). Al-Ḥumaydī nahm selbst an diesen Sitzungen teil, bei denen Religionsvertreter auf der Grundlage der Gleichheit miteinander diskutierten (vgl. El Hour, »Al-Ḥumaydī« 117–120). ³⁸ Vgl. Heimgartner, »Disputation« 55. ³⁹ Verfasst Anfang des 11. Jahrhunderts (vgl. Monferrer Sala, »Kitāb al-amwāl«). ⁴⁰ Al-Dāwūdī, Kitāb al-amwāl, zitiert nach Steinschneider, Literatur 27; vgl. auch Monferrer Sala, »Kitāb al-amwāl« und ders., »Al-Dāwūdī« 637–639. Ähnliche Rechte attestiert Abū ʿUbayd al-Qāsim ibn Sallām (gest. 224/838) in seinem Kitāb al-amwāl (hg. von Saylık 27) den Juden schon im 9. Jahrhundert. ⁴¹ Vgl. Pahlitzsch, »Peter of Damascus« 290–292. ⁴² Vgl. Johannes von Damaskus, Liber de haeresibus und ders., Schriften zum Islam. ⁴³ Vgl. Thomas, Christian Doctrines 78. ⁴⁴ Vgl. al-Jāḥiẓ, Al-radd ʿalā l-Naṣārā, zitiert nach Gaudeul, Encounters Bd. 2, 26–27. Vgl. dazu auch Finkel, »Al-Jahiz« und Grafton, Christians of Lebanon 48–49.

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förderten nicht zuletzt die mündliche und schriftliche intellektuelle Auseinandersetzung der Theologien. Diese Auseinandersetzung mit den Christen, die auf eine lange Tradition der religiösen Apologetik zurückgreifen konnte, hat nicht nur die islamische Theologie bereichert, sondern auch die arabisch-christliche. Schon früh hatten die arabischsprachigen Christen das Bedürfnis verspürt, sich gegen die Argumente der Muslime mit Argumenten zu wehren. Johannes von Damaskus formulierte sein christliches Bekenntnis noch auf Griechisch,⁴⁵ doch es dauerte nicht lange und die ersten christlich-arabischsprachigen Schriften wurden verfasst, darunter prompt auch apologetische Texte. Exemplarisch sei nochmals auf das bereits erwähnte Werk Fī tathlīth Allāh al-wāḥid eines anonymen christlichen Autors verwiesen, in dem auf Arabisch zunächst die Trinität und danach weitere theologische Themen behandelt werden. Mark Swanson datiert diese Schrift auf 788.⁴⁶ Das Besondere an ihr ist, dass sie sich stark an koranische Konzepte anlehnt, was wiederum den starken Einfluss des Korans auf die arabisch-christliche Literatur zeigt.⁴⁷ Ohnehin ist die Sprache des Textes deutlich islamisch geprägt; Samir gibt an, es handele sich hierbei um christliche Lehre in koranischer Sprache.⁴⁸ Der Text hat zwei Adressaten: die Christen, die der Anonymus mit ›wir‹ anredet, und die Muslime, die er mit ›ihr‹ anspricht.⁴⁹ Der Text ist

⁴⁵ Es ist jedoch anzunehmen, dass Johannes von Damaskus Arabisch beherrschte, da er im Staatsdienst der Umayyaden stand und seit der Verwaltungsreform von ʿAbd al-Malik ibn Marwān ibn al-Ḥakam ibn Abū al-ʿĀṣ ibn Umayya (reg. zwischen 26/685 und 86/705) das Beherrschen des Arabischen im Staatsdienst vorgesehen war (vgl. Sahas, John of Damascus 45–47). Eine andere griechische Schrift zum Islam, die jedoch nur aus indirekten Hinweisen bekannt ist, wird Peter von Damaskus zugeschrieben. In der Forschung wird allerdings kontrovers diskutiert, ob dieses verschollene Buch De haeresibus (»Über die Häresien«) – und vor allem der Teil über den Islam – tatsächlich von Peter stammte oder es sich um ein Pseudepigraph handelte oder ob diese Schrift vielleicht niemals existiert hat. Peter von Damaskus war in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts Metropolit von Damaskus. Pahlitzsch betont, dass Peters Buch – wenn es denn jemals existiert hat – eine der frühesten Abhandlungen über den Islam auf Griechisch war. Außerdem wäre es besonders interessant, Peters Darstellung mit dem kurzen Kapitel über den Islam von Johannes von Damaskus zu vergleichen, zumal Johannes seine polemische Schrift Contra Jacobitas (»Gegen die Jakobiten«) in Peters Auftrag schrieb. Vgl. Pahlitzsch, »Peter of Damascus« und ders., »Treatise Against Islam«. ⁴⁶ Griffith datiert das Werk dagegen auf 755. Vgl. hierzu Swanson, »Fī tathlīth« 330–333 und Griffith, Church in the Shadow 88–90. Für Swansons Argument für seine Datierung vgl. ders., »Considerations«. ⁴⁷ Vgl. Swanson, »Approaches« 305–311. Auch die späteren christlichen Polemiken, wie etwa die des Nestorianers ʿAmmār al-Baṣrī (gest. ca. 209/825), zogen koranische Konzepte und Gleichnisse heran, um das Christentum gegenüber den muslimischen Opponenten argumentativ beweisen zu können (vgl. Griffith, »Kitāb al-Burhān« 174–181 und Hayek, »Introduction« 53–54). ⁴⁸ Vgl. Samir, »Apologie arabe« 97. ⁴⁹ Vgl. Fī tathlīth Allāh al-wāḥid, 5–6 und 74–86; vgl. hierzu auch Griffith, »Christian Thought«.

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Kapitel 1: Einführung

teilweise argumentativ und versucht den muslimischen Opponenten von der eigenen christlichen These zu überzeugen.⁵⁰ Es ist breit diskutiert worden, welche Rolle die koranischen Konzepte spielen, die in die christliche Beschreibung der eigenen Lehre einfließen.⁵¹ Argumentationstheoretisch betrachtet ergibt sich eine alternative Lesart: Die Heranziehung koranischer Konzepte hat die Funktion, die Akzeptabilität der Argumente für den Opponenten sicherzustellen und damit die Adäquatheit zum rationalen Überzeugen. Dem Text liegt nämlich u. a. ein interpretatives Erkenntnisprinzip zugrunde, bei dem versucht wird, christliche Thesen durch Heranziehung alternativer Interpretationen des Korans zu belegen. Der Argumentierende zieht also den Koran als Argumentationsbasis heran, um die Akzeptanz der Prämissen bei seinem (muslimischen) Opponenten zu sichern. Somit gibt es schon unter den ersten christlich-arabischen Schriften stark argumentative Texte – eine Methode, welche die Christen nicht nur gegen die islamische Lehre heranzogen. Denn das Christentum führte im Mittelalter nicht nur mit dem Islam einen polemischen Diskurs, sondern auch mit Häretikern und Juden. Juden und Häretiker wurden zwar als Bedrohung wahrgenommen, die größte Bedrohung stellte, so Petrus Venerabilis (1092 oder 1094 bis 1156), jedoch der Islam dar.⁵² Umgekehrt warfen – ähnlich wie die Juden – auch die Muslime den Christen Blasphemie vor; sie würden Gottvater, Jesus und den Heiligen Geist anbeten, was letztlich bedeute, dass sie mehrere Götter anbeteten. Der strenge Monotheismus des Islams und auch des Judentums lehnte dieses christliche Dogma ab. Juden und Muslime sahen in der christlichen Trinitätslehre einen Tritheismus (Glauben an drei Götter) und nicht etwa einen Monotheismus.⁵³ Dieser Unterschied in einer sehr zentralen Frage zum Wesen des Göttlichen führte schließlich jede dieser Religionen zur Verpflichtung, die eigene Religion zu verteidigen und die andere(n) zu widerlegen, und begründete somit die Apologetik und Polemik zwischen diesen drei religiösen Traditionen. Die theologische Disputation zwischen Judentum, Christentum und Islam ist komplex. So gab es Disputationen von Christen gegen Juden und umgekehrt,

⁵⁰ Vgl. Fī tathlīth Allāh al-wāḥid, 5–6 und 74–86. ⁵¹ Vgl. allgemein zu Diskussionen zu dieser Schrift: Griffith, Church in the Shadow 53–57, 89–90, 167–179; Swanson, »Apologetics«; Swanson, »Approaches« 305–311; Swanson, »Use of the Bible«; Bertaina, »Testimony Collections« 162–167; Swanson, »Crucifixion« 243–247; Griffith, »Christian Texts« 214–216; Griffith, »View of Islam« 10–12; Swanson, Cross of Christ 4–5; Samir, »Earliest Arab Apology«; Swanson, »Melkite Apologies« 129–130; Swanson, »Considerations«; Samir, »Apologie arabe«; Griffith, »Monks of Palestine« 18, 21; Haddad, Trinité 52–53; Harris, »Tract«. ⁵² Zitiert nach Pelikan, Christian Tradition Bd. 3, 242. ⁵³ Vgl. Meister/Stump, Christian Thought 265–267. Dabei übersahen muslimische Theologen, dass das Christentum schon seit der Durchsetzung des trinitarischen Dogmas in den Konzilien von Nicäa und Konstantinopel im 4. Jahrhundert den Versuch unternahm, das Verhältnis der trinitarischen Dreiheit mit der Einheit Gottes zu verbinden und diese Dreiheit als Einheit zu erklären, um so am Monotheismus festzuhalten (vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 370; Hägglund, Geschichte 53–67).

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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Disputationen von Muslimen gegen Juden und umgekehrt sowie Disputationen von Christen gegen Muslime und umgekehrt. Von diesen sechs möglichen Disputationen konzentriert sich diese Studie auf die Disputation von Muslimen zum Christentum. Dennoch soll die breite Literatur auch der anderen Disputationsmöglichkeiten wenigstens kurz erwähnt werden. So hat sich etwa al-Jaʿfarī, mit dem sich diese Studie hauptsächlich befasst, keineswegs nur mit dem Christentum auseinandergesetzt, sondern in seinen Werken Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wal-Yahūd (»Das Buch der zehn Fragen mit dem Titel ›Die Darstellung der klaren und bezeugten Niederträchtigkeit der Christen und Juden‹ «) und Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl (»Beschämung derer, die Tora und Evangelium verfälscht haben«) auch mit der jüdischen Lehre. Lediglich in seinem Werk Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā (»Ein Buch über die Widerlegung der Christen«) begegnet er praktisch ausschließlich den Christen argumentativ und erwähnt das Judentum nur am Rande. Dass er die Rezeption des Alten Testaments durch die Juden in seinen eben genannten Werken behandelt und sie ebenfalls argumentativ als fehlerhaft zu erweisen versucht, hat die generelle Funktion, zeigen zu wollen, dass das gesamte religiöse Textkorpus der Juden und Christen korrupt und missinterpretiert sei. Der islamischen Disputation zum Judentum ging jedoch die christliche voraus. Schon sehr früh gehörte der Anti-Judaismus zum christlichen Selbstverständnis.⁵⁴ Die breite christliche Literatur zum Judentum wurde unter dem Sammelbegriff ›Adversus Judaeos‹ zusammengefasst.⁵⁵ Unter diesem Titel verfasste schon Tertullian um 197 eine Schrift zum Judentum⁵⁶ und später auch Augustinus von Hippo.⁵⁷ Diesen frühen Zeugnissen anti-jüdischer Apologetik von Christen folgte eine breite argumentative christlich-apologetische Literatur. Dabei geht es u. a. um die Frage, ob die Juden von Gott abgefallen seien und ob Gott sich von ihnen abgewandt habe, des Weiteren um die korrekte Interpretation des Alten Testaments, um religiöse Riten wie die Beschneidung und ihre neue christliche Interpretation und natürlich um die Frage, ob der Messias bereits erschienen sei. Die christlichen Apologeten versuchten argumentativ nichts Geringeres, als die Verheißung des Alten Testaments und den Status der Juden als Gottes auserwähltes Volk auf die Christen zu übertragen. Welch große Wirkung argumentative Disputationen mit sich bringen, wird ebenso deutlich, wenn die Literatur der Gegenseite – der Juden – zum Christentum betrachtet wird. Die jüdischen Apologeten schufen ein breites apologetisches Schrifttum zum Christentum; so war die anti-christliche Polemik ein Charakteristikum der mittelalterlichen jüdischen Bibelkommentare, sie richtete sich vor allem gegen die christologische Interpretation des Alten Testaments.⁵⁸

⁵⁴ Vgl. Cohen, Crescent and Cross 139. ⁵⁵ Vgl. Williams, Adversus Judaeos. ⁵⁶ Vgl. Tertullian, Adversus Judaeos. ⁵⁷ Vgl. Blumenkranz, Judenpredigt. ⁵⁸ Vgl. Cohen, Crescent and Cross 141.

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Kapitel 1: Einführung

Jedoch waren die Juden weniger mit der Widerlegung des Christentums beschäftigt als umgekehrt. So ist allgemein bekannt, dass die frühesten jüdischen Kompilate, die sich der antichristlichen Polemik widmen, erst aus dem zwölften Jahrhundert stammen. Diese späte Entwicklung könnte als eine Reaktion auf die gesteigerte Aggressivität der westlichen Christenheit gegenüber den Juden und anderen Nichtchristen verstanden werden.⁵⁹ Die jüdischen Apologeten wehrten sich hauptsächlich gegen die Vereinnahmung des Alten Testaments durch die Christen, die den Text auf Basis der christlichen Lehre christologisch interpretierten. Zudem bildeten die Themen um die Frage nach dem Messias eine zentrale Streitfrage. Auch die Erbsünde, die Menschwerdung Gottes und die Zinsfrage lieferten apologetisches Material. Andalusien war für die Entwicklung der jüdischen Radd-Literatur besonders fruchtbar. Es ist anzunehmen, dass die islamische Radd-Literatur und die Streitkultur, die dort gepflegt wurde, dazu einen erheblichen Beitrag geleistet haben. Denn erst Joseph ben Isaak Qimḥī (gest. 1170) verfasste wohl das erste komplette Radd-Werk zum Christentum in Andalusien mit dem Titel Sefer ha-berit (»Buch des Bundes«). Wenn man den in Andalusien unter muslimischer Herrschaft lebenden Judah (Abū al-Ḥasan) ben Samuel Halevi (gest. 535/1141) und sein auf Judäo-Arabisch verfasstes Werk Kitāb al-radd wa-l-dalīl fī al-dīn al-dhalīl (»Buch der Widerlegung und des Beweises über die verachtete Religion«) heranzieht, erkennt man, dass im Mittelalter nicht nur die qaräische Literatur – die zunächst arabisch war – entstand, sondern auch eine rabbanitisch-jüdische (zumeist arabisch geschriebene) Radd-Literatur, die sich den islamischen Radd-Theorien anschließt und dem Christentum argumentativ begegnet.⁶⁰ Doch war in dieser gepflegten Streitkultur auch jüdische Apologetik gegenüber dem Islam keine Seltenheit. Die Sammlung von Steinschneider gibt einen guten Einblick in die reichen jüdischen Widerlegungsversuche gegen den Islam.⁶¹ Ebenso entwickelten Muslime eine breite Literatur, auch ausgehend von der koranischen Kritik am Judentum, gegen die jüdische Lehre.⁶² Ein wichtiges Merkmal der islamischen Apologetik gegenüber dem Judentum ist, dass sie schriftbasiert arbeitet, ähnlich wie die jüdisch-christlichen Disputationen. Die alternativen Interpretationen der heiligen Schriften stehen somit im Fokus dieser interpretativ-argumentativen Begegnung. Wenn man die gegenseitige starke Beeinflussung dieser drei monotheistischen und abrahamitischen Religionen betrachtet, kann sicher festgehalten werden, dass alle drei Religionen ohne die jeweils anderen eine andere geschichtliche Entwicklung genommen und womöglich eine andere – oder zumindest auf andere Schwerpunkte fokussierte – dogmatische Lehre entwickelt

⁵⁹ Vgl. Chazan, »Sefer ha-Berit«. ⁶⁰ Vgl. Judah Halevi, Sefer ha-maʿaneh sowie ders., Al-kitāb al-Khazarī. ⁶¹ Vgl. Steinschneider, Literatur 244–387. In Anhang VII bietet Steinschneider unter der Rubrik »Jüdische Polemik gegen den Islam« eine bibliographische Aufzählung von jüdischpolemischen Schriften. ⁶² Vgl. Steinschneider, Literatur.

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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hätten. Die Möglichkeit einer argumentativen Auseinandersetzung hat die Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung aller drei Religionen maßgeblich gefördert. Ohnehin war die Kommunikation der Religionen schon im 7. Jahrhundert disputativ, und das – wie eben gezeigt – nicht nur zwischen dem Christentum und dem Islam. Schon der innerchristliche Streit zwischen Chalcedoniern, Monophysiten und Nestorianern war disputativ, apologetisch und polemisch.⁶³ Das argumentationstheoretische Vokabular der arabischen Sprache scheint im christlichen Radd zum Islam schon Mitte des 9. Jahrhunderts sehr ausdifferenziert gewesen zu sein, wie die Terminologie im von dem Christen ʿAmmār al-Baṣrī (gest. um 236/850) verfassten Kitāb al-masāʾil wa-l-ajwiba (»Ein Buch der Fragen und Antworten«)⁶⁴ zeigt – etwa ithbāt (›Bestätigung‹, ›Beweis‹), dalīl (›Beweis‹, ›Leitfaden‹ u. a.), iḍṭirār (›Notwendigkeit‹), ḥujja (›Argument‹, ›Beweis‹), qiyās (›Analogie‹ u. a.), burhān (›Beweis‹, ›Beleg‹ u. a.), daʿwā (›These‹), ibṭāl (›Abschaffung‹, ›Negation‹ u. a.) u. v. m.⁶⁵ Dass sich christliche Apologeten schon im 9. Jahrhundert so stark an dieser argumentationstheoretischen und logischen Terminologie orientierten, welche wiederum maßgeblich auf das griechische Erbe zurückgeht,⁶⁶ belegt die schon früh zentrale Stellung von Argumentation und Logik im Streitgespräch zwischen Christentum und Islam. So scheint die Erwartung muslimischer Apologeten, dass bei Argumentationen eine methodische Adäquatheit angestrebt werden soll und dass Argumentation und Logik zwischen den Theologien entscheiden sollen, berechtigt gewesen zu sein. Die christliche Polemik zum Islam wurde vor allem durch Theologen des Ostens wie Theodor Abū Qurra⁶⁷ (geb. Mitte des 8. Jahrhunderts, gest. unklar) oder, wie schon erwähnt, von Johannes von Damaskus geprägt.⁶⁸ Theodor Abū Qurra, selbst ein Melkit, war ein eifriger Polemiker, nicht nur gegen den Islam,⁶⁹ sondern auch gegen die Monophysiten und Nestorianer. Johannes von Damaskus wiederum befasste sich mit dem Islam polemisch in seiner Schrift⁷⁰

⁶³ Vgl. Gutas, Translation Movement 66–68. – Ausführlicher zu den christlichen Gruppen siehe hier Kapitel 8, S. 273–284. ⁶⁴ Masāʾil wa-l-ajwiba-Texte sind oft argumentative Frage-Antwort-Texte, vgl. hierzu Daiber, »Masāʾil« und Bertaina, Dialogues 134. ⁶⁵ Vgl. den Anhang »Lexique technique« in Hayek, »Introduction« 85–91. ⁶⁶ Für einen Überblick zur Übernahme des griechischen Erbes in das islamische Denken siehe Gutas, Translation Movement. ⁶⁷ Zu Theodor Abū Qurra und seinem Leben siehe Lamoreaux, »Biography«. ⁶⁸ Für eine Liste wichtiger christlich-arabischer Autoren siehe Graf, Literatur 30–71 sowie jetzt das von David Thomas et al. herausgegebene große Sammelwerk Christian-Muslim Relations 600–1500 (Leiden: Brill). Zur Wahrnehmung des Islams durch das Christentum des Ostens vgl. Schon, »Wahrnehmung« 39–44. ⁶⁹ Eine Liste seiner relevanten Werke, in denen der Islam erwähnt wird, gibt Lamoreaux, »Theodore Abū Qurra« 666. ⁷⁰ Für die Schriften des Johannes von Damaskus siehe Khoury/Glei, in: Johannes von Damaskus, Schriften Bd. 4, 60–67.

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Kapitel 1: Einführung

Perí hairéseōn (»Über Häresien«⁷¹), in der er u. a. zentrale Lehren des Islams zu widerlegen versuchte.⁷² Die Debatte zwischen Christen und Muslimen ist deshalb hauptsächlich durch die Frage nach dem Wesen Gottes und nach der Christologie geprägt,⁷³ wobei in der Weiterentwicklung des Diskurses noch andere Aspekte hinzukamen. Die vorliegende Studie stellt diese Entwicklung zum einen ausgehend von der breiten muslimischen Radd-Literatur bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts dar, zum anderen speziell anhand des Radd-Werkes Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī (gest. 668/1270). Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī, mit vollem Namen Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn ibn Ṭalḥa ibn al-Ḥusayn ibn Muḥammad ibn al-Ḥusayn Abū al-Baqāʾ Taqī alDīn al-Hāshimī al-Jaʿfarī al-Zaynabī,⁷⁴ war ein Gelehrter, Poet und Jurist der schafiitischen Richtung, der als Richter (qāḍī) und auch als Gouverneur (wālī) in der ägyptischen Stadt Qūṣ tätig war.⁷⁵ Über sein Leben ist nur wenig überliefert.⁷⁶ Bekannt ist er aufgrund seiner drei Schriften zum Christentum.⁷⁷ Zu diesen Schriften gehört das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, das al-Jaʿfarī gegen Ende seines Lebens verfasst hat; es wird als seine letzte polemische Arbeit angesehen.⁷⁸ Einen Hinweis auf den Grund für die Abfassung dieser Schrift gibt der Autor selbst:

⁷¹ Das genaue Datum der Zusammenstellung von Perí hairéseōn ist unbekannt. Diese Schrift bildet zwar den zweiten Teil seines antihäretischen Hauptwerkes Pēgḗ gnṓseōs (»Quelle des Wissens«), das nach 743 abgeschlossen war, aber es ist auch möglich, dass mehrere Kapitel schon früher geschrieben wurden; vgl. Glei, »Peri haireseōn« 297–301. Die Standardedition dieser Schrift ist Band IV der Schriften des Johannes von Damaskos, hg. vom Byzantinischen Institut der Abtei Scheyern (siehe Literaturverzeichnis). ⁷² Vgl. Glei, »Peri haireseōn« 297–301. Die eigentlichen Adressaten seiner Argumente waren jedoch nicht Muslime – denn diese sprachen kein Griechisch –, sondern Christen, die vor muslimischen Argumenten geschützt werden sollten. Jedoch beeinflusste der Inhalt auch Muslime, die den Inhalt der Schrift indirekt in Erfahrung gebracht haben müssen, um dann Gegenargumente zu konstruieren. ⁷³ David Thomas weist darauf hin, dass muslimische Gelehrte vor allem solche Themen aufgriffen und argumentativ bearbeiteten, die eine Reibungsfläche zum Islam boten und der Lehre des Islams zu widersprechen schienen (vgl. Thomas, »Bible and the Kalām« 175–192). ⁷⁴ Diese komplette Angabe des Namens findet sich bei al-Yūnīnī (gest. 726/1326), Dhayl mirʾāt al-zamān Bd. 2, 438. Vgl. auch Brockelmann/Witkam, GAL Bd. 1, 430 mit Supplement I, 766. ⁷⁵ Vgl. al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl 13. ⁷⁶ Siehe zu al-Jaʿfarī hier ausführlich Kapitel 7. ⁷⁷ Diese sind das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, das in der vorliegenden Studie herangezogen wird, das Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ alNaṣārā wa-l-Yahūd und das Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl. Zum letztgenannten Werk schrieb Abū al-Faḍl al-Suʿūdī al-Mālikī eine Kurzfassung mit dem Titel Al-muntakhab al-jalīl min Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl, die van den Ham 1890 anhand der Manuskripte aus Leiden und Oxford als Disputatio pro religione Mohammedanorum adversus Christianos ediert hat. ⁷⁸ Siehe Demiri, »Al-Jaʿfarī« 480–485 und dies., »Kitāb al-radd« 485.

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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»Ich widmete mich den angesprochenen Themen, die die Franken geschickt haben, um die Leute des Islams zu testen. Und ich habe diese Themen untersucht, daraufhin fand ich heraus, dass sie, was den religiösen Nutzen angeht, nutzlos sind; und was den weltlichen Nutzen angeht, so sind sie auch nutzlos.«⁷⁹

Demnach ist die Schrift an die sog. ›Franken‹ (faranj) gerichtet:⁸⁰ Al-Jaʿfarī reagierte mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten. Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā besteht aus den folgenden sieben Kapiteln, deren Themen bereits den umfassenden Anspruch von alJaʿfarīs Werk erkennen lassen: I. Die Widerlegung der Aussage, Jesus sei Gottes Sohn und Gott sei sein Vater II. Über die Widerlegung der Einheit III. Über die Widerlegung der Behauptung der Tötung und Kreuzigung Jesu IV. Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität V. Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums, welches die Christen bis heute besitzen VI. Der Beweis für das Prophetentum Jesu VII. Der Beweis für das Prophetentum Muḥammads Zu allen genannten Themen bringt al-Jaʿfarī in den jeweiligen Kapiteln eine Vielzahl von Argumenten vor. Dabei zieht er, wie Lejla Demiri zu Recht betont,⁸¹ zwei grundlegende Argumentationsformen heran: das manqūl, also das überlieferungsbasierte Argument,⁸² und das maʿqūl, d. h. das vernunftbasierte

⁷⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3. ⁸⁰ Die Franken sind ursprünglich ein germanisches Volk, das nach dem 3. Jahrhundert in das weströmische Reich einwanderte und dort einflussreich wurde. Der arabische Begriff faranj, der seit dem 8. Jahrhundert verwendet wird, geht wohl auf das germanische Wort für ›frei‹ zurück und wurde wahrscheinlich durch Vermittlung der griechischen Form phrángoi übernommen. Muslime verwendeten den Begriff faranj als Oberbegriff für alle lateinischen Christen in und aus Europa. Er wurde zudem als Abgrenzung von den al-rūm, d. h. byzantinischen Christen verwendet. Seit den Kreuzzügen wurde der Begriff besonders zur Kennzeichnung der Kreuzfahrer verwendet (vgl. Mallett, »Franks« 114–116). Da in der Zeit al-Jaʿfarīs die Kreuzzüge andauerten, wird al-Jaʿfarī mit ›Franken‹ sicherlich insbesondere auch die Kreuzfahrer gemeint haben. In seinem Werk Al-bayān al-wāḍiḥ gibt al-Jaʿfarī an, dass er diese Schrift an die christlichen ›römischen Tyrannen‹ (ṭāghiyat al-rūm) richte. Diese hätten dem ayyubidischen Sultan al-Malik al-Kāmil theologische Streitfragen gesendet, die er beantworten solle. Demiri (vgl. Demiri, »Kitāb al-radd«) gibt an, dass Kaiser Theodor I. Laskaris, der 1205–1222 im Exil in Nikaia regierte, diese Anfrage gestellt habe. Deren Beantwortung habe sodann al-Malik al-Kāmil unserem al-Jaʿfarī übertragen, worauf dieser sein Al-bayān al-wāḍiḥ verfasste. Für eine Diskussion, wer genau hier mit den ›Franken‹ gemeint sein könnte, vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 76. ⁸¹ Demiri, »Kitāb al-radd« 485. ⁸² Vgl. al-Jaʿfarī über das überlieferungsbasierte Argument: »Was die Überlieferung angeht: Die Tora und die Prophetien sind das Gesetz, welches die Israeliten von Mose bis in die Zeit Jesu tradierten. In ihnen findet sich kein derartiger [sc. was wir bisher

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Kapitel 1: Einführung

Argument.⁸³ Er zielt dabei keineswegs nur darauf ab, den Adressaten seiner Argumente zu überreden, sondern sieht die Aufgabe der Argumentation darin, beim Adressaten tatsächlich die Erkenntnis zu erzeugen, dass die islamische Auffassung der behandelten Themen die richtige ist.⁸⁴ Zum Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā liegt derzeit außer der kurzen Behandlung durch Muḥammad Ḥasanayn⁸⁵ keine eingehende Untersuchung vor. Dieser Beitrag möchte einen ersten Schritt unternehmen, um zum einen diese Lücke in der Erforschung von al-Jaʿfarīs Werk zu füllen und zum anderen die RaddLiteratur überhaupt aus argumentationstheoretischer Perspektive zu betrachten. Zu diesem Zweck beschäftigt sich die vorliegende Studie mit Argumenten in Radd-Schriften zur christlichen Theologie, die zwischen den Anfängen des Islams und dem Jahr 1270 – also bis al-Jaʿfarī – verfasst wurden. Dabei liegt der Schwerpunkt der Studie auf den theologischen Argumentationsstrukturen der Radd-Schriften⁸⁶ und teilweise auf denjenigen Radd-Schriften, die schon al-Jaʿfarī als Vorlagen – zumindest für sein Werk Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl – herangezogen hat. Die Radd-Schriften sind stark argumentativ strukturiert und setzen zahlreiche unterschiedliche Argumentationstypen ein, um den Adressaten von der Nichtigkeit christlicher Lehren bzw. von der Wahrheit der islamischen Lehre zu überzeugen. Dies geschieht vor allem durch die Heranziehung der Logik als beschrieben haben] Unsinn. Ich habe diese Ansicht in meinem Buch Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl ausführlich erklärt und erläutert. Darin habe ich auf die Botschaften der Propheten und die alten Schriften verwiesen. […] Und nun stellen wir (unsererseits) ihnen [sc. den Christen] Fragen aus ihrem Evangelium und verlangen von ihnen eine (deutliche) Antwort.« (Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12). ⁸³ Vgl. Demiri, »Kitāb al-radd« 485 und vgl. al-Jaʿfarī selbst über ein typisches vernunftbasiertes Argument: »Was die Vernunft (maʿqūl) angeht: Bei denen [sc. bei den Christen] ist das Wort eine Eigenschaft des Wissens oder des Sprechens und es ist eine Eigenschaft des Geistes. Die Eigenschaften des Geistes trennen sich nicht von dem Wesen [sc. Essenz], das sie beschreiben. Würden wir das Gegenteil annehmen, würde das die Entstehung des Wortes erzwingen, da die Regionen der Erde (das Wort) enthielten. Denn wer ewig ist, kann nicht räumlich eingeschränkt sein [sc. nicht nicht-umfassend sein]. Nach dem gleichen Muster können die Bewegung, die Fortbewegung, das Entleeren und das Funktionierenlassen betrachtet werden, denn diese Eigenschaften prägen die Entstehung der Welt. Somit wäre das Beweisen der Existenz des erhabenen Schöpfers unmöglich.« (Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 11). ⁸⁴ Dies zeigt sich insbesondere darin, dass er immer wieder auf die Generierung von (sicherer) Erkenntnis als Kriterium für das Argumentieren hinweist. So betont er etwa die (seines Erachtens) unzureichende Zahl der direkten Zeugen für die Kreuzigung Jesu, um dann zu schließen: »Und das ist kein tawātur. Und alle, die nach diesen gekommen sind, haben (das Zeugnis) von denen überliefert. Und damit erlangt man keine (sichere) Erkenntnis (al-ʿilm)« (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 159–163; vgl. dazu ausführlicher unten Abschnitt 9.10). ⁸⁵ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd. ⁸⁶ Für eine erste allgemeine Strukturdarstellung der Disputation zwischen Muslimen und Christen siehe Wagner, »Munāẓara« 565–568 und Daiber, »Masāʾil« 636–639.

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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Argumentationswerkzeug.⁸⁷ Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Studie bei der Analyse von Argumenten besonders auf die logische Struktur dieser Argumente eingegangen. Die Kenntnis der logischen Schlussformen und Gesetze ist auch zur Vermeidung bzw. Klärung von Problemen vorteilhaft, die sich aus Eigenschaften der Sprachen ergeben, insbesondere aus deren Mehrdeutigkeit oder aus den Grenzen ihrer Aussagefähigkeit. Probleme solcher Art können von der Logik und durch eingehende logische Analyse gelöst werden, weil sie oft nicht anhand des Wortlauts, sondern erst durch eine genaue Betrachtung der logischen Struktur erkannt werden können. Theologisch ausgebildete Radd-Autoren waren in erster Linie Theologen; obwohl sie Logik studiert hatten (die oft zum Curriculum der madrasas gehörte),⁸⁸ betrachteten sie die Logik doch als zweitrangig und vielmehr als Hilfswerkzeug (ālāt oder ṣanāʿat). Trotzdem kann die klassische rationale und argumentative Theologie (Kalām), die sich auf ʿaqliyyāt (›Vernunftprinzip‹) stützt, nicht ohne Logik auskommen. Abū al-Ḥasan al-Ashʿarī (gest. 324/935) definiert die Vernunft (ʿaql) als Erkenntnis (ʿilm) und verweist somit auf die praktische Rolle der Vernunft, Erkenntnis zu generieren.⁸⁹ Daher musste jeder, der sich im Rahmen des Kalāms bewegte, gewisse Logik-Kenntnisse besitzen, auch wenn nur wenige Autoren (wie etwa al-Ghazālī, gest. 505/1111) die Logik selbst zu ihrem Forschungsgegenstand machten. Dagegen wurden die Epistemologie häufiger als Propädeutik zu theologischen Werken behandelt, so etwa im Kitāb al-tawḥīd (»Buch des Monotheismus«) des al-Māturīdī (gest. 333/ 944). Forschungsgegenstand des Logikers ist nicht die Wahrheit der Prämissen, sondern vielmehr die Frage, ob die Prämissen die Konklusion logisch implizieren. Der Theologe jedoch, der eine Einzelwissenschaft vertritt, interessiert sich in seinen Argumentationen und Analysen für die logische Gültigkeit der Argumentation und zugleich für die Wahrheit der Prämissen.⁹⁰

⁸⁷ Die Logik hat in dieser Studie die Funktion eines Werkzeuges, mit dessen Hilfe die formale Gültigkeit eines bestimmten Arguments bestimmt werden kann. Sie zeigt, wie man mit wahren und unwahren Aussagen umgeht. Zudem hilft sie u. a. dabei, das Erkenntnisprinzip zu bestimmen. Aufgabe der vorliegenden Studie ist nicht, zwischen den Parteien zu entscheiden; ihre Aufgabe ist vielmehr, die Argumente der Radd-Autoren möglichst klar darzustellen und ihre logische Gültigkeit zu prüfen. Über Wahrheit zu entscheiden, dazu ist auch die Logik nicht in der Lage, denn sie entscheidet nicht, ob eine konkrete Aussage sachlich wahr oder falsch ist, welche als Prämisse die Basis der Argumentation darstellt (vgl. Winter, Grundlagen 9). ⁸⁸ Wie etwa Fakhr al-Dīn al-Rāzī oder al-Ghazālī (vgl. El-Rouayheb, Syllogisms). Beide waren Theologen und zugleich Logiker und verfassten zudem Radd-Werke. Es darf angenommen werden, dass ihnen ihre Logikkenntnisse als Werkzeug bei der Konstruktion von Argumenten behilflich waren. ⁸⁹ Vgl. Ibn Fūrak, Mujarrad 31. ⁹⁰ Vgl. Skyrms, Induktive Logik 23. Zur Unterscheidung zwischen Gültigkeit und Wahrheit vgl. hier S. 121 Anmerkung 240. – Man kann auch allgemeiner nach der Wahrheit der Propositionen eines Arguments fragen; da sich die Wahrheit der Konklusion aber logisch ergibt, wenn die Prämissen wahr und die Form des Arguments korrekt sind, spricht diese Studie meist von den Prämissen und ihrem Wahrheitswert.

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Kapitel 1: Einführung

Den Radd-Argumenten kann jedoch die formale Logik alleine nicht gerecht werden, denn die Argumentationstheorie hat noch einige weitere Argumentationstypen aufgedeckt, die mit der formalen Logik nicht (hinreichend) erfasst werden können, aber dennoch für die Analysen in dieser Studie benötigt werden.⁹¹ Die Argumentationstheorie, obwohl ein junges Analyseverfahren, hat bereits zahlreiche Analysemethoden und Theorien vorgelegt.⁹² Deshalb musste eine begründete Wahl unter den vorhandenen Verfahren getroffen werden, die dem Anspruch der Fragestellung nach der Rekonstruierbarkeit erkenntnistheoretischer Prinzipien in theologischen Argumenten gerecht werden kann. Bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Argumentationstheorien hat sich ergeben, dass die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Christoph Lumer eine der Fragestellung entsprechende Theorie samt Analyseverfahren liefert. Nach der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie ist durch die Argumentationsanalyse auch eine Rekonstruktion der in der Argumentation verwendeten Erkenntnisprinzipien möglich.⁹³ Dies ist eine wichtige Voraussetzung, denn ein Hauptanliegen dieser Studie ist es, die Erkenntnisprinzipien aufzuzeigen, welche die Grundlage der Argumentationen über und gegen christliche Lehren in den apologetischen Schriften bilden.⁹⁴ Die erkenntnistheoretische Argumentationsanalyse empfiehlt sich für unsere Fragestellung auch deshalb besonders, weil sie die These vertritt, dass durch Argumentationen Erkenntnis generiert wird.⁹⁵ Diese These ist durchaus verwandt mit der Position des Kalāms,⁹⁶ der zufolge Argumente die Grundlage

⁹¹ Ein Ziel dieser Studie ist deshalb die Analyse und Rekonstruktion der Argumente und der Argumentationsstrukturen in den polemischen Schriften. Daher arbeitet sie nicht nur die zugrunde liegenden theologischen Konzepte heraus, sondern macht für die Analyse auch von argumentationstheoretischen Theorien Gebrauch und wendet diese methodisch an. ⁹² Etwa die rhetorische (vgl. Christopher Tindale oder Chaïm Perelman), die erkenntnistheoretische (vgl. Christoph Lumer; über weitere Vertreter siehe z. B. Lumer, »A Map«) oder die dialektische (allgemeiner: konsensualistische; vgl. van Eemeren, Grootendorst und Habermas) Argumentationstheorie. Siehe dazu hier Kapitel 5. ⁹³ Der Begriff ›Erkenntnisprinzip‹ ist an die Deutung Lumers angelehnt (Lumer, Praktische Argumentationstheorie 65). Lumers Konzept des Erkenntnisprinzips wird in dieser Studie pragmatisch eingesetzt. Es soll ermöglichen, die Erkenntnisprinzipien al-Jaʿfarīs zu rekonstruieren. Daher werden im Folgenden lediglich die Erkenntnisprinzipien bei al-Jaʿfarī beschrieben; von einer allgemeinen Theorie der Erkenntnisprinzipien im Radd sind wir noch weit entfernt. Für die Bedingungen für Erkenntnis bei Lumer vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 30–43. ⁹⁴ Von der Theologie muss jedoch die Argumentativität gefordert werden. Das erhöht die allgemeine Argumentativität. Der Streit zwischen Christentum und Islam kann zwar nicht argumentativ entschieden werden, dennoch kann der Dialog auf rationale Verständigung aufgebaut werden. ⁹⁵ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 30–43. ⁹⁶ Schon die Etymologie des arabischen Begriffs kalām gibt Hinweise auf die argumentative und auf Wahrheit ausgerichtete Fokussierung dieser Disziplin. Generell werden vier

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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theologischen Wissens und theologischer Erkenntnisse sind.⁹⁷ So definiert der Erkenntnistheoretiker ʿAḍud al-Dīn al-Ījī (gest. 756/1355) den Kalām als eine Wissenschaft, mit der Beweise und Argumente für religiöse Lehren vorgelegt und Zweifel entkräftet werden.⁹⁸ Auch der osmanische Logiker Ahmed Efendi Ṭaşköprüzâde (gest. 968/1561) betrachtet den Kalām als eine theologische Wissenschaft, durch die man theologische Aussagen anhand von Argumenten beweisen bzw. widerlegen kann. Dabei spielt die Vernunft neben der Offenbarung eine entscheidende Rolle, auch wenn die Beziehung dieser beiden – je nach der gewählten theologischen Methode – komplex ist. Ṭaşköprüzâde betrachtet die Vernunft jedenfalls als eine Instanz, welche die Offenbarung Gottes bestätigt. Letztlich bilden diese bestätigte Offenbarung und die Erkenntnisse der Vernunft, die der Offenbarung nicht widersprechen kann, die Quellen der theologischen Aussagen des Islams. Ṭaşköprüzâde betrachtet den Kalām als eine Wissenschaft der sharīʿa und zieht die Logik als Hilfswissenschaft heran. Er sieht kein Problem darin, die Logik als eine Teilwissenschaft des Kalāms anzusehen. Laut Ṭaşköprüzâde wäre es vielmehr falsch, die Logik nicht als Teil des Kalāms zu betrachten, denn Ṭaşköprüzâde führt das Argument an, dass die Offenbarung logische Beweisführungen beinhalte: Dies sei ein Beweis dafür, dass die Logik ein Teil des Kalāms sei. Dass die Logik nicht von den Theologen, sondern von den Philosophen systematisiert wurde, hält Ṭaşköprüzâde ebenfalls nicht für problematisch; die Philosophen hätten auch viele andere Themen systematisiert. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass die Logik, welche die Philosophen systematisiert haben, der Offenbarung Gottes nicht widerspricht. – In dazu passender Weise bestimmt Ṭaşköprüzâde auch die Funktion des Kalāms. Der Kalām garantiert ihm zufolge durch Vernunft und Logik den theologischen Anspruch der Offenbarung auf Wahrheit. Entweder beweist die Logik diese Wahrheit ohne Zusammenspiel mit der Offenbarung oder im Zusammenwirken mit der Offenbarung.⁹⁹ Der Kalām ist dennoch keine rein philosophische Wissenschaft, weil er eben nicht nur die Logik heranzieht, mögliche Etymologien angeführt: (a) In frühen theologischen Schriften begannen Paragraphen und Kapitel oft mit Kalām fī … (›Rede über …‹). (b) Eine der ersten theologische Streitfragen im Islam war die Frage, ob der kalām al-ilahī (›die göttliche Rede‹, gemeint ist der Koran) erschaffen war oder nicht; dabei entstanden die ersten rationalen Argumente rund um dieses Thema. (c) Kalām sei eine Lehnübersetzung des griechischen Wortes lógos (›Wort‹, ›Rede‹, ›Argument‹ usw.); ähnlich wie logikḗ (zu ergänzen ist téchnē, d. h. Logik) und lógos eine enge Verbindung haben, hängen auch manṭiq (Logik) und kalām eng zusammen. (d) Kalām heißt ›argumentative Rede‹; weil die Theologie sich zu einer argumentativen Wissenschaft formierte, wurde auch diese argumentative Theologie kalām genannt (vgl. dazu Topaloğlu, Kelâm 57). ⁹⁷ Demzufolge ist der Kalām als prüfende Rede mit prüfendem Charakter zu verstehen. Der Mutakallim vertraute auf den Überlegenheitscharakter des Kalāms durch den logischen Beweis. Kalām, als u. a. dialektische Unternehmung, wurde als eine ernstzunehmende Bemühung um Wahrheit und Erkenntnis wahrgenommen. ⁹⁸ Vgl. al-Ījī, Al-Mawāqif (Beiruter Ed.) 7. ⁹⁹ Vgl. Ṭaşköprüzâde, Miftāḥ al-saʿāda 207–233.

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Kapitel 1: Einführung

sondern auch die Offenbarung, u. a., um Antworten auf metaphysische Fragen zu konstruieren.¹⁰⁰ Wenn im 21. Jahrhundert mittelalterliche interreligiöse Argumentationen einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden, stellt sich die Frage nach dem Wert dieses Vorhabens. Dazu ist folgende dieser Studie zugrunde liegende Prämisse wichtig: Ein langfristiges, harmonisches und aufgeklärtes Miteinander von Christentum und Islam kann nur gelingen, wenn erneut eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Religionen stattfindet und Konflikte argumentativ im Rahmen einer (wissenschaftlichen) Streitkultur verstanden werden.¹⁰¹ Ein argumentativer Diskurs als eine intellektuelle Form der Kontroverse steht der Gewalt gegenüber. Um den intellektuellen Austausch frei von jeder Gewalt zu fördern, muss gleichzeitig auch eine argumentative Diskursivität theologischer Probleme gefördert und, wie sie in der Radd-Literatur stattfindet, gewürdigt werden, selbstverständlich ohne polemische oder den jeweils anderen abwertende Absicht. Denn der Radd steht exemplarisch für die Argumentations- und Diskurskultur zwischen dem Islam und dem Christentum. Zugleich erinnert die analytische Beschäftigung mit dem Radd an die argumentative Grundlage der islamischen Dogmatik und erschließt das rationale Erbe des Kalāms. Wenn Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich und produktiv zusammenleben sollen, müssen sie selbstverständlich zivilisiert, achtungsvoll und tolerant miteinander umgehen; dies ist aber nicht mit einer plumpen Gleichmacherei zu verwechseln, vielmehr müssen gerade auch die individuellen, religiösen und kulturellen Unterschiede anerkannt und in ihrer Vielfalt für das gemeinsame Wohl fruchtbar gemacht werden. Ebenso müssen, wenn die Religionen

¹⁰⁰ Vgl. Ṭaşköprüzâde, Miftāḥ al-saʿāda 52. Hier unterscheidet Ṭaşköprüzâde zwischen den philosophischen Wissenschaften (al-ʿulūm al-ḥikmiyya) sowie den theologischen bzw. Offenbarungs-Wissenschaften (al-ʿulūm al-sharʿiyya). Der Kalām ist für Ṭaşköprüzâde eine theologische Wissenschaft, die aus der Philosophie die Logik als Hilfswerkzeug heranzieht; weil die Logik der Offenbarung nicht widerspreche, betrachtet Ṭaşköprüzâde dies als legitim. ¹⁰¹ Diesem dogmatisch orientierten Ansatz wird oft die These entgegengestellt, dass diese Phase des gegenseitigen Verstehens überbrückt werden sollte, um vielmehr die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen und somit angeblich die Toleranz statt Intoleranz der Religionen zu fördern. Dies mag in vielen sozialen Konstellationen die richtige Entscheidung sein. Doch in der akademischen interreligiösen Theologie stößt dies auf Kritik und Unverständnis. Ich schlage zwei Stufen vor, die aufeinander aufbauen müssen, um ein kritisches und zugleich konstruktives Verständnis erlangen zu können, das letztlich die Voraussetzung für echte Toleranz ist: Erstens den argumentativen Ansatz und zweitens den ›Common word‹-Ansatz. Zunächst müssten die Unterschiede und Gemeinsamkeiten ausgehend von der argumentativen Theologie erarbeitet werden. Erst wenn dies erfüllt ist, wird erkannt werden, dass beide Theologien mehr oder weniger gut begründete Thesen haben. Nachdem dies erkannt worden ist, kann als nächstes der ›Common word‹-Ansatz angegangen werden, dessen primäres Ziel es ist, Voraussetzungen zu schaffen, die das praktische Leben zwischen Muslimen und Christen konstruktiv gestalten und ein gemeinsames interreligiöses Arbeiten ermöglichen (vgl. Demiri, Common Word XIII–XV und 12–14; vgl. auch Burrell, »New Spirit« 54–57).

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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kooperativ zusammenarbeiten sollen, natürlich ihre Gemeinsamkeiten erkannt und gefördert werden, aber man muss auch ihren Unterschieden in gegenseitiger Achtung gerecht werden. Tatsächlich können die Gemeinsamkeiten erst dann wirklich fruchtbar werden, wenn auch die Auseinandersetzungen über die dogmatischen Unterschiede gut aufgearbeitet worden sind. Eine wissenschaftliche Untersuchung der klassischen islamischen Apologetik kann dabei helfen, diese Auseinandersetzungen in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart besser zu verstehen. Diese Studie möchte dazu einen konstruktiven und analytischtheologischen Beitrag leisten. Die systematische und analytische Auseinandersetzung mit Argumentationen kann die Stärken und zudem die Schwächen von Argumenten verdeutlichen und zu der Erkenntnis anleiten, dass theologische Lehrmeinungen auf mehr oder weniger starken Argumentationen beruhen, die mit anderen argumentativen Lehrmeinungen in Konkurrenz stehen und objektiv betrachtet die Wahrheit nicht für sich allein beanspruchen können, auch wenn subjektiv betrachtet der religiöse Mensch auf Grund der Natur des religiösen Wahrheitsanspruches einen solchen Eindruck haben kann. Diese Kompetenz ist vor allem in der Praxis des interreligiösen Dialogs wertvoll.¹⁰² Eine Studie über die islamische Wahrnehmung des Christentums kann im Rahmen des Dialogdiskurses wahrgenommen werden. In dieser Hinsicht ist jedoch zu fragen, welche Wege des Dialogs vorhanden sind. Generell kann der interreligiöse Dialog hinsichtlich der Wahrheitsfrage, welche ein Ziel des epistemischen Argumentierens ist, auf zwei Arten reduziert werden, und zwar auf eine Beachtung des religiös Anderen abhängig bzw. unabhängig von der Wahrheitsfrage. Dabei vertrat beispielsweise der Fundamentaltheologe Wolfhart Pannenberg die Meinung, dass im Dialog der Religionen die Wahrheitsfrage stets gestellt wird und jede Seite ihre religiöse These verteidigen muss; für Pannenberg ist der Dialog der Religionen somit das Streitgespräch um die Wahrheit.¹⁰³ Wenn der Radd dialogisch eingestuft werden muss, dann im Rahmen des Ansatzes von Pannenberg, denn die Apologeten, die einen Radd verfasst haben, sahen den Dialog der Religionen in der wissenschaftlichen (d. h. methodischen) argumentativen Begegnung, welche die Herausarbeitung der Wahrheit über Gott und Religion zum Ziel hatte. Der neuzeitliche Intellektuelle Fatḥī ʿUthmān verweist in seinem Buch Mit Christus in den vier Evangelien, ähnlich wie Pannenberg, auf das Recht der

¹⁰² Zum Verhältnis zwischen Toleranz und religiösem Wahrheitsanspruch vgl. etwa Schwöbel, Gespräch 143–166. ¹⁰³ Vgl. Pannenberg, »Perspektive« sowie ders., Systematische Theologie Bd. 1, 61–62: »Zur rationalen Vergewisserung des Glaubens über die allgemeingültige Wahrheit seines Inhalts kann es nur dann kommen, wenn die Erörterung darüber in voller Offenheit geführt wird, ohne daß Versicherungen privaten Engagements eingeführt werden, wo etwa die Argumente ausgehen.« Für eine kritische Betrachtung von Pannenbergs Ansatz siehe Park, Konvivenz 72–75. Park verweist hier zu Recht u. a. auf das Fehlen von allgemeinen Kriterien für eine Wahrheitsprüfung. Muslimische Radd-Autoren würden ihm antworten, dass die Wahrheitsprüfung durch Logik und Argument stattfinde.

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Kapitel 1: Einführung

Religionen auf ihre eigene Identität, und gibt eine mögliche Antwort, wie die Gegensätze der Religionen erfasst werden können. Seiner Meinung nach kann der Gegensatz zwischen Islam und Christentum erst durch wissenschaftliche Auseinandersetzung aufgelöst werden.¹⁰⁴ Gemäß Fatḥī ʿUthmān ist jede Religion nur von ihrem eigenen Selbstverständnis her zu verstehen.¹⁰⁵ Es geht nicht darum, Unterschiede dogmatischer Systeme zu ignorieren, sondern darum, trotz dieser Unterschiede Gemeinsamkeiten in diesen Systemen – vor allem die Verwurzelung im Monotheismus – zu entdecken und herauszuarbeiten.¹⁰⁶ Ein anderer und im Vergleich zu Fatḥī ʿUthmān noch jüngerer einflussreicher Fall ist der islamische Theologe Tim Winter aus Cambridge. In seinem Artikel Realism and the Real: Theology and the Problem of Alternative Expressions of God behandelt Winter das Verhältnis des Islams zu einem religiösen Pluralismus, in dem verschiedene theologische Wahrheitsansprüche irrelevant werden. Winter hebt dabei zwar hervor, dass das Bestehen verschiedener sich widersprechender Formen des Gottesglaubens nicht mit dem islamischen Monotheismus vereinbar sei und nicht alle diese Formen wahr sein können. Dennoch relativiert er zugleich die Implikationen eines solchen Wahrheitsanspruches, indem er zeigt, dass der wahre theologische Glaube allein den Muslimen kein Heil bringen wird. Winter macht deutlich, dass das Beharren auf der Wahrheit die ethische Ebene einer Religion – die nach Winters Verständnis ein wesentlicher Bestandteil der Religion ist – viel eher gefährde als sie fördere. Winters Ideen sind als Aufforderung zu einem Dialog unabhängig von der Frage nach theologischer Wahrheit zu verstehen.¹⁰⁷ Zudem bemerkt Reinhard Leuze richtig, dass in der Gegenwart die islamische Polemik zum Christentum weitgehend in den Hintergrund geraten ist und sich die muslimischen Theologen vielmehr mit dem Verständnis des Korans beschäftigen. Doch weist er auch darauf hin, dass diese gegenwärtige Situation der islamischen Gelehrsamkeit auch ein Zeichen für Desinteresse an anderen Religionen sein kann. Er plädiert dafür, dass sich die islamische Theologie der Zukunft wieder mehr auf christliche Inhalte einlassen solle. Dafür solle sie sich am mittelalterlichen und koranischen Vorbild orientieren. Vor allem der islamische Fundamentalismus solle die Auseinandersetzung mit christlichen Dogmen nicht scheuen. Leuze merkt an, dass der Widerspruch auch eine Annäherung ist; dieser Annäherung sollte man sich nicht verweigern.¹⁰⁸

¹⁰⁴ ʿUthmān, zitiert nach Schumann, Christus 192. ¹⁰⁵ Schumann, Christus 133. ¹⁰⁶ Schumann, Christus 145–146. ¹⁰⁷ Vgl. Winter, »Realism«. ¹⁰⁸ Leuze, Christentum und Islam 151. An dieser Stelle sei auch betont, dass eine Erkenntnis der folgenden Untersuchung darin liegt, dass die argumentative apologetische Auseinandersetzung mit christlichen Lehren nicht mit (modernem) Fundamentalismus gleichzusetzen ist. Die mittelalterlichen Texte, die in dieser Studie untersucht werden, sind vielmehr aus wissenschaftlichen Intentionen heraus verfasst worden und sind tatsächlich erkenntnisorientiert. Erst später entwickelte sich ein von erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentationen

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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Die Auseinandersetzung mit Polemiken hilft dabei, Argumente zu erkennen und zu verstehen. Sie lässt erkennen, welche Prinzipien für diese Argumente herangezogen werden. Dies wiederum hilft, die Anhänger der anderen Religion zu verstehen. Erst dann, wenn eine fundierte Selbstreflexion stattgefunden hat, können auf anderen Ebenen der Theologie Gemeinsamkeiten erkannt und Lösungen für (auch theologische) Probleme gesucht werden, um ein Miteinander zu gestalten. Dies sollte das Ziel jeder Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Christentum sein. Aus Sicht der Fachdidaktik kann die heutige Islamische Theologie von dem dialektischen Ansatz, der in der Philosophie erprobt wurde, profitieren.¹⁰⁹ Im Rahmen meiner Seminare zwischen dem Wintersemester 2014/15 und dem Sommersemester 2021 im Fach Systematische Theologie und Islamische Apologetik an der Universität Tübingen habe ich dieses Didaktikmodell erprobt. Ausgehend von einem theologischen Problem wurden mit Studierenden die Argumente historisch betrachtet, analytisch und kritisch untersucht, evaluiert und ggf. modifiziert. Diese Arbeitsschritte helfen den Studierenden, ihre analytischen Fähigkeiten zu vertiefen, die Inhalte nachzuvollziehen, ihr kritisches Denken und die Vertiefung von interreligiösen Kenntnissen durch analytische und hinterfragende Argumentationsanalysen und -rekonstruktionen zu fördern. Was nun die polemische und apologetische Auseinandersetzung mit anderen Religionen angeht, die oben bereits erwähnt wurde, so führte schon im Mittelalter die argumentative Auseinandersetzung zu einer besseren gegenseitigen Kenntnis. Beide Seiten lernten nicht nur die Glaubenssätze, sondern auch die Geschichte der jeweils anderen Religion kennen. Dieses Kennenlernen ist jedoch nicht im Sinne des Kennenlernens des Fremden zu verstehen. Im Radd ist das Christentum keinesfalls eine fremde Religion im modernen Sinne.¹¹⁰ Das Christentum ist stets als Vorgänger des Islams und des Monotheismus und als eine der sog. Buchreligionen (ahl al-kitāb) betrachtet worden. Auch die Wahrnehmung des Islams aus Sicht des Christentums ist im Mittelalter nicht mit der einer fremden Religion im modernen Sinne zu vergleichen. Dies wird besonders im Werk Liber apologeticus martyrum (»Apologetisches Buch der Märtyrer«) des Eulogius von Córdoba (581–608 Patriarch der Reichskirche von Alexandrien) deutlich, der den Islam innerchristlich zu erklären versuchte und Muḥammad als Mohamat haeresiarches bezeichnete, also als den Urheber einer Häresie, die aus dem Christentum hervorging.¹¹¹ Im Rahmen dieser Auseinandersetzung lasen muslimische wie christliche Gelehrte die ›heiligen‹ Schriften entfremdeter (rhetorischer) Fundamentalismus gegenüber dem Christentum (vgl. Moussalli, »Perceptions«). ¹⁰⁹ Vgl. hierzu ausführlicher Pfister, Fachdidaktik 177–200. ¹¹⁰ Perkams stellt generell die Aufteilung in eine »europäisch-abendländisch[e]« und eine »arabisch-islamisch[e]« Kultur in Frage (vgl. Perkams, »Bedeutung« 13). ¹¹¹ Siehe Eulogius von Córdoba, Liber apologeticus martyrum Kap. 16, 484; vgl. Borgolte u. a., »Soziale Konstruktion« 25–30. Ein anderer christlicher Gelehrter, der in Muḥammad einen Häretiker sah, war Johannes von Damaskus (vgl. Johannes von Damaskus, Liber de haeresibus).

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Kapitel 1: Einführung

ihrer Opponenten¹¹² und banden sie in ihre eigenen Argumentationen ein, so wie etwa al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā. Die deskriptive und analytische Beschäftigung mit den Radd-Schriften führt den Forscher zudem zu Kernfragen beider Theologien: der Frage nach dem Wesen Gottes, nach dem Wesen der Prophetie, nach dem Wesen des Seins, dem Wesen Jesu aus muslimischer und christlicher Perspektive u. v. m.¹¹³ Der argumentationstheoretische Ansatz bietet Werkzeuge¹¹⁴ an, welche die systematische Diskussion der Frage erlauben, ob die Radd-Argumente, die theologische Ideen stützen, sinnvoll sind oder nicht. Eine Argumentationsanalyse gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie ist daher eine feinkörnige, qualitative Analyse¹¹⁵ dieser Schriften, die zum einen zeigt, welche Argumentationsstrukturen Muslime in diesem Diskurs verwendet haben, und zum anderen, welche erkenntnistheoretischen Prinzipien sie in ihren Argumentationen herangezogen haben. Die Argumentationsanalyse, wie sie hier zur Anwendung kommt, zeigt daher nicht nur die argumentative Struktur der Schriften auf, sondern bietet auch ein Werkzeug an, mit dem die Argumentationen auf ihre Gültigkeit und Schlüssigkeit hin überprüfbar werden. Dadurch kann kritisch beurteilt werden, inwieweit der muslimische Radd argumentative Gültigkeit beanspruchen kann. Zudem bietet die erkenntnistheoretische Argumentationsanalyse die Möglichkeit, zu demonstrieren, welche Radd-Argumente ideale Argumentationsformen aufweisen. In diesem Sinne ist diese Studie auch ein Plädoyer dafür, in Zukunft eine argumentativ und logisch gestaltete islamische Theologie zu pflegen.¹¹⁶ Denn die systematische islamische Theologie (bzw. kurz: der Kalām) ist in ihren Wurzeln eine beweisführende Disziplin, die ihren Ursprung in der dialektischen Argumentation hat,¹¹⁷ die als Ziel die Erkenntnis hatte und sich

¹¹² Vgl. Thomas, »Bible and the Kalām« 176. ¹¹³ Die christliche Theologie und der Kalām sind sich jahrhundertelang im Orient begegnet und standen vor ähnlichen theologischen Fragestellungen, vor allem wenn es um die Beschreibung Gottes ging (vgl. Rudolph, »Bibelexegese« 299). Vor allem diese theologischen Schnittstellen sind Inhalte der islamisch-christlichen Apologetik und Polemik. ¹¹⁴ Schon für die klassisch-islamische Argumentationstheorie sind die argumentationstheoretischen Beweislehren und die Logik Werkzeuge (ālāt oder ṣanāʿat), um gültige Argumente generieren zu können (vgl. Emiroğlu, »Mantık« 18–28). ¹¹⁵ Die Argumentationsanalyse wird auch als qualitative Methode betrachtet. Die argumentationstheoretischen Ansätze können eine methodische Analyse von Argumentationen gewährleisten, was mit einer einfachen Inhaltsanalyse nur schwer möglich ist (vgl. Kuckartz, Analyse 207–210). ¹¹⁶ Durch ein zeitgemäßes Analyseverfahren, dass sich durchaus von der klassisch-islamischen Argumentationstheorie her begründen lässt, kann die moderne Islamische Theologie daher ihre Wurzeln wieder neu entdecken. Dies ist ein indirektes Ziel der vorliegenden Untersuchung, die die Machbarkeit eines solchen Vorhabens in ihren Analysen der Argumente demonstriert. ¹¹⁷ Ähnlich wie die jüdische (argumentative) talmudische Streitkultur ist der Kalām darauf ausgerichtet, durch argumentative Diskursivität zu theologischen Wahrheiten zu gelangen.

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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gegen die Rhetorik abgrenzte.¹¹⁸ Der Kalām ist nämlich nicht nur durch seine Inhalte gekennzeichnet, sondern vor allem auch durch seine argumentative Methode, die Prinzipien wie ilzām, muʿāraḍa, istiḍlāl, taqsīm u. a. heranzieht, um gültige theologische Argumente zu konstruieren (siehe dazu Kapitel 4).¹¹⁹ Der vorliegende Ansatz bietet auch eine Antwort auf die – durch die Etablierung der Islamischen Theologie an deutschen Hochschulen – jüngst gestellte Frage, was Islamische Theologie sei. Hierzu sind viele Antworten gegeben wurden, denen jedoch kein systematischer Ansatz zugrunde liegt, vielmehr definieren sie die Islamische Theologie anhand ihrer Teildisziplinen wie Koranexegese, Hadithwissenschaft, Mystik oder Rechtswissenschaft.¹²⁰ Dabei sind diese Teildisziplinen argumentationstheoretisch betrachtet vornehmlich zur Generierung von (alternativen) theologischen Prämissen betrieben worden. Sie haben die Funktion, durch unterschiedliche methodische Herangehensweisen – wie etwa hermeneutische Betrachtung,¹²¹ Ausformulierung von spirituellen Erlebnissen oder exegetische Methoden – Prämissen für theologische Argumente zu liefern, in die sie letztlich alle einmünden. Im engeren Sinne ist Islamische Theologie m. E. eine argumentative Theologie, welche die Funktion hat, rational, argumentativ und begründet Aussagen über das Göttliche und die Religion zu machen. Diese Definition beschreibt die Islamische Theologie, wie wir sie in klassischen theologischen Texten finden, am authentischsten. Diese enge Definition ist aber auch pragmatisch und bildet einen methodischen Ansatz, der dabei hilft, die Islamische Theologie argumentativ in die modernen und zum Teil interdisziplinären Diskurse einzubinden. Zudem müssen viele prämoderne islamisch-theologische Argumente neuen Gegebenheiten und Anforderungen angepasst werden, etwa im Bereich der Kosmologie. Viele bekannte historische Argumente, wie etwa von al-Ashʿarī Dabei ist der Kalām als Methode keineswegs auf den Islam beschränkt, sondern ist auch eine jüdische und christliche Methode; denn auch die jüdischen und christlichen Mutakallimūn begegneten dem islamischen Radd argumentativ mit dem Kalām, wie etwa der jüdische Gelehrte Ḥasan (Ḥusayn) ben Mashiaḥ aus dem 10. Jahrhundert (vgl. Zawanowska, »Ḥasan (Ḥusayn) ben Mashiaḥ« 366; vgl. hierzu auch Sklare, »Jewish Mutakallimūn« 137–161). Ein anderes typisches Beispiel ist der christliche Mutakallim Ḥabīb ibn Khidma Abū Rāʾiṭa l-Takrītī (gest. um 214/830), der ebenfalls einen Radd zum Islam mit dem Titel Al-risāla alūlā fī al-Thālūth al-muqaddas (»Die erste Schrift über die Heilige Dreifaltigkeit«) verfasste (vgl. Toenies Keating, »Ḥabīb ibn Khidma« und ders., »Al-risāla« sowie Griffith, Church in the Shadow 91–92). ¹¹⁸ Vgl. Schönig, »Kalam« und Akasoy, Philosophie 141. ¹¹⁹ Vgl. Schwarb, »Kalām« 91–98. Vgl. hierzu auch van Ess, »Logical Structure«. ¹²⁰ Zur Diskussion zu der Frage, was die Islamische Theologie sei, vgl. Schulze, »Islamische Theologie«. ¹²¹ ›Hermeneutisch‹ bedeutet in dieser Studie i. w. S. die Interpretationslehre und die Beschäftigung mit offensichtlichen und verborgenen Bedeutungen. Die theologische Hermeneutik des al-Jaʿfarī orientiert sich an der Lehre des Korans. Seine Interpretationen beziehen ihre hermeneutische Legitimation oftmals daraus, dass sie die Bedeutung eines Textes der koranischen Lehre angleichen. Vor allem im Radd werden die christlichen Quellen durch die Brille des Korans gesehen.

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Kapitel 1: Einführung

oder al-Ghazālī, können den gegenwärtigen interdisziplinären Diskursen nicht mehr gerecht werden, etwa weil sie auf veralteten naturwissenschaftlichen Annahmen basieren, weshalb sie – durch einen argumentationstheoretischen Ansatz – analysiert, evaluiert und für den heutigen Wissensstand modifiziert werden müssen. Der vorliegende Beitrag ist in erster Linie eine systematische bzw. analytische Untersuchung; die konkreten historischen Entstehungshintergründe der Texte sind nicht primär Forschungsgegenstand.¹²² Die Texte werden daher prinzipiell als abgeschlossene Systeme betrachtet, die eine innere Logik haben. Eine Untersuchung dazu, wie genau ein bestimmter Text historisch entstand und von wem er stammt, ist unter meiner argumentationstheoretischen Fragestellung nicht zwingend notwendig, auch wenn hierzu in der Studie oftmals ausreichend Informationen angegeben werden. Wichtig sind an dieser Stelle vielmehr die Ideengeschichte eines Arguments und seine Anwendung in einem bestimmten Text und Kontext durch einen Autor in einem bestimmten Diskurs. Trotzdem erhalten wir gerade durch die argumentationstheoretische Analyse der apologetischen Texte auch interessante religionshistorische Hinweise. Vor allem in den Prämissen, die den Christen zugeschrieben werden, erkennt man u. a., (a) welche christlichen Gruppen in der jeweiligen Zeit und Region relevant waren, (b) wie die Muslime die Christen damals wahrgenommen haben und (c) welche Christen die Adressaten der Argumente waren. Der religionshistorische Ertrag der vorliegenden Untersuchung besteht also in der Darstellung jener spezifischen Erkenntnisse, die aus der argumentationstheoretischen Analyse der Texte gewonnen werden. Schließlich versteht sich diese Studie auch als Beitrag zu einer modernen Argumentationstheorie und -analyse theologischer Texte, ausgehend von den klassisch-islamischen Argumentationstheorien. Die Studie gliedert sich wie folgt: Im einleitenden Abschnitt (Teil I) wird der islamische Radd in Grundzügen vorgestellt und seine Entwicklung zunächst vom Koran und der Sunna bis 300/900 skizziert; darauf folgt eine

¹²² Des Weiteren wird zwischen dem historischen und dem analytischen Kalām unterschieden und der analytische Kalām als für die Argumentationstheorie des Kalāms notwendig betrachtet. Der historische Kalām ist die Forschung über die Geschichte des Kalāms. Darunter fallen Fragestellungen wie: Welche Kalām-Schulen wurden wann begründet, welche KalāmSchule, welcher Kalām-Gelehrte hat wen wie beeinflusst, wer vertritt welche Glaubenslehre (ʿaqīda) … etc. Der analytische Kalām dagegen betreibt selbst Kalām. Er analysiert und generiert Argumente. Seine Methode ist die Argumentationstheorie als eine Beweistheorie und die Argumentationsanalyse. Schnittstellen zwischen dem historischen Kalām und dem analytischen Kalām sind bei Forschungsfragen vorhanden, bei dem es um die Positionen der Kalām-Schulen geht, wobei der historische Kalām nur einen begrenzten Zugang zu diesen Fragen hat. Dagegen hat der analytische Kalām den Anspruch, argumentative theologische Texte durch eine argumentationstheoretische Analyse der Positionen, Glaubensinhalte, Argumente etc. der Kalām-Schulen zu rekonstruieren. Darüber hinaus kann er selber Positionen einnehmen und theologische Argumente für vorhandene und neue Fragestellungen generieren. Somit kann er die Theologie aus der Gefangenschaft in der Erforschung ihrer Geschichte befreien und dazu verhelfen, dass ein zeitgemäßer theologischer Diskurs entsteht und dass die Islamische Theologie in Deutschland keine reine Religionswissenschaft bleibt.

1.1. Fragestellung, Relevanz und Gliederung der Studie

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Beschreibung des Radds bis zum 7./13. Jahrhundert, d. h. bis zur Zeit al-Jaʿfarīs (581–668/1185–1270). Dabei werden wichtige Radd-Autoren und Schriften mit exemplarischen Argumenten dargestellt. Eine solche repräsentative Auswahl aus der reichen Geschichte einer ganzen Literaturgattung ist nicht einfach zu treffen. Daher werden bewusst wichtige Autoren aus unterschiedlichen Epochen und verschiedenen Theologieschulen herangezogen und von ihnen jeweils besonders interessante Argumente gewählt. Auf diese Weise sollen zugleich die klassischen Argumente des Radds vorgestellt werden. Am Anfang des Hauptteils der Studie wird eine Einführung in die argumentationstheoretische Analysemethode gegeben (Teil II), bei der auch das Thema der Logik nicht unberücksichtigt bleibt. Auf die Darstellung der Analysemethode und dessen, was sie leisten kann, folgt der Hauptteil (Teil III), der die argumentationstheoretische Analyse des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī beinhaltet. Hierbei werden wesentliche Argumente zunächst im ursprünglichen Wortlaut wiedergegeben. Darauf folgen die Argumentationsanalyse, deren Besonderheiten noch diskutiert werden, und die erkenntnistheoretische Analyse. Dabei erhebt die vorliegende Studie nicht den Anspruch, ein vollständiges Argumentationskompendium aufzustellen, sondern nur, exemplarisch wichtige Argumentationen darzustellen. Den Abschluss (Teil IV) bildet eine zusammenfassende Beschreibung und Diskussion, die den Versuch unternimmt, eine Systematisierung der Radd-Argumente des al-Jaʿfarī zur christlichen Theologie aufzustellen. Alternativ wären auch andere Strukturierungen der Studie denkbar, so etwa unter stärkerer Betonung der historischen Entwicklung. Der an dieser Stelle eingeschlagene Weg wurde jedoch gewählt, weil er das Argument und seine Analyse ins Zentrum der Untersuchung stellt. Untersuchungsgegenstand dieser Studie sind Argumente aus den islamischen polemischen und apologetischen Schriften (hier subsumierend und synonym als Radd-Literatur bezeichnet) zum Christentum. Die Untersuchung hat zum Ziel, (a) das Bild der Argumente der Radd-Literatur zum Christentum bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts nachzuzeichnen und (b) die Argumentationsanalyse und erkenntnistheoretische Argumentationstheorie auf al-Jaʿfarīs Werk anzuwenden, um daraus die von ihm angewandten Erkenntnisprinzipien zu rekonstruieren. Verschiedene Radd-Autoren aus dem 10. bis 12. Jahrhundert werden zur Kontextualisierung des Themas herangezogen und einige ihrer zentralen Argumente rekonstruiert. Darüber hinaus werden ansatzweise einige Texte behandelt, die schon vor dem 10. Jahrhundert entstanden. Diese haben die Funktion, zu demonstrieren, dass die Radd-Literatur die argumentationsbasierte Methode schon seit dem 7. Jahrhundert anwendet. Die Zeitspanne soll zwar nicht zu weit ausgedehnt werden, da dies eine Theoriebildung zu den Argumentationsstrukturen und epistemologischen Prinzipien im Rahmen der Radd-Schriften erschweren würde. Doch eine kursorische Lektüre einiger dieser Schriften hat ergeben, dass eine breitere Heranziehung von Schriften die Analyse verdichten wird. Daher soll die Betrachtung mit den Werken u. a. der folgenden Autoren beginnen, die sich zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert bewegen: al-Nāshiʾ

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Kapitel 1: Einführung

al-Akbar (gest. 293/906), Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/944), al-Bāqillānī (gest. 403/1013), ʿAbd al-Jabbār (gest. 415/1025), Ibn Ḥazm (gest. 456/1064) und al-Ghazālī (gest. 505/1111). Die Radd-Argumentationen werden kurz an Beispielen u. a. dieser Radd-Autoren sowie ausführlicher am Beispiel von al-Jaʿfarī vorgestellt. Das 10. bis 12. Jahrhundert ist zugleich die prägende Periode der islamischen Theologie. Eine weitreichende Prämisse dieser Studie ist, dass die Auseinandersetzung mit der christlichen Religion auch den innerislamischen Diskurs und die islamische Theologie beeinflusst hat, wie seit Becker¹²³ vermutet wird. Denn wie etwa im Werk Kitāb al-irshād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād (»Buch der Rechtleitung über die Beweise für die Prinzipien des Glaubens«) des al-Juwāynī (gest. 478/1085) wurde die islamisch-christliche argumentative Begegnung selbst zum Teil der allgemeinen Darstellung und Konstruktion der islamischen Theologie.¹²⁴ Das heißt, die Diskussion mit der christlichen Theologie trug konstruktiv dazu bei, die islamische Dogmatik zu begründen (durch Abgrenzung zum Christentum) und zu belegen. Die Analyse der Radd-Schriften wird nicht gleichmäßig geschehen. Vielmehr werden die Radd-Schriften bis al-Jaʿfarī dazu verwendet, den argumentativen Diskurs zwischen Muslimen und Christen in dieser Zeitspanne überblicksartig zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion beinhaltet eine Beschreibung der behandelten Themen, der Argumentationsstrukturen und der zugrunde liegenden Erkenntnisprinzipien (Teil I Kapitel 3). Hauptsächlich und in vollem Umfang wird dann (Teil III) das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī auf seine Argumentationsstrukturen und Erkenntnisprinzipien hin analysiert. Wesentliche Teile des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā wurden vom Verfasser dieser Studie aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt (siehe Appendix). Die vorliegende Studie legt die ersten fünf Kapitel (von insgesamt sieben Kapiteln) zugrunde, weil sie nur die apologetischen Versuche zur Widerlegung christlicher Thesen heranzieht und die (in den übrigen Kapiteln enthaltene) Beweisführung für das Prophetentum Jesu und Muḥammads außer Betracht lässt. Der Fokus wird auch deshalb auf die Widerlegung gelegt, weil Widerspruch und Widerlegung eine fundamentale logische Idee der kritischen Argumentation ist,¹²⁵ für die al-Jaʿfarīs Buch ein gutes Beispiel bietet. Der Radd – aber auch generell die islamische Argumentationstheorie oder der Kalām – macht von der Methode des Widerlegens reichen Gebrauch. Dabei war vor allem der Nachweis, dass sich der Opponent mit seinen Thesen in einen Widerspruch verwickelt, eine der wichtigsten Herangehensweisen.¹²⁶

¹²³ Vgl. Becker, Dogmenbildung 175–195. ¹²⁴ Vgl. al-Juwāynī, Al-irshād 28. ¹²⁵ Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 221. ¹²⁶ Für die Ursprünge dieser Neigung der Araber zum Disput und zur Antithese verweist Ekkehard Rudolph auf die frühen Gedichte der Beduinen, die zur Entstehung der munāẓarāt beitrugen. Rudolph lehnt zudem eine Herleitung der munāẓara aus der frühislamischen Poesie mit Anlehnung an Brockelmann ab (vgl. Rudolph, »Schriftarten«).

1.2. Historische und moderne Terminologie

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Dass nur und gerade dieser Radd-Text von al-Jaʿfarī hier eingehend argumentationstheoretisch analysiert wird, hat insbesondere folgenden Grund: Eine argumentationstheoretische Analyse kann in der erforderlichen systematischen Gründlichkeit, wie sie die Lumersche Argumentationstheorie und -analyse verlangen, nicht für eine Vielzahl von polemischen Schriften gleichzeitig zur Durchführung gelangen, sondern sie hat sich auf ein Werk zu konzentrieren. Dieses Werk ist das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī, das sich als Analysegegenstand besonders anbietet, weil es kompakt und verhältnismäßig klar eine ganze Reihe klassischer Radd-Argumente zum Christentum zusammenstellt.

1.2. Historische und moderne Terminologie Der vorliegenden Studie liegt ein argumentationstheoretischer Ansatz zugrunde. Sie versucht also die Argumente, Argumentationsstrategien und erkenntnistheoretischen Prinzipien der ausgewählten Radd-Texte zu rekonstruieren und die logischen Strukturen der Argumente methodisch zu analysieren. Sie stellt sich damit der Aufgabe, eine erste Orientierung über den Bestand von argumentationstheoretischen Anwendungen in Argumentationstexten des Radds zum Christentum zu geben. Dabei werden vor allem Termini der modernen Logik und Argumentationstheorie angewandt; es wird nicht der Anspruch erhoben, die mittelalterliche islamische Logikterminologie und Argumentationstheorie eins zu eins heranzuziehen und anzuwenden. Dies hat den Grund, dass die klassisch-islamische Argumentationstheorie nicht alle Konzepte der modernen Argumentationstheorie wiedergeben kann.¹²⁷ Zudem hat die vorliegende Studie den Anspruch, im Ausgang von der angewandten argumentativen Theologie die in ihr angewandten Methoden herauszuarbeiten und in moderner Terminologie darzustellen. Eine argumentationstheoretische Analyse, die innerhalb der historischen arabischen Logikterminologie verbliebe, würde leicht beim bloßen Beschreiben stehen bleiben; erst die Analyse mittels der modernen Terminologie und Argumentationstheorie ermöglicht ein interpretierendes Verstehen der historischen Texte. Daher würde eine eingehende Verwendung der mittelalterlichen islamischen Terminologie keinen Beitrag zur Beantwortung unserer Fragestellung leisten und ist deshalb auch nicht bezweckt. Zudem könnte die Verwendung der historischen Argumentationstheorie letztlich zirkulär sein oder zumindest

¹²⁷ Dennoch bietet sie eine breite Terminologie und entwickelte Theorie; nur ist fraglich, ob die Autoren, die in dieser Studie behandelt werden, diese Theorie und Terminologie auch angewendet haben und ihnen diese Terminologie bekannt war, auch wenn deren Anwendungen in ihren Argumentationstexten vorliegen. Beispielweise hat al-Jaʿfarī keine methodische Schrift verfasst, anhand derer diese Frage beantwortet werden könnte, sodass seine Methodik, Argumentationstheorie und Terminologie ausgehend von dieser Schrift wiedergegeben werden könnten.

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Kapitel 1: Einführung

zirkulär wirken. Schließlich gibt die Terminologie allein noch keine Erkenntnis über die konkrete Anwendung. Trotzdem werden – soweit erforderlich – auch die historischen arabischen Begriffe zu wichtigen argumentationstheoretischen und logischen Konzepten angegeben. Dabei handelt es sich jedoch, auch ohne dass dies im Einzelnen betont wird, nur um eine Auswahl aus den traditionellen Begriffen der islamischen Logik und Argumentationstheorie. Die Frage nach der Systematisierung der arabischen Logik wird damit bewusst unterlaufen. Diese Entscheidung hat mehrere Gründe. Zunächst kann mit der modernen Logik und Argumentationstheorie weitaus mehr erfasst werden als mit der klassischen islamischen Logik. Dies ist u. a. der Grund dafür, dass Gwynne in ihrer Untersuchung der koranischen Argumentation auf Konzepte der modernen Logik – wie etwa auf das ›rule-based reasoning‹ oder auf die ›logic of commands‹ – zurückgreifen musste.¹²⁸ Weil zudem das Ziel der vorliegenden Studie u. a. eine Rekonstruktion der epistemologischen Prinzipien des al-Jaʿfarī ist, benötigen wir ein vielseitiges Werkzeug, das eine Analyse der Texte unter unseren Fragestellungen erlaubt. Die klassisch-islamische Argumentationstheorie alleine bietet dieses Werkzeug nicht, denn sie hat wichtige spätere Entwicklungen der Argumentationstheorie nicht erfassen, evaluieren und integrieren können. Während in der frühen Phase des Islams konstruktive Beiträge zu Logik und Argumentationstheorie vorgelegt wurden, etwa von Ibn Fūrak (gest. 406/1015), Ibn al-Rāwandī (gest. 245/ 860 oder 298/912), Ibn Sīnā (gest. 427/1037), al-Fārābī (gest. 337/950) oder al-Ghazālī,¹²⁹ war lange die vorherrschende Meinung, dass ab dem 16. Jahrhundert die Entwicklung der Logik und Argumentationstheorie aufhörte und von da an mehr oder weniger nur Nachahmungen und Kommentare zu alten Werken verfasst wurden.¹³⁰ Dem widerspricht El-Rouayheb; ihm zufolge endet die Entwicklung der Logik nicht im 16. Jahrhundert; vor allem im Iran und im Osmanischen Reich sei die Entwicklung weitergegangen.¹³¹ In der Tat entwickelte der osmanische Gelehrte İsmail ibn Mustafa ibn Mahmud Gelenbevî (gest. 1205/1791) eine Argumentationstheorie, welche in dieser Studie auch

¹²⁸ Vgl. Gwynne, Logic 59. ¹²⁹ Die ersten Hinweise auf eine Anwendung der systematisch-argumentativen Disputationen können schon bei Jakob al-Qirqisānī beobachtet werden (vgl. Makdisi, »Dialectic«). Jakob al-Qirqisānī wirkte im 10. Jahrhundert (vgl. Astren, »Qirqisānī« 136–140). Doch in dieser Zeit fehlt jeder Hinweis auf eine Systematisierung der islamischen Argumentationstheorie. Ohnehin fing die eigentliche Übersetzungsinitiative erst mit dem Kalifen Manṣūr an, kurz nach der Errichtung von Bagdad gegen 762, mit der auch die griechische Philosophie in das islamische Denken Eingang fand und mit dieser auch epistemologische Überlegungen, die letztlich in eine Argumentationstheorie einmündeten (vgl. Üçer, »Antik-Helenistik« 73). ¹³⁰ Vgl. Rescher, Development 80–83. ¹³¹ Vgl. El-Rouayheb, Syllogisms. Darin stellt El-Rouayheb vereinzelt Autoren vor, die ab dem 16. Jahrhundert im Iran und im osmanischen Reich Werke zur Logik und Argumentation verfasst haben.

1.2. Historische und moderne Terminologie

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als Handbuch der islamisch-argumentationstheoretischen Termini herangezogen wird.¹³² Auch wenn es El-Rouayheb gelingt, die Entwicklung der islamischen Logik bis ins 19. Jahrhundert zu verfolgen, endet die konstruktive Entwicklung ab dieser Zeit. Die islamische Logik verpasst daher wichtige Entwicklungen der modernen Argumentationstheorie, zunächst das Aufkommen der modernen formalen Logik, der die Methoden der antiken und scholastischen Logik nicht mehr genügten,¹³³ und dann die postklassische Argumentationstheorie.¹³⁴ Aus Sicht der Moderne bietet die klassische Herangehensweise daher kein kritisches und ausreichendes Analyseverfahren, um etwa theologische Argumentationen theoretisch und systematisch mit den Fragestellungen der modernen Argumentationstheorie analysieren und evaluieren zu können. Zudem kann die klassisch-islamische Darlegung der Logik und Argumentationstheorie Grenzen haben, die es nicht erlauben, eine bestimmte Argumentationsweise zu analysieren, obwohl ein klassisch-islamischer Autor diese Argumentationsweise anwendet. Hier sollte man sich nicht von folgendem Fehlschluss leiten lassen: Wenn eine Logik etwa des 13. Jahrhunderts einen Argumentationsgang oder eine Argumentationsstrategie nicht erfassen, beschreiben oder gar rekonstruieren kann, dann kann es diese bei Autoren des 13. Jahrhunderts auch nicht geben. Diese Annahme wäre nämlich falsch: Die sprachliche Ausdrucksweise war schon im 13. Jahrhundert weitaus komplexer als die klassisch-islamische Darlegung der Logik und Argumentationstheorie sie je erfassen konnte. Die Entwicklung der Logik hat aber nicht aufgehört und der klassischen (aristotelischen und mittelalterlichen) Logik sind weitere Logiken (wie etwa die moderne Aussagen- und Prädikatenlogik) gefolgt, die mehr Möglichkeiten anbieten, um die Feinheiten natürlichsprachlicher Argumentationen präzise darzustellen. Durch die Heranziehung der modernen Logik und Argumentationstheorie können Argumente systematischer analysiert und bewertet werden, weitaus präziser, als die klassischen Ansätze dies zuließen. Deshalb bietet diese Herangehensweise einen neuen wissenschaftlichen Ansatz für die islamische Theologie, um theologische Argumente zu analysieren. Damit ist die vorliegende methodische Analyse als ein methodischer ›turn‹ im Rahmen der islamisch-theologischen Argumentationsanalyse zu betrachten. Als Beispiel für die Darstellung der Problematik soll folgender argumentativer Radd-Text al-Jaʿfarīs dienen: »Die Christen behaupten, dass der Messias ʿĪsa [sc. Jesus] Gottes Sohn und Gott sein Vater ist. Wir unterteilten deren Aussagen und sagen Folgendes:

¹³² Vgl. hierzu Gelenbevîs argumentationstheoretische Werke: Burhān; Gelenbevī ʿalā Īsāgūjī; Mīzān al-burhān; Burhān fī fann al-manṭiq; Taʿdīl risālat al-qiyās min ʿilm al-manṭiq (zu Editionen siehe das Literaturverzeichnis). Vgl. auch Abdünnâfi İffet Efendi, Fenn-i Mantık (auch: Terceme-i Burhān-ı Gelenbevi), eine Art Kommentar und Übersetzung zum Burhān fī ʿilm al-manṭiq wa-fann al-mīzān des Gelenbevî. ¹³³ Vgl. Enriques, Geschichte der Logik 43–47. ¹³⁴ Vgl. van Eemeren u. a., Handbook 141–143.

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Kapitel 1: Einführung

Dies [die Sohnschaft Jesu] kann ausschließlich folgende Bedeutungen haben: Entweder meint ihr (Christen) mit dem ›Sohn‹ den Körper des Messias und seine Leiche oder das Wort [sc. Logos], welches ihn verkleidet und sich, gemäß eurer Behauptung, mit ihm vereinigt. Oder aber das Ganze [sc. beides] als Sohn. Oder als bloße Bezeichnung, mit der ihn Gott benannt hat, um ihn zu verehren und seine Vorzüge sichtbar zu machen. Über die Sohnschaft gibt es keine andere fünfte Interpretationsmöglichkeit als diese vier Möglichkeiten.«¹³⁵

Hier versucht al-Jaʿfarī offensichtlich eine sogenannte vollständige Disjunktion aufzustellen. Er will nicht etwa seine Leserschaft verwirren, sondern alle möglichen Deutungen der Sohnschaft Jesu nach den christlichen Lehren systematisch darstellen. Indem er anschließend zeigt, dass die meisten dieser Deutungen logisch unmöglich oder in sich widersprüchlich sind, will er beweisen, dass die einzige übrigbleibende Möglichkeit wahr sein muss (das ist das Prinzip der Argumentation mit einer vollständigen Disjunktion), oder zumindest, dass die anderen Deutungen problematisch sind und dem Anspruch auf theologische Wahrheit nicht genügen. Somit will er zeigen, dass die These unter allen christlichen Interpretationen falsch ist.¹³⁶ Diese dialektische Methode, welche für die islamische Theologie typisch ist, versucht den Opponenten in eine Position zu bringen, in der er keine Antwort mehr findet und somit entweder seine These fallen lassen muss oder in eine Kontradiktion zu seiner eigenen These gerät.¹³⁷ Tatsächlich setzt al-Jaʿfarī auch im (hier nicht zitierten) Fortgang die Argumentationsmethode der vollständigen Disjunktion sehr konsequent um. Allerdings verwendet al-Jaʿfarī keine bestimmte Terminologie für dieses Konzept. Was kann der moderne Interpret hier tun? Bestenfalls kann man recherchieren, ob die islamische Logik und Argumentationstheorie eine bestimmte Terminologie für dieses Konzept bereithält, in diesem Fall etwa das taqsīm (bzw. taṣnīf )¹³⁸, das jedoch mit der Disjunktion nicht (problemlos) gleichzusetzen ist. Die vorliegende Studie verzichtet deshalb auf ausgiebige Analysen der historischen Terminologie und beschreibt vielmehr die argumentative Anwendung. Sicherlich werden einige Termini synonym verwendet oder haben im Laufe der Jahrhunderte Änderungen ihrer Bedeutungen und Anwendungen erlebt.¹³⁹

¹³⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 14–15. ¹³⁶ Tatsächlich wird auch die vierte Möglichkeit, die Auffassung als »bloße Bezeichnung«, von al-Jaʿfarī kritisiert; denn die Bezeichnung als ›Sohn‹ (Gottes) sei keineswegs für Jesus reserviert gewesen, sondern auch andere Personen seien so bezeichnet worden. Dafür legt er biblische Argumente vor (vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 14–39). ¹³⁷ Vgl. Hoyland, Seeing Islam 46. ¹³⁸ Vgl. Durusoy, »Taksim« 477–478. ¹³⁹ Dies betrifft insbesondere die argumentationstheoretischen Begriffe jadal und munāẓara, die beide als ›Disputation‹ übersetzt werden können und als theoretische Konzepte oft synonym verstanden werden. Auch wenn es begriffsähnliche Konzepte zu jadal und munāẓara gibt, löst sich die Synonymität auf, sobald klar ein bestimmter Wissenschaftsbezug zu den Konzepten offengelegt wird; beispielsweise beinhaltet die ʿilm al-khilāf eine bestimmte juristische Disputationslehre, die darauf abzielt, argumentativ juristische Meinungsunterschiede aufzulösen. In der Theologie hingegen etablierten sich die Konzepte jadal und munāẓara, wobei unterschiedliche Kategorisierungen und Definitionen zur Abgrenzung dieser Konzepte

1.2. Historische und moderne Terminologie

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Daher werde ich Autoren wie Gelenbevî und Muhammed Saçaklızâde Maraşî (gest. 1144/1732)¹⁴⁰, die über Logik (manṭiq) und Argumentationstheorie (munāẓara) geschrieben haben, ebenso heranziehen wie einige moderne Autoren, z. B. etwa Bekir Topaloğlu. Durch diese Benutzung sorgfältig ausgewählter historischer wie moderner Belege soll ein doppeltes Ziel erreicht werden. Einerseits wird damit versucht, durch die gezielte Heranziehung frühneuzeitlicher Autoren wie Saçaklızâde oder Gelenbevî die historische mit der modernen Terminologie zu verknüpfen und so auch einer Anbindung der klassisch-islamischen Argumentationstheorie an die moderne Argumentationstheorie den Weg zu bereiten. Andererseits verhindert die Konzentration auf ausgewählte Quellen und Autoren, dass eine allzu breite und inkonsistente islamisch-argumentationstheoretische Terminologie benutzt wird, welche die historischen Bezüge eher verwischen und unklar machen würde. An den wenigen Stellen, an denen die Informationen bei den genannten Autoren nicht ausreichen, werde ich gezielt auf andere Quellen zugreifen, die dann an gegebener Stelle genannt werden. Zur Kontextualisierung der theoretischen argumentationstheoretischen Konzepte wurden vorwiegend Autoren herangezogen, die auch im Rahmen des Radds argumentativ tätig waren, wie etwa al-Ghazālī. Dabei wurden gezielt Autoren ausgewählt, die auch argumentationstheoretisch relevante Texte vorgelegt und dadurch ihre Radd-Werke geprägt haben, sodass mit ihrer Hilfe eine generelle Methode des Radds nachgezeichnet werden kann und zudem Ergebnisse der Analysen dieser Studie bestätigt und abgesichert werden können. Ziel dieser Herangehensweise ist, keine strikt zeitlich festgelegte Analyse einer bestimmten Epoche darzulegen, sondern eine epochenübergreifende Sammlung entstanden. Die bekannteste Differenzierung ist die, welche auch Gelenbevî vornimmt, nämlich munāẓara als eine Disputation mit dem Ziel der Überzeugung und jadal mit dem Ziel des rhetorischen Überredens (vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 54). Des Weiteren unterteilt Abū Zahra das Konzept der munāẓara in zwei Bereiche: mujādala und mukābara (vgl. Abū Zahra, Jadal 5–6). Dabei folgt Abū Zahra einer klassischen Aufteilung, nach der munāẓara erkenntnistheoretisch ausgerichtet ist, also eine epistemische Überzeugung bezweckt, mujādala dagegen rhetorisch ist und auf das rhetorische Überreden zielt. Gemäß Abū Zahra ist mujādala dann gegeben, wenn der Argumentierende den Opponenten epistemisch zu überzeugen versucht, mukābara dann, wenn er ihn rhetorisch überreden möchte, ohne dabei einen Anspruch auf Wahrheit zu haben. Wagner legt eine literarische Betrachtung zum Konzept der munāẓara vor. Ihm zufolge ist munāẓara aus der Perspektive der Rangstreitdichtung der Araber ein Streitgespräch, bei dem es vor allem um das literarisch-rhetorische Überreden geht (vgl. Wagner, Rangstreitdichtung). Erst allmählich entwickelte sich die munāẓara als epistemisch-argumentatives Kommunikationsmittel zwischen dem Argumentierenden und dem Opponenten. Auch Pietruschka betrachtet mujādala und munāẓara als synonym (vgl. Pietruschka, »Streitgespräche«). ¹⁴⁰ Saçaklızâde war ein Schüler des ʿAbd al-Ghanī al-Nābulusī (gest. 1143/1731) und Verfasser zahlreicher Werke im Rahmen des kalām, tafsīr und fiqh, schrieb aber später als Student des al-Nābulusī auch Texte im Rahmen des taṣawwuf. Besonders bekannt – und an dieser Stelle für unsere Fragestellung wichtig – ist er als Verfasser zahlreicher Texte zu manṭiq, jadal und munāẓara sowie von Texten über Wissenschaftstheorie (vgl. Özcan, »Saçaklızâde« 368–370 für eingehende Informationen zu seinem Leben und Werken).

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Kapitel 1: Einführung

methodischer Instrumente zur Gestaltung des Radds anhand von Aussagen jener Autoren, die auch selbst zum Radd-Diskurs beigetragen haben. Neben diesen Autoren werden auch Autoren herangezogen, die generell zur Beweisführung und Epistemologie des Islams beigetragen haben, wie etwa Ibn Fūrak oder ʿAbd al-Qāhir ibn Ṭāhir al-Baghdādī (gest. 428/1037).

1.3. Forschungsstand Was den Stand der Forschung in der zu untersuchenden Fragestellung anbelangt, so ist festzuhalten, dass die Argumentation der mittelalterlichen islamischen Apologetik zur christlichen Lehre, wenn auch nicht in detaillierter Argumentationsanalyse, in summa diskutiert wurde.¹⁴¹ An islamwissenschaftlichen oder theologischen Fachpublikationen, welche die Vokabeln ›Polemik‹, ›Logik‹ oder ›Argumentation‹ im Titel führen, herrscht kein Mangel. Ohnehin wurde vor allem die islamische Logik historisch und philosophisch eingehend untersucht.¹⁴² Was jedoch eine argumentationstheoretische Betrachtung angeht, so lassen sich dazu nur ansatzweise Bemühungen finden, wie etwa bei Lazarus-Yafeh¹⁴³ oder die Analyse christlich-apologetischer Argumente bei Hayek¹⁴⁴ und ansatzweise bei Griffith¹⁴⁵. Die meisten dieser Texte sind jedoch für die Fragestellung dieser Studie wenig aufschlussreich, weil darin keine argumentationstheoretische Analyse der Argumentationen zum Einsatz kommt. Obwohl die Bedeutung der Argumentationstheorie für die islamische Theologie unbestritten ist, ist noch weitgehend unerforscht, wie sie sich auf die praktische theologische Argumentation ausgewirkt hat. Es gibt vereinzelt Untersuchungen¹⁴⁶ über argumentationstheoretische Ansätze, die jedoch selbst theoretisch bleiben und die Anwendung der Theorie nicht anhand theologischer Argumentationstexte überprüfen.¹⁴⁷ Der Hauptgrund dafür ist die zu stark

¹⁴¹ Vgl. hierzu: Thomas, Anti-Christian Polemic; Fritsch, Islam und Christentum. ¹⁴² Vgl. Rescher, Development oder El-Rouayheb, Syllogisms. Gewiss war die Logik einer der wichtigsten Bereiche der Philosophie und ebenso wichtig als Werkzeug (ʿilm al-ālat) der Theologie, weshalb zahlreiche Werke zu ihr entstanden sind. ¹⁴³ Vgl. Lazarus-Yafeh, »Neglected Aspects« und ders., Intertwined Worlds. ¹⁴⁴ Vgl. Hayek, »Introduction«. ¹⁴⁵ Vgl. Griffith, »Faith and Reason«. ¹⁴⁶ Wie etwa Karabela, Dialectic. Die Arbeit von Karabela bietet eine breite Perspektive auf die Disputationslehre. Jedoch beruhen die Ergebnisse auch dieser Arbeit nicht ausreichend auf der Analyse von Texten. Belhaj kritisiert an dieser Arbeit zudem, dass Karabela den Zusammenhang zwischen ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara und juristischer Dialektik nicht erkannt habe (vgl. Belhaj, »Neglected Art« 293–307). ¹⁴⁷ Die islamische Argumentationstheorie wird dabei oft lediglich als islamische Dialektik aufgefasst und die tiefgreifende und zusammenhängende Systematik und Argumentationsstrategie vernachlässigt (vgl. Holz, Dialektik Bd. 2, 566–587), die sie ausmacht. Dennoch liefert die islamische Argumentationstheorie im Radd, die in der vorliegenden Studie aus exemplarisch vorgefundenen Texten empirisch abgeleitet wurde, keine Erkenntnisprinzipien,

1.3. Forschungsstand

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historische¹⁴⁸ und zu wenig analytische Sicht der Forschung auf dieses Phänomen.¹⁴⁹ Die vorliegende Studie möchte hierzu einen Beitrag leisten und die Argumente aus einer argumentationstheoretischen Perspektive analysieren; denn dadurch lässt sich über Aufbau und Funktion der Argumentationen weitaus mehr ableiten als durch eine rein historische Betrachtung, die dem Argument nicht mehr Beachtung schenken kann als eine bloße inhaltliche Wiedergabe, ohne dabei in die Tiefenstruktur der Argumentation eindringen zu können. Was die Anwendung der Argumentationstheorie in den christlichen Theologien angeht, so wurde z. B. mehrfach der Versuch unternommen, durch argumentationstheoretische Analysen die Argumente des Paulus zu bewerten. Dazu zählt die Arbeit »Argumentiert Paulus logisch?« von Moisés Mayordomo.¹⁵⁰ Dieselbe Frage wurde 2014 in Amsterdam auf der Konferenz der International Society for the Study of Argumentation durch Anders Eriksson in seinem Vortrag »Warrants in Pauline argumentation« behandelt.¹⁵¹ Eine entsprechende Leistung kann die islamische Theologie vor allem im Rahmen der argumentativen Theologie, d. h. im Kalām erbringen. Die islamische Argumentationstheorie, wie sie beispielsweise im ʿilm almunāẓara zu finden ist, ist ein Werkzeug des Kalāms. Sie wurde im deutschsprachigen Raum vor allem von Josef van Ess als eigenständige Disziplin erforscht.¹⁵² Eine neuere und an van Ess angelehnte Arbeit hat Abdessamad

die schon nicht von der Dialektik aufgefasst wurden. Daraus lässt sich schließen, dass die islamische Argumentationstheorie, obwohl sie eine autonome systematische und historische Entwicklung hatte, dennoch methodisch stark an den schon bekannten Erkenntnisprinzipien u. a. der Dialektik festhält. Dziri versucht das Verhältnis der sog. islamischen Argumentationswissenschaft zur Dialektik mit einer historischen Untersuchung zu klären (Dziri, Ars Disputationis 32–33). Als Ergänzung dieser wichtigen historischen Betrachtung sollten die Ergebnisse einer argumentationstheoretischen Textanalyse herangezogen werden. So kann man die Frage, ob eine Selbständigkeit der islamischen Argumentationswissenschaft gegenüber der Dialektik besteht, im Rahmen unseres Ansatzes umfassender beantworten. In Bezug auf die literarische munāẓara (Debattenliteratur) macht Van Gelder darauf aufmerksam, dass die Urheberschaft strittig ist: »Some scholars believe therefore in an independent Arabic development. Others deny this, in view of the fact that the genre has been practised in the Middle East in Sumerian, Akkadian, Persian and Syriac before it appeared in Arabic« (Van Gelder, »Debate Literature« 186). ¹⁴⁸ Diese historische Sicht auf die islamische Argumentationstheorie beschränkt sich nicht auf westliche Untersuchungen, sondern ist auch im arabischsprachigen Raum vorherrschend, wie beispielsweise im Tārīkh al-jadal (»Geschichte der Dialektik«) des Abū Zahra. ¹⁴⁹ Einen ersten analytischen Ansatz legt, ausgehend von der juristischen Argumentationslehre, Hallaq, der zwar einige wichtige formale Strukturen juristischer Argumente wiedergibt, jedoch nicht von einem konkreten Argumentationstext ausgeht, somit die Rekonstruktion angewandter juristischer Argumente umgeht und damit wiederum theoretisch bleibt. Vgl. hierzu Hallaq, »Sunni Jurisprudence«. ¹⁵⁰ Mayordomo, Paulus. ¹⁵¹ Eriksson, »Warrants«. ¹⁵² Vgl. van Ess, »Disputationspraxis«.

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Kapitel 1: Einführung

Belhaj vorgelegt, der ʿilm al-munāẓara, ʿilm al-jadal und ādāb al-baḥth¹⁵³ als Argumentationslehren vorstellt,¹⁵⁴ dabei aber wiederum theoretisch bleibt und die Anwendung dieser Lehren nicht analytisch anhand konkreter (theologischer) Text überprüft.¹⁵⁵ Nicolas Heer veröffentlichte 1979 eine Übersetzung des Al-durra al-fākhira von ʿAbd al-Raḥmān Jāmī (gest. 897/1492), in der er zudem grundsätzlich auf die Terminologie der islamischen Argumentationstheorie einging. Larry Benjamin Miller legte 1984 eine maßgebliche Untersuchung der Theorie der islamischen Disputations- und Beweislehre vor. Neben der Beziehung der Disputation (bei Miller das jadal) zur Philosophie und Rechtswissenschaft zeigt er die theologische Dialektik im Rahmen der Disputation auf. Ausgehend von Primärquellen formuliert er die Regeln der Disputation.¹⁵⁶ Miller zeigte den Einfluss der Logik auf die islamische Disputationslehre. Er erkannte Shams al-Dīn al-Samarqandī (gest. 702/1303) als ersten arabischen Logiker an, der eine Disputationslehre bzw. Logik der Debatte (ādāb al-baḥth) aufgestellt hat.¹⁵⁷ Zudem gibt George Makdisi zahlreiche wissenschaftshistorisch bedeutende Hinweise auf die Argumentationslehre im islamischen Denken, vor allem auf die islamisch-juristische Argumentationslehre.¹⁵⁸

¹⁵³ Eines der einflussreichsten Werke des ādāb al-baḥth ist das Al-risāla al-Samarqandiyya von Shams al-Dīn al-Samarqandī (gest. 702/1303). Al-Samarqandī geht es in diesem Werk nicht um die Darstellung der logischen Beweisführung, sondern vielmehr um die Bedingungen – wie taʿrīfāt (›Definitionen‹) und tartīb al-baḥth (›Untersuchungsanordnung‹) – argumentativer Handlungen. Nach Miller scheint al-Samarqandī von seinem Lehrer Burhān al-Dīn al-Nasafī (gest. 687/1289) geprägt worden zu sein, der selbst ein Werk mit dem Titel Al-muqaddima al-burhāniyya zur juristischen Dialektik verfasste. Beide Werke weisen Ähnlichkeiten auf, weshalb Miller zu diesem Schluss kommt (vgl. Miller, Study 213–214). Eine weitere Entwicklung erfuhr ādāb al-baḥth mit dem Werk Al-risāla al-ʿaḍudiyya fī ādāb al-baḥth des ʿAḍud al-Dīn al-Ījī (gest. 756/1355). Beide Werke wurden häufig kommentiert und haben ādāb al-baḥth maßgeblich beeinflusst. Eine weitere Entwicklung ist vor allem in der juristischen Argumentationslehre zu beobachten. Vor allem das Werk ʿAlam al-jadal fī ʿilm aljadal des Najm al-Dīn al-Ṭūfī (gest. 715/1316) ist zu erwähnen, dessen Argumentationstheorie ausführlichere Disputationsregeln als die Werke seiner Vorgänger aufweist (vgl. al-Ṭūfī, ʿAlam al-jadal). Für eine ausführliche Einführung in die Entwicklung des ādāb al-baḥth sei auf Miller, Study und Karabela, Dialectic verwiesen. ¹⁵⁴ Obwohl zunächst die Bezeichnung ʿilm al-jadal die islamische Argumentationstheorie wiedergab, wurde allmählich die Bezeichnung ādāb al-baḥth gängiger. Eine Erklärung dafür ist die Suche nach einer allgemeinen Argumentationstheorie, die sich von den Grenzen des jadal befreite, der ohnehin einen Bedeutungswandel erlebte und zunehmend vielmehr als unepistemische Überredungskunst verstanden wurde (vgl. Belhaj, Argumentation et dialectique 17–37, 39–77, 79–115, 117–142). ¹⁵⁵ Vgl. Belhaj, Argumentation et dialectique, passim. ¹⁵⁶ Vgl. Miller, Study. Eine bearbeitete Version erschien 2020 (Miller, Uses and Rules); sie konnte leider für diese Studie nicht mehr im Einzelnen berücksichtigt werden. ¹⁵⁷ Vgl. Miller, Study 203. ¹⁵⁸ Vgl. Makdisi, »Ashʿarī«; ders., »Freedom«; ders., »Corporation«; ders., »Topography«; ders., »Tanbīh«; ders., Rise of Colleges; ders., History and Politics; ders., Rise of

1.3. Forschungsstand

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2003 veröffentlichte Ali Bin Mahfouz eine kritische Edition von Saçaklızâdes Taqrīr al-qawānīn al-mutadāwala min ʿilm al-munāẓara und behandelte in einem gesonderten einführenden Kapitel auch die Grundprinzipien der Debattenlehre.¹⁵⁹ Damit ist diese Arbeit eine Art Gegenstück zu dem, was in der vorliegenden Studie am Beispiel des Radds betrieben wird, denn Saçaklızâdes Werk ist eine analyseferne Darstellung des Argumentationstextes und der Argumentationshandlung. Auch wenn die islamische Argumentationstheorie die Diskussionen der modernen Argumentationstheorie weitgehend vernachlässigt hat, entwickelte sich in den 1980er-Jahren in Marokko, angetrieben durch französischsprachige Argumentationstheoretiker wie Oswald Ducrot, Chaïm Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca, eine Annäherung an die moderne Argumentationstheorie. Vor allem Muḥammad al-ʿUmarī¹⁶⁰ und Ṭāhā ʿAbd al-Raḥmān¹⁶¹ haben den Versuch unternommen, die moderne Argumentationstheorie mit dem klassischislamischen Ansatz zu verbinden. Dabei gingen beide vor allem von der Rhetorik, Disputation und Sprachwissenschaften aus. Ohnehin ist die klassische Argumentationstheorie eng verbunden mit der Logik, Rhetorik und Linguistik.¹⁶² Nach diesem Konzept wird die Rhetorik im mittelalterlichen Sinne als Teil des Triviums verstanden, zu dem die Grammatik, Dialektik (inklusive Logik) und eben die Rhetorik gehören.¹⁶³ Muḥammad al-ʿUmarī veröffentlichte über die arabischen Argumentationsdiskurse und Redekunst und lehnte sich dabei vor allem an Perelman und Olbrechts-Tyteca an. Ṭāhā ʿAbd al-Raḥmān kritisierte in seinen Arbeiten die klassisch-islamische Disputationstheorie, die sich im theologisch geformten ʿilm al-kalām wiederfindet, und plädierte dafür, neuere Ansätze der Argumentationstheorie einzuführen. Sein Ziel war dabei vor allem, eine humanistisch-ethische Basis des Islams zu schaffen.¹⁶⁴ Beide Autoren hinterließen einen wichtigen Humanism; ders., »Dialectic«; ders., »Institutions of Learning«; ders., »Scholastic Method«; ders., Religion, Law and Learning. ¹⁵⁹ Vgl. Bin Mahfouz, »Introduction«. ¹⁶⁰ Vgl. al-ʿUmarī, Fī Balāgha. ¹⁶¹ In manchen Veröffentlichungen kommt auch die Schreibweise ›Taha Abderrahmane‹ vor; es handelt sich um denselben Autor. Vgl. ʿAbd al-Raḥmān, Essai sur les logiques und ders., Fī Uṣūl al-ḥiwār. ¹⁶² Obwohl die Rhetorik im Kalām und somit auch im Radd in den Hintergrund trat und als Funktion der Argumentation keine Rolle mehr spielte, war die Rhetorik für die Vorbereitung der islamischen Argumentationstheorie wichtig. Vor allem der Koran als argumentativer Prosatext brachte die Wissenschaft der Eloquenz (ʿilm al-balāgha) früh in Berührung mit der Argumentation, denn sie beschäftigte sich auch mit der koranischen Argumentationsweise. Al-Fārābī verstand Rhetorik und Prosa dann als Teile der Logik und des syllogistischen Schlussverfahrens und untersuchte rhetorische Figuren, die für das Gelingen des Überzeugungsaktes verantwortlich waren (vgl. Würsch, »Rhetorik und Stilistik« 2040–2053). ¹⁶³ Vgl. Nöth, Handbuch 392. ¹⁶⁴ Der Weg von der Argumentationstheorie zur moralischen Urteilslehre ist in der Tat begehbar, wie etwa auch bei Lumer zu beobachten ist (vgl. insbesondere Lumer, »Ethische

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Kapitel 1: Einführung

Einfluss im arabischsprachigen Raum. Als späteres Produkt dieser Entwicklung kann der Sammelband Al-Ḥijāj. Mafhūmuhu wa majālātuhu¹⁶⁵ (etwa: »Argumentation: Konzept und Gebiete«) von Ḥāfiẓ Ismāʿīl ʿAlawī betrachtet werden, in dem zahlreiche argumentationstheoretische Aufsätze in Form eines Handbuches zur Argumentationstheorie zusammengestellt sind.¹⁶⁶ Eine weitere interessante Studie ist die von Regula Forster 2017 vorgelegte Monographie mit dem Titel »Wissensvermittlung im Gespräch«. Forster untersucht Dialogformen in der arabischen Literatur und ihre Bedeutung für die Wissensvermittlung. Dabei geht sie u. a. auch auf religiöse Dialogformen ein. Obwohl die Arbeit keine argumentationstheoretische Herangehensweise benutzt, behandelt sie auch die Argumentationsweisen in diesen Dialogen. Eine interessante Schlussfolgerung dieser Arbeit ist, dass die Dialoge, die argumentativ sein können, zur Wissensvermittlung beitragen können; vor allem das hypothetisch konstruierte Zwiegespräch habe – eher als die stärker konversationellen mehrseitigen Dialoge – die Funktion der Wissensvermittlung.¹⁶⁷ Weiterhin kommt Forster zu dem Schluss, dass in Dialogen mit logisch und rational nachvollziehbaren Argumenten argumentiert werde, um den Opponenten zu widerlegen.¹⁶⁸ Forster versteht unter Dialogen allerdings nur die Verschriftlichung verbaler Gespräche.¹⁶⁹ Auf den Radd bezogen, entsprechen dieser Definition nur diejenigen argumentativen Radd-Texte, die als Gespräch verstanden können (wie etwa die christlich-syrische Schrift Egartā d-Mār(y) Yoḥannan patṛ iyarkā metṭụ l mamllā d-mallel ʿam amirā da-Mhaggrāyē, »Der Brief des Patriarchen Johannes über seine Auseinandersetzung mit einem Emir der Mhaggrāyē«), dagegen nicht die Mehrzahl der Radd-Texte, die monologisch oder hypothetisch formuliert wurden. Schon Belhaj definierte die religiöse munāẓara in einem weiteren Sinn als eine dialogische oder eben auch monologische Untersuchung, deren Ziel die Suche nach der Wahrheit ist.¹⁷⁰ Interessant ist auch die Annahme Forsters (im Anschluss an van Ess¹⁷¹), dass die theologischen Disputationen (munāẓara) nicht primär das Ziel der Wahrheitsfindung hatten, sondern der Überzeugung der Gegner dienten.¹⁷² Diese Frage soll in der vorliegenden Studie differenzierter behandelt werden, u. a. indem geprüft wird, ob Ergebnisoffenheit vorliegt, Argumentationen«), wenn auch systematischer als bei ʿAbd al-Raḥmān. Der vorliegende Ansatz, obwohl argumentationstheoretisch, hat eine andere Fragestellung als bei ʿAbd alRaḥmān oder Muḥammad al-ʿUmarī (nämlich die argumentationstheoretische Beschreibung des Radds) und ist somit im Vergleich zum Anspruch von ʿAbd al-Raḥmān an die Argumentationstheorie weniger normativ und vielmehr deskriptiv. ¹⁶⁵ Vgl. ʿAlawī, Al-Ḥijāj. ¹⁶⁶ Für weitere relativ junge Publikationen aus dem arabischen Raum und von arabischsprachigen Autoren vgl. van Eemeren u. a., Handbook 764–768. ¹⁶⁷ Vgl. Forster, Wissensvermittlung 421. ¹⁶⁸ Vgl. Forster, Wissensvermittlung 425. ¹⁶⁹ Vgl. Forster, Wissensvermittlung 2. ¹⁷⁰ Vgl. Belhaj, Argumentation et dialectique 20. ¹⁷¹ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 44, 48. ¹⁷² Vgl. Forster, Wissensvermittlung 17.

1.3. Forschungsstand

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die eine Voraussetzung für das Ziel der Wahrheitsfindung wäre. Zutreffend ist auf jeden Fall Forsters Einschätzung, dass das interreligiöse Streitgespräch zwar in der Forschung auf großes Interesse gestoßen ist, dass sich dieses Interesse jedoch auf die religiösen Inhalte beschränkte und, nach Forster, die literarische Form dieses Streitgesprächs kaum beachtet worden ist.¹⁷³ Die vorliegende Studie teilt diese Einschätzung und möchte die praktische Argumentativität des Streitgespräches in den Fokus nehmen. Was den Forschungsstand zum Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī angeht, so ist dieser rasch beschrieben. Das Buch wurde 1988 von Muḥammad Ḥasanayn herausgegeben.¹⁷⁴ In seiner Edition gibt Ḥasanayn eine kurze Einführung in das Werk, ohne dabei detailliert auf die Argumentationen einzugehen. Ḥasanayn beschreibt knapp die Manuskripte der Radd-Schriften al-Jaʿfarīs, welche er in den Sammlungen der British Library und der Süleymaniye-Bibliothek (Ayasofya-, Reisülküttab- und Damad-Ibrahim-Kollektionen) gefunden hat. Er bietet zudem eine kurze Biografie al-Jaʿfarīs und beschreibt dessen Gründe für die Niederschrift seiner Radd-Schriften.¹⁷⁵ Eine weitere kurze Darstellung legt Demiri in den Christian-Muslim Relations vor.¹⁷⁶ Eine neuere Arbeit von Sarrió Cucarella thematisiert den Einfluss al-Jaʿfarīs auf Shihāb al-Dīn al-Qarāfī (gest. 684/1285), selbst Autor eines Radds. Dabei wird, wenn auch nur kurz, auch der Radd al-Jaʿfarīs behandelt.¹⁷⁷ Zwei von insgesamt drei Werken des al-Jaʿfarī haben teilweise Beachtung erfahren. Als Fritsch 1930 sein Werk Islam und Christentum im Mittelalter veröffentlichte, war wenig über das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī bekannt. Fritsch sah deshalb von einer Charakterisierung dieses Textes ab, bemerkte jedoch richtig, dass es aufgrund seines Aufbaus von den beiden anderen verschieden sein müsse.¹⁷⁸ Seit 1930 wurden keine Arbeiten über das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā vorgelegt. Anders sieht es bei einem weiteren Werk des al-Jaʿfarī aus: Schon 1897 legte Franz Triebs eine Dissertation mit dem Titel Liber decem quaestionum contra Christianos, auctore Ṣaliḥo ibn al-Ḥusain vor, eine lateinische Übersetzung und teilweise Edition von al-Jaʿfarīs Werk Kitāb alʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd (»Das Buch der zehn Fragen mit dem Titel ›Die Darstellung der klaren und bezeugten Niederträchtigkeit der Christen und Juden‹ «). In der islamischen Gelehrsamkeit war dagegen vielmehr al-Jaʿfarīs Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl (»Beschämung derer, die Tora und Evangelium verfälscht haben«) auf Interesse gestoßen. Abū al-Faḍl al-Masʿūdī (oder

¹⁷³ Vgl. Forster, Wissensvermittlung 12. ¹⁷⁴ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd. ¹⁷⁵ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 1–2. ¹⁷⁶ Vgl. Demiri, »Kitāb al-radd« 485 und dies., »Al-Jaʿfarī« 480–485. ¹⁷⁷ Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics. ¹⁷⁸ Vgl. Fritsch, Islam und Christentum 17. Fritsch hatte das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā nicht selbst gelesen; er wurde von Professor Hellmut Ritter über dieses Werk informiert, der das Werk in Istanbul zur Kenntnis nahm.

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Kapitel 1: Einführung

al-Suʿūdī) al-Mālikī (gest. nach 942/1536) verfasste das Werk Al-muntakhab al-jalīl min Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl (»Eine großartige Auswahl aus: Beschämung derer, die das Evangelium verfälscht haben«), das ins Osmanische und Lateinische übersetzt wurde.¹⁷⁹ Die lateinische Übersetzung legte Frederik Jacob van den Ham 1890 unter dem Titel Disputatio pro religione Mohammedanorum adversus Christianos vor. Auch ein Sufigelehrter aus Mosul, Amīn ibn Khayr Allāh ʿUmarī (gest. 1202/1788), verfasste ein Werk mit dem Titel Risāla fī al-radd ʿalā l-Naṣārā, nachdem er das Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl des al-Jaʿfarī gelesen hatte.¹⁸⁰ Erst als 1998 Maḥmūd ibn ʿAbd al-Raḥmān Qadaḥ eine Edition des Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl veröffentlichte, kam Bewegung in die Forschung um al-Jaʿfarī. 2006 wurde dann von Khālid Muḥammad ʿAbduh eine neuere Edition desselben Werkes veröffentlicht.¹⁸¹ 2011 reichte Amal bint Mabrūk ibn Nāhis al-Luhībī eine Dissertation über das Werk Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd an der Umm al-Qurā-Universität in Mekka ein.¹⁸² Dabei waren die Werke des al-Jaʿfarī, wenn auch nur indirekt und über Umwege, schon früh gerühmt worden. Fritsch bescheinigte al-Qarāfī, mit seinem Al-ajwiba die »beste apologetische Leistung des Islam« erreicht zu haben.¹⁸³ Erst Sarrió Cucarella stellte fest, dass die Hauptquelle des al-Qarāfī die Schrift Takhjīl des al-Jaʿfarī war,¹⁸⁴ sodass dieses Lob zumindest teilweise al-Jaʿfarī gebührt. In der Tat ist die argumentative Leistung des al-Jaʿfarī vielseitig, was sich auch in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā bemerkbar macht, weshalb es lohnend erscheint, den argumentativen Aufbau dieses Werkes näher zu untersuchen.

¹⁷⁹ Vgl. Demiri, »Abū l-Faḍl« und dies., »Al-muntakhab al-jalīl«. ¹⁸⁰ Vgl. Kemp, »Jalili Mosul« 351. ¹⁸¹ Für genaue Angaben zu beiden Editionen siehe die Bibliografie dieser Studie, Abschnitt 1. ¹⁸² Al-Luhībī, Bayān al-wāḍiḥ. ¹⁸³ Vgl. Fritsch, Islam und Christentum 22. ¹⁸⁴ Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 74.

Kapitel 2

Definition der islamisch-christlichen argumentativen Auseinandersetzung Wie kann der Argumentationstext definiert werden, in dem der muslimische Autor argumentativ die christliche Lehre zu widerlegen versucht und die eigene Lehre verteidigt? Die Literatur benutzt oftmals Begriffe wie ›Polemik‹ oder ›Apologetik‹, um dieses Phänomen zu beschreiben. Die Frage, wie der Begriff ›Apologetik‹ zu definieren ist, führt uns aufgrund der Etymologie und Geschichte des Wortes zunächst zu nicht-islamischen Texten. Das übliche Verständnis des Begriffes im christlichen Kontext wird besonders in den kurzen Definitionen christlicher Enzyklopädien deutlich; beispielsweise definiert die New Catholic Encyclopedia Apologetik einfach als Streit zwischen Christentum und Judentum bezüglich des wahren Inhalts der Offenbarung.¹ Etwas ausführlicher beschreibt die Encyclopedia of Religion Apologetik wie folgt: »Apologetics is other-directed communication of religious belief that makes assertions about knowing and serving God. It represents the content of a particular faith in an essentially intellectualist fashion and, like a national boundary, acts as a membrane for the exchange of ideas.«²

Doch nicht nur in theologischen oder religionswissenschaftlichen Wörterbüchern wird Apologetik eng mit dem Apologetikverständnis des Christentums verbunden, sondern sogar im Historischen Wörterbuch der Philosophie ³ wird Apologetik als ein rein christlich-katholisches Phänomen verstanden. Diese kurzen Beschreibungen der Apologetik geben dennoch auch Hinweise darauf, wie die islamische Apologetik zu verstehen ist. Die New Catholic Encyclopedia weist darauf hin, dass Apologetik ein Streit zwischen zwei Religionen ist.⁴ Diese Voraussetzung liegt auch dem Gegenstand dieser Studie zugrunde: Die polemisch-apologetischen Texte, die zur Analyse herangezogen werden, entstammen einem Streit zwischen zwei Religionen, nämlich zwischen dem Islam und dem Christentum. Die Encyclopedia of Religions nennt eine weitere wichtige Voraussetzung: Die Apologetik ist eine Form der Kommunikation

¹ Cahill, »Apologetics« 563. Ohnehin gilt die theologische Polemik als eine der wichtigsten Formen der Auseinandersetzung, die durch die Grenzziehung zwischen richtig und falsch die christliche Glaubensentwicklung geprägt hat (vgl. Gierl, »Polemik«). ² Bernabeo, »Apologetics« 426. ³ Vgl. Aland, »Apologetik« 446. ⁴ Cahill, »Apologetics« 563.

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Kapitel 2: Definition der argumentativen Auseinandersetzung

über Glaubensinhalte, wobei die Kommunikation fremdbestimmt ist. Fremdbestimmt u. a. deshalb, weil der Autor eines apologetischen Textes sich auf die Kritik der anderen Religion einlässt und seine eigene Religion argumentativ zu verteidigen versucht.⁵ Schon wenn diese wenigen, aber zentralen Voraussetzungen zur Bestimmung der Apologetik herangezogen werden, wird deutlich, dass Apologetik keineswegs ein rein christliches Phänomen ist, sondern zumindest alle drei abrahamitischen Religionen betrifft. Neben Christentum und Islam hat auch das Judentum eine Apologetik entwickelt, oftmals angelehnt an die Methodik des Kalāms. Die Frage, wie Apologetik und Polemik speziell aus islamischer Perspektive verstanden wird, führt zur Türkiye Diyanet Vakfı İslam Ansiklopedisi, in der die islamische Apologetik mit dem Begriff reddiye wiedergegeben und wie folgt beschrieben wird: »[reddiye] ist der allgemeine Name für Werke, welche mit der Intention geschrieben werden, die Beweise und Belege für einen Glauben oder eine Meinung, denen man sich entgegengestellt hat, zu widerlegen.«⁶

Diese Definition entspricht weitgehend dem Begriff der Polemik. Allerdings bezieht sie sich auf den Begriff reddiye, die türkische Schreibweise des arabischen Begriffes radd. Während dieses arabische Wort ein weites Bedeutungsspektrum umfasst,⁷ hat sich bei der Übernahme ins Türkische eine gewisse Verengung der Bedeutung ergeben, sodass reddiye vor allem polemische Texte bezeichnet. Das arabische Wort radd bezeichnet dagegen allgemein einen argumentativen Text. Da das Wort allerdings besonders häufig im Titel apologetischer Schriften vorkam, wurde es allmählich im Sinne von ›Apologie‹ und ggf. ›Polemik‹ verstanden. Der Radd ist in diesem Kontext der Versuch, eine Aussage zu widerlegen.⁸ Jedoch wird der Begriff Radd nicht nur (um Schleiermachers Unterscheidung aufzunehmen⁹) für die außerreligiöse argumentative Auseinandersetzung verwendet, sondern auch für die innerreligiöse argumentative Auseinandersetzung.¹⁰ Polemik wird zudem überwiegend als eine unsachliche Argumentation verstanden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit der Radd polemisch ist. In dem von Gerhard Strauß u. a. herausgegebenen Buch Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist wird Polemik sprachwissenschaftlich betrachtet und als eine zwischen Personen gegensätzlicher Auffassung stattfindende

⁵ Bernabeo, »Apologetics«. ⁶ Sinanoğlu, »Reddiye« 516, eigene Übersetzung. ⁷ Siehe dazu unten S. 48. ⁸ Gimaret, »Radd« 362–363. ⁹ Vgl. Schleiermacher, Darstellung § 41. ¹⁰ Exemplarisch kann hier das Kitāb al-ikhtilāf fī al-lafẓ wa-l-radd ʿalā l-Jahmiyya wa-lMushabbiha des Ibn Qutayba (gest. 275/889) genannt werden, das u. a. eine Widerlegung der theologischen Positionen zur Attributenlehre der Mushabbiha beabsichtigt und dabei den Begriff ›Radd‹ vielmehr in seiner allgemeinen Form als ›Antwort auf etwas‹ für einen innerislamischen argumentativen Streit verwendet (vgl. Lecomte, »Ibn Ḳutayba« 844–847).

Kapitel 2: Definition der argumentativen Auseinandersetzung

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Kommunikationsform mit negativer, positiver oder wertneutraler Wertung beschrieben. Dabei kann die Polemik als intellektuelle Auseinandersetzung über wissenschaftliche Fragen argumentativ stattfinden. Strauß u. a. geben an, dass die polemische Argumentation unsachlich, aber eben auch sachlich geführt werden kann.¹¹ Ursula Paintner zeigt am Beispiel von antijesuitischen Texten, dass Polemik, wenn sie rhetorisch inszeniert bzw. komponiert wird, unsachlich ist.¹² Sie betont jedoch treffend, dass es ebenso polemische Texte gibt, die den Opponenten durch sachliche Argumente begegnen.¹³ Als Beispiel für eine Polemik in einer intellektuellen Auseinandersetzung um wissenschaftliche Fragen, die argumentativ stattfindet und oftmals sachlich geführt wird, kann der Radd angegeben werden. Der Radd ist – anders als Ursula Paintner den antijesuitischen Texten bescheinigt – weitgehend sachlich und erkenntnistheoretisch orientiert.¹⁴ Entweder ist nun das Genre des Radds nicht polemisch oder Polemik kann – wie ja auch Strauß u. a. feststellen – nicht nur unsachlich, sondern durchaus auch sachlich geführt werden. Dann wäre der Radd eine primär sachlich geführte Polemik. Will man hingegen die negative Konnotation des Wortes ›Polemik‹ ganz umgehen, muss der Radd mit einem anderen Begriff beschrieben werden. Diesen Weg zu gehen, trägt jedoch m. E. nicht zur Klärung der Sache bei, weshalb die Kategorisierung von Strauß u. a. durchaus auch zur Beschreibung des Radds ausreicht. Eventuell könnte man den Radd auch als eine Art Kritik verstehen. Denn eine Kritik, die objektiv ist, sei im Gegensatz zur Polemik – so Lazarowicz – der Zustimmung fähig.¹⁵ Wenn der Radd in diesem Sinne eine Kritik sein sollte, dann müsste der Argumentierende bereit sein, seine eigene These fallenzulassen, falls der Opponent ihn von der Nichtigkeit dieser These überzeugt. Theoretisch betrachtet, ist diese Annahme im Radd tatsächlich vorhanden; zumindest erwartet der Argumentierende diese Handlung von seinem Opponenten, sobald er ihn überzeugen kann. Ob der Argumentierende selbst ggf. auch seine eigene These fallen lassen würde, hängt von der Ergebnisoffenheit der Argumentationshandlung ab. Es ist davon auszugehen, dass der mittelalterliche Autor – al-Jaʿfarī –, wenn er den mühsamen Weg der argumentativen Begegnung einschlägt, wirklich daran interessiert ist, die Wahrheit aufzudecken. Es ist zwar anhand der Texte nur schwer zu beurteilen, ob die Argumentation im strengen Sinne ergebnisoffen verläuft, jedoch spricht auch nichts dagegen – lässt man die rhetorischen, den Opponenten schmähenden Exkurse al-Jaʿfarīs

¹¹ Strauß u. a., Brisante Wörter 295–300. ¹² Paintner, Antijesuitische Publizistik 42–55. ¹³ Paintner, Antijesuitische Publizistik 41–42. ¹⁴ Als ›erkenntnistheoretisch orientiert‹ bzw. ›ausgerichtet‹ oder ›fundiert‹ werden in dieser Studie Argumentationen bezeichnet, die der Zielsetzung der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie folgen, d. h. auf die Gewinnung von Erkenntnis ausgerichtet sind. Dadurch sollen solche Argumentationen von erkenntnistheoretischen Argumentationen i. e. S. unterschieden werden, die selbst erkenntnistheoretische Fragen zum Gegenstand haben. ¹⁵ Lazarowicz, Verkehrte Welt 184.

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außer Acht, die keine Funktion für die eigentlichen Argumentationen haben.¹⁶ Denn die Ergebnisoffenheit ist eine wichtige Bedingung für die Absicht der Wahrheitsfindung.¹⁷ Matthias Becker, der die Polemik in Anlehnung an Lazarowicz, Pehlke und Belke skizziert, macht den Unterschied zwischen Kritik und Polemik daran fest, dass die Kritik auf eine Korrektur, die Polemik hingegen auf die Widerlegung des Opponenten ausgerichtet sei.¹⁸ Der Radd verfolgt jedoch durchaus die Absicht, den Opponenten zu korrigieren. Vor allem dort, wo der Radd einem christlichen Opponenten alternative Interpretationen biblischer Stellen anbietet und diese mit Argumenten als wahrscheinlicher bzw. als die wahre Lesart klassifiziert, zeigt er deutlich den Willen, den Opponenten zu korrigieren und nicht etwa nur, sich über den Opponenten als Person oder als Gruppe aufgrund seiner falschen Lesart lustig zu machen. Obwohl also einiges dafür spricht, dass der Radd auch als eine Art der Kritik betrachtet werden kann, fehlt der Kritik dennoch die aggressive argumentierende, aber dennoch erkenntnistheoretisch fundierte Form, die eben dem Radd zugeschrieben werden muss. Daher vertrete ich die These, dass der Radd – aufgrund seiner erkenntnistheoretischen Konzeption – ein Beispiel für eine Polemik mit vorwiegend sachlicher Argumentation ist, welche eben auch Funktionen der Kritik – die ebenfalls als Art der sachlich geführten Polemik verstanden werden kann – wie etwa die Fähigkeit zur Zustimmung übernimmt. Das arabische Wort radd hat lexikalisch ein breites Bedeutungsspektrum. Es kann u. a. ›Ablehnung‹, ›Widerlegung‹, ›Widersprechen‹, ›Zurückweisen‹, ›Rückgabe‹ oder ›Antwort‹ heißen.¹⁹ Angesichts dieser Bandbreite von Bedeutungen wäre es verfehlt, die Gattung Radd nur als Polemik oder Apologetik zu definieren. Dadurch läuft man Gefahr, einen Radd zum Christentum nicht als solchen zu erkennen. Wenn der Radd streng als Polemik und Apologetik verstanden wird, dann scheint es nicht verfehlt, anzunehmen, dass etwa das Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl des al-Ṭūfī (gest. 715/1316) – der erste systematische und wohl umfangreichste Bibelkommentar, den je ein muslimischer Gelehrter verfasst hat – nicht zu dieser Definition passt. Das Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl ist aber durchaus als Radd zu verstehen. Denn al-Ṭūfī verfolgt in seinem Kommentar eine systematische Argumentationsstrategie, der ein interpretatives Erkenntnisprinzip zugrunde liegt. Zunächst stellt er dem Opponenten zwei

¹⁶ Dazu gehören beispielsweise die seltenen Momente der Schmähung im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā (vgl. § 204: »Wie sehr diese Worte beschädigt sind und wie nah [sc. ähnlich] sie denen der Irren und Verrückten sind!« oder § 224: »Dieses Kapitel verdient es eigentlich, in den Nachrichten der Irren und der verwitweten alten Menschen erzählt zu werden«). Aber die sachliche Argumentation überwiegt bei Weitem, sodass der Radd keinesfalls als Schmähschrift bezeichnet werden kann. ¹⁷ Dass diese Bedingung tatsächlich umgesetzt wurde, ist besonders gut bei al-Ashʿarī zu beobachten, der nach rationalen und argumentativen Auseinandersetzungen mit den Muʿtazila diese Schule verließ. ¹⁸ Becker, »Polemik« 114. ¹⁹ Lisān al-ʿarab, Art. »Radd«.

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sich widersprechende Interpretationen vor, die christliche versus die islamische Interpretation eines biblischen Konzepts oder einer Textstelle. Er belegt diese islamische Interpretation zudem oft mit dem Koran und/oder dem Hadith und impliziert eine ausschließende Disjunktion zwischen den beiden Interpretationen. Al-Ṭūfī scheint dabei durchaus bewusst zu sein, dass die damit vorgelegten Belege für den Opponenten erkenntnistheoretisch nicht adäquat sind, sprich, ihn nicht überzeugen werden. Daher konstruiert er anschließend für seine alternative islamische Interpretation rationale Argumente. Wenn diese rational begründeten Argumente, deren These der schon mit dem Koran bzw. dem Hadith begründeten entspricht, schlüssig sind, dann ist die ihnen widersprechende christliche Interpretation falsch. Wenn nun der Opponent die Schlüssigkeit des rational begründeten Arguments anerkennen muss, dann müsste er auch die Wahrheit des Korans bzw. des Hadiths bzgl. dieser Interpretation anerkennen und damit die Unwahrheit der christlichen Interpretation akzeptieren. Das ist das argumentationsstrategische Ziel al-Ṭūfīs, weshalb das Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl zwar die Form eines Bibelkommentars hat, jedoch wegen seiner argumentativen Strategie durchaus zur Radd-Literatur zu zählen ist. Schließlich bezeichnet laut der Encyclopaedia of Islam der Ausdruck radd in der klassischen islamischen Literatur eine Antwort an einen Gegner, die darauf abzielt, die These des Opponenten zu widerlegen. Die Titel zahlreicher theologischer Schriften aus der frühen Periode des Islams (8.–10. Jahrhundert) enthalten das Wort radd, wie etwa das Kitāb al-lumaʿ fī al-radd ʿalā ahl al-zaygh wa-l-bidaʿ des al-Ashʿarī, der auch im Rahmen des Radds zum Christentum tätig war. Das Wort radd kennt zudem Synonyme, beispielsweise naqḍ (›Widerlegung‹), wie etwa eine Widerlegungsschrift des ʿAbd al-Jabbār zu der oben erwähnten Schrift des al-Ashʿarī mit dem Titel Naqḍ al-lumaʿ zeigt. Wir haben zwar festgestellt, dass Radd häufig wie in unserem Fall im Rahmen der argumentativen Theologie (Kalām) stattfindet, dennoch wird der Begriff ›Radd‹ auch in anderen Diskursen verwendet, in denen jemand eine Antwort bzw. Widerlegung zu einer Schrift verfasst hat, so etwa in der Sprach- oder in der Rechtswissenschaft. Allerdings war der Radd im Kalām am ausgeprägtesten, wo es darum ging, innerislamische oder interreligiöse Streitfragen argumentativ zu behandeln. Daniel Gimaret gibt in seinem Artikel »Radd« in der Encyclopaedia of Islam an, dass kein einheitliches Modell des Widerspruchs existiere. Es sei jedoch möglich, zwei Haupttypen zu identifizieren: Entweder erfolge die Widerlegung einseitig, d. h. der Autor stelle nacheinander die einzelnen Behauptungen seines Opponenten in der Form ›er sagt‹ vor und schließe dann jeweils seine Antwort in der Form ›er wird beantwortet‹ bzw. ›darauf wird geantwortet‹ an; oder die Widerlegung werde in Form einer imaginären Kontroverse (munāẓara) dargestellt, mit einer ganzen Reihe von Fragen und Antworten wie etwa ›er wird gefragt werden‹, ›und wenn er sagt‹, ›wird er beantwortet‹, ›und wenn er sagt‹ usw., wobei der Autor die Disputation konstruiere und dadurch seinen Gesprächspartner leicht als den Unterlegenen darstellen könne.²⁰ Gimarets

²⁰ Vgl. Gimaret, »Radd« 362–363.

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Unterscheidung von zwei Haupttypen allein ist jedoch nicht sehr zufriedenstellend, weshalb in dieser Studie am Beispiel des al-Jaʿfarī und am Beispiel seines Radds zum Christentum untersucht werden soll, welche Methoden der Radd in der angewandten argumentativen Auseinandersetzung benutzt, um auf diese Frage eine genauere Antwort geben zu können. Um das Phänomen der argumentativen Begegnung zwischen dem Islam und dem Christentum umfassend abbilden zu können, sollte Radd als jegliche argumentative Begegnung mit dem bzw. als Antwort²¹ auf das Christentum verstanden werden, welche das Ziel der Wahrheitsfindung hat.²² Für den wissenschaftlichen Fortschritt und als Voraussetzung für die Wahrheitsfindung sind Auseinandersetzung und Streit wesentliche Bestandteile des Wissenschaftsbetriebes.²³ Die Wahrheitsfindung in der Theologie als Wissenschaft basierte in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart hauptsächlich auf Auseinandersetzungen zwischen Lehrmeinungen, vor allem im Rahmen der Disputation.²⁴ Die Apologetik und Polemik (und damit auch der Radd) setzt auf die argumentative Auseinandersetzung und hat das Ziel, der Wahrheitsfindung durch logische und dialektische Methoden näherzukommen. Auch der Radd, sei er nun polemisch oder apologetisch, zieht die Methode der Disputation heran. Die Disputation (munāẓara) ist ein argumentatives Streitgespräch.²⁵ Zur Beantwortung der Frage, wie das Verhältnis des Radds zur

²¹ Ohnehin bedeutet das arabische Wort radd i. w. S. lediglich ›Antwort‹, ohne dabei eine bestimmte Textgattung zu definieren. Demnach kann jede Art einer argumentativen (!) Antwort als Radd verstanden werden (vgl. Lisān al-ʿarab, Art. »Radd«). ²² Was Salah Salem Abdel Razaq in seinem Beitrag »Islamic Anti-Christian Polemics in the West«, in dem er gegenwartsbezogene Phänomene beschreibt, als Polemik bezeichnet, ist nicht Radd im erkenntnistheoretisch ausgerichteten Sinne, wie er in dieser Studie verstanden wird, sondern eine Schmähschrift, die keine sachlich argumentative Funktion hat. Ohnehin sind Schriften, die in der Gegenwart produziert werden, wie Abdel Razaq exemplarisch zeigt, meist schmähend, rein rhetorisch und nicht erkenntnistheoretisch bzw. argumentativ (vgl. Abdel Razaq, »Polemics«). Diese Schriften ähneln dem Schmähgedicht des byzantinischen Kaisers gegen die Muslime (vgl. dazu hier Abschnitt 3.7, S. 141). Solche ›Schmähkritik‹, wie der deutsche juristische Ausdruck dafür lautet, ist nicht Gegenstand dieser Studie, vielmehr ausschließlich Radd im erkenntnistheoretisch ausgerichteten Sinne. Argumentativität erfordert ohnehin das Heranziehen und Ernstnehmen der zu widerlegenden Thesen des Opponenten. Und das Widerlegen ist eine ernste intellektuelle Tätigkeit, wenn es mit erkenntnistheoretischem Anspruch betrieben wird. ²³ Haßlauer, Polemik 3. ²⁴ Vgl. Vogel, »Religionsgespräch«. ²⁵ Vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 57. Munāẓara, abgeleitet vom Verb naẓara, deutet auf ein dialogisches Streitgespräch hin (vgl. Wagner, »Munāẓara« 565–568). Trotzdem ist dieser Begriff, ähnlich wie jadal, nicht eindeutig zu definieren, weil sich beide Begriffe je nach der Epoche, nach der Wissenschaftsdisziplin und nach dem Kontext, in denen sie verwendet werden, in ihren Bedeutungen unterscheiden können. So betitelte Fakhr al-Dīn al-Rāzī seinen Radd als Munāẓara fī al-radd ʿalā l-Naṣārā (Iskenderoglu, »Munāẓara« 63–65) und weicht so von der Definition der munāẓara als dialogisches Streitgespräch ab. Diesem Beispiel ist exemplarisch zu entnehmen, dass diese Begriffe nur schwer einheitlich zu definieren sind.

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theologischen Erkenntnissuche zu beschreiben ist, ist folglich die Untersuchung der konkreten Methode der (angewandten) Disputation im Radd der geeignete Ansatzpunkt. Dies geschieht idealerweise durch eine argumentationstheoretische Herangehensweise, denn Radd und Disputation haben einen gemeinsamen Fokus: das Argument. Die logisch begründeten Argumente im Radd haben zudem den Anspruch, durch die Logik Glaubensfragen mehr oder weniger zweifelsfrei lösen zu können. Demnach ist die Logik ein wichtiger Bestandteil der apologetischen und polemischen Auseinandersetzung im Islam. Dies gilt umso mehr bei Auseinandersetzungen mit anderen Religionen, wie etwa mit der christlichen Lehre. Doch wie kommt es überhaupt zur spezifischen Kommunikationsform der Apologetik? Was unterscheidet sie aus wissenschaftstheoretischer Sicht von anderen Formen wissenschaftlicher Kommunikation? Die Kommunikation in der Wissenschaft wird, so Kopperschmidt, durch Unstimmigkeit oder durch einen Gegensatz (Dissens) gestört.²⁶ Und zwar, wie Haßlauer anmerkt, »wenn nämlich die Äußerung (Proposition) eines Proponenten in ihrem Geltungsanspruch von einem Opponenten bestritten und damit problematisiert wird; wenn sich also zeigt, dass eine Position nicht allgemein akzeptiert ist […]«.²⁷

Diese Voraussetzung für die Störung der Kommunikation in der Wissenschaft gilt adäquat auch für die Kommunikation der religiösen Wissenschaften. Die Religion gerät bei Nichtakzeptanz ihrer religiösen Position in den Drang zur Verteidigung, also zur Apologetik. Es ist der disputative Koran,²⁸ der in der christlich-islamischen Kommunikation die Geltung der Lehrsätze der christlichen Lehre abstreitet.²⁹ Zieht man die Definition Kopperschmidts heran, dann müsste die apologetische und polemische Auseinandersetzung durch die Kritik an den jeweiligen religiösen Propositionen entstanden sein. Hier verhalten sich das System und die Kommunikation der Religion wie jene der Wissenschaft. Zudem ist eine Diskussion über den Unterschied zwischen den Begriffen ›Apologetik‹ und ›Polemik‹ notwendig. Wie oben dargelegt, ist die Apologie – vereinfacht gesagt – die Verteidigung einer religiösen Lehre. Oft wird ›Polemik‹ synonym zu ›Apologie‹ verwendet, wobei ›Polemik‹ eher den religiösen Streit³⁰ bezeichnet. In der Literatur werden die islamischen Verteidigungsschriften auch oftmals ›Polemik‹ genannt, dagegen die christlichen Verteidigungsschriften

²⁶ Kopperschmidt, Methodik 14, 53. ²⁷ Haßlauer, Polemik 4. ²⁸ Der Koran ist ohnehin eine disputative und argumentative Schrift, die zahlreiche Streitgespräche vorführt, wie etwa die disputative Begegnung des Iblīs (d. h. Satan) mit Gott oder die disputativen Begegnungen von00 Propheten – beispielsweise Abraham oder Mose – mit Menschen und Herrschern (vgl. McAuliffe, »Debate and Disputation«). ²⁹ Vgl. hier nur einige argumentative Aussagen des Korans zur christlichen Lehre: 2:113, 2:116, 2:140, 3:55, 5:14, 5:17, 5:72, 57:27. ³⁰ Was mit religiösem Streit gemeint ist und wie dieser Streit sich gestaltet, scheint die wichtigste Frage zu sein, wenn man die Polemik als religiösen Streit verstehen will. Siehe hierzu die Beschreibung von munāẓara und majlis in Abschnitt 4.2.

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›Apologetik‹, als wäre dieser Begriff für die christliche Seite reserviert. Doch die als ›islamische Polemik‹ bezeichneten Schriften unterscheiden sich, was ihren Inhalt, ihren Anspruch und ihre Methodik angeht, keineswegs grundsätzlich von der christlichen Apologetik. Neutraler und der ursprünglichen Bedeutung der Begriffe näher ist die geläufige Unterscheidung, dass unter ›Apologetik‹ die Verteidigung der eigenen Religion, unter ›Polemik‹ eher ein Angriff auf die andere Religion verstanden wird. Apologetik ist somit die Verteidigung der eigenen These, während Polemik die Konstruierung eines Arguments gegen Opponenten darstellt. Diese Aufteilung hat aber ebenfalls ein Problem: Der Radd als Textgattung stellt keineswegs homogen eine Apologetik oder Polemik im Sinne dieser Definition dar. RaddTexte enthalten vielmehr apologetische und polemische Bestandteile zugleich. Somit sind Apologetik und Polemik in diesem Sinne keine Bezeichnungen getrennter Literaturgattungen, sondern stellen argumentative Handlungsakte dar. Demzufolge kann die Gattung Radd apologetische und polemische Elemente beinhalten, die beide die Komposition des argumentativen Textes ausmachen. An dieser Stelle sei daher, aufbauend auf der Nominaldefinition des Radds,³¹ eine pragmatische Lösung der Begriffsverwirrung vorgeschlagen und Friedrich Schleiermacher herangezogen, der ›Polemik‹ nominal als innerreligiöse Auseinandersetzung³² und ›Apologetik‹ als außerreligiöse Auseinandersetzung definiert.³³ Demnach wäre der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie die islamische Apologetik. An dieser Stelle soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass dies nur eine Nominal- bzw. Arbeitsdefinition darstellt, denn der Radd kann inner- und interreligiös, polemisch und apologetisch sein. Eine scharfe Trennung ist im Radd nicht möglich, weshalb jedoch umso mehr eine Arbeitsdefinition notwendig erscheint. Diese Zuordnung wird auch durch die Tatsache bestärkt, dass die hier analysierten Texte als wissenschaftliche Rechtfertigungen von Glaubenslehrsätzen betrachtet werden können, was ein weiteres Merkmal der Apologetik darstellt. Zudem kann die Polemik auch als eine mehr oder weniger ungeschickte und unmethodische Apologetik verstanden werden, welche durch die Apologetik überwunden werden muss, wie Hugo Hahn im Jüdischen Lexikon formuliert: »Ziel aller fruchtbaren Apologetik muss es sein, das nur Polemische zu überwinden und bei aller objektiven Würdigung des Gegners die eigene Überzeugung in einwandfreier und klarer Weise darzulegen«.³⁴

Islamische Schriften, wie die des al-Jaʿfarī, sind in diesem Sinne nicht etwa nur polemische Schriften, sondern vielmehr apologetische; denn sie gehen methodisch vor und erheben einen Anspruch auf objektive Überprüfbarkeit.

³¹ Siehe dazu hier S. 50. ³² Zur Anwendung der Polemik für interreligiöse Auseinandersetzungen vgl. etwa Knysh, Ibn ʿArabi. ³³ Schleiermacher, Darstellung § 41. ³⁴ Hahn, »Apologie« 397.

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Diese Überprüfbarkeit soll die argumentative und logische Struktur der Texte gewährleisten. Überprüfbarkeit ist zudem eine Bedingung für die Anleitung zur Erkenntnis.³⁵ Des Weiteren zeigt die Auseinandersetzung mit islamischen Radd-Schriften, dass eine Zuordnung dieser Schriften, ob sie nun eine Apologetik, Polemik, Kontroverse, Diskussion oder Disputation darstellen, nicht selbstverständlich ist und eine Diskussion hierzu notwendig ist. Zunächst sei eine einführende Definition der mittelalterlichen Disputation zitiert: »Die D[isputation] ist im Schulverständnis die schlussfolgernde Erörterung einer These in der wiss[enschaftlichen] Auseinandersetzung; sie gliedert sich in These, Einwand (Problemund In-Frage-Stellung) und Antwort (mit Entscheidung, Einrede und Auflösung des Einwandes).«³⁶

Nach Ludwig Hödl hat die Beschäftigung mit und Kommentierung von Aristoteles maßgeblich zur Ausbildung der Disputation beigetragen.³⁷ Die Disputation als Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung besteht darin, eine These schlussfolgernd zu erörtern, indem der Disputand Einwände gegen eine andere These erhebt und durch die Antworten auf diese Einwände die eigene These begründet. Oft folgt dabei auf die Widerlegung oder Kritik konkurrierender Thesen die Begründung der eigenen These. Dass die Disputation somit mindestens zwischen zwei Parteien stattfinden muss,³⁸ bezeugt schon die islamische Disputationslehre, wie Miller ausdrücklich feststellt: »Die D[isputation] ist stets ein Gespräch zw[ischen] zwei Diskussionsgegnern, einem Fragenden und einem Antwortenden, die beide die Wahrheit suchen.«³⁹

Ein gutes Beispiel für einen Radd, der in das Disputationskonzept von Miller passt, ist etwa das Al-ajwiba al-fākhira ʿan al-asʾila al-fājira fī al-radd ʿalā l-milla al-kāfira (»Vorzügliche Antworten auf beschämende Fragen in der Widerlegung der Religion der Ungläubigen«) des al-Qarāfī, der selbst von al-Jaʿfarīs Schriften beeinflusst wurde.⁴⁰ Al-Qarāfī stellt seinem Opponenten zahlreiche Fragen, wobei er sich selbst als den Fragenden und seinen Opponenten als den Antwortenden bestimmt und seinen argumentativen Text dementsprechend konstruiert, wobei seine Argumente argumentativ und erkenntnistheoretisch orientiert sind, also auf die Gewinnung von Erkenntnis ausgerichtet.⁴¹

³⁵ Lumer, »Logik« 56. ³⁶ Hödl, »Disputatio(n)« 1116. ³⁷ Hödl, »Disputatio(n)« 1116. ³⁸ Wogegen munāẓara im Sinne eines Versuches der selbstgeführten argumentativen Wahrheitsfindung nur durch eine Person stattfinden kann, die sog. Selbstrede (kalām al-nafs; vgl. al-Naqārī, Manṭiq al-kalām 88). Generell sind an einer Disputation mehrere Personen beteiligt, an einer Argumentation nicht. ³⁹ Miller, »Disputatio(n)« 1119. ⁴⁰ Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 74. ⁴¹ Vgl. hierzu al-Qarāfī, Al-ajwiba al-fākhira Kapitel 3 und Steinschneider, Literatur 17–19.

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Die Natur der Disputation, dass sie (a) zwischen zwei Parteien besteht, die beide jeweils (b) eine These (argumentativ) ablehnen und (c) die eigene These (argumentativ) begründen, war wahrscheinlich einer der Hauptgründe dafür, dass die Disputation im islamischen Denken wohl zunächst in der Kontroverse zwischen Muslimen und anderen Buchreligionen (den sog. ahl al-kitāb) entstand und sich entwickelte. Die islamische Disputation war bis zum 9. Jahrhundert eng mit der Theologie verbunden⁴² und hatte ebenfalls die Wahrheitsfindung in theologischen Fragen zum Ziel.⁴³ Auch der Radd hat durch die apologetische argumentative Methode des Kalāms die Wahrheitsfindung zum Ziel,⁴⁴ wie es etwa al-Jaʿfarī in seinem Radd formuliert: »Aber deren [sc. der Christen] Herzen sind (weit) von der Besinnung der Wahrheiten entfernt, als ob sie in geschlossenen Hüllen wären.«⁴⁵

⁴² Auch im europäischen Kontext und Mittelalter war die Dialektik als eine Methode der Disputation fester Bestandteil der Wissenschaft (vgl. Lorenz, »Ars« 239–240). ⁴³ Miller, »Disputatio(n)« 1119. Siehe hierzu Hettema (Hg.), Religious Polemics sowie Schwartz, »Sprache«. Der Ansatz der vorliegenden Studie ist einfach: Apologetische Sprache und Methode sind (aus argumentationstheoretischer Sicht) die Sprache und Methode des Kalāms. Auch wenn sehr früh vereinzelt die Annahme herrschte, dass man in theologischen Fragen, z. B. über Gott, nicht streiten dürfe, wie etwa der Sunnit al-Ṭaḥāwī (gest. 321/933) in seiner ʿaqīda lehrt, so enthält doch selbst diese Schrift Antworten auf die Opponenten des sunnitischen Islams, sodass der Text, obwohl keine persönliche, doch letztlich eine textuelle Disputation innerhalb des Streitdiskurses darstellt (vgl. al-Ṭaḥāwī, Matn al-ʿaqīda 20). Diese Ablehnung des Streits konnte sich zudem, wie die Entwicklung des Kalāms zeigt, nicht durchsetzen. ⁴⁴ Die Wahrheitssuche im Kalām wurde allerdings vor allem von der Philosophie teilweise abgestritten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kritik des Philosophen al-Fārābī. Wie Brague gut zusammenfasst, warf al-Fārābī dem Kalām vor, sich nicht ausreichend um die Aufdeckung der Wahrheit zu kümmern; die Argumente im Kalām seien so konstruiert, dass sie vorgefasste Meinungen glaubhaft machen sollen, und sie beruhten nur auf Gewohnheiten. Doch wie Brague auch deutlich macht, war al-Fārābī v. a. daran interessiert, einen philosophischen Kalām zu etablieren (Brague, »Verhältnis« 77–78). Die Kritik des al-Fārābī ist daher als Polemik einzuordnen, vor allem wenn man sich die Konkurrenzsituation zwischen der Philosophie (falsafa) und dem Kalām vor Augen hält. – Aber der Kalām wurde nicht nur von Philosophen kritisiert, sondern auch von den Traditionalisten (salafiyyūn). Al-Māturīdī (gest. 333/944) weist darauf hin, dass der Kalām den mutakallim aus der Falle der Nachahmung (taqlīd) befreit und ihn zum analysierenden und begründeten Glauben (taḥqīq) führt (vgl. al-Māturīdī, Kitab al-tawḥīd 3–4). Dieser Gedankengang war ein Hauptargument der Befürworter des Kalāms gegenüber seinen traditionalistischen Kritikern, die im Kalām eine Tätigkeit sahen, die den Menschen zum Zweifel und zum Unglauben führe. Ṭaşköprüzâde (gest. 1561) überliefert in seinem Mawḍūʿāt al-ʿulūm die Aussage eines Anonymus, der sich bei allen Gelehrten bedankt, die mit ihren Büchern die Menschen zu Zweifel und Verwunderung führen, denn die Diskussion und Untersuchung in den Wissenschaften führe den menschlichen Verstand dazu, die Wahrheit zu suchen (vgl. Ṭaşköprüzâde, Mawḍūʿāt al-ʿulūm, zitiert nach Uludağ, İslam 63). Einen guten Überblick über die Kalām-Kritik der salafiyyun, die in der spekulativen Theologie keinen Nutzen sahen, und über die Antworten auf diese Kritik von Seiten der Mutakallimūn bietet Uludağ (Uludağ, İslam 49–70). ⁴⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 232.

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Diese Wahrheit argumentativ zu beweisen, ist die Aufgabe des al-Jaʿfarī als argumentierender Akteur des Diskurses. Führt seine argumentierende Handlung nicht zum Ziel, also zur Überzeugung des Opponenten, kann dies gemäß al-Jaʿfarī zwei Gründe haben: Entweder ist der Opponent von der Besinnung und dem Verständnis der Wahrheit (methodisch) entfernt, denn al-Jaʿfarī bezeichnet die fehlende methodische Schulung als den wichtigsten Grund für das Scheitern des Überzeugens des Opponenten, oder der Opponent lehnt – trotz Kenntnis der logischen und argumentativen Methode – das Argument ab, weil er das Göttliche als nicht durch diese (weltliche) Methode der Rationalität verstehbar betrachtet.⁴⁶ Eine dritte Möglichkeit, die al-Jaʿfarī nicht erwähnt, ist die unzureichende erkenntnistheoretische Begründungsstärke seiner Argumente.⁴⁷ Schon an diese Stelle sollte jedoch gefragt werden, welche Art von Rationalität hier argumentationstheoretisch betrachtet eigentlich vorliegt. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick auf die Klassifikationen von Marcelo Dascal nützlich. Dascal untersucht argumentationstheoretisch systematisierend, welche Typen der Polemik welchen Rationalitätstypen zugeordnet werden können und wie das Verhältnis dieser Typen zur Rationalität beschaffen ist. Dabei klassifiziert Dascal wissenschaftliche Auseinandersetzungen und unterscheidet drei ideale Typen.⁴⁸ Dascal beginnt seine Untersuchung mit der Frage, welche Erkenntnisquellen (›sources of knowledge‹) der religiöse Glaube außer der Offenbarung und den Prophetenerzählungen hat, und fragt weiter nach der Rolle der rationalen Argumentation im religiösen Kontext. Dascals Typologie des polemischen Austauschs unterscheidet zwischen drei Typen, die von Dascal nominal definiert werden: die Diskussion, der Disput und die Kontroverse.⁴⁹ In allen diesen Typen spielt die rationale Argumentation eine zentrale Rolle. Dascal gibt zudem an, dass die Analyse dieser Polemik-Typen wichtige Hinweise auf das rationale Argumentieren in der Theologie geben kann.⁵⁰ Dascal, der die religiöse Polemik (›religious polemics‹) als einen Teil der polemischen Auseinandersetzung (›polemical exchanges‹) betrachtet, legt folgende Rahmenbedingungen für polemische Auseinandersetzungen fest: Solche Auseinandersetzungen sind entweder privat oder öffentlich, entweder mündlich oder schriftlich, entweder direkt vermittelt oder durch einen Mittelsmann.⁵¹ Zudem subsumiert Dascal alle konfrontativen Interaktionen unter polemischen Auseinandersetzungen.⁵²

⁴⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 5, § 10, § 184, § 200 und § 232. ⁴⁷ Vgl. zur Begründungsstärke die Schemata am Ende der Argumentationsanalysen in Kapitel 9. ⁴⁸ Haßlauer, Polemik 11. Siehe hierzu auch Dascal, »Types« 15–33. ⁴⁹ Dascal, »Uses« 5. Zudem unterscheidet Dascal folgende drei Arten religiöser Polemiken: ›intra-faith‹, ›inter-faith‹ und ›extra-faith‹ (vgl. Dascal, »Uses« 9–17). Der Radd zum Christentum ist dabei dem Konzept des ›inter-faith‹ zuzuordnen. ⁵⁰ Dascal, »Uses« 3. ⁵¹ Dascal, »Uses« 4. ⁵² Dascal, »Uses« 4.

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Polemik ist zudem eine Form des Dialogs und teilt mit ihm viele Gemeinsamkeiten; doch Dascals Untersuchung fragt vielmehr nach den typischen Merkmalen der Polemik. Er zieht für seine Typologie der Polemik daher einige Kriterien heran, die er selbst wie folgt beschreibt: »The main criteria for the typology here proposed are: the scope of the disagreement, the kind of content involved in it, the presumed means for solving the disagreement, and the ends pursued by the contenders.«⁵³

Demnach richten sich diese Kriterien auf den Umfang der Meinungsverschiedenheit, also ob das Streitobjekt definiert werden kann, auf den Inhalt des Streites sowie auf die Mittel zur Lösung der Meinungsverschiedenheiten. Diese Kriterien bilden den Rahmen für Dascals Definitionen der Begriffe ›Diskussion‹, ›Disputation‹ und ›Kontroverse‹. Die Diskussion ist laut Dascal von der Unstimmigkeit geprägt, die auf einem Fehler in Konzepten und Definitionen beruht, welcher durch Verfahren, die von den Beteiligten akzeptiert werden, behoben werden kann (Beweis, Berechnung, Wiederholung von Experimenten usw.).⁵⁴ Ziel der Diskussion ist es, die objektive Wahrheit herauszustellen, was hauptsächlich durch den Beweis (›proof‹) geschieht.⁵⁵ Dascals Beschreibung gibt einen Rahmen dafür vor, was unter Diskussion zu verstehen ist: Am Anfang steht die Kritik eines Beteiligten an der Wahrheit einer These, während ein anderer Beteiligter die Wahrheit dieser These verteidigt. Die Verteidigung der eigenen These(n) der Beteiligten geschieht jeweils durch von beiden Seiten akzeptierte methodische Verfahren. Ziel ist es, die objektive Wahrheit herauszustellen.⁵⁶ Dascal formuliert jedoch keine Kriterien und Bedingungen, die für die Herausarbeitung der objektiven Wahrheit benötigt werden; deshalb bildet Dascals Ansatz keine systematische Argumentationstheorie. Die Lumersche Argumentationstheorie hingegen stellt diese Kriterien systematisch auf, weshalb diese Theorie einen Mehrwert für die Beantwortung der Frage bietet, wann und wie Argumentationen erkenntnistheoretisch valide sind.⁵⁷ Dieser Definition Dascals würde in der islamischen Argumentationstheorie recht genau das Konzept der munāẓara entsprechen, während die übliche alltagssprachliche Verwendung von ›Diskussion‹ im Deutschen eher dem Begriff

⁵³ Dascal, »Uses« 4. ⁵⁴ Dascal, »Uses« 5. ⁵⁵ Dascal, »Uses« 5. Siehe hierzu auch Haßlauer, Polemik 12. ⁵⁶ Auch in der deutschsprachigen Wahrnehmung der Diskussion geht es um ein Gespräch von mindestens zwei Parteien über eine These bzw. ein Thema, wie beispielsweise der typischen Definition im Duden zu entnehmen ist, wobei diese alltagssprachliche Wahrnehmung zu allgemein bleibt: »1. [lebhaftes, wissenschaftliches] Gespräch über ein bestimmtes Thema, Problem« (vgl. Duden: http://www.duden.de/rechtschreibung/Diskussion#Bedeutung1, letzte Abfrage: 13. November 2020). Auch zu erwähnen ist, dass eine Vielzahl von Definitionen der Diskussion vorhanden ist. An dieser Stelle reicht es, eine grobe Skizze wiederzugeben. ⁵⁷ Vgl. hierzu allgemein Lumer, Praktische Argumentationstheorie.

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jadal entspricht.⁵⁸ Dabei ist vor allem die Prämisse ausschlaggebend, dass in der Definition Dascals die Diskussion das Ziel hat, objektive Wahrheit herauszustellen, während die alltagssprachliche Verwendung dieses Ziel nicht unbedingt voraussetzt. Auch die munāẓara setzt die objektive Wahrheit voraus, während jadal, ähnlich wie in der Rhetorik, vor allem die Überredung des Opponenten zum Ziel haben kann.⁵⁹ Diese Klassifizierung und die Abgrenzung zwischen jadal und munāẓara sind allerdings wissenschaftshistorisch nicht eindeutig.⁶⁰ So schreibt etwa alMuṭahhar ibn Ṭāhir al-Maqdisī (gest. im späten 3./9. Jahrhundert) in seinem Kitāb al-badʾ wa-l-taʾrīkh im Kapitel zum jadal, dass dies eine Methode sei, die idealerweise zur Wahrheit führe. Weil sie den Anspruch auf Wahrheit habe, müsse sie eine epistemologische Grundlage haben. Diese Grundlage konstruiert er, indem er einen hypothetischen Streit mit den sog. Sophisten darlegt und angibt, dass es eine Wahrheit gibt, die im Rahmen des jadal mit istiḍlāl (schlussfolgernde Beweisführung) und Axiomen erfasst werden kann.⁶¹ Bei al-Ashʿarī ist das Ziel der spekulativen Beweisführung (naẓar⁶² i. S. v. ›inferential‹) sogar, Axiome (ḍarūriyyāt) zu erzeugen.⁶³ Durch die Möglichkeit der Generierung von Axiomen zeigt al-Ashʿarī die Möglichkeit der Generierung von objektiven Wahrheiten auf.⁶⁴ Beispiele für Axiome sind ausschließende Disjunktionen wie »Das Existierende ist entweder ewig oder nicht ewig«; eine dritte Möglichkeit gebe es nicht.⁶⁵ Diese Beispiele belegen bereits exemplarisch, dass die fraglichen Begriffe historisch betrachtet unterschiedlich verstanden wurden. Der Argumentationstheoretiker al-Ījī gibt ebenfalls an, dass mit naẓar die Vernunft

⁵⁸ Das Wort jadal wird abgeleitet vom arabischen Verb j–d–l, was ›festziehen‹, ›festdrehen‹, ›flechten‹ oder eben auch ›streiten‹, ›debattieren‹ und ›disputieren‹ heißen kann (vgl. Wehr, Arabisches Wörterbuch 102). Rescher versteht unter jadal die Dialektik, weil unter diesem Begriff u. a. die Topik des Aristoteles behandelt wird (vgl. Rescher, Development 209). Auch wenn beispielsweise Sayyid Sharīf al-Jurjānī (gest. 816/1413) in seinem Al-taʿrīfāt den jadal als einen Syllogismus definiert, bei dem die Prämissen aus mashhūrāt (d. h. allgemein bekannten Prämissen) und musallamāt bestehen und der die Überzeugung des Opponenten von der These zum Ziel hat (Al-taʿrīfāt 81), so unterscheidet die herrschende Meinung doch jadal von munāẓara. Dabei hat jadal das rhetorische Überreden zum Ziel, dagegen munāẓara das epistemische Überzeugen (vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 101 und Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 54). ⁵⁹ Vgl. Emiroğlu, »Cedel« 19; Aḥmed Cevdet Paşa, Âdâb-ı sedâd 3; Lumer, »Überreden«. ⁶⁰ Für die These, dass die munāẓara zunächst keine einheitliche Definition hatte, vgl. Belhaj, Argumentation et dialectique 19–20. ⁶¹ Vgl. Miller, Study 11–12 für einen Vergleich zwischen al-Muṭahhar ibn Ṭāhir al-Maqdisī und Aristoteles. Für al-Fārābī, der sich an Aristoteles anlehnt, ist jadal dagegen ein Syllogismus mit Prämissen der Kategorie mashhūrāt, also allgemein bekannten Prämissen, die keine Axiome (badīhiyyāt) bilden. Mashhūrāt wird von al-Fārābī im Sinne des éndoxon im Rahmen der aristotelischen Erkenntnislehre benutzt (vgl. Schupp, »Einleitung« 137). ⁶² Dt. etwa ›Ergebnis von Nachdenken‹ oder ›theoretisch‹. ⁶³ Ibn Fūrak, Mujarrad 13. ⁶⁴ Ibn Fūrak, Mujarrad 16–17. ⁶⁵ Ibn Fūrak, Mujarrad 15.

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zur Erkenntnis gelangen kann.⁶⁶ Dabei hat naẓar eine syllogistische Form: Wenn die Prämissen (al-muqaddimāt) wahr sind, dann liefern sie eine wahre Konklusion (natīja).⁶⁷ Al-Jurjānī zitiert einen weiteren Radd-Autor, den schon erwähnten alBāqillānī, der naẓar als eine Tätigkeit der Vernunft betrachtet, die neben wahrer Erkenntnis (ʿilm) auch starke Vermutungen (ghalabat ẓann) hervorbringt.⁶⁸ Demzufolge werden ẓanniyyāt-Prämissen durch die Tätigkeit der Vernunft aufgestellt. Al-Jurjānī merkt zudem an, dass der naẓar nicht auf Vermutung ausgerichtet sei, sondern auf wahre Erkenntnis (ʿilm), denn wenn es anders wäre, würde die Vernunft theoretisch gesehen auch nach Unwissen streben, da es ja möglich wäre, dass die Vermutung falsch ist.⁶⁹ Diese Anmerkung ist jedoch für die praktische Argumentation und im jadal wenig relevant, denn letztlich sind für die Konstruktion einer Argumentation deren argumentative Bedeutung (ihre rationale Überzeugungskraft) und das erkenntnistheoretische Prinzip (der Vernunftschluss, naẓar) ausschlaggebender. Schließlich soll aus praktisch-argumentativer Perspektive durch Heranziehung von naẓar ein Argument begründet werden, das objektive Anerkennung anstrebt. Für den Theologen al-Juwāynī hat jadal allgemein die Funktion, Fehlschlüsse zu korrigieren, und ist eine Methode (waṣīla), um wahre Schlüsse zu erkennen.⁷⁰ Al-Ṭūfī betrachtet jadal als eine Teilanwendung der Methodik der Rechtswissenschaften (uṣūl al-fiqh) und seine Funktion ist u. a., die Thesen des Opponenten offenzulegen und die Widerlegung der Thesen des Opponenten herbeizuführen.⁷¹ Wie ersichtlich, ist die Abgrenzung zwischen jadal und munāẓara nicht endgültig und kann je nach Disziplin unterschiedlich ausfallen. Ein wichtiger Unterschied, der zur Abgrenzung der Rhetorik von der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie herangezogen werden soll, ist jedoch, dass jadal vielmehr rhetorisch ist und die Überredung zum Ziel hat, wogegen munāẓara erkenntnistheoretisch ist und die Überzeugung zum Ziel hat. In der vorliegenden Untersuchung soll der Unterschied zwischen jadal und munāẓara in diesem Sinne verstanden werden, ähnlich wie Lumer zwischen erkenntnistheoretischer und rhetorischer Argumentationstheorie unterscheidet.⁷² Die Disputation versteht Dascal als eine polemische Auseinandersetzung, bei der die Divergenz der Thesen wohldefiniert ist. Allerdings hat die Disputation im Sinne Dascals kein anerkanntes Verfahren, womit der Streit gelöst

⁶⁶ Vgl. al-Ījī, Al-Mawāqif (Beiruter Ed.) 28–32. ⁶⁷ Vgl. al-Ījī, Al-Mawāqif (Beiruter Ed.) 24. ⁶⁸ Al-Bāqillānī, zitiert nach al-Jurjānī, Sharḥ al-Mawāqif Bd. 1, 196. ⁶⁹ Al-Jurjānī, Sharḥ al-Mawāqif Bd. 1, 196–248. ⁷⁰ Vgl. Muḥammad Murād, Manhaj al-jadal 4. Al-Juwāynī betrachtet munāẓara noch lediglich als eine verbale Konfrontation zwischen zwei Antagonisten mit verschiedenen Thesen, weil zu seiner Zeit munāẓara (ebenso wie andere argumentationstheoretische Termini) nicht einheitlich definiert war und das Verständnis dieser Begriffe noch stark von der juristischen Terminologie geprägt wurde (vgl. Belhaj, Argumentation et dialectique 19). ⁷¹ Al-Ṭūfī, ʿAlam al-jadal 4. ⁷² Vgl. hierzu allgemein Lumer, »Überreden«.

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(engl. ›solution‹) werden kann, im besten Fall kann er aufgelöst werden (›be dissolved‹).⁷³ Diese Art der Disputation passt weniger zum Selbstverständnis des Radds. Der Radd hat den Anspruch, durch Argumentation und Logik ein anerkanntes Verfahren bereitgestellt zu haben, mit dem theologische Fragen gelöst, aber nicht aufgelöst werden können.⁷⁴ Während bei der Diskussion von der Unstimmigkeit die Rede war, die auf einem Fehler der Konzepte und Definitionen beruht, und bei der Disputation von der Auflösung des Streites, geht es in der Kontroverse laut Dascal um eine Unstimmigkeit zwischen den Einstellungen zu einer Angelegenheit,⁷⁵ was Haßlauer treffend mit »Meinungswissen« wiedergibt und ergänzt, dass »die Beteiligten versuchen, ihrem Standpunkt durch das Mittel des vernünftigen Arguments (argument, reason) das Übergewicht über den des Gegners zu geben, also rational zu überzeugen.«⁷⁶ Der Radd kann nicht eindeutig einer dieser Kategorien zugeordnet werden. Er teilt jedoch einige Merkmale aller dieser Definitionen: So ist er von Unstimmigkeit geprägt wie die Diskussion, verfügt aber über wohldefinierte Streitkonzepte. Da der Radd allerdings den Anspruch erhebt, eine gemeinsame Methode für die Lösung argumentativer Streitthemen gefunden zu haben, steht er der Kontroverse nahe, wie Dascal sie definiert. Doch was den Radd spezifisch ausmacht, ist seine erkenntnistheoretisch begründete Art des Argumentierens, für die Dascal keine Kriterien und Bedingungen aufstellt. Deshalb schlage ich vor, den Radd entsprechend unserer Nominaldefinition⁷⁷ als eine eigene Kategorie aufzufassen, die eine theologischargumentative Begegnung ist und die Funktion hat, in theologischen Fragen argumentativ und erkenntnistheoretisch fundiert die logisch-objektive Wahrheit in strittigen Thesen herauszustellen. Eine andere wichtige Unterscheidung liefern Walton, Reed und Macagno in ihrem Werk Argumentation Schemes. Darin unterscheiden sie zunächst zwischen ›refutation‹ und ›rebuttal‹. ›Refutation‹ ist eine starke Form des Argumentierens gegen eine These, ›rebuttal‹ ist schwächer als ›refutation‹. Die Stärke wird damit begründet, ob das Argument die These tatsächlich widerlegen kann (›refutation‹) oder ob es nur ungenügend dagegen opponiert (›rebuttal‹). Bei Walton u. a. entsteht eine kritische Diskussion durch zwei im Konflikt zueinander stehende Meinungen. Sie unterscheiden zwischen starkem und schwachem Konflikt. Ein starker Konflikt ist gegeben, wenn beide Seiten je eine These vertreten, sodass diese Thesen einander entgegenstehen. Ein schwacher

⁷³ Dascal, »Uses« 5. ⁷⁴ Diesen Anspruch hat die islamische theologische Dialektik, der Kalām, generell. Ibn Ḥadjar al-Haytamī (gest. 974/1567) schlägt vor, die Logik als Teil der islamisch-theologischen Wissenschaften zu betrachten, weil sogar der Gesetzgebung des ›Gesetzgebers‹ (d. h. Gottes) die Logik zugrunde liege (zitiert nach Saçaklızâde, Tartīb al-ʿulūm 87–88). ⁷⁵ Dascal, »Uses« 3–20. ⁷⁶ Haßlauer, Polemik 12. ⁷⁷ Siehe hier S. 50.

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Konflikt ist gegeben, wenn eine Seite eine These angibt und die andere Seite diese anzweifelt, ohne selbst eine Gegenthese zu bilden. Im starken Konflikt versucht jede Seite die These des Opponenten zu widerlegen (›refute‹), um den Konflikt für sich zu entscheiden; diese Auffassung lehnt sich u. a. an die deduktive Logik an. Bei einem schwachen Konflikt genügt es, wenn eine Seite die These des Opponenten als zweifelhaft zu erweisen vermag; vor allem in den Rechtswissenschaften ist diese Herangehensweise verbreitet, um die Anklage als zweifelhaft zu erweisen und so einen Schuldspruch abzuwenden.⁷⁸ Dieser Unterschied ist im Radd besonders gut zu beobachten, etwa bei ʿAbd al-Jabbār.⁷⁹ Auch al-Jaʿfarī will oft keine strenge Widerlegung einer These hervorbringen, entweder weil er es gar nicht schafft oder weil er sich damit begnügt, die christliche These als zweifelhaft zu erweisen.⁸⁰ Wenn man die Voraussetzung beachtet, dass Theologie auf Wahrheiten angewiesen ist, ist auch das ›schwache‹ Argument, das die These des Gegners lediglich in Zweifel zieht, ein wichtiges Werkzeug in der theologischen Argumentation. Ein ›attacking‹ oder ›refuting‹ (eines Arguments) ist laut Walton u. a. gegeben, wenn (i.) gezeigt wird, dass die Prämissen in einem Argument nicht alle wahr sind, oder (ii.) gezeigt wird, dass die Konklusion nicht aus den Prämissen folgt, oder (iii.) ein Gegenargument aufgestellt wird, das stärker als das abgelehnte Argument ist. Walton u. a. unterstreichen zudem die Rolle des ›questioning‹ in der Argumentation. Dieses Hinterfragen stellt keine Widerlegung dar, hat jedoch die Funktion, ein Argument oder eine These als zweifelhaft zu erweisen.⁸¹ Das Hinterfragen gegnerischer Thesen oder Argumentationen ist allgemein im Radd und speziell im Radd des al-Jaʿfarī ein wichtiges Kompositionsprinzip.⁸² Al-Jaʿfarī verwendet Fragen, um (i.) eine Disjunktion von Deutungsmöglichkeiten einer These herzustellen, um danach alle diese Möglichkeiten einzeln zu widerlegen und so die gesamte These als fragwürdig zu erweisen,⁸³ oder (ii.) um die These des Opponenten direkt als zweifelhaft darzustellen.

⁷⁸ Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 221–230. ⁷⁹ Vgl. Thomas, Christian Doctrines 297–299. Siehe die ausführliche Analyse zu ʿAbd al-Jabbār hier in Abschnitt 3.4, S. 97–111. ⁸⁰ Ein Beispiel bei al-Jaʿfarī wird in Abschnitt 9.12 behandelt. ⁸¹ Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 222–226. ⁸² Zu diesem Kompositionsprinzip vgl. hier Kapitel 11, S. 437–442. ⁸³ Vgl. dazu hier etwa Abschnitt 9.4, S. 341.

Kapitel 3

Apologetische und polemische Argumentationen und Literaturgattungen vom Koran bis zum Radd des al-Jaʿfarī Die folgende kurze Geschichte der argumentativen islamischen Apologetik beschränkt sich auf eine einführende Darstellung von Autoren und Radd-Texten, die dem Christentum argumentativ begegneten.¹ Die Darstellung soll einen Überblick über die Entwicklung des Radds bis in die Zeit al-Jaʿfarīs geben. Sie belegt, dass islamische apologetische Texte stark argumentativ sind, und führt an einigen Beispielen die Erkenntnisprinzipien vor, die in den Argumentationen zur Anwendung kommen. Dabei werden absichtlich muslimische Autoren unterschiedlichster Strömungen einbezogen, um zu verdeutlichen, dass nicht nur eine bestimmte Strömung – etwa der sunnitische Islam als Mainstream – die argumentative Begegnung mit dem Christentum pflegte. Unter den Autoren sind die Theologen (mutakallimūn), die Sufis (mutaṣawwifa), die Juristen (fuqahāʾ), die Sunniten, die Schiiten oder etwa die Muʿtaziliten vertreten, die alle gemeinsam zur intellektuellen Geschichte des islamischen Radds zum Christentum beigetragen haben. Die folgende Darstellung behandelt vor allem die intellektuelle und ideengeschichtliche Seite der islamischen Diskussion mit dem Christentum (und weniger ihre politische² oder historische Seite, wie sie beispielsweise Hugh Goddard³ beschreibt), denn die argumentative Auseinandersetzung mit dem Christentum geschah auf einem hohen geistigen und epistemologischen Niveau. Diese intellektuelle und argumentative Ebene der Literaturgattung Radd soll hier im Mittelpunkt stehen. Nicht herangezogen werden daher Schriften, die z. B. die rechtliche Stellung der Christen in der islamischen Mehrheitsbevölkerung thematisieren und deshalb nicht streng theologisch-argumentativ

¹ Anzumerken ist, dass wir hier das Genre des Radds als Widerlegungsschrift, das sich durch die gesamte islamische Theologie zieht, auf die Schriften zum Christentum beschränken. Ansonsten sind Radd-Werke etwa auch zum Judentum verfasst worden (al-radd ʿalā l-Yahūd) oder für innerislamische Diskurse, wie beispielsweise als al-radd ʿalā l-ḥanābila, al-radd ʿalā l-manṭiqiyyīn, al-radd ʿalā l-dahriyya, al-radd ʿalā l-muʿtazila usw. ² Auch wenn der Diskurs natürlich politisch beeinflusst wurde, weil etwa der Sultan alJaʿfarī aufforderte, auf die Fragen zu antworten, die Kaiser Theodor I. Laskaris (gest. 1222) an den Sultan gestellt hatte. ³ Vgl. Goddard, History.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

(und somit kein Radd) sind.⁴ Aus demselben Grund werden auch islamischchristliche politische Kontakte und Ähnliches nicht berücksichtigt.⁵ Durch die Konzentration auf den Radd soll sich unsere Untersuchung auf Texte fokussieren, die argumentativ und, wie sich herausstellte, weitgehend erkenntnistheoretisch ausgerichtet⁶ sind. Um solche Werke zu identifizieren, genügt es nicht, nur auf das Wort radd im Titel der Schriften zu achten. Schon Steinschneider, der seine Literatur (1877) weitgehend aus Katalogrecherchen zusammenstellte, macht auf die Schwierigkeit aufmerksam, bei polemischen Texten klar zwischen (i.) objektiver Behandlung, (ii.) wissenschaftlicher Kritik und (iii.) religiöser Polemik zu unterscheiden.⁷ In der Tat ist diese Frage schwierig und verdient besondere Aufmerksamkeit. Das in dieser Studie befolgte Verfahren kann zumindest an ausgewählten Texten analytisch zeigen, dass sie erkenntnistheoretisch ausgerichtet sind und nicht rein rhetorisch oder bloß auf die Schmähung des Opponenten ausgerichtet. Dadurch schlägt diese Studie einen Weg ein und vor, wie solche Schriften kategorisiert werden können. Die Frage nach den Gattungen der Radd-Literatur wurde schon gestreift, jedoch soll an dieser Stelle systematisch beschrieben werden, in welchen Formen und Literaturgattungen der islamische Radd zu finden ist. Drei Autoren haben bereits versucht, die Radd-Literatur in Kategorien einzuteilen. Steinschneider unterscheidet drei Gattungen der polemischen und apologetischen Literatur: (a) eigentliche polemische Monographien und dogmatische Schriften, (b) juridische Schriften und (c) Verschiedenes.⁸ Die vorliegende Studie versucht vor allem das, was Steinschneider unter ›Verschiedenes‹ subsumierte, differenziert darzustellen. Griffith teilt die apologetische Radd-Literatur in folgende vier Kategorien ein: (i.) ›The Monk in the Emir’s Majlis‹, (ii.) ›Questions and Answers‹, (iii.) ›The Epistolary Exchange‹ und (iv.) ›The Systematic Treatise‹;⁹ er geht weniger auf die Literaturgattungen ein, in denen das Phänomen des Radds zum Christentum vorkommt. Douglas Pratt präsentiert die Komplexität der

⁴ Christen werden zwar hauptsächlich in polemischen Texten behandelt, sind aber auch in Rechtswerken Thema. In diesen Schriften geht es zwar eigentlich um die Rechte und Pflichten der Christen, dennoch kommen auch dort gelegentlich polemische Bemerkungen und Argumente vor. In den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts schrieb beispielsweise Abū Jaʿfar Aḥmad ibn Naṣr al-Dāwūdī al-Asadī, der 401–402/1011–1012 in Tilimsān starb, sein Kitāb al-amwāl, in dem er die rechtliche Stellung der Christen darstellt und auch polemische Bemerkungen zur christlichen Lehre macht (Monferrer Sala, »Kitāb al-amwāl« 638); etwas später thematisiert Abū al-Aṣbagh ʿIsā ibn Sahl ibn ʿAbdallāh al-Asadī al-Jayyānī (gest. 485/ 1093) in seinem Al-aḥkām al-kubrā die Rechte der Christen in der muslimisch geprägten Gesellschaft und u. a. der christlichen Sklaven im Reich des Islams (vgl. Serrano Ruano, »Al-aḥkām al-kubrā« 211–212 und dies., »Ibn Sahl« 210–213). ⁵ Vgl. zu politischen Kontakten: Tolan, Saracens 21–39; Goetz, »Sarazenen« 54–58; Blanks, »Western Views« 11–53; Rotter, Sarazenen. ⁶ Zum Begriff ›erkenntnistheoretisch ausgerichtet‹ vgl. oben S. 47 Anmerkung 14. ⁷ Vgl. Steinschneider, Literatur 9. ⁸ Steinschneider, Literatur 4–7. ⁹ Griffith, Church in the Shadow 75–92.

3.1. Vorislamische Auseinandersetzungen mit der christlichen Lehre

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christlich-muslimischen Beziehungen in vier Kategorien: ›antipathy‹, ›affinity‹, ›appeal‹ und ›accommodation‹. Diese Einteilung erfasst zwar möglicherweise nicht die ganze Dynamik und Vielfalt der christlich-muslimischen Beziehungen, insgesamt bieten Pratts vier Kategorien aber einen guten systematischen Leitfaden für die Klassifizierung des umfangreichen Materials, das in den christlichmuslimischen Beziehungen vorgefunden wird.¹⁰ In der vorliegenden Studie wird versucht, den argumentativen Radd in folgenden Literaturgattungen zu erfassen: Neben dem Koran¹¹ kommt Apologetik zum Christentum in folgenden Gattungen vor: Hadith, Sīra, tafsīr, maqālāt (Häresiographie), Kalām, Philosophie, systematische Apologetik, al-milal wa-l-niḥalLiteratur, Briefwechsel (Frage–Antwort oder Einladung zur Konversion), majlis-Berichte, Prophetengeschichten und Poesie, historische Berichte sowie reale oder imaginäre Dialoge. Im Folgenden werden einige dieser Gattungen unter Angabe von argumentativen Beispielen einführend beschrieben. Dabei werden jeweils Autoren vorgestellt, die eines dieser Genres repräsentieren.

3.1. Vorislamische argumentative Auseinandersetzungen mit der christlichen Lehre Die argumentative Begegnung des Islams mit der christlichen Theologie begann zwar mit dem Auftreten des historischen Islams und des Propheten Muḥammad. Doch derselbe apologetische Inhalt, welcher in Koran und Hadith vorkommt, hat schon viel ältere Wurzeln. Die Kritik an der christlichen Lehre beginnt somit nicht mit dem Islam (wie denn auch); das Christentum, das sich schon sechs Jahrhunderte vor dem Auftreten des historischen Islams ausgebildet hatte, musste in dieser Zeit bereits eine ganze Reihe von Kritiken erfahren. Dazu zählen u. a. die frühen anti-christlichen Polemiken der antiken Philosophen Kelsos und Porphyrios, deren Argumente ideengeschichtlich gesehen die islamischen und auch schon die koranischen Argumente gegen die christliche Lehre beeinflusst zu haben scheinen; sie wären hier daher besonders interessant und weisen auf den Einfluss der Spätantike auf die Entstehungsphase der islamischen Tradition hin.¹² Es ist allerdings kein leichtes Unterfangen, eine direkte Beziehung zwischen den genannten antiken Autoren und der islamischen Tradition nachzuweisen. Tatsächlich wartet diese Frage gegenwärtig noch auf fundierte Antworten und beschäftigt derzeit die Forschung, wie exemplarisch die 2018 in Wien abgehaltene Konferenz »Arguing Against. Logical Reasoning and Arguments in Religious Controversies (8th–10th Centuries)« zeigt.

¹⁰ Pratt, »Relational Dynamics«. ¹¹ Die logische Struktur des Korans bestärkte und legitimierte das Interesse an der Logik bei muslimischen Gelehrten (vgl. hierzu al-Ghazālī, Qisṭās al-mustaqīm). ¹² Vgl. Neuwirth, Spätantike und dies., Handkommentar für die Lesart des Korans als Produkt der Spätantike.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Doch auch unabhängig von der Klärung der historischen Zusammenhänge kann man festhalten, dass viele der Argumente, die der Islam gegen die christliche Lehre anführt, tatsächlich beispielsweise schon bei Porphyrios zu finden sind, der etwa 305 in Rom starb.¹³ Seine Argumente zum Christentum, welche die thematische Ähnlichkeit zum Radd zeigen, können stichwortartig wie folgt zusammengefasst werden: i. Kritik an der Authentizität der Evangelien; ii. Kritik an der christlichen Interpretation des Evangeliums und des Alten Testaments und an der für einfache Menschen, welche doch Adressaten der Evangelien waren, zu bildhaften Interpretation der Evangelien; iii. Widersprüche zwischen den Evangelien; iv. Kritik an der Annahme, Jesus sei Gott (diese Kritik entzündet sich vor allem an der Unvereinbarkeit des Göttlichen mit menschlichen Attributen und umgekehrt).¹⁴ Obwohl die argumentative Leistung der islamischen Polemik zum Christentum nicht vernachlässigt werden kann, scheint es doch, dass solche vorislamischen Polemiken direkt oder indirekt als Quelle und Vorlage für die islamischen Polemiken gedient haben könnten. Wie die Tradierung und Rezeption dieser antichristlichen Polemiken durch Muslime stattgefunden hat, ist nicht Gegenstand dieser Studie; allein schon die Ähnlichkeit vieler Argumente legt eine (wenn auch indirekte) Interaktion der Ideengeschichte eines Arguments sehr nahe. Exemplarisch sollen diese Ähnlichkeiten am Beispiel des Kelsos gezeigt werden. Kelsos (gest. 2. Jahrhundert n. Chr.) verfasste eine polemische Schrift gegen das Christentum, vermutlich um 178 n. Chr.¹⁵ Das Werk mit dem Titel Alēthḗs lógos (»Wahre Lehre«) kann nur aus der von dem Kirchenvater Origenes verfassten Schrift Contra Celsum (»Gegen Kelsos«, geschrieben um 249) rekonstruiert werden, die viele Argumente des Kelsos wiedergibt, um sie zu widerlegen.¹⁶ Doch auch diese Fragmente zeigen, dass Kelsos die Bibel gut kannte, ebenso die verschiedenen christlichen Lehren und Gruppen sowie die Meinungsverschiedenheiten unter ihnen. Für Kelsos war das Christentum als Verfälschung der jüdischen Religion zu betrachten. Zu den Kritikpunkten des Kelsos, mit denen er das Christentum und einzelne christliche Lehren argumentativ zu widerlegen versuchte, gehören folgende: i. Die Absurdität, dass ein Gott sich in einen menschlichen Körper inkarniert. ii. Kritik an der Bevorzugung der Juden und Christen durch Gott.

¹³ Siehe Binder, »Porphyrios«. ¹⁴ Für die jeweiligen Argumente zu diesen und weiteren Kritikpunkten vgl. Hoffmanns Sammlung und Übersetzung der Fragmente von Porphyrios’ Aussagen gegen das Christentum sowie Berchman, Porphyry. ¹⁵ Siehe Lona, Wahre Lehre 54–57. Jeffrey W. Hargis gibt als Datierung 200 n. Chr. an, siehe Hargis, Against the Christians 20−24. ¹⁶ Hadot, »Celsus« 86–87.

3.1. Vorislamische Auseinandersetzungen mit der christlichen Lehre

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iii. Kritik an der Überzeugungskraft Jesu. iv. Kritik an der Annahme, Gott habe menschliche Attribute. v. Kritik an der Annahme der Auferstehung.¹⁷ Folgendes Argument des Kelsos sei an dieser Stelle beispielhaft zitiert, um die Ähnlichkeit zu al-Jaʿfarī zu zeigen: »(3,26) Dann der Aristeas von Prokonnesos, der in solcher göttlicher Weise den Menschen unsichtbar wurde und wiederum deutlich sichtbar wurde und sich später in verschiedenen Zeiten und an mehreren Orten der Welt aufhielt und Wunderbares ankündigte; obwohl Apollon den Metapontiern befohlen hatte, dem Aristeas göttliche Ehre zu erweisen, hält niemand mehr ihn für einen Gott. (3,31) Niemand hält den Hyperboräer Abaris für einen Gott, der so viel Macht hatte, dass er von einem Pfeil getragen wurde. (3,32) Sagt man von dem Klazomenier Hermotimos etwa nicht, dass seine Seele oft den Leib verließ und ohne Leib herumwandelte? Und auch diesen hielten die Menschen nicht für Gott. (3,33) Kleomedes von Astypalaia hat sich in einer Kiste versteckt und so wurde er darin eingesperrt, aber er wurde nicht drinnen gefunden, sondern ist durch eine gewisse göttliche Fügung, als einige die Kiste zerbrachen, um ihn festzunehmen, entkommen. (3,34) Man könnte noch viele andere von solcher Art nennen. Wenn sie einen Gefangengenommenen und Getöteten kultisch verehren, tun sie etwas Vergleichbares wie die Geten, die den Zamolxis verehren, wie die Kilikier den Mopsos, wie die Akarnanen den Amphilochos; wie die Thebaner den Amphiaraos, und die Lebadier den Trophonios verehren. (3,36) Auch die dem Jüngling des Hadrian [sc. Antinoos] erwiesene Ehre steht der Ehre, die sie Jesus erweisen, nicht nach. (3,37) Sie ertragen nicht, wenn man ihn mit Apollon oder Zeus vergleicht.«¹⁸

Mit dieser Aufzählung von Personen und Sagengestalten, denen in der Antike Wundertaten zugeschrieben wurden, will Kelsos also zeigen, dass Jesus nicht aufgrund seiner Wundertaten als Gott anzusehen sei, da ähnliche Leistungen auch von anderen Menschen vollbracht wurden, die dennoch keineswegs als Götter angesehen wurden. Sein Argument ist ideengeschichtlich¹⁹ mit dem folgenden Argumentationstext von al-Jaʿfarī verwandt: »Elija der Prophet traf eine Witwe und es hatte schon lange nicht mehr geregnet, sie brachte eine Handvoll Mehl und Elija segnete es. Der Inhalt reichte sechs Monate lang, die Frau und ihre Familie und ihre Nachbarn aßen davon, bis Gott es (den Menschen) erleichterte (und die trockene Zeit beendete). Nun beschränken wir uns auf diese Beispiele. Denn mehr haben wir in unserem Buch mit dem Titel Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl zusammengetragen. Wir haben es nicht ausgelassen, für jedes Wunder Jesu ein noch verwunderlicheres eines anderen Propheten darzulegen.«²⁰

¹⁷ Für Kelsos’ Argumente zu diesen und weiteren Kritikpunkten siehe die Analyse von Lona, Wahre Lehre. ¹⁸ Kelsos, zitiert nach Lona, Wahre Lehre 188. ¹⁹ Eine direkte Verbindung zwischen Kelsos und al-Jaʿfarī besteht nicht. Dennoch besteht ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Argumentationen. Sie haben gemein, dass beide dieselbe Argumentationsform benutzen, um die Gottheit Jesu zu widerlegen. Unabhängig von der historischen Vernetzung wird hier deutlich, dass eine Argumentation, und somit die Idee dieser Argumentation, an zwei verschiedenen Zeiten und Orten formuliert werden kann. Die Ideengeschichte der Argumentation gibt diese Interaktionen wieder. ²⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 139.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Al-Jaʿfarī verwendet wie Kelsos ein Argumentum a fortiori, um die Wundertaten nicht als Zeichen der Göttlichkeit zu interpretieren. Die Argumentationsstrategie beider Autoren ist ähnlich und kann etwa wie folgt formuliert werden: ›Wenn die Vollbringung der Handlung H1 die Göttlichkeit von Jesus begründet, dann müsste x ebenfalls göttlich sein, wenn er eine Handlung H2 vollbringt, die anspruchsvoller (awlā) ist als H1 . Ist x durch Vollbringung von H2 nicht göttlich, ist auch Jesus nicht göttlich.‹ Kelsos und al-Jaʿfarī versuchen also zu zeigen, dass x durch Vollbringung von H2 nicht göttlich ist, und somit auch Jesus nicht. Eine Rezeption des Kelsos durch muslimische Autoren ist fragwürdig. Doch auch schon vor der Rezeption des Porphyrios – er gewann vor allem wegen seiner Einleitung in die logischen Schriften des Aristoteles, der Eisagogḗ, an Bedeutung²¹ – durch muslimische Autoren legte zunächst der Koran authentische Argumente gegen die christliche Lehre vor, obwohl diese Kritik zum Christentum historisch vor dem Islam ausgesprochen wurde. Somit ist die erste Schrift im Islam, die das Christentum argumentativ zu widerlegen versucht, der Koran selbst. Doch erst nachdem die Muslime große Teile des Orients und Ägypten erobert hatten, begann ein Streit, der mit seiner Verschriftlichung die Gattung des systematischen islamischen Radds gegen das Christentum begründete.²² Die Gründe für die Ähnlichkeit der vorislamischen und islamischen Argumentationen zum Christentum könnten – hypothetisch formuliert – darin liegen, dass vorislamische Argumentationen, vor allem in der Zeit der Übersetzungsinitiative aus dem Griechischen und Syrischen ins Arabische, tradiert wurden und muslimische Autoren in verschiedener Weise Zugriff darauf hatten. Das Vorhandensein von Übersetzungen griechischer anti-christlicher Werke ins Arabische würde diese Hypothese unterstützen, jedoch liegen derzeit wenig Forschungen zur Klärung dieser Beziehung vor. Fest steht jedoch, dass zahlreiche Werke des Porphyrios ins Arabische übersetzt wurden.²³ Ob dazu allerdings auch sein Werk Katá christianṓn (»Gegen die Christen«) gehörte oder ob in seinen übersetzten Werken das Christentum erwähnt wurde, muss noch untersucht werden.²⁴ Oder bringt die rationale Argumentation zu einigen christlichen Lehren unabhängig von Zeit und Raum mehr oder weniger dieselbe Kritik hervor, weil es ja um dieselben christlichen Lehren geht?

²¹ Im Mittelalter wurde die aristotelische Logik einem breiten Leserkreis vor allem durch die Eisagogḗ (»Einführung«) des Neuplatonikers Porphyrios bekannt, eine kurze Einführung zu Aristoteles’ Kategorien-Schrift, die trotz der Christentumsfeindlichkeit des Porphyrios im christlichen und muslimischen Mittelalter zu einem Standardlehrbuch der Logik wurde (vgl. Bearman u. a., »Īsāg̲h̲ūd̲j̲ī«). ²² Vgl. Becker, Dogmenbildung 175–195. ²³ Vgl. Walzer, »Furfūriyūs«. ²⁴ Einen ähnlichen Vergleich zwischen Kelsos und dem muslimischen Radd zieht auch Robert G. Hoyland in seinem Buch Seeing Islam as Others Saw It, wenn es um den Vorwurf des Kelsos und später der Muslime an die Christen geht, dass sich die Christen untereinander in theologischen Fragen nicht einig sind. Sie implizierten damit nämlich (so der Vorwurf), dass das Christentum nicht die wahre Religion sein könne (vgl. Hoyland, Seeing Islam 44).

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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Wenn bedacht wird, dass die Begegnung des Islams mit dem Christentum eine eigene Dynamik und einen eigenen Kontext hatte und dem Islam vor allem der Koran argumentative Prämissen lieferte, liegt tatsächlich die Annahme nahe, dass die Kritik an der christlichen Lehre eine von der Rationalität ausgehende Erscheinung ist²⁵ und dass die Argumente, die beispielsweise von Porphyrios oder Kelsos und dem Islam herangezogen wurden, voneinander unabhängig sind und sich lediglich in der rationalen Sicht auf die christliche Lehre – vor allem auf die Trinität – vereinigen.²⁶ Diese These ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass auch innerchristliche Disputationen insbesondere um die Probleme der Trinität aus der Perspektive der Vernunft kreisten.²⁷

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra Ausgehend vom Koran hatten die Muslime genug Erklärungen, um das Christentum in die Religion des Islam einzubinden. Sie benutzten sogar Schriften der Christen und auch der Juden, um mit ihrer Hilfe den Koran besser zu verstehen, vor allem dann, wenn die Bibel koranische Erzählungen zu ergänzen in der Lage war. Zahlreiche frühe Tafsīr-Werke (Werke zur Koranexegese) ergänzten koranische Erzählungen mit biblischen Geschichten,²⁸ beispielsweise bei Maʿmar Ibn Rashīd (gest. 153/770), ʿAbd al-Razzāq al-Ṣanʿānī (gest. 211/827²⁹), Yaḥyā ibn Sallām (gest. 199/815) oder dem kufischen Grammatiker Yaḥyā ibn Ziyād (gest. 207/822).³⁰ Diese frühen Exegeten zogen christliche Quellen für ihre Koraninterpretationen heran, doch dabei war die Darstellung der christlichen Theologie nicht das eigentliche Interesse³¹ der muslimischen Autoren. Die Heranziehung der biblischen Erzählungen als Ergänzung des Korans oder

²⁵ Die Kritiker haben sicherlich jeweils etwas unterschiedliche Sachverhalte kritisiert und auch unterschiedliche Dinge aus ihrer Kritik ausgespart. Aber es ist verständlich, dass zumindest Kritiker, die selbst einem strengen Monotheismus – wie dem Judentum oder dem Islam – anhängen, durchaus ähnliche Kritik an der christlichen Lehre, vor allem an der Trinitätslehre üben. ²⁶ Zudem sind – nach Stoker – die Beweisführungen für die Wahrheit der christlichen Religion nicht selbstevident, sondern offen für Gegenargumente (vgl. Stoker, Is Faith Rational? 201). Dies ist eine Eigenschaft, die viele – wenn nicht alle – Religionen teilen, die jedoch im Christentum mit der Trinitätslehre und ihren Konsequenzen ausgeprägter zu sein scheint als beispielsweise im Islam oder Judentum, die eine strengeren Monotheismus pflegen. Diese Offenheit der christlichen Lehre für Gegenargumente ist sicherlich eine Einladung für RaddSchriften. Und umgekehrt machten die Schwächen des Islams und des Judentums und relative Stärken des Christentums (sowie die Schwächen aller drei dieser Religionen) sie jeweils aus Sicht der anderen Religionen angreifbar. ²⁷ Vgl. hierzu Rieger, Contradictio. ²⁸ Gilliot, »Christians« 31–56. ²⁹ Siehe hierzu Motzki, »ʿAbd al-Razzāq«. ³⁰ Vgl. hierzu Gilliot, »Christians« 31–56. ³¹ Potthast, Andalus 40.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

des Hadiths (isrāʾīliyyāt) hatte weniger das Ziel, die christliche oder jüdische Religion näher kennenzulernen, vielmehr wollten diese Autoren den Koran verstehen und wandten sich nur deshalb dem Christentum und Judentum zu; denn diese Lehren waren ihrerseits aus der Offenbarung Gottes herausgetreten. Ohnehin war es für die Interpretation des Korans als eines Literaturwerkes, das maßgeblich die spätantike Ideengeschichte aufgenommen hat, unausweichlich, vorislamische Literatur heranzuziehen, um Lücken und Verständnisprobleme abzudecken.³² Die Erklärung dafür, dass Muslime auf der einen Seite zentrale christliche Lehren ablehnen und auf der anderen Seite deren Quellen zur Erklärung eigener koranischer oder prophetischer Erzählungen heranziehen, ist folgende: Obwohl Muslime zentrale Stellen der christlichen Lehre ablehnen, sind sie sich mehrheitlich darüber einig, dass die Bibel Gottes Offenbarung ist.³³ Zwar glauben wiederum viele Gelehrte an eine ›Abänderung‹ (taḥrīf ) der Bibel, doch sogar diese Gelehrten leugnen nicht, dass in der uns vorliegenden Bibel Stellen vorhanden sein könnten, die weiterhin die Essenz der göttlichen Offenbarung tragen.³⁴ Vor allem aus diesen Stellen und jenen, die der islamischen Glaubenslehre nicht widersprechen, könne zitiert werden, um lückenhafte koranische und prophetische Erzählungen zu ergänzen.³⁵ Der isrāʾīliyyāt ist jedoch nicht auf die Bibel begrenzt. Demiri stellt in ihrer Monographie über das Werk Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl des al-Ṭūfī klar, dass al-Ṭūfī nicht nur die Bibel als Quelle (unter Berücksichtigung ihrer vermeintlichen Überlieferungsschwäche) für jüdische und christliche Inhalte heranzieht, sondern auch die sog. qiṣaṣ al-anbiyāʾ-Literatur und keine Hemmungen hatte, nicht-muslimische Autoren wie etwa den jüdischen Gelehrten ʿAbdallāh ibn Salām (gest. 43/663–664) oder den später zum Islam konvertierten Juden Kaʿb al-Aḥbār (gest. 32–35/652–654) oder Wahb ibn Munabbih (gest. 110/728 oder 114/732) zu zitieren. Anders als Ibn Taymiyya (gest. 728/1328), der der ḥanbalitischen Theologie folgte, sah al-Ṭūfī im isrāʾīliyyāt keine Bedrohung für den islamischen Wissenstransfer, sondern betrachtete die Heranziehung des isrāʾīliyyāt als einen Teil der islamischen Tradition. Er wollte von der Weisheit im isrāʾīliyyāt Gebrauch machen und zog dieses Wissenskorpus daher in seinem Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl durchaus heran.³⁶ Generell werden drei Kategorien unterschieden, die das islamische Verhältnis zur Tora und zu den Evangelien wiedergeben: (i.) Inhalte der Evangelien und

³² Wenn der Koran als ein Produkt der Spätantike betrachtet wird, dann wird der Bedarf, den Koran aus der vorislamischen Literatur heraus zu verstehen, am deutlichsten (vgl. Neuwirth, Spätantike und dies., Handkommentar für die Lesart des Korans als ein Produkt der Spätantike). ³³ Vgl. Demiri, »Taḥrīf« 30–38. ³⁴ Vgl. Demiri, »Taḥrīf« 41. ³⁵ Vgl. Hatiboğlu, »İsrâiliyat«. ³⁶ Für diese und weitere Feststellungen zur Heranziehung des isrāʾīliyyāt vgl. Demiri, Muslim Exegesis 56–58 und z. B. 118–123 exemplarisch für eine Anwendung des isrāʾīliyyāt bei al-Ṭūfī.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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der Tora (isrāʾīliyyāt), die dem Koran und der Sunna nicht widersprechen – diese Inhalte können übernommen und tradiert werden;³⁷ (ii.) Inhalte, die Koran und Sunna widersprechen – diese Inhalte werden zu Widerlegungszwecken tradiert; (iii.) Inhalte, über die Koran und Sunna nicht berichten – diese können weder bestätigt noch widerlegt werden.³⁸ Jedenfalls war der Koran die erste Quelle des Radds.³⁹ Der Koran war freilich nicht die einzige Quelle seiner Zeit für die Kritik an der christlichen Trinitätslehre⁴⁰ – schon in den Pseudo-Klementinen kann eine antitrinitarische Haltung abgelesen werden. Ob diese allerdings dem Koran als Vorlage dienten, ist strittig.⁴¹ Der Koran hatte für den Radd auf jeden Fall eine pragmatische und praktische Funktion. Er vermittelte den Muslimen die Grundunterschiede zwischen dem christlichen und dem islamischen Glauben und lieferte Grundprämissen vieler apologetischer Argumente zur christlichen Lehre. Potthast fasst dies wie folgt zusammen: »Man erkannte nach den koranischen Lehren die zentralen Unterschiede zwischen beiden Religionen: 1. Für den Islam ist Jesus nur ein Prophet, der die eine Religion verbreitete, wie später Mohammed, der von ihm auch schon angekündigt wurde. Im Gegensatz zu Mohammed blieb die von ihm intendierte Lehre nicht bestehen, sodass das Christentum nicht mit der Religion Jesu übereinstimmt. 2. Daraus abgeleitet wurde natürlich die Vorstellung einer Inkarnation Gottes in Jesu abgelehnt. Auch jegliche Vorstellung eines trinitarischen Gottes wurde verworfen und die unbedingte Einsheit Gottes (tawḥīd) zum Dogma. 3. Der Islam negiert die Kreuzigung Jesu und lässt ihn durch Gott lebend in den Himmel gelangen.«⁴²

Potthast vertritt die Meinung, dass diese koranischen Lehren über das Christentum zunächst ausreichten und eine weitere theologische Auseinandersetzung daher nicht nötig war. Das würde zwar erklären, warum Radd-Schriften, also systematische apologetische Texte erst im 9. Jahrhundert verstärkt Verbreitung fanden; denn die Argumente des Korans reichten damals nicht mehr aus, der Diskurs hatte sich durch die in den Eroberungen gewonnenen großen Gebiete mit nicht-muslimischen Einwohnern entwickelt und neue Argumente mussten gefunden werden. Dieser Bedarf und vor allem der zunehmende Kontakt zwischen Christen und Muslimen haben sich sicherlich förderlich auf die Entwicklung der apologetischen Schriften zwischen diesen Religionen ausgewirkt.

³⁷ Tatsächlich wird von Muḥammad tradiert, er solle gesagt haben, die Tradierung von jüdischen Traditionen sei erlaubt. Vgl. die Hadith-Sammlungen Bukhārī, Kapitel Anbiyāʾ 50; Muslim, Kapitel Zuhd 72; Tirmidhī, Kapitel ʿIlm 13; Ibn Ḥanbal, Musnad III, 39. ³⁸ Vgl. Şimşek, »Asr-ı saadet’te« 234–235. ³⁹ Lazarus-Yafeh sieht sogar in den Koranversen 112:1–3 die früheste koranische Polemik zum Christentum, welche gegen 691 in Form von Inschriften am Felsendom (arab. Qubbat al-Ṣakhra) in Jerusalem angebracht wurde (vgl. Lazarus-Yafeh, »Neglected Aspects« 69). ⁴⁰ Vgl. Dye, »Jewish Christianity« 20. ⁴¹ Vgl. Dye, »Jewish Christianity« 11–29. ⁴² Potthast, Andalus 40.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Doch diese Erklärung alleine ist nicht hinreichend, denn sie würde die Frage offenlassen, warum zahlreiche Hadithe, deren Inhalte apologetisch, aber keineswegs systematisch sind, schon vor dem 9. Jahrhundert entstanden sind, will man diesen Hadithen nicht ihre Authentizität absprechen.⁴³ Dies gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass die koranischen Antworten und Argumente sehr früh nicht mehr auszureichen schienen und der Diskurs neue Impulse und Argumente benötigte. Wo die christliche Lehre als dem Islam kontradiktorisch empfunden wurde, wurde das Christentum im Koran direkt angesprochen und erwähnt, doch die Christen wurden nicht an sich als Gegner definiert. Dem Koran geht es vielmehr um die Korrektheit der eigenen theologischen Aussagen und Lehren;⁴⁴ darüber hinaus werden Christen im Koran durchaus positiv beschrieben, wie etwa in Vers 5:82: »Und du wirst sicher finden, daß diejenigen, die den Gläubigen in Liebe am nächsten stehen, die sind, welche sagen: ›Wir sind Naṣārā⁴⁵‹. Dies deshalb, weil es unter ihnen Priester (qissīsīn) und Mönche gibt, und weil sie nicht hochmütig sind«.⁴⁶

Doch wenn es um die theologischen Aussagen der Christen geht, so begegnet der Koran diesen kritisch und argumentativ. Der Koran hat den islamischen Radd zum Christentum nicht nur inhaltlich und thematisch geprägt, sondern auch methodisch: Der Koran nutzt selbst eine dialektische und erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentation.⁴⁷ Er hat das Ziel, den Adressaten mit bestimmten Argumenten (nicht nur zu überreden, sondern) zu überzeugen.⁴⁸ Hierzu soll folgendes koranisches Argument vorgestellt werden, in dem schon der methodische Charakter der Argumente und der Inhalt der Lehre der späteren apologetischen Schriften spürbar wird: »Ihr Leute der Schrift! Treibt es in eurer Religion nicht zu weit und sagt gegen Allah nichts aus, außer der Wahrheit! Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist (nicht Allahs Sohn. Er ist) nur der Gesandte Allahs und sein Wort, das er der Maria entboten hat, und Geist von ihm. Darum glaubt an Allah und seine Gesandten und sagt nicht (von Allah, daß er in einem) drei (sei)! Hört auf (solches zu sagen! Das ist) besser für euch. Allah ist nur ein einziger Gott. Gepriesen sei er! (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben. Ihm gehört (vielmehr alles), was im Himmel und auf Erden ist. Und Allah genügt als Sachwalter. Christus wird es

⁴³ Vgl. zur Apologetik in den Hadithen und der Sunna des Propheten hier S. 74–77 und S. 77–78. Zudem sollte bedacht werden, dass sich im 9. Jahrhundert generell die islamischen Wissenschaften zu konstituieren begannen und dass eine systematischere Betrachtung erst durch diese Konstituierung möglich wurde (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft). ⁴⁴ Die Intention ist im Radd des Korans stets die theologische Korrektheit, wenn auch nur aus eigener Perspektive, weshalb er epistemisch konstruiert ist und nicht etwa nur rhetorisch, um den Adressaten zu überreden (vgl. dazu hier S. 71–73). ⁴⁵ D. h. Christen. ⁴⁶ Der Koran wird hier und im Folgenden immer, wenn nicht anders angegeben, nach der Übersetzung von Rudi Paret zitiert. ⁴⁷ Vgl. zu den Argumenten des Korans Gwynne, Logic. ⁴⁸ Zu dieser Unterscheidung vgl. Lumer, »Überzeugen«.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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nicht verschmähen, ein (bloßer) Diener Allahs zu sein, auch nicht die (Allah) nahestehenden Engel. Und wenn einer es verschmäht, Allah zu dienen, und (zu) hochmütig (dazu) ist (hat das nichts zu bedeuten). Er wird sie (dereinst) alle zu sich versammeln.«⁴⁹

Das obige Koranzitat beinhaltet als ein Teil des Offenbarungstextes keine explizite, sondern eine implizite Argumentation.⁵⁰ Der Koran liefert darin vielmehr Prämissen, die in späteren polemischen Argumentationen als Prämissen zur Verwendung kommen. Der obige Text ist aus dieser Sicht zentral für den Radd, denn in ihm sind folgende Prämissen enthalten: P1: P2: P3: P4: P5: P6:

Die Leute der Schrift treiben es in ihren Religionen zu weit. Die Leute der Schrift sagen Unwahrheiten über Gott aus. Jesus ist Gesandter Gottes und sein Wort und sein Geist. Die Leute der Schrift sollen nicht sagen, Jesus sei Drei. Gott hat kein Kind.⁵¹ Christus wird es nicht verschmähen, ein (bloßer) Diener Gottes zu sein.

Der Koran als argumentativer Text Der Koran selbst ist nicht nur im Bereich der Apologetik zum Christentum, sondern auch bei anderen Themen durchaus argumentativ, und die Logik als Wissenschaft ist nicht die einzige Instanz, welche die Rationalität des islamischtheologischen Denkens geprägt hat. Die Rationalität des Kalāms und auch der polemischen und apologetischen Literatur ist stark vom Koran beeinflusst worden.⁵² Eine zentrale Prämisse der vorliegenden Studie ist, dass die islamische Theologie eine argumentative Auseinandersetzung jedes intelligenten Individuums mit seinem Glauben voraussetzt. Wie ist diese Annahme begründet? Der Koran, als Gottes Wort, könnte Hinweise darauf geben, wie Gott über den Glauben kommuniziert. Wenn Gott eine argumentative Auseinandersetzung im Koran vorlegt, liegt zumindest der Verdacht nahe, dass Gott auch von jedem Adressaten des Korans eine argumentative Begründung seines Glaubens erwartet. Von dieser Annahme getrieben, versuchte schon al-Ghazālī in seinem Werk Al-qisṭās al-mustaqīm die logischen Strukturen koranischer Argumente zu analysieren.⁵³ In diesem Abschnitt soll versucht werden, diesen Verdacht anhand einiger Argumentationsanalysen zum Koran zu stützen.

⁴⁹ Koran 4:171–172. ⁵⁰ Al-Ghazālī zeigte im Qisṭās al-mustaqīm, dass der Koran als Offenbarungstext argumentativ ist; vgl. dazu Gwynne, Logic. ⁵¹ Diese Prämisse ist wörtlich zu verstehen: Gott ist darüber erhaben, ein Kind zu haben. Darin verbirgt sich eine implizite Argumentation: (A) Gott ist erhaben; (B) wenn ein Wesen erhaben ist, hat es keine Kinder; (Modus Ponens aus A und B:) also hat Gott kein(e) Kind(er). ⁵² Der argumentative Charakter des Korans wird mitunter als Grund dafür genannt, dass schon in der Frühphase des Islams Glaube und Wissen keinen Gegensatz bildeten (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 645–649). ⁵³ Vgl. Kleinknecht, »Al-Qisṭās al-Mustaqīm«.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Die ausgeprägte Argumentativität des Korans wird auch im Vergleich mit anderen religiösen Texten deutlich. Der Koran enthält Argumente, die unterschiedliche Adressaten von der Botschaft Gottes überzeugen sollen. Dies umfasst nicht nur Argumente an Menschen, die nicht an Gott glauben, sondern auch Argumente, die an Muslime selbst gerichtet sind. Diese Argumente haben unterschiedliche Funktionen. Manchmal möchten sie für den islamischen Glauben werben, ein anderes Mal die Muslime durch ein praktisches Argument⁵⁴ für eine bestimmte Handlung motivieren. Die Art und Weise der koranischen Argumente und ihre Funktionen sind vielfältig. Folgendes Beispiel mag in die koranische Argumentation einführen. Es handelt sich dabei um eine indirekte Argumentation. Oft versucht der Koran mit einem indirekten Beweis einen Widerspruch zu konstruieren, wenn ein direkter Beweis nicht möglich ist.⁵⁵ »Als nun die Nacht über ihn gekommen war, sah er einen Stern. Er sagte: Das ist (wohl) mein Herr. Als er aber (am Horizont) verschwand, sagte er: Ich liebe die nicht, die verschwinden. Als er dann den Mond aufgehen sah, sagte er: Das ist mein Herr. Als er aber (am Horizont) verschwand, sagte er: Wenn mein Herr mich nicht rechtleitet, werde ich zum Volk derer gehören, die irregehen. Und als er die Sonne aufgehen sah, sagte er: Das ist mein Herr. Das ist größer (als Mond und Sterne). Als sie aber (am Horizont) verschwand, sagte er: Leute! Ich bin unschuldig an dem, was ihr (dem einen Gott an anderen Göttern) beigesellt.«⁵⁶

Der Koran schildert hier einen argumentativen Gedankengang und richtet sich zugleich an den Leser, welcher ja der eigentliche Adressat des Korans ist. Es handelt sich um Abraham, von dem der Koran dies erzählt und seine Suche nach Gott argumentativ ausgestaltet. Ein weiteres Argument findet sich in Vers 40:57, wobei ich zwei Übersetzungen angebe, weil Parets Übersetzung den stark interpretativen Zusatz hat, mit dem Begriff ›größer‹ sei hier »größer(es) Wunder« gemeint. Die Al-AzharÜbersetzung kommt ohne solche Zusätze aus. Während man also bei Paret liest: »Die Erschaffung von Himmel und Erde ist (ein noch) größer(es Wunder) als die Erschaffung der Menschen. Aber die meisten Menschen wissen (es) nicht«, schreibt die Al-Azhar-Übersetzung: »Die Himmel und die Erde zu erschaffen, ist weit größer als die Menschen zu erschaffen. Doch die meisten Menschen wissen es nicht«. Dieser Koranvers handelt von der Erschaffung von Himmel und Erde und dass diese Erschaffung ›größer‹ ist als die Erschaffung der Menschen; darüber seien die Menschen in Unkenntnis. Die Al-Azhar-Übersetzung ist wortgetreu, bleibt jedoch zu schwach. Die Frage, die sich stellt und die vom Koran impliziert wird, ist, was mit ›größer‹ gemeint sei. Von Wunder ist keine Rede, sodass ich Parets Übersetzung als Überinterpretation auffasse. Da der

⁵⁴ Zum Begriff vgl. hier S. 244 sowie Lumer, »Kognitivismus« 173. ⁵⁵ Dieses Verfahren wird als Beweistechnik auch ›reductio ad absurdum‹ (burhān al-khulf oder qiyās al-ʿaks) genannt. Lambert von Auxerre bezeichnet dieses Verfahren als ›reductio per impossibile‹ (vgl. Lambert von Auxerre, Logica (Summa Lamberti) 120). ⁵⁶ Koran 6:76–78, Übersetzung Rudi Paret.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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kontextuelle Rahmen die Erschaffung und das Erschaffen eine Handlung ist, geht es hier meiner Meinung nach um die Leistung der Erschaffung. Daher ziehe ich für die Analyse folgende eigene, für die Analyse strukturierte Übersetzung heran: »[S1] Die Erschaffung von Himmel und Erde [S1.1] ist eine größere (Leistung) [S1.2] als die Erschaffung der Menschen.« Dieser Koranvers umfasst folgende Einzelaussagen, wobei kontextuell bekannt ist, dass der Handelnde hier Gott ist:⁵⁷ P1: P2: P3: P4:

Himmel und Erde wurden von Gott erschaffen. (S1) Die Menschen sind von Gott erschaffen. (S1.2) Himmel und Erde zu erschaffen, ist eine große (Leistung). (S1–S1.1) Himmel und Erde zu erschaffen, ist eine größere (Leistung) als die Erschaffung der Menschen. (S1–S1.2) eP5: Gott kann (d. h. hat die Macht) Himmel und Erde (zu) erschaffen. Der Koran stellt dabei folgende (materielle) Prämisse auf: ›Wenn Gott Himmel und Erde erschaffen hat, so kann er erst recht die Menschen erschaffen.‹ Diese Prämisse kann als die These der Argumentation bestimmt werden. Die Prämisse P4 gibt den Hinweis, dass es sich bei diesem Argument um ein Argumentum a fortiori handelt. Diesem entsprechen im Arabischen die Konzepte des aljadal bi-al-awlā oder al-jadal bi-al-aḥrā.⁵⁸ Das Argumentum a fortiori wird auch als ›Erst-recht-Argument‹ bezeichnet. Eggler sieht es als verwandt mit der Analogie an;⁵⁹ man kann das Argumentum a fortiori jedoch gut deduktiv rekonstruieren, wogegen Analogieargumentationen nur mit fragwürdigen Prämissen (die niemand als wahr erkannt hat oder die die These schon voraussetzen) deduktiv rekonstruiert werden können. Daher erscheint die Auffassung Egglers fragwürdig. Dem al-jadal bi-al-awlā (Argumentum a fortiori) liegt in etwa folgendes Prinzip zugrunde: ›Wenn Person a die Voraussetzung x besitzt, um y zu erschaffen und wenn die Erschaffung von y eine größere Leistung ist als die Erschaffung von z, dann kann Person a auch z erschaffen.‹ Mit Hilfe dieses Prinzips können wir das koranische Argument aus 40:57 wie folgt rekonstruieren: ›(P1:) Wenn Gott Himmel und Erde erschaffen hat, so kann er erst recht auch die Menschen erschaffen. (P2:) Himmel und Erde wurden von Gott erschaffen. (K1:) Gott kann die Menschen erschaffen.‹ Eine weitere Möglichkeit, das Argument aus Koran 40:57 zu rekonstruieren, ist wie folgt: ›(P3:) Gott hat die Macht, Himmel und Erde zu erschaffen. (P4:) Himmel und Erde zu erschaffen, ist eine größere (Leistung) als die Erschaffung der Menschen. (K2:) Gott hat die Macht, die Menschen zu erschaffen.‹ Das Konzept ›Macht‹ in K2 kann man als eine Umschreibung für ›Fähigkeit‹ verstehen, dann fallen die erste und die zweite Rekonstruktion inhaltlich zusammen.

⁵⁷ Prämissen werden in dieser Studie mit P1, P2, … bezeichnet, Ergänzungsprämissen mit eP1, eP2 usw. Näheres dazu in Kapitel 6, zu Ergänzungsprämissen insbesondere S. 249. ⁵⁸ Vgl. Gwynne, Logic 126–127. ⁵⁹ Vgl. Eggler, Argumentationsanalyse 60.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Neben dem Koran sind die Hadithe des und rund um den Propheten Muḥammad von zentraler Bedeutung für die Ursprünge islamischer Argumente zum Christentum. Hadith und traditionelle Hadithwissenschaft Über die Beziehung zwischen argumentativer Theologie und Islam haben wir bereits gesagt, dass die Theologie in der Regel in allen Bereichen von Glaubensfragen argumentativ und auf Beweisführung ausgerichtet ist; dass sie also eine argumentative Wissenschaft ist und nicht nur der Kalām, sondern auch andere Disziplinen, wie der Hadith, wichtige Bereiche dieser Argumentativität sind. Die rationale Begründung ist in dieser Theologie wesentlich und in Glaubensfragen wird reinen Annahmen kein Wert beigemessen. Das gilt auch für die Hadithwissenschaft, die sich, was die methodische Begründung der Authentizität von Überlieferungen angeht, der Rationalität verpflichtet sieht. Auf die Frage, ob die Hadithwissenschaftler (muḥaddithūn) auch die Vernunft (ʿaql) herangezogen haben, antwortet ʿAbd al-Raḥmān ibn Yaḥyā al-Muʿallimī al-Yamānī (gest. 1371/1952), dass die Vernunft an vier Stellen für die Hadithwissenschaftler wesentlich war: beim Hören (al-samāʿ) der Überlieferung, beim Überliefern (al-taḥdīth), bei der Bewertung (al-ḥukm) der Überlieferer und bei der (allgemeinen) Bewertung des Hadiths.⁶⁰ Allerdings kann – wie auch Kırbaşoğlu zu Recht kritisiert – keineswegs gesagt werden, dass die Hadithwissenschaftler die Rationalität, die sie in der Tat zur Bewertung der überlieferungsgeschichtlichen Authentizität einer Überlieferung heranzogen, im gleichen Maße auch für die inhaltliche Kritik des Überlieferungsinhalts (matn) benutzt haben. In dieser Hinsicht hat es die klassische Hadithwissenschaft versäumt, die Inhalte der Überlieferungen aus Sicht einer rationalen Untersuchung zu bewerten. Diese Kritik war bzw. ist vielmehr eine Aufgabe der gegenwärtigen Hadithforschung.⁶¹ Ein Hadith ist eine überlieferte Nachricht von und über den Propheten Muḥammad. Es besteht aus einem Inhalt, welcher als matn bezeichnet wird, und einer vorangestellten Überliefererkette (isnād). Wir möchten hier nicht auf das Wesen des Hadiths eingehen, sondern vielmehr darauf, welche Belege und Argumente die Hadithwissenschaft heranzieht, um die Authentizität eines Hadiths bzw. einer Überlieferung bestimmen zu können. Die Hadithwissenschaft konstruiert ihre Argumente dabei durch die folgenden Untersuchungen:⁶²

⁶⁰ Vgl. al-Yamānī, Al-anwār al-kāshifa 6. ⁶¹ Vgl. Kırbaşoğlu, İslâm düşüncesinde hadis metodolojisi. Zum Widerspruch Kırbaşoğlus gegen diejenigen, die die (klassische) Hadithwissenschaft per se als eine rationale Disziplin betrachten, siehe insbesondere Kırbaşoğlu, İslâm düşüncesinde hadis metodolojisi 56–59. Kırbaşoğlu gilt als Theologe, der eine alternative Hadithmethodologie zu etablieren versuchte. Vgl. dazu Şentürk, »Reformist Discourses«. ⁶² Für den folgenden Ansatz vgl. Kırbaşoğlu, İslâm düşüncesinde hadis metodolojisi und ders., İslam düşüncesinde sünnet.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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1. Quellen-Forschung: die Verteilung der Hadithe in den Quellen (vertikale und horizontale Untersuchung); 2. isnād-Forschung; 3. matn-(Inhalts-)Forschung; 4. Hadithkritik. Zu 1. Hadithe sind systematisch in Hadithsammlungen aufgezeichnet und geordnet. Die sechs Hadithsammlungen, welche als al-kutub al-sitta bezeichnet werden, sind die Hauptquellen der Hadithe im sunnitischen Islam. Wenn nun ein Hadith in einem dieser Bücher vorkommt, heißt das noch nicht, dass diese Überlieferung auch wirklich vom Propheten berichtet wurde. Um das zu untersuchen, müssen die Hadithe mithilfe der oben genannten vier Punkte analysiert und gute Gründe für ihre Authentizität geliefert werden, ansonsten wird die Authentizität in Frage gestellt. Obwohl nur sechs Hadithsammlungen kanonisiert wurden, sind diese nicht die einzigen relevanten Quellen, vielmehr gibt es auch noch das Werk Al-muwaṭṭaʾ des Anas ibn Mālik (gest. 93/712), das sogar älter ist als al-kutub al-sitta, und auch der Musnad des Aḥmad ibn Ḥanbal (gest. 241/ 855) ist eine Quelle, die Erwähnung verdient. Zuerst muss untersucht werden, ob ein Hadith nur in einer Sammlung aufgezeichnet wurde oder in mehreren. Es spricht für die Echtheit eines Hadiths, wenn er in mehreren Büchern vorkommt. Das heißt, dass mehrere Hadithsammler diesen Hadith gehört und in ihre Bücher aufgenommen haben. Doch das ist noch keine hinreichende Bedingung für die Echtheit des Hadiths. Wenn ein Hadith mehrmals vorkommt, muss untersucht werden, in welchem Zeitalter dieser Hadith in das Buch aufgenommen wurde (vertikale Untersuchung). Es ist sicherlich merkwürdig, wenn ein Hadith eine Zeit lang in keinem Buch auftaucht und erst nach einer bestimmten Zeit aufgeschrieben wurde. Hier ist besondere Vorsicht angebracht, da die Vermutung naheliegt, dass solche Hadithe erfunden sein könnten. Ein Hadith muss sich außerdem der horizontalen Untersuchung unterziehen. Denn es ist merkwürdig, wenn einige Hadithe nur in bestimmten Regionen auftauchen (horizontale Untersuchung). Zu 2. Das isnād ist die Überlieferungskette des Hadiths. Ein Hadith ohne ein isnād ist nicht ausreichend, um mit Sicherheit sagen zu können, dass er vom Propheten berichtet wurde. Daher können Hadithe ohne isnād keine religiöse Norm bilden. Doch auch das Bestehen des isnād ist nicht hinreichend, um die Echtheit einer Überlieferung zu belegen; vielmehr muss man nun dieses isnād untersuchen. In der Hadithlehre wurden durch solche Untersuchungen zahlreiche erfundene Hadithe (mawdūʿ) identifiziert.⁶³ Mit dem isnād wird rückverfolgt, wer was wem gesagt hat und ob die Nachricht authentisch ist. Wenn ein Hadith mehrmals vorkommt, müssen alle isnād, welche sehr unterschiedlich sein können, gemeinsam betrachtet werden. Nur so kann man ein ganzheitliches Bild erlangen. Dafür empfiehlt es sich, ein isnād-Schema herzustellen. In einem isnād-Schema können verschiedene Informationen zeitgleich zusammengefasst

⁶³ Vgl. Kandemir, »Mevzü«.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

werden, z. B. ob ein Hadith āḥād ist oder mashhūr. Des Weiteren kann mithilfe von Kenntnissen über das Leben der rāwī (›Überlieferer‹) erkannt werden, aus welcher Region die Überlieferung stammt. Goldziher fasst diese Thematik folgendermaßen zusammen: »Man ging jedem einzelnen der in den Isnaden erwähnten Gewährsmänner nach, um seinen Charakter zu ergründen, um zu erfahren, ob er moralisch und religiös unanfechtbar sei, ob er nicht Propaganda für antisunnitische Zwecke mache, ob seine Wahrheitsliebe im allgemeinen als erwiesen gelten könne, ob er die persönliche Fähigkeit habe, das Gehörte treu wiederzugeben, ob er ein Mann sei, dessen Zeugenschaft in civilrechtlichem Sinne vom Richter unbedenklich zugelassen würde. Denn die Hadithüberlieferung betrachtete man als die erhabenste Form der Schahāda, der Zeugenaussage, da der Rawi ein für die Gestaltung des religiösen Lebens höchst wichtiges Zeugnis ablegt darüber, dass er diese oder jene Worte von dem oder jenem gehört habe.«⁶⁴

Eine weitere Untersuchung ist in Bezug auf die rāwī selbst nötig. Denn nicht alle rāwī sind gleichwertig: Einige rāwī wurden angezweifelt. Doch man muss auch mit solchen Berichterstattungen vorsichtig umgehen. Ein rāwī, und somit auch der durch ihn überlieferte Hadith, darf nicht ohne Weiteres abgewertet werden, weil die Wahrhaftigkeit eines rāwī angezweifelt wird. Daher müssen jarḥund taʿdīl-Untersuchungen gemacht werden. Diese Untersuchungen bestehen darin, die rāwī anhand bestimmter Quellen, in denen die rāwī sehr detailreich beschrieben werden, zu untersuchen. Zu 3. Bei der matn-Forschung wird nicht die inhaltliche Bedeutung der Überlieferung untersucht, sondern ihr Aufbau und ihre Chronologie. Ein Hadith kann in verschiedenen inhaltlichen Formen vorkommen. Inhaltliche Details machen dann den Unterschied aus. In diesem Fall müssen alle Texte zusammen betrachtet und ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Dabei ist zu beachten, welche Zusätze in welcher Zeit hinzugekommen sind. Wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen zwei Überlieferungen besteht, welche sich inhaltlich nur durch geringfügige Zusätze unterscheiden, ist zu vermuten, dass die Zusätze später hinzugefügt wurden. Jedoch muss man hier vorsichtig sein. Es kann auch sein, dass der rāwī der ersten Überlieferung diesen Zusatz vergessen oder nicht mitbekommen hat. Falls es möglich ist, sollte man den Hadith nehmen, in dem sich die Zusätze befinden, und weitere identische Hadithe in anderen Sammlungen suchen. Falls weitere Hadithe mit derselben Information gefunden werden, können diese als Beleg dafür gelten, dass die Zusätze nicht erfunden wurden. Jedoch müssen auch diese Hadithe der Überprüfung durch die Hadithforschung standhalten. Zu 4. Die Hadithkritik ist der rationalste Bestandteil der Hadithforschung. In der Hadithkritik wird direkt die inhaltliche Bedeutung des Hadiths untersucht. Dabei können sehr weitgehende Untersuchungen vorgenommen werden. Wichtig ist, dass ein Hadith nicht dem Koran widersprechen darf. Wenn sich ein Hadith bis zur Hadithkritik als ṣaḥīḥ (›echt, gesund‹) behauptet hat, aber die

⁶⁴ Goldziher, »Entwicklung« 142.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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Hadithkritik erkennt, dass er dem Koran offen widerspricht, gilt er dennoch als erfunden oder ḍaʿīf (›schwach‹). Wichtig ist es auch, die Tatsache zu beachten, dass ein Hadith nicht der sunnat Allāh (den Naturgesetzen etc.) widersprechen darf. Wenn der Inhalt des Hadiths dieser widerspricht, muss der Hadith hermeneutisch untersucht werden. Wenn diese Untersuchung keine rationale Erklärung hervorbringt, darf dieser Hadith keine Norm für die Glaubenslehre bilden. Argumente in der Sunna des Propheten und in der Sīra Tatsächlich ist die Sunna des Propheten Muḥammad reich an argumentativen Momenten bezüglich der Begegnung mit dem Christentum. Diese argumentativen Momente werden von der Literatur zur islamischen Argumentationstheorie oft im Rahmen der Dialektik (jadal) aufgefasst, so etwa von Abū Zahra in seinem Werk Tārīkh al-jadal (»Geschichte der Dialektik«), in dem ein Kapitel die Dialektik in der Zeit des Propheten Muḥammad behandelt.⁶⁵ Die Argumentation des Propheten baute hauptsächlich auf verschiedenen Arten der Analogie auf.⁶⁶ Nicht nur innerislamische Probleme wurden mit Argumentationen und Analogien zu lösen versucht,⁶⁷ sondern auch interreligiöse Streitthemen. Die Christen werden in den Hadithen dabei als theologische Gegner dargestellt. Doch auf der anderen Seite wurde die christliche Lehre, soweit sie der islamischen nicht widersprach, aufgenommen. Allerdings kommt den Christen in der Hadithliteratur im Vergleich zu den Juden eine eher zweitrangige Bedeutung zu; denn Muḥammad und die ersten Muslime hatten auf der arabischen Halbinsel in erster Linie Kontakt mit Juden. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass keine christlichen Überlieferungen in die Hadithe eingeflossen wären. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Zahlreiche Hadithe bezeugen den christlichen Einfluss auf diese Literaturgattung. Oft werden auch ursprünglich christliche Überlieferungen als muslimisch wiedergegeben,⁶⁸ wie etwa die Überlieferung vom Propheten Muḥammad, in der er berichtet, dass ein Gläubiger, der einem anderen hungernden Gläubigen etwas zum Essen gibt, von Gott mit Paradiesfrüchten belohnt wird und dass ein Gläubiger, der einem anderen

⁶⁵ Abū Zahra, Jadal 40–48. ⁶⁶ Vgl. etwa das Kitāb ʾaqīsa al-nabī al-muṣṭafā Muḥammad des Nāṣiḥ al-dīn ʿabd alRahmān ibn Najm al-Dīn al-Anṣārī ibn al-Ḥanbalī (gest. 634/1236). In diesem Werk leitet Ibn al-Ḥanbalī aus den Hadithen des Propheten zahlreiche Analogien ab und zeigt stichhaltig, wie verbreitet solche Analogieschlüsse schon in den Hadithen selbst sind. ⁶⁷ Vgl. etwa die zahlreichen Beispiele bei Ibn al-Ḥanbalī, Kitāb ʾaqīsa al-nabī al-muṣṭafā Muḥammad, Ausgabe Beirut 1994, 75–171. ⁶⁸ Diese Übernahme christlicher und jüdischer Traditionen wird mit dem Konzept des isrāʾīliyyāt wiedergegeben, vgl. hierzu Vajda, »Isrāʾīliyyāt« 211–212. Zur Entstehung des Begriffes isrāʾīliyyāt siehe Tottoli, »Origin and Use«. Angenommen, die oben zitierte Überlieferung von Muḥammad ist authentisch, dann wäre das isrāʾīliyyāt schon in der Zeit des Propheten vorzufinden.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

durstigen Gläubigen etwas zum Trinken gibt, von Gott mit »versiegeltem edlen Wein« belohnt wird,⁶⁹ die letztlich auf das Neue Testament zurückgeht.⁷⁰ Wenn die christliche Theologie kritisiert wird, werden die Christen explizit angesprochen. Das ist eine Funktion des Arguments; der Text stellt den Adressaten klar. Folgendes Beispiel kann für eine solche prophetische Überlieferung angegeben werden, in der ein implizites Argument gegen die christliche These vorkommt, Jesus sei mehr als nur ein Prophet: »Ibn ʿAbbās hörte ʿUmar Folgendes auf dem Podest sagen: ›Ich hörte den Propheten sagen: ›Rühmet mich nicht wie die Christen den Sohn der Maria rühmten, denn ich bin nichts anderes als ein Diener (Gottes).‹ Sagt also: ›Gottes Diener und Sein Gesandter‹.«⁷¹

Wie schon oben beim Korantext erwähnt, wird auch in diesem Hadith die Argumentation eher implizit formuliert.⁷² Doch liefert auch der Hadith Prämissen, die in späteren Radd-Argumentationen als Prämissen herangezogen werden. Dabei wird in der Regel im Argumentationstext kein Bezug auf den Koran oder einen Hadith genommen; diese Prämissen werden jedoch mindestens als bekannt vorausgesetzt.⁷³ Deshalb ist es für jede systematische Auseinandersetzung mit dem Radd wichtig, die Entstehung zentraler Prämissen zu erkennen. Auch dieser eben zitierte Hadith enthält Aussagen, die in zahlreichen polemischen Argumentationen als Prämissen herangezogen werden. Dies sind folgende: P1: P3: P4: P5:

Ich bin nur ein Diener Gottes. (eP2: Ich bin nur ein Mensch.) Ich bin ein Gesandter. Der Sohn der Maria ist Marias Sohn (und nicht Gottes Sohn). Alles, was nur ein Diener Gottes ist, darf nicht so gerühmt werden, wie die Christen den Sohn der Maria rühmen.⁷⁴

Implizit wird in diesem Hadith damit folgendes Argument vorgelegt: P1: P2: K:

Alles, was nur ein Diener Gottes ist, darf nicht so gerühmt werden, wie die Christen den Sohn der Maria rühmen. Muḥammad ist nur ein Diener Gottes. Muḥammad darf nicht so gerühmt werden, wie die Christen den Sohn der Maria rühmen.

⁶⁹ Hadith in: Ibn Abī Shayba, Muṣannaf, VII, »k. al-Zuhd« 34355; vgl. Koran 83:25. ⁷⁰ Matthäus 25,34–36; vgl. Cook, »Christians« 73–82. ⁷¹ Al-Bukhārī, Ṣaḥīḥ al-Bukhārī, »k. Aḥādīth al-anbiyāʾ« 3445. ⁷² Ohnehin beinhalten frühe Texte keine expliziten, sondern eher implizite Argumente zur christlichen Theologie. Diese haben die Funktion, die anti-christlichen Thesen zu rationalisieren. ⁷³ Bemerkenswert ist, dass die Radd-Argumente zwar Inhalte aus Hadithen übernehmen, dabei aber oft nicht angeben, dass die Idee der Aussage aus einem Hadith stammt. Freilich wäre die Berufung auf Hadithe eine problematische Strategie, wenn man Christen überzeugen will; denn diese erkennen Hadithe nicht an. ⁷⁴ Diese Aussage soll an dieser Stelle keine Höherstellung Jesu implizieren, welche durchaus aus dieser Prämisse ableitbar wäre.

3.2. Radd in Koran, Hadith und Sīra

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Auch die eng mit den Quellen des Hadiths verbundenen Sīra⁷⁵ sind für die Frage nach den Quellen der Argumente zum Christentum von Bedeutung. Vor allem die Sīra des muslimischen Historikers und Hagiographen Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Isḥāq ibn Yasār ibn Khiyār ibn Isḥāq (gest. ca. 150/767–768)⁷⁶ mit dem Titel Sīrat Rasūl Allāh (»Das Leben des Gesandten Gottes«) spielt bei der Ausbildung von islamischen Argumenten zum Christentum eine wichtige Rolle. Die Sīra des Ibn Isḥāq ist die früheste systematische Erzählung über das Leben Muḥammads.⁷⁷ Die Sīra, demnach die Prophetenbiographie, ist eine Gattung der islamischen Historiographie. Obwohl sie eine Prophetenbiographie ist, gibt sie als Primärquelle der Theologie auch Hinweise auf das soziale Umfeld Muḥammads, etwa auf seine Beziehung zu den Christen und wie er ihnen begegnete. In diesen Erzählungen sind u. a. die ersten Spuren der späteren Radd-Argumente verborgen. Eine Stelle aus der Sīra des Ibn Isḥāq wird im Folgenden exemplarisch analysiert; hierzu zunächst die Primärquelle: »While the apostle was in Mecca some twenty Christians came to him from Abyssinia when they heard news of him. They found him in the mosque and sat and talked with him, asking him questions, while some Qurayshites were in their meeting round the Ka’ba. When they had asked all the questions they wished the apostle invited them to come to God and read the Quran to them. When they heard the Quran their eyes flowed with tears, and they accepted God’s call, believed in him,⁷⁸ and declared his truth. They recognized in him the things which had been said of him in their scriptures.«⁷⁹

Dieser Text, der ein Ereignis aus dem 7. Jahrhundert aus dem Leben Muḥammads behandelt, spielt in einer Moschee, was zeigt, dass die Moschee der Ort einer der ersten christlich-muslimischen Begegnungen war. Obwohl die Sīra keine expliziten Argumente beinhaltet, ähnlich wie im Hadith, impliziert sie doch ein Argument und generiert koranbasierte Prämissen, ohne sich darauf zu beziehen, was letztlich unsere These stützt, dass in erster Linie der Koran als Vorlage für theologische Prämissen für spätere Argumentationen diente. Im obigen Beispiel wird die islamische Idee thematisiert, dass die vorangegangenen heiligen Schriften der Christen Muḥammad vorhergesagt haben. Der Sīra-Text generiert hierbei eine Überlieferung, die belegen soll, dass Christen, die mit Muḥammad in Begegnung gekommen sind, diese Annahme bestätigten. Dies impliziert wiederum, dass diese Annahme glaubhaft sei. Der Text ist zudem (passiv) apologetisch, denn er gibt eine Antwort auf eine Frage, die zwischen den beiden Theologien schon in der Entstehungszeit der Sīra von Ibn Isḥāq strittig war. Durch die Auswahl dieser Textpassage durch Ibn Isḥāq bettet er letztlich seine theologische Apologetik in den Diskurs ein.

⁷⁵ Das arabische Wort sīra bedeutet soviel wie ›Biographie‹, ›Geschichte‹ oder eine ›Erzählung‹ über Taten und Leben eines Menschen (Wehr, Arabisches Wörterbuch 621). ⁷⁶ Siehe Krauss-Sánchez, »Ibn Isḥāq«. ⁷⁷ Vgl. Mourad, »Christians« 57–72. ⁷⁸ Gemeint ist: Sie glaubten an das, was Muḥammad ihnen berichtete. ⁷⁹ Ibn Isḥāq, Sīra, übersetzt von Alfred Guillaume, 179.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Da Ibn Isḥāqs Sīra relativ früh verfasst worden ist – zu einer Zeit, als die islamische Argumentationstheorie noch nicht entfaltet war –, darf man darin keine systematischen Argumentationen erwarten. Doch obwohl die Sīra selbst koranische Prämissen heranzieht, generiert und tradiert sie auch ihrerseits Prämissen für spätere Radd-Schriften. Argumentationstheoretisch ist festzuhalten, dass die hier vorgestellten Texte aus dem Koran, aus Hadith und Sīra keine expliziten Argumentationen vorlegen, sondern im besten Falle implizite.

3.3. Radd in den ältesten Zeugnissen für christlich-muslimische Disputationen Zu den ersten explizit argumentativen Schriften, in denen ein Muslim argumentativ zu Wort kommt und die daher für die vorliegende Darstellung relevant sind, zählen die christlich-syrischen Schriften Egartā d-Mār(y) Yoḥannan patṛ iyarkā metṭụ l mamllā d-mallel ʿam amirā da-Mhaggrāyē (»Der Brief des Patriarchen Johannes über seine Auseinandersetzung mit einem Emir der Mhaggrāyē«) und Drāshā da-hwā l-ḥad men Ṭayyāyē ʿam iḥidāyā ḥad b-ʿumrā d-Bēt Ḥālē (»Die Disputation, die zwischen einem Araber und einem bestimmten Mönch aus dem Kloster von Bēt Ḥālē stattfand«); in beiden Fällen ist der Verfasser der Texte unbekannt. Die wahrscheinlich erste syrische Disputation zum Islam, die Egartā dMār(y), fand im 7. Jahrhundert zwischen dem muslimischen Emir ʿUmayr ibn Saʿd ibn ʿUbayd und dem Patriarchen Johannes III. (631–648) von Antiochia statt. Der überlieferte Text hingegen muss laut Roggema zwischen 18/640 und 260/874 entstanden sein.⁸⁰ Der Emir stellte dem Patriarchen Fragen zu Themen wie u. a. der Integrität der Bibel und der Gottheit Christi. Nachdem der Patriarch vom Emir befragt wurde, »ob es ein und dasselbe Evangelium ohne jegliche Differenz ist, das von all denjenigen angenommen ist, die Christen sind«⁸¹, stellte der Emir u. a. folgende weitere Fragen: »Er fragt ihn noch: Warum, da ja das Evangelium eins ist, der Glaube verschieden ist?« »Er fragt ihn noch: Was sagt ihr, was Christus ist; dass er Gott ist oder nicht?« »Der illustre Emir fragt ihn noch dies: Als Christus im Schoß der Maria war, er, von dem ihr sagt, er sei Gott, wer trug und regierte den Himmel und die Erde?« »Der illustre Emir sagte noch: Was war die Meinung und der Glaube Abrahams und Moses?«⁸²

Nachdem der Patriarch dem Emir einige Antworten auf diese Fragen gegeben hat, wird vom Emir noch die folgende wichtige Aussage gemacht:

⁸⁰ Roggema, »Egartā d-Mār(y)« 782–785. ⁸¹ Zitiert nach der Übersetzung von Harald Suermann, »Orientalische Christen« 122–125, hier 123. ⁸² Alle zitiert nach der Übersetzung von Suermann, »Orientalische Christen« 122–125.

3.3. Radd in den ältesten Zeugnissen für christlich-muslimische Disputationen

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»Danach, als der Emir dies alles hörte, bat er nur, ihm durch vernünftige Ausführungen und durch das Gesetz (Pentateuch) zu zeigen, dass Christus Gott ist und dass er von der Jungfrau geboren wurde und dass Gott einen Sohn hat«.⁸³

Schon diese Fragen des Emirs aus dem (wahrscheinlich frühen) 7. Jahrhundert zeigen deutlich die Hauptmerkmale der Kritik von Muslimen am Christentum: Ist die Bibel korrekt überliefert? Ist Jesus Gott? Wie ist die Stellung des Christentums zur Religion Abrahams und Moses?⁸⁴ Diese Fragen sind nicht willkürlich, sondern markieren wichtige Schnittstellen zwischen dem Islam und dem Christentum; Fragen, die vereinen, aber auch trennen. So sind Abraham und Mose aus islamischer Sicht Muslime, und deshalb interessiert es den Emir, die Stellung dieser Propheten aus der Perspektive des Christentums kennenzulernen. Interessant ist auch das Verlangen des Emirs nach »vernünftige[n] Ausführungen«. Wenn wir bedenken, dass die zeitlich nachfolgenden apologetischen Argumente der Muslime idealerweise auf der Vernunft basieren und rational strukturiert sind, könnte diese Bitte des Emirs als einer der ersten Belege für rationales Verlangen in den interreligiösen Disputationen zwischen Muslimen und Christen gesehen werden.⁸⁵ Und da dieser Text die älteste christliche Quelle zu sein scheint, zeigt er, dass das Bedürfnis nach rationalen Erklärungen für theologische Lehren von Anfang an Teil der islamischen Sichtweise zur christlichen Lehre war. Obwohl der Text aufgrund seines historischen Kontextes die Aufmerksamkeit der Wissenschaft erregt hat, scheint es, als habe er keine große Rezeption gefunden; dies bezeugt die Tatsache, dass von diesem Text lediglich ein Manuskript, welches 260/874 geschrieben worden sein soll, existiert. Der Brief wird oft als das älteste erhaltene christlich-muslimische Streitgespräch eingestuft. Er spiegelt die religiösen Vorstellungen des arabischen Emirs und kann somit als Quelle für die Lehren des vorklassischen Islams betrachtet werden. Wenn angenommen wird, dass der Text tatsächlich im 7. Jahrhundert entstanden ist,⁸⁶ so enthält er für diese Zeit interessante erste Anzeichen von muslimischen

⁸³ Zitiert nach der Übersetzung von Suermann, »Orientalische Christen« 122–125, hier 124; kursive Hervorhebung durch den Verfasser. ⁸⁴ An dieser Stelle wird der frühe Einfluss des Korans auf den Radd deutlich, denn dies sind Hauptthemen des Korans, was die christliche Lehre angeht. Es ist kein Zufall, dass die ersten Beziehungen auf die koranischen Inhalte beschränkt sind, denn zu jener Zeit finden erste Kontakte statt und das Kennenlernen beider Religionen war im Anfangsstadium. Erst allmählich und durch vertiefte Kenntnisse der christlichen Religion entwickelt sich der Radd unabhängig vom Koran und konstruiert eigene Argumente. ⁸⁵ Ähnlich wie bei al-Jaʿfarī; vgl. dazu al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 1–12. ⁸⁶ Allerdings wurden Zweifel an Entstehungsdatum und Integrität des Textes ausgesprochen. Die Fragen in diesem Brief, die den ersten Kontakt dieser Religionen bezeugen, geben durchaus einen Hinweis darauf, dass der Brief aus dem 7. Jahrhundert stammen könnte. Vgl. die Diskussion hierzu bei Roggema, »Egartā d-Mār(y)« 782–785.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Argumenten zum Christentum. Vor allem die Frage-Antwort-Form des Textes zeigt die frühe argumentative Kommunikation im Radd.⁸⁷ Auch die Schrift Drāshā da-hwā l-ḥad men Ṭayyāyē ʿam iḥidāyā ḥad b-ʿumrā d-Bēt Ḥālē ist eine ostsyrische religiöse Disputation. Diese findet zwischen einem Araber und einem Mönch aus dem Kloster von Bēt Ḥālē statt⁸⁸ und gibt ebenfalls frühe Hinweise auf die, vor allem methodische, Ausbildung von muslimischen Argumenten zum Christentum. Es wird vermutet, dass diese Schrift zwischen 91/710 und 101/720 entstanden ist.⁸⁹ Das Streitgespräch in der Disputation Bēt Ḥālē fand historisch nicht in dieser Form statt, vielmehr ist die Schrift eine Rekonstruktion – dafür spricht die konstruierte FrageAntwort-Form des Textes.⁹⁰ Die Frage-Antwort-Form wird jedoch für spätere Radd-Schriften und allgemein für Kalām-Texte von zentraler Bedeutung sein.⁹¹ Die intensive Anwendung der Frage-Antwort-Form, welche auf Aristoteles zurückgeht und von Theophrast systematisiert wurde, zeigt den Einfluss der Spätantike auf die islamische Theologie, die diese Form etwa im Kalām und im Radd anwendet. Das Besondere an der islamischen Theologie ist jedoch, vielleicht mehr als die Frage-Antwort-Form, die dialektische Methode, den Opponenten durch Fragen in Form eines hypothetischen Satzgefüges⁹² in eine Position zu bringen, in der er keine Antwort mehr findet und somit entweder seine These fallen lassen muss oder in eine Kontradiktion zu seiner eigenen These gerät bzw. diese zumindest in Kauf nimmt.⁹³ Zudem ist die Bēt Ḥālē die erste bekannte syrische Quelle, die den Koran namentlich erwähnt, und zeigt den Einfluss des Korans auf den christlichmuslimischen Radd. Dies geschieht bemerkenswerterweise in der Antwort des Christen auf die folgende Frage des Muslims: Warum verehrt ihr das Kreuz, wo doch Jesus das nicht geboten hat? Diese Frage impliziert folgendes Argument:

⁸⁷ Die Frage-Antwort-Form, welche in der islamischen Argumentationstheorie als alsuʾāl wa-l-jawāb bezeichnet wird, ist methodisch prägend für die Argumentationsführung des Radds, aber auch des argumentativen Kalāms. Diese Form findet als Quaestiones bei Thomas von Aquin eine Idealform. Zunächst wird durch die Quaestio die Frage bzw. das Problem formuliert. Ihr folgen die logischen Pro- und Kontra-Argumente. Schließlich kommt idealerweise die Auflösung des Problems (vgl. Grabmann, Methode Bd. 1, 116–143, hier insbesondere 140–143, und vgl. Schulthess, »Scholastik«). ⁸⁸ Griffith, »Disputing with Islam« 39. ⁸⁹ Im Text wird der arabische Gesprächspartner aus dem Umkreis des Gouverneurs Maslama beschrieben, welcher ein Sohn des umayyadischen Kalifen ʿAbd al-Malik ist und Gouverneur in Irak war. Barbara Roggema schließt daraus, dass die Disputation im Jahre 101/720 stattgefunden haben müsste. Sie fügt hinzu, dass mit Bēt Ḥālē zwei Klöster gemeint sein könnten, entweder das in Mosul, bekannt als Dayr al-Ṭīn, oder das in al-Ḥīra, auch bekannt als Dayr Mār ʿAbdā, und folgert daraus, dass die Disputation auch bereits 91/710 stattgefunden haben könnte, als Maslama Gouverneur in Mesopotamien war (vgl. Roggema, »Drāshā« 268–273). ⁹⁰ Reinink, »Bible« 58. ⁹¹ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25. ⁹² Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25. ⁹³ Vgl. Hoyland, Seeing Islam 45–49.

3.3. Radd in den ältesten Zeugnissen für christlich-muslimische Disputationen

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›Jesus hat das Verehren des Kreuzes nicht geboten. Ihr verehrt das Kreuz. Somit handelt ihr nicht nach dem Gebot Jesu.‹ Der Christ zieht bei seiner Antwort eine Analogie (tamthīl ⁹⁴) zwischen Jesus und Muḥammad sowie zwischen dem Gebot Jesu und dem Koran, indem er antwortet, dass auch Muḥammad nicht alle Gesetze im Koran erwähnt habe und Muslime sich dennoch an diese (nicht im Koran erwähnten, aber später von muslimischen Gelehrten aufgestellten) Gesetze hielten. Die Verehrung des Kreuzes und das Gesetz Jesu seien genauso, d. h. von Aposteln oder von Kirchenlehrern aufgestellt worden.⁹⁵ Die Disputation zieht einerseits die Offenbarung heran, um koran- oder bibelbasierte Argumente zu formulieren, andererseits aber auch offenbarungsunabhängige rationale Argumente, d. h. argumentative Äußerungen, die auf der menschlichen Vernunft basieren, die so explizit erwähnt und vom muslimischen Gesprächspartner als methodische Quelle akzeptiert wird;⁹⁶ eine Herangehensweise, welche sich für den späteren Radd als eine weitere zentrale Methodik erweisen wird.⁹⁷ Sowohl die Egartā d-Mār(y) wie auch die Bēt Ḥālē beinhalten, wenn auch nur ansatzweise, einige der ersten Argumente der Muslime zur Verteidigung der islamischen Lehre gegenüber dem in Orient etablierten Christentum. Diese Texte zeigen somit, dass die Muslime schon kurz nach dem Tod des Propheten und der Eroberung von weiten Gebieten, in denen Christen und Juden lebten, großes Interesse an theologischen Fragestellungen zur christlichen Lehre hatten. Entgegen der Annahme von Erdmann Fritsch war ihr Interesse also keineswegs nur wirtschaftlicher und politischer Natur,⁹⁸ sondern auch an der theologischargumentativen Begegnung ausgerichtet.

⁹⁴ Analogie i. S. v. tamthīl ist gegeben, wenn auf Basis einer Ähnlichkeit zwischen zwei Phänomenen eine Begründung konstruiert wird (vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 180). ⁹⁵ Vgl. Reinink, »Bible« 60. ⁹⁶ Vgl. Reinink, »Bible« 69. ⁹⁷ Es wird überliefert, dass in den Streitgesprächen (majlis) zwischen Muslimen und Christen sich die Christen darauf einigten, in der Argumentation der Muslime keine Belege aus dem Koran und dem Hadith zu akzeptieren (vgl. al-Ḥumaydī, Jadhwat al-Muqtabis 101–102). Das ist argumentationstheoretisch eine epistemische Voraussetzung eines Adäquatheitskriteriums (zum Begriff vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 45–48), dem zufolge eine erkenntnistheoretisch fundierte Überzeugung erst dann stattfindet, wenn der Opponent die Prämissen des Argumentierenden akzeptiert. Im Falle der Prämissen aus Koran und Hadith ist dies nicht gegeben, und diese Forderung der Christen ist argumentationstheoretisch als epistemisch aufzufassen. Die Verfasser der Radd-Schriften halten sich aus pragmatischen und erkenntnistheoretischen Gründen weitgehend an diese Regel, ist ihr Ziel doch das epistemische Überzeugen und nicht das rhetorische Überreden (zum Begriff vgl. Lumer, »Überreden«). In jedem Fall unterscheidet sich der Radd aus diesem Grund vom Kalām (der argumentativen Theologie) grundlegend darin, dass der Radd die koranbasierten Argumente weitgehend vernachlässigt, während diese im Kalām eine zentrale Instanz innerhalb der theologischen Erkenntnisquellen darstellen, sowohl im islamischen Recht (vgl. Hallaq, Legal Theories 3–7) wie auch im Kalām (vgl. Kılavuz, Kelam’a Giriş 101–109). ⁹⁸ Vgl. Fritsch, Islam und Christentum 1–3. Vgl. zudem Reinink, »Beginnings« 175.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel In den vorigen Abschnitten wurden Radd-Argumente zum Christentum aus dem Koran, aus dem Hadith und der Sīra sowie aus den ältesten Zeugnissen für interreligiöse Disputationen ausgemacht und an einigen Beispielen betrachtet. Sie enthalten zwar reiches apologetisches Material, können aber nicht systematisch als apologetische Gattung, d. h. als eigenständige Radd-Schriften angesehen werden. Nun sollen die systematischen apologetischen Texte – also die RaddSchriften im engeren Sinne – betrachtet und ihre Kritik an der christlichen Lehre skizziert werden. Systematisch sind diese apologetischen Werke deshalb, weil sie (anders als die bisher behandelten Texte) explizit für die argumentative Begegnung mit der christlichen Lehre verfasst wurden und eine logische Argumentationsstruktur aufweisen, die im Folgenden an ausgewählten Schlüsseltexten dargelegt wird. Als Teil des ältesten islamischen Radds ist uns beispielsweise das Werk des Abū ʿAmr Ḍirār ibn ʿAmr al-Ghaṭafānī al-Kūfī (gest. um 183/800) bekannt. Al-Ghaṭafānī al-Kūfī verfasste u. a. die Schrift Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, die zwar nicht überlebt hat bzw. verschollen ist, jedoch inhaltlich ein systematischer Radd zum Christentum gewesen sein dürfte.⁹⁹ Tatsächlich hat sich der islamische Radd im 9. Jahrhundert systematisiert und als Gattung durchgesetzt. In diesem Jahrhundert entstanden Texte von Shabīb al-Basṛī (gest. wahrscheinlich Ende des 8. bzw. Anfang des 9. Jahrhunderts),¹⁰⁰ al-Fuqaymī al-Jāḥiẓ (gest. 255/ 869), al-Ashʿath al-Sijistānī (gest. 275/889) oder Abū ʿĪsā Muḥammad al-Warrāq (gest. 250/864), um nur einige Autoren zu nennen, die für weitere Werke in folgenden Jahrhunderten von großer Bedeutung waren. Zu den ersten Verfassern von Radd-Schriften im 9. Jahrhundert, über die wir gut informiert sind, gehört Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn Sahl Rabban al-Ṭabarī, der 246/860 verstarb.¹⁰¹ ʿAlī al-Ṭabarī wirkte unter der Herrschaft des abbasidischen Kalifen al-Mutawakkil (reg. 232/847–247/861). In der Zeit al-Mutawakkils

⁹⁹ Siehe Thomas, »Kitāb al-radd« 533–534. ¹⁰⁰ Abū Bakr Muḥammad ibn ʿAbdallāh ibn Shabīb al-Basṛīs Schrift diente vor allem al-Māturīdī als Vorlage, die er für sein Kitāb al-tawḥīd als Quelle heranzog (vgl. van Ess, »Muḥammad b. ʿAbdallāh«). ¹⁰¹ Noch früher als der Radd des al-Ṭabarī war die Debatte im 8. Jahrhundert zwischen dem dritten Abbasidenkalifen al-Mahdī (reg. zwischen 775 und 785) und dem nestorianischen Patriarchen (zwischen 780 und 823) Timotheus, bei der sich Timotheus gegen muslimische Vorwürfe einer Verfälschtheit des Christentums wehrte. Der Text dazu stammt jedoch nicht aus der Feder muslimischer Apologeten, sondern von Timotheus. Al-Mahdī und Timotheus waren freundschaftlich verbunden, sodass al-Mahdī Timotheus den Auftrag gab, die Topik des Aristoteles ins Arabische zu übersetzen (vgl. Schupp, »Einleitung« 191). Auch dieses Beispiel zeigt, dass der Radd in dieser Zeit und noch lange Zeit danach im Mittelalter keinen feindlichen Unterton haben musste, sondern als eine wissenschaftliche Tätigkeit betrachtet wurde, deren Ziel die Wahrheitsfindung war.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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herrschte ein politisch angespanntes Verhältnis zwischen Christen und Muslimen, sodass es teilweise, im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, vermehrt zu intoleranten Handlungen gegenüber Christen kam. In dieser unruhigen Zeit entstand die Schrift ʿAlī al-Ṭabarīs mit dem Titel Kitāb al-dīn wa-l-dawla, welche eines der frühesten Beispiele für das Genre dalāʾil al-nubuwwa (»Beweise des Prophetentums«) ist.¹⁰² Es handelt sich jedoch nicht um eine Schmähschrift, wie man sie in solchen Zeiten erwarten würde,¹⁰³ sondern um eine Bekehrungsschrift. ʿAlī al-Ṭabarī war selbst, wie viele der späteren muslimischen Apologeten, ein Konvertit; er war zuvor ein gelehrter Christ nestorianischer Richtung gewesen.¹⁰⁴ Am Hofe al-Mutawakkils war er als Arzt und Schriftsteller tätig.¹⁰⁵ Es ist bemerkenswert, dass einer der ersten Autoren auf diesem Gebiet ein vom Christentum konvertierter Muslim war.¹⁰⁶ Die Beweggründe für die Konversion des ʿAlī al-Ṭabarī scheinen mit der vernunftkritischen Auseinandersetzung mit dem Christentum zusammenzuhängen;¹⁰⁷ schon der Emir ʿUmayr ibn Saʿd ibn ʿUbayd verlangte im Jahr 24/644 nach »vernünftige[n] Ausführungen«. Denn al-Ṭabarīs Religionsverständnis basiert auf einer argumentativen Auseinandersetzung in theologischen Fragen und seine Polemik ist stark argumentativ und logisch strukturiert.¹⁰⁸ Offenbar dienten die Argumente gegen das Christentum auch praktischen Missionszwecken. Zudem scheint es, dass die christlichen Konvertiten zum Islam, die selbst einen Radd verfassten, wie eben al-Ṭabarī, entweder (i.) durch den Islam ihr Religionsverständnis rationalisiert haben oder (ii.) durch ihren Versuch einer Rationalisierung der Religion zum

¹⁰² Thomas, »Kitāb al-dīn« 672–674. ¹⁰³ Ohnehin ist die Schmähschrift (auch Pamphlet) keineswegs eine Gattung, die nur gegen andere Religionen zum Einsatz kam, sie wurde durchaus auch in innerislamischen Diskussionen benutzt. Sie ist rein rhetorisch, schmähend und im erkenntnistheoretischen Sinne wenig argumentativ (zum Begriff vgl. van den Berg, »Pamphlet« 488–595). ¹⁰⁴ Fritsch, Islam und Christentum 7. ¹⁰⁵ Schumann, Christus 32. ¹⁰⁶ Nicht nur der Konvertit ʿAlī al-Ṭabarī setzte sich argumentativ mit dem Christentum auseinander, sondern beispielsweise auch Abū ʿAlī Yaḥyā ibn ʿĪsā ibn ʿAlī ibn Jazla, der um 1100 verstorben ist und einen Radd zum Christentum mit dem Titel Risāla fī al-radd ʿalā l-Naṣārā verfasste (vgl. Brockelmann/Witkam, GAL Bd. 1, 485 und vgl. Thomas, »Risāla fī l-radd« 153–154 sowie ders., »Ibn Jazla« 152–153). ¹⁰⁷ Larry Poston hat gezeigt, dass bei der Konversion zum Islam – stärker als bei der Konversion zu anderen Religionen – die langfristige intellektuelle Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie eine große Rolle spielt (Poston, Conversion 166–176). Demnach wäre es nicht verwunderlich, wenn der Konversion des ʿAlī al-Ṭabarī eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Islam und der Vergleich zwischen dem Islam und dem Christentum zugrunde liegen würden, auch wenn eine generelle These, dass alle Konversionen zum Islam eine rationale Grundlage haben, natürlich nicht haltbar wäre. Im Christentum und im Islam ist es üblich, Andersgläubige zum eigenen Glauben einzuladen. Diese Einladung des Opponenten kann durchaus durch einen argumentativen Radd erfolgen (zur wechselseitigen Wahrnehmung dieser Religionen vgl. Reinhard, »Wahrnehmung« 51–72). ¹⁰⁸ Vgl. ʿAlī al-Ṭabarī, Al-radd ʿalā l-Naṣārā.

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Islam konvertierten, in dem sie offenbar eine rationale (bzw. zumindest im Vergleich zum Christentum rationalere) Konfession gefunden zu haben glaubten.¹⁰⁹ Ein weiterer Beweggrund dafür, dass ausgerechnet ein Konvertit vom Christentum eine Absage an letzteres schrieb, könnte darin liegen, dass er seine Konversion vor seiner alten Glaubensgemeinschaft zu rechtfertigen versuchte und sie ebenfalls zum Islam einlud. Ein ähnliches Phänomen – und diese sind nur wenige Beispiele für die zahlreichen Konversionen zum Islam im Mittelalter¹¹⁰ – können wir auch bei ʿAbdallāh al-Tarjumān (gest. zwischen 827 und 833/1424 und 1430¹¹¹) beobachten, der ursprünglich als Christ den Namen Fray Anselmo Turmeda trug und einer der gelehrtesten Christen seiner Zeit gewesen sein soll. Nachdem er zum Islam konvertiert war, versuchte er in seinem Radd mit dem Titel Tuḥfat al-adīb fī al-radd ʿalā ahl al-ṣalīb (»Geschenk des literarisch Gebildeten zur Widerlegung der Anhänger des Kreuzes«) argumentativ nachzuweisen, dass die christlichen Religionsgesetze (wie Steinschneider den Begriff nawāmīs wiedergibt) nichtig seien, die Evangelien einander widersprächen (tanāquḍ) und die christliche Religion insgesamt dem Verstand widerspreche.¹¹² Al-Tarjumān konstruiert zu diesem Zweck zahlreiche Argumente.¹¹³ Ähnlich wie bei al-Ṭabarī wird auch bei al-Tarjumān deutlich, dass die Konversion zum Islam oft eng mit der argumentativen Kritik an der christlichen Religion verbunden ist. Interessant ist zudem, dass al-Tarjumān auch die Hadithliteratur heranzieht, was generell für den Radd, der sich an einen Christen als Opponenten wendet, unüblich ist.¹¹⁴ Dies könnte damit zusammenhängen, dass al-Tarjumān nicht nur seinen Opponenten überzeugen möchte, sondern dass er seiner ehemaligen Glaubensgemeinschaft zugleich zeigen will, welche Überzeugungskraft die islamische religiöse Literatur entfaltet – auch wenn dadurch die Adäquatheit seiner Argumente nicht mehr garantiert ist, weil seine christlichen Adressaten die Prämissen, die auf Hadithen basieren, wohl kaum akzeptieren werden. Bei seinen muslimischen Adressaten wäre dies jedoch der Fall, wenn man annimmt, dass sich seine Widerlegung des Christentums (auch) an Muslime richtet. Weniger bekannt, aber durchaus vorhanden sind auch Fälle, in denen ein Konvertit zum alten Glauben zurückkehrte und dem Islam argumentativ begegnete, wie etwa Bashīr, dessen Geschichte etwa im 9. Jahrhundert durch einen anonymen Autor im Ḥadīth Wāṣil al-Dimashqī aufgezeichnet wurde. Dieser Bashīr soll, nachdem er als Knabe zum Islam konvertiert war (bzw. zum Islam

¹⁰⁹ Vgl. zur Rolle der Rationalität bei der Konversion und zur Rolle der Konversion bei der Rationalisierung der Religion Davis, »Rationality«. ¹¹⁰ Vgl. dazu Bulliet, Conversion. ¹¹¹ Vgl. Monferrer Sala, »Fray Anselmo Turmeda«. ¹¹² Vgl. Steinschneider, Literatur 34–35. ¹¹³ Al-Tarjumān, Tuḥfat al-adīb fī al-radd ʿalā ahl al-ṣalīb 193–229, 405–430. ¹¹⁴ Vgl. Monferrer Sala, »Tuḥfat al-adīb« 328–329.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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konvertieren musste), später wieder zum Christentum übergetreten sein und floh nach Griechenland. Er diskutierte u. a. mit einem Wāṣil aus Damaskus, der im Kalām geschult war, als dieser mit weiteren Muslimen von den Griechen gefangengenommen wurde. Wāṣil konnte sich dabei durchsetzen, weshalb er freigelassen wurde und die Bischöfe wegen ihrer Schwäche im Argumentieren bestraft wurden.¹¹⁵ ʿAlī al-Ṭabarī verfasste neben dem Kitāb al-dīn wa-l-dawla noch ein weiteres Werk zum Christentum, das Al-radd ʿalā l-Naṣārā. Nach J. M. Gaudeul¹¹⁶ kann ihm nur diese Schrift mit Sicherheit zugeschrieben werden. Sie ist zwar nicht komplett erhalten geblieben, dennoch stellen ihre Reste den frühesten überlieferten Text dar, aus dem die Argumentation eines Konvertiten gegenüber seiner alten Religion rekonstruiert werden kann. ʿAlī al-Ṭabarīs Argumente bezeugen sein fundiertes Wissen über das Christentum. Die Schrift enthält Beispiele für eine Reihe von Argumenten, die in späteren Polemiken wieder auftauchen, und bezeugt die Kraft der Argumentation in der Mitte des 9. Jahrhunderts.¹¹⁷ Im Folgenden wird ein Argument aus dem Al-radd ʿalā l-Naṣārā in der englischen Übersetzung von J. M. Gaudeul¹¹⁸ vorgelegt: »[S1] We ask them: This Creed that all their confessions accept unanimously and which must be recited at every mass: [S1.1] Is it true from the beginning to the end? Is it completely false? Or is it partially true and partially false? [S2] If they say: partially true, partially false: they proclaim their faith to be false and deny it, [S2.1] because the falsity of a part entails the corruption of the whole. [S3] If they say: true through and through, [S3.1] we quote the opening, and we say: ›We believe only in the single God, the almighty Father, creator of the visible and invisible Universe‹: [S4] if it is true, then Christ is created, and sent, because he inevitably must be a part either of visible things, or of invisible things. [S5] No matter how, (whatever universe he belongs to) he is created and God is his creator, according to the Creed which says that God is creator of all that is visible and of all that is invisible. [S6] If somebody wants to take up an argument and say that another part of the same Creed teaches that Christ is also ›true God‹ and that he is ›creator of all things‹, [S7] the answer must be as follows: [S7.1] If the rest of the Creed is in agreement with its beginning, we return to what has been stated above. [S8] If the rest of the Creed contradicts its beginning, the Creed is corrupted, contradictory. [S9] And if the Creed is corrupted, the whole faith is corrupted as well since it is based on it. And those who believe in it are in the error.«

Gemäß J. M. Gaudeul begründet das obige Argument, das al-Ṭabarī vorlegt, die These, dass Jesus nicht Gott sei.¹¹⁹ Doch diese These ist nicht die einzige und nicht die wichtigste. Vielmehr ist das Argument einer der ersten Versuche, ein taḥrīf-Argument zu konstruieren. Das allgemeine taḥrīf-Argument ist das Basisargument der Muslime gegen die Bibel. Demnach ist die Bibel (sowohl das

¹¹⁵ Vgl. Steinschneider, Literatur 44; Thomas, »Ḥadīth Wāṣil al-Dimashqī« 863–865; Griffith, »Bashīr/Bēsḗr« 313–327. ¹¹⁶ Gaudeul, Encounters Bd. 1, 42. ¹¹⁷ Thomas, »Kitāb al-Radd« 533–534. ¹¹⁸ Gaudeul, Encounters Bd. 2, 147; vgl. auch ders., Riposte 9. Nummerierung der Sätze durch den Verfasser. ¹¹⁹ Vgl. Gaudeul, Encounters Bd. 2, 147.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Alte wie auch das Neue Testament) durch ihre Überlieferer verfälscht (taḥrīf ) worden¹²⁰ und nicht als Quelle für göttliche Offenbarung gültig.¹²¹ Al-Ṭabarī konstruiert hier ein ähnliches Argument, stellt allerdings statt der Bibel das christliche Glaubensbekenntnis¹²² ins Zentrum. Hierzu formuliert er implizit folgende Prämisse: Prämisse der Fehlerhaftigkeit des Glaubensbekenntnisses: Ein Glaubensbekenntnis ist (nur dann) wahr/glaubwürdig, wenn es keine falschen Glaubenssätze¹²³ enthält. [S1–S2.1] Al-Ṭabarī versucht in seiner Argumentation diverse Argumente vorzulegen, die beweisen sollen, dass christliche Glaubenssätze falsch sind. Dazu bedient er sich als einer der ersten Polemiker eines Arguments, welches das Frühstadium des taḥrīf-Arguments darstellt. Obwohl taḥrīf-Argumente in späteren Radd-Schriften hauptsächlich bibelkritische Argumente sind, enthält S1–S9 ein rational begründetes taḥrīf-Argument. Dadurch wird deutlich, dass das taḥrīf-Argument verschiedene Strategien haben kann. Αl-Ṭabarī legt verschiedene Prämissen dar, wie etwa S2.1: Wenn ein Teil eines Ganzen fehlerhaft ist, bedingt diese Situation auch die Möglichkeit der Verfälschung des Ganzen; denn ein Ganzes ist nur fehlerfrei, wenn alle seine Teile fehlerfrei sind. Oder die Prämisse des Glaubensbekenntnisses (vgl. S1–S2): Ein Glaubensbekenntnis kann wahr oder falsch oder teilweise wahr, teilweise falsch sein. Ein Glaubensbekenntnis ist aber nur dann glaubwürdig, wenn sich darin keinerlei Fehler finden. Wenn ein Glaubensbekenntnis falsch oder teilweise falsch ist, ist es somit nicht glaubwürdig. Al-Ṭabarī konstruiert sein hypothetisches Argument weiter wie folgt: Wenn angenommen wird, dass das christliche Glaubensbekenntnis komplett wahr ist, dann müsste jeder einzelne Satz darin wahr sein. Wenn – und das ist das Ziel des al-Ṭabarī – gezeigt werden könnte, dass wenigstens ein Glaubenssatz falsch ist, dann wäre damit immerhin bewiesen, dass die christliche Lehre nicht komplett wahr sein kann; vielmehr wären dann zumindest Teile derselben falsch bzw. widersprüchlich im Sinne des Widerspruchsprinzips.¹²⁴ Neben ʿAlī al-Ṭabarī war al-Qāsim ibn Ibrāhīm (gest. um 246/860), der nach den Quellen um 860 gestorben sein soll, einer der ersten Autoren des islamischen Radds, der zum Christentum geschrieben hat.¹²⁵ Al-Qāsim ibn

¹²⁰ Vgl. Lazarus-Yafeh, »Taḥrīf« 111–112. ¹²¹ Vgl. hierzu al-Qarāfī, Al-ajwiba 139, der die Evangelien als in religiösen Fragen unglaubwürdig ansieht, da sowohl ihr Inhalt als auch ihre Überlieferung problematisch sei. ¹²² Nach den Zitaten in S3.1 und S6 scheint es sich eine Variante des Nicäno-Konstantinopolitanums zu handeln. ¹²³ ›Glaubenssatz‹ wird hier im Sinne einer Aussage des Glaubensbekenntnisses bzw. der Dogmatik verwendet. Ein Glaubenssatz ist nur der Inhalt eines einzelnen Satzes; ein Glaubensbekenntnis ist die Menge aller (vom Bekennenden) akzeptierten Glaubenssätze. ¹²⁴ Vgl. hierzu das obige Argument des al-Ṭabarī zwischen S1 und S5. ¹²⁵ Madelung, »Al-Qāsim« 540–543. Zu den ersten Gelehrten, die einen Radd verfasst haben, zählt auch Abū ʿAmr Ḍirār ibn ʿAmr al-Ghaṭafānī al-Kūfī (gest. ca. 183/800; vgl.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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Ibrāhīm war ein zayditischer Schiit, gehörte also einer Glaubensrichtung an, welche ihre Wurzeln im 9. Jahrhundert im Jemen hat. Al-Qāsim war ein Imam dieser schiitischen Richtung, welche anfangs in mancher Hinsicht eine ähnliche Theologie wie die Muʿtazila verfolgte. Al-Qāsim hat sich jedoch auch von dem christlichen Theologen Abū Qurra beeinflussen lassen. Er sah den Bibeltext nicht notwendigerweise als verfälscht an (taḥrīf al-naṣṣ bzw. taḥrīf al-lafẓ), sondern war vielmehr der Ansicht, dass Christen den Text falsch interpretierten (taḥrīf al-maʿnā).¹²⁶ Zudem geht al-Qāsim ibn Ibrāhīm von dem Gedanken aus, dass sich die Ordnung der Welt nur als das Werk eines einzigen Schöpfers erklären lasse; ein Gedankengang, welcher von al-Naẓẓām (gest. zwischen 220/ 835 und 230/845) entwickelt worden war. Mit dieser Idee versucht al-Qāsim ibn Ibrāhīm die Trinitätslehre zu widerlegen.¹²⁷ Doch al-Qāsim ibn Ibrāhīm kritisierte nicht nur die Schriftauslegung der Christen, sondern auch die religiöse Stellung der Priester und Mönche und konstruierte hierzu eigens ein Argument in seinem Buch Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, das die älteste bekannte Radd-Schrift nach dem Muster des Kalāms zur christlichen Lehre bildet.¹²⁸ Da al-Qāsim ibn Ibrāhīm ein zayditischer Schiit war, hat dieses Buch im sunnitischen Islam, zu dem sich die Mehrheit der Gelehrten und der Gelehrsamkeit bekannte, kaum Beachtung gefunden.¹²⁹ Das Buch behandelt komplexe Fragen der christlichen Theologie, so etwa die Frage nach der Trinität und die Uneinigkeit der Christen über die Vereinigung von Gott und Mensch in Christus.¹³⁰ Dass al-Qāsim ibn Ibrāhīm, der in Ägypten das Thomas, »Ḍirār ibn ʿAmr« 371–374), der zwei Radd-Schriften verfasst hat. Diese trugen die Titel Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā und Kitāb yaḥtawī ʿalā ʿashara kutub fī al-radd ʿalā ahl al-milal. Beide Schriften sind verloren. Jedoch geben schon die Titel beider Werke einen Hinweis darauf, dass es sich um systematische Abhandlungen gehandelt haben dürfte, denn sie sind als Buch (kitāb) betitelt und nicht etwa Briefe oder dergleichen gewesen. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, könnten diese Texte einen starken argumentationshistorischen Einfluss auf die folgenden Arbeiten gehabt haben. Zudem könnten beide Schriften zu den ersten muslimischen theologischen Werken gegen das Christentum zählen und sind schon aus diesem Grund erwähnenswert. ¹²⁶ Siehe Nickel, Tampering 22. Al-Ṭūfī führt vier mögliche Gründe für die Veränderung der Bibel an, die von Demiri wie folgt zusammengefasst werden: »1) Eigensinn und Fanatismus, 2) sinngemäße Überlieferung, 3) fehlerhafte Übersetzung und 4) falsche Auslegungen« (Demiri, »Taḥrīf« 39). Vor allem die Punkte 2 und 4, die al-Ṭūfī zufolge zu falschen Interpretationen führen, werden im Radd thematisiert. Auf Übersetzungsfehler wird zwar hingewiesen, doch oftmals werden keine Übersetzungen in den relevanten Sprachen einander gegenübergestellt. Oft waren muslimische Polemiker selbst nicht in der Lage, die linguistische Entwicklung der Bibel einzuschätzen und zu bewerten. Sie begnügten sich daher damit, in denjenigen Fällen, in denen der biblische Inhalt der koranischen Interpretation widersprach, auf eine eventuelle falsche Übersetzung hinzuweisen. ¹²⁷ Vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 207. ¹²⁸ Derzeit liegen zwei Editionen seines Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā vor: die von Di Matteo (1921–23) sowie jene von Imām Ḥanafī ʿAbdallāh (2000; siehe Literaturverzeichnis). ¹²⁹ Vgl. Madelung, »Kitāb al-radd« 542–543. ¹³⁰ Vgl. al-Qāsim ibn Ibrāhīm, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Christentum studierte,¹³¹ fundiert über das Christentum schreiben konnte und die inneren Diskussionen in der christlichen Religion gut kannte, bezeugt die relativ guten Kenntnisse der Muslime im 9. Jahrhundert über das Christentum. Das oben erwähnte und im Folgenden zitierte Argument über die Priester und Mönche zeigt zudem, dass sich die muslimischen Gelehrten keineswegs nur theoretisch mit dem Christentum beschäftigt haben, sondern auch die praktische Religiosität kritisch beobachteten: »[…] Und deren Priester, mit einigen Ausnahmen, und ihre Diakone werden von deren Starken und Schwachen ernährt [sc. versorgt] […]«.¹³²

Einer der späteren Autoren des 9. Jahrhunderts und Zeitgenosse des al-Qāsim ibn Ibrāhīm, dessen Werke zum Christentum erhalten geblieben sind, ist Abū ʿĪsā Muḥammad ibn Hārūn ibn Muḥammad al-Warrāq, der um 250/864 gestorben sein dürfte.¹³³ Er schrieb fünf Werke zum Christentum mit folgenden Titeln: Kitāb maqālāt al-nās wa-ikhtilāfihim (»Die Lehren der Menschen und die Unterschiede zwischen ihnen«), Al-radd ʿalā l-thalāth firaq min al-Naṣārā (»Die Widerlegung der drei christlichen Sekten«, längere Fassung), Al-radd ʿalā l-thalāth firaq min al-Naṣārā (gleicher Titel, mittlere Fassung), Al-radd ʿalā l-thalāth firaq min al-Naṣārā sowie Al-Naqḍ ʿalā man uḍīfa ilā al-Yaʿqūbiyya … wa-ʿalā bāqī ṣunūf al-Naṣārā (»Die Ungültigkeit derer, die zu den Jakobiten gehören … und von anderen christlichen Gruppen«), wovon uns lediglich die längere Version des Al-radd ʿalā l-thalāth firaq min al-Naṣārā erhalten geblieben ist. Diese Schrift ist zum einen eine Kritik an der christlichen Trinitätslehre und zum anderen an der Lehre von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und in dieser Form und mit diesem Inhalt einer der ersten systematischen argumentativen Radd-Texte.¹³⁴ Der vielfach missverstandene Bagdader al-Warrāq schrieb neben intrareligiösen Schriften auch zahlreiche interreligiöse Abhandlungen, wie die genannten Texte zum Christentum. Al-Warrāq hatte offenbar großes Interesse an verschiedenen Religionen und studierte diese nicht nur zur apologetischen Zwecken, sondern auch um diese kennenzulernen.¹³⁵ Es scheint zudem, dass al-Warrāq teilweise Schwierigkeiten hatte, sich deutlich vom Gedankengut anderer Glaubenssysteme zu distanzieren, denn er wird in den frühen islamischen Quellen

¹³¹ Vgl. Madelung, »Kitāb al-radd« 542–543. ¹³² Vgl. al-Qāsim ibn Ibrāhīm, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā 320–321. ¹³³ Thomas, »Al-Warrāq« 695–701. ¹³⁴ Thomas hat beide Teile in zwei Ausgaben mit den Titeln Early Muslim polemic against Christianity. Abū ʿĪsā al-Warrāq’s ›Against the Trinity‹ (Thomas, Against the Trinity) und Early Muslim polemic against Christianity. Abū ʿĪsā al-Warrāq’s ›Against the Incarnation‹ (Thomas, Against the Incarnation) ediert und übersetzt. ¹³⁵ Die islamisch-apologetische Literatur ist nicht nur ein Versuch, den Opponenten von der eigenen Lehre zu überzeugen, sie hat auch die Funktion, die Angehörigen der eigenen religiösen Glaubensrichtung über die andere Religion aufzuklären (vgl. dazu Thomas, »Dialogue« 98).

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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als Häretiker, Muʿtazilīt, Murjiʾa, Dualist, Schiit und Manichäer dargestellt.¹³⁶ Womöglich wollte al-Warrāq sich auch gar nicht distanzieren oder sich einer vorformulierten Lehre zuordnen. Er war ein eigenständiger Denker und suchte die Wahrheit selbstständig auf argumentative Weise zu ergründen. Dass er eine Neigung zum Schiismus hatte und sicherlich muʿtazilītischem Einfluss unterlag,¹³⁷ scheint gesichert; doch die restlichen Zuschreibungen sind zweifelhaft.¹³⁸ Sicher scheint jedoch, dass al-Warrāq eine breite Rezeption seines Gedankenguts zulässt. In Abū ʿĪsā al-Warrāqs Texten zum Christentum kann man verallgemeinert drei Argumentationsstrategien erkennen, welche zugleich seine Radd-Methode deutlich machen. Al-Warrāq wendet in seinen Argumenten gegen die Trinität und gegen die Inkarnation dieselben Strategien an. Seine erste Argumentationsstrategie versucht zum einen die Inkonsistenz einer doktrinären Aussage (oder einer klaren Implikation einer solchen Aussage) in sich selbst zu zeigen, zum anderen, dass sich diese Aussage kontradiktorisch zu einer allgemeingültigen christlichen Lehre verhalte. Seine zweite und dritte Argumentationsstrategie werden von Thomas wie folgt beschrieben, mit der Bemerkung, dass letztere al-Warrāqs häufigste Argumentationsstrategie gegen die Inkarnation sei: »The second kind of argument is very similar to this, though it brings the discussion to the point where it threatens to contravene plain, generally admitted logic. An example occurs in Abū ʿĪsā’s examination of the metaphorical explanation of the relationship between the human and divine as the Word appearing to creation through the human, though without indwelling or mingling with the human body of the Messiah. If this means that the Word did this by control over the Messiah’s body, he retorts, then since God’s control extends throughout creation, the Word must have united with prophets, other humans, animals, plants and even inanimate matter. This is why, he finally observes, it contains fallacy and faultiness all through it. There is no need for Abū ʿĪsā to pursue this argument to its conclusion because

¹³⁶ Zu den frühen Quellen siehe Thomas, Against the Incarnation 21–22. ¹³⁷ Neben Abū ʿĪsā al-Warrāq waren auch Muʿtazilīten wie etwa al-Nāshiʾ al-Akbar, angetrieben von ihrer argumentativen Methode der Disputation und Dialektik, aktiv im Verfassen von Radd-Schriften zur christlichen Lehre. Al-Nāshiʾ al-Akbar, der um 293/906 in Bagdad starb, war ein Muʿtazilīt und gilt als ein weiterer Autor, der am Anfang des 10. Jahrhunderts mit Radd-Schriften wirkte. Seine Werke haben allerdings nicht überlebt. Doch ein koptischer Gelehrter namens al-Ṣafī Abū al-Faḍāʾil Mājid ibn al-ʿAssāl, der wahrscheinlich zwischen 650/1253 und 673/1275 in Kairo gestorben ist, hat Teile seiner Polemik tradiert. Obwohl nicht ganz sicher gesagt werden kann, inwieweit al-ʿAssāl an der Schrift Änderungen vorgenommen hat (vgl. Thomas, Christian Doctrines 19), wird dennoch die Tendenz seiner Polemik und Argumente deutlich. Zudem ist die Bearbeitung al-ʿAssāls auch deshalb von Bedeutung, weil man an diesem Beispiel erkennen kann, wie und in welchem Zusammenhang der christliche Adressat (in diesem Fall al-ʿAssāl) die muslimische Polemik und die muslimischen Argumente strukturiert und auffasst. Al-Nāshiʾ al-Akbar stellt eine ausführliche Liste der christlichen Gruppierungen und ihrer theologischen Lehren samt ihrer Unterschiede zusammen (zu dieser Liste siehe Thomas, Christian Doctrines 43–59). Argumentativ interessanter ist der Teil nach dem deskriptiven Abschnitt, in dem al-Nāshiʾ al-Akbar versucht, Argumente gegen christliche Lehren aufzustellen. ¹³⁸ Thomas, Against the Incarnation 22.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

he has shown graphically that the metaphor cannot safeguard the distinction between the divine uniting specifically with the Messiah and with any other entity in creation. Those with reasonable minds will see the logical weakness without his having to prove it. Appeals to agreed forms of logic that both Christians and Muslims might readily be expected to acknowledge are less frequent in this part of the Radd than in the earlier arguments against the Trinity, though this is largely explained by the nature of the subjects under scrutiny. For while in his attack on the Trinity Abū ʿĪsā often appeals to shared theological principles about the nature of God in himself, here in his attacks upon the notion of God uniting with a human and becoming implicated in a creaturely life he can appeal to the more straightforward distinction between the human and divine. This is his third main kind of argument, and it is understandably the most common employed by Abu Isa against the Incarnation.«¹³⁹

Al-Warrāq versucht in seinen Argumentationen ein und dieselbe Konklusion mehrfach durch unterschiedliche Argumentationsstrategien zu belegen. Neben dem Vernunftbeweis zieht er den Schriftbeweis heran; seine Absicht hinter dieser mehrfachen Strategie ist, zu zeigen, dass die Aussagen der Christen aus mehreren Perspektiven ungültig sind, sowohl aus Sicht des ʿaql (der Vernunft) wie auch des naql (der Überlieferung). An dieser Stelle soll ein Argument al-Warrāqs aus seiner Kritik an der Menschwerdung Gottes in Christus herangezogen werden, um die erste der oben genannten drei Argumentationsstrategien al-Warrāqs beispielhaft zu demonstrieren. Zunächst die Übersetzung des Arguments ins Deutsche: »Sage denen allen Folgendes: Berichtet uns über die Vereinigung des Wortes mit dem Menschen, der sich mit ihm [sc. dem Wort] vereint hat. War es eine Handlung des Wortes ohne den Vater und ohne den Geist? Oder war es eine (gemeinsame) Handlung der drei Hypostasen? Wenn sie behaupten, dass die Vereinigung eine (gemeinsame) Handlung der drei Hypostasen war, dann sagen wir: Warum war es (dann) eine Vereinigung des Wortes ohne den Vater und ohne den Geist? Und warum war (dann) das Wort das Vereinte und nicht etwa die anderen, obwohl es [sc. das Wort] (doch) keinen Anteil an der Handlung der Vereinigung hatte, den sie nicht auch gehabt hätten? Und wenn sie behaupten, dass die Vereinigung eine Handlung des Wortes war ohne den Vater und ohne den Geist, so bestätigen sie für den Sohn eine Handlung, welche anders ist als die Handlung des Vaters und die Handlung des Geistes. Und sie vereinzeln ihn bei der Durchführung einer Handlung, welche der Vater und der Geist nicht taten. Aber wenn es einem von ihnen möglich wäre, alleine ohne die anderen zu handeln, dann wäre das für jede der beiden anderen Hypostasen (auch) möglich. Und wenn das möglich ist, ist es für jeden von ihnen alleine möglich, die Welt ohne seine beiden Begleiter zu kontrollieren und ein Geschöpf ohne seine beiden Begleiter zu erschaffen. Dies ist (jedoch) eine Abkehr von ihren Lehren.«¹⁴⁰

¹³⁹ Thomas, Against the Incarnation 67. ¹⁴⁰ Eigene Übersetzung ins Deutsche aus dem Arabischen nach der Edition von Thomas (Against the Incarnation 96). Die Aussage »Dies ist (jedoch) eine Abkehr von ihren Lehren« ist argumentationsstrategisch bedeutsam: Sie betont, dass die beschriebene und kritisierte Lehre den eigenen Lehren der Christen widerspricht und nicht nur der Vernunft. Vgl. hierzu auch die auf den vorigen Seiten beschriebenen Argumentationsstrategien al-Warrāqs.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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Al-Warrāq legt im Rahmen des interpretativen taṣnīf (etwa: ›Disjunktion‹¹⁴¹) folgende Interpretationsmöglichkeiten dafür vor, wie die »Vereinigung des Wortes mit dem Menschen« in Christus zustande kam: Entweder war es eine Handlung des Wortes (als Hypostase)¹⁴² ohne die Beteiligung des Vaters und des Geistes (als Hypostasen), oder es war eine gemeinsame Handlung aller drei Hypostasen. Es gibt keine weitere sinnvolle Interpretationsmöglichkeit. Wenn die Vereinigung eine Handlung der Hypostase Wort war, ohne Einwirkung der Hypostasen Vater oder Geist, dann impliziert dies, dass der Sohn unabhängig und anders handelt als die anderen Hypostasen. Dazu zieht al-Warrāq folgende Prämisse heran: Wenn eine Hypostase anders handelt als die restlichen Hypostasen, dann ist es möglich, dass die restlichen Hypostasen ebenfalls unabhängig von den anderen handeln können. Das Argument kann daher folgendermaßen rekonstruiert werden: P1: P2:

Wenn eine Hypostase unabhängig von anderen Hypostasen handeln kann, dann können alle Hypostasen unabhängig handeln. Die Hypostase Wort handelt unabhängig.

K1: eP3: eP4:

Alle Hypostasen können unabhängig handeln. (aus P1, P2) Hypostasen sind göttlich. Alles Göttliche kann etwas erschaffen.

K2:

Alle Hypostasen können unabhängig von anderen Hypostasen etwas erschaffen. (aus K1, eP3, eP4)

Stimmt die Implikation P1, dann resultiert daraus, dass jede dieser (göttlichen) Hypostasen unabhängig von den anderen etwas erschaffen könnte. Dies scheint jedoch eine Kontradiktion zur christlichen Lehre von der Einheit der Hypostasen zu sein, wenn weiter angenommen wird, dass dadurch etwa der Weg zum Erschaffen von Gegensätzlichem durch zwei erschaffende Hypostasen geebnet wird; das würde dann – zumindest aus islamischer Sicht – der Logik und der theologischen Lehre von der Einsheit Gottes eklatant widersprechen. Wie schon an einigen Beispielen deutlich wurde, werden außer in RaddTexten auch in systematischen Kalām-Werken nichtislamische Religionen apologetisch und argumentativ behandelt. Als Beispiel für diese Gattung soll das wichtige Werk Kitāb al-tawḥīd des al-Māturīdī (gest. 333/944) dienen, der für das Glaubenssystem des sunnitischen Islams grundlegend ist und im 10. Jahrhundert im Rahmen seines Kalāms das Christentum diskutiert hat.¹⁴³ Ein typischer Argumentationstext daraus lautet in der Übersetzung von Thomas:

¹⁴¹ Zum Konzept des taṣnīf vgl. hier Abschnitt 9.4. ¹⁴² Das ›Wort‹ (Logos) steht für den Sohn. ¹⁴³ Ein weiterer Autor des 10. Jahrhunderts ist Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn al-Ḥusayn alMasʿūdī, der 344/956 in Kairo starb (Thomas, »Al-Masʿūdī« 359–360). Noch vor Kurzem galt sein Werk Maqālāt fī uṣūl al-diyānāt als verloren. Durch meine Recherchen habe ich ein Manuskript in Istanbul entdeckt und dies dem Editor der CMR-Reihe mitgeteilt. Für einen aktuellen Eintrag zu al-Masʿūdī siehe die Online-Version der CMR.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

»1. [S1.1] The Christians are divided over Christ, [S1.2] for there are those among them who attribute two spirits to him, [S1.3] one of them temporal, the spirit of humanity which is like the spirits of people, [S1.4] and an eternal divine spirit, [S1.5] a part of God, [S1.6] and this came into the body. [S2.1] Others make the spirit which was in Christ God and not a part, [S2.2] although a small group of them make in the body as it were a thing within a thing, [S2.3] and a small group control, without the body encompassing it. [S3] Among them are those who say: A part from God almighty combined with it and also another part. [S4] Ibn Shabīb said: I heard one of their associates say that he was son by adoption and not son by begetting, just as the wives of Muhammad, peace be upon him, are called mothers, and as a man says to another, ›My little son‹. 2. [S5] The Master, may God have mercy on him, said, Say to them: [S6] Since the spirit that was in him is eternal and is a portion, how did it become Son and the other portions did not? [S7] If it is said: Because it is lesser; [S8.1] he has to make all the portions of the universe sons to those that are bigger than them, [S8.2] and he has to make every portion from what remains the same, so that he will be entirely sons. [S9.1] Further, it is well-known that a son is younger than a father, [S9.2] so how can they both be eternal? [S10.1] And if the whole is regarded as being in the body, [S10.2] say to him: [S10.3] Which thing in it is the Son? [S11.1] And if he says: The whole; [S11.2] he has made the whole Son and Father, [S11.3] in this making the Father a son to himself. 3. [S12] If it is said: It was a part of him without there being any diminution in the wholeness of the original, like the part taken from the light; [S13.1] respond along the lines that [S13.2] if the part that was taken originated, as happens in the case of what is taken from the light, [S13.3] then his teaching about the eternity of the spirit, which is the Son, is disproved. [S14.1] And if he claims that it was communicated from God like that which is taken, [S14.2] the foregoing applies to him. [S15] Furthermore, how does he know that what is taken from the light will not disappear? [S16] If it is said: Such is our observation of it; [S17.1] say: [S17.2] Maybe God brought it into being, or it is like the fire in the stone which comes out. [S18.1] Whichever of these, it is temporal and the temporal is created, [S18.2] so how can it justifiably be Son?«¹⁴⁴

Der Text besteht in den Sätzen S1–S10 aus Teilargumentationen; diese haben die Funktion zu zeigen, dass die christliche Christologie widersprüchlich ist. Am Anfang stellt al-Māturīdī Widersprüche in der christlichen Christologie fest. Al-Māturīdī möchte damit zeigen, dass zumindest Teile der Christologie falsch sind; denn er geht von der Prämisse aus, dass eine göttlich legitimierte Theologie fehlerfrei zu sein hat – sind offensichtliche Fehler festzustellen, dann ist sie nicht göttlich. Dieser Gedankengang wurde schon im 9. Jahrhundert, also sehr früh, von al-Ṭabarī in seinem taḥrīf-Argument entwickelt.¹⁴⁵

¹⁴⁴ Zitiert nach Thomas, Christian Doctrines 97–101; die in eckigen Klammern eingefügte Gliederung stammt (wie immer) vom Verfasser dieser Studie. ¹⁴⁵ Zu den weiteren späteren Radd-Schriften, die sich speziell der These einer Verfälschung der Evangelien (taḥrīf ) widmen, zählt etwa jene von Ibn al-Durayhim (gest. ca. 761–762/1360–1361) mit dem Titel Taʿrīf al-tabdīl fī taḥrīf al-Injīl (»Andeutung über die Substitution von der Fälschung des Evangeliums«), wobei dieser Text verschollen ist (vgl. Yarbrough, »Taʿrīf al-tabdīl« 140), oder der Radd des Ibn Ḥazm mit dem Titel Iẓhār tabdīl al-Yahūd wa-l-Naṣārā li al-Tawrāt wa-l-Injīl (»Aufdeckung der Veränderungen, die Juden und Christen an der Tora und am Evangelium vornahmen«), der einen Abschnitt seines Werkes Al-fiṣal fī al-milal wa-l-ahwāʾ wa-l-niḥal bildet. Steinschneider gibt in diesem Fall an, William

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Al-Māturīdī zieht folgendes Widerspruchsprinzip heran, um seine Argumentation zu konstruieren: Wenn sich mehrere Propositionen widersprechen (aus ihnen kann die Negation einer dieser Propositionen abgeleitet werden oder eine klar falsche Proposition), können nicht alle diese Propositionen wahr sein; wenigstens eine ist falsch. Vermutlich ist aber mehr intendiert: Zu den Prämissen, aus denen der Widerspruch abgeleitet wird, gehören immer auch christologische Thesen; häufig sind die zusätzlichen Prämissen trivial oder weniger problematisch als diese christologischen Thesen; wenn al-Māturīdī diese weiteren Prämissen als wahr und für den Leser akzeptabel annimmt, dann wären seine Argumentationen als Widerlegungen der christologischen Thesen intendiert, von denen sie ausgehen. Man sollte daher seine Argumentationen, wenn möglich, in dieser stärkeren Form interpretieren. Im Folgenden kann aus dieser Argumentationsfülle nur ein Argument rekonstruiert werden,¹⁴⁶ in dem al-Māturīdī versucht, die These non-S2.1 zu beweisen. Al-Māturīdī verwendet keinen klassischen Argumentationsindikator,¹⁴⁷ aber seine Formulierung »(dann) sage ihnen« (S5) übernimmt diese Funktion; auch S10.2 ist ein Argumentationsindikator, der klarmacht, dass S11 das Argument ist. Das Argument zur These non-S2.1 ist deduktiv,¹⁴⁸ weil es sich um eine Reductio ad absurdum¹⁴⁹ (qiyās al-ʿaks¹⁵⁰) handelt, und kann wie folgt rekonstruiert werden. Dabei dienen die den Christen zugeschriebenen Aussagen als Hypothesen und nicht als normale Prämissen, weil sie vom Argumentierenden (al-Māturīdī) nicht als wahr akzeptiert werden.¹⁵¹ McGuckin de Slane zitierend, dass es sich um den ersten überhaupt je geschriebenen Traktat zu diesem Thema handele. Bemerkenswert ist an diesem Text außerdem, dass er ausdrücklich zwischen taḥrīf und taʾwīl unterscheidet, wobei letzteres nicht auf die Verfälschung, sondern auf die Umdeutung eines Textes hinweist (vgl. Steinschneider, Literatur 22–23). ¹⁴⁶ Für eine ausführlichere Analyse vgl. Lumer/Ince, »Islamic Theological Arguments«. ¹⁴⁷ Nach Lumer gibt der Argumentationsindikator an, dass die ganze Folge von Sätzen eine Argumentation bildet und welche Aussagen die Thesen, welche die Prämissen sind. Somit spielt der Argumentationsindikator eine zentrale Rolle in der Argumentationsanalyse, denn durch ihn wird die Struktur der Argumentation deutlicher (vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 62–64). ¹⁴⁸ Das Argument ist gültig, denn Lemma: S10.1, S10.3–S11.1, E10.1, E10.3, E11.1 ⇒ S11.3, E11.2 ⇒ ¬ S11.3 (deduktiv gültig); 1. starke Interpretation: (S10.1, S10.3–S11.1, E10.1, E10.3, E11.1 ⇒ S11.3), ¬ S11.3, S10.3–S11.1, E10.1, E10.3, E11.1 ⇒ ¬ S10.1 (deduktiv gültig); 2. schwächere Interpretation: (S10.1, S10.3–S11.1, E10.1, E10.3, E11.1 ⇒ S11.3), ¬ S11.3, E10.1, E10.3 ⇒ ¬ S10.1 ∨ ¬ S10.3–S11.1 ∨ ¬ E11.1 (deduktiv gültig). ¹⁴⁹ Dass eine Reductio ad absurdum zunächst einmal nur eine Konjunktion von Prämissen widerlegt, aber noch nicht die spezielle Prämisse, auf die es der Argumentierende abgesehen hat, wird häufig übersehen. Für al-Māturīdīs Ziele ist das aber letztlich ausreichend. Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 189–190. ¹⁵⁰ Für die Verwendung des qiyās al-ʿaks als Reductio ad absurdum vgl. Hallaq, »Juridical Dialectic« 200. ¹⁵¹ Die Bewertung des Arguments folgt den Kriterien Lumers, Praktische Argumentationstheorie 187–189.

96 H1: H2: eP3: eP4: eP5: H6: eP7:

Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Das Ganze Gottes ist im Körper Christi. (S10.1) Der ganze Körper Christi ist Gottes Sohn (= im Körper Christi ist nicht noch mehr enthalten als Gottes Sohn). (S10.3–S11.1) Mereologisches Prinzip: Wenn x in y enthalten ist und y nicht mehr enthält als x, dann sind x und y identisch. (E10.1) Das Ganze Gottes und der Gottessohn (im Körper Christi) sind identisch. (E10.2) Gottvater (= der Gott) ist (= ist identisch mit) das Ganze Gottes. (E10.3) Das Ganze Gottes ist identisch mit Gottvater und mit Gott dem Sohn. (S11.2) Angenommen: Gott der Sohn ist der Sohn von Gottvater. (E11.1)

K1: eP8:

Gottvater ist der Sohn von Gottvater. (S11.3) Analytisches Prinzip: Nichts kann Sohn seiner selbst sein (= es ist unmöglich, dass es ein x gibt, sodass x Sohn von x ist). (E11.2)

K2:

Da sich K1 und eP8 widersprechen, muss, wenn eP8 wahr ist, mindestens eine der Hypothesen, aus denen K1 hergeleitet wurde, falsch sein. (K1, eP8)

H1, H2 und eP7 sind Annahmen der christlichen Christologie, die al-Māturīdī ablehnt. Er nimmt sie nur hypothetisch als wahr an, um aus den absurden Konsequenzen zu beweisen, dass sie nicht wahr sein können.¹⁵² Das Ergebnis der hypothetischen Argumentation, K1, widerspricht eP8, und weil beide Theologien eP8 als wahr akzeptieren würden, ist damit ein Widerspruch aufgezeigt. Mindestens eine der Hypothesen, aus denen K1 hergeleitet wurde, muss dementsprechend falsch sein. Je nachdem, wie man dieses Argument interpretiert, bedeutet es daher entweder einen Hinweis auf einen Widerspruch oder – stärker interpretiert – eine Modus-Tollens-Argumentation gegen die Konjunktion der christlichen Annahmen. Die Argumentation ist bei al-Māturīdī nicht ganz ausgeführt, sondern nur skizziert. Die rekonstruierte vollständige Argumentation ist der Form nach hypothetisch. Sie beginnt mit christlichen Hypothesen und leitet aus diesen sowie aus als sicher geltenden Zusatzprämissen Falsches ab, sodass die Hypothesen zurückgewiesen werden können. Das kann man in der gerade beschriebenen Form darstellen; da es sich bei den Hypothesen nicht um der Norm entsprechende Prämissen handelt, weil sie vom Argumentierenden nicht als wahr akzeptiert werden, müssen sie auch als Hypothesen gekennzeichnet werden (deshalb wurden sie hier mit H statt mit P abgekürzt). Man kann dieses Argument aber auch mit Prämissen in Form von Implikationen darstellen und als Argumentationsform den Modus Tollens verwenden. Hierzu könnte folgende Rekonstruktion verwendet werden, bei der die den Christen zugeschriebenen Aussagen mit Prämissen in Form von Implikationen dargestellt werden.

¹⁵² Vgl. für eine detaillierte Analyse dieses Arguments Lumer/Ince, »Islamic Theological Arguments«.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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eP3:

Mereologisches Prinzip: Wenn x in y enthalten ist und y nicht mehr enthält als x, dann sind x und y identisch. (E10.1)

Lemma 1:

eP10:

S10.1 ∧ S11.1 → eP9: Der ganze Körper Christi ist Gottes Sohn und ist identisch mit Gott (= wenn der ganze Gott im Körper Christi ist und diesen Körper vollständig einnimmt, dann ist der Körper Christi identisch mit Gott). Der Körper Christi ist identisch mit Gottes Sohn.

Lemma 2:

eP10 ∧ S10.1 ∧ S11.1 → S11.2 ∧ eP9 ∧ eP10

Lemma 3: eP8:

eP10 ∧ S10.1 ∧ S11.1 → S11.3 Analytisches Prinzip: Nichts kann Sohn seiner selbst sein (= es ist unmöglich, dass es ein x gibt, sodass x Sohn von x ist). (E11.2)

K:

¬ (eP8 ∧ S10.1 ∧ S11.1)

So kann man resümieren, dass al-Māturīdī zeigt, dass mindestens eine dieser christlichen bzw. den Christen zugeschriebenen Hypothesen falsch sein muss. Neben al-Māturīdī war ein anderer einflussreicher Theologe (mutakallim, wörtlich ›jemand, der dialektisch argumentiert‹¹⁵³) und Apologet des 10. Jahrhunderts der Muʿtazilit ʿAbd al-Jabbār ibn Aḥmad al-Hamadhānī.¹⁵⁴ In seiner Zeit herrschte großes Interesse an Rationalität und die Christen, die sich mit der Philosophie auskannten, genossen großes Ansehen, sodass viele von ihnen hohe Posten im Staatsapparat erhielten.¹⁵⁵ Die Disputation mit Christen über die Theologie war für die Muslime sicherlich lehrreich, um die neue rationale Theologie für das eigene Denksystem einzuüben. In dieser diskussionsfreudigen Atmosphäre entstanden auch die vier Werke,¹⁵⁶ in denen ʿAbd al-Jabbār das Christentum behandelt,¹⁵⁷ allerdings in unterschiedlicher Ausführlichkeit. Vor allem in seinem Werk Al-mughnī, in dem er seine muʿtazilītische Theologie systematisch wiedergibt und sich grundsätzlich auf muʿtazilītische Gelehrte beruft,¹⁵⁸ legt ʿAbd al-Jabbār interessante Argumente zum Christentum nieder. Auch sein Tathbīt beinhaltet einschlägige argumentative Diskussionen zu christlichen Lehren.¹⁵⁹ Da das Tathbīt (verfasst ca. 385/995) nach dem Al-mughnī (verfasst ca. 360/970–380/990) geschrieben wurde,¹⁶⁰ wird im Folgenden exemplarisch die zeitlich spätere Schrift herangezogen.

¹⁵³ Vgl. van Ess, »Mutakallimūn« 1625. ¹⁵⁴ Für eine kurze Einführung in Biographie, Werke, Methode und Doktrin des ʿAbd al-Jabbār vgl. Heemskerk, »ʿAbd al-Jabbār«. ¹⁵⁵ Busse, Chalif und Grosskönig 451–479. ¹⁵⁶ Diese sind mit vollem Titel: (i) Al-mughnī fī abwāb al-tawḥīd wa-l-ʿadl, (ii) Tathbīt dalāʾil al-nubuwwa, (iii) Sharḥ al-uṣūl al-khamsa und (iv) Al-muḥīṭ bi-l-taklīf (vgl. Reynolds, »ʿAbd al-Jabbār« 597–610). ¹⁵⁷ Vgl. Reynolds, »ʿAbd al-Jabbār« 594–597. ¹⁵⁸ Reynolds, »Al-mughnī« 597–600. ¹⁵⁹ Vgl. Reynolds, Sectarian Milieu 80–83. ¹⁶⁰ Vgl. Reynolds, »Tathbīt« 604–608 und ders., »Al-mughnī« 597–600.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Im Folgenden wird auf die Argumentation des ʿAbd al-Jabbār ausführlicher eingegangen, weil ʿAbd al-Jabbār ein wichtiger Repräsentant der islamischen systematischen Theologie sowie des Radds und der Erkenntnislehre ist. Zudem soll an seinem Beispiel die methodische Herangehensweise der vorliegenden Untersuchung verdeutlicht werden. Dazu ist einführend zum Argumentationstext Folgendes zu sagen: ʿAbd al-Jabbār präsentiert im Tathbīt eine Argumentation in einem besonderen Genre, in dem der Autor üblicherweise nicht ein Argument gegen die christliche Lehre konstruiert, sondern vielmehr ein Argument, um ein Argument der Christen abzuwehren; er geht somit apologetisch vor. Doch das eigentlich Besondere liegt darin, dass die christliche These keinen direkten Angriff auf die islamische Lehre bildet, sondern wiederum ihrerseits eine Selbstverteidigung der eigenen Lehre darstellt, die sich auf muslimische Quellen beruft, in diesem Fall auf den Koran. Dass das christliche Argument islamische Quellen heranzieht und diese christlich interpretiert, bewegte muslimische Polemiker und Apologeten wie eben ʿAbd al-Jabbār dazu, den Koran und die islamische Lehre zu verteidigen. Es geht also um die argumentative Verteidigung der eigenen Interpretation des Korans gegenüber der christlichen. Dieses Beispiel zeigt, wie komplex die Argumentativität in diesem argumentativen Diskurs sein kann. Ein solches Argument, das ʿAbd al-Jabbār in seine Argumentation einbaut, richtet sich gegen den bekannten Einwand von christlicher Seite, im Koran sei die Gottheit Jesu erwähnt und bestätigt wurden.¹⁶¹ ʿAbd al-Jabbār konstruiert ein Argument gegen diese Behauptung, indem er eine exegetische Argumentationsform heranzieht, in der eine Diskussion über die metaphorische Deutung der Begriffe ›Gottes Wort‹, ›Gottes Geist‹ und ›Sohn‹ stattfindet. Diese Strategie ist für ihn auch unausweichlich; es handelt sich nämlich darum, wie die koranischen Begriffe ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ zu verstehen sind und welche exegetischen Schlüsse daraus gezogen werden dürfen. Die christliche These, Jesus sei Gottes Sohn, beruft sich auf den Koranvers 4:171, in dem Jesus als Gottes Wort dargestellt wird: »Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist (nicht Gottes Sohn. Er ist) nur der Gesandte Gottes und sein Wort (kalima), das er der Maria entboten hat, und Geist (rūḥ min-hu) von ihm.«¹⁶²

Christliche Polemiker sahen in der koranischen Bezeichnung kalimat Allāh (›Gottes Wort‹) häufig einen Beleg für die Trinität, wie beispielsweise Johannes von Damaskus (gest. erste Hälfte des 8. Jh.¹⁶³), der die These vertrat, im Koran

¹⁶¹ Christliche Versuche, die Gottheit Jesu oder die Wahrheit der christlichen Lehre ausgehend vom Koran zu belegen, haben muslimische Autoren stets als Einladung zu einer argumentativen Antwort empfunden. So wird später als ʿAbd al-Jabbār auch al-Qarāfī die Schrift eines Christen, der im Koran Beweise für die christliche Lehre zu finden versuchte, als Anregung zu seiner apologetischen Schrift Al-ajwiba al-fākhira verstehen (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 266). ¹⁶² Koran 4:171, nach der Übersetzung von Paret. ¹⁶³ Vgl. Pahlitzsch, »Peter of Damascus« 290–292.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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werde unter anderem durch diesen Vers die Trinitätslehre bestätigt.¹⁶⁴ Gegen diese generelle Behauptung, die auch von späteren christlichen Theologen wie etwa Nikolaus von Kues¹⁶⁵ (gest. 1464) formuliert wurde, konstruiert ʿAbd al-Jabbār folgendes Argument: »[S1.1] If it is said, ›Since it is right in your view that God almighty says that Christ is his word and spirit, [S1.2] then why will you not allow him to say that he is his Son in the Gospel?‹, [S2.1] say to him, [S2.2] Our master Abū ʿAlī¹⁶⁶ said, ›The intention in his describing Jesus as word of God is that people would be guided by him as they are guided by a word. [S3] And the meaning of our saying that he is the spirit of God is that people will be given life by him in their faith as they are given life by their spirits which are in their bodies.‹ [S4] This is comprehensive, and it compares him with a word which is a sign, and the spirit upon which a living being among us depends. [S5.1] It is like a word through which is guidance being called light and healing, [S5.2] because truth is known through it just as the way is known through light, [S5.3] and because deliverance in religion is provided through it just like healing through a remedy. [S6] And if a word can be used metaphorically out of its context, it does not follow that another can be used metaphorically without evidence. [S7] And thus we do not say that Jesus was Son of God by analogy with our saying that he was a spirit and word of God. [S8.1] In a similar way it is said that Gabriel is a spirit, though it is not said that he is the son, [S8.2] and there is no difference between one of us who seeks to use the term ›son‹ for him because we describe him as spirit, [S8.3] and our claim that he should be called God’s father or brother by analogy with this. [S9] For general meanings are not literally appropriate to God, [S10] and neither are those instances in which a man is metaphorically called someone else’s son, as we have mentioned above, appropriate to God almighty. [S11] So the claim that this is so collapses.«¹⁶⁷

Die Argumentation des ʿAbd al-Jabbār beginnt mit dem Argumentationsindikator »Sage zu ihm« (S2.1), der besagt ›man antworte auf diesen christlichen Einwand wie folgt‹. Dies ist zwar kein klassischer Indikator im Sinne der modernen Argumentationstheorie. In klassischen islamisch-theologischen Texten sind Formulierungen wie ›sage zu denen Folgendes‹, ›antworte denen wie folgt‹ u. ä. jedoch häufige Indikatoren, welche den Beginn der Argumentation kennzeichnen und oft eine Form des hypothetischen Satzgefüges darstellen.¹⁶⁸ Somit

¹⁶⁴ Zu seinem Argument vgl. Johannes von Damaskus, Liber de haeresibus Kap. 100, in ders./Theodor Abū Qurra, Schriften zum Islam 79. ¹⁶⁵ Vgl. Tolan, »Nicholas of Cusa« 421–428. Nikolaus von Kues argumentiert in seinem Werk Cribratio Alchorani ähnlich und behauptet zudem, dass Muḥammad den Koran als nestorianischer Christ verfasst habe und der Islam lediglich eine Irrlehre sei, die vom Credo der Nestorianer beeinflusst sei (vgl. Nikolaus von Kues, Cribratio Alchorani Kapitel II, 15, Nr. 11–12). ¹⁶⁶ Hier ist Abū ʿAlī al-Jubbāʾī (gest. 303/916) gemeint, ein anderer Polemiker am Anfang des 10. Jahrhunderts, der 915 in Baṣra starb. Abū ʿAlī al-Jubbāʾī schrieb einen radd ʿalā l-Naṣārā, der jedoch nicht überlebte, und auch der originale Titel des Werkes ist nicht genau bekannt. Wir wissen nur aus ʿAbd al-Jabbārs Tathbīt, dass Abū ʿAlī al-Jubbāʾī einen Radd über die christliche Lehre schrieb (vgl. Thomas, »Radd ʿalā l-Naṣārā« 138–140). Im argumentativen Text ʿAbd al-Jabbārs wird aber darauf hingewiesen, dass dessen Werke ihm zugänglich waren und ihn beeinflussten und dass er Abū ʿAlī al-Jubbāʾī zitierte. ¹⁶⁷ Zitiert nach Thomas, Christian Doctrines 297–299. ¹⁶⁸ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

gibt der Argumentationsindikator an, dass das Folgende eine Argumentation ist, und bezeichnet ggf. auch, welche Aussagen die Prämissen und welche die These(n) sind. Der Text besteht aus einer christlichen These (daʿwā), impliziten Argumenten zu dieser These sowie aus einer Fülle von Teilargumenten. Die Argumente ʿAbd al-Jabbārs haben die Funktion, zu zeigen, dass die These der Christen falsch ist, weil deren Interpretation Ic¹⁶⁹ von Z¹⁷⁰ falsch ist. Der Text beginnt mit einem hypothetischen Satzgefüge, das als Konditionalsatz formuliert ist. Das »Wenn es gesagt wird« (fa-in qīla) ist die Protasis (der Vordersatz) mit dem Konditionalpartikel in (›wenn‹), während »[dann] sage zu ihm« (qīla lahu) die Apodosis (jawāb al-sharṭ) ist. In diesem hypothetischen Satzgefüge wird die christliche These in indirekter Rede dargestellt. Zum einen gibt dies zu erkennen, dass die These gar nicht de facto von einem christlichen Opponenten vertreten werden muss, sondern (i) zunächst ein hypothetisches und inszeniertes Gedankenspiel des Autors sein kann; zum anderen kann es (ii) ein Hinweis darauf sein, dass diese hypothetische These ein Teil eines taṣnīf (Disjunktion, Fallunterscheidung) ist und der Autor damit versucht, alle möglichen Aussagen und Einwände zu einer These zu erfassen und zu widerlegen. Die erste Möglichkeit wäre wenig vorteilhaft; der Argumentierende würde dann hypothetisch ein Argument konstruieren und anschließend widerlegen, das von seinem Opponenten wahrscheinlich ohnehin nicht vertreten wird. Die zweite Möglichkeit hingegen wäre argumentationsstrategisch vorteilhaft: Der Argumentierende listet alle möglichen Einwände und Thesen des Opponenten auf und versucht, sie zu widerlegen; wenn keine Einwände mehr möglich sind, hätte er damit den Opponenten dazu gezwungen, seine These fallen zu lassen und ggf. seine eigene These zu bestätigen; zumindest aber hätte er gezeigt, dass die These des Opponenten zweifelhaft ist. Das ist das Idealbild hinter dieser Argumentationsstrategie, und dieses hypothetische Satzgefüge ist eine verbreitete Argumentationstechnik der islamischen Argumentationstheorie.¹⁷¹ Die These Tc des christlichen Arguments und die Gliederung der Argumentation ʿAbd al-Jabbārs Die These (daʿwā) Tc¹⁷² kann gemäß einer starken oder einer schwachen Lesart verstanden werden. Gemäß der starken Lesart besagt Tc, dass Christus Gottes Sohn ist; dies wird durch die metaphorische Interpretation des Korans (d. h. von Z) begründet. Diese starke Lesart wird in S1.1–S1.2 dargestellt: Im Koran wird bei korrekter Interpretation von Z die Gottessohnschaft und Göttlichkeit

¹⁶⁹ Ic: christliche Interpretation von Z. ¹⁷⁰ Z: Koranzitat, das die christliche These begründen soll: ›Christ is his [God’s] word and spirit‹ (›Christus [d. h. Jesus] ist (Gottes) Wort und Geist‹, ‫ – ﺇﻧﻪ ﻛﻠﻤﺘﻪ ﻭﺭﻭﺣﻪ‬vgl. S1.1). ¹⁷¹ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25. ¹⁷² Tc: christliche These: ›He [Christ] is his [God’s] Son in the Gospel‹ (›Er [d. h. Christus] ist sein [d. h. Gottes] Sohn im Evangelium‹, ‫ – ﺇﻧﻪ ﺍﺑﻨﻪ ﻓﻲ ﺍﻹﻧﺠﻴﻞ‬vgl. S1.2).

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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Christi anerkannt. These Tc wird durch die Interpretation Ic des Koranzitats Z begründet, welche den koranischen Begriff ›Wort‹ als Metapher für die Gottessohnschaft Jesu erklärt. Diese metaphorische Bedeutung zu verneinen ist die Hauptaufgabe ʿAbd al-Jabbārs. Eine weitere Lesart von Tc kann als ›Es ist legitim¹⁷³, dass Jesus in den Evangelien als Gottes Sohn bezeichnet wird‹¹⁷⁴ formuliert werden und beruht auf der Prämisse ›Wenn Jesus im Koran als Gottes Wort und Geist bezeichnet wird (vgl. Z), dann ist es legitim, dass er in den Evangelien als Gottes Sohn bezeichnet wird (vgl. S1.1–S1.2)‹. Diese These leitet sich aus der von der christlichen Position her gestellten Frage S1.1–S1.2 ab und ist in Tc in Form einer Implikation formuliert.¹⁷⁵ Das Argument zur Begründung der These Tc kann in Form eines Modus Ponens (qiyās al-istithnā’ī, formalisiert A → B, A ⇒ B) wie folgt rekonstruiert werden: P1:

P2: K1:

Wenn Jesus im Koran als Gottes Wort und Geist bezeichnet wird, dann ist es legitim, dass er in den Evangelien als Gottes Sohn bezeichnet wird. [A → B] Jesus wird im Koran (in Z) als Gottes Wort und Geist bezeichnet. [A] Es ist legitim, dass Jesus in den Evangelien als Gottes Sohn bezeichnet wird. [B]

Ein weiteres christliches Argument, welches das obige Argument implizit unterstützt, kann wie folgt aus einer schwachen Interpretation rekonstruiert werden: P3: P4:

Wenn mit ›Gottes Wort‹ im Koran Gottes Sohn gemeint ist, dann ist Gottes Wort identisch mit Gottes Sohn. Im Koran (in Z) ist mit ›Gottes Wort‹ Gottes Sohn gemeint.

K2:

Gottes Wort und Gottes Sohn sind identisch.

Die erste Prämisse (P1) des ersten den Christen zugeschriebenen Arguments stellt eine Beziehung zwischen Gottes Wort und Gottes Sohn her: Wenn Jesus als Gottes Wort bezeichnet werden kann, dann kann er auch als Gottes Sohn bezeichnet werden. Nun klingt diese Prämisse geradezu absurd (khilāfī). Es ist jedoch zweifelhaft, ob ʿAbd al-Jabbār mit S1.1–S1.2 dies meint. Eine alternative Rekonstruktion hilft hier weiter (dabei steht ›Ic‹ weiterhin für die den Christen zugeschriebene Interpretation des Koranzitates und ›Tc‹ für die den Christen zugeschriebene These):

¹⁷³ Im Sinne von ›korrekt‹ bzw. ›begründet‹. ¹⁷⁴ Diese These wäre sogar stärker als die ›starke‹ These, weil sie die ›starke‹ These impliziert und zusätzlich besagt, dass Jesus in der Bibel als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet wird. ¹⁷⁵ Sehr oft beginnen Argumentationen mit einer These des Opponenten, welche in Form einer Frage dargestellt wird. Diese Form ist eine weitere Variante der Frage-AntwortSituation (vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25).

102 P5:

Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

P7:

Christus ist Gottes Wort und Geist [sagt der Koran und wenn es richtig ist, was Gott sagt, dann ist das Gesagte wahr]. (aus S1.1) Im Koran ist mit ›Gottes Wort und Geist‹ Gottes Sohn gemeint. (Alternativ: Gottes Wort und Geist ist identisch mit Gottes Sohn; ›Gottes Wort und Geist‹ ist eine Metapher für Gottes Sohn.) Extensionalitätsprinzip: ∀Φ∀x∀y[Φ(x) ∧ (x = y) → Φ(y)]

Tc:

Christus ist Gottes Sohn (sagt der Koran).

Ic:

Allerdings ist die den Christen zugeschriebene Koran-Interpretation Ic ziemlich implausibel. Mit S1.2 ist vielmehr eine schwächere Prämisse gemeint: Wenn im Koran schon zugestanden wird, dass Jesus Gottes Wort und Geist ist, dann ist das nahe an dem, was die Christen sagen: Jesus ist göttlich. Aber damit erhält man nicht die Metapher-Argumentation, die ʿAbd al-Jabbār kritisiert. Die Frage ist an dieser Stelle auch, ob ʿAbd al-Jabbār absichtlich der christlichen Position diese Prämisse unterstellt, um sie daraufhin argumentativ leicht widerlegen zu können, oder ob von der christlichen Position her betrachtet mit dieser Beziehung zwischen ›Wort‹ und ›Sohn‹ etwas anderes impliziert wird. Sicherlich kommt es ʿAbd al-Jabbār nur gelegen, wenn der Opponent eine logisch beziehungslose Aussage vertritt, doch es scheint so, als wolle die christliche Position damit sagen: ›Wenn Jesus als ›Wort‹ bezeichnet werden kann, und wenn diese Bezeichnung bei euch Muslimen nicht absurd ist; dann dürfte die Bezeichnung Jesu als ›Sohn‹ euch auch nicht absurd erscheinen. Warum soll die Bezeichnung ›Sohn‹ absurder sein als die Bezeichnung ›Wort‹?‹ Dies wäre eine einleuchtende Argumentation; die Kritik des Christen ist somit berechtigt und ihre Absurdität entkräftet. Es geht dem Christen nicht in erster Linie darum, zeigen zu wollen, dass Jesus Gottes Sohn ist, weil im Koran Jesus als ›Wort‹ bezeichnet wird, er stellt vielmehr ein fiktives und hypothetisches Argument auf: ›Wenn ihr Muslime die Zuschreibung ›Wort‹ an Jesus nicht als absurd betrachtet, so dürft ihr auch die Zuschreibung der Sohnschaft nicht als absurd betrachten; somit dürft ihr uns nicht kritisieren, wenn ihr euch nicht selbst widersprechen wollt.‹ Diese Lesart erscheint legitim, wenn man beachtet, dass die christliche These die Formulierung »dann ist es legitim (jawwaztum)« (S1.1) benutzt und damit offenbar ausdrücken will, dass die Bezeichnung Jesu als Gottes Sohn legitim ist, wenn seine Bezeichnung als Gottes Wort auch von Muslimen als legitim betrachtet wird.¹⁷⁶ Möglicherweise zieht ʿAbd al-Jabbār hier eine christliche These heran, die er selbst missverstanden hat. Diese schwache Interpretation

¹⁷⁶ Weniger unproblematisch ist die Prämisse P2. Die Wahrheit der Zuschreibung dieser Prämisse an Muslime ist dem Koran zu entnehmen, der Jesus als Gottes Wort bezeichnet (vgl. Koran 4:171). Die Argumentation ʿAbd al-Jabbārs soll zeigen, dass diese Koranstelle keinesfalls so gedeutet werden darf, wie die Christen es tun, die aus diesem Vers ableiten wollen, dass im Koran die göttliche Natur Jesu und somit die Trinität bestätigt werde. Aus dieser Perspektive ist P2 diejenige Prämisse, die ʿAbd al-Jabbār hermeneutisch so zu deuten versucht, dass sie das Argument des christlichen Opponenten nicht stützt und nicht belegt.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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ist jedoch stark von Ergänzungsprämissen abhängig, zudem kommt die starke Interpretation dem Wortlaut des Argumentationstextes näher, weil ihre Rekonstruktion weniger Ergänzungsprämissen benötigt und das wesentliche Prinzip der metaphorischen Interpretation von Z im Zentrum steht. Eine Entscheidung zwischen einer starken und einer schwachen Interpretation ist im Sinne der Intention des Autors zu treffen, wie es Lumer vorschlägt.¹⁷⁷ Für die weitere Analyse wird deshalb die starke Lesart von Tc herangezogen, also die These ›Jesus ist Gottes Sohn‹.¹⁷⁸ Die Argumentation ʿAbd al-Jabbārs gegen die starke Lesart von Tc strukturiert sich in vier Argumente, alle richten sich gegen die Interpretation Ic von Z. Dabei liegt den Argumenten der Ansatz einer metaphorischen Interpretation von Z zugrunde, es geht darum, die Wahrheit von Iₘ¹⁷⁹ und damit die Falschheit von Ic argumentativ zu begründen. Im ersten Argument definiert ʿAbd al-Jabbār, dass eine metaphorische Bedeutung erst dann vorliegt, wenn ein Hinweis (dalāla) auf diese Bedeutung gegeben ist (S6). Dieser Hinweis fehle jedoch bei Z, sodass Ic nicht wahr sein könne.¹⁸⁰ In S7 gibt ʿAbd al-Jabbār an, dass aus Z nicht per Analogie (qiyās) Ic folge. Das zweite Argument besagt, dass im Koran analog auch von Gabriel gesagt wird, er sei Geist, obwohl nicht gesagt wird, er sei (zugleich) auch der Sohn (vgl. S8.1). Damit legt ʿAbd al-Jabbār ein Gegenbeispiel gegen eine generelle metaphorische Deutung von ›Geist‹ als ›Sohn‹ vor. Dabei übersieht ʿAbd al-Jabbār allerdings, dass von Gabriel nicht gesagt wird, dass er Gottes Geist sei, sondern nur, dass er Geist sei. Somit liegt kein gültiger Vergleich vor und das Gegenbeispiel ist ungültig. Das dritte Argument (S8.1–8.2) ist eine Umkehrung des ersten. Es besagt, dass die metaphorische Deutung Ic beliebig sei: Die Gleichsetzung zwischen Geist und Sohn sei unbegründet, da nach derselben Methode der Gleichsetzung auch ein weiterer Begriff wie z. B. ›Bruder‹ hinzukommen könne, ohne dass der Opponent (der Christ) dies zurückweisen könne, denn die Gleichsetzung mit ›Bruder‹ sei genauso unbegründet und beliebig wie die Gleichsetzung

¹⁷⁷ Für die Analyse von schwachen Interpretationen von Argumenten legt Lumer Kriterien vor, die für das Beachten der Intention des Autors wesentlich sind und beachtet werden müssen (vgl. Lumer, »Interpreting Arguments«). ¹⁷⁸ An dieser Stelle ist allerdings Vorsicht geboten. Es geht um ʿAbd al-Jabbārs Darstellung der christlichen Argumentation, und wenn man dabei den Christen zu starke Prämissen und Thesen unterstellt, wird aus der Argumentation leicht ein bloßes Strohmann-Argument (engl. ›straw man fallacy‹). Es bleibt in jedem Fall unklar, welche Argumentation ʿAbd al-Jabbār den Christen unterstellt. Nach dem, was er nachher schreibt, müsste es so etwas sein wie: ›Wenn die Metapher ›Jesus ist Gottes Wort‹ korrekt ist, dann ist (etwa per Analogie) auch die Metapher ›Jesus ist Gottes Sohn‹ korrekt.‹ Aber diese Interpretation scheitert daran, dass die Christen ›Jesus ist Gottes Sohn‹ ja gar nicht als Metapher auffassen. Eventuell hat ʿAbd al-Jabbār also tatsächlich ein bloßes Strohmann-Argument konstruiert, vielleicht ohne dass ihm das bewusst war. ¹⁷⁹ Iₘ steht für die muslimische Interpretation von Z. ¹⁸⁰ An dieser Stelle ist freilich unklar, ob die Christen diese Aussage so überhaupt vertreten. Zumindest ʿAbd al-Jabbārs nimmt dies aber offenbar an.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

von ›Geist‹ mit ›Sohn‹. Das vierte Argument soll die Absurdität der Aussage ›Christus ist Gottes Sohn‹ zeigen. ʿAbd al-Jabbār definiert, dass allgemeine Bedeutungen niemals wörtlich/wirklich auf Gott angewandt werden können. Somit treffe die Bezeichnung ›Sohn‹ nicht wörtlich/wirklich auf Gott bzw. Christus zu (vgl. S9–S10¹⁸¹). ʿAbd al-Jabbār setzt in seiner Argumentation eine Prämisse über die Metapherninterpretation voraus: PM (Prämisse Metapherninterpretation): Iₘ ist nur dann eine intendierte metaphorische Bedeutung einer Textstelle Zₙ, (i) wenn in Zₙ Hinweise auf den Inhalt von Iₘ vorkommen oder (ii) wenn Zₙ eine übliche Metapher für Iₘ benutzt. Diese Prämisse soll natürlich auch für Ic und Z gelten, die ʿAbd al-Jabbār anhand der Bedingungen (i) und (ii) prüft. Die Argumente 1 und 3 versuchen zu zeigen, dass Ic die Bedingung (i) aus PM nicht erfüllt; Argument 2 versucht zu zeigen, dass Ic die Bedingung (ii) nicht erfüllt. Im Folgenden wird beispielhaft das erste Argument, das zugleich das Hauptargument ist und dieselbe These hat wie die anderen Argumente, feinkörniger, d. h. auf seine formale Struktur hin analysiert.¹⁸² Dieses Argument richtet sich gegen Tc bzw. Ic, die als falsch erwiesen werden sollen, und kann wie folgt rekonstruiert werden (GWuG steht dabei für den Begriff ›Gottes Wort und Geist‹, GSohn für den Begriff ›Gottes Sohn‹):¹⁸³ Tc: Ic von Z besagt, dass GWuG GSohn intendiert. PM(i) : Eine Intendierung einer metaphorischen Bedeutung liegt nur dann vor, wenn ein Hinweis auf diese Intendierung vorhanden ist. (Alternative Formulierung: Eine metaphorische Bedeutung ist nur dann intendiert, wenn ein Hinweis auf solch eine Intention vorliegt.) eP5: Es liegt kein Hinweis für eine Intendierung von GWuG zu GSohn vor. K3:

GWuG intendiert nicht GSohn , daher ¬Tc.

Diese Rekonstruktion eines formal gültigen Arguments ist eine erste und einfache Darstellung, sie zeigt, auf welche Prämissen das Argument aufbaut. Zentral für die Erfüllung der Bedingung (i) von PM ist Prämisse eP5, die besagt, dass kein Hinweis für eine Intendierung von GWuG zu GSohn vorliegt. Die Wahrheit dieser Prämisse ist die zentrale Annahme, von der die Schlüssigkeit des gesamten Arguments abhängt. Wie kann nun ʿAbd al-Jabbār begründen, dass die Aussage GWuG , welche durch Z begründet ist, nicht die Aussage GSohn intendiert?

¹⁸¹ Dabei ist S10 die Verneinung von Tc und S9 eine theoretische Begründung für diese Verneinung. ¹⁸² Zumal das dritte Argument nur eine Umkehrung des ersten Arguments ist. ¹⁸³ Die folgende Rekonstruktion ist dabei nur eine Möglichkeit unter anderen, um darzustellen, wie ʿAbd al-Jabbār das Argument versteht.

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ʿAbd al-Jabbār benutzt einen interpretativen Ansatz, indem er die Beziehung zwischen Wort und Geist zu Gott beschreibt und diese rationalisiert, ihre semantische Absurdität annimmt und angibt, keine solche Beziehung zwischen Gott und Sohn finden zu können. Er vertritt demnach die These, dass ein Begriff zwar metaphorisch außerhalb seines eigentlichen Kontextes mit einer anderen Bedeutung benutzt werden kann (vgl. S6); allerdings muss hierfür ein Hinweis vorliegen, den ʿAbd al-Jabbār für Iₘ in einer semantischen Ähnlichkeit findet: Jesus sei Gottes Wort, weil er wie ein Wort die Menschen führt und die Wahrheit vermittelt, wie es eben das Wort Gottes tut (S2.2, S5.1–5.3). Wie ʿAbd alJabbār die Beziehung zwischen Gottes Wort und Jesus als Führer metaphorisch interpretiert und einen Hinweis auf diese Beziehung gibt, so verlangt er von seinem Opponenten auch einen Hinweis auf die Beziehung zwischen den Bezeichnungen von Jesus als ›Gottes Wort‹ und als ›Sohn (Gottes)‹. Er nimmt an, dass kein (semantischer) Hinweis auf eine solche Beziehung vorliegt (eP5), und begründet damit PM(i) aus seinem oben rekonstruierten Argument. Somit erhebt ʿAbd al-Jabbār den Anspruch, gezeigt zu haben, dass Bedingung (i) von PM durch Ic nicht erfüllt wird, Tc also falsch ist. Alternative Analyse der Argumentation Eine von einer schwachen Interpretation abgeleitete alternative Rekonstruktion der Argumentation, welche sich hermeneutisch gestaltet, kann wie folgt analysiert werden: ʿAbd al-Jabbār greift die Implikation des christlichen Arguments an, es sei legitim, dass Jesus in den Evangelien als Gottes Sohn bezeichnet wird, wenn Jesus im Koran als Gottes Wort und Geist bezeichnet wird (oben Tc). Seine im Folgenden rekonstruierte – formal gültige – Argumentation baut auf eine Plausibilitätsbeziehung auf: P1.1:

P1.2: K1.1:

Nur wenn die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹ implizieren würde, wäre es für die Bibel legitim, Jesus als ›Gottes Sohn‹ zu bezeichnen. (Wegen dem Wort ›nur‹ ist dies äquivalent zu der Formulierung: ›Wenn es für die Bibel legitim ist, Jesus als Gottes Sohn zu bezeichnen, dann impliziert die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹.‹) Die Bezeichnungen ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ implizieren die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹ nicht. Für die Bibel ist es nicht legitim, Jesus als ›Gottes Sohn‹ zu bezeichnen. (Modus Tollens: P1.1, P1.2)

Um deutlicher zu machen, dass es hier um eine Plausibilitätsbeziehung geht, kann diese Argumentation auch wie folgt formuliert werden: P1.1’: Nur wenn die Proposition ›Jesus ist Gottes Wort‹ und die Proposition ›Jesus ist Gottes Geist‹ die Proposition ›Jesus ist Gottes Sohn‹ plausibel machen würden, wäre es für die Bibel plausibel, die Proposition ›Jesus ist Gottes Sohn‹ zu verwenden. P1.2’: Die Proposition ›Jesus ist Gottes Wort‹ und die Proposition ›Jesus ist Gottes Geist‹ machen die Proposition ›Jesus ist Gottes Sohn‹ nicht plausibel. K1.1’: Für die Bibel ist es nicht plausibel, die Proposition ›Jesus ist Gottes Sohn‹ zu verwenden. (Modus Tollens: P1.1’, P1.2’)

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Die erste Prämisse (P1.1 bzw. P1.1’) in Form einer Implikation (sharṭiyya muttaṣila) des rekonstruierten Arguments in der Form eines Modus Tollens (qiyās al-istithnā’ī ¹⁸⁴) baut auf die christliche These auf und führt somit eine negative Beweisführung an. ʿAbd al-Jabbār nimmt die komplexe hermeneutische Herausforderung an, P1.2 zu belegen, und führt weitere Subargumente ein, um diese zentrale Prämisse seiner Argumentation zu stützen. Er formuliert eine Prämisse für sein Subargument für die These P1.2. Diese begründet folgende semantische Überlegung: Wenn ein Begriff metaphorisch für ein anderes Konzept verwendet wird, dann folgt daraus nicht, dass der Begriff ohne Beleg auch auf andere Konzepte übertragen werden kann (vgl. S6). Mithilfe dieser materiellen Prämisse mit der Funktion einer Schlussregel kann das Subargument wie folgt rekonstruiert werden, dabei soll K1.2 die Prämisse P1.2 aus der oben angeführten Argumentation begründen: P1.3:

P1.4: K1.2:

Wenn Jesus metaphorisch als ›Gottes Geist‹ bezeichnet wird, dann folgt daraus nicht, dass er ohne einen zusätzlichen Beleg auch als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet werden kann. (S6–S7). Jesus wird metaphorisch als ›Gottes Geist‹ bezeichnet. (S2.2) Es folgt nicht, dass Jesus ohne einen zusätzlichen Beleg auch als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet werden kann. (Modus Tollens: P1.3, P1.4)

Methodische Überlegungen zur Bewertung der Argumentationen ʿAbd al-Jabbārs Um eine Argumentation bewerten zu können, muss stets auch die Frage nach ihrer Funktion gestellt werden. Ist sie rhetorisch, konsensualistisch oder erkenntnistheoretisch ausgerichtet? Die hypothetische und logische Struktur der Argumentation und die formal gültige Form der Argumente ʿAbd al-Jabbārs geben einen Hinweis darauf, dass sie erkenntnistheoretisch orientiert sein könnten. Die erkenntnistheoretische Analyse evaluiert eine Argumentation mit bestimmten Kriterien, die erfüllt werden müssen, und gibt anschließend die Möglichkeit, zu entscheiden, ob es sich bei einer Argumentation um eine erkenntnistheoretisch ausgerichtete handelt. Dazu werden von Lumer folgende Analyseschritte empfohlen, die an dieser Stelle nur stark verkürzt dargestellt werden können und im Folgenden angewandt werden: 1. Das Erkenntnisprinzip der Argumentation und Bedingungen des Erkenntnisprinzips feststellen. 2. Logische Struktur der Argumentation und Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips für die Wahrheit der These prüfen. 3. Wahrheitsgarantie feststellen: Sind die Prämissen wahr? Folgt die These logisch aus den Prämissen? 4. Prinzipielle und situative Adäquatheit prüfen. Das hypothetische Satzgefüge in der vorliegenden Argumentation ʿAbd alJabbārs (S1.1–S3) hat die Funktion, alle möglichen Einwände zu berücksichtigen und den Opponenten dazu zu bewegen, seine These fallen zu lassen. Diese Herangehensweise ist ein Teil der Strategie, den Opponenten in die Niederlage zu

¹⁸⁴ Zum Begriff istithnā’ vgl. Gyekye, »Istithnā’«.

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treiben. Zu den Merkmalen der Niederlage zählt Miller das Schweigen aufgrund der Unfähigkeit, ein Gegenargument zu konstruieren (sukūt li-al-ʿajz).¹⁸⁵ ʿAbd al-Jabbār versucht also mit dem hypothetischen Satzgefüge den Opponenten in die Lage zu bringen, dass er kein Gegenargument mehr konstruieren kann und somit seine Niederlage eingestehen muss. Diese Herangehensweise hat das Ziel, eine Erkenntnis beim Opponenten zu erzeugen, und wirkt daher epistemisch. Rhetorisch ist sie nicht, denn Ziel ist nicht das Überreden des Opponenten etwa mit Scheinargumenten.¹⁸⁶ Konsensualistisch ist sie auch nicht: Der Argumentierende hat nicht das Ziel, einen (bloßen) Konsens mit seinem Opponenten zu erzielen.¹⁸⁷ Vielmehr hat ʿAbd al-Jabbār die Intention, die Wahrheit seiner These durch rationale Argumentationen zu verdeutlichen und den Adressaten zur rationalen Akzeptanz der These zu führen (vgl. Argumentationstext oben). Diese Methode ist ein Merkmal der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie.¹⁸⁸ Somit liegen gute Gründe dafür vor, diese Argumentation ʿAbd al-Jabbārs als epistemisch zu bestimmen. Eine nächste Frage nach dieser Einordnung ist die nach dem Erkenntnisprinzip, das der Argumentation zugrunde liegt. Am Beispiel des oben rekonstruierten ersten Arguments soll diese Überprüfung vorgeführt werden. Wenn die Rekonstruktion der Argumentation herangezogen wird, dann kann zunächst ein deduktives Erkenntnisprinzip festgestellt werden. Das deduktive Erkenntnisprinzip leitet das deduktive Erkennen an. Dieses Anleiten besteht darin, dass spezifizierte Bedingungen des deduktiven Erkenntnisprinzips auf ihre Erfüllung überprüft werden.¹⁸⁹ Lumer formuliert das deduktive Erkenntnisprinzip wie folgt: »Ein Urteil ist wahr, wenn es von wahren Urteilen logisch impliziert wird«¹⁹⁰. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen also folgende Bedingungen erfüllt sein: 1. Die Prämissen müssen die Konklusion logisch implizieren. 2. Die Prämissen müssen wahr sein. Das erste Argument kann formal wie folgt dargestellt werden: L → I, ¬I ⇒ ¬L. In dieser Formalisierung liegt die Schlussfigur Modus Tollens vor. Diese in

¹⁸⁵ Vgl. Miller, Study 41. ¹⁸⁶ Vgl. Lumer, »Überreden«. ¹⁸⁷ Im Sinne einer Verständigung der Teilnehmer einer Argumentationshandlung, die sich über die beanspruchte Gültigkeit ihrer Äußerungen einigen (vgl. Habermas, Theorie Bd. 1, 406). Das gilt für die Argumentativität des Radds allgemein: Funktion der Argumentationen ist nicht, Konsens zu erzielen. Dies würde dem theologischen Wahrheitsanspruch des Radds widersprechen und oft eine Korrektur der eigenen theologischen These mit sich ziehen, die womöglich Auswirkungen auf weitere theologische Lehren hätte; so sind argumentative systematische Theologien stark vernetzte Argumentationsgebilde, die stark an gemeinsame Thesen gebunden sind. Ändern sich diese Thesen, kann dies viele weitere Argumente beeinflussen (vgl. zu Strukturen von Argumenten: Betz, Strukturen). ¹⁸⁸ Vgl. Lumer, »Argument/Argumentation«; ders., »Überreden«. ¹⁸⁹ Vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 154. ¹⁹⁰ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 154.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

der klassischen Logik als Schlussregel verwendete logische Form garantiert den sog. Wahrheitstransfer von den Prämissen zur Konklusion: Wenn beide Prämissen wahr sind, muss auch die Konklusion wahr sein. Dass die Prämissen die Konklusion logisch implizieren, heißt, dass die erste Bedingung für das deduktive Erkenntnisprinzip erfüllt ist. Für die Bewertung dieser Argumentation ist zudem die Bewertung von PM(i) ausschlaggebend, welches Folgendes besagt: PM(i) : Eine Intendierung einer metaphorischen Bedeutung liegt nur dann vor, wenn ein Hinweis auf diese Intendierung vorhanden ist. PM(i) scheint wahr zu sein, wenn die Intendierung der metaphorischen Bedeutung den Anspruch auf Rationalität erhebt. Ohne diesen Hinweis wäre jede beliebige metaphorische Bedeutung möglich und somit die Angabe einer bestimmten metaphorischen Intendierung absurd. Wahrscheinlich würde der Opponent des ʿAbd al-Jabbār nicht PM(i) widersprechen, sondern vielmehr eP5, also der Aussage, dass kein Hinweis auf eine Intendierung von GWuG zu GSohn vorliege. An dieser Stelle soll es genügen, gezeigt zu haben, welche Bedingungen für die Gültigkeit und Schlüssigkeit des ersten Arguments von ʿAbd al-Jabbār erfüllt werden müssen, ohne letztlich die Wahrheit von eP5 bestimmen zu wollen. Zur Bewertung der alternativen Analyse der Argumentation Für die Bewertung der oben angeführten alternativen Analyse von ʿAbd al-Jabbārs Argumentation ist die Bewertung der folgenden Prämisse P1.1* ausschlaggebend, welche eine Verallgemeinerung der Prämisse P1.1 ›Nur wenn die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹ implizieren würde, dann wäre es für die Bibel legitim, Jesus als ›Gottes Sohn‹ zu bezeichnen‹ darstellt: P1.1*

(Nur) wenn die Eigenschaften x und y des Subjekts a die Eigenschaft z implizieren, ist es legitim, a mit z zu beschreiben.

Diese Prämisse scheint wahr zu sein, aber sie ist nicht tatsächlich wahr, wie schon ein einfaches Beispiel zeigt: Es ist logisch möglich, dass jemand klein und dünn ist; und diese Eigenschaften implizieren nicht, dass er etwa reich ist. Nur weil diese beiden Eigenschaften nicht implizieren, dass er reich ist, heißt das aber noch nicht, dass er diese Eigenschaft nicht dennoch haben kann. Was die Prämisse P1.1* ausdrücken will, ist vielmehr Folgendes: Wenn man von einer vorhandenen Eigenschaft ausgeht und daraus auf weitere Eigenschaften schließt, sollte diese vorhandene Eigenschaft jene weiteren Eigenschaften logisch implizieren, sonst wäre das Schließen von einer Eigenschaft auf die andere unbegründet und könnte fehlerhaft sein. Daher ist P1.1* keine korrekte Formulierung. Dies kann man sich etwa an folgendem Beispiel vergegenwärtigen: Wenn jemand ein Auto im Parkhaus sieht und daraus schließt, dass das Auto defekt sei, scheint sein Schluss unbegründet zu sein. Wenn jedoch jemand ein Auto in der Werkstatt sieht, ist es schon wesentlich besser begründet, dass er daraus schließt, dass das Auto wahrscheinlich defekt ist. Weil sein Schließen also wahrscheinlich richtig ist, liefert dieses Schließen auch nur wahrscheinliche und wahrheitsähnliche Schlüsse. Prämisse P1.1* ist also (nur) wahrheitsähnlich und wahrscheinlich. Diese Prämisse – und mit ihr auch die konkrete Prämisse P1.1 – beruht somit auf einer Vermutung (ẓann).

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Die Prämisse P1.2 besagt, dass die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ nicht seine Bezeichnung als ›Gottes Sohn‹ impliziert. Obwohl diese Aussage eindeutig ist, gilt das nicht für ihre Interpretation. Für den muslimischen Autor erscheint der Gedanke, wer ›Gottes Wort‹ und ›Gottes Geist‹ genannt werde, müsse auch Gottes Sohn sein, geradezu absurd. Doch der christliche Adressat könnte an dieser Stelle die Aussage anders interpretieren und sagen: Wort und Geist sind Hypostasen und implizieren sehr wohl den Sohn. Man könnte das Prinzip formal wie folgt darstellen: ∀(x)[WORTGOTTES(x) ∧ GEISTGOTTES(x) → SOHNGOTTES(x)] Vermutlich würden die Christen diese Aussage nicht akzeptieren; zumindest der Heilige Geist wäre ein klares Gegenbeispiel. Dieses Prinzip gälte zudem nur für Christus, also nicht – wie die obige Formalisierung mit dem Allquantor besagt – für beliebige Individuen. Insofern kann man P1.2 durchaus akzeptieren. Es bleibt aber das Problem, dass nicht klar ist, welche Argumentation der Christen al-Jabbār damit überhaupt angreift und ob es sich nicht um ein bloßes Strohmann-Argument handelt. Diese Prämisse scheint für den muslimischen Autor evident und a priori wahr zu sein, doch die Wahrheit der Prämisse ist keineswegs eindeutig. Diese zweite Prämisse, die zwar wahr sein kann, aber auch falsch, ist eine in der islamischen Argumentationstheorie sog. ›gebräuchliche Prämisse‹ (oder auch: allgemein bekannte Prämisse; mashhūrāt), die von der Mehrheit (d. h. in diesem Fall: von Muslimen) akzeptiert wird.¹⁹¹ Die Problematik scheint ʿAbd al-Jabbār bekannt zu sein, denn er versucht diese Prämisse mit dem interpretierenden Argument (K1.2) zu stützen. ʿAbd al-Jabbār setzt in seiner Argumentation zudem folgende Prämisse voraus: ›Wenn Jesus und das Wort metaphorisch identisch sind, dann sind sie nicht wirklich identisch.‹ Diese Prämisse kann wie folgt formal ausgedrückt werden (mit Hilfe des Prädikates BEZEICHNEN−M(x, y, z) mit der Bedeutung ›x bezeichnet y metaphorisch als z‹): BEZEICHNEN−M(gott, j, wort) → j ̸= wort Ausformuliert: ›Wenn Gott Jesus (nur) metaphorisch als ›Wort‹ bezeichnet, dann ist Jesus nicht (wirklich) das Wort.‹ Zumindest ist die Wahrheit des Antezedens eine hinreichende Bedingung für die Wahrheit der Konsequenz. Man könnte annehmen, diese Prämisse sei ein (formales) Axiom (badīhiyyāt¹⁹²), weil die Beziehung, dass etwas, das nur metaphorisch gleich ist, in Wirklichkeit nicht gleich sein kann, ohne einen weiteren Beweis angenommen werden könne. Tatsächlich scheint ʿAbd al-Jabbār diese Prämisse als ein Axiom zu betrachten, denn er zeigt keinerlei Mühe, diese durch ein Subargument zu stützen. Möglicherweise sieht ʿAbd al-Jabbār in dem Argument der Christen auch einen Fehlschluss, den man folgendermaßen formulieren kann: Jesus hat im Koran die Eigenschaft Gottes Wort und Gottes Geist. Gottes Sohn hat auch die Eigenschaft Wort und Geist. Somit haben Jesus und Gottes Sohn dieselben Eigenschaften. Somit ist Jesus Gottes Sohn.¹⁹³

¹⁹¹ Vgl. Gelenbevî, Burhān 52. Diese ›gebräuchlichen Prämissen‹ ähneln sehr den éndoxa der Topik des Aristoteles; vgl. Aristoteles, Topik I, 1, 100b21–23 u. ö. ¹⁹² Der Begriff badīhiyyāt subsumiert die Axiome im Sinne des Aristoteles (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 667). ¹⁹³ Die Konklusion ›Somit ist Jesus Gottes Sohn‹ ist offensichtlich ein falscher Schluss. Sie darzustellen ist dennoch interessant, weil sie exemplarisch zeigt, wie derartige ungültige, aber scheinbar einleuchtende Schlüsse konstruiert werden können.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Diese eher schwache Interpretation des Argumentationstextes zielt auf die Identität von Jesus und dem Sohn. Die gemeinsame Eigenschaft, also das tertium comparationis, sind Gottes Wort und Gottes Geist. In dieser Rekonstruktion stellt die Analogie allerdings einen Fehlschluss dar.

Die prinzipielle Adäquatheit ist gegeben, d. h. es gibt mindestens eine Person, welche die Prämissen als wahr erkannt hat, aber die These nicht.¹⁹⁴ Die situative Adäquatheit ist ebenfalls gegeben: Der Adressat ist sprachkompetent, aufgeschlossen, aufmerksam und urteilsfähig, zudem sollte ein muslimischer Adressat die Prämissen als akzeptabel erkennen können, aber nicht die These. Letztlich ist der logische Aufbau der Argumentation für den urteilsfähigen Adressaten erkennbar.¹⁹⁵ An dieser Stelle erscheint es unwahrscheinlich, dass die Adressaten die Christen sind, denn diese Rekonstruktion der Argumentation, die ʿAbd al-Jabbār den Christen unterstellt, wendet sich offenbar eher an Muslime. Aber auch in dem Fall, dass die Adressaten eines Textes nicht explizit die Christen sind, sprechen wir dennoch von einem Radd zum Christentum, weil der Text letztlich Argumente gegen christliche Lehren vorbringt. Es kann weiter festgehalten werden, dass die Argumente des ʿAbd al-Jabbār deduktiv sind und ihnen die Prämisse der Metapherninterpretation zugrunde liegt. Des Weiteren verwendet ein Argumentationstext auch Kompositionsprinzipien. Die argumentativen Kompositionsprinzipien (z. B. rhetorische Figuren) sind Prinzipien und Textelemente, die in der Argumentation zur Anwendung kommen und den Argumentationstext prägen. Erkenntnisprinzipien sind Urteile, die allgemeine Bedingungen für die Wahrheit oder Akzeptabilität von Argumenten aufstellen, wie etwa das deduktive oder das interpretative Erkenntnisprinzip.¹⁹⁶ Der Unterschied zwischen Kompositionsprinzip und Erkenntnisprinzip ist, dass das Kompositionsprinzip auf der Mikroebene der Argumentation deskriptiv ein Prinzip zur Komposition der Argumentation beschreibt, wogegen das Erkenntnisprinzip Bedingungen für die Akzeptabilität einer These aufstellt, die zum Erkennen der These verwendet werden können. Ein Kompositionsprinzip, das ʿAbd al-Jabbār in seinem Argumentationstext zur Anwendung bringt, ist das Prinzip der Analogie (induktiv). Beispielsweise erklärt ʿAbd al-Jabbār in S2.2 mit der Aussage »The intention in his describing Jesus as word of God is that people would be guided by him as they are guided by a word« den Sinn der metaphorischen Beschreibung Jesu als ›Gottes Wort‹, indem er eine Analogie zwischen Wort und (Weg-)Führer aufstellt: Das Wort führe Menschen, auch Jesus führe Menschen, und aus diesem Grund sei Jesus im Koran als Gottes Wort beschrieben worden. Das Analogieprinzip als Kompositionsprinzip gibt Hinweise darauf, dass die Argumentation auf dem interpretierenden Erkenntnisprinzip beruht.¹⁹⁷ Die Interpretation des

¹⁹⁴ Vgl. Lumer, »Überreden« 23. ¹⁹⁵ Lumer, »Überreden« 23. ¹⁹⁶ Lumer, »Überreden« 21. ¹⁹⁷ Zur interpretierenden Argumentation vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 221–246.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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ʿAbd al-Jabbār ist jedoch keinesfalls die einzig mögliche Erklärung und somit nur wahrheitsähnlich. Die christliche Interpretation wäre zumindest eine weitere mögliche Erklärung. Zudem liegt der behandelten Argumentation ʿAbd al-Jabbārs auch das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Unsere erkenntnistheoretische Analyse hat zudem gezeigt, wie eine mögliche argumentative Form der Metapherninterpretation in der islamischen Theologie, eingebettet in ein deduktives Erkenntnisprinzip, aussehen kann. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass das Argument des ʿAbd al-Jabbār gute Gründe liefert, epistemisch bzw. erkenntnistheoretisch ausgerichtet zu sein. Tatsächlich kann es als erkenntnistheoretisch ausgerichtet bestimmt werden, da es deduktiv und auf die rationale Überzeugung des Adressaten ausgerichtet ist. Antworten auf Briefe waren eine weitere gängige Form des Radds. Diese Antworten konnten ihrerseits in Briefform gehalten sein, so z. B. schon bei dem frühen Radd-Autor Abū l-Rabīʿ Muḥammad ibn al-Layth (gest. ca. 203/819). Er verfasste sein Risālat Abī l-Rabīʿ Muḥammad ibn al-Layth allatī katabahā li-l-Rashīd ilā Qusṭanṭīn malik al-Rūm (»Der Brief von Abū l-Rabīʿ Muḥammad ibn al-Layth, den er für al-Rashīd an den byzantinischen Kaiser Konstantin schrieb«) bereits etwa um 180/796.¹⁹⁸ Ibn al-Layth war ein mutakallim und somit bestens mit der rationalen Theologie vertraut. Seine methodischen und logischargumentativen Kenntnisse setzte er in seinen Werken nicht nur als Apologet gegen die christlichen Lehren ein, sondern auch in innerislamischen Disputationen; so beispielsweise in seinem Werk Al-radd ʿalā l-zanādiqa (»Widerlegung der zindīqs«) oder in seiner Disputation mit dem Titel Kitāb al-halīlaja fī l-iʿtibār (etwa »Die Myrobalane über die Betrachtung«) zur Verteidigung des Monotheismus und der Erschaffung des Universums durch Gott. Das bereits erwähnte Werk Risāla ist ein Brief im Namen des Kalifen Hārūn al-Rashīd (reg. 786–809) an den byzantinischen Kaiser Konstantin VI., in dem Ibn al-Layth letzteren ermahnt, die ausgesetzte Tributzahlung wiederaufzunehmen, damit der Frieden wieder gewährleistet werde. Neben diesen politischen Themen wird im Text auch ein Versuch zur Widerlegung des Christentums unternommen. Dabei wird vor allem das Prophetentum Muḥammads verteidigt, weil (wie Roggema darlegt) in den frühen Jahrzehnten des AbbasidenKalifats intensive Debatten über das Prophetentum Muḥammads entstanden, wodurch sich auf muslimischer Seite die Notwendigkeit ergab, auf arabischchristliche anti-muslimische Polemiken zu reagieren.¹⁹⁹ Für die Ideengeschichte der muslimischen Argumentationen ist wichtig, dass sich viele der in der Risāla vorgebrachten Argumente zur Verteidigung von Muḥammads Prophetentum in späteren Radd-Werken wiederfinden. Dies kann laut Roggema auf den Einfluss des Risāla hinweisen.²⁰⁰ Ebenso wichtig sind die Bibelzitate im Risāla, denn das Werk enthält, wie Roggema betont, die früheste Sammlung biblischer Zeugnisse zu Muḥammad

¹⁹⁸ Vgl. Roggema, »Risālat« 347–349. ¹⁹⁹ Vgl. Roggema, »Risālat« 349–350. ²⁰⁰ Vgl. Roggema, »Risālat« 349–350.

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auf Arabisch. Laut Roggema lässt sich allerdings nur schwer feststellen (übrigens ähnlich wie bei al-Jaʿfarī, wie wir sehen werden²⁰¹), ob diese arabischen Bibelzitate auf eine übersetzte Version der Bibel, auf von Ibn al-Layth selbst übersetzte Verse oder auf eine bereits existierende Sammlung von Zitaten zurückgehen. Laut Roggema enthält Ibn al-Layths Risāla viele Themen und Beispiele der religiösen Kontroversen zwischen Muslimen und Christen in der frühen Abbasiden-Gesellschaft.²⁰² Zentral für die Argumentativität des Radds ist, dass Ibn al-Layth bereits im 8. Jahrhundert ausdrücklich an die Vernunft appelliert, die er als Schiedsrichter bei der Suche nach religiöser Erkenntnis und Wahrheit betrachtet. Im Text versucht er in diesem Sinne einige Standardargumente von Christen gegen den Islam argumentativ zu widerlegen.²⁰³ Antworten auf Briefe konnten aber auch in Form von Abhandlungen gehalten werden, so etwa von al-Bājī (gest. 474/1081).²⁰⁴ Er verfasste zum Christentum eine wichtige Schrift mit dem Titel Jawāb al-qāḍī Abū al-Walīd al-Bājī ilā risālat rāhib Faransā ilā al-Muslimīn, die eine Antwort auf einen Brief eines anonymen christlichen Mönches darstellt.²⁰⁵ Dieser Brief des Mönches mit einigen Argumenten gegen die islamische Lehre regte die muslimische Seite dazu an, Argumente zur Verteidigung zu generieren, darunter auch die genannte Schrift des al-Bājī. Al-Bājīs Werk stellt somit einen Versuch der Verteidigung (Apologetik) dar. Al-Bājī entfaltet eine ganze Sammlung von Argumenten, was zeigt, dass es im 11. Jahrhundert und schon früher einen breiten Diskurs über die Polemik und Apologetik gegen die christliche Lehre gegeben haben muss. Im Folgenden wird ein Argument des al-Bājī rekonstruiert.²⁰⁶ Zunächst soll das Argument in der englischen Übersetzung von D. M. Dunlop betrachtet werden: »[…] your letter, where you say that Jesus is the son of God. No, he is created man and a servant under authority, not exempt from the proofs of createdness, such as movement, rest, cessation, passing from place to place, changing from one state to another, eating food, and death, which is appointed for all men – things which are not right for an eternal God and impossible (to believe) for anyone of sound judgement.«²⁰⁷

²⁰¹ Siehe dazu hier Kapitel 8 ab S. 286. ²⁰² Vgl. Roggema, »Risālat« 351. ²⁰³ Vgl. Roggema, »Risālat« 350. ²⁰⁴ Al-Bājī, der mit vollem Namen Abū al-Walīd Sulaymān ibn Khalaf ibn Saʿd al-Tujībī al-Bājī al-Qurṭubī al-Dhahabī heißt, war einer der bedeutendsten Gelehrten des al-Andalus. Er war Jurist, Theologe und Dichter. Als Jurist wird er als Erneuerer des andalusischen Mālikismus im 11. Jahrhundert betrachtet (Zomeño, »Al-Bājī« 751–752). ²⁰⁵ Vgl. Zomeño, »Jawāb al-qāḍī« 173. ²⁰⁶ Ein weiteres, indirektes Argument al-Bājīs gegen die christliche Lehre ist seine Beweisführung für die Notwendigkeit des Prophetentums Muḥammads. Christen lehnen nämlich das Prophetentum Muḥammads ab, denn wenn Muḥammad ein Prophet ist, dann hat er die letzte (zumindest eine neuere Version als Jesus) der Offenbarung erhalten. Siehe für dieses Argument des al-Bājī: Dunlop, »Mission« 280. Auch al-Jaʿfarī widmet Argumenten für das Prophetentum Muḥammads ein eigenes Kapitel, siehe dazu hier Kapitel 8, S. 272. ²⁰⁷ Zitiert nach Dunlop, »Mission« 268–270.

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In deutscher Übersetzung mit Gliederung der einzelnen Aussagen: »[…] dein Brief, in dem du sagst, [S1] dass Jesus der Sohn Gottes ist. [S2] Nein, er ist ein erschaffener Mensch und Diener. [S2.1] Er ist nicht ausgenommen von den Zeichen der Erschaffenheit, [S2.2] wie zum Beispiel: Bewegung, Ruhen, Stillstand, von Platz zu Platz laufen, von einem Zustand in einen anderen wechseln, Nahrung essen, und der Tod, [S2.3] welche für alle Menschen bestimmt sind. [S2.4] [Das sind] Dinge, welche für einen ewigen Gott nicht gelten [S2.5] und unmöglich zu glauben für jemanden mit gesundem Urteilsvermögen.«

Dieses Argument des al-Bājī beginnt mit seinem Verweis auf den Brief des anonymen Mönches und der Darstellung von dessen christlicher These, dass Jesus Gottes Sohn sei. Darauf folgen die klare Abweisung dieser These und die Behauptung der Negation der These. Al-Bājī gibt zunächst an, dass Jesus nicht von den »Zeichen der Erschaffenheit« ausgenommen sei, und gibt dann explizierend Beispiele dieser Zeichen; diese sind: »die Bewegung, das Ruhen, der Stillstand, von Platz zu Platz laufen, von einem Zustand in einen anderen wechseln, Nahrung zu sich nehmen, und der Tod«.²⁰⁸ Diese Handlungen bestimmen den Menschen und machen ihn aus. Al-Bājī nimmt implizit an, dass auch Jesus diese Zeichen an sich hatte, also durch sie als Mensch ausgewiesen wurde. Anschließend betont al-Bājī, dass ein Gott, der ewig ist, (logischerweise) nicht diese Zeichen der Erschaffenheit tragen kann, womit al-Bājī zugleich eine Definition der Eigenschaft für Göttlichkeit voraussetzt: Gott ist ewig und alles, was die Zeichen der Erschaffenheit trägt, kann nicht ewig sein; denn es ist erschaffen. Somit kann das Argument des al-Bājī wie folgt deduktiv rekonstruiert werden: P1: P2:

Alles, was die Zeichen der Erschaffenheit trägt, kann nicht ewig sein. Jesus trägt die Zeichen der Erschaffenheit.

K1: Jesus kann nicht ewig sein. (aus P1, P2) Lemma: Was nicht ewig ist, ist nicht Gott. K2:

Jesus ist nicht Gott. (aus K1 und Lemma)

Dieses Argument ist deduktiv gültig. Wenn die Prämissen wahr sind, muss – aufgrund der Form des Arguments – auch die Konklusion wahr sein. Ein weitaus einflussreicherer Autor, der ein Zeitgenosse des al-Bājī war, ist al-Ghazālī. Er gehört sicherlich zu den bedeutendsten Figuren der islamischen Theologie, doch für unseren Untersuchungsgegenstand ist er vor allem

²⁰⁸ Diese Liste von »Zeichen der Erschaffenheit« erinnert an die Liste der Kategorien des Aristoteles, die ja grundlegende Eigenschaften auflisten, welche jedem real existierenden Ding zukommen (Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Lage, Habitus, Wirken, Leiden). Daher ist es einleuchtend, dass jedem erschaffenen Geschöpf ähnliche grundlegende Eigenschaften zugesprochen werden. Da es um ein Geschöpf, näherhin einen Menschen geht, stehen Substanz, Quantität und Qualität schon fest; dafür kommen die konkreten Formen von Wirken und Leiden hinzu.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

durch seine Beiträge zu Logik, Argumentationstheorie, Kalām und Radd bemerkenswert. Die Logik und die Argumentationstheorie zählen zu den Hilfswissenschaften,²⁰⁹ Kalām und Radd zu den Anwendungswissenschaften, weil erstere eine Methode angeben und letztere konkrete Fragestellungen innerhalb der Theologie behandeln: Der Kalām und der Radd wenden die Logik und Argumentationstheorie an, und wer in den Anwendungswissenschaften Erfolg haben möchte, sollte die Hilfswissenschaften gut beherrschen. Al-Ghazālī betonte, dass man kein Vertrauen auf die Wissenschaftlichkeit dessen haben kann, der keine Logikkenntnisse hat.²¹⁰ Al-Ghazālī kannte sich in Logik und Argumentationslehre gut aus, und wahrscheinlich liegt darin das Geheimnis seines Erfolges und Wirkens. Zumindest waren für al-Ghazālī die Beziehungen dieser Wissenschaften nicht willkürlich und er wusste um ihre Beziehungen zueinander, vor allem um den Wert der Logik für den Kalām, dem der Radd methodisch betrachtet unterzuordnen ist. Al-Ghazālī, der eine Generation vor al-Jaʿfarī lebte, zeigt deutlich, wie weit der Radd schon am Anfang des 12. Jahrhunderts entwickelt war. Deshalb soll seine Argumentation im Folgenden einer tieferen Analyse unterzogen werden, zum einen, um den Entwicklungsstand der Argumentation in der Zeit um alJaʿfarī besser zu verstehen, zum anderen, um an dieser Stelle die Möglichkeit zu nutzen, auf die argumentationsanalytische Methode der vorliegenden Studie weiter einzugehen und sie näher zu demonstrieren. Mit ›systematische Apologetik‹ als Genre sind in dieser Studie alle apologetischen Werke gemeint, die speziell mit dem Ziel der Apologetik argumentativ nichtislamischen Religionen begegnen. Auch das Werk Radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī ist ein Beispiel für die systematische Apologetik (bzw. Radd). Systematisch sind diese Werke, weil sie eigens zu dem Ziel verfasst wurden, die christlichen Lehren logisch und umfassend zu widerlegen.²¹¹ Zu dieser Gattung gehört auch das Al-radd al-jamīl li-ilāhiyyāt ʿĪsā bi-ṣarīḥ al-injīl (»Die erlesene Widerlegung der Göttlichkeit Jesu durch das, was im Evangelium sichtbar ist«). Von dieser Schrift sind derzeit drei Manuskripte bekannt. Zwei davon befinden sich in Istanbul und eines in Leiden. Die Istanbuler Manuskripte geben al-Ghazālī als Autor an. Da al-Ghazālī allerdings in einigen seiner Werke eine Liste seiner Schriften anführt, dabei aber diese Schrift nicht erwähnt, wurde die Autorschaft des Al-radd al-jamīl hinterfragt. Die Entstehung des Textes wird in Ägypten lokalisiert und bei seiner Entstehung wird ein Kontakt mit den ägyptischen Kopten vorausgesetzt, denn der erste, der das Al-radd al-jamīl

²⁰⁹ Hierzu vgl. auch die Rolle der Vernunft in der Aufteilung der Wissenschaften bei Ṭaşköprüzâde, der die Logik als eine Hilfswissenschaft betrachtet, die zur Erkenntnis führt (vgl. Ṭaşköprüzâde, Miftāḥ al-saʿāda 52). ²¹⁰ Vgl. Çağrıcı, »Gazzâlî« 496. ²¹¹ Sie sind in diesem Sinne vollständige Paradigmen, d. h. sie liefern systematische Antworten auf generelle Fragen des Radd-Diskurses.

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erwähnt, soll al-Rashīd Abū al-Khayr ibn al-Ṭayyib²¹² sein und der Text soll in der Frage der Inkarnation die Lehre der Jakobiten wiedergeben, der die Kopten folgten. Womöglich lag dem Autor also jakobitisches Material vor. Der zweite Hinweis auf dieses Werk erscheint dann bei Ḥajjī Khalīfa (gest. 1068/1658).²¹³ Die Tatsache, dass ein Werk eines Autors nicht in Bibliografien unter seinem Namen erscheint, bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass das Werk nicht von ihm stammt. Das zeigt schon ein Vergleich mit dem Werk al-Jaʿfarīs. Denn obwohl das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī aufgrund seines historischen Kontextes die Aufmerksamkeit der Wissenschaft erregt hat, scheint es bei den Arabern keine große Rezeption gefunden zu haben; das wird durch die Tatsache belegt, dass von diesem Text lediglich ein Manuskript existiert. Das einzige erhaltene Manuskript in der Süleymaniye-Bibliothek wurde erst in der osmanischen Zeit kopiert.²¹⁴ Ḥasanayn fragt zudem zu Recht, warum wenig bis gar nichts über das Leben al-Jaʿfarīs und vor allem nichts über sein Todesdatum überliefert ist.²¹⁵ Eine mögliche Antwort ist laut Ḥasanayn, dass al-Jaʿfarī aus Ägypten fortzog, bevor er (und vor allem seine Schriften) berühmt wurde. Eine andere Möglichkeit ist, dass al-Jaʿfarī trotz seines Einflusses im Bereich des Radds keine Bedeutung in den traditionellen islamischen Wissenschaften erlangte und keine Schriften dazu hinterlassen hat (oder diese nicht überliefert wurden), weshalb er unbekannt blieb, sodass ihn die Quellen deshalb nicht berücksichtigen und wir daher wenig bis gar keine Informationen über seine Biographie vorliegen haben. Ähnlich erging es z. B. al-Jāḥiẓ, der zwar ein bekannter Theologe war, dessen Radd-Werk mit dem Titel Al-radd ʿalā l-Naṣārā jedoch relativ unbeachtet blieb, weil den Theologen und den intellektuellen Akteuren jener Zeit innerislamische Diskurse wichtiger waren als interreligiöse Disputationen.²¹⁶ Auf ähnliche Weise könnte man auch erklären, warum der Al-radd al-jamīl nicht in den Schriftenverzeichnissen al-Ghazālīs erscheint. Zentral für die Klärung der Verfasserfrage ist der Hinweis, dass dieses Werk in Ägypten im Kontakt mit den Kopten entstanden sein könnte, denn dies würde nahelegen, dass al-Ghazālī Ägypten besucht haben müsste. Auch in dieser Frage herrscht allerdings Uneinigkeit; Wilms und El Kaisy-Friemuth führen die Quellen für

²¹² Sein Todesdatum ist nicht bekannt, er dürfte jedoch nach al-Ghazālī gelebt haben (vgl. Awad, »Al-Rashīd«). ²¹³ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 1–7. El Kaisy-Friemuth fragt an dieser Stelle zu Recht, warum das Werk einige Jahrhunderte lang keine weitere Erwähnung fand. Eine mögliche Antwort auf diese Frage bietet Chidiac, der (wie auch unsere Schlussfolgerung aus der folgenden Analyse von al-Ghazālīs Argument) die Meinung vertritt, dass al-Ghazālī in diesem Werk die Bibel als eine theologische Quelle akzeptierte. Deshalb, so die Begründung Chidiacs, wurde al-Ghazālīs Text von anderen Gelehrten sanktioniert und fand keine Verbreitung (vgl. Chidiac, »Introduction« 35). ²¹⁴ Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, 114 Blätter. ²¹⁵ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 13–14. ²¹⁶ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 13–14.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

beide Positionen an. Tatsächlich liegen Zeugnisse für eine mögliche Ägyptenreise al-Ghazālīs vor, etwa von Ṣalāḥ al-Dīn Khalīl ibn Aybak al-Ṣafadī, der berichtet, dass al-Ghazālī einige Zeit sowohl in Kairo wie auch in Alexandria verbracht hat.²¹⁷ Wilms bietet zudem die Information, dass al-Ghazālī wahrscheinlich vom Kalifen beauftragt wurde, u. a. gegen Christen in Ägypten eine Schrift zu verfassen.²¹⁸ Die Frage der Autorschaft des Al-radd al-jamīl ist also nicht endgültig gelöst. Für eine detaillierte Darstellung der Pro- und Kontra-Argumente sei auf El Kaisy-Friemuth verwiesen,²¹⁹ hier genügt eine stark komprimierte Zusammenfassung. Zu den Wissenschaftlern, die al-Ghazālī für den Autor des Werkes halten, zählen u. a. Louis Massignon, Robert Chidiac, J. W. Sweetman, Arthur J. Arberry und Franz-Elmar Wilms. Sie sehen u. a. Ideen, die im Text erwähnt werden, als typisch für al-Ghazālī an, auch wenn die Textkomposition im Vergleich zu seinen anderen Werken untypisch sei.²²⁰ Weitere Argumente dieser Befürworter sind Textvergleiche zwischen dem Al-radd al-jamīl und Werken al-Ghazālīs (etwa Tahāfut al-falāsifa oder Mishkāt al-anwār), deren Ähnlichkeit auf al-Ghazālī als Autor hinweisen soll. Zu den Wissenschaftlern, die al-Ghazālī nicht als Autor des Al-radd al-jamīl betrachten, gehören u. a. Maurice Bouyges, G. S. Reynolds, Lazarus-Yafeh, Ines Peta und El Kaisy-Friemuth. Eines ihrer stärksten Argumente, das von Ines Peta vorgetragen wurde, besagt, dass die Bibelzitate im Al-radd al-jamīl aus der Alexandrinischen Vulgata²²¹ stammen. Da aber eine Nutzung der Alexandrinischen Vulgata vor dem 13. Jahrhundert nicht bekannt sei, könne al-Ghazālī nicht der Autor sein. Dieses Argument ist jedoch insofern fragwürdig, als etwa Arthur Vööbus und Hikmat Kashouh darauf hinweisen, dass eine Version der Alexandrinischen Vulgata schon im zehnten Jahrhundert existiert haben müsse; allerdings ist das Manuskript, auf das sich Vööbus stützt, verschollen. Mit Sicherheit kann jedoch ein Manuskript ins Jahr 1174 datiert werden.²²² Das Argument von Ines Peta besagt demnach nur, dass die Nutzung dieser Quelle erst ab dem 13. Jahrhundert belegt ist; ausschließen kann man eine Nutzung der Alexandrinischen Vulgata durch al-Ghazālī damit jedoch nicht. Ohnehin hat schon Constance Padwick darauf hingewiesen, dass die Bibelzitate bei al-Ghazālī nicht aus der Alexandrinischen Vulgata stammen, sondern aus einer koptisch-arabischen Bibel.²²³ Laut Kashouh ist diese koptisch-arabische Bibel nicht mit der Alexandrinischen Vulgata identisch.²²⁴

²¹⁷ Ṣalāḥ al-Dīn Khalīl ibn Aybak al-Ṣafadī, zitiert von El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 7. ²¹⁸ Wilms, »Kommentar« 25–30. ²¹⁹ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Ghazālī’s or Pseudo-Ghazālī’s« und dies., »Context and Authorship«. ²²⁰ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 2–5 mit weiteren Literaturangaben. ²²¹ Zur sog. Alexandrinischen Vulgata siehe hier Abschnitt 8, S. 286. ²²² Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 10–22 und Kashouh, Arabic Versions 215. ²²³ Vgl. Padwick, »Al-Ghazali«. ²²⁴ Vgl. Kashouh, Arabic Versions 214.

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Wir können an dieser Stelle die Frage nach der Autorschaft nicht weiter vertiefen und schließen uns der Konklusion von El Kaisy-Friemuth an, nur unter umgekehrtem Vorzeichen. El Kaisy-Friemuth schreibt über die Schwierigkeit einer Identifizierung des Autors des Al-radd al-jamīl Folgendes: »Finally, on the grounds of the discussion above we can safely say that al-Radd al-jamīl was written by a Muslim polemicist before the thirteenth century. The author wrote in such a way that it fits into al-Ghazālī’s thought patterns. However, al-Radd al-jamīl also strongly reflects a Jacobite Christology, which shows that the author used Coptic material in his refutation. Therefore, unless further evidence is discovered which could prove that al-Radd al-jamīl belongs to al-Ghazālī’s works, we will describe al-Radd al-jamīl as attributed to al-Ghazālī.«²²⁵

El Kaisy-Friemuth und auch andere Vertreter der Theorie, dass der Autor des Al-radd al-jamīl nicht al-Ghazālī sein dürfte, bringen oft als Argument vor, dass der Autor bei seinem Versuch einer Widerlegung der christlichen Glaubenslehre jakobitisches Material verwendet haben oder sich gar in Ägypten aufgehalten haben müsse. Diese Annahme stützt sich unter anderem auf die Beobachtung, dass der Autor einen Adressaten bzw. Opponenten gehabt haben dürfte, der jakobitische Lehren vertrat, wie etwa die Kopten.²²⁶ Des Weiteren bezeuge das Werk eingehende Kenntnisse der christlichen Gruppen; dagegen zeige alGhazālī in seinen anderen Werken keine derartige Kenntnis, sodass er nicht der Autor sein könne.²²⁷ Diese beiden Argumente sind aber kritikwürdig. Die erste Annahme beruht darauf, dass die Argumente des Al-radd al-jamīl bisher nicht argumentationstheoretisch ausgewertet wurden. Die Heranziehung der Jakobiten, Melkiten und Nestorianer könnte symbolisch verstanden werden, statt konkreter christlicher Kirchen könnten hier eher Typologien gemeint sein. Potthast kritisiert am Beispiel des Ibn Ḥazm ebenfalls, dass Ibn Ḥazm sich bei seiner Darstellung des Christentums auf diese orientalischen Kirchen beschränke, die er anhand älterer muslimischer Literatur beschreibe, ohne dabei seine andalusische Gegenwart zu beachten.²²⁸ Anders als Potthast angibt, wird hier jedoch nicht an den Christen der Gegenwart vorbeigeredet oder mit veralteten christlichen Schulen disputiert, die teilweise gar nicht mehr existent waren, vielmehr zielt die Kritik dieser drei auf einer universellen Ebene angesiedelten Typen auf eine systematische Widerlegung der gesamten christlichen Theologie. Um diese Strategie zu verdeutlichen, sollte ein Blick auf die folgende grundlegende dogmatische Differenz zwischen Jakobiten, Melkiten und Nestorianern genügen, nämlich auf ihre jeweilige Lehre zur Christologie:²²⁹

²²⁵ El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 28. ²²⁶ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 26. ²²⁷ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 5. ²²⁸ Potthast, »Konstruktion« 238–239. ²²⁹ Vgl. beispielsweise al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 144–149. Ausführlicher zu den christlichen Gruppen siehe hier Kapitel 8, S. 273–284.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Jakobiten: Melkiten: Nestorianer:

eine Natur und eine Person in Christus zwei Naturen und eine Person in Christus zwei Naturen und zwei Personen in Christus

Durch Widerlegung dieser drei Christologien²³⁰ würde ein Radd-Autor wie al-Ghazālī oder Ibn Ḥazm alle damals bekannten und denkbaren Christologien widerlegt haben. Es geht dabei also nicht um die historischen Jakobiten, Melkiten und Nestorianer, sondern darum, welche Theologie diese Typen vertreten und symbolisieren. Diese methodische Herangehensweise setzt natürlich Kenntnisse über die jeweiligen Theologien voraus. Diese scheint al-Ghazālī aber während seiner Reise in Ägypten gesammelt zu haben. Nicht auszuschließen ist auch, dass al-Ghazālī diese Informationen aus anderen Quellen schöpfen konnte. Die zweite Annahme, nämlich dass der Verfasser des Al-radd al-jamīl tiefgreifende Kenntnisse der christlichen Gruppierungen besaß und die Schrift deshalb nicht al-Ghazālīs Werk sein könne, ist ebenfalls schwach. Denn die folgende Argumentationsanalyse zeigt, dass die Propositionen, die der Verfasser dieses Radds in seinen Argumenten heranzieht, oft zweifelhaft erscheinen. Es ist fraglich, ob der Originaltext des Al-radd al-jamīl, der für folgende Analyse herangezogen wird, ursprünglich – d. h. ohne die Rekonstruktion mit zahlreichen Ergänzungsprämissen – eine vollständige, gültige deduktive Argumentation mit wahren Prämissen darstellt, welche die These logisch implizieren. Außerdem werden mehrfach Prämissen herangezogen oder vorausgesetzt, die den Grundlehren des Christentums widersprechen. Diese Beobachtungen zeigen, dass der Autor des Al-radd al-jamīl, anders als von den Kritikern angenommen, vielleicht doch keine besonders detaillierten Kenntnisse der christlichen Lehre besaß. Daher scheint es ratsam, die Autorschaft des al-Ghazālī zumindest nicht auszuschließen, solange keine eindeutigen Beweise dafür vorliegen, dass er nicht der Autor ist. Bis dahin sollte man der Autorangabe der Istanbuler Manuskripte folgen, also der Zuschreibung an al-Ghazālī. Im Folgenden soll die Argumentationsweise des Al-radd al-jamīl näher beleuchtet werden, indem exemplarisch das Ilāh-Prädikat-Argument bzw. das Ehrentitel-Argument diskutiert wird. Ein weiteres Argument, das wir ›GottMetapher-Argument‹ nennen wollen, soll anschließend wenigstens kurz behandelt werden. Zunächst die deutsche Übersetzung des Originaltextes, bearbeitet nach Wilms:²³¹

²³⁰ Die vierte denkbare Möglichkeit – zwei Naturen und eine Person – muss von al-Jaʿfarī oder von anderen Radd-Autoren nicht behandelt werden, weil sie historisch wohl nie vertreten wurde und auch in sich widersprüchlich erscheint. Also bildet die Dreiteilung eine praktisch vollständige Typologie möglicher Christologien. ²³¹ Al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, Übersetzung von Wilms 92. In Wilms’ Übersetzung wurde hier eine Strukturierung der Sätze eingefügt. Neben anderen kleinen Korrekturen wurde die Rechtschreibung aktualisiert.

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»[S1] Es ist bekannt, dass diese Gruppe (die Christen) das Wort ›Gott‹²³² für den Messias²³³ gebraucht, über ihm sei der Frieden. [S2] Wüsste ich nur, ob dies nur ein Ehrentitel sein soll, [S2.1] weil man alles Mächtige²³⁴ Gott²³⁵ nennt, [S2.2] oder ob sie wirklich sagen wollen, dass er göttlich²³⁶ sei. [S2.3] Wäre letzteres gemeint, dann wäre diese Gruppe dümmer als alle anderen. [S3] Sie kommen in solche Schwierigkeiten, weil sie am Wortsinn festhalten, [AI] obgleich dem klaren Verstandesurteil Sicherheit gegeben ist, [T1] dass der Wortsinn nicht gemeint ist.²³⁷ [S3.1] Es gibt doch in jedem Gesetz Texte, deren Wortsinn dem Verstand entgegengesetzt ist. [S3.2] Aber die Gesetzeslehrer des jeweiligen Gesetzes haben die Texte dann interpretiert. [S3.3] Eine Gruppe bedeutender Männer verfiel auf ähnliche Dinge. Einer von ihnen sagte: ›Erhaben bin ich.‹ [S3.4] Und ein anderer: ›Wie mächtig bin ich!‹ [S3.5] Und Ḥallāj sagte: ›Ich bin Gott.²³⁸ Und in dieser Kutte ist nichts außer Gott!‹ [S4] Das lässt sich alles aus den Zuständen der Heiligen erklären, die in der Rede keine Vorsicht walten lassen. [S4.1] So sagte dann einer von ihnen: ›Jene sind trunken, und was bei den Sitzungen der Trunkenheit vorfällt, wird verheimlicht und nicht berichtet.‹ [S4.2] Das ist eine Frage der Vernunft, denn der Wortsinn kann nicht gemeint sein. [S4.3] Ferner regen sie sich gegenseitig an, zu den merkwürdigsten Mitteln zu greifen, bis sie den Spöttern verfallen. [S4.4] Sie lassen aber nicht davon ab. [S4.5] Eine Fluchtmöglichkeit und einen Ausweg aus den Verwicklungen gibt es, man kann dem Wort in der Auslegung eine vernünftige Bedeutung beilegen.«

Zunächst stellt al-Ghazālī die These der Christen dar, welche Jesus als ›Gott‹ bezeichnet. Al-Ghazālī unterscheidet im Rahmen eines taṣnīf zwei mögliche Fälle: Entweder ist das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus oder Jesus ist wirklich Gott, wobei die letztere Möglichkeit dem Verstand widerspreche. Der Autor gibt eine Erklärung dafür, wie die Christen zu diesem Glauben kommen: Sie halten am Wortsinn fest. Darauf stellt er die implizite These auf, dass ›Gott‹ auch als Ehrentitel verwendet werden kann und nicht wortwörtlich zu nehmen ist, wie die Christen es tun. Implizit ist diese These deshalb, weil explizit nur T1 behauptet wird. Das hat die Intention, die Gottheit Jesu zu bestreiten. Al-Ghazālī zielt also auf das Widerspruchsprinzip ab: Wenn das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel ist, dann steht die christliche These, Jesus sei in Wirklichkeit Gott, dazu im Widerspruch. Zumindest versucht der Autor zu zeigen, dass

²³² Arabisch al-ilāh. ²³³ Arabisch al-masīḥ. ²³⁴ Arabisch ʿazīm. ²³⁵ Arabisch al-ilāh. ²³⁶ Arabisch al-ilāhiyya. ²³⁷ Es liegt nahe, dass Satz S3 (bzw. genauer gesagt der Satzteil T1) des Argumentationstextes die These sein soll. Aber sie scheint schlecht begründet zu sein. Möglicherweise ist der Text vielmehr so zu verstehen, dass al-Ghazālī einfach voraussetzt, dass Jesus nicht Gott ist, und nur erklären will, welche Bedeutung die Ausdrucksweise der Christen sonst haben kann, bzw. zeigen will, dass diese eine andere Bedeutung hat. Al-Ghazālīs ganzes Unternehmen erscheint etwas merkwürdig, weil ziemlich klar ist, dass die Christen Jesus für Gott halten; wie kann er dann zeigen wollen, dass die Christen mit ihrer Aussage etwas anderes meinen? Sinnvoll wäre es, wenn er zeigen wollte, dass in den entsprechenden Bibelstellen etwas anderes gemeint ist und dass die Christen diese Bibelstellen also falsch verstehen. ²³⁸ Arabisch enā allāh. Gemeint ist wohl der sufische Dichter und Mystiker Abū l-Mughīth al-Ḥusayn ibn Manṣūr al-Ḥallāj (gest. 309/922).

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die Zuschreibung des Prädikates ›Gott‹ an Jesus fragwürdig ist. Damit bleibt dem Autor die Aufgabe, Kriterien dafür aufzustellen, wann ein Begriff nicht wortwörtlich zu verstehen ist.²³⁹ Al-Ghazālī stellt als Antwort hierauf ein rationales Prinzip auf: Wenn die wortwörtliche Bedeutung eines Begriffes in einem Text dem Verstand widerspricht, dann muss diese Verwendung des Begriffes interpretiert werden. Anschließend führt al-Ghazālī aus, dass in jedem (Religions-)Gesetz Texte vorkämen, deren Wortsinn dem Verstand entgegengesetzt sei und die deshalb (freier) zu interpretieren seien. Einige Beispiele sollen verdeutlichen, dass auch andere »bedeutend[e] Männer« das Prädikat ›Gott‹ mit Bezug auf sich selbst, also auf Menschen verwendet hätten. Die Frage, wie das Prädikat ›Gott‹ dabei verwendet wurde und welche Bedeutung es hat, sei eine Frage der Vernunft. Die Vernunft kläre in diesem Fall, dass nicht der Wortsinn gemeint sein könne, und zeige, dass diese Personen das Prädikat nur als Ehrentitel verwendet hätten und nicht behaupten wollten, dass sie wirklich Gott seien. Das wäre gegen die Vernunft. Dem Wort ›Gott‹ könne demnach in der Auslegung eine vernünftige Bedeutung zugesprochen werden, indem es als Ehrentitel verstanden werde. Demzufolge besteht der grobe Aufbau der Argumentation aus drei Teilen: der impliziten These der Christen, der eigenen These und ihrer Begründung, wobei die Argumentation Teilargumente beinhaltet, die im Folgenden bei der Rekonstruktion der Argumentation behandelt werden. Im Folgenden wird ein Analyseverlauf skizziert, der mit der Feststellung des Argumentationsindikators beginnt und dann Argumentationsstruktur, Prämissen und Thesen identifiziert. Ferner wird eine Kontextualisierung der Prämissen und Thesen angestrebt. Darauf folgen die Untersuchung des Adressaten des Arguments und die Rekonstruktion der Argumentation. Am Ende stehen Analysen

²³⁹ Generell ist anzunehmen, dass die Radd-Autoren die Lehre von der Definition (ein Kapitel der Logik) kannten. Im Allgemeinen werden drei Formen der Definition (al-ḥadd) unterschieden: die wirkliche (ḥaqīqī), die beschreibende (rasmī) und die lexikalische (lafẓī) Definition. Nach der Darstellung des al-Ījī liegt eine wirkliche Definition vor, wenn die Definition die wesentlichen Merkmale des Definiendums angibt (die sogenannte spezifische Differenz). Eine beschreibende Definition ist gegeben, wenn die Definition lediglich Merkmale angibt, die dem Definiendum notwendigerweise zukommen (die sogenannten Propria), wie etwa die Definition des Weines als etwas Flüssiges. Die lexikalische Definition gibt Synonyme an, die das Definiendum besser bzw. näher bezeichnen (vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 16–17). Die Definition der Begriffe in Radd-Argumenten wird in dieser Studie nicht explizit als eigener Untersuchungspunkt behandelt, sondern nur dann thematisiert, wenn die Definition für die praktischen Argumentationsanalysen relevant ist. Tatsächlich spielen Definitionen theologischer Begriffe in vielen Radd-Argumenten eine wesentliche Rolle. Auch erkenntnistheoretisch ist die Definition wesentlich, insbesondere wenn man die Auswirkungen der theoretischen Diskussion, ob zusammengesetzte Begriffe durch Definitionen erkannt und einfache Begriffe ohne Definition notwendigerweise erkannt werden, für die praktische Konstruktion von theologischen Argumenten in Betracht zieht (zu dieser Diskussion vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 15–16). Diese Frage spielt beispielsweise bei der Definition des Gottesbegriffes eine Rolle.

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der Gültigkeit und der Schlüssigkeit des Arguments,²⁴⁰ der Wahrheit der benötigten Prämissen sowie der Erkenntnisprinzipien der Argumentation. Der Argumentationsindikator gibt an, was die These und was die Prämissen sind.²⁴¹ Im Ehrentitel-Argument gibt es allerdings keinen klassischen Argumentationsindikator. Womöglich ist die Formulierung »obgleich dem klaren Verstandesurteil Sicherheit gegeben ist« als Indikator zu werten; in diesem Fall käme die These T »dass der Wortsinn nicht gemeint ist« nach dem Indikator. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, denn dies ist ja im Prinzip nur die Aussage, dass die Behauptung der Christen falsch sei. Es fehlt der Hinweis, dass diese Aussage nun begründet werden soll. Somit scheint in dieser Argumentation kein klarer Argumentationsindikator vorhanden zu sein. Der Grund dafür, dass al-Ghazālī hier ohne einen klassischen Argumentationsindikator auskommt, könnte darin bestehen, dass das ganze Buch Al-radd al-jamīl argumentativ aufgebaut ist. Er benötigt somit für Subargumente keine klassischen Argumentationsindikatoren. Dass dies möglich ist, zeigen moderne englischsprachige Argumentationstexte, in denen die Argumentationsindikatoren ebenfalls oft fehlen. Man muss dann aus dem Inhalt erschließen, dass eine Argumentation intendiert ist. Die obige Argumentation, die ich im Folgenden ›Ehrentitel-Argument‹ nenne, kann somit als ein solches Subargument betrachtet werden. Das gesamte Buch Al-radd al-jamīl verfolgt die These, dass Jesus nicht wirklich Gott sei; es kann daher als eine einzige große Argumentation für diese These aufgefasst werden.²⁴² Doch auch wenn das vorliegende Argument als Subargument betrachtet wird, liegt dennoch ein eigenständiges Argument vor, denn es bietet inhaltliche und formale Bedingungen, unter denen die These akzeptiert werden soll.²⁴³ Der Text zwischen S1 und S4.3 stellt eine Argumentation gegen die These der Christen (über die Göttlichkeit Jesu) dar. Die These der Christen unter S1 wird nicht von Christen selbst vorgelegt, sie wird von al-Ghazālī vorgebracht.²⁴⁴ Daher handelt es sich hier nicht um ein Gespräch, sondern um einen Monolog. Die Frage, ob die angebliche christliche Position

²⁴⁰ Die Begriffe ›Gültigkeit‹, ›Schlüssigkeit‹ und ›Wahrheit‹ werden in der Literatur zu Logik und Argumentationsanalyse unterschiedlich verwendet. Um Unklarheiten zu vermeiden, folgt diese Studie bei der Verwendung jener Begriffe einer geläufigen Abgrenzung, die man Ansgar Beckermann folgend so zusammenfassen kann: (i) Die Begriffe ›wahr‹ bzw. ›falsch‹ werden normalerweise nur in Bezug auf einzelne Aussagen – und daher auch für Prämissen und Konklusionen – verwendet, nicht für ganze Argumente. (ii) ›Gültig‹ bzw. ›formal gültig‹ wird ein Argument genannt, wenn seine logische Form gemäß den Gesetzen der formalen Logik garantiert, dass dann, wenn alle Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr ist. (iii) Ein Argument wird ›schlüssig‹ genannt, wenn es gültig ist und seine Prämissen alle wahr sind (nach Beckermann, Einführung 31, vgl. ausführlicher 24–31). ²⁴¹ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 62. ²⁴² Dies ist ein Merkmal vieler islamisch-polemischer Schriften, die sich ausführlich der Begründung weniger Thesen gegen die christliche Theologie widmen. ²⁴³ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 31–34 und 46. ²⁴⁴ Das ist ein typisches Merkmal des Radd-Genres, aber auch christlicher Polemiken gegen die islamische Lehre im Mittelalter.

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tatsächlich von Christen geteilt wurde, ist eine notwendige Bedingung für die Adäquatheit²⁴⁵ des Arguments. Das Ehrentitel-Argument vertritt die islamische These, das Prädikat ›Gott‹ für Jesus sei bloß ein Ehrentitel oder zumindest sei seine Verwendung als bloßer Ehrentitel möglich. Um diese These zu stützen, werden folgende Prämissen herangezogen, wobei mit eP rekonstruierte Zusatzprämissen bezeichnet werden. Bei diesen Zusatzprämissen ist einerseits darauf zu achten, nur solche aufzustellen, die (i.) für das Verständnis des Arguments unentbehrlich sind bzw. zu dessen Verständnis konstruktiv beitragen und (ii.) durch den Text begründet werden bzw. dem Autor des Textes zugerechnet werden können. Diese Einschränkung gilt für explizite Prämissen im Text nicht, auch wenn sie sich im Nachhinein als unnötig erweisen. Eine umfassende Darstellung der Prämissen in ggf. unterschiedlichen Rekonstruktionen wird den Text und die Erkenntnisprozesse des Arguments stärker verdeutlichen können. Aus S1: Aus S2, S2.1–2: eP1: eP2: eP3:

Christen gebrauchen das Prädikat ›Gott‹ für Jesus. Entweder ist das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus oder Jesus ist wirklich Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus bloß ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ als Ehrentitel verwendet werden kann, dann kann es auch für Jesus so verwendet werden. Das Prädikat ›Gott‹ kann als Ehrentitel verwendet werden.

Die verwendeten Prämissen und die Konklusion bzw. die These des Arguments können kontextualisiert werden. Diese Kontextualisierung ist für die Rekonstruktion und vor allem bei der Bildung benötigter Zusatzprämissen ausschlaggebend. Die Kontextualisierung ordnet Aussagen und Prämissen in einen größeren Zusammenhang ein und gibt Hinweise auf die Adressaten. Der Kontext gibt auch oft Hinweise darauf, wie Aussagen zu verstehen sind²⁴⁶ oder wie der Autor sie verstanden hat und wie ihre situative Verortung zu sehen ist. Die Prämisse S1, dass Christen das Wort ›Gott‹ für Jesus verwenden, ist ein Grundprinzip der Christologie. Jesus ist zumindest für die Mehrzahl christlicher Strömungen Gott bzw. Gottes Sohn. Die Sätze S2–S2.3 geben die bekannte islamische Apologetik wieder, welche die Gottheit Jesu in Frage stellt. Das Gottesbild im Islam unterscheidet sich insofern von dem des Christentums, als dass im Islam Gott grundsätzlich keine menschlichen Wesensmerkmale hat. Im Mittelpunkt der islamischen Theologie steht vielmehr die strikte Einsheit Gottes (tawḥīd). Somit entsteht ein Widerspruch zwischen den Gottesbildern des Islams und des Christentums. Dass das Christentum sich trotz der Trinitätslehre oder bestimmter Lehren der Christologie monotheistisch nennt, ist ein Merkmal, das die islamische Apologetik

²⁴⁵ Adäquatheit bedeutet nach Lumer, dass die Argumentation den Adressaten rational überzeugen können muss (vgl. dazu Lumer, Praktische Argumentationstheorie 68). ²⁴⁶ Vgl. illokutionärer Akt bei Lumer, »Implikaturen« 173–174.

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antreibt. Muslimische Apologeten sehen Christen hierbei in einem logischen Widerspruch. Diese Ansicht kann auch den muslimischen Versuch erklären, die christliche Lehre logisch widerlegen zu wollen. Die indirekte Frage des al-Ghazālī zwischen S2 und 2.2 hat die Funktion, Zweifel an der Wahrheit der christlichen These hervorzubringen, und fordert zumindest dazu auf, Klarheit in die Sache zu bringen.²⁴⁷ Die den Christen vom Autor zugeschriebenen Prämissen geben auch einen Hinweis darauf, wer der Adressat des Arguments ist. Alle Christen, die das obige Grundprinzip der Christologie anerkennen und die Prämissen für wahr halten, dass Jesus mit dem Prädikat ›Gott‹ zu bezeichnen ist und dass er wirklich Gott ist (sodass das Prädikat ›Gott‹ kein bloßer Ehrentitel für Jesus sein kann), sind Adressaten von al-Ghazālīs Argument. Bei der Rekonstruktion des Arguments bzw. der möglichen Argumente gelten einige Voraussetzungen. Zunächst muss die Rekonstruktion mit dem Text vereinbar sein und aus dem Text hervorgehen. Die Rekonstruktion darf keine Inhalte und Zusatzprämissen aufstellen, bei denen es unsicher oder unwahrscheinlich ist, ob der Autor diese akzeptieren würde. Zudem sollte die Rekonstruktion schlüssig sein.²⁴⁸ Tetens gibt außerdem an, dass die Rekonstruktion wahre Prämissen haben sollte,²⁴⁹ doch sehe ich das nicht als eine Voraussetzung für die Rekonstruktion. Lediglich die Zusatzprämissen haben diese Voraussetzung zu leisten. Ob die vom Argumentierenden vorgelegten Prämissen wahr sind oder nicht, ist zunächst für die Rekonstruktion des Arguments irrelevant, denn das vom Autor vorgelegte Argument könnte auch ein formal gültiges Argument mit nicht-wahren Prämissen sein. Die Überprüfung der Wahrheit der Prämissen ist somit kein Gegenstand der Rekonstruktion, sondern erst der Kritik des rekonstruierten Arguments. Argumentation 1 (aus S1, S2, S2.1, S2.2, eP1, eP2, eP3) Aus S1: Aus S2, S2.1–2: eP1: eP2: eP3: K1:

Christen gebrauchen das Prädikat ›Gott‹ für Jesus. Entweder ist das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus oder Jesus ist wirklich Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus bloß ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ als Ehrentitel verwendet werden kann, dann kann es auch für Jesus so verwendet werden. Das Prädikat ›Gott‹ kann als Ehrentitel verwendet werden. Das Prädikat ›Gott‹ kann für Jesus als Ehrentitel verwendet werden.

²⁴⁷ Vgl. für diese Funktion in Argumentationen Walton, Critical Argumentation 8. ²⁴⁸ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 17, 190. ²⁴⁹ Tetens, Argumentieren 41.

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Wichtig für die Entscheidung, ob in Argumentation 1 ein deduktives Argument vorliegt, ist die Frage, ob es sich bei der Prämisse ›Entweder ist das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus oder Jesus ist wirklich Gott‹ um eine Disjunktion (einschließendes ›oder‹) oder um eine Kontravalenz (ausschließendes ›oder‹) handelt. Denn wenn E für ›Das Prädikat ›Gott‹ ist ein Ehrentitel für Jesus‹ und G für ›Jesus ist wirklich Gott‹ steht, dann lässt sich mit der Aussagenlogik leicht zeigen, dass bei der Interpretation als Kontravalenz ein gültiger Schluss vorliegt: E ⊻ G, E ⇒ ¬G (mit ⊻ als Symbol für die Kontravalenz); dagegen ergäbe sich bei der Interpretation als einfache Disjunktion (E ∨ G) kein gültiger Schluss. Der Argumentationskontext legt nahe, dass al-Ghazālī diese Prämisse als Kontravalenz versteht. Argumentation 2 Aus S1: Aus S2, S2.1, S2.2: eP1: eP2:

eP3: K1:

Christen gebrauchen das Prädikat ›Gott‹ für Jesus. Entweder ist das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus oder Jesus ist wirklich Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus bloß ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein Gott. Wenn das Prädikat ›Gott‹ auch als Ehrentitel verwendet werden kann, dann kann es auch für Jesus so verwendet werden. Das Prädikat ›Gott‹ kann auch als Ehrentitel verwendet werden.

eP5:

Das Prädikat ›Gott‹ kann auch für Jesus als Ehrentitel verwendet werden. Wenn das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus ist, dann ist Jesus notwendigerweise kein Gott.²⁵⁰ Das Prädikat ›Gott‹ ist ein Ehrentitel für Jesus.²⁵¹

K2:

Jesus ist notwendigerweise kein Gott.

eP4:

Argumentation 2 stellt eine Erweiterung von Argumentation 1 mit Hilfe der Ergänzungsprämissen eP4 und eP5 dar.

²⁵⁰ Die Ergänzungsprämissen eP1, eP2, eP3 und eP4 könnten in einer alternativen Rekonstruktion auch weggelassen werden, denn an dieser Stelle scheint die logische Implikation aus S2, S2.1, S2.2 nicht notwendig zu sein. Dennoch ist es sinnvoll, kurz darauf einzugehen, welche Implikationen al-Ghazālī möglicherweise im Sinne hatte; daher werden diese Ergänzungsprämissen im Folgenden kurz kommentiert. ²⁵¹ Alternative Formulierung: ›Wenn die Christen das Wort ›Gott‹ für Jesus verwenden, dann ist ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus.‹

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Argumentation 3 P1: P2: K1: P3: K2: P4: P5: P6: K3: P7: P8:

In jedem (Religions-)Gesetz gibt es Texte, deren Wortsinn dem Verstand entgegensetzt ist. Die Evangelien sind ein (Religions-)Gesetz. In den Evangelien gibt es Texte, deren Wortsinn dem Verstand entgegengesetzt ist. Wenn der Wortsinn eines Textes dem Verstand entgegensetzt ist, muss er interpretiert werden. Der Wortsinn in den Evangelien muss interpretiert werden. Wenn der Wortsinn interpretiert ist, dann ist er dem Verstand gerecht. Wenn der Wortsinn nicht interpretiert ist, dann ist er nicht dem Verstand gerecht. Der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, ist nicht interpretiert. Der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, ist dem Verstand entgegensetzt. Wenn der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, interpretiert wird, ist es dem Verstand gerecht. Alle Wahrheiten sind dem Verstand gerecht.

K4: P9:

Der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, ist nicht wahr. Nur wenn der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, interpretiert wird, ist er dem Verstand gerecht.

K5:

Nur wenn der Wortsinn von ›Gott‹, der für Jesus gebraucht wird, interpretiert wird, kann er wahr sein.

Argumentation 3 bildet eine etwas allgemeinere Rekonstruktion des EhrentitelArguments. Sie zieht statt dem relativ schwachen Ergebnis von Argumentation 1, dass der Begriff ›Gott‹ als Ehrentitel für Jesus verwendet werden kann, den stärkeren Schluss, dass der Begriff ›Gott‹ in Bezug auf Jesus interpretiert werden muss. Um dieses Argumentationsziel zu erreichen, müssen aber weitere Prämissen herangezogen werden. Argumentation 4 P1: P2:

Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein wirklicher Gott. Das Prädikat ›Gott‹ ist für Jesus ein Ehrentitel.

K:

Jesus ist kein wirklicher Gott.

Argumentation 4 ist eine abstrakte und verallgemeinernde Analyse des Textes des Ehrentitel-Arguments.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Bei den eben angeführten Rekonstruktionen von Argumentation 1 bis 4 wurden mehrfach Zusatzprämissen ergänzt. Dass in eine deduktive Argumentation überhaupt zusätzliche Prämissen eingefügt werden müssen, damit eine formal gültige Argumentation entsteht, ist üblich und stellt keine Verletzung von Argumentationsstandards dar, wenn diese zusätzlichen Prämissen unproblematisch sind.²⁵² Unproblematisch bedeutet hier nach Lumer: (i) Die Zusatzprämissen sind aus dem vorhandenen Text leicht als zusätzlich benötigte Prämissen zu rekonstruieren; (ii) sie sind wahr; (iii) sie werden vom Autor (vermutlich) für wahr gehalten; (iv) der Autor nimmt an, der Adressat akzeptiere diese Prämissen.²⁵³ Diese Kriterien müssen auch bei Rekonstruktionen von Argumenten in der vorliegenden Studie beachtet werden, damit eine Überinterpretation vermieden wird. Zur Rekonstruktion des Ehrentitel-Arguments müssen daher die aufgestellten Zusatzprämissen eP1 bis eP5 geprüft werden. Zu eP1: ›Wenn das Prädikat ›Gott‹ (nur) ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein Gott.‹ Diese Zusatzprämisse lässt sich leicht rechtfertigen, wenn man das Gesamtkonzept des Werkes von al-Ghazālī in Betracht zieht. Al-Ghazālīs These lautet, dass Jesus keine Gottheit sei. Aus dieser Perspektive dient der Versuch, die Zuschreibung des Prädikats ›Gott‹ lediglich auf das Zusprechen eines Ehrentitels zu reduzieren, dieser Hauptthese. Daher ist es begründet, dass al-Ghazālī die Prämisse eP1 voraussetzt, und sie ist für die Rekonstruktion sinnvoll. Die Prämisse ist wahr. Wenn das Prädikat ›Gott‹ nur ein Ehrentitel ist, dann ist es keine Wesensbeschreibung Jesu. Die Zusatzprämisse wird von al-Ghazālī für wahr gehalten und dieser nimmt wohl auch an, der Adressat akzeptiere diese Prämisse – was freilich unwahrscheinlich ist, denn sie widerspricht diametral der christlichen Lehre. Zu eP2: ›Wenn das Prädikat ›Gott‹ als Ehrentitel verwendet werden kann, dann kann es auch für Jesus so verwendet werden.‹ Eine Voraussetzung für eP1 ist zudem, dass der Ehrentitel ›Gott‹ auch auf Jesus angewendet werden kann; diese Voraussetzung wird hier durch die weitere Zusatzprämisse eP2 explizit gemacht. Aus al-Ghazālīs Aussagen kann abgeleitet werden, dass er eP2 voraussetzt, vor allem auch deshalb, weil T1 und die Begründungen unter S3 die Implikationsprämisse eP2 voraussetzen. Zu eP3: › ›Gott‹ kann als Ehrentitel verwendet werden.‹ Diese Zusatzprämisse wird von den Sätzen S3 bis S3.7 impliziert. Zwischen S3 und S3.7 werden Beispiele gegeben, in denen das Prädikat ›Gott‹ als Ehrentitel und metaphorisch benutzt wird. Dies sind Belege für die Implikation von eP3. Zu eP4: ›Wenn ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus ist, dann ist Jesus kein Gott.‹ Diese Zusatzprämisse in Form einer Implikation gibt die Möglichkeit an, dass

²⁵² Vgl. Lumer, Praktische Argumentionstheorie 79–84. ²⁵³ Vgl. Lumer, »Recognizing Argument Types«.

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Jesus unmöglich Gott sein kann, wenn das Prädikat ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus ist. Die Zusatzprämisse impliziert das Prinzip, dass ein Ehrentitel keine Aussage über das wirkliche Wesen macht, sondern rein metaphorisch ist, und wird durch S1–S2.3 begründet. Zu eP5: ›Das Prädikat ›Gott‹ ist für Jesus ein Ehrentitel.‹ Diese Zusatzprämisse ist aus der These des Arguments abzuleiten. Eine alternative Formulierung für eP5 wäre die Prämisse: ›Wenn die Christen das Wort ›Gott‹ für Jesus verwenden, dann ist ›Gott‹ ein Ehrentitel für Jesus.‹ In S1 zeigt al-Ghazālī die Möglichkeit auf, die Gottheit Jesu als Ehrentitel zu verstehen. Er lehnt die Zuschreibung des Prädikates ›Gott‹ an Jesus ab, falls die Christen damit implizieren wollen, dass Jesus wirklich Gott ist (vgl. S2.2). Seine Alternative wäre die Lesart, dass das Prädikat ›Gott‹ nur als ein Ehrentitel für Jesus zu verstehen ist. Das Ehrentitel-Argument ist deduktiv. Am deutlichsten wird dies aus Argument 4 ersichtlich. Es kann als Modus Ponens (qiyās al-istithnā’ī; formal A → B, A ⇒ B) wiedergegeben werden, was die folgende Darstellung verdeutlicht: P1: P2:

[A] Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus ein Ehrentitel ist, [B] dann ist Jesus notwendigerweise kein wirklicher Gott. [A] Das Prädikat ›Gott‹ ist für Jesus ein Ehrentitel.

K:

[B] Jesus ist notwendigerweise kein wirklicher Gott.

Auch die Argumente 1, 2 und 3 sind deduktiv aufgebaut. Ein deduktives Argument in Standardform ist genau dann deduktiv gültig, wenn seine Konklusion logisch aus der Konjunktion seiner Prämissen folgt. Um erkennen zu können, wie Argumente zueinander logisch stehen, müssen die möglichen Beziehungen zwischen den Aussagen geklärt werden.²⁵⁴ Das Argument 4 des al-Ghazālī erfüllt diese Bedingungen. Die Wahrheit der benötigten Prämissen soll hier anhand von Argument 4 diskutiert werden, weil dieses den Kern der ganzen Argumentation bildet. Argument 4 hat zwei Prämissen, wobei die erste Prämisse eine strikte Implikation ist.²⁵⁵ Die erste Prämisse lautet: ›Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus notwendigerweise kein wirklicher Gott.‹ Das Antezedens ist eine hinreichende Bedingung für diese Konsequenz. Die Wahrheit der zweiten Prämisse ›Das Prädikat ›Gott‹ ist für Jesus ein Ehrentitel‹ ist zweifelhaft, weil genau diese Prämisse belegt werden soll. Dass genau diese Proposition begründet werden soll, ist kein Problem der Wahrheit, sondern der Adäquatheit, wenn das Argument überzeugen und zur Erkenntnis anleiten soll.

²⁵⁴ Tetens, Argumentieren 217. In Argumenten fallen Begriffe in Aussagen, die in ihren Bedeutungen überprüft (Aussagenquantifizierung/Aussagenanalyse) werden müssen, um ihre logische Anwendung verstehen zu können. ²⁵⁵ Es liegt nahe, dass hier eine strikte Implikation gemeint ist, weil der Autor zeigen möchte, dass Jesus notwendigerweise kein Gott sein kann, wenn das Prädikat ›Gott‹ als ein Ehrentitel verwendet wird.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Die Proposition erscheint jedoch aus einem anderen Grund zweifelhaft: Genau genommen ist es eine Proposition über die intendierte Bedeutung, aber über die von den Christen intendierte Bedeutung. Und es ist sehr zweifelhaft, ob Christen diese Bedeutung intendiert haben, da sie den Grundlehren des Christentums widerspricht. Laut der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie hat die Argumentation die Funktion, dass der Adressat die Wahrheit oder Akzeptabilität der These erkennt. Erkenntnis ist begründeter Glaube. Erkenntnis ist das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses, der durch Erkenntnisprinzipien begründet wird.²⁵⁶ Dass das Prädikat ›Gott‹ als Ehrentitel zu verstehen ist, ist ein begründeter Glaube. Die Prämissen des Arguments sind die Begründungen. Doch neben den Prämissen und der These bzw. der Konklusion sind auch bestimmte Erkenntnisprinzipien vorhanden, welche die Akzeptabilität der Thesen begründen. Wichtig ist dabei neben der erkenntnistheoretischen Frage, welche Erkenntnisprinzipien der Autor heranzieht, auch die Frage, ob diese Erkenntnisprinzipien tatsächlich die Akzeptabilität der These garantieren. Freilich können und sollten Erkenntnisprinzipien wie ›Alles, was in der Bibel/im Koran steht, ist wahr‹ hinterfragt und kritisch betrachtet werden. Für eine rekonstruierende Argumentationsanalyse ist jedoch schon das Auffinden solcher Erkenntnisprinzipien und Schlussformen bedeutsam, um den Autor zu verstehen, um seinen Gedankengang und sein Argument zu rekonstruieren. Dem Ehrentitel-Argument liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Das Argument besteht aus Urteilen und einem Argumentationsindikator; eines der Urteile ist die These, die anderen sind die Prämissen. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip ist ein Urteil wahr, wenn es von wahren Prämissen logisch impliziert wird. Dadurch leitet es zu deduktivem Erkennen an.²⁵⁷ Es ist fraglich, ob der Originaltext ursprünglich – d. h. ohne die Rekonstruktion mit Zusatzprämissen – eine vollständige, gültige deduktive Argumentation mit wahren Prämissen darstellt, welche die These logisch implizieren. Daher ist die Frage nach der Wahrheitsgarantie nicht eindeutig zu beantworten, denn das deduktive Erkenntnisprinzip besagt zwar, dass die These eines Arguments wahr ist, wenn seine Prämissen wahr sind und diese die These logisch implizieren, doch es sagt nicht aus, welche Prämissen die Bedingung des deduktiven Erkennens erfüllen. Prämissen aufzustellen, die diese Bedingung erfüllen und vom Adressaten akzeptiert werden, ist eine Aufgabe des Argumentierenden. Die prinzipielle Adäquatheit des Ehrentitel-Arguments ist erfüllt. Der Adressat – d. h. bestimmte christliche Strömungen – glauben an die Wahrheit der Prämissen, ohne dabei schon an die Konklusion zu glauben. Sicherlich kann es irgendwann einmal jemanden gegeben haben, der die Prämissen als akzeptabel befunden hat, nicht aber die These. Damit eine gültige deduktive Argumentation außerdem auch noch situativ adäquat ist, um den Adressaten von der

²⁵⁶ Am Beispiel der deduktiven Erkenntnisprinzipien vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 45–51. ²⁵⁷ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 180–209.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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These zu überzeugen, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:²⁵⁸ Der Adressat ist sprachkundig, aufgeschlossen, wahrnehmungsfähig, aufmerksam und urteilsfähig. Zudem verfügt er noch nicht über starke Begründungen für die These, wie sie mit dem Argument erzeugt werden sollen. Weiter muss der Adressat die Prämissen bereits anerkennen, die These aber noch nicht akzeptiert haben. Zudem muss die Folgerungsbeziehung zwischen den Prämissen und der These unmittelbar sein. Wenn dies nicht gegeben ist, muss die Argumentation in mehrere Teilargumentationen mit Zwischenthesen zerlegt werden. Diese Voraussetzungen sind zumindest für das Argument 4 gegeben. Daher ist dieses Argument auch situativ adäquat. Abschließend kann festgehalten werden, dass die Argumente deduktiv sind und zumindest Argument 4 formal gültig ist. Es ist hermeneutisch gezeigt worden, dass es zumindest möglich ist, dass ›Gott‹ als Ehrentitel für Jesus verwendet werden kann, dass also die Evangelien nicht zwingend wortwörtlich verstanden werden müssen. Darauf bezieht al-Ghazālī Position und sieht diese Auslegung als wahrscheinlich an – vor allem deshalb, weil auch andere diese Verwendung von ›Gott‹ benutzt haben. Obwohl hermeneutisch gezeigt worden ist, dass es möglich ist, dass ›Gott‹ in den Evangelien nur als Ehrentitel für Jesus verwendet wird, ist dies zu schwach für das, was al-Ghazālī eigentlich zeigen wollte, nämlich dass Jesus kein Gott ist. Dass diese Argumentation als erkenntnistheoretisch ausgerichtet eingestuft werden kann, hat weitreichende Implikationen für die Frage nach den Adressaten des Textes. Sowohl Whittingham als auch Reynolds betrachten die Muslime als Adressaten des al-Ghazālī.²⁵⁹ Seine Heranziehung der Bibel deutet Reynolds als pragmatische Strategie. Es handle sich um eine persuasive Maßnahme, bei der er eine Quelle heranzieht, die er eigentlich nicht akzeptiert. Folglich dürfte daraus schwerlich eine Erkenntnis abgeleitet werden. Tatsächlich ist die Argumentation al-Ghazālīs jedoch erkenntnistheoretisch ausgerichtet. Und ähnlich wie Chidiac²⁶⁰ kommt unsere Analyse zu dem Schluss, dass al-Ghazālī in seinen Argumenten sehr wohl die Bibel akzeptiert und sie im Rahmen des taḥrīf maʿnawī (bzw. taḥrīf al-maʿnā) betrachtet, sodass seine Adressaten theoretisch neben Muslimen auch Christen sein müssten, denn seine Argumentationen richten sich erkenntnistheoretisch gesehen an diejenigen, welche die christliche These für wahr halten. Ein weiteres Argument des al-Ghazālī, das wir ›Gott-Metapher-Argument‹ nennen wollen, bezieht sich auf die Verwendung der Begriffe ›Gott‹ und ›Herr‹ (rabb), v. a. in der Bibel. Zunächst die deutsche Übersetzung des Originaltextes, bearbeitet nach Wilms:²⁶¹

²⁵⁸ Nach Lumer, Praktische Argumentationstheorie 187–193. ²⁵⁹ Vgl. Whittingham, »Value« 214 und Reynolds, »Ends« 62. ²⁶⁰ Vgl. Chidiac, »Introduction« 20. ²⁶¹ Al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, Übersetzung von Wilms 93–94. In Wilms’ Übersetzung wurde eine Strukturierung der Sätze eingefügt. Neben anderen kleinen Korrekturen wurde die Rechtschreibung aktualisiert.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

»[S1] Al-rabb wird sowohl auf Gott²⁶², gepriesen sei sein Name, angewandt, wie auch auf den Besitzer²⁶³. [S1.1] So spricht man von einem Herrn der Wohnung²⁶⁴ oder des Besitzes²⁶⁵. [S1.2] Mit ilāh zusammen wird rabb für alles Gewaltige²⁶⁶ benutzt. [S1.3] So sagt Jesus im Evangelium: ›In eurem Gesetz wird von euch gesagt, dass ihr Götter²⁶⁷ seid.‹²⁶⁸ [S1.4] Das bezog sich auf die Juden. [S1.5] Und in den Psalmen (steht): ›Ich nannte euch Götter, ihr alle seid Söhne des Allerhöchsten.‹²⁶⁹ [S1.6] Und in der Tora sagt er [sc. Gott] zu Mose: ›Für Pharao habe ich dich zu Gott²⁷⁰ gemacht, und deinen Bruder Harun²⁷¹ zu deinem Gesandten.‹²⁷² [S1.7] Hier wird ›Gott‹²⁷³ auf alles angewandt, was verehrt wird, gleich, ob die Verehrung richtig oder falsch ist. [S1.8] Und wenn man in Schwierigkeiten einen gangbaren Ausweg findet, ist es falsch, wenn man blind auf einem Fehler beharrt. [S2] Alle Beweisstücke zusammen bringt Paulus im 9. Kapitel seines zweiten Briefes. [S3] An dieser Stelle bleibt keine Möglichkeit des Zweifels mehr, es sei denn, man hat seine beiden Führer verloren: den Verstand und das Wissen. [S4] Und er sagt: ›Es gibt außer Gott keinen Gott. [S4.1] Und wenn zwischen Himmel und Erde Dinge existieren, die Götter²⁷⁴ genannt werden – und man findet viele Götter und viele Herren²⁷⁵ –, so haben wir doch nur einen Gott²⁷⁶, und das ist der Gott der ›Vater‹. [S4.2] Alle Dinge stammen von ihm. [S4.3] Wir haben in ihm Bestand. [S4.4] Und es gibt nur einen einzigen Herrn²⁷⁷, das ist Jesus, der Messias, in dessen Hand alle Dinge sind. [S4.5] Auch wir sind in seiner Hand.‹²⁷⁸ [S5] Beachte die Klarheit dieses Beweises: [S5.1] ›Gott‹²⁷⁹ und ›Herr‹²⁸⁰ werden sowohl auf Gott²⁸¹, er ist groß und mächtig, als auch auf andere, die keinen Anspruch auf Anbetung haben, angewandt.

²⁶² Arabisch allāh. ²⁶³ Arabisch al-mālik, gemeint ist ṣāḥib (›Besitzer‹, ›Inhaber‹), also eine auf Menschen bezogene Eigenschaft. ²⁶⁴ Arabisch rabb al-manzil. ²⁶⁵ Arabisch rabb al-muṭāʿ. Zu diesem Begriff merkt das Glossar der Encyclopaedia of Islam Folgendes an und weist damit auf die Schwierigkeit dieses Begriffes hin: »[A]s al-~, a term mentioned in al-G̲h̲azālī the meaning of which is unclear: R. A. Nicholson tentatively suggested it should be read as identical with Ḳuṭb as al-ḥaḳīḳa al-muḥammadiyya, but this was rejected by W. H. T. Gairdner, who had earlier questioned L. Massignon’s suggestion that al-~ is an obscure allusion to the doctrine of the ḳuṭb as the head of the saintly hierarchy, al-Ḳuṭb« (Bearman u. a., »Glossary«, Art. »Muṭā«). ²⁶⁶ Arabisch ʿaẓīm. ²⁶⁷ Arabisch ʾalihat (andere Lesart: ālihat). ²⁶⁸ Nach Johannes 10,34. ²⁶⁹ Nach Psalm 82,6. ²⁷⁰ Arabisch ilāh. ²⁷¹ D. h. Aaron. ²⁷² Exodus 7,1: »Pass auf! Für den Pharao habe ich dich zu einem Gott gemacht und Aaron wird dein Prophet sein.« Arabisch: .َ‫ﻙ ﻳَ ُﻜﻮﻥُ ﻧَﺒِﻴﱠﻚ‬ َ ‫ َﻭﻫَﺎﺭُﻭﻥُ ﺃَ ُﺧﻮ‬. َ‫ﻚ ﺇِﻟﻬًﺎ ﻟِﻔِﺮْ ﻋَﻮْ ﻥ‬ َ ُ‫ﺍ ْﻧﻈُﺮْ ! ﺃَﻧَﺎ َﺟ َﻌ ْﻠﺘ‬ ²⁷³ Arabisch ilāh. ²⁷⁴ Arabisch ʾalihat (andere Lesart: ālihat). ²⁷⁵ Arabisch arbāb (Plural von rabb). ²⁷⁶ Arabisch ilāh. ²⁷⁷ Arabisch rabb. ²⁷⁸ Offenbar nach 1. Korinther 8,5–6, etwas ausgestaltet. ²⁷⁹ Arabisch al-ilāh. ²⁸⁰ Arabisch al-rabb. ²⁸¹ Arabisch allāh.

3.4. Radd in systematisch-argumentativen Schriften und im Briefwechsel

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[S6] Dann spricht er dem anbetungswürdigen Gott²⁸² die Eigenschaft des Schöpfers²⁸³ zu, der ein Recht auf Anbetung hat. [S6.1] Ein jedes Ding macht er von ihm abhängig, wenn er sagt: [S6.2] ›Aus ihm (stammt) jedes Ding, und wir sind in ihm.‹ [S6.3] Dann erklärt er ihn unzweifelhaft zum Gott²⁸⁴ und singt ein Loblied seiner Einzigkeit, indem er sagt: [S6.4] ›Wir haben einen einzigen Gott²⁸⁵, und das ist Allāh.‹ [S6.5] Dann weist er den Rechtsanspruch auf die Göttlichkeit²⁸⁶ für jeden anderen zurück: [S6.6] ›Und es gibt keinen Gott²⁸⁷ außer Allāh allein.‹ [S7] Dann spielt er auf den Messias an. [S7.1] Er bezeichnet ihn als ›Herrn‹²⁸⁸. [S7.2] Er hatte vorher den doppelsinnigen Gebrauch erklärt und meint es hier im Sinne von ›Besitzer‹²⁸⁹. [S7.3] Darauf weist hin, dass er ihm keine der erwähnten göttlichen Eigenschaften zuschreibt, [S7.4] sondern ihm nur die Hand eines Besitzers²⁹⁰ zuspricht, die ihrem Besitzer²⁹¹ gute Dienste leistet.«

Argumente können oft in unterschiedlichen Versionen rekonstruieren werden. Wenn wir al-Ghazālīs Gott-Metapher-Argument auf das Wesentliche beschränken und die Beispiele weglassen, kann der Kern dieses Arguments wie folgt dargestellt werden: P1:

P2: K:

Wenn die Bibel nichtgöttliche Wesen metaphorisch mit dem Prädikat ›Gott‹ (ilāh) bezeichnet, so ist möglich, dass die Bibel auch Jesus (nur) metaphorisch ›Gott‹ nennt. (aus S1.3r, S1.5r, S1.6r und S1.7r) Die Bibel nennt nichtgöttliche Wesen metaphorisch ›Gott‹. Es besteht die Möglichkeit, dass die Bibel auch Jesus (nur) metaphorisch ›Gott‹ nennt.

Dieses rekonstruierte Argument zielt darauf ab, die Möglichkeit zu zeigen, dass Jesus nicht notwendigerweise Gott ist, trotz seiner Bezeichnung als ›Gott‹ in der Bibel. Al-Ghazālī möchte zumindest die These der Christen in Frage stellen und den Adressaten, in diesem Fall den Christen, zeigen, dass die Gottheit Jesu nicht notwendigerweise belegt ist. Die Konklusion wird anders als im Ehrentitel-Argument nicht explizit erwähnt. Sie wird jedoch aus dem Kontext deutlich und durch das im Text vorhergegangene Ehrentitel-Argument bestätigt, da dieses eine inhaltlich gleichwertige Konklusion hat. Tatsächlich baut das Gott-Metapher-Argument auf dem Ehrentitel-Argument auf.

²⁸² Arabisch ilāh. ²⁸³ Arabisch al-khāliq. ²⁸⁴ Arabisch allāh. ²⁸⁵ Arabisch ilāh. ²⁸⁶ Arabisch ilāhiyya. ²⁸⁷ Arabisch ilāh. ²⁸⁸ Arabisch al-rabb. ²⁸⁹ Arabisch al-mālik. ²⁹⁰ Arabisch al-mālik. ²⁹¹ Arabisch li-al-mālik.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Das Gott-Metapher-Argument ist formal gültig (tautologisch) und kann wie folgt in Form eines Modus Ponens (qiyās al-istithnā’ī) dargestellt werden:²⁹² P1: P2:

∃xNM(b, x, g) → 3NM(b, j, g) ∃xNM(b, x, g)

K1:

3NM(b, j, g)

Ob man dieses Argument auch für schlüssig hält, hängt von der Bewertung der Prämissen ab, die wiederum von der Interpretationsweise der Bibel abhängt. Viele Christen würden heute wohl der Prämisse P2 zustimmen,²⁹³ sodass dieses Argument aus ihrer Sicht schlüssig und für sie adäquat wäre. Wenn allerdings z. B. sehr traditionelle Christen eine metaphorische Interpretation von Bibelstellen grundsätzlich ablehnen und mit entsprechenden Bibelstellen anders umgehen, dann würden sie auch P2 ablehnen, sodass das Argument aus ihrer Sicht nicht schlüssig wäre.

3.5. Radd in taʾrīkh (Geschichtsschreibung), al-milal wa-l-niḥal (›Religionen und Sekten‹) und maqālāt (Häresiographie) Der Radd ist jedoch nicht nur Bestandteil dieser Kalām-Literatur, wie sie etwa von al-Warrāq vorgelegt wurde, sondern auch der Genres taʾrīkh (Geschichtsschreibung), al-milal wa-l-niḥal (›Religionen und Sekten‹) oder maqālāt (Häresiographie). Einer der ersten, der am Anfang des 10. Jahrhunderts das Christentum in seinem Geschichtsbuch Taʾrīkh beschreibt, war Abū al-ʿAbbās Aḥmad ibn Abī Yaʿqūb ibn Jaʿfar ibn Wahb ibn Wāḍiḥ, der als al-Yaʿqūbī bekannt war. Der in Bagdad geborene al-Yaʿqūbī ist gegen 293/905 in Ägypten gestorben.²⁹⁴ Seine Beschreibung des Christentums ist – für diese Zeit ungewöhnlich – in Bezug auf den historischen Jesus ziemlich objektiv. Dies schließt aber nicht aus, dass er beispielsweise den im Johannesevangelium verheißenen Parakleten mit Muḥammad identifiziert²⁹⁵ oder auf die Unterschiedlichkeit der Evangelien aufmerksam macht. Der Grund dafür liegt wiederum in seinem Geschichtsverständnis. Denn für al-Yaʿqūbī hat, wie auch für andere muslimische Historiker, das Aufkommen des Islams schon mit Adam begonnen. In seiner Jesus-Biographie ist der historische Jesus eine Zwischenstation in der Weltgeschichte;

²⁹² Dabei steht NM(x, y, z) für das Prädikat ›x nennt y metaphorisch z‹, die Individuenkonstanten b für die Bibel, g für (den Begriff) ›Gott‹ und j für Jesus, das Zeichen 3 für ›es ist möglich‹. Es wäre auch eine subtilere Formalisierung mit Verwendung eines Prädikates G(x) für die Benennung als Gott möglich, doch brächte dies hier keinen Mehrwert. ²⁹³ Jedenfalls bei Bibelstellen wie jenen, die al-Ghazālī zitiert (Exodus 7,1, Johannes 10,34–36 usw.). ²⁹⁴ Vgl. Thomas, »Al-Yaʿqūbī« 75–76. ²⁹⁵ Vor allem Johannes 14,26 und 15,26 ließen sich leicht so deuten; vgl. 14,16 und 16,7.

3.5. Radd in Geschichtsschreibung und Häresiographie

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Jesus erscheint auch bei ihm als Prophet, denn die Reihe der Propheten endet mit Muḥammad, sodass die Gleichsetzung des Parakleten mit Muḥammad für ihn selbstverständlich ist.²⁹⁶ Sein Taʾrīkh ist ein gutes Beispiel dafür, wie Radd auch in der Geschichtsschreibung zur Anwendung kommen kann. Ähnlich verhält es sich mit der Gattung al-milal wa-l-niḥal. Dies ist eine eigenständige häresiographische bzw. doxographische Literaturgattung, welche die Beschreibung verschiedener Religionen und ihrer Glaubensinhalte zum Thema hat.²⁹⁷ Sie versucht die religiösen Strömungen sachlich zu beschreiben, wenn auch dieser Versuch nicht konsequent durchgeführt werden kann. So sind in dieser Gattung viele Argumente muslimischer Autoren zu verschiedenen religiösen Lehren zu finden, u. a. zur christlichen. Ein typisches Beispiel dieser Gattung ist das Buch Al-fiṣal fī al-milal wal-ahwāʾ wa-l-niḥal des Ibn Ḥazm (gest. 456/1064). Das Al-fiṣal des Ibn Ḥazm begegnet nicht nur nicht-islamischen Religionen und Weltanschauungen argumentativ, wie etwa den Christen, Juden, Zarathustra-Anhängern, Brahmanen, Sophisten, Atheisten und Polytheisten, sondern auch innerislamischen Strömungen wie etwa den Khārijīten oder dem Schiismus.²⁹⁸ Argumentativität war die entscheidende Methode des Ibn Ḥazm bei seiner Suche nach theologischer Wahrheit, ohne dabei eine religiös bestimmte Unterscheidung zwischen den Opponenten zu machen; ihm ging es in erster Linie um die Akzeptanz oder Widerlegung theologischer Thesen. Dabei unterscheidet er nicht zwischen innerund außerislamischen Theologieschulen. Dasselbe gilt z. B. auch für seinen Zeitgenossen al-Juwāynī,²⁹⁹ der die Behandlung der christlichen Thesen inmitten seines Kitāb al-irshād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād ³⁰⁰ setzt, obwohl es darin nicht in erster Linie um das

²⁹⁶ Vgl. Thomas, »Taʾrīkh« und Griffith, »Gospel«. ²⁹⁷ Vgl. Gimaret, »Al-Milal« 54–55. ²⁹⁸ Vgl. Ibn Ḥazm, Al-fiṣal, etwa exemplarisch Bd. 1, 109–110, 177–178; Bd. 2, 125–126, 266–267, 274–275; Bd. 4, 76–77, 214–215, 86–87, 115–116 u. v. m. ²⁹⁹ Abū al-Maʿālī ʿAbd al-Malik ibn ʿAbdallāh ibn Yūsuf al-Juwāynī, Imām al-Ḥaramayn, bekannt als al-Juwāynī (gest. 478/1085), war ein einflussreicher Gelehrter und Systematiker in der Theologie, der sich vor allem in seinen Schriften Shifāʾ al-ghalīl fī bayān mā waqaʿa fī al-Tawrāt wa-l-Injīl min al-tabdīl, Kitāb al-Shāmil fī uṣūl al-dīn und Kitāb al-irshād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād zum Christentum äußerte. Al-Juwāynī studierte bei seinem Vater und führte nach dessen Tod seine Lehrtätigkeit fort. Doch als der seldschukische Wesir die Shāfiʿīten und Ashʿarīten zu verfolgen begann, musste al-Juwāynī 1048 Nīshāpūr verlassen. Er wanderte fünfzehn Jahre lang durch verschiedene Städte, u. a. nach Mekka und Medina, weshalb er den Titel al-Ḥaramayn (›die zwei heiligen Stätten‹) zugeschrieben bekam (vgl. Thomas, »Al-Juwāynī« 121–126). Er war ein überragender Theologe seiner Zeit mit großem Einfluss auf die Nachwelt (siehe Walker in seiner Edition des Kitāb al-irshād XX–XXXVII). ³⁰⁰ Es liegt hierzu eine herausragende englische Übersetzung von Walker vor (»A guide to conclusive proofs for the principles of belief«, siehe Literaturverzeichnis). Editionen des Kitāb al-irshād ilā qawāṭiʿ al-adilla fī uṣūl al-iʿtiqād haben vorgelegt: J. D. Luciani (Paris 1938), Muḥammad Yūsuf Mūsā und ʿAlī ʿAbd al-Munʿim (Kairo 1950), Asad Tamim (Beirut 1985) und Zakariyyā ʿUmayrat (Beirut 1995). Walker legt seiner Übersetzung die Kairoer Edition zugrunde.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Christentum als Religion geht, sondern um die theologischen Thesen und Aussagen, welche Christen im Rahmen ihrer Theologie vertreten. Al-Juwāynīs Kitāb al-irshād ist ein Kalām-Werk und zudem ein gutes Beispiel dafür, dass auch in Kalām-Werken die argumentative Begegnung mit dem Christentum stattfindet.³⁰¹ Al-Juwāynī integriert in sein Kitāb al-irshād einen Radd zur christlichen Lehre im Rahmen der Diskussion über das Wesen der Substanz,³⁰² ein Thema, das auch im Rahmen des Kalāms, beispielsweise zwischen den Ashʿarīten und Muʿtazilīten, argumentativ diskutiert wurde. Al-Juwāynī definiert die Substanz als etwas, das einen Raum einnimmt.³⁰³ In seinem ʿaqīda-Werk Lumaʿ al-adilla definiert er Substanz als etwas, das ḥajm (›Volumen‹) hat.³⁰⁴ Ausgehend von seinem Verständnis der Substanz, versucht er argumentativ zu zeigen, dass die christliche Lehre falsch liege, weil sie annehme, Gott sei eine Substanz. Doch dies ist nur der Ausgangspunkt seiner Argumentation: Ausgehend von der Frage nach der Natur Gottes konstruiert er verschiedene Argumentationen.³⁰⁵ Dass al-Juwāynī seine Argumentation gegen die christliche Lehre in sein Kalām-Werk Kitāb al-irshād einbaut, gibt uns wichtige Aufschlüsse über seine Sicht der argumentativen Begegnung mit dem Christentum: Der mittelalterliche

³⁰¹ Ähnlich verhält es sich mit dem Kitāb al-tawḥīd des al-Māturīdī, in dem die Diskussion mit der christlichen Lehre im Rahmen des Kalāms in einem Kalām-Werk platziert wird. Vgl. al-Māturīdī, Kitāb al-tawḥīd 266–269. ³⁰² Al-Juwāynī, Kitāb al-irshād, hg. von ʿAlī ʿAbd al-Munʿim 28. ³⁰³ Al-Juwāynī, Kitāb al-irshād 17. ³⁰⁴ Al-Juwāynī, Lumaʿ al-Adilla, in ders., Textes apologetiques, hg. von Allard 121. ³⁰⁵ Wie etwa folgendes Argument aus seinem Kitāb al-irshād: »[S1] In the idiom of the theologians [al-mutakallimīn], substance [al-jawhar] is what is spatially extended [almutaḥayyiz] [S1.1] and we have already adduced a proof [al-dalīl] of the impossibility that the Creator is spatially extended. [S2] Substance is also often stipulated as that which receives accidents. [S3] We have also already clearly established the impossibility of the Creator being susceptible to temporal contingencies [li-ʾl-ḥawādith]« (Kitāb al-irshād 28 in der Übersetzung von Walker). In dieser Argumentation zieht al-Juwāynī die Prämisse heran, dass Gott nicht zeitlich sei; er sei nicht ḥādith, das heißt: er ist nicht in einer Zeit entstanden, sondern ist ewig (qadīm; vgl. Arnaldez, »Iḥdāt̲ h̲« 1051–1052). Al-Juwāynī nutzt den Begriff iḥdāth im dem Sinne, wie ihn schon al-Jurjānī (gest. 740/1339) in seinem Kitāb at-Taʿrīfāt nutzt (vgl. Tritton, »Al-Ḏj̲urd̲j̲ānī« 602–603), und zwar als ein Akt, der eine Sache in der Zeit hervorbringt (al-Jurjānī definiert in seinem Kitāb at-Taʿrīfāt diesen Akt wie folgt: īj̲ād shayʾ masbūḳ bi-ʾl-zamān; al-Jurjānī, Kitāb at-Taʿrīfāt 20). Diese Argumentation kann deduktiv wie folgt rekonstruiert werden: P1: Substanz erfährt Akzidenz (S2); eP2: Akzidentelles ist zeitlich gebunden; P3: Gott ist nicht zeitlich gebunden (S3); K1: Gott ist keine Substanz. Der Adressat dieses Arguments ist zunächst einmal im weitesten Sinne die gesamte Leserschaft des Kitāb al-irshād. Denn im erkenntnistheoretischen Ansatz geht es nicht um die Überredung einer bestimmten Gruppe, er hat vielmehr den Anspruch, dass das Argument zur Wahrheit anleitet, und Interesse an Wahrheit hat jedermann. Dies bezeugt auch die Heranziehung von Konklusionen, die in vorausgehenden Teilen desselben Werkes erarbeitet wurden. Im Speziellen ist der Adressat jedoch jeder Christ, der die Thesen, die al-Juwāynī den Christen in den Mund legt, akzeptiert. Im eigentlichen Sinne geht es um diese Leserschaft. Der Christ, der Gott als Substanz akzeptiert und daraus die Trinitätslehre zu begründen versucht, soll argumentativ vom Gegenteil überzeugt werden.

3.5. Radd in Geschichtsschreibung und Häresiographie

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islamisch-theologische Argumentierende diskutiert mit den christlichen Opponenten mit derselben Methode und unter denselben Voraussetzungen wie mit seinen muslimischen Opponenten, nämlich im Rahmen der Kalām-Methode. Das ist gut beobachtbar im Kitāb al-irshād. Darin verwendet al-Juwāynī bei der argumentativen Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre dieselben Prämissen, welche er argumentativ in der Diskussion mit muslimischen Opponenten aufbaut. Ein Beispiel ist folgende Aussage aus einem seiner Argumente zum Christentum: »If you intend, in speaking of Him as a substance, to characterize Him by the specific properties of substances, the proof of the impossibilities of that was given previously«³⁰⁶. Hier verwendet al-Juwāynī eine von ihm im vorausgehenden Kapitel desselben Werkes begründete Konklusion als Prämisse für den christlichen Adressaten, und zwar die Unmöglichkeit, dass Gott eine Substanz sein kann. Dies wird in seiner Argumentation als belegt und bewiesen angesehen und darauf baut seine weitere Argumentation auf. Die Diskussion mit den Christen ist eben nur ein Teil seines Werkes, das Buch ist nicht nur an die Christen gerichtet. Al-Juwāynī macht auf der Suche nach Wahrheit im Rahmen des Kalāms also keinen Unterschied zwischen Muslimen und Christen. Er tritt mit beiden in eine argumentative Auseinandersetzung ein. Funktion und Anspruch des Argumentierens ist es, Erkenntnis und Wahrheit zu generieren. Al-Juwāynī zieht, was seine Substanz-Lehre angeht, eine Mutakallimūn-Definition heran, nämlich »In the idiom of the theologians (al-mutakallimīn), substance (al-jawhar) is what is spatially extended«³⁰⁷, weil er davon ausgeht, dass der Opponent ebenfalls im Rahmen des Kalāms agiert (sonst wäre dies sinnlos). Das zeigt auch, dass die Disputation mit den Christen im Rahmen des Kalāms stattfindet und kein gesondertes ›Schlachtfeld‹ bildet. Die Disputation mit den Christen wird genauso geführt wie die Disputation mit innerislamischen Schulen. Das zeigt auch: Man möchte den Christen im Rahmen der Kalām-Methode begegnen und die Kalām-Methode hat zum Ziel, Erkenntnis zu begründen. Somit ist die argumentative Disputation mit den Christen eine intellektuelle, erkenntnistheoretisch ausgerichtete Begegnung und keine Schmähkritik. Sowohl Ibn Ḥazm als auch al-Juwāynī geht es somit nicht nur um die Widerlegung des Christentums als eine Religion oder politische Macht, sondern vielmehr um die wissenschaftlich-methodische³⁰⁸ und argumentative Widerlegung der christlichen Lehrsätze, ähnlich wie bei der Widerlegung der Lehrsätze innerislamischer Strömungen. Es geht in der Debatte auch nicht um den Versuch einer Konversion, sondern darum, die argumentativen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und sie auszubauen, wie sich beispielsweise deutlich in der Debatte zwischen den dritten Abbasidenkalifen al-Mahdī (reg. zwischen 158/ 775 und 169/785) und dem nestorianischen Patriarchen (zwischen 163/780 und

³⁰⁶ Al-Juwāynī, Kitāb al-irshād 28, übers. Walker. ³⁰⁷ Al-Juwāynī, Kitāb al-irshād 28, übers. Walker. ³⁰⁸ Damit ist die Logik und die Kalām-Methode gemeint.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

207/823) Timotheus zeigt.³⁰⁹ Dieser Versuch ist somit nicht rhetorisch, um eine bestimmte Religion zunichte zu machen, sondern ein Resultat der argumentativen Suche nach wahren theologischen Sätzen und somit epistemisch.³¹⁰ Gegenstand der Kritik sind theologische Aussagen, unabhängig davon, ob sie von christlichen oder muslimischen Strömungen verteidigt werden; sie alle werden ausschließlich wegen ihren Thesen argumentativ in einem einzigen Werk gemeinsam behandelt. Das bezeugt, dass die Theologie ganzheitlich gesehen wurde. Die Theologie wurde also nicht als relativ betrachtet, sondern als objektiv durch Argumentation beurteilbar, wie etwa bei al-Juwāynī im Rahmen seiner Argumentation zum Christentum deutlich wird.³¹¹ Ein weiterer einflussreicher Autor der al-milal wa-l-niḥal-Literatur war der mutakallim und Religionshistoriker Abū al-Fatḥ Muḥammad ibn ʿAbd al-Karīm ibn Aḥmad al-Shahrastānī (gest. 548/1153), der kurz nach Ibn Ḥazm wirkte. Al-Shahrastānī befasste sich in seinen Werken hauptsächlich mit theologischen und philosophischen Fragen.³¹² Sein Kitāb al-milal wa-l-niḥal (»Buch über die Religionen und Sekten«) ist eine muslimische Häresiographie, in der er eine Übersicht über muslimische und nichtmuslimische religiöse Gruppierungen entwirft. Dabei versucht al-Shahrastānī, wie David Thomas beschreibt, zu zeigen, inwieweit diese Glaubenslehren den Grundprinzipien der islamischen Orthodoxie entsprechen oder aber davon abweichen. Dabei gehören die Christen in seinem Kitāb al-milal wa-l-niḥal zu den religiösen Gruppierungen, die vom reinen Monotheismus abgewichen sind, weil sie Änderungen an ihren Offenbarungen vornahmen. Wie Thomas weiter beschreibt, enthält der Abschnitt über die Christen eine kurze Beschreibung ihrer Geschichte und Glaubenslehren. Al-Shahrastānī gibt christologische und trinitarische Interpretationen wieder und fasst die wichtigsten christlichen Dogmen zusammen. Kritik äußert er hauptsächlich an der Trinität und an der Inkarnation. Laut der Beschreibung von Thomas warnt al-Shahrastānī aufgrund von logischen Schwierigkeiten in der christlichen Lehre vor dem Christentum. Seine Bewertung des Christentums als Verzerrung des wahren Monotheismus gründet in seiner Auffassung, die Christen hätten ihre Offenbarungsschrift verfälscht.³¹³ Auch die Argumentativität des maqālāt ist vergleichbar mit taʾrīkh und al-milal wa-l-niḥal, und außer in den genannten Radd-Werken kommen apologetische und polemische Inhalte auch in maqālāt-Werken vor. Maqālāt ist der Plural von maqāla, das lexikalisch ›Artikel‹ bedeutet.³¹⁴ Als Gattung der

³⁰⁹ Vgl. Hunter, »Interfaith Dialogues« 295–298. ³¹⁰ Ohnehin ist der muslimische Theologe dadurch gekennzeichnet, dass er, sei es im Kalām oder in der Rechtslehre (fiqh), stets in argumentative Diskurse eingebunden ist, was sich aus der Argumentativität der islamischen Theologie ergibt (vgl. Gutas, Translation Movement 69–74). ³¹¹ Vgl. al-Juwāynī, Kitāb al-irshād 28–30. ³¹² Vgl. Thomas, »Al-Shahrastānī«. ³¹³ Vgl. Thomas, »Kitāb al-milal«. ³¹⁴ Vgl. Bearman u. a, »Glossary« 370, Art. »Maḳāla«.

3.6. Radd in philosophischen Texten

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islamisch-theologischen Literatur ist damit die gesammelte Beschreibung von religiösen Strömungen in einem Werk gemeint. Beispielsweise verfasste Abū al-Ḥasan al-Ashʿarī sein berühmtes Werk Maqālāt al-Islāmiyyīn, worin er theologische Strömungen seiner Zeit auflistet und beschreibt. Oft werden in den maqālāt innerislamische Strömungen beschrieben, wie auch im Falle des Maqālāt al-Islāmiyyīn. Doch oft werden auch nichtislamische Konfessionen behandelt und oft wird ihnen kritisch begegnet, auch wenn selten disputativ. So schrieb al-Ashʿarī auch ein maqālāt-Werk zu nicht-islamischen Religionen mit dem Titel Maqālāt ghayr al-Islāmiyyīn, das jedoch nicht erhalten ist, aber viel umfangreicher gewesen sein soll als seine Maqālāt al-Islāmiyyīn.³¹⁵ Wenn die Maqālāt ghayr al-Islāmiyyīn ähnlich strukturiert gewesen sein sollten wie die Maqālāt al-Islāmiyyīn, dann wäre ihr häresiographischer Inhalt hochinteressant gewesen. Das Werk könnte verschiedene Lehrmeinungen muslimischer Gelehrter zum Christentum, Argumente zur Widerlegung christlicher Lehren und wichtige Informationen zu Christen dieser Zeit enthalten haben.³¹⁶ Umso bedauerlicher ist für uns der Verlust dieser Schrift.³¹⁷ Immerhin lassen sich auch aus den Maqālāt al-Islāmiyyīn implizite argumentative Momente al-Ashʿarīs zum Christentum ermitteln, die ebenfalls die Argumentativität der maqālātLiteratur widerspiegeln,³¹⁸ auf die hier jedoch nicht gesondert eingegangen werden kann. Sicherlich könnten zahlreiche weitere maqālāt-Werke angegeben werden, welche die argumentative Begegnung mit dem Christentum zeigen, wir beschränken uns hier aber auf einen Autor, den wir schon an anderer Stelle als Radd-Autor behandeln.

3.6. Radd in philosophischen Texten Der Radd kommt auch in philosophischen Schriften vor. Zwei Radd-Texte, die aus der Feder eines Philosophen stammen, sind Radd ʿalā l-Naṣārā und Risāla fī iftirāq al-milal fī al-tawḥīd wa-annahum majmūʿūn ʿalā l-tawḥīd wa-kull qad khālafa ṣāḥibahu von Abū Yūsuf Yaʿqūb ibn Isḥāq al-Kindī (gest. 256/870).

³¹⁵ Vgl. Thomas, »Maqālāt ghayr« 212–217. ³¹⁶ Thomas, »Maqālāt ghayr« 212–217. ³¹⁷ Ein weiteres maqālāt-Werk, das diesmal speziell zur Widerlegung der jüdischen und christlichen Lehre verfasst wurde, sind die Maqālāt fī al-radd ʿalā l-Yahūd wa-l-Naṣārā des Muwaffaq al-Dīn Abū Muḥammad ʿAbd al-Laṭīf ibn Yūsuf al-Baghdādī, bekannt als Ibn al-Labbād (gest. 629/1232). Auch dieses Werk ist verschollen. Ibn al-Labbād war ein intellektueller Gelehrter und interessierte sich für das Christentum und Judentum. Dieses Interesse, wahrscheinlich exemplarisch für alle Autoren, die zu diesen Religionen geschrieben haben, zeigt, dass die Fragen, die vom Christentum und Judentum ausgingen, die Muslime nicht gleichgültig gelassen haben (Thomas, »Maqālāt fī l-radd« 249–250). Denn dies waren wissenschaftlich interessante Fragestellungen und Probleme, die im islamischen Glaubenssystem gelöst werden mussten. Diese Auseinandersetzung führte jedoch nicht nur zur Apologetik, sondern auch zur gegenseitigen Beeinflussung der religiösen Systeme. ³¹⁸ Exemplarisch vgl. al-Ashʿarī, Maqālāt al-Islāmiyyīn Bd. 1, 239.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Al-Kindī, als Sohn des Gouverneurs von Kūfa geboren, ging auch selbst in den Staatsdienst und wirkte als Lehrer des Sohnes des Kalifen al-Muʿtaṣim (reg. 218/833–227/842) sowie als Übersetzer von philosophischen Werken aus dem Griechischen. Nachdem er in Konflikt mit dem Kalifen al-Mutawakkil (reg. 232/847–247/861) geriet, soll dieser al-Kindīs Bücher konfisziert haben. Al-Kindī, der am Hof beste Verbindungen zu intellektuellen Kreisen gepflegt zu haben scheint, zeigt in seinen Werken, dass er sich für die muʿtazilitische Theologie und vor allem für die Philosophie interessierte. Zu den fast 250 von ihm bekannten Werken (von denen allerdings nur 40 überlebt haben) gehören Abhandlungen über Astronomie, Astrologie, Naturereignisse, Philosophie, Mathematik, Logik, Musik und Medizin sowie Widerlegungen von muslimischen und nicht-muslimischen Gruppen, also Radd-Texte. Er ist vor allem als einflussreicher Philosoph bekannt, der als faylasūf al-ʿArab (›der arabische Philosoph‹) bezeichnet wurde,³¹⁹ wobei die Bezeichnung faylasūf zeigt, dass er als Philosoph, der sich auf das griechische Erbe stützt, wahrgenommen wurde. Sein Radd zum Christentum war die erste argumentative Schrift aus der Feder eines muslimischen Philosophen.³²⁰ Dieser Radd muss auf orientalische Christen so beunruhigend gewirkt haben, dass Yaḥyā ibn ʿAdī (gest. 974) noch etwa 100 Jahre später al-Kindīs Text mit einer Gegenschrift zu widerlegen versuchte, die den Titel Maqāla yatabayyan fīhā ghalaṭ Abī Yūsuf Yaʿqūb ibn Isḥāq al-Kindī fī al-radd ʿalā l-Naṣārā (etwa: »Abhandlung, welche die Fehler des Abī Yūsuf Yaʿqūb ibn Isḥāq al-Kindī in seiner Widerlegung der Christen aufzeigt«) trägt. Der Radd ʿalā l-Naṣārā al-Kindīs ist eindeutig philosophisch und logisch, nicht etwa rein theologisch, ausgerichtet. In seinem Werk Kitāb ilā al-Muʻtaṣim bi-Allāh fī al-falsafa al-ūlā (»Über die Erste Philosophie«)³²¹ verteidigt al-Kindī die Vorstellung von Gott als dem ›wahren Einen‹ (al-wāḥid al-ḥaqq) und damit als der Ersten Ursache.³²² Dies scheint der christlichen Trinitätslehre zu widersprechen. Daher betrachtet er Christen, die an der Trinität festhalten, als vom Monotheismus (tawḥīd) abgekommen und versucht, die Trinitätslehre unter Heranziehung der Eisagogḗ des Porphyrios zu widerlegen, die von jedem mit theoretischem Denkvermögen begabtem Menschen verstanden werde. Zudem sei die Eisagogḗ bei den Christen in jedem Haushalt zu finden.³²³ Dies kann man kaum als faktische Aussage über den tatsächlichen Bücherbesitz aller orientalischen Christen jener Zeit verstehen. Mit dieser Einschätzung will al-Kindī wohl vielmehr andeuten, dass die Heranziehung der Eisagogḗ die Adäquatheit seines Arguments garantieren könne. Sein Adressat ist also der in Logik und Philosophie geübte christliche Opponent. Al-Kindīs Erwartung, dass seine Opponenten sich von der Logik im Rahmen der Eisagogḗ überzeugen lassen

³¹⁹ Vgl. Thomas, »Al-Kindī« und vgl. auch de Boer, »Al-Kindī«. ³²⁰ Vgl. Adamson/Pormann, »Biography« 76. ³²¹ Vgl. al-Kindī, Erste Philosophie. ³²² Vgl. al-Kindī, Erste Philosophie 145–146, 183. ³²³ Vgl. Adamson/Pormann, »Biography« 76–81.

3.6. Radd in philosophischen Texten

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müssten, offenbart zudem die universelle Bedeutung und die Stellung als gemeinsamer Nenner dieser Logik und der Philosophie bei der Wahrheitsfindung schon im 10. Jahrhundert. Im Radd wird generell (und somit auch bei al-Kindī und al-Jaʿfarī) davon ausgegangen, dass der Opponent sich von den Ergebnissen der Logik überzeugen lassen müsse. In Fällen, in denen der Opponent sich den logischen Folgerungen nicht anschließen will, wird ihm sehr schnell Irrationalität vorgeworfen. Aus al-Kindīs Argumentation soll an dieser Stelle eine zentrale Stelle vorgestellt werden, deren Argumentationsstrategie aufschlussreich ist, da al-Kindī hier tatsächlich maßgeblich von der Eisagogḗ Gebrauch macht. Der Text aus alKindīs Radd ʿalā l-Naṣārā lautet in der Übersetzung von Adamson und Pormann wie folgt: »(1) There are discussions refuting the Christians and invalidating their doctrine of the Trinity, on the basis of logic and philosophy, as well as occasions when such discussions are argued out briefly; [they attack] Christians and anyone else who exceeds the oneness (tawḥīd) [of God] and asserts [His] multiplicity, or who follows or believes in their teachings. [By saying] ›Father, Son and Holy Ghost‹, that is, by affirming and asserting the three Persons (ʾaqānīm) in their teachings, it is obvious that they adhere to ›composition (tarkīb)‹ in their preachings. For all of their sects (firaq) assert that the three everlasting Persons are a single substance, yet by ›Persons‹ they mean ›individuals (ʾašḫāṣ)‹, and by ›single substance‹ they mean that each one of them exists through a property of its own (bi-ḫāṣṣatihī). Therefore the concept of substance (maʿnā l-ǧawhar) exists in each Person, and they agree in this. Each one of them [also] has an everlasting proper characteristic through which it is differentiated from both of its companions [sc. the other two Persons]. It is therefore necessary that each one of them is composed of substance, which is common to [all of] them, and its own property belongs to it [alone]. But everything composed is caused, and everything caused is not eternal. Therefore the Father is not eternal, nor is the Son eternal, nor is the Holy Spirit eternal. Therefore eternity is not eternity, and this is a repugnant contradiction. (2) Now that we see the falsehood of the Christians’ preachings, on the basis of logic, and using concepts that are clear to anyone who has read the book called Eisagogḗ (which means ›Introduction‹), we say that if these three are everlasting genera, and the genus is the genus of species, and the species is the species of individuals, then three genera of species of individuals are everlasting. Yet, the genus exists in the nature of the individuals along with accidents. Then what is everlasting is composed, but everything composed is caused; and everything caused is not everlasting. Therefore what is everlasting is not everlasting, and this is a most repugnant contradiction. […] (3) But if the three are species, all everlasting, and the species relates to genus as a part, but to individuals as a whole – and the genus exists in the nature of the species along with differences, while the species exists in the nature of the individuals along with accidents – [then] there is necessarily multiplicity and composition. But then eternity is not eternity, as we made clear in the first section, and this is a contradiction.«³²⁴

In dieser komplexen Argumentation konstruiert al-Kindī eine Vielzahl von Argumenten für die These, dass es keine göttliche und ewige Person (außer dem ›wahren Einen‹) geben kann. Seine Argumentation kann wie folgt zusammengefasst werden: Wenn es göttliche Personen gäbe, dann würde das Porphyrios’

³²⁴ Al-Kindī, Radd ʿalā l-Naṣārā, übersetzt von Adamson/Pormann in ders., Philosophical Works 78–79.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

Lehre von den Gattungen (zu denen die ›Person‹ zu rechnen ist) widersprechen. Da jede Gattung bei Porphyrios Zusammensetzung impliziert, aber Gott nicht zusammengesetzt sein kann, kann es auch keine göttliche Person geben. An diesem Argument sieht man deutlich, wie al-Kindī seine philosophischen Kenntnisse, die er vermutlich den Übersetzungen griechischer Werke entnommen hat, zur Konstruktion eines Radd-Arguments heranzieht.³²⁵ Yaḥyā ibn ʿAdī versucht in seiner Antwort auf die Schrift al-Kindīs unter anderem auch dieses eben vorgestellte philosophische Argument zu widerlegen. Für seine Antwort sei auf seine oben erwähnte Schrift verwiesen, in der Yaḥyā ibn ʿAdī eine sehr intensive und starke Kritik an al-Kindīs Klassifikation der göttlichen Attribute und seinem Verständnis der Prädikabilien, das auf Porphyrios zurückgeht, vorbringt.³²⁶

3.7. Radd in der Poesie Außer in systematischen Schriften, die nun an einigen Beispielen vorgeführt wurden, ist der Radd auch in eher außergewöhnlichen Gattungen, beispielsweise in bestimmten poetischen Formen zu finden. Allerdings kommt diese Form auch bei im Dichten geübten Autoren nicht häufig vor. Kurz vor dem Übergang vom 10. zum 11. Jahrhundert,³²⁷ wahrscheinlich vor dem Jahr 356/967, veranlasste

³²⁵ Nach Brague hat das Interesse der islamischen Philosophen am Streitgespräch und ihr Bedürfnis nach einer korrekten Argumentation auch dazu geführt, dass als Erstes bezeichnenderweise die Sophistischen Widerlegungen des Aristoteles ins Arabische übersetzt wurden (vgl. Brague, »Verhältnis« 71–72). ³²⁶ Vgl. Périer, »Traité« 3–21 (mit Edition des Textes). ³²⁷ Ein weiterer Akteur des Übergangs vom 10. zum 11. Jahrhundert war Abū Rayḥān Muḥammad ibn Aḥmad al-Bīrūnī al-Khwārazmī (gest. 439/1048). Obwohl sein Hauptwerk zum Christentum mit dem Titel Tadhkira fῑ al-irshād ilā ṣawm al-Naṣārā wa-l-aʿyād (»Hinweis auf die Fastenzeiten und Feste der Christen«) verloren zu gegangen scheint (Strohmaier, »Tadhkira« 80), scheint al-Bīrūnī eine wichtige Rolle in den christlich-muslimischen Beziehungen gespielt zu haben. Er war ein Kenner der griechischen Philosophie, der das griechische Erbe in seinem Denken aufgenommen und weiterentwickelt hatte. Zudem sind sein Wissen über die christliche Lehre und sein Respekt gegenüber dieser Lehre bemerkenswert. Die Chronologie seiner Schriften ist ausgehend von P. G. Bulgakovs Biographie des al-Bīrūnī (Bulgakov, Beruni) nachvollziehbar. Ein apologetischer Autor, der die Grenze zum 11. Jahrhundert überschritt, war Abū al-ʿAlāʾ Aḥmad ibn ʿAbdallāh ibn Sulaymān al-Maʿarrī (gest. 449/1058), der im selben Jahr wie al-Bīrūnī geboren zu sein scheint. Al-Maʿarrīs Schrift zum Christentum mit dem Titel Risālat al-Masīḥiyya (»Brief über das Christentum«) scheint ebenfalls verloren gegangen zu sein. Die Existenz dieser Schrift erfahren wir lediglich von Abel (»Réfutation« 5–26), dem zufolge al-Maʿarrī diese Schrift dem būyidischen Wesir Abū al-Qāsim al-Ḥusayn ibn ʿAlī al-Maghribī (gest. 417/1027) gewidmet haben soll. Thomas (»Al-Maʿarrī« 114–116) gibt an, dass abgesehen von Abel die Schrift nirgends Erwähnung findet. Al-Maʿarrī war ein religiös skeptischer Gelehrter. Obwohl er die Existenz Gottes nicht leugnete, lehnte er jegliche Dogmen und religiösen Auslegungen ab (Thomas, »Al-Maʿarrī« 114–116). Unter dieser Perspektive wäre es durchaus interessant gewesen, wie al-Maʿarrī, der

3.7. Radd in der Poesie

141

ein Schmähgedicht des byzantinischen Kaisers den gelehrten Juristen al-Qaffāl al-Shāshī,³²⁸ eine Antwort zu verfassen, die ebenfalls in Versform gehalten war. Das kaiserliche Schmähgedicht beschäftigte die islamische Gelehrsamkeit offenbar dermaßen, dass noch Ibn Ḥazm ein halbes Jahrhundert später eine Gegenschrift dazu verfasste.³²⁹ In der Antwort des al-Qaffāl al-Shāshī finden sich neben politischen und schmähenden Inhalten auch theologische Äußerungen. Diese beinhalten implizite Argumente, die vor allem deshalb interessant sind, weil es sich hier um einen islamischen Radd gegen christliche Lehren in Versform handelt. Im Folgenden werden die relevanten Verse des Gedichts wiedergegeben,³³⁰ wobei ich die Übersetzung von Gustav Edmund von Grunebaum heranziehe. Zunächst beginnt die muslimische Antwort auf die Rede des byzantinischen Kaisers: »Es kam zu mir das Wort eines Mannes, der unkundig ist der Wege der Rede auf dem Tummelplatze beim Streit«.³³¹ Diese Aussage kritisiert die (mangelhafte) Streit- bzw. Argumentationskunst des Kaisers und legt offen, wie stark schon im 10. Jahrhundert die Methode der Kunst des Streites im Vordergrund stand. Al-Qaffāl al-Shāshī kritisiert weiter argumentativ die theologische Haltung des Kaisers: »Er nennt sich ›Reinheit‹ und ist dabei ein höchst schmutziger Polytheist, dessen Gewänder mit Schmutzflecken besudelt sind. Er sagt: ›(Ich bin) ein Anhänger des Messias.‹ Das ist aber nicht ein harter Mensch, der das Tun eines Barmherzigen nicht nachahmt. Und kein Anhänger des Messias ist ein überaus Ungebildeter, der drei Götter anerkennt und der über ʾIsa aussagt: ›Er ist über menschliche Beschreibung erhaben.‹ Und nicht ist der (in Wahrheit) reine, christliche König ein Verräter und nicht ein Rechtsbrecher, der sich auf Gewalttaten stützt. Sei beharrlich – Allah möge dich rechtleiten! –, wenn du nach Wahrheit strebst. Aber (absichtlicher) Missgriff ist nicht die Haltung dessen, der sich um Verständnis müht.«³³²

Ausgehend von den gewaltverherrlichenden Äußerungen des Kaisers³³³ bemängelt al-Qaffāl al-Shāshī, dass es hierbei nicht um den Weg des Messias gehen könne, da dieser kein ›harter Mensch‹ gewesen sei, wie sich der Kaiser in seinem Brief darstelle. Wieder macht al-Qaffāl al-Shāshī auf die Ungebildetheit auch vom Islam nicht sehr viel hielt, sich speziell zum Christentum argumentativ äußerte. Ausgehend von der Kritik, die al-Maʿarrī generell an den Religionen übte, kann festgehalten werden, dass es sich bei dieser Schrift um eine Kritik am Christentum gehandelt haben dürfte. Nach Thomas müsste diese Kritik gegen die Vernunftwidrigkeit des Christentums gerichtet gewesen sein (Thomas, »Al-Maʿarrī« 114–116). ³²⁸ Zur Frage, ob tatsächlich al-Qaffāl al-Shāshī der Verfasser war, siehe von Grunebaum, »Poetische Polemik« 41–64. ³²⁹ Von Grunebaum, »Poetische Polemik« 44. ³³⁰ Allerdings geht durch die Übersetzung die Gedichtform vollständig verloren. Für den Originaltext auf Arabisch vgl. von Grunebaum, »Poetische Polemik«. ³³¹ Alternative Übersetzung nach von Grunebaum: »Das Wort eines unwissenden Mannes ist zu mir gedrungen durch die Kanüle der Rede in der Polemik« (von Grunebaum, »Poetische Polemik« 59). ³³² Vgl. von Grunebaum, »Poetische Polemik« 59. ³³³ Vgl. von Grunebaum, »Poetische Polemik« 53–39.

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Kapitel 3: Apologetische Argumentationen vom Koran bis al-Jaʿfarī

aufmerksam, was ohnehin im Radd ein allgemeines Muster ist, um den Adressaten in seinen intellektuellen Fähigkeiten zu kritisieren. Auch kein wahrer Christ würde ʿĪsā (Jesus) übermenschliche, d. h. göttliche Attribute zuschreiben und kein wahrer König wäre ein Rechtsbrecher. Dem Kaiser wird das Gegenteil vorgeworfen und ihm das wahre Christsein abgesprochen. Al-Qaffāl al-Shāshī fügt in seiner Antwort auch eine Selbstkritik hinzu: »Und du hast gesagt: ›Wir töteten euch um der Ungerechtigkeit eurer Richter willen und weil sie ihre Urteile um Geld verkaufen.‹ Und darin liegt eine Bekräftigung der Fehlerlosigkeit unserer Religion: Wir haben Übles getan, und so wurden wir (zur Vergeltung) durch einen Übeltäter heimgesucht.«³³⁴

Er betrachtet also die Korruption einiger muslimischer Richter als einen Grund zur Bestrafung und sieht darin die Fehlerlosigkeit des Islams bestätigt, der denjenigen bestraft, der es verdient. Als weiteres Beispiel für den Radd in Gedichtform kann das berühmte Gedicht des Muḥammad al-Būsīrī (gest. 694/1294) mit dem Titel Qaṣīdat al-burda angeführt werden. Darin finden sich einige kritische Verse zum Christentum und zur christlichen Glaubenslehre.³³⁵

³³⁴ Vgl. von Grunebaum, »Poetische Polemik« 61 (im Originaltext in Versform). ³³⁵ Vgl. Thomas, »Al-Būṣīrī« 632–634.

Teil II

Argumentation, Logik und Rationalität

Kapitel 4

Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik 4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation Die bisher analysierten Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit theologischen Fragen wie etwa der Frage nach der Gottheit Jesu (d. h. mit der Christologie), mit der (Un-)Verfälschtheit der biblischen Überlieferung oder mit der Frage nach dem Wesen Gottes. Doch neben diesen Hauptkritikpunkten des Radds kommt eine Vielzahl von christlichen Thesen vor, die in den Schriften wiedergegeben werden, um sie zu widerlegen. Es handelt sich dabei zwar wiederum um Unterpunkte der oben erwähnten Themenfelder, dennoch kann man jeweils eine eigene Diskussion in ihnen sehen. Dies gilt beispielsweise für die Diskussion über die Hypostasen, anhand derer sogar die eigene islamische Lehre über die Eigenschaften Gottes rational und argumentativ begründet wird.¹ Tatsächlich ist der Radd generell eng mit dem Anspruch auf Rationalität verbunden und die religiöse Apologetik ist unter anderem ein Werkzeug, mit dem der Wahrheitsanspruch der Religionen bedient wird. Diese Tätigkeit setzt oft die Heranziehung rationaler Methoden voraus. Nach dem Tod Muḥammads, der die erste Anlaufstelle für religiöse Fragen war,² stellten Muslime – u. a. bedingt durch die Ausbreitung des Islams – weitere religiöse Fragen und suchten (rationale) Antworten darauf.³ Sie gerieten teilweise in Streit und so entstanden – sehr vereinfacht dargelegt – unterschiedliche Auslegungen des Islams.⁴

¹ Vgl. z. B. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 152–153. ² Vgl. hierzu al-Ghazālī, Iḥyāʾ ʿUlūm al-Dīn Bd. 1, 41–42. Erst nach Muḥammads Tod entstand das Bedürfnis nach eigenen Urteilen. Dabei ging es zunächst v. a. um juristische Fragestellungen, die nach Antworten verlangten, erst später entstand der Bedarf an Antworten auf theologische Streitfragen. Demzufolge kam im islamischen Denken zunächst im juristischen Bereich, sodann in der Theologie der Bedarf nach Antworten für neue Fragestellungen auf. Die Suche nach Antworten auf diese Fragen gestaltete sich argumentativ und disputativ. ³ Nach Abū Zahra war u. a. dieser Umstand dafür verantwortlich, dass im islamischen Denken das Konzept der Disputation entstehen konnte. Vor allem der Streit um die Nachfolgerschaft des Propheten als Staatsmann förderte die Streitkunst unter den frühen Muslimen (vgl. Abū Zahra, Jadal 77–80). Wagner hält es für möglich, dass in der vorislamischen Rangstreitdichtung der Araber der Ursprung der islamischen Streit- (bzw. Disputations-) Kunst liegt (vgl. hierzu Wagner, Rangstreitdichtung 442–443). ⁴ Vgl. Özen, »İhtilâf« 565–568.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Diese innerislamische Diskussion zog noch nicht in erster Linie dialektische und rationale Ableitungsmethoden heran, denn die innerislamische Natur des Streites legte es nahe, die eigene Position jeweils stark über Überlieferungen zu begründen, sei es Koran oder Hadith. Doch bei der Kommunikation mit anderen Religionen, wie etwa dem Judentum und dem Christentum, wurde deutlich, dass der Adressat sich nicht mit Koranstellen überzeugen ließ.⁵ So bemerkten die islamischen Autoren früh, dass eine intersubjektive und objektive Methode zur Überzeugung des Adressaten notwendig ist: Die Muslime entdecken die Logik als Mittel für eine rationale Argumentation im Radd.⁶ In diesem Rahmen gibt auch al-Jaʿfarī in seiner Schrift an, dass er neben der Überlieferung die Vernunft als Instanz heranzieht: »Und der Beweis (al-dalīl) für die Ungültigkeit dieser Behauptungen ist sowohl rational (maʿqūl) als auch schriftbezogen (manqūl) [sc. text- bzw. quellenbezogen] wie folgt möglich […].«⁷

Doch der logische Aufbau der Apologetik ist nicht nur den Muslimen zu verdanken. Schon vor dem Islam waren solche Schriften bekannt, wie etwa jene des Porphyrios⁸ (gest. zwischen 301 und 305), dessen Eisagogḗ eine breite Rezeption in der islamischen Tradition fand und der schon eine Kritik am Christentum verfasst hatte, die logisch konzipierte Argumente enthielt.⁹ Auch christliche Autoren haben die islamische Apologetik beeinflusst. Das vermutlich erste dialektisch-argumentationstheoretische Werk, das auf Arabisch verfasst wurde, geht auf den Christen¹⁰ Qudāma ibn Jaʿfar Abū al-Faraj alKātib al-Baghdādī (gest. frühes 4./10. Jahrhundert) zurück, dessen Werk Naqd

⁵ Bei al-Ḥumaydī (Jadhwat al-muqtabis 101–102) ist überliefert, dass in den Streitgesprächen (majlis) zwischen den Muslimen und Christen die Christen übereinkamen, in der Argumentation der Muslime keine Belege aus dem Koran und dem Hadith zu akzeptieren. ⁶ Einer der ersten, die aus der Erforschung der islamischen Polemik den Schluss zogen, die islamische Theologie habe die Entstehung ihrer Kernfragen der Disputation mit dem Christentum zu verdanken, war Carl Heinrich Becker. Diese These stellt Becker in seiner 1911 erschienenen Schrift Christliche Polemik und islamische Dogmenbildung auf. Becker zieht als Grundlage jedoch lediglich zwei Quellen aus dem 8. Jahrhundert heran. Neben dieser weitreichenden These vertritt Becker zudem die Ansicht, dass die islamische Polemik der christlichen Polemik dialektisch unterlegen war. Auch wenn in der vorliegenden Studie kein Vergleich zwischen islamischer und christlicher Polemik beabsichtigt ist, so kann anhand der argumentationstheoretischen Herangehensweise doch bewertet werden, inwieweit die islamischen Polemiker – vor allem im 10. bis 13. Jahrhundert – dialektisch ausgebildet waren. ⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ⁸ Porphyrios wurde später für die Islam-Sicht des Petrus Venerabilis (1092/94–1156) von Bedeutung. Dieser gab die Möglichkeit vor, den Islam als ein satanisches System zu betrachten, das der Kirche schaden wolle, ähnlich wie die Systeme des Arius oder Porphyrios, nur dass Muḥammad dabei mehr Erfolg hatte (Goddard, History 94). ⁹ Vgl. dazu Berchman, Porphyry 10 und hier Abschnitt 3.1. ¹⁰ Qudāma ibn Jaʿfar konvertierte unter dem Kalifen al-Muktafī zum Islam. Vgl. dazu Brockelmann, »Ḳudāma« 1173.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

147

al-nathr¹¹ (»Kritik der Prosa«) betitelt ist. Es ist keineswegs systematisch und behandelt durchaus auch rhetorische Fragen, dennoch ist der Übergang zu ersten argumentationstheoretischen Themen wie z. B. der Frage nach der Argumentation und Analogie erkennbar.¹² Die Frage, ob die systematische Beschäftigung mit argumentationstheoretischen Fragen erst nach dem Einzug der aristotelischen Logik und Dialektik in das islamische Denken aufkam oder ob sie sogar eine autonome islamische Entwicklung darstellt, ist breit diskutiert worden.¹³ Für die erste Möglichkeit spricht die große Nähe der islamischen Logik zur aristotelischen; für die zweite Möglichkeit liefert Louis Gardet Hinweise, der die dialektische Struktur der arabischen Sprache heranzieht.¹⁴ Zudem erwägt Wagner die Möglichkeit, die islamische Dialektik könnte aus der Rangstreitdichtung als einer Form der literarischen munāẓara entstanden sein.¹⁵ Die Resultate unserer analytischen Betrachtung des Radds zeigen jedoch, dass die erste Möglichkeit näher liegt, weil kein spezifisch islamischer Argumentationstyp erkannt wurde, der nicht schon in der griechischen Dialektik und Rhetorik vorgelegen hätte. Die methodische Natur der islamischen Apologetik wird zudem deutlich, wenn ihre Forderungen gegenüber dem Christentum und Judentum zur Gestaltung des wissenschaftlichen Diskurses, worunter auch die Apologetik und damit der Radd fällt, betrachtet werden. Die islamischen Apologeten haben eine ganz genaue Vorstellung davon, wie die Objektivität eines Streitgespräches geregelt werden kann: durch Vernunft, philosophische Spekulation und Kalām. Dies verlangt zumindest al-Jāḥiẓ¹⁶ in seiner polemischen Schrift Al-radd ʿalā l-Naṣārā

¹¹ Zur Kritik an der angeblichen Autorschaft vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 32 und Brockelmann/Witkam, GAL Bd. 1, 228 mit Supplement I, 407. Ṭāhā Ḥusayn betrachtet das Naqd al-nathr als Werk der Rhetorik (vgl. Ḥusayn in der Ausgabe des Naqd al-nathr von Ḥusayn/al-ʿAbbādī, 5–29). Doch das Werk ist keineswegs auf Rhetorik beschränkt: Es behandelt – wenn auch nicht systematisch, wie in späteren Jahrhunderten – argumentationstheoretische Konzepte wie qiyās und zeigt die Möglichkeit auf, theologische Argumentationen rational zu konstruieren (vgl. Qudāma ibn Jaʿfar, Naqd al-nathr). ¹² Ohnehin sind die Themen der ersten argumentationstheoretischen Werke undifferenziert; sie gehen von einem allgemeinen Beweiskonzept aus, das sich zwar in späteren Jahrhunderten in verschiedenen Wissenschaften ausdifferenziert, aber auch in ausschließlich argumentationstheoretischen Werken erhalten geblieben ist. So betrachtet das Naqd al-nathr das jadal generell als Beweisführung in einer Sache, in der zwischen dem Argumentierenden und dem Opponenten Uneinigkeit herrscht (vgl. Qudāma ibn Jaʿfar, Naqd al-nathr 102). ¹³ Vgl. hierzu Rescher, Development 15–32, der die These vertritt, dass die islamische Philosophie sich schon in ihrer Frühphase mit der griechischen und speziell mit der aristotelischen Argumentationstheorie bzw. Dialektik beschäftigt habe, weshalb auch die zahlreichen Kommentare zu diesen Werken auf Arabisch entstanden seien. ¹⁴ Gardet, »La dialectique« 116–130. ¹⁵ Vgl. Wagner, Rangstreitdichtung 442–443. ¹⁶ Abū ʿUthmān ʿAmr ibn Baḥr al-Fuqaymī al-Jāḥiẓ (gest. 255/869) war ein wichtiger Gelehrter des späteren 9. Jahrhunderts und damit Zeitgenosse von Abū ʿĪsā al-Warrāq und al-Qāsim ibn Ibrāhīm.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

von seinen jüdischen Opponenten, und dasselbe kann auch für das Christentum angenommen werden. Freilich scheint die muslimische Forderung an die Juden und auch an die Christen, die logische Argumentation als eine gemeinsame Methode zur theologischen Wahrheitsfindung in interreligiösen Streitfragen zu etablieren, aus Sicht der Muslime nicht immer auf Akzeptanz gestoßen zu sein. Al-Jāḥiẓ schreibt wörtlich Folgendes: »The cause for the lack of science among the Jews lies in the fact that the Jews consider philosophic speculation to be unbelief and Kalām theology an innovation leading to doubt. They assert that there is no lore other than that revealed in the Torah and the books of the prophets; and that faith in medicine and astrology leads to opposition against the standard views of the authorities of old and is conducive to Manichaeism and atheism. So much are they averse to these sciences that they would allow the blood of their practitioner to be shed with impunity and would prohibit discourse with them.«¹⁷

Al-Jāḥiẓ kritisiert die Haltung seiner jüdischen Opponenten zur Wissenschaft; ihm zufolge betrachteten sie die philosophische Spekulation als Unglauben und lehnten sie ab; diese Ablehnung sei die Ursache für den Mangel an Wissenschaft (gemeint ist: an philosophischer Spekulation und Kalām-Methode) bei ihnen. Sie lehnten auch den Kalām ab, weil er zum Zweifel führe. Sie bezögen sich, al-Jāḥiẓ zufolge, nur auf die Tora und die Bücher der Propheten und somit nur auf überlieferungsbasierte Argumente. Nun lässt sich kaum sagen, ob diese Kritik auf die konkreten Opponenten des al-Jāḥiẓ zumindest teilweise zutraf. Als allgemeine Aussagen über »die Juden« sind al-Jāḥiẓ’ Behauptungen aber zweifellos abwegig, wie schon die großartige argumentative Tradition im Talmud und die lebendige Praxis der Exegese in den Talmudschulen zeigen. Es ist jedoch nicht Aufgabe der vorliegenden Studie, al-Jāḥiẓ’ Aussagen über seine Opponenten zu untersuchen; wichtig sind hier die sich darin zeigende Selbstdarstellung und der Anspruch des muslimischen Autors – und zwar, dass Erkenntnis auch außerhalb der Offenbarung gesucht werden sollte, vor allem in der Vernunft, in philosophischer Spekulation und im Kalām. Die von al-Jāḥiẓ seinen Opponenten zugeschriebene Haltung erschwert die Aufgabe des muslimischen Polemikers; denn wenn er will, dass seine Vernunftargumente ihre Adressaten überzeugen, so muss sichergestellt sein, dass diese die rationale Argumentation akzeptieren; eben diese Voraussetzung soll al-Jāḥiẓ zufolge bei den jüdischen Opponenten nicht gegeben sein. Der Einwand des al-Jāḥiẓ kann selbst als Argument verstanden werden. Er möchte implizit folgende Prämisse aufstellen: ›Wenn ihr die Vernunft achten würdet, so würdet ihr unsere Thesen, die auf der Vernunft basieren, für wahr halten.‹ Diese Kritik ist oft auch gegenüber dem Christentum geäußert worden. So sagt al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Folgendes: »Und wir haben uns an dieser Stelle auf eine Auswahl beschränkt, die dem tiefgründigen Betrachter die Widersprüche dieser Leute bezüglich ihrer Überlieferungen [oder: Berichte] und die Nichtigkeit dessen, was sie davon geglaubt und rationalisiert haben, sehr deutlich

¹⁷ Al-Jāḥiẓ, zitiert nach Neusner, Tolerance 280.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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macht. Und wenn dies [sc. woran sie glaubten] bekannt gemacht würde, dann würde es das Vertrauen bezüglich des ganzen Buches, das die Leute bis heute besitzen, brechen.«¹⁸

Al-Jaʿfarī vertritt also die Meinung, dass die Christen, wenn sie rationale Argumente akzeptieren würden, auch erkennen müssten, dass ihre Thesen irrational seien, sodass sie sich von diesen distanzieren müssten. Schon am Anfang seines Textes weist al-Jaʿfarī dagegen darauf hin, dass Muḥammad – und somit implizit der Islam – eine eindeutige und einfache Sprache verwende, und bewertet dies positiv. Diese Bemerkung des al-Jaʿfarī lässt zugleich erkennen, was er am Christentum kritisiert, nämlich, dass es eine uneindeutige Sprache über die Theologie und Gott benutze, die eine logische Untersuchung und Bewertung der Begriffe erschwere. Diese Uneindeutigkeit führe letztlich dazu, dass diese »verschleierte Zunge« (Sprache) nicht zur »weisen Rede« (zu wahren Aussagen) führe.¹⁹ Dabei formuliert al-Jaʿfarī am Anfang des Textes die christliche Lehre bewusst zugespitzt, um die (rationale) Absurdität und Willkür dieser Lehre darstellen zu können. Die Frage ist, ob die christliche Lehre diese Kritik verdient hat, bediente sich das arabische Christentum doch selbst der Kalām-Methode. Schon im ersten Jahrhundert des abbasidischen Kalifats ragt der christliche Mutakallim Ḥabīb ibn Khidma Abū Rāʾiṭa l-Takrītī (gest. um 214/830) heraus, der die rationale Methode in theologischen Fragen anwandte.²⁰ Auch Yaḥyā ibn ʿAdī (gest. 974), der etwa ein Jahrhundert später als Abū Rāʾiṭa wirkte, war ein christlicher Mutakallim und zugleich ein Lehrer der aristotelischen Logik. Er vertrat die Meinung, dass Logik und Vernunft unabhängig von der Sprache und von der Religion, der man angehört, zur Wahrheit führen können. Seine Lehre war universell und nicht einer bestimmten Religion zuzuordnen. Dennoch setzte er seine rationale Methode ein, um dem Radd der Muslime, aber auch innerchristlichen Polemiken entgegenzuwirken.²¹ Doch diese dialektische Position musste erarbeitet werden und war und ist nicht selbstverständlich in der christlichen Theologie. Auf dem ersten Konzil von Nicäa (325) wurde den Dialektikern eine Absage erteilt, indem die These vertreten wurde, Christus und die Apostel hätten die dialektische Methode in theologischen Fragen nicht angewandt.²² Diese Idee war nicht neu. Schon

¹⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 200. ¹⁹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 5. Generell kritisiert al-Jaʿfarī zudem die wissenschaftlichen Leistungen der Christen in seiner Zeit. Diese würden sich mit bedeutungslosen Fragen beschäftigen, die von »schwachen« Studierenden schon beantwortet seien. Erstaunlicherweise sind die Beispiele, die al-Jaʿfarī hierzu gibt, naturwissenschaftliche Fragestellungen wie etwa die Beschaffenheit von Wasser, Wolken, Regen, Schnee, Samen, Embryo usw. Während al-Jaʿfarī mit dieser Aufzählung zeigen möchte, dass seine Opponenten wissenschaftlich nicht auf hohem Niveau stehen, zeigt diese doch die allmähliche Beschäftigung der europäischen Christen (der ›Franken‹) mit naturwissenschaftlichen Fragen (vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 4). ²⁰ Griffith, »Christian Mutakallim« 161–201. ²¹ Vgl. Endress, »Yaḥyā ibn ʿAdī« 315–316. Vgl. auch Platti, »Yaḥyā ibn ʿAdī«. ²² Vgl. Hoyland, Seeing Islam 44.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

ein Jahrhundert früher waren es Positionen wie beispielsweise jene Tertullians (gest. 220), die der christlichen Theologie die Möglichkeit aufzeigten, mit einem Widerspruch zu existieren. Tertullian schreibt in seinem Werk De carne Christi, dass es im Glauben nicht um Weisheit gehe, sondern darum, töricht gegenüber der Welt zu sein.²³ In Fortführung dieser Auffassung hat die christliche Theologie oft die Ohnmacht der Logik betont und anderen Konzepten größere Bedeutung für die Erkenntnis des Göttlichen zugemessen. Ein Beispiel aus dem 20. Jahrhundert für ein solches antirationales Verständnis bietet Ernest F. Neve, der die Liebe als Gegenpol zur Logik betrachtet und nicht in der theologischen Dialektik und Logik, sondern in der Liebe den Weg zu Christus und zum Göttlichen sieht. Dies betont er auch mit Bezug auf die christlichislamischen Beziehungen: »Theological dialectics between opposing religions are of little value. Religious controversy is more apt to engender hatred than love. If men cannot be attracted by the love and sympathy of Christ, history and logic will not succeed.«²⁴

Dieser vermeintliche Widerspruch gegen die Vernunft im Rahmen der christlichen Theologie weckte das Interesse der argumentationsfreudigen muslimischen Autoren; sie sahen darin einen Weg, um die christliche Lehre zu widerlegen. Aus dieser Perspektive ist der Aufruf al-Jaʿfarīs, die christliche Lehre müsse frei von rationalen Widersprüchen sein, dahingehend zu verstehen, dass er fordert, die christliche Lehre solle sich davon distanzieren, Widerspruch und Wahrheitsanspruch zu vereinen. Diese seien, so impliziert al-Jaʿfarī, nicht miteinander zu versöhnen. Die enge Beziehung der Radd-Literatur zu Logik und Argumentation, um die Widerspruchsfreiheit zu gewährleisten, ist somit ihr wichtigstes Merkmal. David Thomas resümiert seine Arbeiten über islamisch-polemische Schriften zur christlichen Theologie dahingehend, dass diese Schriften sich durch den Versuch auszeichnen, ihre Lehre (logisch), vor allem gegen die Idee der Trinität, zu beweisen.²⁵ Dieser Versuch gilt übrigens auch für die christliche Polemik gegen

²³ Tertullian, zitiert von Rieger, Contradictio 355. Obwohl der Radd oder generell der Kalām die Syllogistik und somit die Deduktion heranzog, um Theologie zu betreiben und gegen die christliche Christologie zu argumentieren, sahen viele der christlichen Opponenten keine Notwendigkeit, die christliche Dogmatik durch die Deduktion zu begründen (vgl. Rissanen, Encounter 61–70, insbesondere 64–65). ²⁴ Neve, Crusader in Kashmir 14. ²⁵ Der Franziskaner Roger Bacon (1214–1292), ein Zeitgenosse des al-Jaʿfarī, kritisierte die Anwendung der Logik in der Theologie mit der Begründung, sie würde als Methode der Theologie angesehen und mit ihrer Hilfe werde die Trinität argumentativ diskutiert, das sei aber falsch (Bacon, Opus minus 324). Auch wenn Bacon später Schriften zur Logik verfasst hat, modifiziert er die Logik zu einer reinen Semantik, was konsequenterweise folgen musste, wenn die christliche Lehre gegen die formale Logik verteidigt werden sollte (Perler, »Wertlose Wissenschaft« 375–399). Am Beispiel von Roger Bacon wird deutlich, wie sehr die Logik und die logische Argumentation gegen christliche Lehren auch die christliche Lehre selbst beschäftigt haben. Dazu hat die islamische Kritik als Hauptopponent, der die Logik intensiv einsetzte, sicherlich beigetragen.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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die islamische Theologie²⁶ und für die innerchristlichen Apologetiken und Polemiken.²⁷ Diese Beweisversuche können verschiedene Formen annehmen. Der deutlichste ist unzweifelhaft der Weg des Argumentierens: Die Thesen sollen durch rationale Argumente gestützt werden. Aus diesem Ziel der Rationalität ergibt sich auch die logische Struktur dieser Texte. Wenn die Beziehung zwischen Logik und Argumentation aus islamischer Perspektive betrachtet werden soll, dann ist es sinnvoll, al-Fārābī (gest. 337/ 950) heranzuziehen. Al-Fārābī wurde als der ›zweite Lehrer‹ nach Aristoteles, dem ›ersten Lehrer‹, bezeichnet. Er beschäftigte sich intensiv mit Philosophie, Logik und Theologie. Seine Lehrer im Bereich der Philosophie und Logik waren vorwiegend Christen, so etwa der nestorianische Christ Yuhannā ben Hayān (gest. um 307/920) sowie Abū Bishr Mattā (gest. 940), bei denen alFārābī schon in jungem Alter zu studieren anfing.²⁸ Al-Fārābī wurde zunächst durch seine Logikbücher berühmt; das lässt sich zumindest sagen, wenn man Ibn Ṭufayl (gest. 581/1185) Glauben schenkt, der schreibt: »Diejenigen Bücher Fārābīs, die uns erreicht haben, handeln größtenteils von Logik […].«²⁹ Bevor nun das Verhältnis zwischen Logik und Argumentation bei al-Fārābī veranschaulicht wird,³⁰ soll zunächst die Aufgabe verdeutlicht werden, die er der Logik überhaupt zuschreibt. Dazu sagt al-Fārābī Folgendes: »Die Kunst der Logik liefert zusammenfassend Regeln, deren Kennzeichen es ist, die Vernunft zu berichtigen und den Menschen auf den Weg der Korrektheit und zur Wahrheit bei allem zu führen, wo es möglich ist, dass ein Irrtum bei den Vernunftgehalten³¹ auftritt, und [sie liefert] Regeln, die ihn schützen und vor einem Irrtum bewahren, der unwissentlich entsteht, und vor einem Irrtum, der absichtlich bei den Vernunftgehalten hervorgerufen wird, und [sie liefert] Regeln, durch die bei den Vernunftgehalten das überprüft wird, bei dem es keine Sicherheit gibt, da dabei jemand schon einen Irrtum begangen hat.«³²

Nach al-Fārābī ist die Logik vor allem ein Regelwerk, das die Vernunft leitet und durch korrektes Denken die Wahrheit herbeiführt bzw. erkennen lässt. Sie schützt vor Irrtümern und überprüft Vernunftgehalte bzw. Aussagen, bei denen

²⁶ Thomas, Christian Doctrines 14. ²⁷ Womöglich hat der Radd zum Christentum seine charakteristische Form von christlichen Texten entliehen. Denn schon im frühen Christentum waren Apologetik und Polemik eine weitverbreitete Form der wissenschaftlichen Kommunikation in theologischen Diskussionen, zum Beispiel in den frühen Texten der Nestorianer (vgl. Abramowski, Nestorian Collection). Um einer Diskussion mit dem Christentum gerecht zu werden, scheint es nur allzu verständlich, sich die damalige Form der Kommunikation zu eigen zu machen. ²⁸ Vgl. hierzu Rescher, Development 15–22, und die Einleitung von Schupp in al-Fārābī, Über die Wissenschaften XI–XIII. Al-Fārābī hatte zudem auch christliche Schüler, z. B. Yaḥyā ibn ʿAdī (gest. 362/973; vgl. Brague, »Verhältnis« 72). ²⁹ Ibn Ṭufayl, zitiert nach Schupp in al-Fārābī, Über die Wissenschaften XIII. ³⁰ Zu al-Fārābīs Argumentationstheorie und Forschungsmethodik vgl. Kis, »Theory«. ³¹ Damit können die maʿqūlāt (griech. noḗmata; vgl. Schupp in al-Fārābī, Über die Wissenschaften 158) oder die griechischen katēgoríai (Kategorien; vgl. Sajjadi, »Categories«) gemeint sein. ³² Al-Fārābī, Über die Wissenschaften 23.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

keine Sicherheit bezüglich ihrer Wahrheit vorliegt. Was al-Fārābī mit »Sicherheit« meint, sind die Axiome (badīhiyyāt), also unbezweifelbare Aussagen wie etwa ›Das Ganze ist größer als seine Teile‹. Neben diesen sicheren Axiomen gibt es unsichere Aussagen. Um diese auf ihre Wahrheit hin überprüfen zu können, benötigt man die Logik.³³ Solche Aussagen kommen vor allem in Argumentationen vor, wenn der Argumentierende Schlüsse zieht, deren Wahrheit der Adressat überprüfen muss. Nach al-Fārābī sollten der Argumentierende und der Adressat dieselbe Methode heranziehen, um die Wahrheit einer Aussage zu ermitteln.³⁴ Dies kann die Logik leisten.³⁵ Al-Fārābī stellt die Beziehung zwischen Logik und Argumentation wie folgt dar: »Wenn jemand unsere Argumentationen und Begründungen, die wir bei der Überprüfung seiner Auffassung ihm gegenüber vorbringen, angreift und er von uns die Methode der Überprüfung erfahren will und auf welche Weise sie [d. h. die Argumentationen und Behauptungen] zum Nachweis der Wahrheit jener Auffassung dienlich sind und nicht zum Nachweis der Wahrheit jener Auffassung geeigneter sind als andere, dann können wir ihm all dies erklären. […] Wenn wir die Logik nicht kennen, wird unsere Lage in all diesen Dingen genau die umgekehrte und entgegengesetzte sein.«³⁶

Für al-Fārābī ist die Logik also ein Mittel, um Argumente evaluieren zu können. Ziel dieser Untersuchung ist dabei der Nachweis der Wahrheit einer Auffassung bzw. einer Aussage. Zu diesem Zweck müsse methodisch vorgegangen werden: Zum einen braucht es ganz bestimmte Sachverhalte und Vernunftgehalte und zum anderen Regeln, »mit denen wir uns bei den Vernunftgehalten und bei ihren Interpretationen absichern und die uns in Hinsicht auf beides vor Irrtum schützen«³⁷. Diese Vernunftgehalte und ihre Interpretation sind Logos (al-nuṭq) und Rede,³⁸ wobei die Rede die Funktion hat, die Wahrheit einer Aussage zu beweisen. Die Alten nannten das, so al-Fārābī, Syllogismus.³⁹ Die Anwendung der Syllogismen der Rede erfolgt nach der Darstellung al-Fārābīs in fünf Formen. Diese sind: die demonstrative Rede, die topische Rede, die sophistische Rede, die rhetorische Rede und die poetische Rede.⁴⁰

³³ Vgl. al-Fārābī, Über die Wissenschaften 23–25. ³⁴ Der Theorie des Radds nach ist dadurch idealerweise angestrebt, dass der christliche Opponent eine gemeinsame Methode anerkennt; daher müsste er auch die Wahrheit der islamischen These, die den Anspruch hat, logisch abgeleitet zu sein, anerkennen. ³⁵ Vgl. al-Fārābī, Über die Wissenschaften 26. ³⁶ Al-Fārābī, Über die Wissenschaften 27–29. ³⁷ Al-Fārābī, Über die Wissenschaften 37. ³⁸ Vgl. al-Fārābī, Über die Wissenschaften 37. ³⁹ Der Syllogismus wurde von den muslimischen Philosophen oft silugism oder – wie etwa bei dem Kritiker des griechischen Syllogismus Ibn Taymiyya – qiyās al-shumūl genannt, oder aber durch den Versuch, das Konzept zu arabisieren, nur als al-qiyās bezeichnet (vgl. Ibn Taymiyya, Against the Greek Logicians XIV–XV). ⁴⁰ Vgl. al-Fārābī, Über die Wissenschaften 45. Dabei ist die demonstrative Rede erkenntnistheoretisch ausgerichtet und die Argumente des Radds, welcher in wesentlichen Teilen ebenfalls erkenntnistheoretisch ausgerichtet ist, können in dieser Hinsicht als demonstrative Reden bestimmt werden.

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Die Beschäftigung mit der islamischen Logik ist v. a. in zweierlei Hinsicht sinnvoll; zum einen kann die muslimische Akzeptanz der griechischen Wissenschaften nachgezeichnet werden, zum anderen kann die Integration der Logik in die islamischen Ideen nachverfolgt⁴¹ oder die Anwendung der Logik in der islamischen Ideengeschichte von theologischen Argumenten nachvollzogen werden. Uns interessieren hier die zweite und besonders die dritte Perspektive im Rahmen der islamischen Radd-Literatur.⁴² Die Logik war seit al-Ghazālī und Fakhr al-Dīn al-Rāzī die Disziplin, welche die Theologie auf eine neue Basis gestellt hat.⁴³ Frank Griffel zeigt in seinem Werk Al-Ghazālī’s Philosophical Theology, dass al-Ghazālī in der Tat der erste muslimische Theologe war, der aktiv die Einbürgerung der philosophischen Tradition in die islamische Theologie förderte. Seine Arbeiten dokumentieren den Versuch, die aristotelische Logik in die vom Kalām geprägte Tradition der rationalistischen islamischen Theologie zu integrieren.⁴⁴ Griffel macht deutlich, dass al-Ghazālī unermüdlich die Vorzüge der syllogistischen Logik betonte und seine Kollegen in der islamischen Theologie aufforderte, diese rationale Technik zu übernehmen.⁴⁵ Schon al-Ghazālīs Lehrer, der namhafte al-Juwāynī, der wie erwähnt selbst einen Radd zum Christentum verfasste, wandte die Logik und die rationale Methode in seinen theologischen Argumentationen an.⁴⁶ Al-Ghazālī systematisierte diese rationale Herangehensweise. Die Logik wurde zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert außerdem durch den schon genannten al-Fārābī sowie insbesondere durch Īsā ibn Isḥāq Ibn Zurʿa (gest. 398/1008), Ibn Sīnā (gest. 428/1037), Abū al-Barakāt al-Baghdādī (gest. 560/1165), Ibn Rushd (gest. 594/1198) und Suhrawardī (gest. 586/1191) geprägt.⁴⁷

⁴¹ Wie etwa bei Calverley, »Īsāghūjī« 75, wo Calverley die Rezeption von Porphyrios durch al-Abharī nachzeichnet. ⁴² An dieser Stelle ist natürlich keine Untersuchung der Geschichte der antiken und mittelalterlichen Logik beabsichtigt. Es ist nicht unser Ziel, die Logik und ihre Geschichte anhand des Diskurses von Polemik und Apologetik zwischen Islam und Christentum darzustellen. Die Logik dient hier lediglich als Werkzeug, um die Argumentationen der islamischen RaddLiteratur zu rekonstruieren und besser bewerten zu können. Somit dient sie uns, ähnlich wie dem Kalām, als Mittel, um gültige Schlüsse zu erkennen. Diese Klarstellung ist notwendig, weil wir immer wieder auf Logikwerke muslimischer Gelehrter zurückgreifen werden, jedoch nicht, um die Logik dieser Zeit zu erörtern, sondern um zu begründen, welche Werkzeuge Autoren dieser Zeit zur Verfügung hatten und ob sie davon Gebrauch machten, um ihre theologischen Argumentationen zu begründen und zu strukturieren. Wer sich für die historische Perspektive der arabischen Logik interessiert, findet eine gute Einführung bei El-Rouayheb, Syllogisms sowie bei Maróth, Ibn Sīnā. ⁴³ Van Ess, »Träume« 67. ⁴⁴ Vgl. Griffel, Philosophical Theology 212. ⁴⁵ Vgl. Griffel, Philosophical Theology 7 und 99. ⁴⁶ Vgl. ed-Dîb, »Cüveynî« 141–144. ⁴⁷ Vgl. El-Rouayheb, Syllogisms. Zudem gibt die Darstellung der Logik in dieser Zeit Hinweise auf die Anwendung logischer Strukturen in diesen Jahrhunderten, die uns wiederum die Rekonstruktion der logischen Strukturen der vorliegenden Radd-Literatur ermöglichen.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Die traditionelle Logik seit Aristoteles fragt danach, wann ein Schluss gültig ist, wobei mit Gültigkeit nicht die Schlüssigkeit von Argumenten bzw. die Wahrheit ihrer Konklusion bezeichnet wird, sondern ob das Argument formal eine bestimmte Struktur hat, die als Garant für ihre Gültigkeit steht.⁴⁸ Demzufolge fragt die traditionelle Logik, welche Form oder Struktur eine Argumentation haben muss, damit sie gültig ist. Der Inhalt der Aussagen ist nicht Analysegegenstand dieser Logik, lediglich der Wahrheitswert der Aussagen ist ausschlaggebend, d. h. ob sie wahr oder falsch sind. Die Logik versucht zu zeigen, ob eine Argumentation aufgrund ihrer Form und Struktur formal gültig bzw. korrekt ist. Nun bedeutet die Gültigkeit eines Arguments noch nicht unbedingt, dass ihre Konklusion wahr ist. Ist eine Argumentation gültig und sind ihre Prämissen wahr, so muss das Ergebnis bzw. der Schluss dieser Argumentation ebenfalls wahr sein – eben dieser sog. Wahrheitstransfer ist es, was eine formal gültige Argumentation ausmacht. Ein Beispiel, in dem aus zwei Prämissen P1 und P2 korrekt auf eine Konklusion K geschlossen wird:⁴⁹ P1: P2:

Alle Propheten sind Boten Gottes. Muḥammad ist ein Prophet.

K:

Muḥammad ist ein Bote Gottes.

Dieser Schluss wäre formal ebenso korrekt, wenn wir statt ›Propheten‹, ›Boten Gottes‹ und ›Muḥammad‹ jeweils andere Begriffe einsetzen würden. Ob die Konklusion allerdings außerdem wahr ist, hängt davon ab, ob die sich ergebenden Aussagen wahr sind; sind beide Prämissen wiederum wahr, dann muss – so die formale Logik – auch die Konklusion wahr sein. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Form der Argumentation im Mittelpunkt der Logik steht; deshalb nennen wir diese Logik die formale Logik. In der Tat kann man mit Hilfe der formalen Logik Aufschluss über die deduktive Gültigkeit von Argumenten erhalten und sie bietet eine ausreichende Grundlage für die formale Beurteilung von Argumenten. Oft liegen aber die zentralen Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Argumenten auf Gebieten, die mit der formalen Logik nicht zu lösen sind. Deshalb müssen hier neben der formalen Logik noch weitere argumentationstheoretische Methoden herangezogen werden, die wichtige methodische Mittel für das Verständnis und Was die argumentationstheoretische Metasprache angeht, beschränken wir uns nicht auf diese Logiker, sondern ziehen auch Logiker und Argumentationstheoretiker späterer Jahrhunderte (wie etwa al-Abharī oder Gelenbevî) heran. Denn Gegenstand dieser Studie ist nicht, die Logikgeschichte dieser Jahrhunderte historisch zu beschreiben, sondern ein praktisches Handwerkszeug bereitzustellen, das es uns ermöglicht, aus unserer Zeit heraus die argumentativen Strukturen der Radd-Literatur zu beschreiben; und das mit der Methode, die am ergiebigsten ist. Deshalb ziehen wir auch moderne Argumentationstheorien heran, insbesondere jene von Christoph Lumer. ⁴⁸ Zur Unterscheidung der Begriffe ›wahr‹, ›gültig‹ und ›schlüssig‹ siehe hier S. 121 Anmerkung 240. ⁴⁹ Das Beispiel ist ein Syllogismus der Form ›Barbara‹, siehe Abschnitt 4.2, S. 193–197.

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die Bewertung der Argumente in Radd-Schriften bereitstellen, wie etwa die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Lumer. Doch neben der formalen Beurteilung eines Arguments ist auch die Bewertung seiner Prämissen für die Argumentationsanalyse entscheidend.⁵⁰ Die Prämissen sind in Form von sprachlichen Aussagen vorzufinden und haben Wahrheitswerte. Betrachten wir exemplarisch einige theologische Sätze: 1. Gott ist allwissend. 2. Der Prophet betete Gott an. etc. In der Aussagenlogik werden solche Sätze als Aussagen bezeichnet.⁵¹ Andere Begriffe für Aussage sind ›Satz‹, ›Proposition‹, ›Urteil‹ oder auf Arabisch alqaḍiyya. Eine Standard-Definition von Aussage lautet: »Eine Aussage […] ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist.«⁵² Diese Definition geht letztlich auf Aristoteles zurück, weshalb sie in identischer Form schon im Īsāgūjī des al-Abharī (gest. 663/1264) wiederkehrt.⁵³ Für die Aussagenlogik sind die Wahrheitswerte der Aussagen von zentraler Bedeutung, denn sie operiert v. a. mit den Wahrheitswerten der Aussagen, nur indirekt mit den Aussagen selbst. Für die Frage, ob eine konkrete Aussage wahr oder falsch ist, ist dagegen die jeweilige Einzelwissenschaft zuständig. Jede Wissenschaft, auch die Theologie, versucht Sätze über ein bestimmtes Sachgebiet in wahre und falsche einzuteilen. Auch dem Radd liegt eine zweiwertige Logik zugrunde, er bestimmt Aussagen als wahr oder falsch. Dies ist nicht trivial: Bei der Analyse von Argumentationen im Radd kann nicht immer eindeutig entschieden werden, ob eine bestimmte Aussage nun wahr oder falsch ist. Des Weiteren müssen wir bei der Analyse eines Arguments immer auch die Akzeptabilität der Prämissen für den Opponenten diskutieren, wie Lumer empfiehlt, indem Akzeptabilitätskriterien zur Überprüfung herangezogen werden.⁵⁴ Auch dieses Kriterium lässt sich schon bei Aristoteles finden, wo er empfiehlt, dass der Argumentierende Prämissen vermeiden soll, die vom Opponenten nicht akzeptiert werden, und vielmehr Prämissen anbieten soll, gegen die es keinen Einwand gibt.⁵⁵ Aussagen, die nicht zusammengesetzt sind und nicht in kleinere Teile zerlegt werden können, die ebenfalls Aussagen wären, heißen atomare Aussagen. Der Satz ›Gott ist barmherzig‹ ist eine solche atomare Aussage. Sätze, die aus mehreren atomaren Aussagen bestehen, werden zusammengesetzte Aussagen

⁵⁰ Für eine Einführung in die Prämissentypen, die in der islamischen Argumentationstheorie herangezogen werden, vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 200–215. ⁵¹ Vgl. z. B. Hoyningen-Huene, Formale Logik 35–37. ⁵² Hoyningen-Huene, Formale Logik 29. Es gibt eine Fülle von Sätzen, die weder wahr noch falsch sein können (etwa Frage- oder Ausrufesätze). Diese Sätze sind in dieser Form nicht Bestandteil der Aussagenlogik. ⁵³ Al-Abharī, Īsāgūjī 9. ⁵⁴ Zu den Akzeptabilitätskriterien siehe Lumer, Praktische Argumentationstheorie 65–73. ⁵⁵ Aristoteles, Topik VIII, 2, 157b34–158a3.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

genannt,⁵⁶ wie etwa ›Gott ist barmherzig und der Prophet lebt‹. Dieser Satz kann in zwei Teilaussagen zerlegt werden, in ›Gott ist barmherzig‹ und ›Der Prophet lebt‹. Die Verknüpfung beider Teilaussagen geschieht hier durch das ›und‹ (in der Logik Konjunktion genannt); es besagt, dass die Gesamtaussage wahr ist, wenn beide Teilaussagen wahr sind. Weitere zulässige Aussageverknüpfungen sind u. a. ›nicht …‹ (Negation⁵⁷), ›… oder …‹ (Disjunktion, einschließendes ›oder‹), ›entweder … oder …‹ (Kontravalenz, ausschließendes ›oder‹), ›wenn … dann …‹ (materiale Implikation bzw. Konditional) sowie ›… genau dann, wenn …‹ (materiale Äquivalenz bzw. Bikonditional). Diese Verknüpfungen sind extensional, d. h. der Wahrheitswert jeder mit ihnen zusammengesetzten Aussage ergibt sich eindeutig aus den Wahrheitswerten der Teilaussagen sowie den jeweils gewählten Verknüpfungen. Diese extensionalen Aussageverknüpfungen werden Junktoren⁵⁸ genannt. Sie sind für die Aussagenlogik in etwa das, was die Rechenarten (Addition, Multiplikation, …) für die Arithmetik sind. Wie die Arithmetik führt die Aussagenlogik für diese Operationen Symbole ein, dazu kommen Symbole für die Aussagen (meistens A, B, C oder p, q, r).⁵⁹ Welche Verknüpfungen zulässig sind und wie Aussagen damit zu komplexen Aussagen zusammengesetzt werden dürfen, wird von der Syntax der Aussagenlogik geregelt.⁶⁰ Die Semantik der Aussagenlogik regelt hingegen, welche Wahrheitswerte sich jeweils für die zusammengesetzten Formeln gemäß den gewählten Junktoren ergeben, wenn die Wahrheitswerte der darin vorkommenden atomaren Aussagen gegeben sind.⁶¹ Alle Prämissen von Argumenten sind Aussagen. Dabei sind materielle Prämissen als Verbindungsfunktion bestimmte Aussagen, welche die Verbindung zwischen den anderen Prämissen und der Konklusion aufbauen und die Akzeptabilität des Arguments gewährleisten und im Erkenntnisprozess ausschlaggebende Aussagen sind. Oft kommen sie in Form der Implikation oder von

⁵⁶ Vgl. z. B. Hoyningen-Huene, Formale Logik 35–37. ⁵⁷ Im Gegensatz zu ›und‹, ›oder‹ etc. verknüpft das ›nicht‹ (die Negation) nicht zwei Aussagen zu einer Gesamtaussage, sondern bildet aus einer einzigen Aussage eine neue Aussage, aus A wird so ¬A (oft als ›non A‹ ausgesprochen), ähnlich wie in der Arithmetik ein vorangestelltes Minus den Wert einer Zahl umkehrt (aus 1 wird –1). Die Negation wird in den Logikbüchern der islamischen Tradition oft mit dem Begriff ‫ﺳﻠﺐ‬, ‫ ﻧﻔﻲ‬oder ‫ﻋﻜـﺲ‬ wiedergegeben, so etwa bei al-Abharī in seinem Īsāgūjī (vgl. Calverley, »Īsāghūjī« 82). ⁵⁸ Zu deutsch etwa ›Verknüpfer‹, von lateinisch iungere, d. h. ›verbinden‹, ›vereinigen‹, ›verknüpfen‹. In arabischen Logikbüchern wird hierfür u. a. der Begriff iqtirān (auch mit ›Konjunktion‹ zu übersetzen) verwendet. ⁵⁹ Die in der vorliegenden Studie benutzten Symbole sind im Verzeichnis häufiger Symbole (S. X) aufgeführt. Die geläufigen Junktoren und ihre Bedeutung müssen ansonsten als bekannt vorausgesetzt werden. Siehe dazu Einführungen in die Logik wie Beckermann, Einführung 51–83 oder Hoyningen-Huene, Formale Logik 41–57. ⁶⁰ Eine besonders kurze und praktische Zusammenfassung der Syntax der Aussagenlogik gibt Lohnstein, Formale Semantik 36. ⁶¹ Siehe zur Semantik die in den vorigen Anmerkungen genannten Logik-Einführungen.

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Allaussagen vor, die in der Analyse und Rekonstruktion von Argumenten eine zentrale Rolle einnehmen. Bevor theoretische Bemerkungen zu den materiellen Prämissen als Verbindungsfunktion gemacht werden, soll an einem bekannten Beispiel⁶² demonstriert werden, was darunter zu verstehen ist: P1: P2:

Wenn das Prädikat ›Gott‹ für Jesus ein Ehrentitel ist, dann ist Jesus kein wirklicher Gott. Das Prädikat ›Gott‹ ist für Jesus ein Ehrentitel.

K:

Jesus ist kein wirklicher Gott.

In diesem Beispiel übernimmt die materielle Prämisse P1, die die logische Form einer Implikation hat, die Funktion der Verbindung. Sie vermittelt zwischen der Prämisse P2 und der Konklusion, und nur durch sie ist die Folgerung von K aus P2 gewährleistet. Zwar ist die materielle Prämisse als Verbindungsfunktion auch eine Prämisse, genau wie etwa P2, und hat bestimmte Bedingungen einzuhalten, damit das Argument als gültig eingestuft werden kann, P1 hat jedoch noch eine zusätzliche Funktion, die beispielsweise bei P2 fehlt. Diese Funktion ist die der Verbindung und wird als Verbindungsfunktion bezeichnet. Im Rahmen der Schlussregelfunktion der Topoi beschreibt Jörg Jost, dass die Schlussregelfunktion nicht nur die Rationalität des Arguments begründet, sondern auch zu dessen Verständlichkeit beiträgt.⁶³ Die Verbindungsfunktion, wie sie hier verstanden wird, darf nicht mit einer Schlussregelfunktion im Sinne von Stephen Toulmin verwechselt werden. In Toulmins Modell, das zum universalistischen Ansatz in der Argumentationstheorie gehört,⁶⁴ ist von so genannten Schlussregeln (›warrants‹) die Rede. Bei Toulmin sind Schlussregeln jedoch nicht in der Funktion Schlussregeln, sondern ein fester Bestandteil jeder Argumentation und übernehmen eine Brückenfunktion zwischen dem Argument und der Schlussfolgerung.⁶⁵ Lumer hingegen lehnt es ab, Schlussregeln als Bestandteil der Argumentation zu betrachten.⁶⁶ Was Toulmin als Schlussregel bezeichnet, ist nach Lumer lediglich eine materielle Prämisse mit Verbindungsfunktion. Auch im Rahmen

⁶² Nach al-Ghazālīs Argument Nr. 4; vgl. dazu hier Abschnitt 3.4, S. 125. ⁶³ Jost, Topos 254. ⁶⁴ Andere Vertreter des universalistischen Ansatzes sind z. B. Chaïm Perelman, Jürgen Habermas, Frans Hendrik van Eemeren und Rob Grootendorst. Siehe hierzu: van Eemeren/ Grootendorst, Argumentation und dies., Speech Acts; Habermas, »Wahrheitstheorien« und Theorie Bd. 1; Perelman, Reich und ders./Olbrechts-Tyteca, Traité; Toulmin, Gebrauch. ⁶⁵ Toulmin, Gebrauch 96. ⁶⁶ Zur Kritik Lumers an Toulmin siehe Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 93–94. Ein weiterer wichtiger Einwand Lumers gegen Toulmin, der für die Methodik der vorliegenden Studie zentral ist, ist die Kritik der Toulminschen Schemata durch Lumer, der an der Toulminschen Argumentationstheorie das Fehlen vor Argumentationsregeln bemängelt (Lumer, Praktische Argumentationstheorie 284–288). Freilich hat Mans (»Argumentation« 404) wiederum Lumers Toulmin-Kritik kritisiert; nach Mans hat Toulmin versucht, tatsächlich angewandte Argumentationen zu beschreiben, anders als Lumer, der Argumentationsformen mit Wahrheitsgarantie gesucht habe. Zumindest dieser Vorwurf von Mans ist nicht berechtigt,

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der vorliegenden Studie wird eine solche Prämisse als materielle Prämisse betrachtet, jedoch zusätzlich mit der Funktion einer Schlussregel, welche die Prinzipien, die einem Argument zugrunde liegen, besser rekonstruierbar macht. Auf die Frage, was ein Argument sei, ist differenziert einzugehen.⁶⁷ Doch zunächst soll allgemein auf die Begriffe der Erkenntnis⁶⁸ und der Begründung eingegangen werden, die zentrale Begriffe des erkenntnistheoretischen Argumentationsbegriffs sind. Wissen und Begründung sind miteinander eng verbunden. Unsere Annahmen und Glaube müssen begründet sein, um ein Wissen zu sein.⁶⁹ Ein Glaube, der unbegründet mehr oder weniger auf Spekulationen beruht, stellt, sogar wenn er zufälligerweise wahr sein sollte, kein Wissen dar. Wissen ist somit nur dann gegeben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind, die ursprünglich erstmals bei Platon zu finden sind: (i) x glaubt, dass p. (ii) ›p‹ ist wahr. (iii) x hat sehr gute Gründe zu glauben, dass p.⁷⁰ Dies ist die heute vorherrschende Definition des Wissens als begründete wahre Meinung.⁷¹ Zunächst müssen ein Subjekt x und ein Objekt p vorhanden sein. Das Lumers Theorie basiert sehr wohl auf tatsächlich vorgefundenen Argumentationen und kann zumindest alle vorgefundenen Argumente spezifischer bestimmen als Toulmins Theorie, die mehr oder weniger alle Argumente in ein Schema presst, das der Komplexität der Argumentation nicht gerecht wird. Dagegen verzichtet Lumer darauf, allgemeingültige Schemata zu suchen, und teilt die Argumente vielmehr nach erkenntnistheoretischen Prinzipien ein, was letztlich der erkenntnistheoretischen Funktion der Argumentation entspricht. ⁶⁷ Zum einen wird dargestellt, was die Argumentationstheorie unter Argument und Argumentation versteht, und zum anderen, was die zu analysierenden Autoren bzw. die islamische Theologie darunter verstehen. Wir beginnen mit der Argumentationstheorie und zeichnen anschließend das Verständnis der islamischen Theologie nach, um schließlich zeigen zu können, wie sich das theologische Verständnis von Argument und Argumentation zu jenem der Argumentationstheorie verhält. ⁶⁸ Obwohl in der Literatur auch oft der Begriff des Wissens für Erkenntnis verwendet wird, ist der Begriff der Erkenntnis an dieser Stelle angemessener, weil Erkenntnis schwächer ist als Wissen. Erkenntnis ist nämlich auch dann gegeben, wenn der Schluss nicht sicher ist. Bei Wissen wird dagegen von vielen Theoretikern vorausgesetzt, dass der Schluss gewiss ist. ⁶⁹ Føllesdal/Walløe/Elster, Rationale Argumentation 40. ⁷⁰ Nach Føllesdal/Walløe/Elster, Rationale Argumentation 41; vgl. Platon, Theaitetos 201c/d und dazu Burnyeat, Theaetetus 128–241. ⁷¹ Mit dieser Definition ist ein Hauptproblem der gegenwärtigen Erkenntnistheorie verknüpft, das sog. Gettier-Problem, das auf den Philosophen Edmund Gettier zurückgeht. Gettier stellte in seinem berühmten Aufsatz von 1963 (Gettier, »Knowledge«) Fälle vor, welche zwar die Kriterien der ›begründeten wahren Meinung‹ erfüllen, aber trotzdem offensichtlich kein Wissen i. e. S. sind. Gettiers eigene Lösung für dieses Problem war die Ergänzung eines weiteren Kriteriums (iv), welches fordert, dass die Meinung, dass p, nicht auf einem Schluss aus einer falschen Annahme beruhen darf. Demnach darf die Meinung nicht abwegig sein, wenn etwa der Glaube zufällig war. Somit ist Wissen bzw. Erkenntnis nicht bloß eine gerechtfertigte wahre Meinung, sondern muss noch Zusatzbedingungen erfüllen (vgl. Gettier, »Knowledge«, deutsch als Gettier, »Wissen«).

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Subjekt x – d. h. die Person, der das Wissen angehören soll – glaubt (i.) an die Wahrheit des Objekts p – nämlich einer Proposition bzw. eines Sachverhaltes. Dieses Objekt p muss (ii.) wahr sein und das Subjekt x muss (iii.) gute Gründe dafür haben, zu glauben, dass p wahr ist. Dann ist das Objekt p für Subjekt x ein Wissen.⁷² Die Art und Weise der Begründung kann allerdings unterschiedlich sein, wie etwa im Wissensverständnis des Kalāms. Franz Rosenthal schreibt über das Wissensverständnis der Mutakallimūn Folgendes: »Many speculative theologians (mutakallimûn) call faith ›knowledge.‹ They say that faith is knowledge by way of traditional learning (samʿ ), while what is known through ana-logical reasoning (qiyâs) is knowledge by way of the intellect.«⁷³

Dieser Feststellung Rosenthals ist beispielhaft zu entnehmen, dass die Begründung für Erkenntnis von der Offenbarung bis hin zum vernünftigen Schließen reichen kann. Die eigentliche Frage, die uns nun interessiert, ist, inwieweit die apologetischen Inhalte auch Erkenntnis generieren bzw. diesen Anspruch haben. Dies soll exemplarisch am Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī untersucht werden. Ein Subjekt – d. h. der Autor – ist vorhanden. Verschiedene Themen der christlichen und islamischen Theologie und die vom Autor verteidigte These, die er durch die Analyse der theologischen Lehren hervorbringt, stellen das Objekt dar. In vielen Fällen werden die Thesen auch begründet. Nun ist die Frage, ob die so begründete These eine Erkenntnis darstellt. Auf der subjektiven Ebene des Autors des Argumentationstextes ist die Begründung hinreichend. Doch auf einer objektiven Ebene muss die Begründung untersucht werden. Dabei greift die normative⁷⁴ Argumentationsanalyse ein, wie sie etwa Lumer vertritt. Sie legt dar, inwieweit die Begründung bzw. Argumentation des Autors gültig und schlüssig ist. Fällt die Analyse durch die Argumentationstheorie zu Gunsten der These aus, so sind alle drei oben genannten Bedingungen für das Vorliegen von Erkenntnis erfüllt.⁷⁵ Beispiele für solche Analysen an al-Jaʿfarīs Argumenten bietet Kapitel 9 der vorliegenden Studie. Was das Verhältnis der Mutakallimūn im Rahmen des Radds zu Rationalität und Tradition angeht, so erscheinen Kategorien wie ›die traditionalistischen Mutakallimūn‹ (die sich eher auf Textquellen berufen) und ›die rationalistischen Mutakallimūn‹ (die sich eher auf rationale Ableitungen berufen), die in innerislamischen Diskursen theoretisch unterscheidbar sind, in der Praxis wenig sinnvoll und tragen wenig zur Beschreibung des Radds bei. Ohnehin zeigte Abrahamov, dass die Grenze zwischen den traditionalistischen Mutakallimūn,

⁷² Erkenntnistheoretisch legt Lumer weitere Kriterien für das Zustandekommen von Erkenntnis im Rahmen einer Argumentation vor. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist Erkenntnis auf ideale Weise zustande gekommen. Für diese Kriterien siehe hier Teil IV. ⁷³ Rosenthal, Knowledge 105. ⁷⁴ Normativ im Sinne von wertend. ⁷⁵ Wenn andererseits von einer erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie ausgegangen wird, dann müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, die Lumer aufstellt (vgl. Lumer, »Argument/Argumentation« 230–238).

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die sich in ihren Argumenten eher auf Textquellen berufen, und den rationalistischen Mutakallimūn, welche die rationale Ableitung bevorzugen, oft in der Textebene und Textkomposition nicht eindeutig ist.⁷⁶ Unserer Beobachtung nach gehen diese Prinzipien sogar bei einem und demselben Autor in seiner argumentativen Textkomposition oft ineinander über. Da die Argumente des Radds, die in dieser Studie herangezogen werden, die Adäquatheit ihrer Prämissen beim christlichen Opponenten garantieren möchten, sehen sie oft von vornherein von der Berufung auf muslimische Textquellen ab, sodass die innerislamische Auseinandersetzung und Konkurrenz zwischen den Traditionalisten und den Rationalisten im Radd zum Christentum kaum eine Rolle spielt. Kommen wir zu der Frage zurück, was eine gute Begründung ausmacht. Aufgrund der Breite des Themas kann diese Frage nur selektiv beantwortet werden, indem wir letztendlich auf die Begründung durch vernünftiges und logisches Schließen zu sprechen kommen, das in den Radd-Schriften nur zu oft vorzufinden ist. Aristoteles war der Meinung, dass wir gute Gründe für eine Überzeugung haben, wenn wir für deren Wahrheit Beweise haben. Aristoteles sagt dazu Folgendes am Beispiel der Deduktion: »Eine Deduktion ist also ein Argument, in welchem sich, wenn etwas gesetzt wird, etwas anderes als das Gesetzte mit Notwendigkeit durch das Gesetzte ergibt. Ein Beweis liegt dann vor, wenn die Deduktion aus wahren und ersten (Sätzen) gebildet wird, oder aus solchen, deren Kenntnis ursprünglich auf bestimmte wahre und erste (Sätze) zurückgeht.«⁷⁷

Aristoteles gibt zunächst an, dass eine Deduktion (ein Schluss) ein Argument (lógos) ist.⁷⁸ In seinen Analytica posteriora fügt er hinzu, dass das Subjekt, das etwas zu begründen bzw. zu beweisen versucht, von etwas ausgehen muss, das es bereits weiß.⁷⁹ Ohnehin ist die Logik im islamischen Denken als die Wissenschaft bezeichnet worden, die ausgehend vom Bekannten das Unbekannte ableitet. Durch Einsetzen von bekannten Prämissen wird durch ein – oft syllogistisches – Argument die unbekannte Erkenntnis in Form einer Konklusion abgeleitet.⁸⁰ Es liegen starke Hinweise dafür vor, dass die Logik im islamischen Denken ein Weg war, die Begründung von Thesen auf ihre Gültigkeit und auf den Anspruch, Erkenntnis generiert zu haben, zu prüfen, und dass es zulässig ist, mit der Logik deduktive Argumente erkenntnistheoretisch zu (re)konstruieren. Die erkenntnistheoretische Auseinandersetzung mit logischen Schlüssen beschäftigte schon muslimische Gelehrte wie beispielsweise Naṣīr al-Dīn al-Ṭūsī (gest.

⁷⁶ Abrahamov, Islamic Theology VIII und 19–31. ⁷⁷ Aristoteles, Topik I, 1, 100a25–29, Übersetzung Wagner/Rapp. ⁷⁸ Das griechische Wort lógos, von Wagner und Rapp hier passend mit ›Argument‹ wiedergegeben, hat die Grundbedeutung ›Wort, Rede‹. An dieser Stelle wird eine Beziehung zum Begriff kalām deutlich, der ebenfalls mit ›Rede‹ übersetzt werden kann und zudem eine argumentative Disziplin ist; vgl. dazu hier S. 22 Anmerkung 96. ⁷⁹ Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora I, 3, 72b19–20. ⁸⁰ Vgl. Sprenger u. a., Logic of the Arabians 2–10. Vgl. auch Emiroğlu, »Mantık« 19.

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672/1274), der in seinem Muḥaṣṣal-Kommentar ein Argument wiedergibt, das die Wissensgenerierung durch Syllogismen zu belegen versucht. Josef van Ess rekonstruiert dieses Argument al-Ṭūsīs folgendermaßen: »1. Prämisse: 2. Prämisse:

Conclusio:

Alles, was mit Notwendigkeit aus zwei (letztlich) notwendigen Prämissen folgt, ist mit Notwendigkeit Wissen.⁸¹ Die conclusio des angenommenen Syllogismus (dessen Richtigkeit überprüft wird) folgt mit Notwendigkeit aus zwei (letztlich) notwendigen Prämissen. Ergo ist diese conclusio mit Notwendigkeit Wissen.«⁸²

Dass logische bzw. syllogistische Schlüsse mit Notwendigkeit zu Wissen bzw. Erkenntnis führen, hängt davon ab, dass sie aus zwei Prämissen mit Notwendigkeit eine Konklusion ableiten. Somit sind alle syllogistischen Konklusionen mit wahren Prämissen bei al-Ṭūsī als Wissen qualifiziert, was die erkenntnistheoretische Orientierung al-Ṭūsīs zeigt. Das Konzept des notwendigen Wissens bzw. der notwendigen Erkenntnis ist jedoch in der Erkenntnistheorie keineswegs auf syllogistische Schlüsse begrenzt. Al-Ījī behandelt in seinem Werk Al-Mawāqif die Frage nach der notwendigen (ḍarūrī) Erkenntnis, indem er diese Erkenntnisform in Beziehung zur erworbenen (muktasabī) Erkenntnis setzt. Nach seiner Darstellung ist die notwendige Erkenntnis in der Vernunft verankert und durch sie begründet, ohne jedoch eine Tätigkeit der Vernunft vorauszusetzen. Die erworbene Erkenntnis komme dagegen – anders als die notwendige – durch die aktive Tätigkeit der Vernunft zustande.⁸³ Zu letzterer würden auch die syllogistischen Schlüsse gehören. Für eine notwendige Erkenntnis sei diese aktive Tätigkeit der Vernunft jedoch keine Voraussetzung, sie sei unabhängig davon und benötige keine weitere rationale Begründung als die Aussage selbst, wie etwa die Aussage »Das Ganze ist größer als seine Teile«. Zu den notwendigen Erkenntnissen zählen jedoch nicht nur selbstevidente Aussagen (ḍarūriyyāt), sondern auch Prämissen der Typen ḥissiyyāt und wijdāniyyāt, die aus Sinneswahrnehmungen hervorgehen. Diese Annahmen sind zentral, will man die theologische und erkenntnistheoretische Perspektive des islamischen Radds gegenüber christlichen Lehren verstehen. Der Streit zwischen Islam und Christentum ist keineswegs nur theologischer, vielmehr auch erkenntnistheoretischer Natur. Der islamische Radd

⁸¹ Al-Ṭūsī benutzt hier den Begriff des Wissens nicht im philosophischen Sinne, sondern im Sinne von ›wahr‹ bzw. ›Wahrheit‹. Wissen im philosophischen Sinne ist (nach einer weit verbreiteten Definition) eine begründete wahre Meinung. Diese Voraussetzungen sind bei der 1. Prämisse jedoch nicht gegeben. Diese Anmerkung ist auch für das Verständnis des Radds von al-Jaʿfarī wichtig, denn wenn al-Jaʿfarī von Wahrheit spricht, dann meint er sie im logischen Sinne wie die 1. Prämisse des al-Ṭūsī. Ähnlich setzt auch Gelenbevî Wissen und Wahrheit in eine Beziehung (vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 51–60). ⁸² Van Ess, Erkenntnislehre 255. ⁸³ Al-Ījī, Al-Mawāqif (Beiruter Ed.) 11–14.

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versucht argumentativ zu demonstrieren, dass zentrale christliche Lehren erkenntnistheoretisch gesehen problematisch und zweifelhaft sind, ja sogar falsch. Das ist nicht nur ein Versuch des Streites, sondern ein Versuch, durch den Radd erkenntnistheoretisch abgesicherte Erkenntnis über Theologie zu generieren. Ein einfaches Beispiel soll verdeutlichen, dass muslimische Adressaten und Urheber des argumentativen Radds ihre Argumente gegen christliche Lehren keineswegs nur als Lächerlichmachung ansehen, sondern den argumentativen Radd als einen Prozess zur Generierung von Erkenntnis und als Möglichkeit des (wissenschaftlichen⁸⁴) Diskurses wahrnehmen. Zur Verdeutlichung, was die Voraussetzungen des Prozesses der Erkenntnisgenerierung sind, sei jedoch zuvor Lumers Definition dieses Prozesses herangezogen: »Eine Erkenntnis liegt demnach vor, wenn der Betreffende einen Glauben aufgrund eines Erkenntnisprozesses gewonnen hat und noch über eine subjektive Begründung für diesen Glauben verfügt.«⁸⁵

Diese Definition hat deutliche Parallelen im Argument al-Ṭūsīs. Lumer und al-Ṭūsī sind sich erkenntnistheoretisch zunächst darüber einig, dass Erkenntnis durch einen erkenntnistheoretischen Prozess generiert werden kann. Dieser Erkenntnisprozess schließt bei Lumer die syllogistische Schlussfolgerung als eine mögliche Form ein. Auch bei al-Ṭūsī ist die Syllogistik ein zulässiges Werkzeug des Erkenntnisprozesses.⁸⁶ Das oben angekündigte Beispiel ist das folgende einfache, aber trotzdem erkenntnistheoretisch aufschlussreiche Radd-Argument von al-Jaʿfarī, das für den Erkenntnisprozess ein syllogistisches Argument benutzt. Zunächst der Originaltext und anschließend eine rekonstruierte Form: »Und das ist, wie ihr seht, eine klare Leugnung für die, die behaupten, er sei ein Gott, der sich mit einem Menschen vereint hat. Und sicherlich zeigt das Evangelium, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, dass Christus hungerte und satt wurde, Freude und Trauer empfand, fragte und betete, einen Esel ritt und sich bewegte, Nutzen hatte und genauso allen menschlichen Vorkommnissen ausgesetzt war. Somit ist es ungültig, was die Christen als Überlieferung über Christus heranziehen.«⁸⁷

Am Beispiel des Hungerns dargestellt, ist die Idee hinter diese Aussage folgende: Wenn Gott hungern würde, dann wäre er abhängig von dem, was er selbst erschaffen hat. Das ist theologisch gesehen nicht zulässig. Auch wäre seine Existenz vor der Erschaffung der ›Nahrung‹ undenkbar. Denn wovon hätte er sich ernähren sollen, wenn er doch noch keine Nahrung geschaffen

⁸⁴ Wissenschaftlich in dem mittelalterlichen Sinne, dass die Logik als ein Mittel herangezogen wurde, das zur Evaluierung der Argumente geeignet schien. So geht al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von einem vernünftigen und in Logik geschulten Adressaten aus, sonst wäre sein Versuch, auf der rationalen Ebene zu argumentieren, von vornherein sinnlos (vgl. etwa al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10). ⁸⁵ Lumer, »Logik« 57. ⁸⁶ Vgl. Horten, Ansichten 3–21. ⁸⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 97–98.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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hatte?, so al-Jaʿfarīs Implikation. Dieses Argument lässt sich wie folgt deduktiv rekonstruieren: P1: eP2:

Jesus kann Hunger haben. Gott kann keinen Hunger haben.

K1:

Jesus ist nicht Gott.

Dieses Argument ist zunächst nicht gültig. Dass Jesus hungert und Gott nicht hungert, lässt noch nicht darauf schließen, dass Jesus nicht Gott ist. Was erforderlich ist, um das Argument gültig zu machen, ist eine weitere Annahme, die al-Jaʿfarī durchaus zugeschrieben werden kann, nämlich dass das Nicht-Hungern eine Wesenseigenschaft Gottes ist. Der Mensch kann hungern und sein zeitliches Nicht-Hungern ist möglich. Doch das Hungern Gottes ist unmöglich. Erst diese Wesensunterscheidung macht das Argument verständlich. Als Rekonstruktion ergibt sich damit: eP2’: P1:

Kein Gott kann Hunger haben. Jesus kann Hunger haben.

K1’:

Jesus ist kein Gott.

Dieses Argument kann direkt als Syllogismus formalisiert werden. Die syllogistische Schlussform, die dabei angewandt wird, heißt traditionell ›Cesare‹, das ist ein Schlussmodus der zweiten Figur mit allgemein verneinendem Oberund Schlusssatz sowie allgemein bejahendem Untersatz:⁸⁸ PeM SaM SeP Das Argument ist also deduktiv gültig, es basiert auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip: Wenn die Prämissen wahr sind, so ist auch die Konklusion wahr. Somit wäre das Argument unter diesen Bedingungen tatsächlich als Beweis zu betrachten. Es wurde schon öfter von ›Beweis‹ gesprochen; doch hat der Radd überhaupt den Anspruch, einen Beweis vorzulegen, oder versucht er womöglich etwas anderes? In der Tat kann man zunächst (streng logisch betrachtet) zwischen Beweis und gültigem Schluss unterscheiden. Doch unter Berücksichtigung der vorgefundenen Radd-Argumente kann das Argument seinem Anspruch nach – wie etwa bei al-Jaʿfarī, der von dalīl spricht – tatsächlich als logischer Beweis, also als logische Schlussfolgerung verstanden werden. Demnach liegt dem Radd – betrachtet man die vorgefundenen Argumente – ein logisches BeweisVerständnis zugrunde, das sich durch das Handwerkszeug der klassischen Logik – also Syllogistik und Aussagenlogik – rekonstruieren lässt.

⁸⁸ Zur Bedeutung der syllogistischen Formalisierung und zur Syllogistik allgemein vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 193–197.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Die Konzentration des Radds auf das logische Verständnis des Beweises ist kein Zufall, denn sein Ziel ist die Generierung von Erkenntnis und deren logischer Beweis mit Hilfe der natürlichen Sprache. Sätze der natürlichen Sprache werden in der klassischen Logik als Aussagen (re)formuliert, aus denen neue wahrheitskonservierende Sätze generiert werden können, was für die rational erkenntnistheoretisch orientierte islamische Theologie (kalām) ein Fund war, dem sie sich von Anfang an geöffnet hat und den sie zu ihrer Methodik machte. Im Rahmen der Beweistheorie wird zwischen dem Beweis (dalīl) und dem Bewiesenen (madlūl) unterschieden. Gelenbevî stellt in seinem ʿilm al-munāẓara (Argumentationstheorie) die Positionen von Ashʿarīten, Philosophen, Muʿtazila und Fakhr al-Dīn al-Rāzī⁸⁹ dar. Dabei wird diskutiert, wie die Konklusion, die sich logisch zwingend aus den Prämissen ableiten lässt, theologisch eingestuft werden kann. Die Ashʿarīten sagen, die zwingenderweise entstehende Konklusion sei ʿādī (›gewöhnlich‹): Gott erschaffe gewöhnlich die Konklusion, nachdem die Prämissen erschaffen wurden. Dass durch die Erschaffung der Prämissen auch die Erschaffung der Konklusion folgt, ist der ʿādat Allāh (etwa: ›Gewohnheit Gottes‹), so Gelenbevî. Jedoch sei Gott nicht etwa gezwungen, die Konklusion zu erschaffen, nur weil die Prämissen erkannt wurden. Der ʿādat Allāh ist demnach nicht unabhängig von Gott. Die Philosophen hingegen sehen einen Zwang für Gott zur Erschaffung der Konklusion, sobald die Prämissen erkannt worden sind. Denn der dhihn (›Intellekt‹) sei durch die Erkenntnis der Prämissen für die Konklusion vorbereitet und das Nichterschaffen dieser wäre ein Geiz Gottes; da Gott aber frei von solchen Eigenschaften ist, sei ein Nichterschaffen der Konklusion nicht denkbar.⁹⁰ Für die Muʿtazila ›gebärt‹ (bzw. erschafft)⁹¹ die Erkenntnis der Prämissen unausweichlich die Konklusion. Gemäß der Handlungstheorie der Muʿtazila erschafft der Mensch diese Konklusion. Neben diesen theologischen Schulen erwähnt Gelenbevî zudem die Position des einflussreichen Theologen Fakhr al-Dīn al-Rāzī (gest. 605/ 1208) zu dieser Streitfrage, dem zufolge diese Notwendigkeit der Entstehung der Konklusion durch die Erkenntnis der Prämissen rational (ʿaqlī) ist. Wichtig ist hier v. a., dass alle diese Positionen die Konklusion als eine aus den Prämissen resultierende Erkenntnis verstehen. In diesem Rahmen betrachtet auch al-Jaʿfarī, der in seinen Argumenten auf Rationalität und Argumentativität setzt, seine Konklusionen als Erkenntnisse, denen ein rationales Erkenntnisprinzip

⁸⁹ Dieser hatte selbst ein Radd-Werk mit dem Titel Munāẓara fī al-radd ʿalā l-Naṣārā verfasst (vgl. Iskenderoglu, »Munāzara« 63–65). Es scheint, dass Fakhr al-Dīn al-Rāzī seinen Radd zum Christentum im Rahmen seiner angewandten Methode als munāẓara betrachtete. ⁹⁰ Für Philosophen, die der fayḍ-Theorie folgen, besteht eine emanationsartige Verbindung zwischen Prämissen und Konklusion. ⁹¹ Gelenbevî benutzt an dieser Stelle das Konzept des tawlīd (vgl. Gelenbevî, Ādāb albaḥth wa-l-munāẓara 67). Tawlīd ist jedoch ein bedeutungsähnliches Wort zu takwīn (vgl. Bearman u. a., »Glossary« 549, Art. »Tawlīd«). Beide haben die Bedeutung ›etwas ins Sein bringen‹ (vgl. Bearman u. a., »Glossary« 534, Art. »Takwīn«).

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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zugrunde liegt und die daher vom rational denkenden Opponenten idealerweise angenommen werden sollten. Bisher wurde exemplarisch gezeigt, dass apologetische Argumentationen den Anspruch haben, Erkenntnis zu generieren. Ihnen liegt somit eine erkenntnistheoretische Konzeption zugrunde. Die Erkenntnisprinzipien, die zur Erkenntnis führen, sind vielfältig und somit sind die Verfahren und Methoden, die in den Radd-Argumentationstexten zur Überzeugung des Opponenten angewandt werden, ebenfalls vielfältig. Im Folgenden sollen daher ausgewählte moderne argumentationstheoretische Methodiken und zentrale Termini aus der traditionellen islamischen Beweistheorie⁹² mit Bezug auf unsere Fragestellung skizziert werden. Dazu gehören u. a. die Pragma-dialektische Argumentationstheorie nach van Eemeren und Grootendorst sowie die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie nach Lumer.⁹³ Eine Argumentationsanalyse kann deskriptiv oder normativ sein; normativ ist hier im Sinne von ›wertend‹ zu verstehen.⁹⁴ Beide Ansätze bzw. Anwendungen der Argumentationsanalyse versuchen Argumentationen systematisch zu erfassen und zu analysieren. Die deskriptive (im Sinne des ʿilm al-ālāt) Argumentationsanalyse⁹⁵ ist die Analyse der Argumentation in ihrer Struktur; damit ist nicht nur der Argumentationstyp gemeint, sondern auch die innere logische Struktur der Argumentation. Dabei ist in erster Linie zu analysieren, was eine bestimmte Argumentation kennzeichnet. Die normative Argumentationsanalyse hingegen geht über die reine Strukturanalyse hinaus und ist die Ebene, auf der versucht wird, die Argumentation auf ihre Gültigkeit und ggf. auf ihre Schlüssigkeit hin zu analysieren. Argumentationsanalysen wie etwa

⁹² Die Beschreibung der Terminologie der islamischen Beweistheorie ist zentral, weil die islamisch-theologischen Argumentationen auf diesen Konzepten beruhen. ⁹³ Für die Behandlung dieser modernen Theorien siehe unten Kapitel 5. ⁹⁴ Føllesdal/Walløe/Elster, Rationale Argumentation 5. ⁹⁵ Im Sinne des ʿilm al-ālāt, d. h. der ›Wissenschaft der Instrumente‹, die der wissenschaftlichen Untersuchung dienlich sind, wie etwa die Logik, die der religiösen Untersuchung zur Wahrheitsfindung dienen kann (vgl. Goldziher, »Āla«). Das ʿilm al-ālāt ist insofern deskriptiv, als es keinen Anspruch hat, eine These zu belegen, sondern lediglich dem Forscher das Werkzeug hierzu liefert. Wenn wir im Weiterem davon reden, dass die Logik als Werkzeug nicht normativ ist, dann meinen wir damit lediglich, dass die Logik als Werkzeug keine These zu belegen versucht. Ansonsten ist die Logik eine urteilende, somit in diesem Sinne eine normative Wissenschaft. Diese Unterscheidung findet sich bereits bei Ibn Rushd, der die Wissenschaften in ʿilm al-ʿālī (d. h. ʿilm al-ālāt) und ʿilm gayr al-ʿālī (›Wissenschaft der Nicht-Werkzeuge‹) aufteilte (vgl. Sarıoğlu, İbn Rüşd 29–32). Saçaklızâde betrachtet, in Anlehnung an Ibn Ḥajar, sogar die manṭiq (Logik), ähnlich wie den Kalām, als wertende und normative Wissenschaft (sc. die Summe der Wissenschaften der sharīʿa) und nicht als Werkzeugwissenschaft. Denn die Wissenschaften der sharīʿa leiten durch die Anleitung des ›Gesetzgebers‹ (d. h. Gottes) mit Sicherheit zur Wahrheit und auch die Logik leitet zur Wahrheit, somit ist die Logik eine normative Wissenschaft im Sinne des ›Gesetzgebers‹ (vgl. Saçaklızâde, Tartīb al-ʿulūm, hg. von Muhammed ibn Ismāʿīl al-Sayyid Aḥmed 87). Jedoch wird in der islamischen Wissenschaftstheorie weitgehend daran festgehalten, dass die Logik eine Werkzeugwissenschaft ist (vgl. Goldziher, »Āla«).

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

diejenige Lumers verbinden beide Ansätze, um u. a. die erkenntnistheoretischen Kriterien von Erkenntnisprinzipien bestimmen und definieren zu können.⁹⁶ Ohnehin ist es schwierig, beide Ansätze in der Anwendung zu trennen, weil sie oft ineinanderlaufen, so wie in den klassisch-islamischen Wissenschaften (bzw. Argumentationstheorien), die sich hauptsächlich um der Wahrheit willen mit Argumenten befassen; dennoch soll an dieser Stelle grob skizziert werden, welche Wissenschaften dies sind und welche argumentationstheoretischen Grundlagen diese haben. Die Trennung zwischen Deskriptivität (im Sinne von Werkzeugwissenschaften) und Normativität schlägt sich auch in den Wissenschaftsdisziplinen nieder, die eine deskriptive oder normative Stellung zur Argumentation haben. Zu den eher deskriptiven Wissenschaften (ʿilm alālāt) lassen sich folgende Disziplinen zählen: ʿilm al-manṭiq (Logik), ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara (Kunst der Untersuchung und Debatte), ʿilm al-jadal (Wissenschaft der Disputation). Eher normative Argumentationstheorien sind uṣūl al-fiqh (Methodologie des Rechts), ʿilm al-kalām (argumentative Theologie) oder ʿilm al-khilāf (Wissenschaft der juristischen Meinungsverschiedenheit).⁹⁷ Dies ist natürlich nur eine grobe Einteilung – auch wenn die normativen Wissenschaften eher auf die Wahrheit der Aussagen ausgerichtet sind, legen sie dennoch oft logische Schlüsse als Methode zur Wahrheitsfindung vor, wie etwa das uṣūl al-fiqh.⁹⁸ Das ʿilm al-manṭiq ist die aristotelische Logik, die von der islamischen Theologie und Philosophie⁹⁹ herangezogen wird; es beschäftigt sich – kurzgefasst – mit der formalen Gültigkeit logischer Schlüsse. Bei Ṭaşköprüzâde (gest. 968/ 1561) bildet die Logik zudem eine gemeinsame Schnittstelle zwischen der (systematisch-theoretischen) Theologie und der Philosophie, die beide durch die Logik zur Erkenntnis zu gelangen versuchen.¹⁰⁰ Das ʿilm al-baḥth wa-l-munāẓara behandelt die Frage, wie eine Untersuchung/Analyse einer Argumentation/ Disputation methodisch durchgeführt und wie eine argumentative Disputation theoretisch und praktisch gestaltet werden sollte, damit u. a. die Schlüssigkeit einer Argumentation bestimmt werden kann. Dabei sind die Hauptfragen dieses Ansatzes folgende: Definition des Beweises (dalīl), Propositionen bzw. Prämissen (qaḍiyya), epistemische Konzepte wie Apriori (badīhiyyāt) oder Spekulation

⁹⁶ Vgl. hierzu Lumer, Praktische Argumentationstheorie (passim). Lumers Theorie ist normativ und stellt Gültigkeitskriterien für Argumentationen auf, weshalb sie eine vollständige Argumentationstheorie ist und nicht nur ein Werkzeug für die Argumentationsanalyse bildet; sie enthält jedoch in der idealisierenden Hermeneutik durchaus deskriptive Komponenten, die sie als Analyseverfahren besonders geeignet machen. ⁹⁷ Wobei etwa Saçaklızâde auch ʿilm al-kalām als ›Werkzeugwissenschaft‹ betrachtet. Er bringt den berechtigten Einwand vor, dass Logik im Sinne des ›Gesetzgebers‹ (d. h. Gottes) zu wahren Schlüssen führe, somit sei sie normativ (vgl. Saçaklızâde, Tartīb al-ʿulūm, hg. von Muhammed ibn Ismāʿīl al-Sayyid Aḥmed 87). ⁹⁸ Vgl. Hallaq, »Sunni Jurisprudence« 315–358. ⁹⁹ Vgl. van den Berg, »Manṭiḳ« 280–283. ¹⁰⁰ Vgl. Ṭaşköprüzâde, Miftāḥ al-saʿāda 70–85.

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(naẓariyyāt), Kontradiktionen, die Rolle des Argumentierenden und des Opponenten, Definition oder Widerlegungstheorie.¹⁰¹ Zudem hat ʿilm al-munāẓara die Aufgabe, verbindliche Regeln aufzustellen, nach denen eine Disputation gerecht und erkenntnisleitend durchgeführt werden kann. Ṭaşköprüzâde gibt an, dass die munāẓara eine eigene Methodologie besitzt, welche dazu dient, die Wahrheit in einer Streitfrage darzulegen.¹⁰² Er listet neun Kriterien für eine gelungene munāẓara auf: 1. Disputanten sollten weder zu langwierig noch zu kurz argumentieren. 2. Sie sollten keine unbekannten Wörter verwenden. 3. Die Wörter dürfen auch nicht mehrdeutig sein. Sie sollten in solchen Fällen eine Definition anbieten. 4. Ohne den Opponenten richtig verstanden zu haben, sollte man nicht widersprechen. 5. Man sollte keine Offensiven beginnen, die der Methode der munāẓara nicht entsprechen. 6. Man sollte in einer mündlichen munāẓara den Opponenten nicht auslachen. 7. Man sollte nicht unhöflich sein. 8. Es empfiehlt sich, mit Menschen, die man achtet und für die man eine gewisse Zuneigung empfindet, keine munāẓara einzugehen. 9. Munāẓara ist kein Mittel, um den Opponenten verächtlich zu machen.¹⁰³ Nach Ibn Khaldūns (gest. 808/1406) Beschreibung ist diese Disziplin entstanden, weil es ursprünglich keine Regeln für Disputation und Argumentationsevaluation gab. Damit waren die Voraussetzungen gegeben, eine spezielle Wissenschaft aufzustellen, die Kriterien festlegt, anhand derer Argumente evaluiert werden können. Zudem solle diese Wissenschaft der praktischen und mündlichen Disputation Verhaltensregeln vorgeben. Nach Ibn Khaldūn, der von seinem Zeitgenossen Ibrāhīm ibn ʿAlī ibn Yūsuf al-Fīrūzābādī al-Shīrāzī (gest. 817/1415) zitiert wird, ist das ʿilm al-munāẓara somit ein Regelwerk für die Evaluierung von Argumenten und Beweisführungen, das idealerweise für alle Wissenschaften Gültigkeit haben sollte.¹⁰⁴ Diesem Ideal folgte auch Saçaklızâde, der mit seinem Werk Al-risāla al-waladiyya offenbar eine allgemeine Argumentationstheorie vorlegen wollte, die unabhängig von den Einzeldisziplinen ist.¹⁰⁵ Damit folgte er, wie viele Argumentationstheoretiker seines Jahrhunderts, Shams al-Dīn al-Samarqandī, der in seinem Werk Risālat ādāb al-baḥth die Möglichkeit aufzeigen wollte, dass eine gemeinsame disputative Methodik der Wissenschaften möglich ist. Er nannte diese Methodik ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara, worunter er eine Zusammenführung von bestimmten

¹⁰¹ Vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 187–204. ¹⁰² Vgl. Ṭaşköprüzâde, Ādāb al-baḥth 204–207. ¹⁰³ Vgl. Ṭaşköprüzâde, Ādāb al-baḥth 206–207. Für einen kurzen Kommentar von Belhaj zu diesen ethischen Kriterien vgl. Belhaj, »Neglected Art« 304–305. ¹⁰⁴ Ibn Khaldūn, zitiert nach Dziri, Ars Disputationis 45–46. ¹⁰⁵ Vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

praxisbezogenen ethischen Disputationsregeln, der aristotelische Logik und der islamischen Rechtslehre verstand.¹⁰⁶ Generell wird angenommen, dass Shams al-Dīn al-Samarqandī der Gründer einer islamischen Argumentationstheorie mit großem Einfluss auf die nachfolgenden Generationen war, vor allem in hanafitischen Kreisen und im Osmanischen Reich.¹⁰⁷ Seine Theorie wurde zu einer Synthese der Logik mit der juristischen Dialektik.¹⁰⁸ Allerdings scheinen die Terminologie und Methodik einzelner Wissenschaften so stark in diesen verankert zu sein, dass eine allgemein anerkannte Argumentationstheorie in der Anwendung im besten Fall nur im Kalām als logische Argumentation vorzufinden ist. Bevor sich jedoch das ʿilm al-baḥth wa-l-munāẓara durchsetzen konnte, hatte sich schon das ʿilm al-jadal etabliert. Schon der Koran nutzte den Begriff jadal für religiöse Kontroversen.¹⁰⁹ Weil der Koran diesen Begriff jedoch teilweise negativ als Versuch einer Überredung verwendete¹¹⁰ und später durch die intraund interreligiösen Disputationen am Hofe der Abbasiden eine allgemeine Argumentationstheorie mit Disputationsregeln notwendig wurde, entwickelte sich eine erkenntnistheoretische Argumentationstheorie, die als ʿilm al-baḥth wa-lmunāẓara oder einfach ʿilm al-munāẓara bezeichnet wurde. Diese zielte nicht auf das Überreden, sondern auf das Überzeugen des Opponenten.¹¹¹ Doch bevor diese Entwicklung eintrat, war die Verwendung des ʿilm al-jadal nicht immer eindeutig, es wurde teilweise positiv, wie etwa bei al-Ṭūfī, und teilweise negativ interpretiert. Ibn Haldun z. B. betrachtete jadal und munāẓara als dasselbe, Saçaklızâde hingegen jadal als ein rhetorisches Mittel zur bloßen Überredung des Opponenten.¹¹² Ähnlich sah das auch Shams al-Dīn al-Samarqandī, dem zufolge munāẓara eine rationale Spekulation zwischen zwei Parteien ist, welche das Ziel hat, die Richtigkeit bzw. Wahrheit zu erlangen.¹¹³ Ziel der munāẓara ist demnach die Herausarbeitung der Wahrheit, was sie grundsätzlich vom jadal unterscheidet, dessen Ziel lediglich das Gewinnen der Disputation ist.¹¹⁴

¹⁰⁶ Vgl. al-Samarqandī, Risāla ādāb al-bahth, zitiert nach Karabela, Dialectic 266. ¹⁰⁷ In der Tat gibt es in den Bibliotheken in Istanbul unzählige unedierte und nie bearbeitete Manuskripte zur islamischen Argumentationstheorie. ¹⁰⁸ Vgl. Belhaj, »Neglected Art« 292. Dort versucht Belhaj die Rolle der juristischen Dialektik für die Ausbildung der islamischen Argumentationstheorie nachzuzeichnen. Seine These ist, dass die juristische Dialektik dabei schon seit al-Samarqandī eine zentrale Rolle gespielt hat. Zudem bestehe die Rolle der Logik darin, die formale Struktur der Disputation aufzuzeigen, sodass sie keineswegs den Platz der juristischen Dialektik übernehme, sondern diese vielmehr unterstütze (vgl. Belhaj, »Neglected Art« 294). Das ist jedoch nicht überraschend, wenn man sich vor Augen hält, dass die Methodik der Rechtswissenschaften (uṣūl al-fiqh) selbst aus der argumentativen Theologie (ʿilm al-kalām) entsprungen ist. ¹⁰⁹ Zur Bewertung des koranischen jadal-Begriffs vgl. McAuliffe, »Debate with Them«. ¹¹⁰ Vgl. Gwynne, Logic IX–XV. ¹¹¹ Vgl. Yavuz, »Münâzara« 576–577. ¹¹² Vgl. Yavuz, »Münâzara« 576–577. ¹¹³ Vgl. al-Samarqandī, Risāla ādāb al-bahth, zitiert nach Karabela, Dialectic 266. ¹¹⁴ Vgl. Karabela, Dialectic 124.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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ʿIlm al-jadal kann deskriptiv sein, kann aber auch synonym zu ʿilm al-khilāf ¹¹⁵ verwendet werden, in dem die Widersprüche zwischen den islamischen theologischen Schulen, vor allem im Bereich des Rechts, Forschungsgegenstand sind.¹¹⁶ Es kann jedoch eben auch deskriptiv sein und ähnlich wie ʿilm al-baḥth wa-l-munāẓara die formale Struktur einer Disputation untersuchen, zunächst unabhängig von der Frage nach deren Wahrheit. Die normativen Ansätze wie uṣūl al-fiqh oder ʿilm al-kalām, aber auch ʿilm al-khilāf, das zudem deskriptive Strukturen aufweisen kann, sind hingegen an der Untersuchung und Herausstellung der Wahrheit interessiert. Auch wenn die uṣūl al-fiqh methodisch ausgerichtet ist und die Methodik zur Rechtsfindung im islamischen Recht vorgibt, ist sie weniger an der formalen Argumentationsstruktur interessiert als an der theologisch begründeten Wahrheit über Rechtsfragen. Schon al-Ghazālī unterschied zwischen uṣūl al-fiqh und ʿilm al-khilāf, indem er sagte, dass sich ʿilm al-khilāf mit konkreten Textbeispielen über Rechtsnormen und ihre Beziehung zum Offenbarungstext befasse, uṣūl al-fiqh hingegen theoretisch ausgerichtet sei.¹¹⁷ Das ʿilm al-kalām ist am stärksten von der Frage nach der Wahrheit der theologischen Aussagen abhängig; denn die Theologie lebt von dem Wahrheitsanspruch in göttlichen Fragen, worauf vor allem das ʿilm al-kalām Antworten liefern zu können glaubt. Das Besondere an all diesen Ansätzen ist jedoch, dass sie argumentativ sind, wenngleich sie formallogische Schlüsse selbst nicht als Forschungsgegenstand haben, sondern diese lediglich als Werkzeug zur erkenntnistheoretisch abgesicherten Wahrheitsfindung einsetzen. Doch das Resultat dieser argumentativen Wahrheitsfindung ist für die islamische Theologie bindend und das macht sie zu einer rationalen Theologie, wie ihr schon van Ess bescheinigte.¹¹⁸ Systematische Analysen von Argumenten finden sich zum Beispiel schon im Al-qisṭās al-mustaqīm des al-Ghazālī. Al-Ghazālī versucht hier die Frage zu beantworten, wie der Koran argumentiert und seine Schlüsse und Beweise ableitet, und legt eine Argumentationstheorie des Korans vor, indem er koranische Argumente als syllogistische Urteile rekonstruiert. Al-Ghazālī betrachtet die syllogistische Logik als ideale Methode für die islamische Theologie.¹¹⁹ Ein anderes Werk al-Ghazālīs, in dem er die Logik als Kriterium der Ermessung und

¹¹⁵ Als Begründer des ʿilm al-khilāf gilt Abū Zayd ʿUbaydallāh ibn ʿUmar ibn ʿĪsā alDabūsī, selbst ein hanafitischer Gelehrter, der im Rahmen dieser Wissenschaft theoretisch die Widersprüche der theologischen Rechtsschulen zu beschreiben versuchte (vgl. Wheeler, »Al-Dabūsī«). ¹¹⁶ Vgl. Izmirli Ismail Hakkı, Ilm-i Hilâf. ¹¹⁷ Al-Ghazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl Bd. 1, 35–41. ¹¹⁸ Van Ess, »Disputationspraxis«; vgl. auch ders., »Logical Structure«. ¹¹⁹ Vgl. Gwynne, Logik 152–169. Gwynne hält die Argumentationstheorie im Al-qisṭās al-mustaqīm, wie auch die analytische Betrachtung der dort vorgelegten Argumentationsanalysen durch al-Ghazālī zeigt, für syllogistisch (vgl. Gwynne, Logic IX). U. a. am Beispiel des Al-qisṭās al-mustaqīm wird aber auch die entgegengesetzte These festgemacht, die islamische Argumentationstheorie sei eigenständig, weil sie eine von der aristotelischen Logik entfremdete Terminologie verwende (vgl. Dziri, Ars Disputationis 140–147). Dieser Versuch muss,

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Bewertung von Erkenntnis beschreibt, ist das Miʿyār al-ʿilm fī fann al-manṭiq (etwa: »Kriterium des Wissens in der Kunst der Logik«), seine umfangreichste Schrift zur Logik. Darin macht er deutlich, dass Logik und logische Beweisführung und Argumentation zur Erkenntnis und damit eben auch zur theologischen Erkenntnis führen kann. Aber auch die Konzeptualisierung (taṣawwur) und Zustimmung (taṣdīq) sind Wege, die in der Logik zur Erkenntnis führen.¹²⁰ Al-Ghazālīs Verständnis der Beziehung zwischen Logik und Theologie ist das eindeutigste Beispiel eines erkenntnistheoretischen Argumentationsansatzes in der islamischen Theologie. Al-Ghazālīs Anspruch ist groß, denn er behauptet, dass zwischen Wahr und Falsch nur die logischen Kriterien, die er in seinem Miʿyār al-ʿilm aufstellt, entscheiden können. Die Beziehung zwischen Logik und Theologie sieht al-Ghazālī unbedingt.¹²¹ Da die Logik kein Untersuchungsbereich der Theologie ist, dürfe die Theologie die Logik und ihre Anwendung nicht ablehnen.¹²² Diese Ansicht al-Ghazālīs war ein Hauptgrund für die Integration der Logik in den Kalām. Das Miʿyār al-ʿilm ist m. E. auch deshalb wichtig und noch für die Gegenwart wegweisend, weil al-Ghazālī es schaffte, die aristotelische Logik, die in seiner Zeit das Maß der Wissenschaften zu sein schien, in eine islamische Sprache umzuformulieren und Theologen von seinen Thesen über die Beziehung zwischen Logik und Theologie zu überzeugen. Wie nie zuvor benötigt die Islamische Theologie der Gegenwart eine ähnliche Anpassung an die Argumentationstheorien unserer Zeit. Auch al-Ṭūfī schrieb ein Buch mit dem Titel ʿAlam al-jadal fī ʿilm al-jadal über die Disputationslehre und Argumentationstheorie. Er verfasste dieses Werk um 709. Ähnlich wie al-Ghazālī beschäftigte sich al-Ṭūfī mit der Argumentationstheorie und schrieb zudem zwei Schriften zum Christentum mit den Titeln Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl al-arbaʿa wa-l-taʿlīq ʿalā l-Tawrāh wa-ʿalā ghayrihā min kutub al-anbiyāʾ und Al-intiṣārāt al-Islāmiyya fī kashf shubah al-Naṣrāniyya.¹²³ Das ʿAlam al-jadal fī ʿilm al-jadal umfasst in Wolfhart Heinrichs’ Edition sieben Kapitel: eine Einführung, fünf Kapitel und einen Schluss.¹²⁴ Die Einführung behandelt Etymologie und Definition des Wortes jadal (›Disputation‹). Das erste Kapitel untersucht, inwieweit jadal im islamischen Recht zugelassen ist. Al-Ṭūfī zieht hierbei den Schluss, dass eine Disputation nur dann erlaubt ist, wenn sie dazu verhilft, durch das Argumentieren die Wahrheit zu finden; nicht wenn die Argumentationsstrukturen des Al-qisṭās al-mustaqīm unabhängig von der von alGhazālī verwendeten Terminologie analytisch betrachtet werden, neu bewertet werden. Denn obwohl al-Ghazālī eine eigenständige Terminologie für die Syllogismen verwendet, wie etwa mīzān al-taʿādul, mīzān al-taʿānud oder mīzān al-talāzum, gehen diese formal betrachtet doch in den aristotelischen Syllogismen auf und bilden keinen eigenständigen Kalkül. ¹²⁰ Zur Adaption dieser ursprünglich griechischen Konzepte vgl. Wolfson, »Tasawwur and Tasdiq«. ¹²¹ Vgl. etwa al-Ghazālī, Miʿyār al-ʿilm 59–69, 270–274. ¹²² Al-Ghazālī, zitiert nach Schupp, Geschichte Bd. 2, 253. ¹²³ Vgl. zu diesen beiden Werken Demiri, »Al-intiṣārāt« 729–731 und dies., »Al-taʿlīq«. ¹²⁴ Vgl. die Edition von Wolfhart Heinrichs.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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erlaubt sei sie, wenn damit nur der Opponent besiegt werden soll. Für al-Ṭūfī ist die Funktion der Disputation (jadal) und der Argumentation darin verankert, wahre Aussagen zu erkennen. Sie haben die Funktion, die eigene These überzeugend zu beweisen und die These des Opponenten zu widerlegen.¹²⁵ Diese Voraussetzung ist zentral für den erkenntnistheoretischen Ansatz. Diese Voraussetzung ist u. a. der Grund für die intensive Beschäftigung muslimischer Gelehrter mit der Logik und Argumentationstheorie, denn Kenntnisse in diesen Disziplinen sind unentbehrlich, um theologische Texte zu generieren und um sie zu verstehen. Die Beschäftigung mit argumentativer Theologie und den Radd-Schriften führt zu der Erkenntnis, dass ein tiefes Verständnis dieser apologetischen Textgattungen nur dann gegeben sein wird, wenn Kenntnisse der Logik und Argumentationstheorie, die diesen Disziplinen als Methode dienen, in Betracht gezogen werden. Zu diesem Schluss wird man auch kommen, wenn man an die Rolle logischer und linguistischer Kompetenzen bei der Auslegung des Korans oder bei der Begründung der ʿaqīda (Glaubenslehre) denkt. Schon al-Ghazālī lenkte in seinem Al-qisṭās al-mustaqīm das Interesse auf die logisch strukturierten Argumente des Korans.¹²⁶ Die argumentative Theologie, der Kalām¹²⁷ bringt nicht einfach eine These vor, sie generiert sie vielmehr argumentativ und methodisch. Argumentativ ist die islamische Theologie deshalb, weil sie den Anspruch erhebt, Glaubensinhalte rational und argumentativ erfassen zu können. Zudem ist sie erkenntnistheoretisch ausgerichtet, weil sie Erkenntnisse durch Argumente zu generieren versucht, denen Erkenntnisprinzipien zugrunde liegen, und die Thesen für und gegen eine theologische Position als Untersuchungsgegenstand hervorhebt. Dabei verwendet sie für diese Untersuchung diverse Methoden. Zur argumentativen und dialektischen Theologie des Islams gibt van Ess folgenden methodischen Hinweis: »Eine These wird nicht einfach entwickelt, sondern die denkbaren Einwände werden einer nach dem andern referiert und der Leser dann mit der passenden Replik bekanntgemacht. Frage und Antwort werden dabei nicht in wörtlicher Rede formuliert, sondern in ein hypothetisches Satzgefüge hineingenommen. Die Einleitungsfloskeln sind stereotyp: ›wenn jemand sagt: …, so sagen wir: …‹ bzw. ›… so ist darauf zu sagen: …‹ oder ›da kann man nun nicht sagen: …, denn wir würden darauf sagen: …‹.«¹²⁸

Die hier von van Ess genannten stereotypen Satzgefüge haben in argumentativen theologischen Texten und auch im islamischen Radd System. Eine Vielzahl von Argumenten ist nach dieser Struktur konstruiert. Ein Beispiel liefert an dieser Stelle folgende Passage des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī:

¹²⁵ Al-Ṭūfī, ʿAlam al-jadal 4. ¹²⁶ Vgl. Gwynne, Logic 152–169. ¹²⁷ Der Kalām ist nicht nur Theologie, sondern die theologische Dialektik, wie de Boer den Begriff auffasst (vgl. de Boer, History 43). In dieser Studie soll er, mitsamt dem Radd, der methodisch betrachtet als Subkategorie des Kalāms verstanden wird, jedoch als Wissenschaft der methodisch-argumentativen Ableitung theologischer Thesen verstanden werden, so wie schon van Ess die Theologie mit Methode gleichsetzt (van Ess, Erkenntnislehre 39). ¹²⁸ Van Ess, »Disputationspraxis« 25.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

»Entstand er [sc. der Messias] nicht aus der göttlichen und aus der menschlichen Essenz in einer hypostatischen Person? Wenn sie bejahen – und dies müssen sie notwendigerweise tun –, dann sagt man ihnen: Die Trennung in Bezug auf den Willen ist mit der hypostatischen Einheit nicht vereinbar. Und wenn ihr sagt, dass die beiden Wesen mit der Einheit zu einer einzigen Hypostase und einer einzigen Person wurden, so könnt ihr nicht mehr behaupten, dass der Messias getötet wurde.«¹²⁹

Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī enthält ebenso wie andere apologetische Werke eine Fülle solcher hypothetischer Satzgefüge. Das hypothetische Satzgefüge stellt die argumentative Disputationspraxis beispielartig dar. Um die Funktion solcher hypothetischer Satzgefüge zu verdeutlichen, muss zunächst die Bedeutung der Formel ›wenn …, so …‹ geklärt werden. Hierzu haben sich Aristoteles und die stoischen Logiker geäußert. Die Stoiker sahen in hypothetischen Sätzen ein Gefüge, dessen Untersuchung zur Klärung der Frage, wann Schlüsse schlüssig sind, verhilft. Demnach sind Schlüsse schlüssig, wenn die hypothetischen Sätze wahr sind. Dabei besteht der Vordersatz des hypothetischen Satzes aus der Verknüpfung der Prämissen und sein Nachsatz aus der Konklusion. Nach Michael Frede ist somit ein hypothetisches Satzgefüge gemäß den stoischen Logikern stets Ausdruck einer möglicherweise zu beweisenden Annahme über den Zusammenhang von Sachverhalten. Dagegen neigte Aristoteles dazu, hypothetische Satzgefüge als »Ausdruck einer Übereinkunft, dass etwas als bewiesen oder widerlegt gelten soll, wenn etwas Anderes bewiesen oder widerlegt worden ist«, zu betrachten.¹³⁰ Das hypothetische Satzgefüge garantierte dem muslimischen Theologen den Anspruch auf die Rationalität im religiösen System und auf die rationale und dialektische Abgrenzung zu anderen Glaubenssystemen. Die islamische Theologie im Allgemeinen und der Kalām im Speziellen sieht diese absolute Rationalität in der Lehre als Vorzug des Islams.¹³¹ Die Rationalität der islamischen Glaubenslehre zeigt sich in theologischen Argumenten, die meist logisch strukturiert werden und auf Vernunftprämissen aufbauen. Logik und Argumentation gehen in der Theologie und auch im islamischen Radd zur christlichen Theologie eine enge Verbindung ein. Denn die Logik bzw. die Analyse nach logischen Regeln ist ein Weg, um die Gültigkeit einer Argumentation zu untersuchen, da diese die Wahrheitskriterien¹³² liefern. Der Anspruch auf Begründetheit und Gültigkeit ist eine Grundprämisse der islamischen Theologie und insbesondere des Radds. Aufgabe der Logik ist schon seit der griechischen Antike, Methoden bereitzustellen, um gültige von ungültigen Argumentationen zu unterscheiden. Die argumentative islamische Theologie hat diese Funktion der Logik weithin übernommen und ihre Lehren

¹²⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 151–152. ¹³⁰ Frede, zitiert nach Wolff, Prinzipien 176–177. ¹³¹ Vgl. van Ess in Küng/van Ess, Islam 160. ¹³² Zum Begriff vgl. Lumer, »Kognitivismus« 149–150. Lumer verwendet den Terminus ›Wahrheitskriterien‹ mehr oder minder synonym zu ›Akzeptabilitätsbedingungen‹.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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darauf aufgebaut. Diese Methode wurde auch herangezogen, um der christlichen Lehre argumentativ zu begegnen. Da der Radd eine argumentative Form haben musste – denn die Apologetik ist von Natur aus argumentativ –, mussten Theologen die Logik anwenden, wenn sie die Gültigkeit ihrer Argumente objektiv und weniger von der Offenbarung abhängig gestalten wollten, um nicht nur die Angehörigen ihrer eigenen Religion zu überzeugen. Die Logik gilt zunächst als eine philosophische Disziplin, doch darf dies nicht den Eindruck erwecken, dass die islamische Theologie als Theologie die Logik vernachlässigt hätte. Trotz ihrer philosophischen Wurzeln wurde die Logik ein fester Bestandteil der theologischen Ausbildung, vor allem bei den Mutakallimūn. Doch nicht nur die Lehre, sondern auch der Gebrauch der Logik war in der islamischen Theologie lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Viele klassische theologische Texte des 10. Jahrhunderts bezeugen dies, wie etwa das Kitāb al-tawḥīd des al-Māturīdī oder das Kitāb al-lumaʿ des al-Ashʿarī, in dem sich viele Argumentationen finden, denen eine logische Struktur zugrunde liegt. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass viele, wenn auch nicht alle, Theologen aus dieser Zeit, d. h. zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert, Logik studierten. Eine beträchtliche Anzahl von Theologen haben zudem auch Logikwerke verfasst – wie etwa al-Ghazālī oder später auch al-Ṭūfī, um nur zwei für diese Studie wichtige Personen zu nennen, die auch dem Christentum argumentativ begegneten.¹³³ Vor allem für die Mutakallimūn war die Beschäftigung mit der Logik unausweichlich, da sie neben den Offenbarungsargumenten auch rationale Argumente für ihre Thesen vorlegen wollten.¹³⁴ Wie bereits beschrieben wurde, ging mit der griechischen Philosophie auch die aristotelische Argumentationslehre in die islamische Tradition über.¹³⁵ Die Übernahme der antiken Wissenschaften verlief hauptsächlich über eine Übersetzungsinitiative aus dem Griechischen in das Arabische, die mit Übertragungen von vorsokratischen Werken begann.¹³⁶ Die durch Christen wie z. B. Ḥunayn ibn Isḥāq¹³⁷ (gest. 259/873 in Baghdad) unterstützte Übersetzungsinitiative der Muslime im 9. Jahrhundert förderte das islamische Denken außerordentlich,

¹³³ Für al-Ghazālīs Verhältnis zur Logik siehe Rescher, Development 165–167; zu al-Ṭūfīs Anwendung der Logik im Rahmen des Radds siehe Demiri, »Al-Ṭūfī« 724–731. ¹³⁴ Generell zum Zusammenhang von Logik und Theologie siehe El-Rouayheb, Syllogisms, Schöck, Koranexegese und Perler/Rudolph (Hg.), Organon. ¹³⁵ Vgl. oben S. 7, 17, 147 u. ö. Dass die hellenistische Philosophie in die islamische Welt einging, hat der Islam übrigens auch dem römischen Kaiser Justinian I. (527–565) zu verdanken, der die Platonische Akademie in Athen schließen ließ. Einige Mitglieder dieser Schule gingen daraufhin nach Gundeshapur (Irak) und blieben und wirkten auch nach der islamischen Eroberung um 637 dort (vgl. Netton, Allah 13–15 und Goddard, History 50). ¹³⁶ Obwohl aus der Zeit der Umayyaden vereinzelte Übersetzungen bekannt sind, begann die eigentliche Übersetzungsinitiative erst mit dem Kalifen Manṣūr, kurz nach der Errichtung Bagdads gegen 762; vgl. Üçer, »Antik-Helenistik« 73. Für eine detaillierte Liste der übersetzten philosophischen Werke siehe Gutas, »Philosophical Works« 802–814. ¹³⁷ Vgl. Endress, »Ḥunain ibn Isḥāq« 1957–1958.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

aber auch die Beziehung zu den Christen dieser Zeit.¹³⁸ Auch der muslimische Philosoph Abū Yūsuf Yaʿqūb ibn Isḥāq al-Kindī (gest. 256/870), der den ersten philosophischen Radd zum Christentum verfasste, und eine Gruppe um ihn waren maßgeblich an Übersetzungen griechischer Werke beteiligt. Al-Kindī schätzte die griechische Philosophie, vor allem die Metaphysik, die er nicht eindeutig von der Theologie trennt,¹³⁹ und war der Meinung, dass die Metaphysik die Muslime maßgeblich bei der Erforschung Gottes leiten kann.¹⁴⁰ Vor allem Aristoteles beeinflusste die islamische Tradition in Philosophie und auch Theologie. Zahlreiche Aristoteles-Kommentare, wie etwa von Ibn Sīnā, prägten das islamische Denken,¹⁴¹ doch auch die Neuplatoniker waren wichtig, insbesondere Plotin sowie, was die Logik angeht, Porphyrios (gest. zwischen 301 und 305), dessen Eisagogḗ großen Einfluss auf die Logikausbildung der Theologen und auf die Entwicklung der islamischen Argumentationslehre hatte.¹⁴² Obwohl die Muslime griechische philosophische Ideen, darunter das logische Schließen, zunächst außer durch Übersetzungen hauptsächlich durch religiöse Streitgespräche mit den Christen kennenlernten, integrierten sie diese in ihr eigenes theologisches Denksystem. Während es zunächst die Muʿtaziliten waren, die von diesem neuen Instrumentarium Gebrauch machten, gelang es ab al-Ashʿarī auch dem sunnitischen Islam, die griechisch-philosophische Argumentationstheorie zur Verteidigung und zur Generierung ihrer eigenen theologischen Thesen zu übernehmen.¹⁴³ Ab al-Ghazālī war die aristotelische Logik fest in die islamische Theologie integriert.¹⁴⁴ Diese Logik wurde nunmehr als Instrumentarium fester Bestandteil des islamischen Radds zu christlichen Lehren. Al-Ghazālī wandte diesen argumentativen Ansatz in seinem Al-radd al-jamīl selbst an. Nicht für alle Theologien ist das Argumentieren in der Theologie selbstverständlich. Für die islamische Theologie hingegen bildet es das ideale Grundgerüst der Lehre. Van Ess beschreibt das Verhältnis zwischen Argumentation und Theologie im Islam wie folgt: »Theologie ist im Islam, mehr vielleicht als in anderen Religionen, eine streitbare Wissenschaft, dialektisch in der Argumentation und dialogisch im Stil.«¹⁴⁵

¹³⁸ Vor allem in der Zeit der Abbasidendynastie herrschten Toleranz, Frieden und intellektueller Austausch zwischen Muslimen und Christen. Schon im 9. Jahrhundert entwickelte sich im Orient eine pluralistische Gesellschaft, die das Miteinanderleben verschiedener Religionen ermöglichte (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 645). ¹³⁹ Zur Beziehung zwischen Metaphysik und Theologie bei al-Kindī und zu al-Kindīs Verhältnis zur Metaphysik des Aristoteles siehe Bertolacci, »Progressive Knowledge«. ¹⁴⁰ Vgl. Adamson, »Rezeption« 143–145. ¹⁴¹ Vgl. Üçer, »Antik-Helenistik« 37. ¹⁴² Üçer, »Antik-Helenistik« 37–69. ¹⁴³ Vgl. vor allem den logisch-argumentativen Aufbau von al-Ashʿarīs Kitāb al-lumaʿ. ¹⁴⁴ Vgl. Watt, Einfluß 62–63. ¹⁴⁵ Van Ess, »Disputationspraxis« 23. Vgl. auch die ähnlichen Schlussfolgerungen bei de Boer, Geschichte 44.

4.1. Die Beziehung der Apologetik zu Logik und Argumentation

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Der Kalām ist eine durch und durch argumentative Disziplin, er baut seine Lehre auf Argumente auf. Van Ess zieht zudem einen Vergleich zwischen dem Theologiebegriff im Christentum und im Islam und kommt zu dem Ergebnis: »[W]ährend ein Christ von ›Theo-logie‹ spricht und damit das Thema dieser Wissenschaft in den Vordergrund stellt, nämlich Gott, gebraucht man im Islam meist den Begriff ›ʿilm al-Kalām‹, ›Wissenschaft von der Rede‹, d. h. Wissenschaft davon, wie man mit einem Opponenten reden muss, um ihn zu widerlegen.«¹⁴⁶

Diese Aussage bedarf zwar einer wichtigen Ergänzung: ʿilm al-kalām ist in der islamischen Theologie beides, die Wissenschaft von Gott und die Wissenschaft von der Rede.¹⁴⁷ Was van Ess jedoch deutlich macht, ist, dass die islamische Theologie eine in viel stärkerem Maße argumentative Wissenschaft ist als die christliche. Muslimische Theologen stellten somit den Inhalt, aber gleichzeitig auch die formale Struktur des Arguments in den Vordergrund. Sie brachten ihre natürliche Sprache in eine logische Form und generierten mit dieser Methode Erkenntnis und Begründungen. Das Munāẓara-Werk des Gelenbevî, das Jadal-Werk des al-Ṭūfī und das Īsāgūjī-Werk des al-Abharī machen deutlich, dass die islamische Argumentationstheorie auf einem erkenntnistheoretischen Ansatz aufbaut.¹⁴⁸ Ähnlich wie in der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie¹⁴⁹ ist auch hier die Grundfunktion eines Arguments, die Erkenntnis auf der Basis von erkenntnistheoretischen Prinzipien anzuleiten. Die Betrachtung der islamischen Argumentationstheorie soll hierauf begrenzt werden; unsere Darstellung sollte ja vor allem herausarbeiten, welcher Ansatz der islamischen Argumentationstheorie in Kalām und Radd zugrunde liegt, nämlich weitgehend ein erkenntnistheoretischer. In dieser Studie soll die islamische Argumentationstheorie anhand der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie Lumers ergänzt werden, denn die klassische islamische Argumentationstheorie ist nicht annähernd so analytisch und systematisch aufgebaut wie die Lumersche Theorie. Es ist daher eine pragmatische Entscheidung, nicht zu detailliert auf klassische Ansätze einzugehen, wenn die Möglichkeit besteht, die klassische Argumentationstheorie mit Hilfe moderner Ansätze konstruktiv weiterzuentwickeln. Diese Entscheidung empfiehlt sich auch dadurch, dass die klassische islamische Argumentationstheorie kein systematisiertes Argumentationsanalyseverfahren bietet, während Lumer ein Verfahren bietet, das an die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie angepasst ist und daher wegen deren Ähnlichkeit zum Ansatz des Kalāms auch gut ergänzend zur islamischen Argumentationstheorie eingeführt werden kann. Dadurch entsteht ein für die Analyse von Radd-Texten besonders geeignetes Analysewerkzeug.

¹⁴⁶ Van Ess, »Disputationspraxis« 24. ¹⁴⁷ Vgl. Gardet, »Kalām« 471. ¹⁴⁸ Vgl. hierzu Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 54 und 60, al-Ṭūfī, ʿAlam al-jadal 7–11 und al-Abharī, Īsāgūjī 9–16. ¹⁴⁹ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 30–43.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

4.2. Das religiöse Streitgespräch (munāẓara, majlis) und zentrale Konzepte der islamischen Argumentationstheorie Ein grundlegendes Konzept der islamischen Argumentationstheorie ist das (theologische) Streitgespräch.¹⁵⁰ Wir müssen das Streitgespräch vom niedergeschriebenen argumentativen Text unterscheiden, beide haben aber auch wichtige Gemeinsamkeiten. Streitgespräche (also munāẓara¹⁵¹ und majlis) waren Veranstaltungen, in denen zwei Kontrahenten ein argumentatives Gespräch führten.¹⁵² Der argumentative Text, der aus diesen Streitgesprächen hervorging¹⁵³ oder zumindest stark von ihnen beeinflusst wurde, ist keine direkte Wiedergabe eines Streitgesprächs, sondern eine systematisch konstruierte Darlegung eines oder mehreren Themen durch Argumente. Doch auch der argumentative Text hat einen argumentativen Autor und einen Opponenten bzw. einen Adressaten. Van Ess schreibt über den methodischen Einfluss des Streitgespräches auf die theologischen Texte Folgendes: »Bezeichnend ist auch, daß selbst in systematischen Werken die stilistische Form des Streitgesprächs im allgemeinen deutliche Spuren hinterläßt. Zwar geben sie sich nicht direkt als Dialog; aber sie versuchen doch, zu einem solchen anzuleiten.«¹⁵⁴

Was das Streitgespräch und den argumentativen theologischen Text verbindet, ist die Tatsache, dass beide argumentativ eigene Meinungen zu begründen und den Opponenten zu überzeugen bzw. zu widerlegen versuchen.

¹⁵⁰ Diese Studie beschreibt die theologische munāẓara, neben der auch eine literarische munāẓara vorhanden ist. Die Schnittstellen und Unterschiede beschreibt Van Gelder in der Encyclopedia of Arabic Literature treffend: »Munāẓara is the most common term for both the scholarly and the literary debate. The debate is a common mode in various types of Arabic literature, but only the literary debate may be called a genre in its own right. In a typical munāẓara (which may be in prose, sajʿ or verse) two or more contestants, often personified objects (e. g. pen and sword, rose and narcissus) or concepts (e. g. the various sciences), are represented as speaking in turn and proclaiming their own superiority and their opponents’ inferiority, sometimes by means of logical argument but more often by rhetorical persuasion or simple invective. Not infrequently the debate is supposed to take place in front of an arbiter, who may be the author of the text or its dedicatee. The genre has obvious links with the early tribal verbal contest, mufākhara or munāfara, in prose or poetry (cf. naqāʾiḍ), as well as with the genre of maḥāsin wa-masāwī. Some scholars believe therefore in an independent Arabic development. Others deny this, in view of the fact that the genre has been practised in the Middle East in Sumerian, Akkadian, Persian and Syriac before it appeared in Arabic.« (Van Gelder, »Debate Literature« 186). ¹⁵¹ Auch der Begriff jadal kann auf die Praxis des Streitgesprächs hindeuten, doch wird v. a. der Begriff munāẓara für diese Praxis verwendet, wogegen jadal eher auf die Theorie der Disputation hinweist. ¹⁵² Holmberg betrachtet das öffentliche Streitgespräch als ein Literaturgenre, in dem argumentativ debattiert wird (vgl. Holmberg, »Public Debate« 47–48). ¹⁵³ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 24–25. ¹⁵⁴ Van Ess, »Disputationspraxis« 25.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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Somit waren die intrareligiöse Disputation in der islamischen Theologie und die interreligiöse Disputation mit den Christen durch Muslime keinesfalls eine rein literarische Angelegenheit. Theologen und Gelehrte trafen auch für Streitgespräche zusammen, woraus u. a. die theologischen Binnendifferenzierungen argumentativ entstanden. Was für die intrareligiöse Disputation gängig war, wurde auch für interreligiöse Disputationen organisiert. Der Kalif al-Maʾmūn beispielsweise organisierte im frühen 9. Jahrhundert wöchentliche Streitgespräche,¹⁵⁵ und unter der Schirmherrschaft des Kalifen al-Mahdī verteidigte der nestorianische Patriarch Timotheus I. die christliche Lehre in einem sog. majlis, einer Versammlung, in der stark argumentative Streitgespräche stattfanden.¹⁵⁶ Ähnliche Streitgespräche dürften auch in der Zeit al-Jaʿfarīs stattgefunden haben, denn er berichtet, wie er mit Christen und Juden über theologische Themen diskutiert hat.¹⁵⁷ Es ist stark anzunehmen, dass al-Jaʿfarī seine Kenntnisse der christlichen Lehren auch direkt aus seinen Erfahrungen im unmittelbaren Diskurs mit Christen gewonnen hat. Generell darf man davon ausgehen, dass diese majlis-Sitzungen einen großen Beitrag dazu geleistet haben, dass Angehörige aller drei Religionen die theologischen Thesen der jeweils anderen Seite kennenlernten und sich intensiv argumentativ mit diesen auseinandersetzten. Auch in der Zeit der schiitischen Dynastie der Buyiden, die von 930 bis 1062 herrschten, standen Juden, Christen und Muslime nicht nur im Berufsleben als Sekretäre, Händler usw. in Kontakt, sondern die Dynastie organisierte an ihrem Hof sogar regelrechte majlis-Versammlungen, bei denen Vertreter aller drei Religionen zusammenkamen und diskutierten. Sie luden Philosophen, Poeten, Gelehrte und Theologen ein, die über verschiedene Themenfelder – darunter auch religiöse – diskutierten, die einen argumentativen Rahmen besaßen. Die Buyiden waren stolz darauf, bekannte gelehrte Personen an ihrem Hof zu haben. Ähnliche Versammlungen fanden in dieser Zeit auch in Moscheen und in privaten Räumen statt. Solche Disputationen und Gespräche, an denen Christen und Juden teilnahmen, wurden auch in Buchhandlungen organisiert.¹⁵⁸ Diese Offenheit der Buyiden für religiöse Disputationen wurde auch später am Anfang des 13. Jahrhunderts bewahrt, im Jahrhundert des al-Jaʿfarī. Ein wichtiges Ereignis war die Begegnung zwischen Franz von Assisi (gest. 1226) und dem Sultan al-Malik al-Kāmil (reg. 615–635/1218–1238) im Jahre 1219 in Ägypten. Von diesem Treffen entstanden im europäischen Mittelalter zahlreiche Darstellungen, auf denen Franziskus dem Kalifen – aber auch den Muslimen überhaupt – das Christentum predigt.¹⁵⁹ Dies zeigt, wie wichtig und herausragend diese interreligiösen Begegnungen waren und welch großer Wert ihnen beigemessen wurde.

¹⁵⁵ Van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 3, 199. ¹⁵⁶ Griffith, »Abbasid Times« 76. ¹⁵⁷ Vgl. al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-tawrāh wa-l-injīl 250, 424 und 428. ¹⁵⁸ Heemskerk, »Refutation« 187–188. ¹⁵⁹ Vgl. Tolan, »Friar«.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Im 12. Jahrhundert formulierte al-Ghazālī Regeln, die in der Disputation (munāẓara) befolgt werden sollten. Dabei liegt sein Fokus darauf, die Disputation bzw. das Streitgespräch ertragreich zu gestalten, indem er Voraussetzungen für die Teilnehmer formuliert. Demnach können an der Disputation lediglich Menschen teilnehmen, die ihren religiösen Pflichten nachgehen. Eine sehr hohe und wahrscheinlich lediglich ideale Voraussetzung ist, dass der Teilnehmer in der Lage sein müsse, juristische Urteile selbständig fällen zu können.¹⁶⁰ Zudem sei der Kern der Disputation die epistemische Herangehensweise, weshalb der Teilnehmer nur das Ziel haben sollte, die Wahrheit zu suchen und nicht etwa, lediglich den Opponenten zu besiegen. Deshalb müsse der Teilnehmer dem Opponenten stets die Möglichkeit einräumen, Beweise vorzulegen und sie durch neue Beweise zu ergänzen.¹⁶¹ Diese Regeln beziehen sich nicht nur auf die Durchführung der Disputation, sondern auch auf die Methode zur Konzipierung der Argumente, die in realen Streitgesprächen oder in Texten herangezogen werden. Daher werden in den Texten oft auch Einwände des Opponenten wiedergegeben, wobei anschließend versucht wird, diese zu widerlegen. Diese kurze Skizze von Beispielen aus dem 8. und 9. Jahrhundert, aus der Zeit der Buyiden im 10. Jahrhundert und schließlich von al-Ghazālī aus dem 12. Jahrhundert zeigt schon zur Genüge, welch lange Tradition organisierte interreligiöse Disputationen und Streitgespräche im Islam haben. Al-Jaʿfarī konnte also im 13. Jahrhundert auf eine lange und gut gepflegte Tradition zurückblicken, die auch seine eigene Argumentationsweise geprägt haben dürfte. Im Folgenden werden nun einige zentrale methodische Konzepte der Logik und der islamischen Argumentationstheorie eingehender vorgestellt, die der munāẓara und als Methode dem Streitgespräch zugrunde liegen. In den Analysen der vorliegenden Studie werden insbesondere Gelenbevîs und Saçaklızâdes Argumentationstheorien als Hilfswerkzeuge herangezogen, um die Argumente und vor allem die Argumentationsstruktur des al-Jaʿfarī und anderer Autoren des islamischen Radds in einer geeigneten Terminologie beschreiben zu können. Sie summiert und beschreibt die jeweils empirisch vorgefundene Argumentationsform in der Terminologie der islamischen Argumentationstheorie. Da dafür hier nicht die ganze Breite der islamischen Argumentationstheorie herangezogen werden kann und sich al-Jaʿfarī selbst nicht auf einer Metaebene über seine Argumente ausspricht, ist es pragmatisch geboten, selektiv argumentationstheoretische Instanzen heranzuziehen. Diese Funktion sollen Gelenbevî und sein Werk ʿIlm al-baḥth wa-l-munāẓara sowie Saçaklızâde und sein Werk Al-risāla al-waladiyya übernehmen. Gelenbevî ist einer der letzten wichtigen islamischen Logiker und Argumentationstheoretiker vor der Moderne¹⁶² und daher eine naheliegende Referenz für eine islamische Argumentationstheorie,

¹⁶⁰ Diese Bedingung soll vermutlich sicherstellen, dass die Disputation wissenschaftlich geführt wird und nicht in Schmähreden übergeht. ¹⁶¹ Vgl. al-Ghazālī, Iḥyāʾ ʿUlūm al-Dīn Bd. 1, 31–48. Vgl. ähnliche Regeln bei Ṭaşköprüzâde, Ādāb al-baḥth 204–207. ¹⁶² Çapak, »Mantık« 565.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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die eine Anknüpfung zur Moderne sucht. Gelenbevîs und Saçaklızâdes Argumentationstheorien sind dafür besonders geeignet, da sie neben der philosophischen Ausrichtung auch die theologische Perspektive aufnehmen. Gelenbevî und auch Saçaklızâde sehen sich nämlich als mutakallim (Kalām-Gelehrte) und ordnen sich den theologischen Argumentationstheoretikern zu. Özervarli bemerkt daher über Gelenbevî zu Recht Folgendes: »[…] he attempted to clarify and systemize ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara (›the art of investigation and debate‹), which was popular among the Ottomans. His theological commentaries followed the tradition of post-classical Sunnī kalām, in the footsteps of Fakhr al-Dīn alRāzī (d. 606/1209–1210), Saʿd al-Dīn al-Taftāzānī (d. 792/1390), and Sayyid Sharīf Jurjānī (d. 816/1413).«¹⁶³

Gelenbevîs Werk ist ein gutes Instrumentarium, um die Argumentationsformen der Radd-Argumente zu beschreiben,¹⁶⁴ vor allem wenn es um die Herausarbeitung der in den Argumenten verankerten erkenntnistheoretischen Perspektive geht. Am Anfang seines Werkes definiert Gelenbevî die Aufgabe der Untersuchung (baḥth) und Disputation (munāẓara) wie folgt: »Wisse, dass die Untersuchung und die Disputation die Rede verteidigt, damit die Wahrheit in Erscheinung tritt.«¹⁶⁵

Das Wort baḥth ist ein Infinitiv und kann im intellektuellen und spekulativen Kontext mit ›überprüfen‹, ›analysieren‹ wiedergegeben werden.¹⁶⁶ Es wurde oft als Synonym für naẓar (i. S. v. englisch ›inferential‹) verwendet oder damit in Verbindung gebracht, etwa bei al-Masʿūdī.¹⁶⁷ Das Wort munāẓara, mit demselben Wurzelstamm wie naẓar, wird als (theologische) Disputation verstanden;¹⁶⁸ die ādāb al-munāẓara hingegen als die Kunst der Disputation, die eine spezielle Argumentationstheorie darstellt. Dieser Begriff wird bei Fakhr al-Dīn al-Rāzī sogar zum Titel für seine polemische Schrift zum Christentum: Munāẓara fī al-radd ʿalā l-Naṣārā (»Disputation über die Widerlegung der Christen«).¹⁶⁹

¹⁶³ Özervarli, »Gelenbevi«. ¹⁶⁴ An dieser Stelle soll des Weiteren betont werden, dass die Argumentationstheorie nach Lumer hinreichend dazu in der Lage ist – und weitaus mehr Möglichkeiten darbietet als die klassische islamische Argumentationstheorie –, theologische Argumente zu beschreiben und auf ihre erkenntnistheoretischen Prinzipien zurückzuführen. ¹⁶⁵ Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 53–54, eigene Übersetzung. Gelenbevî verwendet den Begriff ›Wissen‹ hier ähnlich wie Fakhr al-Dīn al-Rāzī; beide sprechen von ›Wissen‹ nicht im philosophischen Sinne, sondern meinen damit ›wahr‹ bzw. ›Wahrheit‹ (vgl. al-Rāzīs Aussage, hier S. 210). Belhaj betont, dass Gelenbevî munāẓara als ein Zusammenspiel von Reden betrachtet, das es ermöglicht, die Wahrheit herauszufinden. Belhaj definiert munāẓara daraufhin als eine intellektuelle, dialogische oder monologische Untersuchung, deren Ziel die Suche nach der Wahrheit ist (Belhaj, Argumentation et dialectique 20). ¹⁶⁶ Gabrieli, »Baḥt̲ h̲« 949. ¹⁶⁷ Vgl. al-Masʿūdī, Murūj al-dhahab Bd. 4, 368. ¹⁶⁸ Wagner, »Munāẓara« 565–568. ¹⁶⁹ Vgl. Iskenderoglu, »Munāzara« 63–65.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Gelenbevî sieht die Funktion der ›Wissenschaft der Untersuchung‹ (bzw. der Analyse) ›und Disputation‹ (ʿilm al-baḥth wa-l-munāẓara) darin, die Wahrheit der Rede darzulegen, d. h. die Wahrheit zwischen den Aussagen und argumentativen Disputationen. Die Wissenschaft der munāẓara ist auch eine Wissenschaft von der Argumentation, denn munāẓara und Argument haben zentrale Schnittstellen: Eine munāẓara bedarf mindestens zweier Parteien bzw. zweier sich gegeneinander ablehnender Positionen oder Thesen. Des Weiteren bedarf es einer verbalen Auseinandersetzung, also Verteidigung und Rechtfertigung der je eigenen These, um den Adressaten von der eigenen These zu überzeugen bzw. die These des Opponenten zu widerlegen. Dies sind auch zentrale Kennzeichen einer argumentativen Disputation.¹⁷⁰ Gelenbevî gibt eine dieser Voraussetzungen schon in der zitierten einführenden Passage wieder: baḥth und munāẓara sind eine Verteidigung der Wahrheit, damit ist gemeint: die Verteidigung der wahren These bzw. Rede oder Aussage. Auch das Wort kalām bezeichnet an dieser Stelle die Rede, die eine argumentative Position einnimmt und im argumentativen Diskurs eingebettet ist; es kann auch selbst als der Diskurs betrachtet werden.¹⁷¹ Die Wissenschaft der Untersuchung (bzw. Analyse) und der Disputation verteidigt also die Rede, damit die Wahrheit in Erscheinung tritt, oder verteidigt innerhalb des (argumentativen) Diskurses die Wahrheit bzw. die wahre These. Damit ist die Verteidigung der eigenen Rede gemeint, also der Rede dessen, der diese Wissenschaft für diese Verteidigung heranzieht, um die Wahrheit herauszustellen. Gelenbevî sieht in der Wissenschaft des baḥth und munāẓara also eine argumentationsevaluierende Funktion, zugleich allerdings auch eine allgemeine Argumentationstheorie, wenn er schreibt: »Der Gegenstand dieser Wissenschaft ist die allgemeine Analyse und ihr Ziel ist die Freiheit von Fehlern in der speziellen (Einzel-)Analyse.«¹⁷²

Tatsächlich arbeitet die ʿilm al-munāẓara (bzw. ādāb al-baḥth) des Gelenbevî auf eine allgemeine Argumentationstheorie hin,¹⁷³ vor allem deshalb, weil bei Gelenbevî nicht der Begriff der munāẓara (Disputation) im Vordergrund steht, sondern der Begriff der Analyse (baḥth). Obwohl Gelenbevî beide Wörter oft synonym verwendet, deutet seine Schwerpunktsetzung auf dem Begriff baḥth auf eine allgemeine, von der schriftlichen und mündlichen Disputation unabhängige Argumentationstheorie hin. Zudem kann man fragen, ob der

¹⁷⁰ Zum Begriff der Argumentation vgl. grundsätzlich Lumer, Praktische Argumentationstheorie Kapitel 2, insbesondere 22–30 und 51–59. Generell ist anzumerken, dass Argumentationshandlungen in der Regel monologisch sind, wie z. B. auch das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī zeigt. ¹⁷¹ Vgl. Arnaldez, »Manṭiḳ« 442–452. ¹⁷² Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 59–60, eigene Übersetzung. ¹⁷³ Darin stimmt Gelenbevî mit Shams al-Dīn al-Samarqandī überein, der in seinem Werk Risālat ādāb al-baḥth aufzeigen wollte, dass eine gemeinsame disputative Methodik der Wissenschaften möglich ist.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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Gegenstand der ʿilm al-munāẓara eher die mündliche oder die schriftliche Disputation ist. Obwohl munāẓara oft die mündliche Disputation bezeichnet, liegt kein hinreichender Hinweis darauf vor, dass die Literatur der ʿilm al-munāẓara ausschließlich auf die mündliche Disputation verweisen würde. Des Weiteren gibt Gelenbevî an, dass der Anwender dieser Wissenschaft durch sie die gültigen und ungültigen Argumente zu erkennen vermag. Obwohl die Begriffe kulliyya und juzʾiyya logische Termini darstellen, werden sie bei Gelenbevî zur Demonstration einer allgemeinen theoretischen Disputationstheorie (kulliyya) und einer praktischen Disputationstheorie (juzʾiyya) herangezogen. Die allgemeine theoretische Disputationstheorie hat die Aufgabe, die Regeln und Bedingungen jeder Disputation aufzustellen, wogegen die praktische der Analyse von bestimmten Disputationen und deren Argumenten dient. Ferner gibt Gelenbevî eine Definition des Arguments bzw. Beweises und unterscheidet dabei die Definition des Arguments bei den Logikern von jener bei den Rechtstheoretikern. Bei Letzteren basiert ein Argument (allgemein) auf diversen Vernunftbegründungen für die durch Argumentation zu erreichende neue Erkenntnis (bzw. den Schluss), wogegen er das Argument der Logiker eingeschränkter als ein Konstrukt aus einer Konklusion mit zwei Prämissen darstellt.¹⁷⁴ Es wäre weit hergeholt, bei Gelenbevî von einer praktischen Analyse im Sinne der vorliegenden Studie zu sprechen. Sowohl die Theorie wie auch die Anwendung einer solchen praktischen Analyse sind sehr unzureichend. Man darf aber nicht vergessen, dass die praktische Analyse einer Argumentation oder Disputation etwas anderes ist als die Argumentationstheorie. In diesem Rahmen schlägt auch Shams al-Dīn Muḥammad ibn Ashraf al-Ḥusaynī al-Samarqandī (gest. 709/1310) vor, Gesetze (qānūn) der Disputationskunst (ādāb al-baḥth) aufzustellen, um einerseits Gültigkeitskriterien zur Verfügung zu haben und andererseits Aussagen in Disputationen (und in Argumentationen) anhand dieser Kriterien zu bewerten.¹⁷⁵ Al-Samarqandī, dessen Werke hauptsächlich die Disputationslehre behandeln, war Schüler des Burhān al-Dīn al-Nasafī (gest. 687/1289), der in seinem Muqaddima fī al-khilāf die juristische Dialektik behandelt hatte. Al-Samarqandī selbst kommentierte diese Schrift seines Lehrers.¹⁷⁶ Al-Samarqandī nannte die Disputationslehre ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara und stellte dafür ethische und logische Regeln auf, die ihm zufolge – wie später ähnlich bei Gelenbevî – eine auf Wahrheit ausgerichtete Disputation erfüllen muss.¹⁷⁷ Al-Samarqandī wendet sein Analyseverfahren in seinem Werk Risālat ādāb al-baḥth auf drei Wissenschaftsbereiche der Theologie an, um zu demonstrieren, wie umfassend sein Verfahren ist. Diese Bereiche sind der Kalām, die

¹⁷⁴ Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 59–60. ¹⁷⁵ Vgl. al-Samarqandī, Risālat ādāb al-baḥth, zitiert nach Karabela, Dialectic 121–122. ¹⁷⁶ Vgl. Miller, »Al-Samarḳandī« 1038–1039. ¹⁷⁷ Nach Belhaj ging seine Methode auf das juristische jadal zurück. Zu Belhajs Argumenten für diese These vgl. Belhaj, »Neglected Art« 295–307.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Philosophie (al-ḥikma) und die Jurisprudenz (ʿilm al-khilāf ). Dabei konstruiert er für diese drei Bereiche exemplarische Argumente und analysiert diese evaluierend, wobei er teilweise die Schwachstellen der Argumente herausarbeitet und diese dann entsprechend modifiziert. Bei der Analyse dieser Argumente geht al-Samarqandī nicht auf die Theorie der Argumentationstheorie ein, sondern versucht sich an der praktischen Analyse der Argumentationen. Al-Samarqandīs Ziel ist es, Gültigkeitskriterien aufzustellen – wenn auch keine generellen, sondern speziell für die vorliegenden Argumente passende –, um die Gültigkeit der Argumente demonstrieren zu können. Dabei diskutiert al-Samarqandī auch die erkenntnistheoretischen Merkmale von Prämissen. Al-Samarqandīs Ansatz ist eindeutig als erkenntnistheoretisch ausgerichtet zu identifizieren,¹⁷⁸ denn sein Ziel ist, »den Adressaten der Argumentation zur Erkenntnis der These zu führen, genauer: ihm beim Erkennen der Wahrheit oder Akzeptabilität der These anzuleiten«¹⁷⁹. Trotz des Vorliegens dieser Bemühungen um eine praktische Analyse von Argumentationen weist die islamische Argumentationstheorie kein systematisches Analyseverfahren auf, wie wir es etwa von Lumer kennen. So finden wir in diesen Anstrengungen der muslimischen Argumentationstheoretiker leider kein umfassendes Organon der Argumentationstheorie, welches die Frage nach allgemeingültigen Gültigkeitskriterien für verschiedene erkenntnistheoretische Prinzipien sowie weiteren Anforderungen einer Argumentationsanalyse beantworten könnte, sondern nur Ansätze dazu wie etwa bei Gelenbevî oder al-Samarqandī. Ein weiterer wichtiger Argumentationstheoretiker ist der osmanische Logiker Muhammed Saçaklızâde Maraşî (gest. 1144/1732),¹⁸⁰ kurz Saçaklızâde. Genau wie bei Gelenbevî hat die Argumentationstheorie (ʿilm al-munāẓara) auch bei Saçaklızâde folgende vier Hauptthemen: taʿrīf, taqsīm, taṣdīq und murakkab al-naqṣ. Diese Konzepte der Argumentationstheorie sind für die Analyse von islamisch-theologischen Argumenten von großer Bedeutung. Ein Schlüsselwerk, das die Argumentationstheorie des Saçaklızâde darstellt, ist sein Al-risāla al-waladiyya. In diesem Werk legt er alle wichtigen Konzepte seiner Argumentationstheorie vor, unter anderem auch die schon bei Gelenbevî erwähnten Kernkonzepte des ʿilm al-munāẓara.¹⁸¹ Im Folgenden wird eine einführende Darstellung dieser Grundbegriffe der vier Hauptthemen gegeben, die sich aus praktischen Gründen bewusst auf diejenigen Konzepte konzentriert, die zur Analyse von Argumenten dienlich sein können und sich im Radd wiederfinden.

¹⁷⁸ Vgl. al-Samarqandī, Risāla ādāb al-bahth, zitiert nach Karabela, Dialectic 266–270. ¹⁷⁹ Aus Lumers Definition der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie: Lumer, »Überreden« 18. ¹⁸⁰ Allgemeine Informationen zu Saçaklızâde bietet etwa Özcan, »Saçaklızâde« 368–370. ¹⁸¹ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 140. Siehe auch Karabela, Dialectic 211.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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Taʿrīf (›Definition‹), taqsīm (›Unterteilung‹) und taṣdīq (›Bestätigung‹) Taʿrīf ist im Grunde die Definition einer Sache. Sie gibt an, wie etwas beschaffen ist. Sie sammelt in der Definition die spezifischen Eigenschaften des Definiendums und unterscheidet sie von Eigenschaften, die für das Definiendum nicht spezifisch sind. Wenn ein taʿrīf eines Begriffes, der in einer Argumentation benutzt wird, nicht ordnungsgemäß definiert und verwendet wird, kann der sāʾil (›der Fragende‹, ›der Kritisierende‹) die Argumentation aus diesem Grund anfechten.¹⁸² Taqsīm ist die Methode der (argumentativen) Unterteilung. Saçaklızâde unterscheidet zwischen der Unterteilung ausgehend von der Vernunft und jener ausgehend von der Induktion (istiqrāʾ). Ein Beispiel für die Unterteilung nach der Vernunft sind die Zahlen. Zahlen können nur gerade oder ungerade sein; die Vernunft muss zwischen den beiden Möglichkeiten entscheiden, eine dritte Möglichkeit ist rational betrachtet nicht möglich. Taqsīm nach der Induktion liegt bei allen anderen Unterteilungen vor, die nicht (nur) nach der Vernunft geschehen, sondern induktiv (istiqrāʾī) aufgestellt werden.¹⁸³ Das taqsīm ist ein im Radd häufig benutztes Kompositionsprinzip, wie beispielsweise in folgendem taqsīm nach der Vernunft, das von al-Jaʿfarī stammt: »Dann sagt man den Christen: Da ihr behauptet, dass euer Gott Jesus starb und dann wieder lebte; wer hat ihn dann nach seinem Tod wieder zum Leben erweckt? Und wenn die Christen sagen: Jesus hat sich selbst zum Leben erweckt, so sagen wir zu ihnen: Hat er sich zum Leben erweckt, als er lebendig war, oder hat er sich zum Leben erweckt, als er tot war? Beide Möglichkeiten sind ungültig.«¹⁸⁴

Taṣdīq ist zunächst die Bestätigung einer affirmativen Aussage oder die Bestätigung einer Aussage als negativ. Eine affirmative Aussage ist etwa die Aussage ›Der Mensch ist ein denkendes Lebewesen‹ und eine negative wäre etwa ›Das Tier ist kein denkendes Lebewesen‹. Dieses taṣdīq bestätigt das Verhältnis zwischen den Begriffen Mensch und ›denkendes Lebewesen‹ bzw. Tier und ›nichtdenkendes Lebewesen‹.¹⁸⁵ Murakkab al-naqṣ (›Zusammensetzung des Mangels‹) Saçaklızâde behandelt in seinen Schriften auch die Argumentationstypen der Widerlegung, welche als Kompositionsprinzip für die Radd-Literatur zentral ist. Der Argumentierende, der widerspricht, kann eine These entweder annehmen oder ablehnen. Wenn er die These ablehnt, hat er drei Handlungsmöglichkeiten: manʿ, muʿāraḍa oder naqḍ.¹⁸⁶ Diese seien kurz skizziert:

¹⁸² Vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 18–20. ¹⁸³ Vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 41–42. ¹⁸⁴ Al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl 384. ¹⁸⁵ Vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 58–60. ¹⁸⁶ Der Begriff naqḍ wurde auch im Rahmen der Polemik verwendet, um die These des Opponenten zu widerlegen, so wie bei Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn ʿĪsā ibn ʿAlī ibn ʿAbdallāh

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Manʿ (›Ablehnung‹, ›Absage‹) Die Kritik der Begründung einer Aussage geschieht argumentativ. Sie erfolgt, indem derjenige, der eine These kritisiert (sāʾil,¹⁸⁷ ›der Fragende‹), vom Behauptenden (muʿāriḍ) dieser These (daʿwā) einen Beweis fordert oder den Prämissen des Beweises widerspricht.¹⁸⁸ Wenn die Belege des muʿāriḍ für seine These nicht offenkundig sind, muss er sein Argument explizit vorlegen; ansonsten ist seine These nichtig. Saçaklızâde unterteilt die Arten der Anforderung nach Belegen des sāʾil in zwei Kategorien: Wenn der sāʾil der These des muʿāriḍ widerspricht, aber selbst seinen Widerspruch nicht belegt, dann liegt ein manʿ al-mujarrad (bloßer Widerspruch) vor; wenn der sāʾil seinen Widerspruch belegt, dann liegt das manʿ maʿa al-sanad (Widerspruch mit Begründung) vor.¹⁸⁹ Generell hat der sāʾil die Aufgabe, entweder der Prämisse oder der Begründung oder der Konklusion zu widersprechen und sie dadurch abzulehnen.¹⁹⁰ Des Weiteren weist Saçaklızâde darauf hin, dass der Argumentierende in sein Argument ein Zitat (aus der Überlieferung, naql) einbringen kann, ohne explizit auf die Wahrheit des Inhalts der Überlieferung einzugehen, oder er kann ein Zitat einbringen und dabei explizit auf die Wahrheit seines Inhaltes hinweisen. Wenn der Argumentierende in sein Argument Zitate einbringt, ohne die Wahrheit der Zitate zu belegen, ist er auf dieser Mikroebene nur ein Überlieferer (nāqil), noch kein muʿāriḍ, der eine These vertritt.¹⁹¹ Denn nach Saçaklızâde hat der muʿāriḍ die Aufgabe, seine Thesen zu begründen. Erfüllt er diese Aufgabe nicht, so gilt er nicht als Vertreter einer These und muss auch nicht widerlegt werden. Demnach ist das Vertreten einer These das Fundamentalste an einer argumentativen Auseinandersetzung. Nur wenn das Zitat offenkundig eine falsche Information wiedergibt, kann der Inhalt durch den Opponenten korrigiert werden, aber er muss die These nicht widerlegen, denn es ist gar keine These zustande gekommen. Doch wenn er für sein Argument ein Zitat bringt und die Glaubwürdigkeit des Inhalts dieses al-Rummānī (gest. 383/994). Seine Schrift gegen die Thesen des Yaḥyā ibn ʿAdī trägt dementsprechend bereits den Titel Naqḍ al-tathlīth ʿalā Yaḥyā ibn ʿAdī (siehe hierzu Thomas, »Naqḍ al-tathlīth« 731). ¹⁸⁷ Auch dieser Begriff der Argumentationstheorie kommt bereits in den Titeln apologetischer Werke vor, und zwar bei Abū Zakariyyā Yaḥyā ibn ʿAdī ibn Ḥamīd ibn Zakariyyā al-Takrītī al-Manṭiqī, der eine Schrift mit dem Titel Jawāb ʿan masāʾil saʾalahā ʿanhā sāʾil fī al-aqānīm al-thalātha verfasste. Zudem ist es keine Seltenheit, dass Apologeten zugleich Logiker waren (so etwa auch al-Ghazālī; siehe hierzu Platti, »Jawāb« 422–423). Dies gibt einen Hinweis auf die enge Beziehung zwischen Argumentationstheorie (ʿilm al-munāẓara) und der islamischen Apologetik. ¹⁸⁸ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 143–151. ¹⁸⁹ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 143–146; siehe auch Karabela, Development 135. ¹⁹⁰ Wenn der sāʾil eine Prämisse ablehnt, dann liegt ein munāqaḍa vor, wenn die Begründung (dalīl) abgelehnt wird, dann liegt ein naqḍ vor, und wenn die Konklusion durch ein Gegenargument abgelehnt wird, dann liegt ein muʿāraḍa vor (vgl. Ṭaşköprüzâde, Ādāb al-baḥth 205). ¹⁹¹ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 143–153.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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Zitates belegt, so ist er ein muʿāriḍ, denn er nimmt die Aufgabe an, seine These begründen zu müssen. Denn durch eine These ohne Begründung kann kein Urteil fallen.¹⁹² Diese Betonung der Notwendigkeit einer Begründung zeigt den beachtlichen Rationalitätsanspruch Saçaklızâdes, für den also bloße Verweise auf die Autorität der Überlieferung nicht als Argument gelten. Muʿāraḍa (›Opposition‹, der Widerspruch gegen jemanden) Nach Saçaklızâde ist ein muʿāraḍa dann gegeben, wenn die vorgelegte These durch eine Gegenthese des Kritikers (sāʾil) widerlegt wird. Dies kann sowohl durch eine Argumentation für eine explizite Gegenthese als auch durch eine Argumentation gegen die Gültigkeit der Begründung der ursprünglichen These geschehen. Durch das Vertreten einer Gegenthese wird der sāʾil somit selbst zum behauptenden muʿāriḍ und umgekehrt. Damit wird der ursprüngliche Argumentierende selbst zum Adressaten bzw. zum Opponenten der Gegenthese.¹⁹³ Saçaklızâde unterscheidet drei Arten des muʿāraḍa: (i) Muʿāraḍa bi l-qalb. Dieses Konzept liegt dann vor, wenn die Gegenthese formal und im Prämissentyp identisch mit der ursprünglichen These ist. (ii) Muʿāraḍa bi l-gayr. Dieses Konzept liegt dann vor, wenn ein Gegenargument formal anders konstruiert ist als das Argument der zu widerlegenden These. Saçaklızâde gibt hierzu ein Beispiel. Die Philosophen konstruieren für die Ewigkeit des Universums folgendes Argument: P1: P2:

Das Universum ist ein Werk des Ewigen. Alle Werke des Ewigen sind ewig.

K1:

Somit ist das Universum ewig.

Dagegen kann der mutakallim folgendes Argument konstruieren: P3: P4:

Das Universum ist der Veränderung unterworfen. Kein Ewiger ist der Veränderung unterworfen.

K2:

Somit ist das Universum nicht ewig.

Dieses Gegenargument hat nicht dieselbe formale Struktur wie das zu widerlegende Argument, somit liegt hier ein muʿāraḍa bi l-gayr vor.¹⁹⁴ (iii) Muʿāraḍa bi l-mithl. Dieses Konzept ist gegeben, wenn das Gegenargument formal dieselbe Struktur hat wie das zu widerlegende Argument, jedoch mit anderen Prämissen. Saçaklızâde gibt hier dasselbe Beispielargument für die Ewigkeit des Universums wie schon bei der Beschreibung des muʿāraḍa bi l-qalb, dem ein Gegenargument als muʿāraḍa bi l-mithl folgt:

¹⁹² Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 140–153. ¹⁹³ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 140–153. ¹⁹⁴ Saçaklızâde, Risaletü’l Velediye 150.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

P1: P2:

Das Universum ist ein Werk des Ewigen. Alle Werke des Ewigen sind ewig.

K1:

Somit ist das Universum ewig.

Gegen dieses philosophische Argument kann folgendes Gegenargument konstruiert werden, das dieselbe syllogistische (qiyāsī) Struktur aufweist: P3: P5:

Das Universum ist der Veränderung unterworfen. Alles, was der Veränderung unterworfen ist, ist nicht ewig.

K2:

Somit ist das Universum nicht ewig.

Sowohl das Argument wie auch das Gegenargument haben dieselbe formale Struktur und unterscheiden sich von den Prämissen, somit liegt hier ein muʿāraḍa bi l-mithl vor.¹⁹⁵ Naqḍ (›Gegensatz‹, ›Kontroverse‹) Naqḍ ist der Versuch der Widerlegung eines Beweises bzw. eines Arguments durch das Aufzeigen eines Gegensatzes. Dies ist laut Ṭaşköprüzâde hauptsächlich die Aufgabe des sāʾil (›der Fragende‹, ›der Kritisierende‹ eines Arguments), weil er seine Kritik mit dem Aufzeigen eines Gegensatzes begründen muss.¹⁹⁶ Im naqḍ geht man davon aus, dass die Widerlegung eines vorhandenen Arguments strategisch einfacher ist als die Konstruktion eines Arguments, das eine Gegenthese gegen das zu widerlegende Argument beweist. Der Versuch der Widerlegung kann auf zwei Weisen geschehen: i. zu zeigen, dass die Konklusion des zu widerlegenden Arguments der Konklusion eines anderen Arguments widerspricht; ii. zu zeigen, dass die Konklusion des zu widerlegenden Arguments rational unmöglich ist (etwa durch den Regressus ad infinitum, tasalsul).¹⁹⁷ Das naqḍ geht von einem logisch konstruierten Argument aus, bei dem das Argument aus einer oder mehreren Prämissen sowie einer Schlussfolgerung bzw. Konklusion besteht; das logische Argument ist logisch korrekt, wenn ihm eine (allgemein)gültige logische Form zugrunde liegt. Außerdem werden das Argument und seine Formen in der islamischen Theologie in weiteren Kernkonzepten der Beweistheorie wie ḥujja, dalīl und naẓar diskutiert. Zudem sind Konzepte wie das burhān, badīhiyyāt, qaḍiyya und qiyās zur Beschreibung der islamischen Argumentationstheorie von Bedeutung.

¹⁹⁵ Vgl. hierzu auch Çapak, »Münazara İlmi« 89–98. ¹⁹⁶ Vgl. Ṭaşköprüzâde, Ādāb al-baḥth 205. ¹⁹⁷ Vgl. Çapak, »Münazara İlmi« 97. Wenn allerdings gezeigt wird, dass die Konklusion unmöglich ist, dann liegt keine Widerlegung oder Kritik der Argumentation mehr vor. Zumindest hätte der hier vorgeschlagene Weg jedoch gezeigt, dass die Konklusion nicht haltbar ist, und darum scheint es hier in erster Linie zu gehen.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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Der Begriff ḥujja steht für ›Beweis‹ oder für die Darstellung des Beweises¹⁹⁸ und somit auch für den ganzen Beweis- bzw. Argumentationsakt. Dieser Begriff erscheint schon im Koran und hat dort die Bedeutung von ›Argument‹, ›Beweisgrund‹, ›Beweis‹ oder ›Beweisführung‹ – so etwa in Vers 45:25, wo es heißt: »Und wenn ihnen unsere Verse als klare Beweise (ḥujjatahum) verlesen werden, haben sie keinen anderen Beweisgrund (anzuführen), als daß sie sagen: ›Bringt unsere (verstorbenen) Väter (wieder) herbei, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!‹.«¹⁹⁹

Die Nutzung des Begriffs ḥujja im Koran kann kurz so zusammengefasst werden, dass der Koran damit Argumente meint, die für den Glauben aufgeführt werden. Doch ḥujja ist zudem ein neutraler Begriff und umfasst nicht nur den gültigen Beweis. Denn in Vers 42:16 steht Folgendes: »Diejenigen, die über Gott streiten, nachdem man (nun einmal) auf ihn (und seinen Ruf zum Heil) gehört hat, deren Beweisführung (ḥujjatuhum) gilt bei ihrem Herrn nichts. Über sie kommt (der) Zorn (Gottes), und sie haben (dereinst) eine schwere Strafe zu erwarten.«²⁰⁰

In diesem Vers wird deutlich, dass ḥujja gültige ebenso wie ungültige Argumente bezeichnen kann; zumindest, wenn Gott der Adressat dieser Argumente ist, wie es im obigen Vers der Fall ist. Im Koran (etwa in 6:149 oder 6:83) hat zudem Gott gültige Argumente (ḥujja) für sich vorgelegt oder hat Abraham Argumente gegeben. Diese stellen im Selbstverständnis des Korans gültige Argumente im Sinne des ḥujja dar. Obwohl der Begriff ḥujja koranisch ist und u. a. die oben dargestellten Bedeutungen hat, wurde der Begriff unterschiedlich rezipiert; vor allem in der islamischen Philosophie und Theologie. Ibn Sīnā beispielsweise hat in seinem Shifāʾ einen sehr breiten ḥujja-Begriff, der zunächst allgemein als ein Prozess der Argumentation verstanden wird, dem der Syllogismus (qiyās), Induktion (istiqrāʾ) oder Analogie zugeordnet werden kann,²⁰¹ und im Kalām wird ḥujja oft synonym mit dalīl, d. h. als Beweisführung gesehen.²⁰² Ohnehin kennt die islamische theologische Beweistheorie neben dem Begriff des ḥujja weitere zentrale Begriffe wie dalīl oder burhān; diese sind jedoch alle eng miteinander verbunden und scheinen oft ineinander überzugehen. So ist ḥujja sehr nah an dem Konzept des dalīl, wenn dieses den Beweis betont; ebenso steht ḥujja dem Wort burhān sehr nahe, wenn es im Sinne von ›Argument‹ verwendet wird.²⁰³ Wenn man die Tatsache berücksichtig, dass keine einheitlichen Definitionen von burhān, jadal, nazar oder ḥujja vorliegen – denn ihre Verwendung

¹⁹⁸ Gardet/Hodgson, »Ḥud̲j̲d̲j̲a« 543–545. ¹⁹⁹ Übersetzung nach Paret. ²⁰⁰ Übersetzung nach Paret. ²⁰¹ Vgl. Ibn Sīnā, Al-Shifāʾ, al-Mantiḳ, i (al-madkhal), Kairo 1371/1952, 18–19. ²⁰² Vgl. al-Bāqillānī, Al-Bayān ʿan al-farḳ bayn al-muʿj̲izāt wa-ʾl-karāmāt, hg. von R. J. McCarthy, Index. Allgemein zum Begriff ḥujja vgl. Gardet/Hodgson, »Ḥud̲j̲d̲j̲a« 543–545. ²⁰³ Vgl. Gardet/Hodgson, »Ḥud̲j̲d̲j̲a« 543–545.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

unterscheidet sich stark nach Epoche, Disziplin, Autor und Kontext²⁰⁴ –, so ist folgende pragmatische und methodische Herangehensweise unausweichlich: Ausgehend von Verwendungen dieser Konzepte in der islamischen Theologie sollten Nominaldefinitionen aufgestellt werden, welche die Vergleichbarkeit dieser Konzepte als Beweistechniken bei einem Analyseverfahren für Argumente gewährleisten. Andernfalls laufen wir Gefahr, in einem Dschungel von undeutlichen und mehrdeutigen Begriffen verloren zu gehen. Oder, wenn man die Argumente vorwiegend aus einer modernen argumentationstheoretischen Perspektive analysieren möchte, was das Ziel dieser Studie darstellt, sollte man sich an die Terminologie derjenigen Argumentationstheorie halten, an der man sich orientiert. Diesen pragmatischen Weg geht letztlich die vorliegende Studie. Der Begriff burhān steht auch für eine der fünf Schriften bzw. Künste im Organon des Aristoteles; nach al-Fārābī entspricht er den Analytica posteriora im Organon und somit der Lehre vom Beweis. Allgemein kann burhān als ein Beweis verstanden werden, an dessen Wahrheit kein Zweifel besteht und der notwendige Erkenntnis hervorbringt.²⁰⁵ Er ist in der islamischen Argumentationstheorie der Versuch, sichere Erkenntnis zu generieren.²⁰⁶ Er ist ein Argument, bei dem die Prämissen a priori wahr sind und die Form des Arguments (oftmals ein Syllogismus) logisch allgemeingültig ist. Einen ersten Hinweis und eine Einführung in das Konzept des burhān liefert uns schon der Koran. Zunächst definiert sich der Koran selbst als burhān. Denn Gott offenbart in ihm Folgendes: »Ihr Menschen! Nunmehr ist (durch die koranische Offenbarung) von eurem Herrn ein klarer Beweis (burhān) zu euch gekommen. Und wir haben ein offenkundiges Licht zu euch hinabgesandt.«²⁰⁷

Burhān wird in diesem Vers als Beweis verstanden. Wenn der Begriff burhān im Koran vorkommt, geht es auch um die Beziehungen zu Christen und Juden. So heißt es in Vers 2:111:

²⁰⁴ Miller gibt an, dass zeitweise die Begriffe jadal und nazar synonym verwendet wurden, und zitiert al-Ashʿarī, der erklärte, in welchem Kontext diese beiden Konzepte als Synonyme verstanden werden können. Jadal und nazar sind dann Synonyme, wenn damit das (kritische) Denken bezeichnet wird, jedoch ist jadal – anders als nazar – nur möglich, wenn zwei oder mehr Leute in den dialektischen Streit eingebunden sind, während nazar (als Argumentationsführung) von einer einzigen Person betrieben werden kann (vgl. Miller, Study 9). Zudem sind Begriffe wie nazar (oft als dialektische Beweisführung zu verstehen) oder istiḍlāl (oft als syllogistische Beweisführung zu verstehen) gemäß van Ess der islamischen Disputationslehre nachträglich und hauptsächlich von den Muʿtazila hinzugefügt worden, um mit diesen Konzepten ihre rational ausgerichtete Theologie zu begründen (vgl. van Ess, Erkenntnislehre 16). ²⁰⁵ Yavuz, »Burhān« 429. ²⁰⁶ Hacınebioğlu, »Demonstration« 179. ²⁰⁷ Koran 4:174, Übersetzung nach Paret.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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»Und sie sagen: ›Niemand wird ins Paradies eingehen außer denen, die Juden oder Christen sind.‹ Das sind (nur) ihre (persönlichen) Wünsche. Sag: Bringt doch euren Beweis (burhān) vor, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!«²⁰⁸

Oder wenn der Koran eine Aussage über alle macht, die nicht an den wahren Gott glauben, sondern an einen anderen Gott: »Wenn einer neben Gott einen anderen Gott anruft, ohne einen Beweis (burhān) dafür zu haben, hat er allein bei seinem Herrn (darüber) abzurechnen. Den Ungläubigen wird es nicht wohl ergehen.«²⁰⁹ »Oder wer (sonst) vollzieht die Schöpfung ein erstes Mal (zur Existenz im Diesseits) und wiederholt sie hierauf (bei der Auferweckung zur Existenz im Jenseits)? Und wer (sonst) beschert euch (den Lebensunterhalt) vom Himmel und (von) der Erde? Gibt es neben Gott einen (anderen) Gott? Sag: Bringt doch euren Beweis (burhān) vor, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!«²¹⁰

Seien es also speziell die Christen oder Juden oder überhaupt alle, welche nicht an al-ilāh (Allah), d. h. an den Gott, glauben – sie werden eingeladen, für die Wahrheit ihres Glaubens Beweise (burhān) vorzulegen. Damit stellt sich die Frage, um welche Art vom Beweis es sich hierbei handeln soll. Da es um einen Beweis geht, der die höchste Wahrheit, also Gott, begründen soll, war der Anspruch an solch einen Beweis hoch: Ein burhān ist ein Beweis, an dessen Wahrheit kein Zweifel besteht. Und weil der Koran sich selbst als diesen Beweis für seine eigene Wahrheit betrachtet und ihn auch von anderen fordert, ist der burhān in der islamischen Theologie als eine der höchsten Beweislehren betrachtet worden, mit der man Thesen und Widerlegungen begründet.²¹¹ Wenn diese Voraussetzungen herangezogen werden, lässt sich das Argumentationskonzept des burhān auch im Radd wiederfinden,²¹² bei dem der Anspruch auf axiomatische Prämissen und eine gültige logische Form vorhanden ist. Der burhān ist somit ein Argument für oder gegen eine These und muss die Voraussetzungen erfüllen, (1.) dass er durch notwendige (ḍarūrī i. S. v. ›non-inferential‹ oder badīhī) Prämissen bzw. Axiome begründet und (2.) in einer logisch gültigen, zumeist syllogistischen, Form vorgebracht wird.²¹³ Dabei können die notwendigen Prämissen nach dem Theologen, Erkenntnistheoretiker und Logiker al-Taftāzānī (gest. 792/1390) idealerweise selbst ohne eine rationale Bemühung (Schlussfolgerung) eines Erkennenden existieren. Sie sind demnach Prämissen, die keinen Zweifel an ihrer Wahrheit erlauben. Diese müssen zudem

²⁰⁸ Koran 2:111, Übersetzung nach Paret. ²⁰⁹ Koran 23:117, Übersetzung nach Paret. ²¹⁰ Koran 27:64, Übersetzung nach Paret. ²¹¹ Yavuz, »Burhān« 429. ²¹² Vgl. exemplarisch etwa al-Jaʿfarīs Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument (vgl. dazu hier Abschnitt 9.2), seine taṣnīf-Argumente (das Körper-ewig-Argument und das HypostasenArgument, vgl. Abschnitt 9.4) und teilweise auch seine mushāhada- und khabar-Argumente (vgl. dazu Abschnitt 9.3). ²¹³ Yavuz, »Burhān« 429–430.

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nicht durch ein spekulatives Schließen (naẓar) zustande gekommen sein, was die Bemühung eines Erkennenden voraussetzen würde.²¹⁴ Nachdem die Grundsätze des burhān wiedergegeben wurden,²¹⁵ stellt sich die Frage, inwieweit diese anspruchsvolle Beweistheorie des burhān und seine Subkategorien in der argumentativen Praxis des Radds wiederzufinden ist. Dies ist eine schwierige Frage. Zum einen sind (wie gesagt) die einzelnen Beweistheorien nicht hinreichend einheitlich definiert, zum anderen erlauben die Argumente im Radd keine eindeutige Zuordnung zu den Beweistheorien. Sogar eine Nominaldefinition, wie sie oben vorgeschlagen wurde, erlaubt nur schwer eine eindeutige Zuordnung, weil die Beweistheorien oft ineinander übergehen und allzu viele Schnittstellen haben. Dennoch können mithilfe von Nominaldefinitionen die Argumente in Kategorien aufgeteilt und systematisch beschrieben werden, sodass die Analyse anhand der Nominaldefinitionen einen Mehrwert einbringt. So sind in den Apologien beispielsweise burhān-Argumente,²¹⁶ jadalArgumente²¹⁷ u. a. als Oberkategorien vorhanden. Die Prämissen (qaḍiyya) für ein burhān-Argument müssen wahr sein. Ideale Prämissen für ein burhān stellen daher so genannte badīhiyyāt-Prämissen dar. In der Logik werden unter badīhiyyāt selbstevidente bzw. apriorische Prämissen verstanden. Sie sind von sich selbst aus wahr. Somit sind die badīhiyyāt nicht durch einen rationalen Erwerb (kasb) oder Spekulation (naẓar i. S. v. ›inferential‹) entstanden; man kann jedoch vom Argumentierenden und vom Adressaten, der ein badīhiyyāt erfassen muss, beispielsweise eine gewisse Erfahrung (tajriba) als Voraussetzung zum Verständnis der badīhiyyāt erwarten.²¹⁸ Ein berühmtes badīhiyyāt ist die Aussage ›Das Ganze ist größer als seine Teile‹. Für die Frage, was als badīhiyyāt in Frage kommt, ist auch die jeweilige theologische Sichtweise bedeutsam. So betrachteten sowohl al-Baghdādī (gest. 428/ 1037) wie auch al-Bāqillānī (gest. 403/1013), nur um zwei Autoren zu nennen, die sich im frühen 11. Jahrhundert Gedanken über die Erkenntnislehre gemacht haben, vielfach überlieferte Nachrichten (mutawātir) als eine Quelle

²¹⁴ Vgl. al-Taftāzānī, Sharḥ al-Maḳāṣid 201. ²¹⁵ Der burhān hat Subkategorien, wenn auch nicht alle dieser Formen in den Argumenten der islamischen Polemik und Apologetik vorkommen. Diese sind folgende: burhān innī, burhān limī, burhān al-musāmaṭa, burhān al-taṭbīḳī, burhān al-tawārud etc. An dieser Stelle sei für diese Subkategorien verwiesen auf die einschlägige Darstellung bei Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 50–52, da eine vollständige Behandlung hier eher verwirrend als nützlich wäre. Wir werden im Folgenden auf diese Konzepte nur soweit zurückgreifen, wie diese im Radd wirklich vorkommen. ²¹⁶ Argumente des al-Jaʿfarī wie etwa das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument oder seine taṣnīf-Argumente (das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument) und teilweise auch seine mushāhada- und khabar-Argumente zur Widerlegung der Einheit wurden als deduktive Argumentationen erkennt, sein Jesus-hungert-Argument als induktive Argumentation. Siehe dazu die entsprechenden Abschnitte in Kapitel 9 dieser Studie. ²¹⁷ Vgl. exemplarisch induktive bibelbasierte Argumente des al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 29–42. ²¹⁸ Vgl. Sajjadi/Esots, »Badīhiyyāt«.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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für Axiome. Darunter fällt die koranische Überlieferung, aber auch teilweise die Sunna.²¹⁹ Mutawātir-Nachrichten als badīhiyyāt entstehen nicht durch die Sinne, sondern indem die Nachricht den Empfänger erreicht. Für al-Ashʿarī ist der mutawātir genauso eine Erkenntnisquelle wie etwa die Sinne. Der Inhalt der Sinne ist das Hören, Sehen, Schmecken, Riechen und Fühlen. Der Inhalt des mutawātir ist die wahre Nachricht.²²⁰ Wenn die Bedingungen des mutawātir erfüllt sind, leitet er genau wie die Sinne zur Erkenntnis an. Durch diese Form des Wissenserwerbs nehmen wir z. B. Kenntnis von der Existenz ferner Städte, ohne diese selbst je gesehen zu haben.²²¹ Der mutawātir, der die Überlieferungssicherheit der Offenbarung garantiert, ist jedoch, wenn wir die Klassifizierung von al-Taftāzānī im Rahmen seiner Rechtsmethodik heranziehen, nur eine von vier anerkannten Quellen der Erkenntnis. Demnach ist die Erkenntnis entweder (i.) offenbart (Koran), (ii.) nicht offenbart (Sunna), (iii.) durch Konsens (ijmāʿ) oder (iv.) per Analogieschluss möglich. Sowohl die Analogie als auch die argumentative Beweisführung (istiḍlāl) sieht al-Taftāzānī (gest. 792/1390) jedoch praktisch nur als Unterkategorie des Korans, der Sunna und des Konsens an, denn ihm zufolge werden die Prämissen, auf denen die argumentative Beweisführung bzw. die Analogie aufbauen, aus diesen drei Quellen abgeleitet.²²² Ähnlich listet al-Ījī (gest. 756/ 1355), ein herausragender Erkenntnistheoretiker, in seinem Kommentar zu Ibn al-Ḥājib (gest. 646/1249) fünf Erkenntnisquellen auf, wobei nur der Koran eine offenbarte Quelle darstellt. Dies sind der Koran, die Sunna, der Konsens, der Analogieschluss und die Beweisführung.²²³ Später spricht al-Nasafī (gest. 537/1142) in seiner Erkenntnislehre komprimiert von drei Erkenntnisquellen: Er nennt die wahre Mitteilung, die Sinne und die Vernunft. Anders als die Sophisten gehen ihm zufolge die ahl al-ḥaqq (›Leute der Wahrheit‹) davon aus, dass Dinge existieren und dass das Wissen über sie wahr ist. Eine Art der wahren Mitteilung sei die mutawātir-Nachricht. Aufgrund der Gewissheit, die diese Nachricht auszeichnet, klassifiziert er sie als notwendige Erkenntnis. Al-Nasafī schreibt der Vernunft, die apriorisch ist, ebenfalls den Rang der notwendigen Erkenntnis zu. Die argumentative Beweisführung (istiḍlāl) sei dagegen keine notwendige Erkenntnis in diesem Sinne, sondern erworbene (kasbī) Erkenntnis, weil sie sich durch Beweise und

²¹⁹ Siehe al-Baghdādī, Kitāb uṣūl al-dīn 12; al-Bāqillānī, Kitāb tamhīd 30. Die Sunna nimmt im Vergleich zum Koran nur eine untergeordnete Rolle in Argumentationen ein. Van Ess begründet dies mit der Entwicklung der Sunna: Während der Koran von Anfang an eine Autorität für die Argumentationsbildung war, bildeten sich die Hadithe erst allmählich und in verschiedenen lokalen Traditionen heraus, die deshalb teilweise im Widerspruch zueinander standen. Dieser Umstand ließ sie als Legitimation für theologische Argumentationen in den Hintergrund treten (vgl. van Ess, Theologie und Gesellschaft Bd. 4, 649). ²²⁰ Vgl. Ibn Fūrak, Mujarrad 263. ²²¹ Ibn Fūrak, Mujarrad 17–19. ²²² Vgl. al-Taftāzānī, Sharḥ al-Talwīḥ Bd. 1, 33–34. ²²³ Vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 96–97.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Argumente konstituiere und eben nicht apriorisch sei.²²⁴ Prämissen, die sich aus diesen Erkenntnisquellen ableiten, sind wiederum vielschichtiger. ʿAbd al-Raḥmān al-Akhḍarī (gest. 953/1546), der eine Vielzahl von Werken zur Logik verfasst hat, gibt in seinem etwa 1534 verfassten berühmten Werk Al-sullam al-murawnaq, das eine Vers-Fassung des Īsāgūjī von al-Abharī darstellt,²²⁵ sechs Typen des badīhiyyāt an, wobei das badīhiyyāt bei al-Akhḍarī selbst ein Synonym für yaqīniyyāt (a priori) ist:²²⁶ al-badīhiyyāt, al-mushāhadāt, al-tajribiyyāt, al-mutawwarāt, al-ḥadsiyyāt und al-maḥsūsāt. Diese Prämissentypen werden weiter unten genauer behandelt.²²⁷ Auch al-Ghazālī setzt sich mit der Frage nach dem yaqīniyyāt (d. h. badīhiyyāt) auseinander und spricht nur der Form al-awwaliyyāt die apriorische Gewissheit zu; alle anderen Typen könnten, auch wenn sie relativ sicher sind und wahr sein können, aus logischer Sicht auch falsch sein (d. h. sie stehen für kontingente Wahrheiten).²²⁸ Zudem ist der badīhiyyāt eng verbunden mit notwendiger Erkenntnis (ḍarūrī i. S. v. ›non-inferential‹). Nach ʿAbd al-Qāhir ibn Ṭāhir al-Baghdādī hat die notwendige Erkenntnis (ʿilm al-ḍarūrī) zwei Subkategorien: badīhī und ḥissī, wobei ḥissī die Sinneswahrnehmung ist.²²⁹ Ibn Fūrak (gest. 406/1015) erklärt in seinem Werk Mujarrad maqālāt shaykh Abī al-Ḥasan al-Ashʿarī den Unterschied zwischen notwendiger Erkenntnis (badīhī) und Erkenntnis aus Schlussfolgerung (istiḍlāl) an folgendem Beispiel: »Obwohl die Erkenntnis der Existenz einer Sache durch die Sinne geschieht, ist die Erkenntnis, dass diese Sache erschaffen ist, d. h. einen Anfang der Existenz hat (ḥādith), durch schlussfolgerndes Denken (istiḍlāl) möglich.«²³⁰

Demnach kann der Wert der Erkenntnis in notwendige Erkenntnisse und erworbene Erkenntnisse kategorisiert werden. Die durch Schlussfolgerung erworbenen Erkenntnisse werden durch vernünftiges Schließen generiert. Allerdings dürfen diese beiden Kategorien nicht als Gegensätze betrachtet werden, denn letztlich müssen argumentationstheoretisch gesehen auch die notwendigen Erkenntnisse erworben werden. Zudem vertritt al-Ashʿarī die Meinung, dass Gott

²²⁴ Vgl. al-Nasafī, ʿAqāʾid al-Nasafī 24–47. ²²⁵ Schacht, »Al-Akhḍarī« 321. Heyworth-Dunne (Education 84) gibt an, dass al-Akhḍarīs Logikbuch bis in die 1930er-Jahre an der Al-Azhar-Universität in Kairo als Lehrbuch verwendet wurde. ²²⁶ Auch hier wird die bereits erwähnte Uneinheitlichkeit in der Definition dieser epistemologischen Begriffe deutlich. ²²⁷ Siehe dazu hier S. 200–215. ²²⁸ Vgl. al-Ghazālī, Mihakk al-nazar fī al-manṭiq, hg. von al-Naʿsani/al-Qabbani 47–58; ders., Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl Bd. 1, 134–154. Siehe auch Griffel, »Disposition« 28 und ders., Philosophical Theology 204–213. Aus der Perspektive der Philosophie, welche al-Ghazālī als Vorarbeit dienlich war, war es u. a. Ibn Sīnā, der die Prämissen in awwaliyyāt, mahṣuṣāt, mutawātirāt und mujarrubāt unterteilt hatte (Morewedge, »Deduction« 172–177). ²²⁹ Vgl. al-Baghdādī, Kitāb uṣūl al-dīn Bd. 1, 8–9. ²³⁰ Ibn Fūrak, Mujarrad 13.

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

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den Menschen alle erwerbbaren Erkenntnisse auch als notwendige Erkenntnisse zugänglich machen kann.²³¹ Al-Bāqillānī definiert Erkenntnis, die durch dieses Schließen generiert wird, als naẓārī (Spekulation i. S. v. ›inferential‹), denn sie bedarf des Denkens und der Heranziehung der Vernunft.²³² Bei al-Bāqillānī sind naẓārī und istiḍlālī somit eng miteinander verbunden. Mit istiḍlāl ist etwa bei Ibn Fūrak jegliche Begründung der These gemeint oder die Aufforderung eine These zu begründen, dabei können dieser Begründung verschiedene Erkenntnisprinzipien zugrunde liegen. Wesentlich ist, dass istiḍlāl die Untersuchung nach Begründungen ist.²³³ Nachdem wir einen gewissen Einblick in die Terminologie gewonnen haben, muss betont werden, dass im Radd, wie schon gesagt, gegebene Argumente nicht streng nach ḥujja, dalīl, naẓar oder burhān geordnet werden können. Denn die Verwendung dieser Konzepte geht ineinander über, sie können schlecht getrennt voneinander betrachtet werden. Diese Begriffe stellen daher eine eher theoretische Einteilung dar und finden im praktischen Argumentieren nur bedingt eine Entsprechung. Beispielsweise kann das dalīl auch als burhān betrachtet werden und das ḥujja als dalīl. Auch wenn diese Konzepte theoretisch einzeln definiert werden können, kann daher ein bestimmtes Argument nur bedingt genau einem dieser Konzepte zugeordnet werden, weil sie in der islamischen Argumentationstheorie keine eindeutigen Kriterien zugeordnet bekommen haben und oft als Synonyme behandelt werden. Diese Schwierigkeit rührt von den vielen Gemeinsamkeiten dieser Konzepte her; die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass sie die Begründetheit einer Konklusion angeben. Die Begriffe ḥujja und dalīl werden in der Beweistheorie als Synonyme für Begriffe wie ›Beweis‹, ›Zeichen‹ und ›Argument‹ verwendet. Doch was für ḥujja als dalīl gilt, gilt nicht für burhān. Der burhān hat eine genauere Spezifikation, und zwar, dass er auf Axiome aufbaut und als höchste Form des Beweises betrachtet wird,²³⁴ und kann am ehesten definiert und im Radd wiederentdeckt und bestimmt werden. Oft ist der burhān syllogistisch und deduktiv. Die islamische Argumentationstheorie und Logik bedienen sich ohnehin insbesondere der Syllogistik (allg. als al-qiyās zu verstehen).²³⁵ Die Lehre des Aristoteles vom syllogistischen Schließen bzw. seine Urteilslehre stellt den

²³¹ Vgl. Ibn Fūrak, Mujarrad 14. ²³² Al-Bāqillānī, Kitāb tamhīd 28. ²³³ Vgl. Ibn Fūrak, Mujarrad 286. ²³⁴ Gardet, »Al-Burhān« 1326–1327. ²³⁵ Als Syllogismus ist in der islamischen Logik die formale Struktur zu verstehen, aus der durch Einsetzung konkreter Prämissen eine konkrete Konklusion impliziert bzw. generiert wird. Sie wird überwiegend al-qiyās genannt. Im islamischen Recht wurde al-qiyās als Analogie verstanden, welche in der Logik als tamthīl bezeichnet wird (zum Begriff vgl. Carter/Van Gelder, »Tamt̲ h̲īl« 179–180; El-Rouayheb, Syllogisms 267). Vgl. zudem die Definition des Ibn Sīnā, dem zufolge der Syllogismus (qiyās) ein Gebilde ist, in dem, wenn man mehr als ein Postulat einsetzt, notwendigerweise ein anderes Postulat generiert wird (vgl. Ibn Sīnā, Al-Shifāʾ, hg. von Madkour, 54).

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Kern der traditionellen Logik dar und ist der Ursprung der formalen Logik.²³⁶ Sowohl al-Abharī wie auch Saçaklızâde geben in ihren Logik-Werken eine Einführung in die Syllogistik, die sie als al-qiyās bezeichnen.²³⁷ Syllogistische Schlüsse bilden die herrschende Argumentationsform im Kalām und im Radd, sodass wir bei den Argumentationsanalysen und Rekonstruktionen von Argumenten immer wieder auf syllogistische Schlüsse stoßen werden. Daher ist hier eine kurze Darstellung der Syllogistik sinnvoll. In der Syllogistik geht es um bestimmte Aussagen – die Prämissen –, die, in einer speziellen Form zusammengesetzt, auf die logische Wahrheit einer weiteren Aussage – der Konklusion – schließen lassen. Dabei müssen alle diese Aussagen – in der Syllogistik ›Urteile‹ genannt – eine bestimmte einfache Form haben. Es gibt vier zulässige Formen von Urteilen: a e i o

universell positiv universell negativ partikulär positiv partikulär negativ

Alle S sind P. Kein S ist P. Einige S sind P. Einige S sind nicht P.

Gemäß Aristoteles liegt ein Schluss (Syllogismus) vor, wenn aus zwei solchen Urteilen ein drittes abgeleitet wird. Die beiden ersten Urteile heißen Prämissen, das aus ihnen abgeleitete Urteil heißt Konklusion. Die Prämissen müssen einen Begriff (M) gemeinsam haben, die Konklusion muss genau die beiden anderen Begriffe (S und P) aus den Prämissen verwenden. Damit ergeben sich vier mögliche Anordnungen der Begriffe, die so genannten Figuren: I.

III.

M S

P M

S

P

M M

P S

S

P

II.

IV.

P S

M M

S

P

P M

M S

S

P

²³⁶ Obwohl die Syllogistik von der modernen Logik kritisiert wird, welche die Syllogistik für überbewertet hält, ist sie bis in die Gegenwart einflussreich (vgl. Russell, Western Philosophy 202–211). ²³⁷ Auf Arabisch eigentlich sīlūjism, doch hat sich dieser dem Griechischen entnommene Begriff nicht durchgesetzt. Die herrschende Bezeichnung, sowohl im theologischen wie auch im philosophischen Kontext, ist al-qiyās. Doch auch hier begegnet uns keine eindeutige Terminologie. Teilweise wird die syllogistische Urteilslehre als ein Bestandteil des burhān verstanden, weil burhān das sichere Urteil bezeichnet, zu dem der Syllogismus formal betrachtet führt (vgl. Gardet, »Al-Burhān« 1326–1327). Ibn Taymiyya als Kritiker der Syllogistik bezeichnete sie als qiyās al-shumūl (kategorischer Syllogismus), sodass er die Syllogistik mit einer Funktionsbeschreibung definiert (vgl. hierzu Groff/Leaman, Islamic Philosophy 98–101 und Hallaq, »Introduction« XIV–XV).

4.2. Streitgespräch und Konzepte der islamischen Argumentationstheorie

195

Setzt man nun in diese Figuren für jedes der drei Urteile jeweils eine der oben genannten Urteilsformen (a, e, i, o) ein, so ergeben sich die möglichen Formen syllogistischer Schlüsse. Allerdings sind nicht alle diese Schlussformen logisch (allgemein)gültig; Aristoteles und seine Nachfolger haben insgesamt 19 logisch (allgemein)gültige Formen von Syllogismen festgestellt. Im Folgenden seien beispielhaft die vier gültigen Formen der ersten Figur mit ihren traditionellen Namen aufgeführt; die drei Vokale in diesen Namen geben jeweils die Urteilsformen in der Figur an: (1) Barbara:

Alle M sind P. Alle S sind M. Alle S sind P.

(2) Celarent:

Kein M ist P. Alle S sind M. Kein S ist P.

(3) Darii:

Alle M sind P. Einige S sind M. Einige S sind P.

(4) Ferio:

Kein M sind P. Einige S sind M. Einige S sind nicht P.

Die Schlüsse der gültigen syllogistischen Formen sind logisch allgemeingültig, denn die Negation ihrer Konklusion ergibt jeweils einen kontradiktorischen Widerspruch zur Konjunktion der beiden Prämissen. Die generelle Gültigkeit der syllogistischen Schlussformen macht sie in der Theologie, die ja den Anspruch hat, universelle Wahrheiten zu generieren, zu einem unverzichtbaren Denkwerkzeug. Die islamische Argumentationstheorie bedient sich neben dem klassischen syllogistischen Kalkül auch anderer Schlussformen wie der verschiedenen Formen des Analogieschlusses, systematisierte diese und wandte sie in theologischen Argumentationen an. Sie unterscheidet neben dem (a) einfachen Syllogismus (qiyās) noch (b) Syllogismus ad absurdum, (c) Zirkelsyllogismus, (d) Modus Ponens (qiyās istithnā’ī), (e) Enthymem (qiyās iḍmārī), (f) persuasiver Syllogismus, (g) demonstrativer Syllogismus, (h) dialektischer Syllogismus, (i) Analogie, (j) kategorischer Syllogismus, (k) rhetorischer Syllogismus, (l) sophistischer Syllogismus, (m) hypothetischer Syllogismus, (n) poetischer Syllogismus, (o) retrograder Syllogismus, (p) unvollständiger Syllogismus, (q) vollständiger Syllogismus, (r) Polysyllogismus, (s) direkt-beweisender Syllogismus, (t) trügerischer Syllogismus und (u) eristischer Syllogismus.²³⁸

²³⁸ Zu den einzelnen Definitionen vgl. Jabr, Muṣṭalaḥāt 661–714.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Wichtige – aber weitaus nicht die einzigen – Schlussformen, die aus dem Radd rekonstruiert werden können und im Radd häufig angewandt wurden, sind das al-qiyās al-jadalī (dialektischer Syllogismus), al-qiyās al-istithnā’ī (Modus Ponens) oder al-qiyās al-iḍmārī (elliptischer Syllogismus, verborgenes Enthymem). Nach Aristoteles besteht der dialektische Syllogismus (al-qiyās al-jadalī) aus bekannten und anerkannten Prämissen.²³⁹ Porphyrios gibt in seiner Eisagogḗ an, der dialektische Syllogismus werde entweder angewandt, um zu tadeln, oder wegen der Sturheit des Opponenten. Ibn Sīnā betrachtet in seinem Werk Al-Burhān den dialektischen Syllogismus, welchen er mit dem Sophismus vergleicht, als Gegenpol zu yaqīniyyāt, bei dem der Wahrheitswert des Arguments sicher ist. Als wichtigstes Merkmal des dialektischen Syllogismus nennt Ibn Sīnā, dass der dialektische Syllogismus auf allgemein bekannten bzw. anerkannten (mashhūrāt) Prämissen aufbaue; diese Beschreibung hat das Verständnis des dialektischen Syllogismus langfristig geprägt.²⁴⁰ Der Modus Ponens (qiyās istithnā’ī) ist eine der verbreitetsten Schlussformen in der islamischen Theologie. Jeder Modus Ponens besteht aus einer konditionalen Prämisse (qaḍiyya sharṭiyya) und einer Prämisse über die Erfüllung der Bedingung.²⁴¹ Der Modus Ponens kann formal wie folgt dargestellt werden: A → B, A ⇒ B A → B ist der qaḍiyya sharṭiyya und die zweite Prämisse A der qiyās istithnā’ī, daraus folgt der natīja (Schluss) B. Der elliptische Syllogismus (al-qiyās al-iḍmārī) ist an seiner kurzen Form erkennbar.²⁴² Er stellt die arabische Version des aristotelischen Enthymems dar. Das Enthymem wird oft als verkürzter Syllogismus verstanden.²⁴³ Obwohl durch das Weglassen von Prämissen gekennzeichnet, stellt der al-qiyās al-iḍmārī einen Syllogismus dar.²⁴⁴ Die elliptische Argumentation lässt sich in fast allen alltagssprachlichen Argumentationen und oft auch in argumentativen Texten wie im Radd finden. Beispielsweise wird oft argumentiert, dass ›Sokrates sterblich ist, weil er ein Mensch ist‹, dabei wird die eigentlich notwendige zweite Prämisse ›Alle Menschen sind sterblich‹ weggelassen bzw. als

²³⁹ Aristoteles, Topik I, 1, 100a29–30. ²⁴⁰ Vgl. die einzelnen Definitionen in Jabr, Muṣṭalaḥāt. ²⁴¹ Jabr, Muṣṭalaḥāt 683–685. ²⁴² In der Lumerschen Argumentationstheorie sind diese elliptischen Syllogismen durch Ergänzungsprämissen zu vervollständigen, um eine gültige Argumentation rekonstruieren zu können (vgl. Lumer, »Recognizing Argument Types«). Des Weiteren formuliert Lumer Kriterien, die bei der Bildung von Ergänzungsprämissen zu beachten sind (vgl. hier S. 249; ausführlicher dazu Lumer, »Recognizing Argument Types«). ²⁴³ Vgl. Aristoteles, Rhetorik 1357a, 1395b, 1419a. Aristoteles nennt dabei das Enthymem »so etwas wie Syllogismen« (vgl. Aristoteles, Rhetorik 1394a, zitiert nach der Übersetzung von Krapinger). Zur Mehrdeutigkeit des Enthymem-Begriffes in der Philosophie und Argumentationslehre siehe etwa Hoppmann, »Rhetorik des Verstandes« 630–645. ²⁴⁴ Jabr, Muṣṭalaḥāt 685.

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selbstverständlich vorausgesetzt.²⁴⁵ Der al-qiyās al-iḍmārī wird oft in Reden und Texten angewandt, weil diese Form zur natürlichen Sprache passt, in der nicht jede Prämisse formal gültig dargelegt wird, sondern einige Prämissen vom Adressaten oder vom Opponenten schlicht vorausgesetzt werden.²⁴⁶ Im weiteren Verlauf der Studie wird – auch wenn oft auf die hier vorgestellte klassisch-islamische Terminologie verwiesen wird – vorwiegend die Terminologie der epistemologischen Argumentationstheorie verwendet. Es wurde bereits festgestellt, dass die islamische Argumentationstheorie durch ihre über Jahrhunderte andauernde Entwicklung zahlreiche Synonyme für argumentationstheoretische Begriffe geschaffen hat. Das macht eine unmissverständliche Heranziehung dieser Termini ohne eine Nominaldefinition fast unmöglich. Deshalb werde ich mich hauptsächlich an die Terminologie der epistemologischen Argumentationstheorie halten, die ich aus bereits genannten Gründen für die Analyse von Radd-Argumenten heranziehe. Ohnehin wird deutlich werden, dass der argumentative Gegenstand sich durch eine alternative Terminologie nicht verschiebt, sondern nur auf der terminologischen Ebene eine neue Beschreibung erfährt. Eine Nominaldefinition könnte eine Lösung sein; jedoch läuft man auch in diesem Fall Gefahr, dass bei der Adaption an eine moderne Argumentationstheorie – wie etwa die Lumersche Argumentationstheorie – eine Sinnverschiebung entstehen kann. Daher folge ich letztlich bei den Argumentationsanalysen der pragmatischen Lösung, mich maßgeblich an der argumentationstheoretischen Terminologie von Lumer zu orientieren. Dies ist pragmatisch, weil die vorliegende Studie (i.) ihre Analysen an Lumer anlehnt und dadurch (ii.) der islamischen Argumentationstheorie der Weg geebnet wird, sich an die moderne Argumentationstheorie anzupassen. Zudem wäre die strikte Treue gegenüber einer historischen Terminologie nur sinnvoll, wenn etwa eine bestimmte Argumentationstheorie eines bestimmten Autors untersucht werden soll. In diesem Fall müsste wegen der Authentizität selbstverständlich die Terminologie jenes Autors herangezogen werden. Doch auf die Fragestellung dieser Studie trifft das nicht zu: Al-Jaʿfarī selbst hat keine argumentationstheoretische Schrift vorgelegt, sodass der Interpret der Argumente al-Jaʿfarīs keinen Vergleich ziehen kann. Es geht in dieser Studie vielmehr um die Beschreibung und Analyse von al-Jaʿfarīs praktischen Argumentationshandlungen aus heutiger argumentationstheoretischer Perspektive, weshalb die klassische islamische argumentationstheoretische Terminologie bestenfalls als Hilfswerkzeug dienen kann. Eben in diesem Sinne wird sie auch in der vorliegenden Studie herangezogen und verwendet, wo das angebracht ist. Dieser Ansatz ist auch wichtig, weil so verhindert wird, dass auch in der Anwendung der epistemologischen Argumentationstheorie ein weiteres terminologisches

²⁴⁵ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 67. ²⁴⁶ Vgl. zur Debatte um das Enthymem Burnyeat, der die Entstehung des Enthymems historisch aus der griechischen Philosophie ableitet (Burnyeat, »Enthymeme«).

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Durcheinander herrscht, wie es schon im Falle der (klassischen) islamischen Argumentationstheorie vorhanden ist. Für die Analyse von theologischen Argumentationen ist die Bewertung der Prämissen dieser Argumentationen von zentraler Bedeutung. Die grundlegende Tatsache, dass ein Argument genau dann schlüssig ist, wenn die Konklusion logisch aus den Prämissen abgeleitet wurde und die Prämissen wahr sind, erhebt die Bewertung der Prämissen zum zentralen Thema für die evaluierende Analyse eines Arguments. Doch was für die Philosophie oder andere nichttheologische Bereichen relativ unproblematisch erscheinen mag, solange Evidenzen für die Bewertung der Prämissen vorliegen, erscheint in der Theologie, die sich grundsätzlich auf die Offenbarung stützt, als grundsätzliches Problem. Das Problem liegt in der Kampfansage der Vernunft an die Offenbarung. Schon der muslimische Logiker Abū Sulaymān Muḥammad ibn Ṭāhir ibn Bahrām alSijistānī al-Manṭiqī (gest. 374/985), ein Schüler des Christen Mattā ibn Yūnus (gest. 328/939) und von Yaḥyā ibn ʿAdī (gest. 363/974), diskutierte im Rahmen der Diskussion zwischen der Philosophie und Theologie die Beziehung zwischen Vernunuft und Offenbarung²⁴⁷ und machte auf die Problematik aufmerksam, dass sich Philosophie und Theologie epistemologisch grundsätzlich in der Bewertung der Offenbarung unterscheiden: »Die Vernunft genügt allein nicht; wenn doch, wäre die Offenbarung sinnlos. Zwar kann die Philosophie zu allgemeingültigen Wahrheiten kommen, aber wenn sie sich auf das Gebiet der Religion vorwagt, gerät sie auf den schwankenden Boden umstrittener Meinung und zweifelhafter Hypothese; der Glaube dagegen ist auf den festen Boden der Offenbarung gegründet, und die Offenbarung transzendiert die Grenzen rationaler Deduktion. Nicht die Logik der Griechen, sondern die Offenbarung hat apodeiktischen Rang (al-faḍīla al-burhānīya).«²⁴⁸

Al-Sijistānī al-Manṭiqī war nicht nur ein Logiker, sondern auch ein Philosoph; ohnehin waren die ersten, die eine Grenze zwischen Vernunft und Offenbarung zogen, die Philosophen, um sie von der Theologie des Islams abzugrenzen. Nun richtet sich seine Kritik hier gegen die Unbewertbarkeit theologischer Prämissen, weil sie aus Sicht der Theologie aus der Offenbarung stammen. Diese Kritik würden zwar die Mutakallimūn zurückweisen – aus Sicht der herrschenden Meinung unter den Mutakallimūn ist die Offenbarung kein Widerspruch zur Vernunft, sondern der Inhalt der Offenbarung könnte nach ihrem Anspruch auch durch die Vernunft bestätigt werden. Doch die Kritik des al-Sijistānī al-Manṭiqī richtet sich nicht gegen die Theologie als solche, vielmehr reiht er sich wie etwa auch al-Fārābī in die Reihe jener Denker ein, die trotz Kritik an der Theologie auch die Vernunft als gottgegeben ansahen, da sie die Vernunft als Stellvertreter Gottes (khalīfa)

²⁴⁷ Vgl. Abū Sulaymān Muḥammad ibn Ṭāhir ibn Bahrām al-Sijistānī al-Manṭiqī, zitiert nach al-Tawḥīdī, Al-Imtāʿ wa-l-Muʾānasa Bd. 2, 3–23. ²⁴⁸ Abū Sulaymān Muḥammad ibn Ṭāhir ibn Bahrām al-Sijistānī al-Manṭiqī, zitiert nach al-Tawḥīdī, Al-Imtāʿ wa-l-Muʾānasa Bd. 2, 10–21. Übersetzung von Endress, »Grammatik und Logik« 228.

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erklärten.²⁴⁹ Daher wird ihnen zufolge die Vernunft nichts anderes erzeugen als die Wahrheit Gottes. Diese Denker versuchten in der Philosophie eine universelle Wahrheit zu finden und sahen in der Theologie – vor allem in der Hinzuziehung bestimmter Prämissentypen – eine Beschränkung, ohne dass sie die Theologie per se als fehlgeleitet betrachtet hätten. Diese Kritik an bestimmten an die Offenbarung angelehnten Prämissen ist auch für die Bewertung solcher Prämissen in der praktischen Analyse von Argumentationen entscheidend. Die praktische Analyse sollte, will sie eine Bewertung und Evaluation von Argumentationen anstreben, eine klare Vorstellung davon haben, welche Prämissentypen vorhanden sind und welcher epistemische Wert diesen Typen beigemessen werden kann. Dies bedarf einer Diskussion über die Bewertung solcher Prämissentypen in der praktischen Analyse. Diese Aufgabe soll im Folgenden angegangen werden. Dabei werden die Propositionsbzw. Prämissentypen herangezogen, die im Kalām vorkommen können. Aussagen, die eher aus mystischen Erkenntniswegen wie aus der ›Entschleierung‹ der Realität (kashf ) stammen und in Kalām- und Radd-Argumenten in der Regel nicht vorkommen, werden nicht behandelt. Sowohl die Prämissen als auch die Konklusion von Argumenten sind Aussagen bzw. Propositionen.²⁵⁰ Schon in den islamischen Logikhandbüchern, aber auch in Argumentationstheorien wie etwa in Gelenbevîs Werk ʿIlm al-munāẓara gelten Propositionen (qaḍiyya, muqaddima) als zentrale Bausteine der Argumentation und werden stets gesondert definiert. Im Īsāgūjī ²⁵¹ heißt es: »Die Proposition ist eine Aussage, über deren Aussagenden man sagen kann: Er sagt die Wahrheit oder die Unwahrheit.«²⁵² Propositionen können also entweder bejaht (mūjiba) oder verneint (sāliba) werden.²⁵³ Schöck gibt an, dass assertorische Propositionen muṭlaq (unbedingt), ḍarūrī i. S. v. ›non-inferential‹ (notwendig), mumkin (möglich), kullī (universell), juzʿī (partikulär) oder muḥāl (indefinit)

²⁴⁹ Vgl. Abū Sulaymān Muḥammad ibn Ṭāhir ibn Bahrām al-Sijistānī al-Manṭiqī, zitiert nach al-Tawḥīdī, Al-Muqābasāt, hg. von Muḥammad Tawfīq Ḥusayn 119. ²⁵⁰ Allgemein zu diesen Grundbegriffen der Logik siehe hier Abschnitt 4.1, S. 155. ²⁵¹ Das Īsāgūjī stammt von al-Jaʿfarīs Zeitgenosse Athīr al-Dīn Mufaḍḍal ibn ʿUmar al-Abharī (gest. 1264; vgl. Brockelmann, »Al-Abharī« 98–99) und wurde eine der einflussreichsten Einführungen in die Logik seiner Zeit. Wenn man die Anwendung der Logik in al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā betrachtet, liegt die Vermutung nahe, dass al-Jaʿfarī Zugang zum Īsāgūjī hatte oder zumindest den aktuellen Stand der Logik kannte. ²⁵² Al-Abharī, Īsāgūjī 9. Gelenbevî definiert die Proposition (al-qaḍiyya) in seinem Kommentar zum Īsāgūjī ganz ähnlich; vgl. Gelenbevî, Sharḥ isāgoji li-Gelenbevi 23. ²⁵³ Dies ist eine Besonderheit der Erkenntnis als Urteil. Die islamische Erkenntnislehre unterscheidet zwischen zwei Arten von Erkenntnis: (i.) taṣawwur (begriffliche Konzeption) und (ii.) taṣdīq bzw. ʿilm (bejahende bzw. verneinende Urteile; vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 15). Bei taṣawwur geht es um begriffliche Konzeptionen, die nicht bejaht oder verneint werden müssen, also keine Urteile benötigen, aber beim Subjekt eine gewisse Erkenntnis erzeugen, wie etwa ein Befehl (vgl. al-Jurjānī, Sharḥ al-Mawāqif Bd. 1, 94–104). In RaddArgumenten geht es in erster Linie um argumentative Urteile und somit um die Konstruktion von taṣdīq bzw. ʿilm und weniger um Erkenntnisse im Rahmen des taṣawwur.

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sein können.²⁵⁴ Diesen Unterscheidungen, die eher die Aussagenarten wiedergeben, können durch eine qualitative Klassifikation der Propositionen nach dem epistemischen Wert ihre Inhalte ergänzt werden. Die klassisch-islamischen Argumentationstheorien, wie etwa bei Gelenbevî, bieten dafür Kategorien an, die bei der Analyse von islamisch-theologischen Argumenten beachtet werden müssen. Da für die evaluierende Analyse von Argumenten – wie gesagt – die Bewertung der Prämissen zentral ist (denn die Wahrheit der Konklusion folgt logisch aus dem Argument, wenn die Prämissen wahr sind und die logische Form des Arguments korrekt ist) und weil die Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Prämissen entscheidend für die Analyse der Schlüssigkeit der Argumente ist, muss diese Studie vor allem die Prämissen, ihren epistemischen Wert und ihre jeweilige Adäquatheit für die Adressaten des Argumentes diskutieren. Daher behandeln wir im folgenden die Kategorien der klassisch-islamischen Argumentationstheorien als Prämissentypen. Die Prämissen sind nach al-Jurjānī ein wesentlicher Bestandteil einer vernunftorientierten Argumentation, die zur Erkenntnis führen kann. Deshalb misst er in seinem Sharḥ al-Mawāqif der Evaluation der Prämissen besondere Bedeutung zu. Al-Jurjānī unterteilt sie in zwei Kategorien: qaṭʿī (gewiss) und ẓannī (vermutet). Qaṭʿī-Prämissen liegen vor, wenn die Aussage notwendigerweise (ḍarūrī) wahr sein muss. Ẓannī-Prämissen hingegen basieren auf Vermutung und können daher letztlich auch der Konklusion einer Argumentation lediglich die Stärke einer Vermutung verleihen.²⁵⁵ Dass die Prämissen für den Erkenntnisgewinn zentral sind, ist besonders für die argumentative Theologie und darin insbesondere für den Radd wichtig, weil durch diesen Umstand eine intersubjektive Evaluation theologischer Argumentationen möglich wird, solange ein Konsens über die Wahrheitswerte der Prämissen vorliegt. In der klassischen islamischen Theologie werden Prämissen oft in sechs Kategorien eingeteilt, welche die ›Stärke‹ der Prämissen ausdrücken; diese sind: yaqīniyyāt, mashhūrāt, musallamāt, maqbūlāt, ẓanniyyāt und mukhayyalāt.²⁵⁶ Im Folgenden werden diese klassischen Kategorien und ihre Unterschiede näher beschrieben. Dabei ist es nicht unsere Aufgabe, die Prämissen endgültig und unzweifelhaft zu bewerten, sondern vielmehr, der praktischen Analyse Hinweise zu geben und ein Werkzeug zu schaffen, mit dem die praktische Analyse sinnvoll betrieben werden kann. Dies ist insofern wichtig, als diese Kategorisierung zeigt, (i.) welche Prämissentypen im Radd herangezogen werden können, (ii.) welche Qualität den Argumenten zukommt und (iii.) wie die

²⁵⁴ Vgl. Schöck, Koranexegese 19–20. ²⁵⁵ Al-Jurjānī, Sharḥ al-Mawāqif Bd. 2, 36–48. ²⁵⁶ Nach Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 179. Al-Ghazālī listet in seinem großen Werk AlMustaṣfā min ʿilm al-uṣūl sogar sieben Kategorien auf, die sichere (yaqīn) Prämissen darstellen können: al-awwaliyyāt, al-mushāhada al-bāṭina, al-maḥsūsāt al-ẓāhira, al-tajribiyyāt, almutawātirāt, al-wahmiyyāt und al-mashhūrāt. Vgl. al-Ghazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl Bd. 1, 93–101.

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Wahrheit bzw. Gewissheit der Prämissen zu beurteilen ist. Im Folgenden sollen diese Prämissentypen daher kurz skizziert werden, so wie sie u. a. im Kalāmlexikon von Çelebi/Topaloğlu aus der Gegenwart und im Werk Gelenbevîs aus dem späten 18. Jahrhundert beschrieben werden. Für unsere Analysen bedarf es keiner historischen, sondern einer systematischen Darstellung der Termini, weshalb wir an dieser Stelle auch von Materialien aus verschiedenen Perioden Gebrauch machen können. Yaqīniyyāt: awwaliyyāt-Prämissen (bzw. badīhiyyāt oder yaqīniyyāt) Der Begriff yaqīniyyāt kann sowohl für Prämissen als auch für die Konklusion benutzt werden²⁵⁷ und wird als awwaliyyāt klassifiziert. Yaqīn bedeutet ›sichere Erkenntnis‹ und yaqīniyyāt-Prämissen sind mit Sicherheit wahre Prämissen. Wenn Ibn Sīnā in seinem Logikwerk Al-Najāt den burhān behandelt, gibt er an, dass der burhān apodiktisch ist und einen syllogistischen Schluss erzeugt, der aus sicheren und wahren Prämissen besteht, d. h. aus yaqīniyyāt.²⁵⁸ Von yaqīniyyāt wird also im Zusammenhang mit der Beweisführung des burhān gesprochen. Der Grund dafür liegt im burhān; der burhān wird als eine Beweisführung betrachtet, die apriorische Prämissen heranzieht und formal gültig ist.²⁵⁹ Somit ist er die höchste Form der Beweisführung in der islamischen Theologie.²⁶⁰ Yaqīniyyāt stellen diese apriorischen Prämissen im burhān dar. Der yaqīniyyāt wird in der relevanten islamischen Literatur oft mit dem Beispielsatz ›Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile‹ erläutert,²⁶¹ wobei dieser Satz, wie viele Konzepte der islamischen Logik und Argumentationstheorie, auf Aristoteles zurückgeht.²⁶² Al-qaḍiyya al-yaqīniyya (›die sichere Prämisse‹) ist somit mit Sicherheit wahr, und ein Argument (gemeint sind mittelalterliche Formen wie der Syllogismus) kann mit Sicherheit wahre Konklusionen generieren, wenn seine Prämissen al-qaḍiyya al-yaqīniyya sind. Die al-qaḍiyya al-yaqīniyya wird bei Gelenbevî in weitere zwei Gruppen untergeteilt: badīhiyyāt und naẓariyyāt. Badīhiyyāt garantiert im Rahmen des al-qaḍiyya al-yaqīniyya die Wahrheit der Prämissen. Es handelt sich um Axiome wie ›Das Ganze ist größer als seine

²⁵⁷ Vgl. für eine generelle Beschreibung dieses Konzeptes: Sajjadi/Esots, »Badīhiyyāt«. ²⁵⁸ Vgl. Ibn Sīnā, Al-Najāt 60–85. ²⁵⁹ Siehe hier S. 188 zu burhān. ²⁶⁰ Gardet, »Al-Burhān« 1326–1327. ²⁶¹ Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 179. ²⁶² Vgl. dazu die originale, sehr schwierige Formulierung bei Aristoteles, Metaphysik VII, 17, 1041b11–18: »Da aber das, was aus etwas in der Weise zusammengesetzt ist, daß das Ganze Eines ist nicht wie ein Haufen, sondern wie die Silbe – die Silbe aber ist nicht [nur] die Buchstaben, und b und a sind nicht dasselbe wie ›ba‹ […] (denn nach der Auflösung [einer solchen Zusammensetzung] existiert das eine nicht mehr, etwa […] die Silbe, die Buchstaben aber existieren noch […]); folglich ist die Silbe [selbst und an sich] etwas, nicht nur die Buchstaben, […] sondern noch etwas anderes [für sich] […]« (nach der Übersetzung von Szlezák).

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Teile‹. Auch das naẓariyyāt bildet wahre Aussagen, es ist zwar selbst kein Axiom, leitet sich jedoch vom badīhiyyāt ab.²⁶³ Zudem wird badīhiyyāt oft als eine Untergruppe von ḍarūriyyāt dargestellt, dabei ist ḍarūriyyāt synonym mit awwaliyyāt verstanden worden.²⁶⁴ Prämissen, welche mit den Begriffen awwaliyyāt, badīhiyyāt oder yaqīniyyāt bezeichnet werden, sollen mit Sicherheit wahr sein. Ein weiteres Beispiel für solche Prämissen ist die Aussage ›Alle Junggesellen sind ledig‹. Solche Aussagen sind analytisch (taḥlīlī ²⁶⁵), selbstevident und benötigen keine weitere Analyse.²⁶⁶ Daher ist die vorherrschende Meinung unter den Kalām-Theologen (vor allem nach al-Ghazālī) und Argumentationstheoretikern, dass diese Sätze mit großer Sicherheit als wahr zu qualifizieren sind. Allerdings tritt Ibn Taymiyya in seiner Kritik an der griechischen Logik – die nach Hallaq eine der bedeutendsten Kritiken zur Logik ist²⁶⁷ – vehement dafür, dass solche Aussagen keine endgültige Sicherheit bieten können, um damit seine Kritik an aus solchen Prämissen abgeleiteten syllogistischen Konklusionen zu untermauern. Dabei kritisiert Ibn Taymiyya die syllogistische Beweisführung an sich als nicht erkenntnisbringend; eines seiner Argumente beruft sich auf die Beobachtung, dass unter denjenigen, die syllogistische Beweisführungen anwenden, kein Konsens entstehe, sondern vielmehr Dissens (ikhtilāf ). Doch wenn die syllogistische Beweisführung mit Sicherheit zur Erkenntnis führe, dann müsste es zwischen ihnen Konsens geben, so Ibn Taymiyya.²⁶⁸ Zudem kritisiert Ibn Taymiyya an der syllogistischen Beweisführung auch, dass sie keinen Nutzen biete.²⁶⁹ Was Ibn Taymiyya hier zu übersehen scheint, ist die komplexe Beziehung zwischen der logischen Form und den Prämissen in einer syllogistischen Beweisführung. Ibn Taymiyya lehnt die Ansicht ab, dass die Syllogistik in der Lage sei, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unterscheiden – was sie liefere, sei nur eine formale Struktur, die zur Wahrheitsfindung nicht tauge.²⁷⁰ Zudem ist der Wunsch nach einer dissensfreien Wissenschaft und Theologie utopisch, und auch Ibn Taymiyya liefert keine befriedigende Alternative zur Syllogistik, welche einen solchen Konsens herbeiführen könnte.

²⁶³ Vgl. Gelenbevî, Al-burhān fī fann al-manṭiq 52–53. ²⁶⁴ Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 345. ²⁶⁵ Aussagen, die nicht selbstevident sind, werden in der islamischen Argumentationstheorie oft tarkībī genannt (vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 179). ²⁶⁶ Vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 179. ²⁶⁷ Vgl. Hallaq, »Introduction« XI. ²⁶⁸ Vgl. Ibn Taymiyya, Against the Greek Logicians 122 und vgl. hierzu auch die Bemerkung von Hallaq, dass Ibn Taymiyya den Dissens der Philosophen sehr gut kannte und diesen Dissens zur Konstruierung eines Arguments gegen die Philosophen und den Syllogismus verwendete (Hallaq, »Introduction« XLV). ²⁶⁹ Einige der syllogistischen Figuren (vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 194) kritisiert Ibn Taymiyya jedoch nicht. Vielmehr richtet sich seine Kritik gegen die Annahme, dass nur ein Syllogismus zu einem (erkenntnistheoretischen) Urteil führen könne. Für einen detaillierten Einblick in die Kritik des Ibn Taymiyya vgl. von Kügelgen, »Kritik«. ²⁷⁰ Vgl. Ibn Taymiyya, Against the Greek Logicians 136.

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Denn auch die religiösen Überlieferungen und Texte sind interpretationsbedürftig und führen keineswegs immer zu einem Konsens. Gerade der Radd zeigt, dass interpretative und koran- bzw. bibelbasierte Argumente nicht zum Konsens führen, sondern vielmehr zu alternativen Erklärungsansätzen.²⁷¹ Dass die Kritik des Ibn Taymiyya folgenlos blieb, scheint vor allem diesen Mängeln seiner Kritik geschuldet zu sein. Nach al-Fārābī können yaqīn nur in notwendigen (ḍarūrī i. S. v. ›non-inferential‹) Prämissen vorhanden sein.²⁷² Nach al-Tahānawī können yaqīniyyātPrämissen axiomatisch oder dialektisch (naẓarī) sein, d. h. sie können von sich aus wahr sein (wie etwa die Aussage ›Das Ganze ist großer als seine Teile‹) oder ihre Wahrheit ist dialektisch gut begründet.²⁷³ In seinem Radd konstruiert al-Jaʿfarī die Prämisse ›Wer Davids Sohn ist, kann nicht Gottes Sohn sein.‹²⁷⁴ Obwohl diese Prämisse eine Implikation aus Psalm 2,7–8 darstellt, ist sie eine eigenständige Prämisse. Dahinter steckt die logische Form: Wenn x Sohn des y ist, kann er nicht zugleich Sohn von z sein. Formal lässt sich diese Form wie folgt darstellen: ∀x∀y∀z[S(x, y) ∧ (y ̸= z) → ¬S(x, z)] Ausgeschrieben: ›Für alle x, y, z gilt: Wenn x Sohn (S) von y ist, und y ist nicht z, dann ist es nicht der Fall, dass x Sohn von z ist.‹ Diese Prämisse kann als awwaliyyāt eingestuft werden, dabei müssen jedoch einige Bedeutungsvoraussetzungen erfüllt werden: x und y dürfen logisch nicht zugleich Vater des x sein. Logisch zulässig wäre etwa, wenn y der Vater und z die Mutter des x wäre. Eine derartige Beziehung würde die Prämisse ungültig machen. Einer solchen Bedeutungsvoraussetzung bedarf es nicht, wenn es keine Zweifel an der Bedeutung der Prämisse gibt. Ein Beispiel für eine derartige awwaliyyāt-Prämisse im Radd ist folgende Aussage aus al-Jaʿfarīs HypostasenArgument: ›Jede Eigenschaft existiert solange wie ihr Träger‹.²⁷⁵ Diese Prämisse ist awwaliyyāt und ähnlich wie die Prämisse ›Das Ganze ist größer als seine Teile‹ ein Axiom und daher wahr (yaqīn). Dabei ist die Bedeutung klar hinreichend und es bedarf keine weitere Erklärung. Nach al-Ghazālī sind awwaliyyāt primäre Erkenntnisse, die zwar angestrebt werden, aber im Grunde unerforschbar sind. Al-Ghazālī bezeichnet diese Art von Erkenntnissen als nūr (›Licht‹), das Gott dem Menschen in seine ›Brust‹ eingebe. Über diese Art von Erkenntnis sagt al-Ghazālī zwar, dass diese nicht durch Beweise, sondern u. a. durch dieses Licht hervortreten kann, meint damit aber letztlich, dass awwaliyyāt-Prämissen an sich evidente Aussagen sind, die

²⁷¹ Zur interpretativen und hermeneutischen Argumentation vgl. hier Abschnitt 10.2. ²⁷² Vgl. Durusoy, »Yakīniyyât« 273–274. ²⁷³ Vgl. Durusoy, »Yakīniyyât« 273–274. ²⁷⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 50–55. Eine alternative Deutung dieses Arguments wäre: ›Wer Davids Sohn ist und somit menschlich, kann nicht Gottes Sohn, also göttlich sein‹. ²⁷⁵ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.4, S. 346.

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eben keiner Beweisführung bedürfen.²⁷⁶ Die Rede vom ›Licht‹ als Quelle der Erkenntnis evidenter Aussagen ist somit keinesfalls als eine Ablehnung der argumentativen Beweisführung zu verstehen. Allgemein kann festgehalten werden, dass starke Argumente des al-Jaʿfarī sich solcher awwaliyyāt-Prämissen bedienen. Doch oft ist es schwierig, solche Prämissen zu konstruieren, weshalb sich auch ihre Anwendung bei al-Jaʿfarī in Grenzen hält. Mashhūrāt-Prämissen (allgemein bekannte/anerkannte Prämissen) Mashhūrāt-Prämissen sind Aussagen, die nicht sicher (yaqīn) sind, aber so verbreitet, dass sie von der Mehrheit der Menschen als wahr akzeptiert werden. Aussagen wie ›Die Gerechtigkeit ist gut‹ sind keine apriorischen (awwaliyyāt) Aussagen, wie es etwa der Satz ›Das Ganze ist größer als seine Teile‹ ist; sondern es bedarf einer gewissen Traditionsbildung, bis diese Prämisse bei der Mehrheit der Menschen als wahr gelten kann.²⁷⁷ Ein apriorischer Satz hingegen bedarf keines derartigen Prozesses. Da die mashhūrāt-Prämissen somit sozial konstituiert sind, können sie keine absolut sicheren Aussagen bilden. Eine solche Aussage kann auch rein zufällig wahr sein (sie ist kontingent); wenn weitere Faktoren wie Erfahrung einfließen, kann eine solche Aussage wahrheitsähnlich werden, aber niemals kann eine solche Aussage per se als wahr eingestuft werden. Werden solche Aussagen ohne weitere Hinweise im Radd aufgestellt, darf das Argument, auch wenn es formal gültig ist, nicht als schlüssig angesehen werden.²⁷⁸ Es könnte im günstigsten Fall wahrheitsähnlich sein, wenn gute Gründe für die Wahrheit der Aussage vorliegen. Ein Beispiel für eine solche Prämisse kommt im mushāhada-Argument al-Jaʿfarīs vor: »Denn keiner der Anhänger des Messias war anwesend, außer schwachen Frauen, und von den Juden war keiner anwesend außer einer kleinen Gruppe.«²⁷⁹ Mit der Annahme, dass nur Frauen am Kreuz Jesu waren, scheint al-Jaʿfarī eine mashhūrāt-Prämisse konstruieren zu wollen: Er stellt den Inhalt dieser Prämisse als allgemein bekannt bzw. anerkannt dar. Dabei verweisen die Evangelien noch auf weitere anwesende Personen.²⁸⁰ Diese werden im Radd des al-Jaʿfarī nicht thematisiert. Er versucht auch nicht, diese Prämisse weiter zu belegen. Womöglich nimmt er die Wahrheit dieser Prämisse an und täuscht sich, indem er sich dieser mashhūrāt bedient. Oft sind Prämissen nicht nur einem Prämissentyp zuzuordnen. Eine Differenzierung setzt deshalb eine gute Definition und Unterscheidung der Typen voraus. Wenn für die obige Prämisse die Zuordnung zu einer ẓanniyyāt-Prämisse gefordert würde, weil al-Jaʿfarī die Wahrheit der Prämisse ›vermutet‹, würde

²⁷⁶ Al-Ghazālī, Der Erretter aus dem Irrtum 10–11. ²⁷⁷ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 214. ²⁷⁸ Zur Unterscheidung von ›gültig‹ und ›schlüssig‹ siehe hier S. 121 Anmerkung 240. ²⁷⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 163. ²⁸⁰ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.10, S. 390.

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dagegen sprechen, dass der Unterschied zwischen mashhūrāt und ẓanniyyāt darin besteht, dass der Argumentierende bei der Anwendung der mashhūrātPrämisse annimmt, dass diese Prämisse wahr ist, ohne selbst zu erkennen, dass er in eine Falle tappt. Dagegen ist die Annahme bei der Anwendung einer ẓanniyyāt-Prämisse eindeutig: Der Argumentierende weiß, dass die Prämisse nur eine Vermutung ist, baut aber sein Argument trotzdem auf diese Prämisse auf, etwa weil er keine bessere Prämisse konstruieren kann. Im Beispiel der obigen Prämisse geht al-Jaʿfarī vermutlich tatsächlich davon aus, dass wirklich nur einige Frauen anwesend waren; daher ist sie nicht als ẓanniyyāt einzustufen, sondern als mashhūrāt. An diesem Beispiel wird deutlich, was wir bereits vermutet hatten, nämlich dass die Zuordnung konkreter Prämissen zu einem der klassischen Prämissentypen interpretationsabhängig ist. Ẓanniyyāt-Prämissen Ẓanniyyāt-Prämissen (al-qaḍiyya al-ẓanniyya, ›Prämissen, die auf Vermutungen beruhen‹) sind Prämissen, die auf Vermutungen beruhen, deren Gegenteil jedoch ebenfalls wahrscheinlich ist.²⁸¹ Es ist ein Sammelbegriff für alle Prämissen, die auf Vermutung beruhen und bei denen kein zwingender Hinweis auf die Wahrheit oder Unwahrheit der Prämissen vorliegt. Eine solche Prämisse kann zwar zufällig wahr sein, jedoch auch falsch. Dies bedeutet, dass auch die Negation einer solchen Prämisse zumindest möglich ist – wenn sie nicht möglich wäre, würden wir von wahrer Erkenntnis (ʿilm) reden, so al-Ījī. Trotzdem sind ẓanniyyāt in der Theologie ein wichtiger Prämissentyp, weil es – wie etwa al-Ījī angibt – unter bestimmten Bedingungen gute Gründe gibt, sich an diese Prämisse zu halten, etwa wenn Hinweise vorliegen, welche die Vermutung stützen, sodass die Vermutung schwerer wiegt als eine ungestützte und unbegründete Vermutung (al-wahm). Befinden sich dagegen eine Vermutung und ihre Negation in einem Gleichgewicht gleichstarker Hinweise, so bezeichnet al-Ījī dies als unbegründete Vermutung bzw. als eine mit Zweifel verbundene Vermutung (al-shākk).²⁸² Ẓanniyyāt-Prämissen können also durch weitere Prämissen gestützt werden. Folgendes wäre ein Beispiel für ein al-qaḍiyya al-ẓanniyya: Wenn man das Pferd eines Freundes vor seinem Haus sieht und daraus schließt, er sei zu Hause. Diese Aussage beruht auf einer Vermutung. Wenn jedoch auch die Stimme des Freundes aus dem Haus zu hören ist, wird diese Vermutung bestärkt. Trotzdem kann die Wahrheit dieser Prämisse nicht garantiert werden.²⁸³ Auch wenn ẓanniyyāt-Prämissen also durchaus wahr sein können, so sind doch sie ein Indiz für schwache Argumente, da in der praktischen Argumentationsanalyse oft nur unzureichende Hinweise für die wahrscheinliche Wahrheit

²⁸¹ Vgl. für eine generelle Beschreibung Badawi/Abdel Haleem, »ẓ–n–n«. ²⁸² Vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 14. ²⁸³ Nach Gelenbevî, Al-burhān fī fann al-manṭiq 50–53.

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vorgelegt werden können. Einige solche Prämissen werden jedoch von weiteren Prämissen gestützt. In seinem Radd konstruiert al-Jaʿfarī im Jesus-hungertArgument eine solche Prämisse, die man als ›Kein Gott kann Hunger haben‹ formulieren kann.²⁸⁴ Diese Prämisse kann zunächst nicht mehr sein als eine Vermutung. Doch mit weiteren Hinweisen, wie etwa durch eine Definition des Subjekts ›Gott‹, die besagt, dass es ein Wesen ist, das nicht hungern kann, wird diese vermutete Prämisse untermauert und unter Voraussetzung dieser Definition als wahrscheinlich wahr bewertet (ghalabat ẓann). Ein ẓanniyyāt kann vom Interpreten analysiert und bewertet werden. Kommt er zum Schluss, dass die Prämisse epistemologisch gesehen als bloße Vermutung einzustufen ist, dann kann diese Prämisse nicht für wahr gehalten werden. Somit wäre das Argument, das auf einer solchen ẓanniyyāt-Prämisse beruht, nicht schlüssig. Wenn jedoch gute Gründe dafür vorliegen, dass eine ẓanniyyātPrämisse wahr sein könnte, ohne dass man die Wahrheit gänzlich belegen kann, kann von einer wahrheitsähnlichen Prämisse und somit – wenn die Form der Argumentation gültig ist – von einem wahrheitsähnlichen Argument gesprochen werden.²⁸⁵ Dennoch ist diese Prämisse nicht so stark wie ein awwaliyyāt. Oft wurden ẓanniyyāt-Prämissen konstruiert, weil der Argumentierende keine andere Möglichkeit sah, um sein Argument zu stützen.²⁸⁶ Musallamāt-Prämissen Musallamāt-Prämissen (›anerkannte Prämissen‹) sind zum einen Aussagen, die der Argumentierende während einer Disputation bzw. Argumentation verwendet und die vom Opponenten als wahr akzeptiert werden,²⁸⁷ weil sie etwa zu den theologischen Grundannahmen gehören. Dabei muss kein Hinweis auf die tatsächliche Wahrheit vorliegen. Somit ist dies ein Sammelbegriff für alle Prämissen, welche die Akzeptabilitätskriterien erfüllen. Musallamāt-Prämissen bilden eine Untergruppe der ẓanniyyāt-Prämissen, also jener Prämissen, die auf Vermutungen beruhen. Wenn etwa ein muslimischer Polemiker dem christlichen Opponenten die Aussage ›Eine Himmelfahrt ist möglich‹ in Bezug auf Muḥammad glaubhaft machen möchte, dann kann er die Aussage ›Jesus unternahm eine Himmelfahrt‹ als Beleg für die Möglichkeit einer Himmelfahrt heranziehen. Wenn nun der Opponent die Möglichkeit einer Himmelfahrt akzeptiert – denn er möchte natürlich seiner eigenen Proposition

²⁸⁴ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 98, und dazu hier Abschnitt 9.5. ²⁸⁵ Zum Begriff des Wahrheitsähnlichen vgl. Lumer, »Überreden« 18. ²⁸⁶ Anders als im Kalām oder im Radd als einem Genre des Kalāms gilt die Vermutung (ẓann) in der Rechtsmethodik als eine wesentliche Quelle, um Rechtsnormen zu begründen. Denn obwohl der ẓann nur eine Vermutung darstellt, ist eine begründete Vermutung doch besser als gar kein Hinweis auf den göttlichen Willen; daher kann der ẓann zur Beantwortung einer Rechtsfrage herangezogen werden, wenn etwa im Koran keine eindeutigen Antworten vorliegen, was in den allermeisten Fällen zutrifft (vgl. al-Ījī, Sharḥ mukhtaṣar 374). ²⁸⁷ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 237.

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nicht widersprechen –, dann bezeichnet man diese Aussage als musallamāt-Prämisse.²⁸⁸ Eine derartige Prämisse kann zufällig (kontingent) wahr sein. Jedoch ist auch diese Prämisse keinesfalls per se sicher und wahr. Wenn der Opponent sie allerdings als wahr einstuft, ist die Akzeptabilität beim Opponenten gegeben, zumindest ihn kann ein schlüssiges Argument mit dieser musallamāt-Prämisse zur Erkenntnis anleiten. Maqbūlāt-Prämissen Maqbūlāt-Prämissen²⁸⁹ sind Aussagen, deren Wahrheit durch die Autorität ihres Urhebers belegt wird. Somit gehen maqbūlāt-Prämissen letztlich in Autoritätsargumenten auf. Es sind Aussagen von Gelehrten und Autoritäten, deren Meinung oft für wahr gehalten wird.²⁹⁰ Diese Art von Prämissen ist nicht per se wahr, sie können aber durchaus begründet und wahr sein. Es bedarf daher stets einer Analyse und Untersuchung dieser Prämissen. Oft sind solche Aussagen komplex, weil sie häufig aus einer vorangehenden Untersuchung der Autoritätsperson hervorgegangen sind. Diese Prämissen gehören zu einer Untergruppe der ẓanniyyāt-Prämissen,²⁹¹ sie sind also Prämissen, die wahr sein können, aber nicht müssen, denn oft vermutet (ẓann) der Argumentierende nur, dass die Autorität die Wahrheit wiedergibt. Dazu zählen im Radd u. a. die koranischen Hinweise für ein Argument bzw. eine These, weil die These letztlich eine von vielen möglichen Interpretationen bildet. Eine maqbūlāt-Prämisse könnte mit mashhūrāt verwechselt werden, der Unterschied liegt jedoch darin, dass sich maqbūlāt-Prämissen – anders als mashhūrāt-Prämissen – auf Autorität stützen. Mukhayyalāt-Prämissen Mukhayyalāt-Prämissen sind psychologische Aussagen, die, unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sind, beim Menschen Freude oder Abscheu verursachen.²⁹² Diese Aussagen sind grundsätzlich Einbildungen und gehören zu einer Untergruppe der ẓanniyyāt-Prämissen.²⁹³ Zu diesen Prämissen zählen z. B. Aussagen, die den Christen Irrationalität vorwerfen, was beispielsweise bei al-Ghazālī oder al-Jaʿfarī vorkommt.²⁹⁴

²⁸⁸ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 344. ²⁸⁹ Maqbūl ist ein Terminus der Hadithwissenschaft und bedeutet, dass die Überlieferung ṣaḥīḥ (›korrekt‹) oder ḥasan (›gut‹) ist. Vgl. hierzu Bearman u. a., »Glossary« 371, Art. »Maḳbūl«. ²⁹⁰ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 203 und 344. ²⁹¹ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 344. ²⁹² Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 224. ²⁹³ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 344. ²⁹⁴ Vgl. al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, Übersetzung von Wilms 74; vgl. auch al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 200.

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Ibn Sīnā gibt an, dass die meisten Menschen nicht auf Grundlage von logisch untermauerten Prämissen handeln, sondern nach mukhayyalāt-Prämissen, die aus ihren Einbildungen (takhayyul) hervorgehen.²⁹⁵ Diese Prämissen sind nicht per se wahr, sie können jedoch per Zufall (kontingent) wahr sein. Eine andere Einteilung der Prämissen findet sich bei Gelenbevî. Gelenbevî unterteilt die Prämissen zunächst in vier Kategorien. Diese sind al-qaḍiyya al-yaqīniyya, al-qaḍiyya al-taqlīdiyya, al-qaḍiyya al-ẓanniyya und al-qaḍiyya al-jāhiliyya. Gelenbevî definiert al-qaḍiyya al-yaqīniyya und al-qaḍiyya alẓanniyya wie schon oben nach Çelebi/Topaloğlu dargestellt. Al-qaḍiyya altaqlīdiyya und al-qaḍiyya al-jāhiliyya werden von ihm wie folgt beschrieben: Taqlīdiyyāt-Prämissen (›epigonale Prämissen‹) Taqlīd bezeichnet die Nachahmung der Meinung eines Gelehrten oder einer Autorität, ohne dabei eine eigene Meinung zu konstruieren oder die Notwendigkeit zu spüren, diese Meinung zu evaluieren, weil man (i) diesem Gelehrten folgt oder (ii) selbst nicht in der Lage ist, eine Meinung aufzustellen. Das Thema des taqlīd wird oft in der islamischen Rechtswissenschaft behandelt. Demnach werden die Menschen in zwei Kategorien eingeteilt: Einerseits gibt es diejenigen Menschen, die gelehrt sind und die intellektuelle Fähigkeit haben, eine eigene Meinung zu einer bestimmten Angelegenheit zu entwickeln, andererseits die üblichen Menschen, die diese Fähigkeit zur fundierten Meinungsbildung zu einem bestimmten Thema nicht haben.²⁹⁶ Taqlīdiyyāt-Prämissen basieren auf Meinungen anderer Gelehrter, etwa wenn der Argumentierende sich auf die Meinung anderer Gelehrter beruft und daraus ein Argument konstruiert. Um solche Prämissen bewerten zu können, müssen die Belege des herangezogenen Gelehrten zu seiner Meinung bzw. These berücksichtigt werden. Idealerweise müsste dies direkt von dem Argumentierenden selbst erledigt werden. Ist dies nicht der Fall, ist es die Aufgabe des Interpreten, diese Belege zu berücksichtigen. Jedoch darf durchaus angenommen werden, dass diese Art des Argumentierens problematisch ist. Gelenbevî etwa gibt an, dass ein Argumentierender, wenn er lediglich Meinungen anderer angibt, eigentlich keine These vertritt und deshalb sein Argument unzulässig für die Disputation ist.²⁹⁷ Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob der Argumentierende durch die Heranziehung einer taqlīdiyyāt-Prämisse (i) selbst eine These begründet oder (ii) nur die These eines anderen wiedergibt, ohne dabei selbst aktiv zu werden. Im letzteren Falle wäre in der Tat der Argumentierende nur ein Vermittler und würde keine eigene These begründen.

²⁹⁵ Vgl. Ibn Sīnā, Al-Burhān, hg. von Abdurraḥmān Badawī 16–17. ²⁹⁶ Vgl. Kaya, »Taklid«. ²⁹⁷ Vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 193–194.

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Dies sind Prämissen, die den Anspruch erheben, wahr zu sein, indem sie ihre Aussagen durch Nachahmung anderer bilden – ganz ähnlich wie die maqbūlātPrämissen. Dabei geht man davon aus, dass die Meinungen bestimmter Personen den Wert von Aussagen einer Autorität haben. Diese Prämissen kommen immer dann vor, wenn muslimische Gelehrte andere Gelehrte für ihre Argumente heranziehen. Diese Prämisse kann jedoch keine Gewissheit über ihren Wahrheitswert gewährleisten.²⁹⁸ In Kalām-Argumentationen können durchaus taqlīdiyyāt-Prämissen vorkommen. Im Radd des al-Jaʿfarī wurde jedoch kein Hinweis darauf gefunden, dass al-Jaʿfarī ein Argument durch taqlīdiyyāt-Prämissen konstruiert.²⁹⁹ Deshalb wird an dieser Stelle nicht weiter auf diese Prämissenart eingegangen. Jāhiliyyāt-Prämissen (›Prämissen der Unwissenheit‹) Jāhiliyyāt-Prämissen sind unwahre Prämissen, die auf Unwissenheit beruhen. Sie sind nicht wahr und führen zu Argumenten, die nicht schlüssig sind. Aussagen wie ›Die Welt ist eine Scheibe‹ beruhten auf Unwissenheit und sind falsch, auch wenn sie eine Zeit lang für wahr gehalten wurden. Solche Aussagen können jedoch in sich auch Wahrheiten bergen, die unwissentlich aufgestellt wurden.³⁰⁰ Im Radd können alle Prämissen, die unwahr sind, als jāhiliyyāt-Prämissen eingestuft werden, unabhängig davon, ob der Argumentierende bewusst eine unwahre Prämisse aufstellt, um den Opponenten (rhetorisch) zu überreden, oder ob der Argumentierende in gutem Glauben von der Wahrheit dieser Prämisse ausging. Neben den bereits genannten Prämissentypen sind noch folgende traditionelle Begriffe und Einteilungen für Prämissen besonders wichtig: Naql-Prämissen Die naql-Prämissen sind Aussagen, die auf einer Offenbarung beruhen. Eine naql-Prämisse zu bewerten, ist insofern nicht einfach, als zwar theologische Argumente oft auf solchen Prämissen aufbauen, aber außer dem Glauben, dass Gott sich darin offenbarte und somit der Inhalt wahr ist, da Gott keine Unwahrheiten offenbart, meist wenig Indizien für die Wahrheit dieser Prämissen vorliegen. Es gibt zunächst zwei mögliche Bewertungskonstellationen: (i) Eine Prämisse basiert auf eine Offenbarung und diese widerspricht der Vernunft (ʿaql) nicht, oder: (ii) Eine Prämisse basiert auf eine Offenbarung und diese widerspricht der Vernunft (ʿaql).

²⁹⁸ Nach Gelenbevî, Al-burhān fī fann al-manṭiq 50–53. ²⁹⁹ Denn man darf annehmen, dass al-Jaʿfarī sehr wohl wusste, dass damit die Bedingung der Adäquatheit beim Opponenten nicht erfüllt ist. ³⁰⁰ Nach Gelenbevî, Al-burhān fī fann al-manṭiq 50–51.

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Die erste Möglichkeit (i) ist weniger problematisch, denn auch wenn eine solche Prämisse nicht per se für wahr gehalten werden kann, besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass sie wahr sein kann. Zudem kann sie auch unabhängig von ihrer Besonderheit, eine auf Offenbarung beruhende Aussage zu sein, als normale Prämisse betrachtet und beurteilt werden, weil eben auch die Vernunft die Aussage stützen kann. Wenn zudem eine Akzeptabilität für den Argumentierenden und den Opponenten besteht, kann eine solche Prämisse durchaus als für die Anleitung zur Erkenntnis positiv bewertet werden, zumindest als wahrheitsähnlich oder unproblematisch. Wenn allerdings die zweite Möglichkeit (ii) vorliegt, muss die genaue Beziehung zwischen naql und ʿaql geklärt werden; wie diese Beziehung aussieht, ist eine Kernfrage der theologischen Erkenntnislehre. Ein Autor, der sich zu diesem Thema geäußert und ebenfalls eine Apologie zum Christentum verfasst hat, ist Fakhr al-Dīn al-Rāzī. Er geht – anders als al-Kindī und al-Fārābī, welche die Erkenntnislehre im Rahmen ihrer Kommentare zu Aristoteles behandelten – davon aus, dass der Mensch allein mit seinem ihm von Gott gegebenen Intellekt Erkenntnis gewinnen kann.³⁰¹ Jedoch erkennt al-Rāzī auch an, dass Vernunft und Offenbarung in Konflikt zueinander geraten können, und entwickelt folgende argumentative Fallunterscheidung (al-sabr wa-l-taqsīm): i. Sich widersprechende Vernunft- und Offenbarungsinhalte können unmöglich beide wahr sein.³⁰² Ein Beispiel: Jemand kann nicht den Vernunftinhalt für wahr halten, dass Gott transzendent ist, und gleichzeitig den Offenbarungsinhalt für wahr halten, dass Gott auf einem Thron sitzt.³⁰³ ii. Entweder der Vernunftinhalt oder der Offenbarungsinhalt ist wahr, d. h., es ist unmöglich, dass beide gleichzeitig falsch sind.³⁰⁴ Auf das Beispiel bezogen: Es ist unmöglich, beide Inhalte gleichzeitig als falsch zu deklarieren (dass Gott weder transzendent ist noch auf einem Thron sitzt). iii. Der Offenbarungsinhalt ist wahr und der Vernunftinhalt ist falsch. Das ist unmöglich, denn die Offenbarung kann der Vernunft nicht widersprechen. Fakhr al-Dīn al-Rāzī zieht aus dieser Unterscheidung folgenden Schluss: Wenn der Offenbarungsinhalt dem Vernunftinhalt widerspricht, dann ist stets die Vernunft für die Interpretation der Offenbarung heranzuziehen. Wenn die Offenbarung davon spricht, dass Gott auf einem Thron sitzt,³⁰⁵ und die Vernunft uns zu dem Schluss bringt, dass Gott transzendent sein muss, also keinen Raum einnehmen kann, dann muss diese Offenbarungsstelle als mutashābihāt eingestuft werden und metaphorisch umgedeutet werden.³⁰⁶

³⁰¹ Vgl. Rudolph, Islamische Philosophie 25. ³⁰² In der Terminologie der Syllogistik: Die beiden Inhalte sind also konträr zueinander. ³⁰³ Vgl. Koran 9:129, 39:75, 69:17. ³⁰⁴ In der Terminologie der Syllogistik: Die beiden Inhalte sind also subkonträr zueinander. ³⁰⁵ Vgl. Koran 9:129, 39:75, 69:17. ³⁰⁶ Vgl. Fakhr al-Dīn al-Rāzī, Taʾsīs al-Taqdīs (ediert unter dem Titel Asās al-Taqdīs) 172.

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Der entscheidende Punkt ist, dass die rationale Erkenntnis sich hier mit einer alternativen Erkenntnisquelle messen muss, nämlich mit der Offenbarung. Dennoch sah al-Rāzī keine Konkurrenzsituation zwischen der Vernunft und der Offenbarung: Die Offenbarung darf ihm zufolge nicht im Widerspruch zur Vernunft stehen. Mit Offenbarung ist die göttliche Offenbarung gemeint, die nur den Propheten durch Gott geoffenbart wird. Wer kein Prophet ist, kann keine Offenbarung erhalten und all diejenigen, die das behaupten und damit angebliche Erkenntnisse legitimieren möchten, sind gemäß al-Rāzī »Betrüger«.³⁰⁷ Mushāhadāt-Prämissen (›Aussagen durch die Sinne‹): ḥissiyyāt und wijdāniyyāt Mushāhadāt gehört zu den ḍarūriyyāt-Prämissen. Mushāhadāt hat zwei Perspektiven, das ḥissiyyāt und das wijdāniyyāt. Als ḥissiyyāt werden Erkenntnisse bezeichnet, die durch äußere Sinne wahrgenommen werden, wie etwa die Aussage ›Das Feuer ist heiß‹. Wijdāniyyāt sind Erkenntnisse, die durch die inneren Sinne wahrgenommen werden und intuitv sind,³⁰⁸ wie etwa die Aussage ›Ich habe Hunger‹.³⁰⁹ Dass der mushāhadāt ein Teil des ḍarūriyyāt ist, heißt nicht, dass die Erkenntnis, die dadurch gewonnen wird, notwendigerweise wahr ist, sondern lediglich, dass sie kein Ergebnis rationaler Schlussfolgerung ist und ohne Vermittler zustande kommt.³¹⁰ Mushāhadāt-Prämissen können wahr oder falsch sein, denn das erkennende Subjekt kann durch die Sinne das zu erkennende Objekt nicht zweifelsfrei erkennen, sondern durch Sinnestäuschungen irregeführt werden. MushāhadātPrämissen müssen daher vom Interpreten bewertet werden. Ein Argument, das auf mushāhadāt-Prämissen aufbaut, kann dennoch stark sein; dies hängt davon ab, wie man eine konkrete mushāhadāt-Prämisse bewertet. Das Argument ›Das Feuer ist heiß; alles, was heiß ist, verbrennt die Haut; also verbrennt Feuer die Haut‹ ist ein Argument, das auf mushāhadāt-Prämissen aufbaut und kein rationaler Mensch würde dieses Argument wirklich in Zweifel ziehen. Anders sieht das z. B. mit folgendem Argument aus: ›Ich kann die Wolken zwischen meinen Fingern sehen, also sind sie so groß wie der Abstand zwischen meinen Fingern‹. Dieses Argument beruht auf einer Sinnestäuschung und kein vernünftiger Mensch würde dieses Argument für wahr halten. Daher lässt sich für die Bewertung solcher Prämissen ein Kriterium festlegen: Wenn einer mushāhadātPrämisse Sinnestäuschungen zugrunde liegen, begründet sie keine schlüssige Folgerung. Ansonsten müssen weitere Bewertungen vorgenommen und vom Interpreten beurteilt werden. Letztlich kann ein Argument mit mushāhadātPrämissen nie die Schlüssigkeit eines Arguments garantieren; dennoch können Argumente mit mushāhadāt-Prämissen stark und gültig sein.

³⁰⁷ Vgl. Rudolph, Islamische Philosophie 26–27. ³⁰⁸ Vgl. hierzu auch: Sajjadi/Esots, »Badīhiyyāt«. ³⁰⁹ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 345. ³¹⁰ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 44–45 und 345–346.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Tajribiyyāt-Prämissen Tajribiyyāt-Prämissen sind Aussagen, die sich aus Erfahrungen ableiten. Sie können daher wahr oder falsch sein. Es ist Aufgabe des Interpreten, solche Aussagen zu evaluieren und ihren Wahrheitswert zu bestimmen. Ihm steht dabei eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung. Wenn die Beurteilung positiv ausfällt, kann die Prämisse als wahr eingestuft werden. Dennoch sind die tajribiyyāt-Prämissen keine Axiome und stets offen für Skepsis. Diese Prämissen sind oftmals induktiv begründet. Ḥadsiyyāt-Prämissen Ḥadsiyyāt-Prämissen sind ein Teil der ḍarūriyyāt und bilden Erkenntnisse, die durch Schlussfolgerungen aus einfachen Beobachtungen entstehen,³¹¹ wenn man etwa eine Uhr sieht und die Aussage trifft, dass jemand diese Uhr gebaut haben muss. Diese Erkenntnis ist intuitiv. Hacınebioğlu identifiziert ḥadsiyyāt mit dem ›Scharfsinn‹ im Sinne des Aristoteles.³¹² Diese Art von Aussagen können wahr sein oder falsch. Der Interpret muss beurteilen, wie die Beobachtung mit dem Schluss harmoniert. Wenn gute Gründe für den Schluss vorliegen, kann die Aussage als wahr bzw. wahrheitsähnlich bewertet werden, ansonsten muss die Aussage in Zweifel gezogen werden. Maḥsūsāt-Prämissen Maḥsūs sind Gegenstände, die mit den Sinnen erfahren werden können.³¹³ Prämissen, die solche Erfahrungen wiedergeben, sind maḥsūsāt-Prämissen. Wenn jemand sagt, dass das Wasser warm ist, dann ist diese Aussage eine maḥsūsāt-Prämisse. Solche Aussagen können genau wie tajribiyyāt-Prämissen wahr oder falsch sein. Der Interpret hat auch hier die Aufgabe, solche Prämissen zu evaluieren und ihren Wahrheitswert zu bestimmen. Wenn diese Bestimmung positiv ausfällt, kann die Prämisse als wahr eingestuft werden. Dennoch bilden die maḥsūsāt-Prämissen keine Axiome und lassen stets Raum für Zweifel. Khabar al-wāḥid-Prämissen Khabar al-wāḥid sind Überlieferungen, die auf eine einzige Autorität bzw. einen einzigen Überlieferer zurückgeführt werden können, d. h. es gibt nur einen oder wenige Überlieferer in der Überlieferungskette (isnād).³¹⁴ Sie sind

³¹¹ Vgl. Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 345–346. ³¹² Vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 178. Aristoteles beschreibt den Scharfsinn (anchínoia) als Fähigkeit, intuitiv die Ursachen bzw. ›Mittelbegriffe‹ zu erkennen, z. B. aus dem Umstand, dass der Mond seine helle Seite stets der Sonne zuwende, zu erkennen, dass der Mond nur das Licht der Sonne reflektiert (Aristoteles, Analytica posteriora I, 34, 89b10–20). ³¹³ Vgl. Kutluer, »Mahsûs« 392–393; vgl. auch Mattock, »Maḥsūsāt«. ³¹⁴ Für al-Māturīdī sind Überlieferungen khabar al-wāḥid, wenn sie von weniger als sieben oder acht Personen überliefert wurden. Diese Bedingung stammt bemerkenswerterweise

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keine vielfach überlieferten Nachrichten (mutawātir) und sind daher als schwache Überlieferungen anzusehen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie falsch überliefert worden sein könnten, hoch ist und keine Kontrollmöglichkeit durch weitere Überlieferungen besteht. Sie sind, wenn sie als Prämissen in Argumente eingefügt werden, wie mashhūrāt-Prämissen zu klassifizieren. Sie beruhen auf Vermutungen und können eine bestimmte Verbreitung erfahren haben, sodass sie oft ohne Beachtung ihres epistemischen Wertes akzeptiert werden. Al-Māturīdī betrachtet khabar al-wāḥid jedoch als ungeeignet für Glaubensfragen, weil sie nicht sicher überliefert worden sind. Nur unter bestimmten Bedingungen, etwa wenn sie dem Koran und der Vernunft nicht widersprechen, können sie herangezogen werden, allerdings nicht für Fragen der Glaubenslehre.³¹⁵ ʿAbd al-Jabbār betrachtet das khabar al-wāḥid ebenfalls als ungeeignet, um damit Erkenntnis begründen zu können. Er sieht es als ungeeignet zur Konstruktion von Prämissen für Beweisführungen in Glaubensangelegenheiten, denn in ihm sei die Gefahr des ẓann, d. h. der Vermutung und Ungewissheit enthalten.³¹⁶ Diese Skepsis gegenüber dem ẓann liegt im Koran begründet, in dem es heißt: »Aber sie haben kein Wissen (ʿilm) darüber. Sie gehen nur Vermutungen (ẓann) nach, und Vermutungen helfen hinsichtlich der Wahrheit (ḥaqq) nichts.«³¹⁷

Damit werden Vermutungen hinsichtlich ihrer epistemischen Wertes abgewertet, und diese Abwertung des ẓann betrifft auch das khabar al-wāḥid. Diese Stelle wird jedoch normalerweise auf theologische Glaubensfragen bezogen. Islamische Rechtswissenschaftler haben sich daher die Freiheit genommen, in Rechtsfragen von khabar al-wāḥid Gebrauch zu machen, wenn für einen Sachverhalt keine sichereren Quellen vorliegen; sie ziehen es oft heran, um damit Rechtssprechungen und religiöse-praktische Handlungsmöglichkeiten zu begründen.³¹⁸ Nach dem Prinzip, dass das khabar al-wāḥid keine zuverlässige Prämisse für eine Beweisführung sein kann, geht auch al-Jaʿfarī vor, wenn er (i) die Bibel schon alleine wegen ihrer Überlieferungsgeschichte kritisiert und als Quelle der theologischen Erkenntnis ablehnt und (ii) Bibelzitate, die dem Koran und selbst aus einem Schluss aus der Interpretation der Kreuzigung Jesu und der Zahl der Anwesenden in diesem Moment. Al-Māturīdī zählte sechs Anwesende und lehnte ab, dass die christliche Beschreibung der Kreuzigung mutawātir ist. So bestimmte er mindestens sieben Überlieferer als eine Bedingung für mutawātir (vgl. al-Māturīdī, Taʾwīlāt fol. 133b). Vgl. hierzu auch Qadri, Jurisprudence 195. Qadri gibt an, dass das khabar al-wāḥid im besten Fall bestimmte individuelle Handlungen begründen kann, jedoch keine theologischen Glaubenssätze. Allgemein zum Konzept vgl. auch Juynboll, »K̲h̲abar al-Wāḥid« 896. ³¹⁵ Al-Māturīdī, Kitāb al-tawḥīd 12. ³¹⁶ ʿAbd al-Jabbār, Al-Mughnī fī abwāb al-tawḥīd wa-l-ʿadl Bd. 15, 392–400. ³¹⁷ Koran 53:28, Übersetzung Rudi Paret, arabische Transkription ergänzt durch den Verfasser. ³¹⁸ Vgl. bezüglich der Anwendung des khabar al-wāḥid im islamischen Strafrecht Türcan, »Haber-i Vâhidlerin«.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

der islamischen Lesart der Theologie widersprechen, schon wegen der von ihm behaupteten Schwäche ihrer Überlieferung nicht akzeptiert. Nun ist diese Herangehensweise eine Möglichkeit, wie man generell Prämissen, die auf Überlieferung beruhen und deren Überlieferung eher schwach ist, bewerten kann. Es ist eine rationale Lesart der theologischen Quellen. Im Widerspruch dazu oder zumindest inkonsequent handelt al-Jaʿfarī jedoch, wenn er einerseits die Bibel als Quelle nicht akzeptiert, aber andererseits Zitate aus der Bibel heranzieht, um seine Thesen zu begründen. Dahinter steht ein anderes Prinzip, und zwar, dass die Bibel – obwohl aus al-Jaʿfarīs Sicht schwach überliefert und entstellt – dennoch Spuren authentischer Offenbarung enthalten kann. Eine Methode zur Auffindung solcher Spuren ist, Bibelstellen mit dem Koran und der Vernunft zu vergleichen. Liegt kein Widerspruch vor, so ist es möglich, dass diese Bibelstellen aus islamischer Perspektive aus wahrer Offenbarung stammen. Dabei muss al-Jaʿfarī keinen expliziten Vergleich mit dem Koran anstellen, sondern für den Interpreten ist implizit klar, dass al-Jaʿfarī, wenn er ein Bibelzitat als Beleg für seine These heranzieht, dann in diesem Zitat oder in einer möglichen Interpretation dieses Zitates eine mögliche wahre Offenbarung sieht; sonst würde al-Jaʿfarī gemäß diesem Prinzip in einen Widerspruch zu sich selbst geraten. Mutawātirāt-Prämissen Mutawātirāt-Prämissen sind Aussagen, deren Wahrheit als durch Akkumulation des Wissensinhalts ohne zeitliche Störungen, oft durch Überlieferung, garantiert betrachtet wird.³¹⁹ Angenommen, dass x (Anzahl von) Menschen ein Ereignis überliefern, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis wirklich so stattgefunden hat, mit dem Zuwachs der Menge x. Mutawātirāt-Prämissen werden als wahr akzeptiert, jedoch nicht weil sie Axiome sind, sondern weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie wahr sind, durch die hohe Anzahl der Überliefernden groß ist. Zentral war vielmehr die Annahme, dass die Wahrheit einer Nachricht, die so oft und von so vielen verschiedenen Menschen überliefert wurde, nicht zweifelhaft sein kann.³²⁰ In diesem Sinne betrachteten sowohl al-Baghdādī (gest. 428/1037) wie auch al-Bāqillānī (gest. 403/1013) vielfach überlieferte Nachrichten (mutawātir) als wahre Aussagen.³²¹ Mutawātir-Nachrichten als badīhiyyāt entstehen nicht durch die Sinne, sondern indem eine Nachricht den Empfänger erreicht. Durch diese Form des Wissenserwerbs erlangen wir z. B. Kenntnisse von der Existenz ferner Städte, ohne diese jemals selbst gesehen zu haben.³²²

³¹⁹ Vgl. allgemein zum Konzept Wensinck/Heinrichs, »Mutawātir« 781–782. ³²⁰ Apaydın, »Mütevâtir« 208–211. ³²¹ Siehe al-Baghdādī, Kitāb uṣūl al-dīn 12; al-Bāqillānī, Kitāb tamhīd 30. ³²² Ibn Fūrak, Mujarrad 17–19.

4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der Theologie

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An dieser Stelle konnte nur eine grobe Skizze von Prämissentypen gegeben und ggf. ihr epistemischer Wert ungefähr bestimmt werden. Die endgültige epistemologische Bewertung und Einstufung konkreter Prämissen unter einen Typ ist oft schwierig und fallabhängig; häufig ist auch mehr als eine Zuordnung möglich. In den Argumentationsanalysen werden wir gegebenenfalls auf diese Prämissentypen hinweisen und eine Bewertung direkt am Fall des Argumentationstextes aufstellen.

4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der argumentativen Theologie Die logische Struktur des Korans bestärkte und legitimierte das Interesse an der Logik bei muslimischen Gelehrten.³²³ Die islamische Logik-Tradition hat ihre klassische Periode im Mittelalter und ist stark von der aristotelischen Logik beeinflusst. Diese klassische Periode der islamischen Logik kann nach El-Rouayheb zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert angesetzt werden.³²⁴ Die Logik fand ihren Eingang in die Theologie durch die theologischen Argumente, die darauf ausgerichtet waren, den Adressaten rational zu überzeugen. Da der Kalām wahre Aussagen ermitteln möchte, fand sie in der Logik ein passendes Instrumentarium. Denn anders als beispielsweise im islamischen Recht (fiqh) ist der Anspruch des Kalāms, universelle Wahrheiten aufzustellen und argumentativ zu begründen.³²⁵ Der Kalām ist eine systematische Unternehmung, um wahre Aussagen zu generieren. Die Logik ist für die Theologie und auch für den islamischen Radd zum Christentum ein Mittel für die Feststellung oder Erzeugung wahrer Aussagen. Die Logik ist daher ein wichtiger Bestandteil vieler theologischer Argumentationen, aber vor allem im islamischen Radd, dessen Funktion es ist, den Adressaten in erster Linie durch rationale Argumente zu

³²³ Zur logischen Struktur des Korans vgl. Gwynne, Logic. ³²⁴ Siehe El-Rouayheb, Syllogisms 14–38. Philosophen und Theologen wie al-Kindī, alFārābī, Ibn Zurʿa, Ibn Sīnā, Abū al-Barakāt al-Baghdādī, Ibn Rushd, Suhrawardī und auch Fakhr al-Dīn al-Rāzī zählen zu denen, die in dieser Zeit gewirkt haben. ³²⁵ Nach Flügel hat die ikhtilāf (›Meinungsverschiedenheit‹) im islamischen Recht die Argumentativität in der frühen Phase des Islams gefördert (vgl. Flügel, »Classen« 301–302). Dennoch ist die Rechtslehre (fiqh) nicht annähernd so stark an universellen Wahrheiten interessiert wie der Kalām, der Wahrheiten über fundamentale Gottesfragen aufzustellen sucht. Ohnehin orientiert sich der fiqh an der Anpassung der Rechtsprechung an vorgefundene Probleme; dies ist ein Zustand, der einer universellen Wahrheitssuche widerspricht. Dennoch wird ausgehend vom Selbstverständnis des fiqh bei der Lösung partikulärer Rechtsproblemen der Anspruch auf Wahrheit gestellt (vgl. Yığın, Bilgi 61). Auf jeden Fall waren historisch betrachtet die Rechtsfragen die ersten, die im islamischen Denken argumentativ diskutiert wurden, weil schon früh und schon mit Muḥammad Rechtsfragen thematisiert wurden. Schon kurz nach seinem Tod wurden ijmāʿ-Sitzungen veranstaltet, in denen Urteile gefällt wurden und die ihrer kommunikativen Natur nach disputativ und argumentativ sein mussten (vgl. hierzu Makdisi, »Significance«, und zum Konzept des ijmāʿ Bernand, »Id̲j̲māʿ« 1023–1026).

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

überzeugen. Die Logik, so das Selbstverständnis der logisch argumentierenden Autoren, kann also von vorhandener Erkenntnis zu neuer Erkenntnis führen.³²⁶ Die Beschäftigung mit Logik und Argumentation hat die Erkenntnistheorie der islamischen Theologie stark geprägt. Die Theologie hat den Anspruch, Wissenschaft zu sein. Wie die wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt ist auch die theologische Erkenntnis stets auf die Wahrheit ausgerichtet. Bevor wir von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur theologischen Erkenntnis übergehen können, sollten wir fragen, was die Voraussetzungen wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt sind. Joseph Schumacher gibt eine erste pragmatische Definition wissenschaftlicher (theologischer) Erkenntnis. Das wissenschaftliche Erkennen bemüht sich ihm zufolge darum, »die Ergebnisse des Beobachtens und des Nachdenkens zur höchsten Gewissheit zu steigern. Um das zu bewerkstelligen, beschreitet es einen besonderen Weg, entwickelt es eine besondere Methode. Wissenschaftlich ist das Erkennen also, wenn es methodisch vorgeht und seine Ergebnisse zur höchsten Gewissheit zu steigern versucht.«³²⁷

Dies ist sicherlich eine idealisierende Darstellung der theologischen Erkenntnislehre. Theologie stützt sich oft auch auf prekäre Prämissen, und obwohl Schumacher nur die Gewissheit zulassen will, greift die argumentative Theologie oft über die Grenzen der Gewissheit hinaus. Sicher ist jedoch, dass die Theologie die Frage nach der Erkenntnislehre systematisch betreibt. Auch islamisch-theologische Werke beginnen oft mit einer Einführung in die Methode der Erkenntnislehre, so beispielsweise das Kitāb al-tawḥīd des al-Māturīdī, der mit diesem Werk zugleich auch als RaddAutor auftritt.³²⁸ Diese Werke haben die Funktion, den Glauben bzw. die Meinung (iʿtiqād) zu begründen.³²⁹ Diese Tatsache bezeugt eine intensive Auseinandersetzung der Theologen mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen, vor allem im 10. bis 12. Jahrhundert. Auch einige Autoren, die in dieser Studie herangezogen wurden, haben in diesem Bereich gewirkt. So haben neben al-Māturīdī u. a. auch al-Bāqillānī, al-Ghazālī und Ibn Ḥazm,³³⁰ die ebenfalls Autoren von Radd-Schriften sind, über die Erkenntnistheorie geschrieben und erkenntnistheoretische Theorien entworfen, welche die klassische islamische Argumentationstheorie stark beeinflusst haben. Es scheint kein Zufall zu sein, dass Gelehrte, die über die Erkenntnislehre schrieben, sich auch mit dem rational orientierten Radd befasst haben.³³¹ Der Primat der Erkenntnislehre in der

³²⁶ Die Argumentativität der Theologie reicht sogar weiter: Erst in der Argumentativität entfaltet sich der göttliche Wille, wie etwa im fiqh, in dem ausgehend von dem Offenbarungstext weitreichende Prinzipien und Normen argumentativ abgeleitet werden. ³²⁷ Schumacher, »Grundzüge« 31. ³²⁸ Siehe zum Radd des al-Māturīdī hier S. 93. ³²⁹ Vgl. al-Māturīdī, Kitāb al-tawḥīd übers. Bekir Topaloğlu 9–17. ³³⁰ Vgl. hierzu El-Tobgui, »Epistemology«. ³³¹ An dieser Stelle muss an eine methodische Grenze dieser Studie erinnert werden: Obwohl wir die Erkenntnislehre dieser Autoren ansprechen, werden wir die Argumentationen in ihren Radd-Schriften nicht anhand ihrer theoretischen Erkenntnislehre bewerten,

4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der Theologie

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islamischen Theologie zeigt sich außerdem auch an der breiten Diskussion der Theologen über die Konzepte Glaube und Wissen. Zunächst ist zu untersuchen, wie Erkenntnis im Kalām definiert wird. Die Definition von ›Erkenntnis‹ ist für die Argumentationstheorie und auch für die Argumentationsanalyse entscheidend, denn diese Definition gibt einen Hinweis darauf, wann ein Argument eine Erkenntnis generiert und wann nicht. Zudem ist die Frage, unter welchen Bedingungen Erkenntnis im argumentativen Prozess generiert werden kann und was unter ›Generierung von Erkenntnis‹ zu verstehen ist. Bei einer Position, die Erkenntnis als an sich nicht möglich betrachtet, kann nicht von der Generierung von Erkenntnis die Rede sein. Doch diese sophistische Betrachtungsweise ist zumindest im Kalām nicht verbreitet bis gar nicht gegeben. Der Kalām geht von der Möglichkeit der Generierung von Erkenntnis aus, wenn auch hierzu unterschiedliche Positionen vorliegen. Eine dieser Positionen ist die der Muʿtaziliten. Die muʿtazilitische Erkenntnislehre, vertreten von Abū ʿAlī al-Jubbāʾī (gest. 303/916) und Abū Hāshim al-Jubbāʾī (gest. 321/933), betrachtet Erkenntnis bzw. Wissen (ʿilm), Unwissenheit oder die Nachahmung (einer Autorität) als einen Teil der Meinung bzw. des Glaubens (iʿtiqād).³³² Sie betrachten das iʿtiqād als Kategorie (jins) und Erkenntnis (ʿilm), Unwissenheit (jahl) und Nachahmung (taqlīd) als eine Untergruppe des iʿtiqād, d. h. als ein nawʿ.³³³ Allerdings wird eine eindeutige Definition der Erkenntnis laut Abū Hāshim al-Jubbāʾī erst von ʿAbd al-Qāhir ibn Ṭāhir al-Baghdādī und Abū l-Muʿīn al-Nasafī (gest. 508/1114) aufgestellt, die keine Muʿtaziliten sind.³³⁴ Demzufolge ist Erkenntnis der Glaube an eine Sache (shayʾ), bei dem der Betreffende ein tiefes Einvernehmen mit sich selbst hat, d. h. über eine subjektive Sicherheit verfügt. Der Betreffende glaubt somit an diese Sache, ohne Zweifel daran zu haben, er ist von ihr überzeugt. Glaube wird hier jedoch nicht als der religiöse Glaube betrachtet, sondern vielmehr als der Glaube an bzw. als persönliche Überzeugung von der Wahrheit einer Sache.³³⁵ Somit ist Erkenntnis erst dann zustande gekommen, wenn eine Sache so dargelegt wurde, wie sie ist, und man an die Wahrheit dieser Darlegung glaubt und davon überzeugt ist. Dadurch soll die Wahrheit der These gegeben sein.

sondern werden auf Grund der Argumente in ihren Schriften Teile ihrer Erkenntnislehre argumentationsanalytisch rekonstruieren. Das hat zwar den Nachteil, dass keine gesamtheitliche Darstellung ihrer Erkenntnislehre möglich ist, da diese Analysen nur exemplarisch bleiben, aber auf der anderen Seite hat es den großen Vorteil, dass sich die Darstellung auf empirische Befunde zu den de facto angewandten Argumentationsweisen gründet, weshalb diese Herangehensweise trotz ihrer Einschränkungen ein lohnender Ansatz ist. ³³² Koloğlu, Cübbailer’in 131–136. ³³³ Koloğlu, Cübbailer’in 135. ³³⁴ Al-Baghdādī, Kitāb uṣūl al-dīn, zitiert nach Koloğlu, Cübbailer’in 132, hier als Formel: .‫ﺍﻋﺘﻘﺎﺩ ﺍﻟﺸﻲء ﻋﻠﻰ ﻣﺎ ﻫﻮ ﺑﻪ ﻣﻊ ﺳﻜﻮﻥ ﺍﻟﻨﻔﺲ ﺇﻟﻴﻪ‬ ³³⁵ Koloğlu, Cübbailer’in 134.

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Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

Diese von al-Baghdādī und al-Nasafī wiedergegebene Definition kann auch als die Position der Muʿtazila betrachtet werden.³³⁶ Denn auch der Muʿtazilit ʿAbd al-Jabbār definiert Erkenntnis ganz ähnlich: »Knowledge is believing a thing (to be) as it is to one’s own satisfaction (maʿa sukūn al-nafs ilayh).«³³⁷ Diese Definition von ʿAbd al-Jabbār enthält zwei Kriterien dafür, wann ein Argument eine Erkenntnis darstellt. Zum einen ist die Wahrheit des Glaubens gegeben, wenn der Gläubige an eine Sache so glaubt, wie sie ist, zum anderen liegt eine hinreichende Sicherheit des Glaubens vor, wenn ein Einvernehmen des Gläubigen mit sich selbst vorhanden ist. Um einen Vergleich dieser Auffassung mit modernen argumentationstheoretischen Vorstellungen zu ermöglichen, sei Christoph Lumers Definition zitiert: »Eine Erkenntnis liegt demnach vor, wenn der Betreffende einen Glauben aufgrund eines Erkenntnisprozesses gewonnen hat und noch über eine subjektive Begründung für diesen Glauben verfügt.«³³⁸

Ähnlich wie bei der oben genannten Definition von ʿAbd al-Jabbār oder bei den Positionen von Abū ʿAlī al-Jubbāʾī und Abū Hāshim al-Jubbāʾī ist der Glaube bei Lumer als ein Zustand definiert, bei dem das Erkenntnisobjekt aufgrund des Erkenntnisprozesses geglaubt bzw. für wahr gehalten wird.³³⁹ Nach Lumer sind zwar Argumentationen, die abstrakt sind, zeitlos und können nicht auf einem Prozess beruhen, doch in den Argumentationshandlungen – wie etwa in einer Disputation – sieht es anders aus. In einer Disputation konstruiert der Disputant Argumentationen so, dass er seinen Opponenten zu einer Erkenntnis anleitet und somit einen Erkenntnisprozess anstößt. Um die Kompatibilität der Definition Lumers mit jener der islamischen Theologie zu verdeutlichen, können noch weitere Definitionen herangezogen werden, bspw. jene von al-Ashʿarī, dem zufolge Erkenntnis ein Glaube an eine Sache ist, welcher durch eine Notwendigkeit oder durch einen Beweis untermauert wird.³⁴⁰ Die Notwendigkeit oder der Beweis ist selbst ein Prozess der Erkenntnisgewinnung. Der Vergleich der Definitionen zeigt, dass eine Erkenntnis neben der Schlüssigkeit des Arguments auch den persönlichen Glauben an die Wahrheit der Prämissen und der Konklusion voraussetzt. Lumers Definition umfasst zwei Bedingungen: Erkenntnis liegt vor, wenn i. der Betreffende einen Glauben aufgrund eines Erkenntnisprozesses gewonnen hat und ii. über eine subjektive Begründung für diesen Glauben verfügt.

³³⁶ Rosenthal, Knowledge 63–64. ³³⁷ ʿAbd al-Jabbār, zitiert nach Rosenthal, Knowledge 63. ³³⁸ Lumer, »Logik« 56. ³³⁹ Lumer, »Logik« 57. Dabei kann nach Lumer Glauben auch ohne einen Erkenntnisprozess gegeben sein. ³⁴⁰ Al-Ashʿarī, Maqālāt al-Islāmiyyīn Bd. 2, 523:14, hier als Formel: .‫ﺍﻋﺘﻘﺎﺩ ﺍﻟﺸﻲء ﻋﻠﻰ ﻣﺎ ﻫﻮ ﺑﻪ ﺑﻀﺮﻭﺭﺓ ﺃﻭ ﺑﺪﻟﻴﻞ‬

4.3. Argumentation als erkenntnisgenerierendes Mittel in der Theologie

219

Der Punkt (i.) ist auch bei ʿAbd al-Jabbār und al-Ashʿarī gegeben. Das Auffinden von Beweisen und Argumenten ist durch den Erkenntnisprozess begleitet. Jede Beweisführung geschieht durch einen Erkenntnisprozess. Der Punkt (ii.) ist die subjektive Begründung für den Glauben, dass die Beweisführung gültig ist. Demzufolge ist auch in der Argumentationsanalyse zu untersuchen, inwieweit der Adressat eines Arguments an die Prämissen glaubt und inwieweit er daher vernünftigerweise an die Konklusion zu glauben hat. Schließlich kann festgehalten werden, dass die klassisch-islamische Definition der Erkenntnis für die Möglichkeit ihrer argumentativen und erkenntnistheoretischen Generierung offen ist. Ohnehin hat die Beschäftigung mit der Argumentationstheorie und Logik in der Theologie das Ziel, dass Theologen in ihren Argumentationen stichhaltiger werden und ihre Thesen begründen können, d. h. Erkenntnis zu generieren. Nachdem nun einführend die Wichtigkeit der Logik und argumentationstheoretischen Herangehensweise für eine argumentative Handlung gezeigt wurde, zu der auch der Radd zu zählen ist, soll an einem Beispiel exemplarisch verkürzt dargelegt werden, wie logische Strukturen im Radd zur erkenntnistheoretischen Anwendung kommen. Das im Folgenden zu rekonstruierende Argument von al-Jaʿfarī aus dem Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl richtet sich gegen die christliche Lehre, dass Jesus nach der Kreuzigung wiederauferstanden ist: »Dann sagt man den Christen: Da ihr behauptet, dass euer Gott Jesus starb und dann wieder lebte; wer hat ihn dann nach seinem Tod wieder zum Leben erweckt? Und wenn die Christen sagen: Jesus hat sich selbst zum Leben erweckt, so sagen wir zu ihnen: Hat er sich zum Leben erweckt, als er lebendig war, oder hat er sich zum Leben erweckt, als er tot war? Beide Möglichkeiten sind ungültig.«³⁴¹

Die These dieses Arguments von al-Jaʿfarī ist die Negation der den Christen hier zugeschriebenen These, Jesus sei aus eigener Kraft wiederauferstanden. Daher kann die These al-Jaʿfarīs wie folgt rekonstruiert werden: (T1) ›Jesus hat sich nicht selbst zum Leben erweckt‹.³⁴² Die Argumentation verwendet dabei eine Fallunterscheidung (al-sabr wa-l-taqsīm³⁴³), wobei die Argumentation dann gültig ist, wenn eine vollständige Disjunktion gegeben ist, d. h. wenn die Fallunterscheidung alle möglichen Fälle berücksichtigt und genau einer von diesen wahr sein muss. Die Disjunktion ist im Argumentationstext gegeben, denn Jesus müsste sich entweder wieder zum Leben erweckt haben, als er lebendig oder als er tot war (es gibt keine weiteren Möglichkeiten). Somit muss die Fallunterscheidung die Fälle lebendig oder tot berücksichtigen, was zu der folgenden Rekonstruktion führt:

³⁴¹ Al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl 384. ³⁴² Zwischenschritte für dieses Argument sind folgende Prämissen: P1: Nur Gott kann Tote zum Leben erwecken. P2: Wenn Jesus aber mit Gott identisch ist, musste er sich selbst zum Leben erwecken. ³⁴³ Für die Beschreibung dieses Konzepts siehe hier Abschnitt 9.4, S. 341.

220

Kapitel 4: Wege zur Erkenntnis: Argumentation, Begründung und Logik

P1:

Wenn Jesus sich selbst wieder zum Leben erweckt hat, dann hat er dies entweder (a) getan, als er lebendig war, oder (b) als er tot war.

P2: eP3:

Wenn (a) Jesus lebendig war, dann war er nicht tot. Was nicht tot ist, kann nicht wiedererweckt werden. (Ergänzungsprämisse)

K1:

Jesus hat sich nicht selbst wiedererweckt, als er lebendig war. (aus P2, eP3)

P4: eP5:

Wenn (b) Jesus tot war, dann konnte er sich nicht wiederbeleben. Begründung: Tote können nichts tun. (Ergänzungsprämisse)

K2:

Jesus hat sich nicht selbst wiedererweckt, als er tot war. (aus P4, eP5)

T1:

(Gesamtschluss:) Jesus hat sich nicht selbst wiedererweckt. (aus P1, K1, K2)

Dies ist ein deduktives Argument, dem also das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde liegt. Die prinzipielle Adäquatheit ist erfüllt. Insbesondere Christen glauben an die Prämissen, ohne schon an die Konklusion zu glauben. Die situative Adäquatheit der Argumentation ist auch erfüllt. Zusammenfassend lässt sich dieses Argument als erkenntnistheoretisch ausgerichtet einstufen, ein Verfahren, das dem Radd als Methode zugrunde liegt.

Kapitel 5

Moderne argumentationstheoretische Ansätze und die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie Da die klassische islamische Argumentationstheorie keine aktuelle Theorie darstellt und die modernen Argumentationstheorien entscheidende Unterschiede gegenüber den klassischen Theorien aufweisen, ist die Anpassung an die modernen Theorien unausweichlich, wenn man eine zeitgemäße Analyse und Beschreibung von Argumenten beabsichtigt, seien diese auch aus historischen Texten entnommen.¹ In diesem Abschnitt werden daher einige zentrale Ansätze der modernen Argumentationstheorie in ihren Grundzügen vorgestellt. Es wurde schon erwähnt, dass sich die vorliegende Untersuchung v. a. auf die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Christoph Lumer stützt. Dieser Abschnitt soll daher zeigen, welche Alternativen zu Lumers erkenntnistheoretischer Argumentationstheorie vorliegen und was die Vorzüge des Lumerschen Ansatzes für unsere Fragestellung sind. Im Folgenden wird diese Entscheidung, welche insbesondere auf der erkenntnistheoretischen Ausrichtung der islamischen Argumentationstheorie beruht, dargelegt. An der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie wird zudem vorgeführt, wie eine erkenntnistheoretische Analyse von Argumenten aussehen kann und welchen Mehrwert – wie etwa die Rekonstruktion erkenntnistheoretischer Prinzipien – gerade diese Methode bietet. Es gibt mehrere Wege, die Grundansätze der Argumentationstheorie wiederzugeben. Einen allgemeinen Ansatz liefert das Handbook of Argumentation Theory von Frans H. van Eemeren u. a.,² in dem generell formal-dialektische

¹ Bisher wurde versucht, anhand einiger Schlüsselfiguren ein allgemeines Bild von der islamischen Argumentationstheorie zu zeichnen. Aus praktischen Gründen standen dabei Konzepte im Vordergrund, die zur Analyse von Argumenten dienlich sein können. Die islamische Argumentationstheorie hat viele derartige Konzepte hervorgebracht, die keineswegs zu unterschätzen sind. Deshalb sind diese als Grundlage für eine islamisch-theologische Arbeit zu nehmen, die den Übergang zur modernen Argumentationstheorie wagt. Die moderne Argumentationstheorie bietet neben den schon aus der islamischen Argumentationstheorie bekannten Konzepten viele neue Ansätze und Konzepte. Diese teilweise heranzuziehen, ist eine zentrale Herausforderung für diese Studie. Speziell richtet sie sich nach der Lumerschen Argumentationstheorie, weil – wie schon öfter angemerkt, siehe z. B. oben S. 22 – diese der islamischen Argumentationstheorie am nächsten steht, da beide erkenntnistheoretisch orientiert sind. ² Van Eemeren u. a., Handbook.

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Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

Ansätze, rhetorische Ansätze, informelle Logik und Pragma-dialektische Argumentationstheorie unterschieden werden. Alternativ dazu bietet Lumer eine Klassifizierung nach der Funktion der unterschiedlichen Ansätze an; er nennt den konsensualistischen, den rhetorischen und den erkenntnistheoretischen Ansatz. Ziel des konsensualistischen Ansatzes ist der Konsens, des rhetorischen die Persuasion und des erkenntnistheoretischen die Erkenntnis.³ Alle dieser Ansätze sind vollständige Paradigmen, d. h. sie liefern systematische Antworten auf generelle Fragen der Argumentationstheorie.⁴ Dagegen wäre z. B. die Toulminsche Theorie, gemäß Lumer, kein vollständiges Paradigma in diesem Sinne.⁵ Nun ist der analytische Ansatz unserer Untersuchung v. a. daran interessiert, worin die Standardfunktion einer Argumentation besteht. Für diese Fragestellung ist die Klassifikation Lumers, die sich an den Funktionen von Argumenten orientiert, am ergiebigsten, weshalb sie im Folgenden herangezogen wird; die Klassifikation des Handbook liefert eine für unsere Zwecke zu unsystematische Beschreibung der Ansätze. Nach der rhetorischen Argumentationstheorie hat die Argumentation die Funktion der Überredung des Opponenten. Dabei soll die Argumentation rhetorisch und mit größtmöglicher Wirkung auf den Opponenten erfolgen. Zwar soll laut Aristoteles die Rhetorik helfen, die Wahrheit zu finden, da er sagt: »Die Rhetorik sei also als Fähigkeit definiert, das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen […].«⁶

Zudem stellt Aristoteles fest: »Durch die Rede endlich überzeugt man, wenn man Wahres oder Wahrscheinliches aus jeweils glaubwürdigen Argumenten darstellt.«⁷

Doch dieses ideale Ziel der aristotelischen Rhetorik, dass jede Rede durch schlüssige Argumente untermauert werden sollte und die Stilistik der Rede eher ein Beiwerk war, wurde in der Praxis durch die Überredungsmittel der Rhetorik zurückgedrängt;⁸ zumal die Rhetorik schon seit ihrer Entstehung nicht erkenntnistheoretisch orientiert war, sondern ganz auf das praktische Ziel der Persuasion ausgelegt war, weil sie v. a. dazu diente, durch ihre Vortragskunst die Zuhörer in Volksversammlungen und Gerichten zu einer bestimmten Entscheidung zu überreden. Schon Sokrates und Platon kritisierten die Sophistik und damit die rhetorische Argumentationstheorie. Lumer fasst diese Kritik in drei Punkten zusammen:

³ Vgl. Lumer, »Argument/Argumentation« 229–230 und ders., »A Map« 189–212. ⁴ Vgl. Lumer, »A Map« 190. ⁵ Lumer, »A Map« 190. ⁶ Aristoteles, Rhetorik I, 2, 1355b25–26. ⁷ Aristoteles, Rhetorik I, 2, 1356b18–19. ⁸ Die aristotelische Rhetorik verlor schon im 1. Jahrhundert vor Christus an Einfluss, sodass Aristoteles z. B. auf den großen Redner und Rhetorik-Theoretiker Cicero kaum Einfluss hatte. Auch Quintilian kannte Aristoteles nur aus zweiter Hand.

Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

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1. Rhetorisch Argumentationen »zielen nicht auf Wahrheit und Wissen, sondern auf Überredung und den Sieg über den Kontrahenten.« Sie können auf falschen Prämissen basieren, auch wenn diese vom Adressaten akzeptiert werden. In diesem Fall hat der Adressat eine »falsche oder nur zufällig wahre« Überzeugung erlangt. 2. Rhetorische Argumentationen »unterwerfen« ihre Adressaten dem Argumentierenden. 3. Rhetorische Argumentationen sind nur auf das, was glaubwürdig erscheint, ausgerichtet und somit auf das, was wahrscheinlich ist, aber deshalb noch nicht wahr sein muss.⁹ Diese Kritik findet sich im Ansatz schon bei den islamischen Argumentationstheoretikern, die zwischen munāẓara und jadal unterschieden. Jadal ist gegeben, wenn das Ziel der Argumentation darin liegt, den Opponenten mit allen Mitteln zu schlagen; ist sie dagegen ein munāẓara, so ist das Ziel in erster Linie, die Wahrheit über die Streitfrage argumentativ herauszustellen. Die Mittel der Rhetorik sind im Radd im allerbesten Fall lediglich Beiwerk; die Radd-Argumentationen sind jedoch klar nicht rhetorisch, weil sie nicht auf das rhetorische Überreden ausgerichtet sind. So sind auch im Radd des al-Jaʿfarī durchaus rhetorische Mittel vorhanden, jedoch überwiegt die erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentation deutlich. Ein Beispiel für ein rhetorisches Mittel im Radd ist Folgendes: »So sage mir bitte – möge Gott über dich erbarmen! –: Wann haben vernünftige Menschen jemals von einem Gott gehört, der geschlagen, gehauen, getötet, gekreuzigt und auf Friedhöfen begraben wird, sodass ihm nachgetrauert, er beweint und sein Tod beklagt wird? Und wie kann er [sc. der Gott] den menschlichen Schwächen ausgesetzt sein? Und wie kann er mit einem Gartenwächter verwechselt werden?«¹⁰

Dieses Beispiel verdeutlicht eine rhetorische Anwendung; obwohl dieses Zitat als Argument rekonstruierbar wäre, ist die Funktion dieser Aussage doch nicht die Überzeugung des Opponenten, sondern vielmehr eine Schmähung der vermeinten Unvernünftigkeit dieser christlichen Thesen, sodass hier auch ein gutes Beispiel für ein jadal vorliegt. Trotz dieser Unterscheidung zwischen jadal und munāẓara ist anzumerken, dass sowohl das jadal wie auch das munāẓara argumentationsbasierte Herangehensweisen sind und daher viele Parallelen in ihren idealisierten Methoden haben. Beispielsweise ist in beiden Genres der Frage-Antwort-Modus einer Argumentation eines ihrer wichtigsten Merkmale. Diese Merkmale werden oft nicht in Bezug auf ihre erkenntnistheoretische Funktion gebraucht, sondern erst die jeweilige Anwendung dieses Modus zeigt, ob die Argumentation auf Überzeugung oder Überredung fokussiert ist. Daher ist es nicht gerechtfertigt, jadal-Passagen von vornherein in dieser Studie zu ignorieren, denn sie können,

⁹ Lumer, »Argument/Argumentation« 229–230. ¹⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 225, mit einer Anspielung auf Johannes 20,15.

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Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

was die Beschreibung des Radds angeht, wertvolle Hinweise geben. Allerdings soll die vorliegende Studie nicht die Methoden des jadal und munāẓara aus einschlägigen Methodologien zu jadal bzw. munāẓara ableiten, sondern diese vielmehr als Hilfsmittel zur Analyse der Methodik des Radds heranziehen, welche durch Argumentationsanalysen vom Primärtexten rekonstruiert werden und daher textbasiert ist.¹¹ Neben dieser nicht auf die Überzeugung ausgerichteten Rhetorik gibt es neue Konzeptionen der Rhetorik, etwa die Tübinger Rhetorik, die die Rhetorik in aristotelischer Tradition ganz klar als ›ars persuadendi‹ verstehen. Der Unterschied liegt jedoch daran, wie die Persuasion im Vergleich zur Lumerschen Argumentationstheorie verstanden wird. Nach der Tübinger Rhetorik liegt Persuasion vor, »wenn sich infolge der gezielten kommunikativen Intervention eines rhetorischen Akteurs der mentale Standpunkt seines Kommunikationspartners ändert, wobei diese Änderung nur aufgrund besonderer kommunikativer Bemühungen des rhetorischen Akteurs möglich wird, und zwar deshalb, weil dadurch bestehende mentale Widerstände des Kommunikationspartners, welche gegen die Änderung sprechen, ausgeräumt werden. Paradigmatische Fälle von Persuasion sind damit Meinungs-, Einstellungs- oder Verhaltenswechsel. Persuasionsversuche können aber auch auf die Bildung, Verstärkung oder Stabilisierung einer Meinung, einer Einstellung oder eines Verhaltens abzielen.«¹²

Demnach zielt die Überzeugung nach der Tübinger Rhetorik auf einen Meinungs-, Einstellungs- oder Verhaltenswechsel. Obwohl auch die Lumersche Argumentationstheorie u. a. diese Veränderungen zum Ziel der erkenntnistheoretischen Argumentation erklärt, ist der Weg dahin in der neuen Rhetorik gewissermaßen breiter als bei Lumer. Bei Lumer wird dieser Weg von erkenntnistheoretischen Prinzipien begrenzt, während die neue Rhetorik neben dem klassischen aristotelischen Weg der Persuasion durch Argumente auch andere, nicht erkenntnistheoretisch fundierte Überzeugungsmittel wie etwa die emotiven Persuasionsmittel anerkennt.¹³ Dennoch kann die neue Rhetorik, vor allem was die Analyse von ›Rationalitätsstrategien‹ in Texten angeht, auf hilfreiche Werkzeuge hinweisen. Des Weiteren klassifiziert Lumer die Pragma-dialektische Argumentationstheorie als konsensualistisch.¹⁴ Denn die Pragma-Dialektik formuliert als Ziel der Argumentation die Auflösung des Meinungsunterschieds. Der Argumentierende und der Adressat suchen einen gemeinsamen Konsens; sobald dieser

¹¹ Nicht nur die jadal- bzw. munāẓara-Werke, sondern auch juristische Methodologien haben sich intensiv mit der Argumentation beschäftigt, allerdings aus juristischer Sicht. Dies zeigt beispielsweise Abū al-Walīd Sulaymān al-Bājī (gest. 474/1081), der in seinem Kitāb alminhāj fī tartīb al-ḥijāj die Methodologie der juristischen Argumentation ausarbeitete, oder alShāfiʿī, der in seinem Kitāb al-Umm die Grundsteine der argumentativen Rechtswissenschaft gelegt hat. ¹² Luppold, Textrhetorik 18. ¹³ Luppold, Textrhetorik 102–116 und 185–191. ¹⁴ Lumer, »Pragma-Dialectics« 41–42.

Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

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zustande gekommen ist, wurde das Ziel der Argumentation, so die PragmaDialektik, erreicht.¹⁵ Die Pragma-dialektische Argumentationstheorie (auch kurz: Pragma-Dialektik) ist eine systematische Theorie der Argumentation, die durch Frans H. van Eemeren und Rob Grootendorst ausgearbeitet wurde und ihren Ausgangspunkt in der Pragmatik¹⁶ und Dialektik hat, welche wiederum, wie viele Argumentationstheorien, auf antiken Argumentationstheorien aufbauen. Die Pragmatik (wie etwa die Sprechakttheorie oder Sprachhandlungstheorien) ist die Erforschung der Sprache im Gebrauch. Die Dialektik erforscht die Gefüge einer Diskussion, wobei Beiträge in der polemischen Diskussion gemäß der Dialektik als verbale Akte bzw. Handlungen verstanden werden könnten. Diese Beiträge, wie etwa Argumente, werden in ihrem Kontext interpretiert. Das Argument hat u. a. die Funktion, das Ergebnis der Diskussion zu beeinflussen und zu bestimmen. Dabei kommt dem Adressaten eine wichtige Rolle zu. Denn ein Argument wird das Ergebnis einer Diskussion nur in Abhängigkeit davon bestimmen und beeinflussen können, welcher Adressat angesprochen ist. In der Pragma-dialektischen Argumentationstheorie wird der Adressat als rational und vernünftig betrachtet (hier wird der Einfluss des Kritischen Rationalismus auf die Pragma-dialektische Argumentationstheorie deutlich) und das Argument als ein rationaler verbaler kommunikativer Austausch verstanden, der zum Ziel hat, den Adressaten von der eigenen These zu überzeugen.¹⁷ Einer der Gründe, die Pragmatik mit der Dialektik zu verbinden, ist die Schwierigkeit für die Dialektik, verschiedene Argumentationsmuster zu erkennen. Die Pragmatik kann dabei helfen, Kriterien für die Unterscheidung von Argumentationstypen vorzulegen. Van Eemeren beschreibt die Kombination von Pragmatik und Dialektik wie folgt, unter Erwähnung der vier metatheoretischen Prinzipien: »Following a classical tradition, the study of the regimentation of critical exchanges is called dialectics. The study of language use in actual communication, which belonged in the past largely to the domain of rhetoric, is nowadays generally called pragmatics. Hence the choice of the name pragma-dialectics for the approach to argumentation that aims for a sound integration of insight from these two studies. Pragma-dialectics combines a dialectical view of argumentative reasonableness with a pragmatic view of the verbal moves made

¹⁵ Van Eemeren/Grootendorst, Theory 147–150. ¹⁶ Wenn man Pragmatik als Erforschung der Sprache im Gebrauch versteht, dann ist in dieser Hinsicht die vorliegende Studie pragmatisch, denn sie zieht Argumente heran, die in einem realen Diskurs angewandt und nicht etwa für die Forschung konstruiert wurden. Die Argumente in der Radd-Literatur sind Argumente im Gebrauch. Die Rekonstruktion dieser Argumente und der Erkenntnisprinzipien geschieht auf empirischer Grundlange angewandter Argumentationen. ¹⁷ Van Eemeren/Grootendorst, Theory 45–51. In der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie nach Lumer wird unter der situativen Adäquatheit v. a. das vernünftige Urteilsvermögen des Adressaten und indirekt auch des Argumentierenden als Voraussetzung für das rationale Überzeugen und für die Generierung von Erkenntnis gefordert (vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 189).

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Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

in argumentative discourse. Pragma-dialectics starts from four meta-theoretical principles, functionalization, socialization, externalization, and dialectification of argumentation, in which pragmatic and dialectical insight are systematically combined.«¹⁸

Die Pragma-Dialektik beginnt ihre Untersuchungen also mit folgenden vier metatheoretischen Prinzipien: Funktionalisierung, Externalisierung, Sozialisierung und Dialektifikation. Die Funktionalisierung besagt, dass jede sprachliche Aktivität zielgerichtet ist. Ein Argument hat somit ein bestimmtes Ziel, und zwar die Überzeugung des Adressaten von der These. Die Externalisierung besagt, dass man sich im Diskurs auf externalisierte Elemente konzentriert. Im Fokus stehen dabei die öffentlichen Verpflichtungen, die sich die Argumentatoren mit der Durchführung von Argumentations-Sprechakten auferlegen, und die Konsequenzen dieser Verpflichtungen für den Argumentationsprozess (Externalisierung).¹⁹ Die Sozialisation besagt, dass Argumente gesellschaftliche Interaktionen haben und nicht von ihr isoliert betrachtet werden können. Die Dialektifikation drückt die sprachliche Aktivität aus, die ein Teil der Lösung von Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Normen der Dialektik und Rationalität sind. Nach van Eemeren kann nur dann eine Argumentationstheorie entwickelt werden, die zur Analyse und Evaluation von Argumenten taugt, wenn ausschließlich diese Prinzipien als methodische Richtlinien gewählt werden. Im Folgenden soll diskutiert werden, inwieweit und welche dieser Kriterien auch für theologische Argumente und deren Analyse wertvoll sind.²⁰ Was die Funktionalisierung angeht, so ist dieses Prinzip in theologischen Argumenten ebenso gegeben wie in anderen Argumenten. Theologische Argumente sind sogar weitaus zielgerichteter als viele andere Argumente, da Theologie ein System zwischen Sprache und Glaubenssystem ist, das systematisch aufgebaut ist. Ein theologisches Argument und seine Prämissen dürfen nicht isoliert betrachtet werden, denn der Autor stellt nicht nur ein Argument isoliert vom Glaubenssystem dar, sondern es darf (idealerweise) auch in keiner Kontradiktion zu dem vertretenen Glaubenssystem stehen. Zudem prüft der Autor stets aufmerksam, welche Begriffe verwendet werden. Denn die Theologie wählt ihre Begriffe nicht willkürlich aus, sondern ist auch in dieser Hinsicht weitaus aufmerksamer als viele andere Disziplinen; theologische Systeme bauen auf Begriffen auf, die sehr bedacht ausgewählt und oft durch jahrzehntelange Diskurse entstanden sind.²¹

¹⁸ Van Eemeren, »Profiles« 476–477. ¹⁹ Van Eemeren, Reasonableness 112. ²⁰ Von den vier genannten Kriterien wird die Externalisierung hier nicht behandelt, weil dieses Kriterium m. E. für die Analyse theologischer Argumente weniger bedeutsam ist. ²¹ Sie symbolisieren nur zu oft eine bestimmte theologische Schule. Beispielsweise ist der Begriff des uqnūm (›Hypostase‹) ein christlicher Terminus (vgl. Graf, Verzeichnis 11) und kaum ein muslimischer Theologe würde ihn, auch wenn er uminterpretiert werden könnte, für seine Theologie benutzen. Der epistemisch Argumentierende ist zudem bemüht, wenn nötig, passende Begriffe zu verwenden; etwa uqnūm für ›Hypostase‹ und nicht etwa shakhṣ

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Die Sozialisation ist ein Prinzip, welches auch für theologische Argumente unausweichlich ist. Theologische Argumente sind ein Produkt der sozialen Welt und können nicht isoliert von ihr betrachtet werden. Wie andere Argumente haben auch theologische Argumente eine historische Entwicklung und spielten eine historische Rolle, wenn auch einige den Anschein bzw. den Anspruch haben, universell zu sein. Die Analyse theologischer Argumenten sollte demnach die Frage nach deren Sozialisation stellen. Dies könnte etwa folgende Punkte umfassen: (a) Wann entstand das Argument? (b) An wen war es historisch gerichtet? (c) Welche Gegebenheiten haben die Entstehung des Arguments beeinflusst? etc. Was die Dialektifikation angeht, so besteht sie in den Normen und Prinzipien der Rationalität und der Logik des Meinungsstreites und ist auch für viele theologische Argumente zentral. Vor allem argumentative apologetische Schriften im Islam und ihre Argumente bauen auf Normen der Rationalität und Logik auf. Sie versuchen durch Sprache die Meinungsverschiedenheiten der islamischen und der christlichen Theologie und Lehre argumentativ zu lösen. Die Pragma-Dialektik ist zudem wesentlich an Argumenten in Oral- und Textform interessiert und hat hier ihren Ausgangspunkt. Die apologetischen Schriften als Text und die Diskussionsrunden (majlis) als Oralform erfüllen diese Voraussetzungen.²² Nach der Pragma-Dialektik kann die Argumentation als Prozess, aber auch als Produkt betrachtet und verstanden werden. Ein Prozess ist ein Argument mit rationalen Mitteln, wenn es das Ziel hat, einen Meinungsunterschied aufzulösen. Sprache wird dann als Argument aufgefasst, wenn sie die Funktion erfüllt, eine bestimmte Position oder einen Standpunkt zu begründen. Dieses Verständnis von Argument passt sehr gut zur Radd-Literatur, ja sogar zum Kalām insgesamt, der ja (wie oben ausführlich beschrieben²³) eine durch und durch argumentative Disziplin ist. Dasselbe gilt für die sog. Dialektifikation, also die Normen und Prinzipien der Rationalität und Logik des Meinungsstreites. Die RaddLiteratur kann in diesem Sinne vor allem als Konstruktion aus Sprache und (›Person‹), mit dem die Christen nicht einverstanden sind und das ein rhetorisches Mittel des muslimischen Autors sein kann, um die Hypostasen gänzlich als verkörperte Personen darstellen zu können. Der Christ ʿAmmār al-Baṣrī (9. Jahrhundert) kritisierte die Verwendung von Begriffen wie shakhṣ; er gibt an, dass damit etwas anderes intendiert sei als uqnūm, und plädiert implizit dafür, in islamisch-christlichen Streitgesprächen für den Adressaten adäquate Begriffe zu verwenden (vgl. ʿAmmār al-Baṣrī, Apologie et controverses [= Kitāb al-masāʾil wa-l-ajwiba] 162; siehe hierzu Griffith, »Concept«). Zudem muss bei Analogieargumenten die spezielle Bedeutung jedes theologischen Begriffs untersucht werden, mit dem eine Analogie konstruiert wird. Vor allem in theologischen Argumentationen, die Analogien benutzen, besteht sonst die Gefahr, dass die Analogie nicht gültig ist, weil der Argumentierende den eigentlichen Sinn des Begriffs nicht erfasste oder diesen Sinn nicht konsequent durch die ganze Argumentation als Grundlage seines Analogiearguments nahm (vgl. zum Verhältnis zwischen Theologie und Analogie: Palmer, Analogy 15–22). ²² Vgl. van Eemeren/Grootendorst, Theory 52–57. ²³ Siehe insbesondere oben Abschnitt 4.1, S. 174.

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Dialektifikation beschrieben werden. Argumente aus dem Radd sind verbale Handlungen, in denen die Sprache gebraucht wird, und zugleich eine soziale Tätigkeit, denn sie richten sich an Menschen und an den Leser, und überdies auch eine rationale Handlung, in der versucht wird, durch diese argumentative Handlung den Adressaten von der Wahrheit der These zu überzeugen. In dieser Hinsicht ist die Heranziehung dieser Prinzipien der Pragma-Dialektik zur argumentationstheoretischen Beurteilung und Analyse argumentativer theologisch-apologetischer Texte wegweisend. Obwohl die vorliegende Untersuchung sich v. a. an der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie orientiert, können Konzepte anderer Argumentationstheorien (wie z. B. der PragmaDialektik) dabei behilflich sein, das argumentative Wesen der apologetischen Texte genauer zu verstehen. Allerdings kann die Pragma-Dialektik nur bedingt die Aufgabe erfüllen, die erkenntnistheoretischen Prinzipien der RaddArgumente herauszuarbeiten; diese Aufgabe kann am besten durch Heranziehung der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie gelöst werden, die im Folgenden dargestellt wird. Ansätze zu einer erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie lassen sich schon bei Platon, Pinto, Willard, Biro, Siegel, Sanford, Goldmann u. a. finden;²⁴ jedoch wurde dieser Ansatz von Lumer – vor allem für den deutschsprachigen Raum – intensiv argumentationstheoretisch systematisiert und ausgebaut, sodass wir hier Lumer folgen. Die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie kann u. a. durch ihre Abgrenzung zur persuasiven Rhetorik²⁵ erklärt werden. Lumer greift die sokratische und platonische Kritik an den Sophisten auf und versucht die These, dass Rhetorik auf bloßes Überreden und die (erkenntnistheoretisch ausgerichtete) Argumentation auf das Überzeugen abziele,²⁶ neu aus Sicht seiner Argumentationstheorie zu begründen. Die von der Rhetorik angestrebte Überredung (Persuasion) hat Sokrates und Platon zufolge (i) keinerlei Bezug auf Wahrheit bzw. Erkenntnis; außerdem biete die Persuasion (ii) auch im besten Fall nur Wahrscheinlichkeit und nicht Wahrheit.²⁷ Die Rhetorik sei also eine Kunst, die nur darauf abzielt, beim Adressaten einen Glauben zu erzeugen, ohne auf Wahrheit und Wissen abzuzielen.²⁸ Auch Lumer kritisiert diese Art der persuasiven Rhetorik, denn durch sie könne der Adressat zu völlig falschen Überzeugungen kommen (vgl. i).²⁹ Jedoch kritisiert Lumer im zweiten Punkt (ii) Sokrates bzw.

²⁴ Über weitere Vertreter vgl. Lumer, »A Map«. ²⁵ An dieser Stelle muss betont werden, dass die Rhetorik in den Literaturwissenschaften, wie sie etwa von Lausberg in seinem berühmten Handbuch dargestellt wurde, eine andere Funktion hat als die rhetorische Argumentationstheorie, wie sie etwa von Perelman und Olbrechts-Tyteca oder (etwas anders) von der Tübinger Rhetorik vertreten wird. ²⁶ Vgl. Lumer, »Überreden« 7. ²⁷ Zusammenfassung nach Lumer, »Überreden« 8–15. ²⁸ In klassisch-islamischer Terminologie: Während die munāẓara auf die objektive Wahrheit setzt, hat das eher rhetorische jadal vor allem die Überredung des Opponenten zum Ziel (vgl. Emiroğlu, »Cedel« 19; Aḥmed Cevdet Paşa, Âdâb-ı sedâd 3; Lumer, »Überreden«). ²⁹ Vgl. Lumer, »Überreden« 10.

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Platon und meint, diese hätten die Reichweite des sicheren Wissens über- und den Wert probabilistischer Erkenntnisse unterschätzt; als Beleg zieht er Aristoteles heran, der die Beschränktheit des sicheren Wissens gesehen und die Wahrscheinlichkeit aufgewertet habe.³⁰ Denn Aristoteles habe erkannt, dass sicheres Wissen in den meisten menschlichen Angelegenheiten nicht vorhanden ist. Daraus folgert Lumer, dass, wenn sicheres Wissen nicht möglich ist, die Akzeptanz des wahrscheinlichen Wissens rationaler ist als seine absolute Ignoranz. Lumer macht das an folgendem Beispiel deutlich: »Wir erfahren, dass es morgen mit 90%iger Wahrscheinlichkeit regnen wird. Wenn wir nun überlegen, ob wir mit Freunden morgen ein Picknick veranstalten wollen, für das wir heute schon Vorbereitungen treffen müssen – einkaufen, kochen –, sollen wir dann die Information über die hohe Regenwahrscheinlichkeit ignorieren, weil sie unsicher ist? Sollen wir bei unserer Überlegung einfach so tun, als könnte es genauso gut regnen wie schönes Wetter geben? Das wäre ziemlich irrational. Selbstverständlich schließt auch eine 90%ige Regenwahrscheinlichkeit nicht aus, dass morgen doch schönes Wetter sein wird; aber es ist eben nicht wahrscheinlich. Wenn wir uns in ähnlichen Entscheidungssituationen immer gegen das Picknick entscheiden, dann werden wir uns auf lange Sicht im Durchschnitt in jedem zehnten Fall ärgern, dass wir das Picknick abgeblasen haben, obwohl es nachher doch schönes Wetter gab. Aber in neun von zehn Fällen werden wir froh sein, nicht auch noch die Picknickvorbereitungen getroffen zu haben oder gar beim Picknick vom Regen überrascht worden zu sein. Wie soll man sich aber in dieser Situation allein auf der Basis von sicherem Wissen entscheiden, wenn man also die probabilistische Information ignoriert? Sicher weiß man nur, dass es Regen oder Sonnenschein geben kann. Entweder man setzt nun optimistisch dauernd auf die Möglichkeit des Sonnenscheins (Maximax-Strategie) und wird dann in 90% der Fälle nass. Oder man setzt pessimistisch dauernd auf die Möglichkeit des Regens (Maximin-Strategie). In Situationen mit einer 90%igen Regenwahrscheinlichkeit kommt man im letzteren Fall zu keiner anderen Entscheidung als der probabilistische Entscheider. Aber der certistische Entscheider dürfte auch bei 10%iger Regenwahrscheinlichkeit nicht anders entscheiden, da diese Information für ihn ja nicht zählt. Der certistische Entscheider käme also auch in dieser Situation oder noch allgemeiner: nie zu seinem Picknick. Der probabilistische Entscheider hingegen würde die 10%ige Regenwahrscheinlichkeit nicht unbedingt als großes Hindernis ansehen und damit dann langfristig in neun von zehn Fällen Glück und in einem von zehn Fällen Pech haben. Dies ist sicher ein besseres Ergebnis als häufig Pech zu haben oder nie zu einem Picknick zu kommen.«³¹

An diesem Beispiel macht Lumer die Vorteile einer Handlungsweise deutlich, die (auch) probabilistische Kriterien zur Entscheidungsfindung heranzieht. Dabei wird in diesem Beispiel eine Konstellation herangezogen, in der sicheres Wissens gar nicht vorliegen kann – über das zukünftige Wetter können wir nie zu sicherem Wissen gelangen. Sobald eine Konstellation vorliegt, in der sowohl sicheres Wissen als auch probabilistische Informationen vorliegen, wäre es rationaler – je nach dem Aufwand, der für das sichere Wissen benötigt wird –,

³⁰ Aristoteles unterscheidet zwischen Demonstration (apódeixis) und dialektischer Argumentation, die auf Meinungen (éndoxa) aufbauen (vgl. Aristoteles, Topik I, 1, 100a27–b23). Lumer interpretiert éndoxa u. a. als wahrscheinliche Propositionen und zeigt, dass Aristoteles, anders als Platon und Sokrates, Argumente, die auf probabilistischen Propositionen beruhen, als gültig betrachtete (vgl. Lumer, »Überreden« 13–15). ³¹ Lumer, »Überreden« 11–12.

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sich nicht an die probabilistischen Informationen zu halten. Lumer legt jedoch am obigen Beispiel den Vorteil der probabilistischen Information dar, unter der Voraussetzung, diese müsse erkenntnistheoretisch fundiert sein.³² Lumer bietet für die Rhetorik, die sich auf argumentative Mittel i. w. S. beschränkt und eine argumentative Rhetorik ist, den erkenntnistheoretischen Ansatz an. Die persuasive Rhetorik ist der rhetorische Ansatz in der Argumentationstheorie und legt die Funktion der Argumentation beim Erzeugen oder Erhöhen der Akzeptanz einer These an. Lumer bemängelt zu Recht, dass diese Funktion auch die Akzeptanz einer falschen These zulässt.³³ Gegen diesen Ansatz vertritt er die erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentation und definiert ihre Funktion wie folgt: »Die (Standard-)Funktion von Argumentationen ist, den Adressaten der Argumentation zur Erkenntnis der These zu führen, genauer: ihn beim Erkennen der Wahrheit oder Akzeptabilität der These anzuleiten.«³⁴

Um den Lumerschen Ansatz der Anleitung zur Erkenntnis zu verstehen, werden einige Klarstellungen für Kernkonzepte wie beispielsweise Erkenntnis, Akzeptabilität und Erkenntnisprinzip benötigt. Nach Lumer erfordert das Erkennen eine Überprüfung der These daraufhin, ob sie erkenntnistheoretische Kriterien erfüllt oder nicht. Wenn dies gegeben ist, ist auch die Akzeptabilität der These gegeben;³⁵ dann ist die These wahr, wahrscheinlich oder wahrheitsähnlich.³⁶ Der Argumentierende leitet den Adressaten an, er liefert ihm implizit Informationen, damit dieser die These überprüfen und akzeptieren kann. Er leitet ihn somit zur Erkenntnis und versucht nicht etwa, ihn durch eristische Mittel zu täuschen und zu überreden. Lumer verdeutlicht die Anleitung zur Erkenntnis

³² Vgl. Lumer, »Überreden« 13. In den apologetischen Argumenten al-Jaʿfarīs kommen zwar keine probabilistischen Argumente vor, jedoch frequentistische (siehe hierzu Abschnitt 9.7). ³³ Lumer, »Überreden« 17–18. ³⁴ Lumer, »Überreden« 18. ³⁵ Die Akzeptabilität theologischer Argumente mit Prämissen über das Göttliche unterscheidet sich von der Akzeptabilität von Argumenten mit profanen Prämissen. Obwohl profane Prämissen komplex sein können, besteht bei ihnen theoretisch meist die Möglichkeit, ihren Wahrheitswert zu ermitteln. Dagegen ist die Anerkennung der Wahrheit vieler theologischer Prämissen und somit die Akzeptabilität des Arguments letztlich vom Adressaten abhängig, vor allem dann, wenn eine Prämisse über das Göttliche nicht bewiesen werden kann. Deshalb ist die Frage nach der Akzeptabilität theologischer Argumente theoretisch zu begründen: Nur wenn der Adressat die Prämissen für wahr hält, und die Prämissen die Konklusion logisch implizieren, kann der Interpret davon ausgehen, dass der Adressat die These für wahr und gültig halten muss. Somit ist die Akzeptabilität hypothetisch gegeben. Für die Analyse von Radd-Texten ist diese Herangehensweise passend; denn ohnehin ist der Adressat sehr generell gehalten und oftmals selbst hypothetisch formuliert. Adressat ist häufig derjenige, der die kritisierte These für wahr hält. Angesichts des Umstandes, dass theologische Argumente oftmals auf theologisch fundierten Prämissen aufbauen, ist eine andere Analyse der Akzeptabilität nicht sinnvoll. ³⁶ Lumer, »Überreden« 18.

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u. a. am Beispiel des deduktiven Erkennens: Der Adressat muss überprüfen, ob das deduktive Argument das deduktive Erkenntnisprinzip erfüllt. Wenn diese Überprüfung ergibt, dass alle Bedingungen des deduktiven Erkenntnisprinzips erfüllt sind, kann der Erkennende, in diesem Fall der Adressat bzw. der Opponent, rational betrachtet an die Wahrheit der These glauben.³⁷ Dieses Beispiel zieht das deduktive Erkenntnisprinzip heran. Lumer erkennt eine Vielzahl weiterer Erkenntnisprinzipien an, beispielsweise das erkenntnisgenetische oder das interpretierende Erkenntnisprinzip.³⁸ Außerdem nennt Lumer am Beispiel des deduktiven Erkennens zwei weitere Regeln, die beim Anleiten zur Erkenntnis erfüllt sein müssen: Gültigkeitskriterien und Adäquatheitskriterien.³⁹ Diese definiert Lumer wie folgt: »Die Gültigkeitskriterien geben an, wann eine Argumentation prinzipiell zum rationalen Überzeugen verwendet werden kann; sie definieren, was ein prinzipiell funktionierendes Instrument ist. Die Adäquatheitskriterien geben an, in welchen Situationen diese Argumentationen sinnvollerweise zum rationalen Überzeugen angewendet werden kann.«⁴⁰

Diese Kriterien sind für die Lumersche Argumentationstheorie zentral: Sie müssen bei jeder Argumentationsanalyse beachtet werden, um zu überprüfen, ob eine erkenntnistheoretisch fundierte Argumentation vorliegt. Da sie demnach auch in den folgenden Analysen unserer Untersuchung zentrale Überprüfungspunkte darstellen, müssen sie hier näher betrachtet werden. Am Beispiel des deduktiven Erkennens sind diese Kriterien – verkürzt dargestellt – folgende:

³⁷ Lumer, »Überreden« 18–22. Zudem bemerkt Lumer, dass sich erkenntnistheoretisch orientierte Ansätze auf eine semantische Wahrheitstheorie stützen, bei der die sprachlichen Ausdrücke eines Satzes das Kriterium dafür sind, ob die These bzw. das Urteil wahr ist (vgl. Lumer, »Argumentation, Argumentationstheorie« 90). ³⁸ Lumer, »Überreden« 21. Für die vorliegende Untersuchung und ihre Forschungsfrage ist es zentral, welche Erkenntnisprinzipien die polemischen Autoren in ihren Argumentationen heranziehen. Um dieser Fragestellung gerecht zu werden, passt der Lumersche Ansatz ausgezeichnet. ³⁹ Lumers Unterscheidung von (argumentativer) Gültigkeit und (situativer) Adäquatheit darf nicht mit der Unterscheidung von Gültigkeit und Schlüssigkeit verwechselt werden (zu letzterer siehe hier S. 121 Anmerkung 240). Sie widersprechen sich aber auch nicht – es handelt sich einfach um unterschiedliche Betrachtungsweisen. Die Unterscheidung von Gültigkeit und Schlüssigkeit ist eine einfache und generelle Klassifikation von Schlüssen bzw. Argumenten, die keine Rücksicht auf unterschiedliche Rezipienten, deren Kenntnisstand, die argumentative Situation usw. nimmt; sie gehört eher der formalen Logik an als der Argumentationstheorie. Für letztere sowie für die Argumentationsanalyse sind dagegen feinere Begrifflichkeiten sinnvoll. Hier bewährt sich Lumers Unterscheidung von (argumentativer) Gültigkeit und (situativer) Adäquatheit mit ihren Unterkriterien, da sie die differenzierte Bewertung eines Arguments in Bezug auf bestimmte Adressaten erlaubt. Dadurch passt sie auch ausgezeichnet zu Lumers Ansatz der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie, derzufolge ein Argument ja konkrete Adressaten zur Erkenntnis einer These anleiten soll (vgl. Zitat auf S. 230). ⁴⁰ Lumer, »Überreden« 22.

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1. Argumentative Gültigkeit deduktiver Argumentationen: a) Definitionsbereich b) Argumentationsindikator c) Wahrheitsgarantie d) Prinzipielle Adäquatheit 2. Situative Adäquatheit deduktiver Argumentationen zum rationalen Überzeugen: e) Situative Adäquatheit⁴¹ Im Definitionsbereich wird festgelegt, aus welchen Thesen und Prämissen das Argument aufgebaut ist; der Argumentationsindikator zeigt an, dass eine Argumentation vorliegt und welche Aussagen die These und welche die Prämissen bilden. Die Wahrheitsgarantie ist gegeben, wenn die Prämissen wahr sind⁴² und – etwa im Falle der Deduktion – logisch die These implizieren. Die prinzipielle Adäquatheit ist gegeben, wenn theoretisch mindestens eine Person vorhanden ist, welche die Prämissen für wahr und akzeptabel hält, aber die Wahrheit und Akzeptabilität der These noch nicht erkannt hat. Damit die situative Adäquatheit gegeben ist, müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Der Adressat ist sprachkompetent, aufgeschlossen und urteilsfähig; zudem hat er die Prämissen als akzeptabel erkannt, aber (noch) nicht die These.⁴³ Des Weiteren muss die Schlussbeziehung zwischen den Prämissen und der These für den Adressaten offenkundig, d. h. hinreichend einfach zu durchschauen sein.⁴⁴ Generell kann der Adressat des Radds als sprachkompetent, aufgeschlossen und urteilsfähig eingestuft werden. Adressaten sind in den meisten Fällen gebildete Menschen, die Texte lesen und beurteilen können, wenn sie nicht sogar Gelehrte waren. Eine weitere wichtige Frage ist, ob der Radd argumentative Besonderheiten gegenüber anderen theologischen Genres aufweist und – wenn ja – welche. Da eine zentrale Eigenschaft des Radds in seiner Zielsetzung besteht, einen

⁴¹ Diese verkürzte Version der Kriterien, die an dieser Stelle für unsere Untersuchung ausreicht, stammt aus Lumers Artikel »Überreden ist gut, überzeugen ist besser!« (Lumer, »Überreden«); für einen vertieften Überblick vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 180–209, 187–189. ⁴² Diese Teilbedingung zeigt, dass die argumentative Gültigkeit in Lumers Sinne bereits die Schlüssigkeit im Sinne unserer allgemeinen Unterscheidung von ›gültig‹ und ›schlüssig‹ voraussetzt (siehe dazu hier S. 121 Anmerkung 240). Die vorliegende Studie spricht jedoch, wenn es um Lumers Kriterien geht, von ›Gültigkeit‹, um Lumers Begrifflichkeit zu wahren. ⁴³ Vor allem in diesem Kriterium der situativen Adäquatheit (zum Begriff vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 45) ist die Theorie des Radds verankert. Ziel jedes Radds, vor allem zum Christentum, ist es, Argumente zu konstruieren, deren Prämissen vom Adressaten akzeptiert werden. Wenn nun zudem die Form der Argumentation garantiert, dass, wenn die Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr ist, ist damit die optimale Form eines Arguments im Rahmen des Radds konstruiert worden. Die Theorie der Adäquatheit im Rahmen des Radds ist somit ein fester Bestandteil der Argumentationen von Autoren wie al-Jaʿfarī. Vgl. dazu die eingehenden Argumentationsanalysen zu al-Jaʿfarī in Kapitel 9. ⁴⁴ Vgl. Lumer, »Überreden« 23.

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nicht-muslimischen Opponenten zu überzeugen, kann das Bestimmen der Adäquatheit Hinweise darauf geben, welche Besonderheiten die argumentative Begegnung mit christlichen Opponenten im Radd im Vergleich zu innerislamischen theologischen Disputationen bewirkt. Wenn wir zeigen können, wie die Interaktion zwischen Argumentierenden, Argumentationstext und Opponenten bzw. Adressaten im Rahmen der Adäquatheitsbestimmung geregelt ist, kann das Besondere des Radds im Vergleich zu innerislamischen Diskursen bestimmt werden. Ein Beispiel: Eine besondere Strategie ist etwa, dass im Radd des al-Jaʿfarī keine koranischen Belege verwendet werden, da diese ja für die Absicht, christliche Adressaten zu überzeugen, nicht adäquat wären. Ähnlich wie dieses Beispiel können alle anderen Besonderheiten, die in der Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit geprüft werden, die Besonderheit des Radds gegenüber anderen theologischen Diskursformen ausmachen.⁴⁵ Tatsächlich kann im Radd generell die Tendenz beobachtet werden, dass eine Adäquatheit der Prämissen u. a. dadurch angestrebt wird, dass ohne bzw. jedenfalls nicht nur mit islamischen Quellen argumentiert wird. Dabei werden diese Quellen entweder ganz weggelassen oder parallel zu rationalen Argumenten verwendet, wohl um (i.) dem muslimischen Leser zu nützen oder um (ii.) zu zeigen, dass das, was die Ratio lehrt, auch der Koran oder die Hadithe lehren. Somit wäre diese Strategie (ii.) selbst ein Argument zur Überzeugung auch des nicht-muslimischen Rezipienten, wenn auch ein implizites. Als Beispiel hierfür könnte die Schrift Al-jawāb al-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-Masīḥ des Ibn Taymiyya herangezogen werden, in der er die Prophetenschaft Muḥammads anhand koranischer Quellen zu beweisen versucht, um anschließend diese These auch rational zu begründen.⁴⁶ Lumers Kriterien sind so gefasst, dass eine Argumentation, die ihnen genügt, den Adressaten zur Erkenntnis anleiten kann. Der Argumentationsindikator informiert Adressaten, was im Text die Prämissen und was die These ist und zudem auch generell, ob es sich wirklich um eine Argumentation handelt. Wenn der Adressat dies wahrgenommen hat, hat er auch die implizite Einladung des Adressaten erhalten, die Akzeptabilität der These zu überprüfen. Wenn das Angebot angenommen wird, geht der Adressat bzw. der Interpret den nächsten Schritt und überprüft idealerweise, welches Erkenntnisprinzip der Argumentation zugrunde liegt. Diese Überprüfung ist »der Schlüssel für die Verwendung der Argumentation zum Anleiten des Erkennens«⁴⁷. Wenn das Erkenntnisprinzip gefunden wurde, müssen die Bedingungen für die Akzeptabilität der These nach diesem Prinzip spezifiziert werden. Jedes Erkenntnisprinzip kann eigene Bedingungen aufweisen; deshalb stellt Lumer am Beispiel des deduktiven Erkenntnisprinzips die folgenden Bedingungen auf,

⁴⁵ Für weitere Eigenschaften, die aus der Adäquatheitsprüfung resultieren, vgl. hier Teil IV (»Systematisierung«), in dem die Ergebnisse dieser Prüfung zusammengefasst werden. ⁴⁶ Vgl. Ibn Taymiyya, Answering Those who Altered the Religion, hg. von Ahmad AlTahhan 39–42. ⁴⁷ Lumer, »Überreden« 24.

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die erfüllt werden müssen, damit die These für den Adressaten akzeptabel ist: (i.) die Wahrheit der Prämissen und (ii.) die logische Implizierung der These durch die Prämissen.⁴⁸ Somit liegt die Erkenntnisleistung beim Adressaten, doch gibt Lumer zudem den Hinweis, dass die Erkenntnis nicht erst beim Adressaten generiert wird, sondern schon beim Argumentierenden vorhanden war; also gibt er dem Adressaten eine Erkenntnis weiter bzw. leitet ihn zur Erkenntnis an.⁴⁹ Was beim deduktiven erkenntnistheoretischen Prinzip einfach darzustellen ist (wobei die logische Implizierung manchmal detailliert geprüft werden muss), kann jedoch bei anderen erkenntnistheoretischen Prinzipien eine komplexe Untersuchung erfordern.⁵⁰ Vom Adressaten ist nun zu erwarten – soweit die Gültigkeits- und Adäquatheitsbedingungen erfüllt sind und die Untersuchung positiv verläuft und er rational ist –, dass er die Wahrheit der These akzeptiert. Ansonsten muss er aus erkenntnistheoretischer Perspektive als irrational betrachtet werden. An dieser Stelle findet eine Aussage vieler islamischer Polemiker eine neue Deutung: Häufig werden wie beispielsweise bei al-Ghazālī oder al-Jaʿfarī die Christen als irrational (fälschlicherweise oft mit ›dumm‹ übersetzt⁵¹) bezeichnet. Gemeint ist an dieser Stelle keine Schmähung des Adressaten, sondern die erkenntnistheoretische Kritik des Argumentierenden gegenüber dem Adressaten. Denn nach den Regeln der Logik und der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie müsse der Adressat die These annehmen; tut er dies nicht, betrachtet der Argumentierende ihn als irrational.⁵² Auffällig sind die Rollen des Argumentierenden und des Adressaten in der Lumerschen Argumentationstheorie: Die erkenntnistheoretische Argumentation ist nicht aus der Perspektive des Argumentierenden konzipiert, der lediglich persuasiv auf die Akzeptanz der These durch den Adressaten abzielt, sondern aus der Perspektive des Adressaten. Dem Adressaten wird durch den Argumentierenden ein Überprüfungsangebot gemacht: Er kann das Argument überprüfen und sich für oder gegen die Akzeptanz der These entscheiden.⁵³ Dabei ist der Argumentierende idealerweise darum bemüht, in seiner Argumentation erkenntnistheoretische Bedingungen zu erfüllen, um so die Akzeptanz erkenntnistheoretisch begründet zu erzielen.

⁴⁸ Lumer, »Überreden« 24. Vgl. dazu die Kriterien für weitere Erkenntnisprinzipien bei Lumer, Praktische Argumentationstheorie 65, 187, 225 und 228. ⁴⁹ Vgl. Lumer, »Überreden« 25. ⁵⁰ Diese Frage wird ggf. jeweils bei den Analysen der Argumente al-Jaʿfarīs in Kapitel 9 dieser Studie thematisiert sowie allgemein bei der Systematisierung in Kapitel 10. ⁵¹ Vgl. al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, Übersetzung von Wilms 74. ⁵² Rationale Argumentation gilt im Radd und weitgehend auch im Kalām als die einzige neben der Offenbarung zulässige Methode zur Wahrheitsfindung (und auch die Offenbarung darf im Allgemeinen der Vernunft nicht widersprechen). Diese Methode liegt auch der islamisch-christlichen Streitkultur zugrunde. Abweichungen werden mit dem Vorwurf der Irrationalität sanktioniert. ⁵³ Vgl. Lumer, »Überreden« 25.

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Die Heranziehung von erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentationen hat im Radd und anderswo auch pragmatische Vorteile, sowohl für den Argumentationstyp an sich wie auch für den Argumentierenden selbst. Eine rein persuasive Argumentation würde einen gebildeten Theologen sicherlich nicht überzeugen. Wenn in der theoretisch-argumentativen Theologie echte Überzeugung beabsichtigt wird, dann sind die Chancen bei der erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentation am höchsten. Als pragmatische Gründe für eine erkenntnistheoretische Argumentationstheorie seien die von Lumer aufgezählten Punkte genannt:⁵⁴ i. ii. iii. iv. v. vi. vii.

die resultierenden Meinungen sind häufiger wahr oder wahrheitsähnlich; Erkenntnisakkumulation/gesellschaftliche Wissensakkumulation; Argumentation als subjektive Begründung; Perspektive des wahrheitssuchenden Subjekts; leichtere und dauerhafte Akzeptanz der These; Aufbau epistemischer Reputation; Beginn einer Kooperation.

Die so verstandene erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentation bietet eine Reihe von Vorteilen. Da sie auf erkenntnistheoretischen Prinzipien basiert, resultieren daraus häufiger wahre oder wahrheitsähnliche Meinungen. Da das Resultat dieser Argumentation nicht nur auf die Akzeptanz der These abzielt, sondern eine Erkenntnis zu generieren vermag, muss diese Erkenntnis wahr, wahrheitsähnlich oder wahrscheinlich sein.⁵⁵ Das der Argumentation zugrunde liegende Erkenntnisprinzip basiert auf Wahrheitsdefinitionen und liefert Bedingungen dafür, wann eine These wahr oder akzeptabel ist. Letztlich liefert dieser Argumentationstyp – im Vergleich zu persuasiven Verfahren – Meinungen mit hohem Wahrheitsanteil.⁵⁶ Die erkenntnistheoretisch fundierte Argumentation bietet zudem im Vergleich zu persuasiven Verfahren die Möglichkeit der Erkenntnisakkumulation, sowohl auf persönlicher wie auch auf gesellschaftlicher bzw. wissenschaftlicher Ebene und in unserem Kontext in der Entwicklung des Radd-Diskurses. Hinzukommend bietet die erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentation dem Adressaten eine subjektive Begründung an, denn im Prozess der Generierung der Erkenntnis nach erkenntnistheoretisch konzipierten Argumentationen bedarf es auch der subjektiven Begründung. Zudem geht dieser Argumentationstyp von einem wahrheitssuchenden rationalen Subjekt aus, auf das erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen zugeschnitten sind, denn der Adressat soll zur Erkenntnis angeleitet werden, indem er als rationales Subjekt die Akzeptabilität der These überprüft. Der Adressat wird in erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentationen die These wahrscheinlicher akzeptieren als bei anderen Argumentationen, denn die Argumentation ist

⁵⁴ Vgl. Lumer, »Überreden« 25–28. ⁵⁵ Lumer, »Überreden« 26. ⁵⁶ Lumer, »Überreden« 26.

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idealerweise gültig und adäquat. Zudem ist die Akzeptanz dauerhaft und nicht etwa wie beim persuasiven Verfahren auf möglicherweise erkenntnistheoretisch wertlosen Propositionen aufgebaut. Schließlich kann der Argumentierende einen kritischen Adressaten eher mit erkenntnistheoretisch fundierten Argumenten erreichen, als wenn er ihm mit unklugen Argumenten begegnet; in letzterem Fall könnte er auch seine epistemische Autorität nicht aufrechterhalten.⁵⁷ Diese und ähnliche Punkte waren auch für die theologische Autorität sehr bedeutend, weshalb viele Theologen ihre Werke mit ihren Erkenntnislehren beginnen (vgl. bspw. al-Māturīdīs Tawḥīd). Zudem weiß der Verfasser des Radds, dass der Adressat der Radd-Argumentation die Argumente erkenntnistheoretisch prüfen kann; deshalb wurden Radd-Schriften hauptsächlich mit erkenntnistheoretisch konzipierten Argumentationen erstellt. Die Absicht dahinter ist, dem erkenntnistheoretisch geschulten Adressaten im Rahmen einer gemeinsamen Wissenschaftskonzeption zu begegnen, in der Logik und Argumentation als Methode eine erhebliche Rolle spielte. Die erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentationen bietet darüber hinaus sogar die Chance zum Beginn einer Kooperation. Innerhalb eines Diskurses können erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen zu gegenseitigen Kooperationen anregen, sodass im Diskurs gemeinsam der Erkenntnisgewinn fortgeführt wird, auch wenn das im Rahmen der argumentativen Begegnung oft nicht intendiert ist. Zudem finden in diesem Diskurs ein Informationsaustausch und eine gemeinsame Wahrheitssuche statt.⁵⁸ Dieser Punkt ist womöglich ein Hauptgrund für die Entwicklung der islamischen Theologie durch die Auseinandersetzung mit christlicher Theologie in der Entstehungsphase des Islams. Denn wie schon Carl Heinrich Becker 1911 in seinem Werk Christliche Polemik und islamische Dogmenbildung stichhaltig festhielt, entwickelte sich der Kalām maßgeblich durch die Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre.⁵⁹ Zu dieser Beeinflussung trug sicherlich die Tatsache bei, dass in der Formationsperiode der islamischen Theologie auch die Formulierung der christlichen Theologie in arabischer Sprache stattfand.⁶⁰ Dass die christliche Theologie seit dem 8. Jahrhundert, in der Zeit der Dynastie der Abbasiden (750–1258 n. Chr.), die arabische Sprache annahm,⁶¹ garantierte die Verständigung; und die Annahme der arabischen Sprache gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass beide Religionen im Orient nicht ganz unabhängig voneinander agieren konnten.⁶² Die Apologetik ist lediglich eine Form der Interaktion dieser

⁵⁷ Lumer, »Überreden« 26–28. ⁵⁸ Lumer, »Überreden« 28. Vgl. al-Ghazālī, Iḥyāʾ ʿUlūm al-Dīn Bd. 1, 33–48 für al-Ghazālīs Voraussetzungen der Wahrheitssuche für die Disputation. ⁵⁹ Zu dieser These gibt es Befürworter und Gegner (vgl. van Ess, »Beginnings« 87–111 und Reynolds, Sectarian Milieu 21–28). Sicher ist jedoch, dass Islam und Christentum sich gegenseitig kennenlernten, sich argumentativ begegneten, Argumente zueinander konstruierten und somit ein neues Literaturgenre generierten. ⁶⁰ Vgl. Griffith, »Concept« 168. ⁶¹ Vgl. Griffith, »Comparative Religion« 63. ⁶² Vgl. Rudolph, »Bibelexegese« 299.

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Religionen. Durch die neue arabische Literatur der Christen bekamen Muslime einen besseren Zugang zur christlichen Lehre; diese Tatsache beförderte die gegenseitige Beeinflussung⁶³ und wirkte bei der Etablierung des Kalāms mit.⁶⁴ Andererseits lud der islamische Radd die Christen dazu ein, zu ihren Argumenten (in arabischer Sprache) Stellung zu nehmen, und förderte damit seinerseits die Etablierung der christlichen Theologie auf Arabisch.⁶⁵ Obwohl bei der Etablierung des Kalāms der Begegnung, Beeinflussung und Auseinandersetzung mit dem Christentum zweifelsohne große Bedeutung zukommt, ist die oft vertretene These, dass der frühe Islam vom Judenchristentum beeinflusst wurde,⁶⁶ zuletzt von Guillaume Dye in Zweifel gezogen worden. Diese These sei schon deshalb problematisch, weil gar nicht klar sei, was mit ›Judenchristentum‹, ›Beeinflussung‹ und ›früher Islam‹ gemeint sei.⁶⁷ Stattdessen solle die Forschung besser nach der Herkunft der antitrinitarischen Idee im Islam suchen, welche etwa in den Pseudo-Klementinen zu finden sei oder aber eben im Judenchristentum.⁶⁸ Obwohl die Entstehung des Islams nicht mit Sicherheit auf Quellen des Judentums und des Christentum zurückgeführt werden kann und hier mehr Fragen vorhanden sind als Antworten, ist in der Frage, wie der Radd und allgemein der Kalām entstanden ist, mehr Klarheit vorhanden und ihre Entstehung und Entwicklung kann, wenn auch für die Tradierung noch großer Forschungsbedarf besteht, auf die Erschließung des griechischen Erbes durch die Übersetzungsinitiative⁶⁹ sowie auf die Begegnung mit dem Christentum und dem Judentum zurückgeführt werden, wobei der Radd selbst ein Teil dieser Begegnung ist.

⁶³ Die islamische Theologie wurde von der Kontroverse mit dem Christentum geprägt (vgl. Becker, Dogmenbildung), doch auch die christliche Theologie wurde von dieser Kontroverse beeinflusst, insbesondere jene der Nestorianer. So hatten Kontroverse, Disputation und Verteidigung in der nestorianischen Literatur den Vorrang, vor allem über die Trinität und Inkarnation, andere Themen waren meist nebensächlich (vgl. Graf, Geschichte Bd. 2, 104). ⁶⁴ Bezüglich des Streites, inwieweit die christliche Theologie die Ausformung der islamischen Theologie in ihrer Entstehungsphase beeinflusst hat, siehe als Befürworter dieser These insbesondere Seale, Muslim Theology, wo Seale versucht, die Dogmatik der islamischen Theologie in der christlichen wiederzufinden und somit die Beeinflussung zu belegen. Als Skeptiker gegenüber dieser These gelten Frank (vgl. Frank, Beings 1–7) und van Ess (vgl. van Ess, »Beginnings« 89–111). ⁶⁵ Die Einladung des Radds zu einer Antwort auf die konstruierten Argumente ist ein Merkmal dieser Gattung (vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā passim). Oft wurde diese Einladung nicht nur rhetorisch verstanden, sondern angenommen und eine Gegenschrift verfasst, wie etwas das Jawāb al-Nāshiʾ al-Akbar (»Antwort auf al-Nāshiʾ al-Akbar«) des al-Ṣafī ibn al-ʿAssāl (vgl. Awad, »Jawāb al-Nāshiʾ« 541–542). Dieser Diskurs trieb die Entwicklung beider Theologien voran. ⁶⁶ Für eine Liste von Vertretern dieser These und Literatur dazu vgl. Dye, »Jewish Christianity« 11. ⁶⁷ Vgl. Dye, »Jewish Christianity« 11–29. ⁶⁸ Vgl. zu dieser Frage Shoemaker, »Jewish Christianity«. ⁶⁹ Zur Bagdader Übersetzungsinitiative vgl. Steinschneider, Übersetzungen, Walzer, Greek into Arabic und Gutas, Translation Movement.

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Allgemein kann die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie wie folgt zusammengefasst werden: Der Standardoutput einer Argumentation ist eine Erkenntnis des Adressaten, dass die These akzeptabel ist. Dabei kann diese Erkenntnis nur dann gewonnen werden, wenn die Akzeptabilitätsbedingungen für diese These als erfüllt beurteilt werden.⁷⁰ Bei Lumer ist der Bezug der Argumentation auf die Bedingungen für die Wahrheit bzw. Akzeptabilität der These von zentraler Bedeutung.⁷¹ Lumer stellt in seiner Kritik an alternativen Argumentationstheorien stichhaltig fest, dass diese diesen Bezug auf die Bedingungen für Wahrheit und Erkenntnis nicht ausreichend oder dieser sogar überhaupt nicht beachten.⁷² Dagegen stellt die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie ganz zentral die Frage nach den Bedingungen und Prinzipien der Erkenntnis.⁷³ Denn nach Lumer ist die Erfüllung der Bedingungen (und durchaus auch Prinzipien) der Erkenntnis ausschlaggebend für die Akzeptabilität und für die Wahrheit der Argumentation, denn diese Bedingungen sind für die Voraussetzung notwendig, dass die These auf rationale Weise erzeugt wird. Dass die rationale Akzeptanz der These auch auf rationale Weise erzeugt wird, ist nach Lumer sogar eine Grundfunktion von Argumentation.⁷⁴ Lumer versucht in einem Beitrag mit dem Titel »Argumentationstheorie und Logik« die Grenzen zwischen Argumentationstheorie und Logik zu ziehen. Sein Anliegen ist konstruktiv; er möchte das Verhältnis von Argumentationstheorie und Logik positiv bestimmen. Lumer plädiert dabei für folgende Thesen: 1. Argumentationstheorie und Logik sind jeweils eigenständige Disziplinen. 2. Die Argumentationstheorie setzt die Logik voraus, nicht aber umgekehrt. 3. Die Argumentationstheorie muss die Logik als Organon der Begründung und Kritik ergänzen.⁷⁵ Der Inhalt, der bei einer Argumentationshandlung vorgetragen wird, heißt Argumentation.⁷⁶ Lumer stellt mögliche Bedeutungen von ›Argumentation‹ und ›Argument‹ in seiner Praktischen Argumentationstheorie dar und betont, dass lediglich zwei Bedeutungen von ›Argument‹ für seine Argumentationstheorie ausschlaggebend sind, nämlich:

⁷⁰ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 284. ⁷¹ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 284. ⁷² Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 284–296. ⁷³ Deshalb ist der erkenntnistheoretische Ansatz für die vorliegende Untersuchung zentral, denn sie fragt nach den Erkenntnisprinzipien, die den Argumenten über die christliche Lehre zugrunde liegen. Die Bewältigung dieser Aufgabe bedarf einer systematischen Herangehensweise und einer erkenntnistheoretischen Betrachtung der Argumentation. Diese Aufgabe kann die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Lumer leisten. ⁷⁴ Vgl. Lumer, »Logik« 56. ⁷⁵ Lumer, »Logik« 53. ⁷⁶ Lumer, »Logik« 55. Der Inhaltsbezug bei Lumer verhält sich adäquat zum Argumentationsverständnis in der islamischen Theologie: Auch in der argumentativen islamischen Theologie ist nicht die Argumentationshandlung an sich von Relevanz, sondern ihr Inhalt.

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1. Argument als Beweisgrund, auf den sich eine These stützt; 2. Argument im Sinne der traditionellen Logik.⁷⁷ Diese beiden Argumentbegriffe sind für die Analyse von theologischen⁷⁸ (bei Lumer: von philosophischen) Argumenten besonders geeignet. Das Konzept des Arguments im Kalām basiert ja ebenfalls darauf, dass das Argument die Funktion hat, die These zu begründen. Zudem wird die aristotelische Logik i. w. S. ebenfalls als Mittel zum Konstruieren von Argumenten verstanden.⁷⁹ Lumer stellt sodann die Frage nach der Funktion eines Arguments. Obwohl die Vermutung berechtigt ist, dass gerade die Funktion von Argumenten disziplinabhängig ist, bietet Lumer folgende allgemeine Funktionsbeschreibung, die von vielen Disziplinen geteilt werden kann: »Eine erste Funktionsbestimmung besagt, Argumentationen dienen dazu, die These der Argumentation zu begründen oder zu stützen. Dies mag zwar richtig sein, ist aber ähnlich erläuterungsbedürftig wie ›Darlegen von Argumenten‹. Eine zweite Funktionsbestimmung besagt, Argumentationen dienen dazu, die Akzeptanz der These beim Adressaten der Argumentation zu erzeugen oder zu vergrößern. Dies ist zwar verständlich, aber nicht richtig: Diese Funktionsbestimmung verfehlt den spezifischen Unterschied zwischen Rhetorik und Argumentation; die Akzeptanz von Thesen kann man rein verbal auch mit gänzlich unargumentativen Mitteln erzeugen. Diese Kritik weist aber den Weg zu einer ansatzweise brauchbaren Funktionsbestimmung: Die Funktion von Argumentation ist, die rationale Akzeptanz der These auf rationale Weise zu erzeugen oder zu vergrößern.«⁸⁰

Die erste Definition als Annäherung lautet bei Lumer demnach wie folgt: »Argumentation ist, die rationale Akzeptanz der These auf rationale Weise zu erzeugen oder zu vergrößern.«⁸¹

Wenn wir die argumentative Theologie oder spezieller die vorliegenden RaddSchriften heranziehen, wird deutlich, dass sie durch ihre Argumente den Anspruch haben, diese rationale Funktion der Argumentation zu erfüllen. Sie versuchen, die rationale Akzeptanz ihrer Thesen auf rationale Weise zu erzeugen. Folgendes Argument von al-Jaʿfarī soll demonstrieren, wie diese rationale Akzeptanz zu erzeugen versucht wird: »Dann sagt man den Christen: Da ihr behauptet, dass euer Gott Jesus starb und dann wieder lebte; wer hat ihn dann nach seinem Tod wieder zum Leben erweckt? Und wenn die Christen

⁷⁷ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 22–27. ⁷⁸ Denn die Theologie, die argumentativ ausgerichtet ist, zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Argument aufstellt, um die These durch Beweise zu stützen. Auch der Argumentbegriff im Sinne der traditionellen Logik entspricht dem theologischen Argument, da die Theologie ja vor allem die traditionelle (d. h. hier: die klassische) Logik heranzieht, um (theologische) Schlüsse zu ziehen. Anzumerken ist, dass dies nicht nur für den Kalām gilt, sondern vor allem auch für das uṣūl al-fiqh (Rechtstheorie). Denn das uṣūl al-fiqh ist aus der ʿilm al-kalām hervorgegangen. ⁷⁹ Çelebi/Topaloğlu, Kelâm 134–135 und 205. ⁸⁰ Lumer, »Logik« 56. ⁸¹ Lumer, »Logik« 56.

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sagen: Jesus hat sich selbst zum Leben erweckt, so sagen wir zu ihnen: Hat er sich zum Leben erweckt, als er lebendig war, oder hat er sich zum Leben erweckt, als er tot war? Beide Möglichkeiten sind ungültig.«⁸²

Dieser Beispieltext zeigt, wie rational versucht wird, die rationale Akzeptanz der These zu erzeugen. Dieser Text stellt einen Argumentationstyp dar, der für die argumentative Theologie und den Radd grundlegend ist.⁸³ Im Ergebnis ist es m. E. angebracht, mit dem Argumentbegriff Lumers zu arbeiten: Dieser Begriff ist jenem der argumentativen Theologie adäquat. Deshalb soll seine Definition als Nominaldefinition der vorliegenden Analyse zugrundegelegt werden. Des Weiteren ist in der Lumerschen Argumentationstheorie der Begriff des Standardoutputs einer Argumentation von zentraler Bedeutung für die Analyse von Argumentationstexten. Die Funktion bzw. den Standardoutput einer Argumentation in der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie beschreibt Lumer in einem seiner Artikel wie folgt sehr präzise: »Der Standardoutput von Argumentationen ist nicht einfach, daß der Adressat nachher von etwas überzeugt ist – dies ist der Standardoutput von Rhetorik –, sondern daß der Adressat eine neue Erkenntnis gewonnen hat. Eine Erkenntnis ist eine Überzeugung, die man auf eine erkenntnistheoretisch ausgezeichnete Weise gewonnen hat und von der man noch weiß, wie man sie gewonnen hat.«⁸⁴

Der Standardoutput einer Argumentation besteht also in der Generierung neuer Erkenntnisse durch Anwendung erkenntnistheoretischer Prinzipien. Wenn alJaʿfarī in seinem Text den Adressaten von der Wahrheit seiner These überzeugen möchte, generiert er eine Argumentation, die seine These stützt und begründet. Zudem baut er seine Argumentation auf ein anerkanntes erkenntnistheoretisches Prinzip auf. Demnach müssen folgende notwendige Bedingungen erfüllt werden: Es müssen (i.) ein Adressat, (ii.) ein Streitthema, (iii.) eine These zu diesem Thema, (iv.) eine rationale Argumentation für diese These und (v.) ein erkenntnistheoretisches Prinzip vorhanden sein. Diese Bedingungen werden von al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā im Allgemeinen erfüllt, sodass seine Argumente und sein Ansatz grundsätzlich als erkenntnistheoretisch ausgerichtet klassifiziert werden können.⁸⁵ Eine erkenntnistheoretische konzipierte und explizierte Argumentation hat stets einen Adressaten, der vom Argumentierenden überzeugt werden soll.⁸⁶ Wenn der Argumentierende zu einem Thema eine These A vertritt, aber der

⁸² Al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl 384. ⁸³ Für eine Analyse dieses Arguments vgl. hier S. 219. ⁸⁴ Lumer, »Dialoge« 354. Vgl. auch Lumer, Praktische Argumentationstheorie 30–43. ⁸⁵ Vgl. hierzu die Analysen der Argumente al-Jaʿfarīs in Kapitel 9. ⁸⁶ Als Grenzfall kann man die Situation betrachten, dass der Argumentierende selbst zugleich der Adressat seiner Argumentation ist – in diesem Fall wäre ein Selbststreit zustande gekommen. Doch auch diese Form der Selbstverständigung bestätigt letztlich die Notwendigkeit eines Adressaten.

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Adressat eine These B, die mit A nicht kompatibel ist, dann gibt es ein Streitthema. Der Argumentierende ist sich bewusst, dass die These, die er zu begründen versucht, strittig ist (sonst wäre die Argumentationshandlung nicht sinnvoll). Ein Streitthema hat somit mindestens zwei Streiter, die zunächst nicht dieselbe These vertreten, sonst gäbe es keinen Streit. Die Funktion der Argumentation kann nun darin liegen, diesen Streit durch Argumentation aufzulösen. Diese Auflösung des Streites kann durch einen Konsens geschehen (im Sinne von Habermas⁸⁷), der nicht auf Wahrheit der These gerichtet ist. Eine andere Möglichkeit, den Streit aufzulösen, liegt darin, dass die Argumentation den Adressaten erkenntnistheoretisch von einer bestimmten These überzeugt, sodass der Adressat sich von seiner ursprünglichen These zurückzieht. Diese Möglichkeit vertritt Lumer und sie ist zudem auch das Ziel des erkenntnistheoretisch ausgerichteten Radds.⁸⁸ Dieser Standardoutput der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie, der in realen Disputationen möglicherweise klar beobachtet werden könnte, ist in Streitschriften schwierig festzumachen. In Texten kann zwar deutlich werden, wer welche These vertritt und welche Argumente er hierfür vorlegt, doch die Frage, ob der Adressat das Argument annimmt und sein eigenes verwirft, kann nicht abschließend beantwortet werden. Doch die argumentationstheoretische Analyse kann zu prüfen versuchen, ob die Akzeptabilität der Argumentation unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten intersubjektiv und theoretisch gegeben oder zumindest wahrscheinlich ist. Diese Evaluierung von Argumenten ist eine ideale Beschreibung und Bewertung von Argumentationen und sagt zunächst nichts darüber aus, ob der (reale) Adressat diese akzeptiert. Doch gerade darin liegt eine Stärke der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie. Ob eine Erkenntnis beim (realen) Adressaten zustande gekommen ist, ist stark vom Adressaten und ggf. von äußeren Umständen abhängig, doch auch unabhängig davon können Kriterien hierfür aufgestellt werden, wie dies Lumer in seiner Praktischen Argumentationstheorie (1990) tut. Unabhängig davon, ob beim (realen) Adressaten Erkenntnis zustande kommt oder nicht, kann die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie bestimmen, ob die Akzeptabilität einer Argumentation anhand von Akzeptabilitätskriterien gegeben ist.

⁸⁷ Kommunikatives Handeln hat nach Habermas das Ziel, einen Konsens zu schaffen. Dies geschieht hauptsächlich durch Argumentation. Dabei ist dieser Ansatz nicht erkenntnistheoretisch. Eine rationale Handlung soll zwar rational sein, d. h. begründet und überprüft werden können, jedoch entscheiden über sie keine Gültigkeitskriterien der Wahrheit (wie etwa bei Lumer), vielmehr kann ein Geltungsanspruch, der vom Argumentierenden erhoben wird, vom Opponenten angenommen werden, womit ein Konsens entsteht und somit das Ziel der Argumentation erreicht wäre. (Zur Argumentationstheorie von Habermas vgl. allgemein Habermas, »Theorie«.) Für die erkenntnistheoretische Bewertung dieser Auffassung und zur Kritik an Habermas’ Theorie vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 111, 149–157, 291–296. ⁸⁸ Vgl. hierzu die Analysen zu al-Jaʿfarī in Kapitel 9 sowie die Analysen von verschiedenen Radd-Argumenten anderer Autoren in Kapitel 3 dieser Studie.

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Im Falle eines Radd-Arguments könnte man meinen, der Adressat sei einfach der Christ oder die christliche Religion oder die christliche Lehre. Diese Annahme ist jedoch zu kurz gedacht. Vielmehr ist der Adressat derjenige, der die These vertritt, gegen die der Radd-Autor argumentiert. Diese Akzeptabilitätsprüfung braucht eigene Überprüfungskriterien und kann nicht nur durch eine logische Untersuchung bestimmt werden. Ohnehin hat die (formale) Logik gegenüber der Argumentationstheorie bestimmte Einschränkungen. Zum einen muss die logische Analyse eines Textes nicht gelingen und zum anderen sind Texte vorhanden, bei denen die logische Analyse nicht durchführbar ist. Denn nach Lumer hat die Logik folgende vier Beschränkungen:⁸⁹ i. Es gibt Schlüsse, die nicht deduktiv sind (Induktion usw.). ii. Logische Regeln bedürfen ihrerseits einer Begründung. »Diese Begründung kann aber keine logische sein.« iii. Für die argumentative Anwendung von (auch logischen) Schlüssen gibt die Logik keine pragmatischen Regeln vor. iv. Wissenschaftliche Argumentationen und Alltagsargumentationen sind meist nicht formal exakt und es fehlen hierzu noch Interpretationsregeln. Der Umstand, dass es Schlüsse gibt, die nicht deduktiv sind, sondern induktiv, ist der Hauptgrund dafür, dass der Bedarf einer Argumentationstheorie überhaupt erkannt wurde. Lumer zählt folgende Arten von induktiven Schlüssen auf, die den Unterschied zur deduktiven formalen Logik aufzeigen:⁹⁰ 1. »induktive Schlüsse der verschiedensten Arten mit unsicheren Übergängen von den Prämissen zur Konklusion«, nämlich: a) generalisierende Schlüsse, b) probabilistische Schlüsse, c) Wirkungs-Ursache-Rückschlüsse; 2. direkte und indirekte Verifikationsberichte; 3. interpretierende Indizienbeweise; 4. praktische Begründungen von Werturteilen, Handlungen und Normen durch Folgenauflistung. Lumer schließt daraus Folgendes: »Diese und vielleicht noch mehr ›Schluß‹-Formen werden benötigt für die Begründung bestimmter Arten von Urteilen, bei denen eine logisch deduktive Begründung häufig oder überhaupt nicht möglich ist: für universelle Allaussagen, elementare theoretische Aussagen, Aussagen über historische Sachverhalte, über unzugängliche Räume, über innerpsychische Zustände fremder Personen, für Werturteile. In allen diesen Fällen verfügen wir häufig oder überhaupt nicht über die Kenntnis entsprechender Prämissen, um eine deduktive Begründung durchführen zu können.«⁹¹

⁸⁹ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 2–7. ⁹⁰ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 2. ⁹¹ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 2.

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Eine weitergehende Aufgabe der vorliegenden Studie ist es, zu ermitteln, inwieweit induktive Argumente in den hier zu analysierenden Argumenten al-Jaʿfarīs vorkommen, welche Form sie haben, wie sie in die Gesamtargumentation eingebettet sind und wie sie sich von seinen deduktiven Argumenten unterscheiden.⁹² Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Argumentationstheorie bei Lumer sind versteckte bzw. implizite Annahmen und indirekte Behauptungen,⁹³ die für die Gültigkeit und Adäquatheit von Argumentationstexten dennoch erforderlich sind, rekonstruiert und analysiert werden müssen. Viele Aussagen und auch Argumente in den Radd-Schriften implizieren weitere Aussagen oder Argumente, ohne diese explizit zu erwähnen. Dies sind die impliziten Annahmen. Dabei sind gerade diese für das Verständnis der Argumente und des Autors von zentraler Bedeutung, denn sie können oftmals wichtige implizite Hinweise für die Bewertung des Arguments liefern. Nehmen wir an, folgende Aussage wird aufgestellt: Jesus ist nicht Gottes Sohn, weil das nicht im Koran steht. Diese Argumentation ist nicht gültig. Offenbar setzt sie implizit folgende materielle Prämisse voraus: Alles, was nicht im Koran steht, gibt es nicht bzw. ist falsch. Nur wenn diese Zusatzprämisse für wahr gehalten würde, wäre die Argumentation gültig, allerdings hätte diese Entscheidung weitreichende Folgen. Man müsste fragen: Wie wären dann Phänomene zu erklären, die es gibt, die aber nicht im Koran zu finden sind? Was genau heißt es, dass etwas nicht im Koran steht, und was ist daraus wie abzuleiten? Antworten auf diese Fragen würden weitere Hinweise darauf geben, wie die Aussage aus dem Kontext verstanden und bewertet werden sollte. Hieran wird schon deutlich, wie folgen- und aufschlussreich solche impliziten Annahmen sein können. Neben impliziten Annahmen finden sich im Radd überdies sehr oft indirekte Behauptungen. Eine indirekte Behauptung kann demnach eine explizite und eine implizite Signifikation haben. Lumer gibt für indirekte Behauptungen folgendes Beispiel, das aus einer rhetorischen Frage besteht: » ›Wer wollte bestreiten, daß es gestern regnete?‹; explizite Signifikation: Frage, wer bestreiten will, daß es gestern regnete; implizite Signifikation: Urteil, daß es gestern regnete; direkte Behauptung dieser impliziten Signifikation: ›Gestern regnete es.‹ «⁹⁴

In den meisten Argumenten sind implizite Annahmen oder indirekte Behauptungen versteckt. Es ist ein wichtiger Teil des kritischen Denkens, solche impliziten Annahmen zu identifizieren. Dabei führt die Identifizierung von versteckten Annahmen zu der Frage der Illokution, d. h. nach der Absicht, die

⁹² Für die Ergebnisse dazu vgl. Abschnitt 10.1, besonders S. 428. ⁹³ Zum Begriff vgl. Lumer, »Behauptung« 156–159. ⁹⁴ Lumer, »Implikaturen« 173.

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ein Autor mit seiner Äußerung verfolgt.⁹⁵ Diese sprechakttheoretische Analyse kann Hinweise darauf geben, was mit einer Aussage ausgesagt werden soll. Die Gründe für die Entstehung von Illokutionen sind vielfältig.⁹⁶ In den in Kapitel 9 folgenden Analysen zu al-Jaʿfarīs Argumenten werden wir mit Hilfe der Illokutionsanalyse Aussagen näher bestimmen und ggf. Ergänzungsprämissen und Lemmata für die Rekonstruktionen der Argumente aufstellen können. Elementare Bedingungen für die Bestimmung von Ergänzungsprämissen usw. stellt Lumer auf.⁹⁷ Zudem bietet Lumers praktische Argumentationstheorie auch Erklärungen für praktische Argumente in theologischen Schriften. Ein praktisches Argument (auch: eine praktische Begründung) nach Lumer ist – vereinfacht dargestellt – ein Argument, das die Umsetzung einer Handlung beim Adressaten beabsichtigt und begründet. Eine Handlungsbegründung soll die Ausführung der Handlung rational begründen und/oder motivieren. Lumer betrachtet das praktische Argument aus Sicht der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie, welche die Standardfunktion des Arguments darin sieht, beim Adressaten eine begründete Überzeugung zu verursachen. Lumer stellt passend dazu die praktische Begründung wie folgt dar: »Eine praktische argumentative Begründung für x (wobei x kein Urteil und kein Glaube ist) ist eine epistemische Begründung oder Argumentation für eine bestimmte These über x: die Begründungsthese; diese Begründungsthese muss aber gewisse Bedingungen erfüllen, insbesondere muss der Glaube an diese These (unter bestimmten Bedingungen) zu der geforderten Motivation in Bezug auf x führen.«⁹⁸

Handlungen und Normen können Objekte des praktischen Arguments sein. Ein gutes praktisches Argument motiviert seinen Adressaten – vorausgesetzt, das Argument überzeugt ihn – dazu, die Handlung durchzuführen, welche in dem Argument vorgeschlagen und für die argumentiert wird. Aus dem praktischen Argument sollte idealerweise eine Handlungsmotivation entstehen. Wenn der Adressat – obwohl er die Wahrheit der These über den Begründungsgegenstand akzeptiert – aus dem Argument keine Handlungsmotivation ableiten kann, so ist das praktische Argument gescheitert. Die Begründungsthese des praktischen Arguments hat Adäquatheitsvoraussetzungen; sie muss (a) Bezug auf das Objekt der Begründung nehmen, (b) sie muss durch das Argument die Durchführung einer Handlung motivieren. Denn wenn der Adressat von dem Argument für eine bestimmte Handlung überzeugt ist, dann führt er die Handlung durch. Somit führt das praktische Argument

⁹⁵ Vgl. Lumer, »Implikaturen« 174–178. ⁹⁶ Lumer fasst argumentationstheoretisch einige dieser Gründe so, dass diese Äußerung kunstvoller erscheinen soll; die eigentliche Illokution wird versteckt, weil der Sprecher sich ihrer nicht sicher ist oder weil er nicht für sie haftbar gemacht werden will oder weil er jemandem nicht zu nahe treten möchte (Lumer, »Implikaturen« 181–185). ⁹⁷ Zu Lumers Kriterien für Ergänzungsprämissen siehe hier Abschnitt 3.4, S. 126. ⁹⁸ Lumer, »Kognitivismus« 173.

Kapitel 5: Moderne argumentationstheoretische Ansätze

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zu begründeten Handlungen beim Adressaten. Zudem muss folgende Adäquatheitsvoraussetzung erfüllt sein: (c) Stabilität der Motivation gegenüber neuen Informationen. Diese Voraussetzung besagt, dass die Motivation für eine Handlung – ausgelöst durch ein praktisches Argument – und die Wirkung der begründeten Überzeugung nicht durch neue Informationen verloren gehen. Das praktische Argument muss nicht nur zu neuen Erkenntnissen, sondern vielmehr auch zur praktischen Akzeptanz und zur Motivation für bestimmte Handlungen führen. Somit ist das praktische Argument – das den Anspruch hat, den Adressaten argumentativ für eine Handlung zu überzeugen – eine Absage an die verbreitete These, dass ein Argument den Adressaten nicht von einer Handlung überzeugen kann; denn der Adressat sei nicht für eine Handlung überzeugbar, sondern für eine Handlung könne man sich lediglich entscheiden. Nachdem die Vorteile der Lumerschen erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie für die Analyse der islamisch-theologischen Argumentativität, die sich ja ebenfalls auf eine erkenntnisgenerierende Argumentationslehre stützt, deutlich wurden, werden im Folgenden argumentationstheoretische und -analytische Bemerkungen auf der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie von Lumer basieren, ohne dabei einen Vergleich zu anderen Theorien darlegen zu müssen (wie etwa die Schritte der Argumentationsanalyse); hierbei stützen wir uns nun allein auf die Theorie Lumers. Wo die traditionelle islamische Argumentationstheorie eine Ergänzung nahelegt, wird dieser Zusatz ggf. gesondert erwähnt.

Kapitel 6

Methodik der Argumentationsanalyse: Methode, Analyse und Bewertung Als erstes sind der Text und die genaue Frage bzw. Streitfrage dieses Textes zu bestimmen; denn die gesamte Interpretation einer Argumentation würde misslingen, wenn man den Text als Antwort auf eine Frage hin interpretieren würde, welche dieser Text gar nicht beantworten will. Diese Notwendigkeit einer exakten Bestimmung der Streitfrage wurde schon in der klassischen Rhetorik erkannt, die dafür das Konzept der Quaestio als Methode zur rationalen und strukturierten Auseinandersetzung entwickelte. Dieses Konzept kann daher auch zur Bestimmung der genauen Fragestellung in der Textinterpretation hilfreich sein. Obwohl die Radd-Texte nicht immer exakt den Bedingungen der klassischen rhetorischen Quaestio unter Beteiligung von Opponens (Widersprechendem) und Respondens (Antwortendem) entsprechen, gibt die Darstellung von Stefanie Luppold in ihrer Textrhetorik hilfreiche Hinweise, welche Fragen man an rhetorische, aber eben auch generell an argumentative Texte stellen kann. Dabei wird, vom Text ausgehend, mithilfe von textinternen und textexternen Indikatoren die Quaestio bestimmt. Textinterne Indikatoren sind »explizite Benennung der Quaestio im Text«, sie zeigen »Textsorte und Textfunktion« sowie »Botschaft und persuasive Mittel« an; textexterne Indikatoren sind »[d]ie Akteure«, »das lokal-temporale und mediale Setting«, »der soziale Raum« und die »[d]iskursive Einbettung«.¹ Die Feststellung dieser Punkte gibt wichtige Hinweise auf die genaue Streitfrage des Textes. Im Radd des al-Jaʿfarī wird die Streitfrage explizit im Text benannt. Es geht um die Wahrheit bestimmter christlicher und christologischer Thesen, und die Funktion des Textes ist es, diese Thesen argumentativ zu widerlegen. Als persuasive Mittel werden erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumentationen verwendet, welche das Ziel haben, den Opponenten von der Falschheit seiner Thesen zu überzeugen. Diese Streitfrage kann zudem aus textexternen Indikatoren erschlossen und durch diese näher bestimmt werden. Der Radd als Genre liefert Hinweise auf die argumentativen Begegnungen zwischen christlichen und muslimischen Autoren. Dass das gewählte Medium der Text ist, gibt den Hinweis, dass diese Auseinandersetzung textuell geschieht. Obwohl im Radd des al-Jaʿfarī die Streitfrage also offenkundig ist, kann auch der intertextuelle

¹ An dieser Stelle kann keine eingehende Darstellung dieser Punkte gegeben werden. Für Einzelheiten sei auf Luppold, Textrhetorik 46–50 verwiesen.

Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse

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Zusammenhang im Diskurs Hinweise für die Bestimmung der Streitfrage geben. Der Text des Radds und seine Funktion sollen entsprechend dieser Streitfrage bestimmt werden. Der Radd zeichnet sich deshalb hauptsächlich dadurch aus, dass er die eigene religiöse und theologische Position argumentativ verteidigt oder die Ungültigkeit einer anderen religiösen Position aufzudecken versucht. Die Argumentationstheorie, die in dieser Studie herangezogen wird, macht stark von modernen Analyseverfahren Gebrauch, denn erstens ist die Argumentationstheorie in der Moderne stark weiterentwickelt worden und zweitens wird durch die Heranziehung der modernen Analyseverfahren eine Anknüpfung der islamischen Theologie an diese ermöglicht. Diese Anknüpfung an die moderne Argumentationsanalyse soll aber nicht das Bild vermitteln, dass es in der islamischen Tradition keine Argumentationsanalyse gegeben hätte (das Gegenteil ist der Fall – so bilden etwa die ādāb al-baḥth, ʿilm al-munāẓara, ʿilm al-jadal oder ʿilm al-manṭiq eine Form der Argumentationstheorie, welche die Methode der Argumentation umfasst²). Unsere Heranziehung der modernen Analyseverfahren zielt vielmehr darauf ab, die Argumente aus den Radd-Schriften in ihren Funktionen, Strukturen und Erkenntnisprinzipien genauer verstehen zu können, als das bisher in der Literatur der Fall war.³ Insbesondere wird auch die Gültigkeit und Adäquatheit der Argumente diskutiert.⁴ Hier wird eine ausdifferenzierte Perspektive gewählt: Je nachdem, wer der Adressat ist, kann eine Argumentation z. B. für Muslime adäquat, aber für Nicht-Muslime inadäquat sein, denn die Prämissen, welche Muslime für wahr halten, zweifeln andere an.⁵ Dennoch hat die Argumentationsanalyse oder die ʿilm ādāb al-baḥth, welche auch als ʿilm al-munāẓara bekannt ist, unter anderem auch den Anspruch, wie etwa bei Gelenbevî argumentative Diskussionen auf ihre Gültigkeit hin zu prüfen.⁶ Zudem hat jede Argumentation eine Struktur. Diese Struktur reicht von einfach bis komplex. Eine Argumentation hat in dieser Struktur eine These, die wiederum mit einem Beleg versehen ist. Diese Struktur kann räumlich durch

² Siehe Karabela, Dialectic. ³ Wahrscheinlich wurde eine theologische Analyse von den bisherigen Islamwissenschaften als allzu normativ eingestuft und diese Aufgabe der Theologie überlassen. Obwohl die vorliegende Studie einer deskriptiven Herangehensweise folgt, ist die Annahme dieser Aufgabe sicherlich der Etablierung der Islamischen Theologie in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu verdanken. ⁴ Die Methode der Argumentationsanalyse fragt nach der Gültigkeit von Argumenten und legt Kriterien für gültige und schlüssige Argumente vor, wie etwa für die deduktive und induktive Gültigkeit, für die Wahrheit der Prämissen und damit für die Schlüssigkeit des gesamten Arguments. ⁵ Demnach scheint eine allgemeingültige Widerlegung des Christentums nicht möglich zu sein. Zum einem ist es angesichts der zahlreichen christlichen Konfessionen problematisch, von dem Christentum zu sprechen, zum anderen werden viele Prämissen der muslimischen Argumentierenden von (vielen) Christen nicht akzeptiert. Die Argumente richten sich zudem oft nur an eine bestimmte christliche Richtung und Lehre und sind oft nicht allumfassend. ⁶ Vgl. Gelenbevî, Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 51–61.

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Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse

Diagramme nachgezeichnet werden.⁷ Mit dem ersten Schritt der Analyse wird die Struktur des Arguments wiedergegeben. Dabei werden Thesen und Prämissen identifiziert und deren Beziehung zueinander aufgedeckt. Ein Beispiel aus dem theologischen Bereich soll dies verdeutlichen: »[S1 = T] Das Streben nach Lebensunterhalt ist zu bestimmten Zeiten Pflicht, [S2.1 = Argumentationsindikator] denn [S2.2 = P1.1] im Koran steht: [S2.3 = P1.2] ›Und schüttle den Stamm der Palme, (indem du ihn) an dich (ziehst)! [S2.4 = P1.3] Dann lässt sie saftige, frische Datteln auf dich herunterfallen‹⁸, [S3.1 = P2.1] und im Koran steht: [S3.2 = P2.2] ›Wir haben euch den Tag geschaffen, damit ihr euch den Lebensunterhalt beschafft‹⁹.«¹⁰

In diesem Beispiel ist die Aussage ›Das Streben nach Lebensunterhalt ist zu bestimmten Zeiten Pflicht‹ die These (S1 = T). Die beiden weiteren Sätze (S2, S3) sind die Prämissen (P1.1–1.3 und P2.1–2.2). Diese sind konvergent. Es handelt sich also um eine konvergente Argumentation mit zwei Argumenten (P1 und P2), die unabhängig voneinander die These (T) stützen, und nicht etwa um eine verknüpfte Argumentation. Der Unterschied besteht darin, dass bei der konvergenten Argumentation die These von zwei voneinander unabhängigen Prämissen gestützt wird, wogegen in der verknüpften Argumentation die Prämissen nicht unabhängig voneinander gelten. Diese Rekonstruktion von Argumenten ist bei der Analyse zentral. Erst durch die Rekonstruktion kann in vielen Fällen das Argument umfassend dargestellt werden. Da Argumente in natürlicher Sprache verfasst werden – und dies gilt auch für wissenschaftliche Texte sowie für die Radd-Schriften, die hier analysiert werden –, fehlen oftmals Prämissen oder gar die These, die jedoch durch die Rekonstruktion dargestellt werden können.¹¹ Die Rekonstruktion von Argumenten ist ein entscheidender Schritt bei der Analyse und Evaluation von Argumenten. Sie ist eine komplexe Handlung und benötigt eine systematische Methodik und Herangehensweise. Ein Argument in Textform ist nur zu oft nicht in idealer Weise abgefasst, sondern beinhaltet für das Argument irrelevante Elemente. Diese zu erkennen und herauszufiltern ist eine Aufgabe der Rekonstruktion des Arguments. Die Analysen in dieser Studie zeigen jedoch, dass klassische theologische Texte oft unterschiedliche Rekonstruktionen und Formalisierungen zulassen.¹²

⁷ Siehe dazu Copi, Logik 28–45. ⁸ Koran 19:25. ⁹ Koran 78:11. ¹⁰ Al-Samarqandī, Al-sawād al-aʿẓam 40. ¹¹ Da die natürlichsprachliche Form eines Textes nicht identisch mit der logischen Form ist, muss oft eine Formalisierung stattfinden, um die logische Gültigkeit eines Arguments zu prüfen. Diese formallogische Analyse erscheint oft problematisch, weil eine Formalisierung ausgehend vom natürlichsprachlichen Text nicht immer adäquat aufgestellt werden kann (vgl. Brun, Formel). Zudem ist die Formalisierung nicht das eigentliche Ziel der Analyse, sondern eher ein Zwischenschritt, um die logische Gültigkeit des Arguments zu beurteilen. ¹² Das ist eine generelle Besonderheit von Rekonstruktionen von Argumentationen. Sie sind letztlich eine Interpretation der Argumentation (vgl. Pfister, Werkzeuge 214).

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Die Rekonstruktion mit Hilfe der Logik ist daher auf hermeneutische Überlegungen angewiesen. Dabei werden verschiedene Rekonstruktionen gegeneinander abgewogen und die Frage zu beantworten versucht, welche Interpretation der Intention des Textes und des Autors am besten gerecht wird, denn die Autorintention ist für die Rekonstruktion eines Arguments zentral, vor allem dann, wenn Zusatzprämissen aufzustellen sind und man prüfen muss, ob diese mit der Autorintention zu vereinbaren sind. Dabei ist zunächst die zentrale Frage zu beantworten, ob an der Rekonstruktion ein historisches oder ein systematisches Interesse vorliegt. Eine historisch orientierte Rekonstruktion wird sich bemühen, die Argumentation genau gemäß der vermuteten Intention des Autors und den von ihm akzeptierten Aussagen zu rekonstruieren. Dabei genügt die Intention alleine meist nicht, wenn die fehlenden Prämissen nicht absichtlich weggelassen werden. Ist die Rekonstruktion dagegen systematisch orientiert, ist der Interpret v. a. darum bemüht, ein gültiges und evidentes Argument zu rekonstruieren.¹³ Die vorliegende Studie ist in dieser Hinsicht historisch orientiert, d. h. sie beabsichtigt Argumentationen so zu rekonstruieren, wie sie im Radd vorgefunden werden, ohne diese durch Änderungen oder weitergehende Zusätze optimieren zu wollen. Dabei ist die Addition von Ergänzungsprämissen und Elementen, die der Autor nicht explizit erwähnt, sondern impliziert, ein zentraler Teil der Rekonstruktion.¹⁴ Dass in eine deduktive Argumentation überhaupt zusätzliche Prämissen eingefügt werden müssen, damit eine formal gültige Argumentation entsteht, ist üblich und keine Verletzung von Argumentationsstandards. Das Problem bei der Einfügung solcher Elemente ist vielmehr, zu gewährleisten, dass der Autor diese Zusätze auch akzeptiert hätte; nur dann können diese Zusatzprämissen als unproblematisch gelten.¹⁵ Lumers Kriterien für solche unproblematischen Ergänzungsprämissen wurden bereits behandelt.¹⁶ Allerdings wird hier im Gegensatz zu Lumers zweitem Kriterium (die Prämisse müsse wahr sein) die Wahrheit von Ergänzungsprämissen nicht vorausgesetzt, da diese für die historische Korrektheit der Rekonstruktion (nach der Autorintention) keine Rolle spielt; die (formale) Gültigkeit einer Argumentation ist nicht gleichzusetzen mit ihrer Schlüssigkeit.¹⁷ Sobald wir allerdings fragen, ob eine Argumentation auch schlüssig ist, muss sie nicht nur (formal) gültig sein, zusätzlich müssen auch ihre Prämissen wahr sein; hier kommt Kriterium 2 wieder zu seinem Recht. Die Notwendigkeit der Ergänzung von Prämissen ergibt sich schon durch die natürliche Sprache der vorgefundenen Argumentationen. Oft sind die Rekonstruktion und Analyse eines Arguments ohne Ergänzungsprämissen unmöglich.

¹³ Vgl. Pfister, Werkzeuge 215. ¹⁴ Dies gilt ganz besonders bei der Analyse eines al-qiyās al-iḍmārī (Enthymems), bei dem dadurch das zugrunde liegende syllogistische Argument rekonstruiert wird (zum Enthymem vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 196). ¹⁵ Vgl. Lumer, »Recognizing Argument Types«. ¹⁶ Siehe dazu oben Abschnitt 3.4, S. 126. ¹⁷ Zur Unterscheidung von ›gültig‹ und ›schlüssig‹ siehe hier S. 121 Anmerkung 240.

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Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse

Die fehlenden Prämissen müssen durch den Interpreten unter Beachtung der oben erwähnten Kriterien für hermeneutische Mitwirkung aufgestellt werden. Die Rekonstruktion unter diesen Bedingungen ist somit immer auch eine theologisch-hermeneutische Leistung des Interpreten. Die Kriterien gewährleisten dabei, dass der Interpret nicht willkürlich ableitet. Somit geben diese Kriterien auch wichtige Hinweise für die Herangehensweise bei der Interpretation. In der vorliegenden Studie werden in den Argumentationsanalysen teilweise logische Formalisierungen vorgenommen, um die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit der in den Radd-Texten vorgefundenen Argumente zu diskutieren und vorzuführen. Dazu wird v. a. von der Aussagenlogik Gebrauch gemacht.¹⁸ Dieser Abschnitt hat keineswegs den Anspruch, etwa eine Einführung in die Aussagenlogik zu bieten. Das ist auch nicht die Fragestellung der vorliegenden Studie, sie muss vielmehr eine gewisse Kenntnis der Aussagenlogik bei der Leserschaft voraussetzen oder dafür auf einführende Literatur verweisen.¹⁹ Die Theologie verwirklicht sich oftmals über die Sprache. Religiöse Aussagen aufzustellen, ist jedoch nicht nur der Theologie vorbehalten, sondern auch u. a. weiteren zwei wissenschaftlichen Disziplinen: Religionswissenschaft und Religionsphilosophie. Die Theologie unterscheidet sich von ihnen dadurch, dass sie die Theologie einer bestimmten Religion ist.²⁰ In dieser Studie geht es – da sie Radd-Texte behandelt – vor allem um die systematische Theologie, also die Glaubenslehre dieser bestimmten Religion, die systematisch Aussagen über Gott trifft. Oft geschieht dies durch argumentative Prozesse – so wie im Radd über die christliche Theologie –, die uns in sprachlicher Form vorliegen. Diese Schriften beinhalten theologische Aussagen und um die formale Form von theologischen Argumentationen darstellen zu können, müssen die Konzepte von Aussagen und Prämissen beachtet werden, in die im Abschnitt 4.1 dieser Studie eingeführt wurde. Neben der Form und den Prämissen eines Arguments sind für die Ziele einer Argumentationsanalyse zum islamischen Radd die theoretische und praktische Analyse der angewandten Erkenntnislehre und Argumentationstheorie (bzw.

¹⁸ In der vorliegenden Untersuchung haben wir es mit zwei Typen von formalen Sprachen zu tun. Zu Anfang werden wir uns mit aussagenlogischen Sprachen beschäftigen, die nur die allerwichtigste Grundmenge logischer Konstanten enthalten. Der Teilbereich der Logik, der sich mit diesen formalen Sprachen beschäftigt, heißt Aussagenlogik. Später ziehen wir, wo es nötig ist, die prädikatenlogischen Sprachen heran, die neben den logischen Konstanten der Aussagenlogik noch weitere logische Konstanten abbilden können. Dieser Teil heißt entsprechend Prädikatenlogik. Doch hauptsächlich wird das syllogistische Kalkül herangezogen, um die Argumente zu rekonstruieren, denn die Verfasser der apologetischen Texte hatten die aristotelische Syllogistik als Logikwerkzeug erlernt. ¹⁹ Von den zahlreichen Einführungen bietet sich hierzu etwa Copi, Logik an, der eine im Allgemeinen sehr gut verständliche Einführung in die Logik vornimmt. Etwas anspruchsvoller sind beispielsweise die Einführungen von Beckermann, Einführung oder Hoyningen-Huene, Formale Logik. ²⁰ Von Kutschera, Vernunft und Glaube 1.

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der Erkenntnisprinzipien im Sinne Lumers) von ausschlaggebender Bedeutung. Die Analyse der Erkenntnislehre eines Autors, einer Strömung oder – wie es hier der Fall ist – eines bestimmten Diskurses kann auf zweierlei Weisen geschehen: als theoretische oder als praktische Analyse. Die theoretische Analyse zieht Werke heran, in denen ein behandelter Autor über seine oder allgemein über Erkenntnislehre schreibt. Der Forscher analysiert diese Werke und gibt die Erkenntnislehre wieder. Beispiel für eine solche theoretische Analyse ist die Habilitationsarbeit Die Erkenntnislehre des ʿAḍudaddīn al-Īcī (1966) von Josef van Ess. ʿAḍud al-Dīn al-Ījī (gest. 756/1355) legte in seinem Buch Kitāb al-Mawāqif fī ʿilm al-kalām seine Erkenntnislehre dar, die Schrift von van Ess ist ein Kommentar zu diesem Buch, der die Erkenntnislehre al-Ījīs theoretisch wiedergibt. Ob diese Erkenntnislehre von al-Ījī in seinen theologischen Argumentationen auch tatsächlich eingehalten wird, kann die Arbeit nicht beantworten. Ein anderes Beispiel ist die 2015 erschienene Dissertation von Amir Dziri, die eine gute allgemeine Einführung in die islamisch-theologische Beweislehre gibt. Aufbauend auf diese Arbeit sollte zudem die Frage gestellt werden, welcher Argumentationstheorie die tatsächlich vorgefundenen Argumentationen entsprechen.²¹ Viele Arbeiten, die sich auf die theoretische Beschreibung konzentrieren, scheinen übersehen zu haben, dass die Theorie von der Anwendung erheblich abweichen kann und die Anwendung weitreichender und komplexer ist. Das Verständnis theologischer Thesen ist daher auf die praktische Analyse angewiesen, will sie das Angewandte verstehen und nicht die reine – praxisferne – Theorie. Die theoretische Darstellung geht nicht weiter als bis zur allgemeinen Darstellung verschiedener Schlussformen in der Theologie – unabhängig von deren Anwendung und Anwendbarkeit. Dennoch ist sie wertvoll, denn sie kann ein Werkzeug für die praktische Analyse liefern, mit dem die vorgefundenen Argumentationsstrukturen klassifiziert werden können. Diese Aufgabe wird in der vorliegenden Studie angegangen; interessanter wird die Analyse, wenn die Beschreibung des theoretischen Werkzeugs – was einer Propädeutik ähnelt – abgeschlossen ist und die hinter angewandten Argumentationen stehenden Erkenntnisprinzipien rekonstruiert werden. Diese Diskussion wählt dabei als Werkzeug die praktische Analyse, d. h. sie generiert aus dem Text durch die Analyse der vorgefundenen Argumentationen nach vorhandenen Kriterien und Prinzipien Konzepte, die den wissenschaftlichen Diskurs vorantreiben. Eine alternative Herangehensweise wäre die Wiederholung bekannter Konzepte, wodurch viele empirisch vorgefundene Phänomene nicht beschrieben werden können, wie etwa die Erkenntnis- und Kompositionsprinzipien der Argumente,²² die durch verschiedene Konzepte wiedergegeben werden, die bisher nicht – oder nur auf theoretischer Ebene – erfasst werden konnten.

²¹ Vgl. Dziri, Ars Disputationis. Eine ähnliche Einschätzung trifft Regula Forster (vgl. Forster, Wissensvermittlung 13). ²² Siehe dazu hier Kapitel 11.

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Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse

Eine andere Herangehensweise kann bei Wael B. Hallaq in seinem Werk A History of Islamic Legal Theories (1999) beobachtet werden. Hallaq trifft einen Kompromiss zwischen der theoretischen Beschreibung und der Anwendung. Er stellt zwar theoretisch die rechtswissenschaftlich (d. h. am fiqh) orientierten Argumentationstypen dar, versucht jedoch deren reale Anwendung im Koran oder fiqh-Werken nachzuweisen. Ähnliches kann bei Gwynne beobachtet werden, die das Al-qisṭās al-mustaqīm des al-Ghazālī kommentiert und Argumentationsrekonstruktionen vornimmt.²³ Dennoch findet weder bei Gwynne noch bei Hallaq eine Analyse der Argumente im Sinne der Argumentationstheorie statt. Ein analytischer Ansatz findet sich am ausgeprägtesten in Studien zu den Debatten im Koran, aber auch diese Studien wenden keine systematischen Analyseverfahren an und nehmen die Argumentationen selbst eher weniger in den Fokus.²⁴ In meiner praktischen Analyse wird dagegen von folgenden zentralen Prämissen ausgegangen: Die theoretische und die praktische Argumentationstheorie eines Autors sind nicht unbedingt identisch.²⁵ Oft bleibt der Verfasser einer Schrift seiner selbst dargestellten Epistemologie oder Argumentationstheorie nicht treu.²⁶ Sogar diejenigen Autoren, die mehr oder weniger versuchen, ihre erkenntnistheoretische Methodologie einzuhalten, wenden in ihren theologischen Schriften oft abweichende Erkenntnisprinzipien an oder können ihre Methoden theoretisch nicht in jener Breite darstellen, die in Wirklichkeit zur Anwendung kommt. Denn die Formen der Argumentation und die Erkenntnisprinzipien sind vielfältig. Deshalb ist es m. E. interessanter und aussagekräftiger, wie der Verfasser tatsächlich Theologie betreibt, als wie er seine – oft nicht angewandte oder praktisch nicht anwendbare – Epistemologie und Methodologie und Argumentationstheorie beschreibt. In diesem Sinne ist m. E. eine textbegründete Epistemologie, die auf den Erkenntnisprinzipien aufbaut und das praktische Betreiben der argumentativen Theologie des Theologen rekonstruiert, aussagekräftiger sowohl für die Theologie wie auch für die angewandte Erkenntnislehre.

²³ Vgl. Gwynne, Logic. ²⁴ Vgl. etwa Al-Sharqāwī, Al-jadal; Leemhuis, »Koranic Contest Poem«; McAuliffe, »Debate with Them« 163–188; McAuliffe, »Debate and Disputation«; Belhaj, Argumentation et dialectique; Belhaj, »Argumentation scripturaire«; Bertaina, Dialogues. ²⁵ Die Beschreibung der Erkenntnisprinzipien ausgehend von explizit erkenntnistheoretischen Werken wie etwa jenem al-Ījīs durch van Ess ist eine Beschreibung einer idealen Erkenntnistheorie. Sie ist ideal, weil sie ideale erkenntnistheoretische Regeln aufstellt, die nicht unbedingt anwendungsorientiert sind. Dagegen ist die angewandte Erkenntnistheorie eine Beschreibung und Rekonstruktion der realen argumentativen Anwendung. ²⁶ Ein Ansatz zu dieser Herangehensweise und eine Analyse am Beispiel der Einsheit Gottes bei ʿAbd al-Jabbār und der Anwendung der logischen Schlussmethoden findet sich bei Memiş, Mu’tezilî 217–240. Zudem kritisierte schon al-Ghazālī in seinem Munqidh die Logiker, die zwar strenge Voraussetzungen für ein burhān-Argument bringen, aber bei theologischen Argumenten diese Strenge aufgeben (vgl. al-Ghazālī, Munqidh min al-ḍalāl übers. Salih Uçan 145).

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Dabei sei folgende Herangehensweise vorgeschlagen: die praktische Analyse. Die praktische Analyse analysiert theologische Schriften und rekonstruiert daraus die tatsächlich angewandte Argumentationstheorie und die angewandten epistemologischen Prinzipien. Dadurch geht die Analyse von Texten des Verfassers aus, die argumentationstheoretisch analysiert werden. Die so aus den realen Argumentationen rekonstruierte Argumentationstheorie ist m. E. für die Theologie wichtiger als theoretische Konstruktionen, die ggf. keine oder nur stark veränderte Anwendung finden. Zumindest kann die praktische Analyse so eine Argumentationstheorie darstellen, die tatsächlich Anwendung gefunden hat und finden kann, und keine reine Theorie, die nicht oder nur teilweise Anwendung findet. Zudem kann sie, weil sie die praktische Anwendung evaluiert, Hinweise und Methoden generieren, welche die Argumentation effektiver machen können. Ein Beispiel dafür, dass die praktische Analyse die ausgereiftere Möglichkeit ist, um erkenntnistheoretische Aussagen zur Argumentationsweise eines bestimmten Autors zu treffen, gibt uns ʿAbd al-Jabbār. Obwohl ʿAbd al-Jabbār in seinen theoretischen Äußerungen angibt, dass in Glaubensfragen der Hadith aufgrund seiner epistemischen Schwächen keine Quelle sein kann,²⁷ konstruiert er in seinem Sharḥ al-uṣūl al-khamsa²⁸ und im Faḍl al-iʿtizāl wa-ṭabaqāt almuʿtazila²⁹ hadithbasierte Argumente zu Themen des Kalāms, auch wenn diese oft zur Unterstützung seiner vernunftbasierten Argumentation dienen. Letztlich gibt er explizit an, dass er in seinen Beweisführungen āḥād-Hadithe verwendet, um zu zeigen, dass er neben dem Erkenntnisweg der Rationalität auch jenen der Sunna benutzt.³⁰ Hier ist deutlich zu erkennen, dass die praktische Analyse der Argumente eines Autors zwar aufwändiger ist, aber auch deutlich mehr über die tatsächliche Argumentationsweise und Erkenntnislehre dieses Autors verrät als die bloße Heranziehung seiner theoretischen Aussagen, die von einem Autor nicht selten doch nicht eingehalten werden. Andererseits benötigt auch die praktische Analyse eine gewisse Breite, damit die Theorie, die durch sie aufgestellt wird, signifikant wird. Wenn ein Interpret beispielsweise nur das Werk Al-Lumaʿ fī al-radd ʿalā ahl al-zaygh wa-l-bidaʿ des al-Ashʿarī einer praktischen Analyse unterzieht, wird er zu dem Schluss gelangen, dass al-Ashʿarī ausschließlich rationale Argumente heranzieht und hadithbasierte Argumente vollkommen vernachlässigt. Es wäre jedoch voreilig, daraus abzuleiten, dass al-Ashʿarī die Hadithe als Quelle des Kalāms ablehne; dies zeigt sich, wenn etwa sein Werk Al-ibāna ʿan uṣūl al-diyāna als Untersuchungsgegenstand hinzugenommen wird, denn hier konstruiert al-Ashʿarī sehr wohl hadithbasierte Argumente.³¹ Gewiss

²⁷ Vgl. ʿAbd al-Jabbār, Faḍl al-iʿtizāl wa-ṭabaqāt al-muʿtazila 195. ²⁸ Vgl. ʿAbd al-Jabbār, Sharḥ al-uṣūl al-khamsa 731. ²⁹ Vgl. ʿAbd al-Jabbār, Faḍl al-iʿtizāl wa-ṭabaqāt al-muʿtazila 142–147 und 155. ³⁰ Vgl. ʿAbd al-Jabbār, Faḍl al-iʿtizāl wa-ṭabaqāt al-muʿtazila 156. ³¹ Vgl. Kubat, »Kelâm«.

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verfolgt al-Ashʿarī mit diesen Werken eine epistemische Strategie als Mutakallim und die Hadithe unterstützen seine rationale Argumentation oft nur oder werden erst dann eingesetzt, wenn die Ratio an ihre Grenzen zu kommen scheint. Dies ist jedoch nicht das Thema, das hier diskutiert werden kann. Wichtig ist, dass die praktische Analyse zwar textorientiert ist, jedoch verschiedene Texte eines Autors heranziehen muss, um hinreichend zuverlässige Aussagen über die Methode dieses Autors treffen zu können. Diese praktische Analyse, die vor allem die Rekonstruktion der angewandten Erkenntnisprinzipien zum Ziel hat, kann sich an einem ähnlichen Ansatz bei Bocheński orientieren, bei dem es um die angewandte Logik geht. Die angewandte Logik im Sinne Bocheńskis unterscheidet sich von der allgemeinen Logik darin, dass sie die Anwendung der allgemeinen Logik auf ein außerlogisches Gebiet ist. Diese Anwendung auf ein außerlogisches Gebiet, wie sie Bocheński beschreibt, kann zweierlei sein: Sie kann sich auf jedes Gebiet beziehen, in dem es Gedankengänge aus geordneten Sätzen gibt, wie etwa in der Theologie, Religion oder Physik. Was Bocheński genau unter der angewandten Logik versteht, soll wegen der Zentralität der Aussage mit seinen Worten gesagt werden: »Wir können unter ›angewandter Logik‹ die Untersuchung solcher logischer Gesetze und Regeln verstehen (einschließlich der Gesetze und Regeln der Semantik und Methodologie), die in einem vorgegebenen Gebiet benutzt werden.«³²

Der Ansatz Bocheńskis, der in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, zeigt wichtige Schnittstellen zwischen dem Lumerschen Ansatz und dem Ansatz der vorliegenden Studie. Zunächst ist die angewandte Logik eine Untersuchung und Analyse nach logischen Gesetzen und Regeln von Texten, die in außerlogischen Gebieten in Sätzen verfasst wurden, wie beispielsweise in der Theologie oder – wie in unserem Beispiel – im Genre des Radds. Die praktische Analyse teilt diesen analytischen Ansatz von Bocheński und fragt neben den logischen Gesetzen zudem nach den Erkenntnisprinzipien, die einem Argument³³ zugrunde liegen; sie analysiert die Argumentationen argumentationstheoretisch, bewertet insbesondere Gültigkeit und Adäquatheit der Argumente. Dabei ermittelt sie auch u. a. das Erkenntnisprinzip, das in der Argumentation verwendet wird. Die Ermittlung des Erkenntnisprinzips ist lediglich ein Teil der praktischen Analyse. Erkenntnisprinzipien waren bei Bocheński kein Gegenstand der Untersuchung, Kriterien für Erkenntnisprinzipien werden erst durch Lumer aufgestellt.³⁴

³² Bocheński, Religion 17. ³³ Bocheńskis Ansatz ist nicht argumentationstheoretisch und er spricht nicht explizit von Argumenten, sondern von »irgendeine[m] Gedankenzusammenhang, eine[r] Ordnung von Sätzen«, welche die Logik anwendet, um religiöse Sätze zu begründen; damit beschreibt er aber implizit das Gebiet, auf das die Logik angewandt wird, als das Argument (Bocheński, Religion 16–26). ³⁴ Zum Begriff des Erkenntnisprinzips vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 65.

Kapitel 6: Methodik der Argumentationsanalyse

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Die praktische Analyse bringt auch eine neue Dynamik in die islamische Theologie, weil sie aufhört, klassische Theorien zu wiederholen oder Theologien mit klassischen epistemologischen Theorien zu vergleichen, und beginnt, ausgehend von klassischen Texten eine realistische Methodik der theologischen Argumentation zu (re)konstruieren und textgebundene Theorien und erkenntnistheoretische Prinzipen zu generieren. Durch die Argumentationsanalyse kann zudem kritisch überprüft werden, inwieweit diese theologische Konstruktion gültig ist. Die durch den praktischen Analyseansatz rekonstruierten Theorien und Prinzipien der islamischen Disputationspraxis bilden zudem eine Chance für die islamische theoretische Argumentationstheorie, sich von der bloßen theoretischen Darstellung zu befreien und sich auf Basis der empirischen Beschreibung der praxisnahen Argumentationen weiterzuentwickeln, dabei von der Theorie nicht erfasste neue Prinzipien abzuleiten und die von der Theorie erfassten in ihren realen Anwendungen näher zu beschreiben. Die Frage nach der Gültigkeit von Argumentationen ist ein wichtiger Bestandteil der Argumentationstheorie, die hier vertreten wird. Die vorliegende Untersuchung hat den Anspruch, durch die Argumentationstheorie und durch die Analyse der logischen Struktur der Argumente auch die Gültigkeit der Argumente bewerten zu können. Diese Analyse der Gültigkeit setzt andere Wissenschaften wie Logik bzw. manṭiq und die Wissenschaft der munāẓara sowie letztendlich die klassische wie auch die moderne Argumentationstheorie voraus. Bei den Analysen sollen zunächst die formale Logik und die klassische aristotelische Logik (Syllogistik) herangezogen werden. Doch auch diese Logiken haben ihre Schwächen, so kann die aristotelische Logik nicht jede Aussage formal erfassen, beispielsweise keine Relationen³⁵ (R(x, y) ↔ R(y, x)). Deshalb werden, falls nötig, die Aussagenlogik und die Prädikatenlogik als Werkzeug herangezogen, um die Gültigkeit von Argumentationen diskutieren zu können. Des Weiteren werden auch islamische Logikschriften herangezogen, um die logische Anwendung in den Radd-Schriften verstehen, rekonstruieren und begründen zu können.³⁶

³⁵ Vgl. etwa Bucher, Angewandte Logik 244–248. ³⁶ Die Begründung einer islamischen argumentationstheoretischen Terminologie bietet auch die Möglichkeit, einen Bezug zur Lumerschen Argumentationstheorie und -terminologie aufzubauen. Dies darf jedoch nicht als eine Vermischung der Lumerschen Argumentationstheorie mit der islamischen Argumentationstheorie verstanden werden; diese Herangehensweise ist nur möglich, weil gezeigt werden konnte, dass sowohl in der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie wie in der islamischen Argumentationstheorie die Funktion des Arguments eine Generierung von Erkenntnis ist.

Teil III

Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī und sein Kitāb al-radd ʿalā al-Naṣārā

Kapitel 7

Al-Jaʿfarīs Leben, Werke und Interesse an der christlichen Theologie Abū al-Baqāʾ Taqī al-Dīn Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn ibn Ṭalḥa ibn al-Ḥusayn ibn Muḥammad ibn al-Ḥusayn al-Hāshimī al-Jaʿfarī¹ al-Zaynabī (581/1185–668/ 1270²), ein wahrscheinlich shāfiʿitischer Theologe aus Kairo,³ war ein Gelehrter, ein Dichter, ein Literat und ein Jurist. Er diente als qāḍī ⁴ (Richter) und als nāẓir

¹ Für die Annahme, dass sein laqab ›al-Jaʿfarī‹ seine Zugehörigkeit zur Jaʿfariyya zeigt, gibt es keinen Beleg. Womöglich stammt al-Jaʿfarī von einer Familie ab, die ihren Stammbaum auf Jaʿfar al-Ṣādiq zurückführte und sich in Kairo niederließ, weshalb er diesen Beinamen erhielt (vgl. zur Nachkommenschaft des Jaʿfar al-Ṣādiq in Ägypten: Kahḥālah, »Mu’jam qabā’il« Bd. 1, 191). ² Vgl. al-Yūnīnī, Dhayl mirʾāt al-zamān 438 sowie Ḥajjī Khalīfa, Kashf al-ẓunūn ʿan asāmī al-kutub wa-l-funūn, hg. von Yaltkaya/Bilge Bd. 1, 379. Im Kashf al-ẓunūn ʿan asāmī al-kutub wa-l-funūn wird lediglich auf das Werk Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl des al-Jaʿfarī hingewiesen. Ḥasanayn rekonstruiert das ungefähre Geburtsdatum al-Jaʿfarīs aus dem Umstand, dass al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd angibt, Kaiser Theodor I. Laskaris (gest. 1222) habe im Jahre 618 (hijrī, ca. 1221 n. Chr.) einen Brief mit theologischen Fragen an den Sultan al-Malik al-Kāmil (gest. 635/1238) geschickt und dieser habe al-Jaʿfarī beauftragt, jene Fragen zu beantworten. Zu diesem Zeitpunkt war al-Jaʿfarī etwa 40 Jahre alt, daher wurde sein Geburtsjahr auf den Zeitraum 1180–1185 datiert (vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 13–14 sowie Demiri, »Al-Jaʿfarī« 480–485 zu Geburt und Tod al-Jaʿfarīs). Ḥasanayn fragt zu Recht, warum wenig bis gar nichts über das Leben al-Jaʿfarīs und vor allem nichts über sein Todesdatum überliefert ist. Eine mögliche Antwort sei, dass al-Jaʿfarī aus Ägypten fortzog, bevor er (und vor allem seine Schriften) berühmt wurde. Eine andere Möglichkeit ist, dass al-Jaʿfarī trotz seines Einflusses im Bereich des Radds keine Bedeutung in den traditionellen islamischen Wissenschaften erlangte und keine Schriften dazu hinterlassen hat (oder diese nicht überliefert wurden), weshalb er unbekannt blieb, sodass ihn die Quellen deshalb nicht berücksichtigen und wir deshalb wenig bis gar keine Informationen über seine Biographie vorliegen haben. Ähnlich erging es z. B. al-Jāḥiẓ, einem geachteten Theologen, dessen RaddWerk mit dem Titel Al-radd ʿalā l-Naṣārā jedoch relativ unbeachtet blieb, weil den Theologen und den intellektuellen Akteuren jener Zeit innerislamische Diskurse wichtiger waren als interreligiöse Disputationen (vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 13–14). ³ Die Angabe Wadi Awads, al-Jaʿfarī sei ein Konvertit aus dem Christentum, beruht auf einen Fehler des Editors der Reihe Christian-Muslim Relations (vgl. Awad, »Nahj al-sabīl« 548–549). Die Quellen geben keinerlei Hinweis darauf, dass al-Jaʿfarī oder seine nächsten Vorfahren christlich gewesen wären. ⁴ Neben den oben erwähnten Quellen vgl. auch Khalīl ibn Aybak al-Ṣafadī (gest. 764/ 1363), Kitāb al-Wāfī bi-l-wafayāt Bd. 16, 148–149.

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Kapitel 7: Al-Jaʿfarīs Leben, Werke und Interesse an der Theologie

(Oberintendant)⁵ und später als Gouverneur⁶ der Stadt Qūṣ in Ägypten.⁷ Er starb in Kairo.⁸ Über das Leben des al-Jaʿfarī ist nicht viel bekannt.⁹ Wenn wir den Umstand beachten, dass Qūṣ im 13. Jahrhundert eine der größten Städte in Ägypten war, dann müsste al-Jaʿfarī im politischen Geschehen der Ayyubidenzeit einflussreich gewesen sein. Womöglich führte seine Loyalität zum Herrscherhaus dazu, dass der ayyubidische Sultan al-Malik al-Kāmil (reg. 615–635/1218–1238) ihn damit beauftragte, einen Radd zum Christentum bzw. auch zum Judentum zu verfassen, eine ehrenvolle Aufgabe, die er mit seinem Werk Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd erfüllte. Eigentlich ist diese Schrift eine Reaktion des Sultans auf die Fragen, die Kaiser Theodor I. Laskaris (gest. 1222) an den Sultan stellte. Daraufhin beauftragte der koptische Patriarch Kyrill Ibn Laqlaq wiederum den Radd-Autor al-Ṣafī ibn al-ʿAssāl, eine Schrift als Antwort auf die Argumente des al-Jaʿfarī zu verfassen.¹⁰ In der Zeit der Kreuzzüge scheint es dem Herrscherhaus sehr wichtig gewesen zu sein, dass gut ausgearbeitete religiöse Argumente gegen die Kreuzfahrer vorlagen; weshalb diese eigentlich politisch motivierte Aufgabe auch einer der Politik wohlbekannten Person übergeben worden sein dürfte. Laut Ḥasanayn nahm al-Jaʿfarī in Fusṭāṭ an mehreren Gesprächskreisen von Gelehrten teil, in denen man sich über die klassischen islamischen Disziplinen austauschte. Schwerpunkt des al-Jaʿfarī war jedoch die christliche Theologie. Ḥasanayn berichtet, al-Jaʿfarī habe Unterricht über christliche Glaubenslehre und über christlichen Quellen erteilt und sei schnell als muslimischer Experte für die christliche Theologie anerkannt worden, weshalb er seine Radd-Schriften verfasste. Allerdings gibt Ḥasanayn für diese Information keinen Beleg an, sie muss daher mit Vorsicht behandelt werden.¹¹ Ein weiterer Grund für die Abfassung der Radd-Schriften soll sein Anliegen gewesen sein, die Christen

⁵ Vgl. Baybars al-Manṣūrī (gest. 725/1325), Zubdat al-fikra 127. ⁶ Gemäß Sarrió Cucarella war al-Jaʿfarī kein Gouverneur der Stadt Qūṣ (vgl. Nasiłowski/ Sarrió Cucarella, »Muslim Polemics« 73). ⁷ Vgl. Demiri, »Al-Jaʿfarī« 480–485. Der früheste biographische Eintrag über al-Jaʿfarī findet sich bei Mūsā ibn Muḥammad al-Yūnīnī, der ihn als eine herausragende Person mit noblem Charakter beschreibt, der sich in schöner Literatur und vielen anderen Themen auskennt (vgl. al-Yūnīnī, Dhayl mirʾāt al-zamān Bd. 2, 438). Vgl. ebenfalls den kurzen Eintrag zum Leben des al-Jaʿfarī bei Muḥammad ibn Aḥmad al-Dhahabī, Tārīkh al-islām 262. ⁸ Vgl. al-Yūnīnī, Dhayl mirʾāt al-zamān Bd. 2, 438. ⁹ Ḥasanayn resümiert folgerichtig, dass die Quellen nicht viel über das Leben des alJaʿfarī hergeben und dass wir das Wesentliche aus seinen Schriften selbst erfahren – etwa die Gründe für die Abfassung seiner Radd-Schriften, seine Ehrennamen, dass er Rechtsgelehrter war oder die Zeit, in der er lebte (vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 13–14). ¹⁰ Vgl. Graf, Geschichte Bd. 2, 389–390. Für eine kurze Bewertung von al-ʿAssāls Antwort auf al-Jaʿfarī sowie von al-Jaʿfarīs Verwendung und Auslegung biblischer Texte vgl. Griffith, »Use and Interpretation«. ¹¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 12.

Kapitel 7: Al-Jaʿfarīs Leben, Werke und Interesse an der Theologie

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von der Wahrheit des Islams zu überzeugen.¹² Und der Weg, den er hierfür gewählt hat, ist derjenige der Argumentation. Sarrió Cucarella verweist darauf, dass zu den Ahnen des Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī aufgrund seines Namenszusatzes ›al-Jaʿfarī‹ der Prophet Muḥammad zähle, weil ›al-Jaʿfarī‹ auf Jaʿfar ibn Abī Ṭālib, dem Cousin des Propheten hinweise. Auch der Namenszusatz ›al-Zaynabī‹ beziehe sich auf diese Verwandtschaft.¹³ Diese Lesart ist durchaus legitim, wenn auch einige Fragen offenbleiben. Denn (i.) berichten die Primärquellen, die al-Jaʿfarī beschreiben, nicht von diesem Zusammenhang, (ii.) könnte der Namenszusatz ›al-Jaʿfarī‹ ebensogut auf die Zugehörigkeit zur theologischen Schule der Jaʿfariyya hinweisen (was allerdings auszuschließen ist, da al-Jaʿfarī der Theologieschule der Ashʿarī angehört haben dürfte und er höchstwahrscheinlich ein shāfiʿitischer Jurist war), (iii.) wird von Amal bint Mabrūk ibn Nāhis al-Luhībī in ihrer Dissertation über al-Jaʿfarīs Al-bayān al-wāḍiḥ angegeben, dass Jaʿfar vielmehr aus einem Dorf in der Nähe von Kairo namens al-Jaʿāfira stammen könnte.¹⁴ Der Namenszusatz ›al-Zaynabī‹ unterstützt die Lesart von Sarrió Cucarella. In der Tat berichten einige Quellen von der späteren Ansiedlung der al-Jaʿāfira in Ägypten.¹⁵ Diese könnten Nachfahren des Jaʿfar ibn Abī Ṭālib sein und al-Jaʿfarī wiederum ein Nachkomme dieser in Ägypten angesiedelten Gruppe. Allerdings wurde al-Jaʿfarī keineswegs durchgängig mit diesen Namenszusätzen bezeichnet; so benennt ihn etwa al-Ṭūfī, der selbst für kurze Zeit in Qūṣ lebte, als Taqī al-Dīn Ṣāliḥ al-khaṭīb al-Qūṣī, ohne die für die Verwandschaft relevanten Namen zu verwenden, wenn er al-Jaʿfarī als einen Radd-Autor beschreibt, der die Widersprüche in den Evangelien behandelt.¹⁶ Wichtiger als die Abstammung al-Jaʿfarīs ist für unsere Untersuchung der Umstand, dass al-Jaʿfarī, als er an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert in Qūṣ wohnte, damit in einer Umgebung mit einer nicht unerheblichen Anzahl von Christen lebte. Qūṣ war schon vor dem Auftreten des Islams christlich und noch zu al-Jaʿfarīs Zeit waren viele Einwohner Christen.¹⁷ Somit dürfte al-Jaʿfarī einen guten Zugang zur christlichen Religion gehabt haben.¹⁸ Die muslimische Gelehrsamkeit fand durch die Errichtung einer Madrassa um 1210 (also gerade, als al-Jaʿfarī 25 Jahre alt war) Eingang in Qūṣ und die Stadt entwickelte sich daraufhin zu einem wichtigem Zentrum des sunnitischen Islams.¹⁹

¹² Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 12–38. ¹³ Vgl. Nasiłowski/Sarrió Cucarella, »Muslim Polemics« 71–72. ¹⁴ Al-Luhībī, Bayān al-wāḍiḥ 42. ¹⁵ Vgl. al-Barrī, Al-Qabā’il al-ʿarabiyya fī Miṣr 114. ¹⁶ Vgl. Demiri, Muslim Exegesis 34 und dies., »Al-Ṭūfī«. ¹⁷ Vgl. Garcin, »Ḳūṣ«. ¹⁸ Der Radd ist jedoch kein Zeugnis mangelhafter Kenntnisse der Muslime vom Christentum, ganz im Gegenteil bezeugt er ihr ernsthaftes Interesse an den Details der christlichen Lehren. Oft hatten sie zum Islam konvertierte Christen als Informationsquelle, die selbst Radd-Werke verfassten (vgl. Lazarus-Yafeh, »Neglected Aspects« 67–68). ¹⁹ Vgl. Garcin, Centre musulman 171–180.

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In der Fatimidenzeit (969–1171), die etwa ein Jahrzehnt vor Geburt al-Jaʿfarīs endete, gab es noch häufiger Orte mit christlicher Bevölkerungsmehrheit. Die Kirche war weitgehend autonom und sammelte Abgaben ein. Insbesondere die Textilherstellung befand sich fest in den Händen der Christen. Obwohl es eine Kleiderverordnung für Christen und Muslime gab, wurde diese Verordnung erst durch die Mamluken ab 1250 wirklich durchgesetzt, nachdem die Mamluken Ägypten von den Kreuzfahrern befreiten.²⁰ Obwohl al-Jaʿfarīs Jugend also von einem mehr oder weniger friedlichen Zusammenleben von Muslimen und Christen geprägt war, geriet dieses Zusammenleben immer mehr in Konflikte. Wenn wir annehmen, dass der Radd des al-Jaʿfarī sein letztes Werk war, dann wird deutlich, in welchen turbulenten Konfliktzeiten diese Polemik zum Christentum entstanden ist. Al-Jaʿfarī kam um 581/1185 inmitten der Kämpfe zwischen den Kreuzfahrern und muslimischen Verteidigungskämpfern zur Welt. Gerade hatte Ṣalāḥ al-Dīn (›Saladin‹²¹, reg. 567/1171–589/1193) Syrien erobert und wurde zum Sultan. 1187 besiegte Ṣalāḥ al-Dīn die Kreuzfahrer bei Hattin, eroberte Jerusalem und nahm Akko ein. Ein Jahr später wurden die Kreuzfahrerstaaten von Ṣalāḥ al-Dīns Armee eingenommen und er eroberte lateinische Königreiche in der Levante. Doch schon 1189 begannen die dritten Kreuzzüge. Zwei Jahre später eroberten die Kreuzfahrer Akko zurück und Richard Löwenherz schloss mit Ṣalāḥ al-Dīn einen Vertrag. Bereits ein Jahr später, um 1193, als al-Jaʿfarī acht Jahre alt gewesen sein dürfte, stirbt Ṣalāḥ al-Dīn und ein Machtkampf unter seinen Erben lässt einen bürgerkriegsähnlichen Zustand entstehen.²² Weiterhin erlebte al-Jaʿfarī die Übergriffe der Mongolen auf weite Gebiete des damaligen Islams; er erlebte die Eroberung Bagdads im Jahre 1258 unter Hülegü, der die Hauptstadt der abbasidischen Kalifen zerstören ließ und großen Einfluss auf die islamische Gelehrsamkeit hatte. Auch die Kreuzzüge fanden immer wieder bis zum Tod al-Jaʿfarīs statt, zuletzt erlebte er 1269 den aragonensischen Kreuzzug, der Akko erreichte. Doch die schlechte Beziehung zu den ›Franken‹, den aus Europa stammenden Kreuzfahrern, darf nicht auf alle Christen verallgemeinert werden. Obwohl die islamisch-christlichen kriegerischen Beziehungen auch das Verhältnis der Muslime zu den orientalischen Christen verschlechterte, erlebten etwa die Kopten, auch durch die neue sozio-politische Lage durch die politischen Umwandlungen, in jener Epoche ihr Goldenes Zeitalter.²³ Obwohl die Kopten schon vor dem 13. Jahrhundert auf Arabisch zu schreiben anfingen,²⁴ gliederten sie im

²⁰ Müller/Detlef, »Ägypten« 214–218. ²¹ Dies ist niemand anderes als der legendenumwobene ›Sultan Saladin‹, der auch in der christlichen Literatur Europas eine große Rolle spielt – u. a. als liberaler Sultan in Lessings Drama Nathan der Weise (1779), das ja gerade das Verhältnis der drei abrahamitischen Religionen und die Notwendigkeit der Toleranz thematisiert. ²² Vgl. hierzu allgemein Tyerman, Kreuzzüge. ²³ Vgl. Orlandi, »Koptische Kirche« 603. ²⁴ Vgl. Sidarus, »Copto-Arabic Renaissance«.

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13. Jahrhundert ihre Wissenschaften methodisch und stilistisch in die muslimischen ein und begannen, eine reiche koptische Literatur zu schaffen.²⁵ Zu den frühen Pionieren der Kairoer Kopten, die auf Arabisch schrieben, zählt Nushūʾ al-Khilāfa Abū Shākir ibn al-Sanāʾ Buṭrus al-Rāhib (gest. um 689/1290), der um 1210 geboren ist und zu den Enzyklopädisten des goldenen Zeitalters der koptischen arabischen Literatur gezählt wird.²⁶ Anders als in der Zeit des Johannes von Damaskus (gest. erste Hälfte des 2./8. Jh.),²⁷ dessen Familie generationenlang im Staatsdienst der Umayyaden stand und zudem zahlreiche apologetische und polemische Argumente zum Islam konstruierte,²⁸ änderte sich die Situation Ende des 13. Jahrhunderts, wenn man der von Steinschneider erwähnten polemischen Handschrift mit dem Titel Nuskhat al-darj […] Glauben schenkt, die im Jahre 1308 den Emiren in Damaskus vorgelegt wurde und sich dafür ausspricht, den Christen keine öffentlichen Ämter mehr zu gewähren.²⁹ Und in seinem Risāla fī istiʿmāl al-Yahūd wa-l-Naṣārā (»Eine Abhandlung über die Anstellung von Juden und Christen«³⁰) eröffnet Abū ʿAbdullāh Muḥammad ibn ʿAbd al-Karīm ibn Muḥammad al-Maghīlī al-Tilmisānī al-Jazāʾirī (gest. 908/ 1503 oder 910/1505) erneut die Diskussion über die Anstellung von Juden und Christen im Staatsdienst. Diese Schrift scheint verschollen zu sein.³¹ Bis zu al-Jaʿfarīs 65. Lebensjahr herrschten in Ägypten die Ayyubiden, eine von Ṣalāḥ al-Dīn gegründete Dynastie. Ṣalāḥ al-Dīn hatte Ägypten nach den schiitischen Fatimiden (969–1171) wieder unter die Herrschaft des sunnitischen Kalifen gebracht.³² Im Jahr 1250 übernahmen dann die Mamluken von den Ayyubiden die Herrschaft über Syrien, Ägypten und Ḥijāz, doch auch die geschwächten Abbasiden blieben weiterhin ein Akteur des politischen Geschehens.³³ In dieser Zeit waren somit neben den christlich-muslimischen Verhältnissen auch die innerislamischen Verhältnisse vor allem von Konflikten bestimmt, das abbasidische Reich zerfiel in vielen kleinere Staaten; und es verwundert nicht, wenn in dieser turbulenten Zeit auch innerhalb des Islams argumentative Begegnungen zwischen Theologen stattfanden. Dieser Ansatz der Streitkultur muss – trotz der polemischen Herangehensweise – gewürdigt werden, da er der Vernunft und Wissenschaftlichkeit den Vorzug vor der Gewalt gab, die es in der Zeit al-Jaʿfarīs nicht zu wenig gegeben haben muss.

²⁵ Teule, »Interaction« 13. ²⁶ Vgl. Sidarus, »Ibn al-Rāhib« 471. Für mehr Beispiele vgl. Sidarus, »Copto-Arabic Renaissance« 141–160. ²⁷ Vgl. Pahlitzsch, »Peter of Damascus« 290–292. ²⁸ Vgl. Johannes von Damaskus, Liber de haeresibus und ders., Schriften zum Islam. ²⁹ Vgl. Steinschneider, Literatur 104. ³⁰ Vgl. Steinschneiders Übersetzung »Eine Abhandlung über die Anstellung von Juden und Christen [in muhammedanischen Staatsdiensten]« in Steinschneider, Literatur 55. ³¹ Vgl. Steinschneider, Literatur 55–56 sowie Fares Hassan, »Risāla« 571 und ders., »Al-Maghīlī« 565–571. ³² Weintritt, »Ägypten« 365–366. ³³ Vgl. Hassan, Tārīkh al-Islām Bd. 4 (1967), 232–261.

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Ohnehin war trotz der Eingriffe der Mongolen und Kreuzfahrer, die teilweise Bibliotheken zerstörten und Wissenschaftler ermordeten,³⁴ das wissenschaftliche Leben nicht geschwächt, vor allem nicht in Ägypten, wo sowohl die Ayyubiden als auch die Mamluken großen Wert auf Gelehrsamkeit legten und Gelehrte stark unterstützten; vor allem im Bereich der Rechtswissenschaften eröffneten sie zahlreiche neue Madrasas.³⁵ Dies führte wiederum dazu, dass die Gelehrten den politischen Gegnern der Herrscher argumentativ begegneten, wie beispielsweise al-Jaʿfarī in seinem Radd die Franken argumentativ angeht.³⁶ Al-Jaʿfarī gehört zu den vielen muslimischen Autoren, die bis zum 13. Jahrhundert zahlreiche Texte und Werke in verschiedenen Literaturgattungen zum Christentum verfasst haben. Er schrieb drei Werke gegen die christliche Theologie. Diese sind: Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl³⁷ (»Die Schande derer, die die Tora und das Evangelium verändert haben«), Kitāb al-ʿashr al-masāʾil almusammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd ³⁸ (»Das Buch der zehn Fragen mit dem Titel ›Die Darstellung der klaren und bezeugten Niederträchtigkeit der Christen und Juden‹ «) und Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā (»Widerlegung der Christen«) wobei die letztgenannte Schrift seine späteste Abhandlung ist. Obwohl die politischen und sozialen Situationen und Konflikte starken Einfluss auf al-Jaʿfarī gehabt haben müssen, ist der Radd keineswegs ein Genre, das nur in Kriegszeiten gepflegt wurde: Die Forschung zeigt, dass in jeder Zeit Radd-Schriften verfasst wurden.³⁹ Deshalb ist schwer zu entscheiden, inwiefern die kriegerischen Ereignisse und Kreuzzüge eine zentrale Rolle bei der Abfassung von al-Jaʿfarīs Radd gespielt haben. Ohnehin erwähnt al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā nichts von den kriegerischen, politischen und sozialen Konflikten in der Gesellschaft. Ihm geht es allein um die wissenschaftliche Behandlung theologischer Aussagen und um die argumentative Widerlegung von Aussagen, die zur seiner Theologie in Widerspruch stehen sowie um die Antwort auf die ›Franken‹. Die Erwähnung der ›Franken‹ ist der einzige Hinweis auf die Kreuzfahrer seiner Zeit. Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, das als Primärquelle der vorliegenden Studie herangezogen wird, ist sehr komprimiert formuliert. Es wäre jedoch verfehlt, es als bloße Zusammenfassung des Takhjīl zu bezeichnen,⁴⁰ den al-Jaʿfarī wahrscheinlich schon vor 618/1221 verfasste,⁴¹ während er das Kitāb al-radd ʿalā

³⁴ Vgl. Sicker, Ascendancy 111. ³⁵ Vgl. Rapoport, »Legal Diversity«. ³⁶ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3. ³⁷ Die richtige Lesart ist wohl man ḥarrafa und nicht min ḥarf (vgl. Steinschneider, Literatur 36). ³⁸ Brockelmann/Witkam, GAL Bd. 1, 430 mit Supplement I, 766. ³⁹ Vgl. dazu allgemein das von David Thomas herausgegebene große Sammelwerk Christian-Muslim Relations 600–1500 (Leiden: Brill), in dem die Kontinuität des Radds nachgezeichnet wird. ⁴⁰ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 15. ⁴¹ Vgl. Demiri, »Takhjīl man ḥarrafa« 481–483.

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l-Naṣārā erst kurz vor seinem Tod schrieb.⁴² Viel spricht dafür, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā vielmehr eine Abhandlung ist, welche komprimiertere Argumente beinhaltet und bewusst in dieser knappen Form geschrieben wurde, denn diese Form bietet eine besondere Art von Argumentationsstrukturen. Nachdem al-Jaʿfarī sein Takhjīl geschrieben hatte, dürfte der Bedarf entstanden sein, eine kürzere und effektivere Form des Radds zum Christentum zu verfassen. Das Kitāb al-radd weist Eigenständigkeiten auf, es hat eine andere Funktion und stellt auch im Wortlauf keine Kopie aus dem Takhjīl dar. Das Kitāb al-radd enthält sorgfältig ausgewählte Argumente und zeigt so das Geschick al-Jaʿfarīs bei der Selektion. Argumente knapp und präzise zu formulieren ist argumentationstechnisch eine wichtige Leistung, die al-Jaʿfarī hier gelingt. Zudem findet sich im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā kein expliziter Hinweis darauf, dass es eine Zusammenfassung sein soll. Zusammenfassungen werden zumeist mit Begriffen wie ikhtiṣār, mukhtaṣar, khulāṣa, mulakhkhaṣ oder muntakhab bezeichnet,⁴³ diese fehlen im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā aber gänzlich.⁴⁴ Al-Jaʿfarī verweist in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā auf seinen Takhjīl lediglich mit der Angabe, dass er darin bestimmte Themen ausführlicher behandle, und um zu betonen, dass er sich im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā auf bestimmte Themen – wahrscheinlich eine Auswahl von effektiveren Argumenten – beschränkt habe.⁴⁵ Das Takhjīl ist zwar das erste Buch al-Jaʿfarīs, das er gegen die christliche und jüdische Lehre schrieb, aber obwohl al-Jaʿfarī noch ein Jugendlicher war, als er das Takhjīl schrieb, zeigt es bereits breite Kenntnisse in logisch strukturierter Argumentationstechnik. Dennoch weicht er hier bei denselben Themen wie im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā zu stark von der reinen Argumentativität ab, während das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā eine durchgängig strikt argumentationsorientierte Schrift darstellt. Daher ist das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā als Höhepunkt des argumentativen Radds bei al-Jaʿfarī zu betrachten.⁴⁶

⁴² Vgl. Demiri, »Kitāb al-radd« 485. ⁴³ Vgl. hierzu Arazi/Ben-Shammay, »Muk̲h̲taṣar« 536–540; Bearman u. a., »Glossary« 338, Art. »Ḵh̲ulāṣa«. ⁴⁴ Al-Jaʿfarī verwendet lediglich den Begriff nabdha (etwa ›Überblick‹; § 121 und § 241), um auszudrücken, dass er in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā einen kurzen Überblick darüber gibt, was er im Takhjīl ausführlicher behandelt hat, und den Ausdruck iqtaṣara (etwa: »beschränkt sein auf etwas«; § 200), um anzudeuten, dass er sich bewusst auf eine sorgfältige Auswahl beschränkt hat. ⁴⁵ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12, § 140 und § 199. Eine gesonderte Arbeit, die beide Werke intensiv miteinander vergleicht, könnte diesbezüglich nähere Einblicke verschaffen. Eine derartige Arbeit fehlt derzeit jedoch. ⁴⁶ Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass al-Jaʿfarī noch weitere Werke zum Christentum oder Judentum verfasst haben könnte. Immerhin wird von al-Dhahabī überliefert, dass alJaʿfarī Werke über Poesie und Prosa schrieb. Zudem verfasste er Predigten und mehrere weitere Bücher, über die uns al-Dhahabī allerdings nichts Näheres berichtet. Sicher ist auch, dass er sich mit der Hadithwissenschaft beschäftigt hat. Er war Schüler des Hadithgelehrten ʿAlī ibn al-Bannāʾ (gest. 622/1225) und soll auch selbst Hadithe an andere überliefert haben (vgl. al-Dhahabī, Tārīkh al-islām, hg. von ʿUmar ʿAbd al-Salām Tadmurī 262).

Kapitel 8

Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī Ḥasanayn betrachtet das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī zwar als eine Art Kurzfassung des Takhjīl. Dennoch ist auch Ḥasanayn nicht entgangen, dass al-Jaʿfarī im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā im Vergleich zu seinem Takhjīl deutlich größeren Wert darauf legt, sich exakt und argumentativ effektiv auszudrücken.¹ Obwohl Ḥasanayn zu Recht bemerkt, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā das Takhjīl als Vorlage benutzt, verweist er auch darauf, was das Kitāb alradd ʿalā l-Naṣārā vom Takhjīl unterscheidet und besonders macht. Als das Takhjīl geschrieben wurde, war al-Jaʿfarī jung und selbst von seinem Werk nicht überzeugt. So verfasste er das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā kürzer, präziser und argumentativ effektiver. Die weniger wichtigen Details, die er im Takhjīl vorlegt, sind hier weggelassen. Es sagt selbst, dass ihm beim Verfassen des Takhjīl die Klarheit fehlte. Außerdem verweist Ḥasanayn darauf, dass im Manuskript des Takhjīl über der Überschrift der Begriff ›Entwurf‹ (muswadda) steht und schon damals darauf hingewiesen haben könnte, dass diesem Entwurf eine weitere Version folgen sollte. Jedoch ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob diese Notiz von al-Jaʿfarī selbst stammt. Auf jeden Fall folgte dem Takhjīl das Kitāb alradd ʿalā l-Naṣārā als spätere, durchgreifend überarbeitete Version des Takhjīl. Al-Jaʿfarī sah womöglich das Takhjīl als ein Entwurfsbuch, worin er seine ersten Gedanken niedergeschrieben hat. Später unternahm er eine Bearbeitung des Takhjīl und hat dessen Inhalt in konzentrierter Form im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā wiedergegeben.² Auch Ḥasanayn vermutet, dass al-Jaʿfarī mit seinem Jugendwerk Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl unzufrieden gewesen sein dürfte, weil er darin im Vergleich zu seinem späteren Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā teilweise überflüssige Themen angesprochen hatte.³ Die Jugendzeit des al-Jaʿfarī, in der er sein Takhjīl verfasste, resümiert Ḥasanayn »als Zeiten der mangelnden Klarheit des Denkens«⁴ und verweist auf die intellektuelle Überlegenheit des Kitāb alradd ʿalā l-Naṣārā. Al-Jaʿfarī verfasste somit sein Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, um seine grundlegenden Ansichten und Argumente argumentationstheoretisch kompakter und effektiver vorzulegen.

¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 15. ² Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 9–10. ³ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 9 und auch al-Luhībī, Bayān al-wāḍiḥ 19. ⁴ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 9, eigene Übersetzung.

Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

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Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā wurde vor 668/1270 verfasst; schon aus stilistischen Gründen ist seine Abfassung in der mamlukischen Zeit anzusetzen. Graf verweist darauf, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā in Ägypten verfasst worden sein müsse, vor allem deshalb, weil der koptische Patriarch Kyrill Ibn Laqlaq in Ägypten den Radd-Autor al-Ṣafī ibn al-ʿAssāl, der in Kairo ansässig war, mit der Abfassung einer Antwortschrift auf die Argumente alJaʿfarīs beauftragte.⁵ Doch das einzige erhaltene Manuskript des Werkes in der Süleymaniye-Bibliothek⁶ wurde erst in der osmanischen Zeit kopiert. Darin sind kaum Schreibfehler zu finden, die Textüberlieferung kann also als gut gelten. Es ist nicht zu bestimmen, was für ein Manuskript dem Schreiber als Vorlage diente. Der Titelseite des Buches kann entnommen werden, dass diese Kopie für die Bibliothek des osmanischen Sultans in Istanbul kopiert wurde. Methodisch orientiert sich das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā weitgehend an der aristotelischen Logik, der Syllogistik. Al-Jaʿfarī lebte in der Tat in einer Zeit, in der die ohnehin einflussreichen Logiker aristotelischer Richtung große Wirkung hatten. Wirkungsvolle zeitgenössische Theologen, die sich auch mit der Logik beschäftigten und zudem Verfechter der aristotelischen Logik waren,⁷ die also al-Jaʿfarī sehr wahrscheinlich – wenn auch indirekt – beeinflussten, waren etwa Fakhr al-Dīn al-Rāzī (gest. 605/1208), Athīr al-Dīn al-Abharī (gest. 663/1264), Ibn Sabʿīn (gest. 668 oder 669/1269–1271), Naṣīr al-Dīn alṬūsī (gest. 672/1274) oder Najm al-Dīn al-Kātibī (gest. 657/1276). Vor allem Athīr al-Dīn al-Abharīs Schrift Īsāgūjī, ein an die Eisagogḗ des Porphyrios angelehntes Werk,⁸ behandelte nicht nur die Kategoreme, sondern auch die Lehre über Prämissenbildung, die Widerspruchslehre, den Analogieschluss sowie einzelne Syllogismen und wurde in kurzer Zeit zu einem Grundwerk der Argumentationslehre.⁹ Die logisch teils durchaus anspruchsvollen Argumente in seinem Radd legen nahe, dass al-Jaʿfarī ebenfalls eine solide Ausbildung in Logik erfahren hat.

⁵ Vgl. Graf, Geschichte Bd. 2, 389–390. ⁶ Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, 114 Blätter. ⁷ Diese Theologen erkannten die Generierung neuer Erkenntnisse durch das Argumentieren mit Syllogismen an. Dagegen kritisierte Ibn Taymiyya im Al-radd ʿalā l-manṭiqiyyīn (»Die Zurückweisung der Logiker«) den burhān als Ergebnis des syllogistischen Schließens, bei dem der burhān aus Prämissen der Kategorie badīhiyyāt (Axiome, selbstevidente Aussagen) besteht. Ibn Taymiyya leugnete, dass durch einen solchen Schluss Erkenntnis generiert werde. Denn wenn die Prämissen badīhiyyāt sind, müsse die Konklusion aus dem Syllogismus schon Teil dieser Prämissen sein oder zumindest von diesen impliziert werden, wodurch aber keine Erkenntnis zustande komme (vgl. Ibn Taymiyya, Against the Greek Logicians sowie Al-radd ʿalā l-manṭiqiyyīn, hg. von al-Kutubī, 116–123 und 355–361). Vgl. für diese und weitere Kritik Ibn Taymiyyas an der aristotelischen Logik: von Kügelgen, »Kritik«. ⁸ Vgl. Brockelmann, »Al-Abharī« 98. ⁹ Vgl. al-Abharī, Īsāgūjī.

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Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Aufbau und Inhalt des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā besteht aus den folgenden sieben argumentativen Kapiteln, deren Themen bereits den umfassenden Anspruch von al-Jaʿfarīs Werk erkennen lassen: I. Die Widerlegung der Aussage, Jesus sei Gottes Sohn und Gott sei sein Vater II. Über die Widerlegung der Einheit III. Über die Widerlegung der Behauptung der Tötung und Kreuzigung Jesu IV. Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität V. Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums, welches die Christen bis heute besitzen VI. Der Beweis für das Prophetentum Jesu VII. Der Beweis für das Prophetentum Muḥammads Im ersten Kapitel geht al-Jaʿfarī auf die christliche These ein, dass Jesus der Sohn Gottes sei. Grundlage dieser These sei die christliche Aussage ›Christus ist Gottes Sohn‹. Um diese These zu entkräften, beginnt al-Jaʿfarī, die Bedeutung des Begriffs ›Sohnschaft‹ kritisch zu hinterfragen. Methodisch zählt al-Jaʿfarī im Rahmen des al-sabr wa-l-taqsīm¹⁰ (sinngemäß: ›Einteilung und Überprüfung‹) alle Möglichkeiten auf, wie ›Sohnschaft‹ verstanden werden kann, und versucht anschließend, die falschen Thesen einzeln zu widerlegen.¹¹ Bei der Widerlegung möglicher Interpretationen zieht al-Jaʿfarī auch biblische Belege heran und nutzt die Methodik der Interpretation (Exegese) bzw. des tafsīr, um eine rational nachvollziehbare Argumentation zu konstruieren.¹² Ḥasanayn will aus dem Umstand, dass al-Jaʿfarī die Bibel als Quelle nutzt, folgern, dass al-Jaʿfarī die Bibel für wahr halte.¹³ Dies ist jedoch nicht zwingend, denn alJaʿfarī könnte die Bibel argumentationstheoretisch gesehen auch nur deshalb heranziehen, um die Adäquatheit seiner Prämissen für christliche Leser zu garantieren (also als Argumentum ad personam). Ḥasanayn hat jedoch darin recht, dass al-Jaʿfarī, indem er diesen interpretativen Ansatz wählt und indem er Widersprüche zwischen den Evangelien aufzeigt, zumindest eine gewisse Gültigkeit und Autorität der Evangelien voraussetzt. Mit seiner islamischen Interpretation des Konzepts der Sohnschaft konstruiert al-Jaʿfarī im ersten Kapitel zahlreiche Argumente. Einige werden im Folgenden näher betrachtet. Dazu zählen das bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argument¹⁴, das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument¹⁵, das mushāhada- und khabar-Argument zur

¹⁰ Diese Methode gehört zur exegetischen Methode und wird als ›Methode der Gliederung (as-sabr) und Unterteilung (at-taqsīm)‹ bezeichnet. ¹¹ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 39. ¹² Ḥasanayn, Kitāb al-radd 41. ¹³ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 39–41. ¹⁴ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.1. ¹⁵ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.2.

Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

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Widerlegung der Einheit¹⁶, die taṣnīf-Argumente (das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument¹⁷) sowie das Gleichwertigkeitsargument¹⁸. Im zweiten Kapitel geht es um die Vereinigung (al-ittiḥād) und um die Frage der Wesensgleichheit von Gott und Jesus. Al-Jaʿfarī lehnt die christliche Vorstellung einer Vereinigung der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus ab und konstruiert gegen diese Vorstellung Argumente, die sich vor allem auf die Vernunft und auf die Evangelien berufen. Er betont, schon die verschiedenen christlichen Schulen hätten in dieser dogmatisch wichtigen Frage kein Konsens erreichen können. Al-Jaʿfarī beruft sich für seine Kritik u. a. (i.) auf Überlieferungen von Leuten, die Jesus gesehen haben und belegen sollen, dass er eine einzige menschliche Natur besessen habe (um diese Auffassung zu bekräftigen, zieht er Belege aus dem Alten und Neuen Testament heran); (ii.) auf Selbstaussagen Jesu in den Evangelien, in denen er persönlich darauf hinweist, dass er menschlich und nicht göttlich sei;¹⁹ (iii.) auf die Vernunft und (iv.) auf den Umstand, dass Gott und Jesus – auch im Rahmen der Evangelien – nicht wesensgleich sein könnten. Al-Jaʿfarī stellt die Vereinigung in Frage, indem er die menschlichen und göttlichen Attribute – wie Wissen oder Wille – in Widerspruch gegeneinander bringt und die Vergöttlichung des Menschlichen ablehnt. Unter Verweis auf zahlreiche Bibelstellen versucht al-Jaʿfarī, seine These zudem durch das Alte und Neue Testament selbst zu begründen.²⁰ Zu den Argumenten, die im zweiten Kapitel konstruiert werden, gehören etwa das Jesus-hungert-Argument.²¹ Das dritte Kapitel befasst sich mit der christlichen Lehre von Tötung und Kreuzigung Jesu. Hier geht al-Jaʿfarī auf die Thematik ein, ob der Gekreuzigte der Messias war oder nicht, und versucht die islamische Lesart – dass nicht Jesus am Kreuz gestorben sei, sondern eine andere Person – argumentativ zu beweisen. Diese Lesart lehnt sich an den Koran an, in dem es heißt: »[…] (weil sie) sagten: Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet. Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so daß sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn (oder: darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber). Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber) gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewißheit getötet (d. h. sie können nicht mit Gewißheit sagen, daß sie ihn getötet haben).«²²

¹⁶ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.3. ¹⁷ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.4. ¹⁸ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 34–39 und dazu hier Abschnitt 9.1, S. 309–312. ¹⁹ Al-Jaʿfarī zieht hierzu folgende Bibelstelle heran: »Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?« (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 90, wohl nach Johannes 7,19 und 8,40). ²⁰ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 41. ²¹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 98 und dazu hier Abschnitt 9.5. ²² Koran 4:157; Übersetzung von Rudi Paret.

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Kapitel 8: Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Al-Jaʿfarī verfolgt hier zwei Strategien: Zum einen möchte er die These von der Kreuzigung Jesu auflösen, zum anderen möchte er die islamische Interpretation stark machen.²³ Zu diesem doppelten Zweck konstruiert al-Jaʿfarī sowohl rationale als auch überlieferungsbasierte Argumente. Um die christliche These rational zu widerlegen, stellt al-Jaʿfarī die Frage, ob die Kreuzigung den menschlichen Teil, den göttlichen Teil oder beide Teile Jesu betroffen habe. Alle drei Thesen seien logisch nicht haltbar. Es könne nicht akzeptiert werden, dass Jesus als Errettung für die Sünden der Menschen gekreuzigt wurde, denn wenn dies so wäre, dann müsste auch die Kreuzigung des göttlichen Wesens in Jesus erfolgt sein, was nicht mit den göttlichen Attributen – wie der Ewigkeit – in Einklang zu bringen sei.²⁴ Außerdem gliedert al-Jaʿfarī die Aussagen und Meinungen der christlichen Gruppierungen bezüglich der Vereinigung, der Inkarnation oder der Kreuzigung systematisch auf. Nachdem er (angeblich) alle möglichen Interpretationen aufgestellt hat, widerlegt er alle diese Möglichkeiten und lehnt daher die gesamte christliche Auffassung als logisch unmöglich ab.²⁵ Zu den Argumenten, die im dritten Kapitel konstruiert werden, gehören etwa das Ewigkeitsargument²⁶ oder die Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu: das tawātur-Argument und das Argument der Möglichkeit der Verwechslung²⁷. Das vierte Kapitel ist der Widerlegung der Trinitätslehre gewidmet. Die Dreifaltigkeit habe weder eine rationale noch eine bibelbasierte Begründung, sondern sei ein Ergebnis des ersten Konzils von Nicäa, so die Interpretation Ḥasanayns zur Herangehensweise des al-Jaʿfarī.²⁸ Al-Jaʿfarī konstruiert in diesem Kapitel ein taṣnīf und behauptet, die Trinitätslehre in allen Bereichen, d. h. unter allen Erklärungsansätzen widerlegt zu haben (fa-qad baṭala al-thālūth ʿalā kulli qism min al-aqsām), weshalb er der Trinitätslehre attestiert, dass es für sie keinen hinreichenden Beweis gebe.²⁹ Er kritisiert die christliche Hypostasenlehre und konstruiert zu argumentativen Zwecken alternativ mögliche Hypostasen, um so die Willkürlichkeit der Trinitätslehre aufzuzeigen. Zu den Argumenten, die im vierten Kapitel vorgebracht werden, gehört etwa das Quaternitätsargument gegen die Trinität.³⁰ Das fünfte Kapitel beansprucht, über Widersprüche in den Evangelien aufzuklären. Al-Jaʿfarī geht hier zum einen auf allgemeine Widersprüche ein, zum anderen insbesondere auf Widersprüche zwischen biblischen Konzepten oder Erzählungen. Al-Jaʿfarī versucht, aus diesen Widersprüchen den Schluss zu ziehen, dass die Zuverlässigkeit der Bibel generell hinterfragt werden muss,

²³ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 43. ²⁴ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 42–44. ²⁵ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 42. ²⁶ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.8. ²⁷ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.10. ²⁸ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 34–35. ²⁹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 196. ³⁰ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.11.

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da man der Wahrheit der biblischen Inhalte nicht vertrauen könne; derartig widerspruchsvolle Texte könnten keinen Glauben rechtfertigen. Hierzu werden insbesondere Textstellen aus dem Johannes- und dem Matthäusevangelium zitiert und dann Widersprüche zwischen ihnen aufgezeigt. Im Anschluss daran kritisiert al-Jaʿfarī jeweils die Evangelien, indem er sagt, dass dies ein klarer Widerspruch sei, denn das, was der eine Evangelist sage, bezweifle der andere. Zudem erhebt al-Jaʿfarī den Anspruch, die Evangelien gründlich studiert zu haben.³¹ Zu den Argumenten, die im fünften Kapitel vorgebracht werden, gehören etwa das taḥrīf-Argument³² sowie die Argumente zu biblischen Widersprüchen sowie zum Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien als Beleg für deren Fehlerhaftigkeit³³. Im sechsten Kapitel konstruiert al-Jaʿfarī Argumente für das Prophetentum Jesu, versucht also zu beweisen, dass Jesus ein Prophet wie alle anderen Propheten gewesen sei. Die Auffassung, dass Jesus (lediglich) ein Prophet ist, basiert auf den Koran, in dem es u. a. heißt: »Christus, der Sohn der Maria, ist nur ein Gesandter. Vor ihm hat es schon (andere) Gesandte gegeben. Und seine Mutter ist eine Wahrhaftige (? ṣiddīqa). Sie pflegten (als sie noch auf der Erde weilten, wie gewöhnliche Sterbliche) Speise zu sich zu nehmen. Sieh, wie wir ihnen [d. h. den Christen, die diese falschen Ansichten vertreten] die Verse [w. Zeichen] klar machen! Und dann sieh, wie verschroben sie sind (so daß sie trotz aller Belehrung kein Einsehen haben)!«³⁴

Die Opponenten von al-Jaʿfarīs Argumenten sind im sechsten und siebten Kapitel nicht nur die Christen, sondern auch die Juden. Die Juden lehnen etwa die Wunder Jesu ab, wogegen die Muslime diese akzeptieren; Juden und Christen halten jedoch die Auffassung Jesu als Propheten für problematisch, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Das Verhältnis der drei Religionen zu dieser Frage ist somit komplex. Al-Jaʿfarī argumentiert gegen die Juden, dass die Wunder, die Jesus zugeschrieben werden, den Wundern ähnlich seien, welche dem (jüdischen) Mose zugeschrieben werden. Wenn nun also diese Wunder des Mose das Prophetentum Moses beweisen, so müssten die Wunder Jesu ebenfalls sein Prophetentum beweisen. Im Gegensatz zu den Juden sehen die Christen zumindest die Wunder Jesu als eine göttliche Fähigkeit an und schließen daraus, dass er Gott sei. Al-Jaʿfarī betrachtet u. a. diese unterschiedlichen Interpretationen bezüglich der Wunder der Propheten als einen wesentlichen Unterschied zwischen Christen und Muslimen. Die Muslime nehmen durch die Wunder die Botschaft Gottes wahr und werden durch die Propheten zur Botschaft Gottes geführt. Die Wunder sind ohne Gottes Handeln nicht möglich. Im Gegensatz dazu, so al-Jaʿfarī, führen die Christen diese Wunder auf die Person Jesu zurück und sehen Jesus als denjenigen, der aus eigener Kraft und aus eigenem

³¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 44–45. ³² Vgl. dazu hier Abschnitt 9.13. ³³ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.12. ³⁴ Koran 5:75, Übersetzung Rudi Paret.

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Willen diese Wunder vollbringt. Al-Jaʿfarī zitiert aus den Evangelien, um das (ausschließliche/reine) Prophetentum Jesu zu belegen. Im siebten und letzten Kapitel thematisiert al-Jaʿfarī vorwiegend den Islam und führt eine Beweisführung für das Prophetentum Muḥammads. Die Argumentation vieler muslimischer Theologen dafür, dass Muḥammad ein Prophet ist, verfolgt zwei Ziele: zum einen, durch die Theorie der Prophetie auch das Prophetentum Jesu zu belegen, zum anderen, das Prophetentum Muḥammads zu belegen und die Menschen zum Islam einzuladen. Ḥasanayn folgert zu Recht, dass der Radd letztlich ohne den Islam selbst nicht funktioniert, denn ein Ziel ist stets, durch die Kritik am Christentum eine Verbindung zum Islam aufzubauen. Der Glaube an das Prophetentum Muḥammads ist einer der Hauptunterschiede zwischen Islam und Christentum. Die Radd-Literatur schließt dieses Thema daher mit ein und ist Teil des theologischen Diskurses, wenn man mit dem religiösen ›Anderen‹ ins Gespräch kommt. Dazu dient oftmals Muḥammad, der als Prophet einer Religion dargestellt wird, die das Erbe Abrahams fortführt. Auch al-Jaʿfarī nutzt diese Strategie in seinem Radd. Al-Jaʿfarī stützt seine Beweisführung auf folgende zwei Belege: i. Beweise für das Prophetentum Muḥammads u. a. anhand seiner Wunder (der Koran, die Spaltung des Mondes, Bezeugung des Baumes u. v. m.); ii. Prophezeiungen der vorherigen Propheten über seine Ankunft (im Alten und Neuen Testament, z. B. das Vorkommen des Wortes ›Paraklet‹). Mit der Beweisführung für Muḥammads Prophetentum beendet al-Jaʿfarī sein Werk. Ḥasanayn schließt seine Edition desselben mit einem Zitat von Ibn Taymiyya ab, in dem dieser sinngemäß betont, wenn die Wahrheit verleugnet und mit Zweifeln konfrontiert werde, lasse Gott Leute hervortreten, welche die Wahrheit klar von der Lüge trennen und diese definieren. Auch Ḥasanayn verweist hiermit auf die erkenntnistheoretisch geleitete Herangehensweise des Radds und des Radd-Autors. Ḥasanayn sieht den Grund dafür, dass al-Jaʿfarī den relativ ausführlichen siebten Teil für notwendig hält, darin, dass Muḥammads Prophetentums von Christen wie Juden stark kritisiert wurde. Den Muslimen wurde oftmals vorgeworfen, Muḥammad habe keine Beweise und Wunder als Beleg für seine Prophetenrolle vorgelegt.³⁵ Als Antwort auf diese Kritik wurden zahlreiche Werke zur Beweisführung für die Prophetenschaft Muḥammads verfasst, und derselbe Grund ist sicherlich auch ausschlaggebend dafür gewesen, dass al-Jaʿfarī eine so breite Argumentation für Muḥammads Prophetentum konstruierte. Insbesondere werden in diesem Kapitel die Wunder Muḥammads aufgelistet und in die Argumentation eingebaut. Außerdem verwendet al-Jaʿfarī auch Argumente, die sich auf Bibelstellen stützen, in denen – nach seiner Meinung wie nach der vieler anderer Radd-Autoren – Muḥammads Kommen als Paraklet angekündigt sei.³⁶

³⁵ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 48–49. ³⁶ Vor allem Johannes 14,26 und 15,26 ließen sich leicht so deuten; vgl. 14,16 und 16,7.

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Der Grund dafür, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā mit der Widerlegung der Gottheit Jesu beginnt und am Ende Beweise für die Prophetenschaft Muḥammads zu erbringen versucht, wird deutlich, wenn man die Logik der Kapitelabfolge betrachtet und fragt, wie es zu dieser Reihenfolge der Themen gekommen ist und warum das Buch so aufgebaut ist und nicht anders.³⁷ Zunächst muss der Adressat die Gottheit Jesu ablehnen. Diese Aufgabe soll der erste Teil übernehmen. Wenn der Adressat, in diesem Fall die Christen, welche an einen Gott glauben, die Gottheit Jesu abgelehnt haben, sind sie (aus al-Jaʿfarīs Perspektive) zum strengen Monotheismus zurückgeführt wurden. Sie stehen nunmehr dem Islam nahe. Nahe deshalb, weil ihnen noch der zweite Teil der shahāda fehlt, und zwar, dass Muḥammad Gottes Gesandter ist. Diese Aufgabe übernimmt nunmehr der letzte Teil des Buches. Aus diesem Aufbau wird auch die Intention des Autors deutlich: Er möchte nicht nur zeigen, dass die Gottheit Jesu logisch nicht haltbar ist, sondern möchte dem Adressaten auch die Wahrheit des Islams zeigen und ihn somit zum Islam einladen. Die vorliegende Studie legt die ersten fünf der sieben Kapitel des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā zugrunde, weil sie die Argumente zur Widerlegung christlicher Thesen heranzieht und die (in den letzten beiden Kapiteln enthaltene) Beweisführung für das Prophetentum Jesu und Muḥammads außer Betracht lässt. Diese letzten beiden Kapitel stellen eine Beweisführung für die Wahrheit des Islams dar, die vorliegende Studie beschäftigt sich jedoch vielmehr mit al-Jaʿfarīs Auseinandersetzung mit dem Christentums bzw. mit der trinitarischen Christologie.³⁸ Das Forschungsinteresse dieser Studie besteht darin, herauszuarbeiten, wie al-Jaʿfarī die christliche Theologie betrachtete, und seine argumentative Auseinandersetzung mit dem ›Anderen‹ analytisch zu untersuchen, und nicht darin, zu zeigen, wie er den Islam dem ›Anderen‹ präsentierte. Der Fokus wird deshalb auf die Widerlegung gelegt, weil die Widerlegung von Argumenten durch das Aufzeigen von Widersprüchen eine fundamentale logische Idee der kritischen Argumentation ist;³⁹ dafür bieten die Kapitel I bis V von al-Jaʿfarīs Radd ausgezeichnete Beispiele. Die Opponenten des al-Jaʿfarī im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Wer ist der Adressat, der durch die logischen Argumente im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā überzeugt werden soll? Al-Jaʿfarī listet als seine Opponenten die Jakobiten, Melkiten und Nestorianer auf und gibt an, diese seien die berühmtesten unter den Christen.⁴⁰ Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā ist als imaginärer Diskurs, d. h. hypothetisch aufgebaut. Al-Jaʿfarī gibt christliche Thesen an, die widerlegt

³⁷ Vgl. die methodische Herangehensweise bei Blößner, »Dialogform«. ³⁸ Zudem ist die argumentative Akzeptabilität des sechsten und siebten Kapitels sehr fraglich, da al-Jaʿfarī hier zahlreiche Hadithe verwendet, die von seinen christlichen Opponenten wohl kaum als Quelle akzeptiert worden wären (vgl. z. B. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 100). ³⁹ Vgl. Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 221. ⁴⁰ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Kapitel III.

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werden sollen. Wer diese Thesen tatsächlich vertritt, wird nicht näher thematisiert, was eine typisch islamisch-dialektische Herangehensweise ist. Nur wenn es um spezielle Lehren der Jakobiten, Melkiten und Nestorianer geht, erwähnt er diese mit den von ihnen verteidigten Thesen. Ziel ist es die Aussage und das, was sie aussagt, zu widerlegen. Bei der Behandlung dieser christlichen Strömungen geht es im Wesentlichen um das christologische Problem, d. h. um die Frage, wie sich die göttliche Natur Christi zu seiner menschlichen Natur verhält.⁴¹ Al-Jaʿfarī bezweifelt, dass Christus wahrer Gott sein kann, wenn er doch den Bedingungen menschlichen Lebens unterworfen war: »Und sicherlich zeigt das Evangelium, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, dass Christus hungerte und satt wurde, Freude und Trauer empfand, fragte und betete, einen Esel ritt und sich bewegte, Nutzen hatte und genauso allen menschlichen Vorkommnissen ausgesetzt war. Somit ist es ungültig, was die Christen als Überlieferung über Christus heranziehen.«⁴²

Daneben konstruiert al-Jaʿfarī weitere hypothetische Thesen, die sich aus dem taṣnīf ergeben. Zudem gibt al-Jaʿfarī Thesen der oben genannten Gruppen wieder, wobei auch hier keine konkreten Namen von Personen angegeben werden. Somit sind die Opponenten seines Radds einerseits real existierende Opponenten (die Jakobiten, Melkiten und Nestorianer), andererseits fiktive Opponenten. Letztere sind alle, welche die Wahrheit der These, die widerlegt werden soll, theoretisch annehmen; und der Adressat ist derjenige – wie etwa diese Opponenten –, der von der Widerlegung der These überzeugt werden soll. Inwieweit und ob diese Gruppen tatsächlich in al-Jaʿfarīs Zeit in Ägypten aktiv waren oder ob es sich lediglich um aus der Tradition des Radds entliehene hypothetische Darstellungen des Christentums handelt, kann aus dem Text selbst nicht explizit erschlossen werden.⁴³ Tatsächlich erlebte der Nestorianismus im 13. Jahrhundert einen Aufschwung. Auch in der Zeit der Abbasiden erlebte er einen seiner literarischen Höhepunkte und konnte wichtige dogmatische Entwicklungen einleiten.⁴⁴ Die Nestorianer

⁴¹ Diese Streitfrage ist schon in der (christlichen) Ablehnung des Doketismus zu beobachten (vgl. Löhr/van Ess, »Doketismus« 925–927 und Hägglund, Geschichte 67–79) oder im Arianischen Streit, in dem die Arianer die Position der Wesensungleichheit von Jesus und Gottvater vertraten (vgl. Beyschlag, Grundriß Bd. 1, 254–308 und Rusch, Trinitarian Controversy). ⁴² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 98. ⁴³ Al-Jaʿfarī erwähnt in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā keine konkreten Personen, sondern nur die oben genannten christlich-theologischen Schulen. Dass nicht konkret auf bestimmte Personen Bezug genommen wird, ist im Genre des Radds nicht unüblich. Das war in religiösen argumentativen Begegnungen schon vor dem Islam ähnlich. Origenes wusste nur sehr wenig über Kelsos (vgl. Lona, Wahre Lehre 27), schrieb aber zu dessen Kritik am Christentum noch etwa 70 Jahre später eine Gegenschrift (vgl. Chadwick, »Introduction« XXII–XXXII). Dies zeigt, dass nicht die Person ausschlaggebend war, der man argumentativ begegnete, sondern die Wirkung der argumentativen Idee, die irgendwann in Raum und Zeit eintritt und auf Kritik und Widerlegung trifft. Ein ähnliches Phänomen ist auch im Radd des al-Jaʿfarī zu beobachten. ⁴⁴ Vgl. Spuler, »Kirche« 149.

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waren demnach, auch wenn ihre Bedeutung als christliche Gruppe im Orient schwankend war, bis zum ersten Weltkrieg ein wichtiger Akteur im christlichen Orient, bis sie im Krieg zum großen Teil durch den Hungertod umkamen.⁴⁵ Sie verfassten zudem selbst zahlreiche Radd-Schriften zum Islam.⁴⁶ Die Nestorianer waren diejenige christliche Gruppe im Orient, die eine besonders vielgestaltige Literatur schuf. Viele der nestorianischen Gelehrten waren nicht nur Theologen, sondern zugleich Ärzte, Mediziner und Philosophen und verfassten hierzu zahlreiche Werke.⁴⁷ Viele Nestorianer konvertierten zum Islam und trugen dazu bei, dass philosophische Fragestellungen in die islamische Theologie Einzug hielten.⁴⁸ Sie übernahmen auch, vor allem am abbasidischen und umayyadischen Hof,⁴⁹ wichtige Staats-Positionen. Die Nestorianer waren im Griechischen geschult, obwohl ihre Wissenschaftssprache Syrisch war, und konnten daher die griechische Philosophie und Logik in die islamische Welt einbringen.⁵⁰ Die Muslime nutzen diese Erkenntnisse dann auch als methodisches Rüstzeug, um den christlichen Lehren argumentativ zu begegnen, oft engagierten sich die Konvertiten selbst im Rahmen des Radds gegen ihre vorherige Religion. Beispiele hierzu wurden bereits erwähnt. Dieser Transfer aus dem Griechischen war maßgebend für den Radd; denn obwohl (wie Ḥasanayn richtig erkennt) vor allem die Muslime meist kein Griechisch beherrschten und viele Christen, die am Radd-Diskurs teilnahmen, das Arabische nicht gut beherrschten, sieht Ḥasanayn doch zu Recht als Voraussetzung für eine erfolgreich durchgeführte Disputation (jadal), dass auch auf muslimischer Seite Kenntnisse über die religiösen Auffassungen in verschiedenen Teilen Europas und Kleinasiens vorliegen mussten. Diese Bedingung setzte aber die Beherrschung der griechischen Sprache oder zumindest einen Wissenstransfer aus dieser voraus.⁵¹ Diese Voraussetzung sollte gegeben sein, wobei der Argumentierende seine Kenntnisse auch von arabischsprachigen Christen und aus deren arabischsprachiger Literatur erhalten könnte – und genau das war im Falle al-Jaʿfarīs wohl tatsächlich

⁴⁵ Vgl. Graf, Geschichte Bd. 3, 62. ⁴⁶ Ein Nestorianer, der im 13. Jahrhundert Zeitgenosse al-Jaʿfarīs war und einige Schriften zum Islam und zum Judentum verfasst hat, ist Ishoʿyahb bar Malkon (gest. 1246). Sein Werk heißt Al-radd ʿalā l-Yahūd wa-l-Muslimīn alladhīna yattahimūna al-Naṣārā bi-ʿibādat alaṣnām li-sujūdihim li-l-ṣalīb wa-ikrāmihim ṣuwar al-Masīḥ wa-l-Sayyida wa-l-qiddīsīn. Darin konstruiert er klassische Argumente für die Verehrung des Kreuzes und stellt eine Analogie zur Verehrung der Kaʿba her (vgl. Sbath, Vingt traités 158–165; für die Liste seiner Werke zum Islam und Judentum Teule, »Al-radd ʿalā l-Yahūd« 333–335). Seine kurze Schrift Adilla ukhar ʿalā ṣiḥḥat al-Injīl ist ein argumentativer Versuch, die Authentizität der Bibel zu belegen (vgl. Sbath, Vingt traités 155–158). Auch wenn Teule die Argumente für unoriginell hält (vgl. Teule, »Ṣiḥḥat al-Injīl« 336–337), so belegen sie doch zumindest das Bedürfnis der Christen im 13. Jahrhundert, sich gegen die Behauptung zu verteidigen, die Bibel sei nicht authentisch. ⁴⁷ Graf, Geschichte Bd. 3, 103. ⁴⁸ Vgl. Spuler, »Kirche« 142. ⁴⁹ Vgl. Gutas, Translation Movement 131. ⁵⁰ Vgl. Gutas, Translation Movement 14 und 118. ⁵¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 26–28.

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der Fall, da er höchstwahrscheinlich keine christliche Literatur außerhalb des Arabischen lesen konnte. Die Heranziehung der Jakobiten, Melkiten und Nestorianer ist symbolisch zu verstehen, statt konkreter christlicher Kirchen sind hier eher Typologien gemeint. Al-Jaʿfarī erwähnt diese drei Gruppen als die »berühmtesten unter den Christen« hauptsächlich in Hinsicht auf ihre zueinander widersprüchlichen Aussagen über die Einheit von Gott und Mensch in Christus.⁵² Potthast kritisiert am Beispiel des Ibn Ḥazm, dass Ibn Ḥazm sich bei seiner Darstellung des Christentums auf die orientalischen Kirchen beschränke, die er anhand älterer muslimischer Literatur beschreibe, ohne dabei seine andalusische Gegenwart zu beachten.⁵³ Anders als Potthast angibt, wird hier jedoch nicht an den Christen der Gegenwart vorbeigeredet oder mit veralteten christlichen Schulen disputiert, die teilweise gar nicht mehr existent waren, vielmehr zielt die Kritik dieser drei auf einer universellen Ebene angesiedelten Typen auf eine Widerlegung der gesamten christlichen Theologie. Um diese Strategie zu verdeutlichen, sei an die oben bereits herausgearbeitet grundlegende dogmatische Differenz zwischen Jakobiten, Melkiten und Nestorianern erinnert, nämlich auf ihre jeweilige Lehre zur Christologie:⁵⁴ Jakobiten: Melkiten: Nestorianer:

eine Natur und eine Person in Christus zwei Naturen und eine Person in Christus zwei Naturen und zwei Personen in Christus

Durch Widerlegung dieser drei Christologien⁵⁵ würde al-Jaʿfarī oder ein anderer Radd-Autor wie beispielsweise Ibn Ḥazm alle damals bekannten und möglichen Christologien widerlegt haben. Es geht dabei also nicht um die historischen Jakobiten, Melkiten und Nestorianer, sondern darum, welche Theologie diese Typen vertreten und symbolisieren. Den muslimischen Radd-Autoren waren diese Unterschiede wohlbekannt, weshalb sie diese Theologien als Typologien herangezogen haben. Durch Widerlegung dieser Typen würde zugleich auch jede weitere christliche Theologie widerlegt, welche dieselbe Christologie vertritt. Daher ist Potthasts Annahme oberflächlich. In der Tat war den muslimischen Radd-Autoren durchaus bewusst, dass sie womöglich, wenn sie gegen die Jakobiten, Melkiten und Nestorianer argumentierten, diese Gruppen in ihrer Zeit gar nicht mehr so vorfinden würden. Die oben dargelegte Lesart als Typologien korrigiert diese Fehlinterpretation jedoch.

⁵² Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 144. ⁵³ Potthast, Konstruktion 238–239. ⁵⁴ Vgl. oben Abschnitt 3.4, S. 117–118. Bei al-Jaʿfarī vgl. dazu beispielsweise Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 144–149. ⁵⁵ Die vierte denkbare Möglichkeit – zwei Naturen und eine Person – muss von al-Jaʿfarī oder anderen Radd-Autoren nicht behandelt werden, weil sie historisch wohl nie vertreten wurde und auch in sich widersprüchlich erscheint. Also bildet die Dreiteilung eine praktisch vollständige Typologie möglicher Christologien.

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Diesen drei Gruppen schreibt al-Jaʿfarī Lehren zu, die sich voneinander abgrenzen. Dabei geht es hauptsächlich um die Konzepte der göttlichen Natur, der göttlichen Person und der Hypostasen. Sowohl für al-Jaʿfarī wie auch für uns als Interpreten ist das Verständnis dieser Terminologie mit Schwierigkeiten verbunden.⁵⁶ Für die korrekte Auslegung solcher christlichen Aussagen, die die trinitarische Dogmatik behandeln, reicht die bloße Kenntnis dieser Terminologie nicht aus. Vielmehr muss verstanden werden, was mit ›Person‹ (shakhṣ), ›Natur‹ (ṭabīʿat) und ›Hypostase‹ (uqnūm) in der Trinitätslehre gemeint ist und wie diese Begriffe sich voneinander unterscheiden. Al-Jaʿfarī versucht in seinem Radd diese Zusammenhänge darzustellen. Im Folgenden sei eine einführende Darstellung der Opponenten und ihrer dogmatischen Aussagen versucht, wie al-Jaʿfarī sie verstanden zu haben scheint. Die bereits mehrfach erwähnten Nestorianer, die ihren Namen von dem berühmten Patriarchen von Konstantinopel (zwischen 428 und 431) Nestorius (gest. 451 oder 453 in Oasis) haben, zählen zu den Hauptadressaten der islamischen Apologetik und ihrer Argumente. Die Nestorianer werden auch als die apostolische Kirche des Ostens bezeichnet. Nestorius war auf der Synode von Ephesus (431) als Häretiker verurteilt worden. In einer frühen Schrift erklärt Mar Shahdost,⁵⁷ warum sich die Nestorianer von der Kirche des Westens getrennt haben. Der Text gibt eine originelle Zusammenfassung der dogmatischen Auseinandersetzungen und ist es wert, hier zitiert zu werden, auch um zeigen zu können, dass frühe christliche Auseinandersetzungen ähnlich wie der Radd, zu dessen methodischer Ausrichtung sie beigetragen haben, argumentativ waren: »From the second synod of Ephesus whose heads were Dioscorus, who was after Cyrill in Alexandria, and Eutyches the monk … the synod … the wickedness of Cyril … that everybody who […] not (say) one nature and one hypostasis … unity, should be accursed. Whoever … twelve chapters of the blessed … op Cyril, which the which was in Ephesus defined and approved … he who speaks against them shall be accursed. (He who does not) approve the anathema which the synod which was in Ephesus has drawn up against Nestorius such a one shall be (accursed). Whoever does not say that the blood of Christ is of (divine) substance shall be accursed. Because if the blood of Christ is consubstantial with us, how is it distinguished from the blood of bulls and of goats? Again: Dioscorus says: I confess that Christ our Lord is from two natures before the union. But after the union we confess one nature. Things similar to these Cyril also says in his letter to Acacius of Melitene: We say Christ consisted of two natures, but after the union of the Son there ceased (to be) that which

⁵⁶ Der Baptist Millard J. Erickson macht auf die Schwierigkeit des Verständnisses dieser Konzepte auch für Christen aufmerksam und fasst die christliche Herangehensweise in dieser schwierigen Situation wie folgt zusammen: »We do not hold the doctrine of the trinity because it is self-evident or logically cogent. We hold it because God has revealed that this is what he is like« (Erickson, Theology 313). Gerade auf diesen Umstand richtet sich die Kritik der muslimischen Autoren. Sie versuchen die christliche Theologie mit derselben Methode zu verstehen, mit der sie die islamische Theologie zu verstehen und zu konstruieren versuchen: mit der Methode des (argumentativen) Kalāms. ⁵⁷ Ein Bischof der Assyrischen Kirche des Ostens von 341 bis 343.

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divided the two. We confess one nature of our Lord who is one, as one. And again, the same: For this reason they are considered to agree with the blasphemies of Arius, because they are unwilling to distinguish between the variety of utterances – those, he says, which befit God, those which belong to the manhood and refer to the dispensation in the flesh. But to what extent I am removed from these things your perfection bears witness also to others. And to again, the same in Eustathius: It is not right to understand two natures, but one nature of the Word made flesh. Now the view of Apollinaris is: A new creation, a glorious mixture, flesh and God have perfected one nature. The same: The nature of the godhead (together) with the body is one, and is not divided into two. From Cyril: The Word suffered in the flesh. – Wherefore, according to your saying, O impious one, his incarnation earned death for him, and it would have been better for him if he had not become incarnate. And who would not suffer were he to see an immortal who had come to rescue mortals from death, who (however) was unable to free mortals from death, but was held and enclosed within the cage of mortality? And what is deserving of sorrow is that (bad) custom has firmly implanted presumption throughout the whole of the western regions of the world.«⁵⁸

Dieses Zitat fasst die wesentlichen Streitthemen zwischen Kyrill und dem Nestorianismus zusammen, wie etwa die Frage, wie die Person Jesu zu seiner göttlichen und menschlichen Natur steht. Die Auseinandersetzung zwischen dem Alexandrinischen Patriarchen Kyrill und dem Patriarchen Nestorius von Konstantinopel wurde von 428 bis 431 geführt und führte zur dogmatischen Trennung der Nestorianer nach dem Konzil von Ephesus (431).⁵⁹ Diese Kirche eint mit der übrigen Christenheit daher nur die Anerkennung der früheren Synoden von Nicäa (325) und Konstantinopel (381).⁶⁰ Nach der Absonderung bildete sich eine eigene nestorianische Kirche, die jedoch von der restlichen Christenheit isoliert war.⁶¹ Der Ausgangspunkt der nestorianischen Christologie lehnt sich an die frühere antiochenische Schule an, nach deren Lehre die göttliche und menschliche Natur in Christus nicht vermischt worden sind und deshalb auseinandergehalten werden müssen.⁶² Diese Lehre hat in der christlichen Theologie weitreichende Implikationen.⁶³ So behauptet Nestorius, dass Maria zwar ›Christusgebärerin‹, aber nicht ›Gottesgebärerin‹ sei. Denn wäre Maria Gottesgebärerin, dann müsste eine physische Vereinigung zwischen Gott und Mensch gegeben sein. Doch für Nestorius hatte Maria Josefs Sohn geboren und das Göttliche ist nicht durch die menschliche

⁵⁸ Vgl. Abramowski, Nestorian Collection 3–5. ⁵⁹ Die Konzilien, welche für die christliche Dogmenbildung zentral waren und die Gruppierungen hervorgebracht haben, die in den Argumenten des islamischen Radds als Adressaten erwähnt werden, wie etwa die Nestorianer, Jakobiten und Melkiten, haben in folgender zeitlicher Reihenfolge stattgefunden: Nicäa I (325), Konstantinopel I (381), Ephesus (431), Chalcedon (451), Konstantinopel II (553), Konstantinopel III (680), Nicäa II (787) – vgl. etwa Hauschild, Lehrbuch Bd. 1, § 4. ⁶⁰ Vgl. Hage, Christentum 269. ⁶¹ Hägglund, Geschichte 71–72. ⁶² Hägglund, Geschichte 72–73. ⁶³ Doch um al-Jaʿfarīs Generierung der christlichen These, der die islamische dialektisch entgegensteht, zu verstehen, genügt uns diese Skizze.

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Natur Christi bestimmt, sondern dadurch, dass der Logos sich mit dem Menschen vereinte.⁶⁴ Dadurch löste er den nestorianischen Streit aus und wurde zum Begründer des Nestorianismus. Auf dem Konzil von Ephesus wurde dieser Streit thematisiert und Nestorius seines Amtes als Patriarch von Konstantinopel enthoben. Er musste fliehen und gelangte nach Oberägypten, wo er seine Lehre weiterverbreitete. Al-Jaʿfarī beschreibt die Nestorianer zunächst wie folgt, indem er sogleich ihre Lehre von Natur, Essenz und Hypostase thematisiert: »Diese sind die Christen des Ostens, welche die Verantwortung von Mārī al-Salīkh⁶⁵ und Thomas übernahmen. Sie halfen Nestorius bei seiner Lehre und schrieben Gott Folgendes zu: Der Messias hat nach der Vereinigung zwei Essenzen und zwei Hypostasen (qnome), welche in ihren Naturen (göttliche und menschliche) ewig sind, so wie sie auch vor der Vereinigung waren, nur dass sie denselben Willen haben, durch den die Handlungen Gottes und die Handlungen des Menschen durchgeführt werden. Und sie haben die Einheit auf die besondere Sohnschaft zurückgeführt, da sonst dies auf die essenzielle und hypostatische Natur zurückzuführen argumentativ unmöglich ist.«⁶⁶

Neben dieser Darstellung al-Jaʿfarīs ist es sinnvoll, einen christlichen Autor zu Wort kommen zu lassen, der ein Zeitgenosse al-Jaʿfarīs war, um deutlich zu machen, wie zutreffend al-Jaʿfarīs Darstellung der christlichen Gruppen ist. Abdīšō Berika bar, auch Jesus Ebed genannt, aus Nisibis (um 1250–1318) war der letzte bedeutende nestorianische Autor des Mittelalters in Syrien. Er wurde 1284/1285 Bischof von Sigar und bet’Arbāyē und vor 1290/1291 Metropolit von Nisibis und Armenien.⁶⁷ Jesus Ebed schrieb neben vielen weiteren Werken⁶⁸ sein dogmatisches Werk Buch der Perle über die Wahrheit des Christentums, in dem er eine Zusammenfassung des christlichen Glaubens gibt und die Unterschiede zwischen den Jakobiten, Melkiten und Nestorianern wiedergibt. Er gibt an, dass auf dem Konzil von Chalcedon (451 n. Chr.) im Streit um den Begriff ›Mutter Christi‹ die Christenheit eine Dreiteilung erlebt habe. Diese sind die oben aufgezählten Gruppen. Die Unterschiede in der Dogmatik beschreibt Jesus Ebed, nach der Wiedergabe von Peter Kawerau, wie folgt: »Im Streit um diese Terminologie ist auf dem Konzil von Chalcedon (451 A. D.) eine Dreiteilung der Christenheit erfolgt: Eine Gruppe bekennt Eine Natur und Eine Person in Christus; das sind die Jakobiten in Äthiopien, Ägypten, Syrien und Armenien. Eine zweite Gruppe bekennt Zwei Naturen und Eine Person in Christus; das sind die Melkiten im ganzen Westen: Griechen, Franken, Russen, Alanen, Georgier und so weiter. Die dritte Gruppe sind die Nestorianer: Sie bekennen Zwei Naturen und Zwei Personen in Christus.«⁶⁹

⁶⁴ Hägglund, Geschichte 73. ⁶⁵ Damit müsste der Heilige Māri gemeint sein, der auch als Pālūṭ bekannt ist. In der Edition: Mārī al-Salīḥ (vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 71). ⁶⁶ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 147–148. ⁶⁷ Kaufhold, »Ebed Jesus« 1039–1040. ⁶⁸ Z. B. verfasste Jesus Ebed 1317/1318 einen Katalog syrischer Autoren, der für die Kirchengeschichte von Bedeutung ist (Fürst, »Patristische Theologie« 199). ⁶⁹ Jesus Ebed, zitiert nach Kawerau, Christentum 86.

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Daraus ergibt sich genau die oben bereits zusammengefasste Dreiteilung nach der Zahl der Naturen und Personen Christi.⁷⁰ Wenn man die Beschreibung des Jesus Ebed, der wie al-Jaʿfarī im 13. Jahrhundert gelebt hat, mit jener al-Jaʿfarīs vergleicht, wird deutlich, dass al-Jaʿfarī einen guten Einblick in die dogmatischen Unterschiede zwischen den christlichen Gruppen hatte. Beachtenswert sind zudem die Ähnlichkeiten zwischen den Argumenten der islamischen Apologetik im Allgemeinen und im Speziellen al-Jaʿfarīs mit denen der innerchristlichen Auseinandersetzung, in diesem Fall des Jesus Ebed. Wenn Jesus Ebed die monophysitische und die dyophysitische Christologie zu widerlegen versucht, stellt er folgendes Argument auf, welches bei al-Jaʿfarī in ähnlicher Form wiederkehrt: »[…] wenn Maria die Mutter Gottes ist, dann ist Christus entweder gemäß den Evangelien wirklich gestorben und hat als real Gestorbener nicht die Möglichkeit, sich oder andere aufzuwecken, oder er ist nur scheinbar gestorben und kann dann also nicht real auferstanden sein. Dann ist also die Hoffnung auf Auferstehung eitel.«⁷¹

Vergleicht man dieses Argument des Jesus Ebed mit dem folgenden Argument al-Jaʿfarīs in seinem Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl über bzw. gegen die Gottheit des Jesus, erkennt man die Gemeinsamkeiten beider Argumente: »Dann sagt man den Christen: Da ihr behauptet, dass euer Gott Jesus starb und dann wieder lebte; so wer hat ihn nach seinem Tod wieder ins Leben erweckt? Und wenn die Christen sagen: Jesus hat sich selbst ins Leben erweckt, so sagen wir zu ihnen: Hat er sich ins Leben erweckt, als er lebend war, oder hat er sich ins Leben erweckt, als er tot war? Beide Möglichkeiten sind ungültig.«⁷²

Das Argument des Jesus Ebed kommt zu dem Schluss, dass nach der Lehre der anderen christlichen Gruppen die Auferstehung Jesu, und somit seine Gottessohnschaft durch die Auferstehung nichtig wäre;⁷³ ebenso möchte alJaʿfarī die These begründen, dass Jesus kein Gott sein kann. Die Jakobiten bilden eine weitere Gruppe unter den von al-Jaʿfarī genannten Opponenten. Obwohl die Jakobiten ebenso wie etwa die in Ägypten ansässigen Kopten Monophysiten bzw. Miaphysiten sind, erwähnt al-Jaʿfarī diese Gruppe relativ selten.⁷⁴ Die Betitelung ›Jakobiten‹ ist seit dem 8. Jahrhundert eine Fremdbezeichnung für westsyrische Christen und geht auf den Missionar und Kirchenorganisator Jakob Baradaeus bzw. Baradai(os) zurück (gest. 578).⁷⁵

⁷⁰ Siehe oben Abschnitt 3.4, S. 117–118; vgl. hierzu auch die Darstellung des al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 144–149. ⁷¹ Jesus Ebed, zitiert nach Kawerau, Christentum 86. ⁷² Al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl 481–483. ⁷³ Dies ist keine streng logische Folgerung: Es wäre immerhin möglich, dass Jesus nicht auferstanden wäre, aber trotzdem Gott ist. Dies wäre allerdings eine recht heterodoxe Lehre, der die meisten Christen nicht zustimmen würden, u. a. wegen Bibelstellen wie 1. Korinther 15,14–18. Daher ist die Argumentation des Jesus Ebed in diesem Punkt korrekt. ⁷⁴ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 142, 144, 149, 150 und 155. ⁷⁵ Fitschen, »Die syrischen Kirchen« 1990–1995.

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Al-Jaʿfarī gibt an, dass die Jakobiten den Yaʿqūb al-Sarūjī (Jakob von Sarug), den man al-Barādaʿī (Baradaios) nenne, folgen.⁷⁶ Hier scheint al-Jaʿfarī zwei Personen zu vermischen: den eben genannten Jakob Baradaeus bzw. Baradai(os) sowie Jakob von Sarug (gest. 521), die beide für Entstehung und Organisation der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien wichtig waren, also beide als Namenspatron der Jakobiten in Frage kommen.⁷⁷ Womöglich hielt al-Jaʿfarī beide für ein und dieselbe Person, was seine mangelnde Kenntnis der Kirchengeschichte zeigen würde.⁷⁸ Zudem erwähnt al-Jaʿfarī, dass Jakob von Sarug der Lehre des Kyrill von Alexandria folge und somit die Lehre vertrete, dass der Messias durch die Einheit eine einzige Natur und eine einzige Hypostase wurde und daher gänzlich Gott und gänzlich Mensch sei.⁷⁹ Dass al-Jaʿfarī hier Kyrill von Alexandria erwähnt, hat zudem die Funktion, die Streitigkeiten der christlichen Lehren zu betonen. Kyrill von Alexandria war ein Gegner des Nestorius, und dieser Streit symbolisiert die dogmatische Zerstrittenheit beider Lehren.⁸⁰ Diesen Streit nutzt al-Jaʿfarī aus, um implizit auf die Ungereimtheit der christlichen Lehre hinzudeuten, indem er die verschiedenen christlichen Positionen gegeneinander ausspielt. Mit Bezug auf die Widersprüche zwischen den Jakobiten und den Byzantinern (Melkiten) bezüglich der hypostatischen Einheit argumentiert al-Jaʿfarī, dass nach diesen Lehren die Tötung des Messias unmöglich sei: »[Und so sehen wir, dass sie sich in Bezug auf die Einheit völlig zersplittert haben:] Wenn wir von der Korrektheit der beiden Lehren der Byzantiner [sc. der Melkiten] und Jakobiten ausgehen (würden), dann (müsste) die Tötung des Messias (nach diesen Lehren) unmöglich sein, und wenn sie dennoch die Tötung des Messias annehmen, so können sie wie folgt gefragt werden: Entstand er [sc. der Messias] nicht aus der göttlichen und aus der menschlichen Essenz in einer hypostatischen Person? Wenn sie dies bejahen – und dies müssen sie notwendigerweise tun –, dann sagt man ihnen: Die Trennung in Bezug auf den Willen ist mit der hypostatischen Einheit nicht vereinbar.«⁸¹

Damit geht al-Jaʿfarī auf die jakobitische These ein, dass die göttliche und die menschliche Natur in Christus zu einer einzigen Natur und zu einer einzigen Hypostase wurden. Al-Jaʿfarī folgert dann aus dieser These, dass jemand, der diese Eigenschaft habe bzw. eine solche Natur besitze, nicht zunichtegemacht (d. h. nicht getötet) werden könne, und konstruiert daraus folgendes Argument:⁸²

⁷⁶ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Kapitel III. ⁷⁷ Vgl. Heimgartner, »Jakob Baradai« 191–203 und Lange, »Jakob von Sarug« 217–227. ⁷⁸ Tatsächlich macht al-Jaʿfarī in seiner Darstellung der christlichen Quellen Fehler: z. B. in Exodus 4,2–4 und 7,9–12 (vgl. § 128), 2. Könige 2,8 und 2,14 (vgl. § 135) oder Johannes 6,35–58 (vgl. § 230). ⁷⁹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Kapitel III. ⁸⁰ Vgl. Chadwick, Kirche 226–240; zum Zusammenhang zwischen christlich-muslimischen Beziehungen und innerchristlichen Konflikten um die Jakobiten vgl. Joseph, Jacobites. ⁸¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 150–151. ⁸² Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 155, und dazu ausführlicher Abschnitt 9.6.

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Die Jakobiten behaupten p: Jesus ist zu einer einzigen Natur geworden (= Jesus ist im Zeitraum t1 bis t2 Mensch und Gott). eP2: Ein Wesen, das Gott ist, kann nicht getötet werden. Lemma: Wenn Jesus Mensch und zugleich Gott ist, kann Jesus nicht getötet werden (= dass Jesus Mensch und Gott ist, impliziert, dass er nicht getötet werden kann). P1:

K:

Die Behauptung p der Jakobiten impliziert, dass Jesus nicht getötet werden kann.

Al-Jaʿfarī will damit zeigen, dass die verschiedenen Lehren der Jakobiten zu Widersprüchen führen, dass also die christlichen Lehren von der göttlichen Natur Jesu und von seinem Kreuzestod einander ausschließen. Infolgedessen betrachtet al-Jaʿfarī auch die jakobitische Annahme, dass Jesus getötet worden sei, als ungültig. Die Bezeichnung Melkiten (von arab. ‫ ﻣﻠَﻜﻲ‬für ›kaiserlich‹, ›königlich‹) stammt aus dem Aramäischen (syr. ‫ܡܠܟܝܐ‬, was ›kaiserlich‹ bzw. ›imperial‹ bedeutet). Sie wurden – ursprünglich von den Nicht-Chalcedonianern – als Melkiten bezeichnet, weil sie im Konzil von Chalcedon im Jahre 451 vom byzantinischen Kaiser unterstützt wurden. Im Gegensatz zu den Nicht-Chalcedonianern (den syrisch-orthodoxen und den koptischen Christen) waren die Melkiten griechischsprachig. Al-Jaʿfarī argumentiert gegen die Melkiten und Jakobiten, indem er die Thesen dieser Gruppen gegeneinander ausspielt. Den Nestorianern bringt er mehr Achtung entgegen und konstruiert gegen ihre Thesen eine komplexe Argumentation. Die Nestorianer seien rational fortgeschrittener als die Melkiten und Jakobiten, denn »sie begriffen, dass es unmöglich ist, die Behauptung(en) (Hypothesen) einerseits der Einheit und andererseits der Tötung (logisch) zu vereinbaren«⁸³. Dass al-Jaʿfarī weniger auf die Melkiten und Jakobiten eingeht und sich argumentativ insbesondere mit den Nestorianern auseinandersetzt, kann man nicht damit erklären, dass er in seiner Umwelt v. a. Nestorianer kennen gelernt hätte – denn im damaligen Ägypten gab es mit den Kopten sicherlich deutlich mehr Monophysiten als Nestorianer. Daher muss seine ausführliche Auseinandersetzung mit der Position der Nestorianer wohl damit erklärt werden, dass er deren Christologie aus systematischen Gründen für am schwierigsten zu widerlegen hielt, während er die Christologie der Melkiten und Jakobiten wegen innerer Widersprüche für leicht widerlegbar hielt. Al-Jaʿfarī betrachtet daher v. a. die Nestorianer als ernstzunehmende Rivalen und Opponenten. Dass er dennoch auch die beiden anderen Gruppen zu widerlegen versucht, schuldet er seiner Methode einer vollständigen Widerlegung der oben schon erwähnten Typologien.

⁸³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 156.

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Das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā zeigt, dass die Entstehung eines argumentativen Textes stark von politischen⁸⁴ und sozio-kulturellen Bedingungen abhängen kann. Der Mongolensturm auf Bagdad im Jahre 1258 und das Bündnis der Mongolen mit den Franken gegen die Mamluken in Syrien und Ägypten trieb sicherlich die Stimmung gegen die christlichen Franken hoch.⁸⁵ Dieses Bündnis der Franken könnte ein Grund dafür sein, dass al-Jaʿfarī sich in seinem letzten apologetischen Werk Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā gegen die Franken wendet und speziell diese als Opponenten nennt. Generell war die sozio-politische Stimmung für polemische und apologetische Schriften im Mamluken-Reich sehr günstig. Möglicherweise hatte sich neben al-Jaʿfarī auch Ibn Qayyim alJawziyya (gest. 750/1350) von dieser Stimmung leiten lassen und seine Schrift Kitāb hidāyat al-ḥayārā fī ajwibat al-Yahūd wa-l-Naṣārā⁸⁶ im Rahmen dieses Diskurses verfasst. Sicher scheint jedoch, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā keine Reaktion auf eine bestimmte Diskussion unter Gelehrten war,⁸⁷ sondern vielmehr eine allgemeine Reaktion auf Vorwürfe, die den Muslimen durch die sog. Franken gemacht wurden, was al-Jaʿfarī auch explizit erwähnt: »Ich widmete mich den angesprochenen Themen, die die Franken geschickt haben, um die Leute des Islams zu testen.«⁸⁸

Al-Jaʿfarī erklärt, dass diese Themen »nutzlos« seien;⁸⁹ interessanterweise entschließt er sich (wie Ḥasanayn betont) trotzdem, eine Gegenschrift zu verfassen. Ḥasanayn folgert daraus zu Recht, dass das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā nichts mit den Themen zu tun hat, die die Christen den Muslimen stellten – al-Jaʿfarī betrachtete die Fragen wohl als eine Provokation und als rhetorische Fragen –, sondern als generelle Kritik am Christentum zu verstehen ist.⁹⁰ Tatsächlich beginnt al-Jaʿfarī seine Antwort damit, dass er seinerseits Gegenfragen ankündigt: »Und nun stellen wir (unsererseits) ihnen [sc. den Christen] Fragen aus ihrem Evangelium und verlangen von ihnen eine (deutliche) Antwort.«⁹¹

Ḥasanayn versteht diese Frage als ghaḍab, das ist die in der Argumentationstheorie nicht akzeptierte Methode, Fragen mit Fragen zu begegnen. Ḥasanayn, der al-Jaʿfarīs Argumente nicht analysiert, sondern seine Schlüsse aus einer bloßen Lektüre des Werkes zieht, betrachtet die Herangehensweise al-Jaʿfarīs als

⁸⁴ Die These von Gutas, dass die dialektische Argumentation muslimischer Gelehrter ein Zeichen ihres politischen Aktivismus sei, scheint weit her geholt zu sein (vgl. Gutas, Translation Movement 69). Dennoch hatte die Politik in der islamischen Tradition stets eine starke Wirkung auf Gesellschaft und Theologie, die nicht zu vernachlässigen ist. ⁸⁵ Vgl. Hoover, »Intentions« 476–489. ⁸⁶ Diese Schrift kann zwar nicht eindeutig datiert werden, doch dürfte sie eine frühe Schrift des Ibn Qayyim al-Jawziyyas sein (vgl. Hoover, »Kitāb hidāyat« 996–1002). ⁸⁷ Im Gegensatz zu seinem Kitāb al-ʿashr al-masāʾil, vgl. Kapitel 7, S. 260. ⁸⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3. ⁸⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3. ⁹⁰ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 15. ⁹¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12.

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rhetorisch; sein Ziel sei lediglich, den Gegner zu schlagen.⁹² Unsere Untersuchung lehnt diese Auffassung ab. Einer Frage mit einer Gegenfrage zu begegnen ist argumentativ zwar unzulässig, jedoch gibt sich al-Jaʿfarī – wenn man nicht nur die einzelnen Aussagen betrachtet, sondern auch den Kontext des Werkes – keineswegs damit zufrieden, sondern baut eine breit angelegte Argumentation auf. Zudem richtet al-Jaʿfarī seine Argumente keineswegs rein rhetorisch aus, sondern versucht sie nach den Regeln der Argumentation und Logik zu konstruieren.⁹³ Auch die einleitende Gegenfrage al-Jaʿfarīs kann argumentationstheoretisch als ernsthafte Aufforderung verstanden werden, Gegenargumente zu den im Folgenden von ihm vorgetragenen zahlreichen Argumenten zu liefern; denn eine Antwort auf eine These beinhaltet in seinem argumentativen Diskurs oft ein Gegenargument. Letztlich passt diese Deutung auch ausgezeichnet zu der Tatsache, dass al-Jaʿfarī seine argumentative Schrift gegen die Fragen konstruiert, die von den ›Franken‹ an die Muslime gerichtet wurden. Wenn man sich die kämpferischen Szenen des 12. und 13. Jahrhunderts samt den Kreuzzügen vor Augen führt, erscheint die argumentative Auseinandersetzung zwischen muslimischen und christlichen Gelehrten und Lehrmeinungen eine intellektuelle Alternative dazu zu sein. In der Tat wählt al-Jaʿfarī bewusst diesen Weg. Wenn bedacht wird, dass es in seiner Zeit deutlich militantere Autoren gibt, beispielsweise ʿAlī ibn Ṭāhir al-Sulamī (gest. 499/1106), der den jihād gegen die Franken als eine göttliche Pflicht darstellt,⁹⁴ ist der intellektuelle Weg des al-Jaʿfarī, der in seiner Schrift keine Gewalt predigt, als ein Weg des argumentativen Dialogs zu begrüssen. Doch ist es auffällig, wenn einer aggressiven Kriegslandschaft auf der einen Seite auf der anderen Seite eine ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung gegenübersteht. Der Grund könnte darin liegen, dass der Opponent, d. h. die Franken, kein homogenes Gebilde darstellten, sondern unterschiedlich wahrgenommen wurden. Darauf weist Atrache mit der Unterscheidung zwischen al-Faranj (die Franken) und al-salīḥiyyūn (alteingesessene Orientfranken) hin.⁹⁵ Während die ersteren lediglich wegen des Kriegs im Orient sind, sind die Orientfranken sesshaft und pflegen mit den Muslimen ein Miteinander, wozu auch die intellektuelle Disputation zu gehören scheint. Die Quellen al-Jaʿfarīs Was die Quellen des al-Jaʿfarī für sein Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā angeht, so kann mit Sicherheit gesagt werden, dass er andere Radd-Schriften zumindest konzeptionell kannte und für die Konstruktion seiner Argumente heranzog. Ḥasanayn verweist darauf, dass er zudem den Versuch unternahm, die vorgefundenen Argumente effektiver zu gestalten. Weiter gibt Ḥasanayn an, dass al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd die Muʿtazilīten ʿAbd al-Jabbār und al-Jāḥiẓ

⁹² Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 16. ⁹³ Vgl. die Analysen der Argumente al-Jaʿfarīs in Kapitel 9. ⁹⁴ Vgl. Sivan, »Génèse« 211–212. ⁹⁵ Vgl. Atrache, Politik der Ayyubiden 228.

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sowie aus dem Bereich der ahl al-sunna al-Bāqillānī und al-Juwāynī als Quellen heranziehe. Ḥasanayn ist zudem der Meinung, dass al-Jaʿfarī u. a. aus diesen Quellen seine Aussagen über die Lehren der Melkiten, Nestorianer und Jakobiten entnommen habe. Wenn man allerdings in Betracht zieht, dass al-Jaʿfarī Christen und zum Teil Juden keineswegs nur schriftlich in seinen Radd-Schriften begegnete, sondern auch selbst an sog. munāẓara teilnahm (denn er berichtet, wie er mit Christen und Juden über theologische Themen diskutiert hat⁹⁶), dann ist stark anzunehmen, dass er seine Kenntnisse über die christlichen Lehren auch direkt aus seinen Erfahrungen im direkten Diskurs mit Christen gewonnen hat. Ḥasanayn rühmt al-Jaʿfarī zu Recht dafür, dass nach ihm mindestens bis zu Ibn Taymiyya keine neuen Argumente gegen die christliche Lehre konstruiert werden konnten.⁹⁷ Aus dem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā selbst wird jedoch nicht klar, welche Werke al-Jaʿfarī beim Verfassen dieser Schrift zugrunde gelegt hat. Sicher ist, dass er sein eigenes Takhjīl herangezogen hat. Daher ist es sinnvoll, zu prüfen, welche Quellen dem Takhjīl zugrunde liegen, um daraus auch Rückschlüsse auf die Quellen des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā zu ziehen. Im Takhjīl greift al-Jaʿfarī auf eine breite Radd-Literatur zurück. Er gibt selbst explizit an, dass er zur Vorbereitung dieses Werkes die Radd-Schriften von Abū Muḥammad ʿAbd al-Qādir ibn ʿAbdallāh al-Ruhāwī (gest. 611/1215), ʿAmr ibn Baḥr al-Jāḥiẓ (gest. 255/869), ʿAbd al-Jabbār (gest. 415/1025), al-Bāqillānī (gest. 403/1013), al-Juwāynī (gest. 478/1085), Ibn al-Ṭayyib al-Sarakhsī (gest. 286/ 899), Abū Bakr al-Ṭurṭūshī (gest. 520/1126), Ibn ʿAwf (gest. 581/1185), alDimyāṭī (gest. 705/1306) und Ibn Rabban al-Ṭabarī (gest. ca. 246/860) gelesen habe.⁹⁸ Aus den Texten dieser und weiterer Autoren (etwa al-Khazrajī, alShahrastānī oder Qādī ʿIyāḍ) zitiert er auch ausdrücklich. Ḥasanayn betont zu Recht, dass al-Jaʿfarī im Takhjīl als einer von nur wenigen Radd-Autoren seine Quellen offenlegt, wobei al-Jaʿfarī allerdings nicht klar angibt, welche Stellen er jeweils aus welchem Werk entnommen hat.⁹⁹ Im Kitāb al-radd erwähnt al-Jaʿfarī dagegen keine Werke anderer Autoren und zitiert auch keine. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass dieselben Texte auch diesem Werk als Grundlage dienten, zumal es sich um dasselbe Thema handelt. Die Besonderheit des Kitāb al-radd besteht vielmehr darin, wichtige Argumente besonders kompakt und konzise dargestellt zu haben.

⁹⁶ Vgl. al-Jaʿfarī, Takhjīl 250, 424 und 428. ⁹⁷ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 17–18. ⁹⁸ Vgl. dazu ʿAbd al-Raḥmān Qadaḥ in seiner Edition des Takhjīl 62–64. Dass al-Ghazālīs Text Al-radd al-jamīl als Quelle für das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā al-Jaʿfarīs gedient haben könnte, bezweifele ich; vor allem in der Behandlung der Nestorianer wird die Differenz der beiden Texte deutlich: Während al-Ghazālīs Kritik bei der Willenseinigung zwischen dem Willen Jesu und dem Willen Gottes ansetzt, thematisiert al-Jaʿfarī die Christologie der Nestorianer (zwei Naturen und zwei Personen in Christus; vgl. al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, Übersetzung von Wilms 90–91 und al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 147–148). ⁹⁹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 18.

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Bibeltext und Bibelzitate bei al-Jaʿfarī Angesichts der zahlreichen Zitate von Bibelversen bei al-Jaʿfarī stellt sich die Frage, ob ihm ein Neues Testament in arabischer Übersetzung vorlag oder ob er die zitierten Stellen aus anderen Werken (dann höchstwahrscheinlich Radd-Texten) entnommen hat. Sicher ist, dass in der Zeit al-Jaʿfarīs schon Übersetzungen des Neuen Testaments aus dem Griechischen, Syrischen und Koptischen ins Arabische vorlagen.¹⁰⁰ Doch ihre Verbreitung, Zugänglichkeit und Verwendung in sekundären Texten war damit noch nicht garantiert. Nach der Darstellung von Wilms sind arabische Übersetzungen des Neuen Testaments schon aus dem 9. Jahrhundert bekannt. Vööbus und Hikmat Kashouh weisen darauf hin, dass eine Version der sog. Alexandrinischen Vulgata erst im zehnten Jahrhundert existieren dürfte (als ›Ägyptische‹ oder ›Alexandrinische Vulgata‹ wird der offizielle koptische Text des Neuen Testaments bezeichnet). Mit Sicherheit kann jedoch ein Manuskript auf das Jahr 1174 datiert werden.¹⁰¹ Dass al-Jaʿfarī die Alexandrinische Vulgata zumindest theoretisch herangezogen haben könnte, ist somit sicher. Bereits in der Zeit al-Ghazālīs waren in der koptisch-monophysitischen Kirche Alexandriens und in den Klöstern der arabischen Halbinsel Vollbibeln im Gebrauch.¹⁰² Schon Constance Padwick hat darauf hingewiesen, dass die Bibelzitate, die al-Ghazālī in seinem Al-radd al-jamīl nutzt, nicht aus der Alexandrinischen Vulgata stammen, sondern aus einer anderen koptischen-arabischen Bibel,¹⁰³ welche laut Kashouh¹⁰⁴ nicht mit der Alexandrinischen Vulgata identisch ist. Robert Chidiac hingegen geht davon aus, dass al-Ghazālīs Zitate aus dem Neuen Testament dem Text der Alexandrinischen Vulgata entsprechen.¹⁰⁵ Ähnlich könnte es sich mit al-Jaʿfarī verhalten. Allerdings stehen seine Zitate dem Wortlaut der Alexandrinischen Vulgata sehr nahe. Al-Jaʿfarī zieht in seinen Argumenten Zitate aus allen vier Evangelien, aus den Johannes- und Paulusbriefen heran. Für diese Studie wurden alle Evangelien-Zitate bei al-Jaʿfarī mit der Edition der Alexandrinischen Vulgata von Paul de Lagarde verglichen.¹⁰⁶ In der Tat stimmen viele Zitate wörtlich mit dem Text dieser Ausgabe überein.

¹⁰⁰ Vgl. die Liste von Handschriften der Übersetzungen aus diesen Sprachen bei Wilms, »Kommentar« 154–156. ¹⁰¹ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Context and Authorship« 10–22 und Kashouh, Arabic Versions 215. ¹⁰² Vgl. Wilms, »Kommentar« 156. ¹⁰³ Vgl. Padwick, »Al-Ghazali« 130–140. ¹⁰⁴ Vgl. Kashouh, Arabic Versions 214. ¹⁰⁵ Vgl. Chidiac, »Introduction« 71–77. ¹⁰⁶ Für den Vergleich siehe die entsprechenden Anmerkungen zur Übersetzung von alJaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā im Appendix dieser Studie. Der Text der Alexandrinischen Vulgata liegt in mehrere Variationen vor. Kashouh hat eine Arbeit zu diesem Thema verfasst und die Vulgata-Manuskripte miteinander verglichen. Wer die von uns mit de Lagardes Vulgata-Text verglichenen Stellen mit weiteren Vulgata-Versionen vergleichen möchte, ist mit Kashouh, Arabic Versions gut bedient.

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Wir können eine große Nähe feststellen, aber keine vollständige Übereinstimmung, denn es gibt auch zahlreiche Abweichungen. Denkbare Erklärungen für diese Abweichungen sind: (i) Al-Jaʿfarī hatte eine andere Vorlage als die Alexandrinische Vulgata; (ii) die Handschriften der Alexandrinischen Vulgata bilden keinen völlig einheitlichen Text, sondern variieren beträchtlich, sodass al-Jaʿfarīs Abweichungen einfach durch die Benutzung einer sich von de Lagardes Text teils deutlich unterscheidenden Handschrift erklärt werden können; (iii) al-Jaʿfarī lag gar kein Exemplar des Neuen Testaments vor, sondern nur Radd-Texte mit den entsprechenden Zitaten; (iv) ihm lag zwar ein Exemplar des Neuen Testaments im Text der Alexandrinischen Vulgata vor, aber er änderte die Stellen so um, wie er sie als Muslim interpretierte, bzw. um bibelspezifische und für den islamisch-arabischen Leser ungewöhnliche christliche Begriffe verständlicher zu machen; (v) ihm lag zwar ein Exemplar des Neuen Testaments vor, aber er veränderte die Stellen so, dass seine Argumentation schlüssiger wurde; (vi) ein (koptischer) Christ, der wie andere koptische Christen in der Zeit al-Jaʿfarīs schon selbst Arabisch sprach, teilte die Zitate al-Jaʿfarī mit und machte dabei Fehler (oder al-Jaʿfarī hat die Bibelzitate in Streitgesprächen von Christen erfahren); (vii) al-Jaʿfarī, der die Bibel teilweise als korrumpiert betrachtete und somit auch die Übersetzung, könnte selbst tätig gewesen sein und den Text seinerseits verändert haben. Fest steht immerhin, dass al-Jaʿfarī die Bibelstellen, die er in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā heranzog, schon früher gekannt hat, denn viele Zitate, die Ähnlichkeiten mit der Alexandrinischen Vulgata aufweisen, kommen schon in seinem Werk Takhjīl vor, das er früher als den Radd verfasst hatte. Beispielsweise wird im Radd Matthäus 8,20 folgendermaßen zitiert: .‫ﻟﻠﺜﻌﺎﻟﺐ ﺃﺟﺤﺎﺭ ﻭﻟﻄﻴﺮ ﺍﻟﺴﻤﺎء ﺃﻭﻛﺎﺭ ﻭﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﻟﻴﺲ ﻟﻪ ﻣﻮﺿﻊ ﻳﺴﻨﺪ ﺭﺃﺳﻪ‬

In der Alexandrinischen Vulgata lautet diese Stelle: .‫ﻟﻠﺜﻌﺎﻟﺐ ﺍﺟﺤﺎﺭﺍ ﻭﻟﻄﻴﺮ ﺍﻟﺴﻤﺎء ﺍﻭﻛﺎﺭﺍ ﻓﺎﻣﺎ ﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﻓﻠﻴﺲ ﻟﻪ ﻣﻮﺿﻊ ﻳﺴﻨﺪ ﺭﺃﺳﻪ‬

Dass al-Jaʿfarī, der selbst in Ägypten ansässig war, die koptische Alexandrinische Vulgata heranzog, ist plausibel. Bezüglich der oben genannten Möglichkeit (i) kann angeführt werden, dass keine andere bekannte Vorlage vollkommen identisch mit den Bibelstellen des al-Jaʿfarī ist, sodass kein gutes Argument für das Heranziehen einer alternativen Vorlage konstruiert werden kann. Letztlich liegt es näher, dass entweder al-Jaʿfarī selbst oder eine von ihm benutzte Vorlage die Alexandrinische Vulgata (oder eine andere, der Alexandrinischen Vulgata jedoch sehr ähnliche Übersetzung der Bibel) benutzt hat. Nur müssen die Abweichungen dann anhand der genannten Möglichkeiten (ii) bis (vii) erklärt werden. Die Erklärung (ii), dass al-Jaʿfarī einfach einer abweichenden Handschrift gefolgt ist, ist auf jeden Fall möglich. Die Möglichkeit (iii), dass al-Jaʿfarī selbst gar kein Exemplar des Neuen Testaments vorlag, ist sogar am wahrscheinlichsten. Denn al-Jaʿfarī selbst nennt in seinem Takhjīl zahlreiche Radd-Werke, die

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er als Quellen für seinen Text herangezogen hat. Er gibt an, dass er zur Vorbereitung der Abfassung seines Takhjīl die Radd-Schriften von Abū Muḥammad ʿAbd al-Qādir ibn ʿAbdallāh al-Ruhāwī (gest. 611/1215), ʿAmr ibn Baḥr al-Jāḥiẓ, ʿAbd al-Jabbār, al-Bāqillānī, al-Juwāynī, Ibn al-Ṭayyib al-Sarakhsī, Abū Bakr al-Ṭurṭūshī, Ibn ʿAwf, al-Dimyāṭī und Ibn Rabban al-Ṭabarī gelesen habe.¹⁰⁷ Es ist sehr wahrscheinlich, dass al-Jaʿfarī die Bibelzitate aus diesen Büchern entnommen hat, ohne die Bibel selbst heranzuziehen. Für diese These spricht etwa seine Version von Lukas 4,40–41, eine Bibelstelle, die im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā wie folgt zitiert wird: »Jeder, der einen Kranken hatte, kam mit ihm zu Christus, der die Hand auf ihn legte, und dieser heilte (den Kranken) sofort. Daraufhin sagt er [sc. der Geheilte]: ›Du bist Gottes Sohn!‹ Er [sc. Jesus] pflegte jedoch sie [sc. die, die diese Zuschreibung machten] abzuweisen und ließ sie dies nicht sagen.«¹⁰⁸

Hätte al-Jaʿfarī den kompletten Text des Lukasevangeliums vorliegen gehabt, dann wäre ihm wohl kaum entgangen, dass dort die ausgetriebenen Dämonen Jesus ›Gottes Sohn‹ nennen (und nicht die Geheilten). Es darf angenommen werden, dass al-Jaʿfarī dies für seine Argumentation weidlich ausgenützt hätte; dass er sich diese Möglichkeit entgehen ließ, legt nahe, dass ihm die Bibelstelle nur als bereits verkürztes Zitat vorlag. Auch die Abweichungen in al-Jaʿfarīs Bibelzitaten vom Text der Alexandrinischen Vulgata würden sich leicht damit erklären lassen, dass er die Zitate den von ihm genannten Quellen entnommen hat, die ihrerseits verschiedene Bibelversionen herangezogen haben könnten. Leider kann diese Hypothese nicht überprüft werden, weil die Werke von al-Ruhāwī, Ibn al-Ṭayyib al-Sarakhsī, Abū Bakr al-Ṭurṭūshī, Ibn ʿAwf und alDimyāṭī derzeit verschollen, von ʿAmr ibn Baḥr al-Jāḥiẓ nur teilweise erhalten sind. Ich habe die Bibelzitate des al-Jaʿfarī mit den restlichen angegebenen und erhalten gebliebenen Werken verglichen, konnte die Hypothese aber aufgrund der schlechten Quellenlage nicht zweifelsfrei belegen. Die Möglichkeit (iv) – dass al-Jaʿfarī zwar ein Exemplar der Alexandrinischen Vulgata benutzt hat, aber die zitierten Stellen gemäß seinem muslimischen Verständnis veränderte – wäre naheliegend und sinnvoll, wenn die Adressaten des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā nur Muslime gewesen wären, doch das Werk richtet sich explizit an die ›Franken‹ und somit an die Christen. Es wäre daher argumentationsstrategisch wenig klug von al-Jaʿfarī gewesen, die Bibelstellen schon im islamischen Sinne interpretiert und verändert vorzulegen, denn damit hätte er seine christlichen Adressaten nicht überzeugen können. Dasselbe gilt für die Möglichkeit (v), also dass al-Jaʿfarī die zitierten Stellen selbst so verändert hat, dass sie seine Argumentation schlüssiger stützen. Bibelstellen bewusst zu entstellen und diese dann den Christen vorzulegen, wäre argumentationsstrategisch kaum erfolgversprechend. Allerdings scheint

¹⁰⁷ Vgl. dazu ʿAbd al-Raḥmān Qadaḥ in seiner Edition des Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl 62–64. ¹⁰⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 53 nach Lukas 4,40–41.

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dies durchaus eine angewandte Methode in den Argumenten des al-Jaʿfarī zu sein, wenn die Möglichkeit, dass al-Jaʿfarī keine korrekte Vorlage hatte und schon entstellte Stellen übernehmen musste, ausgeschlossen wird. Ein gutes Beispiel hierzu liefert al-Jaʿfarīs Zitat aus 1. Johannes 3,1: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat, dass wir Gottes Kinder heißen.«¹⁰⁹

Al-Jaʿfarī zitiert hier nur den ersten Teil, denn am Ende des Verses steht: »und wir sind es auch«. Argumentationstechnisch passt ihm dieser Teil nicht, denn er möchte zeigen, dass sie nur so bezeichnet werden, aber in Wirklichkeit keine Kinder Gottes sind. Diese Stelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie al-Jaʿfarī Bibelstellen argumentationsstrategisch anpasst. Allerdings sind solche Fälle eher selten, weshalb die im Großen und Ganzen erkenntnistheoretisch fundierte Herangehensweise al-Jaʿfarīs durch diese rhetorischen Mittel nicht in Frage gestellt werden kann. Möglichkeit (vi) – dass al-Jaʿfarī die Zitate von einem Christen in fehlerhafter Form mitgeteilt wurden – ist denkbar, jedoch sehr unwahrscheinlich. Obwohl die Kopten in der Zeit al-Jaʿfarīs arabischsprachig waren, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie in Streitgesprächen ausgerechnet die ohnehin schon von Muslimen gegen sie herangezogenen Stellen erwähnten. Es wäre zwar denkbar, dass sie dies taten, während sie die christlichen Interpretationen dieser Stellen hervorheben wollten; doch auch dieser Weg der Übermittlung erscheint sehr fragwürdig. Was die Möglichkeit (vii) angeht, also dass al-Jaʿfarī die Bibelstellen selbst verändert hätte, weil er den christlichen Bibeltext für korrupt hielt, so gibt es zumindest in folgendem Beispiel, das wohl aus Johannes 7,19 und 8,40 stammt, Hinweise dafür: »Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?«

Al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā und die Alexandrinische Vulgata weichen hier voneinander ab. Im Radd heißt es: .‫ ﻛﻠﻤﺘﻜﻢ ﺑﺎﻟﺤﻖ ﺍﻟﺬﻯ ﺳﻤﻌﺘﻪ ﻣﻦ ﷲ‬٬ ‫ﻟﻢ ﺗﺮﻳﺪﻭﻥ ﻗﺘﻠﻰ ]؟[ ﻭﺍﻧﺎ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻣﻦ ﺑﻨﻰ ﺁﺩﻡ‬

In der Alexandrinischen Vulgata lauten die beiden Bibelstellen: (7,19) .[‫ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﺮﻳﺪﻭﻥ ﻗﺘﻠﻰ ]؟‬ (8,40) .‫ﻟﻜﻨﻜﻢ ﺍﻻﻥ ﺗﻄﻠﺒﻮﻥ ﻗﺘﻠﻰ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻛﻠﻤﺘﻜﻢ ﺑﺎﻟﺤﻖ ﺍﻟﺬﻯ ﺳﻤﻌﺘﻪ ﻣﻦ ﷲ‬

Auffällig ist an dieser Stelle zunächst, dass al-Jaʿfarī – ohne es zu erwähnen – verschiedene Evangelienstellen zusammenträgt und sie als einen einheitlichen Text darstellt. In diesem Beispiel sind es offenbar die Stellen Johannes 7,19

¹⁰⁹ 1. Johannes 3,1; arabisch: .‫ ﺍﻧﻈﺮﻭﺍ ﺍﻟﻰ ﻣﺤﺒﺔ ﺍﻷﺏ ﻟﻨﺎ ﻛﻴﻒ ﺃﻋﻄﺎﻧﺎ ﺃﻥ ﻧﺪﻋﻰ ﻟﻪ ﺃﺑﻨﺎء‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ Mit ‫ ﺍﻟﺮﺩ‬werden die Evangelienzitate aus al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā eingeleitet.

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und 8,40. Noch wichtiger ist jedoch, dass der bedeutsame Zusatz ‫ﻭﺍﻧﺎ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻣﻦ‬ ‫»( ﺑﻨﻰ ﺁﺩﻡ‬ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin«) nicht in der Alexandrinischen Vulgata zu finden ist. Diese Stelle, die al-Jaʿfarī sehr zupasskommt, scheint jedoch nicht von ihm erfunden zu sein, denn der Zusatz ‫ ﻭﺍﻧﺎ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻣﻦ ﺑﻨﻰ ﺁﺩﻡ‬ist eine gängige Alternative. Womöglich lag al-Jaʿfarī noch eine andere Bibelübersetzung vor oder er hörte von dieser Textvariante und zog diese für seine Argumentation heran. Denn in der Tat macht die Variante im Radd die Argumentation al-Jaʿfarīs effektiver als die Formulierung in der Alexandrinischen Vulgata. Auf jeden Fall scheint al-Jaʿfarī eine detaillierte Kenntnis der theologischen Implikationen der Evangelienstellen zu haben, die er bei der Konstruktion seiner Argumente heranzieht. Ḥasanayn geht folgerichtig davon aus, dass alJaʿfarī die Evangelien und andere Schriften der Christen bzw. Schriften über Christen gekannt haben muss.¹¹⁰ Ḥasanayn kritisiert al-Jaʿfarī allerdings dafür, dass er die Evangelien nicht korrekt zitiert habe, und gibt an, dass er Wörter oft nicht richtig wiedergebe oder auch Stellen zitiere, die nicht oder nur indirekt im Bibeltext zu finden seien.¹¹¹ Wie am Beispiel der Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu diskutiert werden wird,¹¹² beantwortet alJaʿfarī die Frage, wie viele Zeugen bei der Kreuzigung anwesend waren, damit, dass nur einige Juden und zwei weinende Frauen anwesend gewesen seien. Entweder kennt al-Jaʿfarī die Bibel nicht gut oder er verheimlicht seinem Leser weitere Zeugen. Die zwei Frauen, die er nennt, sind wohl aus Markus 15,40–41 entnommen; sein Bezug auf die Juden dürfte eine Anspielung auf Markus 15,31 sein, wo die Hohenpriester und die Schriftgelehrten Jesus verhöhnen. Doch angenommen, al-Jaʿfarī hat diese Stellen gelesen, so müsste er zumindest auch in Markus 15,21 gelesen haben, dass auch Simon von Cyrene bei der Kreuzigung anwesend gewesen sein dürfte. Dieses Beispiel legt daher nahe, dass al-Jaʿfarī mit dem Gesamttext des Neuen Testaments doch nicht so gut vertraut war. Zu ermitteln, welche Bibelübersetzungen in den polemischen und apologetischen Schriften benutzt werden, ist zumindest aus einem Grund auch für die Argumentationsanalyse wesentlich: Die Übersetzung selbst wird oft zu einem Teil der Argumentationsstrategie, nämlich wenn der Bibeltext so übersetzt wird, dass dadurch die gewünschte These unterstützt wird. Oder die Bibelzitate werden in einem neuen Kontext verortet, sodass sie etwas Gewünschtes (aber nicht das ursprüngliche Gemeinte) auszusagen scheinen. Was die erste Möglichkeit angeht, so tritt al-Jaʿfarī nicht selbst als Übersetzer auf, vielmehr rezipiert er vorhandene arabische Bibelversionen, in diesem Fall mit hoher Sicherheit aus der Alexandrinischen Vulgata.¹¹³ Doch wenn von

¹¹⁰ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 17. ¹¹¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 19. ¹¹² Siehe dazu unten Abschnitt 9.10. ¹¹³ Vgl. den Vergleich der im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā herangezogenen arabischen Bibelzitate mit der Alexandrinischen Vulgata in den Anmerkungen zur Übersetzung im Appendix zu dieser Studie.

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einer Übersetzung die Rede ist, dann ist eine subjektive Präferenz in der Übertragung nie auszuschließen, so auch in den Bibelübersetzungen, selbst dann, wenn der Übersetzer Christ war. Beispielhaft zeigt sich dies an der spanischarabischen Evangelienrezeption, die bis Ende des 10. Jahrhunderts eine einzige Übersetzung hervorgebracht hat;¹¹⁴ diese ist zwar nach Graf unbestreitbar mit dem Codex Cavensis und dem Codex Toletanus verwandt, jedoch nimmt der christlich-arabische Übersetzer Korrekturen vor, die den Text von diesen abweichen lässt.¹¹⁵ Solche Korrekturen und Abweichungen in den einzelnen Übersetzungen eröffnen dem Argumentierenden, soweit ihm diese Versionen zugänglich sind, die Möglichkeit, die für die eigene These jeweils passendste Übersetzung heranzuziehen. Des Weiteren kann der Argumentierende in korrumpierender Weise biblische Wörter ändern, um die eigenen Thesen – vor allem bei hermeneutischen und interpretativen Argumentationen – zu bestärken. Um diesen Fragen nachgehen zu können, ist ein Vergleich der in al-Jaʿfarīs Radd vorkommenden Evangelienzitate mit der in dieser Zeit gängigsten Bibelübersetzung unausweichlich.¹¹⁶ Ein Resultat dieser Überlegungen ist, dass, auch wenn al-Jaʿfarī die Bibel vorlag, dies doch auf jeden Fall eine Übersetzung war, dass eine Übersetzung aber immer schon eine Interpretation darstellt und dies argumentationstechnisch von al-Jaʿfarī erörtert werden müsste. Dies geschieht jedoch nicht nur bei al-Jaʿfarī nicht, sondern grundsätzlich nirgendwo im Radd. In al-Jaʿfarīs Radd findet sich keine Spur eines Vergleiches von Übersetzungen bzw. Übersetzungen und Originaltext. Das ist aber nicht verwunderlich, da al-Jaʿfarī weder Altgriechisch noch andere für die Bibelüberlieferung relevante Sprachen beherrschte. Um seinen christlichen Opponenten gegenüber besser argumentieren zu können, indem er sich auf Bibelstellen beruft, verwirft al-Jaʿfarī die Bibel nicht etwa als Ganzes, sondern schreibt ihr eine gewisse Autorität zu, auch wenn er Zweifel an der korrekten Überlieferung ihrer Schriften ausdrückt.¹¹⁷ Die Bibel zeigt ihm zufolge erhebliche Gegensätze zu den christlichen Lehren und das Christentum könne sich für diese Lehrsätze nicht auf die Bibel berufen: »Die Tora und die Prophetien sind das Gesetz, welches die Israeliten von Mose bis in die Zeit Jesu tradierten. In ihnen findet sich kein derartiger [sc. was wir bisher beschrieben haben] Unsinn.«¹¹⁸

¹¹⁴ Die Frage, wann die erste arabische Übersetzung der Evangelien vorlag, kann nicht sicher abschließend beantwortet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass das Evangelienbuch der Christen in Negran schon vor dem Erscheinen des historischen Islams auf Arabisch vorgelegen haben könnte. Da dieses Buch jedoch nicht erhalten ist, muss diese Frage offenbleiben (vgl. Graf, Literatur 1–2). Zu weiteren Bibelübersetzungen siehe: Thomas (Hg.), Bible in Arab Christianity, Kashouh, Arabic Versions und Griffith, Bible in Arabic. ¹¹⁵ Graf, Literatur 24–27. ¹¹⁶ Siehe hierzu die Vergleiche der Bibelzitate aus dem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā mit der Alexandrinischen Vulgata in den Anmerkungen zur Übersetzung im Appendix dieser Studie. ¹¹⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 158. ¹¹⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12.

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Die Konstruktion dieses Widerspruchs dient letztlich dazu, den Opponenten mit diesen Widersprüchen zu konfrontieren und ihn aufzufordern, diese zu lösen: »Und nun stellen wir (unsererseits) ihnen [sc. den Christen] Fragen aus ihrem Evangelium und verlangen von ihnen eine (deutliche) Antwort.«¹¹⁹

Anzumerken ist, dass al-Jaʿfarī bei seinen Bibelzitaten sehr ungenaue Stellenangaben macht. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Kapiteleinteilung der Alexandrinischen Vulgata soll erst durch Stephan Langton (gest. 1228) eingefügt worden sein und die Verseinteilung soll aus dem 16. Jahrhundert stammen.¹²⁰ Über die Frage der Bibelübersetzungen in al-Jaʿfarīs Texten machte sich schon Franz Triebs 1897 in seiner Dissertation Gedanken, einer lateinischen Übersetzung und teilweise Edition des Werkes Kitāb al-ʿashr al-masāʾil almusammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashhūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd unter dem Titel Liber decem quaestionum contra christianos, auctore Ṣaliḥo ibn alḤusain. Er bemerkt: »Quod mihi non contigit, ut reperirem, quam evangeliorum divisionem scriptor habuerit, doleo. Sed hoc constare videtur, Ṣalih in locis Marc. XIV 66 et Joh. XVI 31, 32 afferendis secutum esse eam, quae Ammonio-Eusebiana vocatur divisionem. Sed ne in hac quidem certus numerus sectionum stetisse videtur. Quod ad demonstrandum ex catalogis tabulam decem codices eiusdem fere aetatis continentem composui, ex qua cognoscas, quam varie evangelia sint dispertita.«¹²¹

Franz Triebs hat also die Bibelstellen und die Kapiteleinteilungen aus dem Kitāb al-ʿashr al-masāʾil mit verschiedenen Bibelübersetzungen verglichen.¹²² So wie sich bei Triebs bei der Untersuchung dieser Frage Niedergeschlagenheit einstellte (»doleo«), wird diese Frage womöglich – ähnlich wie bei der offenen Frage der Bibelübersetzung bei al-Ghazālī – der Forschung noch einige Zeit Kopfschmerzen bereiten. Rezeption und Einfluss des Werkes Was den Einfluss des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā angeht, so ist er nicht eindeutig zu bestimmen. Einerseits spricht das Vorhandensein nur eines einzigen Manuskripts dafür, dass die Rezeption dieses Werkes nicht sehr verbreitet war. Andererseits war der Radd zwar ein wichtiger Bereich der Theologie, doch in Vergleich zu anderen etablierten Disziplinen dennoch eher ein Randphänomen.

¹¹⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12. ¹²⁰ Vgl. Wilms, »Kommentar« 159. Umso bemerkenswerter ist aber, dass al-Jaʿfarī gelegentlich durchaus Kapitelnummern (vgl. etwa § 64 oder §§ 74–79) benutzt. Womöglich lag ihm eine bereits mit einer Kapitelzählung versehene Version vor. In § 166 nennt er als Stellenangabe zum Matthäusevangelium »Psalm 65«; hierbei scheint es sich um eine Versoder Abschnittseinteilung zu handeln. ¹²¹ Triebs, Liber decem quaestionum, zitiert nach Wilms, »Kommentar« 163. ¹²² Vgl. Triebs, Liber decem quaestionum.

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Die Akteure und Interessenten waren begrenzt, sodass man keine große Anzahl von Handschriften erwarten kann. Trotzdem vermochte vor allem al-Jaʿfarīs Takhjīl seinen Einfluss im Bereich des Radds zu entfalten. In seinem Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān gibt al-Jaʿfarī selbst an, sein Takhjīl sei auf großes Interesse gestoßen und als neues Genre wahrgenommen worden. Herrscher hätten Abschriften der Schrift verlangt und sie diene bei ihnen als Grundlage zur Diskussion (munāẓara) mit den Anhängern der Buchreligionen.¹²³ Al-Jaʿfarī scheint mit seinem Takhjīl also ein Bedürfnis nach einer Grundlage für interreligiöse argumentative Diskussionen erfüllt zu haben. So diente das Werk vor allem al-Qarāfī als Anregung für seine polemischen Schriften Al-ajwiba al-fākhira ʿan al-asʾila al-fājira fī al-radd ʿalā l-milla al-kāfira und Adillat alwaḥdāniyya fī al-radd ʿalā l-Naṣrāniyya.¹²⁴ Al-Qarāfī lebte selbst in Ägypten und wirkte vor allem in Kairo.¹²⁵ Daher ist anzunehmen, dass al-Jaʿfarī mindestens in Kairo eine gewisse Nachwirkung hatte. Fritsch bescheinigte al-Qarāfī, mit seinem Al-ajwiba l-fākhira die »beste apologetische Leistung des Islam« erreicht zu haben.¹²⁶ Erst Sarrió Cucarella stellte fest, dass die Hauptquelle des al-Qarāfī die Schrift Takhjīl des al-Jaʿfarī war,¹²⁷ sodass dieses Lob zumindest teilweise al-Jaʿfarī gebührt. Ḥasanayn verweist ebenfalls darauf, dass Radd-Autoren wie al-Suyūṭī, Ibn Taymiyya¹²⁸ und al-Qarāfī¹²⁹ sowie Abū al-Faḍl al-Suʿūdī al-Mālikī ebenfalls alJaʿfarī kannten und aus seinen Schriften zitierten, jedoch ohne sich ausführlich mit al-Jaʿfarī oder seinen Werken zu befassen. Oft wird er nur mit Namen genannt, ohne sein Werk zu benennen, so etwa auch bei al-Ṭūfī, der selbst für kurze Zeit in Qūṣ lebte und al-Jaʿfarī als Taqī al-Dīn Ṣāliḥ al-khaṭīb al-Qūṣī bezeichnet und ihn als einen Radd-Autor beschreibt, der die Widersprüche zwischen den Evangelien behandelt.¹³⁰ Eine Ausnahme bildet al-Mālikī, der in seinem Werk Al-muntakhab al-jalīl min Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl eine Auswahl aus dem Takhjīl des al-Jaʿfarī wiedergibt, ohne jedoch mehr über al-Jaʿfarī zu berichten, als die Quellen selbst ohnehin hergeben.¹³¹ Al-Jaʿfarī beeinflusste keineswegs nur muslimische Autoren, er hatte auch eine Wirkung auf christliche Gelehrte, beispielsweise auf den christlichen RaddAutor al-Ṣafī ibn al-ʿAssāl, der auf Wunsch des koptischen Patriarchen Kyrill Ibn

¹²³ Vgl. al-Jaʿfarī, Bayān 115. ¹²⁴ Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 74–82. ¹²⁵ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Al-Qarāfī« 582–587. ¹²⁶ Vgl. Fritsch, Islam und Christentum 22. ¹²⁷ Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 74. ¹²⁸ Etwa in seinem Radd mit dem Titel Al-jawāb al-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-Masīḥ. Für eine kurze Darstellung dieses Werkes vgl. Hoover, »Al-jawāb al-ṣaḥīḥ« 834–844. ¹²⁹ Beispielsweise in seinem Radd-Werk Al-ajwiba al-fākhira ʿan al-asʾila al-fājira fī alradd ʿalā l-milla al-kāfira. Vgl. Sarrió Cucarella, Muslim-Christian Polemics 74–82 über den Einfluss des al-Jaʿfarī auf al-Qarāfī. ¹³⁰ Vgl. Demiri, Muslim Exegesis 34 und dies., »Al-Ṭūfī«. ¹³¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 11 und Demiri, »Al-muntakhab al-jalīl« 640–643.

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Laqlaq seine Schrift mit dem Titel Nahj al-sabīl fī jawāb Takhjīl muḥarrifī al-Injīl als Antwort auf al-Jaʿfarīs Vorwürfe der Schriftfälschung (tabdīl) verfasste.¹³² Sicher ist – wie schon Carl Brockelmann konstatierte –, dass al-Jaʿfarī bekannt war und Einfluss auf weitere Radd-Schriften ausübte.¹³³ Trotzdem ist über sein Leben wenig bekannt und seine Schriften sind wenig erforscht worden. Noch weniger wurden diese analytisch mit Schwerpunkt auf seine Argumentationen untersucht. Ḥasanayn vermutet als einen Grund für die Vernachlässigung alJaʿfarīs in der islamischen Theologie den Umstand, dass in der islamischen Theologie großer Wert auf Disziplinen wie fiqh, ḥadīth und tafsīr gelegt, aber der Radd oft nicht beachtet wurde. Ein ähnliches Phänomen sei u. a. bei alGhazālī zu beobachten. Obwohl dieser viel rezipiert wurde, blieb sein Radd mit dem Titel Al-radd al-jamīl relativ unbeachtet,¹³⁴ was auch die Situation erklärt, dass gerade von dieser Schrift des al-Ghazālī nur drei Handschriften vorhanden sind.¹³⁵ Letztlich dürfte dies seine Grund darin haben, dass der Radd zum Christentum, Judentum usw. ein hochspezialisiertes Gebiet der islamischen Literatur darstellt, das nicht für jeden Leser verständlich war, während die Beschäftigung mit den allgemeineren Gebieten wie fiqh, ḥadīth und tafsīr für jeden verpflichtend war, der sich mit islamischer Theologie und islamischen Wissenschaften auseinandersetzte. Daher konnte al-Jaʿfarī, der in erster Linie ein Radd-Autor war, nie die Bekanntheit und Wirkung erreichen, die jenen Autoren sicher war, die sich mit den bekannteren Genres beschäftigten.

¹³² Vgl. Graf, Geschichte Bd. 2, 389. ¹³³ Brockelmann/Witkam, GAL Bd. 1, 430 mit Supplement I, 766. ¹³⁴ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 20. ¹³⁵ Vgl. El Kaisy-Friemuth, »Al-radd al-jamīl« 367–369.

Kapitel 9

Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā Die breite Anwendung vielfältiger Argumentationen und Erkenntnisprinzipien zeigt die argumentative Kompetenz al-Jaʿfarīs. Im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā formuliert al-Jaʿfarī in den ersten fünf Kapiteln fünf Hauptthesen und konstruiert eine Vielzahl von Argumenten, um diese Thesen zu beweisen. Die erste These besagt, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei und Gott nicht sein Vater.¹ Die zweite These spricht sich gegen die Einheit der menschlichen und göttlichen Natur in Christus aus.² Die dritte These behauptet, die Tötung und Kreuzigung Jesu habe nicht so stattgefunden, wie al-Jaʿfarīs christliche Opponenten es darstellen.³ Viertens stellt er die These auf, dass die Trinitätslehre inkonsistent sei,⁴ schließlich fünftens, dass die Evangelien widersprüchlich und daher als Offenbarungsschrift nicht vertrauenswürdig seien.⁵ Al-Jaʿfarī gibt dazu einen Hinweis für seinen Leser: »Wer diesen Themen begegnet ist, der sollte sich über diese Texte tiefe Gedanken machen und die Nachahmung und die Übernahme (al-taqlīd) (alter Gedanken diesbezüglich) sowie die Übernahme der unbelegten Unwahrheiten (al-abāṭīl bi-ghayr dalīl) vermeiden.«⁶

Was er argumentativ zu leisten versucht, ist nichts anderes, als diesem Hinweis selbst Rechnung zu tragen. Daher konstruiert er für alle genannten Thesen zahlreiche Argumente, von denen eine Auswahl in den folgenden Unterkapiteln rekonstruierend dargestellt wird. Bevor im Folgenden einzelne Argumente gegen die These, dass Jesus Gott sei, vorgeführt werden, sollte zunächst klargestellt werden, wie die Rede von Gott bei al-Jaʿfarī verstanden wird und wie der Begriff ›Gott‹ verwendet wird. Al-Jaʿfarī geht zunächst von einem islamischen Wortgebrauch aus und grenzt den christlichen davon ab. Dies belegt letztlich den Einfluss des Radds auf die islamische Selbstdarstellung. Der Grund dafür, dass al-Jaʿfarī auf die Attribute Gottes eingeht, liegt vor allem darin, dass er eine Vergleichbarkeit der Gottesvorstellungen im Islam

¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 13. ² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 86. ³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 143. ⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 185. ⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 197. ⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 184.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

und im Christentum aufzeigen muss. Angenommen, beide Gottesvorstellungen wären nicht miteinander vergleichbar, dann wäre die Adäquatheit seiner Argumente zur Beschaffenheit Gottes mehr als fragwürdig. Erst dadurch, dass er aufzeigt, dass seine Gottesvorstellung und sein Gottesbild dem der Christen ähnlich und vergleichbar sind, stellt er die Adäquatheit seiner Argumente sicher. Daher trifft al-Jaʿfarī Aussagen wie die folgenden: 1. 2. 3. 4.

Gott hat keinen Körper;⁷ Gott hat keine menschlichen Attribute;⁸ Gott ist ewig und seine Existenz hat somit keinen Anfang;⁹ Gott ist nicht zusammengesetzt, sondern er ist der Zusammensteller;¹⁰ etc.

Wenn nun diese Aussagen über Gott betrachtet werden, dann fällt auf, dass dem Begriff ›Gott‹ – im Gegensatz zur christlichen Verwendung dieses Begriffes¹¹ – keine wörtlichen oder metaphorischen Kennzeichnungen zukommen, welche die Gottessohnschaft Jesu begründen könnten.¹² Daraus leitet sich der Widerstand im Radd gegenüber wörtlichen, aber auch metaphorischen Beschreibungen Gottes ab, wie etwa, dass Gott zwar eine Person sei, aber gleichzeitig anders und mehr als eine Person. Dieses christliche Mysterium, das der klassischen zweiwertigen Logik zu widersprechen scheint, an der sich der Radd orientiert, lässt aus islamischer Perspektive keine sinnvollen Aussagen über Gott zu. Denn Aussagen sollten aus der Perspektive der klassischen zweiwertigen Logik immer als wahr oder falsch klassifiziert werden können. Kann ein Satz dies nicht leisten, wird er ausgeschlossen. Darin liegt der Antrieb des islamischen Radds gegenüber christlichen Aussagen, die zwar das christliche ›Geheimnis‹ darstellen, dabei aber nicht analytisch auffassbar werden und somit logisch leicht

⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 16. ⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 27. ⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 11. ¹⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 17. ¹¹ Auch in der christlichen Theologie wird der Ausdruck ›Gott‹ nicht metaphorisch verwendet. Wenn es wie in dem obigen Beispiel um die Bedeutung von ›göttlich‹ geht, dann geht es nicht um die metaphorische Verwendung von Gott, sondern von ›Person‹. ¹² Dies jedoch nicht deshalb, weil es in der Theologie keine Anwendung metaphorischer Kennzeichnungen für Gott gäbe, denn diese gibt es durchaus, wenn man die Muʿtaziliten und später die Ashʿarīten und Māturīdīten betrachtet, die über Hand, Gesicht oder Fuß Gottes teilweise wörtlich und somit anthropomorphistisch urteilten oder eben metaphorisch, indem sie diese Attribute als Gottes Macht, Großzügigkeit oder Zorn verstanden. Was diese Attribute von den Hypostasen der Trinitätslehre unterscheidet, ist, dass die Hypostasen das Wesen Gottes betreffen, während die Attribute wie Hand, Gesicht oder Fuß Gottes nicht das Wesen Gottes, wie es im Islam verstanden wird, beeinträchtigen. So können Anhänger der mushabbiha (etwa: des Anthropomorphismus) dennoch gleichzeitig sagen, dass Gott zwar eine Hand hat, wie der Mensch, aber trotzdem die Hypostasen der Trinitätslehre ablehnen, weil die körperliche Beschaffenheit Gottes eben nicht seine Natur, sein Wesen oder seine Person verändert, wie das die Trinitätslehre tut.

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

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widerlegbar erscheinen.¹³ Die Leistung, die al-Jaʿfarī hierbei erbringen muss, ist die Interpretation der biblischen Begriffe wie etwa des Begriffes ›Sohn‹. Er muss wörtlich verstandene christliche Ausdrücke metaphorisch interpretieren und so in seine Interpretation integrieren.¹⁴ Wenn aber der Versuch unternommen wird, das Gottesbild der Christen zu korrigieren, dann stellt sich die Frage, ob es sich eventuell gar nicht um denselben Gott handeln könnte. Denn wenn es das christliche Gottesbild erlaubt, dass Gott einen Sohn haben kann, aber das islamische Gottesbild dies ablehnt, handelt es sich dann um denselben Gott? Die islamische Lesart beantwortet diese Frage mit Ja. Denn (i.) Gott stelle sich im Koran als der Gott dar, der sich auch Jesus offenbart hat; (ii.) die wesentlichen Attribute Gottes seien in Islam und Christentum identisch – dazu zählt u. a., dass Gott der Schöpfer ist,¹⁵ dass Gott ewig ist, unendlich, allmächtig¹⁶ und einzigartig¹⁷. Diese Attribute teilt auch das christliche Gottesbild. Auch das Attribut, dass Gott aḥad ist, d. h. die Einsheit Gottes, ist ein Teil des christlichen Gottesbildes, das ebenfalls monotheistisch ist. Allerdings gibt es in der Frage, wie diese Wesenseinheit Gottes zu verstehen ist, Unterschiede zwischen den beiden Religionen; eine christliche Lesart ist, dass die Wesenseinheit Gottes in drei Personen besteht. Der Islam lehnt dies ab, ohne dabei jedoch abzustreiten, dass beide Religionen an denselben Gott glauben. Ohnehin sagt der Koran – anders als er oft auch von muslimischen Interpreten verstanden wird – nicht, dass die Christen an drei Götter glauben, sondern fordert sie auf, dies auch nicht zu sagen; d. h. sie sollen nicht sagen, dass Gott drei sei, wenn sie nur an einen Gott glauben:¹⁸ »Ihr Leute der Schrift! Treibt es in eurer Religion nicht zu weit und sagt gegen Gott nichts aus, als die Wahrheit! Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes und sein Wort (kalima), das er der Maria entboten hat, und Geist von ihm. Darum glaubt an Gott und seine Gesandten und sagt nicht (von Gott, daß er in einem) drei (sei)! Hört auf (so etwas

¹³ Nämlich aus islamischer Sicht; die christliche Theologie sieht dies natürlich weitgehend anders und erkennt keine logischen Widersprüche in der christlichen Dogmatik. ¹⁴ Vgl. dazu hier insbesondere Abschnitt 9.1 und Abschnitt 9.2. ¹⁵ Vgl. Koran 41:9. ¹⁶ Vgl. Koran 22:74. ¹⁷ Vgl. Koran 42:11: »Es gibt nichts, was ihm gleichkommen würde« (Übersetzung von Rudi Paret). ¹⁸ An dieser Stelle ist generell darauf zu verweisen, dass auch die Sicht der Christen auf die Trinität sich in bestimmten innerchristlichen Theologien wandeln kann, wie etwa bei den Arianern, und dass es Christen gibt, welche die Trinitätslehre nicht für relevant halten und für die Jesus einfach ein außergewöhnlicher Mensch ist. Solchen Christen kommt es mehr auf die moralischen Inhalte der christlichen Lehre an und weniger oder gar nicht auf die Trinitätslehre oder auf metaphysische Eigenschaften Gottes. Allerdings gewinnt die Frage der Eigenschaften Gottes aus systematisch-theologischer Perspektive wieder an Bedeutung, wie z. B. die im Jahr 2015 herausgegebene Veröffentlichung von Thomas Schärtl und Thomas Marschler mit dem Titel »Eigenschaften Gottes: Ein Gespräch zwischen systematischer Theologie und analytischer Philosophie« andeutet.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

zu sagen)! Das ist besser für euch. Gott ist nur ein einziger Gott. Gepriesen sei er! (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben. Ihm gehört (vielmehr alles) was im Himmel und auf der Erde ist. Und Gott genügt als Sachwalter.«¹⁹

Wenn der Koran den Christen tatsächlich einen Tritheismus vorwerfen wollte, dann würde der muslimische Leser erwarten, dass der Koran dies auch klar formuliert. Doch der Koran wählt hier stattdessen explizit die Formulierung »sagt nicht drei«. Er könnte also darauf hinweisen, dass Christen zwar nur an einen Gott glaubten, jedoch in seiner Wesensbeschreibung Fehler machten, was der Koran zu korrigieren versucht. Denselben Versuch unternimmt auch der Radd bzw. al-Jaʿfarī. Dabei geht al-Jaʿfarī, anders als der oben zitierte Korantext, durchaus davon aus, dass Christen an drei Gottheiten bzw. göttliche Hypostasen glauben.²⁰ Zugleich wird jedoch vorausgesetzt, dass es sich in beiden Religionen um denselben Gott handelt. Aus beidem zusammen ergibt sich die Auffassung, dass die Wesensbeschreibung der Christen fehlerhaft sei, sodass sie argumentativ korrigiert werden müsse. Ḥasanayn fasst die wesentliche methodische Herangehensweise des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā in drei Kategorien zusammen: die exegetische Methode (minhāj al-tafsīrī), die Methode der Hadithgelehrten (minhāj al-muḥaddithīn) und die rationale Methode (minhāj ʿaqlī khāliṣ). Ḥasanayn attestiert al-Jaʿfarī, dass er als einer der ersten Radd-Autoren alle drei Methoden in seinem Radd anwandte und zu einer neuen Methode zusammenfasste.²¹ In der Tat wird auch unsere Untersuchung, wenn auch differenzierter, im Folgenden zeigen, dass alJaʿfarī in seinem Radd unterschiedliche Methoden zugleich anwendet, weshalb er im Rahmen des Radds eine besondere Stellung einnimmt. Auch zum Inhalt des Werkes stellt Ḥasanayn fest – diesmal eher überbetont –, dass nach al-Jaʿfarī nur noch wenig zu den Radd-Argumenten hinzugefügt worden sei und dass Ibn Taymiyya (gest. 728/1328) noch ein Jahrhundert später in seinen Radd al-jawāb al-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-masīḥ nichts Wesentliches an Argumentation aufnehmen konnte, was nicht schon al-Jaʿfarī vorgetragen hatte.²² Zunächst sollen an dieser Stelle die erwähnten Methoden vorgestellt werden. Die exegetische Methode (al-minhāj al-tafsīrī) Mit der exegetisch-interpretativen Methode versuchen die muslimischen Disputanten (mujādilīn) islamische Lehren, beispielsweise das Menschsein Jesu, anhand der biblischen Texte zu beweisen. Diese Methode wird von RaddAutoren wie Abū Muḥammad al-Qāsim al-Rassī (gest. 246/860), al-Ghazālī und auch grundsätzlich von allen anderen Radd-Autoren angewendet.²³

¹⁹ Vgl. Koran 4:171, Übersetzung Rudi Paret. ²⁰ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 185–196. ²¹ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 23–38. ²² Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 18. ²³ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 28–32.

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

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Die Methode besteht darin, alternative Interpretationen zu biblischen oder anderen christlichen Konzepten zu konstruieren, um (i.) zu widerlegen, dass die christliche Lesart die einzig mögliche ist, (ii.) zu zeigen, dass die eigene Lesart eine weitere legitime Möglichkeit ist, und (iii.) zu zeigen, dass die eigene Lesart womöglich wahrscheinlicher ist als die christliche. Hierbei werden Begriffe alternativ nach der islamischen Lesart interpretiert und Belege für diese alternative Interpretation aufgestellt, etwa, wenn es um die Frage der Natur(en) Christi geht, um sein reines Menschsein zu belegen; zudem werden Konzepte, die auf seine Gottheit hinweisen, wie etwa ›Sohn‹, ›Kindschaft/Sohnschaft‹, ›Inkarnation‹, ›Vater/Vaterschaft‹, metaphorisch und exegetisch interpretiert. Im Rahmen dieser Methode wird stets versucht, für die Konstruktion solcher alternativer Lesarten und Interpretationen auch biblische oder rationale Argumente heranzuziehen, um so ein schlüssiges Argument zu bilden. Al-Jaʿfarī verwendet diese Methode insbesondere, um seine bibelbasierten bzw. hermeneutisch-interpretativen Argumente sowie sein Sohnschaft-alsDienerschaft-Argument zu konstruieren.²⁴ Die Methode der Hadithgelehrten (minhāj al-muḥaddithīn) Das wichtigste Merkmal dieser Methode ist, dass die Radd-Autoren hier von der Überlieferungstheorie der Hadithwissenschaft Gebrauch machen, um die authentische Überlieferung der biblischen Texte in Zweifel zu ziehen. Insbesondere die aus islamischer Sicht unzureichende Anzahl der Gewährsleute bzw. ›Überlieferer‹ der Evangelien wird kritisch betrachtet. In der Hadithwissenschaft wird nämlich die Anzahl der Überlieferer in den Überlieferungsketten untersucht. Fällt diese Anzahl zu gering aus, gilt es als fragwürdig, auf diese Überlieferung zu verweisen, wenn man epistemisch überzeugende Argumente aufstellen will. Im Falle der Evangelien ist diese Anzahl aus Sicht der RaddAutoren zu gering, um die Überlieferung als authentisch einstufen zu können.²⁵ Der Spezialist auf diesem Gebiet und zudem ein Radd-Autor, Ibn Ḥazm, kritisiert laut Ḥasanayn, dass alle Überlieferungen der Christen lediglich auf drei Überlieferer (Paulus, Markus und Lukas) zurückzuführen seien. Diese hätten die Tradition von Jesus wiederum nur an fünf Überlieferer übergeben, die in der zweiten Generation lebten, also nicht in der Zeit Jesu selbst. Diese fünf Überlieferer seien Petrus, Matthäus, Johannes, Jakobus und Judas. Ibn Ḥazm resümiere, diese Überlieferer könnten die Authentizität der christlichen Überlieferungen nicht garantieren, weil etwa Paulus, der am einflussreichsten war, Jesus gar nicht persönlich gekannt habe und auch nicht mit den anderen Aposteln zusammengelebt habe, die Jesus selbst erlebt hatten.²⁶

²⁴ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.1 und Abschnitt 9.2. ²⁵ Ein tawātur-Argument konstruiert beispielsweise schon al-Ṭūfī. Vgl. Demiri, Muslim Exegesis 171 und 221–223 exemplarisch für eine Anwendung des tawātur bei al-Ṭūfī. ²⁶ Vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 28–32.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Al-Jaʿfarī zieht diese Methode heran, um sein tawātur-Argument zu konstruieren. Das tawātur-Argument al-Jaʿfarīs basiert auf zwei Kriterien, welche die Grundzüge seines Arguments und seiner Theorie des tawātur nachzeichnen: (i.) Ein tawātur erlaubt keinen Zweifel an der Überlieferung. In den Evangelien gebe es jedoch Zweifel daran, ob der Messias überhaupt für jeden erkennbar war. (ii.) Es muss genug verlässliche Zeugen für eine tawātur-Überlieferung geben. Dies sei bei der Kreuzigung Jesu aber nicht der Fall gewesen.²⁷ Die rationale Methode (minhāj ʿaqlī khāliṣ) Die christliche Dogmatik mit ihren Lehren zu Inkarnation, Kreuzigung, Sühneopfer, Erbsünde, Hypostasen oder Trinität ergibt für die Radd-Autoren und generell für die islamische Theologie keine rationale Plausibilität. Mit der rationalen Methode kritisieren sie diese Dogmen und versuchen, die Vernunftwidrigkeit dieser Lehren zu beweisen. Zweifellos waren die Muʿtazila eine der ersten theologischen Schule, die in innerislamischen Theologiediskursen die rationale Methode einsetzten, um theologische Fragestellungen anhand von logischen und rationalen Argumenten zu lösen. Dieselbe Methode wird nun hier im Radd gegen die christliche Lehre angewandt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass unter den ersten Radd-Autoren ein muʿtazilitischer Gelehrter, nämlich Abū ʿĪsā al-Warrāq anzutreffen ist, der in seinem Risāla, ähnlich wie andere Radd-Autoren auch, die christlichen Schulen der Jakobiten, Melkiten und Nestorianer darstellt und angibt, dass sie sich in der Dogmatik durch unterschiedliche Definitionen der Konzepte Hypostase und Inkarnation unterscheiden. Die Bedeutung der Hypostasen sei unklar und nicht eindeutig zu klären – auch Christen selbst hätten unterschiedliche Erklärungen abgegeben –, gemäß al-Warrāq dürfe eine theologische Dogmatik aber nicht auf Unklarheiten aufgebaut werden. Die rationale Kritik richtet sich auch gegen das Konzil von Nicäa, bei dem die Dogmatik der Trinität entschieden wurde.²⁸ Für al-Jaʿfarī ist die rationale Methode eine zentrale Herangehensweise, um erkenntnistheoretisch schlüssige Argumente zu konstruieren. Im Folgenden werden zahlreiche Argumente al-Jaʿfarīs vorgestellt, die auf logisch-deduktiven Argumenten beruhen und der rationalen Methode zuzurechnen sind.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente Al-Jaʿfarī folgt in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā einer stark interpretativen Argumentationsstrategie. Oft ergänzt das bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argument ein deduktives Argument. Die Funktion dieses Ansatzes definiert al-Jaʿfarī selbst wie folgt:

²⁷ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 159–163 und hier Abschnitt 9.10. ²⁸ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 34–35.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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»Da nun diese beiden Überlieferungen²⁹ nichtig sind, so gibt es auch keine Sohnschaft.³⁰ Und selbst, wenn diese (beiden) gültig wären, so müsste eine dieser beiden Überlieferungen ausgelegt werden, von der scheinbaren Bedeutung entfernt und auf die Bedeutung der Auserwählung, der Auswahl und der Bestimmung (Jesu) zur Dienerschaft und zum Dienst (Gottes) übertragen werden.«³¹

Zunächst versuchte al-Jaʿfarī zwei Interpretationsmöglichkeiten (›Überlieferungen‹) der Sohnschaft durch das Aufzeigen von Widersprüchen in den Evangelien und durch rational-logische Argumente zu widerlegen.³² Als dritte Möglichkeit sieht er eine übertragene Interpretation des biblischen Konzepts der Sohnschaft. Dabei hat der interpretative Ansatz die Funktion, von der scheinbaren Bedeutung eines Begriffes zu einer spezielleren, übertragenen Bedeutung überzugehen. Im obigen Beispiel ist die scheinbare Bedeutung die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Sohn‹; durch eine interpretative Argumentation, die al-Jaʿfarī vorlegt, kann dieser Ausdruck in der spezielleren Bedeutung als Dienerschaft verstanden werden. Die Funktion der Interpretation als Ermittlung einer übertragenen Bedeutung ist eine Methode, die al-Jaʿfarī in seinem Radd mehrfach heranzieht, wie folgende Beispiele belegen: Argument 1: Jesus ist der Sohn Davids ³³ »[S1] Und Gott sagte in den Psalmen zu David (Folgendes): [S1.1] ›Du bist mein Sohn und ich habe dich gezeugt, frage mich [sc. bitte mich um etwas/ wünsche dir etwas], so antworte [sc. erfülle/verwirkliche] ich (es) dir. [S2] Die Christen glauben an diese Aussagen und deren Richtigkeit. [S3] Wenn diese Angelegenheit so wäre, wie die Christen es behaupten [sc. der Messias sei Gottes Sohn], [S3.1] so meinen wir (jedoch), dass der Messias (nur) demselben Beispiel wie seine Vorgänger gefolgt ist.³⁴ [S4] Allerdings glauben wir nicht an die Richtigkeit dieser Überlieferung über Christus und über seine reines [sc. wahres] Evangelium. [S5] Dies wird durch sein Gegenteil widerlegt, und zwar wie folgt: [S6] Der Beweis für dessen Ungültigkeit und Nicht-Authentizität findet sich in dem, was das Evangelium an Aussagen Christi und seiner Jünger, welche ihn begleitet, ihm gedient und von ihm gelernt haben, beinhaltet.

²⁹ Gemeint sind die Bibelstellen Markus 3,7.10–12 und Lukas 4,40–41, die al-Jaʿfarī zuvor auf seine islamische Weise interpretiert. ³⁰ Im Sinne einer Auffassung Jesu als Gottes Sohn (vgl. dazu die in diesem Abschnitt sowie in Abschnitt 9.2 behandelten Argumente). ³¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 55. ³² Vgl. die hier in Abschnitt 9.2 behandelten Textstellen. ³³ Dieses und die folgenden Argumente aus Kapitel I von al-Jaʿfarīs Werk können alternativ auch im Rahmen des taṣnīf zur Sohnschaft Jesu betrachtet werden (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 13–15; vgl. dazu hier Abschnitt 9.4, insbesondere S. 341), sodass diese Argumente als Subargumente des taṣnīf dienen, indem sie jeweils eine der im taṣnīf angebotenen Erklärungen der Rede von Jesus als ›Gottes Sohn‹ widerlegen sollen. ³⁴ Dies bedeutet vermutlich: Wenn in der Bibel von der Gottessohnschaft Jesu gesprochen wird, dann ist das in demselben Sinne gemeint wie in der Aussage über David.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

[S7] Und es ist dasselbe, was Matthäus am Anfang seines Evangeliums erzählt. [S7.1] Er bezeugt, dass Christus Davids Sohn ist. [S7.2] Er sagt am Anfang seines Evangeliums in eigenen Worten, wie gerade erwähnt: [S7.3] ›Das ist die Geburt des Messias Yasūʿ, Sohn des David.‹³⁵ [S8] So bezeugt Matthäus, der der erste ist, der ein Evangelium schrieb, dass Christus nicht Gottes Sohn ist, sondern Davids Sohn. [S9] Und es ist dasselbe, was Lukas am Anfang seines Evangeliums erzählt und bezeugt; er sagt: [S9.1] ›Gott sandte Gabriel zu Maria, die Mutter des Messias, während sie in Nazareth war. [S9.2] Er grüßte sie und sagte: ›Freue dich!‹ ‹³⁶ [S10] Anschließend bezeugt Lukas genau das, was Matthäus bezeugt, und zwar, dass Christus Davids Sohn ist (und dass Maria einen Sohn gebären wird): ›[S10.1] Du wirst einen Sohn gebären. [S10.2] Er wird Jesus der Messias genannt. [S10.3] Gott wird ihn auf dem Thron seines Vaters David sitzen lassen.‹³⁷«³⁸

Argument 2: Jesus will nicht ›Gottes Sohn‹ genannt werden »[S11] Zudem überliefert der heilige Markus (Ähnliches) im Evangelium, wo es heißt: [S11.1] ›Christus und seine Jünger sind in den See gegangen, und eine große Menge folgte ihm. [S11.2] Und er heilte die Kranken unter ihnen. [S11.3] Und sie sagten: ›Du bist Gottes Sohn!‹³⁹ [S11.4] Und er untersagte ihnen es [sc. diese Zuschreibung].‹⁴⁰ [S12] Und Lukas sagt: [S12.1] ›Jeder, der einen Kranken hatte, kam mit ihm zu Christus, der die Hand auf ihn legte, und dieser heilte (den Kranken) sofort. [S12.2] Daraufhin sagt er [sc. der Geheilte]: ›Du bist Gottes Sohn!‹ [S12.3] Er [sc. Jesus] pflegte jedoch sie [sc. die, die diese Zuschreibung machten] abzuweisen und ließ sie dies nicht sagen.‹⁴¹ [S13] Dieses Evangelium leugnet (also) das ab, was über Christus gesagt wird. [S14] Die Aussagen seiner Jünger und tugendhaften Gefährten bezeugen, dass er Davids Sohn ist und nicht (der Sohn) eines anderen. [S15] Da nun diese beiden Überlieferungen nichtig sind, so gibt es auch keine Sohnschaft.«⁴²

³⁵ Matthäus 1,1. ³⁶ Lukas 1,26–28 (gekürzt). ³⁷ Nach Lukas 21,31–32. ³⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 43–52. ³⁹ Die Übersetzung folgt dem Text der Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, fol. 10b. Ḥasanayn fasst diese Aussage dagegen als Frage auf, sodass gemäß seiner Edition »Bist du Gottes Sohn?« zu übersetzen wäre. ⁴⁰ Nach Markus 3,7.10–12 (gekürzt). ⁴¹ Nach Lukas 4,40–41 (gekürzt). Im Bibeltext nennen allerdings die ausgetriebenen Dämonen Jesus ›Gottes Sohn‹, nicht die Geheilten. Es ist merkwürdig, dass al-Jaʿfarī dies nicht für seine Argumentation ausnützt; das könnte ein Hinweis darauf sein, dass schon in der al-Jaʿfarī vorliegenden Übersetzung die Aussage den Geheilten zugeschrieben wurde. ⁴² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 52–55.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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Argument 3: ›Sohn‹ steht übertragen für Diener und Auserwählter »[S17] Mit seinen Worten im Evangelium: [S17.1] ›Dieser ist mein Sohn‹⁴³ meint Gott der Erhabene: [S17.2] ›Mein Diener und mein Geliebter‹. [S18] Die Bezeichnung ›Sohnschaft‹ (al-bunuwwa) wird auch übertragen für die Dienerschaft (al-ʿubūdiyya) und die Anstrengung im Dienste (Gottes) verwendet. [S19] Und der Beleg für diese übertragene Verwendung ist, dass es [sc. das Wort ›Sohn‹] in den Büchern der Christen in den meisten Fällen in dieser Bedeutung gebraucht wird. [S20] Wenn die Sohnschaft in einigen Überlieferungen allgemeiner dargestellt werden kann, dann muss das Allgemeine auf das Eingeschränkte übertragen werden.⁴⁴ [S21] Der Beweis dafür aus der Tora ist folgende Aussage Gottes, des Erhabenen: [S21.1] ›Oh Mose, sage dem Pharao: ›Der Herr Gott sagt zu dir: Israel ist mein erstgeborener Sohn, schicke ihn, damit er mich anbetet.‹ ‹⁴⁵ [S22] Der Sohn wird (hier) als Diener interpretiert. [S22.1] Und er erklärt, dass Israel ein gehorsamer Diener ist, der sich dem Dienste Gottes widmet und ihn anbetet. [S23] Und was die Psalmen angeht, so sagt Gott in ihnen zu David (Folgendes): [S23.1] ›Du bist mein Sohn und heute habe ich dich gezeugt. Bitte mich, so gebe ich dir.‹⁴⁶ [S24] Er hat auf die Dienerschaft dadurch hingewiesen, dass David ihn um etwas bittet [sc. sich von ihm demütig etwas wünscht]. [S25] Und Christus sagte im Evangelium: [S25.1] ›Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.‹ [S26] Christus erklärt damit, dass er ein Mensch ist und Diener Gottes: Christus hat einen Gott, dem er dient und zu dem er sich begibt.«⁴⁷

Die drei Teile bzw. Varianten der Argumentation sollen nun einzeln näher untersucht werden. Zu Argument 1: Jesus ist Davids Sohn (d. h. Nachkomme), nicht Gottes Sohn Al-Jaʿfarī geht von dem Umstand aus, dass die Evangelien Jesus auch als Sohn, d. h. Nachkommen Davids bezeichnen. Seine Argumentationsstrategie kann wie folgt zusammengefasst werden: ›Wenn der Opponent akzeptiert, dass Jesus in der Bibel als Sohn, d. h. leiblicher Nachkomme Davids bezeichnet wird, dann dürfte er keinen biblisch begründeten Anspruch darauf haben, dass Gott der Vater Jesu ist.‹ Um das Antezedens zu belegen, konstruiert er das hier als Argument 1 bezeichnete Argument. Al-Jaʿfarī ist dabei vollkommen klar, dass mit der Bezeichnung ›Davidsohn‹ nicht gemeint ist, dass Jesus ein leiblicher Sohn Davids sei, sondern er sieht hierin einen Hoheitstitel; ohnehin

⁴³ Matthäus 3,17, Markus 1,11, Lukas 3,22, mit Bezug auf Psalm 2,7. ⁴⁴ D. h., die Sohnschaft an sich muss als Sohnschaft im Sinne von Dienerschaft verstanden werden, wenn die wörtliche (leibliche, biologische) Bedeutung nicht in Frage kommt. ⁴⁵ Exodus 4,22–23. ⁴⁶ Psalm 2,7–8. ⁴⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 55–63.

304

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

passt die wörtliche Interpretation nicht zur islamisch-koranischen Erzählung. Was al-Jaʿfarī hier jedoch aufzeigt, ist die Problematik, dass der Opponent Jesus zugleich die Hoheitstitel ›Davidsohn‹ und ›Gottessohn‹ zuschreibt. Darin sieht al-Jaʿfarī einen Widerspruch. In S7 bis S10.2 bringt al-Jaʿfarī zwei biblische Belege dafür, dass Jesus Davids Sohn (d. h. Nachkomme) sei, zunächst eine Überlieferung von Matthäus, die besagt, dass der Messias Yasūʿ, Sohn des Davids ist (vgl. S7.3).⁴⁸ Al-Jaʿfarī folgert daraus, dass Matthäus, »der erste, der ein Evangelium schrieb«, damit bezeuge, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei, sondern Davids Sohn (vgl. S8), d. h. ein Nachfahre Davids und damit nur menschlich ist. Als zweiten Beleg zieht al-Jaʿfarī das Lukasevangelium heran⁴⁹ und folgert daraus, dass (i.) Maria einen Sohn gebar und dieser (ii.) ein Sohn Davids ist (vgl. S9–S10.2). An dieser Stelle ist die Frage zentral, ob al-Jaʿfarī wirklich beweisen will, dass Jesus ein Nachkomme David ist, oder er nur zeigen will, was die Bibel sagt, ohne aber die Wahrheit des Gesagten zu behaupten. Es liegt nahe, dass die zweite Option die wahre Intention al-Jaʿfarīs ist. Eine mögliche Rekonstruktion dieses Arguments kann wie folgt dargestellt werden (Rekonstruktion 1): P1: eP2: K1: eP3: K2:

Die Bibel sagt, dass Jesus Sohn (d. h. menschlicher Nachfahre) Davids ist. (vgl. S7.3, S8, S10.3) Die Christen nehmen an: Es ist wortwörtlich zu glauben, was in der Bibel steht. (vgl. S2) Gemäß der Bibel ist zu glauben, dass Jesus Sohn (d. h. menschlicher Nachfahre) Davids ist. (aus P1, eP2) Wer Sohn (d. h. menschlicher Nachfahre) Davids ist, kann nicht Gottes Sohn sein.⁵⁰ Gemäß der Bibel ist zu glauben, dass Jesus nicht Gottes Sohn ist. (aus K1, eP3)

Diese interpretative Argumentation ist bibelbasiert. Die Struktur der Argumentation S1–S10 kann wie folgt interpretiert werden. Die Argumentationsindikatoren der Argumentation sind S5, S8 und S10. Die These befindet sich in S4 und lautet, kurz formuliert: Jesus ist nicht Gottes Sohn. S3.1 besagt, dass die Bibel, wenn sie von der Gottessohnschaft Jesu spricht, dies in einem ähnlichen Sinn wie in den Aussagen der Psalmen über David meint. Demnach ist ›Sohn‹ ein Ehrentitel, der ausdrückt, dass Gott sich des so Genannten besonders annimmt bzw. dass der so Genannte Gott besonders ehrfürchtig dient. Die Bibel sage, dass Jesus ein ›Sohn‹ im Sinne von ›Nachfahre‹ Davids sei. Demnach will S8 darauf hinweisen, dass Jesus, wenn er ein Sohn, d. h. Nachfahre Davids ist, eben nicht Gottes Sohn ist. Allerdings fehlt bei al-Jaʿfarī eine Begründung für diese

⁴⁸ Matthäus 1,1. ⁴⁹ Nach Lukas 1,26–28 (gekürzt) und Lukas 21,31–32. ⁵⁰ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 50–55.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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Prämisse, weshalb diese in einer Rekonstruktion als Ergänzungsprämisse erscheint, da die Begründung erschlossen werden muss. Wie könnte jedoch diese Begründung aussehen? (1.) Der direkte Weg ist ausgeschlossen: Wenn Jesus Gottes Sohn und Nachfahre Davids wäre, müsste Gott selbst ein Nachfahre Davids sein. Das ist aber aus zwei Gründen ausgeschlossen: (i.) Gott ist Sohn von niemanden, sondern Schöpfer aller Dinge und (ii.) David ist ja schon Gottes Sohn, also gewissermaßen jünger als Gott. Also kann Gott nicht der Nachfahre Davids sein, denn dazu müsste er jünger sein als David. (2.) Damit wird aber die christliche Interpretation nicht ausgeschlossen (ein leiblicher Nachfahre Davids könnte weiterhin im christlichen Sinne Gottes Sohn sein). Damit wäre zumindest eine Erklärung gegeben, um die obige Prämisse al-Jaʿfarī zuzuschreiben, ohne seinem Kontext zu widersprechen. Eine weitere Interpretation kann wie folgt erfolgen. Das Matthäus-Zitat in S7.3 »Das ist die Geburt des Messias Yasūʿ, Sohn des David« deutet alJaʿfarī wortwörtlich, ohne auf die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ›Sohn des David‹ einzugehen. Christlich betrachtet, ist ›Davids Sohn‹ als ein Hoheitstitel zu verstehen, der zum einen auf die Abstammung Jesu hinweist und zum anderen Jesus als Hoffnungsträger darstellt. Auf diese Lesart geht al-Jaʿfarī aber nicht ein – entweder kennt er diese christliche Lesart nicht, oder aber er interpretiert die Bibel bewusst auf diese Weise, damit seine These belegt wird. Doch die Stärke der Argumentation des al-Jaʿfarī liegt in ihrer Einfachheit. Die Frage, die sich hier erkenntnistheoretisch stellt, ist, ob eine textbasierte bzw. in diesem Fall bibelbasierte Argumentation die Verpflichtung hat, die Texte hermeneutisch zu interpretieren. Wenn die Interpretation einer Textstelle nicht eindeutig bestimmbar ist oder sogar mehrere mögliche und sinnvolle Interpretationen vorliegen, welcher Interpretation soll dann gefolgt werden und aus welchem Grund? Ist im Falle, dass mehrere Interpretationen in Konkurrenz stehen, die einfache wortwörtliche Interpretation des Textes nicht genau so stark wie eine metaphorische Interpretation, ja unter bestimmten Bedingungen sogar noch stärker? Dieses Problem ist al-Jaʿfarī möglicherweise bekannt, denn er möchte darlegen, dass die Evangelien Jesus im Grunde als Davids Sohn darstellen, weshalb er neben dem Matthäusevangelium auch Markus und Lukas heranzieht. Er versucht somit seine Interpretation zu belegen. Nur theoretisch unter der theologischen Bedingung – unabhängig davon, ob diese Bedingung tatsächlich von einer theologischen Schule bejaht wird –, dass die Evangelien wortwörtlich zu verstehen seien, ist das Argument des alJaʿfarī ein stärkeres Argument gegenüber den christlichen Lesarten. Al-Jaʿfarī geht hier von einer koranischen Lesart der Bibel aus, die zwar den Koran selbst als interpretationsbedürftig betrachtet, aber diese Evangelienstellen als eindeutige Aussagen betrachten würde, weil der Wortlaut eindeutig sei. Somit ist ein Kriterium für al-Jaʿfarīs wortwörtliche Interpretation dieser Bibelstellen die Eindeutigkeit des Wortlautes, weshalb er in S7.2 darauf besteht, dass seine Darstellung bei Matthäus »in eigenen Worten« genauso wiederzufinden ist.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Ausgehend von dieser Interpretation kann das oben rekonstruierte Argument vom Opponenten durch den Einwand kritisiert werden, dass das Konzept ›Sohn‹ interpretationsbedürftig ist. Al-Jaʿfarī geht daher auf diesen denkbaren Einwand ein und bringt folgendes Argument (Rekonstruktion 2): eP1: P2:

Die Christen glauben, dass Jesus wortwörtlich Gottes Sohn ist. Die Bibel sagt, dass Jesus Davids Sohn ist. (vgl. S1–S1.1)

K1:

Entweder sagt die Bibel die Unwahrheit oder die Bezeichnung Jesu als ›Sohn Gottes‹ muss interpretiert werden. (aus eP1, P2)

Obwohl al-Jaʿfarī von der teilweisen Verfälschtheit der Bibel ausgeht, kann er aus islamisch-theologischer Sicht annehmen, dass die Bibel die Wahrheit sagen könnte, da sie aus seiner islamischen Perspektive ursprünglich auf einer Offenbarung basiert. Daher akzeptiert er die Annahme, dass die Bibel das Konzept ›Sohn‹ tatsächlich heranzieht, aber etwas anderes damit intendiert, als die Christen annehmen. Al-Jaʿfarī hält somit die Bibel nicht an sich für unwahr. Daher bleibt ihm die Aufgabe, das Konzept ›Sohn‹ zu interpretieren.⁵¹ Dabei richtet sich seine interpretative Argumentation gegen die christliche Auffassung, dass Jesus Gottes Sohn ist und die Aussage, dass Jesus Davids Sohn ist, metaphorisch als Hoheitstitel zu verstehen sei. Al-Jaʿfarī musste diese Interpretation – insofern er sie kannte – unzutreffend erscheinen. Er wirft der christlichen Deutung vor, ohne Beleg und Hinweise zu sein. Al-Jaʿfarī besteht darauf, dass es für eine Interpretation Belege und Hinweise geben muss. Al-Jaʿfarī entwickelt mit seiner Argumentation die Idee, dass in der Bibel die ›Sohnschaft‹ metaphorisch verstanden werden kann und dass die Christen dies auch im Falle Jesu tun müssen, wenn sie nicht in Widersprüche geraten möchten. Die Bibel zeige deutlich, wie man ›Gottes Sohn‹ zu verstehen habe, und liefere keinen hinreichenden Beleg für die christliche Interpretation. Seine eigene Interpretation hingegen stellt al-Jaʿfarī als die bessere bzw. – im Sinne von Lumer – als wahrscheinlichere Interpretation dar.⁵² Allerdings spricht al-Jaʿfarī

⁵¹ Das ist auch bei der biblischen Aussage in S1.1 der Fall. Dahinter verbirgt sich das Prinzip, dass auch wenn S1.1 in der Bibel stehen würde und die Bibel die Wahrheit, d. h. die Offenbarung wiedergäbe, wie Gott sie beabsichtigt hatte, dies doch nur metaphorisch verstanden werden dürfe und Jesus Sohnschaft dementsprechend interpretiert werden müsse (S3–S3.1). ⁵² Erkenntnistheoretisch gesehen müssen interpretative Argumentationen strenge Bedingungen erfüllen, damit sie das Erkennen anleiten und Erkenntnis generieren können. Lumer stellt dafür folgendes Kriterium auf: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört« (vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92). Dabei sind interpretative Argumente erkenntnistheoretisch nicht wertlos und alle interpretativen Möglichkeiten gleichwertig. Eine Lösung für dieses Problem liefert die Wahrscheinlichkeit. Verschiedene interpretative Möglichkeiten erhalten unterschiedliche Werte, sodass eine Interpretation als wahrscheinlicher gestuft werden kann als eine andere (vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92–93).

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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nicht von Wahrscheinlichkeit, weshalb man diese Einschätzung mit Vorsicht behandeln muss. Vermutlich ist al-Jaʿfarī der Überzeugung, die alternativen Interpretationen tatsächlich ausgeschlossen zu haben. Andernfalls müsste er ja anschließend eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit vornehmen. Alternativ könnte man sagen, dass er seine eigene Interpretation als die (einzig) mögliche in Vergleich zu den unmöglichen betrachtet. Seine interpretative Argumentation dafür, dass die Gottessohnschaft Jesu metaphorisch zu verstehen ist, kann – sehr frei auf die Implikationen des Textes vor allem zwischen S6 und S10.3 gestützt – wie folgt rekonstruiert werden (Rekonstruktion 3): P1: P2: P3: P4: P5:

Entweder ist S1–S1.1 metaphorisch oder wortwörtlich zu interpretieren. Wenn metaphorisch, dann ist David nicht wirklich Gottes Sohn. Wenn wortwörtlich, dann ist David wirklich Gottes Sohn. Wenn metaphorisch, dann benutzt die Bibel das Konzept ›Gottes Sohn‹ metaphorisch. Die Bibel nennt Jesus ›Gottes Sohn‹.

K1:

Jesus ist nur metaphorisch Gottes Sohn (und nicht wirklich Gottes Sohn).

Diese Rekonstruktion zeigt jedoch noch nicht, dass Davids Gottessohnschaft nur metaphorisch zu verstehen ist. Dies ist vermutlich auch nicht die Intention al-Jaʿfarīs, denn selbst wenn die Gottessohnschaft bei David metaphorisch wäre, muss sie es bei Jesus nicht auch sein. Die These des al-Jaʿfarī ist vielmehr, dass Jesus nur metaphorisch Gottes Sohn ist. Die zentrale Prämisse dieses Arguments ist P4. Denn das Argument ist gültig und leitet einen Adressaten, der alle Prämissen für wahr hält, zur Erkenntnis der Konklusion an, da diese aus den Prämissen logisch abgeleitet wird. Nun ist es jedoch nicht unzweifelhaft, ob Christen P4 unkommentiert annehmen würden. Die Akzeptanz von P4 im Falle Davids zwingt logisch nicht zur Übertragung dieses Konzepts auf Jesus, auch wenn al-Jaʿfarī dies durch P5 suggeriert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bibel denselben Ausdruck an unterschiedlichen Stellen in zwei oder sogar mehr Bedeutungen verwendet. Die Interpretation auf eine Deutung zu reduzieren und diese auf alle Fälle anzuwenden, ist argumentativ nicht zwingend. Aber genau darauf will alJaʿfarīs interpretativer Ansatz hinaus. Er möchte letztlich zeigen, dass seine Interpretation, ausgehend von der Verwendung der Bibel, wahrscheinlicher und dadurch argumentativ effektiver ist. P4 ist also möglicherweise falsch. Aus der einmaligen metaphorischen Verwendung von ›Gottes Sohn‹ schließt P4 auf eine generelle Verwendung in diesem Sinne. Da P4 das Ergebnis eines interpretativen Ansatzes ist, ist zu prüfen, ob diese Interpretation die einzig mögliche Erklärung ist. Nur dann kann diese Aussage als wahr klassifiziert werden. Ist dies nicht der Fall, muss bestimmt werden, ob sie wahrscheinlich ist. Dass sie statt wahr lediglich wahrscheinlich ist, schwächt zwar das Argument, dennoch ist es ein effektives Argument, denn (i.) gibt

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

es keine andere Interpretation, die unter diesen Bedingungen möglich⁵³ ist, (ii.) basiert das Argument auf einer möglichen Erklärung. Nur wenn bestimmt werden kann, dass eine andere Erklärung wahrscheinlicher ist als die Erklärung al-Jaʿfarīs, kann eine Bewertung unternommen und al-Jaʿfarīs Argument entkräftet werden. Tatsächlich ist P4 nicht die einzig mögliche Interpretation: Es bestehen andere mögliche Interpretationen, wie etwa die christliche. Diese Bedingungen sind dem Argumentierenden – hier al-Jaʿfarī – zumindest implizit bekannt. Denn die Funktion dieser Argumente für seine Interpretation ist ja, die Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit seiner Interpretation zu erhöhen, um so seine Argumentation im Vergleich zu alternativen Interpretationen als zwingend zu erweisen. Al-Jaʿfarīs Absicht ist somit, zwingende Interpretationen zu konstruieren. Freilich zeigt die Analyse seiner Argumente, dass die Konstruktion zwingender Argumente keine leichte Aufgabe ist und al-Jaʿfarī Schwierigkeiten hat, sein Ziel zu erreichen. Wir begnügen uns hier damit, mit der obigen Rekonstruktion festgestellt zu haben, dass die Interpretation des al-Jaʿfarī wahrscheinlich ist. Ohne an dieser Stelle die Aufgabe übernehmen zu wollen, zwischen den Interpretationen zu urteilen – denn dies ist die Aufgabe des Radds –, kann gesagt werden, dass die Bewertung mehrerer Interpretationen keine Wahrheit bestimmen kann, solange die vorliegende Interpretation nicht die einzig mögliche Erklärung ist.⁵⁴ Was weiterhin die Wahrheit der Prämissen angeht, so kann P1 als analytisch wahrheitsähnlich betrachtet werden.⁵⁵ Es ist jedoch nur dann wahr, wenn ein Konzept entweder metaphorisch oder wortwörtlich zu verstehen ist, wenn also tatsächlich nur diese beiden Möglichkeiten gegeben sind. Daraus würde auch die Wahrheit von P2 und P3 folgen. Das ist jedoch fraglich. Ob ein Konzept metaphorisch oder wortwörtlich zu verstehen ist, ist etwas anderes als die analytisch wahre Aussage ›Eine Münze zeigt entweder die Seite x oder die Seite y‹. Vor allem kommt es auf die Definition des Konzepts an, über dessen Eigenschaft geurteilt wird. In P1 ist es ein Wort bzw. eine Aussage in einem Text. Ist ein Wort also tatsächlich nur entweder metaphorisch oder wortwörtlich zu verstehen, so müsste die Definition des Wortes dementsprechend ausgerichtet sein. Nun würde die Definition, dass ein Wort stets gemäß seiner wörtlichen Bedeutung verstanden werden muss, die Möglichkeit ausschließen, dass es metaphorisch verstanden werden kann. Doch diese Definition würde zu kurz greifen. Es gibt tatsächlich Wörter bzw. Aussagen, die nur oder zumindest auch

⁵³ Eventuell könnte man an dieser Stelle statt ›möglich‹ auch ›wahr‹ sagen, denn wenn es keine andere mögliche Erklärung gibt, ist die einzig mögliche Erklärung wahr und eben nicht nur wahrscheinlich. ⁵⁴ Wer sich dieser Aufgabe stellen möchte, findet hinreichende Ansätze dazu bei Lumer. Vgl. hierzu die in der Bibliographie aufgeführten Titel, insbesondere Lumer, »Handlungstheoretisch erklärende Interpretationen«. ⁵⁵ Es gibt jedoch noch andere mögliche Betrachtungen, denn es gibt etwa die Möglichkeit wahrer metaphorischer Bedeutungen. Die Christen könnten z. B. eine Art Sohnschaft der Seele meinen.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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in der metaphorischen Anwendung Sinn machen, wie etwa die Aussage ›Ich habe dir das Herz gebrochen‹. Diese Aussage wortwörtlich zu verstehen, würde bedeuten, dass der Interpret die Aussage nicht ihrem Sinn gemäß erfassen kann. Damit steht fest, dass ein Wort bzw. eine Aussage tatsächlich wortwörtlich oder metaphorisch verstanden werden kann. Doch gibt es noch eine dritte Möglichkeit? In der Tat gibt es mindestens eine dritte Möglichkeit, die zwar der metaphorischen Verwendung ähnlich ist, sich aber dennoch von dieser unterscheidet – und zwar, das Wort bzw. die Aussage weder wörtlich zu nehmen noch die nächstliegende metaphorische Bedeutung heranzuziehen, sondern zu versuchen, den Text historisch und hermeneutisch zu verstehen. Zum Verstehen eines Wortes bzw. einer Aussage gehört mehr, als nur seine wortwörtliche oder metaphorische Bedeutung zu kennen, nämlich, die Aussage kontextgebunden zu verstehen. Damit lässt sich dem Wort oder der Aussage in der Tat ein neuer Sinn geben. Ohne diese dritte Möglichkeit hier näher beschreiben zu wollen – denn uns geht es an dieser Stelle allein darum, zu zeigen, dass es in der Tat eine dritte Möglichkeit für P1 gibt –, kann festgehalten werden, dass die einfache Zweiteilung (Disjunktion) in P1 nicht weit genug gedacht wurde. Sie übersieht nämlich, dass es zahlreiche weitere (wenn auch teilweise abwegige) mögliche Interpretationen der Gottessohnschaft Jesu gibt, z. B. dass die Seele Jesu auf irgendeine Weise von Gott stamme. Daher kann diese Aussage zwar als wahrheitsähnlich, aber nicht als analytisch wahr eingestuft werden – während al-Jaʿfarī womöglich von der analytischen Wahrheit (als badīhiyyāt⁵⁶) dieser Aussage ausgeht. Dass P4 problematisch ist, wurde schon gesagt. Was die Aussage P5 angeht, so ist diese Aussage eine naql-Prämisse, d. h. sie basiert auf Tradition und ist wahr: Die Bibel bezeichnet Jesus tatsächlich als ›Gottes Sohn‹. Nur wenn der Bibeltext als nicht-authentisch betrachtet würde, würde sich eine alternative Betrachtung anbieten. Doch an dieser Stelle geht al-Jaʿfarī von der Wahrheit dieser Aussage aus. K1 ist von der Bewertung der Prämissen her betrachtet problematisch und kann im besten Fall als wahrscheinlich wahr gelten. Möglicherweise hatte alJaʿfarī auch lediglich die Intention, eine plausible Alternative zur christlichen Lesart zu konstruieren; dieser Zweck wird von der Argumentation erfüllt. Ergänzung: Das Gleichwertigkeitsargument Eng verbunden mit dem ersten Argument ›Jesus ist Davids Sohn (d. h. Nachkomme), nicht Gottes Sohn‹ ist ein anderes bibelbasiertes Argument, das man als Gleichwertigkeitsargument bezeichnen kann.⁵⁷ Al-Jaʿfarī konstruiert gegen

⁵⁶ Zum Prämissentyp badīhiyyāt vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 190. ⁵⁷ Dieses Argument behandelt die vierte Möglichkeit aus dem ersten taṣnīf in § 13 von al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā. Tatsächlich können dieses und die anderen Argumente aus Kapitel I von al-Jaʿfarīs Werk alternativ auch im Rahmen des taṣnīf zur Sohnschaft Jesu betrachtet werden (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 13–15; vgl. dazu hier Abschnitt 9.4, insbesondere S. 341), sodass diese Argumente als Subargumente des taṣnīf dienen, indem sie

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

die Möglichkeit, dass die Christen Jesus im wortwörtlichen Sinne als Gottes Sohn verstehen und sich dafür auf die Evangelien berufen, ein Argument, das implizit auf der folgenden Prämisse beruht: Prämisse Gleichwertigkeitsprinzip: Wenn x als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet wird und x nicht wortwörtlich Gottes Sohn ist, dann ist y, der als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet wird, ebenfalls nicht wortwörtlich Gottes Sohn. Um das Antezedens dieser Implikation biblisch zu belegen, zieht al-Jaʿfarī ein Zitat über König David heran: »[S1] Und die Christen glauben an diese Überlieferungen der Tora und leugnen in ihnen keinen einzigen Buchstaben […] [S2] Und sie sagten: Gott hat im Zabūr (Psalmen) gesagt: ›David ist mein lieber Sohn.‹ [S3] Das zeigt eine Gleichwertigkeit zwischen David und Christus; [S3.1] so wie es auch im Evangelium steht: ›Dies ist mein geliebter Sohn‹ […]. [S4] Wir sind der Meinung, dass der Messias [sc. Jesus] keinen Vorrang im Vergleich mit den anderen hätte, denen diese Bezeichnung auch zugeschrieben wurde.«⁵⁸

Mit diesem Argument möchte al-Jaʿfarī belegen, dass mit Bibelstellen, in denen Jesus als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet wird, nicht seine Gottessohnschaft bewiesen werden kann. Denn nach dem Gleichwertigkeitsprinzip müsste dann auch David im wörtlichen Sinne Gottes Sohn sein. Das würden seine christlichen Opponenten ablehnen. Daher hat dieses Argument nicht die Funktion, die Gottessohnschaft Jesu direkt zu widerlegen, sondern eine mögliche christliche Beweisführung für diese Gottessohnschaft zu unterminieren. Die Prämisse hat den Anschein, eine logisch konstruierte badīhiyyāt-Prämisse, also ein Axiom zu sein, das aber durch naql, also durch eine Überlieferung begründet wird. Das Gleichwertigkeitsargument kann ausgehend vom Gleichwertigkeitsprinzip wie folgt deduktiv als Modus Ponens rekonstruiert werden: P1:

P2: T:

Wenn David in der Bibel als Gottes Sohn bezeichnet wird und David nicht wortwörtlich Gottes Sohn ist, dann ist Jesus, der als Gottes Sohn bezeichnet wird, ebenfalls nicht wortwörtlich Gottes Sohn. David wird in der Bibel als Gottes Sohn bezeichnet und David ist nicht wortwörtlich Gottes Sohn. Jesus, der als Gottes Sohn bezeichnet wird, ist ebenfalls nicht wortwörtlich Gottes Sohn. (Modus Ponens aus P1, P2)

Das Gleichwertigkeitsargument besteht aus einer Menge von Argumenten für die These T und hat keinen klassischen Argumentationsindikator. Vielmehr übernimmt S4 diese Funktion. S4 besagt, dass Jesus keinen Vorrang vor zu anderen in der Bibel als Gottes Sohn bezeichneten Personen hat. Diese These steht der christlichen Lehre diametral entgegen. jeweils eine der im taṣnīf angebotenen Erklärungen der Rede von Jesus als ›Gottes Sohn‹ widerlegen sollen. ⁵⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 34–39; zitiert wird Matthäus 3,17 (ähnlich Markus 1,11 und Lukas 3,22, unter Bezug auf Psalm 2,7).

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

311

Die These T des Gleichwertigkeitsarguments ist, dass Jesus, der von Christen als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet wird, nicht im wörtlichen Sinne Gottes Sohn sei. Die Zielrichtung der Argumentation besteht nicht etwa darin, die Gottessohnschaft Jesu abzulehnen, sondern vielmehr darin, eine mögliche christliche bibelbasierte Beweisführung für diese Gottessohnschaft für ungültig zu erklären. Präzise formuliert lautet die These daher, dass Jesus nicht wortwörtlich Gottes Sohn ist, nur weil das in der Bibel berichtet wird. Denn in der Bibel werden auch andere Personen als ›Gottes Sohn‹ bezeichnet, die auch von den Christen nicht im Wortsinn als Gottes Söhne anerkannt werden. S4 als impliziter nicht-klassischer Argumentationsindikator zeigt, dass alle Argumente in den Sätzen S1 bis S3.1 die These T begründen, dass Jesus keinen Vorrang hat, die ebenfalls in S4 ausgedrückt wird. Obwohl das Gleichwertigkeitsargument deduktiv rekonstruiert wurde, basiert das Gleichwertigkeitsprinzip auf einer interpretativen Ableitung. In der Tat wäre eine Rekonstruktion nach dem interpretativen erkenntnistheoretischen Prinzip möglich. Dann wäre die These des Gleichwertigkeitsarguments, dass die Gottessohnschaft Jesu nicht aus der Bibel abgeleitet werden kann, eine alternative Interpretation zu der christlichen Interpretation, dass Jesus gerade aufgrund biblischer Überlieferung Gottes Sohn ist. In der folgenden Darstellung wird dieser interpretative Prozess jedoch vielmehr als ein Prozess der Generierung der Prämisse verstanden. Denn das eigentliche Argument lässt sich in Form einer Deduktion authentischer darstellen und analysieren.⁵⁹ Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen logisch die These implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusion K1 lässt sich logisch aus den Prämissen P1 und P2 herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Rekonstruktion). Was die Wahrheit der Prämissen angeht: P1 ist eine zweifelhafte, aber wahrheitsähnliche Prämisse. Denn wenn David als Gottes Sohn bezeichnet wird, ohne wirklich Gottes Sohn zu sein, dann könnte auch Jesus als Gottes Sohn bezeichnet werden, ohne dabei wirklich Gottes Sohn zu sein. Wenn die Prämisse diese Möglichkeit zeigt, dann ist sie wahrheitsähnlich und somit wahrscheinlich wahr. Sie kann jedoch auch angezweifelt werden, weil sie eine unbegründete Verknüpfung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament konstruiert, ohne auf die Interpretation der Christen einzugehen – denn die christliche Interpretation ist zumindest eine weitere mögliche Erklärung. Die Argumentation wäre erst dann stärker, wenn al-Jaʿfarī die Wahrscheinlichkeitswerte beider Erklärungen bewerten würde. Jedoch wird im Gleichwertigkeitsargument die christliche Erklärung weitgehend außer Acht gelassen. P2 scheint wahr zu sein. Tatsächlich

⁵⁹ Es wurde schon darauf hingewiesen, dass eine Rekonstruktion immer eine Interpretation des Arguments darstellt und dass es alternative Rekonstruktionen geben kann, die ggf. auf anderen Erkenntnisprinzipien basieren. Wichtig ist, dass die gewählte Rekonstruktion eine der möglichen Rekonstruktionen darstellt und korrekt ist. Verschiedene Möglichkeiten der Rekonstruktion ändern aber nicht den Schluss dieser Studie, nämlich, dass die vorgefundenen Argumentationen erkenntnistheoretisch ausgerichtet sind.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

wird David im Alten Testament als Gottes Sohn bezeichnet, ohne dass damit der Anspruch erhoben würde, dass David wirklich Gottes Sohn ist. Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten sollen einen, gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten, genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren.⁶⁰ Die obige Argumentation liefert nach den Ansprüchen des Adressaten keine hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv gesehen zweifelhaften Prämissen, wie etwa P1. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden, wie etwa P2, sind die Prämissen P1 und P2 in dieser Form nur wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, wofür ein hinreichend starke Begründung vorliegt. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These jedoch stark gesenkt. Denn P1 kann durch eine christliche alternative Interpretation leicht in Zweifel gezogen werden, auch wenn diese Prämisse nicht als völlig falsch erwiesen werden kann. Zu Argument 2: Jesus lehnt selbst ab, ›Gottes Sohn‹ genannt zu werden Auch Argument 2 ist ein interpretatives bibelbasiertes Argument. Al-Jaʿfarī zieht hierzu zwei Belege heran, einen aus dem Markus- und einen aus dem Lukasevangelium.⁶¹ Im Markusevangelium fragten die Jünger Jesu, ob er Gottes Sohn sei. Darauf untersagte ihnen Jesu diese Zuschreibung (vgl. S11.1–S11.4). Daraus leitet al-Jaʿfarī nun ab, dass Jesus die Bezeichnung als ›Gottes Sohn‹ abgelehnt habe und somit auch nicht Gottes Sohn sei. Hinter dieser Interpretation verbirgt sich folgendes Prinzip: Wenn über x die Zuschreibung y gemacht wird, aber x selbst die Zuschreibung y ablehnt und die Kompetenz hat, selbst über die Wahrheit der Zuschreibungen über sich selbst zu urteilen, dann kommt x nicht die Zuschreibung y zu. Dieses Prinzip, angepasst an das Argument al-Jaʿfarīs, hat vier Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen: i. Jesus (x) wird zugeschrieben, dass er Gottes Sohn (y) sei. ii. Jesus (x) hat die Kompetenz, selbst über die Zuschreibungen an sich selbst zu bestimmen. iii. Jesus (x) lehnt es ab, Gottes Sohn (y) zu sein. iv. Es wäre falsch, dass Jesus das ›Gottes Sohn‹-Sein akzeptiert, wenn er es in Wirklichkeit nicht ist.

⁶⁰ Vgl. Lumer, »Argument/Argumentation« 227–240. ⁶¹ Markus 3,7.10–12; Lukas 4,40–41.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

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Die erste Voraussetzung ist erfüllt: Die Christen schreiben Jesus zu, Gottes Sohn zu sein. Die zweite Voraussetzung ist auch erfüllt: Die Christen würden akzeptieren, was Jesus über sich selbst sagt. Die dritte Voraussetzung ist erfüllt, jedenfalls sprechen zumindest einige Stellen der Evangelien dafür, da Jesus in diesen Evangelienstellen in der von al-Jaʿfarī zitierten Form die Bezeichnung als ›Gottes Sohn‹ tatsächlich ablehnt. Problematisch ist hingegen die vierte Voraussetzung, denn eine Zuschreibung zu untersagen kann viele mögliche Gründe haben; z. B. könnte Jesus die Bezeichnung aus einer Art Bescheidenheit ablehnen. (Der Umstand, dass v. a. im Markusevangelium Jesus seinen Jüngern und den von ihm geheilten Personen immer wieder untersagt, von seinen Wundern zu berichten oder ihn als Messias anzusprechen, wird in der christlichen Theologie unter dem Begriff ›Messiasgeheimnis‹ diskutiert.⁶²) Al-Jaʿfarīs Interpretation ist auch deshalb schwach, weil Jesus eben nicht eindeutig sagt, dass er nicht Gottes Sohn ist.⁶³ Somit ist auch die Konklusion ›Da nun diese beiden Überlieferungen nichtig sind, so gibt es auch keine Sohnschaft‹ (vgl. S15) schwach begründet. Wenn er damit überhaupt etwas beweisen kann, dann nur, dass Jesus sich selbst nicht als Gottes Sohn ansprechen ließ. Logisch betrachtet leitet sich daraus nur unter Heranziehung weiterer Ergänzungsprämissen die Konklusion ab, was dazu führt, dass die Argumentation aus einer schwachen Interpretation hervorgeht und selbst schwach bleibt. Zu Argument 3: ›Sohn‹ steht übertragen für ›Diener‹ und Auserwählter Al-Jaʿfarī würde bestreiten, dass in der ursprünglichen ›unverfälschten‹ Fassung der Bibel Jesus als ›Sohn‹ bezeichnet worden ist, und selbst wenn es so wäre, dann müsse man dieses Konzept hermeneutisch interpretieren (vgl. S16). Das dritte Argument möchte sodann zeigen, dass, wenn die Bibel von ›Dieser ist mein Sohn‹ spricht, mit ›Sohn‹ nicht der leibliche oder göttliche Sohn gemeint ist, sondern ein Diener Gottes. Um seine These zu begründen, kann al-Jaʿfarī lediglich ein interpretatives Argument konstruieren; um zeigen zu können, dass seine Interpretation wahrscheinlicher ist als die christliche, bringt er Belege für seine Interpretation. Dazu zieht er Bibelstellen heran, in denen das Wort ›Sohn‹ im Sinne von ›Diener‹ verstanden wird, und versucht diese auf die Sohnschaft Jesu zu übertragen. Er gibt an, dass das Wort »in den Büchern der Christen in den meisten Fällen in dieser Bedeutung gebraucht wird« (vgl. S19). Dabei formuliert al-Jaʿfarī das Prinzip, nach dem er interpretiert, wie folgt: »[S20] Wenn die Sohnschaft in einigen Überlieferungen allgemeiner dargestellt werden kann, dann muss das Allgemeine auf das Eingeschränkte übertragen werden.«⁶⁴

⁶² Dieser Begriff geht auf Wrede, Messiasgeheimnis zurück. Zum aktuellen Stand der Forschung siehe etwa Zeller, »Messiasgeheimnis« mit Hinweisen auf weitere Literatur. ⁶³ Diese Möglichkeit wäre eindeutig. Eine christliche Lesart kennt al-Jaʿfarī offenbar nicht, sonst wäre es hier angebracht gewesen, auf diese einzugehen. ⁶⁴ D. h. im konkreten Fall, die Sohnschaft an sich muss als Sohnschaft im Sinne von Dienerschaft verstanden werden, wenn die wörtliche Bedeutung nicht in Frage kommt.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Damit möchte al-Jaʿfarī folgendes Prinzip ausdrücken: Wenn die Bedeutung von x unklar ist, aber die Bedeutung von x an anderer Stelle näher mit y angegeben wird, dann muss x gemäß y gedeutet werden. Im Sinne dieses Prinzips versucht al-Jaʿfarī zu belegen, dass das Konzept ›Sohn‹ schon in der Tora als ›Diener‹ verstanden wurde. Die Aussage ›Israel ist mein erstgeborener Sohn‹⁶⁵ bedeute nicht etwa, dass Israel im wörtlichen Sinne Gottes Sohn sei (S21.1–S22.1).⁶⁶ Al-Jaʿfarī hat hier eine argumentationsstrategisch geschickte Stellenauswahl getroffen. Denn er zwingt seinen christlichen Opponenten gewissermaßen dazu anzuerkennen, dass in einem ›heiligen‹ Buch, das auch die Christen anerkennen, das Konzept ›Sohn‹ als ›Diener‹ verstanden wird; denn auch die Christen würden nicht akzeptieren, dass Israel in einem ähnlichen Sinne wie Jesus Gottes Sohn ist. Während die Christen auf den möglichen Bedeutungswechsel in den Evangelien gegenüber der Tora hinweisen würden, geht al-Jaʿfarī darauf nicht ein. Dass in der Tora Israel als jemand beschrieben wird, der Gott anbetet, interpretiert al-Jaʿfarī dahingehend, dass er als jemand, der zudem als Sohn bezeichnet wird, ein Diener Gottes sei (S22–S22.1). Einen weiteren Beleg für seine Interpretation findet al-Jaʿfarī in den Psalmen: Auch hier weise Gott mit der Aussage »Du bist mein Sohn und heute habe ich dich gezeugt. Bitte mich, so gebe ich dir«⁶⁷ (vgl. S23.1) nicht darauf hin, dass David der leibliche Sohn Gottes ist. Das würden auch die Christen akzeptieren. Wenn David also nicht Gottes Sohn ist, dann ist er etwas anderes, und dies ist nur mit der Eigenschaft, dass er Gott um etwas bittet, zu beschreiben. Somit sieht al-Jaʿfarī in der Eigenschaft des Bittens (vgl. S24), wie oben schon in der Eigenschaft des Anbetens, einen Hinweis auf Dienerschaft. Eigentlich muss al-Jaʿfarī nicht zeigen, ob er mit seiner Zuschreibung dieser Eigenschaften zur Dienerschaft richtigliegt. Ihm genügt es zu zeigen, dass mit ›Sohn‹ hier nicht ein leiblicher Sohn gemeint ist, sondern eine andere Eigenschaft. Denn seine Hauptthese ist ja, dass, wenn über Jesus als ›Gottessohn‹ gesprochen wird, dies nicht als leiblicher Sohn zu verstehen ist, sondern als eine andere Eigenschaft; dabei betrachtet al-Jaʿfarī die Eigenschaft der Dienerschaft als nächstliegende Möglichkeit. In diesem Sinne soll laut al-Jaʿfarī auch die biblische Aussage »Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott«⁶⁸ (vgl. S25.1) verstanden werden. Diese Aussage zeige, dass Jesus einen Gott hat, dem er dient. Somit sei die Bezeichnung Jesu als ›Gottes Sohn‹ als ›Diener Gottes‹ zu verstehen.

⁶⁵ Exodus 4,22–23. ⁶⁶ Das Argument mit der Referenz ›Israel ist mein erstgeborener Sohn‹ war im Mittelalter im Radd verbreitet. Vgl. hierzu auch die Studien von Pines, »Firstborn« sowie von Adang, Muslim Writers 163. ⁶⁷ Psalm 2,7–8. ⁶⁸ Johannes 20,17.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

315

Erkenntnistheoretisch gesehen müssen solche interpretativen Argumentationen bestimmte strenge Bedingungen erfüllen, damit sie gültig sind. Lumer stellt dafür folgendes Erkenntnisprinzip auf: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört.«⁶⁹

Diese strenge Bedingung macht es schwierig, die These interpretativer Argumentationen als (sicher) wahr zu klassifizieren. Denn sie setzt voraus, dass nur dann, wenn es nur eine einzige mögliche Erklärung gibt, von hundertprozentig sicher wahren Aussagen die Rede sein kann. Lumer gibt selbst an, dass dies in der Praxis nur sehr selten vorkommt. Wenn es nun nicht nur eine, sondern mehrere mögliche Interpretationen gibt, wie soll man sie dann im Vergleich zueinander bewerten? Eine Lösung für dieses Problem liefert die Hinzuziehung der Wahrscheinlichkeit. Man verwendet die probabilistische Version der interpretierenden Argumentation. Verschiedene interpretative Möglichkeiten erhalten unterschiedliche Werte, sodass eine Interpretation als wahrscheinlicher gestuft werden kann als eine andere.⁷⁰ Die probabilistische Form interpretierender Argumentationen beruht auf einem Erkenntnisprinzip, das man so zusammenfassen kann: Nach der Beurteilung der Erklärungen oder Interpretationsmöglichkeiten verteilt sich die Wahrscheinlichkeit von 100% auf die verbliebenen möglichen Interpretationen nach deren Ausgangs-(Apriori-)Wahrscheinlichkeiten. Nach der Untersuchung, welche Interpretationen möglich sind, müssen also im nächsten Schritt die Ausgangswahrscheinlichkeiten der möglichen Interpretationen bestimmt werden.⁷¹ Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Es wurde schon beschrieben, dass gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten. Argumentationen, die diese Funktion (in einer bestimmten Situation) erfüllen, bezeichnet Christoph Lumer als ›argumentativ gültig‹ und ›(situativ) adäquat‹, und er stellt detaillierte Bedingungen dafür auf, wann konkrete

⁶⁹ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92. ⁷⁰ Vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92–93. Das Vorgehen beschreibt Lumer wie folgt: »Ideale gültige interpretierende A.en müssen dann u. a. folgende Bestandteile enthalten: Das Explanandum und die bekannten Indizien werden aufgezählt; die verschiedenen Annahmemengen, die zu einer möglichen Erklärung führen, werden aufgelistet; durch entsprechende logische Ableitungen wird gezeigt, daß sie tatsächlich zu möglichen Erklärungen führen; die unbedingten Wahrscheinlichkeiten dieser Annahmemengen werden angegeben; sodann werden daraus die interpretativ bedingten Wahrscheinlichkeiten der Annahmemengen ermittelt; schließlich wird resümiert, in welchen Annahmemengen die These enthalten ist und welche Wahrscheinlichkeit sie entsprechend hat.« (Lumer, »Argumentation/ Argumentationstheorie« 93). ⁷¹ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 221–246.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Argumentationen tatsächlich gültig und adäquat sind.⁷² Hier soll daher zusammenfassend geprüft werden, ob Rekonstruktion 1 des ersten Arguments⁷³ diese Bedingungen erfüllt. Um die Prüfung der verschiedenen Argumente al-Jaʿfarīs möglichst klar und vergleichbar zu gestalten, wird dafür ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der einzelnen Bedingungen und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument.⁷⁴ Die zu prüfenden Bedingungen sind (A0) Definitionsbereich, (A1) Indikatorbedingung, (A2) Akzeptabilitätsgarantie, (A3) prinzipielle Adäquatheit und (A5) situative Adäquatheit. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation beinhaltet eine geordnete Menge von Urteilen, wie etwa in S.1–S1.1 und S2. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation beinhaltet keinen klassischen Argumentationsindikator, allerdings übernehmen S4–S6 diese Funktion. Darin lehnt al-Jaʿfarī die christliche Behauptung ab und beginnt mit seiner eigenen Argumentation gegen diese Behauptung. A0₃: Eine These q: S3.1 ist nur ein Lemma. Die Hauptthese steht in S4, allerdings indirekt formuliert. Sie besagt: ›Die Überlieferung, dass Jesus Gottes Sohn (im wörtlichen Sinn) ist, ist falsch‹; vereinfacht formuliert: ›Jesus ist nicht Gottes Sohn (im wörtlichen Sinn)‹. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S4 und S5, die als nicht-klassische Argumentationsindikatoren dienen, deuten an, dass vor S4 die christliche These steht; das geht sowohl aus dem Kontext wie auch aus der Aussage (These, S4) »Allerdings glauben wir nicht an die Richtigkeit dieser Überlieferung über Christus« hervor. S5 zeigt an, dass ab S5 ein Argument gegen die

⁷² Siehe hier Kapitel 5, insbesondere S. 230 sowie zum Unterschied der Begriffe S. 231 Anmerkung 39. Im Zusammenhang der folgenden Prüfungen einzelner Argumente al-Jaʿfarīs wird ›gültig‹ immer im Sinne von Lumers fein differenzierter Unterscheidung zwischen (argumentativer) Gültigkeit und (situativer) Adäquatheit verwendet. Diese ist nicht mit der einfacheren Unterscheidung zwischen Gültigkeit und Schlüssigkeit zu verwechseln (vgl. dazu hier S. 121 Anmerkung 240). Wegen Kriterium A2₃, der Wahrheit der Prämissen, könnte man hier im Sinn der Unterscheidung zwischen ›gültig‹ und ›schlüssig‹ eigentlich grundsätzlich von (argumentativer) ›Schlüssigkeit‹ sprechen (vgl. dazu hier S. 121 Anmerkung 240); da diese detaillierten Prüfungen einzelner Argumente jedoch genau Lumers Vorgehen folgen, wird hier Lumers Sprachgebrauch beibehalten, also der Ausdruck ›gültig‹ gebraucht. ⁷³ Siehe oben S. 304. ⁷⁴ Das Formular folgt einer Vorlage von Christoph Lumer, die wiederum auf der ausführlichen Darstellung und Erklärung u. a. in Lumer, Praktische Argumentationstheorie 43–72; ders., »Argument/Argumentation« Abschnitt 6; ders., »Epistemological Theory« 221–224, 234–236 beruht.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

317

christliche These folgt, da al-Jaʿfarī formuliert: »Dies wird durch sein Gegenteil widerlegt, und zwar wie folgt […].« Dieser nicht-klassische Argumentationsindikator ist ein Merkmal des Radds, der hier das hypothetische Satzgefüge anwendet, welches generell eine in der islamischen Argumentationstheorie verbreitete Argumentationstechnik darstellt.⁷⁵ A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Die Argumentation basiert auf einem interpretativen Erkenntnisprinzip und kann auf Basis des deduktiven Erkenntnisprinzips rekonstruiert werden. Die Argumentation geht als Erstes von der Interpretation aus, dass das Konzept ›Sohn‹ nicht als leiblicher Sohn verstanden werden muss. Die darauf aufbauende Argumentation lässt sich sodann deduktiv rekonstruieren. Die Argumentation kann jedoch alternativ auch als von alJaʿfarī rein deduktiv intendiert betrachtet werden. In der Bibel steht, dass Jesus Davids Sohn ist und das nimmt al-Jaʿfarī mehr oder minder wörtlich. Daraus folgt nach Ansicht al-Jaʿfarīs, dass Jesus nicht zugleich Gottes Sohn ist. Die Argumentationen 1, 2 und 3 sind zusammengenommen vermutlich wie folgt intendiert: Argument 1 und 2 sollen beweisen, dass Jesus nicht Gottes Sohn ist. Es handelt sich um zwei vermutlich deduktiv intendierte und voneinander unabhängige Argumente, die al-Jaʿfarī vermutlich jeweils individuell für hinreichend hält. Argument 3 baut auf der biblischen Aussage auf, dass Jesus als ›Gottes Sohn‹ tituliert wird. Al-Jaʿfarī bringt hier erst einmal die Möglichkeit einer alternativen Interpretation vor. Wenn man voraussetzen kann, dass die Argumente 1 und 2 die Gottessohnschaft jeweils schlüssig widerlegen, dann genügt diese Möglichkeit für die Argumentation: Dass echte Sohnschaft gemeint ist, ist ausgeschlossen, weil Jesus nicht Gottes Sohn ist und die Bibel (in dieser Hinsicht) nichts Falsches sagt. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Gemäß dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist im Fall der Rekonstruktion 1 erfüllt: Sowohl K1 wie auch K2 werden logisch von den Prämissen impliziert. Zur alternativen Interpretation nach dem interpretativen Erkenntnisprinzip: Als Bedingung für das interpretative Erkenntnisprinzip nennt Lumer zunächst: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört.«⁷⁶ Diese Bedingung ist in der vorliegenden Argumentation nicht erfüllt: Die Interpretation al-Jaʿfarīs ist nicht die einzig mögliche Erklärung bzw. Interpretation; das Konzept ›Sohn‹ kann durchaus als leiblicher Sohn interpretiert werden, zudem distanziert sich Jesus nicht offen von dem Konzept des leiblichen Sohnes. In solchen Fällen (wenn eine Interpretation zwar nicht die einzig mögliche, aber immerhin möglich ist) führt Lumer das Konzept der Wahrheitsähnlichkeit ein. Tatsächlich ist die Lesart al-Jaʿfarīs, dass ›Gottes Sohn‹ metaphorisch verstanden werden soll, immerhin eine mögliche Interpretation. Darin liegt die Strategie der Argumentation: Sie möchte

⁷⁵ Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25. ⁷⁶ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92.

318

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī zeigen, dass die christliche Lesart nicht die einzig mögliche ist und theologisch angezweifelt werden kann – das ist in der Theologie, die den Anspruch auf Wahrheit erhebt, bereits eine erhebliche Kritik. Das Argument 1 des al-Jaʿfarī erklärt und begründet seine Interpretation. Dadurch erweist sich seine Interpretation als möglich und somit ist die Wahrscheinlichkeit größer 0.

A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Prämisse P1 ist wahr: Die Bibel beschreibt Jesus zumindest im Wortlaut als Davids Sohn. Die ergänzte Prämisse eP2 ist eine tatsächlich vertretene theologische Prämisse, aber fragwürdig. Auch viele Christen glauben nicht wortwörtlich, was in der Bibel steht, vielmehr ist die Bibel zu interpretieren. Doch wer eP2 für wahr hält, also die Bibel wortwörtlich versteht, muss auch an K1 glauben, also daran, dass Jesus Davids Sohn ist. Andererseits scheint eine Person, welche diese Auffassung vertritt, aus Sicht al-Jaʿfarīs – und generell aus Sicht des islamischen Radds – eine widersprüchliche Position zu vertreten bzw. die Aufgabe zu haben, diesen Widerspruch durch eine mögliche Interpretation aufzulösen. Die ergänzte Prämisse eP3 scheint wahr zu sein, denn für alle x, y, z gilt: Wenn x Sohn von y ist, und y ist nicht z, dann ist es nicht der Fall, dass x Sohn von z ist. Prämisse P4 ist eine Umformulierung aus P1, jedoch nicht bedingungslos wahr wie etwa P1, das ja nur besagt, dass in der Bibel Jesus als Davids Sohn beschrieben wird. P4 folgert daraus jedoch, dass Jesus tatsächlich Davids Sohn sei. Für die Wahrheit dieser Prämisse liegen nicht genügend Indizien vor. Wer allerdings an P1 und eP2 glaubt, müsste auch an P4 glauben und somit auch an K2. Da diese Konklusion jedoch den allgemeinen christlichen Auffassungen widerspricht, intendiert al-Jaʿfarī eP3. Die ergänzte Prämisse eP3 ist wahr: In der Tat glauben Christen nicht, dass Jesus wirklich Davids Sohn ist. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī kennt zum Zeitpunkt t tatsächlich keine hinreichend starke Begründung für die These, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei. Diese Begründung wird s durch die Argumentation al-Jaʿfarīs zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung würde im Fall von al-Jaʿfarīs christlichen Opponenten erfüllt.⁷⁷ Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,⁷⁸ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.⁷⁹ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen.

⁷⁷ Diese Lumersche Bedingung kann in der islamischen Theologie bei der Diskussion, wo Erkenntnis entstehe, beobachtet werden. Ibn al-Ḥājib etwa gibt in seinem Werk zum jadal an, dass die Entstehung der Erkenntnis bzw. des Urteils bei einem Subjekt kognitiv (ḥukm al-dhihnī) geschehe (vgl. Ibn al-Ḥājib, Muntahā al-wuṣūl 5). Auch im Rahmen der hier herangezogenen Bedingung ist es theoretisch notwendig, dass u. a. die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips durch ein Subjekt kognitiv erfasst werden. ⁷⁸ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ⁷⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.1. Bibelbasierte und hermeneutisch-interpretative Argumente

319

Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.⁸⁰ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Tatsächlich ist anzunehmen, dass der Adressat der Argumentation al-Jaʿfarīs das deduktive Erkenntnisprinzip kennt, denn (i.) ist das deduktive Erkenntnisprinzip oftmals Grundlage alltäglicher Argumentationen, (ii.) müssten die Adressaten des al-Jaʿfarī sich im Diskurs der christlich-islamischen Disputation auskennen, die von deduktiver Argumentativität geprägt war. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist tatsächlich anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S10.3 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Tatsächlich ist die Prämisse P1 wahr und müsste durch den rationalen Adressaten als wahr erkennt werden. Dagegen ist eP2 zweifelhaft, eP3 scheint wahr zu sein, P4 ist zweifelhaft. Diese Bedingung ist daher nicht eindeutig erfüllt. Der Adressat erkennt nicht unbedingt alle Prämissen als wahr an, die für die Gültigkeit der Argumentation nötig wären, denn die Prämissen sind nicht alle eindeutig als wahr zu bestimmen. Jedoch gibt es mit Sicherheit Christen, die auch die zweifelhaften Prämissen als wahr bestimmen. Zum Beispiel ist das bei eP2 der Fall, da bis heute einige Christen behaupten, dass man dem, was in der Bibel steht, wortwörtlich zu glauben hat. Somit gibt es mindestens eine Person s und eine Zeit t, in der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. In diesem Fall ist die vorliegende Argumentation (nur) für diese Person scheinbar gültig, de facto ist die Argumentation allerdings ungültig.

⁸⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

320

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen, wie etwa eP2 und eP3. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation al-Jaʿfarīs liefert nach den Ansprüchen des Adressaten keine hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch der Argumentation liegen objektiv betrachtet unwahre bzw. zweifelhafte Prämissen zugrunde, wie etwa eP2 oder P1. Da einige dieser Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden dürften, sind diese Prämissen immerhin wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, für die es eine hinreichend starke Begründung gibt. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These jedoch gesenkt.

9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument Al-Jaʿfarī greift seine bereits behandelte Erklärung, die Bezeichnung Jesu als Gottes Sohn bedeute lediglich, dass dieser ein Diener Gottes war,⁸¹ wieder auf, indem er argumentiert, die Sohnschaft in diesem Sinne komme allen Geschöpfe zu. Er schreibt: »[S0 = § 13] Die Widerlegung der Aussage, Jesus sei Gottes Sohn und Gott sei sein Vater […]. [S1] Und Paulus, ein echter Christ und ein Prediger der Christen, der von den Christen als Paulus der Gesandte [sc. Apostel] bezeichnet wird, bezeugt, dass vom ersten bis zum letzten Menschen alle Gottes Söhne sind; gute sowie schlechte unter ihnen. Paulus sagte in seinem fünften Brief: [S2] ›Hütet euch vor Torheit, Beleidigung und Verfluchung, denn der Ehebrecher, die Ehebrecherin, der Dreckige und der Ungerechte [sc. der Tyrann] sind wie Götzenanbeter, denen kein Anteil an Gottes Besitz zusteht. Vermeidet diese Übel, denn die Strafe Gottes gegen die Kinder, die ihm nicht gehorchen, entsteht daraus [sc. aus diesen Übeln]. Also hütet euch, deren Komplizen zu sein, denn ihr wart im Dunkeln, also folgt jetzt dem Weg der Kinder des Lichts.‹⁸²

⁸¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 55–63; vgl. dazu hier auch Abschnitt 9.1, Argument 3. ⁸² Offenbar nach Epheser 5,3–8.

9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument

321

[S3] Diese Aussagen Jesu, die seiner Gefährten und die der Überlieferer seines Gesetzes demonstrieren deutlich die Übertragung der ›Sohnschaft‹ auf alle Diener und Geschöpfe Gottes. [S4] Und Johannes der Evangelist sagt im zweiten Kapitel seines ersten Briefes: [S4.1] ›Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat, dass wir Gottes Kinder heißen.‹⁸³ [S5] Und im dritten Kapitel sagt er: [S5.1] ›Oh ihr Lieben, wir sind jetzt Kinder Gottes, denn er hat uns zu seinen Kindern erklärt; so müssen wir ihm also so viel Verehrung gewähren, wie er es verdient.‹⁸⁴ [S6] Hier sagt Johannes der Evangelist, dass die Sohnschaft aus der Dienerschaft gegenüber Gottes besteht und der Bemühung im Dienste Gottes.«⁸⁵

Für die Analyse dieses Arguments kann folgende Rekonstruktion als Basis dienen:⁸⁶ P1: eP2: K1: K2:

Alle Menschen werden in der Bibel als Gottes Söhne bezeichnet. (vgl. S1) Wenn alle Menschen in der Bibel als Gottes Söhne bezeichnet werden, dann kann diese Bezeichnung nicht nur für eine Person reserviert sein. Die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹ ist nicht nur für eine Person reserviert. (vgl. S0⁸⁷) Zu behaupten, dass nur Jesus ›Gottes Sohn‹ sei, ist daher ungültig.

Die erste Prämisse dieses Arguments beginnt mit einem Allsatz. Darauf folgt eine Implikation. Daraus lässt sich die erste Konklusion ableiten. Die zweite Konklusion folgt als Implikation aus P1 und eP2. Formal lässt sich dieses Argument wie folgt darstellen (mit den Prädikaten M(x): ›x ist ein Mensch‹ und B(x, y, z): ›x bezeichnet y als z‹ sowie den Individuenkonstanten b: die Bibel, j: Jesus und gs: Gottes Sohn): P1: eP2:

∀x[M(x) → B(b, x, gs)] P1 → ¬∀x∀y[B(b, x, gs) ∧ B(b, y, gs) → x = y]

K1: K2:

¬∀x∀y[B(b, x, gs) ∧ B(b, y, gs) → x = y] ¬∀x[B(b, x, gs) → x = j]

⁸³ 1. Johannes 3,1. ⁸⁴ 1. Johannes 3,2. ⁸⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 13 und 74–78. ⁸⁶ Dieses und die anderen Argumente aus Kapitel I von al-Jaʿfarīs Werk können alternativ auch im Rahmen des taṣnīf zur Sohnschaft Jesu betrachtet werden (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 13–15; vgl. dazu hier Abschnitt 9.4, v. a. S. 341), sodass diese Argumente als Subargumente des taṣnīf dienen, indem sie jeweils eine der im taṣnīf angebotenen Erklärungen der Rede von Jesus als ›Gottes Sohn‹ widerlegen sollen. ⁸⁷ Al-Jaʿfarī zielt hier darauf ab, dass die genannten Stellen aus den Evangelien nicht als Beleg dafür dienen können, dass nur Jesus als Gottessohn bezeichnet werden kann, sodass K1 intendiert wird.

322

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Dieses Argument ist formal gültig und basiert auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip: Die Konklusion wird durch die Prämissen logisch impliziert. Die Prämisse P1, dass alle Menschen in der Bibel als ›Gottes Söhne‹ bezeichnet werden, ist eine naql-Prämisse und nur dann wahr, wenn tatsächlich in der Bibel alle Menschen so bezeichnet werden. Al-Jaʿfarī leitet diese Prämisse aus den folgenden Bibelstellen ab: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat, dass wir Gottes Kinder heißen.«⁸⁸ »Oh ihr Lieben, wir sind jetzt Kinder Gottes, denn er hat uns zu seinen Kindern erklärt; so müssen wir ihm also so viel Verehrung gewähren, wie er es verdient.«⁸⁹

Diese Bibelstellen sagen zunächst nicht direkt, dass alle Menschen Gottes Söhne sind, sie können aber in diesem Sinne interpretiert werden. Dieser Interpretation folgt al-Jaʿfarī. Er deutet den Hinweis, dass die Menschen »Gottes Kinder heißen« und »Kinder Gottes« sind, so, dass die Menschen Gottes Söhne sind. Hinter seiner Interpretation steht folgendes Prinzip: Wenn die Bibel die Menschen als Gottes Kinder bezeichnet, dann ist damit gemeint, dass sie Gottes Söhne sind. Des Weiteren ist in der ersten Prämisse die Allsatz-Funktion ausschlaggebend für das Argument. Das Argument ist nur dann schlüssig, wenn nach der Bibel alle Menschen Gottes Söhne sind bzw. so bezeichnet werden. Auch hier ist eine Interpretation notwendig. Denn die Bibelstellen treffen keine explizite Aussage über allen Menschen; immerhin liegt hier der Hinweis vor, dass mit dem Wort ›wir‹ alle Menschen gemeint sein können. Dieser Interpretation folgt alJaʿfarī. Ob diese erste Prämisse wahr ist, kann daher nicht eindeutig bestimmt werden. Das Kriterium für wahre Aussagen im Rahmen der interpretativen Argumentation, das Lumer aufstellt, lautet wie folgt: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört.«⁹⁰

Die Interpretation des al-Jaʿfarī ist nicht die einzige mögliche Erklärung, es gibt mehrere mögliche Interpretationen zu diesen Stellen. Jedoch ist diese Prämisse auch nicht eindeutig falsch. Lumer empfiehlt an dieser Stelle mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten.⁹¹ Es ist demnach zu bestimmen, ob al-Jaʿfarīs Interpretation wahrscheinlich ist. Das ist der Fall: Durchaus kann ›Gottes Kinder‹ auch ›Gottes Söhne‹ bedeuten und mit ›wir‹ kann die gesamte Menschheit bzw. zumindest die Gemeinschaft der Gläubigen gemeint sein. Letztlich ist das Argument nur dann schlüssig, wenn diese wahrscheinlich wahre Interpretation, die der ersten Prämisse zugrunde liegt, wahr ist.

⁸⁸ 1. Johannes 3,1. ⁸⁹ 1. Johannes 3,2. ⁹⁰ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92. ⁹¹ Vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 93.

9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument

323

Die zweite Prämisse in Form einer Implikation: ›Wenn alle Menschen in der Bibel als Gottes Söhne bezeichnet werden, dann kann diese Bezeichnung nicht nur für eine Person reserviert sein‹ ist wahr. Wenn alle x mit s bezeichnet werden, dann kann eine Teilmenge y von x die Bezeichnung s nicht nur für sich beanspruchen. Wenn P1 wahr sein sollte, dann ist auch das logisch abgeleitete K1 wahr. K2 ist wahr, wenn P1 das Antezedens bejaht, denn dann ist das Sukzedens falsch. K2 ist nur eine Umformulierung des Sukzedens aus K1. Kurz: Das Argument ist wahrscheinlich gültig unter der Bedingung, dass die Interpretation, die P1 zugrunde liegt, wahrscheinlich ist. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das rekonstruierte Argument diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,⁹² wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Im Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument dient die Aussage P1 als Prämisse für die These q. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Al-Jaʿfarīs Argument hat keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch übernimmt S3 diese Funktion. S3 besagt, dass die Aussage von Paulus in S2 zeige, dass Sohnschaft als Diener zu verstehen sei und die christliche These bzw. Auslegung falsch sei. Ähnlich könnte auch S6 als ein Argumentationsindikator dienen. S6 sagt, dass die Bibelstellen in S4.1 und S5.1 anders verstanden werden müssen als die christliche Auslegung, und zwar wiederum dahingehend, dass Sohnschaft als Dienerschaft zu deuten sei. Somit möchte sowohl S3 als auch S6 zeigen: Die christliche Auslegung der Bibel ist falsch, richtig ist hingegen die folgende alternative (islamische) Lesart, nämlich Sohnschaft als Dienerschaft zu verstehen. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation liegt in K1 und K2 vor, d. h. in der Aussage, dass die Bezeichnung ›Gottes Sohn‹ nicht nur für eine Person reserviert ist und dass die Behauptung, nur Jesus sei Gottes Sohn, ungültig ist. Diese These ist im Text teilweise in S1, S3 und S6 integriert. In S1 schreibt al-Jaʿfarī, Paulus bezeuge, dass vom ersten bis zum letzten Menschen alle Gottes Söhne seien, und versucht mit S2 einen Beleg für diese Annahme zu bringen. Tatsächlich ist diese Aussage eine These al-Jaʿfarīs: Wenn alle Menschen Gottes Söhne sind, dann impliziert diese Aussage, dass die Bezeichnung

⁹² Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

324

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī ›Gottes Sohn‹ nicht für eine Person reserviert sein kann (vgl. K1). Die implizite These aus K1 ist, dass die Behauptung, nur Jesus sei Gottes Sohn, nicht gültig sein kann.

A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. Die nicht-klassischen Argumentationsindikatoren S3 und S6 zeigen, dass S2 bzw. S4.1 und S5.1 Argumente für die These q sind.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Dem Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument liegt gemäß der Rekonstruktion das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Die erste Konklusion lässt sich aus P1 und eP2 logisch deduzieren. K2 ist eine Umformulierung des Sukzedens aus K1. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen logisch die These implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt: K1 und K2 lassen sich logisch aus den Prämissen ableiten. A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): P1 beruft sich auf eine Überlieferung aus der Bibel. In der Tat wird in 1. Johannes 3,1–2 von »Söhnen [bzw. Kindern] Gottes« gesprochen. Nichtsdestoweniger stellt P1 eine Interpretation al-Jaʿfarīs dar. Denn die Annahme, dass alle Menschen in der Bibel als Kinder Gottes angesprochen werden, ist nicht explizit, sondern eine Interpretation, auch wenn viele christlichen Interpreten diese Auslegung teilen. Die Bibelstellen 1. Johannes 3,1 und 3,2 können nicht ohne Weiteres aus ihrem historischen Kontext gerissen werden. Die Verallgemeinerung auf alle Menschen ist aber immerhin eine mögliche Interpretation, weshalb P1 als Überlieferung (naql) dennoch als wahrscheinlich einzustufen ist. Die Ergänzungsprämisse eP2 scheint ein badīhiyyāt (Axiom) zu sein, denn es gilt: P1 → ¬∀x∀y[B(b, x, gs) ∧ B(b, y, gs) → (x = y)]; daher ist eP2 wahr. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t noch keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass Jesus nicht Gottes Sohn sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung würde im Falle von al-Jaʿfarīs christlichen Opponenten erfüllt, indem sie die Wahrheit der Prämissen P1 und eP2 mit positivem Ergebnis überprüfen

9.2. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument

325

und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würden. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,⁹³ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.⁹⁴ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.⁹⁵ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Im Falle des Sohnschaft-als-Dienerschaft-Arguments müssten die Adressaten das deduktive Erkenntnisprinzip kennen. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation beherrscht, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass al-Jaʿfarīs Adressaten das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S6 als erfüllt erkennen, zumal die Adressaten die Bedingung A5₂ erfüllen. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Die christlichen Adressaten wissen, dass P1 eine Überlieferung aus der Bibel ist und dass die Bibel in 1. Johannes 3,2 von »Söhnen [bzw. Kindern] Gottes« spricht. Freilich

⁹³ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ⁹⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29. ⁹⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

326

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī dürfte ihnen zugleich deutlich sein, dass al-Jaʿfarīs Interpretation von P1 eine Annahme darstellt; denn trotz dieser Bibelstellen glauben nicht alle Christen, dass alle Menschen Kinder Gottes sind. Wenn die christlichen Adressaten die Verallgemeinerung auf alle Menschen jedoch immerhin als mögliche Interpretation ansehen, müssten sie P1 zumindest als wahrscheinlich einstufen. Da die Ergänzungsprämisse eP2 ein badīhiyyāt (Axiom) zu sein scheint, müsste eP2 vom jeden rational agierenden Adressaten als wahr eingestuft werden.

A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass seine Adressaten bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllen. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die von den Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument liefert keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch der Argumentation liegen objektiv betrachtet problematische Prämissen zugrunde, wie etwa P1. Auch wenn diese Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden, sind diese Prämissen nur wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, wofür ein hinreichend starke Begründung vorhanden ist. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These gesenkt.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit Al-Jaʿfarī schreibt: »[S1] Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus göttlicher und menschlicher Natur besteht, [S1.1] die sich vereinten [S1.2] und daraufhin zu Christus wurden. [S2] Oft behaupten die Christen Folgendes: [S2.1] Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt. [S2.2] Und das wird mit Menschwerdung und Inkarnation bezeichnet. [S3] Wir wollten jedoch von den Christen, bevor wir mit ihnen sprechen, Belege für die Gültigkeit dieser Lehre haben. [S4] Und wir sagen: [S4.1] Bezüglich eurer Behauptung über die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen: [S4.2] Ist das etwas, was ihr mit beiden Augen unmittelbar gesehen habt? [S4.3] Oder etwas, das eure Vorgänger und Vorfahren gesehen haben, [S4.4] sodass es erlaubt wäre, dies zu glauben? [S4.5] Oder tradiert ihr dies von Christus?⁹⁶

⁹⁶ D. h. Jesus hat es über sich selbst gesagt.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

327

[S5] Und wenn die Christen behaupten, die Früheren [sc. die ersten Christen] hätten das [sc. die Einheit] gesehen,⁹⁷ so würden sie dadurch nur herumalbern und die Vernünftigsten unter ihnen würden sie [sc. die Anhänger der Einheitstheorie] verleugnen. [S6] Und wenn sie dies auf die Aussagen Christi zurückführen,⁹⁸ so würde (selbst) sein Evangelium sie [sc. die Christen] durch seine Aussagen verleugnen, die seine menschliche Natur unter Beweis stellen, wie (z. B.) seine Aussage den Juden gegenüber im Evangelium: [S7] ›Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?‹⁹⁹ [S7.1] Und er sagt auch: [S7.2] ›Die Füchse haben Baue und die Vögel des Himmels Nester, aber der Mensch hat keinen Ort, auf den er seinen Kopf legen könnte.‹¹⁰⁰ [S8] Hier berichtet er also, dass er ein Mensch ist. Und das ist eine klare Widerlegung¹⁰¹ für die, die behaupten, er sei zugleich Mensch und Gott. [S9] Christus sagte: [S9.1] ›Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Gott.‹¹⁰² [S9.2] Und er sagte auch: [S9.3] ›Warum hast du mich verlassen?‹¹⁰³ [S10] Somit machte er selbst klar, dass er ein Mensch ist. Er hat einen Gott und einen Herrn, auf den er seine Hoffnung setzt und den er anruft. [S11] Und Christus sagte, und ihm sagte ein Mann: ›Oh tugendhafter Lehrer!‹ Und Christus sagte ihm: [S11.1] ›Warum bezeichnet ihr mich als tugendhaft? Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott, dem Einen.‹¹⁰⁴ [S12] Und das ist, wie ihr seht, eine klare Leugnung für die, die behaupten, er sei ein Gott, der sich mit einem Menschen vereint hat.«¹⁰⁵

S1 ist die Antithese, gegen die al-Jaʿfarī seine These konstruiert, dass Christus nicht aus göttlicher und menschlicher Natur besteht. Al-Jaʿfarī impliziert mit dieser Argumentation ein überlieferungsepistemisches taṣnīf bzw. taqsīm, also

⁹⁷ Dies bedeutet, dass die Erkenntnis aus mushāhada, also Selbst- oder Fremdbeobachtung hervorgegangen sei. ⁹⁸ D. h., wenn die Erkenntnis aus khabar hervorgeht. ⁹⁹ Wohl nach Johannes 7,19 und 8,40. ¹⁰⁰ Matthäus 8,20 bzw. Lukas 9,58. ¹⁰¹ Andere mögliche Übersetzung: Leugnung. ¹⁰² Johannes 20,17. ¹⁰³ Matthäus 27,46 und Parallelen (Zitat aus Psalm 22,2): .‫ ﻟﻢ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬٬‫ ﺍﻟﻬﻰ ﺍﻟﻬﻰ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬٬‫ ﺍﻟﻬﻰ ﺍﻟﻬﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ Mit ‫ ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬werden die zum Vergleich angeführten Textstellen aus der Alexandrinischen Vulgata (siehe dazu hier S. 286) markiert; die Zitate folgen der Ausgabe von Paul de Lagarde. ¹⁰⁴ Markus 10,17–18 bzw. Lukas 18,18–19. ¹⁰⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 87–97.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

eine Disjunktion aller denkbaren Begründungen für eine Überlieferung. Demnach wurde ein Ereignis (in diesem Fall die Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen in Jesus) entweder vom Vertreter der These oder von anderen Personen selbst beobachtet bzw. gesehen (shahida), oder die Nachricht über das Ereignis wurde über Mittelspersonen tradiert. Der christlichen Theologie ist immer wieder vorgeworfen worden, nicht rational zu argumentieren, so auch durch al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā.¹⁰⁶ Sowohl die mutmaßlichen Unterschiede zwischen Islam und Christentum bei der Heranziehung der Rationalität zur theologischen Begründung als auch die überlieferungstechnische Bewertung der Evangelien weisen auf al-Jaʿfarīs epistemologische Differenzierung dieser Sachlagen hin. Zum einen macht al-Jaʿfarī schon früh im Text deutlich, dass ein Unterschied zwischen ihm als Muslim und den Opponenten, d. h. den Christen vorliegt. Dieser bestehe darin, dass die Opponenten Vernunftargumente nicht anerkennen würden, weshalb sie sich von den objektiv anerkannten Methoden der Logik entfernen würden. Mit seinen Vernunftargumenten erhebt al-Jaʿfarī den Anspruch, eine objektive Methode angewandt zu haben. Seiner Meinung nach garantiert diese Methode die Anerkennung seiner Argumente und muss benutzt werden, um theologische Wahrheiten argumentativ herauszustellen. Al-Jaʿfarī ist davon überzeugt, dass er durch rationale Widerlegungen den Opponenten dazu bringen kann, die eigene angeblich falsche Meinung fallen zu lassen.¹⁰⁷ Zum anderen erkennt al-Jaʿfarī die Evangelien nicht als tawātur (epistemisch sichere Überlieferung) an. Damit sind beide Grundtypen von Radd-Argumenten angegeben worden, worauf al-Jaʿfarī selbst in seinem Radd explizit Bezug nimmt: Er unterscheidet das vernunftbasierte und das überlieferungsbasierte Argument.¹⁰⁸ Des Weiteren befragt al-Jaʿfarī im S3–S4.5 seine Opponenten nach empirischen Erklärungsmöglichkeiten für die Wahrheit ihres Glaubens, welche er allerdings danach für nicht vorhanden erklärt, sodass es sich in diesem Fall um eine rhetorische Frage handeln dürfte. Al-Jaʿfarī konstruiert eine Reihe von Argumenten gegen eine christliche These, die er wie folgt darstellt: »Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus göttlicher und menschlicher Natur besteht, die sich vereinten und daraufhin zu Christus wurden. Oft behaupten die Christen Folgendes: Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt. Und das wird mit Menschwerdung und Inkarnation bezeichnet.«¹⁰⁹

¹⁰⁶ Vgl. dazu folgende Passage (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 200): »Und wir haben uns an dieser Stelle auf eine Auswahl beschränkt, die dem tiefgründigen Betrachter die Widersprüche dieser Leute bezüglich ihrer Überlieferungen [oder: Berichte] und die Nichtigkeit dessen, was sie davon geglaubt und rationalisiert haben, sehr deutlich macht. Und wenn dies [sc. woran sie glaubten] bekannt gemacht würde, dann würde es das Vertrauen bezüglich des ganzen Buches, das die Leute bis heute besitzen, brechen.« ¹⁰⁷ Vgl. die in der vorigen Anmerkung zitierte Passage (Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 200). ¹⁰⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁰⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 87.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

329

Im Folgenden werden Argumente al-Jaʿfarīs gegen (vor allem) diese These dargestellt, auch wenn er aus strategischen Gründen noch weitere Thesen formuliert und zu widerlegen versucht; dabei ist die eigentliche These, die im Fokus steht, die christliche Lehre von der Menschwerdung Gottes. Al-Jaʿfarī gibt an, wer behaupte, frühere Menschen hätten die Vereinigung gesehen, »so würden sie dadurch nur herumalbern und die Vernünftigsten unter ihnen würden sie [sc. die Anhänger der Einheitstheorie] verleugnen.« Somit betrachtet al-Jaʿfarī die Möglichkeit S4.3 als absurd. Zumal al-Jaʿfarī in seinem tawātur-Argument kritisiert, dass etwa die These der Kreuzigung Jesu nicht auf epistemisch starken Überlieferungen aufbaut, lediglich zwei »schwache« Frauen hätten das Ereignis beobachtet, deren Zeugenschaft epistemisch bestritten wird.¹¹⁰ Diese Argumentation beginnt mit der Darstellung der christlichen Thesen. Folgende Thesen können aus dem Text abgeleitet werden: Tc₁: Tc₂: Tc₃:

Gott besteht aus göttlicher und menschlicher Natur. (S1) Göttliche und menschliche Natur Gottes haben sich vereint.¹¹¹ (S1.1 bzw. S2.1) Göttliche und menschliche Natur Gottes, die sich vereint haben, wurden zum Christus. (S1.2)

Diese Thesen können zu der impliziten These Tcᵢ zusammengesetzt werden: Tcᵢ:

Jesus ist Gott und hat eine menschliche und göttliche Natur.

Zudem werde die Vereinigung bei den Christen als ›Menschwerdung‹ und ›Inkarnation‹ bezeichnet (vgl. S2.2). Der Argumentationsgang ist, dass alJaʿfarī drei Begründungsmöglichkeiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, aufzählt und diese dann einzeln als unzutreffend erweist. Al-Jaʿfarī setzt sich das Ziel, zu zeigen, dass Jesus in der Bibel sagt, dass er lediglich ein Mensch ist. Dabei würde es al-Jaʿfarī für S4.5 schon genügen, zeigen zu können, dass nirgendwo in der Bibel steht, dass Jesus Mensch und Gott zugleich ist. S4.2 bis S4.5 bilden ein taṣnīf bzgl. möglicher Quellen der Behauptung von Tcᵢ. Diese können laut al-Jaʿfarīs taṣnīf nur folgende sein: i. Selbst- bzw. Fremdbeobachtung (mushāhada, vgl. S4.2); ii. eine Gewährsperson hat es beobachtet und berichtet (khabar/mushāhada, vgl. S4.3); iii. Jesus selbst hat es berichtet (khabar, vgl. S4.5). Al-Jaʿfarī lehnt die Möglichkeit ab, dass Tcᵢ durch mushāhada begründet sein könnte, und leitet damit eine Reihe von Argumenten gegen die Möglichkeit

¹¹⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 159–163; vgl. dazu hier Abschnitt 9.10. ¹¹¹ Eine andere Formulierung für Tc₂ wäre: Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt.

330

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

einer Begründung von Tcᵢ durch khabar ein. Dabei ist die Prämisse, an der sich die Argumentation orientiert, keinesfalls die Annahme des al-Jaʿfarī, dass der Glaube an ein Ereignis, das man selbst nicht gesehen (mushāhada) hat, unvernünftig sei. Dies kann deshalb nicht sein, weil er sonst selbst die Grundlage vieler islamischer Glaubenslehren in Frage stellen müsste. Vielmehr ist seine Kritik, dass die Quellen dieser christlichen Thesen nicht mushāhada sein können, weil die Leute (z. B. die Verfasser der Evangelien), die im Nachhinein diese Thesen aufstellten, dieses Ereignis nicht gesehen haben können (vgl. S4.2). Dass al-Jaʿfarī diese banale Tatsache verdeutlichen möchte, sie theoretisch als möglich betrachtet und dagegen angeht, zeigt die epistemische Funktion seiner Argumentation: Er versucht alle möglichen Erkenntniswege zur These des Opponenten zu widerlegen. Dazu gehört die epistemische Theorie des mushāhada. Die Prämisse, die der Argumentation des al-Jaʿfarī zugrunde liegt, ist mithin epistemisch und kann wie folgt formuliert werden: Prämisseₑₚᵢₛ: Die Aussage von der Vereinigung der Naturen kann (nur) durch ein mushāhada (i. Selbst-¹¹² oder ii. Fremdbeobachtung¹¹³) oder iii. ein khabar¹¹⁴ begründet werden. Wenn alle Möglichkeiten nichtig sind, ist auch die Aussage der Vereinigung der Naturen nichtig. Die Argumente des al-Jaʿfarī zielen demnach darauf, zu belegen, dass weder die Begründung durch mushāhada (i. Selbst- oder ii. Fremdbeobachtung) noch durch iii. khabar für Tc zu halten sei. Eine vierte Möglichkeit gibt al-Jaʿfarīs taṣnīf nicht. Der Argumentationsgang besteht darin, dass al-Jaʿfarī drei Begründungsmöglichkeiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, aufzählt und diese dann alle einzeln als nicht gegeben aufzeigt. i./ii. Die Annahme des mushāhada ist eine einfache These, die durch al-Jaʿfarī leicht widerlegt werden kann. Niemand, der aktuell (d. h. zur Zeit alJaʿfarīs) die These der Vereinigung der Naturen vertritt, hat jemals mit eigenen Augen die Vereinigung gesehen. iii. Nach der Ablehnung der mushāhada bleiben in dem taṣnīf die Überlieferung und vor allem das Selbstzeugnis (bzw. die Fremdbeobachtung) Jesu übrig. Dabei ist das Argument gegen die Annahme, die Vereinigung sei durch die Evangelien (als khabar) begründet, viel komplexer. Hierzu konstruiert al-Jaʿfarī fünf Argumente; dabei sind die ersten beiden interpretative Argumentationen und das dritte, vierte und fünfte deduktivinterpretative Argumentationen. In S5 hinterfragt al-Jaʿfarī das Zeugnis der Christen zur Inkarnation. An dieser Stelle könnte kritisiert werden, woher al-Jaʿfarī weiß, dass dieses Zeugnis falsch ist. Womöglich hält al-Jaʿfarī es schlicht für unmöglich, dass Menschen eine

¹¹² D. h. eigene Beobachtung. ¹¹³ D. h. Beobachtung einer Gewährsperson und Tradierung. ¹¹⁴ D. h. Selbstzeugnis des Erkenntnisobjekts, hier also Jesu.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

331

solche Verwandlung beobachten und daher bezeugen können. Eine Inkarnation wäre somit nicht bezeugbar. Anders ist seine Ablehnung nicht zu erklären. Denn er gibt an, dass die Vernünftigen ein solches Zeugnis nicht akzeptieren würden. Andererseits muss al-Jaʿfarī klar gewesen sein, dass die Christen keinen Anspruch darauf erheben, die Inkarnation bezeugen zu können. Ihm geht es somit vielmehr darum, einen möglichen Punkt in seiner Disjunktion (taṣnīf ) abzuarbeiten, ohne darauf achten zu müssen, ob seine Antithese de facto von den Opponenten vertreten wird. Dieses Argument des al-Jaʿfarī beinhaltet interpretative und deduktiv-interpretative Argumentationen, welche im Folgenden vorgestellt werden. Interpretative Argumentation Zu Argument 1:¹¹⁵ [S7] »Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin […]?«¹¹⁶

Hier legt al-Jaʿfarī eine interpretative und hermeneutische¹¹⁷ Lesart vor und interpretiert die Aussage »ich [bin] doch (nur) ein Mensch« wörtlich. Demnach gibt Jesus selbst an, dass er nur ein Mensch sei, und dies widerspreche der Annahme, er sei zugleich Mensch und Gott bzw. dass er eine menschliche und göttliche Natur habe. Zu Argument 2: [S7.2] »Die Füchse haben Baue und die Vögel des Himmels Nester, aber der Mensch hat keinen Ort, auf den er seinen Kopf legen könnte.«¹¹⁸

In diesem Zitat spricht Jesus von sich selbst als ›Menschensohn‹. Auch an dieser Stelle wendet al-Jaʿfarī eine interpretative und hermeneutische Lesart an, um seine Argumentation gegen Tcᵢ zu konstruieren. Al-Jaʿfarī macht in der christlichen Auffassung, dass Jesus sich als Menschensohn bezeichnet und dennoch göttlich sein soll, einen Widerspruch im Sinne des Widerspruchsprinzips aus. Jedoch führt er dieses Prinzip nicht aussagekräftig aus. Gemäß diesem Prinzip lehnt er diese Zuschreibung der Göttlichkeit und somit die Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur ab.

¹¹⁵ Im Folgenden wird nur der zentrale Abschnitt aus diesen Argumenten wiedergegeben. Für das vollständige Argument siehe den Argumentationstext, §§ 90–97 von al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā. ¹¹⁶ Wohl nach Johannes 7,19 und 8,40. ¹¹⁷ ›Hermeneutisch‹ bedeutet in dieser Studie i. w. S. die Interpretationslehre und die Beschäftigung mit den offensichtlichen und den verborgenen Bedeutungen eines Textes. Die theologische Hermeneutik al-Jaʿfarīs orientiert sich an der Lehre des Korans. Seine Interpretation bezieht ihre hermeneutische Legitimation oftmals daraus, dass sie den Textsinn der koranischen Lehre anpasst. Vor allem im Radd werden die christlichen Quellen durch die Brille des Korans gesehen. ¹¹⁸ Nach Matthäus 8,20 bzw. Lukas 9,58.

332

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Al-Jaʿfarī kann die Überlieferung als eine epistemische Kategorie nicht an sich ablehnen, denn damit würde er nicht nur die Grundlage des Christentums untergraben, sondern auch jene des Islams. Er wählt daher eine andere Argumentationsstrategie: Er versucht die christliche These mit der Bibel in Widerspruch zu bringen. Dabei bedient er sich des epistemisch-logischen Widerspruchsprinzips und setzt implizit den Satz des Widerspruchs voraus. Epistemologisch gesehen gibt ein Widerspruch keinen Grund zur Bejahung sich widersprechender Aussagen. Aristoteles hat als erster deutlich formuliert, worin sich die islamischen Argumentationstheoretiker und auch al-Jaʿfarī als Argumentierende einig sind, nämlich dass kein rational denkender Mensch bewusst an die Wahrheit von zwei sich widersprechenden Aussagen zugleich glauben kann.¹¹⁹ Das ist empirisch möglich und passiert im Alltag häufig. Was man für die Rekonstruktion braucht, ist das Widerspruchsprinzip, dass zwei sich widersprechende Propositionen nicht beide wahr sein können. Widerspruchsprämisse: Zwei einander widersprechende (d. h. kontradiktorische) Aussagen können nicht beide wahr sein.¹²⁰ Nun versucht al-Jaʿfarī mit seinen Argumenten 1 und 2 das Vorliegen eines Widerspruchs zu belegen. Doch zunächst muss gefragt werden, wie sich diese beiden Aussagen, deren Widersprüchlichkeit gezeigt werden soll, zueinander verhalten. Auf der einen Seite stehen (angebliche) christliche Thesen über die Natur Jesu und auf der anderen Seite stehen Bibelzitate, die nach einer (alternativen islamischen) Interpretation dieser christlichen These zu widersprechen scheinen. Al-Jaʿfarī bedient sich der interpretativen Methode, um den Widerspruch herauszuarbeiten. Einige Aussagen Jesu stehen im Gegensatz zu der postjesuanischen Theorie der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur in ihm: Wörtlich verstanden, widersprechen die Selbstbezeichnung Jesu als ›Menschensohn‹ (Argument 2, vgl. S7.2) und seine Aussage »Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin […]?« (Argument 3, vgl. S7.0) der Annahme der Göttlichkeit Jesu. Dieses Argument des al-Jaʿfarī ist schwach. Das Widerspruchsprinzip sagt nur, dass eine Proposition p und ihre Negation ¬p nicht gleichzeitig wahr sein können. Ein solcher direkter Widerspruch liegt hier aber nicht vor. Wenn Jesus sich als ›Mensch‹ bezeichnet, liegt nach der Zwei-Naturen-Lehre noch kein Gegensatz oder Widerspruch zur christlichen These von der Göttlichkeit Jesu vor. Wenn al-Jaʿfarī hier einen Widerspruch sieht, würde er die Unvereinbarkeit der beiden Naturen voraussetzen. Das wäre jedoch eine Petitio principii und somit ein Fehlschluss.

¹¹⁹ Vgl. Aristoteles, Metaphysik IV, 3, 1005b23–24. ¹²⁰ Vgl. Aristoteles, Metaphysik IV, 6, 1011b13–14.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

333

Deduktiv-interpretative Argumentation Zu Argument 3:¹²¹ [S9.1] »Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Gott.«¹²²

Auf Grundlage dieser Aussage Jesu konstruiert al-Jaʿfarī ein deduktiv-interpretatives Argument, um die Unabhängigkeit der beiden genannten Subjekte (Jesus und Gott) darzulegen und so die Vereinigung beider in einem Subjekt zu widerlegen. Das implizierte Argument kann wie folgt rekonstruiert werden: P1:

K2:

Die Aussage »Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Gott« impliziert grammatikalisch, dass ›ich‹ (d. h. Jesus) und Gott unabhängige Subjekte sind. Jesus und Gott existieren unabhängig voneinander. Wenn Jesus und Gott unabhängig voneinander existieren, dann können sie nicht ein Subjekt sein. Jesus und Gott sind nicht ein (einziges) Subjekt. (aus K1 und P2)

K3:

Jesus ist nicht Gott.

K1: P2:

Zu Argument 4: Das Argument 4 ist ein Subargument von Argument 3. Der Unterschied liegt lediglich darin, dass P2 im Argument 3 durch die Aussage [S9.3] »Warum hast du mich verlassen?«¹²³ ergänzt wird. Zudem wird auf die Hilflosigkeit Jesu hingewiesen. Wenn Jesus göttlich oder Gott wäre, dürfte er nicht hilflos sein. Denn al-Jaʿfarī impliziert an dieser Stelle, dass etwas, das göttlich ist, nicht hilflos sein kann. Dies widerspricht nämlich den Attributen des Göttlichen, der allmächtig ist. Zu Argument 5: »[S11] Und Christus sagte, und ihm sagte ein Mann: ›Oh tugendhafter Lehrer!‹ Und Christus sagte ihm: [S11.1] ›Warum bezeichnet ihr mich als tugendhaft? Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott, dem Einen.‹ «¹²⁴

In dieser Aussage spricht Jesus von Gott als einem eigenständigen (von ihm, Jesus, verschiedenen) Subjekt und verwendet ein verkürzt formuliertes Argument, das wie folgt rekonstruiert werden kann: P1: P2:

Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott. Jesus ist nicht Gott.

K1:

Jesus ist nicht tugendhaft.

¹²¹ Im Folgenden wird nur der zentrale Abschnitt aus diesen Argumenten wiedergegeben. Für das vollständige Argument siehe den Argumentationstext, §§ 89–97 von al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā. ¹²² Johannes 20,17. ¹²³ Matthäus 27,46 und Parallelen (Zitat aus Psalm 22,2). ¹²⁴ Markus 10,17–18 bzw. Lukas 18,18–19.

334

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Dieses formal gültige Argument lässt sich wie folgt formalisieren: P1: P2:

¬∃x[T(x) ∧ (x ̸= g)] j ̸= g

K1:

¬T(j)

In diesem Argument unterstellt Jesus, dass er nicht Gott ist (P2). Er will seinem Gesprächspartner widersprechen, also sagen, dass er nicht (wirklich) tugendhaft ist. Dies tut er durch eine Implikatur mit genau dieser impliziten Aussage. Diese implizite Aussage erhält man als Konklusion aus dem, was er explizit sagt (nur Gott ist tugendhaft) und einer unterstellten Prämisse. Diese unterstellte und für selbstverständlich angesehene Prämisse ist exakt ›Ich (Jesus) bin nicht Gott‹ (P2). Unabhängig vom Argument Jesu zeigt diese Bibelstelle also durchaus, dass Jesus in dieser Episode angibt, nicht Gott zu sein. Obwohl dieses Argument nicht die Argumentation des al-Jaʿfarī ist, sondern eine Selbstbeschreibung Jesu, die von al-Jaʿfarī wortwörtlich verstanden wird, ist es ein Teil der Argumentation al-Jaʿfarīs. Denn dieser schließt daraus: Wenn Jesus in seiner Aussage voraussetzt, dass er nicht Gott ist, dann folgt daraus, dass Jesus tatsächlich nicht Gott ist. Das oben rekonstruierte Argument lehnt sich an das deduktive Erkenntnisprinzip an, d. h., es leitet zum deduktive Erkennen und erfüllt dessen spezifische Bedingungen.¹²⁵ Lumer formuliert das deduktive Erkenntnisprinzip wie folgt: »Ein Urteil ist wahr, wenn es von wahren Urteilen logisch impliziert wird«¹²⁶. Im obigen Argument wird die Konklusion tatsächlich logisch von den Prämissen impliziert. Das Argument kann gemäß einer starken Interpretation so aufgefasst werden: In der Bibel und von dem dort zitierten Jesus wird gesagt, Jesu sei kein Gott – also ist er, weil die Bibel als wahr eingestuft wird, kein Gott. Ob die bibelbasierte naql-Prämisse P1 wahr ist, kann nicht eindeutig bejaht werden, denn P1 basiert auf mindestens zwei weiteren Prämissen: P1.1: Die Aussage in P1 ist eine Tradierung und diese Tradierung ist fehlerfrei. P1.2: Was die Bibel sagt, ist wahr. Wenn die Tradierung der Bibel fehlerfrei wäre und alles, was die Bibel sagt, wahr wäre, dann müsste die Prämisse, dass nur Gott tugendhaft ist, und somit Jesus kein Gott ist, auch wahr sein. Freilich ist sehr zweifelhaft, ob diese Prämissen wahr sind. Was al-Jaʿfarī jedoch bezweckt, ist, denjenigen zu überzeugen, der diese Prämissen selbst für wahr hält. Tatsächlich würden viele seiner Opponenten (d. h. viele Christen) an die Wahrheit dieser Prämissen glauben. Dadurch würden zumindest diejenigen, die an die Wahrheit dieser Prämissen glauben, zu der von al-Jaʿfarī beabsichtigten Erkenntnis geführt werden.

¹²⁵ Vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 154. ¹²⁶ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 154.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

335

Um die Annahmen und die Bewertung der Wahrheit der Prämissen dieser Argumentation verdeutlichen zu können, kann die Argumentation auch wie folgt rekonstruiert werden: P1: P2: P3:

Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott. Für alle x gilt: x ist genau dann tugendhaft, wenn x Gott ist. Jesus ist nicht tugendhaft.

K1:

Jesus ist nicht Gott.

Die Wahrheit der Prämisse P1 ist problematisch. P2 leitet sich aus P1 ab und ist daher ebenfalls problematisch. P3 ist ebenfalls problematisch, denn diese Prämisse kann nur dann aus P1 abgeleitet werden, wenn P1 so verstanden wird, dass nur Gott tugendhaft ist und nichts anderes tugendhaft ist. Diese Interpretation ist jedoch zumindest zweifelhaft (in allen Religionen hat man stets bestimmte Menschen für tugendhaft gehalten). Es ist zudem nicht die einzig mögliche Interpretation, sodass es nicht die einzig wahre Auslegung ist. Somit kann P3 nicht als wahr gelten. Somit ist al-Jaʿfarīs Ableitung von P3 aus P1 nur wahrheitsähnlich. Das führt dazu, dass dieses Argument nicht als wahr, sondern im besten Fall als wahrheitsähnlich bewertet werden kann. Des Weiteren legt al-Jaʿfarī im zweiten Kapitel ein weiteres bibelbasiertes Argument gegen die These vor, dass die göttliche Natur sich mit der menschlichen Natur vereinigt. Al-Jaʿfarī fragt darauf, ob diese Aussage durch mushāhada¹²⁷ oder durch die Offenbarungsschrift als Nachricht (khabar) bezeugt wird. Im Folgenden soll die Argumentation des letzteren Typs dargestellt werden. Al-Jaʿfarī formuliert implizit die Prämisse, dass, wenn eine Bibelstelle einer christlichen Aussage widerspricht, die sich selbst auf die Bibel stützt, dann diese Aussage falsch sein muss. Diese Prämisse ist insoweit problematisch, weil sie eigentlich nur sagt, dass die christliche These und die Bibelstelle im Widerspruch zueinander stehen. Dabei nimmt al-Jaʿfarī die Bibel wortwörtlich und erlaubt keine (christliche) Interpretation. Damit versucht al-Jaʿfarī die Christen daran zu hindern, die Bibel als Beleg für eine These heranzuziehen, indem er zu zeigen versucht, dass die Bibel dieser These offenkundig widerspricht. Zunächst der Argumentationstext: »[S1] Und wenn sie dies [sc. die Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur] auf die Aussagen Christi zurückführen, [S1.1] so würde (selbst) sein Evangelium sie [sc. die Christen] durch seine Aussagen verleugnen, [S1.2] die seine menschliche Natur unter Beweis stellen, [S1.3] wie (z. B.) seine Aussage den Juden gegenüber im Evangelium: ›[S2] Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?‹¹²⁸ […] [S3] Hier berichtet er also, dass er ein Mensch ist. [S4] Und das ist eine klare Widerlegung¹²⁹ für die, die behaupten, er sei zugleich Mensch und Gott. [S5] Christus sagte: ›Ich fahre auf zu

¹²⁷ Vgl. das mushāhada-Argument des al-Jaʿfarī, siehe dazu hier Abschnitt 9.3. ¹²⁸ Wohl nach Johannes 7,19 und 8,40. ¹²⁹ Andere mögliche Übersetzung: Leugnung.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

meinem und zu eurem Gott.‹¹³⁰ [S6] Und er sagte auch: ›Warum hast du mich verlassen?‹¹³¹ [S7] Somit machte er selbst klar, dass er ein Mensch ist. [S8] Er hat einen Gott und einen Herrn, auf den er seine Hoffnung setzt und den er anruft. [S9] Und Christus sagte, und ihm sagte ein Mann: ›Oh tugendhafter Lehrer!‹ Und Christus sagte ihm: ›Warum bezeichnet ihr mich als tugendhaft? Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott, dem Einen.‹¹³² Und das ist, wie ihr seht, eine klare Leugnung für die, die behaupten, er sei ein Gott, der sich mit einem Menschen vereint hat.«¹³³

Um dieses Argument korrekt einordnen zu können, müssen zunächst die Aussagen der von al-Jaʿfarī herangezogenen Bibelstellen verdeutlicht werden. Die Bibelstelle »Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?«¹³⁴ enthält die Aussagen ›Ich bin nur ein Mensch‹ und ›Ich habe das rechte Wort von Gott erhalten‹. Die erste Aussage weist offenkundig auf die menschliche Natur hin. Die zweite Aussage weist auf zwei Personen hin, auf Jesus und auf Gott, von dem Jesus das rechte Wort erhalten hat. Bei der Interpretation und argumentativen Verwendung dieser Bibelstelle setzt al-Jaʿfarī folgende Prämisse voraus: ›Wenn x eine Sache y von z nimmt, können x und z nicht dieselbe Person sein. Somit kann Jesus nicht Jesus und zugleich Gott sein.‹ Der Zusammenhang dieser Prämisse ist recht speziell, sie bezieht sich auf eine Weitergabe von Informationen. Damit ist sie nur sinnvoll, wenn Sender und Empfänger verschieden sind. Al-Jaʿfarī deutet die von ihm aus den Evangelien zitierten Aussagen Jesu wortwörtlich und kontextlos. Diese Herangehensweise ist jedoch durchaus voraussetzungsreich und problematischer als etwa, nur die aus einer Reihe von Vorstellungen geeignetste oder wertvollste zu wählen. Denn damit ignoriert alJaʿfarī bewusst den Kontext, der einer christlichen Interpretation zugrunde liegt und ein Ergebnis der christlichen Dogmengeschichte ist. Die Bibel zieht er nur heran, weil er durch die Suche in ihr mögliche Überreste wahrer Offenbarungen zu finden hofft. Die Annahme, dass in der Bibel nur wenig wahre Offenbarung enthalten sein könnte, hindert al-Jaʿfarī und andere Radd-Autoren konsequenterweise daran, die Bibel als Ganzes zur Kontextbildung heranzuziehen. Denn der biblische Kontext könnte selbst korrupt und verfälscht sein, so die Theorie der allermeisten Radd-Autoren. Wenn al-Jaʿfarī einen Kontext beachtet, dann denjenigen des Korans. Denn er misst die Bibel an der sogenannten letzten Offenbarung. Nur durch den impliziten Vergleich mit dem Koran lässt sich das Argument oben ohne Beachtung des biblischen Kontextes erklären, wenn ausgenommen wird, dass al-Jaʿfarī keinen Zugang zur ganzen Bibel hatte. Denn die herangezogenen biblischen Stellen stehen der koranischen Darstellung Gottes nahe. Ohnehin besteht die Theorie

¹³⁰ Johannes 20,17. ¹³¹ Matthäus 27,46 und Parallelen (Zitat aus Psalm 22,2). ¹³² Markus 10,17–18 bzw. Lukas 18,18–19. ¹³³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 89–97. ¹³⁴ Wohl nach Johannes 7,19 und 8,40.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

337

der islamischen Interpretation der Bibel darin, die Bibel mit dem Koran zu vergleichen und alles, was dem Koran nicht widerspricht, als potenzielle wahre Offenbarungen zu betrachten. Dieses Prinzip wendet auch al-Jaʿfarī – wenn auch nicht explizit – bei der Auswahl der biblischen Stellen für seine Argumente an. Schon Wilms attestierte al-Ghazālī, dass seine exegetischen Richtlinien für das Neue Testament dieselben wie für den Koran waren. Wilms fasst diese in zwei Punkten zusammen: (i.) Wenn der Text des Neuen Testaments logisch ist, dann müsse man den Wortsinn gelten lassen, und (ii.) wenn der Text dem Verstand widerspricht, dann muss er so interpretiert werden, dass der Wortsinn auf seinen metaphorischen Sinn zurückgeführt wird.¹³⁵ Diese islamische Lesart, die den Verstand als Urteilsinstanz für die Interpretation der Offenbarung heranzieht, führt al-Jaʿfarī, wie bei al-Ghazālī vorhanden, uneingeschränkt fort. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob die rekonstruierte Argumentation 1 diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹³⁶ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation 1 besteht aus den Argumenten 1 (S7) und 2 (vgl. S7.2) gegen die These q. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation 1 enthält keinen klassischen Argumentationsindikator. Jedoch übernimmt S6 diese Funktion, S6 besagt nämlich: Die Bibel widerspricht der christlichen Interpretation aus den folgenden Gründen. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation 1 ist, dass Jesus nur ein Mensch sei und nicht göttlich oder zugleich göttlich; diese These kann von S8, S10 und S12 abgeleitet werden. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S6 als nicht-klassischer Argumentationsindikator zeigt, dass das, was der Opponent vor S6 behauptet, die christliche These darstellt, und leitet in S7 die Argumentation gegen diese These ein.

¹³⁵ Vgl. Wilms, »Kommentar« 152–153. ¹³⁶ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

338 A2:

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der Argumentation liegt das interpretative Erkenntnisprinzip zugrunde. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Als erste Bedingung für das interpretative Erkenntnisprinzip nennt Lumer: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört.«¹³⁷ Diese Bedingung ist hier nicht erfüllt. Lumer führt in solchen Fällen (wenn eine Interpretation zwar nicht die einzig mögliche ist, aber immerhin möglich ist) das Konzept der Wahrscheinlichkeit ein. Al-Jaʿfarīs Interpretation ist nicht die einzig mögliche Erklärung bzw. Interpretation: Die Aussage »ich bin doch (nur) ein Mensch« lässt nicht nur die islamische Lesart zu. Jedoch ist diese Lesart immerhin durchaus möglich. Deshalb leitet die Argumentation folgende Schritte ein, die von Lumer wie folgt theoretisch aufgestellt werden: 1. Argumentation muss Explanandum erklären. 2. Wahrscheinlichkeit muss größer 0 sein. 3. Wahrscheinlichkeit größer 0 ist vorhanden, wenn Indizien zu einer möglichen Erklärung führen.¹³⁸ Die vorliegende Argumentation des al-Jaʿfarī erklärt und begründet seine Interpretation. Durch eine alternative islamische Lesart, die mit bestimmten Bibelstellen begründet wird, stellt er die These auf, dass Jesus nur ein Mensch sei und weder Gott noch zugleich Mensch und Gott. Anhand der bibelbasierten Begründung dieser seiner Lesart ist seine Interpretation möglich und somit die Wahrscheinlichkeit größer 0. A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Die Interpretation al-Jaʿfarīs ist schwach, denn sie ist nicht die einzig mögliche, vielleicht nicht einmal die nächstliegende. Zudem besagt die Prämisse des Widerspruchsprinzips nur, dass zwei Propositionen p und ¬p nicht gleichzeitig wahr sein können. Ein solcher Widerspruch liegt hier nicht vor. Wenn Jesus sich selbst als Menschen bezeichnet, liegt nach der Zwei-Naturen-Lehre noch kein Gegensatz oder Widerspruch zur christlichen Göttlichkeitsthese vor. Wenn al-Jaʿfarī hierin einen Widerspruch sähe, würde er die Unvereinbarkeit der beiden Naturen bereits voraussetzen. Das wäre jedoch eine Petitio principii, also ein Fehlschluss. Somit fußt die Argumentation auf schwachen Prämissen. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zut Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass Jesus nur ein Mensch sei und nicht göttlich oder zugleich Gott und Mensch.

¹³⁷ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92. ¹³⁸ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 221–246.

9.3. Das mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit

339

Diese Begründungen werden s erst zur Zeit t durch diese vorliegende Argumentation zugänglich gemacht. Das vorliegende interpretative Argument 1 erfüllt somit die Standardfunktion von Argumentationen. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist im Falle von al-Jaʿfarīs christlichen Opponenten offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹³⁹ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁴⁰ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit. Dass der vorliegenden Argumentation eine schwache, aber dennoch wahrscheinliche Interpretation zugrunde liegt, lässt die Frage aufkommen, ob es sich hierbei um eine scheinbar gültige Argumentation handeln könnte. Dies ist jedoch zu verneinen, weil wahrheitsähnliche interpretative Argumentationen zwar nicht die einzig mögliche Interpretation sind, aber dennoch nicht falsch sind. Bei scheinbar gültigen Argumentationen müssen die Prämissen einigen Adressaten wahr erscheinen, aber tatsächlich und objektiv gesehen nicht zu einer gültigen Argumentation führen, bei der die Argumentation formal gültig und mit wahren Prämissen konstruiert ist.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁴¹ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x.

¹³⁹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁴⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29. ¹⁴¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

340

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Im Falle des Arguments 1 müsste der Adressat das interpretative Erkenntnisprinzip kennen. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Interpretation und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Interpretation.

A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das interpretative Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S9 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Im Falle des vorliegenden Arguments dürfte der Adressat zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, problematisch sind und dass die Interpretation al-Jaʿfarīs schwach ist. Die Interpretation von »ich bin doch (nur) ein Mensch« des al-Jaʿfarī ist nicht die einzig mögliche. Dagegen steht die christliche Interpretation des christlichen Adressaten, und al-Jaʿfarī kann nicht belegen, dass die Wahrscheinlichkeit seiner Interpretation höher ist als die christliche. Zudem erkennt der Adressat, der die Zwei-Naturen-Lehre kennt, dass noch kein Gegensatz oder Widerspruch zur christlichen Göttlichkeitsthese vorliegt, wenn Jesus sich als ›Mensch‹ bezeichnet. So kann resümiert werden, dass der Adressat von der Wahrheit der Prämissen in al-Jaʿfarīs Argumentation nicht überzeugt werden konnte. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die hier behandelte Argumentation al-Jaʿfarīs liefert vermutlich keine hinreichend starke Begründung nach den Ansprüchen des Adressaten. Zwar liegt der Argumentation das interpretative Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet unwahren bzw. zweifelhaften Prämissen, wie etwa der Interpretation des al-Jaʿfarī, dass die Aussage »ich bin doch (nur) ein Mensch« der christlichen Zwei-Naturen-Lehre widerspreche. Auch wenn einige Prämisse von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden, sind die Prämissen nur wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These gesenkt. Somit liefert die vorliegende interpretative Argumentation nach den Ansprüchen des Adressaten keine hinreichend starke Begründung.

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

341

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument Al-Jaʿfarī macht in seinen Argumentationen wiederholt von dem Konzept des taṣnīf (Disjunktion) Gebrauch, um mögliche alternative Interpretationen eines Konzepts vorlegen und bewerten zu können. Eine solche Disjunktion, die auch als al-sabr wa-l-taqsīm bezeichnet werden kann, kann in der argumentativen Anwendung eine komplexere Form haben. Der Argumentierende hat hierbei die argumentative Leistung zu erbringen, diese Aussagen zu verneinen, um diejenige Aussage zu bejahen, die die eigene These bestärken. Die argumentative Leistung besteht somit darin, (i.) die möglichen Einteilungen vorzunehmen und (ii.) die Negation durchzuführen. In der praktischen Anwendung werden vom Argumentierenden alle möglichen Einwände des Opponenten als Disjunktion erfasst, um diese anschließend einzeln zu widerlegen. Somit ist das al-sabr wa-l-taqsīm im Radd eine wichtige Methode der Widerlegung, die im Radd des al-Jaʿfarī sehr intensiv als Kompositionsprinzip herangezogen wird. Das al-sabr wa-l-taqsīm kann für mehrere Argumentationsstrategien verwendet werden. Wenn der Argumentierende beispielsweise beweisen möchte, dass ein Satz gilt, aber für diesen Satz keinen direkten Beweis hat, kann er diesen Satz belegen, indem er durch eine Fallunterscheidung aller mit diesem Satz im Widerspruch stehender Möglichkeiten und durch deren Widerlegung einen indirekten Beweis aufstellt. Ein christlicher Zeitgenosse al-Jaʿfarīs, der Logiker Lambert von Auxerre (gest. ca. 1250), gibt hierzu folgendes Beispiel, wobei er dieses Verfahren als ›reductio per impossibile‹ bezeichnet: Wenn der Argumentierende beweisen will, dass die Zeit keinen Anfang hat, dann scheint diese Unternehmung schwierig. Jedoch kann durch eine Fallunterscheidung die Prämisse aufgestellt werden, dass die Zeit entweder einen Anfang hat oder nicht. Angenommen, die Zeit hat einen Anfang, dann folgt daraus, dass es vor dem Anfang der Zeit eine weitere Zeit gegeben haben muss; daraus folgt, dass die erste Möglichkeit inkorrekt ist und in Widerspruch zu der zweiten Möglichkeit steht, und daraus wird abgeleitet, dass die Zeit keinen Anfang hat.¹⁴² Durch diese Fallunterscheidung (al-sabr wa-l-taqsīm) wird somit mithilfe des Widerspruchsverhältnisses beider Möglichkeiten ein Beweis für eine der Möglichkeiten konstruiert.¹⁴³ Die im Folgenden analysierten beiden Beispiele, die hier kurz als Körperewig-Argument und als Hypostasen-Argument bezeichnet werden sollen, stehen exemplarisch für die praktische Anwendung des al-sabr wa-l-taqsīm bei alJaʿfarī.

¹⁴² Vgl. Lambert von Auxerre, Logica (Summa Lamberti) 139. ¹⁴³ Auf diese Art der indirekten Beweisführung verweist auch al-Ghazālī (vgl. al-Ghazālī, Tractatus de logica, hg. von Lohr 267).

342

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Das Körper-ewig-Argument Al-Jaʿfarī schreibt: »[S1] Wenn ihr das Erste [sc. Sohnschaft des Körpers des Messias] meint, so ist es unmöglich, [S2] denn es würde sich notwendigerweise daraus ergeben, dass der Ewige [sc. Gott] einen Körper gebären müsste. [S3] Und dementsprechend müsste er einen Körper wie sich selbst gebären. [S4] Und wenn der Ewige ein Körper wäre, so müsste er aus zwei oder sogar mehr Substanzen bestehen. [S5] (Dagegen spricht:) Jedes Zusammengestellte benötigt notwendigerweise einen Zusammensteller, [S6] da es unmöglich ist, dass das Zusammengestellte sich selbst zusammenstellt und sich selbst zusammensetzt. [S7] So ist es ungültig, dass der Ewige ein Körper sein kann.«¹⁴⁴

Für die These, dass es unmöglich ist, dass der Ewige (d. h. Gott) einen Körper haben kann bzw. dass Jesus als Körper Gottes Sohn ist, kann das obige Argument wie folgt rekonstruiert werden: P1:

eP5: eP6: eP7:

Wenn Jesus der leibliche Sohn Gottes ist, dann müsste der Ewige (d. h. Gott) einen Körper wie sich selbst (d. h. einen göttlichen Körper) geboren haben. (aus S2) Wenn der Ewige (d. h. Gott) einen Körper wie sich selbst (d. h. einen göttlichen Körper) geboren hat, dann müsste er selbst ein Körper sein. (aus S3) Wenn der Ewige ein Körper ist, dann besteht er aus zwei oder sogar mehr Substanzen.¹⁴⁵ (aus S4) Wenn etwas aus zwei oder sogar mehr Substanzen besteht, dann müsste es einen Zusammensteller haben, der vom Zusammengestellten verschieden ist.¹⁴⁶ (aus S5¹⁴⁷) Wer einen Zusammensteller hat, ist nicht Gott.¹⁴⁸ Wenn Gott einen Zusammensteller hat, ist Gott nicht Gott. (aus eP5) Gott ist aber Gott. (aus eP5)

T:

Jesus ist nicht der leibliche Sohn Gottes.

P2:

P3: P4:

Die Struktur dieses Arguments ist aussagenlogisch rekonstruierbar. Es ist ein mehrstufiger Modus Tollens, was sich besonders deutlich in einer vereinfachten formalen Darstellung zeigt. Mit den folgenden Aussagevariablen:

¹⁴⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 16–17. Ein ähnliches Argument liefert alQarāfī, der auf den Widerspruch hinweist, dass etwas Mögliches (Jesus als Mensch) nicht zu etwas Notwendigem (Jesus als Gott) werden kann (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 280). ¹⁴⁵ Prämissentyp: badīhiyyāt, zu diesem Prämissentyp vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 190. ¹⁴⁶ Prämissentyp: badīhiyyāt, zu diesem Prämissentyp vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 190. ¹⁴⁷ S6 ist die Begründung für S5: Alles Zusammengestellte kann sich nicht selbst zusammenstellen. ¹⁴⁸ Begründung für diese eingefügte Prämisse: Gott ist ewig, einzig, nicht geschaffen. Prämissentyp: badīhiyyāt, zu diesem Prämissentyp vgl. hier Abschnitt 4.2, S. 190.

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

A: B: C: D: E: F:

343

Jesus ist der leibliche Sohn Gottes. Gott gebärt einen Körper. Gott müsste einen Körper haben. Gott müsste aus mehr als zwei Substanzen bestehen. Gott müsste einen Zusammensteller haben. Gott ist nicht Gott.

ergibt sich als vereinfachte Formalisierung: P1: P2: P3: P4: eP6: eP7:

A→B B→C C→D D→E E→F ¬F

(S2) (S3) (S4) (S5)

T:

¬A

(S1)

Das Argument basiert auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip. Im Argument wird die Konklusion logisch von den Prämissen impliziert. Ob die Prämissen wahr sind, ist allerdings anzuzweifeln. Vor allem P2 und P4 sind problematisch. Womöglich sieht al-Jaʿfarī in diesen Prämissen analytische Wahrheiten, die keiner weiteren Begründung bedürfen. Zumindest diejenigen, die seine Sicht teilen, leitet sein Argument zur Erkenntnis von T. Unklar bleibt dabei die Rolle von S7. S7 folgt nicht aus dem Vorhergehenden. Es ist möglich, dass al-Jaʿfarī sich verzettelt hat und den Überblick verloren hat. Denn in seinem Argument fehlen wichtige Prämissen wie eP5, eP6 und eP7. Wenn man diese Prämissen einsetzt, dann folgt die These T klar aus S1. Was die Wahrheit der weiteren Prämissen angeht, so ist P1 nicht notwendigerweise wahr (also kein badīhiyyāt), auch wenn al-Jaʿfarī womöglich darauf abzielt. Die Grundprämisse, die P1 zugrunde liegt, lautet, dass Körper nur von Körpern geboren werden können, die dieselbe Beschaffenheit haben wie sie. Diese Prämisse ist jedoch nicht apriorisch, vielmehr basiert sie auf unseren Erfahrungen (tajriba) und sollte daher als mashhūrāt-Prämisse (allgemein anerkannte Prämisse) oder tajribiyyāt-Prämisse (auf Erfahrung basierende Prämisse) klassifiziert werden.¹⁴⁹ Beide Prämissentypen können sowohl wahr als auch falsch sein. Daher kann P1 vorsichtig zunächst als möglicherweise wahr betrachtet werden. P2 basiert auf P1. P2 liegt die Prämisse zugrunde, dass, wer einen Körper gebiert, selbst auch einen Körper haben muss. Auch diese Prämisse basiert auf mashhūrāt-Prämissen oder tajribiyyāt-Prämissen und kann zunächst als wahrscheinlich wahr betrachtet werden. P3 kommt einer badīhiyyāt-Prämisse am nächsten. Wenn etwas als Körper definiert wurde, muss es mindestens aus zwei Substanzen bestehen. P4 wiederum wirkt wie eine notwendigerweise wahre badīhiyyāt-Prämisse, und womöglich betrachtet auch al-Jaʿfarī

¹⁴⁹ Vgl. die Beschreibung dieser Prämissentypen in Abschnitt 4.2, S. 204 und 212.

344

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

P4 als badīhiyyāt. Allerdings impliziert P4 einen aktiven Zusammensteller. Die Ergänzungsprämissen eP5 und eP6 basieren auf einem bestimmten Gottesbegriff. Nur unter der Annahme, dass dieser Begriff der wahren Beschaffenheit Gottes entspricht, können diese Prämissen sicher als wahr betrachtet werden. Al-Jaʿfarī – aber auch sein christlicher Opponent – dürften an der Wahrheit dieser Ergänzungsprämissen allerdings keinen Zweifel gehabt haben. Letztlich ist dieses Argument ein komplexes und formal gültiges Argument mit gut gewählten Prämissen, gut gewählt in dem Sinne, dass die Prämissen zwar zum Teil objektiv angezweifelt werden können, aber trotzdem offenbar die situative Adäquatheit gegeben ist. Auch wenn die Prämissen keine badīhiyyātPrämissen sind, müssen sie doch keineswegs falsch sein. Somit liegt hier ein gut konstruiertes Argument vor, das insgesamt zumindest als wahrheitsähnlich einzustufen ist. Das Hypostasen-Argument Im Rahmen seines taṣnīf-Arguments formuliert al-Jaʿfarī die folgende Interpretationsmöglichkeit zur Auslegung der Aussage, Jesus sei Gottes Sohn und Gott sei sein Vater: »[S15] Wenn ihr das Zweite meint [sc. dass Jesus Gottes Wort, Logos ist], so ist auch dieses unmöglich [sc. ungültig]. [S16] Denn das Wort ist bei euch die Hypostase [sc. die personifizierte Wesenheit] des Wissens [S16.1] und dieses ist eine Eigenschaft des Vaters. [S17] Und wenn das Wissen eine Selbsteigenschaft des Vaters ist, wie könnte sie [sc. die Selbsteigenschaft] sich verzögern, bis er [sc. Gott] sie gebärt? [S18] Wobei er ihr in Hinblick auf seine Existenz nicht zuvorkommen kann, sondern mit ihr [sc. der Selbsteigenschaft] als die Hypostase des Lebens ewig zusammen existiert. [S19] Die Vernunft besagt, dass der Vater vor dem Sohn existieren muss. [S20] Wenn ihr mit der Existenz des Wortes die Eigenschaft des Wissens meint, [S21] dann setzt das voraus, dass der Ewige für das ›später Entstehende‹ [sc. nicht ewig existierende] ein Rahmen ist.«¹⁵⁰

Diese Argumentation hängt stark von den Bedeutungen der einzelnen Konzepte ab. Wie versteht al-Jaʿfarī etwa die Konzepte ›Hypostase‹, ›Wort‹ oder ›Wissen‹? Zwar kann das Verständnis des al-Jaʿfarī im Kontext seiner Argumentation näher rekonstruiert werden, doch die Frage, ob sein Opponent diesen Konzepten dieselbe Bedeutung beimisst, bleibt zunächst unklar. Aus S16–16.1 ergibt sich die Gleichsetzung zwischen Wort und Hypostase des Wissens und Eigenschaft des Vaters. Wenn ›Wissen‹ zum Vater gehört und das Wissen (und Wort) Jesus ist – so die zweite Annahme, wie man die Aussage, Jesus sei Gottes Sohn und Gott sein Vater, verstehen könne –, dann ergibt sich für al-Jaʿfarī die Frage, wie Jesus zeitlich betrachtet nach dem Vater kommen kann, der mit der Eigenschaft des Wissens ewig sein müsste. Wenn Jesus als Wort (Gottes) verstanden wird, dann ist Jesus als Gottessohn so zu verstehen, dass das Wort eine Selbsteigenschaft Gottes ist und daher Jesus als Wort – und somit Eigenschaft Gottes – ein Teil Gottes ist. Folglich

¹⁵⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 20–22.

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

345

ist Jesus ein Teil Gottes und würde gemäß al-Jaʿfarī nur metaphorisch als Sohn bezeichnet, denn für ihn ist es unmöglich (vgl. S15), dass Jesus Gottes Sohn und Gott sein Vater und zugleich Jesus ein Teil Gottes ist. In diesem Argument ist die Bezeichnung ›Wort‹ bzw. Logos zentral. Hierbei geht es vor allem um die Beziehung zwischen Wort/Logos und Gott. Für das Verständnis des biblischen Konzepts von Wort/Logos und was damit gemeint sein kann, ist Johannes 1,1c von zentraler Bedeutung. Schon die Übersetzungen sind darüber nicht einig, ob man Logos hier mit ›Wort‹ übersetzen kann und wie die Beziehung zwischen Wort und Logos zu verstehen ist. Eine Vielzahl von Varianten, die von Eva-Maria Gerigk¹⁵¹ zusammengetragen werden, ist zu beobachten: a) b) c) d) e) f) g)

»… und Gott war Logos«; »… und ein Gott war Logos«; »… ein Gott war der Logos«; »… und Gott war Er, das Wort«; »… und das Wort war Gott«; »… und ein Gott war das Wort«; »… und göttlicher Art war der Logos«.

Dazu können noch folgende Varianten hinzugefügt werden: h) »… und von Gottes Wesen war der Logos«¹⁵²; i ) »… und [wie] Gott war das Wort«¹⁵³. Gegen diese Annahme formuliert al-Jaʿfarī sein Hypostasen-Argument. Dem Interpreten des Arguments erscheinen die folgenden beiden Strategien möglich: Strategie 1: Al-Jaʿfarī möchte womöglich gar kein schlüssiges Argument vorlegen, sondern einen Widerspruch in den Thesen des christlichen Opponenten aufzeigen bzw. lediglich auf einen Widerspruch hinweisen. Diese Lesart wird unterstützt von der Aussage »[S15] Wenn ihr das Zweite meint [sc. dass Jesus Gottes Wort, Logos ist], so ist auch dieses unmöglich [sc. ungültig]«. Für al-Jaʿfarī reicht es aus, zeigen zu können, dass die Thesen der Christen nicht möglich sind. Schon damit hätte er seine These aus S15 belegt. Strategie 2: Die zweite Strategie könnte darin liegen, dass al-Jaʿfarī die Prämissen der Christen aufgreift, um seine eigenen Thesen durch ein schlüssiges Argument zu belegen. Zu Strategie 1 Diese Strategie will einen Widerspruch zwischen den Prämissen des christlichen Opponenten aufzeigen. Dabei besteht das Ziel nicht in der Konklusion der Argumentation; die Argumentation soll vielmehr zeigen, dass (mindestens)

¹⁵¹ Vgl. die einzelnen Quellen der Varianten bei Gerigk, Wahlverwandtschaften 224–225. ¹⁵² Vgl. Zürcher Bibel (Ausgabe 2007). ¹⁵³ Vgl. Konkordantes Neues Testament.

346

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

eine der christlichen Prämissen logischerweise falsch sein muss, weil diese im Widerspruch zueinander stehen. Um diese Strategie näher beurteilen zu können, ist zunächst folgende Rekonstruktion notwendig: P1: P2:

Das Wort ist die Hypostase des Wissens. Die Hypostase ist eine Eigenschaft des Vaters.

K1: P3:

Das Wort ist eine Eigenschaft des Vaters. (P1, P2) Das Wort ist Jesus.

K2: P4:

Jesus ist eine Eigenschaft des Vaters. (K1, P3) Jede Eigenschaft existiert solange wie ihr Träger. (Vernunftannahme)

K3:

Jesus existiert solange wie der Vater. (K2, P4)

P5: P6:

Ein Vater muss vor seinem Sohn existieren. (Vernunftannahme, vgl. S19) Jesus ist der Sohn des Vaters.

K4:

Der Vater muss vor Jesus existieren. (aus P5, P6)



Zwischen K3 und K4 besteht ein offensichtlicher Widerspruch.

Al-Jaʿfarī hätte mit dieser Argumentation gezeigt, dass die Prämissen der Christen, wenn sie alle für wahr gehalten werden, zu einem offensichtlichen Widerspruch führen und daher mindestens eine dieser Prämissen falsch sein muss. Obwohl dies theoretisch irgendeine der obigen Prämissen sein könnte, können P4 und P5 ausgeschlossen werden, da sie Vernunftannahmen (badīhiyyāt) des al-Jaʿfarī sind, deren Akzeptanz auch beim christlichen Opponenten zu erwarten ist. Ebenso kann P3 ausgeschlossen werden, weil al-Jaʿfarī nicht ausschließt, dass Jesus Gottes Wort ist – denn auch im Koran wird Jesus als Gottes Wort beschrieben, obgleich dieser Vers damit eine islamische Interpretation erfährt.¹⁵⁴ Womöglich möchte al-Jaʿfarī daher mit dem aufgezeigten Widerspruch P6 als unwahr erweisen.

¹⁵⁴ Al-Qarāfī, der in seinem Radd al-Jaʿfarī als Vorlage benutzte, konstruiert hierzu eine weitere Interpretation. Wenn Christen mit dem Begriff ›Logos‹ (Wort) nur ausdrücken wollten, dass Gott in Jesus die Rede erschaffen habe, in der er Gottes Offenbarung an die Menschen übermittelte, dann wäre dies für Muslime akzeptabel, denn Gott habe das Wort auch bei anderen Propheten erschaffen, damit diese ebenfalls die Offenbarung Gottes an die Menschen übermitteln (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 279). Allerdings müsste al-Qarāfī bekannt sein, dass die Christen ›Logos‹ keineswegs (nur) als prophetisches Attribut verstehen; daher handelt es sich vielmehr um die Konstruktion einer alternativen Interpretation. Ergänzend dazu konstruiert al-Qarāfī ein interessantes Argument gegen die Möglichkeit einer Sendung des Logos auf die Erde. Er vertritt die These, dass bei Gott nur das geistige Wort vorhanden sei; ansonsten würde dies voraussetzen, dass Gott ein Körper sei. Daher könne Jesus, da bei Gott nur das geistige Wort vorhanden sei, nicht als Logos auf die Erde herabgesandt worden sein (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 279–280).

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

347

Strategie 1 ist für al-Jaʿfarī sehr vorteilhaft, weil er hier selbst gar kein schlüssiges Argument aufstellen, sondern lediglich ein Widerspruch im gegnerischen Argument zeigen muss. Zu Strategie 2 Wenn die zweite Strategie herangezogen wird, lässt sich eine alternative Rekonstruktion der These, dass Jesus nicht die ewige Eigenschaft des Wissens ist, wie folgt herleiten: P1: P2:

Der Vater muss vor dem Sohn existieren. (S19) Jesus ist Gottes Sohn. (generelle Annahme der Christenheit)

K1: P3:

Der Vater existiert vor Jesus. (P1 und P2) Wenn der Vater vor Jesus existiert, können beide nicht gleichzeitig und gemeinsam ewig sein. (S17, S21)

K2: eP1:

Vater und Jesus sind nicht gleichzeitig und gemeinsam ewig. (K1, P3) Das Besitzen einer ewigen Eigenschaft setzt Ewigsein voraus.

K3: P4:

Entweder der Vater oder Jesus haben keine ewige Eigenschaft. Der Vater ist ewig. (generelle Annahme der Christenheit)

K4:

Jesus hat keine ewige Eigenschaft.

eP2: eP3:

Alle Eigenschaften des ewigen Vaters sind ewig. Wissen ist eine Eigenschaft des Vaters.

K5:

Wissen ist eine ewige Eigenschaft. (eP2 und eP3)

K6:

Jesus hat (ist) nicht die ewige Eigenschaft des Wissens. (K4, K5, These aus S15)

Diese Rekonstruktion gibt zugleich den Definitionsbereich an und zeigt dadurch, aus welchen Thesen und Prämissen das Argument aufgebaut ist. Es liegt eindeutig ein Argument vor: S15 ist der Argumentationsindikator des Arguments und versucht deutlich zu machen, dass die christliche These falsch ist und das folgende Argument dies belege. Somit zeigt S15 auch, welche Aussagen die These und welche die Prämissen bilden. Die Wahrheitsgarantie eines Arguments ist gegeben, wenn die Prämissen wahr sind und diese logisch die These implizieren. Dies muss gesondert untersucht werden. Noch wichtiger erscheint hier jedoch die Frage der Adäquatheit der Prämissen, d. h. ob die Prämissen vom Adressaten für wahr gehalten werden oder nicht. In den Rekonstruktionen nach den beiden Strategien stützen v. a. folgende Prämissen die jeweilige These: Zu Strategie 1, P1: ›Das Wort ist die Hypostase des Wissens.‹ Die Wahrheit dieser Prämisse ist nicht eindeutig zu klären, zumal die Existenz solcher Hypostasen nicht festgelegt werden kann. Was die Adäquatheit angeht, so ist diese Aussage auch unter Christen umstritten und nicht eindeutig definiert. Dennoch

348

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

gibt es Christen, die diese Prämisse für wahr halten. Somit ist eine Adäquatheit zumindest bei diesen Christen gegeben. Zu Strategie 1, P2: ›Die Hypostase ist eine Eigenschaft des Vaters.‹ Auch die Wahrheit dieser Prämisse ist nicht eindeutig zu klären. Anders als bei P1 glaubt jedoch eine Mehrzahl der Christen, dass die Hypostasen Eigenschaften des Vaters sind. Somit ist eine Adäquatheit gegeben. Zu Strategie 1, P3: ›Das Wort ist Jesus.‹ Auch die Wahrheit dieser naql-Prämisse (auf der Offenbarung basierende Prämisse) ist nicht eindeutig zu klären. Jedoch glaubt eine Mehrzahl der Christen an die Wahrheit dieser Prämisse. Somit ist eine Adäquatheit gegeben. Zu Strategie 2, P1: ›Der Vater muss vor dem Sohn existieren.‹ Nach allen menschlichen Erfahrungen müsste der Vater vor dem Sohn kommen, d. h. existieren. Unter dieser Voraussetzung ist die Wahrheit dieser Prämisse gegeben und sie als badīhiyyāt-Prämisse zu klassifizieren. Die Adäquatheit und die Anwendung dieser Prämisse auf Jesus ist jedoch fraglich; vor allem, wenn Jesus nicht (nur) als leiblicher Sohn verstanden wird; denn damit eröffnen sich weitere Erklärungsmöglichkeiten. Zu Strategie 2, P3: ›Wenn der Vater vor Jesus existiert, können beide nicht gleichzeitig und gemeinsam ewig sein.‹ Diese Prämisse basiert auf folgendem Gedankengang: Wenn x zeitlich der Existenz von y vorhergeht, dann hat es eine Zeit gegeben, in der x existierte, aber y noch nicht. Somit wäre y nicht ewig. Also können x und y nicht beide gleichzeitig und gemeinsam ewig sein. Wenn man diese Prämisse aber als Grundlage für Aussagen wie ›Wenn der Vater vor Jesus existierte, dann gab es eine Zeit, in der Jesus noch nicht existierte‹ heranzieht, dann bringt diese Prämisse Probleme mit sich. Die Vorstellung, dass es eine Zeit gegeben haben könnte, in welcher der Sohn noch nicht existierte, war Gegenstand heftiger Diskussionen in der Alten Kirche und wurde und wird von den meisten Kirchen abgelehnt.¹⁵⁵ Daher ist eine Adäquatheit dieser Prämisse nur für wenige Christen gegeben. Allen Prämissen und auch das Argument weisen eine prinzipielle Adäquatheit auf, denn theoretisch ist immer mindestens eine Person vorhanden, welche die Prämissen für wahr und akzeptabel hält, aber die Wahrheit und Akzeptabilität der These noch nicht erkannt hat. Die Schlussbeziehung zwischen den Prämissen und der These ist für den Adressaten offenkundig. Das rekonstruierte Argument basiert auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip und die Schlussbeziehung ist offensichtlich deduktiv. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat

¹⁵⁵ Zur christlichen Debatte über die Präexistenz Christi vgl. etwa Hägglund, Geschichte 24–25, 35–36, 38–39, 42–43, 56–59 sowie Hauschild, Lehrbuch Bd. 1, 6–7 und 29.

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

349

ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das rekonstruierte Körperewig-Argument diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹⁵⁶ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation besteht aus Argumenten für die These q, dass Jesus nicht der leibliche Sohn Gottes sei. Aus den Prämissen P1, P2, P3, P4, eP5, eP6 und eP7 wird diese These abgeleitet. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation hat keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch übernehmen S1–S2 diese Funktion. S1 gibt an, dass die christliche These unmöglich sei. S2 beginnt mit der Argumentation gegen diese christliche These. A0₃: Eine These q: Die explizite These der Argumentation ist S7, nämlich dass es unmöglich sei, dass der Ewige ein Körper ist. Impliziert wird davon jedoch die eigentlich relevante These, dass Jesus nicht der leibliche Sohn Gottes sein kann, wie sie in der Rekonstruktion wiedergegeben wird. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S1 und S2, welche die Funktion eines nicht-klassischen Argumentationsindikators haben, zeigen, wo die christliche These (S1) und wo die Argumente gegen die christliche These beginnen, nämlich ab S2. Die explizite These wird erst in S7 angegeben, bzw. sie ist die implizierte These T aus der Rekonstruktion.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der Argumentation und der Rekonstruktion liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Aus den Prämissen P1, P2, P3, P4, eP5, eP6 und eP7 kann die These deduktiv hergeleitet werden. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt. Die Prämissen P1, P2, P3, P4, eP5, eP6 und eP7 leiten die These deduktiv ab. Siehe hierzu die logische Struktur der Argumentation, die oben der Rekonstruktion folgt.

¹⁵⁶ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

350

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Ob die Prämissen des Körper-ewig-Arguments wahr sind, ist zweifelhaft; vor allem P2 und P4 sind problematisch. Unklar bleibt zudem die Rolle von S7. S7 folgt nicht aus dem Vorhergehenden, denn in dem Argument fehlen wichtige Prämissen wie eP5, eP6 und eP7. P1 ist nicht notwendigerweise wahr (also kein badīhiyyāt), auch wenn alJaʿfarī womöglich davon ausgeht. Diese Prämisse ist nicht apriorisch, vielmehr basiert sie auf unseren Erfahrungen (tajriba). Erfahrung kann sowohl wahr als auch falsch sein. Daher kann P1 vorsichtig zunächst als möglicherweise wahr betrachtet werden. P2 basiert auf P1. Auch diese Prämisse basiert auf Erfahrung und kann zunächst als wahrscheinlich wahr betrachtet werden. P3 kommt einer badīhiyyāt-Prämisse am nächsten. P4 wiederum wirkt wie eine notwendigerweise wahre badīhiyyāt-Prämisse, und womöglich betrachtet auch al-Jaʿfarī P4 als badīhiyyāt. Allerdings impliziert P4 einen aktiven Zusammensteller. Die ergänzten Prämissen eP5 und eP6 basieren auf einem bestimmten Gottesbegriff: Nur unter der Annahme, dass dieser Begriff der wahren Beschaffenheit Gottes entspricht, können diese Prämissen aus theologischer Perspektive als wahr betrachtet werden. Al-Jaʿfarī und ebenso sein christlicher Opponent dürften als Theologen an der Wahrheit dieser Ergänzungsprämissen allerdings keinen Zweifel gehabt haben. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass Jesus nicht der leibliche Sohn Gottes sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung scheint im Falle des Körper-ewig-Arguments erfüllt zu sein. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹⁵⁷ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁵⁸ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

¹⁵⁷ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁵⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.4. Das taṣnīf-Argument: Das Körper-ewig- und das Hypostasen-Argument

351

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁵⁹ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Im Falle des Körper-ewig-Arguments müsste der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip kennen. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass al-Jaʿfarīs Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S7 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist sehr zweifelhaft, ob der christliche Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Körper-ewig-Argument zugrunde liegen, wahr sind. Der christliche Adressat würde P2 und P4 ablehnen, denn sie stehen diametral der christlichen Lehre entgegen. Wenn P2 und P4 abgelehnt werden, ist die These nicht mehr deduktiv ableitbar. Es reicht somit schon die Kritik an P2 und P4, um die Argumentation abzulehnen. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint erfüllt zu sein, denn der Argumentierende (al-Jaʿfarī) geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren.

¹⁵⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

352

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Das Körper-ewig-Argument liefert vermutlich keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet problematischen Prämissen, wie etwa auf P2 oder P4. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden dürften, so etwa eP5 oder eP5, sind diese Prämissen dennoch nicht zweifelsfrei falsch, somit wahrheitsähnlich und damit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, wofür ein hinreichend starke Begründung vorliegt. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These gesenkt.

9.5. Das Jesus-hungert-Argument An dem folgenden einfachen, aber trotzdem erkenntnistheoretisch betrachtet interessanten Argument al-Jaʿfarīs soll der Erkenntnisprozess eines syllogistischen Arguments dargestellt werden. Zunächst der Originaltext und anschließend eine rekonstruierte Form: »[S1] Und sicherlich zeigt das Evangelium, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, dass Christus hungerte und satt wurde, Freude und Trauer empfand, fragte und betete, einen Esel ritt und sich bewegte, Nutzen hatte und genauso allen menschlichen Vorkommnissen ausgesetzt war. [S1.1] Somit ist es ungültig, was die Christen als Überlieferung über Christus heranziehen.«¹⁶⁰

Wenn wir diese Argumentation zur besseren Übersichtlichkeit auf eines der aufgezählten »menschlichen Vorkommniss[e]« beschränken, etwa auf das Hungern, so ergibt sich als rekonstruierte Form: P1: eP2:

Jesus kann Hunger haben. (aus S1) Gott kann keinen Hunger haben.

K1:

Jesus ist nicht Gott.

Formal lässt sich dieses Argument wie folgt als Modus Tollens rekonstruieren (mit dem Prädikat H(x): ›x kann Hunger haben‹ und den Individuenkonstanten j: Jesus und g: Gott): H(j) ∀x[H(x) → (x ̸= g)] j ̸= g Ausgeschrieben: Jesus kann Hunger haben. Für alle x gilt: Wenn x Hunger haben kann, dann ist x nicht Gott. Also ist Jesus nicht (identisch mit) Gott. Dieses Argument erscheint zunächst nicht gültig. Dass Jesus Hunger haben konnte und Gott nicht, lässt noch nicht darauf schließen, dass Jesus nicht Gott ist. Was erforderlich ist, um das Argument gültig zu machen, ist eine weitere

¹⁶⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 98.

9.5. Das Jesus-hungert-Argument

353

Annahme, die al-Jaʿfarī durchaus zugeschrieben werden kann. Diese Annahme ist, dass das Nicht-Hungern eine Wesenseigenschaft (substantielle Eigenschaft) Gottes ist. Der Mensch kann hungern und sein zeitliches Nicht-Hungern ist möglich. Doch das Hungern Gottes ist unmöglich. Erst diese Wesensunterscheidung macht das Argument verständlich. Halbformal dargestellt ergibt sich: eP2’: P1:

Kein Gott kann Hunger haben. Jesus kann Hunger haben.

K1’:

Jesus ist kein Gott.

Dieses Argument kann direkt als Syllogismus formalisiert werden. Die syllogistische Schlussform, die dabei angewandt wird, heißt traditionell ›Cesare‹, das ist ein Schlussmodus der zweiten Figur mit allgemein verneinendem Oberund Schlusssatz sowie allgemein bejahendem Untersatz:¹⁶¹ PeM SaM SeP Die Wahrheit der Prämissen ist allerdings problematisch. Während P1 beim historischen Jesus wahr zu sein scheint, ist eP2’ kein badīhiyyāt, sondern vielmehr eine mashhūrāt- oder naql-Prämisse, weil die Definition der Beschaffenheit Gottes vielmehr auf den koranischen Beschreibungen Gottes basiert. NaqlPrämissen sind dabei nicht an sich wahr, sondern müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen.¹⁶² Eine dieser Voraussetzungen ist, dass die naql-Prämisse der Vernunft nicht widersprechen darf. Eine Vernunftprämisse basierend auf eP2’ ist nur bei entsprechender Definition von Gott möglich. Daher ist an dieser Stelle eP2’ nur dann wahr, wenn Gott als ein Wesen beschrieben wird, das nicht hungern kann. Wichtig ist an dieser Stelle zudem, dass der christliche Opponent des al-Jaʿfarī eP2’, obwohl eP2’ problematisch ist, als wahr betrachtet. Somit wäre die Adäquatheit gegeben. Und wenn der Opponent die Prämissen für wahr hält und das Argument seiner Form nach gültig ist, dann kann das Argument unter bestimmten Voraussetzungen zur Erkenntnis anleiten. Durch eine schwache Interpretation kann in diesem Argument auch ein induktiver Argumentationstyp erkannt werden. Induktive Argumente beruhen auf Beobachtungen (etwa mushāhadāt): Von Einzelfällen wird auf das Allgemeine geschlossen. Es ist rational, die Konklusion für wahr zu halten, wenn alle Prämissen wahr sind. Jedoch folgt die Konklusion nicht logisch zwingend, sondern ist bestenfalls wahrscheinlich. Das Jesus-hungert-Argument kann demnach induktiv wie folgt rekonstruiert werden:

¹⁶¹ In der syllogistischen Formalisierung wird der Untersatz mit SaM und der Schlusssatz mit SeP wiedergegeben, also jeweils mit universellen Urteilen, weil singuläre Aussagen in der Syllogistik traditionell als universelle Aussagen behandelt werden (›[Jeder] Jesus kann Hunger haben‹). Vgl. zur Syllogistik allgemein hier Abschnitt 4.2, S. 193–197. ¹⁶² Vgl. dazu hier Abschnitt 4.2, S. 209–211.

354

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

P1: eP3:

Jesus kann Hunger haben. Wer Hunger haben kann, ist (mit großer Wahrscheinlichkeit) kein Gott.

K2:

Jesus ist (mit großer Wahrscheinlichkeit) kein Gott.

Dieses Argument zielt nicht auf deduktive, sondern auf induktive Gültigkeit ab. In einem induktiven Argument ist die Konklusion wahrscheinlich wahr, wenn alle Prämissen wahr sind. Die Beurteilung basiert dabei oft auf Erfahrungen. P1 ist daher laut unseren Erfahrungen wahr, wenn angenommen wird, dass der historische Jesus ein Mensch mit derselben Beschaffenheit wie ein normaler Mensch war. Problematisch ist vielmehr eP3, weil es dazu keine Erfahrungen geben kann. Daher ist es problematisch – ähnlich wie schon in der obigen deduktiven Rekonstruktion –, die Konklusion als wahrscheinlich wahr zu bestimmen. Zu Bewertung von Induktionen stellte Lumer wichtige Verhaltensregeln auf.¹⁶³ Demnach kann man die Konklusion eines solchen Schlusses rationalerweise für wahr halten, wenn man die Prämissen dieses formal gültigen induktiven Schlusses begründet für wahr hält. Das obige Beispiel ist ein gültiger induktiver Schluss. Wir sagten schon, dass eP3 problematisch ist. Deshalb ist es nicht rational, die Konklusion für wahr zu halten. Auch deshalb sollte argumentationsstrategisch die alternative deduktive (Re-)Konstruktion vorrangig behandelt werden, weil ein deduktives Argument immer sicherer ist als ein induktives, solange es das induktive ersetzen kann; was bei der These, dass Jesus nicht Gott sei, der Fall ist. Somit kann festgehalten werden, dass eine Induktion in diesem Fall kein gutes Argument bildet und wegen der Probleme bei eP3 die Konklusion nicht rationalerweise (und wahrscheinlicherweise) für wahr gehalten werden kann. Auch wenn diese Prämisse islamisch-theologisch begründet werden kann, ist damit keine Adäquatheit für den christlichen Adressaten gegeben. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das Jesus-hungert-Argument diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹⁶⁴ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument.

¹⁶³ Vgl. dazu hier Abschnitt 10.1, in dem diese Verhaltensregeln beschrieben werden. ¹⁶⁴ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

9.5. Das Jesus-hungert-Argument

355

Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation verwendet für die These, dass Jesus nicht Gott sei, zwei Prämissen, und zwar P1 und eP3 in der schwachen (induktiven) bzw. P1 und eP2 bzw. eP2’ in der stärkeren (deduktiven) Interpretation. Die Bedingung A0₁ ist somit erfüllt. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation hat keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch übernimmt S1.1 diese Funktion, der besagt: Die vorgetragene christliche These ist ungültig. A0₃: Eine These q: Die These al-Jaʿfarīs ist, dass Jesus nicht Gott sei. Eine weitere, implizite These ist, dass die vermeintlichen biblischen Belege der Christen für Jesu Gottsein in Wirklichkeit zeigen, dass Jesus in der Bibel wie ein normaler Mensch beschrieben wird. Die christliche These wird nicht explizit genannt, doch S1.1 und auch der Kontext weisen darauf hin, dass die christliche These im Gegenteil von al-Jaʿfarīs These bestand. Dass in dieser Argumentation die christliche These nicht explizit genannt wird, stellt eine Besonderheit dieser Argumentation dar, die zudem belegt, dass al-Jaʿfarī beim Adressaten bzw. beim Interpreten die Bedingung der Explizitheit (vgl. A5₅) als gegeben betrachtet, weshalb er in dieser Form argumentiert. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S1.1 als nicht-klassischer Argumentationsindikator verweist auf die vorhergehende These sowie auf die davon implizierte christliche These und deren Ablehnung durch al-Jaʿfarī.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der Argumentation liegt in der stärkeren Interpretation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Das Argument kann in Form eines Modus Tollens bzw. mit Hilfe von eP2’: ›Kein Gott kann Hunger haben‹ als Syllogismus der Form ›Cesare‹ rekonstruiert werden (siehe oben). Gemäß einer schwächeren Interpretation kann die Argumentation auch in Form einer Induktion rekonstruiert werden, weshalb im Folgenden beide Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen logisch die These implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt: Die Konklusion K1/ K1’ bzw. K2 lässt sich logisch aus den Prämissen herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Argumentation, die oben der Rekonstruktion folgt). Die schwache Interpretation der Argumentation liefert zudem die Möglichkeit einer induktiven Rekonstruktion. Zur Bewertung von Induktionen stellte Lumer wichtige Regeln auf. Demnach kann man die Konklusion eines solchen Schlusses rationalerweise

356

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī für wahr halten, wenn man die Prämissen dieses formal gültigen induktiven Schlusses begründet für wahr hält. Das obige Beispiel ist gemäß der schwachen Interpretation ein gültiger induktiver Schluss.

A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Die Wahrheit der Prämissen ist problematisch. Während P1 beim historischen Jesus wahr zu sein scheint, ist eP2 bzw. eP2’ kein badīhiyyāt, sondern vielmehr eine mashhūrāt- oder naql-Prämisse, weil diese Definition der Beschaffenheit Gottes vielmehr auf den koranischen Beschreibungen Gottes basiert. Die Prämisse eP2’, dass kein Gott hungert, basiert also auf dem islamischen Gottesbild und ist theologisch wahrscheinlich wahr, wenn auch kein Axiom. Auch viele Christen würden eP2’ als wahr akzeptieren, würden diese Prämisse jedoch nicht auf Jesus beziehen, weil dieser ja für sie wahrer Gott und wahrer Mensch ist.¹⁶⁵ A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass al-Jaʿfarīs christlicher Opponent s zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass Jesus nicht Gott sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Dies Bedingung wird vom Jesus-hungert-Argument erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹⁶⁶ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁶⁷ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q.

¹⁶⁵ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.6. ¹⁶⁶ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁶⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.5. Das Jesus-hungert-Argument

357

Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁶⁸ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Im Falle des Jesus-hungert-Arguments müsste der Adressat das deduktive (bzw. nach der schwachen Interpretation das induktive) Erkenntnisprinzip kennen. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S1.1 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Die Prämisse P1 würde der Adressat als wahr annehmen, ohne dabei die Gottheit Jesu bestreiten zu müssen. Die Ergänzungsprämisse eP2 könnte der christliche Opponent des al-Jaʿfarī als wahr betrachten, dagegen ist eP2’ objektiv betrachtet problematisch. Aus Sicht der Theologie scheint eP2’ zunächst wahr zu sein. Somit wäre die Adäquatheit gegeben. Und wenn der Opponent die Prämissen für wahr hält und die Form des Arguments gültig ist, dann kann das Argument unter bestimmten Voraussetzungen zur Erkenntnis anleiten. Jedoch würde ein Christ, auch wenn ihm P1 und eP2’ akzeptabel erscheinen, die Konklusion, dass Jesus kein Gott ist, nicht akzeptieren. Spätestens hier würde dem Adressaten daher auch deutlich werden, dass eP2’ in dieser Form christlich-theologisch gesehen problematisch ist. Womöglich müsste der Adressat, falls er an die Wahrheit von eP2’ glauben und gleichzeitig an der Gottheit Jesu festhalten möchte, eP2’ modifizieren. Er müsste etwa sagen, dass Jesus zwar als Mensch hungern könne (und von dieser seiner menschlichen Natur sei dann in den Evangelien die Rede, wenn sie berichten, wie er isst und trinkt), seine göttliche Natur sei davon jedoch nicht betroffen. Dasselbe gilt für eP3 in der induktiven Rekonstruktion. Diese Unterscheidung wäre eine Lösung. Wer allerdings die göttliche und die menschliche Natur Jesu nicht trennen will – wie etwa die Jakobiten, die al-Jaʿfarī explizit als Opponenten nennt –, für den stellt das Jesus-hungert-Argument des al-Jaʿfarī ein größeres Problem dar als für die Nestorianer und Melkiten, welche die beiden Naturen Christi klar unterscheiden. Und obwohl al-Jaʿfarī im Jesus-hungert-Argument den Adressaten generell als ›die Christen‹ definiert, scheint dieses Argument lediglich bei den Jakobiten effektiv zu sein; eine Verallgemeinerung auf alle Christen ist keineswegs möglich.¹⁶⁹

¹⁶⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18. ¹⁶⁹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 89.

358

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Das Jesus-hungert-Argument liefert keine nach den Ansprüchen der christlichen Adressaten generell hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet problematischen Prämissen, nämlich eP2’ bzw. eP3. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden, sind diese Prämissen nur wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, wofür ein hinreichend starke Begründung vorliegt. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These gesenkt. – Anders sieht es allerdings (wie bereits unter A5₄ erklärt) im Falle der Jakobiten aus: Für Christen, welche die göttliche und die menschliche Natur Jesu nicht trennen wollen, könnte das Jesus-hungert-Argument zumindest eine ernstzunehmende Anfrage an ihre Christologie darstellen.

9.6. Das Argument gegen die These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch Al-Jaʿfarī stellt die christliche Lehre, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch,¹⁷⁰ als eine von den Jakobiten vertretene These dar und konstruiert auf dieser Grundlage ein Argument, um die These der Tötung Jesu, die ebenfalls von den Jakobiten vertreten wird, zu widerlegen. Tatsächlich will al-Jaʿfarī zeigen, dass sich diese beiden Thesen gegenseitig widerlegen. Die Jakobiten folgen Yaʿqūb al-Sarūjī (Jakob von Sarug), der die Lehre des Kyrill von Alexandria (gest. 444) annahm. Nach dessen Lehre wurde der Messias nach der Einheit wahrer Gott und wahrer Mensch. Dies sind zwei vollkommene Naturen und nicht miteinander vermischt.¹⁷¹ Gegen diese These konstruiert al-Jaʿfarī folgendes Argument:

¹⁷⁰ Diese Lehre wird z. B. im so genannten Chalcedonense formuliert, dem Bekenntnis des Konzils von Chalcedon (451), das die Christologie der orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen geprägt hat. ¹⁷¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 149; vgl. z. B. Hägglund, Geschichte 74–75 und Hauschild, Lehrbuch Bd. 1, 184–187 mit weiterer Literatur. Nach der Darstellung Hägglunds

9.6. Argument gegen die These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch

359

»[S1] Und wenn sich die Tatsache bestätigen würde, dass der Messias (nur) eine einzige, aus zwei Naturen – göttlicher und menschlicher – zusammengesetzte Hypostase ist, [S1.1] dann ist eine Diskussion über seine Tötung und (gleichzeitig) seine Nichttötung sowie (über) seine Kreuzigung und (gleichzeitig) Nichtkreuzigung unmöglich. [S2] Somit – unter diesen Umständen – ist seine Tötung nach den Jakobiten unmöglich. [S3] Denn sie sagen, dass die göttliche und die menschliche Natur zu einer einzigen Natur und zu einer einzigen Hypostase wurden, [S3.1] und wer so ist [sc. wer eine solche Natur besitzt], der kann nicht zunichte gemacht [sc. nicht getötet] werden.«¹⁷²

Dieses Argument kann wie folgt deduktiv rekonstruiert werden: Die Jakobiten behaupten p: Jesus ist zu einer einzigen Natur geworden (= Jesus ist im Zeitraum t1 bis t2 Mensch und Gott). (S1, S3) eP2: Ein Wesen, das Gott ist, kann nicht getötet werden. (S3.1) Lemma: Wenn Jesus Mensch und zugleich Gott ist, kann Jesus nicht getötet werden (= dass Jesus Mensch und Gott ist, impliziert, dass er nicht getötet werden kann). P1:

K:

Die Behauptung p der Jakobiten impliziert, dass Jesus nicht getötet werden kann. (S2)

Al-Jaʿfarī will damit zeigen, dass die verschiedenen Lehren der Jakobiten zu Widersprüchen führen, dass also die christlichen Lehren von der göttlichen Natur Jesu und von seinem Kreuzestod einander ausschließen. Infolgedessen betrachtet al-Jaʿfarī auch die jakobitische Annahme, dass Jesus getötet worden sei, als ungültig. Dieses Argument ist deduktiv und basiert auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip. Was die Wahrheit der Prämissen angeht, so erscheint P1 als eine naqlPrämisse, in der ein Glaubenssatz der Jakobiten überliefert wird, wahr zu sein. Die Jakobiten glaubten, dass Jesus zu einer einzigen Natur geworden ist. Die zu ergänzende Prämisse eP2 basiert jedoch auf einer islamischen Interpretation der Kreuzigung Jesu. Auch wenn Christen die Aussage, dass ein Gott nicht getötet werden kann, bejahen werden, würden sie ablehnen, dass Jesus Beschaffenheit unter diese Kategorie einfällt, denn sein Sterben ist nicht identisch mit dem, was al-Jaʿfarī oder die Radd-Autoren unter dem Tod verstehen. Daher ist eP2 nur unter einer bestimmten Lesart des Todes wahr, und zwar dann, wenn angenommen wird, dass mit dem Tod ein Machtverlust einhergeht, dass man mit dem Tod Bewusstsein und personale Existenz verliert und dass der Tod selbst durch eine göttliche Instanz bestimmt werden müsse. Auch das Lemma ist eine Annahme, die von al-Jaʿfarī vertreten wird, dabei ist auch dies eine islamische Lesart. Die darin vorausgesetzte Beziehung zwischen Mensch und Gott würde keine Adäquatheit beim christlichen Opponenten hervorrufen, weshalb sie strategisch gesehen eine ungünstige Prämisse und Argumentation darstellt. betonte Kyrill die These, dass Jesus Christus »voll und ganz Mensch mit einer menschlichen Seele ist«. ¹⁷² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 155.

360

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das rekonstruierte Argument diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹⁷³ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation konstruiert für die These, dass die Auffassung der Jakobiten impliziere, dass Jesus nicht getötet worden sein kann, Urteile, und zwar P1 und eP2, die als Prämissen dienen, sowie das Lemma. Die Bedingung ist somit erfüllt. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation hat keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch übernimmt S2 diese Funktion. In S2 zieht al-Jaʿfarī die Konsequenz aus seiner Interpretation der Aussage der Jakobiten. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation in S2 ist, dass die Auffassung der Jakobiten impliziere, dass Jesus nicht getötet worden sein kann. Damit möchte al-Jaʿfarī zeigen, dass die Jakobiten selbst im Widerspruch zu dem stehen, was sie behaupten; dies ist al-Jaʿfarīs These und zugleich die Konklusion der Argumentation. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S2 als nicht-klassischer Argumentationsindikator lehnt die jakobitische These ab und leitet zu S3 und S3.1 über, in denen die Argumentation gegen die jakobitische These konstruiert wird. S2 fungiert somit wie ein klassischer Argumentationsindikator als Bindeglied zwischen der These des Opponenten, der Ablehnung durch den Argumentierenden und der Argumentation gegen die These des Opponenten.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Dem Argument gegen die christliche These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch, und seiner Rekonstruktion liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind

¹⁷³ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

9.6. Argument gegen die These, Jesus sei wahrer Gott und wahrer Mensch

361

Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusion K lässt sich logisch aus den Prämissen P1, P2 und dem Lemma herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Rekonstruktion). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): P1 ist eine wahre naql-Prämisse. Tatsächlich behaupteten die Jakobiten, dass Jesus zu einer einzigen Natur geworden sei. Die ergänzte Prämisse eP2 würden beide Theologien für wahr halten. Das Lemma ist allerdings problematisch und berücksichtigt nicht, dass Jesus trotz seiner einzigen Natur aufgrund seiner zeitlich beschränkten menschlichen Beschaffenheit auch rein menschliche Bedürfnisse hatte. Für diejenigen, welche die Aussage über die einzige Natur Jesu streng interpretieren – seien es die jakobitischen Christen oder die Muslime im Radd –, ist das Lemma akzeptabel; ansonsten bleibt das Lemma zweifelhaft. Im günstigsten Fall ist es theologisch betrachtet wahrheitsähnlich, wenn wie folgt streng logisch angenommen wird: Wenn x und x identisch sind, dann trifft x alles, was y treffen kann, und y trifft alles, was x treffen kann. Wenn also x nicht getötet werden kann, dann kann auch y nicht getötet werden. Wer allerdings gemäß der Lehre von den zwei Naturen Christi annimmt, dass der menschlichen Natur Christi etwas geschehen kann, was seiner göttlichen Natur nicht geschehen kann (und umgekehrt), oder wer zwar die Lehre von einer einzigen Natur Christi vertritt, in Bezug auf diese aber die logische Beziehung für theologisch irrelevant hält, wird das Lemma ablehnen. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass die Lehre der Jakobiten impliziere, dass Jesus nicht getötet werden könne. Damit möchte al-Jaʿfarī zeigen, dass die Jakobiten im Widerspruch zu ihren eigenen Dogmen stehen. Diese Begründungen werden s erst durch al-Jaʿfarīs Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung dürfte ebenfalls erfüllt sein. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹⁷⁴ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁷⁵ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen.

¹⁷⁴ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁷⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

362

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁷⁶ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Im Falle dieses Arguments handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S3.1 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. Denn dazu müsste der Adressat P1 als wahr anerkennen und ebenso eP2 als fundamentale theologische Prämisse über die Unsterblichkeit. Al-Jaʿfarī berücksichtigt hier jedoch nicht die besondere Auffassung der Christen vom Wesen Jesu. Aus christlicher Perspektive unterscheidet sich der Tod Jesu wesentlich vom Tod normaler Menschen, sodass eP2 auf Jesu angewandt keine Akzeptanz finden dürfte. Aus ähnlichen Gründen würde der christliche Adressat auch das Lemma ablehnen. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können.

¹⁷⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

9.7. Das frequentistische Argument und das Konsequenz-Argument

363

Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation liefert vermutlich keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und sie ist formal gültig, sie beruht aber auf objektiv betrachtet problematischen Prämissen, etwa dem Lemma. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden, wie etwa P1 und eP2, sind die Prämissen nur wahrheitsähnlich und somit (lediglich, aber immerhin) wahrscheinlich. Somit liegt zumindest eine scheinbar gültige Argumentation vor, wofür die Begründung hinreichend stark ist. Durch die bloße Wahrscheinlichkeit der Prämissen wird die Begründungsstärke der These jedoch gesenkt.

9.7. Das frequentistische Argument gegen die These der Sohnschaft und das Konsequenz-Argument Al-Jaʿfarī konstruiert gegen die christliche These, Jesus sei Gottes Sohn, weil er in der Bibel diese Bezeichnung zugesprochen bekommt, ein frequentistisches Argument, indem er zu zeigen versucht, dass in der Majorität der Fälle die Sohnschaft vielmehr Dienerschaft bedeute.¹⁷⁷ »Die Bezeichnung ›Sohnschaft‹ (al-bunuwwa) wird auch übertragen für die Dienerschaft (al-ʿubūdiyya) und die Anstrengung im Dienste (Gottes) verwendet. Und der Beleg (al-dalīl) für diese übertragene Verwendung ist, dass es [sc. das Wort ›Sohn‹] in den Büchern der Christen in den meisten (ghāliban) Fällen in dieser Bedeutung gebraucht wird.«¹⁷⁸

Dabei wird die Prämisse der interpretativen Probabilistik konstruiert: Wenn ein Attribut A in der Bibel in den allermeisten Fällen als B verstanden wird und x in der Bibel das Attribut A zukommt, dann ist es frequentistisch gesehen sehr wahrscheinlich, dass das Attribut A auch im Falle von x im Sinne von B zu verstehen ist.

¹⁷⁷ Dieses und die anderen Argumente aus Kapitel I von al-Jaʿfarīs Werk können alternativ auch im Rahmen des taṣnīf zur Sohnschaft Jesu betrachtet werden (al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 13–15; vgl. dazu hier Abschnitt 9.4, v. a. S. 341), sodass diese Argumente als Subargumente des taṣnīf dienen, indem sie jeweils eine der im taṣnīf angebotenen Erklärungen der Rede von Jesus als ›Gottes Sohn‹ widerlegen sollen. ¹⁷⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 57. Hervorhebung durch den Verfasser.

364

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Diese allgemein formulierte Prämisse kann im konkreten Fall wie folgt umformuliert werden: Wenn das Attribut der Sohnschaft in der Bibel in den allermeisten Fällen als Dienerschaft verstanden wird und Jesus in den Evangelien das Attribut der Sohnschaft zugesprochen wird, dann ist es frequentistisch gesehen sehr wahrscheinlich, dass das Attribut der Sohnschaft auch bei Jesus im Sinne von Dienerschaft zu verstehen ist und nicht etwa im Sinne leiblicher Kindschaft. Al-Jaʿfarī geht davon aus, dass das Konzept ›Sohn‹ in der Bibel meist die Bedeutung von ›Diener‹ hat. Jedoch ist dies keineswegs zweifelsfrei. In der Bibel wird ›Sohn‹ in der Tat oft auch in wörtlicher Bedeutung verwendet. Nur in bestimmten Kontexten hat ›Sohn‹ die Bedeutung von ›Diener‹, etwa wenn der ›Vater‹ Gott oder ein sehr hoher Herr ist und die leibliche Sohnschaft daher prima facie ausgeschlossen ist. Allerdings formuliert al-Jaʿfarī diese Zusatzbedingung nicht. So kann nur angenommen werden, dass al-Jaʿfarī nur annimmt, dass die Bedeutung in der Mehrzahl jene der Dienerschaft ist, ohne aber einen Beleg dafür vorzulegen wie etwa eine Zählung der Fälle. Jedoch bleibt zweifelhaft, ob al-Jaʿfarī eine solche Bibelkenntnis hatte. Wegen dieser Ungenauigkeit in der Rekonstruierbarkeit dieses Arguments soll stattdessen näher auf das Konsequenz-Argument gegen die These der Sohnschaft eingegangen werden. Im Folgenden konstruiert al-Jaʿfarī implizit mit zwei rhetorischen Fragen das Konsequenz-Argument: »[S1] Haben denn die Christen Israel angebetet, weil er der älteste Sohn war,¹⁷⁹ [S1.1] oder David, [S1.2] weil er ein ›lieber Sohn‹ war? [S1.3] Oder haben andere – die wir erwähnt haben – etwa andere angebetet, [S4] weil sie Söhne und Töchter waren?«¹⁸⁰

Al-Jaʿfarī fragt die Opponenten also, ob die Christen auch Israel oder David anbeten würden, weil diese ja in der Bibel ebenfalls als Erstgeborener bzw. als ›lieber Sohn‹ bezeichnet werden. Zudem fragt er, ob es überhaupt in der Geschichte jemanden gegeben hat, der andere Menschen anbetete, weil sie in der Bibel als Söhne bzw. Töchter bezeichnet wurden. Diese Fragen sind beide rhetorisch. Sie implizieren zum einen eine verneinende Antwort, zum anderen weisen sie darauf hin, dass man diese verneinende Antwort als Prämisse für eine Argumentation nutzen kann, die letztlich zu der Aufforderung führt: ›Also zieht die Konsequenz und betet auch Jesus nicht an!‹ Al-Jaʿfarī impliziert dabei folgende Prämisse der Konsequenz: Wenn x als Sohn bezeichnet wird und er wird angebetet, dann muss y, der ebenfalls als Sohn bezeichnet wird, ebenfalls angebetet werden.

¹⁷⁹ Al-Jaʿfarī denkt hier wohl an Jakob, der in Genesis 32,29 den Namen Israel erhält. Doch wenn hier Jakob gemeint ist, müsste die Aussage »weil er der älteste Sohn war« ironisch o. ä. verstanden werden – denn Jakob ist ja gerade nicht der erstgeborene Sohn des Isaak, sondern kam nach seinem Zwillingsbruder Esau zur Welt, dem er das Erstgeburtsrecht abkaufte (vgl. Genesis 25,24–34; 27,19 u. ö.). In Exodus 4,22–23, das al-Jaʿfarī in § 32 zitiert und auf das er hier wohl anspielt, ist mit ›Israel‹ vielmehr das Volk Israel gemeint. ¹⁸⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 84.

9.7. Das frequentistische Argument und das Konsequenz-Argument

365

Wenn nun diese Konsequenz der Implikation durch den Opponenten abgelehnt wird, obwohl er das Antezedens bejaht, dann sieht al-Jaʿfarī darin einen klaren Widerspruch. Al-Jaʿfarī unterstellt den Christen, dass sie Jesus insbesondere aufgrund der Eigenschaft anbeten, dass er der Erstgeborene ist. Für diese Auffassung spräche der so genannte Kolosserhymnus (Kolosser 1,15–20), in dem Jesus tatsächlich betont als »Erstgeborene[r] vor aller Schöpfung« und »Erstgeborene[r] aus den Toten« tituliert wird: »15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. 16 Denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare […]. 18 Er ist das Haupt des Leibes, der Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem der Erste sei.«¹⁸¹

Diese Bibelstelle belegt, dass der Begriff des Erstgeborenen (auch wenn ihn viele Christen sicher nicht als zentrale Begründung der Gottheit Jesu ansehen würden) für die christliche Theologie durchaus relevant ist. Gegen diese Begründung der Gottheit Jesu konstruiert al-Jaʿfarī nun sein Gegenargument. Das Problem an diesem Argumentationstext zwischen S1 und S4 ist, dass der Text des al-Jaʿfarī nur eine Argumentation andeutet, die auf diverse Weisen rekonstruierbar ist. Obwohl al-Jaʿfarī einen Widerspruch aufzeigen möchte, liegt aufgrund des Fehlens einer klaren Argumentation im Grunde nur ein Widerspruchshinweis vor und ein Hinweis ist schwächer als eine Argumentation. Die folgende Rekonstruktion geht davon aus, dass al-Jaʿfarī den Christen im P1 tatsächlich vorwirft, Jesus (nur) deshalb anzubeten, weil er ein Erstgeborener ist, und daher zu dem Schluss kommt, dass Jesus nicht angebetet werden soll (Rekonstruktion 1): P1: P2: K1:

Nur wenn jeder Erstgeborene angebetet werden soll, dann soll auch Jesus angebetet werden. Israel ist ein Erstgeborener und soll nicht angebetet werden. Nicht jeder Erstgeborene soll angebetet werden.

K2:

Jesus soll nicht angebetet werden.

Formal lässt sich diese Rekonstruktion wie folgt darstellen (mit A(x): ›x soll angebetet werden‹, E(x): ›x ist ein Erstgeborener‹, i: Israel und j: Jesus): P1: P2: K1:

A(j) → ∀x[E(x) → A(x)] E(i) ∧ ¬A(i) ¬∀x[E(x) → A(x)]

K2:

¬A(j)

Diese Rekonstruktion ist in sich formal gültig. Ihre Schwäche besteht darin, dass die meisten Christen der Prämisse P1 kaum zustimmen dürften. Die so rekonstruierte Argumentation ist daher nicht adäquat für ihre Adressaten.

¹⁸¹ Kolosser 1,15–18, Übersetzung: Zürcher Bibel.

366

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Ein weiteres im Text nur angedeutetes Argument für al-Jaʿfarīs These kann wie folgt deutlicher rekonstruiert werden (Rekonstruktion 2): P3:

Die Christen beten Israel nicht an, obwohl sie Israel als Erstgeborenen ansehen. (Implikatur von S1, ebenso mit S1.1, S1.2, S1.3) Lemma: Wenn x den y als Erstgeborenen ansieht, ist dies noch kein hinreichender Grund dafür, dass x den y anbetet. K3:

Dass die Christen Jesus als Erstgeborenen ansehen, ist noch kein hinreichender Grund für die Christen, Jesus anzubeten.

Obwohl P3, als eine Kombination aus einer naql- und tajriba-Prämisse, wahr ist, ist das Problem an diesem Argument, dass auch hier nur eine Argumentation angedeutet wird, die man aber auf diverse Weisen konstruieren kann. Im Grunde liegt nur ein Widerspruchshinweis vor und kein klares Argument, die Argumentation ist daher schwach; den Widerspruch könnte man zudem auf mehrere Weisen auflösen. Solche angedeuteten Argumente, die es nicht schaffen, das Gegenargument klar zu widerlegen, bezeichnen Walton, Reed und Macagno als ›rebuttal‹. Dabei wird der Unterschied zur ›refutation‹, bei der die Widerlegung gelingt, wie folgt beschrieben: »A rebuttal is an argument that is opposed to another argument. It stands against the argument it is opposed to. But it does not necessarily refute that argument. Refutation is something more powerful. A refutation knocks down the original argument.«¹⁸²

Argumente im Radd, wie etwa das obige Beispiel, sind oftmals gegen ein Argument des Opponenten gerichtet, jedoch entweder nicht darauf ausgerichtet, dieses im strengen Sinne zu widerlegen, oder schlicht zu schwach dafür. Oftmals ist sich der Argumentierende über die Schwäche seines Arguments nicht im Klaren. Solche Argumente können als ›rebuttal‹ im Sinne von Walton u. a. aufgefasst und klassifiziert werden. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob Rekonstruktion 2 des Konsequenz-Arguments diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹⁸³ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument.

¹⁸² Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 220. ¹⁸³ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

9.7. Das frequentistische Argument und das Konsequenz-Argument

367

Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Im Konsequenz-Argument dienen P3 und das Lemma als Prämissen, welche die Konklusion K3 stützen sollen. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Der Text hat keinen klassischen Argumentationsindikator. Doch der Kontext macht deutlich, dass eine Argumentation vorliegt. Womöglich können die rhetorischen Fragen von S1–S1.3 als AI verstanden werden; S1–S1.3 implizieren dann, dass die Christen, die an die Gottheit Jesu glauben, auf diese Fragen keine konsequente Antwort hätten. Das implizite Argument in diesen Fragen dient dann dazu, die Christen dazu zu drängen, die Konsequenz aus ihren Glaubenssätzen zu ziehen. A0₃: Eine These q: Als Konklusion (K3) des Konsequenz-Arguments ergibt sich al-Jaʿfarīs These, dass der Umstand, dass die Christen Jesus als Erstgeborenen ansehen, noch kein hinreichender Grund für die Christen sei, Jesus anzubeten. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. Wie unter A0₂ angemerkt, liegt kein klassischer Argumentationsindikator vor; aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass das Argument dem deduktiven Erkenntnisprinzip folgt.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der Argumentation liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Das Argument ist gemäß den Rekonstruktionen deduktiv gültig. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusion K3 lässt sich logisch aus den Prämissen P3 und dem Lemma herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Rekonstruktion). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): P3 ist wahr: Die Christen beten Israel nicht an, obwohl er im Alten Testament als Erstgeborener bezeichnet wird. Das Lemma ist eine Verallgemeinerung von P3, wobei das Lemma anders als P3 angezweifelt werden kann, weil durch die Verallgemeinerung keine in jedem Fall wahre Prämisse zustande kommt. Die Konklusion K3 ist zwar eine Implikation von P3 und dem Lemma, dennoch wird K3 keine Konsequenz für den christlichen Adressaten haben, der Jesus als Gottes Sohn ansieht – sogar wenn er K3 für gültig hält. Denn das Konsequenz-Argument ist zu schwach und kann nicht wirklich belegen, was al-Jaʿfarī wohl eigentlich im Sinne hatte, nämlich dass Jesus

368

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī generell nicht anzubeten ist, weil er nicht Gottes Sohn sei. Auch wenn der christliche Adressat die Konsequenz akzeptiert, wäre damit noch nicht die Gottessohnschaft Jesu widerlegt, denn Christen (jedenfalls die allermeisten) glauben nicht an Jesus als Gottes Sohn, weil er der Erstgeborene ist, sondern aus anderen theologischen Gründen.

A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, der Umstand, dass die Christen Jesus als Erstgeborenen ansehen, sei noch kein hinreichender Grund für die Christen, Jesus anzubeten. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹⁸⁴ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁸⁵ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁸⁶ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren.

¹⁸⁴ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁸⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29. ¹⁸⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

9.7. Das frequentistische Argument und das Konsequenz-Argument

369

A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. In diesem Falle handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere das deduktive Erkenntnisprinzip und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S4 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. P3 müsste als wahr erkannt werden. Ausschlaggebender für die Argumentation ist allerdings die Annahme, dass Israel, weil er der älteste Sohn sei, hypothetischer Weise angebetet werden könnte, dass aber die Christen dies nicht tun; dementsprechend solle auch Jesus, der ebenfalls ein Erstgeborener ist, nicht angebetet werden. Den christlichen Adressaten dürfte der Zusammenhang, den al-Jaʿfarī hier voraussetzt, überraschen, denn der Adressat würde in diesem Kontext keine Beziehung zwischen Israel und Jesus sehen. Daher würde der Adressat auch al-Jaʿfarīs Annahme ablehnen. Womöglich kann al-Jaʿfarī hier die Beziehung nicht richtig einordnen. Denkbar ist allerdings auch, dass al-Jaʿfarī hier auf Kolosser 1,15 und Johannes 1 anspielt. Er könnte diese Bibelstellen so verstehen, dass Jesus der Erstgeborene vor aller Schöpfung sei und Christen in ihrem Glauben an die Sohnschaft Jesu sich auf diese Stellen beziehen. Auch in diesem Fall bleibt es jedoch sehr zweifelhaft, ob Christen die Sohnschaft Jesu mit diesen Bibelstellen begründen würden. Nur wenn dies historisch tatsächlich der Fall gewesen wäre, könnte dies für Adressaten, welche die Sohnschaft Jesu auf diese Weise begründen, eine ernstzunehmende Prämisse in der vorliegenden Argumentation des al-Jaʿfarī bilden. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation liefert zwar einerseits eine vermutlich auch nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung, denn der Argumentation liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und sie ist formal gültig. Andererseits dürfte

370

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī die Konklusion der Argumentation dem Adressaten wenig relevant erscheinen, weil Christen ja nicht deshalb an Jesus als Gottes Sohn glauben, weil er der Erstgeborene ist. Gemessen an dem, was al-Jaʿfarī wirklich zeigen wollte – dass Jesus gar nicht anzubeten ist, weil er nicht Gottes Sohn sei – ist die Begründungsstärke daher schwach. Dagegen ist die Begründungsstärke der These trotz ihrer geringen Relevanz stärker, weil das Argument formal gültig ist und die Prämissen wahr (P3) bzw. wahrheitsähnlich (Lemma) sind.

9.8. Das Ewigkeitsargument Al-Jaʿfarī konstruiert zur Widerlegung der Lehre, Jesus sei am Kreuz gestorben, Argumente gegen die unterschiedlichen trinitätsbezogenen Aussagen von Melkiten, Jakobiten und Nestorianern. Nachdem er die Auffassungen der Melkiten und Jakobiten widerlegt hat, behandelt er die nestorianische These, dass Christus zwei Naturen besitze – eine göttliche und eine menschliche Natur. Da bei Melkiten und Jakobiten die göttliche und menschliche Natur Jesu vermischt sind, konnte al-Jaʿfarī gegen diese mithilfe der Prämisse, ein Gott könne nicht getötet werden, ein klassisches Argument formulieren.¹⁸⁷ Gegen die Nestorianer wirkt dieses Argument nicht, da diese die göttliche und menschliche Natur Jesu nicht vermischen.¹⁸⁸ Daher konstruiert al-Jaʿfarī gegen diese nestorianische Lehre ein spezielles Argument, das hier der Einfachheit wegen Ewigkeitsargument genannt werden soll. Der Argumentationstext al-Jaʿfarīs lautet: »[S1] Was die Nestorianer angeht: [S1.1] So haben sie begriffen, dass es unmöglich ist, die Behauptung(en) (Hypothesen) einerseits der Einheit und andererseits der Tötung (logisch) zu vereinbaren. [S2] So führten sie die Einheit zwar nur auf die besondere Sohnschaft zurück, [S2.1] aber sie stimmten der Ansicht ihrer Glaubensbrüder [sc. der anderen christlichen Konfessionen] bzgl. der Anbetung des Messias und des Glaubens an seine Göttlichkeit (rubūbiyya) zu. [S3] Und das ist wieder ein klares Argument gegen den Glauben an seine Tötung. [S4] Und wessen Ewigkeit außer Zweifel steht [sc. sicher bewiesen wurde], der kann nicht zunichte gemacht [sc. nicht getötet] werden.«¹⁸⁹

Al-Jaʿfarī gesteht zu, dass die Nestorianer die zwei Naturen nicht vermischen; da sie aber dennoch an die Göttlichkeit Jesu glauben, besteht das Problem in der Erklärung der Tötung in Zusammenhang mit seinem Gottsein. Doch im Argumentationstext ignoriert al-Jaʿfarī die Besonderheit der nestorianischen Theologie von zwei Naturen und zwei Personen. Er bringt nicht – was zu erwarten wäre – ein besonderes Argument gegen diese Theologie, sondern reduziert die Nestorianer auf den Glauben an die Göttlichkeit Jesu (vgl. S2.1). Was al-Jaʿfarī konstruiert, ist eher ein Widerspruchshinweis als ein Argument, das den Widerspruch beweist.

¹⁸⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 155; vgl. dazu hier Abschnitt 9.6. ¹⁸⁸ Vgl. dazu die Typologien in Abschnitt 3.4, S. 117–118, sowie zu den Nestorianern Kapitel 8, S. 277–280. ¹⁸⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 156.

9.8. Das Ewigkeitsargument

371

Al-Jaʿfarīs Hinweis ist, dass die von den Nestorianern geglaubte Proposition – Göttlichkeit und Tötung – nicht beide zugleich wahr sein können. Er zieht das Konzept der Ewigkeit heran und konstruiert damit folgendes Argument: P1: P2: K1:

Gott ist ewig. (aus S4) Was ewig ist, stirbt nicht. (aus S4) Gott stirbt nicht. (aus P1, P2)

P3:

Alles, was nicht stirbt, kann nicht getötet werden. (aus S4)

K2:

Gott kann nicht getötet werden. (aus K1, P2)

Alternativ kann der Argumentationstext auch wie folgt rekonstruiert werden: P1: P2: P3: eP4:

Wer ewig ist, kann nicht getötet werden. Die Nestorianer (bzw. die Christen) glauben, dass Jesus Gott ist. Die Nestorianer (bzw. die Christen) glauben, dass Jesus getötet wurde. Wer Gott ist, ist ewig.

K1:

Wer Gott ist, kann nicht getötet werden. (aus P1, eP4)

K2:

P2 und P3 können nicht beide wahr sein. (aus K1)

In dieser zweiten Rekonstruktion ist das Argument deduktiv gültig und ihm liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Entscheidend ist daher, wie man die Wahrheit der Prämissen bewertet. Die Prämisse P1 ist analytisch wahr. Wenn x zum Zeitpunkt t1 getötet wird, dann existiert x vom Zeitpunkt t0 bis zum Zeitpunkt t1 (mit t0 < t1 ) und x existiert ab t1 nicht (mehr). Wenn x jedoch ewig ist, dann existiert x zu allen Zeiten. Womöglich sieht al-Jaʿfarī darin eine badīhiyyāt-Prämisse, also ein Axiom. P2 und P3 sind naql-Prämissen (also auf Überlieferung basierende Prämissen) über die Nestorianer. Al-Jaʿfarī überliefert dabei Glaubenssätze der Nestorianer. Beide Prämissen scheinen wahr zu sein. Tatsächlich glaubten die Nestorianer, die als Opponenten des Arguments gelten, dass Jesus Gott ist und dass Jesus am Kreuz getötet wurde. Die zu ergänzende Prämisse eP4 wird von al-Jaʿfarī nicht begründet, kann jedoch als Ergänzungsprämisse angenommen werden. Obwohl sie ihrer Formulierung nach den Anspruch erhebt, ein badīhiyyāt (Axiom) zu sein hat, ist sie problematisch: Es ist erst einmal nur eine Annahme, dass ein Gott ewig ist. Zwar würden Theologen weitere Subargumente dafür liefern, dass diese Prämisse wahr ist. Dennoch bleibt es zweifelhaft, ob ein absolut überzeugendes Argument geliefert werden kann. Daher ist eP4 nur unter Heranziehung einer bestimmten Definition von Gott akzeptabel. Al-Jaʿfarī hat jedoch kein Problem, diese Prämisse trotz möglicher Zweifel anzunehmen, denn weder er noch seine theologisch ausgerichteten Opponenten würden an der (theologischen) Wahrheit von eP4 zweifeln. Daher ist zumindest bei seinen Opponenten die Akzeptabilität gewährleistet. Nach dem Prinzip, dass derjenige, der die Prämissen für wahr hält, auch zur Erkenntnis der Konklusion angeleitet werden soll, ist in der Tat eine Anleitung zur Erkenntnis mit eP4 möglich.

372

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob die zweite Rekonstruktion des Ewigkeitsarguments diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,¹⁹⁰ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Das Ewigkeitsargument umfasst die Prämissen P1 bis P3 und eP4, die die These des Arguments stützen. A0₁ ist somit erfüllt. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation hat keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch könnte S3 diese Funktion haben. Nachdem al-Jaʿfarī die nestorianische Position referiert und auf einen vermeintlichen Widerspruch in S3 hingewiesen hat, da der Glaube an die Göttlichkeit Jesu im Widerspruch zum Glauben an seine Tötung stehe, folgt dann in S4 das zentrale Argument al-Jaʿfarīs, dass ein ewiger Gott nicht zunichtegemacht bzw. getötet werden kann. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation ist, dass ein ewiger Gott nicht getötet werden kann. Eine andere implizite These ist, dass der Glaube der Nestorianer sich selbst widerspricht, wenn sie annehmen, dass (i.) Jesus ein ewiger Gott ist und (ii.) Jesus am Kreuz wirklich getötet wurde. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. Wie unter A0₂ angemerkt, liegt kein klassischer Argumentationsindikator vor; aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass das Argument dem deduktiven Erkenntnisprinzip folgt.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der Argumentation liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Das Argument ist gemäß den Rekonstruktionen deduktiv gültig. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind

¹⁹⁰ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

9.8. Das Ewigkeitsargument

373

Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist in der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusionen K1 und K2 lassen sich logisch aus den Prämissen P1, P2, P2 und eP4 herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Rekonstruktion). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Die Prämisse P1 scheint zumindest auf einer reinen Vernunftebene analytisch wahr zu sein. Ohne alternative christliche Interpretation scheint es nicht denkbar zu sein, dass etwas, das als ewig definiert wird, sterben kann. Auf diese Definition und Annahme baut al-Jaʿfarī seine Argumentation auf. P2 und P3 sind naql-Prämissen, also auf Überlieferung basierende Prämissen über die Nestorianer, und scheinen ebenfalls wahr zu sein. Tatsächlich glaubten die Nestorianer, dass Jesus Gott ist und dass Jesus am Kreuz getötet wurde. Die zu ergänzende Prämisse eP4 erscheint zunächst als Axiom, ist aber nicht unproblematisch. Zwar würden viele Theologen diese Prämisse für wahr halten; nichtsdestoweniger ist eP4 natürlich nur unter Heranziehung einer bestimmten Definition von Gott gültig. Diese Definition teilen allerdings der Argumentierende und der Opponent in dieser Argumentation. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass ein ewiger Gott nicht getötet werden kann, d. h. ewig sein müsse. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,¹⁹¹ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.¹⁹² Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

¹⁹¹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ¹⁹² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

374

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.¹⁹³ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Bei diesem Argument handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktiv Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S4 als erfüllt erkannt haben muss, zumal er Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Ewigkeitsargument zugrunde liegen, wahr sind. Der christliche Adressat würde P1 als wahr akzeptieren. Denn auch nach dem christlichen Verständnis ist Gott ewig und kann nicht getötet werden. Die Wahrheit von P2 würde ebenfalls akzeptiert werden. P3 würde dagegen auf Zweifel stoßen. Zwar wurde Jesus gekreuzigt, aber sein Tod war nur vorübergehend und anders als der Tod normaler Menschen, von dem al-Jaʿfarī ausgeht. Der Tod Jesu am Kreuz, den die Christen ihm zuschreiben, ist nicht der Tod, den al-Jaʿfarī aus der menschlichen Natur kennt. Er ist eben anders, weshalb die Christen darin ein Mysterium sehen. Die Wahrheit von eP4 würde ebenfalls akzeptiert werden. Doch schon die Ablehnung von P3 würde das deduktive Ableiten der These unterbinden und zur Ablehnung der These führen. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt.

¹⁹³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

9.9. Das Argumentum a fortiori

375

A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Das Ewigkeitsargument liefert vermutlich keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet problematischen Prämissen, etwa P3. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden (wie etwa P1, P2 und eP4), liegt dennoch keine hinreichend starke Begründung vor.

9.9. Das Argumentum a fortiori Im Kapitel »Zweite Angelegenheit: Über die Widerlegung der Einheit« formuliert al-Jaʿfarī vier mögliche Interpretationen für die von der christlichen Lehre vertretene Einheit der göttlichen und menschlichen Natur Jesu. Dabei wendet er das taṣnīf ¹⁹⁴ an, um mögliche alternative Interpretationen zu unterscheiden, und verfolgt einen interpretativen Ansatz. Eine alternative Interpretation ist, dass die Einheit die Erfüllung der Wünsche Jesu in Form von Wundern bedeute: »[S1] Das, was ihr (Christen) im Hinblick auf die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen behauptet habt – nämlich dass die Einheit abstrakt ist –, [S1.1] kann auch mehreres bedeuten: [S1.2] Den Vater in seiner abstrakten Form [S1.3] oder das Wort in seiner abstrakten Form [S1.4] oder sogar beides, [S1.5] oder die Liebe und die Zustimmung (Gottes) zum Bittgebet (Jesu) [S1.6] und die Erfüllung seiner Wünsche […].«¹⁹⁵

Diese christliche These (Tc), die sich aus der vierten Möglichkeit ableitet, basiert offenbar auf der folgenden impliziten Prämisse: ›Wenn Jesus Wunder getan hat, dann kann er nicht nur ein Mensch, sondern muss zugleich Gott gewesen sein.‹ Dazu liefere der christliche Opponent selbst bibelbasierte Belege für Wunder, die Jesus in den Bereichen Heilung, Über-das-Wasser-Gehen, Umwandlung und Vermehrung getan hat. Dies sind Wunderargumente, welche Tc begründen sollen. Al-Jaʿfarī versucht im folgenden Argumentationstext (den wir ab hier als ›Argument A‹ bezeichnen wollen) zu belegen, dass Tc durch solche Wunderargumente nicht zu beweisen ist: »[S1] Ein Mann erkrankte an Lepra und er ging zu Elischa,¹⁹⁶ um von seiner Krankheit befreit zu werden. [S2] Er bat um die Erlaubnis, mit Elischa zu sprechen. [S3] Aber Elischa

¹⁹⁴ Zum Begriff des taṣnīf vgl. hier Abschnitt 9.4. ¹⁹⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 100. ¹⁹⁶ Die Elischa-Überlieferung erzählt von Wundern, die in der hebräischen Bibel die Wundertaten aller anderen Propheten übersteigen. Vgl. hierzu 2 Kön 2,14, 2 Kön 2,19–22, 2 Kön 2,23–24, 2 Kön 4,1–7, 2 Kön 4,38–41, 2 Kön 4,42–44, 2 Kön 5, 2 Kön 6,1–7, 2 Kön 4,8–37. Die Auswahl von Elischa für das Argumentum a fortiori könnte man als Beleg für gute Bibelkenntnisse al-Jaʿfarīs (oder des Verfassers einer Vorlage, die er benutzt hat) werten, da Elischa nicht zu den bekanntesten Personen der Bibel zählt.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

erlaubte ihm das nicht, und sagte zu einigen seiner Gefährten: [S3.1] ›Sagt ihm, er soll an den Fluss Jordan gehen und im Wasser untertauchen, damit er geheilt wird.‹ [S4] So ging er und tat es und wurde von seiner Lepra-Erkrankung befreit und kehrte in sein Land zurück. [S5] Ein Diener von Elischa folgte dem Mann und machte ihn glauben, [S6] Elischa schicke ihn, um Geld zu verlangen. [S7] Der Mann freute sich und gab ihm viel Geld und kostbare Steine. [S8] Und der Diener nahm das alles und hob es für sich auf und kehrte zurück. [S9] Der Prophet (Elischa) sagte zu ihm: [S9.1] ›Du gingst zu dem Mann und belogst ihn so und so und nahmst von ihm dies und dies an Geld an und du hast es an diesem und jenem Ort versteckt. [S9.2] Hast du das getan? Seine Krankheit soll auf dich und deine Nachkommenschaft übergehen!‹¹⁹⁷ [S10] Das ist ein größeres Wunder als das von Jesu. [S11] Er [sc. Elischa] heilte den Mann und machte den anderen Mann und seine Nachkommenschaft krank.¹⁹⁸ [S12] Und schon die Tora bezeugt, dass die Schwester¹⁹⁹ Moses sich gegenüber ihrem Bruder veränderte und sich mit ihm stritt [wörtlich: auf ihn böse atmete]. [S13] Deshalb erkrankte sie an Lepra. [S14] Daraufhin tat sie Mose leid, [S14.1] der dann für sie betete, [S14.2] und sie wurde wieder gesund.²⁰⁰ [S15] Und das ist noch großartiger (ʾabdaʿ) (als die Wunder Jesu). [S16] Denn er hat zugleich jemanden krank und heil gemacht. [S17] Und was das Über-das-Wasser-Gehen angeht, so gingen schon Elija und Elischa auf der Oberfläche des Flusses Jordan.²⁰¹ [S18] Und genauso ging schon Josua auf dem Fluss Tābūt. [S19] Und was die Umwandlung des Wassers in Wein angeht, von der Johannes in seinem Evangelium erzählt,²⁰² [S19.1] so wird uns von einem ihrer Propheten [sc. Elischa] erzählt, der sich bei einer Frau aus den Israeliten niederließ, welche ihn zu Gast hatte und gastfreundlich behandelte. [S20] Der Prophet fragte sie beim Verlassen: ›Hast du einen Wunsch?‹ [S21] Sie erwiderte: ›Oh Prophet Gottes, mein Mann hat Schulden, die ihn traurig machen. [S21.1] Kannst du für ihn beten?‹ [S22] Er sagte zu ihr: ›Borge dir in dieser Stunde von deinen Nachbarn, was du an Gefäßen findest, [S22.1] und bringe sie zu mir hierher zu deinem Haus.‹ [S23] Daraufhin tat sie das. [S24] Der Prophet wollte, dass sie diese mit Wasser füllt und sie eine Nacht ruhen lässt, und sie tat das. [S25] Am nächsten Morgen waren sie voller Öl, [S25.1] und sie verkaufte sie und zahlte die Schulden. [S26] Diese Geschichte bezeugte schon das Buch der Könige aus ihren eigenen Büchern [sc. den von den Christen verehrten Büchern].²⁰³ [S27] Und was die Vermehrung des Essens angeht, so berichtet das Evangelium, [S27.1] dass der Messias fünftausend Leute mit nur fünf Broten und zwei Fischen ernährt hat, [S27.2] wobei viele Brote übrig blieben, mit denen sie zwölf große Teller füllten.²⁰⁴ [S28] Das Wunder Moses übersteigt sogar all das [sc. das Wunder Jesu], denn die Tora berichtet (Folgendes): [S28.1] ›Dieses Essen ernährte 600.000 Israeliten mit Manna und Wachteln.‹²⁰⁵ [S29] Und dieses Wunder ist weit verwunderlicher (ʾaʿjab) als die Wunder des Evangeliums.«²⁰⁶

¹⁹⁷ Gekürzt nach 2. Könige 5,1–27. ¹⁹⁸ Al-Jaʿfarī meint: Elischa vollbrachte Heilung und Krankheit, während Jesus nur heilte. ¹⁹⁹ Mirjam bzw. Maria. ²⁰⁰ Numeri 12,1–15. ²⁰¹ Elija und Elischa werden in 2. Könige 2,8 und 2,14 als besonders prominente Propheten vorgestellt (sie gehen allerdings durch das Wasser, nicht auf ihm). ²⁰² Johannes 2,1–11. ²⁰³ Frei nach 2. Könige 4,1–7, wo dies von Elischa erzählt wird. ²⁰⁴ Matthäus 14,15–21 mit Parallelen. ²⁰⁵ Summarisch nach Exodus 16,4–35; vgl. Koran 2:57. Manna und Wachteln gelten als Paradiesfrüchte. ²⁰⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 131–138.

9.9. Das Argumentum a fortiori

377

Im Text von Argument A fehlt die eigentliche These. Sie könnte lauten: (i) ›Also ist Jesus kein Gott‹ oder (ii) ›Also ist nicht bewiesen (bzw. beweisen Jesu Wunder nicht), dass Jesus Gott ist‹. Nur These (ii) könnte zu einer gültigen Argumentation führen. Die Argumentation ist aber bei der Annahme von (ii) viel schwieriger zu formulieren und zu präzisieren.²⁰⁷ Um die Unbeweisbarkeit der christlichen These Tc belegen zu könne, stellt al-Jaʿfarī die Prämisse der anspruchsvolleren (awlā) Handlung auf, die wie folgt sinngemäß rekonstruiert werden kann: ›Wenn die Vollbringung der Handlung H1 die Göttlichkeit Jesu begründet, dann müsste x auch göttlich sein, wenn er eine Handlung H2 vollbringt, die anspruchsvoller (awlā) ist als H1 ; ist aber x durch Vollbringung von H2 nicht göttlich, ist auch Jesus nicht göttlich.‹ Mit dieser Prämisse kann dann wie folgt argumentiert werden: ›x vollbringt H2 und ist nicht göttlich. Also ist auch Jesus nicht göttlich.‹²⁰⁸ Diese Prämisse al-Jaʿfarīs schreibt dem christlichen Opponenten hypothetisch folgende These zu: ›Weil Jesus Wunder vollbringt, ist er göttlich.‹ Aus der Annahme der Wahrheit dieser Prämisse, dass alle, die Wunder vollbringen, göttlich sind, folgert al-Jaʿfarī hypothetisch folgende Prämisse: ∀x[H(x) → G(x)] Wörtlich: ›Für alle x gilt: Wenn x H tut, dann ist x göttlich.‹ Daraus folgt: ¬∃x[H(x) ∧ ¬G(x)] Also: ›Es gibt kein x, das H tut und nicht göttlich ist.‹ Dabei sind diese beiden Aussagen bzw. Formeln logisch äquivalent zueinander und al-Jaʿfarī unternimmt in seiner Argumentation den Versuch, die Prämisse ›Es gibt kein x,

²⁰⁷ Diese Thesen können aus der Überschrift von Kapitel II (§ 86) und aus dem einleitenden Abschnitt § 87 erschlossen werden, in dem es heißt: »Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus göttlicher und menschlicher Natur besteht, die sich vereinten und daraufhin zu Christus wurden. Oft behaupten die Christen Folgendes: Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt.« Noch spezifischer heißt es in § 119, der den Gedankengang einleitet, zu dem Argument A gehört: »Wenn jeder, den Gott mit der Erfüllung seines Wunschgebetes unterstützt und mit der Verwirklichung seines Bittgebetes ehrt, als ›vereint‹ [d. h. einer Natur mit Gott] bezeichnet würde, dann hätte der Messias aufgrund dessen, was wir aus den Schriften der Leute [d. h. aus der Bibel] zitieren, keinen Vorrang gegenüber anderen.« Damit ergibt sich die angenommene These (ii) ›Also ist nicht bewiesen (bzw. beweisen Jesu Wunder nicht), dass Jesus Gott ist‹. ²⁰⁸ Demnach wäre zu prüfen: (i.) liegt eine Handlung bei H2 > H1 vor und (ii.) wird x tatsächlich als nicht-göttlich betrachtet. An dieser Prämisse wird deutlich, wie al-Jaʿfarī den Glauben auffasst – nämlich als ein rationales System – und die rationale Begründbarkeit des Glaubens als Voraussetzung für theologische Thesen hervorhebt. Obwohl dieser Ansatz nicht nur aus christlicher Sicht, sondern durchaus auch aus muslimischer, besonders sufischer Perspektive kritisiert wird, weil auch diese zum Teil lehren, dass Gott und Glaube nicht rational erfassbar seien, sieht al-Jaʿfarī den Zusammenhang zwischen Rationalität und Glauben durchaus gegeben.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

das H tut und nicht göttlich ist‹ dadurch zu belegen, dass er wiederum Stellen aus der Bibel referiert,²⁰⁹ nach denen eine Vielzahl von Personen ähnliche oder sogar ›weitreichendere‹ Wunder als jene Jesu vollbrachten, obwohl sie nicht göttlich waren. Dabei bedient er sich eventuell eines sog. ›argumentum ab auctoritate‹, denn seine Berufung auf die Bibel kann aus drei Perspektiven betrachtet werden: i. Al-Jaʿfarī akzeptiert die Bibel als Autorität. ii. Al-Jaʿfarī akzeptiert die Bibel nicht als Autorität. iii. Der Opponent akzeptiert die Bibel, dabei ist es gleichgültig, ob al-Jaʿfarī sie als Autorität akzeptiert. Im Falle (i) liegt ein Autoritätsargument vor und wenn dies zutreffen sollte, dann liegt ein stärkeres Argument vor als wenn Fall (ii) wahr sein sollte, weil im Falle (ii) nur ein Hinweis vorliegt, dass die christliche Begründung widersprüchlich sei. Ein Hinweis ist dabei immer schwächer als ein Argument. Im Fall (iii) ist nicht die Akzeptabilität für den Argumentierenden das Entscheidende, sondern die für den Opponenten. Dabei geht al-Jaʿfarī davon aus, dass die Bibel durch den Opponenten akzeptiert wird, und versucht dem Opponenten zu zeigen, dass seine These von der von ihm anerkannten Autorität der Bibel widerlegt wird. Aus dem oben dargestellten Argument des al-Jaʿfarī resultiert zunächst folgende Prämisse: H(p) ∧ ¬G(p) Wörtlich: ›p (für eine bestimmte Person) tut H und ist nicht göttlich‹. Sobald es aber, wie die biblischen Beispiele belegen sollen, mindestens eine solche Person p gibt, folgt daraus sogleich diese Prämisse: ∃x[H(x) ∧ ¬G(x)] Wörtlich: ›Es gibt mindestens ein x, das H tut und nicht göttlich ist.‹ Daraus folgt die Negation der oben angeführten hypothetischen Prämisse: ∃x[H(x) ∧ ¬G(x)] ⇒ ¬∀x[H(x) → G(x)] Somit hat al-Jaʿfarī zwar nicht beweisen können, dass Jesus nicht göttlich ist, er hat jedoch gezeigt, dass Jesu Göttlichkeit nicht logisch zwingend durch die Wunder, die er laut den Evangelien vollbracht hat, belegt werden kann. Eine alternative Deutung der Struktur des oben dargelegten Arguments kann wie folgt dargestellt werden:

²⁰⁹ Dies soll zudem die Funktion haben, den Widerspruch zwischen der Bibel im Wortlaut und der christlichen Interpretation Jesu als Gott ausgehend von den Evangelien darstellen zu können.

9.9. Das Argumentum a fortiori

379

P2: P3: P4:

Wenn das H-Tun von Jesus die Göttlichkeit Jesu begründet, dann gilt für alle Hx und alle Subjekte sx : Wenn Hx anspruchsvoller ist als H und sx tut Hx , dann begründet das Hx -Tun von sx die Göttlichkeit von sx . Mose tut Hi . Hi ist anspruchsvoller als H. Mose ist nicht Gott.

K:

Dass Jesus H tut, begründet nicht die Göttlichkeit Jesu.

P1:

Die Struktur dieser Deutung des Arguments wird in formalisierte Fassung noch deutlicher: P1: P2: P3: P4:

BEGR[H(j), G(j)] → ∀sx ∀Hx [Hx > H ∧ Hx (sx ) → BEGR[Hx (sx ), G(sx )]] Hi (m) Hi > H ¬G(m)

K:

¬BEGR[H(j), GOTT(j)]

Dieses Argument ist ein komplizierter Modus Tollens: Aus P2, P3, P4 ergibt sich, dass das Konsequenz von P1 falsch ist. Also ist auch das Antezedens von P1 falsch. Dabei ist die These des al-Jaʿfarī nicht, dass Jesus kein Gott ist, sondern nur, dass diese Begründung für seine Göttlichkeit nicht gültig ist. Alternativ kann die Prämisse der anspruchsvolleren (awlā) Handlung als Argumentum a fortiori gedeutet werden. Das Argumentum a fortiori²¹⁰ ist ein Argument ›von einem noch stärkeren Grund‹²¹¹, das in der Rechtswissenschaft,²¹² in Grammatik und Kalām und auch im Radd zur Anwendung kommt. Dies zeigt zudem die intermethodologische Herangehensweise des Radds.

²¹⁰ Das Argumentum a fortiori wird schon im Koran mit dem Begriff des ʿawlā angedeutet (vgl. Koran 17:21). In der islamischen Logik wurde ausgehend von diesem Begriff das Konzept des Argumentum a fortiori mit qiyās al-awlā wiedergegeben. Früh wurde in den islamischen Wissenschaften darüber gestritten, ob das Argumentum a fortiori ein Teil des qiyās ist oder nicht. Der Kalām betrachtete schließlich dieses Konzept als Teil des qiyās und das Konzept des qiyās al-awlā wurde etabliert (vgl. Gwynne, »A Fortiori Argument« 165–175). Im fiqh wurde ebenfalls darüber diskutiert, ob das Argumentum a fortiori zum qiyās gehört; die irakische Rechtsströmung betrachtete es als Teil des qiyās, und zwar beide Varianten davon, sowohl das ›a maiore ad minus‹ als auch das ›a minori ad maius‹ (vgl. Hallaq, Legal Theories 19–20). Ibn Taymiyya, der die griechische Syllogistik kritisierte, bezeichnete das Argumentum a fortiori als sicherer als die Syllogistik; als Grund dafür genügte ihm, dass letzteres in den koranischen und prophetischen Argumenten wiederzufinden sei (vgl. Ibn Taymiyya, Against the Greek Logicians 71–73). ²¹¹ In der Rechtswissenschaft (fiqh) wird das Argumentum a fortiori ebenfalls mit Indikatoren wie ›mehr als‹, ›größer als‹ oder ›kleiner als‹ beschrieben (vgl. Hallaq, Legal Theories 99), je nachdem ob, das ›a maiore ad minus‹ oder das ›a minori ad maius‹ gemeint ist. ²¹² Al-Shāfiʿī betrachtet in seiner Rechtstheorie das Argumentum a fortiori als qiyās und sieht dessen Anwendung in der Rechtsableitung als notwendig an, wenn der Offenbarungstext keine Lösung für eine bestimmte |Rechtsfrage anbietet (vgl. Hallaq, Legal Theories 23). Generell betrachtet al-Shāfiʿī das analogische Argument unter der Kategorie des qiyās (vgl. Hallaq, Legal Theories 29).

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Folgende Analysebeispiele zu Argumenten des al-Jaʿfarī zeigen, dass das Argumentum a fortiori erkenntnistheoretisch angewandt wird. Es ist jedoch eine Streitfrage, ob das Argumentum a fortiori logisch-analogisch (qiyās) oder rhetorisch ist. Gwynne behandelt die Frage, ob muslimische Gelehrte darin ein Mittel sahen, mit dem man Erkenntnis generieren kann, oder ob sie es als ein Mittel sahen, mit dem man im besten Fall nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen kann, oder ob es sich dabei lediglich um ein rhetorisches Mittel handelt.²¹³ Gwynne zieht für diesen Diskurs u. a. Ibn Rushd, Sībawayh und al-Shāfiʿī heran. Ibn Rushd betrachtete das Argumentum a fortiori als eine Analogie und somit als ein logisches Gebilde.²¹⁴ Dagegen untersuchte Sībawayh, der Grammatiker war, das Argumentum a fortiori aus einer grammatikalischen Perspektive, sah es aber dennoch als Analogie (qiyās) an, jedoch ohne den Anspruch zu erheben, ihm liege die Funktion zur Generierung von Erkenntnis zugrunde.²¹⁵ Damit betrachtet Sībawayh das Argumentum a fortiori als ein rhetorisches Gebilde. Gwynne ermittelt vier grammatikalische Versionen des Argumentum a fortiori in Sībawayhs Werk Kitāb Sībawayh und vergleicht die Deutung des Argumentum a fortiori bei Sībawayh mit jener des al-Shāfiʿī. Sie kommt zu dem Schluss, dass auch al-Shāfiʿī im Argumentum a fortiori eine logisch begründete Analogie für juristische Argumentationen sieht.²¹⁶ Die Argumentationsanwendungen des al-Jaʿfarī bestätigen jedoch die Position des Ibn Rushd und des al-Shāfiʿī. Das Argumentum a fortiori wird zudem stark in der Rechtsliteratur thematisiert.²¹⁷ Der Rechtsphilosoph Ilmar Tammelo beschreibt das Argumentum a fortiori damit, dass der stärkere und evidentere Sachverhalt die Voraussetzungen des schwächeren und weniger evidenteren erfüllt.²¹⁸ Auf das Beispiel al-Jaʿfarīs angewandt, bedeutet dies, dass x, wenn er einen stärkeren und evidenteren Sachverhalt vorlegen kann, die Voraussetzungen des schwächeren und weniger evidenteren, d. h. die Taten Jesu erfüllt. Wenn nun die christliche implizierte Prämisse ›Ein Wunder kann die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur begründen‹ stimmen sollte, müsste auch x, der dieselben Wunder vollbringt, göttlich sein. Al-Jaʿfarī formuliert in diesem Zusammenhang folgendes Argument, das wir als ›Argument B‹ bezeichnen wollen:

²¹³ Vgl. Gwynne, »A Fortiori Argument«. ²¹⁴ Vgl. al-Naqārī, Manṭiq al-kalām 286–289. ²¹⁵ Vgl. Gwynne, »A Fortiori Argument« 167–171. ²¹⁶ Vgl. Gwynne, »A Fortiori Argument« 171. ²¹⁷ Gwynne thematisiert in ihrem Aufsatz The A Fortiori Argument vor allem die juristische Anwendung des Argumentum a fortiori, unter anderem am Beispiel des al-Shāfiʿī unter Heranziehung seines Kitāb al-Umm, in dem al-Shāfiʿī die Grundsteine der argumentativen Rechtswissenschaft legte (vgl. Gwynne, »A Fortiori Argument«). ²¹⁸ Tammelo, Aufsätze 31–32. Diese Beschreibung lässt sich halbformal wie folgt ausdrücken: ›Gilt für alle x, dass bei den Voraussetzungen V, A eintritt, so gilt auch für alle x, dass, wenn außer den Voraussetzungen V noch die Voraussetzung F vorliegt, auch dann A eintritt.‹

9.9. Das Argumentum a fortiori

381

»[S1] Ein Mann erkrankte an Lepra und er ging zu Elischa²¹⁹, um von seiner Krankheit befreit zu werden. [S2] Er bat um die Erlaubnis, mit Elischa zu sprechen. [S3] Aber Elischa erlaubte ihm das nicht, und sagte zu einigen seiner Gefährten: [S3.1] ›Sagt ihm, er soll an den Fluss Jordan gehen und im Wasser untertauchen, damit er geheilt wird.‹ [S4] So ging er und tat es und wurde von seiner Lepra-Erkrankung befreit und kehrte in sein Land zurück. [S5] Ein Diener von Elischa folgte dem Mann und machte ihn glauben, [S6] Elischa schicke ihn, um Geld zu verlangen. [S7] Der Mann freute sich und gab ihm viel Geld und kostbare Steine. [S8] Und der Diener nahm das alles und hob es für sich auf und kehrte zurück. [S9] Der Prophet (Elischa) sagte zu ihm: [S9.1] ›Du gingst zu dem Mann und belogst ihn so und so und nahmst von ihm dies und dies an Geld an und du hast es an diesem und jenem Ort versteckt. [S9.2] Hast du das getan? Seine Krankheit soll auf dich und deine Nachkommenschaft übergehen!‹²²⁰ [S10] Das ist ein größeres Wunder als das von Jesu. [S11] Er [sc. Elischa] heilte den Mann und machte den anderen Mann und seine Nachkommenschaft krank.²²¹ […] [S12] Und da die vier Möglichkeiten der Einheit (von Gott und Mensch in Christus) dadurch nichtig wurden, wie wir bereits erläutert haben, so bleibt keine Bedeutung für die Einheit übrig [sc. sie ist sinnlos].«²²²

Dieses Argument B kann wie folgt als Argumentum a fortiori rekonstruiert werden: P1: P2:

Elischa ist wundertätiger als Jesus. (S10–S11) Dennoch ist Elischa nicht wundertätig genug, damit dies seine Göttlichkeit beweist.²²³ (S12)

K:

Umso mehr gilt deshalb: Jesus ist nicht wundertätig genug, damit dies seine Göttlichkeit beweist. (S12)

Formal steht hinter dieser Argumentation folgende Struktur des Argumentum a fortiori: P1: P2:

p ist mehr W als j W ist. Dennoch: p ist nicht W genug, damit dies G(p) beweist.

K:

Umso mehr gilt deshalb: j ist nicht W genug, damit dies G(j) beweist.

Das Argumentum a fortiori findet sich auch zwischen S12 und S29 im Argumentationstext A. Demnach machte Mose Menschen krank und gesund, und das sei »noch großartiger« (vgl. S15) als die bloße Heilung durch Jesus. Zudem seien schon Elija, Elischa und Josua auf dem Wasser gegangen. Ähnlich verhält es

²¹⁹ Zur Elischa-Erzählung vgl. oben S. 375 Anmerkung 196. ²²⁰ Gekürzt nach 2. Könige 5,1–27. ²²¹ Al-Jaʿfarī meint: Elischa vollbrachte Heilung und Krankheit, während Jesus nur heilte. ²²² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 131–133. ²²³ Die Formulierung ›damit dies seine Göttlichkeit beweist‹ ist zentral für das Verständnis des Arguments. Wenn die Rekonstruktion etwa lauten würde ›um göttlich zu sein‹, würde sie nicht dem Argumentationsgang al-Jaʿfarīs entsprechen, denn der Unterschied zwischen diesen beiden Formulierungsmöglichkeiten ist, ob man die Nichtgöttlichkeit bewiesen hat oder nur einen Beweis für die Göttlichkeit widerlegt hat. Die Argumentation al-Jaʿfarīs zielt auf die zweite Möglichkeit hin, weshalb die in der Rekonstruktion gewählte Formulierung die passende ist.

382

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

sich mit der Umwandlung von Wasser in Öl. In diesen Beispielen ist zwar kein explizites Argumentum a fortiori zu erkennen; sie haben jedoch die Funktion, die Wundertätigkeiten dieser biblischen Personen zu verstärken, um die Wundertätigkeit Jesu zu relativieren. Was die Vermehrung des Essens angeht, so ist darin eindeutig ein Argumentum a fortiori nach der obigen formalen Struktur zu finden.²²⁴ Die Frage, ob das vorliegende Argument von al-Jaʿfarī formal gültig ist, hängt davon ab, welche der obigen Rekonstruktionen herangezogen werden. Die erste Rekonstruktion ist deduktiv und wie folgt formal gültig (e steht für Elija, j für Jesus): H(e) ∧ ¬G(e) ∃x[H(x) ∧ ¬G(x)] ⇒ ¬∀x[H(x) → G(x)] ⇒ ¬[H(j) → G(j)] Die zweite Rekonstruktion als Argumentum a fortiori kann nicht alleine wegen der Form gültig sein. Das Argumentum a fortiori ist, anders als etwa ein Syllogismus, nicht wegen seiner logischen Form zwingend gültig, sondern kann gültig sein, wenn die Prämissen wahr sind und die Prämissen im Sinne des Argumentum a fortiori zueinander passen, jedoch nicht formal, sondern, wie F. C. S. Schiller es ausdrückt, lediglich material.²²⁵ Die allgemeine Struktur eines A-fortiori-Arguments kann man halbformal wie folgt darstellen:

²²⁴ Des Weiteren sind folgende Argumente Beispiele für das Argumentum a fortiori im Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī, die dieselbe Struktur aufweisen und hier deshalb nicht näher analysiert werden: »Was das Erwecken des Toten dank des Gebets des Messias angeht, so hat schon Elija den Sohn der Israeliten zum Leben erweckt. Und Elischa hat zwei Tote wiederbelebt – den ersten zu seinen [sc. des Elischa] Lebzeiten und den anderen nach seinem Tod. Und es wird im 2. Buch der Könige berichtet, dass einige Leute einen Toten trugen. Sie brachten ihn zum Friedhof, sie sahen Feinde kommen und so stellten sie die Leiche hin und eilten in die Stadt zurück. Doch der Tote erwachte und folgte ihnen, bis er sie als Lebender einholte. Und sie sahen daraufhin (plötzlich), dass sie ihn auf das Grab von Elischa gestellt hatten. Und es wird überliefert, dass Ezechiel tausende tote Israeliten zum Leben erweckte, die Nebukadnezar – vor ihrer Erweckung – getötet hatte. 160 Jahre waren bisher seit ihren Tod vergangen. Und dieses Ereignis ist beeindruckender als die Wiederbelebung des Lazarus, des Jünglings von Naïn und der Tochter des Jaïrus.« (Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 124–125). ²²⁵ F. C. S. Schiller vertritt die strikte Annahme, dass außer dem Syllogismus keine andere Form des Schließens formal gültig sein kann. Sogar innerhalb der Syllogistik können ungültige Argumente konstruiert werden. Das Argumentum a fortiori sei in jedem Fall formal ungültig, es kann jedoch wahre Konklusionen generieren; dies wird jedoch nicht von seiner logischen Form garantiert (vgl. Schiller, »Argument« 513). Demnach liefert das Argumentum a fortiori kein erkenntnistheoretisches Kriterium, mit dem die Form die formale Gültigkeit des Arguments garantiert.

9.9. Das Argumentum a fortiori

383

(P1): eP2: eP3:

(a ist F.) Dass a F ist, ist im größeren Maße ST als der Sachverhalt p. Für alle x und alle Eigenschaften Φ gilt: Wenn x Φ ist und wenn der Sachverhalt, dass x Φ ist, im größeren Maße ST ist als p (oder mindestens genauso ST ist wie p), dann ist x auch H.

(L1): P4: eP5: eP6:

(a ist H.) b ist G. Dass b G ist, ist im größeren Maße ST als dass a F ist. Transitivität der Beziehung ›größer als‹.

eL2:

Dass b G ist, ist (ebenfalls) im größeren Maße ST als p. (aus: eP2, eP5, eP6)

T:

b ist erst recht H. (aus: P4, eL2, eP3)

Das Schema ›a minori ad maius‹ lässt sich folgendermaßen formalisieren: (P1): eP2: eP3:

(F(a)) ST[F(a)] > ST(p) ∀x∀Φ[Φ(x) ∧ ST[Φ(x)] > ST(p) → H(x)]

(L1): P4: eP5: eP6:

(H(a)) G(b) ST[G(b)] > ST[F(a)] ∀x∀y∀z[x > y ∧ y > z → x > z]

eL2:

ST[G(b)] > ST(p) (aus: eP2, eP5, eP6)

T:

H(b) (aus: P4, eL2, eP3)

Auf die Anwendung des A-fortiori-Arguments nimmt al-Jaʿfarī selbst in seinem folgenden Text explizit Bezug, wobei er den Unterschied zwischen der christlichen und der islamischen Auffassung Jesu und der Kreuzigung explizit unter Verwendung des Begriffes ›a fortiori‹ formuliert: »Die Tatsache, dass das Menschliche das Göttliche ›herunterzieht‹, bis es getötet und gekreuzigt wurde, ist nicht a fortiori (bi-awlāʾ) überzeugender als dass das Göttliche das Menschliche erhebt, sodass es überlebte und unversehrt blieb.«²²⁶

Al-Jaʿfarī meint damit, dass die christliche These, Gott habe in Jesus Christus menschliche Natur angenommen, der dann am Kreuz gestorben (und auferstanden) sei, nicht a fortiori überzeugender sei als die islamische These, dass Gott Jesus zu sich erhebt, ohne dass dieser am Kreuz gestorben wäre. Im Gegensatz zum vorangegangenen Argument und trotz der expliziten Verwendung des Begriffs ›a fortiori‹ (bi-awlāʾ) bildet diese Aussage jedoch keine A-fortiori-Argumentation, weil keine Implikationsbeziehung zwischen den Stärkeaussagen vorhanden ist.

²²⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 154.

384

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Nach der islamischen Lesart hat Gott Jesus überleben lassen. Daher möchte dieses Argument des al-Jaʿfarī vielmehr folgende Aussage begründen: ›Wenn man einmal anfängt, in Jesus das Göttliche und das Menschliche zu vermischen, dann sind alle Aussagen über dieses Mischwesen willkürlich. Mal hat es menschliche Eigenschaften, mal göttliche (Kreuzigung, Sterben vs. Überleben); welche Eigenschaften es jeweils hat, ist undurchschaubar und willkürlich.‹ Dieses Argument des al-Jaʿfarī kann man wie folgt darstellen: P1: P2:

P5:

Jesus hat Menschen von Krankheiten geheilt. Elischa hat aber Menschen von Krankheiten geheilt und gleichzeitig Menschen durch dieselbe Krankheit bestraft. Dies ist ein größeres Wunder als bloß eine Krankheit zu heilen. Größere Wunder deuten im größeren Maße daraufhin, dass jemand Gott ist.²²⁷ Trotzdem ist Elischa nicht Gott.

K:

Also beweisen die Wunder Jesu erst recht nicht, dass er Gott ist.

eP3: eP4:

Formal lässt sich dieses Argument wie folgt darstellen:²²⁸ P1: P2: eP3: eP4: P5:

H(j) H(e) ∧ K(e) ST[H(e) ∧ K(e)] > ST[H(j)] ∀x∀y[ST(x) > ST(y) → p[G(x)] > p[G(y)]] ¬G(e)

K:

¬G(j)

Auch das sog. ›Argumentum a minori ad maius‹ findet im Radd des al-Jaʿfarī Verwendung. Man kann es formal wie folgt ausdrücken: ¬∃xF(x) → ¬∀xF(x) Ausgeschrieben: Wenn es falsch ist, dass mindestens ein x die Eigenschaft F hat, so ist auch falsch, dass allen x die Eigenschaft F zukommt. Dies ist aber keine allgemeine Formel für diesen Argumentationstyp, sondern gibt seine Verwendung bei al-Jaʿfarī wieder, die wie folgt zusammengefasst werden kann: Wenn das Wiederbeleben von einem Toten etwas Bewundernswertes ist, so ist das Wiederbeleben von tausend Toten erst recht etwas Bewundernswertes. Dies entspricht einem ›Argumentum a minori ad maius‹, das im juristischen Bereich typischerweise wie folgt verwendet wird:

²²⁷ Wenn es möglich wäre, durch Wunder die Gottheit einer Person zu beweisen, dann wären Elischas Wunder dazu nicht ausreichend. Und weil Elischas Wunder nicht ausreichen, reichen Jesu Wunder erst recht nicht aus. ²²⁸ Mit p[G(x)] wird dabei die Wahrscheinlichkeit von G(x) bezeichnet. D. h.: Wenn x größere Wunder (ST[...]) vollbringt als y, dann ist x wahrscheinlicher Gott als y.

9.9. Das Argumentum a fortiori

385

Wenn es verboten ist, x zu machen, und y ist etwas Schlimmeres als x, dann ist y erst recht verboten. Das ›Argumentum a minori ad maius‹ ist sogar im Beispiel des al-Jaʿfarī keine Argumentation, sondern eine Prämisse. Im juristischen Bereich ist es zudem problematisch und nicht ohne weiteres gültig.²²⁹ Man kann diese Prämisse jedoch in der Tat begründen – ähnlich wie in der Rekonstruktion des A-fortioriArguments. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das zuletzt rekonstruierte Argument (aus Text B) mit der These, dass die Wunder Jesu umso weniger beweisen, dass er Gott ist, diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,²³⁰ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: In der vorliegende Argumentation stützen die Prämissen P1, P2, eP3, eP4 und P5 die aus ihnen als Konklusion K abgeleitete These. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Es liegt kein klassischer Argumentationsindikator vor. Womöglich sollen aber S9– S10 diese Funktion haben. S9–S10 besagen, dass die Beispiele in S1–S8 zeigen, dass es größere Wunder als das von Jesu gibt, und bringen somit auch die These al-Jaʿfarīs, dass die Wunder Jesu (da sie kleiner sind als die Wunder anderer Personen, die nicht als Gott gelten) erst recht nicht beweisen, dass Jesus Gott sei. S1–S9 sollen zeigen, dass die christliche Annahme falsch sei. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation ist, dass die Wunder Jesu (da sie kleiner sind als die Wunder anderer Personen, die nicht als Gott gelten) erst recht nicht beweisen, dass Jesus Gott ist. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. Der nicht-klassische Argumentationsindikator in S9–S10 zeigt, dass in S1–S9 Argumente gegen die christliche These vorliegen, und führt die implizite These vor.

²²⁹ Vgl. Klug, Juristische Logik 132–137. ²³⁰ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

386 A2:

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Die vorliegende Argumentation kann deduktiv rekonstruiert werden. Daher liegt ihr das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist nach der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusion K lässt sich logisch aus den Prämissen P1, P2, eP3, eP4 und P5 herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Argumentation, die oben der Rekonstruktion folgt). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): P1 ist wahr, wenn die Bibel die Wahrheit aussagt. In diesem Fall akzeptieren sowohl die Muslime wie auch die Christen, dass Jesus Menschen geheilt hat: P1 ist somit zumindest theologisch betrachtet wahr. P2 ist ebenfalls theologisch betrachtet wahr. Die ergänzte Prämisse eP3 ist dagegen zweifelhaft: Es ist objektiv kaum möglich, Wunder und ihre ›Stärke‹ bzw. ›Größe‹ gegeneinander aufzurechnen. Die ergänzte Prämisse eP4 soll verneint werden und ist falsch. Sie soll die Motivation der Christen für ihren Glauben an Jesus als Gott ausgehend von seinen Wundern – so die Implikation des al-Jaʿfarī – darstellen. Dabei würden Christen eP4 ablehnen. P5 ist offensichtlich wahr. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass die Wunder Jesu erst recht nicht beweisen, dass Jesus ein Gott sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,²³¹ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.²³² Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen.

²³¹ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ²³² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.9. Das Argumentum a fortiori

387

Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.²³³ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. Bei diesem Argument handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S10 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. Zumindest eP3 würden die Christen kritisieren und ablehnen. Wenn aber eP3 nicht akzeptiert wird, ist K nicht deduktiv abzuleiten und somit wäre die These des al-Jaʿfarī für den christlichen Adressaten nicht zwingend anzunehmen. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn der Argumentierende (al-Jaʿfarī) geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch

²³³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

388

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt.

A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation liefert keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet unwahren bzw. zweifelhaften Prämissen, wie etwa eP3. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden (wie etwa P1, P2, eP4 und P5), liegt keine hinreichend starke Begründung vor. Die leichte Ablehnbarkeit von eP3 durch den Adressaten senkt die Begründungsstärke des Arguments erheblich.

9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu: Das tawātur-Argument und das Argument der Möglichkeit der Verwechslung Nach der Auffassung al-Jaʿfarīs verkünden die Texte der Evangelien einerseits den Schutz Gottes für seine Propheten²³⁴ – also auch für Jesus, den al-Jaʿfarī als den Messias betrachtet – vor allen Schmerzen und damit vor der Kreuzigung. Deshalb müsste es laut al-Jaʿfarī auch aus christlicher Sicht möglich sein, dass Gott die Verwechslung bzw. Vertauschung des Messias mit einer anderen Person – wie der Koran es beschreibt²³⁵ – um seines Schutzes willen ermöglicht. Das tawātur-Argument des al-Jaʿfarī beinhaltet eine komplexe Argumentation gegen die von al-Jaʿfarī auf christlicher Seite vorausgesetzte These Tc: ›Die Nachricht von der Tötung und Kreuzigung von Jesus ist tawātur, d. h. eine epistemisch sichere Überlieferung‹. Hierzu konstruiert al-Jaʿfarī das folgende bibelbasierte Argument gegen Tc: »[S1] Und wenn die Christen behaupten, dass die Nachricht von der Tötung und Kreuzigung Christi vergleichbar wäre (mit tawātur), [S1.1] dann würden wir sie ausgehend von dem Evangelium, das sie besitzen, wie folgt verurteilen. [S2] Wir sagen dazu: Schon euer Buch

²³⁴ Vgl. dazu das eigens für den Schutz Gottes für seine Propheten konstruierte Argument in § 168. In § 180 konstruiert al-Jaʿfarī argumentativ die Prämisse zu diesem Schutz Gottes: ›Wenn Gott verspricht, jemanden schützen zu wollen, dann tut Gott das‹. Das Antezedens sei am Beispiel des Jesu gegeben. ²³⁵ Vgl. Koran 4:157. Dies ist die von der Mehrheit muslimischer Theologen vertretene Lesart; allerdings wurde von den Philosophen um 1000, die sich als ikhwān al-ṣafāʾ (»Brüder der Reinheit«) bezeichneten, gelehrt, dass Jesus wirklich am Kreuz hing und kein anderer (vgl. Brague, »Verhältnis« 86).

9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu

389

äußerte,²³⁶ dass die Juden in der Nacht auf Freitag, den 13. Nisan [sc. April], mit Schwertern, Stöcken und Fackeln zum Messias hinausgingen, während der Messias mit seinen Jüngern im Jordan-Tal war. [S3] Daraufhin klopften sie an die Tür und der Messias kam zu ihnen hinaus und sprach: ›Wen sucht ihr?‹ [S4] Sie antworteten ihm: ›Yasūʿ [sc. Jesus]‹. [S5] Sie leugneten den Messias ab [S5.1] und erkannten ihn nicht als Messias. [S6] Sie taten dies mehrfach. [S7] Er [sc. der Messias] sprach: ›Ich bin Yasūʿ [sc. Jesus]‹, [S7.1] da fassten sie ihn und fesselten ihn. [S8] Seine Genossen konnten entkommen und keiner folgte ihm [sc. dem Messias] außer Petrus aus der Ferne und ein junger Mann mit einem Männerkleid. [S9] Sie hielten ihn an seiner Kleidung fest, sodass er sie [sc. die Kleidung] ihnen ließ und nackt flüchtete. [S10] Und was Petrus betrifft, so ging er in das Haus hinein und wärmte sich mit den Soldaten am Feuer. [S11] Eine Magd erkannte ihn und sagte: ›Du bist der Freund des Yasūʿ!‹ [S12] Petrus leugnete das ab. [S13] Eine andere Magd kam und sagte dasselbe wie die erste. [S14] Petrus leugnete es erneut ab und schwor, dass er ihn [sc. Jesus] nicht kenne. [S15] So täuschte er sie, bis er von ihnen fliehen konnte. [S16] Als es Morgen wurde, wurde der Gefasste [sc. den sie für Jesus hielten] gekreuzigt, während kein Anhänger Christi mehr bei ihm war außer weinenden Frauen. [S17] Der Gekreuzigte sagte zu diesen: ›Weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder! [S18] Auf euch wird eine Zeit zukommen, in der ihr unfruchtbare Frauen stark beneidet.‹ [S19] Und was die Juden angeht, welche bei der Tötung und Kreuzigung anwesend waren, so erreicht deren Zahl nicht die Anzahl des tawātur. [S20] Denn keiner der Anhänger des Messias war anwesend, außer schwachen Frauen, und von den Juden war keiner anwesend außer einer kleinen Gruppe. [S21] Und das ist kein tawātur. [S22] Und alle, die nach diesen gekommen sind, haben (das Zeugnis) von denen überliefert. [S23] Und damit erlangt man keine (sichere) Erkenntnis (al-ʿilm).«²³⁷

Das tawātur-Argument al-Jaʿfarīs basiert auf zwei Kriterien, welche die Grundzüge seines Arguments und seiner Theorie des tawātur nachzeichnen: i. Ein tawātur erlaubt keinen Zweifel an der Überlieferung. Der Text der Evangelien lasse jedoch daran zweifeln, ob der Messias überhaupt für jeden erkennbar war. ii. Es muss genug verlässliche Zeugen für eine tawātur-Überlieferung geben. Dies sei bei der Kreuzigung Jesu nicht der Fall gewesen, insbesondere sei Petrus nicht anwesend gewesen. Der Methodologe ʿAbd al-Qāhir ibn Ṭāhir al-Baghdādī verwies in seinem Werk auf den epistemischen Wert der sicheren Überlieferung (tawātur) und kategorisiert diese Art der Überlieferung, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, als notwendige Erkenntnis.²³⁸ Al-Jaʿfarī lehnt sich mit seiner Theorie des tawātur an die epistemische Lesart dieses Konzeptes an. Sicherlich ist das tawātur-Verständnis bei anderen Gelehrten komplexer als bei al-Jaʿfarī; aber für al-Jaʿfarīs Argument reichen die oben erwähnten zwei Kriterien aus, um die Zuverlässigkeit der christlichen Überlieferung zur Passionsgeschichte in Frage zu stellen. Aus dem Argumentationstext kann jedenfalls die tawātur-Prämisse des al-Jaʿfarī rekonstruiert werden:

²³⁶ Das Folgende nach Matthäus 26–27 und den Parallelen, teils ausgestaltet. Die Frage »Wen sucht ihr?« kommt nur bei Johannes 18,4–8 vor. ²³⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 159–163. ²³⁸ Al-Baghdādī, Kitāb uṣūl al-dīn Bd. 1, 12.

390

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Tawātur-Prämisse des al-Jaʿfarī: Damit eine Nachricht als tawātur gelten kann, darf es keinen Zweifel an der Nachricht geben und es müssen genug verlässliche Zeugen für die Nachricht vorliegen. Zu diesem Zweck konstruiert al-Jaʿfarī ein im Genre des Radds nicht ungewöhnliches Bild des Kreuzigungsmoments: Anwesend waren nur einige Juden und zwei weinende Frauen (vgl. S19–S20). Und diese Anwesenden würden die Anzahl des tawātur nicht erreichen. Diese Darstellung al-Jaʿfarīs ist bemerkenswert und lässt Fragen offen: Waren nicht noch andere Personen (nach dem Bibelbericht) bei der Kreuzigung zugegen? Und wie kommt al-Jaʿfarī zu der Behauptung, dass nur wenige Juden anwesend waren? Also kennt al-Jaʿfarī entweder die Bibel nicht gut oder er verheimlicht seinem Leser weitere Zeugen. Die Frauen, die er nennt, sind wohl aus Markus 15,40–41 entnommen. Sein Bezug auf die Juden dürfte eine Anspielung auf Markus 15,31 sein, wo die Hohenpriester und die Schriftgelehrten Jesus verhöhnen. Doch angenommen, al-Jaʿfarī las diese Stelle, so müsste er zumindest auch in Markus 15,21 gelesen haben, dass auch Simon von Cyrene bei der Kreuzigung anwesend gewesen sein dürfte;²³⁹ schon in diesem Fall wären seine Angaben zu den wenigen Juden und weinenden Frauen ungültig. Das gibt auch einen Hinweis, dass al-Jaʿfarī wahrscheinlich bewusst die Anwesenden begrenzt hält, um sein tawātur-Prämisse stützen zu können. Denn laut der Bibel waren viel mehr Personen am Kreuz anwesend. Möglich, aber oft nicht eindeutig zu bestimmen, sind folgende Gruppen: die römischen Soldaten,²⁴⁰ Menschen aus dem Volk,²⁴¹ Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste,²⁴² einige Jüngerinnen Jesu²⁴³ und der Apostel Johannes²⁴⁴. Dass al-Jaʿfarī zudem die vielen Frauen, die bei Lukas 23,27–28 angedeutet werden, als »schwach[e] Frauen« und somit nicht für ein tawātur ausreichend betrachtet (vgl. S20–21), zeigt auch seine Bewertung von Frauen als Zeugen. Womöglich sieht er wie viele – vor allem muslimische Juristen – das Zeugnis einer Frau als nicht so wertvoll wie das Zeugnis eines Mannes an. Auch wenn al-Jaʿfarī vorgeworfen werden kann, dass er diese Personengruppen bewusst nicht erwähnt, so ist es zweifelhaft, ob die christliche Überlieferung

²³⁹ Wahrscheinlich war Simon von Cyrene noch während der Kreuzigung dabei, nachdem er Jesu Kreuz tragen musste (vgl. Mt 27,32; Mk 15,21; Lk 23,26). ²⁴⁰ Vgl. Mt 27,31.35–36.54; Mk 15,24.39; Lk 23,34.47; Joh 19,23–24. ²⁴¹ Vgl. Mt 27,39–40; Mk 15,29–30; Lk 23,27. ²⁴² Vgl. Mt 27,41–43; Mk 15,31; Lk 23,35. ²⁴³ Dazu zählen Maria von Magdala (vgl. Mt 27,56; Joh 19,25), Maria die Mutter von Jakobus und Josef (vgl. Mt 13,55; 27,56; Joh 19,26–27), Maria die Frau des Klopas (vgl. Joh 19,25), die Mutter der Zebedäussöhne (vgl. Mt 27,56) und Salome (vgl. Mk 15,40). In Markus 15,41 heißt es, dass noch »viele andere« Frauen bei der Kreuzigung dabei waren. ²⁴⁴ Der Jünger, der im Joh 19,25–27 erwähnt wird, wird traditionell als Apostel Johannes interpretiert. Sicher gilt, dass zumindest ein Jünger dabei war, auch wenn er nicht unzweifelhaft Johannes war. Doch auch dies reicht, um die Darstellung al-Jaʿfarīs zu widerlegen.

9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu

391

dennoch für ein tawātur im Sinne von al-Jaʿfarī ausreichen würde. Die tawāturPrämisse sieht vor, dass es keinen Zweifel an der Nachricht geben darf und es genug verlässliche Zeugen für die Nachricht geben muss. Auch wenn man die anwesende Personengruppe hoch einschätzt, würde al-Jaʿfarī wohl dennoch die Überlieferung der Nachricht kritisieren. Denn al-Jaʿfarī fragt hierzu: »Überliefert ihr eure Behauptung bezüglich der Tötung und Kreuzigung des Messias durch tawātur oder durch āḥād?«²⁴⁵

Für al-Jaʿfarī stellt die Überlieferung der Evangelien im besten Fall eine āḥādÜberlieferung dar, und darin sieht er keine Beweiskraft: »Wenn ihr behauptet, sie sei āḥād, so hat dieser Weg keine Beweiskraft, da sie kein notwendiges Wissen darstellt.«²⁴⁶

Āḥād ist ein Terminus aus der Hadithwissenschaft und bildet einen Gegenpol zum tawātur. Es bezeichnet eine Überlieferung, die nicht von einer großen Anzahl von vertrauenswürdigen Überlieferern übermittelt wurde, sondern von sehr wenigen bzw. von nur einem.²⁴⁷ Und hier ordnet al-Jaʿfarī die Evangelien ein. Sie sind ihm zufolge nur Überlieferungen von einzelnen Personen ohne die Beweiskraft des tawātur. Dieses tawātur-Argument ist also ein Hinweis, auf dem al-Jaʿfarī seine These aufbaut, dass die Evangelien nicht gut genug überliefert wurden, um aus ihnen epistemologisch gesehen zuverlässige Aussagen ableiten zu können. Seine tawātur-Prämisse besagt in diesem Kontext, dass die von den Christen oft für theologische Wahrheiten herangezogene Bibel nicht für epistemische Argumente herangezogen werden kann.²⁴⁸ In dem oben zitierten Argument, das unter anderem gegen den tawātur-Status der Evangelien herangezogen wird, ist auch das Argument einer Möglichkeit der Verwechslung Jesu enthalten.²⁴⁹ Der Grundgedanke ist einfach: Wenn Jesus eventuell von den Leuten, die ihn festnahmen, verwechselt werden konnte,²⁵⁰

²⁴⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 157. ²⁴⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 158. ²⁴⁷ Vgl. Goldziher, »Āḥād«. ²⁴⁸ Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Griffith, »Use and Interpretation« 88–90. ²⁴⁹ Vergleich hierzu auch das sechste, siebte und achte Argument im dritten Kapitel des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, § 172, § 175 und § 178. In einem anderen Argument (§ 166), das wie das Argument der Möglichkeit der Verwechslung gegen den tawātur-Status der Evangelien gerichtet ist, wird die Möglichkeit betrachtet, warum bzw. ob jemand, der von Gott bekräftigt wurde, auf die eindeutige Frage, ob er der Messias sei, nicht eindeutig antwortet. Dies sei ein Zeichen für die Annahme, hierbei handele es sich nicht wirklich um den Messias, sondern um einen anderen, der anstelle des Messias gekreuzigt wurde (dies entspricht der koranischen Darstellung der Kreuzigung). Hier konstruiert al-Jaʿfarī implizit eine Prämisse des indirekten Antwortens, die man wie folgt explizit formulieren kann: ›Wenn jemand, nachdem er von Gott bestärkt wurde, auf die Frage, ob er der Messias ist, nur verzögert antwortet, dann ist er (womöglich) nicht wirklich der Messias.‹ ²⁵⁰ Für weitere bibelbasierte Argumente dazu, dass die Häscher Jesus nicht erkannten, siehe §§ 172–174 von al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā.

392

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

dann ist auch die Kreuzigung des wahren Jesus zweifelhaft. Dabei kannte die Bevölkerung ihn, aber eben nicht die Soldaten, die ihn festnahmen. Al-Jaʿfarī schreibt dazu: »[S1] Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Messias mehr als 30 Jahre unter ihnen gelebt hat, [S1.1] während derer er die Juden mit Argumenten und Beweisen begeisterte und sie mit stichhaltigen Worten in Versammlungen zum Schweigen brachte. [S2] Und sie kannten ihn [sc. Jesus], kleine und große [d. h. alle von ihnen]. [S3] Und sie betrachteten ihn als ansehnlich und (zugleich) bedrohlich. [S4] Was hätte sie [sc. die Juden] dazu gezwungen, einem seiner zwölf Jünger Geld zu bezahlen, damit er sie mit seinem (wahren) Bild [sc. Person bzw. Erscheinung] bekannt [sc. vertraut] machte, wenn keine Verwechslung möglich war?«²⁵¹

Und wenig später: »[S5] Johannes der Jünger (Jesu) erzählt in seinem Evangelium, dass der Messias – als jene kamen, die ihn im Garten im Jordan-Tal festnahmen – ihnen entgegenging und fragte: [S5.1] ›Wen sucht ihr?‹ [S5.2] Sie antworteten: ›Yasūʿ [sc. Jesus]‹, [S5.3] wobei sie seine wahre Identität nicht kannten. [S6] Sie wiederholten dieselbe Frage mehrmals und er gab ihnen immer wieder dieselbe Antwort.²⁵² [S7] Das ist ein Beweis für die Verwechslung, [S7.1] denn sie erkennen sein Gesicht nicht, obwohl er als Jugendlicher unter ihnen aufwuchs und in ihrer Gemeinde erzogen wurde.«²⁵³

Hier konstruiert al-Jaʿfarī implizit eine Prämisse der Möglichkeit einer Verwechslung, die man so formulieren kann: Wenn jemand dafür bezahlt werden muss, die Identität einer Person x zu bezeugen, dann kennt der Auftraggeber diese Person x wahrscheinlich nicht persönlich und der Beauftragte kennt x womöglich auch nicht oder hat die Möglichkeit der Täuschung. Das Argument kann unter Heranziehung dieser Prämisse wie folgt rekonstruiert werden: eP1: Wenn jemand dafür bezahlt werden muss, die Identität einer Person x zu bezeugen, dann kennt der Auftraggeber diese Person x wahrscheinlich nicht persönlich und der Beauftragte kennt x womöglich auch nicht oder hat die Möglichkeit der Täuschung. P2: Die Juden bezahlten einen Jünger, damit er Jesus identifizierte. (aus S4) K:

Eine Verwechslung Jesu ist möglich [obwohl Jesus unter den Juden lebte]. (aus S7, S1–S3)

Diese deduktive Rekonstruktion eines bibelbasierten Arguments hat die Funktion – und das reicht für al-Jaʿfarī schon aus –, die Möglichkeit einer Verwechslung zu beweisen. Die Rekonstruktion baut auf der Implikation eP1 auf.

²⁵¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 165. Al-Jaʿfarī meint: Eine Verwechslung war leicht möglich, da die Soldaten Jesus nicht kannten. ²⁵² Nach Johannes 18,4–8. ²⁵³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 170–171.

9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu

393

Al-Jaʿfarī versucht durch Bibelstellen das Antezedens von P1 zu belegen (P2), somit ist das Sukzedens gegeben (K). Formal ist das Argument gültig. Problematisch sind jedoch eP1 und P2. Das Sukzedens von al-Jaʿfarīs Prämisse der Möglichkeit einer Verwechslung ist nur eine Möglichkeit des Antezedens. Es sind durchaus weitere Konsequenzen möglich. Daher ist al-Jaʿfarīs Konsequenz nur eine Möglichkeit von vielen. Seine Interpretation ist somit nicht die einzig mögliche Erklärung und daher nur wahrscheinlich wahr. Dasselbe gilt für P2, auch hier interpretiert al-Jaʿfarī die Bibelstelle so, dass die Handlung zu seiner These passt. Somit baut das Argument zwar auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip auf und ist formal gültig, doch benützt es lediglich wahrscheinliche Prämissen und ist somit insgesamt wahrheitsähnlich. Wenn man die Theorie der theologischen Wahrheiten in Betracht zieht, die besagt, dass Theologien auf absolute Wahrheiten angewiesen sind, könnte diese Argumentationsstrategie durchaus von al-Jaʿfarī beabsichtigt sein: Seine Strategie wäre dann, zu einem fest etablierten Glauben eine mögliche Alternative zu begründen, damit dieser Glauben nicht mehr unzweifelhaft erscheint. Zumindest diese Strategie geht bei diesem Argument auf. Eng verbunden mit der Darstellung der Möglichkeit der Verwechslung ist ein anderes bibelbasiertes Argument zur Verklärung Jesu. Dazu schreibt al-Jaʿfarī Folgendes: »[S1] Lukas sagte in seinem Evangelium Folgendes: [S1.1] Und Jesus begab sich auf einen Berg in Galiläa, wobei Petrus, Jakobus und Johannes ihn begleiteten. [S2] Und als er betete, wurde sein Gesicht anders, und sein Gewand wurde weiß und glänzte wie ein Blitz. [S3] Und sie sahen Mose, den Sohn des ʿImrān [sc. Amram], und Elija erscheinen, wobei eine Wolke sie beschattete. [S4] Was diejenigen angeht, die mit ihm waren, so überfiel sie der Schlaf.²⁵⁴ [S5] Dieses von Lukas überlieferte Kapitel ist ein Beweis für die Erhebung [sc. Verklärung] des Messias und seinen Schutz vor seinen jüdischen Feinden. [S6] Möge sie Gott enttäuschen!«²⁵⁵

Al-Jaʿfarī interpretiert S2 hermeneutisch aus der Perspektive des Korans: Dass Jesus Gesicht »anders« wurde, sieht er als Beleg dafür, dass Jesus erhoben, also verklärt worden sei, so wie der Koran das Ereignis beschreibt. Demnach sei Jesus auch nicht selbst gekreuzigt wurden, sondern ein anderer an seiner Stelle.²⁵⁶ Diese interpretative Argumentation des al-Jaʿfarī ist gewiss nicht die einzig mögliche Erklärung für diese Bibelstelle, aber immerhin als wahrscheinlich zu betrachten. Die Funktion dieses Arguments ist es zudem, die koranische Erzählung als gültig und somit als eine Legitimation für koranbasierte Interpretationen biblischer Stellen heranzuziehen. Dies ist jedoch mindestens für die Erfüllung der Akzeptabilitätskriterien problematisch; denn ähnlich, wie ein Christ den Koran nicht als Beleg akzeptieren würde, kann er auch eine koranbasierte Interpretation christlicher Texte ablehnen.

²⁵⁴ Gekürzt nach Lukas 9,28–36; vgl. Matthäus 17,1–9 und Markus 9,2–10. ²⁵⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 167. ²⁵⁶ Vgl. Koran 4:157.

394

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das Argument einer Möglichkeit der Verwechslung diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,²⁵⁷ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation enthält die Prämissen eP1 und P2, welche die Konklusion K begründen sollen. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation hat keinen klassischen Argumentationsindikator, aber S4 und S7 haben womöglich diese Funktion. Nachdem in S1–S3 eine vermeintlich objektive bibelbasierte Darstellung aus dem Leben Jesu gegeben wird, besagt S4, diese Darstellung lege die Möglichkeit einer Verwechslung nahe. S7 könnte ein weiterer nichtklassischer Argumentationsindikator sein. S7 besagt, die Darstellung impliziere etwas anderes als die Christen glauben, nämlich die Möglichkeit der Verwechslung Jesu. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation ist, dass eine Verwechslung Jesu möglich war. Dies impliziert auch, dass die islamische Lesart wahr ist, nach der nicht Jesus am Kreuz gestorben sei, sondern eine andere Person, die mit Jesus verwechselt wurde. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S4 und S7 als nicht-klassischer Argumentationsindikator verbinden die Stelle in der Argumentation, in der al-Jaʿfarī Jesu darstellt, und die Argumente für die These, die in S5–S6 und S7.1 vorliegen.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Der rekonstruierten Argumentation liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind.

²⁵⁷ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

9.10. Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu

395

Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist nach der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusion K lässt sich logisch aus den Prämissen eP1 und P2 herleiten (siehe die Rekonstruktion). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Die Prämissen eP1 und P2 sind problematisch. Das Sukzedens von al-Jaʿfarīs Prämisse der Möglichkeit einer Verwechslung ist nur eine Möglichkeit des Antezedens. Es sind durchaus weitere Konsequenzen möglich. Seine Interpretation ist also nicht die einzig mögliche Erklärung und daher nur wahrscheinlich wahr. In P2 interpretiert al-Jaʿfarī die Bibelstelle so, dass die Handlung zu seiner These passt. Das ist nicht die einzig mögliche Interpretation der Bibelstelle und somit ebenfalls nur wahrscheinlich war. Somit baut das Argument zwar auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip auf und ist formal gültig, doch benützt es lediglich wahrscheinliche Prämissen und ist somit insgesamt bestenfalls wahrheitsähnlich. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass eine Verwechslung Jesu möglich sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,²⁵⁸ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.²⁵⁹ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q.

²⁵⁸ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ²⁵⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

396

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.²⁶⁰ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren.

A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. In diesem Fall handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S23 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist sehr zweifelhaft, ob der christliche Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. Sowohl eP1 wie auch P2 würde der Adressat wahrscheinlich ablehnen. Al-Jaʿfarī bietet keine zwingenden Gründe für die Wahrheit von eP1 und P2. Sogar wenn eP1 akzeptiert würde, weil es der Erfahrung nach immerhin wahrheitsähnlich zu sein scheint, bleibt P2 sehr spekulativ, und schon die Ablehnung von P2 reicht aus, um die deduktive Ableitung von K aus eP1 und P2 zu unterbinden. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn der Argumentierende (al-Jaʿfarī) geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation liefert keine Begründung, die nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend stark sein dürfte. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Die Argumentation

²⁶⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre

397

basiert aber auf objektiv betrachtet problematischen Prämissen, wie etwa P2. Sogar wenn eP1 für wahr gehalten würde, weist die Argumentation daher keine hinreichend starke Begründung auf.

9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre Die christliche Trinitätslehre, welche die Einheit Gottes und die Vielheit der göttlichen Personen verbunden sieht, gibt den muslimischen Radd-Autoren und somit al-Jaʿfarī den Anlass, die Gültigkeit dieser Lehre infrage zu stellen. Sie sehen darin einen Widerspruch, den es argumentativ zu beweisen gilt. Dabei folgen die Autoren zunächst einer einfachen Prämisse: Wenn Gott eins ist, dann kann er nicht zugleich drei Personen sein. Dabei ist die argumentative Dialektik die Hauptmethode des logischen Beweisversuches.²⁶¹ Das Christentum hatte sich in dieser Frage allerdings nicht nur gegenüber dem Islam zu rechtfertigen; im 12. Jahrhundert herrschte auch eine innerchristliche Debatte um die Frage nach der Rationalität der Trinitätslehre, in der eine Antwort auf die logischen Schwierigkeiten der Trinitätslehre gesucht und Argumente gegen die Kritik daran – etwa von Porphyrios – konstruiert wurden. Beispielsweise antwortete Peter Abaelard (gest. 1142) in seiner Theologia summi boni auf die Vorwürfe gegen die Trinitätslehre und beschrieb sie mit Analogien aus der menschlichen Vernunft. Er entwickelte eine Reihe von Prinzipien, um sowohl die Dialektik als Methode – denn sie war für die Theologie durchaus von Nutzen – wie auch die Trinitätslehre rechtfertigen zu können: Zum einen sei nicht die Vernunft selbst, die sich gegen die Trinität zu stellen schien, zu kritisieren, sondern ihre missbräuchliche Anwendung. Wenn die Vernunft der Trinitätslehre zu widersprechen scheint, muss wiederum mit der Vernunft gezeigt werden, dass diese Vernunftanwendung fehlerhaft ist. Ein anderes Prinzip, das Abaelard formuliert, ist tiefgründiger: Weil Gott den Verstand übersteigt, kann er letztlich nicht durch (weltliche) Vernunft und Sprache erfasst und verstanden werden.²⁶² Auf islamischer Seite stellen sich insbesondere die Mutakallimūn eindeutig gegen diesen Ansatz. Sie betrachten die Vernunft als eine Methode, die durchaus in der Lage ist, das Göttliche verständlich zu machen. Hier setzen auch al-Jaʿfarīs Bemühungen an, die Trinitätslehre durch Heranziehung der Vernunft argumentativ zu widerlegen. Dafür konstruiert er eine Vielzahl von Argumenten gegen verschiedene christliche Thesen, welche die Trinitätslehre stützen sollen. Das folgende Argument gegen die Trinität, das man kurz als ›Quaternitätsargument‹ bezeichnen kann, greift die christlichen These an, dass die Trinität nicht willkürlich sei, sondern dass es exakt drei Hypostasen (den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist) geben müsse. Genau dies – Willkür – wirft nun al-Jaʿfarī

²⁶¹ Dabei ist Dialektik (jadal) eng mit der Logik verbunden. ²⁶² Abaelard, zitiert von Rieger, Contradictio 447–449.

398

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

dem Opponenten vor und fragt, ob nicht (z. B.) die Macht Gottes eine vierte Hypostase sein könnte.²⁶³ »[S1] Wir sagen Folgendes: [S1.1] Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus drei Hypostasen besteht; [S1.2] diese sind die Hypostase des Seins [bzw. Wesenheit], die Hypostase des Lebens und die Hypostase des Wissens.²⁶⁴ [S2] Das erste, mit dem die Diskussion gegen sie [sc. die Christen] eröffnet werden kann, ist Folgendes: [S2.1] Was ist euer Beweis für die Beschränkung der Hypostasen auf drei? [S2.2] Und warum lehnt ihr (Christen) die Behauptung derjenigen ab, die von vier Hypostasen ausgehen, indem sie dabei die Hypostase der Macht hinzufügen, sodass die Trinität zur Quaternität wurde? [S3] Wenn sie sagen: [S3.1] Nein, das ist nicht notwendig, denn in der Hypostase des Wissens ist das schon mitenthalten,²⁶⁵ [S3.2] sagen wir dazu: [S3.3] Nein, wir glauben nicht an die Richtigkeit dieser These. [S4] Denn warum sollte der Erhalt des Wissens von dem Erhalt der Macht abhängen? [S5] Und wenn die Hypostase des Wissens von jener der Macht abhängig wäre, so wäre die Hypostase des Lebens von der des Wissens ebenfalls abhängig, [S5.1] denn es ist möglich, dass einer wissend, aber nicht mächtig ist. [S6] Die Endgrenze des Wissens ist die Erleuchtung, während die Endgrenze der Macht die Erfindung und die Erschaffung ist. [S7] Das Wissen einer Sache erfordert nicht unbedingt ihre [sc. der Sache] Herstellung. [S8] Also muss weder jedes Lebewesen wissend sein noch jeder Wissende mächtig. […] [S9] Er ist Einer, lebendig, wissend, mächtig, wollend [sc. mit eigenem Willen], hörend und sprechend. [S10] Diese die Trinität widerlegenden Eigenschaften haben die Bücher dieser Leute [sc. Christen] deutlich belegt. [S11] Sie [sc. diese Eigenschaften] sind in der Tora, im Evangelium und in den Psalmen in Fragmenten (ʿalā l-tafārīq) vorhanden.«²⁶⁶

In dem von al-Jaʿfarī konstruierten und dem Opponenten zugeschriebenen Argument (S3.1) verneint der Opponent, dass die Macht Gottes eine vierte Hypostase sei, und stellt die Gegenbehauptung auf, die Macht sei in der Hypostase des Wissens enthalten. Diese Gegenbehauptung kann auf zweierlei Weisen verstanden werden: (i) Wissen und Macht seien identisch, oder (ii) Macht ist im Wissen enthalten (vgl. S3.1). Das könnte man so verstehen, dass Macht Wissen voraussetzt, also es impliziert. Al-Jaʿfarī verneint wiederum diese These und konstruiert sein Argument, um zeigen zu können, dass die Macht nicht im Wissen enthalten sei. Eine Rekonstruktion des Argumentes gemäß der Auffassung (i) sieht etwa folgendermaßen aus:

²⁶³ Dasselbe Argument führt auch al-Qarāfī ein. Al-Qarāfī sieht die Beweislast dafür, dass ausgerechnet eine Dreiheit Gottes notwendig sein soll und nicht etwa mehr als drei, z. B. durch die Hinzufügung der Allmacht als zusätzliche Hypostase, bei den Christen (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 269). ²⁶⁴ Diese Deutung der Hypostasen schreibt al-Qarāfī dem Būlus al-Rāhib zu, auf dessen Schrift mit dem Titel »Sendschrift an einen Muslim« er mit seiner Schrift Al-ajwiba antwortete. Darin schreibt er Būlus al-Rāhib die Aussage zu, die Christen wollten mit der Trinität sagen, dass der Vater die Wesenheit, der Sohn der Logos bzw. die Vernunft und der Heilige Geist das Leben sei. Jedoch seien alle drei Hypostasen ein einziger Gott (vgl. al-Qarāfī, Al-ajwiba, zitiert nach Stieglecker, Glaubenslehren 267). ²⁶⁵ D. h., Macht ist schon im Wissen vorhanden. Macht und Wissen vervollständigen sich und das eine erfordert das andere notwendigerweise unbedingt. ²⁶⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 186–189.

9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre

P1: P2: P3: P4:

399

Wenn Macht mit Wissen identisch ist, dann müssten beide dieselbe Endgrenze²⁶⁷ (bzw. Funktion) haben. (aus S6) Die Endgrenze (bzw. Funktion) der Macht ist das Erschaffen. Die Endgrenze (bzw. Funktion) des Wissens ist die Erleuchtung. Wissen und Macht haben nicht dieselbe Endgrenze (bzw. Funktion). (aus P2 und P3)

K1: P5:

Macht ist nicht mit Wissen identisch. (aus P4) Wenn Macht mit Wissen nicht identisch ist, ist die Trinitätslehre willkürlich.²⁶⁸

K2:

Die Trinitätslehre ist willkürlich. (aus S10)

Das Argument kann auch im Sinne von (ii) rekonstruiert werden: P1: P2: P3:

(Christliche Annahme:) Die Macht ist im Wissen enthalten (i. S. v. Macht setzt Wissen voraus, bzw. Macht impliziert Wissen). Wenn Macht Wissen voraussetzt, dann können beide nicht unabhängig voneinander ihre Funktionen erfüllen.²⁶⁹ Macht kann ohne Wissen ihre Funktion erfüllen. (aus S5–S7)

K1: Macht setzt Wissen nicht voraus. eP4: Wenn die Trinitätslehre nicht willkürlich ist, dann darf keine Hypostase irgendetwas anderes voraussetzen.²⁷⁰ K2:

Die Trinitätslehre ist willkürlich. (aus S10)

In diesem Argument al-Jaʿfarīs geht es weder um einen Beweis für die Quaternität noch um eine direkte Widerlegung der Trinität, sondern vielmehr darum, die Willkürlichkeit der Trinitätslehre darzulegen. Dass al-Jaʿfarī die Quaternität nicht ernsthaft verteidigt, macht er deutlich, wenn er zusammenfassend sagt: »Er ist Einer, lebendig, wissend, mächtig, wollend [sc. mit eigenem Willen], hörend und sprechend. Diese die Trinität widerlegenden Eigenschaften haben die Bücher dieser Leute [sc. Christen] deutlich belegt.«²⁷¹

Somit wäre er bei einer Siebenfaltigkeit angekommen, welche al-Jaʿfarī keinesfalls vertritt, sondern dies nur angibt, um sich von der Idee der Quaternität zu distanzieren. Die genannten Eigenschaften sind nur einige unter vielen anderen, die im islamischen Glauben Gott zugeschrieben werden. Es geht al-Jaʿfarī somit vielmehr darum, die Willkürlichkeit der Trinitätslehre zu demonstrieren.

²⁶⁷ Gemeint ist die Funktion und der absolute Höhepunkt dieser Eigenschaft. ²⁶⁸ Wenn die Trinität vollständig wäre, dann müssten weitere denkbare Hypostasen wie beispielsweise das Wissen in den drei trinitarischen Hypostasen enthalten bzw. jeweils mit einer von ihnen identisch sein. Da dies beim Wissen nicht der Fall ist, ist die Trinitätslehre für al-Jaʿfarī willkürlich: Das Wissen könnte durchaus eine vierte Hypostase darstellen. ²⁶⁹ D. h., damit eine Person mächtig sein kann, muss sie über Wissen verfügen. ²⁷⁰ Dies ist vorausgesetzt, wenn jede Hypostase unabhängig sein müsste. ²⁷¹ Vgl. S9–S10 und al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 186–189.

400

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Beide oben vorgestellte Rekonstruktionen basieren auf dem deduktiven Erkenntnisprinzip und sind deduktiv gültig. Was die Wahrheit der Prämissen angeht (und damit die Schlüssigkeit des gesamten Arguments²⁷²), so ist jedenfalls die Prämisse, dass die Macht im Wissen enthalten sei, also dass Macht Wissen impliziere, problematisch; denn diese Beziehung ist nicht notwendigerweise gegeben. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass, wenn jemand Macht hat, er somit auch Wissen hat, also dass Macht Wissen voraussetzt. Doch dies würde al-Jaʿfarī ausreichen, auch wenn er dies nicht explizit sagt, wohl einfach deshalb, weil er gar nicht an der Wahrheit dieser Prämissen interessiert ist, sondern diese durch einen Negativ-Beweis zu widerlegen versucht. Diese erste Prämisse wird sodann unterstützt mit der Prämisse, dass, wenn Macht Wissen voraussetzt, diese nicht unabhängig voneinander in der Lage seien, ihre Funktionen zu erfüllen. Wenn die erste Prämisse als wahr angenommen wird, dann ist die Konsequenz aus dieser zweiten Prämisse gegeben. Wenn jedoch dagegen angenommen werden kann, dass Macht auch ohne Wissen sehr wohl ihre Funktion erfüllen kann, würde dies zu dem Schluss führen, dass Macht Wissen nicht voraussetzt und dies würde auf die Willkürlichkeit der Trinität hinweisen. Jedoch ist die Prämisse, dass die Macht ihre Funktion ohne Wissen erfüllen kann, nicht zweifelsfrei. Somit ist das Argument zwar deduktiv gültig, aber mit schwachen Prämissen konstruiert. Argumentationsstrategisch ist an dieser Argumentation bemerkenswert, dass al-Jaʿfarī hier eine verdeckte Disjunktion konstruiert. Normalerweise würde bei der (vollständigen) Disjunktion (al-sabr wa-l-taqsīm), wie schon im taṣnīfArgument al-Jaʿfarīs,²⁷³ offen angegeben, welche alternativen Interpretationen bzw. Möglichkeiten es gibt, die der Argumentierende dann abarbeitet bzw. zu widerlegen versucht. In der vorliegenden Argumentation entwickelt sich die Disjunktion erst während der Argumentationshandlung. Die möglichen interpretativen Alternativen erscheinen daher als konstruierte Antworten auf die Argumente al-Jaʿfarīs, wie etwa in S3. Im Prinzip liegt hier eine Disjunktion vor, allerdings keine systematische und vollständige, weil nicht alle denkbaren Erklärungsmöglichkeiten abgearbeitet werden, sondern nur solche, die relevant sind. Womöglich ist diese Textkomposition sogar eine wichtige Strategie, die dazu dient, die vollständige Disjunktion zu umgehen, weil der Argumentierende schon weiß, dass er nicht alle Alternativen widerlegen kann oder in die Situation kommen kann, dass sogar alternative Interpretationen seine eigene These widerlegen könnten. Diese Erklärung wird von der Tatsache gestützt, dass die vorliegende Argumentation in der Tat in der Wahrheitsfrage problematische Prämissen heranzieht. Al-Jaʿfarī hat Schwierigkeiten, ein gültiges Argument vorzulegen. Der Versuch, eine vollständige Disjunktion aufzustellen, würde seine Aufgabe in diesem Fall nur noch weiter erschweren, was er offenbar durch diese alternative Strategie zu umgehen versucht.

²⁷² Zur Unterscheidung von ›gültig‹ und ›schlüssig‹ siehe hier S. 121 Anmerkung 240. ²⁷³ Vgl. dazu oben Abschnitt 9.4.

9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre

401

Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob Rekonstruktion (ii) des Quaternitätsarguments diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,²⁷⁴ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Das Quaternitätsargument umfasst die Urteile P1, P2, P3 und eP4, welche als Prämissen die These in Konklusion K2 begründen sollen. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Als nicht-klassischer Argumentationsindikator können S2, S3.2 sowie S3.3–S4 identifiziert werden (vgl. unten zu Bedingung A1). A0₃: Eine These q: Die These des Quaternitätsarguments gegen die Trinität ist die Konklusion K2, dass die christliche Trinitätslehre willkürlich sei. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. Ein klassischer Argumentationsindikator liegt nicht vor, jedoch übernehmen sowohl S2 wie auch S3.2 diese Funktion. S2 gibt an, dass die christliche Annahme (S1– S1.2) einer Diskussion bedürfe und dass diese hier eröffnet sei. Mit Diskussion ist gemeint, dass al-Jaʿfarī in S2.1 und S2.2 gegen die christliche Annahme argumentiert. S3 referiert eine alternative christliche Interpretation, zu der al-Jaʿfarī in S2.1 und S.2.2 seinen Opponenten zu drängen versucht. Mit dem weiteren Argumentationsindikator S3.2 beginnt al-Jaʿfarī, gegen diese alternative Interpretation zu argumentieren. Als weiterer Argumentationsindikator können die Sätze S3.3–S4 identifiziert werden. S3.1 besagt, dass die vorgestellte christliche These falsch sei, ab S4 wird gegen diese These argumentiert.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Dem Quaternitätsargument und seiner Rekonstruktion liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde.

²⁷⁴ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

402

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist nach der Rekonstruktion erfüllt. Die Konklusionen K1 und K2 lassen sich logisch aus den Prämissen P1, P2, P3 und eP4 herleiten (siehe hierzu die logische Struktur der Rekonstruktion). A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): Die Wahrheit der Prämissen ist ziemlich spekulativ. P1 ist eine christliche Annahme. Al-Jaʿfarī bezweifelt diese Annahme. Christen könnten diese Annahme vertreten, doch könnten alternative Erklärungen der Trinität diese Annahme überflüssig machen oder zur Ablehnung führen. Der Wahrheitswert von P1 ist nicht eindeutig zu bestimmten, P1 ist eher anzuzweifeln. P2 ist ebenfalls zweifelhaft: Es liegen zu wenig Informationen über die Beziehung von Macht und Wissen vor, sodass eine eindeutige und wahre Prämisse über deren Verhältnis nicht konstruierbar ist. P3 ist aus demselben Grund anzuzweifeln. Die ergänzte Prämisse eP4 ist ebenfalls schwach begründet. Es ist jedoch die islamische Lesart der Hypostasen. Eine andere mögliche Lesart ist die der Christen. Im besten Fall ist eP4 wahrheitsähnlich. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass die Trinität willkürlich sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Das Quaternitätsargument erfüllt diese Bedingung. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,²⁷⁵ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.²⁷⁶ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

²⁷⁵ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ²⁷⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.11. Das Quaternitätsargument gegen die Trinitätslehre

403

Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.²⁷⁷ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. In diesem Fall handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S11 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. Zumindest P2, P3, eP4 würden die Christen kritisieren und ablehnen. Wenn der Adressat aber eine oder mehrere der Prämissen P2, P3, eP4 nicht akzeptiert, ist aus seiner Sicht weder K1 noch K2 deduktiv abzuleiten. Somit wäre die These al-Jaʿfarīs für den christlichen Adressaten nicht zwingend anzunehmen. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn al-Jaʿfarī geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt. A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren.

²⁷⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

404

Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī Das Quaternitätsargument liefert keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt dem nach den Ansprüchen des Adressaten das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und es ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet zweifelhaften Prämissen, wie etwa P2, P3 oder eP4. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden (wie etwa P1), liegt keine hinreichend starke Begründung vor.

9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien als Argument für deren Fehlerhaftigkeit Im folgenden Argumentationstext konstruiert al-Jaʿfarī ein interessantes Argument aus dem Umstand, dass alle Evangelien jeweils einzelne biblische Ereignisse auslassen. Die frühe Kirchengeschichte ist vom Bestreben geprägt, die vier Evangelien zu einer Evangelienharmonie zu verschmelzen; dennoch hat die Kirche letztlich an den vier Evangelien festgehalten. Jedes Evangelium bietet Inhalte, die keines der anderen enthält (sog. Sondergut) und jedes Evangelium zeigt das Geschehen aus einer anderen Sichtweise auf; diese Unterschiede sind jedoch in den allermeisten Fällen keine Widersprüche, sondern lediglich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Perspektiven. Dennoch besteht das sog. synoptische Problem, also die Frage, wie die trotz der literarischen Verwandtschaft der drei synoptischen Evangelien (Matthäus-, Markusund Lukasevangelium) vorhandenen Differenzen zu interpretieren sind. Von diesem Problem scheint al-Jaʿfarī profitieren zu wollen und schreibt: »[S1] Im Johannesevangelium steht Folgendes: [S1.1] ›Als Johannes der Täufer den Messias auf sich zukommen sah, sagte er: [S1.2] ›Seht dort das Lamm Gottes, das die Sünde der ganzen Welt trägt. [S2] Er ist der, von dem ich euch berichtet habe, dass er nach mir kommt und stärker als ich ist; [S2.1] und dass er mit der Schaufel eigenhändig am Feld die ganze Weizenernte bearbeitet und sammelt, [S2.2] und das restliche Stroh mit einem unlöschbaren Feuer verbrennt.‹²⁷⁸ [S3] Ihm widerspricht²⁷⁹ Matthäus, indem er Folgendes sagt: ›Johannes der Täufer sandte (seine Jünger) zu (Jesus), während er im Gefängnis war, und ließ ihn fragen: [S3.1] ›Bist du es, der da kommen soll [sc. der Kommende/Erwartete], [S3.2] oder sollen wir auf einen andern warten?‹²⁸⁰ [S4] Und dies ist eine deutliche Kontradiktion [sc. Widerspruch], denn einer der beiden berichtete über Johannes den Täufer, dass (dieser wusste, dass) er [sc. Jesus] tatsächlich derjenige [sc. der Erwartete] ist, [S4.1] und dabei überhaupt nicht zögerte [sc. keinen Zweifel daran hatte], wogegen der andere erzählt, dass er [sc. Johannes] Zweifel an ihm [sc. dem Messias] hatte und ihn nicht kannte, bis er einen Boten sandte und ihn fragte.

²⁷⁸ Vgl. Johannes 1,29–30; der Wortlaut und das Bild von der Weizenernte folgen eher Lukas 3,16–17. ²⁷⁹ Gemeint ist kein expliziter Widerspruch durch Matthäus; was al-Jaʿfarī sagen möchte, ist, dass die Darstellung von Matthäus dem Johannesevangelium widerspricht. ²⁸⁰ Matthäus 11,2–3.

9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien

405

[S5] Was Markus angeht, so übersah [sc. vernachlässigte] er diesen Vorfall und erwähnte ihn gar nicht. [S6] Und wenn er diesen Bericht [sc. Vorfall] übersehen hat, woher haben wir dann die Sicherheit, dass er nicht auch andere, wichtigere Vorfälle vernachlässigt hat?²⁸¹ [S7] Wie kann dies (wirklich) aus dem Evangelium stammen, obwohl Markus es nicht erwähnt? [S8] Und wenn es bei Markus nicht bestätigt wird, so bedeutet dies einen Einwand gegenüber denjenigen, die es überliefert haben [sc. den anderen Evangelisten].«²⁸²

Die Argumentation al-Jaʿfarīs beginnt zunächst mit einem Beleg für einen Widerspruch zwischen Johannes- und Matthäusevangelium sowie der Feststellung, dass Markus sich zu diesem Ereignis nicht äußert. Dieses Schweigen des Markusevangeliums interpretiert al-Jaʿfarī als Übersehen des Ereignisses durch Markus und stellt eine Prämisse zur Verlässlichkeit der Evangelien auf: Wenn ein Evangelium ein Ereignis übersehen hat, dann ist es nicht mehr verlässlich. Dieses Prinzip zeigt seine Sicht auf heilige Texte, die von seiner Sicht des Korans als vollkommenem heiligen Text geprägt ist. Al-Jaʿfarī geht implizit davon aus – was in der islamischen Theologie generell vertreten wird –, dass der Koran keine alternativen Varianten besitzt und dass ihm deshalb schon prinzipiell nicht nachgewiesen werden kann, wichtige Ereignisse übersehen zu haben. Theoretisch wäre ein solcher Fall auch nicht mit der klassischen Offenbarungstheorie des Islams in Einklang zu bringen. Dieses Prinzip ist – zunächst einmal abgesehen davon, ob es haltbar ist oder nicht – erfüllt, wenn al-Jaʿfarī aufzeigen könnte, dass es ein Ereignis gibt, welches von einem Evangelium übersehen wurde. Denn dann wäre die Konsequenz, die al-Jaʿfarī daraus ableitet, dass dieses Evangelium nicht verlässlich ist, denn es könnte ja ebenso noch weitere für die Theologie wichtige Ereignisse übersehen haben. Al-Jaʿfarī muss also zeigen, dass ein Evangelium mindestens ein Ereignis übersehen hat. Er glaubt zumindest im Markusevangelium eine solche Lücke gefunden zu haben: Laut al-Jaʿfarī übergeht Markus die etwa bei Matthäus 11,2–3 erwähnte Episode, dass Johannes der Täufer seine Jünger zu Jesus sandte, um Klarheit über diesen zu erhalten. Für al-Jaʿfarī ist der Umstand, dass im Markusevangelium dieses Ereignis fehlt, ein Beleg dafür, dass das Markusevangelium (i.) dieses Ereignis übersehen hat und (ii.) durch diese Auslassung beweist, dass es auch andere Ereignisse übersehen haben könnte, also defektiv ist. Diese Interpretation des al-Jaʿfarī hat noch eine tiefere Dimension. Er möchte implizieren, dass in einem Evangelium, wenn es offensichtlich wichtige Ereignisse übersehen kann, auch diejenigen Punkte fehlen können, die Belege für die islamische Lesart der Theologie wären. Weil al-Jaʿfarī selbst den Koran als eine unverfälschte Einheit betrachtet, hält er den Koran für glaubwürdiger. – Eine denkbare weitergehende Interpretation dieser Stelle ist, dass al-Jaʿfarī außerdem

²⁸¹ Hervorhebung durch den Verfasser. ²⁸² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 207–210.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

impliziert, dass, wenn man auch nur einen begründeten Zweifel an der Bibel nachgewiesen hat, dann auch der Rest der Bibel in theologischen Fragen – epistemisch betrachtet – nicht vertrauenswürdig sein kann. Sein Argument für die Unzuverlässigkeit eines Evangeliums kann wie folgt rekonstruiert werden: P1:

P2: K1: P3: eP4:

Wenn ein Evangelium x einen Vorfall y übersehen hat, dann ist es möglich, dass Evangelium x auch einen beliebigen anderen Vorfall z übersehen hat. (aus S4, S6) Das Evangelium a hat den Vorfall b übersehen. (aus S1, S3) Es ist möglich, dass das Evangelium a auch den Vorfall c übersehen hat. Gegen die Zuverlässigkeit eines Evangeliums x, das den Vorfall c übersehen kann, gibt es Einwände. (aus S8) Wenn es gegen die Zuverlässigkeit einer Quelle Einwände gibt, ist sie (epistemisch) nicht glaubwürdig.

K2: eP5:

Das Evangelium a ist (epistemisch) nicht glaubwürdig. Was (epistemisch) nicht glaubwürdig ist, mit dem kann keine Erkenntnis begründet werden.

K3:

Mit dem Evangelium a kann keine Erkenntnis begründet werden.

Diesem Argument liegt das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist deduktiv gültig. Was jedoch die Wahrheit der Prämissen angeht, so sind einige Probleme zu beachten. P1 ist keineswegs wahr. Zwar ist es durchaus möglich, dass in einem Text auch ein weiterer Vorfall fehlen kann, wenn in diesem Text schon einen Vorfall übersehen wurde. Das ist jedoch keine kausale oder logisch notwendige Beziehung. Hinter dieser Prämisse steht vielmehr die Annahme des al-Jaʿfarī, dass eine Schrift, die den Anspruch erhebt, von Gott offenbart bzw. inspiriert zu sein, vollkommen fehlerfrei zu sein hat. Doch auch diese Prämisse wäre problematisch und würde keine adäquate Zustimmung beim Opponenten finden. Denn die Art und Weise, wie Offenbarung verstanden wird, ist unterschiedlich; islamisches und christliches Verständnis der Offenbarung unterscheiden sich hier erheblich. Zumindest die meisten liberalen christlichen Theologen in Europa würden ein solches Verständnis der Bibel jedenfalls ablehnen – und damit auch den Maßstab der Fehlerlosigkeit, an dem al-Jaʿfarī den Bibeltext misst. Nur für biblizistische Christen, die in der Bibel buchstäblich Gottes Wort sehen, welches dieser wörtlich inspiriert habe (sog. Verbalinspiration), könnte ein derartiges Argument ein Problem darstellen. Zudem stellt P1 lediglich eine – wenn auch durchaus mögliche – Interpretation dieser scheinbar fehlenden Stellen dar. Diese Interpretation ist keineswegs die einzig mögliche Erklärung für die fehlenden Stellen; andere mögliche Erklärungen liefert die christliche Interpretation. Eine weitere problematische Prämisse ist eP4, die al-Jaʿfarī offenbar voraussetzt. Es stimmt nicht, dass alles, was Skepsis begründet, epistemisch nicht glaubwürdig ist. Zudem scheint es, dass al-Jaʿfarī nicht alle Implikationen von

9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien

407

eP4 hinreichend bedacht hat. Denn wenn eP4 wahr sein sollte, würden viele Quellen der islamischen Lehre, die auf indirekter Tradierung vom Propheten basieren und daher immer mit – mehr oder weniger – Skepsis behaftet sind, problematisch; dies würde zu einer großen Erosion der islamischen Lehre führen. Somit ist das vorliegende Argument zwar formal gültig, beruht jedoch auf schwachen Prämissen, weshalb das Argument selbst schwach bleibt. Prüfung der argumentativen Gültigkeit und Adäquatheit Da gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie der Zweck von Argumentationen darin besteht, zur Erkenntnis anzuleiten, und dieser Zweck nur erfüllt wird, wenn ein Argument argumentativ gültig und (situativ) adäquat ist, soll hier zusammenfassend geprüft werden, ob das Argument, das Fehlen einzelner Ereignisse in den Evangelien beweise deren Fehlerhaftigkeit, diesen Bedingungen entspricht. Wie beim ersten in diesem Kapitel analysierten Argument erläutert,²⁸³ wird dafür um der besseren Vergleichbarkeit willen ein einheitliches Formular verwendet – auf eine knappe Formulierung der von Lumer aufgestellten Bedingungen A0 bis A5 und ihrer Bestandteile folgt jeweils die Beurteilung für das hier behandelte Argument. Eine Argumentation x ist gültig, wenn x folgende Bedingungen erfüllt: A0:

Definitionsbereich: x besteht aus:

A0₁: Eine Menge von Urteilen a1 , ..., an , die als Prämissen dienen: Die Argumentation besteht aus den Urteilen P1, P2, P3, eP4 und eP5, welche als Prämissen die These in der Konklusion K3 begründen sollen. A0₂: Ein Argumentationsindikator i: Die Argumentation enthält keinen klassischen Argumentationsindikator, jedoch übernimmt S4 diese Funktion. S4 weist darauf hin, dass Matthäus Johannes widerspreche, hebt also den vermeintlichen Widerspruch hervor, auf dem das Argument basiert. A0₃: Eine These q: Die These der Argumentation in K2 ist, es sei möglich, dass ein Evangelium wichtige Ereignisse übersehen haben kann, sodass es nicht vertrauenswürdig sei. A1:

Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator i zeigt, dass x eine Argumentation und a1 , ..., an die Argumente (Prämissen) sind; q ist die These des Arguments. Zudem kann der Argumentationsindikator auf das erkenntnistheoretische Prinzip hinweisen, auf welchem die Argumentation basiert. S4 als nicht-klassischer Argumentationsindikator zeigt, welche Argumente für die These vorliegen (S1–S3), und führt in die Interpretation und Konsequenzen der Argumente (S4–S8) ein.

A2:

Akzeptabilitätsgarantie: Gültige erkenntnistheoretisch konzipierte Argumentationen müssen die Bedingungen einer Konkretisierung eines effektiven Erkenntnisprinzips für die These erfüllen. Es gibt also ein erkenntnistheoretisches Prinzip e und eine Konkretisierung c von e, und es muss gelten:

²⁸³ Siehe dazu hier Abschnitt 9.1, S. 315.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

A2₁: Effektives Prinzip: Das erkenntnistheoretische Prinzip e ist effektiv. Die Argumentation kann deduktiv rekonstruiert werden. A2₂: Konkretisierung (bzw. Bedingungen) des Prinzips: Das Kriterium c ist eine Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e für die These q, und die Argumente a1 , ..., an sind Urteile, die von mindestens einem Teil der Bedingungen von c aussagen, dass sie erfüllt sind. Nach dem deduktiven Erkenntnisprinzip müssen die Prämissen die These logisch implizieren. Diese Bedingung ist nach der Rekonstruktion erfüllt: Die Konklusionen K1, K2 und K3 lassen sich logisch aus den Prämissen P1, P2, P3, eP4 und eP5 herleiten. A2₃: Wahrheit der Argumente (Prämissen): P1 ist nicht sicher wahr, könnte aber kontingent wahr sein. P2 ist wahr, auch wenn die Konsequenz, die al-Jaʿfarī daraus zieht, nur eine mögliche Interpretation darstellt. P3 ist nur für wenige Christen wahr. Bei P3 geht al-Jaʿfarī von einer islamischen Offenbarungstheorie aus; P3 ist nicht wahr, kann jedoch aus theologischer Perspektive wahrheitsähnlich sein, wenn eine entsprechende Offenbarungstheorie zugrundegelegt wird. So kann resümiert werden, dass die Argumentation auf unsichere Prämissen aufgebaut ist und daher nicht gültig ist. Sie könnte eventuell für eine kleine Gruppe von Christen, die P1 und P3 für wahr halten, scheinbar gültig sein. A3:

Prinzipielle Adäquatheit: Die Argumentation x erfüllt die Standardfunktion von Argumentationen; d. h. es gibt ein Subjekt s (z. B. den Adressaten des Arguments) und eine Zeit t, für die gilt:

A3₁: Das Subjekt s kennt zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These q. Es kann stark angenommen werden, dass der christliche Opponent s des al-Jaʿfarī zur Zeit t keine hinreichend starke Begründung für die These des al-Jaʿfarī kennt, dass es möglich sei, dass ein Evangelium wichtige Ereignisse übersehen haben kann, und daher nicht vertrauenswürdig sei. Diese Begründungen werden s erst durch die Argumentation zur Zeit t zugänglich gemacht. A3₂: Das Subjekt s würde, wenn ihm x vorgetragen werden würde, die Akzeptabilität von q erkennen, indem es die Wahrheit der Argumente a1 , ..., an mit positivem Ergebnis überprüfen und die Bedingungen der Konkretisierung des Erkenntnisprinzips (A2₂) als erfüllt erkennen würde. Diese Bedingung ist offenbar erfüllt. Obwohl wir al-Jaʿfarīs Opponenten nicht kennen, ist klar, dass es sich um rational agierende Adressaten handeln muss. Denn sonst würde al-Jaʿfarī nicht versuchen, seine Opponenten mit rationalen Argumenten zu überzeugen,²⁸⁴ und würde von ihnen keine Beweise verlangen.²⁸⁵ Wenn die Opponenten dazu nicht in der Lage wären, wäre es sinnlos, sie durch Argumentation überzeugen zu wollen. Eine Argumentation ist entweder gültig im Sinne von A0–A3 oder scheinbar gültig: A4:

Eine Argumentation x ist eine Argumentation im weiten Sinne, wenn x entweder eine gültige Argumentation ist (also die Bedingungen A0 bis A3 erfüllt) oder wenn es eine Person s und eine Zeit t gibt, zu der s (explizit oder implizit) die Ansicht hat, dass x eine gültige Argumentation ist. Im letzteren Falle ist die Argumentation scheinbar gültig, d. h. sie sieht zwar (zumindest für die Person s) wie eine gültige Argumentation aus, ist aber de facto nicht gültig. Wenn die Argumentation nicht gültig ist, dann muss eine der Bedingungen A1–A3 nicht erfüllt sein – völlig unabhängig von der Adäquatheit.

²⁸⁴ Vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ²⁸⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29.

9.12. Das Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien

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Dagegen erfüllt ein gültiges Argument folgende Bedingungen: A5:

Situative Adäquatheit:

A5₁: Rationalität des Adressaten: Der Adressat s ist zum Zeitpunkt t sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig und kennt zu t noch keine hinreichend starke Begründung für die These q. Die Adressaten der Argumentation erfüllen diese Bedingung, denn sie richtet sich an christliche Theologen oder Christen, die im Mittelalter eine gewisse Grundausbildung genossen haben müssen. Andernfalls hätten sie keinen Zugang zum Text erhalten können. Zudem reagierte al-Jaʿfarī mit seiner Schrift auf Fragen, mit welchen die sog. ›Franken‹ die Muslime konfrontiert hatten.²⁸⁶ Daher ist anzunehmen, dass diese ›Franken‹ sich in rationaler Argumentation auskannten und zumindest prinzipiell offen für rationale Argumente waren. A5₂: Argumentatives Wissen: Der Adressat s kennt zumindest implizit das zugrunde liegende epistemologische Prinzip e der Argumentation x. In diesem Fall handelt es sich um das deduktive Erkenntnisprinzip. Die Adressaten, die al-Jaʿfarī als ›Franken‹ beschreibt, müssen sich im argumentativen Diskurs auskennen, denn sie verlangten von den Muslimen Antworten auf bestimmte Fragen. Von jemanden, der im argumentativen Diskurs bewandert ist, kann angenommen werden, dass er Grundlagen der Argumentation kennt, insbesondere die Deduktion und die erkenntnistheoretische Konsequenz der Deduktion. A5₃: Erkenntnis der Argumente: Der Adressat s hat zur Zeit t die Bedingungen des konkretisierten Erkenntnisprinzips e als erfüllt erkannt. Es ist anzunehmen, dass der Adressat das deduktive Erkenntnisprinzip in der Argumentation S1–S8 als erfüllt erkannt haben muss, zumal der Adressat die Bedingung A5₂ erfüllt. A5₄: Erkennen der Prämissen als wahr: Der Adressat s sollte zur Zeit t erkennen, dass die Prämissen, die der Argumentation x zugrunde liegen, wahr sind. Es ist zweifelhaft, ob der Adressat zur Zeit t erkennt, dass die Prämissen, die dem Argument zugrunde liegen, wahr sind. P1 ist wahrheitsähnlich; diese Prämisse basiert auf dem Koranverständnis der Muslime. Sie erfüllt freilich nicht die Funktion, die sich al-Jaʿfarī von dieser Prämisse erhofft, denn christliche Offenbarungstheorien bietet alternative Interpretationen für dieses Phänomen. Dass die Evangelien jeweils einzelne Ereignisse auslassen, könnte aus christlicher Perspektive z. B. Gottes Wille sein. Keinesfalls ist die islamische Erklärung, dass Korruption in der Textentstehung vorliege, die einzig mögliche Erklärung. P2 ist wahr und müsste auch vom christlichen Adressaten akzeptiert werden, jedoch muss er dabei keineswegs die negative Konnotation des Wortes ›übersehen‹ akzeptieren. P3 ist (wie schon bei P1 beschrieben) zweifelhaft. Die ergänzten Prämissen eP4 und eP5 sind epistemisch wahr und müssten von jedem rational agierenden Argumentierenden akzeptiert werden. A5₅: Explizitheit: Ist die Argumentation x unvollständig, dann muss der Adressat s die wichtigsten fehlenden Stücke selbständig ergänzen können. Diese Bedingung scheint hier erfüllt zu sein, denn der Argumentierende (al-Jaʿfarī) geht offensichtlich davon aus, dass sein Adressat bestimmte Lücken in seiner Argumentation selbst füllt. In der Argumentation sind nämlich einige wichtige (wenn auch oftmals selbstverständliche oder durch Explikation impliziter Aussagen rekonstruierbare) Aussagen nicht enthalten, die vom Adressaten oder Interpreten ergänzt werden

²⁸⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 3; vgl. dazu hier Abschnitt 1.1, S. 18.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī müssen. Da auch schon die Bedingung A5₁ erfüllt zu sein scheint, liegt es nahe, diese Bedingung ebenfalls als erfüllt zu betrachten, soweit kein Hinweis auf das Gegenteil vorliegt.

A5₆: Passende Begründungsstärke: Die Konkretisierung des Erkenntnisprinzips e und die subjektiven Wahrscheinlichkeiten des Adressaten s sollen einen – gemäß den epistemischen Wünschen des Adressaten s – genügend hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der These implizieren. Die Argumentation liefert keine nach den Ansprüchen des Adressaten hinreichend starke Begründung. Zwar liegt der Argumentation das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde und das Argument ist formal gültig. Doch die Argumentation basiert auf objektiv betrachtet stark zweifelhaften Prämissen wie etwa P3. Auch wenn einige Prämissen von einigen theologischen Opponenten für wahr gehalten werden (wie etwa P2, eP4 oder eP5), liegt keine hinreichend starke Begründung vor.

9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation Schon sehr früh haben sich manche islamische Autoren im Rahmen ihrer Theologie auch mit der Bibel beschäftigt.²⁸⁷ Einer der ersten, der biblische Inhalte benutzte, war der Geschichtenerzähler Abūʾ al-Jald al-Jawnī, der neben dem Koran vor allem die Tora als Vorlage für seine Erzählungen für die große Masse herangezogen haben soll,²⁸⁸ ein anderer al-Ḥasan al-Baṣrī (gest. 110/ 728), der laut al-Jāḥiẓ einer der großen Geschichtenerzähler seiner Zeit war.²⁸⁹ Abbott schließt daraus, dass die Bibel sehr früh Eingang in das islamische Denken gefunden habe,²⁹⁰ vielleicht nicht nur um der Bibel selbst willen, sondern vielmehr, um Verständnislücken in der eigenen Religion besser ausfüllen zu können. Denn die Bibel ist aus islamischer Sicht theoretisch Gottes Wort, sie kann daher Wahrheiten enthalten, die auch von Muslimen herangezogen werden können, etwa in dem Genre des qiṣaṣ al-anbiyāʾ (Prophetenerzählungen) und als isrāʾīliyyāt.

²⁸⁷ Tatsächlich lernten muslimische Autoren biblische Erzählungen nicht nur durch die Bibel kennen. Vor allem die Juden erzählten den Muslimen Geschichten aus der Tora. Eine frühe Überlieferung bei al-Tirmidhī und al-Bukhārī bezeugt, dass die Juden die hebräische Bibel lasen, aber den Arabern diese auf Arabisch wiedergaben. Das geht aus dem folgendem Hadith hervor, der von Abū Hurayra überliefert wird: »Die Leute des Buches pflegten die Tora auf Hebräisch zu lesen und den Anhängern des Islams auf Arabisch zu erläutern. Da sagte der Gesandte Gottes: Glaubt den Leuten des Buches nicht und bezichtigt sie nicht der Lüge. Sprecht: ›Wir glauben an Gott und an das, was zu uns herabgesandt wurde …‹ « (vgl. Khoury (Hg.), Ḥadīth Bd. 1, 295). Diese Überlieferung gibt Hinweise darauf, dass Muslime sehr früh mit altbiblischem Inhalt in Berührung gekommen sind, wenn diese nicht sogar selbst ursprünglich aus der christlichen und jüdischen Tradition stammten. ²⁸⁸ Vgl. Ibn Saʿd, Al-ṭabaqāt al-kubrā. ²⁸⁹ Ritter, »Hasan al-Baṣrī« 247–248. ²⁹⁰ Vgl. Abbott, Qurʾānic commentary 9.

9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation

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Nagel betrachtet das isrāʾīliyyāt als eine Subkategorie des qiṣaṣ al-anbiyaʾ.²⁹¹ Demnach behandelt das isrāʾīliyyāt alles, was die Juden und ihr Gesetz angeht. Umgekehrt vertritt Vajda die Meinung, dass isrāʾīliyyāt eine Subkategorie des qiṣaṣ al-anbiyaʾ sei.²⁹² Bei dieser Zweiteilung wird vor allem der Radd vernachlässigt. Die Behandlung der Bibel in der Radd-Literatur bildet neben qiṣaṣ al-anbiyaʾ und isrāʾīliyyāt eine weitere Gattung, in der mit Sicherheit schon seit dem 8. Jahrhundert von der Bibel Gebrauch gemacht wird.²⁹³ Allerdings wird die Bibel in der Radd-Literatur nicht hauptsächlich dafür herangezogen, die eigene Religion besser auslegen zu können, sondern vor allem, um entweder die angebliche Verfälschtheit der Bibel darzulegen oder um Fehler der christlichen Lehre aufzuzeigen, welche die Bibel falsch interpretiere.²⁹⁴ Muslimische Autoren hatten schon vor al-Jaʿfarī hauptsächlich vier Argumente gegen die Bibel vorgelegt: das taḥrīf-Argument²⁹⁵, das naskh-Argument²⁹⁶, das tawātur-Argument und das Argument durch alternative Bibelexegese²⁹⁷. Das taḥrīf-Argument ist das Basisargument der Muslime gegen die Bibel. Es besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass die Bibel (sowohl das Alte wie auch das Neue Testament) im Lauf der Geschichte verändert oder sogar verfälscht (taḥrīf ) worden sei.²⁹⁸ Das taḥrīf-Argument basiert ursprünglich auf dem Koran. In ihm wird den Christen Folgendes vorgeworfen: »Wie könnt ihr (Muslime) verlangen, dass sie [sc. die Christen] euch glauben, wo doch ein Teil von ihnen das Wort Gottes gehört und es daraufhin, nachdem er es verstanden hatte, wissentlich entstellt hat!«²⁹⁹

Dazu, wie die koranische Lehre von einer Entstellung der Bibel tatsächlich zu interpretieren ist, gibt es verschiedene Deutungen. Bereits al-Qāsim ibn Ibrāhīm (gest. um 246/860) erwähnt, dass er den Bibeltext nicht notwendigerweise als verfälscht (taḥrīf al-naṣṣ bzw. taḥrīf al-lafẓ) ansieht, sondern vielmehr der Ansicht war, dass Christen den Text falsch interpretierten (taḥrīf al-maʿnā ³⁰⁰). Diese Theorie scheint auch al-Ghazālī in seinem Werk Al-radd al-jamīl vertreten zu haben. Er sieht die christliche Schrift nicht als unauthentisch an, weist jedoch darauf hin, dass die Göttlichkeit Jesu allegorisch (mathal, Pl. amthāl ³⁰¹) und die

²⁹¹ Vgl. Nagel, Qiṣaṣ al-anbiyāʼ 66. ²⁹² Vajda, »Isrāʾīliyyāt« 211–212. ²⁹³ Vgl. dazu hier Abschnitt 3.4. ²⁹⁴ Vgl. Thomas, »Bible and the Kalām« 175. ²⁹⁵ Vgl. hierzu Lazarus-Yafeh, »Neglected Aspects« 64–65. ²⁹⁶ Vgl. hierzu Lazarus-Yafeh, »Neglected Aspects« 63–64. Lazarus-Yafeh behandelt dieses Argument an einem Beispiel von Ibn Qayyim al-Jawziyya, der dieses Argument zugleich an Juden und Christen richtet. ²⁹⁷ Lazarus-Yafeh, Intertwined Worlds 19. ²⁹⁸ Vgl. Lazarus-Yafeh, »Taḥrīf« 111–112. ²⁹⁹ Vgl. Koran 2:75. ³⁰⁰ Siehe Nickel, Tampering 22. ³⁰¹ Zum Begriff vgl. Sellheim u. a., »Mat̲ h̲al« 815–825.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

Menschlichkeit Jesu wörtlich (lafzī) interpretiert werden müsse.³⁰² Doch die Mehrheit der muslimischen Gelehrten, die sich mit diesem Thema auseinander setzten, wie etwa Ibn Ḥazm oder al-Juwāynī, hielten die Bibel für eine bewusste Fälschung (taḥrīf ) oder legten die These vor, dass die Bibel im Zuge der Zeit Änderungen erfahren habe.³⁰³ Und Ibn Taymiyya antwortet in seinem Radd mit dem Titel Al-jawāb al-ṣaḥīḥ li-man baddala dīn al-Masīḥ (»Darlegung der rechten Antwort auf die, welche die Religion des Messias (d. h. Jesu) verkehren«) auf die Fragen des sog. Briefs des Volkes von Zypern³⁰⁴, indem er sich argumentativ direkt gegen diejenigen wendet, welche diese Fälschung bzw. ›Verkehrung‹ (baddala) zu vertreten hätten, und zwar u. a. die 318 Bischöfe des ersten Konzils von Nicäa, welche die Christologie 300 Jahre nach Jesus ›verkehrt‹ hätten.³⁰⁵ Ausgehend von al-Ṭūfī stellt Demiri diese Theorie des taḥrīf in der islamischen Theologie dar.³⁰⁶ Al-Ṭūfī verfasste einen Bibelkommentar Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl,³⁰⁷ bei dem sein Hauptziel darin bestand, die Bibel in Einklang mit islamischen Lehren zu bringen. Es reichte ihm nicht aus, nur Bibelzitate heranzuziehen, er unternahm vielmehr den argumentativen Versuch, die Bibel als Ganzes aus muslimischer Perspektive zu kommentieren und somit der christlichen Interpretation eine alternative islamische Interpretation entgegenzustellen.³⁰⁸ Mit der Bibel begründet er u. a. das Erscheinen Muḥammads und

³⁰² Vgl. hierzu al-Ghazālī, Al-radd al-jamīl, in der Übersetzung von Wilms 92–97. ³⁰³ Zur Frage, ob und wie bspw. Ibn Ḥazm überhaupt Zugang zum Text der Evangelien gehabt haben könnte, legt Baumstark eine fundierte Analyse vor, welche die Nutzung der Evangelienübersetzung von Isaak Velasquez nachweist (vgl. Baumstark, »Markus Kap. 2«). ³⁰⁴ Vgl. Thomas, »Letter« 770–772. ³⁰⁵ Ibn Taymiyya, Answering Those who Altered the Religion, hg. von Al-Tahhan/Fadel 148. Vgl. Steinschneider, Literatur 32–34 und Hoover, »Al-jawāb al-ṣaḥīḥ« 834–844. Vgl. Demiri, »Taḥrīf« für weitere taḥrīf-Theorien, die von zwei Arten des taḥrīf ausgehen. ³⁰⁶ Vgl. Demiri, »Taḥrīf«. ³⁰⁷ Mit vollem Titel: Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl al-arbaʿa wa-l-taʿlīq ʿalā l-Tawrāh wa-ʿalā ghayrihā min kutub al-anbiyāʾ. ³⁰⁸ Im Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl geht es al-Ṭūfī nicht um die Darstellung verschiedener christlicher Strömungen, sondern darum, theologische Schnittstellen zwischen der christlichen und islamischen Lehre zu thematisieren, beispielsweise die Rolle Jesu und das Wesen Gottes. Al-Ṭūfī unternimmt keineswegs eine komplette Interpretation der Evangelien, sondern beschränkt sich vielmehr auf die Interpretation dieser Stellen. Ohnehin verfasste er mit seinem Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl den ersten islamischen Bibelkommentar (vgl. Demiri, »Al-taʿlīq« 727– 729). Sein Ziel ist die Darlegung einer islamischen Alternativinterpretation dieser kritischen Stellen, die die christliche Lehre ausmachen. Aufgrund dieser Strategie ist das Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl als Radd einzustufen. Dabei arbeitet al-Ṭūfī nah am Text der Evangelien und baut seine Analyse auf dem vorgefundenen Text auf, ohne davon abzuweichen oder andere Quellen heranzuziehen, es sei denn, sie dienen der Alternativinterpretation, wie etwa koranische Belege oder Belege aus dem Hadith. Dabei verfolgt al-Ṭūfī eine systematische Argumentationsstrategie gemäß seinem interpretativen Erkenntnisprinzip: Zunächst stellt er dem Opponenten zwei sich widersprechende Interpretationen vor, die christliche versus islamische Interpretation eines biblischen Konzepts oder einer biblischen Textstelle. Er belegt

9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation

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versucht darzulegen, dass die Bibel den Islam vorhersagt. Al-Ṭūfī äußert sich über den Ursprung der christlichen Schriften und über ihre Überlieferung und leitet daraus sein taḥrīf-Verständnis ab. Die Frage nach dem Ursprung der christlichen Schriften führte viele muslimische Gelehrten, wozu auch al-Ṭūfī gehört, dazu, die Authentizität dieser Schriften in Frage zu stellen.³⁰⁹ Ihre Argumente bestehen hauptsächlich in einem Vergleich der Bibel mit dem Koran. Dabei stellt al-Ṭūfī fest, dass die Bibel dem Koran widerspreche, und folgert, dass die Bibel nicht als Autorität wahrgenommen werden könne, geleitet von der Prämisse, dass alles, was dem Koran widerspricht, nicht von Gott stammen könne, weil sonst Gott sich selbst widersprechen würde.³¹⁰ Ein ähnliches taḥrīf-Argument legt auch al-Jaʿfarī vor. Zunächst erscheint es sehr wahrscheinlich, dass auch al-Jaʿfarī davon überzeugt ist, dass die Evangelien Überreste wahrer Offenbarung enthalten. Doch bei näherer Betrachtung seiner Argumente zeigt sich, dass er vor allem zeigen will, dass die Evangelien und die Bibel insgesamt Widersprüche enthalten und somit nicht ohne weiteres als Grundlage für theologische Propositionen herangezogen werden können. Doch al-Jaʿfarī möchte seinen Versuch, die Authentizität der Evangelien infrage zu stellen, nicht nur mit Widersprüchen zwischen den Evangelien belegen, sondern formuliert ein Argument, in dem er auf einen generellen Widerspruch zwischen Evangelium und angeblichen theologisch-historischen Tatsachen hinweist: »Diesbezüglich erzählte u. a. Lukas am Anfang seines Evangeliums, dass Gabriel, als er Maria, die Mutter des Messias, die frohe Botschaft verkündete, ihr sagte: ›Du wirst ein Kind gebären, der bei dem Vater auf den Thron Davids sitzt. Er wird über das Haus Jakob herrschen und sein Königreich wird nie untergehen.‹³¹¹ Seine Kollegen unter den Überlieferern des Evangeliums aber haben seinen Bericht verleugnet und sagten, dass (dieses) von Gott mit der Zunge Gabriels versprochene Kind von die islamische Interpretation oft mit dem Koran und/oder dem Hadith und impliziert, dass die beiden Interpretationen einander ausschließen. Al-Ṭūfī ist dabei bewusst, dass die bisher vorgelegten Belege für den Opponenten erkenntnistheoretisch nicht adäquat sind. Sodann konstruiert er für seine alternative Interpretation rationale Argumente. Wenn nun ein rationales Argument, dessen These dieselbe ist, die schon der Koran bzw. der Hadith begründete, schlüssig ist, dann ist die ihm widerstehende christliche Interpretation falsch. Wenn nun der Opponent die Gültigkeit des rational begründeten Arguments anerkennen muss, dann müsste er auch die Wahrheit des Korans bzw. des Hadiths bzgl. dieser Interpretation anerkennen und die Unwahrheit der christlichen Interpretation annehmen. Das ist al-Ṭūfīs strategisches Ziel, weshalb der Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl durchaus der Radd-Literatur zugerechnet werden muss. Diese Strategie zeigt zudem die komplexe argumentativ-analytische Herangehensweise alṬūfīs. Vgl. hierzu exemplarisch al-Ṭūfī, Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl 385–387. ³⁰⁹ Eine sehr verbreitete Ansicht zur Authentizität der Evangelien, auf die viele muslimische Theologen (wie etwa al-Ṭūfī) hinweisen, ist, dass die Evangelien, weil sie Berichte über das Leben sowie die Werke und Worte Jesu enthalten, inhaltlich dem sīra bzw. siyar und dem Hadith ähnlicher seien als dem Koran. ³¹⁰ Vgl. Demiri, Muslim Exegesis 101–105. ³¹¹ Nach Lukas 1,31–33.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

den Juden (gefangen)genommen, erniedrigt, geschlagen, dann auf die schlimmste Art getötet und gekreuzigt wurde. Er wurde weder als König über die Juden benannt, noch saß er auf den Thron Davids. Und das ist eine üble Art der gegenseitigen Verleugnung [sc. sich gegenseitig widersprechenden Überlieferung im Evangelium].«³¹²

Al-Jaʿfarī versucht im fünften Kapitel seines Radds weiter zu zeigen, dass »das Buch, welches die Christen besitzen, erstaunliche Widersprüche (tanāquḍ) umfasst, offenbare Unvereinbarkeiten (taʿāruḍ ẓāhir) beinhaltet und sich widerlegt [wörtlich: verleugnet; takādhib]«³¹³. Als Motivation seiner argumentativen Herangehensweise nennt er Folgendes: »Und wenn dies [sc. die Widersprüche darin, woran sie glauben] bekannt gemacht würde, dann würde es das Vertrauen bezüglich des ganzen Buches, das die Leute bis heute besitzen, brechen.«³¹⁴

Diese Beschreibung al-Jaʿfarīs impliziert seine Offenbarungstheorie: Wenn ein Widerspruch in einer angeblichen Offenbarungsschrift aufgedeckt wird, muss der Text als Ganzes in Frage gestellt werden. Damit formuliert er auch sein Ideal einer Offenbarungsschrift, nämlich die vollkommene Perfektion. Darin verbirgt sich wiederum sein Gottesverständnis: ein fehlerfreier Gott, der nur eine fehlerfreie Schrift offenbaren kann. Ist die Schrift fehlerhaft, gibt es zwei Erklärungen hierfür: Entweder ist sie keine Offenbarung oder sie wurde verfälscht. Die erste Möglichkeit kann al-Jaʿfarī nicht annehmen, sonst müsste er dem Koran widersprechen, der die Bibel als Offenbarung darstellt. Somit bleibt ihm nur der Vorwurf einer Verfälschung der Bibel als Erklärungsmodell für die Widersprüche in den Evangelien, und tatsächlich macht er von diesem Vorwurf starken Gebrauch. Darüber hinaus geht al-Jaʿfarī auch von dem Prinzip aus, dass weder dem Messias (Jesus) noch seinen Jüngern Widersprüche zugeschrieben werden können: »Und wenn es also ausgeschlossen wird, dass diese widersprüchlichen Worte [sc. Aussagen] dem Messias und seinen Jüngern zugeschrieben werden können, dann müssen wir uns davon [sc. von den Widersprüchen] entfernen und wissen, dass diese Worte keineswegs aus dem (wahren) Evangelium stammen können.«³¹⁵

Daraus folgert al-Jaʿfarī, dass ein Text, wenn er Widersprüche enthält, nicht aus dem wahren Evangelium stammen kann. Somit ist das »Buch, welches die Christen besitzen«, so al-Jaʿfarī, nicht das wahre Evangelium. Auch hier interpretiert al-Jaʿfarī hermeneutisch die Bibelstellen gemäß koranischer Lesart. Seine Interpretation ist daher epistemologisch betrachtet nicht die einzig mögliche und bestenfalls eine wahrscheinlich wahre Interpretation. Es sind durchaus andere Erklärungen möglich.

³¹² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 201–202. ³¹³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 198. ³¹⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 200. ³¹⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 205.

9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation

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Ein weiterer wichtiger Punkt ist die vermeintliche Widersprüchlichkeit der Bibel, dazu konstruiert al-Jaʿfarī gesondert folgendes Argument: »[S1] Lukas erzählt (von Jesus) Folgendes [sc. folgende Aussage]: [S1.1] ›Ich bin nicht gekommen, um die Seelen der Menschen zu verderben, sondern um (sie) wiederzubeleben.‹³¹⁶ [S2] Der andere (Evangelist) widersprach ihm, (indem er Jesus) wie folgt (sprechen lässt): [S2.1] ›Ich bin nicht gekommen, Frieden auf die Erde zu verstreuen, ich kam nicht, um Frieden, sondern um Schwert(er) zu bringen und an der Erde Feuer anzuzünden.‹³¹⁷ [S3] Und dies ist ein eindeutiger Widerspruch. [S4] Und wir, Gott sei Dank, halten Christus von solchen verwirrenden Aussagen fern. [S5] Und (wir) tadeln diejenigen unter den späteren Überlieferern, die dies berichtet haben. [S6] Fazit dieses Diskurses ist, dass eine der beiden Überlieferungen ihn [sc. den Messias] zur Barmherzigkeit für die Welten macht, während die andere dies verneint und ihn als Strafe für alle Geschöpfe darstellt.«³¹⁸

Funktion dieses Arguments ist es, einen Widerspruch zwischen den Evangelienstellen aufzuzeigen. Zwar ist die Interpretation von al-Jaʿfarī nicht eindeutig, dennoch ist es interessant zu beobachten, wie er sein Argument konstruiert. Al-Jaʿfarī versucht einen Widerspruch zwischen S1.1 und S2.1 abzuleiten. Für al-Jaʿfarī handelt es sich um einen Widerspruch, wenn Jesus einerseits angibt, nicht gekommen zu sein, um die Seelen der Menschen zu verderben, sondern um (sie) wiederzubeleben, und andererseits angibt, nicht gekommen zu sein, um »Frieden auf die Erde zu verstreuen, ich kam nicht, um Frieden, sondern um Schwert(er) zu bringen und an der Erde Feuer anzuzünden« (S2.1). Es handelt sich um eine interpretative Argumentation. Al-Jaʿfarī interpretiert die beiden Stellen so, dass ein Widerspruch entsteht. Seiner Interpretation liegt folgendes Prinzip zugrunde: Wenn Jesus sagt, seine Handlung x bedeute y, dann kann es nicht sein, dass Jesus zugleich sagt, seine Handlung x bedeute z. Demzufolge könnten die Jesus zugeschriebenen Aussagen in S1.1 und S2.1 nicht zugleich wahr sein. Das Argument des al-Jaʿfarī wird nur akzeptabel, wenn das obige Prinzip für gültig gehalten wird. Doch dieses Prinzip erscheint recht zweifelhaft. Insbesondere könnte eine Handlung x zugleich auf y und z hindeutet. Um das ausschließen zu können, müssten sich y und z widersprechen. Im Argument des al-Jaʿfarī sind das folgende Aussagen: i. Jesus ist gekommen, um die Seelen wiederzubeleben (vgl. S1.1). ii. Jesus ist gekommen, um Schwert(er) zu bringen und an der Erde Feuer anzuzünden (vgl. S2.1). Damit sich passend zur Interpretation von al-Jaʿfarī Aussage (i) und Aussage (ii) tatsächlich klar widersprechen, müssten sie etwa wie folgt umformuliert werden:

³¹⁶ Wohl Lukas 9,56. ³¹⁷ Nach Matthäus 10,34, kombiniert mit Lukas 12,49. ³¹⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 215–217.

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Kapitel 9: Argumente und Argumentationsgattungen des al-Jaʿfarī

i’. Jesus ist gekommen, um den Seelen Frieden zu bringen. ii’. Jesus ist gekommen, um (den Seelen) Krieg zu bringen. Womöglich liegen diese Aussagen der Interpretation des al-Jaʿfarī zugrunde. Diese Interpretation ist jedoch nicht unzweifelhaft, denn sie lässt den Kontext fast völlig außer Betracht. Wenn der Kontext herangezogen würde, würde sich der Widerspruch auflösen oder zumindest abschwächen. Darin zeigt sich, dass diese Interpretation des al-Jaʿfarī stark subjektiv ist und gemäß dem interpretativen Erkenntnisprinzip kein starkes interpretatives Argument darstellt, weil es zwar eine mögliche Interpretation ist, diese Interpretation sich aber bei Heranziehung des Kontextes nicht gerade als die am wahrscheinlichsten wahre Interpretation herausstellt. Al-Jaʿfarī baut eine sehr einfache Gegenüberstellung dieser scheinbaren Widersprüche auf und ignoriert den jeweiligen Kontext. Doch was hat Jesus gebracht – den Krieg (bzw. »Schwerter«) oder den Frieden? Wie sieht die christliche Interpretation aus? Das ist ungefähr dieselbe Frage wie: Bringt Jesus Schmerzen oder Wohlbefinden? Unterm Strich und am Ende natürlich Wohlbefinden, würde der christliche Opponent des al-Jaʿfarī wohl sagen. Er würde als Antwort auf diese Gegenüberstellung al-Jaʿfarīs darauf hinweisen, dass derartige interpretationsbedürftige Stellen nicht wortwörtlich genommen werden können, genau wie auch viele Koranstellen nicht wortwörtlich genommen werden können. Jesu verweise vielmehr darauf, dass der Mensch einiges an Schmerzen in Kauf nehmen muss, bevor er das Wohlbefinden erreicht. Nur Schmerz oder nur Wohlbefinden gehöre nicht zur Realität des Menschen und somit sei die Rede Jesu auch nicht in diesem Sinne zu deuten. Jesus wird so als ein aufrichtiger Mensch (bzw. Gottes Sohn) betrachtet, der die Menschen warnt: Zum Leben gehören auch Schmerzen, aber auch das Wohlbefinden. Jesus deutet also lediglich auf diese unausweichliche menschliche Tatsache hin. Zudem könnte Jesus auf den Schmerz der Welt und den Frieden nach dem Tod verweisen. Diese und weitere mögliche Erklärungen der komplexen Aussagen dieser Bibelstellen, die den Kontext miteinbeziehen, scheinen wahrscheinlicher zu sein als al-Jaʿfarīs einfache wortwörtliche Erklärung. Denn es liegt kein Grund dafür vor, diese Stellen wortwörtlich zu nehmen, wenn alternative Erklärungen (wie die oben skizzierte) sinnvoller und passender erscheinen. Daher scheitert al-Jaʿfarīs wortwörtliche Interpretation eindeutig.³¹⁹ Tatsächlich kann al-Jaʿfarī so interpretiert werden, dass er der Meinung war, dass die Bibel einen göttlichen Ursprung hat bzw. dass ihre ursprüngliche Form

³¹⁹ An dieser Stelle stellt sich auch wieder die Frage, welche Bibelübersetzung al-Jaʿfarī für die Zitate in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā herangezogen hat. Abweichungen zwischen den einzelnen Übersetzungen erlauben nämlich dem Argumentierenden (wenn ihm denn unterschiedliche Versionen zugänglich waren), die für die eigene These jeweils passendste Übersetzung heranzuziehen. Diese Frage, die leider wegen der unzureichenden Kenntnis der historischen arabischen Bibelübersetzungen nicht klar zu beantworten ist, wurde bereits ausführlicher dargestellt, siehe oben Kapitel 8, S. 290.

9.13. Das taḥrīf-Argument und die Rolle der Bibel in der Argumentation

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von Gott offenbart wurde, auch wenn er Zweifel an der korrekten Überlieferung ihrer Schriften ausdrückt.³²⁰ Die Bibel zeigt ihm zufolge erhebliche Gegensätze zu den christlichen Lehren und das Christentum könne sich bei diesen Lehrsätzen nicht auf die Bibel stützen: »Die Tora und die Prophetien sind das Gesetz, welches die Israeliten von Mose bis in die Zeit Jesu tradierten. In ihnen findet sich kein derartiger [sc. was wir bisher beschrieben haben] Unsinn.«³²¹

Die Konstruktion dieses Widerspruchs dient letztlich dazu, den Opponenten mit diesen Widersprüchen zu konfrontieren und ihn dazu aufzufordern, diese zu lösen: »Und nun stellen wir (unsererseits) ihnen [sc. den Christen] Fragen aus ihrem Evangelium und verlangen von ihnen eine (deutliche) Antwort.«³²²

Diese Herausforderung des Opponenten durch die Heranziehung der Bibel als Schiedsrichter ist strategisch entscheidend: Al-Jaʿfarī weiß, dass die Bibel vom Opponenten als Quelle akzeptiert wird, und versucht somit die Adäquatheit³²³ seiner Argumentation zu gewährleisten, indem er selbst bibelbasierte Argumente mit alternativen Interpretationsansätzen konstruiert.

³²⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 158. ³²¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12. ³²² Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 12. ³²³ Zum Begriff vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 45.

Teil IV

Systematisierung und Konklusion

Kapitel 10

Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen Schon am Anfang des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā weist al-Jaʿfarī darauf hin, dass seinen Argumenten zur christlichen Lehre zwei Beweiskategorien zugrunde liegen, ohne darauf näher einzugehen. Diese beiden Kategorien bzw. Prinzipien sind das vernunftbasierte und das überlieferungsbasierte Argument.¹ Das Konzept des Erkenntnisprinzips nach Lumer wird in dieser Studie pragmatisch eingesetzt. Es soll ermöglichen, die Erkenntnisprinzipien al-Jaʿfarīs zu rekonstruieren. Dabei sollte nicht unbeachtet bleiben, dass im Folgenden lediglich die Theorie des Erkenntnisprinzips bei al-Jaʿfarī wiedergegeben werden kann, von einer allgemeinen Theorie der Erkenntnisprinzipien im Radd sind wir noch weit entfernt. Bevor die Erkenntnisprinzipien nach Lumer skizziert werden, muss darauf hingewiesen werden, dass schon die islamische Argumentationstheorie die Beweise nach Beweiskategorien einteilte. Dies ist etwa bei Ibn Fūrak ersichtlich, der in seinem Ablauf der Argumentation als Zwischenschritt das muṭlaba bi-wajh al-dalāla (etwa ›Evidentialität‹, gemeint ist eine Prüfung der Art der Beweise für eine gegebene Aussage) vorsieht, d. h. die Untersuchung, welche methodische Grundlage ein Argument hat, das letztlich zur Wahrheit führen soll.² Dieser Beweisgrund des Ibn Fūrak kann als Vorläufer der Idee des Erkenntnisprinzips betrachtet werden. Was jedoch in den islamischen Argumentationstheorien fehlt, sind Wahrheitsdefinitionen von verschiedenen Beweisgründen. Doch eine wichtige Aufgabe einer Argumentationstheorie ist nach Lumer, effektive Erkenntnisprinzipien mit allgemeinen Wahrheitsdefinitionen und Wahrheits- oder Akzeptabilitätsbedingungen zu entwickeln.³ Die Anwendungen von Erkenntnisprinzipien kann zur Erkenntnis führen. Lumer legt das Verhältnis zwischen Erkenntnisprinzip und Erkenntnis wie folgt fest: »Eine Erkenntnis, dass p liegt genau dann vor, 1. wenn der Betreffende glaubt, dass p, 2. wenn er diesen Glauben aufgrund eines Erkenntnisprozesses gewonnen hat, also durch Überprüfung der für p konkretisierten Bedingungen eines effektiven Erkenntnisprinzips mit positivem Resultat, und 3. wenn der Betreffende sich an die wichtigsten Stationen dieses Erkenntnisprozesses erinnern kann oder über einen Schlüssel verfügt, wie er sich diese Erinnerung

¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 10. ² Ibn Fūrak, Mujarrad 310–315. ³ Lumer, »Logik« 56.

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Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen

wieder beschaffen kann, z. B. wenn er weiß, wo er sich die entsprechenden Überlegungen aufgeschrieben hat. Diese dritte Komponente der Erkenntnis, also die Erinnerung an die wesentlichen Stationen des Erkenntnisprozesses, nenne ich die ›subjektive Begründung‹ für seinen Glauben. Eine Erkenntnis liegt demnach vor, wenn der Betreffende einen Glauben aufgrund eines Erkenntnisprozesses gewonnen hat und noch über eine subjektive Begründung für diesen Glauben verfügt.«⁴

Ausgehend von diesen Voraussetzungen bestimmt Lumer u. a. das deduktive Erkenntnisprinzip, das erkenntnisgenetische Erkenntnisprinzip und das erklärend-interpretative Erkenntnisprinzip.⁵ Auch die bisher aus al-Jaʿfarīs Radd herangezogenen Argumente lassen sich Kategorien zuordnen, die Lumer u. a. als Deduktions- und Induktionsverfahren, interpretative und hermeneutische Argumentation oder probabilistische Argumentation klassifiziert.⁶ Im Folgenden werden die Erkenntnisprinzipien vorgestellt, die al-Jaʿfarī in seinem Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā heranzieht, um seine Argumente zu konstruieren.⁷ Die Beschreibung der Erkenntnisprinzipien lehnt sich dabei an den Lumerschen Ansatz an.

10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren Die häufigsten Argumentationsverfahren im Radd, mit denen sich die Argumentationsanalyse auseinandersetzt, sind Deduktions- und Induktionsverfahren. Mit Deduktionsverfahren ist das Verfahren des deduktiven Schließens gemeint. Die Schlüsse, mit denen wir im Radd zu tun haben, sind sprachliche Gebilde, die aus Aussagen – den Prämissen bzw. Annahmen sowie der Konklusion – bestehen. Die Struktur, die eine Schlussfolgerung ausmacht, macht daher auch das Argument aus. Gemäß der aristotelischen Tradition gelangt man durch einen deduktiven Schluss zu sicherer Erkenntnis. Dabei liefern universelle Propositionen eine epistemisch zuverlässige Grundlage für die Wahrheit der Konklusion. Das klassische Beispiel dafür ist der Syllogismus ›Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Also ist Sokrates sterblich‹. Dabei wird das singuläre Urteil (juzʾ), in diesem Fall, dass Sokrates sterblich ist, mit Hilfe des universellen Urteils (kull) begründet. Diese Beweisführung ist auch als burhān

⁴ Lumer, »Logik« 56–57. ⁵ Vgl. Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 91. ⁶ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 180–220, 221–246. Noch aktueller und systematischer ist die Darstellung in Lumer, »Argument Schemes« 1–31. ⁷ Auch wenn es Alternativen zur aristotelischen Methode des rationalen Schließens gegeben hat, beispielsweise die sog. Intuitive Erkenntnis (dhawqī, mukāshafa) in der Illuminationsphilosophie (ḥikmat al-ishrāq), so hatte diese – obwohl auch zahlreiche mutakallimūn von der Illuminationsphilosophie beeinflusst waren und so die Theologie mit der Philosophie und vor allem mit der Mystik harmonisiert haben – keine Wirkung auf den Radd, weil bei einer Verwendung der Intuitiven Erkenntnis der Erkenntnisvorgang nicht nachvollziehbar gewesen wäre, was sich im Radd verbot (vgl. Kaya, »İşrâkiyye«).

10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren

423

bezeichnet worden; das Verfahren dieser Beweisführung wird oft mit istiḍlāl wiedergegeben.⁸ Wenn die Prämissen in einem deduktiven Schluss wahr sind und die Konklusion aus diesen Prämissen deduktiv abgeleitet wird, dann ist auch die Konklusion zwangsläufig wahr. Dieser Schlussfolgerung liegt somit das deduktive Erkenntnisprinzip zugrunde. Den Rahmen der muslimischen Verwendung der Deduktion haben die aristotelischen Schriften Analytica priora und Analytica posteriora abgesteckt. Die Deduktion wird auch mit dem Konzept qiyās wiedergegeben. Der burhān ist ein Konzept in der islamischen Epistemologie, und zwar nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Theologie. Zahlreiche Summen der Theologie beginnen mit der Frage nach der Erkenntnis und behandeln dann den burhān als eine Form der Beweisführung. Für Denker, die generell Aristoteles folgen, ist eine Beweisführung eine Deduktion, die Erkenntnis generiert. Genau wie Aristoteles, der im Folgenden die Deduktion als Logos definiert, sehen muslimische Denker die Deduktion ebenfalls als Logos an:⁹ »Ein Syllogismus ist eine Rede [lógos], in der, wenn bestimmte (Sachverhalte) gesetzt sind, ein von den gesetzten (Sachverhalten) verschiedener (Sachverhalt) sich mit Notwendigkeit dadurch ergibt, dass die gesetzten (Sachverhalte) vorliegen.«¹⁰

Der qiyās (Syllogismus) ist im mittelalterlichen Islam die logische Schlussform, mit der deduktive Schlüsse gezogen werden. Der Syllogismus wurde so zum Synonym für die Logik (manṭiq) überhaupt und wurde auch von Theologen herangezogen, um theologische Argumente zu generieren. Mit al-Ghazālī hielt die Logik und somit der Syllogismus endgültig Einzug in die islamische Theologie (hauptsächlich im Kalām, der systematischen bzw. argumentativen Theologie).¹¹ Al-Ghazālī schrieb zahlreiche Werke, um die Logik zu verteidigen und ihren Mehrwert für theologische Fragestellungen aufzuzeigen. In seinem Werk Qisṭās al-mustaqīm unternimmt er den Versuch zu zeigen, dass Gott im Koran eine logische Denkweise vorführt, die von den Menschen legitimerweise nachgeahmt werden sollte.¹² Der Syllogismus besteht aus Prämissen (qaḍiyya) und Konklusion (natīja). Die Prämissen handeln über ein hypokeímenon (mawḍūʿ), dessen Wahrheitswert wahr (ṣidq) oder falsch (kadhb) sein kann. Eine gültige syllogistische Schlussform ist dann gegeben, wenn die Konklusion notwendigerweise aus den Prämissen folgt.¹³ Als Syllogismus werden im engeren Sinne die aristotelischen Syllogismen bezeichnet, im weiteren Sinne auch andere häufig angewandte

⁸ Vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 180. ⁹ Morewedge, »Deduction« 172–177. ¹⁰ Aristoteles, Analytica priora I, 1, 24b18–20, Übersetzung Ebert/Nortmann. ¹¹ Vgl. al-Ghazālīs Logik-Werke wie etwa Miʿyār al-ʿilm, Al-qisṭās al-mustaqīm oder Miḥakk al-naẓar fī al-manṭiq. ¹² Vgl. Gwynne, Logic IX–XV. ¹³ Morewedge, »Deduction« 172–177.

424

Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen

Schlussformen wie der Modus Ponens (al-qiyās al-istithnā’ī), bei denen ebenfalls die Konklusion notwendig wahr ist, wenn die Prämissen wahr sind.¹⁴ Argumentationstheoretisch sind die Bedingungen für deduktive Argumentationen zentral, die Lumer wie folgt beschreibt: Deduktive Argumentationen beruhen auf deduktiven Schlussbeziehungen. Dabei sind deduktive Schlüsse Anwendungen des formal gültigen Schließens, das die Theorie der Logik ausmacht. Lumer gibt an, dass deduktive Argumentationen im Grunde zum Überzeugen verwendet werden.¹⁵ Er stellt einige Bedingungen auf, die eine deduktive Argumentation erfüllen muss, damit eine Erkenntnis und somit ein erkenntnistheoretisch ausgerichtetes Überzeugen stattfinden kann. Diese Bedingungen sind (i.) Definitionsbedingung, (ii.) Indikatorbedingung, (iii.) Wahrheitsgarantie, (iv.) Prinzipielle Adäquatheit und (v.) die Situative Adäquatheit.¹⁶ Wegen ihrer Präzision und Kompaktheit sei hier Lumers eigene Zusammenfassung dieser Bedingungen zitiert: »DA0: Definitionsbedingung: Deduktive Argumentationen bestehen aus 1. einem Urteil, der These, 2. einem Argumentationsindikator und 3. einer geordneten Menge weiterer Urteile, den Argumenten. DA1: Indikatorbedingung: Der Argumentationsindikator gibt an, dass das Ganze eine Argumentation ist, was die These ist und was die Argumente sind. DA2: Wahrheitsgarantie: 1. Die Argumente sind wahr, und 2. sie implizieren logisch die These. DA3: Prinzipielle Adäquatheit: Es gibt mindestens eine Person, die zwar die Argumente als akzeptabel erkannt hat, nicht aber die These. Bedingungen für die adäquate Verwendung: DA4: Situative Adäquatheit: Eine gültige deduktive Argumentation ist adäquat, um einen Adressaten rational von der These zu überzeugen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Der Adressat ist sprachkundig, aufgeschlossen, aufmerksam, wahrnehmungs- und urteilsfähig. 2. Er weiß, dass die Argumente wahr sind, weiß dies aber nicht von der These. 3. Die Implikationsbeziehung zwischen Argumenten und These ist hinreichend direkt, um vom Adressaten verstanden zu werden.«¹⁷

Diese Bedingungen müssen von jeder deduktiven Argumentation erfüllt werden, denn nur dadurch kann sie zur Erkenntnis anleiten. Somit geben diese Bedingungen auch Hinweise darauf, wie gute erkenntnistheoretisch ausgerichtete Argumente auszusehen haben. Dies zu zeigen ist vor allem das Ziel der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie, wie sie etwa Lumer vertritt.¹⁸

¹⁴ Vgl. hier Abschnitt 10.1 für die wichtigsten Regeln der deduktiven Schlussfolgerungen, wie sie auch im Radd zur Anwendung kommen. ¹⁵ Lumer, Praktische Argumentationstheorie 180. Eine ausführliche argumentationstheoretische Diskussion der deduktiven Argumentation bietet Lumer, Praktische Argumentationstheorie 180–209. ¹⁶ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 187–189 für eine detaillierte Darstellung der Bedingungen. ¹⁷ Lumer, »Argument/Argumentation« 233. ¹⁸ Vgl. die Ausführungen über Lumers erkenntnistheoretische Argumentationstheorie in van Eemeren u. a., Handbook 394–399.

10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren

425

Die induktive Argumentation (istiqrāʾ) ist ebenfalls ein fester Bestandteil der argumentativen Texte muslimischer Autoren zum Christentum. Auch wenn viele Apologeten ihre Methoden durch ihre argumentativen Handlungen nur implizieren, so gibt es auch Autoren, wie etwa al-Ṭūfī, der explizit, zumindest was seine induktiven Argumentationsabsichten gegen die Authentizität der Bibel angeht, darauf hinweist.¹⁹ Induktive Argumente stützen sich auf Erfahrungen und schließt vom Einzelfall auf das Allgemeine. Lumer gibt drei Unterbedeutungen der Induktion und definiert diese wie folgt: »1. Induktiver Schluß = Folge von Prämissen und einer Konklusion, zwischen denen eine induktive Schlußbeziehung besteht: Begründung durch I. 2. Induktives Schließen = Vorgang, bei dem jemand aufgrund seines Glaubens an gewisse Prämissen und seines Glaubens an eine induktive Schlußbeziehung dazu übergeht, an die entsprechende Konklusion zu glauben: er hat das Ergebnis durch I. gewonnen. 3. Induktion i. e. S. = Verfahren, Art und Weise des korrekten induktiven Schließens: die Rationalität der I. begründen, die I. ist ein Schlußverfahren.«²⁰

In induktiven Argumenten ist es rational, die Konklusion für wahr zu halten, vorausgesetzt die Prämissen sind wahr, doch anders als deduktive Argumente generiert die Induktion keine logisch zwingenden Konklusionen. Dennoch bietet sich die Induktion (istiqrāʾ) dort argumentationsstrategisch an, wo keine Deduktion möglich erscheint. Die Induktion wird daher auch in der Apologetik häufig eingesetzt. Oft sind Argumente im Radd zudem eher nur der Idee nach deduktiv, so beispielsweise das Konsequenz-Argument des al-Jaʿfarī.²¹ Beim deduktiven Erkennen anhand des deduktiven Erkenntnisprinzips wird aus wahren Prämissen mit Hilfe der Erkenntnis einer logischen Implikation eine neue wahre Aussage abgeleitet bzw. erkannt. Die formale Seite dieser Voraussetzung erfüllt das deduktive Erkenntnisprinzip, weshalb sie zur deduktiven Erkenntnis führt.²² Die Induktion (istiqrāʾ) als Erkenntnisprinzip ist weniger formal als das deduktive Erkenntnisprinzip. Dennoch gibt es auch für die Induktion Kriterien, die logisch gültige Schlüsse gewährleisten können.²³ In der Logik ist die Konklusion eines induktiven Schlusses allerdings nicht zwingend wahr, wie es bei einem deduktiven Schluss der Fall ist.²⁴ Denn eine Induktion ist eine Schlussfolgerung von individuellen Phänomenen bzw. partikulären (juzʾ) Prämissen auf universelle (kull) Konklusionen. Es wird also versucht, universelle Konklusionen mit partikulären Prämissen zu belegen. In der islamischen Argumentationstheorie werden zwei Typen der Induktion unterschieden: istiqrāʾ al-tāmm und istiqrāʾ al-naqīḍ. Istiqrāʾ al-tāmm liegt vor,

¹⁹ Al-Ṭūfī, Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl 105. ²⁰ Lumer, »Induktion« 629. ²¹ Siehe dazu hier Abschnitt 9.7. ²² Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 280. ²³ Vgl. Lumer, »Argument/Argumentation« 227–240. ²⁴ Vgl. etwa Damschen/Schönecker, Selbst philosophieren 180.

426

Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen

wenn alle zugehörigen individuellen Phänomene für die Induktion herangezogen werden. Dies ist die bevorzugte Form der Induktion. Zieht die Induktion jedoch nur einzelne individuelle Phänomene heran, so ist dies keine bevorzugte Induktion, weil der Schluss zweifelhaft ist. Dennoch bildet diese Form die am häufigsten vorzufindende Gestalt der Induktion,²⁵ schon weil es in der Praxis selten möglich ist, alle zugehörigen individuellen Phänomene für die Induktion heranzuziehen. Zwei einfache Beispiele können den Unterschied zwischen dem deduktiven und dem induktiven Erkenntnisprinzip verdeutlichen. Deduktion: P1: P2:

Alle Menschen sind sterblich. (Prämisse) Sokrates ist ein Mensch. (Prämisse)

K:

Sokrates ist sterblich. (Konklusion)

Generalisierende Induktion (istiqrāʾ): P1: P1:

Adam war ein Mensch. Noah war ein Mensch. Muḥammad war ein Mensch. … Adam ist gestorben. Noah ist gestorben. Muḥammad ist gestorben. …

K:

Alle Menschen sind sterblich. (Generalisierung)

Nun ist unschwer zu erkennen, dass das induktive erkenntnistheoretische Prinzip nicht unbedingt zu wahren Schlüssen führen muss, während das deduktive, wenn die Prämissen wahr sind und die Schlussform allgemeingültig ist, immer zur wahren Konklusion führt. Diese Stärke der Deduktion ist den Autoren des Radds im Allgemeinen und al-Jaʿfarī im Speziellen bekannt, weshalb sie diese Schlussform möglichst stark anwenden.²⁶ Die Radd-Autoren bevorzugen die deduktive Schlussform, auch wenn sie andere nicht-deduktive Schlussformen, etwa interpretative Schlussformen kennen. Lumer führt als Beispiele für nicht-deduktive Argumentationen die erkenntnisgenetische Argumentation, die erklärend-interpretierende Argumentation und eben die induktive Argumentation an.²⁷ Obwohl induktive Argumentationen somit keine Anwendungen der deduktiven Logik sind und sie auf anderen effektiven Erkenntnisprinzipien beruhen, gelten für ihre Anwendung ähnliche Bedingungen, wie Lumer sie für deduktive Argumentationen beschreibt: Induktive Argumentationen müssen bei ihren Thesen (nichtdeduktive) Bedingungen als Erkenntnisprinzipien erfüllen, damit der Adressat überprüfen kann, ob die Bedingungen für Erkenntnis erfüllt sind. Erst durch diese Bedingungen wird der Adressat zur Generierung der Erkenntnis angeleitet und dabei die Akzeptabilität der These erkannt.²⁸ Dass diese Bedingungen erfüllt sind, ist das Ziel jedes erkenntnistheoretisch fundiert Argumentierenden.

²⁵ Vgl. Hacınebioğlu, »Demonstration« 180. ²⁶ Vgl. zum deduktiven Erkenntnisprinzip hier Abschnitt 3.4, S. 107. ²⁷ Vgl. für die Beschreibung dieser Argumentationstypen Lumer, »Logik«. ²⁸ Vgl. Lumer, »Logik« 63.

10.1. Deduktions- und Induktionsverfahren

427

Wie oben ausgeführt, müssen induktive Argumentationen mit induktivem erkenntnistheoretischem Prinzip nicht unbedingt zu wahren Schlüssen führen. D. h., obwohl einem gültigen induktiven Schluss wahren Prämissen zugrunde liegen, könnte die Konklusion dennoch falsch sein. Deshalb kann das induktive Schließen nicht der Gewissheit des deduktiven Schließens geben, weshalb Lumer diese nur als »ein Ersatz für stärkere Erkenntnisverfahren« zu betrachten empfiehlt.²⁹ In induktiven Schlüsse sind die Konklusion nicht aus den Prämissen deduzierbar, weshalb sie als unsicher betrachtet werden, sie sind somit nicht wahrheitskonservierend, ein Begriff, den Lumer anführt.³⁰ Wenn dieser Ersatz dennoch angewandt wird, dann stellt Lumer, wichtige Bedingungen (bzw. Verfahrensregeln) auf, die für die epistemische Beurteilung und rationale Verwendung induktiver Argumentationen zu Erkenntniszwecken unausweichlich sind. Diese sind: »1. Die Grundregel des induktiven Schließens ist: Wenn man die Prämissen eines gültigen induktiven Schlusses begründet für wahr hält, darf man – vorbehaltlich der anderen Verfahrensregeln – rationaliter auch die Konklusion dieses Schlusses für wahr halten. 2. Induktives Schließen darf zur Glaubensbildung nur behelfsweise verwendet werden, insbesondere dann nicht, wenn die gewünschte Information aus den bereits vorhandenen Informationen deduktiv zu gewinnen ist. 3. In die Prämissenmenge induktiver Schlüsse müssen alle relevanten und begründet für wahr gehaltenen Informationen aufgenommen werden. 4. Bei allen – nicht nur den induktiv gewonnenen – Überzeugungen sollte man sich neben der Überzeugung selbst den Weg, wie man zu ihr gekommen ist, merken. Die Erinnerung an diesen Erkenntnisweg ist der (Erkenntnis-)Grund für die Überzeugung; Überzeugungen mit Erkenntnisgrund heißen ›begründet‹. (Dass man sich den Erkenntnisweg auch bei nicht induktivem Erkennen merkt, ist erforderlich, weil in solchen Fällen die Prämissen induktiv gewonnen sein können.) 5. Widersprechen sich zwei Überzeugungen, so ist die schwächer begründete zurückzunehmen und ebenso jede andere Überzeugung, die mit ihr begründet ist. Die Stärke der Gründe für eine Überzeugung ergibt sich aus der Stärke des bei der Bildung dieser Überzeugung als letztes angewendeten Erkenntnisverfahrens und ggf. aus der Begründungsstärke der dabei verwendeten Prämissen. Alle Typen der I. sind schwächer als Beobachtung und Deduktion.«³¹

Diese Regeln sind gut zur Beurteilung von Argumenten im Radd anwendbar. Sie helfen zu bestimmen, welche Konklusionen man rationalerweise für wahr halten soll, sie können auch die Frage beantworten, ob der Argumentierende die Induktion nur als Hilfsargument verwendet oder ob er eine Induktion konstruiert, weil er offenbar nicht in der Lage ist, ein deduktives Argument zu bilden. Denn gutes Argumentieren setzt die Konstruktion deduktiver Argumente an erster Stelle, weil diese sicherer sind. Die Regeln können zudem dabei helfen, sich dem induktiven Erkenntnisweg bewusst zu werden, der ein wichtiger Bestandteil der Erkenntnisgewinnung ist, und sie zeigen, wie man mit Widersprüchen und ihren Begründungen umzugehen hat. Diese Regeln sollten

²⁹ Lumer, »Induktion« 630. ³⁰ Vgl. Lumer, »Induktion« 630. ³¹ Lumer, »Induktion« 630.

428

Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen

daher auch wichtige Bestandteile für die Evaluierung und Analyse von theologischen Argumentationen sein, deren Anspruch ja Wahrheit und epistemische Korrektheit sein sollten – zumindest im Kalām und im Radd. Durch die Anwendung dieser Regeln wurden Argumente des al-Jaʿfarī wie etwa das Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument oder seine taṣnīf-Argumente – das Körper-ewig-Argument und das Hypostasen-Argument – und teilweise auch seine mushāhada- und khabar-Argumente zur Widerlegung der Einheit als deduktive Argumentationen erkannt, sein Jesus-hungert-Argument als induktive Argumentation.³² Dabei wurde festgestellt, dass diese Argumente im Allgemeinen mehr oder minder korrekt den Regeln des deduktiven und des induktiven Schließens folgen. Es wurde ferner festgestellt, dass vor allem das deduktive Schließen eine zentrale Rolle in den Argumentationen im Radd al-Jaʿfarīs spielt. Für nähere Bemerkungen über die Merkmale seiner deduktiven und induktiven Argumente sei auf die einzelnen Argumente und deren Analyse (in Kapitel 9) verwiesen.

10.2. Interpretative und hermeneutische Argumentation Interpretative Argumentationen kommen im Rahmen von theologischen Texten häufig in text-interpretativen Genres vor. Die interpretative Argumentation beruht auf dem interpretativen Erkenntnisprinzip.³³ Lumer definiert dieses Prinzip wie folgt: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie zum Explanans der einzig möglichen Erklärung eines bekannten Faktums gehört.«³⁴ Dies ist laut Lumer die einfachste Form. Komplexere Formen sind gegeben, wenn mehr als eine Erklärung möglich ist. Interpretative und hermeneutische Argumentationen im Radd sind oftmals Deutungssätze, die eine Aussage umdeuten, also eine Aussage A zu einer Aussage B. Jürgen Walther weist aus philosophischer Perspektive darauf hin, dass die logische Struktur dieser interpretativen und hermeneutischen Zuordnungen bisher kaum erforscht ist. Er gibt drei mögliche Fälle an, die dieser Zuordnung zugrunde liegen können. Entweder (i) ist der Sinn von Aussage A klar – dann benötigt man keine Interpretation. Oder (ii) der Sinn von Aussage A ist nicht klar und der Sinn von B ist ebenfalls unklar. In diesem Fall taugt eine Interpretation wenig, denn eine Interpretation hat die Funktion, den Sinn einer Aussage zu klären. Oder aber (iii) die Aussage A ist nicht klar und ihre Interpretation, d. h. die Aussage B, ist klar. Dann liegt eine Interpretation vor, die allerdings begründet werden muss.³⁵

³² Vgl. dazu die jeweiligen Abschnitte in Kapitel 9 dieser Studie. ³³ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92–93. ³⁴ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92. ³⁵ Vgl. Walther, Philosophisches Argumentieren 193–194.

10.2. Interpretative und hermeneutische Argumentation

429

Im Radd fallen die koran- oder bibelbasierten interpretativen Argumentationen, beispielsweise die hermeneutischen Argumentationen von al-Ghazālī oder al-Jaʿfarī, unter dieses interpretative Erkenntnisprinzip.³⁶ An den Argumentationen von al-Jaʿfarī und anderen Radd-Autoren wurde beobachtet, wie alternative argumentative Interpretationen konstruiert wurden. Dabei wurde deutlich, dass grundlegende Differenzen zwischen den christlichen und den muslimischen Thesen vor allem in Begriffsdefinitionen bzw. -interpretationen bestimmter zentraler Begriffe wie etwa des Begriffes ›Gottes Sohn‹ begründet waren. Häufig legten muslimische Autoren alternative Definitionen und Erklärungen solcher Konzepte vor, um ihre Thesen auf diesen aufbauen zu können. Eine Erklärung für diese Strategie ist, dass sie solche Begriffe aus dem Kontext des Korans heraus verstanden. Diese Erklärung für die Verwendung dieser Strategie in Argumentationshandlungen kann mit dem Konzept der ›Cultural Keywords in Arguments‹ von Rocci und Monteiro in Verbindung gebracht werden. Demnach ist ein ›Cultural Keyword‹ in Argumenten ein Wort, das aus dem Glaubenssystem einer bestimmten Kultur stammt. Solche Schlüsselwörter haben eine bestimmte Bedeutung, die aus diesem Glaubenssystem heraus begründet wird, und haben in diesem Glaubenssystem den epistemischen Wert von éndoxa im Sinne des Aristoteles.³⁷ Demnach kann das unterschiedliche Verständnis bestimmter Begriffe kulturabhängige Gründe haben. Innerhalb einer bestimmten Kultur werden manche Begriffe oft als gar nicht anders denkbar angesehen, als dies die eigene Kultur vorgibt. Die Grenzen der kulturellen Bedingtheit erscheinen dabei oft als unüberwindbar. So bilden viele christliche Begriffe – wie z. B. die Auffassung Jesu als Gottes Sohn – Konzepte, die von den kulturellen Codes der islamischen Kultur von vornherein abgelehnt werden – schon allein der Begriff ›Gottes Sohn‹ erscheint aus dem anderen (hier: islamischen) kulturell vereinbarten Konsens heraus falsch, weil er den éndoxa zu widersprechen scheint. Die christliche Kultur hingegen sieht hier weitgehend keinen Widerspruch, ja gar kein Problem, da der Begriff zu ihrem kulturellen Konsens gehört. Die auf diese Weise aus der divergierenden Interpretation derartiger Begriffe hervorgegangenen Konflikte entfalteten sich in komplexen Argumentationen, welche zur Entwicklung des Radds führten. Ferne muss – gemäß Lumer – die interpretative Argumentation erkenntnistheoretisch strenge Bedingungen erfüllen. Die oben zitierte Definition von Lumer zeigt, wie schwer interpretative Argumentationen als ›wahr‹ klassifiziert werden können. Denn sie setzt voraus, dass nur dann, wenn es nur eine einzige mögliche Erklärung gibt, von wahren Aussagen die Rede sein kann. Lumer gibt an, dass solche Argumentationen in der Praxis nur selten vorzufinden sind. Oft

³⁶ Vgl. etwa al-Ghazālīs Ehrentitel-Argument und Gott-Metapher-Argument, siehe dazu oben Abschnitt 3.4, S. 118–129 sowie S. 129–132. Ein gutes Beispiel bietet auch das interpretative Argument des al-Ṭūfī; siehe dazu hier S. 412 Anmerkung 308. ³⁷ Vgl. Rocci/Monteiro, »Cultural Keywords« 80–82.

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Kapitel 10: Erkenntnisprinzipien und Argumentationstypen

habe man es in interpretativen Argumenten mit einer Fülle möglicher Interpretationen zu tun. Dennoch sind interpretative Argumente erkenntnistheoretisch nicht wertlos und alle interpretativen Möglichkeiten gleichwertig. Wie soll man dann zwischen ihnen unterscheiden? Eine Lösung für dieses Problem gibt Lumer mithilfe der Wahrscheinlichkeit an. Verschiedene interpretative Möglichkeiten erhalten unterschiedliche Wahrscheinlichkeitswerte, sodass eine Interpretation als wahrscheinlicher gestuft werden kann als eine andere.³⁸ Somit kann der Interpret eine erkenntnistheoretische Unterscheidung fällen und anhand dieser die Argumentation bewerten. Das richtige Vorgehen dabei stellt Lumer selbst wie folgt dar: »Ideale gültige interpretierende A.en müssen dann u. a. folgende Bestandteile enthalten: Das Explanandum und die bekannten Indizien werden aufgezählt; die verschiedenen Annahmemengen, die zu einer möglichen Erklärung führen, werden aufgelistet; durch entsprechende logische Ableitungen wird gezeigt, daß sie tatsächlich zu möglichen Erklärungen führen; die unbedingten Wahrscheinlichkeiten dieser Annahmemengen werden angegeben; sodann werden daraus die interpretativ bedingten Wahrscheinlichkeiten der Annahmemengen ermittelt; schließlich wird resümiert, in welchen Annahmemengen die These enthalten ist und welche Wahrscheinlichkeit sie entsprechend hat.«³⁹

An anderer Stelle fasst Lumer die Bedingungen für interpretative Argumentationen folgendermaßen systematisch zusammen: 1. Argumentation muss Explanandum erklären. 2. Wahrscheinlichkeit muss größer 0 sein. 3. Wahrscheinlichkeit größer 0 ist vorhanden, wenn Indizien zu einer möglichen Erklärung führen.⁴⁰ Gültige interpretierende Argumentationen erfüllen idealerweise klar diese Bedingungen. Weniger ideal ist es, wenn die Anwendbarkeit dieser Bedingungen schwierig ist. In den interpretierenden Argumentationen des al-Jaʿfarī wird zwar das Explanandum erklärt, und es kann auch bestimmt werden, ob Indizien vorliegen, welche die gegebene Erklärung des Explanandums wahrscheinlich machen. Probleme ergeben sich allerdings, wenn die Wahrscheinlichkeiten verschiedener Erklärungen bestimmt werden müssen. Tatsächlich konnten unsere Bewertungen von al-Jaʿfarīs interpretierenden Argumenten dem beschriebenen Ideal nicht gerecht werden.⁴¹ Dennoch haben sich die genannten Bedingungen als hinreichend für die Erklärung der interpretierenden Argumentationen in al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā erwiesen. Argumente des al-Jaʿfarī wie etwa seine bibelbasierten und hermeneutischinterpretativen Argumente, sein Sohnschaft-als-Dienerschaft-Argument, sein

³⁸ Lumer, »Argumentation, Argumentationstheorie« 92–93. ³⁹ Lumer, »Argumentation/Argumentationstheorie« 92–93. ⁴⁰ Nach Lumer, Praktische Argumentationstheorie 221–246. ⁴¹ Wer sich dieser Aufgabe stellen möchte, findet hinreichende Ansätze bei Lumer. Vgl. hierzu die im Literaturverzeichnis aufgeführten Veröffentlichungen Lumers.

10.2. Interpretative und hermeneutische Argumentation

431

mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit, seine Argumente zur Widerlegung der Tötung und Kreuzigung Jesu (das tawātur-Argument und das Argument der Möglichkeit der Verwechslung) und teilweise auch sein frequentistisches Argument gegen die These der Sohnschaft und das Konsequenz-Argument sowie sein Argumentum a fortiori wurden als interpretative Argumentationen erkannt.⁴² Dabei konstruiert al-Jaʿfarī seine interpretativen Argumentationen tatsächlich so, dass sie dem Modell Lumers entsprechen. Seine Argumentation erklärt dabei das Explanandum und liefert Indizien bzw. Begründungen für diese Erklärung. Diese wurde in den Analysen bestimmt. Was die Wahrheit bzw. Gewissheit seiner Erklärungen angeht, so genügt es an dieser Stelle festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit seine Erklärungen des Explanandums in allen Fällen größer als 0 ist, also wahrscheinlich ist.

⁴² Vgl. dazu die jeweiligen Abschnitte in Kapitel 9 dieser Studie.

Kapitel 11

Kompositionsprinzipien: dialektische Methode, taqsīm, Thesengenerierung, Fragegenerierung, hypothetisches Satzgefüge, Analogie Mit der sog. dialektischen Methode¹ ist die nur zu oft wiederkehrende Formel fa-in qāla … qulnā gemeint,² welche auch als hypothetisches Satzgefüge beschrieben werden kann. Auch wenn die sprachliche Formulierung von der hier gegebenen Form leicht abweichen kann, besagt sie Folgendes: Wenn ihr eine bestimmte These x behauptet, so argumentieren wir gegen diese These mit folgendem Argument y. Bei dieser Form der Dialektik ist zu bemerken, dass die Diskussion zunächst vom Autor konstruiert ist, weshalb sie auch hypothetisch ist. Oft wird dem Opponenten eine These in den Mund gelegt, um ihn mit dem folgenden Argument besser widerlegen zu können. Der argumentierende Autor kann dabei alle möglichen Einwände des Opponenten hypothetisch darstellen (al-sabr wa-l-taqsīm) und versuchen, sie zu widerlegen. Der Anspruch des Autors ist dabei, keinen möglichen Einwand übrig zu lassen, sodass der Opponent von seiner These zurücktreten muss oder zumindest erkennen muss, dass seine These problematisch und fragwürdig ist. Oft ist es Ziel des Argumentierenden, die These des Opponenten als problematisch zu kategorisieren. Somit verliert der Opponent die Möglichkeit, die Wahrheit der These des Argumentierenden in der vorliegenden Form zu bestreiten. Die Methode der argumentativen und dialektischen Theologie beschreibt Hoyland im Folgenden sehr stichhaltig: »The jewel of Muslim dialectical art is the dilemmatic dialogue. Here an opponent is confronted with a number of questions which leave him no room for evasive answering and which eventually lead him either to contradict his own position or to accept that of his interrogator.«³

In anderen Fällen werden die Thesen tatsächlich vom Opponenten behauptet; in diesen Fällen bezweckt der Autor die vorliegenden Thesen des Opponenten

¹ Was die Griechen unter dialektikḗ (téchnē) verstanden haben, das haben auch die muslimischen Theologen und Philosophen verstanden und die Regeln der Dialektik – vor allem im Rahmen der Übersetzungsinitiative aus dem Griechischen ins Arabische – übernommen, angepasst und angewandt. ² Vgl. van Ess, »Disputationspraxis« 25. ³ Hoyland, Seeing Islam 46.

Kapitel 11: Kompositionsprinzipien

433

zu widerlegen. Dieses dialektische Kompositionsprinzip wird im Radd stark angewandt, etwa bei al-Jaʿfarī⁴ und im Taʿlīq des al-Ṭūfī.⁵ Ein weiteres Kompositionsprinzip ist das taqsīm, die Methode der (argumentativen) Unterteilung. Gelenbevî unterschiedet zwischen taqsīm ʿaqlī und taqsīm istiqrāʾī. Ersteres meint die Unterteilung ausgehend von der Vernunft. Als Beispiel nennt Gelenbevî hierfür die Zahlen. Sie können – gemäß der Vernunft – nur gerade oder ungerade sein. Deduktive Argumente werden im Radd des alJaʿfarī – wie etwa im mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit⁶ oder im Körper-ewig-Argument⁷ – oft mit dem Kompositionsprinzip des taqsīm konstruiert. Taqsīm istiqrāʾī hingegen liegt bei allen anderen Unterteilungen vor, die nicht (nur) nach der Vernunft geschehen, sondern induktiv sind,⁸ wie schon der Name istiqrāʾ (›Induktion‹) preisgibt. Die Methode der Unterteilung ist ein fester Bestandteil des argumentativen Instrumentariums im Kalām sowie insbesondere im Radd. Dieselbe Methode der Unterteilung liegt auch in der Argumentationstheorie des Saçaklızâde zugrunde.⁹ Al-Jaʿfarī nutzt das taqsīm zur Konzipierung und Strukturierung der Argumente in seinem Radd, wie etwa das folgende Beispiel deutlich zeigt: »Die Christen behaupten, dass der Messias ʿĪsa [sc. Jesus] Gottes Sohn und Gott sein Vater ist. Wir unterteilten deren Aussagen und sagen Folgendes: Dies kann ausschließlich folgende Bedeutungen haben: Entweder meint ihr (Christen) mit dem ›Sohn‹ den Körper des Messias und seine Leiche oder das Wort [sc. Logos], welches diesen verkleidet und sich, gemäß eurer Behauptung, mit ihm vereinigt. Oder aber das Ganze (beides) als Sohn. Oder als bloße Bezeichnung, mit der ihn Gott benannt hat, um ihn zu verehren und seine Vorzüge sichtbar zu machen. Über die Sohnschaft gibt es keine andere – fünfte – Interpretationsmöglichkeit als diese vier Möglichkeiten.«¹⁰

⁴ Vgl. dazu die Argumentationsanalysen in Kapitel 9 dieser Studie. ⁵ Die dialektische Methode wird auch in scheinbar weniger argumentativen Radd-Werken herangezogen, so etwa im Al-taʿlīq ʿalā l-Anājīl des al-Ṭūfī. Als Beispiel soll im Folgenden der Einwand der Christen dienen, Jesus sei Gott, auch wenn das Leben Jesu unterschiedlich zum Leben Gottes ist. Darauf antwortet al-Ṭūfī dialektisch: »If someone says: Christ is God Himself, and such contradiction cannot occur by simply declaring that his life and the life of his Father are distinct from one another. We say: When Christ was crucified, then God, Glorified is He, would have died for three days and the universe would have remained without a god during that period. However, it is a known fact that any town in the world falls apart when it is devoid of its ruler for even one single moment. So, how did the universe not fall apart when it remained for three days without a Sustainer? Whoever claims such a view is compelled to accept this argument. Yet if someone claims that Christ is God Himself or the Son of God, and that when he was crucified, God was not crucified with him, then that is no more than delirious talk for which there is no response except to give him a place in a lunatic asylum. And God is the One Whose help is sought.« (Übersetzung von Demiri, Muslim Exegesis 317). ⁶ Vgl. dazu hier Abschnitt 9.3. ⁷ Vgl. hier Abschnitt 9.4. ⁸ Gelenbevî, Al-Ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 202. ⁹ Vgl. Saçaklızâde, Al-risāla al-waladiyya 134–135. ¹⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 14–15.

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Kapitel 11: Kompositionsprinzipien

Diese Anwendung des taqsīm veranschaulicht gut, dass es sich hier um ein taqsīm istiqrāʾī handelt. Die Funktion der Unterteilung ist argumentativ, denn sie listet (vorgeblich) vollständig alle Weisen auf, in denen ein bestimmter Begriff verstanden werden kann, um so den Weg dazu zu bereiten, die meisten dieser Verständnisweisen (durch jeweils eigene Argumentationsstrategien) zu widerlegen, damit idealerweise nur eine einzige übrig bleibt. Das obige Beispiel ist nicht taqsīm ʿaqlī, denn die Unterteilung ist nicht durch ein logisches Kalkül entstanden. Es ist durchaus (logisch) denkbar, dass die Sohnschaft noch in einer anderen Bedeutung zu verstehen ist. Die Unterteilung beruht vielmehr auf der Beobachtung al-Jaʿfarīs und ist induktiv, deshalb taqsīm istiqrāʾī. Dass der Sohn auch als Wort zu verstehen ist, ist eine solche Beobachtung. Diese Beziehung ist nicht logisch abgeleitet worden, sondern eine mögliche Interpretation der christlichen Lehre. Al-Jaʿfarī versucht alle möglichen Unterteilungen durchzuführen, die bei der Interpretation der Sohnschaft möglich sind. Argumentationsstrategisch ist dieser Schritt vorteilhaft: Al-Jaʿfarī listet mögliche Einwände und Thesen des Opponenten auf und versucht sie dann zu widerlegen.¹¹ Wenn keine Einwände mehr möglich sind, hätte er damit den Opponenten dazu gezwungen, seine These fallen zu lassen.¹² Obwohl in der Apologetik hauptsächlich das taqsīm istiqrāʾī zur Anwendung kommt, zieht sie doch auch das taqsīm ʿaqlī heran. Manchmal ist das taqsīm nicht offenkundig, wie im obigen Beispiel, und muss erst erkannt bzw. rekonstruiert werden. Folgendes Beispiel aus dem Takhjīl des al-Jaʿfarī dient zur Demonstration der Anwendung des taqsīm ʿaqlī: »Dann sagt man den Christen: Da ihr behauptet, dass euer Gott Jesus starb und dann wieder lebte; wer hat ihn dann nach seinem Tod wieder zum Leben erweckt? Und wenn die Christen sagen: Jesus hat sich selbst zum Leben erweckt, so sagen wir zu ihnen: Hat er sich zum Leben erweckt, als er lebendig war, oder hat er sich zum Leben erweckt, als er tot war? Beide Möglichkeiten sind ungültig.«¹³

Hier ist das taqsīm ziemlich offenkundig, eine genaue Interpretation macht deutlich, dass ein taqsīm zwischen Leben und Tod vorhanden ist. Der Autor impliziert folgendes taqsīm: Ein Mensch ist entweder tot oder lebendig. Ausgehend von diesem Prinzip, das erst durch ein taqsīm konstruiert werden konnte, baut er sein Argument auf. Des Weiteren wird diese Methode auch als al-sabr wa-l-taqsīm (sinngemäß: ›Einteilung und Überprüfung‹) bezeichnet.¹⁴ Dies ist im Grunde eine erweiterte Form eines disjunktiven Syllogismus (Modus Tollendo Ponens), in dem gilt: A ∨ B und ¬A, daraus folgt B. Dabei wird durch die Verneinung einer Aussage

¹¹ Al-Jaʿfarī geht es darum, mögliche Interpretationen und Fälle aufzuzählen. Dabei kann man mögliche Einwände in der Regel nicht abschließend aufzählen. ¹² Zu dieser dialektischen Methode der islamischen Theologie vgl. auch Hoyland, Seeing Islam 46. ¹³ Al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl 384. ¹⁴ Vgl. Safi, Foundation 89–90 und Nassar, Manāhij al-baḥth 111.

Kapitel 11: Kompositionsprinzipien

435

eine andere Aussage bejaht. Dabei kann die Disjunktion in der argumentativen Anwendung eine komplexere Form haben. Der Argumentierende hat hierbei die argumentative Leistung zu erbringen, diese Aussagen zu verneinen, um diejenige Aussage zu bejahen, die die eigene These bestärkt. Die argumentative Leistung besteht somit daraus, (i.) die möglichen Einteilungen vorzunehmen und (ii.) die Negationen zu beweisen. In der praktischen Anwendung werden vom Argumentierenden idealerweise alle möglichen Einwände des Opponenten als Disjunktion erfasst, um diese anschließend zu widerlegen. Somit ist das alsabr wa-l-taqsīm im Radd eine wichtige Methode der Widerlegung, die im Radd des al-Jaʿfarī sehr intensiv als Kompositionsprinzip herangezogen wird, beispielsweise auch in folgenden Argumentationstexten: »Das, was ihr (Christen) im Hinblick auf die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen behauptet habt – nämlich dass die Einheit abstrakt ist –, kann auch mehreres bedeuten: Den Vater in seiner abstrakten Form oder das Wort in seiner abstrakten Form oder sogar beides, oder die Liebe und die Zustimmung (Gottes) zum Bittgebet (Jesu) und die Erfüllung seiner Wünsche, so wie beispielsweise ein Verkünder zu seinem Geliebten sagen würde: ›Du und ich sind eins‹. Es sind nur diese vier Möglichkeiten (der Interpretation) möglich, da keine fünfte (Interpretation) Sinn machen würde.«¹⁵

Ohne den Inhalt näher behandeln zu wollen, kann die Struktur des obigen Arguments in der folgenden Weise klarer dargestellt werden. Dabei werden zwei Möglichkeiten des al-sabr wa-l-taqsīm ermittelt. In der ersten Form hat eine Annahme A insgesamt n mögliche Interpretationen B1 , B2 , …, Bn ; im obigen Fall gibt es 4 Möglichkeiten, also B1 bis B4 . Wenn diese Interpretationen alle außer einer einzigen widerlegt werden, folgt daraus, dass für A nur die übrig gebliebene Interpretation (z. B. B4 ) in Frage kommt (dies ist eine Art erweiterter Modus Tollendo Ponens). Dies kann wie folgt schematisch dargestellt werden: A → (B1 ∨ B2 ∨ B3 ∨ B4 ) ¬B1 ¬B2 ¬B3 A → B4 Die zweite Möglichkeit ist, dass, wenn alle Interpretationen B1 bis Bn widerlegt sind, dann daraus folgt, dass die Annahme A falsch ist (dies ist ein erweiterter Modus Tollens). Als Schema, wiederum bei vier möglichen Interpretationen: A → (B1 ∨ B2 ∨ B3 ∨ B4 ) ¬B1 ¬B2 ¬B3 ¬B4 ¬A

¹⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 100.

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Kapitel 11: Kompositionsprinzipien

Für die erste Strategie kann das folgende Beispiel angeführt werden: »Geht ihr von der Göttlichkeit jeder dieser drei Hypostasen aus? Oder behauptet ihr, dass alle ein einziger Gott sind? Oder behauptet ihr, Gott ist einer von ihnen und der (ganze) Rest sind Eigenschaften von ihm?«¹⁶

Die Methode des al-sabr wa-l-taqsīm wurde in der Theologie u. a. von alBāqillānī etabliert, der ebenfalls Verfasser eines Radds zum Christentum war. Das al-sabr wa-l-taqsīm als Methode der Schlussfolgerung zog al-Bāqillānī für theologisch konstruierte Argumente heran, weil er darin einen Weg sah, theologische Fragen analytisch und argumentativ begründet zu lösen.¹⁷ Das al-sabr wa-l-taqsīm ist der Weg, eine Fallunterscheidung vorzunehmen, bei der die möglichen und unmöglichen Erklärungen bestimmt werden sollen. Die Bestimmung und Bewertung der möglichen und unmöglichen Erklärung geschieht ebenfalls oft analytisch und oft argumentativ. Ein einfaches weiteres Beispiel für eine Anwendung des al-sabr wa-l-taqsīm im Radd ist die Fallunterscheidung ›Wenn Jesus sich selbst wieder zum Leben erweckt hat, dann hat er dies entweder (a) getan, als er lebendig war, oder (b) als er tot war.‹ Das al-sabr wa-l-taqsīm wird oft argumentativ konstruiert, häufig in Form eines qiyās.¹⁸ Eine andere Methode, die al-Jaʿfarī anwendet, ist, dass er zuerst die These des Opponenten formuliert und dann seine Widerlegungen passend zu dieser vorformulierten These konstruiert. Diese Herangehensweise bildet als Kompositionsprinzip oftmals hypothetische Thesen, die im Rahmen des taṣnīf wiedergegeben werden können, aber auch gesondert stehen, weshalb dieses Prinzip Thesengenerierung genannt werden kann, denn vor der Widerlegung steht die Aufgabe der Generierung von Thesen. Dafür kann folgendes Beispiel aus dem Radd des al-Jaʿfarī aus dem mushāhada- und khabar-Argument zur Widerlegung der Einheit angeführt werden: »[S1] Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus göttlicher und menschlicher Natur besteht, [S1.1] die sich vereinten [S1.2] und daraufhin zu Christus wurden. [S2] Oft behaupten die Christen Folgendes: [S2.1] Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt. [S2.2] Und das wird mit Menschwerdung und Inkarnation bezeichnet. [S3] Wir wollten jedoch von den Christen, bevor wir mit ihnen sprechen, Belege für die Gültigkeit dieser Lehre haben.¹⁹ [S4] Und wir sagen: [S4.1] Bezüglich eurer Behauptung über die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen: [S4.2] Ist das etwas, was ihr mit beiden

¹⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 190. ¹⁷ Vgl. Gölcük, »Bâkıllânî« 532. ¹⁸ Vgl. al-Ghazālī, Al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl Bd. 2, 305–314. Vgl. hierzu auch Griffel, Philosophical Theology 99. Hier wird die Anwendung des al-sabr wa-l-taqsīm bei al-Ghazālī im Rahmen des Kalāms vorgestellt. ¹⁹ Wenn diese Aufforderung nicht nur rhetorisch gemeint ist, dann bezieht sie sich womöglich auf seine früheren beiden Schriften zum Christentum, in dem er durchaus die Christen zur Erklärung ihrer Lehre aufforderte (vgl. al-Jaʿfarī, Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl und Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd).

Kapitel 11: Kompositionsprinzipien

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Augen unmittelbar gesehen habt? [S4.3] Oder etwas, das eure Vorgänger und Vorfahren gesehen haben, [S4.4] sodass es erlaubt wäre, dies zu glauben? [S4.5] Oder tradiert ihr dies von Christus?²⁰«²¹

Wie schon bei der Analyse dieser angeführten Stelle ausgeführt wurde,²² konstruiert al-Jaʿfarī zunächst Thesen, die er in diesem Beispiel dann durch ein taṣnīf klassifiziert, um anschließend Argumente gegen die einzelnen Thesen aufzustellen. Diese Herangehensweise der Thesengenerierung ist eine oft wiederkehrendes Argumentationsmuster im Radd des al-Jaʿfarī. Neben der Thesengenerierung nimmt im Radd die Fragegenerierung eine signifikante Stellung ein. Walton, Reed und Macagno unterstreichen die Rolle des ›questioning‹ in Argumentationen. Fragen sind zwar keine Widerlegungen, haben jedoch die Funktion, ein Argument oder eine These als zweifelhaft zu erweisen.²³ Die Fragegenerierung ist allgemein im Radd und speziell im Radd des al-Jaʿfarī ein wichtiges Kompositionsprinzip.²⁴ Al-Jaʿfarī verwendet Fragen, (i.) um eine Disjunktion herzustellen, um danach die Möglichkeiten zu widerlegen, oder (ii.) um die These des Opponenten als zweifelhaft darzustellen. Die Fragestellung ist zudem ein fester Bestandteil der islamischen Argumentationstheorie. Abū al-Walīd Sulaymān al-Bājī (gest. 474/1081) war ein einflussreicher andalusischer Theologe,²⁵ der in seinem berühmten Kitāb al-minhāj fī tartīb al-ḥijāj, das die Methode der juristischen Argumentation behandelt, eine Typologie der Fragestellungen aufstellt. Er stellt im Kapitel über die Struktur des Frage-Antwort-Modus fünf Fragetypen dar, welche die juristische Dialektik (naẓar, i. S. v. ›inferential‹) des Fragens und Antwortens wiedergeben.²⁶ 1. 2. 3. 4. 5.

Die Frage nach dem Beleg (ithbāt) der These²⁷. Die Frage nach dem Wesen bzw. der Was-heit (māhiyya) der These. Die Frage nach dem Hinweis bzw. nach Beweisen (dalīl) für die These. Die Frage nach der Form des Hinweises bzw. Beweises (dalīl). Die Frage, ob die Form des Hinweises bzw. Beweises (dalīl) kritikfähig durch muṭālaba, iʿtirāḍ oder muʿāraḍa ist.²⁸

Ohne auf die einzelnen Punkte eingehen zu müssen (weil es sich hier um juristische, aber eben auch argumentative Diskurse handelt), ist dieser Aufstellung zu entnehmen, dass die ›Frage‹ in der Dialektik (naẓar i. S. v. ›inferential‹) vor

²⁰ D. h. Jesus sagte es über sich selbst. ²¹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā §§ 87–88. ²² Siehe dazu hier Abschnitt 9.3. ²³ Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 222–226. ²⁴ Vgl. zu diesem Kompositionsprinzip hier Kapitel 11, S. 437–442. ²⁵ Zum Leben und Wirken des Abū al-Walīd Sulaymān al-Bājī vgl. Vidal-Castro, »AlBājī«. ²⁶ Al-Bājī, L’art de la polémique [= Kitāb al-minhāj fī tartīb al-ḥijāj] 34–41. ²⁷ Die Fragetypen wurden hier mit ›These‹ kontextualisiert; al-Bājī spricht von der (juristisch-)theologischen Meinung (madhhab). ²⁸ Al-Bājī, L’art de la polémique [= Kitāb al-minhāj fī tartīb al-ḥijāj] 34–41.

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allem verwendet wurde, um zu hinterfragen, ob (i.) die Belege des Opponenten tatsächlich dem Wesen der These entsprechen oder ob (ii.) der Opponent tatsächlich kritikfähige und gute Belege für seine These vorlegen kann. Die Frage bekommt dabei die Funktion, die Haltbarkeit der These zu hinterfragen und dabei etwaige Schwachstellen aufzudecken. Diese Typologie zeigt, wie aktiv die Methode des Fragens in der argumentativen Auseinandersetzung verwendet wurde. Auch im Radd hat das FrageAntwort-Spiel diese Funktion. Jedoch ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit ein Frage-Antwort-Modus tatsächlich auf Authentizität ausgerichtet ist. Denn abgesehen von den Streitgesprächen in einem majlis, wo tatsächlich mindestens zwei Personen mit entgegengesetzten Positionen aufeinandertreffen und somit ein natürliches Streitgespräch stattfindet, findet in Texten wie beispielsweise im Radd des al-Jaʿfarī eine künstliche Apologetik statt – d. h., der Fragende und der Antwortende ist stets al-Jaʿfarī selbst. Er vermittelt zwar dem Leser, dass die Darstellung des Opponenten der Wahrheit entspricht und die Frage tatsächlich die These des Opponenten wiedergibt, dennoch würde eine natürliche Disputation sicher anders verlaufen als ein künstlich inszeniertes Argumentationsspiel wie etwa im Radd des al-Jaʿfarī.²⁹ Dass es sich um ein inszeniertes Argumentationsspiel handelt, ist allerdings kein hinreichender Grund dafür, die erkenntnistheoretische Grundlage der Argumente abzustreiten. Das Argumentationsspiel erschwert lediglich die Aufgabe des Interpreten, die Argumentation zu analysieren und zu bewerten. Im Fall des Frage-Antwort-Modus muss der Interpret stets fragen, ob und wie die Frage gerechtfertigt ist, ob sie erkenntnistheoretisch ausgerichtet ist oder vielmehr rhetorisch, und schließlich, ob die Antwort tatsächlich historisch dem Opponenten zugeschrieben werden kann. Wenn nicht, dann kann es sein, dass zwar der Argumentierende in der Auswahl bzw. Darstellung seines Opponenten Fehler gemacht hat, doch dieser Fehler macht das Argument nicht etwa zu einem bloß rhetorischen – denn dazu wäre die Absicht nötig, den Opponenten zu überreden statt zu überzeugen. Wenn aber das Argument – unabhängig davon, ob der Opponent korrekt dargestellt wurde oder ob dem Opponenten falsche Inhalte zugesprochen wurden – erkenntnistheoretisch dargelegt ist, dann erfüllt das Argument zwar nicht die Akzeptabilitätskriterien, weil sein namentlich genannter Opponent diese Zuschreibungen nicht annimmt; dennoch wäre dieses Argument noch als erkenntnistheoretisch zu bewerten und würde sogar die Akzeptabilitätskriterien erfüllen, sollte es jemanden geben, der die zugeschriebene Gegenposition vertreten würde.

²⁹ Regula Forsters Untersuchung religiöser Dialoge kommt u. a. zu dem Schluss, dass diese meistens Zwiegespräche darstellen, und stellt fest, dass die meisten dieser Zwiegespräche in der Öffentlichkeit stattfinden, wobei die Zuhörer im majlis – gemäß den Regeln der theologischen munāẓara – nicht eingreifen dürfen. Auch wenn in religiösen Dialogen selten eine Schiedsrichterfigur auftritt, übernimmt der Leser diese Funktion, der letztlich die textliche Darstellung des Zwiegespräches beurteilt und zwischen wahr und falsch bzw. zwischen überzeugend und nicht-überzeugend entscheidet (vgl. Forster, Wissensvermittlung 5).

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Neben dieser theoretischen Kritik muss man feststellen, dass al-Jaʿfarī sehr wohl Prämissen heranzieht, die oft von (manchen) Christen akzeptiert werden oder zumindest eine mögliche Interpretation der christlichen Lehren darstellen. Auch wenn häufig viele Christen die von ihm angeführten Interpretationen ablehnen dürften, sind die Interpretationen des al-Jaʿfarī oftmals nicht unbegründet. Dies zeigt auch, dass al-Jaʿfarī durchaus über Grundkenntnisse der christlichen Theologie verfügt; das ist auch nicht verwunderlich, da er als Gouverneur von Qūṣ immerhin in einer Umgebung mit einem nicht unerheblichen christlichen Bevölkerungsanteil lebte und wirkte. Dass er dabei die Grundthesen der christlichen Theologie kennengelernt hat, ist unzweifelhaft. Miller betrachtet das Fragen und Antworten als eine Wesenseigenschaft des jadal. Pointiert schreibt er: »jadal was question and answer«³⁰. Wenn man die intensive Generierung von Fragen und Antworten auch bei al-Jaʿfarī in Rechnung stellt, kann man diese Eigenschaft auch dem Radd des al-Jaʿfarī zuschreiben. Das Wort jadal kann ›Streit‹, ›Disput‹, ›Diskussion‹, ›Auseinandersetzung‹ bedeuten.³¹ Fachspezifisch bezeichnet jadal die Disputation zwischen Muslimen und Christen. Der Koran legitimiert die Disputation mit Christen etwa wie folgt: »Und streitet mit den Leuten der Schrift nie anders als auf eine möglichst gute Art – mit Ausnahme derer von ihnen, die Frevler sind! Und sagt: Wir glauben an das, was (als Offenbarung) zu uns, und was zu euch herabgesandt worden ist. Unser und euer Gott ist einer. Ihm sind wir ergeben (muslim).«³²

Im Originaltext steht hier für ›streiten‹ das Wort tujādilū, wobei ›streiten‹ im Sinne von ›argumentieren mit‹ oder ›disputieren mit‹ gemeint ist, wie das auch in den meisten englischsprachigen, aber auch in den deutschen Übersetzungen des Korans ausgedrückt wird. Zumindest in diesem Vers sahen Muslime die Erlaubnis, gegen die Leute der Schrift, zu denen die Christen gehören, zu argumentieren und einen Radd zu konstruieren,³³ wobei das Argumentieren als die im Text geforderte »möglichst gute Art« verstanden wurde. Al-Jaʿfarī stellt dem Opponenten oft Fragen, die verschiedene Funktionen erfüllen. Ohnehin ist das Fragestellen eine rhetorische³⁴ Komponente der Disputationslehre und wendet verschiedene Frageformen an, die auch verschiedene Funktionen erfüllen. Ibn Fūrak gibt in seinem Mujarrad Hinweise, welche dies im Rahmen des istiḍlāl (Theorie der Schlussfolgerung) darstellen. Eine Funktion des Fragestellens kann epistemisch sein, wenn damit zur Erkenntnisgenerierung angeleitet wird.³⁵ Al-Jaʿfarī konstruiert oftmals eine Frage und versucht dann

³⁰ Vgl. Miller, Study 147. ³¹ Vgl. Wehr, Arabisches Wörterbuch 102. ³² Koran 29:46, Übersetzung Rudi Paret. ³³ Ḥasanayn, Kitāb al-radd 23–25. ³⁴ Nicht im Sinne der rhetorischen Argumentationstheorie gemeint, sondern als ein rhetorisches Kompositionselement. ³⁵ Hintikka weist auf die erkenntnistheoretische Funktion des Fragestellens hin; vgl. Hintikka, »Questioning«.

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daraus ein taṣnīf (Disjunktion³⁶) zu entwickeln, worauf dann die Widerlegung der einzelnen Disjunkte erfolgt. Folgende Passage kann als Beispiel für diesen disjunktiven Fragetyp stehen: »Wir wollten jedoch von den Christen, bevor wir mit ihnen sprechen, Belege für die Gültigkeit dieser Lehre haben. Und wir sagen: Bezüglich eurer Behauptung über die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen: Ist das etwas, was ihr mit beiden Augen unmittelbar gesehen habt? Oder etwas, das eure Vorgänger und Vorfahren gesehen haben, sodass es erlaubt wäre, dies zu glauben? Oder tradiert ihr dies von Christus?«³⁷

Hier fragt al-Jaʿfarī nach der Begründung der gegnerischen These und fordert damit implizit den Opponenten zur Begründung auf – wenn denn ein Christ anwesend wäre. Zudem versucht al-Jaʿfarī durch diese Frage, welche als Kompositionselement eine rhetorische Funktion hat, das Streitthema einzugrenzen und zu definieren. Darauf folgt dann die Argumentation für die vertretene These. Im Radd ist diese Herangehensweise nicht dialektisch im Sinne der scholastischen Quaestiones, bei denen idealerweise der Argumentierende eine dialektische Gegenüberstellung von Argumenten leistet,³⁸ auch wenn ein Vorläufer des dialektischen Ansatzes erkennbar ist, wenn etwa die These des Opponenten konstruiert wird und implizit, aber auch explizit, das Argument des Opponenten dargestellt wird. Die Funktion liegt aber nicht darin, eine ernsthafte Gegenüberstellung von christlicher und islamischer Argumentationen vorzulegen, sondern darin, die generierte christliche These für ihre Widerlegung zu nutzen. Eine andere Frageform ist die Entscheidungsfrage, bei der der Argumentierende dem Opponenten die Aufgabe gibt, sich bei einer vorgegebenen Kontravalenz für eine der Alternativen zu entscheiden, wie etwa im folgenden Beispiel im Radd des al-Jaʿfarī: »Überliefert ihr eure Behauptung bezüglich der Tötung und Kreuzigung des Messias durch tawātur oder durch āḥād?«³⁹

Eine wichtige weitere Funktion der Frage ist es, die Autorität der Evangelien in Frage zu stellen. Um aus dem Fehlen einzelner biblischer Ereignisse in den Evangelien auf deren Fehlerhaftigkeit zu schließen, konstruiert al-Jaʿfarī folgende Frage: »Wie kann dies (wirklich) aus dem Evangelium stammen, obwohl Markus es nicht erwähnt?«⁴⁰

Diese Frage zielt darauf ab, die Autorität der Evangelien in Frage zu stellen. Walton, Reed und Macagno formulieren sechs Fragetypen, welche die Funktion haben, einen Experten bzw. eine Autorität x und dessen Aussage A zu hinterfragen:

³⁶ Zum Begriff des taṣnīf siehe ausführlich Abschnitt 9.4. ³⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 88. ³⁸ Vgl. Grabmann, Methode Bd. 1, 318–322. ³⁹ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 157; vgl. dazu hier Abschnitt 9.10. ⁴⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 210.

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i. Expertise Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, inwieweit x als Expertenquelle glaubwürdig ist. ii. Field Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, ob x ein Experte oder eine Autorität in der Fragestellung ist. iii. Opinion Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, was x annimmt, sodass davon A abgeleitet wird? iv. Trustworthiness Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, ob x als Quelle zuverlässig ist oder ob x in der Fragestellung voreingenommen ist. v. Consistency Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, ob A im Einklang mit dem steht, was andere Experten behaupten. vi. Backup Evidence Question: Diese Form der Frage ist gegeben, wenn hinterfragt wird, ob die Aussage A von x auf einen Beweis beruht.⁴¹ Diese Frageformen scheinen in erster Linie gegen Expertenmeinungen gerichtet zu sein, doch auch in theologischen Schriften, in denen vor allem ›heilige‹ Schriften als Experten oder Autoritäten herangezogen werden, kommen alle diese Formen kritischer Fragen zur Anwendung. Die oben herangezogene Frage von al-Jaʿfarī ist beispielsweise eine Expertise Question, die fragt, inwieweit die Evangelien als Expertenquelle glaubwürdig sind. Zugleich wird auch eine Trustworthiness Question gestellt, wenn man den Evangelisten aus islamischer Perspektive eine Veränderung (taḥrīf ) der eigentlichen Offenbarung bzw. des Offenbarungstextes vorwirft und somit fragt, ob die Evangelien nicht durch hinzugefügte historische und menschliche Konzepte, Entscheidungen und Äußerungen voreingenommen sind und daher nicht als reine Offenbarung Gottes angesehen werden dürfen.⁴² Und wenn al-Jaʿfarī fragt: »Was ist euer Beweis für die Authentizität dieser Überlieferung über Gott und seinen Propheten Jesus?«⁴³, dann konstruiert er i. S. v. Walton u. a. eine Backup Evidence Question. Im Radd des al-Jaʿfarī spielt somit das Fragestellen eine zentrale Rolle als Kompositionsprinzip. Weitere markante Beispiel für solche Fragen sind etwa: 1. »Und wenn das Wissen eine Selbsteigenschaft des Vaters ist, wie könnte sie [sc. die Selbsteigenschaft] sich verzögern, bis er [sc. Gott] sie gebärt?«⁴⁴ 2. »Nehmen wir an, dass die Authentizität dieser Überlieferung über Jesus glaubhaft ist, warum streitet ihr dann die Aussage dessen ab, der behauptet, Gott habe diese Bezeichnung auch anderen tugendhaften Dienern gegeben und Jesus erst später nach anderen Menschen aus dem Volk Israel zukommen lassen?«⁴⁵ 3. »Diese [sc. solche] (Bibelzitate) sind im Evangelium und in den Worten der Jünger, welche die Gefährten Jesu sind, unzählig viele vorhanden. Kann dann

⁴¹ Walton/Reed/Macagno, Argumentation Schemes 243–247. ⁴² Vgl. etwa das taḥrīf-Argument al-Jaʿfarīs, siehe dazu hier Abschnitt 9.13. ⁴³ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 29. ⁴⁴ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 21. ⁴⁵ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 31.

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überhaupt noch – nach dieser Argumentation – für Jesus, Friede mit ihm, irgendeine Besonderheit [sc. Priorität] bezüglich der Sohnschaft behauptet werden?«⁴⁶ 4. »Haben denn die Christen Israel angebetet, weil er der älteste Sohn war, oder David, weil er ein ›lieber Sohn‹ war? Oder haben andere – die wir erwähnt haben – etwa andere angebetet, weil sie Söhne und Töchter waren?«⁴⁷ 5. »Entstand er [sc. der Messias] nicht aus der göttlichen und aus der menschlichen Essenz in einer hypostatischen Person?«⁴⁸ 6. »Die göttliche Essenz war vor ihrer Einheit mit der menschlichen (Essenz) unantastbar und für menschliche Händen unerreichbar.⁴⁹ (Wenn das so ist,) wie könnten dann andere seine göttliche Natur und die Pracht seiner Macht durch die Vermischung mit dem Menschlichen übersehen?«⁵⁰ Ein weiteres Kompositionsprinzip, das im Radd häufig herangezogen wird, ist der Analogieschluss, der kurz wie folgt dargestellt werden kann: x hat Ähnlichkeit mit y, y hat die Eigenschaft z, also hat auch x die Eigenschaft z. Im Radd wird der Analogieschluss etwa im folgenden Beispiel von al-Bājī angewandt:⁵¹ »[…] dein Brief, in dem du sagst, [S1] dass Jesus der Sohn Gottes ist. [S2] Nein, er ist ein erschaffener Mensch und Diener. [S2.1] Er ist nicht befreit von den Zeichen der Erschaffenheit, [S2.2] wie zum Beispiel: Bewegung, Ruhen, Stillstand, von Platz zu Platz laufen, von einem Zustand in einen anderen wechseln, Nahrung essen, und der Tod, [S2.3] welche für alle Menschen bestimmt sind. [S2.4] [Das sind] Dinge, welche für einen ewigen Gott nicht richtig sind [S2.5] und unmöglich zu glauben für jemanden mit gesundem Urteilsvermögen.«⁵²

Im Radd und vor allem im Radd des al-Jaʿfarī wurden die dialektische Methode, das hypothetische Satzgefüge, taqsīm sowie Thesen- und Fragegenerierung als wichtige Kompositionsprinzipien erkannt, die den Text argumentativ generieren. An dieser Stelle wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben; möglicherweise können bei genaueren Analysen weiterer Texte noch weitere Kompositionsprinzipien bestimmt werden. Diese Aufgabe soll für weitere Untersuchungen vorbehalten bleiben. Diese Kompositionsprinzipien werden jedenfalls als Werkzeuge für die Komposition argumentativer Texte herangezogen und können in verschiedenen Argumentationstypen angewandt werden. Sie sind somit ein wichtiger Bestandteil der argumentativen Textkonstruktion des Radds und allgemein der argumentativen Theologie.

⁴⁶ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 80. ⁴⁷ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 84. ⁴⁸ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 151. ⁴⁹ Das impliziert auch: Sie kann nicht getötet werden. ⁵⁰ Al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā § 153. ⁵¹ Vgl. die Rekonstruktion dieses Arguments hier in Abschnitt 3.4, S. 112–113. ⁵² Zitiert nach Dunlop, »Mission« 268–270, eigene Übersetzung.

Kapitel 12

Konklusion Eine zentrale Fragestellung dieser Studie war, ob die Radd-Texte tatsächlich an einem wissenschaftlichen Diskurs interessiert sind. Daher haben wir untersucht, welche Funktionen dem logischen Aufbau der Radd-Argumente zugrunde lagen. Der vorliegenden Untersuchung liegen zwei Argumentbegriffe zugrunde: 1. Argument als Beweisgrund, auf den sich eine These stützt; 2. Argument im Sinne der traditionellen Logik.¹ Wir haben festgestellt, dass diese beiden Argumentbegriffe für die Analyse von theologischen² Argumenten besonders geeignet sind. Das Konzept des Arguments im Kalām basiert ebenfalls darauf, dass das Argument die Funktion hat, die These zu begründen. Um das Phänomen der argumentativen Begegnung zwischen dem Islam und dem Christentum umfassend abbilden zu können, wurde der Radd dabei als jegliche argumentative Begegnung mit dem bzw. als argumentative Antwort auf das Christentum verstanden. Es konnte nachgewiesen werden, dass al-Jaʿfarī tatsächlich daran interessiert war, erkenntnistheoretisch fundiert zu argumentieren. Die Argumentationstheorie, obwohl ein junges Analyseverfahren, hat bereits zahlreiche Analysemethoden und Theorien vorgelegt. Deshalb musste eine begründete Auswahl aus den vorhandenen Verfahren getroffen werden, die dazu geeignet war, die Fragestellung nach der Rekonstruierbarkeit erkenntnistheoretischer Prinzipien in theologischen Argumenten zu beantworten. Bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Argumentationstheorien hat sich ergeben, dass die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Christoph Lumer eine besonders gut zur Fragestellung passende Theorie samt geeignetem Analyseverfahren liefert.

¹ Vgl. Lumer, Praktische Argumentationstheorie 22–27. ² Denn die Theologie, die argumentativ ausgerichtet ist, zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein Argument aufstellt, um die These durch Beweise zu stützen. Auch der Argumentbegriff im Sinne der traditionellen Logik entspricht dem theologischen Argument, da die Theologie ja vor allem die traditionelle (d. h. hier: die klassische) Logik heranzieht, um (theologische) Schlüsse zu ziehen. Anzumerken ist, dass dies nicht nur für den Kalām gilt, sondern vor allem auch für das uṣūl al-fiqh (Rechtstheorie). Denn das uṣūl al-fiqh ist aus der ʿilm al-kalām hervorgegangen.

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Kapitel 12: Konklusion

Diese Studie hat den Versuch unternommen, einen konstruktiven und analytisch-theologischen Beitrag zu leisten. Die vorliegende Studie hat weiterhin versucht, zu belegen, dass Radd-Texte nicht nur argumentativ sind, sondern erkenntnistheoretisch ausgerichtet. Aufbauend auf dieser Feststellung wurde ein Weg gesucht, argumentative Radd-Texte möglichst angemessen analysieren zu können. Die erkenntnistheoretische Argumentationstheorie von Lumer wurde dabei als adäquat zur Analyse der Argumente in Radd-Texten erkannt, weil nach der Argumentationstheorie des Kalāms und letztlich des Radds die Funktion theologischer Argumentationen in der Konstruktion von Erkenntnis besteht, was dem Ansatz der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie entspricht. Die Studie wollte zudem in zweifacher Hinsicht einen ersten Schritt unternehmen, zum einen, um eine eklatante Lücke in der Erforschung von al-Jaʿfarīs Werk zu füllen, zum anderen, um die Radd-Literatur überhaupt aus argumentationstheoretischer Perspektive zu betrachten. Dabei lag der Schwerpunkt der Studie auf den theologischen Argumentationsstrukturen der Radd-Schriften. In der vorliegenden Studie wurde daher bei der Analyse von Argumenten besonders auf die logische Struktur dieser Argumente eingegangen. Den RaddArgumenten konnten jedoch die klassischen islamischen Analyseansätze alleine nicht gerecht werden, weshalb die Anwendung der Methode Lumers zu einer Bereicherung und Vertiefung des islamisch-theologischen Analyseverfahrens beiträgt. Des Weiteren wurden Besonderheiten der apologetischen Argumentation herausgearbeitet, deren Kenntnis dabei hilft, Argumente zu erkennen und zu verstehen. Mit ihrer Kenntnis lässt sich feststellen, welche Prinzipien für diese Argumente herangezogen werden. Dies wiederum hilft dabei, die Anhänger der anderen Religion zu verstehen. Der vorgeschlagene argumentationsanalytische Ansatz erweist sich damit auch als eine Möglichkeit zur Vertiefung der interreligiösen Begegnung, bei der zugleich eine fundierte Selbstreflexion stattfinden kann. Wichtig ist, dass der Streit im Rahmen der theologischen Polemik und Apologetik als eine intellektuelle und konstruktive Auseinandersetzung wahrgenommen wurde. Sie stellt damit ein gutes Beispiel dafür dar, wie sich der exklusivistische Ansatz im Rahmen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung intellektuell gestalten kann. Im einleitenden Abschnitt der Studie (Teil I) wurde der islamische Radd in Grundzügen vorgestellt und seine Entwicklung zunächst vom Koran und der Sunna bis 300/900 skizziert; darauf folgte eine Beschreibung des Radds bis zu al-Jaʿfarī (581/1185–668/1270). Verschiedene Radd-Autoren aus dem 10. bis 12. Jahrhundert wurden zur Kontextualisierung des Themas herangezogen und einige ihrer Argumente exemplarisch rekonstruiert. Darüber hinaus wurden ansatzweise einige Texte behandelt, die schon vor dem 10. Jahrhundert entstanden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Radd-Literatur die argumentationsbasierte Methode schon seit dem 7. Jahrhundert anwendet, und es wurde festgestellt, wie sich der Radd im Laufe seiner argumentativen Entwicklung gewandelt hat. Obwohl zunächst, d. h. im Koran und in der Sunna, Argumente nur

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implizit vorzufinden waren, entwickelte sich der Radd zu einem systematischen Genre der erkenntnistheoretisch ausgerichteten Argumentation. Im ersten Hauptteil der Studie (Teil II) wurde eine Einführung in die argumentationstheoretische Analysemethode gegeben. Dabei wurde deutlich, dass die Analysemethode von Lumer der Theorie des Kalāms adäquat ist, wie eine Analyse anhand der Lumerschen Methode aussehen kann und welchen Mehrwert sie hat. Ein zentraler Mehrwert besteht darin, dass durch die Analyse die erkenntnistheoretischen Prinzipien erkannt und analysiert werden kann. Durch die Analysen wurden zudem herausgearbeitet, dass die Funktion von RaddArgumenten die Konstruktion von Erkenntnis war. Auf die Darstellung der Analysemethode und dessen, was sie leisten kann, folgte der Hauptteil, der die argumentationstheoretische Analyse des Werkes von al-Jaʿfarī beinhaltete (Teil III). Hierbei wurden wesentliche Argumente zunächst im ursprünglichen Wortlaut wiedergegeben. Darauf folgten die Argumentationsanalysen. Es wurde festgestellt, dass al-Jaʿfarīs Argumente auf deduktiven, induktiven und interpretativen Erkenntnisprinzipien aufbauen. Der in dieser Studie eingeschlagene Weg wurde gewählt, weil er das Argument und seine Analyse ins Zentrum der Untersuchung stellte. Die Untersuchung hatte zum Ziel, (a) das Bild der Argumente der Radd-Literatur zum Christentum bis zur Mitte des 13. Jahrhundert nachzuzeichnen und (b) die Argumentationsanalyse und erkenntnistheoretische Argumentationstheorie auf al-Jaʿfarīs Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā anzuwenden, um daraus die von ihm angewandten Erkenntnisprinzipien zu rekonstruieren. Unsere Darstellung der Radd-Schriften bis al-Jaʿfarī hat das breite Themenfeld, die Argumentationsstrukturen und die zugrunde liegenden Erkenntnisprinzipien der Argumente in den untersuchten Radd-Texten gezeigt. Hauptsächlich und in vollem Umfang wurde dann das Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā von al-Jaʿfarī auf seine Argumentationsstrukturen und Erkenntnisprinzipien hin analysiert. Wesentliche Teile des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā wurde vom Verfasser dieser Studie aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt (siehe Appendix). Die deskriptive und analytische Beschäftigung mit den Radd-Schriften führt den Forscher zudem zu Kernfragen beider Theologien: der Frage nach dem Wesen Gottes, nach dem Wesen der Prophetie, nach dem Wesen des Seins, dem Wesen Jesu aus muslimischer und christlicher Perspektive u. v. m. Der argumentationstheoretische Ansatz bietet Werkzeuge an, welche die systematische Diskussion der Frage erlauben, ob die Radd-Argumente, die theologische Ideen zu diesen Fragen stützen, sinnvoll sind oder nicht. Eine Argumentationsanalyse gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie ist daher eine feinkörnige, qualitative Analyse dieser Schriften, die zum einen herausarbeitet, welche Argumentationsstrukturen Muslime in diesem Diskurs verwendet haben, und zum anderen, welche erkenntnistheoretischen Prinzipien sie in ihren Argumentationen herangezogen haben. Die Argumentationsanalyse, wie sie hier zur Analyse von al-Jaʿfarīs Argumenten zur Anwendung kam, zeigte nicht nur die argumentative Struktur dieser Texte auf, sondern bietet auch ein Werkzeug an,

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mit dem die Argumentationen des al-Jaʿfarī auf ihre Gültigkeit und Adäquatheit hin überprüfbar werden. Dadurch konnte kritisch überprüft werden, inwieweit al-Jaʿfarīs Radd-Argumente argumentative Schlüssigkeit beanspruchen konnten. Am Anfang der vorliegenden Studie stand die Suche nach einer modernen Argumentationstheorie, die eine detaillierte Analyse von klassischen islamischtheologischen Argumenten erlaubt. Wenn man theologische Argumente vorwiegend aus einer modernen argumentationstheoretischen Perspektive analysieren möchte, was das Ziel dieser Studie darstellt, sollte man sich an die Terminologie derjenigen Argumentationstheorie halten, an der man sich orientiert – im Fall dieser Studie ist dies die Lumersche Argumentationstheorie. Diesen pragmatischen Weg geht letztlich die vorliegende Studie. Die vorliegende Untersuchung kann durch die praktische Analyse von Argumenten eine neue Dynamik in die islamische Theologie bringen, weil sie aufhört, klassische Theorien zu wiederholen oder Theologien mit klassischen epistemologischen Theorien zu vergleichen, und beginnt, ausgehend von klassischen Texten eine realistische Methodik der theologischen Argumentation zu (re)konstruieren und textgebundene Theorien und erkenntnistheoretische Prinzipen herauszuarbeiten. Dabei ist die vorliegende Studie historisch orientiert, d. h. sie beabsichtigt Argumentationen so zu rekonstruieren, wie sie im Radd vorgefunden werden, ohne diese durch Änderungen oder weitergehende Zusätze³ optimieren oder aktualisieren zu wollen. Ausschlaggebend ist für die Forschung auch die Feststellung: Da die klassische islamische Argumentationstheorie keine aktuelle Theorie darstellt und die modernen Argumentationstheorien entscheidende Unterschiede gegenüber den klassischen Theorien aufweisen, ist die Anpassung an die modernen Theorien unausweichlich, wenn man eine zeitgemäße Analyse und Beschreibung von Argumenten beabsichtigt, seien diese auch aus historischen Texten entnommen. Darüber hinaus gibt die Studie wichtige Hinweise, wie Theologie analytisch und argumentativ-methodisch betrieben werden kann, statt sich in bloßen Beschreibungen historischer Positionen zu erschöpfen. Wir haben die Frage gestellt, ob die systematische Beschäftigung mit argumentationstheoretischen Fragen erst nach dem Einzug der aristotelischen Logik und Dialektik in das islamische Denken aufkam oder ob sie sogar eine autonome islamische Entwicklung darstellt. Für die erste Möglichkeit spricht die große Nähe der islamischen Logik zur aristotelischen; für die zweite Möglichkeit liefert Louis Gardet Hinweise, der die dialektische Struktur der arabischen Sprache als Beleg heranzieht.⁴ Zudem erwägt Wagner die Möglichkeit, die islamische Dialektik könnte aus der Rangstreitdichtung als einer Form der literarischen

³ Ausgenommen davon sind nur die Ergänzungsprämissen (siehe oben S. 249), die für die Rekonstruktion der Argumente jeweils nur herangezogen werden, soweit dies für die Schlüssigkeit der Argumente notwendig ist und soweit mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie den Vorstellungen und der Intention des Urhebers des jeweiligen Arguments entsprechen. ⁴ Gardet, »La dialectique« 116–130.

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munāẓara entstanden sein.⁵ Die Resultate, die aus der analytischen Betrachtung des Radds in der vorliegenden Untersuchung geschöpft werden konnten, zeigen jedoch, dass die erste Möglichkeit näher liegt, weil kein spezifisch islamischer Argumentationstyp erkannt wurde, der nicht schon in der griechischen Dialektik und Rhetorik vorgelegen hätte. Die vorliegende Studie bietet eine neue Analysemethode für Argumente der klassischen islamischen Theologie und den Versuch, die Methodenlehre des Kalāms praktisch wiederzubeleben. Eine argumentationstheoretische Analyse, die innerhalb der historischen arabischen Logikterminologie verbliebe, würde leicht beim bloßen Beschreiben stehen bleiben; erst die Analyse mittels der modernen Terminologie und Argumentationstheorie ermöglicht ein interpretierendes Verstehen der historischen Texte. Im Mittelpunkt dieser Studie steht daher statt der historischen islamischen Argumentationstheorie vielmehr die Beschreibung und Analyse von al-Jaʿfarīs praktischen Argumentationshandlungen aus heutiger argumentationstheoretischer Perspektive, weshalb die klassische islamische argumentationstheoretische Terminologie bestenfalls als Hilfswerkzeug dienen kann. Die Studie bietet der Forschung die Möglichkeit an, konkrete historische Argumentationen argumentationstheoretisch zu analysieren, zu bewerten und sie ggf. zu modifizieren. Ein wichtiges Resultat dieser Studie ist die Bereitstellung eines Prüfungsschemas für die systematische Evaluierung von theologischen Argumenten. Gemäß der erkenntnistheoretischen Argumentationstheorie besteht der Zweck von Argumentationen darin, zur Erkenntnis anzuleiten. Das Prüfungsschema behandelt folgende Punkte: (i.) Definitionsbereich, (ii.) Indikatorbedingung, (iii.) Akzeptabilitätsgarantie, (iv.) prinzipielle Adäquatheit und (v.) situative Adäquatheit. Dieses Prüfungsschema und die argumentationstheoretische Herangehensweise, die in dieser Untersuchung dargestellt wird, liefern vollständige Prüfkriterien, um theologische Argumente epistemisch zu analysieren. Sie bieten damit eine einmalige Forschungsmethode, die im modernen Kalām fehlt, und bilden in dieser Hinsicht ein wichtiges Angebot an die islamische systematische Theologie, die seit mindestens einem Jahrhundert vergeblich eine neue argumentative Methode sucht.⁶ Zudem kann die argumentationstheoretische Analyse, wie sie in dieser Studie vorgeführt wird, zu alternativen Interpretationen verhelfen, die mit klassischen Methoden nicht erkannt werden. Dazu werden in der Studie mehrere Beispiele geboten, wie etwa die Deutung der Opponenten des Jaʿfarī als Typologien. Die vorliegende Studie skizziert auch die argumentative Geschichte des Radds (Kapitel 3 und 4). Sie hat dabei zahlreiche Genres und Textgattungen identifiziert, die Radd-Material enthalten und argumentativ sind. Die Beispiele aus Argumenten und Themen des Radds wurden dabei so ausgewählt, dass

⁵ Vgl. Wagner, Rangstreitdichtung 442–443. ⁶ Vgl. die Diskussion um die neue islamische Dialektik (ʿilm al-kalām al-jadīd), beispielsweise Rifāʿī, Jadīd.

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die wichtigsten argumentativen Streitfragen in der Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie zur Erwähnung kommen. Diese Vielfalt wurde anhand von wichtigen Radd-Autoren und -Texten verdeutlicht. Diese Autoren waren Gelehrte, die nicht nur Radd-Texte verfasst haben, sondern vor allem innerislamisch gewirkt haben. Die Tatsache, dass viele klassische islamische Gelehrten sich auch im Rahmen des Radds zum Christentum betätigt haben, zeigt, dass die Auseinandersetzung mit dem Christentum oft inklusiv in die eigene Theologie aufgenommen wurde, wie am Beispiel des al-Juwāynī verdeutlicht wurde. Deshalb bietet sich die Studie auch als eine Einführung in den argumentativen Radd an und möchte weitere Forschungen auf diesem Feld anstoßen. Sie hat zudem festgestellt, dass Argumente im Radd oft explizit erkenntnistheoretisch orientiert sind, während im Koran oder in der Sunna eher implizite Argumente enthalten sind. Zentral ist das Ergebnis, dass die argumentative Disputation mit den Christen meist keine Schmähkritik darstellt, sondern eine intellektuelle, erkenntnistheoretisch ausgerichtete Begegnung ist, die ernsthaft das Ziel verfolgt, den Opponenten mit rationalen Argumenten zur Erkenntnis und Anerkennung der eigenen theologischen Lehren zu führen. In diesem Sinne wurde insbesondere das im Mittelpunkt dieser Studie stehende Werk Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī als erkenntnistheoretisch ausgerichtet bestimmt. Dazu entwickelte diese Untersuchung die argumentationstheoretische Forschungsmethode als eine geeignete Methode, um die Frage nach erkenntnistheoretischen Ansätzen in theologischen Argumenten fundiert zu bearbeiten und zu klären.

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī Ein Buch über die Widerlegung der Christen Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Erbarmers! Gelobt sei Gott, der das Lob verdient und des Lobes würdig ist. Und Frieden und Heil sei über unserem Gebieter Muḥammad, dem eindeutig Sprechenden mit deutlichen Aussagen. Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn, der Diener, welcher der Gnade Gottes des Erhabenen bedarf, Gott verzeihe ihm, sagte: Ich widmete mich den angesprochenen Themen, die die Franken geschickt hatten, um die Leute des Islams zu testen. Und ich habe diese (Fragen) untersucht; daraufhin fand ich heraus, dass diese, was den religiösen Nutzen angeht, ertraglos sind; und was den weltlichen Nutzen angeht, so sind sie auch ohne Vorteil.¹ Die von den Franken angesprochenen Thesen (Fragen) kommen den Märchen der Frauen und den Phantasien der Kinder an Ähnlichkeit sehr nahe; wie beispielsweise ihre Frage nach dem Wasser: Hat es Farbe oder Geschmack, oder nicht? Und (wie die Frage) nach dem Wesen von Wolken, Regen und Schnee: Was sind sie? Und (wie die Frage) nach den Träumen: Was sind sie? Und (wie die Frage) nach dem Embryo: Ist es ein Wesen aus dem Wasser [sc. Samen] des Vaters oder der Mutter oder aus dem Wasser von beiden gemeinsam? Und: Was ist der Grund dafür, dass einige Tiere mehr Kinder haben als andere Tiere? Was völlig bedeutungslos ist, ist ohne Weisheit. All diese Fragen hat schon eine Gruppe von schwachen Studierenden und jungen Wissenschaftlern unter unseren Gefährten beantwortet. Und wie kann denn eine behinderte² Zunge eine weise Rede hervorbringen; oder wie können denn blinde Herzen³ feine Wahrheiten begreifen?!

¹ Schon in seinem Kitāb al-ʿashr al-masāʾil al-musammā Bayān al-wāḍiḥ al-mashūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd macht al-Jaʿfarī seinen Opponenten diesen Vorwurf, dass die Fragen, die die Opponenten an den Islam richten, nutzlos sind (vgl. Bayān al-wāḍiḥ almashḥūd min faḍāʾiḥ al-Naṣārā wa-l-Yahūd, hg. von al-Luhībī 102). ² Arab. ‫ ;ﻏﻠﻒ‬wörtlich: verschleierte. ³ Koranisches Konzept, vgl. Koran 22:46: »Sind sie [d. h. die ungläubigen Zeitgenossen] denn nicht im Land umhergezogen mit einem Herzen, mit dem sie hätten verstehen, und mit Ohren, mit denen sie hätten hören können? (Aber nein, sie sind mit Blindheit geschlagen.)

§1 §2

§3

§4

§5

450 §6

§7

§8

§9

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und derjenige, der behauptet, dass sein Schöpfer, der Erhabene, sein ewiges und ruhmreiches Wort⁴ aus seiner ehrenvollen Glorie auf den Tiefpunkt der niedrigen Erde herabgesandt hat, hat sich von der Weisheit massiv entfernt. Demzufolge⁵ ist (das Wort) in den Bauch einer Frau von den Kindern Adams⁶ eingegangen und hat sich im Mutterleib neun Monate aufgehalten, ernährte sich mit dem Blut der Menstruation in der Dunkelheit der Trauer und empfand dieselben Wehen einer Mutter. Dann trat es aus ihrer Vagina als Kind heraus; und sie warf es auf die Erde und bedeckte es mit Lappen. Dann stillte sie es und umarmte es in ihrem Schoß. Sie übernahm seine Erziehung und Ausbildung, bis es heranwuchs und blühte. Und es sehnte sich nach männlichen Bewegungen.⁷ Und er [sc. Jesus] hielt sich unter den Juden länger als 30 Jahre auf, wobei sie [sc. die Juden] ihm Zauberei vorwarfen, ihn als uneheliches Kind bezeichneten und seine Mutter mit Ehebruch verleumdeten. Und als er ins Erwachsenenalter kam, rief er die Frauen und die Männer auf, ihn anzubeten. Eine Gruppe von den bösesten⁸ Juden suchten seine Feindschaft [sc. machten ihn zum Feind] dadurch, dass sie ihn verleugneten, seinen Körper zerrissen, sein Blut vergossen, ihn massiv beschimpften, ihn schmerzhaft schlugen und ihn dann durch die Kreuzigung töteten. Und sie erklärten ihn zum übelsten Dieb,⁹ dann wurde er in ein Grab im Boden gelegt und daraufhin begraben, nachdem ihm das Totentuch gespendet worden war und sich seine Gefährten von ihm getrennt hatten [sc. von ihm weggingen], und seine Anhänger ihn an die Feinde ausgeliefert hatten. Und (seitdem) wurde er zum verborgenen Geheimnis im Inneren der Erde. Und jener mächtige Gott wurde (somit wieder) nichtig. Das ist der Glaube der Christen von ihrem angebeteten Gott.¹⁰ Eigentlich reichen schon alleine diese Erzählungen, um sie abzulehnen. Du solltest jedoch wissen, dass diese Behauptungen erfunden sind; ein Glaube, dessen Stolz mit den Schwertern des Beweises des Islams widersprochen werden kann. Nicht die Augen sind (bei ihnen) blind [wörtl.: nicht der Blick ist (bei ihnen) blind], blind ist vielmehr das Herz (das sie) in der Brust (haben).« (Übersetzung nach Rudi Paret) ⁴ Getadelt werden hier die Christen, die lehren, dass Gottes Wort (Logos) in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden ist (vgl. etwa Johannes 1,14). ⁵ D. h. nach den Aussagen der Christen. ⁶ Gemeint ist Maria. ⁷ D. h. er hatte eine vollkommen herkömmliche menschliche Entwicklung. ⁸ Arab. ‫ﺃﺧﺴﺎء‬. ⁹ Es handelt sich hier um eine bildliche Darstellung, die die Art und Weise beschreiben soll, wie der Leichnam Jesu nach der Kreuzigung hingelegt wurde. Hier verwendet der Autor einen festen Ausdruck (‫)ﺛﺎﻟﺜﺔ ﺍﻷﺛﺎﻓﻰ‬, der wörtlich auf die drei Steine hindeutet, die die Araber nebeneinander in der Form eines Dreiecks zu legen pflegten, bevor sie dann einen Kochtopf daraufstellten. Im klassischen Arabisch wird dieser Ausdruck jedoch auch metaphorisch als schlimmer Vorwurf angewendet. Hier haben die Gegner Jesu ihn (zusätzlich) mit diesem Ausdruck beschimpft, d. h. ihn für ›den Übelsten‹ gehalten (vgl. Mucam al-maani al-cami). ¹⁰ Das bisher Dargestellte soll der Glaube der Christen gemäß al-Jaʿfarī sein, der im Folgenden widerlegt werden soll.

Kapitel I: Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn

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Und der Beweis (für die Ungültigkeit dieser Behauptungen) ist sowohl rational (maʿqūl) als auch schriftbezogen (manqūl) wie folgt möglich: Was die Vernunft angeht: Bei denen (den Christen) ist das Wort eine Eigenschaft des Wissens oder des Sprechens und es ist eine Eigenschaft des Geistes. Die Eigenschaften des Geistes trennen sich nicht von dem Wesen [sc. Essenz], das sie beschreiben. Würden wir das Gegenteil annehmen, würde das die Entstehung des Wortes erzwingen, da die Regionen der Erde (das Wort) enthielten. Denn wer ewig ist, kann nicht räumlich eingeschränkt sein [sc. nicht nichtumfassend sein¹¹]. Nach dem gleichen Muster können die Bewegung, die Fortbewegung, das Entleeren und das Funktionierenlassen betrachtet werden, denn diese Eigenschaften prägen die Entstehung der Welt. Somit wäre das Beweisen der Existenz des erhabenen Schöpfers unmöglich. Was die Überlieferung angeht: Die Tora und die Prophetien sind das Gesetz, welches die Israeliten von Mose bis in die Zeit Christi, Friede sei mit ihnen beiden, tradierten. In ihnen findet sich kein derartiger Unsinn. Ich habe diese Ansicht in meinem Buch Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl (»Die Beschämung desjenigen, der das Evangelium fälschte«) ausführlich erklärt und erläutert. Darin habe ich die Botschaften der Propheten und die alten Schriften als Beleg angeführt. Darin habe ich auch betont, dass kein vernünftiger Mensch diese unsinnige Aussage vertreten hat. Und nun stellen wir (unsererseits) ihnen [sc. den Christen] Fragen aus ihrem Evangelium und verlangen von ihnen eine (deutliche) Antwort.

§ 10 § 11

§ 12

Kapitel I: Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn

§ 13

Die Christen behaupten, dass der Messias ʿĪsā [sc. Jesus] Gottes Sohn und Gott sein Vater ist. Wir unterteilten deren Aussagen und sagen Folgendes: Dies kann ausschließlich folgende Bedeutungen haben: Entweder meint ihr (Christen) mit dem ›Sohn‹ den Körper des Messias und seine Leiche oder das Wort, welches diesen verkleidet und sich, gemäß eurer Behauptung, mit ihm vereinigt. Oder aber das Ganze (beides) als Sohn. Oder als bloße Bezeichnung, mit der ihn Gott benannt hat, um ihn zu ehren und seine Vorzüge sichtbar zu machen. Über die Sohnschaft gibt es keine andere – fünfte – Interpretationsmöglichkeit als diese vier Möglichkeiten. Wenn ihr das Erste meint, so ist es unmöglich, denn daraus würde sich notwendigerweise ergeben, dass der Ewige [sc. Gott] einen Körper gebären müsste. Und dementsprechend müsste er einen Körper wie sich selbst gebären. Und wenn der Ewige ein Körper wäre, so müsste er aus zwei oder sogar mehr Substanzen bestehen.

§ 14

¹¹ Gemäß al-Jaʿfarī: Wenn Christen das behaupten, müssten sie auch sagen, dass das Wort ewig sein müsste; was al-Jaʿfarī aus seiner Perspektive zu widerlegen versucht.

§ 15

§ 16

452 § 17

§ 18 § 19

§ 20

§ 21

§ 22

§ 23

§ 24 § 25

§ 26

§ 27

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

(Dagegen spricht:) Jedes Zusammengestellte benötigt notwendigerweise einen Zusammensteller, da es unmöglich ist, dass das Zusammengestellte sich selbst zusammenstellt und sich selbst zusammensetzt. So ist es ungültig, dass der Ewige ein Körper sein kann. Und ebenso: Der Ewige ist der, der in seiner Existenz keinen Anfang hat, die Existenz des Erschaffenen hingegen hat einen (erkennbaren) Beginn. Die Bewertung dessen, was für das Wesen eines Ewigen (an Eigenschaften) bestätigt wird, wird nicht zerteilt. Und wenn man sagen würde, dass sich vom Wesen Gottes ein erschaffener [sc. nicht ewiger] Teil trennen würde, so würde man von ihm [sc. seinem Wesen] zwei Eigenschaften ausschließen (mit denen das göttliche Wesen sich selbst beschrieben hat): Die Annahme der Trennung [oder: Zerteilung] und die Umwandlung der Seeleneigenschaft [sc. der Seelennatur]. Wenn ihr das Zweite meint [sc. dass Jesus Gottes Wort ist], so ist auch dieses unmöglich [sc. ungültig]. Denn das Wort ist bei euch die Hypostase [sc. die personifizierte Wesenheit] des Wissens und dieses ist eine Eigenschaft des Vaters. Und wenn das Wissen eine Selbsteigenschaft¹² des Vaters ist, wie könnte sie [sc. die Selbsteigenschaft] sich verzögern, bis er [sc. Gott] sie gebärt? Wobei er ihr in Hinblick auf seine Existenz nicht zuvorkommen kann, sondern mit ihr [sc. der Selbsteigenschaft] als die Hypostase des Lebens ewig zusammen existiert. Die Vernunft besagt, dass der Vater vor dem Sohn existieren muss. Wenn ihr mit der Existenz des Wortes die Eigenschaft des Wissens meint, dann setzt das voraus, dass der Ewige für das ›später Entstehende‹ [sc. nicht ewig existierende Eigenschaft] ein Rahmen ist. Ein weiterer Gesichtspunkt: Der Sinn einer Vereinigung wäre ja, dass die ewige göttliche Substanz sich auf den neuen [sc. erschaffenen] menschlichen Körper auswirkt [sc. in ihn eintritt]. Und wenn ihr an die spätere Existenz des Wortes glaubt, so wäre der Sinn einer Vereinigung nicht gegeben. Und wenn ihr (Folgendes) sagt: Das Wort ist von Ewigkeit her existierend, so wäre es sinnlos, dass es [sc. das Wort] geboren werden kann. Und die Bezeichnung des Ur-Ewigen als Sohn wäre unlogisches und unsinniges Gerede. Die Tatsache einerseits, dass er als Eigenschaft ›Sohn‹ genannt wird, und (die Tatsache) andererseits, dass er als Eigenschaft ›Vater‹ genannt wird – wobei dieser [sc. der Vater] nicht vorausgeht –, sind nicht prioritärer [sc. vorstellbarer] als die Eigenschaft (selbst), die ja nicht später entstehen kann. Wenn es (nun) nichtig ist, dass der Ur-Ewige seine ewige Eigenschaft selbst gebärt, und dass etwas Unkörperliches etwas Körperliches gebärt, dann wäre die (Art) Geburt, die ihr haben wollt, nichtig.

¹² Bzw. Seeleneigenschaft.

Kapitel I: Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn

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Wenn ihr das Dritte meint, so ist auch dieses wie bei den beiden anderen unmöglich [sc. ungültig], denn es wäre notwendig, dass der Ewige seine Eigenschaft und einen anderen erschaffenen neuen Köper gebärt. Und als ob ihr den Sohn als Wort nicht mochtet, so habt ihr ihm sogar einen menschlichen Körper hinzugefügt. Und da das ›Wort‹ nicht passend für die Bezeichnung der Sohnschaft war, so ist der Körper genauso unpassend dafür. Wenn ihr das Vierte meint, dass die Sohnschaft eine bloße Bezeichnung ist, die Gott Christus gegeben hat, um seine Vorzüge (verglichen mit anderen) hervorzuheben und um ihn besonders zu würdigen, dann antworten wir wie folgt: Was ist euer Beweis für die Authentizität dieser Überlieferung über Gott und seinen Propheten Christus? Wenn es das Evangelium ist und ihr sagt: »So spricht Christus am Ende des Evangeliums, wo es heißt:

§ 28

§ 29

§ 30

›Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.‹¹³

Außerdem sagt Gott im Evangelium: ›Dies ist mein geliebter Sohn‹.«¹⁴

Dann antworten wir darauf wie folgt: Nehmen wir an, dass die Authentizität dieser Überlieferung über Christus glaubhaft ist, warum streitet ihr dann die Aussage dessen ab, der behauptet, Gott habe diese Bezeichnung [sc. ›Sohn‹] auch anderen tugendhaften Dienern gegeben und Christus erst später nach anderen Menschen aus dem Volk Israel zukommen lassen? Ihr erzählt, dass Gott in der Tora zu Mose sagt:

§ 31

§ 32

»Gehe zum Pharao und sage ihm: ›So spricht der Herr zu dir: Israel ist mein erstgeborener Sohn; lass ihn ziehen, damit er mir dient! Wenn du meinen Erstgeborenen aber nicht weiterziehen lässt, werde ich deinen erstgeborenen Sohn töten.‹ «¹⁵

Und die Tora sagt:

§ 33

»Und als der Pharao ihn nicht weiterziehen ließ, wie Gott ihm befohlen hatte, tötete der Herr alle Erstgeburt im Land Ägypten vom Erstgeborenen des Pharao, der auf seinem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen.«¹⁶

Und die Christen glauben an diese Überlieferungen der Tora und leugnen in ihnen keinen einzigen Buchstaben. Sicherlich ist Jakob in dieser Bezeichnung der größere Sohn im Vergleich zu Christus.

¹³ Johannes 20,17: .‫ ﺍﻧﻰ ﺫﺍﻫﺐ ﺇﻟﻰ ﺃﺑﻰ ﻭﺃﺑﻴﻜﻢ ﻭﺍﻟﻬﻰ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺍﻧﻰ ﺻﺎﻋﺪ ﺇﻟﻰ ﺃﺑﻰ ﻭﺃﺑﻴﻜﻢ ﻭﺍﻟﻬﻰ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ¹⁴ Matthäus 3,17 (ähnlich Markus 1,11 und Lukas 3,22, mit Bezug auf Psalm 2,7): .‫ ﻫﺬﺍ ﺍﺑﻨﻰ ﺍﻟﺤﺒﻴﺐ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻫﺬﺍ ﻫﻮ ﺍﺑﻨﻰ ﺍﻟﺤﺒﻴﺐ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ¹⁵ Exodus 4,22–23. ¹⁶ Exodus 12,29.

§ 34

454 § 35

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und sie sagten: Gott hat im Zabūr (Psalmen) gesagt: »David ist mein lieber Sohn.« Das zeigt eine Gleichwertigkeit zwischen David und Christus; so wie es auch im Evangelium steht: »Dies ist mein geliebter Sohn«.¹⁷

§ 36

Und ihr sagtet: Gott sagte über den Propheten Jesaja: »Bewahrt mich in meinen Söhnen und Töchtern auf.«

§ 37

Und er sagte wieder: Gott sagte: »Ich habe Söhne (Kinder) erzogen, bis sie aufwuchsen.«¹⁸

§ 38 § 39

§ 40

Er meint also seine Diener unter den Israeliten. Wäre diese Bezeichnung als Sohn nur für Christus erwähnt worden, so wäre dies für die Christen ein Hinweis. Wir sind der Meinung, dass der Messias keinen Vorrang im Vergleich mit den anderen hat, denen diese Bezeichnung auch zugeschrieben wurde. Zudem sagt die Tora: »Als die Söhne Gottes die Töchter der Menschen sehr schön fanden, heirateten sie von ihnen so viele, wie sie wollten [oder: diejenigen, die sie wollten]. Und Gott sagte: ›Diese Generation bekommt meinen Segen nicht‹; dann (sagte Gott): ›Ich versenke sie in der Flut‹ [sc. dann versenkte Gott sie in der Flut].«¹⁹

§ 41 § 42

Und gemäß ihrer Behauptung hat er sie in der Tora als »seine Kinder«²⁰ bezeichnet. Und David sagt in seine Psalmen zu seinem Volk (Folgendes): »Ich sagte: Ihr seid Götter²¹ und ihr behauptet, Kinder des Höchsten zu sein.«²²

§ 43

Und Gott sagte in den Psalmen zu David (Folgendes): »Du bist mein Sohn und ich habe dich gezeugt, frage mich [sc. bitte mich um etwas/wünsche dir etwas], so antworte [sc. erfülle/verwirkliche] ich (es) dir.«²³

§ 44 § 45

Die Christen glauben an diese Aussagen und deren Richtigkeit. Wenn diese Angelegenheit so wäre, wie die Christen es behaupten [sc. dass der Messias Gottes Sohn ist], so meinen wir (jedoch), dass der Messias (nur) demselben Beispiel wie seine Vorgänger gefolgt ist.

¹⁷ Matthäus 3,17 (ähnlich Markus 1,11 und Lukas 3,22, mit Bezug auf Psalm 2,7): .‫ ﻫﺬﺍ ﺍﺑﻨﻰ ﺍﻟﺤﺒﻴﺐ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻫﺬﺍ ﻫﻮ ﺍﺑﻨﻰ ﺍﻟﺤﺒﻴﺐ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

¹⁸ Jesaja 1,2. ¹⁹ Genesis 6,1–2, 6,6 und (frei) 6,17. ²⁰ Wahrscheinlich ist Deuteronomium 14,1 gemeint. ²¹ Laut der Handschrift: »Ich habe euch Götter genannt«. ²² Psalm 82,6. ²³ Psalm 2,7–8.

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Allerdings glauben wir nicht an die Richtigkeit dieser Überlieferung über Christus und über seine reines [sc. wahres] Evangelium. Dies wird durch sein Gegenteil widerlegt, und zwar wie folgt: Der Beweis für dessen Ungültigkeit und Nicht-Authentizität findet sich in dem, was das Evangelium an Aussagen Christi und seiner Jünger, welche ihn begleitet, ihm gedient und von ihm gelernt haben, beinhaltet. Und es ist dasselbe, was Matthäus am Anfang seines Evangeliums erzählt. Er bezeugt, dass Christus Davids Sohn [sc. leiblicher Nachkomme] ist. Er sagt am Anfang seines Evangeliums in eigenen Worten (fī shahādatihi), wie gerade erwähnt:

§ 46 § 47 § 48

§ 49

»Das ist die Geburt des Messias Yasūʿ²⁴, Sohn des David«.²⁵

So bezeugt Matthäus, der der Erste ist, der ein Evangelium schrieb, dass Christus nicht Gottes Sohn ist, sondern Davids Sohn. Und es ist dasselbe, was Lukas am Anfang seines Evangeliums erzählt und bezeugt; er sagt:

§ 50 § 51

»Gott sandte Gabriel zu Maria, der Mutter des Messias, während sie in Nazareth war. Er grüßte sie und sagte: ›Freue dich!‹ «²⁶

Anschließend bezeugt Lukas genau das, was Matthäus bezeugt, und zwar, dass Christus Davids Sohn ist (und dass Maria einen Sohn gebären wird): »Du wirst einen Sohn gebären. Er wird ›Jesus der Messias‹ genannt. Gott wird ihn auf dem Thron seines Vaters David sitzen lassen.«²⁷

Zudem überliefert der heilige Markus (Ähnliches) im Evangelium, wo es heißt: »Christus und seine Jünger sind in den See gegangen, und eine große Menge folgte ihm. Und er heilte die Kranken unter ihnen. Und sie sagten: ›Du bist Gottes Sohn!‹²⁸ Und er untersagte ihnen es [sc. diese Zuschreibung].«²⁹

²⁴ Arab. ‫ﻳﺴﻮﻉ‬. ²⁵ Matthäus 1,1: .‫ ﻫﺬﺍ ﻣﻮﻟﺪ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺍﺑﻦ ﺩﺍﻭﻭﺩ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .(‫ )ﻛﺘﺎﺏ( ﻣﻴﻼﺩ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺑﻦ ﺩﺍﻭﺩ )ﺑﻦ ﺍﺑﺮﻫﻴﻢ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

²⁶ Lukas 1,26–28 (gekürzt): .‫ ﺍﺑﺸﺮﻯ‬:‫ ﻓﺴﻠﻢ ﻋﻠﻴﻬﺎ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻬﺎ‬,‫ ﻭﻫﻰ ﺑﺎﻟﻨﺎﺻﺮﺓ‬,‫ﺃﻡ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ‬, ‫ ﺍﻥ ﷲ ﺃﺭﺳﻞ ﺟﺒﺮﻳﻞ ﺇﻟﻰ ﻣﺮﻳﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻭﻓﻲ ﺍﻟﺸﻬﺮ ﺍﻟﺴﺎﺩﺱ ﺃﺭﺳﻞ ﺟﺒﺮﻳﻴﻞ ﺍﻟﻤﻠﻚ ﻣﻦ ﺍﻟﻤﻠﻚ ﻣﻦ ﻋﻨﺪ ﷲ ﺇﻟﻰ ﻣﺪﻳﻨﺔ ﻓﻲ ﺍﻟﺠﻠﻴﻞ ﺗﺴﻤﻰ ﻧﺎﺻﺮﺓ ﺇﻟﻰ ﻋﻨﺪ ﻋﺬﺭﺍ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ .‫ ﺍﻓﺮﺣﻰ ﻳﺎ ﻣﻤﺘﻠﻴﺔ ﻧﻌﻤﺔ ﺍﻟﺮﺏ ﻣﻌﻚ‬:‫ ﻓﻠﻤﺎ ﺩﺧﻞ ﺇﻟﻴﻬﺎ ﺍﻟﻤﻠﻚ ﻗﺎﻝ ﻟﻬﺎ‬.‫ﺧﻄﻴﺒﺔ ﻟﺮﺟﻞ ﺍﺳﻤﻪ ﻳﻮﺳﻒ ﻣﻦ ﺑﻴﺖ ﺩﺍﻭﺩ ﻭﺍﺳﻢ ﺍﻟﻌﺬﺭﺍ ﻣﺮﻳﻢ‬ ²⁷ Nach Lukas 21,31–32. ²⁸ Die Übersetzung folgt dem Text der Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, fol. 10b. Ḥasanayn fasst diese Aussage dagegen als Frage auf, sodass gemäß seiner Edition »Bist du Gottes Sohn?« zu übersetzen wäre. ²⁹ Nach Markus 3,7.10–12 (gekürzt): ‫ ﺃﻧﺖ‬:‫ ﻓﺠﻌﻠﻮﺍ ﻳﺰﺩﺣﻤﻮﻥ ﻋﻠﻴﻪ ﻭﻳﻘﻮﻟﻮﻥ‬٬‫ ﻭﺷﻔﺎﻫﻢ‬٬‫ ﺧﺮﺝ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﻭﺗﻼﻣﻴﺬﻩ ﺇﻟﻰ ﺍﻟﺒﺤﺮ ﻭﺗﺒﻌﻪ ﺟﻤﻊ ﻛﺜﻴﺮ ﻓﺄﺑﺮﺃ ﺃﻋﻼﻟﻬﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﻜﺎﻥ ﻳﻨﻬﺎﻫﻢ‬٬‫ﺍﺑﻦ ﷲ ؟‬ ‫ ﻓﺎﻣﺎ ﻳﺴﻮﻉ ﻭﺗﻼﻣﻴﺬﻩ ﻓﺎﻧﻄﻠﻖ ﺇﻟﻰ ﺍﻟﺒﺤﺮ ﻭﺗﺒﻌﻪ ﺟﻤﻊ ﻛﺒﻴﺮ ﻣﻦ ﻳﻬﻮﺫﺍ ﻭ ﻣﻦ ﺍﻟﺠﻠﻴﻞ ]…[ ﻓﺎﺑﺮﺍ ﻛﺜﻴﺮﻳﻦ ﻭﻛﺎﻧﻮﺍ ﻳﺰﺩﺣﻤﻮﻥ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ٬!‫ ﻭﺍﺭﻭﺍﺡ ﻧﺠﺴﺔ ﻛﺎﻧﻮﺍ ﺇﺫﺍ )ﺍﺩﺍ( ﺭﺍﻭﻩ ﺳﻘﻄﻮﺍ ﻗﺪﺍﻣﻪ ﻗﺎﻳﻠﻴﻦ ﺃﻧﺖ ﻫﻮ ﺍﺑﻦ ﷲ‬.‫ ﻭﺍﻟﺬﻳﻦ ﻛﺎﻧﺖ ﺑﻬﻢ ﺍﻣﺮﺍﺽ‬.‫ﻋﻠﻴﻪ ﺣﺘﻰ ﻳﻘﻌﻮﺍ ﻟﻴﻠﻤﺴﻮﻩ‬ .‫ﻓﻜﺎﻥ ﻳﻨﻬﺎﻫﻢ ﻛﺜﻴﺮﺍ ﺇﻻ ﻳﻈﻬﺮﻭﺍ ﻓﻌﻠﻪ‬

§ 52

456 § 53

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und Lukas sagt: »Jeder, der einen Kranken hatte, kam mit ihm zu Christus, der die Hand auf ihn legte, und dieser heilte (den Kranken) sofort. Daraufhin sagt er [sc. der Geheilte]: ›Du bist Gottes Sohn!‹ Er [sc. Jesus] pflegte jedoch sie [sc. die, die diese Zuschreibung machten] abzuweisen und ließ sie dies nicht sagen.«³⁰

§ 54

§ 55

§ 56 § 57

§ 58

§ 59

Dieses Evangelium leugnet (also) das ab, was über Christus gesagt wird. Die Aussagen seiner Jünger und tugendhaften Gefährten bezeugen, dass er Davids Sohn ist und nicht (der Sohn) eines anderen. Da nun diese beiden Überlieferungen nichtig sind, so gibt es auch keine Sohnschaft.³¹ Und selbst wenn diese (beiden) gültig wären, so müsste eine dieser beiden Überlieferungen ausgelegt werden, von der scheinbaren Bedeutung entfernt und auf die Bedeutung der Auserwählung, der Auswahl und der Bestimmung (Jesu) zur Dienerschaft und zum Dienst (Gottes) übertragen werden. Mit seinen Worten im Evangelium: »Dieser ist mein Sohn«³² meint Gott der Erhabene: »Mein Diener und mein Geliebter«. Die Bezeichnung ›Sohnschaft‹ (al-bunuwwa) wird auch übertragen für die Dienerschaft (al-ʿubūdiyya) und die Anstrengung im Dienste (Gottes) verwendet. Und der Beleg (al-dalīl) für diese übertragene Verwendung ist, dass es [sc. das Wort ›Sohn‹] in den Büchern der Christen in den meisten (ghāliban) Fällen in dieser Bedeutung gebraucht wird. Wenn die Sohnschaft in einigen Überlieferungen allgemeiner dargestellt werden kann, dann muss das Allgemeine auf das Eingeschränkte übertragen werden.³³ Der Beweis dafür aus der Tora ist folgende Aussage Gottes, des Erhabenen: »Oh Mose, sage dem Pharao: ›Der Herr Gott sagt zu dir: Israel ist mein erstgeborener Sohn, schicke ihn, damit er mich anbetet.‹ «³⁴

§ 60

Der Sohn wird (hier) als Diener interpretiert. Und er erklärt, dass Israel ein gehorsamer Diener ist, der sich dem Dienste Gottes widmet und ihn anbetet. Und was die Psalmen angeht, so sagt Gott in ihnen zu David (Folgendes):

³⁰ Nach Lukas 4,40–41 (gekürzt): ‫ ﻓﻜﺎﻥ ﻳﻨﻬﺮﻫﻢ ﻭﻻ ﻳﺪﻋﻬﻢ ﻳﻨﻄﻘﻮﻥ‬٬‫ ﺃﻧﺖ ﺍﺑﻦ ﷲ‬:‫ ﻛﺎﻥ ﻛﻞ ﻣﻦ ﻟﻪ ﻣﺮﻳﺾ ﻳﺄﺗﻰ ﺑﻪ ﺇﻟﻰ ﻳﺴﻮﻉ ﻓﻴﻀﻊ ﻳﺪﻩ ﻋﻠﻴﻪ ﻓﻴﺒﺮﺃ ﻓﻴﻘﻮﻝ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ﺑﻬﺬﺍ‬ ‫ ﻓﻠﻤﺎ ﻏﺮﺑﺖ ﺍﻟﺸﻤﺲ ﻛﺎﻥ ﻛﻞ ﺍﻟﺬﻳﻦ ﻋﻨﺪﻫﻢ ﻣﺮﺿﻰ ﺑﺎﺻﻨﺎﻑ ﺍﻻﻭﺟﺎﻉ ﺟﺎﻭﺍ ﺑﻬﻢ ﺇﻟﻴﻪ ﻭﻛﺎﻥ ﻳﺼﻨﻊ ﻳﺪﻩ ﻋﻠﻰ ﻭﺍﺣﺪ ﻭﺍﺣﺪ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ﻣﻨﻬﻢ ﻓﻴﺸﻔﻴﻪ ﻭﻛﺎﻧﺖ ﺍﻟﺸﻴﻄﺎﻳﻦ ﺃﻳﻀﺎ ﺗﺨﺮﺝ ﻣﻦ ﻛﺜﻴﺮ ﻭﺗﺼﺮﺥ ﻭﺗﻘﻮﻝ ﺃﻧﺖ ﻫﻮ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺑﻦ ﷲ ﻭﻛﺎﻥ ﻳﻨﺘﻬﺮﻫﻢ ﻭﻻ ﻳﺪﻋﻬﻢ ﻳﻨﻄﻘﻮﻥ‬ .‫ﺑﻬﺬﺍ ﻷﻧﻬﻢ ﻳﻌﺮﻓﻮﻥ ﺃﻧﻪ ﻫﻮ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ‬ ³¹ Alternativ als Konditionalsatz: »Wenn diese beiden Überlieferungen nichtig wären, gäbe es auch keine Gottessohnschaft.« Gemeint ist die Auffassung Jesu als Gottes Sohn (vgl. dazu die in diesem Abschnitt sowie in Abschnitt 9.2 behandelten Argumente). ³² Matthäus 3,17, Markus 1,11, Lukas 3,22, mit Bezug auf Psalm 2,7. ³³ D. h., die Sohnschaft an sich muss als Sohnschaft im Sinne von Dienerschaft verstanden werden, wenn die wörtliche (leibliche, biologische) Bedeutung nicht in Frage kommt. ³⁴ Exodus 4,22–23.

Kapitel I: Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn

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»Du bist mein Sohn und heute habe ich dich gezeugt. Bitte mich, so gebe ich dir.«³⁵

Er hat auf die Dienerschaft dadurch hingewiesen, dass David ihn um etwas bittet [sc. sich von ihm demütig etwas wünscht]. Und Christus sagte im Evangelium:

§ 61 § 62

»Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.«³⁶

Christus erklärt damit, dass er ein Mensch ist und Diener Gottes: Christus hat einen Gott, dem er dient und zu dem er sich begibt. Und Paulus sagt am Beginn seines fünften Briefes an seine Brüder:

§ 63 § 64

»Seitdem ich von eurem Glauben gehört habe, höre ich nicht auf, für euch in meinen Gebeten zu beten, dass der Gott meines Herrn Christi des Messias euch den Geist der Weisheit und Offenbarung gebe und die Augen eurer Herzen [sc. den Kern/die Essenz eures Herzens] erleuchte.«³⁷

Hier bezeugt Paulus ebenfalls die Dienerschaft des Messias. Christus sagt zudem im Evangelium:

§ 65

»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«³⁸

Zudem bezeugt das Evangelium Christi Fasten; er hat gebetet und Gott gedient, somit musste er sich an religiöse Pflichten halten. All dies sind Beweise für den Irrtum der Christen über Christus. Wir haben das Evangelium von Anfang bis Ende sorgfältig gelesen. Wir haben es gründlich untersucht, Buchstabe für Buchstabe, und haben in ihm keinen Vorrang des Messias im Vergleich zu seinen Gefährten [sc. den Propheten]³⁹ und seinen späteren Anhängern in Bezug auf diese Bezeichnung (der Sohnschaft) gefunden. Und du wirst es wissen, aufgrund dessen, was ich dir im Folgenden schreiben werde. Matthäus sagte in seinem Evangelium: »Die Steuereinnehmer kamen zu Petrus und fragten: ›Zahlt euer Lehrer nicht die Steuer?‹ Petrus teilte dies dem Messias mit. Der Messias sagte daraufhin: ›Die Söhne verrichten auch die Steuer. Gehe an den See und wirf die Angel aus. Dem ersten Fisch, den du fängst, öffne das Maul. Und nimm das daraus, was für deine und meine Abgabe ausreicht.‹ «⁴⁰

³⁵ Psalm 2,7–8. ³⁶ Johannes 20,17: .‫ ﺍﻧﻰ ﺫﺍﻫﺐ ﺇﻟﻰ ﺃﺑﻰ ﻭﺃﺑﻴﻜﻢ ﻭﺍﻟﻬﻰ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺍﻧﻰ ﺻﺎﻋﺪ ﺇﻟﻰ ﺃﺑﻰ ﻭﺃﺑﻴﻜﻢ ﻭﺍﻟﻬﻰ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

³⁷ Epheser 1,15–17. ³⁸ Matthäus 27,46 und Parallelen (Zitat aus Psalm 22,2): .‫ ﻟﻢ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬٬‫ﺍﻟﻬﻰ ﺍﻟﻬﻰ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬٬‫ ﺍﻟﻬﻰ ﺍﻟﻬﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ³⁹ Im Original aṣḥāb, was ›Genossen‹ oder ›Propheten‹ bedeuten kann. ⁴⁰ Matthäus 17,24–27 (etwas gekürzt): ‫ ﻭﺍﻟﺒﻨﻮﻥ‬:‫ ﻓﻘﺎﻝ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ‬.‫ ﻣﺎ ﺑﺎﻝ ﻣﻌﻠﻜﻢ ﻻ ﻳﺆﺩﻯ ﺍﻟﺠﺰﻳﺔ ؟ ﻓﻘﺎﻝ ﺫﻟﻚ ﺑﻄﺮﺱ ﻟﻠﻤﺴﻴﺢ‬:‫ ﺍﻥ ﺟﺒﺎﺓ ﺍﻟﺠﺰﻳﺔ ﺃﺗﻮﺍ ﺑﻄﺮﺱ ﻓﻘﺎﻟﻮﺍ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﺄﻭﻝ ﺣﻮﺕ ﺗﺮﻓﻌﻪ ﺍﻓﺘﺢ ﻓﺎﻩ ﻭﺧﺬ ﻣﻨﻪ ﻣﺎ ﺗﺆﺩﻯ ﻋﻨﻰ ﻭﻋﻨﻚ‬٬ ‫ ﻭﺃﻟﻖ ﺍﻟﺸﺺ‬٬ ‫ ﺍﺫﻫﺐ ﺍﻟﻰ ﺍﻟﺒﺤﺮ‬.‫ﺃﻳﻀﺎ ﺗﺆﺩﻯ ﺍﻟﺠﺰﻳﺔ‬

§ 66

§ 67

§ 68

458 § 69 § 70

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Matthäus und Paulus bezeugen hier, dass Christus und andere in der Bezeichnung der Sohnschaft gleichgestellt sind. Matthäus sagte, dass Christus (Folgendes) sagte: »Liebt eure Feinde und betet für alle, die euch verfluchen. Und seid gut zu denen, die euch hassen. Seid Freunde zu denen, die euch vertreiben, damit ihr die Söhne des Ostens und seine Sonne [sc. Licht] über den Guten und Bösen werdet. Und (damit ihr) sein Regen [sc. Segen] zugleich für die Wahrhaftigen und Ungerechten seid.«⁴¹

§ 71

Und Christus sagte: »Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater, denn Er ist vollkommen. Verliert nicht eure tugendhaften Taten vor den Menschen, indem ihr ihnen gegenüber scheinheilig seid, sodass eure Belohnung bei eurem Vater, der im Himmel ist, nichtig wird.«⁴²

§ 72

Und Christus sagte: »Wenn du beten willst, geh in dein Zimmer, schließ die Tür hinter dir zu und bete im Geheimen zu deinem Vater. Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird dich dafür offen belohnen.«⁴³

§ 73

Und Christus sagte: »Wenn ihr betet, dann sagt: Unser Vater, der im Himmel ist. Geheiligt werden soll dein Name« (usw.).⁴⁴

§ 74

Und Paulus, ein echter Christ und ein Prediger der Christen, der von den Christen als Paulus der Gesandte [sc. Apostel] bezeichnet wird, bezeugt, dass vom ersten bis zum letzten Menschen alle Gottes Söhne sind; Gute so wie Schlechte unter ihnen. Paulus sagte in seinem fünften Brief: ‫]ﻓﻘﺎﻝ ﻧﻌﻢ[ ﻭﺟﺎء‬.[‫ ﻭﺟﺎء ﺇﻟﻰ ﻛﻔﺮﻧﺎﺣﻮﻡ ﻓﺠﺎء ﺍﻟﺠﺒﺎﺓ ﺍﻟﻰ ﺑﻄﺮﺱ ﻓﻘﺎﻟﻮﺍ ﻟﻪ ﻣﻌﻠﻤﻜﻢ )ﻣﻌﻠﻜﻢ( ﻣﺎ ﻳﻮﺩﻱ ﺍﻟﻤﻐﺮﻡ ]ﻕ ﺍﻟﺠﺰﻳﺔ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ‬.‫ ﺍﻣﻦ ﺍﻟﺒﻨﻴﻦ ﺍﻭ ﻣﻦ ﺍﻟﻐﺮﺑﺎء‬.‫ﺍﻟﻰ ﺍﻟﺒﻴﺖ ﻓﺒﺪﺍﻩ ﻳﺴﻮﻉ ﻭﻗﺎﻝ ﻣﺎ ﺗﻈﻦ ﻳﺎ ﺳﻤﻌﺎﻥ ﻣﻠﻮﻙ ﺍﻻﺭﺽ ﻣﻤﻦ ﻳﺎﺧﺬﻭﻥ ﺍﻟﺨﺮﺍﺝ ﻭﺍﻟﺠﺰﻳﺔ‬ ‫ ﻟﻜﻦ ﻟﻴﻼ ﻳﺸﻜﻜﻬﻢ ﺍﻣﺾ ﺍﻟﻰ ﺍﻟﺒﺤﺮ ﻭﺍﻟﻖ ﺍﻟﺼﻨﺎﺭﺓ ﻓﺎﻭﻝ ﺣﻮﺕ ﺗﺮﻓﻌﻪ ﺍﻓﺘﺢ‬.‫ﺑﻄﺮﺱ ﻣﻦ ﺍﻟﻐﺮﺑﺎء ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻥ ﺍﻟﺒﻨﻴﻦ ﺍﺣﺮﺍﺭ‬ .‫ﻓﺎﻩ ﺗﺠﺪ ﻓﻴﻪ ﺍﺳﻄﺎﺛﻴﺮﺍ ﺧﺬﻫﺎ ﻭﺍﻋﻄﻬﻢ ﻋﻨﻰ ﻭﻋﻨﻚ‬ ⁴¹ Matthäus 5,44–47 (erweitert): ‫ ﻭﺻﻠﻮﺍ ﻣﻦ ﻳﻄﺮﺩﻛﻢ ﻟﻜﻴﻤﺎ ﺗﻜﻮﻧﻮﺍ ﺃﺑﻨﺎء ﺍﻟﻤﺸﺮﻕ ﺷﻤﺴﻪ‬٬ ‫ ﻭﺃﺣﺴﻨﻮﺍ ﺍﻟﻰ ﻣﻦ ﺃﺑﻐﻀﻜﻢ‬٬‫ ﻭﺑﺎﺭﻛﻮﺍ ﻋﻠﻰ ﻻﻋﻨﻴﻜﻢ‬٬‫ ﺃﺣﺒﻮﺍ ﺃﻋﺪﺍءﻛﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﺍﻟﻤﻄﺮ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﺼﺪﻳﻘﻴﻦ ﻭﺍﻟﻈﺎﻟﻤﻴﻦ‬٬‫ﻋﻠﻰ ﺍﻷﺧﻴﺎﺭ ﻭﺍﻷﺷﺮﺍﺭ‬ ‫ ﻭﺍﻧﺎ ﺍﻗﻮﻝ ﻟﻜﻢ ﺣﺒﻮﺍ ﺍﻋﺪﺍﻛﻢ ﻭﺑﺎﺭﻛﻮﺍ ﻋﻠﻰ ﻻﻋﻨﻴﻜﻢ ﻭﺍﺣﺴﻨﻮﺍ ﺍﻟﻰ ﻣﻦ ﺍﺑﻐﻀﻜﻢ ]ﺑﻴﻦ ﺍﻟﻌﻼﻣﺘﻴﻦ ﻟﻴﺲ ﻓﻰ ﺍﻟﻘﺒﻄﻰ[ ﻭﺻﻠﻮﺍ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ﻋﻠﻰ ﻣﻦ ﻳﻄﺮﺩﻛﻢ ﻭﻳﺤﺰﻧﻜﻢ ﻟﻜﻴﻤﺎ ﺗﻜﻮﻧﻮﺍ ﺑﻨﻰ ﺍﺑﻴﻜﻢ ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻰ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ ﻻﻧﻪ ﺍﻟﻤﺸﺮﻕ ﺷﻤﺴﻪ ﻋﻠﻰ ﺍﻻﺧﻴﺎﺭ ﻭﺍﻻﺷﺮﺍﺭ ﻭﺍﻟﻤﻤﻄﺮ‬ .‫ﻋﻠﻰ ﺍﻟﺼﺪﻳﻘﻴﻦ ﻭﺍﻟﻈﺎﻟﻤﻴﻦ‬ ⁴² Matthäus 5,48–6,1: ‫ ﻓﻴﺤﺒﻂ ﺃﺟﺮﻛﻢ ﻋﻨﺪ ﺃﺑﻴﻜﻢ ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻲ‬٬ ‫ ﻭﻻ ﺗﻀﻴﻌﻮﺍ ﺑﺮﻛﻢ ﻗﺪﺍﻡ ﺍﻟﻨﺎﺱ ﻟﻜﻰ ﺗﺮﺍﺅﻭﻧﻬﻢ‬٬ ‫ ﻓﻬﻮ ﻛﺎﻣﻞ‬٬ ‫ ﻛﻮﻧﻮﺍ ﻛﺎﻣﻠﻴﻦ ﻣﺜﻞ ﺃﺑﻴﻜﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ‬ ‫ ﺍﻧﻈﺮﻭﺍ ﻻ ﺗﺼﻨﻌﻮﺍ ﻣﺮﺍﺣﻤﻜﻢ ﻗﺪﺍﻡ ﺍﻟﻨﺎﺱ ﻟﻜﻰ ﻳﺮﻭﻛﻢ ﻓﻠﻴﺲ ﻟﻜﻢ ﺍﺟﺮ‬.‫ ﻛﻮﻧﻮﺍ ﺍﻧﺘﻢ ﻛﺎﻣﻠﻴﻦ ﻣﺜﻞ ﺍﺑﻴﻜﻢ ﺍﻟﺴﻤﺎﻳﻰ ﻓﻬﻮ ﻛﺎﻣﻞ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ .‫ﻋﻨﺪ ﺍﺑﻴﻜﻢ ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻰ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ‬ ⁴³ Matthäus 6,6: .‫ ﻋﻼﻧﻴﺔ‬/ ‫ ﻭﺃﺑﻮﻙ ﻳﺮﻯ ﺍﻟﺴﺮ ﻓﻴﺠﺰﻳﻚ‬٬ ‫ ﻭﺻﻞ ﻷﺑﻴﻚ ﺳﺮﺍ‬٬‫ ﻭﺃﻏﻠﻖ ﺑﺎﺑﻚ‬٬‫ ﺍﺫﺍ ﺻﻠﻴﺖ ﻓﺎﺩﺧﻞ ﺍﻟﻰ ﻣﺨﺪﻋﻚ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﺍﻧﺖ ﺍﺫﺍ ﺻﻠﻴﺖ ﻓﺎﺩﺧﻞ ﺍﻟﻰ ﻣﺨﺪﻋﻚ ﻭﺍﻏﻠﻖ ﺑﺎﺑﻚ ﻋﻠﻴﻚ ﻭﺻﻞ ﻻﺑﻴﻚ ﺳﺮﺍ ﻭﺍﺑﻮﻙ ﻳﺮﻯ ﺍﻟﺴﺮ ﻓﻴﻌﻄﻴﻚ ﻋﻼﻧﻴﺔ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ⁴⁴ Matthäus 6,9: .‫ ﺍﻟﻰ ﺁﺧﺮ ﺍﻟﺴﻮﺭﺓ‬٬‫ ﻗﺪﻭﺱ ﺍﺳﻤﻚ‬:‫ ﻳﺎ ﺃﺑﺎﻧﺎ ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻰ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ‬: ‫ ﺍﺫﺍ ﺻﻠﻴﺘﻢ ﻓﻘﻮﻟﻮﺍ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺍﺑﺎﻧﺎ ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻰ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ ﻗﺪﻭﺱ ﺍﺳﻤﻚ‬.‫ ﻭﻫﻜﺬﺍ ﺗﺼﻠﻮﻥ ﺍﻧﺘﻢ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

Kapitel I: Die Widerlegung der Aussage, Jesus Christus sei Gottes Sohn

459

»Hütet euch vor Torheit, Beleidigung und Verfluchung, denn der Ehebrecher, die Ehebrecherin, der Dreckige und der Ungerechte [sc. der Tyrann] sind wie Götzenanbeter, denen kein Anteil an Gottes Besitz zusteht. Vermeidet diese Übel, denn die Strafe Gottes gegen die Kinder, die ihm nicht gehorchen, entsteht daraus [sc. aus diesen Übeln]. Also hütet euch, deren Komplizen zu sein, denn ihr wart im Dunkeln, also folgt jetzt dem Weg der Kinder des Lichts.«⁴⁵

Diese Aussagen Jesu, die seiner Gefährten und die der Überlieferer seines Gesetzes demonstrieren deutlich die Übertragung der ›Sohnschaft‹ auf alle Diener und Geschöpfe Gottes. Und Johannes der Evangelist sagt im zweiten Kapitel seines ersten Briefes:

§ 75

§ 76

»Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat, dass wir Gottes Kinder heißen.«⁴⁶

Und im dritten Kapitel sagt er:

§ 77

»Oh ihr Lieben, wir sind jetzt Kinder Gottes, denn er hat uns zu seinen Kindern erklärt; so müssen wir ihm also so viel Verehrung gewähren, wie er es verdient.«⁴⁷

Hier sagt Johannes der Evangelist, dass die Sohnschaft aus der Dienerschaft gegenüber Gottes besteht und der Bemühung im Dienste Gottes. Und Johannes sagt im dritten Kapitel seines ersten Briefes:

§ 78 § 79

»Jeder, der aus Gott geboren ist, begeht keine Sünde, denn sein Samen [sc. Saat] bleibt in ihm; und er kann somit nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist. Daran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels zu erkennen.«⁴⁸

Diese (solche) (Aussagen) sind im Evangelium und in den Worten der Jünger, welche die Gefährten Christi sind, unzählbar viele vorhanden. Kann dann überhaupt noch – nach dieser Argumentation – für Christus, Friede mit ihm, irgendeine Besonderheit (Priorität) bezüglich der Sohnschaft behauptet werden? Und Paulus sagt in seinem Brief an die römischen Könige: »Der Geist bezeugt uns, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn wir aber seine Kinder sind, so sind wir auch seine Erben.«⁴⁹

⁴⁵ Offenbar nach Epheser 5,3–8 (vgl. Kolosser 3,5–8): ‫ ﺍﺣﺬﺭﻭﺍ‬.‫ ﻓﺎﻥ ﺍﻟﺰﺍﻧﻰ ﻭﺍﻟﺰﺍﻧﻴﺔ ﻭﺍﻟﻨﺠﺲ ﻭﺍﻟﻐﺎﺷﻢ ﻛﻌﺎﺑﺪ ﺍﻟﻮﺛﻦ ﻻ ﻧﺼﻴﺐ ﻟﻪ ﻓﻰ ﻣﻠﻜﻮﺕ ﷲ‬٬ ‫ ﺃﻳﺎﻛﻢ ﻭﺍﻟﺴﻔﻪ ﻭﺍﻟﺴﺐ ﻭﺍﻟﻠﻌﻦ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻓﻘﺪ ﻛﻨﺘﻢ ﻓﻰ ﻅﻠﻤﺔ ﻓﺎﺗﺒﻌﻮﺍ‬٬ ‫ ﺷﺮﻛﺎء ﻟﻬﻢ‬/ ‫ ﻓﻤﻦ ﺃﺟﻠﻬﺎ ﻳﺄﺗﻰ ﺭﺟﺰ ﷲ ﻋﻠﻰ ﺍﻷﺑﻨﺎء ﺍﻟﺬﻳﻦ ﻻ ﻳﻄﻴﻌﻮﻧﻪ ﻓﺎﻳﺎﻛﻢ ﺃﻥ ﺗﻜﻮﻧﻮﺍ‬٬ ‫ﻫﺬﻩ ﺍﻟﺸﺮﻭﺭ‬ .‫ﺍﻵﻥ ﺳﻌﻰ ﺃﺑﻨﺎء ﺍﻟﻨﻮﺭ‬ ⁴⁶ 1. Johannes 3,1: .‫ ﺍﻧﻈﺮﻭﺍ ﺍﻟﻰ ﻣﺤﺒﺔ ﺍﻷﺏ ﻟﻨﺎ ﻛﻴﻒ ﺃﻋﻄﺎﻧﺎ ﺃﻥ ﻧﺪﻋﻰ ﻟﻪ ﺃﺑﻨﺎء‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ⁴⁷ 1. Johannes 3,2: .‫ ﻓﻴﻨﺒﻐﻰ ﻟﻨﺎ ﺃﻥ ﻧﻨﺰﻟﻪ ﻣﻦ ﺍﻻﺟﻼﻝ ﻋﻠﻰ ﻣﺎ ﻳﻠﻴﻖ ﺑﻪ‬٬ ‫ ﻓﻘﺪ ﺗﺒﻨﻦ ﺑﻨﺎ‬٬ ‫ ﺍﻵﻥ ﺻﺮﻧﺎ ﺃﺑﻨﺎء ﷲ‬٬ ‫ ﺃﻳﻬﺎ ﺍﻷﺣﺒﺎﺭ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ⁴⁸ 1. Johannes 3,10: ‫ ﻭﺑﻬﺬﺍ‬٬ ‫ ﻷﻧﻪ ﻣﻮﻟﻮﺩ ﻣﻦ ﷲ‬٬ ‫ ﻓﻠﻦ ﻳﺴﺘﻄﻴﻊ ﺃﻥ ﻳﺨﻄﻲء‬٬ ‫ ﻓﺎﻥ ﺯﺭﻋﻪ ﺛﺎﺑﺖ ﻓﻴﻪ‬٬ ‫ ﺍﻥ ﻛﻞ ﻣﻦ ﻭﻟﺪ ﻣﻦ ﷲ ﻓﻠﻦ ﻳﻌﻤﻞ ﺧﻄﻴﺌﺔ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ﻳﺘﺒﻴﻦ ﺃﺑﻨﺎء ﷲ ﻣﻦ ﺃﺑﻨﺎء ﺍﻟﺸﻴﻄﺎﻥ‬ ⁴⁹ Römer 8,16–17: .‫ ﻓﺎﺫﺍ ﻛﻨﺎ ﺃﺑﻨﺎءﻩ ﻓﻨﺤﻦ ﻭﺭﺛﺘﻪ‬٬ ‫ ﺍﻥ ﺍﻟﺮﻭﺡ ﻳﺸﻬﺪ ﻟﻨﺎ ﺃﻧﺎ ﺃﺑﻨﺎء ﷲ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬

§ 80

§ 81

460 § 82

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und er sagt auch: »Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Erscheinen der Söhne Gottes.«⁵⁰

§ 83

Paulus sagt in seinem zweiten Brief: »Denn Gott hat gesagt: Ich will bei ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Und sie sind für mich wie [sc. gleichwertige] Söhne und Töchter.«⁵¹

§ 84

§ 85

Haben denn die Christen Israel angebetet, weil er der älteste Sohn war,⁵² oder David, weil er ein »lieber Sohn« war? Oder haben andere – die wir erwähnt haben – etwa andere angebetet, weil sie Söhne und Töchter waren? Ihre Argumente sind somit unterbunden und zerbrochen und die Bezeichnung der Sohnschaft geht ihnen aus ihren Händen verloren. Wenn also die Geburt und die Sohnschaft Christi eine rationale (logische) Erklärung hätten, dann würde dies erfordern, dass sie [sc. die Christen] ihn als Herrn benennen und nur ihn anbeten. Wenn sie [sc. die Christen] ein gutes Argument diesbezüglich fänden – außer jenem, das wir am Anfang der Argumentation ausgeführt haben –, dann sollen sie das vorlegen; aber (das wird) vergebens (sein)! Und Gott weiß am besten Bescheid.

§ 86

Kapitel II: Zweite Angelegenheit: Über die Widerlegung der Einheit

§ 87

Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus göttlicher und menschlicher Natur besteht, die sich vereinten und daraufhin zu Christus wurden. Oft behaupten die Christen Folgendes: Das Göttliche hat sich mit dem Menschlichen vereinigt. Und das wird mit Menschwerdung und Inkarnation bezeichnet. Wir wollten jedoch von den Christen, bevor wir mit ihnen sprechen, Belege für die Gültigkeit dieser Lehre haben. Und wir sagen: Bezüglich eurer Behauptung über die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen: Ist das etwas, was ihr mit beiden Augen unmittelbar gesehen habt? Oder etwas, das eure Vorgänger und Vorfahren gesehen haben, sodass es erlaubt wäre, dies zu glauben? Oder tradiert ihr dies von Christus? Und wenn die Christen behaupten, die Früheren [sc. die ersten Christen] hätten das [sc. die Einheit] gesehen, so würden sie dadurch nur herumalbern und die Vernünftigsten unter ihnen würden sie [sc. die Anhänger der Einheitstheorie] verleugnen.

§ 88

§ 89

⁵⁰ Römer 8,19: .‫ ﺍﻥ ﺍﻟﺒﺮﻳﺔ ﻛﻠﻬﺎ ﺗﺘﺮﺟﻰ ﻅﻬﻮﺭ ﺃﺑﻨﺎء ﷲ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬

⁵¹ 2. Korinther 6,16b und 18a mit Zitat aus Leviticus 26,11–12: .‫ ﺍﻧﻰ ﺃﺣﻞ ﻓﻴﻬﻢ ﻭﺃﺳﻌﻰ ﻣﻌﻬﻢ ﻭﻫﻢ ﻳﻜﻮﻧﻮﻥ ﻟﻰ ﺑﻤﻨﺰﻟﺔ ﺍﻟﺒﻨﻴﻦ ﻭﺍﻟﺒﻨﺎﺕ‬: ‫ ﺍﻥ ﷲ ﺗﻌﺎﻟﻰ ﻳﻘﻮﻝ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬

⁵² Israel ist der neue Name, den Jakob in Genesis 32,29 erhält; zur Frage, wer hier mit ›Israel‹ gemeint ist, vgl. oben S. 364 Anmerkung 179.

Kapitel II: Über die Widerlegung der Einheit

461

Und wenn sie dies auf die Aussagen Christi zurückführen, so würde (selbst) sein Evangelium sie [sc. die Christen] durch seine Aussagen verleugnen, die seine menschliche Natur unter Beweis stellen, wie (z. B.) seine Aussage den Juden gegenüber im Evangelium:

§ 90

»Warum wollt ihr mich töten, obwohl ich doch (nur) ein Mensch von den Söhnen Adams bin und euch (nur) die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe?«⁵³

Und er sagt auch:

§ 91

»Die Füchse haben Baue und die Vögel des Himmels Nester, aber der Mensch hat keinen Ort, auf den er seinen Kopf legen könnte.«⁵⁴

Hier berichtet er also, dass er ein Mensch ist. Und das ist eine klare Widerlegung⁵⁵ für die, die behaupten, er sei zugleich Mensch und Gott. Christus sagte:

§ 92 § 93

»Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Gott.«⁵⁶

Und er sagte auch:

§ 94

»Warum hast du mich verlassen?«⁵⁷

Somit machte er selbst klar, dass er ein Mensch ist. Er hat einen Gott und einen Herrn, auf den er seine Hoffnung setzt und den er anruft. Und Christus sagte, und ihm sagte ein Mann: »Oh tugendhafter Lehrer!« Und Christus predigte ihm: »Warum bezeichnet ihr mich als tugendhaft? Es gibt keinen Tugendhaften außer Gott, dem Einen.«⁵⁸

⁵³ Wohl nach Johannes 7,19 und 8,40: .‫ ﻛﻠﻤﺘﻜﻢ ﺑﺎﻟﺤﻖ ﺍﻟﺬﻯ ﺳﻤﻌﺘﻪ ﻣﻦ ﷲ‬٬ ‫ ﻟﻢ ﺗﺮﻳﺪﻭﻥ ﻗﺘﻠﻰ ]؟[ ﻭﺍﻧﺎ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻣﻦ ﺑﻨﻰ ﺁﺩﻡ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ (8,40) .‫( ﻟﻜﻨﻜﻢ ﺍﻻﻥ ﺗﻄﻠﺒﻮﻥ ﻗﺘﻠﻰ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻛﻠﻤﺘﻜﻢ ﺑﺎﻟﺤﻖ ﺍﻟﺬﻯ ﺳﻤﻌﺘﻪ ﻣﻦ ﷲ‬7,19) .[‫ ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﺮﻳﺪﻭﻥ ﻗﺘﻠﻰ ]؟‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ⁵⁴ Matthäus 8,20 bzw. Lukas 9,58: .‫ ﻭﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﻟﻴﺲ ﻟﻪ ﻣﻮﺿﻊ ﻳﺴﻨﺪ ﺭﺃﺳﻪ‬/ ‫ ﻭﻟﻄﻴﺮ ﺍﻟﺴﻤﺎء ﺃﻭﻛﺎﺭ‬٬ ‫ ﻟﻠﺜﻌﺎﻟﺐ ﺃﺟﺤﺎﺭ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ (Matth. 8,20) .‫ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻥ ﻟﻠﺜﻌﺎﻟﺐ ﺍﺟﺤﺎﺭﺍ ﻭﻟﻄﻴﺮ ﺍﻟﺴﻤﺎء ﺍﻭﻛﺎﺭﺍ ﻓﺎﻣﺎ ﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﻓﻠﻴﺲ ﻟﻪ ﻣﻮﺿﻊ ﻳﺴﻨﺪ ﺭﺃﺳﻪ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ (Luk. 9,58) .‫ﻗﺎﻝ ﻟﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﻟﻠﺜﻌﺎﻟﺐ ﺍﺣﺠﺮﺓ )ﺍﺣﺤﺮﻩ( ﻭﻟﻄﻴﺮ ﺍﻟﺴﻤﺎء ﺍﻭﻛﺎﺭ ﻭﺍﻣﺎ ﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﻓﻠﻴﺲ ﻟﻪ ﻣﻮﺿﻊ ﻳﺴﻨﺪ ﺭﺃﺳﻪ‬ ⁵⁵ Andere mögliche Übersetzung: Leugnung. ⁵⁶ Johannes 20,17: .‫ ﺍﻧﻰ ﺫﺍﻫﺐ ﺍﻟﻰ ﺍﻟﻬﻰ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺍﻧﻰ ﺻﺎﻋﺪ ﺍﻟﻰ ﺍﺑﻰ ﻭﺍﺑﻴﻜﻢ ﻭﺍﻟﻪ ﻭﺍﻟﻬﻜﻢ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ⁵⁷ Matthäus 27,46 und Parallelen (mit Zitat aus Psalm 22,2): .‫ ﻟﻢ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺍﻟﻬﻰ ﺍﻟﻬﻰ ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﺮﻛﺘﻨﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ⁵⁸ Markus 10,17–18 bzw. Lukas 18,18–19: .‫ ﻟﻢ ﺗﺪﻋﻮﻧﻰ ﺻﺎﻟﺤﺎ ؟ ﻻ ﺻﺎﻟﺢ ﺍﻻ ﷲ ﺍﻟﻮﺍﺣﺪ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻭﺑﻴﻨﻤﺎ ﻫﻮ ﺳﺎﻳﺮ ﻓﻲ ﻁﺮﻳﻖ ﺍﺳﺮﻉ ﺍﻟﻴﻪ ﺍﻧﺴﺎﻥ ﻭﺟﺜﻰ ﻋﻠﻰ ﺭﻛﺒﺘﻴﻪ ﻭﺳﺎﻟﻪ ﻗﺎﻳﻼ ﺍﻳﻬﺎ ﺍﻟﻤﻌﻠﻢ ﺍﻟﺼﺎﻟﺢ ﻣﺎ ﺍﻟﺬﻯ ﺍﺻﻨﻊ ﻻﺭﺙ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ (Markus 10,17–18) .‫ ﻭﺍﻥ ﻳﺴﻮﻉ ﻗﺎﻝ ﻟﻪ ﻟﻢ ﺗﻘﻮﻝ ﻟﻰ ﺻﺎﻟﺤﺎ ﻭﻟﻴﺲ ﺻﺎﻟﺤﺎ ﺍﻻ ﷲ ﺍﻟﻮﺍﺣﺪ‬.‫ﺍﻟﺤﻴﺎﺓ ﺍﻟﺪﺍﻳﻤﺔ‬ ‫ ﻗﺎﻝ ﻟﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﻟﻤﺎﺫﺍ ﺗﻘﻮﻝ ﻟﻰ ﺻﺎﻟﺤﺎ ﻭﻟﻴﺲ‬.‫ﻓﺴﺎﻟﻪ ﻭﺍﺣﺪ ﻣﻦ ﺍﻟﺮﻭﺳﺎء ﻭﻗﺎﻝ ﻟﻪ ﺍﻳﻬﺎ ﺍﻟﻤﻌﻠﻢ ﺍﻟﺼﺎﻟﺢ ﻣﺎﺫﺍ ﺍﻓﻌﻞ ﻻﺭﺙ ﺣﻴﺎﺓ ﺍﻻﺑﺪ‬ (Lukas 18,18–19) .‫ﺻﺎﻟﺤﺎ ﺍﻻ ﷲ ﻭﺣﺪﻩ‬

§ 95 § 96

462 § 97 § 98

§ 99 § 100

§ 101

§ 102

§ 103 § 104

§ 105

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und das ist, wie ihr seht, eine klare Leugnung für die, die behaupten, er sei ein Gott, der sich mit einem Menschen vereint hat. Und sicherlich zeigt das Evangelium, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, dass Christus hungerte und satt wurde, Freude und Trauer empfand, fragte und betete, einen Esel ritt und sich bewegte, Nutzen hatte und genauso allen menschlichen Vorkommnissen ausgesetzt war. Somit ist es ungültig, was die Christen als Überlieferung über Christus heranziehen. Wir haben darauf die Aussagen der Christen wie folgt eingeteilt: Das, was ihr (Christen) im Hinblick auf die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen behauptet habt – nämlich dass die Einheit abstrakt ist –, kann auch mehreres bedeuten: den Vater in seiner abstrakten Form oder das Wort in seiner abstrakten Form oder sogar beides, oder die Liebe und die Zustimmung (Gottes) zum Bittgebet (Jesu) und die Erfüllung seiner Wünsche, so wie beispielsweise ein Verkünder zu seinem Geliebten sagen würde: »Du und ich sind eins«. Es sind nur diese vier Möglichkeiten (der Interpretation) möglich, da keine fünfte (Interpretation) Sinn ergeben würde. Was das Erste angeht, so ist dies ungültig, denn wenn mit der Einheit gemeint ist, dass die Substanzen sich vermischen, bis sie eine (und dieselbe) Substanz werden, dann wäre das unmöglich, denn es gäbe keine Gleichartigkeit und keine Gemeinsamkeit. Und wenn [oder: da] die Einheit des Feuerkörpers mit dem Wasserkörper – unter Berücksichtigung ihrer gemeinsamen Körperlichkeit – unmöglich ist, dann ist es noch unmöglicher, dass etwas Körperliches sich mit etwas Unkörperlichem – unter Leugnung ihrer gemeinsamen Körperlichkeit – vereinigt [oder: vereinigen würde]. Und wenn mit der Einheit das Gewand⁵⁹ gemeint ist, dann bleiben ausschließlich zwei Möglichkeiten übrig: Entweder behaupten sie, dass das Göttliche für das Menschliche ein Gewand geworden ist. Oder sie behaupten, dass das Menschliche für das Göttliche ein Gewand geworden ist. Die erste Möglichkeit ist ungültig. Denn wenn das Ewige ein Gewand werden [sc. sich zu einem Gewand entwickeln] kann, dann erfordert das notwendigerweise seine Höhlung und Formation [sc. Gestaltung bzw. Entstehung

⁵⁹ Der arabische Begriff ‫ ﺍﻟﺘﺪﺭﻉ‬kann mit ›Gewand‹, ›Hülle‹, ›Verhüllung‹ bzw. ›Verkleidung‹ übersetzt werden. Al-Jaʿfarīs Gedanke ist, dass, wenn das Menschliche an Christus ein Gewand bzw. eine Verhüllung für das Göttliche an ihm wäre (oder umgekehrt), das Göttliche, um umhüllt zu werden bzw. zu umhüllen, die räumliche Gestalt eines Körpers annehmen müsste, also die Form von etwas Erschaffenem; dazu müsste es jedoch selbst erschaffen sein, was al-Jaʿfarī für absurd hält. Für diese Deutung des Verhältnisses der Naturen Christi gibt es keine biblische Vorlage (am ehesten kann man noch Philipper 2,6–7 vergleichen). Sie erinnert an die (von den Kirchen als Ketzerei verurteilte) Lehre des Doketismus, derzufolge Christus nur einen Scheinleib hatte, aber al-Jaʿfarīs Betonung, dass das Göttliche, um »die Form des Erschaffenen« anzunehmen, »notwendigerweise auch selbst erschaffen« sein müsste, zeigt, dass er von einer wirklichen leiblichen Natur Christi ausgeht, die für ihn eben deshalb mit der göttlichen Natur unvereinbar ist.

463

Kapitel II: Über die Widerlegung der Einheit

entsprechend der Gestalt des Körpers, den er einhüllt].⁶⁰ Ergebnis: Was [sc. wer] die Form des Erschaffenen [sc. das Gegenteil des Ewigen] einnimmt, der ist notwendigerweise auch selbst erschaffen. Die zweite Möglichkeit ist auch ungültig. Denn das, was vorher erschaffen ist, ist auch selbst erschaffen. Und wenn beide Möglichkeiten ungültig sind, so muss auch sie [sc. die Einheit] unmöglich sein. Schon ihr Exeget und Gelehrter Paulus hat bezeugt, dass die Inkarnation⁶¹ und die Vereinigung⁶², welche ihre Vorfahren zu benennen pflegten, nicht der Vorstellung der Späteren entspricht; sondern die Umfassung des Wissens, die Aufsicht über die Herzen und die Überwachung des Geistes⁶³ sind gemeint. So sagte er im zweiten Brief an seine Brüder:

§ 106

§ 107

§ 108

»Erkennt ihr nicht und ist euch nicht gewiss, dass Christus in euch ist? Und wenn er in euch nicht wäre, dann würdet ihr erniedrigt werden, wobei ich doch hoffe, dass ihr nicht zu den Erniedrigten gehört.«⁶⁴

Wenn diese Rede des Paulus mit ihrer äußerlichen [sc. scheinbaren] Bedeutung verstanden wird, so ergibt sich daraus Unmögliches [sc. argumentativ Nichtiges]. Somit müssen diese Worte so verstanden werden, wie wir es erläutert haben. Und wenn die Vereinigung des Körpers Christi mit einem Körper eines anderen Menschen unmöglich ist, dann ist die Vereinigung des Ewigen – Er sei erhaben – oder die Vereinigung seiner Eigenschaft mit dem Körper des Messias noch unmöglicher⁶⁵. Und wie könnte diese Behauptung [sc. These] richtig sein? Denn das Evangelium bezeugt, dass der Messias über den Tag der Auferstehung befragt wurde, und er antwortete:

§ 109

§ 110

§ 111

»Von dem weiß ich nicht, auch die Engel im Himmel nicht, niemand weiß es außer dem Vater allein.«⁶⁶

Und als von ihm die Wiederbelebung des al-ʿĀdhar [sc. Lazarus] verlangt wurde, kam er mit seiner [sc. des Lazarus] Schwester Maria zum Friedhof und sagte: »Zeige mir, wo ihr ihn begraben habt!«⁶⁷

⁶⁰ Und das, so setzt al-Jaʿfarī voraus, ist für den Ewigen unmöglich. ⁶¹ Arab. ‫ﺍﻟﺤﻠﻮﻝ‬. ⁶² Arab. ‫ﺍﻻﺗﺤﺎﺩ‬. ⁶³ Bzw.: Idee, Sinn, Gemüter, Gedankenwelt. ⁶⁴ Wahrscheinlich nach 2. Korinther 13,5. ⁶⁵ Bzw.: in Unmöglichkeit noch größer. ⁶⁶ Matthäus 24,36: .‫ ﻭﻻ ﻳﻌﻠﻢ ﺫﻟﻚ ﺳﻮﻯ ﺍﻷﺏ ﻭﺣﺪﻩ‬٬ ‫ ﻭﻻ ﻳﻌﻠﻤﻬﺎ ﺍﻟﻤﻼﺋﻜﺔ ﺍﻟﺬﻳﻦ ﻓﻰ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ‬٬ ‫ ﻻ ﺃﻋﻠﻢ ﺫﻟﻚ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﺎﻣﺎ ﻻﺟﻞ ﺫﻟﻚ ﺍﻟﻴﻮﻡ ﻭﺍﻟﺴﺎﻋﺔ ﻻ ﻳﻌﺮﻓﻬﺎ ﺍﺣﺪ ﻭﻻ ﻣﻼﻳﻜﺔ ﺍﻟﺴﻤﻮﺍﺕ ﺍﻻ ﺍﻻﺏ ﻭﺣﺪﻩ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

⁶⁷ Johannes 11,34: .‫ ﺃﺭﻭﻧﻰ ﺃﻳﻦ ﺩﻓﻨﺘﻤﻮﻩ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﻗﺎﻝ ﺍﻳﻦ ﻭﺿﻌﺘﻤﻮﻩ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

§ 112

464 § 113

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und ein Mann bat ihn, seinen Sohn von der Verrücktheit zu heilen, und er sagte: »Wie lange ist es, dass ihm die Verrücktheit widerfährt?« Der Vater sprach: »Seit er ein Kind war.«⁶⁸

§ 114

§ 115

Und der Messias hungerte und ging mit seinen Gefährten zu einem Feigenbaum, um (einige Früchte) zu pflücken und ihren Hunger damit zu stillen. Daraufhin fanden sie jedoch nichts davon [sc. sie mussten weiter hungern].⁶⁹ Und der Messias sagte: »Ich kann nichts von mir aus [sc. nach meinem Willen] handeln, sondern nach dem Willen dessen, der mich gesandt hat.«⁷⁰

§ 116

Und er sagte: »Mein Gott, entferne diesen Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie Du willst!«⁷¹

§ 117

§ 118

All diese (Zitate) sind der Wortlaut des Evangeliums. Wenn also die Vereinigung wirklich wäre, wie sie [sc. die Christen] es behaupten, dann könnte es zwischen seinem Willen und demjenigen Gottes sowie zwischen seinem Wissen und demjenigen Gottes sowie zwischen seiner Willenskraft und derjenigen Gottes keinen Widerspruch geben. Und das [sc. dieses Argument] ist ja noch viel klarer! Wenn sie die Vereinigung (nur) in mancher Hinsicht zum Ausdruck bringen, so widersprechen sie sich in ihrer Behauptung der Vereinigung; denn es ist wahrhaft unmöglich, dass etwas, das mehr als eins ist, eins wird. Deshalb sagen ihre Gelehrten, dass die Vereinigung die Vielzahl zu einer Minderzahl und die zwei zur eins machte. Wenn eine Vereinigung des Wesens gemeint ist, ist diese Behauptung – wie wir bereits dargelegt haben – angesichts der Ungleichheit des Ewigen und des Entstandenen (nicht ewigen) fehlerhaft. Wenn eine Vereinigung der Eigenschaften gemeint ist, so ist diese Behauptung ebenfalls fehlerhaft, weil man eine Eigenschaft und dasjenige, dem sie zukommt, nicht voneinander

⁶⁸ Markus 9,21: .‫ ﻣﻨﺬ ﺻﺒﺎﻩ‬: ‫ ﻣﻨﺬ ﻛﻢ ﻋﻠﻘﻪ ﻫﺬﺍ ﺍﻟﺠﻨﻰ ؟ ﻓﻘﺎﻝ ﺍﻷﺏ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ ﻣﻨﺬ ﺻﺒﺎﻳﻪ‬.‫ ﺛﻢ ﻗﺎﻝ ﻻﺑﻴﻪ ﻣﻦ ﻛﻢ ﺳﻨﺔ ﺍﺻﺎﺑﻪ ﻫﺬﺍ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

⁶⁹ Matthäus 21,19 bzw. Markus 11,13: .‫ ﻓﻠﻢ ﻳﺠﺪﻭﺍ ﻓﻴﻬﺎ ﺷﻴﺌﺎ‬٬ ‫ ﻭﺟﺎﻉ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﻋﻠﻴﻪ ﺍﻟﺴﻼﻡ ﻓﻘﺼﺪ ﺷﺠﺮﺓ ﺗﻴﻦ ﻫﻮ ﻭﺃﺻﺤﺎﺑﻪ ﻟﻴﺼﻴﺒﻮﺍ ﻣﻨﻬﺎ ﻣﺎ ﻳﺴﺪ ﻣﺨﻤﺼﺘﻬﻢ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻭﻧﻈﺮ ﺷﺠﺮﺓ ﺗﻴﻦ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﻄﺮﻳﻖ ﻓﺠﺎء ﺍﻟﻴﻬﺎ ﻓﻠﻢ ﻳﺠﺪ ﻓﻴﻬﺎ ﺷﻴﺎ ﺍﻻ ﻭﺭﻗﺎ ﻓﻘﻂ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻬﺎ ﻻ ﺗﺨﺮﺝ ﻣﻨﻚ ﺛﻤﺮﺓ ﺍﻟﻰ ﺍﻻﺑﺪ ﻓﻴﺒﺴﺖ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ (Matth. 21,19) .‫ﺗﻠﻚ ﺍﻟﺸﺠﺮﺓ ﻟﻠﻮﻗﺖ‬ ‫ﻭﻧﻈﺮ ﺍﻟﻰ ﺗﻴﻨﺔ ﻣﻦ ﺑﻌﺪ ﻭﻓﻴﻬﺎ ﻭﺭﻕ ﻓﺠﺎء ﺍﻟﻴﻬﺎ ﻟﻴﻄﻠﺐ ﻓﻴﻬﺎ ﺛﻤﺮﺓ ﻓﻠﻤﺎ ﺟﺎء ﺍﻟﻴﻬﺎ ﻟﻢ ﻳﺠﺪ ﻓﻴﻬﺎ ﺷﻴﺎ ﺍﻻ ﻭﺭﻗﺎ ﻓﻘﻂ ﻻﻧﻪ ﻟﻢ ﻳﻜﻦ ﺯﻣﻦ‬ (Mark. 11,13) .‫ﺍﻟﺘﻴﻦ‬ ⁷⁰ Johannes 5,30: .‫ ﻻ ﺃﻋﻤﻞ ﺑﻤﺸﻴﺌﺘﻰ ﺑﻞ ﺑﻤﺸﻴﺌﺔ ﻣﻦ ﺃﺭﺳﻠﻨﻰ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻟﺴﺖ ﺃﻁﻠﺐ ﻣﺸﻴﺘﻰ ﺑﻞ ﻣﺸﻴﺔ ﻣﻦ ﺍﺭﺳﻠﻨﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ⁷¹ Matthäus 26,39 bzw. Markus 14,36: .‫ ﺑﻞ ﻛﻤﺎ ﺗﺮﻳﺪ ﺃﻧﺖ‬٬ ‫ ﻟﻴﺲ ﻛﻤﺎ ﺃﺭﻳﺪ‬/ ‫ ﻟﻜﻦ‬٬ ‫ ﺍﺻﺮﻑ ﻋﻨﻰ ﻫﺬﺍ ﺍﻟﻜﺄﺱ‬: ‫ ﻳﺎ ﷲ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ (Matth. 26,39) .‫ ﻭﻗﺎﻝ ﻳﺎ ﺍﺑﺔ ﺍﻥ ﻛﺎﻥ ﻳﺴﺘﻄﺎﻉ ﻓﺎﻟﺘﻌﺒﺮ ﻋﻨﻰ ﻫﺬﻩ ﺍﻟﻜﺎﺱ ﻓﻠﻴﺲ ﻛﺎﺭﺍﺩﺗﻰ ﻟﻜﻦ ﻛﺎﺭﺍﺩﺗﻚ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ (Mark. 14,36) .‫ﻭﻛﺎﻥ ﻳﻘﻮﻝ ﺍﻳﻬﺎ ﺍﻻﺏ ﻛﻞ ﺷﻰء ﺑﻘﺪﺭﺗﻚ ﺍﺟﺰ ﻋﻨﻰ ﻫﺬﻩ ﺍﻟﻜﺎﺱ ﻟﻜﻦ ﻟﻴﺲ ﻛﻤﺎ ﺍﺭﻳﺪ ﺍﻧﺎ ﺑﻞ ﺍﻧﺖ‬

Kapitel II: Über die Widerlegung der Einheit

465

trennen kann, was wir (bereits) anhand der Aussagen des Messias, Friede sei auf ihm, über die Auferstehung und anhand der Geschichten von al-ʿĀdhar [sc. Lazarus] und al-Jannī und anderen dargelegt haben. Und nun (vierte und letzte Bedeutung): Wenn jeder, den Gott mit der Erfüllung seines Wunschgebetes unterstützt und mit der Verwirklichung seines Bittgebetes ehrt, als ›vereint‹ bezeichnet würde, dann hätte der Messias aufgrund dessen, was wir aus den Schriften der Leute zitieren, keinen Vorrang gegenüber anderen. Und wahrlich, Gott unterstützt eine Gruppe von seinen vorzüglichsten und einige seiner gesonderten Diener mit deutlichen Versen [sc. Zeichen, Wunderzeichen] und mit außerordentlichen [sc. übernatürlichen] Wundern, die sogar die des Messias überstiegen. Wir müssen uns (hier) auf einen kurzen Überblick (nabdha) darüber beschränken, denn wir haben das in unserem bereits erwähnten Buch [sc. im Takhjīl] erschöpfend behandelt. Der Messias [sc. Jesus] beanspruchte weder ein Zeichen noch ein Wunder für sich, ohne dass wir aus ihren (eigenen) Büchern nicht schon Ähnliches über einige Propheten und sogar Verwunderlicheres erzählt hätten. Was das Erwecken des Toten dank des Gebets des Messias angeht,⁷² so hat schon Elija den Sohn der Israelitin zum Leben erweckt.⁷³ Und Elischa hat zwei Tote wiederbelebt – den ersten zu seinen [sc. des Elischa] Lebzeiten und den anderen nach seinem Tod.⁷⁴ Und es wird im 2. Buch der Könige⁷⁵ berichtet, dass einige Leute einen Toten trugen. Sie brachten ihn zum Friedhof, sie sahen Feinde kommen und so stellten sie die Leiche hin und eilten in die Stadt zurück. Doch der Tote erwachte und folgte ihnen, bis er sie als Lebender einholte. Und sie sahen daraufhin (plötzlich), dass sie ihn auf das Grab von Elischa gestellt hatten. Und es wird überliefert, dass Ezechiel tausende tote Israeliten zum Leben erweckte,⁷⁶ die Nebukadnezar⁷⁷ – vor ihrer Erweckung – getötet hatte. 160 Jahre waren bisher seit ihrem Tod vergangen.⁷⁸ Und dieses Ereignis ist beeindruckender als die Wiederbelebung des Lazarus, des Jünglings von Naïn und der Tochter des Jaïrus.⁷⁹

⁷² Z. B. Markus 5,35–43 mit Parallelen; Lukas 7,11–17; Johannes 11,1–44. ⁷³ 1. Könige 17,17–24. ⁷⁴ 2. Könige 4,18–37 sowie 13,20–21. ⁷⁵ Nach 2. Könige 13,20–21 (ausgestaltet). ⁷⁶ Ezechiel 37,1–14. ⁷⁷ Arab. Bakhtnasr: ‫ﺑﺨﺘﻨﺼﺮ‬. ⁷⁸ Bibelvers sinngemäßes Zitat. ⁷⁹ Drei Personen, die Jesus wieder zum Leben erweckt. Zu Lazarus siehe Johannes 11,32– 45, zum Jüngling von Naïn Lukas 7,11–17, zur Tochter des Jaïrus Matthäus 9,18–19.23–26, Markus 5,22–24.35–43 und Lukas 8,41–42.49–56; al-Jaʿfarī spricht hier allerdings irrtümlich von einem Sohn des Jaïrus (ibn al-Raʾīs).

§ 119

§ 120

§ 121

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466 § 126

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und was das Öffnen der Augen des Blinden, das Beschmieren dieser Augen mit Lehm [sc. mit Erde] und deren Abwaschen mit Wasser angeht,⁸⁰ so ist die Erschaffung von zwei sehfähigen Augen mit einem Stück Holz sonderbarer als das Zurückbringen der Gesundheit zu einem dazu bereiten, angemessenen Organ. Und die Tora bezeugt (wie folgt), dass Mose seinen Stab in eine lebendige Schlange zu verwandeln pflegte, die zwei sehfähige Augen hat, mit deren Hilfe sie sich ihrem Ziel näherte: »Und Mose schlug mit seinem Stab auf den Sand und der Staub wurde in ganz Ägypten zu Stechmücken; jede einzelne mit zwei Augen.«⁸¹

§ 128

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§ 131

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Dann war sein Stab ein Wunder von Wundern, wie er sie wollte. Und während der Stab Holz war, hat er [sc. Mose] ihn in eine Schlange verwandelt; und während er [sc. der Stab] eine Schlange war, hat er [sc. Mose] ihn wieder zu einem fruchtbaren, Nüsse hervorbringenden Baum mit Stämmen und Zweigen verwandelt.⁸² Und während er [sc. der Baum] in diesem Zustand war, verwandelte er [sc. Mose] ihn in seinen ersten Zustand zurück. Darüber hinaus rief er mit ihm [sc. mit dem Stab] die Heuschrecken, die Läuse und die Frösche, er ließ mit dem Stab Schnee fallen, ließ damit das Wasser fließen, teilte mit dem Stab das Meer und ließ das Wasser aus dem Fels fließen.⁸³ Und was Mose aus [sc. mit] dem Stab machen wollte, es geschah genau so. Und das übersteigt die Wunder Jesu. Und schon Josef öffnete die Augen seines Vaters Jakob, so wie die Tora dies bezeugt.⁸⁴ Was die Heilung der Hautkrankheit angeht, so wird im Buch der Könige Folgendes berichtet: Ein Mann erkrankte an Lepra und er ging zu Elischa, um von seiner Krankheit befreit zu werden. Er bat um Erlaubnis, mit Elischa zu sprechen. Aber Elischa erlaubte es nicht und sagte zu einigen seiner Gefährten: »Sagt ihm, er soll an den Fluss Jordan gehen und im Wasser untertauchen, damit er geheilt wird«. So ging er und tat es und wurde von seiner Lepra-Erkrankung befreit und kehrte in sein Land zurück.⁸⁵ Ein Diener von Elischa folgte dem Mann und machte ihn glauben, Elischa schicke ihn, um Geld zu verlangen. Der Mann freute sich und gab ihm viel Geld

⁸⁰ Johannes 9,6–7 (Erde und Abwaschen mit Wasser); Markus 8,23 (Speichel); Matthäus 9,27–31 und 20,32–34 (Berührung); Markus 10,49–52 (Glaube). ⁸¹ Frei nach Exodus 8,12–13 (dort ist von Aaron die Rede): .‫ ﻟﻜﻞ ﻭﺍﺣﺪﺓ ﻋﻴﻨﺎﻥ‬٬ ‫ ﻭﻗﺪ ﺿﺮﺏ ﺍﻟﺮﻣﻞ ﺑﻌﺼﺎﻩ ﻓﺎﻧﺜﺎﻝ ﻗﻤﻼ ﺣﺘﻰ ﻣﻸ ﺃﺭﺽ ﻣﺼﺮ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ⁸² Vgl. Exodus 4,2–4; 7,9–12 u. ö.; von der Verwandlung zum Baum ist dort allerdings nicht die Rede. ⁸³ Exodus 8,1–2 (Frösche); 10,13 (Heuschrecken); 14,16.21–22 (Meer); 17,4–6 (Wasser aus Fels; ebenso Numeri 20,7–11). ⁸⁴ Eventuell nach Genesis 48,10 (von einem ›Öffnen‹ der Augen ist dort aber nicht die Rede). ⁸⁵ Stark gekürzt nach 2. Könige 5,1–19a.

Kapitel II: Über die Widerlegung der Einheit

467

und kostbare Steine. Und der Diener nahm das alles und hob es für sich auf und kehrte zurück. Der Prophet (Elischa) sagte zu ihm: »Du gingst zu dem Mann und belogst ihn so und so und nahmst von ihm dies und dies an Geld an und du hast es an diesem und jenem Ort versteckt. Hast du das getan? Seine Krankheit soll auf dich und deine Nachkommenschaft übergehen!« Und der Mann wurde an seiner Stelle krank.⁸⁶ Das ist ein größeres Wunder als das von Jesu. Er [sc. Elischa] heilte den Mann und machte den anderen Mann und seine Nachkommenschaft krank.⁸⁷ Und schon die Tora bezeugt, dass die Schwester⁸⁸ Moses sich ihrem Bruder gegenüber veränderte und sich mit ihm stritt [wörtlich: auf ihn böse atmete]. Deshalb erkrankte sie an Lepra. Daraufhin tat sie Mose leid, der dann für sie betete, und sie wurde wieder gesund.⁸⁹ Und das ist noch großartiger (ʾabdaʿ) (als die Wunder Jesu). Denn er hat zugleich jemanden krank und gesund gemacht. Und was das Über-das-Wasser-Gehen angeht, so gingen schon Elija und Elischa auf der Oberfläche des Flusses Jordan.⁹⁰ Und genauso ging schon Josua auf dem Fluss Tābūt. Und was die Umwandlung des Wassers in Wein angeht, von der Johannes in seinem Evangelium erzählt,⁹¹ so wird uns von einem ihrer Propheten [sc. Elischa] erzählt, der sich bei einer der israelitischen Frauen niederließ, welche ihn zu Gast hatte und gastfreundlich behandelte. Der Prophet fragte sie beim Aufbruch: »Hast du einen Wunsch?« Sie erwiderte: »Oh Prophet Gottes, mein Mann hat Schulden, die ihn traurig machen. Kannst du für ihn beten?« Er sagte zu ihr: »Borge dir in dieser Stunde von deinen Nachbarn, was du an Gefäßen findest, und bringe sie zu mir hierher in dein Haus.« Daraufhin tat sie das. Der Prophet wollte, dass sie diese mit Wasser füllt und sie eine Nacht ruhen lässt, und sie tat das. Am nächsten Morgen waren sie voller Öl, sie verkaufte sie und zahlte die Schulden. Diese Geschichte bezeugte schon das Buch der Könige, eines ihrer eigenen Bücher [sc. eines der von den Christen verehrten Bücher].⁹² Und was die Vermehrung des Essens angeht, so berichtet das Evangelium, dass der Messias fünftausend Leute mit nur fünf Broten und zwei Fischen ernährt hat, wobei viele Brote übrig blieben, mit denen sie zwölf große Teller

⁸⁶ Gekürzt nach 2. Könige 5,19b–27: ‫ ﻭﻓﻌﻠﺖ‬٬ ‫ ﻭﺃﺧﺬﺕ ﻣﻨﻪ ﻛﺬﺍ ﻭﻛﺬﺍ ﻣﻦ ﺍﻟﻤﺎﻝ ﻭﺃﺧﻔﻴﺘﻪ ﻓﻰ ﻣﻮﺿﻊ ﻛﺬﺍ ﻭﻛﺬﺍ‬٬ ‫ ﻣﻀﻴﺖ ﺍﻟﻰ ﺍﻟﺮﺟﻞ ﻭﺃﻭﻫﻤﺘﻪ ﻋﻨﻰ ﻛﻴﺖ ﻭﻛﻴﺖ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﺑﺮﺹ ﺍﻟﺮﺟﻞ ﻣﻜﺎﻧﻪ‬.‫ﺫﻟﻚ ؟ ﻓﻠﻴﺼﺮ ﺑﺮﺻﻪ ﻋﻠﻴﻚ ﻭﻋﻠﻰ ﻧﺴﻠﻚ‬ ⁸⁷ D. h. gemäß al-Jaʿfarī: Elischa vollbrachte Heilung und Krankheit, während Jesus nur heilte. ⁸⁸ Mirjam bzw. Maria. ⁸⁹ Numeri 12,1–15. ⁹⁰ Elija und Elischa: 2. Könige 2,8 und 2,14 (gehen allerdings durch das Wasser, nicht auf ihm). ⁹¹ Johannes 2,1–11. ⁹² Frei nach 2. Könige 4,1–7, wo dies von Elischa erzählt wird: ‫ ﻓﺎﻥ ﺭﺃﻳﺖ ﺍﻥ ﺗﺪﻋﻮﺍ ﷲ‬٬ ‫ ﻗﺮﺣﻪ‬/ ‫ ﻳﺎ ﻧﺒﻰ ﷲ ﺍﻥ ﻋﻠﻰ ﺯﻭﺟﻰ ﺩﻳﻨﺎ ﻗﺪ‬: ‫ ﺃﻟﻚ ﺣﺎﺟﺔ ؟ ﻓﻘﺎﻟﺖ‬: ‫ ﻓﻘﺎﻝ ﺣﻴﻦ ﺃﺭﺍﺩ ﺍﻻﻧﺼﺮﺍﻑ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻓﺄﻣﺮﻫﺎ ﺃﻥ‬٬ ‫ ﻓﻔﻌﻠﺖ‬٬ ‫ ﺍﺳﺘﻌﻴﺮﻯ ﺍﻟﺴﺎﻋﺔ ﻣﻦ ﺟﻴﺮﺍﻧﻚ ﻣﺎ ﻗﺪﺭﺕ ﻋﻠﻴﻪ ﻣﻦ ﺍﻷﻭﺍﻧﻰ ﻭﺃﺣﻀﺮﻯ ﻟﻰ ﻣﺎ ﻋﻨﺪﻙ ﻣﻦ ﺫﻟﻚ‬: ‫ﻟﻨﺎ ؟ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻬﺎ‬ .‫ ﻓﺄﺻﺒﺤﺖ ﻓﻮﺟﺪﺕ ﺫﻟﻚ ﻛﻠﻪ ﺯﻳﺘﺎ ﻓﺒﺎﻋﻮﻩ ﻭﻗﻀﻮﺍ ﺩﻳﻨﻬﻢ‬٬‫ ﻓﻔﻌﻠﺖ‬٬ ‫ ﺛﻢ ﺍﺗﺮﻛﻴﻪ ﻟﻴﻠﺘﻚ‬٬ ‫ﺗﻤﻸ ﺍﻟﺠﻤﻴﻊ ﻣﺎء‬

§ 133 § 134

§ 135

§ 136

§ 137

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

füllten.⁹³ Das Wunder Moses übersteigt sogar all das [sc. das Wunder Jesu], denn die Tora berichtet (Folgendes): »Dieses Essen ernährte 600.000 Israeliten mit Manna und Wachteln.«⁹⁴

§ 138 § 139

§ 140

§ 141

§ 142

Und dieses Wunder ist weit verwunderlicher (ʾaʿjab) als die Wunder des Evangeliums. Elija der Prophet traf eine Witwe und es hatte schon lange nicht mehr geregnet. Sie brachte eine Handvoll Mehl und Elija segnete es. Der Inhalt reichte sechs Monate lang, die Frau und ihre Familie und ihre Nachbarn aßen davon, bis Gott es (den Menschen) erleichterte (und die trockene Zeit beendete).⁹⁵ Nun beschränken wir uns auf diese Beispiele. Denn mehr haben wir in unserem Buch mit dem Titel Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl zusammengetragen. Wir haben es nicht ausgelassen, für jedes Wunder Christi ein noch verwunderlicheres eines anderen Propheten darzulegen. Und da die vier Möglichkeiten der Einheit (von Gott und Mensch in Christus) dadurch nichtig wurden, wie wir bereits erläutert haben, so bleibt keine Bedeutung für die Einheit übrig [sc. sie ist sinnlos]. Ich habe schon die Widersprüche der drei Gruppen – also der Melkiten, der Nestorianer und der Jakobiten – in Bezug auf die Einheit erklärt. Mehr über deren Widerlegung findet sich in dem (oben) genannten Buch.⁹⁶

§ 143

Kapitel III: Dritte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)

§ 144

Lasst uns hierzu folgende Einführung machen: Die Christen haben sich über den Messias zerstritten und ihre Glaubensrichtungen diesbezüglich sind ebenfalls verschieden. Es ist unmöglich, ihre Aussagen bezüglich der Einheit (von Gott und Mensch in Christus) zusammenzutragen. Aber die berühmtesten unter ihnen sind die folgenden drei Gruppen: die Melkiten, die Nestorianer und die Jakobiten. Die Melkiten:⁹⁷ Die Glaubensrichtung der Melkiten – und das sind die Byzantiner – besteht darin, dass der Messias nach der Einheit zwei Essenzen,

§ 145

⁹³ Matthäus 14,15–21 mit Parallelen. ⁹⁴ Summarisch nach Exodus 16,4–35; vgl. Koran 2:57: .‫ ﺃﻧﻪ ﺃﻁﻌﻢ ﺳﺘﻤﺎﺋﺔ ﺃﻟﻒ ﻣﻦ ﺑﻨﻰ ﺍﺳﺮﺍﺋﻴﻞ ﻣﻨﺎ ﻭﺳﻠﻮﻯ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ Manna und Wachteln gelten als Paradiesfrüchte. ⁹⁵ Nach 1. Könige 17,7–16. ⁹⁶ Dem Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl. ⁹⁷ In Ägypten und Syrien übliche Bezeichnung für die kaisertreuen Anhänger des Reichsdogmas von Chalcedon (451), das zwei Naturen Christi in einer Person lehrt.

Kapitel III: Über die Widerlegung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)

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(aber nur) eine Hypostase ist; und diese hat zwei Naturen: die göttliche und die menschliche. (Denn) durch die göttliche (Natur) hat er einen Willen wie denjenigen des Vaters. Und andererseits hat er durch die menschliche (Natur) einen Willen wie denjenigen Abrahams und Davids, aber alles in einer (einzigen) Person [sc. Hypostase]. Sie haben die Einheit auf den hypostatischen Charakter zurückgeführt, da es sonst argumentativ nichtig [wörtl.: hässlich] wäre, dies auf die essenzielle (göttliche) Natur zurückzuführen. Die Nestorianer:⁹⁸ Dies sind die Christen des Ostens, welche die Verantwortung [oder: das Anvertraute] von Mārī al-Salīkh⁹⁹ und Thomas übernahmen. Sie halfen Nestorius¹⁰⁰ in seiner Lehre und schrieben Gott Folgendes zu: Der Messias hat nach der Vereinigung zwei Essenzen und zwei Hypostasen (qnome), welche in ihren Naturen (göttliche und menschliche) ewig sind, so wie sie auch vor der Vereinigung waren, nur dass sie denselben Willen haben, durch den die Handlungen Gottes und die Handlungen des Menschen durchgeführt werden. Und sie haben die Einheit auf die besondere Sohnschaft zurückgeführt, da es sonst unmöglich wäre, sie auf die essenzielle und hypostatische Natur zurückzuführen. Die Jakobiten:¹⁰¹ Die Jakobiten folgen Yaʿqūb al-Sarūjī (Jakob von Sarug), den man al-Barādaʿī (Baradaios) nennt.¹⁰² Er nahm die Lehre des Kyrill von Alexandria [gest. 444] an, nämlich dass der Messias durch die Einheit eine (einzige) Natur und eine (einzige) Hypostase wurde.¹⁰³ Nach deren Lehre wurde der Messias nach der Einheit gänzlich Gott und gänzlich Mensch. Und er hat (nur) eine (einzige) Natur, mit der er das tut, was den Handlungen Gottes und den Handlungen des Menschen ähnlich ist. Und er ist eine einzige Hypostase. Und so sehen wir, dass sie sich in Bezug auf die Einheit völlig zersplittert haben: Wenn wir von der Korrektheit der beiden Lehren der Byzantiner [sc. der Melkiten] und Jakobiten ausgehen (würden), dann (müsste) die Tötung des Messias (nach diesen Lehren) unmöglich sein, und wenn sie dennoch die Tötung des Messias annehmen, so können sie wie folgt gefragt werden:

⁹⁸ In Ostsyrien und Persien beheimatet, vertraten eine strikte Trennung der Naturen Christi (strenger Dyophysitismus). ⁹⁹ Damit müsste der Heilige Māri gemeint sein, der auch als Pālūṭ bekannt ist. In der Edition: Mārī al-Salīḥ (vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 71). ¹⁰⁰ Nestorius von Antiochia, gest. um 451. ¹⁰¹ In Westsyrien beheimatet, vertraten eine strikte Einheit der Naturen Christi (strenger Monophysitismus). ¹⁰² Al-Jaʿfarī scheint hier zwei Personen zu vermischen: Jakob von Sarug (gest. 521) und Jakob Baradai(os) (gest. 578), die beide für Entstehung und Organisation der syrischorthodoxen Kirche von Antiochien wichtig waren, also beide als Namenspatron der Jakobiten in Frage kommen. ¹⁰³ Jakob von Sarug nahm eine Position gegen Nestorius ein und stand in der Tradition Kyrills von Alexandria (vgl. Hanst, »Jakob von Sarug«; Nagel, »Jakob von Sarug«; Lange, »Jakob von Syrus«).

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Entstand er [sc. der Messias] nicht aus der göttlichen und aus der menschlichen Essenz in einer hypostatischen Person? Wenn sie bejahen – und dies müssen sie notwendigerweise tun –, dann sagt man ihnen: Die Trennung in Bezug auf den Willen ist mit der hypostatischen Einheit nicht vereinbar. Und wenn ihr sagt, dass die beiden Wesen mit der Einheit zu einer einzigen Hypostase und einer einzigen Person wurden, so könnt ihr nicht mehr behaupten, dass der Messias getötet wurde. Die göttliche Essenz war vor ihrer Einheit mit der menschlichen (Essenz) unantastbar und für menschliche Händen unerreichbar.¹⁰⁴ (Wenn das so ist,) wie könnten dann andere seine göttliche Natur und die Pracht seiner Macht durch die Vermischung mit dem Menschlichen übersehen? Die Tatsache, dass das Menschliche das Göttliche ›herunterzieht‹, bis es getötet und gekreuzigt wurde, ist nicht a fortiori überzeugender als dass das Göttliche das Menschliche erhebt, sodass es überlebte und unversehrt blieb. Und wenn sich die Tatsache bestätigen würde, dass der Messias (nur) eine einzige, aus zwei Naturen – göttlicher und menschlicher – zusammengesetzte Hypostase ist,¹⁰⁵ dann ist eine Diskussion über seine Tötung und (gleichzeitig) seine Nichttötung sowie (über) seine Kreuzigung und (gleichzeitig) Nichtkreuzigung unmöglich. Somit – unter diesen Umständen – ist seine Tötung nach den Jakobiten unmöglich. Denn sie sagen, dass die göttliche und die menschliche Natur zu einer einzigen Natur und zu einer einzigen Hypostase wurden, und wer so ist [sc. wer eine solche Natur besitzt], der kann nicht zunichtegemacht [sc. nicht getötet] werden. Was die Nestorianer angeht: So haben sie begriffen, dass es unmöglich ist, die Behauptung(en) [sc. Hypothesen] einerseits der Einheit und andererseits der Tötung (logisch) zu vereinbaren. So führten sie die Einheit zwar nur auf die besondere Sohnschaft zurück, aber dennoch stimmten sie den Ansichten ihrer Glaubensbrüder [sc. der anderen christlichen Konfessionen] bzgl. der Anbetung des Messias und des Glaubens an seine Göttlichkeit zu. Und das ist wieder ein klares Argument gegen den Glauben an seine Tötung. Und wessen Ewigkeit außer Zweifel steht [sc. sicher bewiesen wurde], der kann nicht zunichte gemacht [sc. nicht getötet] werden. Und dies haben wir dialektisch (jadalan) [sc. argumentativ] angeführt und mit dieser Argumentation haben wir ihre Ansichten [sc. der Nestorianer] aufgrund ihres eigenen Glaubens (argumentativ) zunichtegemacht. Und der Weg der Überprüfung ist unsere folgende Frage: Überliefert ihr eure Behauptung bezgl. der Tötung und Kreuzigung des Messias durch tawātur¹⁰⁶ oder durch āḥād ¹⁰⁷?

¹⁰⁴ Das impliziert auch: Sie kann nicht getötet werden. ¹⁰⁵ D. h. nur seine eine Natur, und zwar die menschliche, könne dadurch bewiesen werden – aber seine andere (die göttliche) Natur nicht. ¹⁰⁶ D. h. durch eine epistemisch sichere Überlieferung. ¹⁰⁷ D. h. durch eine Überlieferung, die nicht von einer hinreichenden Anzahl von vertrauenswürdigen Überlieferern übermittelt wurde.

Kapitel III: Über die Widerlegung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)

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Wenn ihr behauptet, sie sei āḥād, so hat dieser Weg keine Beweiskraft, da sie kein notwendiges Wissen darstellt. Denn bei āḥād können Nachlässigkeit, Fehler und Lüge nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Und wenn sie [sc. die Christen] dies durch tawātur behaupten, so wird vorausgesetzt, dass die zwei Seiten [sc. der erste rāwī und der Empfänger] und der Vermittler [sc. die Überlieferer] (zwischen den beiden Seiten) zahlenmäßig gleich (viel) sind. Und dies bedeutet, dass die Anzahl der Überlieferer eine Menge erreicht, bei der Betrug, Nachlässigkeit und Fehlerhaftigkeit ausgeschlossen sind. Mit anderen Worten: Eine große Gruppe überliefert über eine andere große Gruppe usw., bis die Nachrichten den Überlieferer erreichen, der die betroffene Person (rāwī) unmittelbar getroffen hat. Wenn irgendetwas von alledem nicht zutrifft [sc. nicht vorhanden ist], so ist das eindeutig kein tawātur. Und wenn die Christen behaupten, dass die Nachricht von der Tötung und Kreuzigung Christi vergleichbar wäre (mit tawātur), dann würden wir sie, ausgehend von dem Evangelium, das sie besitzen, wie folgt verurteilen. Wir sagen dazu: Schon euer Buch äußerte,¹⁰⁸ dass die Juden in der Nacht auf Freitag, den 13. Nisan [sc. April], mit Schwertern, Stöcken und Fackeln zum Messias hinausgingen, während der Messias mit seinen Jüngern im Jordan-Tal war. Daraufhin klopften sie an die Tür und der Messias kam zu ihnen hinaus und sprach: »Wen sucht ihr?« Sie antworteten ihm: »Yasūʿ [sc. Jesus]«. Sie leugneten den Messias ab und erkannten ihn nicht als Messias. Sie taten dies mehrfach. Er [sc. der Messias] sprach: »Ich bin Yasūʿ [sc. Jesus]«, da fassten sie ihn und fesselten ihn. Seine Genossen konnten entkommen und keiner folgte ihm [sc. dem Messias] außer Petrus aus der Ferne und einem jungen Mann in einem Männerkleid. Sie hielten ihn an seiner Kleidung fest, sodass er sie [sc. die Kleidung] ihnen ließ und nackt flüchtete.¹⁰⁹ Und was Petrus betrifft, so ging er in das Haus hinein und wärmte sich mit den Soldaten am Feuer. Eine Magd erkannte ihn und sagte: »Du bist der Freund des Yasūʿ!« Petrus leugnete das ab. Eine andere Magd kam und sagte dasselbe wie die erste. Petrus leugnete es erneut ab und schwor, dass er ihn [sc. Jesus] nicht kenne. So täuschte er sie, bis er von ihnen fliehen konnte.¹¹⁰ Als es Morgen wurde, wurde der Gefasste [sc. den sie für Jesus hielten] gekreuzigt, während kein Anhänger Christi mehr bei ihm war außer weinenden Frauen. Der Gekreuzigte sagte zu diesen: »Weint nicht über mich, weint über euch und eure Kinder! Auf euch wird eine Zeit zukommen, in der ihr unfruchtbare Frauen stark beneidet.«¹¹¹

¹⁰⁸ Das Folgende nach Matthäus 26–27 und den Parallelen, teils ausgestaltet. Die Frage »Wen sucht ihr?« kommt nur bei Johannes 18,4–8 vor. ¹⁰⁹ Markus 14,51–52. ¹¹⁰ Nach Matthäus 26,69–75, Markus 14,66–72, Lukas 22,54–62 sowie Johannes 18,15–18 und 18,25–27. ¹¹¹ Lukas 23,28–29.

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und was die Juden angeht, welche bei der Tötung und Kreuzigung anwesend waren, so erreicht deren Zahl nicht die Anzahl des tawātur. Denn keiner der Anhänger des Messias war anwesend, außer schwachen Frauen, und von den Juden war keiner anwesend außer einer kleinen Gruppe. Und das ist kein tawātur. Und alle, die nach diesen gekommen sind, haben (das Zeugnis) von denen überliefert. Und damit erlangt man keine (sichere) Erkenntnis. Da wir geleugnet haben, dass die(se) Nachricht ein tawātur ist, welches für (sichere) Erkenntnis notwendig wäre, so wollen wir dies nun mit weiteren Belegen aus den Evangelien bekräftigen, die die Kreuzigung und Tötung des Messias in Frage stellen und dies [sc. die Kreuzigung und Tötung] anderen zuschreiben lassen. Erstes Argument: Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Messias mehr als 30 Jahre unter ihnen gelebt hat, während derer er die Juden mit Argumenten und Beweisen begeisterte und sie mit stichhaltigen Worten in Versammlungen zum Schweigen brachte. Und sie kannten ihn [sc. Jesus], kleine und große [d. h. alle von ihnen]. Und sie betrachteten ihn als ansehnlich und (zugleich) bedrohlich. Was hätte sie [sc. die Juden] dazu gezwungen, einem seiner zwölf Jünger Geld zu bezahlen, damit er sie mit seinem (wahren) Bild [sc. Person bzw. Erscheinung] bekannt [sc. vertraut] machte, wenn keine Verwechslung möglich war?¹¹² Zweites Argument: Es handelt sich hierbei darum, dass der Getötete und Gekreuzigte ein anderer als der Messias war, wie etwa Matthäus in seinem Evangelium im Psalm 65¹¹³ erzählt, »dass der Hohepriester bei dem lebendigen Gott den Gefangenen beschwor: ›Du sagst uns, ob du der Messias, der lebendige Sohn Gottes bist.‹ Er [sc. der Gefangene] sprach zu ihm: ›Du sagst es‹.«¹¹⁴

Der Messias sagte nicht: »Ich (bin es).« Auch Lukas erzählt in seinem Evangelium eine ähnliche Aussage.¹¹⁵ Und das ist einer der klarsten Beweise, dass der Gefangene nicht Christus war. Wenn er selbst Christus gewesen wäre, so hätte er mit der Antwort nicht gezögert [wörtl.: verheimlicht]. Zudem verwendet er eine ausweichende Antwort an den Hohepriester. Wie kann er aber der Messias

¹¹² Al-Jaʿfarī meint: Eine Verwechslung war möglich, die Juden kannten Jesus nicht. ¹¹³ Hierbei dürfte es sich um eine frühe Vers- oder Abschnittseinteilung des Evangeliums handeln; vgl. die Hinweise zur Kapiteleinteilung der Alexandrinischen Vulgata (Kapitel 8, S. 292). ¹¹⁴ Matthäus 26,63–64: ‫ ﻭﻟﻢ ﻳﻘﻞ‬٬ ‫ ﺃﻧﺖ ﻗﻠﺖ‬: ‫ ﺃﻣﺎ ﻗﻠﺖ ﻟﻨﺎ ﺍﻥ ﻛﻨﺖ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺍﺑﻦ ﷲ ﺍﻟﺤﻰ ؟ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ‬: ‫ ﺃﻥ ﺭﺋﻴﺲ ﺍﻟﻜﻬﻨﺔ ﺃﻗﺴﻢ ﺑﺎﮧﻠﻟ ﺍﻟﺤﻰ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﻤﺄﺧﻮﺫ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﺃﻧﺎ‬: ‫ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ‬ ‫ ﻗﺎﻝ‬.‫ ﻭﺍﻥ ﻳﺴﻮﻉ ﻛﺎﻥ ﺳﺎﻛﺘﺎ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ ﺭﻳﻴﺲ ﺍﻟﻜﻬﻨﺔ ﺍﻗﺴﻢ ﻋﻠﻴﻚ ﺑﺎﮧﻠﻟ ﺍﻟﺤﻰ ﺍﻣﺎ ﻗﻠﺖ ﻟﻨﺎ ﺍﻥ ﻛﻨﺖ ﺍﻧﺖ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺍﺑﻦ ﷲ ﺍﻟﺤﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ .‫ﻟﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻧﺖ ﻗﻠﺖ ﻭﺍﻳﻀﺎ ﺍﻗﻮﻝ ﻟﻜﻢ ﺍﻧﻜﻢ ﻣﻦ ﺍﻻﻥ ﺗﺮﻭﻥ ﺍﺑﻦ ﺍﻻﻧﺴﺎﻥ ﺟﺎﻟﺴﺎ ﻋﻦ ﻳﻤﻴﻦ ﺍﻟﻘﻮﺓ ﻭﺍﺗﻴﺎ ﻋﻠﻰ ﺳﺤﺎﺏ ﺍﻟﺴﻤﺎء‬ ¹¹⁵ Lukas 22,70 und Parallelen: .‫ ﻭﻟﻢ ﻳﻘﻞ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺍﻧﺎ‬٬‫ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻪ ﺍﻧﺖ ﻗﻠﺖ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﻘﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﺍﻧﺘﻢ ﺗﻘﻮﻟﻮﻥ ﺍﻧﻰ ﺍﻧﺎ ﻫﻮ‬.‫ ﻓﻘﺎﻝ ﺟﻤﻴﻌﻬﻢ ﻓﺎﻧﺖ ﺍﺫﻥ )ﺍﺩﻥ( ﺍﺑﻦ ﷲ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬

Kapitel III: Über die Widerlegung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)

473

sein, wenn er, nachdem er bei Gott beschworen wurde, auf die einfache Frage »Wo ist der Messias?« nicht antworten kann »Ich bin der Messias«? Drittes Argument: Lukas sagte in seinem Evangelium Folgendes: Und Christus begab sich auf einen Berg in Galiläa, wobei Petrus, Jakobus und Johannes ihn begleiteten. Und als er betete, wurde sein Gesicht anders, und sein Gewand wurde weiß und glänzte wie ein Blitz. Und sie sahen Mose, den Sohn des ʿImrān [sc. Amram], und Elija erscheinen, wobei eine Wolke sie beschattete. Was diejenigen angeht, die mit ihm waren, so überfiel sie der Schlaf.¹¹⁶ Dieses von Lukas überlieferte Kapitel ist ein Beweis für die Erhebung [sc. Verklärung] des Messias und seinen Schutz vor seinen jüdischen Feinden. Möge Gott sie enttäuschen! Viertes Argument: Dieses Argument für den Schutz Gottes für seinen Propheten, den Messias, ist die folgende Aussage des Evangeliums:¹¹⁷ Die Gestalt des Gefangenen wurde verändert, sein Bild wurde entstellt und wurde entwürdigt herbeigeführt und mit einer Dornenkette bestraft und mit einem Spottmantel (aus Purpur) bekleidet und würdelos behandelt, er wurde (herum)geschoben und geschleppt und geschlagen und ausgezogen. Und er trug das Holz, an dem er gekreuzigt wurde, als er an denjenigen weitergegeben wurde, der ihn gefangen nahm; und er ist (selbst) hinaufgestiegen (zum Kreuz, an das er dann genagelt wurde) und (wurde) nicht durch andere (hinaufgehoben). Schon Lukas bezeugte am Anfang seines Evangeliums, dass Gabriel Maria, der Mutter des Messias, die frohe Botschaft verkündet, dass Gott ihren Sohn auf dem Thron Davids sitzen lässt. »Er wird ihn über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen lassen.«¹¹⁸ Die Aussage Gabriels ist richtig [sc. wahrhaftig] und die Nachricht Gottes glaubhaft. Und wenn wir sagen würden, dass der erniedrigte Gekreuzigte der Messias ist, so wäre jene wahre Botschaft notwendigerweise ungültig.¹¹⁹

¹¹⁶ Gekürzt nach Lukas 9,28–36 (vgl. Matthäus 17,1–9 und Markus 9,2–10): ‫ ﻭﺍﺑﻴﻀﺖ ﺛﻴﺎﺑﻪ‬٬ ‫ ﻓﺒﻴﻨﻤﺎ ﻫﻮ ﻳﺼﻠﻰ ﺍﺫ ﺗﻐﻴﺮ ﻣﻨﻈﺮ ﻭﺟﻬﻪ‬٬ ‫ ﻭﻣﻌﻪ ﺑﻄﺮﺱ ﻭﻳﻌﻘﻮﺏ ﻭﻳﻮﺣﻨﺎ‬٬ ‫ ﺻﻌﺪ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻟﻰ ﺟﺒﻞ ﺍﻟﺠﻠﻴﻞ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻓﺄﻣﺎ ﺍﻟﺬﻳﻦ ﻛﺎﻧﻮﺍ ﻣﻌﻪ ﻓﻮﻗﻊ‬.‫ ﻭﺟﺎءﺕ ﺳﺤﺎﺑﺔ ﻓﺄﻅﻠﺘﻬﻢ‬٬ ‫ﻓﺼﺎﺭﺕ ﺗﻠﻤﻊ ﻛﺎﻟﺒﺮﻕ ﻭﻧﻈﺮﻭﺍ ﻣﻮﺳﻰ ﺑﻦ ﻋﻤﺮﺍﻥ ﻭﺍﻟﻴﺎﺱ ﻗﺪ ﻅﻬﺮﺍ ﻟﻬﻢ‬ .‫ﻋﻠﻴﻬﻢ ﺍﻟﻨﻮﻡ ﻓﻨﺎﻣﻮﺍ‬ ‫ ﻭﻛﺎﻥ ﻓﻴﻤﺎ ﻫﻮ ﻳﺼﻠﻰ ﺗﻐﻴﺮ‬.‫ ﻭﻛﺎﻥ ﺑﻌﺪ ﻫﺬﺍ ﺍﻟﻜﻼﻡ ﺑﺜﻤﻨﻴﺔ ﺍﻳﺎﻡ ﺍﺧﺬ ﺑﻄﺮﺱ ﻭﻳﻮﺟﻨﺎ ﻭﻳﻌﻘﻮﺏ ﻭﺻﻌﺪ ﺍﻟﻰ ﺍﻟﺠﺒﻞ ﻳﺼﻠﻰ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ﻣﻨﻈﺮ ﻭﺟﻬﻪ ﻭﺍﺑﻴﻀﺖ ﺛﻴﺎﺑﻪ ﻭﻛﺎﻧﺖ ﺗﻠﻤﻊ ﻛﺎﻟﺒﺮﻕ ﻭﺍﺫﺍ ﺭﺟﻼﻥ ﻳﻜﻠﻤﺎﻧﻪ ﻭﻫﻤﺎ ﻣﻮﺳﻰ ﻭﺍﻳﻠﻴﺎ ﻅﻬﺮﺍ ﻓﻲ ﻣﺠﺪ ﻭﻛﺎﻧﺎ ﻳﻘﻮﻻﻥ ﻋﻠﻰ‬ .‫ﻣﺨﺮﺟﻪ ﺍﻟﺬﻱ ﻛﺎﻥ ﻣﺰﻣﻌﺎ ﺍﻥ ﻳﻜﻤﻞ ﺑﻴﺮﻭﺷﻠﻴﻢ ﻭﺑﻄﺮﺱ ﻭﺍﻟﺬﻳﻦ ﻣﻌﻪ ﺛﻘﻠﻮﺍ ﺑﺎﻟﻨﻮﻡ‬ ¹¹⁷ Das Folgende nach Matthäus 27,26–31 und Parallelen: ‫ ﻭﺃﺑﻠﺲ‬٬ ‫ ﻭﺃﻟﺒﺲ ﺃﺭﺟﻮﺍﻧﺎ‬٬ ‫ ﻭﺗﻮﺝ ﻣﻦ ﺍﻟﺸﻮﻙ ﺍﻛﻠﻴﻼ‬٬ ‫ ﻭﺷﻮﻫﺖ ﺻﻮﺭﺗﻪ ﻭﺳﻴﻖ ﺫﻟﻴﻼ‬٬ ‫ ﺍﻟﺬﻯ ﺃﺧﺬ ﻛﺎﻧﺖ ﻗﺪ ﻏﻴﺮﺕ ﻫﻴﺌﺘﻪ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ ‫ ﻭﺃﻋﻨﻒ ﺑﻪ ﺍﻟﻰ ﻣﻦ ﺳﺠﻨﻪ ﻓﺮﻛﺐ‬٬ ‫ ﻭﺣﻤﻞ ﺧﺸﺒﺘﻪ ﺍﻟﺘﻰ ﻋﻠﻴﻬﺎ ﺻﻠﺐ‬٬ ‫ ﻭﺿﺮﺏ ﻭﻧﺰﻋﺖ ﺃﺛﻮﺍﺑﻪ ﻭﺳﻠﺐ‬٬ ‫ ﻭﺟﺬﺏ ﻭﺳﺤﺐ‬٬ ‫ﻫﻮﺍﻧﺎ‬ .‫ﻭﻣﺎ ﺭﻛﺐ‬ ‫ ﺣﻴﻨﻴﺬ ﺍﺧﺬ ﺟﻨﺪ ﺍﻟﻘﺎﻳﺪ ﻳﺴﻮﻉ ﻭﻭﺩﻭﻩ ﺍﻟﻲ ﺍﻻﺑﺮﻭﻁﻮﺭ ﻭﺟﻤﻌﻮﺍ ﻋﻠﻴﻪ‬.‫ ﺣﻴﻨﻴﺬ ﺍﻁﻠﻖ ﺑﺎﺭﻳﺒﺎﻥ ﻭﺟﻠﺪ ﻳﺴﻮﻉ ﻭﺍﺳﻠﻤﻪ ﻟﻴﺼﻠﺐ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ﺍﻟﺠﻨﺪ ﻭﻧﺰﻋﻮﺍ ﺛﻴﺎﺑﺔ ﻭﺍﻟﺒﺴﻮﻩ ﻟﺒﺎﺳﺎ ً ﺍﺣﻤﺮ ﻭﺿﻔﺮﻭﺍ ﺍﻟﻠﻴﻼ ﻣﻦ ﺷﻮﻙ ﻭﺗﺮﻛﻮﻩ ﻋﻠﻲ ﺭﺍﺳﺔ ﻭﻗﺼﺒﺔ ﻓﻲ ﻳﻤﻴﻨﺔ ﺛﻢ ﺟﺜﻮﺍ ﻋﻠﻲ ﺭﻛﺒﻬﻢ‬ ‫ﻗﺪﺍﻣﻪ ﻭﺗﻬﺰﻭﺍ ﺑﻪ ﻭﻗﺎﻟﻮﺍ ﺳﻼﻡ ﻳﺎ ﻣﻠﻚ ﺍﻟﻴﻬﻮﺫ ﻭﻛﺎﻧﻮﺍ ﻳﺘﻔﻠﻮﻥ ﻋﻠﻴﻪ ﻭﺍﺧﺬﻭﺍ ﻗﺼﺒﺔ ﺿﺮﺑﻮﺍ ﺑﻬﺎ ﺭﺍﺳﻪ ﻓﻠﻤﺎ ﻫﺰﻳﻮﺍ ﺑﻪ ﻧﺰﻋﻮﺍ ﻋﻨﻪ ﺍﻟﺜﻴﺎﺏ‬ .‫ﻭﺍﻟﺒﺴﻮﻩ ﺛﻴﺎﺑﻪ ﻭﻣﻀﻮﺍ ﺑﻪ ﻟﻴﺼﻠﺐ ﻭﻓﻴﻤﺎ ﻫﻢ ﺧﺎﺭﺟﻮﻥ ﻭﺟﺪﻭﺍ ﺍﻧﺴﺎﻧﺎ ﻗﻴﺮﺑﺎﻧﻴﺎ ﺍﺳﻤﻪ ﺳﻤﻌﺎﻥ ﻓﺴﺨﺮﻭﻩ ﻟﻴﺤﻤﻞ ﺻﻠﻴﺒﻪ‬ ¹¹⁸ Lukas 1,26–33; zitiert: 1,33. ¹¹⁹ D. h., wenn Jesus tot wäre (gestorben wäre), so wäre die Botschaft nicht in Erfüllung gegangen.

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Fünftes Argument: Johannes der Jünger (Jesu) erzählt in seinem Evangelium, dass der Messias – als jene kamen, die ihn im Garten im Jordan-Tal festnahmen – ihnen entgegenging und fragte: »Wen sucht ihr?« Sie antworteten: »Yasūʿ [sc. Jesus]«, wobei sie seine wahre Identität nicht kannten. Sie wiederholten dieselbe Frage mehrmals und er gab ihnen immer wieder dieselbe Antwort.¹²⁰ Das ist ein Beweis für die Verwechslung, denn sie erkennen sein Gesicht nicht, obwohl er als Jugendlicher unter ihnen aufwuchs und in ihrer Gemeinde erzogen wurde. Sechstes Argument: Lukas sagte in seinem Evangelium Folgendes:¹²¹ Zwei von den Jüngern des Messias aus Urshalem [sc. Jerusalem] begaben sich nach seiner Auferstehung zu einem Dorf, das Emmaus genannt wird. Und er folgte ihnen und begleitete sie. Ihre Augen aber wurden gehalten [sc. waren wie geblendet], sodass sie ihn nicht erkannten. Als er sie aber ansprach, erkannten sie ihn. Und das ist ein Beweis für die Veränderung des Zustandes. Wie kann es also möglich sein, dass sein Zustand auf dem Weg und seinen Jüngern in Galiläa gegenüber verändert wird, es sei denn, eine Verwechslung hat stattgefunden? Und Lukas sagte: »Während die Jünger in ihrem Zimmer waren, stand der Messias in ihrer Mitte, wobei sie ihn nicht erkannten. Er bat sie um etwas zu essen und sie gaben ihm etwas Fisch und etwas Blütenhonig.«¹²²

§ 174 § 175 § 176

Und wenn seine Person schon seinen Jüngern verborgen ist, wie hätten ihn denn die Juden erkennen können, sodass sie ihn töten konnten? Siebtes Argument: Johannes sagte Folgendes: »Der Messias war bei seinen Jüngern, als diese fischen waren. Da sprach er zu ihnen: ›Jünglinge, habt ihr etwas zu essen?‹ Sie erkannten ihn (jedoch) nicht und antworteten ihm: ›Nein!‹ Er sprach zu ihnen: ›Werft das Netz auf der rechten Seite des Schiffes aus.‹

¹²⁰ Nach Johannes 18,4–8: ‫ ﻭﻗﺪ ﺧﻔﻰ‬.‫ ﻳﺴﻮﻉ‬: ‫ ﻣﻦ ﺗﺮﻳﺪﻭﻥ ؟ ﻓﻘﺎﻟﻮﺍ‬: ‫ ﺧﺮﺝ ﺍﻟﻴﻬﻢ ﻓﻘﺎﻝ‬٬ ‫ ﺃﻥ ﺍﻟﺬﻳﻦ ﻓﺒﻀﻮﺍ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﻤﺄﺧﻮﺫ ﻣﻦ ﺑﺴﺘﺎﻥ ﺑﻮﺍﺩﻱ ﺍﻷﺭﺩﻥ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﻫﻮ ﻳﻌﻴﺪ ﺍﻟﺠﻮﺍﺏ‬٬ ‫ ﻓﺠﻌﻠﻮﺍ ﻳﻜﺜﺮﻭﻥ ﺍﻟﺴﺆﺍﻝ‬٬ ‫ﺷﺨﺼﻪ ﻋﻨﻬﻢ‬ .‫ ﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻧﺎ ﻫﻮ‬.‫ ﻓﺎﺟﺎﺑﻮﻩ ﻳﺴﻮﻉ ﺍﻟﻨﺎﺻﺮﻯ‬.‫ ﻭﻳﺴﻮﻉ ﻛﺎﻥ ﻋﺎﺭﻓﺎ ﺑﻜﻞ ﺷﻰء ﻳﺎﺗﻰ ﻋﻠﻴﻪ ﺧﺮﺝ ﻭﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﻟﻤﻦ ﺗﻄﻠﺒﻮﻥ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ .‫ﻭﻛﺎﻥ ﻳﻬﻮﺫﺍ ﺍﻟﺪﺍﻓﻊ ﻭﺍﻗﻔﺎ ﻣﻌﻬﻢ‬ ¹²¹ Nach Lukas 24,13–31: ‫ ﻭﻛﺎﻧﺖ ﻋﻴﻮﻧﻬﻤﺎ‬٬ ‫ ﻓﺘﺒﻌﻬﻤﺎ ﻭﻣﺎﺷﺎﻫﻤﺎ‬. ‫ ﺑﻌﺪ ﻗﻴﺎﻣﻪ‬٬ ‫ ﺻﺤﺐ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﺭﺟﻠﻴﻦ ﻣﻦ ﺃﻭﺭﺷﻠﻴﻢ ﻳﻄﻠﺒﺎﻥ ﻗﺮﻳﺔ ﻳﻘﺎﻝ ﻟﻬﺎ ﻋﻤﺎﻳﻮﺱ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻓﻠﻤﺎ ﻛﻠﻤﻬﻤﺎ ﻋﺮﻓﺎﻩ‬.‫ﻣﻤﺴﻮﻛﺔ ﻋﻦ ﻣﻌﺮﻓﺘﻪ‬ ‫ ﺗﺪﻋﻰ ﻋﻤﻮﺍﺱ ]…[ ﺃﻣﺴﻚ‬٬‫ ﻭﺇﺫﺍ ﺍﺛﻨﺎﻥ ﻣﻨﻬﻢ ﺳﺎﻳﺮﺍﻥ ﻓﻲ ﺫﻟﻚ ﺍﻟﻴﻮﻡ ﺇﻟﻰ ﻗﺮﻳﺔ ﺑﻌﻴﺪﺓ ﻣﻦ ﻳﺎﺭﻭﺷﻠﻴﻢ ﻧﺤﻮ ﺳﺘﻴﻦ ﻏﻠﻮﺓ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ .‫ﺃﻋﻴﻨﻬﻤﺎ ﻋﻦ ﻣﻌﺮﻓﺘﻪ ]…[ ﻓﺎﻧﻔﺘﺤﺖ ﺍﻋﻴﻨﻬﻤﺎ ﻭﻋﺮﻓﺎﻩ‬ ¹²² Nach Lukas 24,36–43: ‫ ﻭﺍﻟﺘﻤﺲ ﻣﻨﻬﻢ ﺷﻴﺌﺎ ﻳﺄﻛﻠﻪ ﻓﺄﻁﻌﻤﻮﻩ ﺷﻴﺌﺎ ﻣﻦ ﺣﻮﺕ‬٬ ‫ ﺑﻴﻨﺎ ﺍﻟﺘﻼﻣﻴﺬ ﻓﻲ ﻏﺮﻓﺔ ﻟﻬﻢ ﺇﺫ ﻭﻗﻒ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﻓﻲ ﻭﺳﻄﻬﻢ ﻓﻠﻢ ﻳﻌﺮﻓﻮﻩ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ﻭﺷﻴﺌﺎ ﻣﻦ ﺷﻬﺪ ﺍﻟﻌﺴﻞ‬ ‫ ﻭﻓﻴﻤﺎ ﻫﻢ ﻳﺘﻜﻠﻤﻮﻥ ﺑﻬﺬﺍ ﻭﻗﻒ ﻳﺴﻮﻉ ﻓﻲ ﻭﺳﻄﻬﻢ ﻭﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﺍﻟﺴﻼﻡ ﻟﻜﻢ ﺍﻧﺎ ﻫﻮ ﻻ ﺗﺨﺎﻓﻮﺍ ]…[ ﻭﻟﻤﺎ ﻗﺎﻝ ﻫﺬﺍ ﺃﺭﺍﻫﻢ ﻳﺪﻳﻪ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ﻭﺭﺟﻠﻴﻪ ﻭﺍﺫﺍ ﻫﻢ ﻏﻴﺮ ﻣﺼﺪﻗﻴﻦ ﻣﻦ ﺍﻟﻔﺮﺡ ﻭﺍﻟﺘﻌﺠﺐ ﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﻋﻨﺪﻛﻢ ﻫﺎﻫﻨﺎ ﻣﺎ ﻳﻮﻛﻞ ﻭﺍﻧﻬﻢ ﺍﻋﻄﻮﻩ ﺟﺰﻭﺍ ﻣﻦ ﺣﻮﺕ ﻣﺸﻮﻯ ﻭﻣﻦ‬ .‫ﺷﻬﺪ ﺍﻟﻌﺴﻞ‬

Kapitel III: Über die Widerlegung der Tötung und Kreuzigung (Jesu)

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Und sie taten es und das Netz wurde mit Fischen gefüllt. Erst dann erkannten sie ihn (als den Messias).«¹²³

Solche (Aussagen) sind im Evangelium zahlreich. Achtes Argument: Lukas sagte Folgendes: Gabriel suchte Maria in Nazareth auf und verkündete ihr die frohe Botschaft, dass ihr Sohn, der Messias, König der Söhne Israels werden und auf dem Thron seines Vaters David sitzen wird.¹²⁴ Wie können die Christen nun behaupten, dass Gott dieses Versprechen nicht erfüllt hat und Gabriel mit seiner Nachricht lügt und nichts von dieser letzten (Nachricht) verwirklicht wird? Im Gegensatz dazu geschah genau das Gegenteil. Denn er [sc. Jesus bzw. der mit ihm Verwechselte] wurde genommen, an einem Baum gefesselt, und ihm wurde an seinen Kopf eine Krone aus Dornen gebunden und ein rotes Kleid angezogen. Ihm wurde an seine Hand ein Rohr eingehauen und sie ließen ihn sein Kreuz selbst auf dem Rücken tragen. Sie knieten nieder und fingen an, ihn auszulachen.¹²⁵ Wie kann also diese Überlieferung authentisch sein, wenn Gott (doch) durch (die Zunge) Gabriels angekündigt hat, dass er [sc. der Messias] auf der höchsten Stufe stehen wird? Niemals! Niemals! Es lügt derjenige, der die Tötung des Messias behauptet. Und er irrt sich massiv und unmissverständlich. Und es kam schon in der Erzählung der Tötung und Kreuzigung selbst das vor, was ihre Widerlegung notwendig macht, ihre Ungültigmachung erfordert und diese unglaubwürdig macht. Und zwar kamen die Juden zum Messias und fragten ihn nach einem Wunder. Er erwiderte:

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»Die(se) böse lasterhafte Generation möchte ein Wunder, wobei nur Yūnān [sc. Jona] der Prophet eins erhält. Denn genauso wie Yūnān im Bauch des Walfisches drei Tage und drei Nächte blieb, so bleibt auch der Mensch im Bauch der Erde und in deren Inneren drei Tage und drei Nächte lang.«¹²⁶

Dadurch kündigte er [sc. der Messias] an, dass der Mensch in der Erde begraben wird und in ihrem Innern diese Zeitdauer verbringt. Und wir haben dies schon im Evangelium überprüft und fanden somit heraus, dass diese Nachricht reine Lüge ist: Und zwar, dass einige der Evangelisten sagten, dass der Gefangene am Freitag gekreuzigt, in der Samstagnacht begraben und in der Sonntagnacht (im Grab) gesucht, aber nicht aufgefunden wurde.¹²⁷ Es wird auch erzählt, dass er

¹²³ Johannes 21,4–7: : ‫ ﻓﻘﺎﻝ‬.‫ ﻻ‬: ‫ ﻭﻗﺎﻟﻮﺍ‬٬ ‫ ﻫﻞ ﻋﻨﺪﻛﻢ ﻣﻦ ﻁﻌﺎﻡ ؟ ﻓﻠﻢ ﻳﻌﺮﻓﻮﻩ‬٬ ‫ ﻳﺎ ﻓﺘﻴﺎﻥ‬: ‫ ﻓﻘﺎﻝ‬٬ ‫ ﻭﻗﻒ ﺍﻟﻤﺴﻴﺢ ﻋﻠﻰ ﺗﻼﻣﻴﺬﻩ ﻭﻫﻢ ﻳﺼﻴﺪﻭﻥ ﺍﻟﺴﻤﻚ‬:‫ﺍﻟﺮﺩ‬ .‫ ﻭﺣﻴﻨﺌﺬ ﻋﺮﻓﻮﻩ‬٬ ‫ ﻓﻜﺎﻧﺖ ﺗﺨﺘﺮﻕ ﻣﻦ ﺍﻟﺴﻤﻚ‬٬ ‫ ﻓﻔﻌﻠﻮﺍ‬٬ ‫ﺃﻟﻘﻮﺍ ﺍﻟﺸﺒﻜﺔ ﻣﻦ ﺍﻟﺠﺎﻧﺐ ﺍﻷﻳﻤﻦ‬ ‫ ﺃﺟﺎﺑﻮﻩ‬.‫ ﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﻳﺴﻮﻉ ﻳﺎ ﻓﺘﻴﺎﻥ ﻟﻌﻞ ﻋﻨﺪﻛﻢ ﺷﻴﺌﺎ ﻳﺆﻛﻞ‬.‫ ﻓﻠﻤﺎ ﺃﺻﺒﺤﻮﺍ ﻭﻗﻒ ﻳﺴﻮﻉ ﻋﻠﻰ ﺍﻟﺸﻂ ﻭﻟﻢ ﻳﻌﻠﻢ ﺍﻟﺘﻼﻣﻴﺬ ﺃﻧﻪ ﻳﺴﻮﻉ‬:‫ﻓﻮﻟﻐﺎﺗﺎ‬ ‫ ﻓﺄﻟﻘﻮﺍ ﻭﻟﻢ ﻳﻘﺪﺭﻭﺍ ﺃﻥ ﻳﺸﻴﻠﻮﻫﺎ ﻣﻦ ﻛﺜﺮﺓ ﺍﻟﺤﻴﺘﺎﻥ )ﺍﻟﺤﻴﺜﺎﻥ( ﺍﻟﺘﻲ‬.‫ ﻗﺎﻝ ﻟﻬﻢ ﺃﻟﻘﻮﺍ ﺷﺒﻜﺘﻜﻢ ﻣﻦ ﺟﺎﻧﺐ ﺍﻟﺴﻔﻴﻨﺔ ﺍﻷﻳﻤﻦ ﻓﺘﺠﺪﻭﺍ‬.‫ﻗﺎﺋﻠﻴﻦ ﻻ‬ .‫ ﻓﻘﺎﻝ ﺫﻟﻚ ﺍﻟﺘﻠﻤﻴﺬ ﺍﻟﺬﻱ ﻛﺎﻥ ﻳﺤﺒﻪ ﻳﺴﻮﻉ ﻟﺒﻄﺮﺱ ﻫﻮ ﺍﻟﺮﺏ‬.‫ﺻﻴﺪﺕ‬ ¹²⁴ Summarisch nach Lukas 1,26–33. ¹²⁵ Nach Matthäus 27,26–31 und Parallelen. ¹²⁶ Nach der Fassung bei Matthäus 12,38–40. ¹²⁷ Nach Matthäus 27,57–28,15 und Parallelen.

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

am Sonntag im Dunkeln gekreuzigt, aber (ebenfalls) nicht aufgefunden wurde. Wenn der Text des Evangeliums also so lautet, dann wäre er nur einen Tag und eine Nacht oder zwei Nächte im Bauch und im Inneren der Erde geblieben. Und dies stellt selbstverständlich die Richtigkeit der Kreuzigung und der Tötung absolut in Frage. Diese Texte der Evangelien verkünden sehr deutlich einerseits den Schutz Gottes für seinen Propheten, den Messias, vor den Listen seiner Feinde und andererseits die Verwechslung in Bezug auf einen Mann, mit dem Gott sie [sc. die Soldaten] beschäftigte, und damit sie sich von ihm – mögen Gottes Segen und Frieden auf ihm und seinen Brüdern, den Propheten, sein! – entfernten. Wer diesen Themen begegnet ist, der sollte sich über diese Texte tiefe Gedanken machen und die Nachahmung und die Übernahme (alter Gedanken diesbezüglich) sowie die Befolgung der unbelegten Unwahrheiten vermeiden. Gott möge Erfolg geben!

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Kapitel IV: Vierte Angelegenheit: Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität

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Wir sagen Folgendes: Die Christen behaupten, dass ihr Gott aus drei Hypostasen¹²⁸ besteht; diese sind die Hypostase des Seins [bzw. Wesenheit], die Hypostase des Lebens und die Hypostase des Wissens. Das erste, mit dem die Diskussion gegen sie [sc. die Christen] eröffnet werden kann, ist Folgendes: Was ist euer Beweis für die Beschränkung der Hypostasen auf drei? Und warum lehnt ihr (Christen) die Behauptung derjenigen ab, die von vier Hypostasen ausgehen, indem sie dabei die Hypostase der Macht hinzufügen, sodass die Trinität zur Quaternität wurde? Wenn sie sagen: Nein, das ist nicht notwendig, denn in der Hypostase des Wissens ist das schon mitenthalten,¹²⁹ sagen wir dazu: Nein, wir glauben nicht an die Richtigkeit dieser These. Denn warum sollte der Erhalt des Wissens von dem Erhalt der Macht abhängen? Und wenn die Hypostase des Wissens von jener der Macht abhängig wäre, so wäre die Hypostase des Lebens von der des Wissens ebenfalls abhängig, denn es ist möglich, dass einer wissend, aber nicht mächtig ist. Die Endgrenze des Wissens ist die Erleuchtung, während die Endgrenze der Macht die Erfindung und die Erschaffung ist. Das Wissen einer Sache erfordert nicht unbedingt ihre [sc. der Sache] Herstellung. Also muss weder jedes Lebewesen wissend sein noch jeder Wissende mächtig. Und wie die Abwesenheit des Wissens die Anwesenheit seines Gegenteils, des Unwissens, erfordert, so müsste die Nichtexistenz der Macht auch ihr

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¹²⁸ Arab. ‫ﺃﻗﺎﻧﻴﻢ‬. ¹²⁹ D. h., die Christen würden sagen, Macht ist schon im Wissen vorhanden. Macht und Wissen vervollständigen sich und das eine erfordert das andere notwendigerweise unbedingt.

Kapitel IV: Über die Widerlegung der Behauptung der Trinität

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Gegenteil, nämlich die Unfähigkeit, erfordern. Und Gott hat schon die Welt geschaffen, nachdem sie nicht existierte. Und das ist ein Zeichen der Macht, nicht des Wissens. Und das Wissen war eine (schon) vorhandene (Eigenschaft Gottes) des Erhabenen vor der Schöpfung. Somit muss Gott, der Erhabene, mit der Macht beschrieben werden auf Grund dessen, was wir (bisher) erläutert haben. Deshalb muss ihm auch der Wille zugeschrieben werden; denn die Macht setzt (notwendigerweise) die Erfindung voraus, und weil (auch) der Wille für die Schicksale, Gestalten [sc. Formen], Zeit und Zustände zuständig ist. Und wenn Gott der Erhabene mit der Macht und dem Willen beschrieben wird, auf Grund dessen, was wir (bisher) erläutert haben, dann ist [oder: wird] die Trinitätslehre nichtig; und Er – Er sei erhaben – muss wie folgt beschrieben werden: Er ist Einer, lebendig, wissend, mächtig, wollend [sc. mit eigenem Willen], hörend und sprechend. Diese die Trinität widerlegenden Eigenschaften haben die Bücher dieser Leute [sc. Christen] deutlich belegt. Sie [sc. diese Eigenschaften] sind in der Tora, im Evangelium und in den Psalmen in Fragmenten vorhanden. Dies weiß (sicherlich) derjenige, der ihre Bücher und ihre Schriften gelesen [sc. sich damit befasst] hat. Wir haben deren Aussagen unterteilt und sagen Folgendes: [23] Geht ihr von der Göttlichkeit jeder dieser drei Hypostasen aus? Oder behauptet ihr, dass alle ein einziger Gott sind? Oder behauptet ihr, Gott ist einer von ihnen und der (ganze) Rest sind Eigenschaften von ihm? Wenn sie das Erste meinen, so antworten wir: Bezeichnet ihr jeden Teil dieser drei [sc. der Trinität] als Gott in Wahrheit oder (nur) metaphorisch? Wenn sie (Gott) in Wahrheit meinen, sagen wir ihnen Folgendes: Ist dieser wahre Gott mit oder ohne Leben und Wissen denkbar [wörtl.: erlaubt ihr das]? Sollten sie bejahen, so antworten wir: So gibt es kein Bedürfnis nach den Hypostasen, denn Gott kann auf sie verzichten. Und wenn sie sagen: Gott muss (unbedingt) lebendig und wissend sein, dann sagen wir Folgendes: Dann müsste jede einzelne Hypostase mit dem Leben beschrieben werden und es müsste aus der Trinität eine Enneade (Neunheit) werden. Denn das Leben und das Wissen jeder Hypostase sind (auch) als zwei Hypostasen zu betrachten [sc. wahrzunehmen]. Und jede dieser neun Hypostasen kann kein Gott sein, wenn es nur metaphorisch gemeint ist. Und wenn ein wirklicher Gott gemeint ist, so müsste er lebendig und wissend sein. Das ist eine endlose Kette [sc. ein Regressus ad infinitum)]! Dies widerspricht dem, woran alle Leute der Schrift [sc. u. a. die Christen] glauben, und ist eine (klare) Distanzierung von der Tora, dem Evangelium, den Psalmen, den prophetischen Botschaften und sämtlichen (offenbarten) Büchern Gottes; und widerspricht zugleich dieser These aufgrund der Aussage Christi im Evangelium, als er gefragt wurde: »Was ist das Erste [sc. Wichtigste] aller Gebote?« und er antwortete: »Das erste aller Gebote ist: Höre, Israel [koranisch: Jakob]: Der Herr, unser Gott, ist Einer.«¹³⁰ Und er wurde über den Jüngsten Tag befragt; und er sagte: »Das weiß niemand außer

¹³⁰ Nach der Fassung bei Markus 12,28–29 (mit Zitat aus Deuteronomium 6,4–5).

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Gott, dem Einen.«¹³¹ Und er sagte: »Ich fahre auf zu meinem Gott und zu eurem Gott.«¹³² Somit bezeugt er [sc. der Messias] in jedem Evangelium, dass Gott – der Erhabene – Einer ist. Und wenn sie [sc. die Christen] sagen: Der wirkliche Gott ist Einer, wobei der dritte und der zweite metaphorisch zu verstehen sind, dann würden sie die Trinitätslehre verwerfen und mit [sc. neben] dem wahren Gott einen nichtwahren Gott anbeten.¹³³ Wenn sie das Zweite meinen, nämlich dass das Ganze ein einziger Gott ist und dass jeder von ihnen als Einzelner [sc. nicht als Gott]¹³⁴ zu betrachten ist, dann würden sie mit dieser Aussage die Trinitätslehre wieder verwerfen. Dadurch würden sie ebenfalls dem Anvertrauten [sc. hier: ihrem Glaubensbekenntnis] widersprechen, denn sie sagen darin Folgendes: »Der Vater ein einzelner Gott, und der Sohn ist ein einzelner Gott und der Heilige Geist ist ebenfalls ein einzelner Gott«, und sie würden dadurch ihr Gebet zunichte machen, in dem sie rezitieren: »Die Engel preisen dich, dein Sohn ist dir ähnlich an Ursprung, und der Heilige Geist ist dir gleich an Würde.« Und wenn sie das Dritte meinen, nämlich dass der Gott einer von ihnen [sc. einer von den drei Hypostasen] ist und das Überflüssige [sc. der Rest außer dem einen Gott] seine Eigenschaften sind, dann würden sie damit die Trinitätslehre zunichtemachen und mit den Muslimen darüber einig sein, dass Gott – der Erhabene – ein Einziger ist und dass er die Eigenschaften des Wissens, der Macht, des Willens, des Lebens, des Hör- und Sehvermögens und des Sprechens besitzt. (Dies bedeutet auch,) dass einige dieser Eigenschaften (alleine) kein Gott sind, sondern der Gott ist ein (einziges) durch diese Eigenschaften beschriebenes Wesen. Und dadurch würde ihr Anvertrautes [sc. Glaubensbekenntnis] zunichte gehen, in dem der Vater zum Gott, der Sohn zum zweiten Gott und der Heilige Geist zum dritten Gott gemacht wurde. Und somit wurde die Trinität in allen Bereichen [sc. Erklärungsansätzen] widerlegt.

¹³¹ Wohl Matthäus 24,36. ¹³² Johannes 20,17. ¹³³ An dieser Stelle fügt Ḥasanayn in seiner (nicht kritischen) Edition willkürlich Textpassagen hinzu, die in der einzig vorhandenen Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, die auch Ḥasanayn als Basis dient, nicht vorkommen, tilgt aber dafür Stellen, die in der Handschrift enthalten sind (vgl. al-Jaʿfarī, Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā, Handschrift Istanbul, Süleymaniye – Ayasofya 2246, fol. 27a und vgl. Ḥasanayn, Kitāb al-radd 78). Da diese Studie keine kritische Edition bezweckt und die Textänderung bei Ḥasanayn keine Auswirkung auf die Argumentationslinie al-Jaʿfarīs hat, sehe ich an dieser Stelle von einem detaillierten Vergleich ab. Diese Stelle sollte jedoch eine Warnung sein, die Edition Ḥasanayns nicht ohne Vergleich mit der Handschrift zu verwenden. Die vorliegende Übersetzung orientiert sich maßgeblich an der Handschrift und zieht die Edition von Ḥasanayn nur sekundär heran. ¹³⁴ In der Edition ein Zusatz des Herausgebers Ḥasanayn, nicht im Manuskript vorhanden. Ḥasanayn sagt, dass der Text in dieser Bedeutung zu verstehen sei.

Kapitel V: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums

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Kapitel V: Fünfte Angelegenheit: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums, welches die Christen bis heute besitzen

§ 197

Wisse, dass das Buch, welches die Christen besitzen [sc. die Evangelien], erstaunliche Widersprüche umfasst, offenbare Unvereinbarkeiten [sc. Paradoxien] (beinhaltet) und sich widerlegt [wörtl. verleugnet], und all dies bleibt einem tiefen Betrachter nicht verborgen. Ich habe in meinem Buch mit dem Titel Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl viele Beiträge darüber dargelegt. Und wir haben uns an dieser Stelle auf eine Auswahl beschränkt, die dem tiefgründigen Betrachter die Widersprüche dieser Leute bezüglich ihrer Überlieferungen [oder: Berichte] und die Nichtigkeit dessen, was sie davon geglaubt und rationalisiert haben, sehr deutlich macht. Und wenn dies [sc. die Widersprüche darin, woran sie glauben] bekannt gemacht würde, dann würde es das Vertrauen bezüglich des ganzen Buches, das die Leute bis heute besitzen, brechen. Diesbezüglich erzählte u. a. Lukas am Anfang seines Evangeliums, dass Gabriel, als er Maria, die Mutter des Messias, die frohe Botschaft verkündete, ihr sagte: »Du wirst ein Kind gebären, der bei dem Vater auf dem Thron Davids sitzt. Er wird über das Haus Jakob herrschen und sein Königreich wird nie untergehen.«¹³⁵ Seine Kollegen unter den Überlieferern des Evangeliums aber haben seinen Bericht verleugnet und sagten, dass (dieses) von Gott mit der Zunge Gabriels versprochene Kind von den Juden (gefangen)genommen, erniedrigt, geschlagen, dann auf die schlimmste Art getötet und gekreuzigt wurde. Er wurde weder als König über die Juden benannt noch saß er auf dem Thron Davids. Und das ist eine üble Art der gegenseitigen Verleugnung [sc. sich gegenseitig widersprechenden Überlieferung im Evangelium]. Eine andere Angelegenheit [sc. Argument] bezüglich der Kontradiktion [sc. Widerspruch] und der Korruption: Sie erzählen, dass Johannes der Täufer, einer der Überlieferer des Evangeliums, Folgendes sagte: »Der Messias sagte: ›Wenn ich für mich selbst der Zeuge wäre, dann wäre mein Zeugnis ungültig. Aber andere bezeugen für mich, dass er [sc. Gott] mich gesandt hat.‹ «¹³⁶ Und schon eure Tora sagte Folgendes: »Das Zeugnis von zwei Männern ist richtig [sc. wahr/gültig].«¹³⁷ Siehe also: Möge Gott dich recht leiten! Wie sehr diese Worte beschädigt sind und wie nah [sc. ähnlich] sie denen der Irren und Verrückten sind! Denn sie behaupteten, Gott der Erhabene sei ein Mann und dass das Zeugnis des Messias über sich selbst das Zeugnis eines anderen Zeugen ersetzen würde,¹³⁸ nachdem er (doch

§ 198

¹³⁵ Nach Lukas 1,31–33. ¹³⁶ Johannes 5,31–32. ¹³⁷ Wohl nach Deuteronomium 17,6 und 19,15; vgl. Johannes 8,17. ¹³⁸ Das wird tatsächlich in Johannes 8,14 gesagt.

§ 199 § 200

§ 201

§ 202

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§ 205

§ 206 § 207

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

schon) Folgendes gesagt hatte: »Wenn ich für mich selbst der Zeuge wäre, dann wäre mein Zeugnis ungültig.« Und die Tora sagt, dass »das Zeugnis von zwei Männern richtig [sc. wahr/gültig] ist«. Und wenn es also ausgeschlossen wird, dass diese widersprüchlichen Worte [sc. Aussagen] dem Messias und seinen Jüngern zugeschrieben werden können, dann müssen wir uns davon [sc. von den Widersprüchen] entfernen und wissen, dass diese Worte keineswegs aus dem (wahren) Evangelium stammen können. Eine andere Angelegenheit [sc. Argument]: Im Johannesevangelium steht Folgendes: »Als Johannes der Täufer den Messias auf sich zukommen sah, sagte er: ›Seht dort das Lamm Gottes, das die Sünde der ganzen Welt trägt. Er ist der, von dem ich euch berichtet habe, dass er nach mir kommt und stärker als ich ist; und dass er mit der Schaufel eigenhändig am Feld die ganze Weizenernte bearbeitet und sammelt, und das restliche Stroh mit einem unlöschbaren Feuer verbrennt‹.«¹³⁹

§ 208

Ihm widerspricht Matthäus, indem er Folgendes sagt: »Johannes der Täufer sandte (seine Jünger) zu (Jesus), während er im Gefängnis war, und ließ ihn fragen: ›Bist du es, der da kommen soll [sc. der Kommende/Erwartete], oder sollen wir auf einen andern warten?‹ «¹⁴⁰

§ 209

§ 210

§ 211 § 212

Und dies ist eine deutliche Kontradiktion [sc. Widerspruch], denn einer der beiden berichtete über Johannes den Täufer, dass (dieser wusste, dass) er [sc. Jesus] tatsächlich derjenige [sc. der Erwartete] ist, und dabei überhaupt nicht zögerte [sc. keinen Zweifel daran hatte], wogegen der andere erzählt, dass er [sc. Johannes] Zweifel an ihm [sc. dem Messias] hatte und ihn nicht kannte, bis er einen Boten sandte und ihn fragte. Was Markus angeht, so übersah [sc. vernachlässigte] er diesen Vorfall und erwähnte ihn gar nicht. Und wenn er diesen Bericht [sc. Vorfall] übersehen hat, woher haben wir dann die Sicherheit, dass er nicht auch andere, wichtigere Vorfälle vernachlässigt hat? Wie kann dies (wirklich) aus dem Evangelium stammen, obwohl Markus es nicht erwähnt? Und wenn es bei Markus nicht bestätigt wird, so bedeutet dies einen Einwand gegenüber denjenigen, die es überliefert haben [sc. den anderen Evangelisten].¹⁴¹ Eine weitere Angelegenheit [sc. Argument]: Sie erzählen nach Matthäus Folgendes: »Als der Messias gekreuzigt wurde, wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Diese beiden machten sich gemeinsam mit den Juden über den Messias lustig und verspotteten ihn.«¹⁴² Im Gegensatz dazu erzählt Lukas hierzu Folgendes:

¹³⁹ Vgl. Johannes 1,29–30; der Wortlaut und das Bild von der Weizenernte folgen eher Lukas 3,16–17. ¹⁴⁰ Matthäus 11,2–3. ¹⁴¹ Al-Jaʿfarī meint: Die Evangelien wären nur dann glaubhaft, wenn sie inhaltlich alle miteinander übereinstimmen würden. ¹⁴² Nach Matthäus 27,38–39.

Kapitel V: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums

481

»Einer der beiden Räuber pflegte den Messias auszulachen und ihn zusammen mit den Juden zu verspotten. Der andere sagte Folgendes: ›Was uns angeht, so wurden wir gerecht bestraft. Was aber diesen Freund angeht, so hat er ja nichts Schlimmes getan.‹ Dann sprach er zu Christus: ›Mein Herr, gedenke an mich im Reich!‹ Und Christus sprach zu ihm: ›Wahrlich, du wirst mit mir im Paradies sein‹.«¹⁴³

Und dies ist eine Verleugnung der Aussage des Matthäus, dass einer der Räuber ein Ungläubiger war und den Messias verspottete.¹⁴⁴ Und das ist ein großes Paradox. Eine weitere Angelegenheit [sc. Argument]: Lukas erzählt (von Jesus) Folgendes [sc. folgende Aussage]: »Ich bin nicht gekommen, um die Seelen der Menschen zu verderben, sondern um (sie) wiederzubeleben.«¹⁴⁵ Der andere (Evangelist) widersprach ihm, (indem er Jesus) wie folgt (sprechen lässt): »Ich bin nicht gekommen, Frieden auf die Erde zu verstreuen, ich kam nicht, um Frieden, sondern um Schwert(er) zu bringen und an der Erde Feuer anzuzünden.«¹⁴⁶ Und dies ist ein eindeutiger Widerspruch. Und wir, Gott sei Dank, halten Christus von solchen verwirrenden Aussagen fern. Und (wir) tadeln diejenigen unter den späteren Überlieferern, die dies berichtet haben. Fazit dieses Diskurses ist, dass eine der beiden Überlieferungen ihn [sc. den Messias] zur Barmherzigkeit für die Welten macht, während die andere dies verneint und ihn als Strafe für alle Geschöpfe darstellt. Eine weitere Angelegenheit [sc. Argument]: Matthäus sagte Folgendes:

§ 213

§ 214 § 215

§ 216

§ 217

§ 218 § 219

»Maria, die Dienerin des Messias, kam am Samstagabend mit einer anderen Frau, um das Grab des Messias zu besuchen. Und sie [sc. Maria] sah einen Engel vom Himmel herabkommen, der ihr sagte: ›Habe keine Angst, ich weiß, dass du gekommen bist, um den gekreuzigten ʿĪsā [sc. Jesus] zu suchen, er ist jedoch nicht da. Er ist von den Toten auferwacht und ging euch voran nach Galiläa.‹ Daraufhin gingen sie (beide) schnell und der Messias erschien ihnen plötzlich und sagte: ›Beruhigt euch [sc. macht euch keine Sorgen]! Geht und teilt meinen Brüdern mit, dass sie sich vor mir nach Galiläa begeben sollen [sc. vorangehen sollen].‹ «¹⁴⁷

Ihm widerspricht jedoch Johannes und sagt Folgendes: »Maria ist am Sonntag alleine im Dunkeln zum Grab gekommen und sah daraufhin den Stein, wobei er dem Munde des Grabes entrissen worden war. Daraufhin kehrte sie zu Shamʿūn alṢafāʾ [sc. Simon Petrus] und einem anderen Jünger zurück und sagte: ›Der Messias wurde aus jenem Friedhof genommen und ich weiß nicht, wo er (nun) begraben wurde.‹ Shamʿūn und sein Begleiter kamen (zum Friedhof) und sahen dann die an einer Seite des Grabes gelegenen Särge. Sie kehrten dann zurück, während Maria am Grab sitzend weinte. Währenddessen

¹⁴³ Lukas 23,40–43. ¹⁴⁴ Das steht aber auch direkt davor in Lukas 23,39. Vielleicht fehlte dieser Vers in al-Jaʿfarīs Vorlage. ¹⁴⁵ Wohl Lukas 9,56. ¹⁴⁶ Nach Matthäus 10,34, kombiniert mit Lukas 12,49. ¹⁴⁷ Nach Matthäus 28,1–10.

§ 220

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Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

schaute sie [sc. Maria] in das Grab hinein und sah an der Stelle, wo die Leiche Christi zuvor gelegen haben sollte, zwei weiß bekleidete sitzende Engeln, die ihr Folgendes sagten: ›Warum weinst du?‹ Sie antwortete: ›Sie nahmen meinen Herrn und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.‹ Währenddessen drehte sie sich um und sah den Messias, ohne ihn zu erkennen, denn sie dachte, er wäre der Gartenwächter, und sagte zu ihm: ›Bei Gott, wenn du ihn genommen hast, so sage mir bitte, wohin du ihn gelegt hast, damit ich zu ihm gehe.‹ Er sprach [sc. rief] zu ihr: ›Oh Maria!‹ Daraufhin erkannte sie ihn (als Jesus). Und sie sagte zu ihm auf Hebräisch: ›Rabbunī‹, was ›Oh Meister‹ bedeutet. Er erwiderte daraufhin: ›Ich bin noch nicht erhoben worden; gehe zu meinen Brüdern und sage zu ihnen (von mir): ›Ich begebe mich zu meinem und eurem Vater, und zu meinem und eurem Gott‹.‹ So ging sie und verkündete die frohe Botschaft an seine Jünger.«¹⁴⁸

§ 221

§ 222 § 223 § 224 § 225

§ 226

Der Autor [sc. al-Jaʿfarī] sagte: Diese Überlieferung(en) widerspricht (widersprechen) sich selbst. Denn eine von den beiden besagt, dass der Engel derjenige ist, der Maria zu den Jüngern schickte, während die andere davon berichtet, dass der Messias derjenige ist, der sie schickte. (Zusätzlicher Widerspruch:) Eine (Überlieferung) sagt, dass Maria am Samstagabend zum Grab kam, während die andere den frühen Sonntag angibt.¹⁴⁹ Des Weiteren erzählt einer der Berichte nur von Maria, während der andere zusätzlich von einer anderen (Frau) mit ihr spricht.¹⁵⁰ Dieses Kapitel verdient es eigentlich, in den Nachrichten der Irren und der verwitweten alten Menschen erzählt zu werden. So sage mir bitte – möge Gott über dich erbarmen! –: Wann haben vernünftige Menschen jemals von einem Gott gehört, der geschlagen, gehauen, getötet, gekreuzigt und auf Friedhöfen begraben wird, sodass ihm nachgetrauert, er beweint und sein Tod beklagt wird? Und wie kann er [sc. Gott] den menschlichen Schwächen ausgesetzt sein? Und wie kann er mit einem Gartenwächter verwechselt werden?¹⁵¹ Wenn die Juden eine Gruppe von Leichtsinnigen beauftragen würden, um sich über den Glauben der Christen lustig zu machen und sie auszulachen, dann würden sie [sc. die Juden] damit nicht mehr erreichen als die Christen selbst.¹⁵²

¹⁴⁸ Nach Johannes 20,1–18. ¹⁴⁹ Womöglich bedient sich al-Jaʿfarī hier einer falschen Informationsquelle, denn alle vier Evangelien sprechen vom »ersten Tag der Woche«, d. h. Sonntagmorgen. Diese Stelle belegt auch, dass al-Jaʿfarī nicht alle vier Evangelien gleichzeitig vor sich liegen hatte. Das könnte bedeuten, dass der von ihm benutzte Evangelientext nur aus Auszügen bestand (fragmentartig war), was in seiner Zeit nicht unüblich war. Eine andere Möglichkeit ist sogar, dass er gar keinen Evangelientext vorliegen hatte und sich nur aus den Zitaten anderer Radd-Werke bediente (zu al-Jaʿfarīs Vorlagen siehe hier Kapitel 8, S. 285). ¹⁵⁰ Nur Maria: Johannes 20,1; bei allen Synoptikern mehrere Personen. ¹⁵¹ Anspielung auf Johannes 20,15. ¹⁵² Gemeint ist: Die Christen könnten in ihrer eigenen Schrift schon mehr Widersprüche und problematische Stellen finden als das andere (wie beispielsweise die Juden) tun könnten, wenn sie gezielt nach Möglichkeiten suchen wurden, sich über den Glauben der Christen lustig zu machen.

Kapitel V: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums

483

Ähnliches wurde schon (im folgenden Gedicht) gesagt:

§ 227

»Die Feinde eines Unwissenden erreichen nicht so viel an Ironie wie der Unwissende über sich selbst.«

Und an einer anderen Stelle des Evangeliums heißt es:

§ 228

»Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.«¹⁵³

Demnach ist es nötig, dass der gekreuzigte Getötete Gott wäre – Gott sei über deren Unglauben [sc. diesen Vorwurf an Gott] unbeschreiblich erhaben! Ein anderes Thema ist der Narrheit nahe: Aus dem Johannesevangelium¹⁵⁴ wird berichtet, dass der Messias ein Brot nahm, es brach und es seinen Jüngern gab. Dabei sagte er: »Dies ist das Fleisch meines Körpers, so esst davon.« Dann nahm er einen Kelch und sagte: »Dies ist mein Blut, so trinkt davon; denn mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank. Und wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir (befestigt) und ich bleibe in ihm (befestigt).«¹⁵⁵ Als die Jünger diese Rede hörten, sagten sie: »Das ist so schwer, wer kann das ertragen?« Viele seiner Anhänger haben sich daraufhin (deshalb) von ihm [sc. Jesus] getrennt.¹⁵⁶ Wenn diese Reden in ihrer äußerlichen [sc. scheinbaren, wörtlichen] Bedeutung verstanden und nicht gedeutet [sc. interpretiert] werden, dann ergibt sich daraus keinen Sinn. Und der Messias ist davon weit entfernt [sc. ferngehalten]. Die Rede über eine Sache durch die Antwort oder die Annahme ist ein Anzeichen [bzw.: ein Teil davon] dafür, dass sie rational zu verstehen ist.¹⁵⁷ Die Suche nach dem, was feig ist, verläuft stets schwach (und die Suche nach dem Schwachen wird (auch) stets schwach verlaufen). Wären die Schäfte der Speere uneben, so würden sie ihr Ziel nicht finden. Es gibt kein Zweifel daran, dass, wenn die Vernünftigen unter den Christen von heute zwischen den Worten [sc. Aussagen] über Gott – einerseits, dass Gott das Wort ist, und andererseits, dass das Wort zum Körper wurde, und dass er [sc. Gott] ihnen das Essen des Körpers und das Trinken des Blutes befiehlt – zu vereinbaren versuchen würden, dann hätten sie eine so starke Abneigung gegen den christlichen Glauben wie die Wildesel vor einem Löwen.¹⁵⁸ Aber

¹⁵³ Johannes 1,14. ¹⁵⁴ Die im Folgenden paraphrasierten Einsetzungsworte des Abendmahls stehen gerade nicht im Johannesevangelium, sondern nur bei den Synoptikern (Matthäus 26,26–28 mit Parallelen) und in 1. Korinther 11,23–26. Das hier Berichtete ist eine Mischung aus den synoptischen Einsetzungsworten (dass Jesus Brot und Kelch nahm) und der Rede Jesu von sich als dem Wort des Lebens in Johannes 6,35–58. ¹⁵⁵ Johannes 6,55–56 (fast wörtlich). ¹⁵⁶ Wohl nach Johannes 6,60 und 6,66. ¹⁵⁷ Die Tatsache, dass etwas angenommen bzw. dass darauf geantwortet wird, ist ein Beweis dafür, dass jene Sache nur durch eine rationale Bemühung behandelt wird. ¹⁵⁸ Vgl. Koran 74:50–51.

§ 229 § 230

§ 231

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§ 233

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deren Herzen sind (weit) von der Besinnung der Wahrheiten entfernt, als ob sie in geschlossenen Hüllen wären.¹⁵⁹ Eine andere Angelegenheit: Matthäus sagte: »Johannes der Täufer pflegte weder zu essen noch zu trinken.«¹⁶⁰ Seine Freunde¹⁶¹ bezichtigten ihn der Lüge und sagten: »Johannes’ Nahrung waren Heuschrecken und wilder Honig.«¹⁶² Und das gehört zu den schlimmsten Arten [sc. Rangstufen] der Lüge. (Ebenso:) Das Evangelium und die Psalmen widersprechen sich gegenseitig. Die Christen sagen: »David sagte in seinen Psalmen Folgendes: ›Der Herr sagte zu meinem Herrn: Setze dich an meine rechte Seite!‹¹⁶³« Und daraufhin glaubten sie daran, dass der Messias der Herr Davids und der Herr aller Dinge ist. Das wird jedoch durch die (folgende) Aussage des Lukas verleugnet: »Gabriel sagte zu Maria: ›Einen Sohn wirst du gebären, ihm wird Gott auf dem Thron seines Vaters David sitzen lassen‹.«¹⁶⁴ Denn Gabriel überlieferte von Gott, dass der Messias Davids Sohn ist. Und wie könnt ihr dazu Nein sagen [sc. wie könnt ihr dies verneinen] und stattdessen ihn als »Herr des David« bezeichnen? Wir suchen bei Gott Zuflucht vor der Hintergehung¹⁶⁵ und vor dem Spiel mit den Religionen.¹⁶⁶ Eine andere Angelegenheit: Matthäus sagte: »Als der Messias durch die Soldaten vor Pilatus geschleppt wurde, sagte Pilatus: ›Was hat dieser [sc. der Messias] denn gemacht?‹ Und sie sagten (nur): ›Kreuzige ihn!‹ Und als er [sc. Pilatus] sah [sc. sich vergewissert hatte], dass sie ihn töten würden, nahm er Wasser und wusch die Hand des Messias. Und sagte: ›Ich bin unschuldig am Blut dieses Freundes, jedoch überlasse ich es euch [sc. ihr wisst es besser].‹ «¹⁶⁷

Dies leugnet Johannes, indem er Folgendes sagt: »Als der Messias zu Pilatus, dem (römischen) Kommandanten, geschleppt wurde, sagte dieser zu den Juden: ›Was wollt ihr von ihm?‹ Und sie sagten: ›Wir wollen ihn kreuzigen!‹ Daraufhin schlug er [sc. Pilatus] den Messias, peitschte ihn aus und übergab ihn ihnen.«¹⁶⁸

¹⁵⁹ Vgl. Koran 17:46. ¹⁶⁰ Nicht aufzufinden; vielleicht eine ungenaue arabische Übersetzung von Lukas 7,33: »Denn Johannes der Täufer ist gekommen und aß kein Brot und trank keinen Wein«? ¹⁶¹ Die anderen Evangelisten. ¹⁶² Markus 1,6; Matthäus 3,4. ¹⁶³ Psalm 110,1. ¹⁶⁴ Nach Lukas 1,31–32. ¹⁶⁵ Bzw. ›Entmutigung‹ oder ›Misserfolg‹. ¹⁶⁶ Mit ›Spiel mit den Religionen‹ ist ein falsches oder leichtsinniges Verständnis der Religionen gemeint. ¹⁶⁷ Nach Matthäus 27,11–26 mit Parallelen; die Handwaschung nur bei Matthäus 27,24 (allerdings wäscht Pilatus laut Matthäus seine eigenen Hände, in al-Jaʿfarīs Text wäscht Pilatus »die Hand des Messias«). ¹⁶⁸ Nach Johannes 18,28–19,16; allerdings lässt Pilatus Jesus auch laut Matthäus und Markus auspeitschen. Der von al-Jaʿfarī angenommene Widerspruch ist also nicht klar und beruht v. a. darauf, dass nach al-Jaʿfarīs Variante des Matthäus-Textes Pilatus »die Hand des Messias« wäscht, ihm also offenbar Ehre erweist.

Kapitel V: Über die Aufklärung der Widersprüche des Evangeliums

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Einer seiner Jünger¹⁶⁹ berichtet (also), dass der Kommandant ihn würdigte und seine Hand wusch. Dagegen verleugnet ein anderer Jünger dies ausdrücklich und meinte, dass er ihn beleidigte und peitschte.¹⁷⁰ An einer anderen Stelle sagt Johannes:

§ 236

§ 237

»Als der Messias gefesselt zum Hohen Priester der Juden gebracht wurde, fragte dieser ihn über sein Anliegen [sc. Befinden] sowie nach dem, wozu er (die Menschen) aufruft. Dann stellte er [sc. Jesus] seine Argumente vor ihm dar. Daraufhin kam ein Soldat zu ihm und schlug ihm auf seine rechte Wange und sagte: ›Wie wagst du es, den Hohen Priester so [sc. auf diese unannehmbare Weise] anzusprechen?!‹ Und der Messias erwiderte: ›Wenn ich etwas Übles gesagt hätte, dann zeig [sc. bezeuge darüber] dieses Üble, wenn ich jedoch Gutes gesagt habe, warum schlägst du mich dann?‹ «¹⁷¹

Und dies leugnet die Aussage des Lukas am Anfang seines Evangeliums, dass der Messias König über die Israeliten werden und ewig auf dem Thron seines Vaters David sitzen werde.¹⁷² Und er [sc. Lukas] sagte nicht, dass er [sc. Jesus] in Ketten zu den Juden getragen wurde.¹⁷³ Eine andere Stelle [sc. exemplarisches Beispiel] zeigt die klare Widersprüchlichkeit. Lukas sagte: »Der Messias sagte: ›Wer kein Schwert hat, der soll seine Kleidung verkaufen und damit ein Schwert kaufen.‹ «¹⁷⁴ Dagegen verleugneten ihn [sc. Lukas] die anderen [sc. die anderen Evangelisten] und sagten, dass der Messias sagte:

§ 238

§ 239

»Antwortet dem Übel nicht mit Übel. Vielmehr, wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar. Und wenn jemand dir deine Kleidung wegnehmen will, so gib ihm sogar deinen Mantel dazu. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.«¹⁷⁵

Und als die Juden hervorkamen, um ihn (fest)zunehmen, zog Shamʿūn al-Ṣafāʾ [sc. Simon Petrus¹⁷⁶] sein Schwert heraus. Daraufhin tadelte ihn der Messias (anschreiend) und sagte: »Stecke dein Schwert wieder in seine Scheide zurück. Denn wer sich etwas mit dem Schwert¹⁷⁷ nimmt, der wird durchs Schwert umkommen.«¹⁷⁸ Und dies schwächt [sc. stellt in Frage] ihre Überlieferungen über ihn, dass er das Verkaufen der Kleidung und das Kaufen der Schwerter befohlen hätte.

¹⁶⁹ Eben Matthäus 27,24 (mit dem Unterschied beim Händewaschen, vgl. dazu die vorigen Anmerkungen). ¹⁷⁰ Gemeint ist Johannes 18,28–19,16; vgl. dazu die vorigen Anmerkungen. ¹⁷¹ Nach Johannes 18,12–13 und 19–23. ¹⁷² Vgl. Lukas 1,31–32 etc. ¹⁷³ Der Autor weist hier ausgehend von den unterschiedlichen Bibelzitaten darauf hin, dass über ein und dieselbe Geschichte widersprüchliche Aussagen vorliegen. ¹⁷⁴ Nach Lukas 22,36. ¹⁷⁵ Matthäus 5,39–41; ähnlich Lukas 6,29–30. ¹⁷⁶ Nach Johannes 18,10 ist es Simon Petrus, der das Schwert zieht. ¹⁷⁷ D. h. mit Gewalt. ¹⁷⁸ Nach Matthäus 26,51–52 mit Parallelen; der Name der Person mit dem Schwert wird nur in Johannes 18,10 genannt.

§ 240

486 § 241

§ 242

Appendix: Übersetzung des Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā des al-Jaʿfarī

Und lasst uns uns auf diesen Überblick (al-nabdha) beschränken, um die Widersprüche ihrer Bücher deutlich offenzulegen, denn ich habe das sehr ausführlich in meinem großen Buch¹⁷⁹ dargelegt. Also sollen sie [sc. die Christen] uns erklären, wie man diese in den Evangelien überlieferten Sprüche miteinander vereinbaren könnte. Und Gott ist der einzige Helfer!¹⁸⁰

¹⁷⁹ Damit dürfte sein Takhjīl man ḥarrafa al-Tawrāh wa-l-Injīl gemeint sein. Der Autor hat schon in § 12, § 140 und § 199 auf dieses Buch verwiesen, wo er es allerdings explizit als Takhjīl man ḥarrafa al-Injīl bezeichnet. ¹⁸⁰ Eine bekannte Eulogie, mit der der Muslim Hilfe verlangt, wenn er mit üblen Dingen konfrontiert oder überfordert wird (vgl. auch für den Ursprung dieser Eulogie Koran 12:18).

Abstract In the Middle Ages, Muslim scholars wrote substantial apologetic and polemic treatises to present and to defend the truth of their religion and to invite people of a different faith to Islam. These texts belong to the so-called radd (‘refutation’) literature. It is still interesting today in so far as many radd authors have avoided rhetorical polemics and sought for serious rational arguments which provide deep insights in the dogmatic differences and peculiarities of the religions. An outstanding, because strongly argumentative example of this kind of apologetic literature is the Kitāb al-radd ʿalā l-Naṣārā (‘Book about the refutation of the Christians’) by Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn al-Jaʿfarī (d. 668/1270). This study describes history and typical arguments of the radd genre, introduces to al-Jaʿfarī’s live and work, explains how modern theories of argumentation can be used to interpret historical arguments, and analyses al-Jaʿfarī’s central arguments in depth. The study examines argumentation theories and epistemological principles of the classical radd ʿalā l-Naṣārā or ‘Refutation of Christians’ literature, particularly focussing on al-Jaʿfarī’s critical work on Christian doctrines. The study also provides a richly layered study of medieval Muslim perceptions of Christianity, its creed and scriptures. Bringing analytical, philological and theological competence to the discussion of al-Jaʿfarī’s treatment of Christianity, it introduces the reader to the 13ᵗʰ century Islamic thought and Muslim-Christian intellectual discourse.

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2. Wörterbücher und Nachschlagewerke

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Stellenregister Altes Testament Genesis 6,1–2.6.17 25,24–34 27,19 32,29 48,10

454 364 364 364, 460 466

Exodus 4,2–4 4,22–23 7,1 7,9–12 8,1–2 8,12–13 10,13 12,29 14,16.21–22 16,4–35 17,4–6

281, 466 303, 314, 364, 453, 456 130, 132 281, 466 466 466 466 453 466 376, 468 466

Leviticus 26,11–12

460

Numeri 12,1–15 20,7–11

376, 467 466

Deuteronomium 6,4–5 14,1 17,6 19,15

477 454 479 479

1. Könige 17,7–16 17,17–24

468 465

2. Könige 2,8 2,14 2,19–24 4,1–7 4,8–37 4,18–37 4,38–44 5 5,1–19a 5,1–27 5,19b–27 6,1–7 13,20–21

281, 376, 467 281, 375–376, 467 375 375–376, 467 375 465 375 375 466 376, 381 467 375 465

Psalmen 2,7 2,7–8 22,2 82,6 110,1

310, 453, 456 203, 303, 314, 454, 457 327, 333, 336, 457, 461 130, 454 484

Jesaja 1,2 7,14

454 10

Ezechiel 37,1–14

465

522

Stellenregister

Neues Testament Matthäus 1,1 1,23 3,4 3,17 5,39–41 5,44–6,1 6,6 6,9 8,20 9,18–19.23–26 9,27–31 10,34 11,2–3 12,38–40 13,55 14,15–21 16,16 17,1–9 17,24–27 20,32–34 21,19 24,36 25,34–36 26–27 26,26–28 26,39 26,51–52 26,63–64 26,69–75 27,11–26 27,24 27,26–31 27,31–32.35–36 27,38–39 27,39–43 27,46 27,54.56 27,57–28,15 28,1–10

302, 304, 455 10 484 303, 310, 453–454, 456 485 458 458 458 287, 327, 331, 461 465 466 415, 481 404–405, 480 475 390 376, 467–468 11 393, 473 457 466 464 463, 477–478 78 389, 471 483 464 485 472 471 484 484–485 473, 475 390 480 390 327, 333, 336, 457, 461 390 475 481

Markus 1,6 1,11 3,7.10–12 5,22–24

484 303, 310, 453–454, 456 301–302, 312, 455 465

5,35–43 8,23 9,2–10 9,21 10,17–18 10,49–52 11,13 12,28–29 14,36 14,51–52 14,66–72 15,21 15,24 15,29–30 15,31 15,39 15,40–41

465 466 393, 473 464 327, 333, 336, 461 466 464 477 464 471 471 290, 390 390 390 290, 390 390 290, 390

Lukas 1,26–33 1,31–33 1,35 3,16–17 3,17 3,22 4,40–41 6,29–30 7,11–17 7,33 8,41–42.49–56 9,28–36 9,56 9,58 12,49 18,18–19 21,31–32 22,36 22,54–62 22,70 23,26–28 23,28–29 23,34–35 23,39–43 23,47 24,13–31 24,36–43

302, 304, 455, 473, 475 413, 479, 484–485 10 404, 480 11 303, 310, 453–454, 456 288, 301–302, 312, 456 485 465 484 465 393, 473 415, 481 327, 331, 461 415, 481 327, 333, 336, 416 302, 304, 455 485 471 472 390 471 390 481 390 474 474

523

Stellenregister Johannes 1,1–3 1,14 1,29–30 2,1–11 5,30 5,31–32 6,35–58 6,55–56 6,60 6,66 7,19 8,14 8,17 8,40 8,58 9,6–7 10,34 10,34–36 11,1–45 11,34 14,16 14,26 15,26 16,7 18,4–8 18,10 18,12–13 18,15–18 18,19–23 18,25–27 18,28–19,16 19,23–27

345, 369 450, 483 404, 480 376, 467 464 479 281, 483 483 483 483 269, 289–290, 327, 331, 335, 336, 461 479 479 269, 289–290, 327, 331, 335, 336, 461 11 466 130 132 465 463 132, 272 132, 272 132, 272 132, 272 389, 392, 471, 474 485 485 471 485 471 484–485 390

20,1–18 20,15 20,17 21,4–7

482 223, 482 314, 327, 333, 336, 453, 457, 461, 478 474–475

Römer 8,16–17 8,19

459 460

1. Korinther 8,5–6 11,23–26 15,14–18

130 483 280

2. Korinther 6,16b.18a 13,5

460 463

Epheser 1,15–17 5,3–8

457 320, 459

Philipper 2,6–7

462

Kolosser 1,15 1,15–20 3,5–8

369 365 459

1. Johannes 3,1 3,2 3,10

289, 321–322, 324, 459 321–322, 324–325, 459 459

524

Stellenregister

Koran 2:57 2:75 2:111 2:113 2:116 2:140 3:55 4:157 4:171 4:172 4:174 5:14 5:17 5:72 5:75 5:82 6:76–78 6:83 6:149 9:129 12:18

376, 468 411 188–189 51 51 51 51 269, 388, 393 71, 98, 102, 298 71 188 51 51 51 271 70 72 187 187 210 486

17:21 17:46 19:25 22:46 22:74 23:117 27:64 29:46 39:75 40:57 41:9 42:11 42:16 45:25 53:28 57:27 69:17 74:50–51 78:11 83:25 112:1–3

379 484 248 449 297 189 189 439 210 72–73 297 297 187 187 213 51 210 483 248 78 69

Personenregister Aaron 130, 466 Abaelard, Peter 397 Abaris 65 Abbott, Nabia 410 ʿAbd al-Jabbār 32, 49, 60, 97–111, 213, 218–219, 252–253, 284–285, 288 ʿAbd al-Malik ibn Marwān ibn al-Ḥakam ibn Abū al-ʿĀṣ ibn Umayya (Kalif) 13, 82 ʿAbd al-Munʿim, ʿAlī 133 ʿAbd al-Raḥmān Jāmī 40 ʿAbd al-Raḥmān Qadaḥ, Maḥmūd ibn 44, 285, 288 ʿAbd al-Raḥmān, Ṭāhā 41–42 ʿAbd al-Razzāq al-Ṣanʿānī 67 ʿAbdallāh ibn Salām 68 ʿAbdallāh, Imām Ḥanafī 89 Abdel Haleem, Muḥammad 205 Abdel Razaq, Salah Salem 50 Abdīšō Berika bar siehe Jesus Ebed ʿAbduh, Khālid Muḥammad 44 Abdünnâfi İffet Efendi 35 Abel, Armand 140 al-Abharī, Athīr al-Dīn Mufaḍḍal ibn ʿUmar 153–156, 175, 192, 194, 199, 267 Abraham (Stammvater) 11, 51, 72, 80–81, 187, 272, 469 Abrahamov, Binyamin 159–160 Abramowski, Luise 151, 278 Abū al-ʿAbbās Aḥmad ibn Abī Yaʿqūb ibn Jaʿfar ibn Wahb ibn Wāḍiḥ siehe al-Yaʿqūbī Abū al-Barakāt al-Baghdādī 153, 215 Abū ʿAlī al-Jubbāʾī 99, 217–218 Abūʾ al-Jald al-Jawnī 410 Abū al-Qāsim al-Ḥusayn ibn ʿAlī al-Maghribī 140 Abū Bishr Mattā 151 Abū Hāshim al-Jubbāʾī 217–218 Abū Hurayra 410

Abū Qurra, Theodor 17, 89, 99 Abū Rāʾiṭa l Takrītī, Ḥabīb ibn Khidma 149 Abū ʿUbayd al-Qāsim ibn Sallām 12 Abū Zahra, Muḥammad 37, 39, 77, 145 Abū Zakariyyā Yaḥyā ibn ʿAdī ibn Ḥamīd ibn Zakariyyā al-Takrītī al-Manṭiqī 184 Adam 132, 269, 289–290, 327, 331–332, 335–336, 426, 450, 461 Adamson, Peter 8, 138–139, 174 Adang, Camilla 314 Aḥmad ibn Ḥanbal 75 Aḥmed Cevdet Paşa 57, 228 Akakios von Melitene 277 Akasoy, Anna Ays̜e 29 al-Akhḍarī, ʿAbd al-Raḥmān 192 Aland, Kurt 45 ʿAlawī, Ḥāfiẓ Ismāʿīl 42 Algazel siehe al-Ghazālī, Abū Ḥāmid Muḥammad b. Muḥammad al-Ṭūsī ʿAlī ibn al-Bannāʾ 265 Al-Sharqāwī, Ḥasan 252 Amīn ibn Khayr Allāh ʿUmarī 44 ʿAmmār al-Baṣrī 13, 17, 227 Amphiaraos 65 Amphilochos 65 Amram 393, 473 Anas ibn Mālik 75 Antinoos 65 Apaydın, H. Yunus 214 Apollinaris von Laodicea 278 Apollon 65 Arazi, A. 265 Arberry, Arthur J. 116 Aristeas von Prokonnesos 65 Aristoteles 7–9, 35, 53, 57, 66, 82, 84, 109, 113, 140, 147, 149, 151, 153–155, 160, 166, 168–170, 172–174, 188, 193–197, 201, 210, 212, 215, 222, 224, 229, 239, 250, 255, 267, 332, 422–423, 429, 446

526

Personenregister

Arius 146, 278 Arnaldez, Roger 6, 134, 180 al-Ashʿarī, Abū al-Ḥasan 7, 21, 29, 48–49, 57, 137, 173–174, 188, 191–192, 218–219, 253–254 al-Ashʿath al-Sijistānī 84 al-ʿAssāl, al-Ṣafī Abū al-Faḍāʾil Mājid ibn 91, 237, 260, 267, 293 Astren, Fred 34 Atrache, Laila 284 Augustinus von Hippo 15 Averroes siehe Ibn Rushd Avicenna siehe Ibn Sīnā Awad, Wadi 115, 237, 259 Ayyubiden 264 Bacon, Roger 150 Badawi, Elsaid M. 205 al-Baghdādī, ʿAbd al-Qāhir ibn Ṭāhir 38, 190–192, 214, 217–218, 389 al-Bājī al-Qurṭubī al-Dhahabī, Abū al-Walīd Sulaymān ibn Khalaf ibn Saʿd al-Tujībī 112–113, 224, 437–438, 442 al-Bāqillānī, Abū Bakr Muḥammad ibn al-Ṭayyib ibn Muḥammad ibn 32, 58, 187, 190–191, 193, 214, 216, 285, 288, 436 al-Barrī, ʿAbd Allāh Khūrshīd 261 Bashīr 86 Baumstark, Anton 412 Baybars al-Manṣūrī 260 Bearman, Peri J. 66, 130, 136, 164, 207, 265 Becker, Carl Heinrich 32, 66, 146, 236–237 Becker, Matthias 48 Beckermann, Ansgar 121, 156, 250 Belhaj, Abdessamad 38, 40, 42, 57–58, 167–168, 179, 181, 252 Belke, Horst 48 Ben-Shammay, H. 265 Berchman, Robert M. 64, 146 Bernabeo, Paul 45–46 Bernand, M. 215 Bertaina, David 14, 17, 252 Bertolacci, Amos 174 Betz, Gregor 107 Beyschlag, Karlmann 274 Bin Mahfouz, Ali 41 Binder, Gerhard 64 Biro, John I. 228 al-Bīrūnī al-Khwārazmī, Abū Rayḥān Muḥammad ibn Aḥmad 140

Blankinship, Khalid 7 Blanks, David R. 62 Blößner, Norbert 273 Blumenkranz, Bernhard 15 Bocheński, Joseph Maria 4, 254 Borgolte, Michael 27 Bouyges, Maurice 116 Brague, Rémi 54, 140, 151, 388 Brockelmann, Carl 18, 32, 85, 146–147, 199, 264, 267, 294 Brun, Georg 248 Bucher, Theodor G. 255 al-Bukhārī, Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Ismāʿīl ibn Ibrāhīm ibn al-Mughīra ibn Bardizba al-Juʿfī 69, 78, 410 Bulgakov, Pavel G. 140 Bulliet, Richard W. 86 Būlus al-Rāhib 398 Burman, Thomas 10 Burnyeat, Myles F. 158, 197 Burrell, David 24 al-Būsīrī, Muḥammad 142 Busse, Heribert 97 Çağrıcı, Mustafa 114 Cahill, P. J. 45 Calverley, Edwin E. 153, 156 Çapak, Ibrahim 178, 186 Carter, M. G. 193 Caspar, Robert 7–8 Çelebi, İlyas 190, 200–202, 204, 206–208, 211–212, 239 Çetres, Recai 7 Chadwick, Henry 274, 281 Chazan, Robert 16 Chidiac, Robert 115–116, 129, 286 Christus siehe Jesus Christus, Messias (Sachregister) Cicero, Marcus Tullius 222 Cohen, Mark R. 11, 15 Cook, David 78 Copi, Irving M. 248, 250 Cusanus, Nicolaus siehe Nikolaus von Kues al-Dabūsī, Abū Zayd ʿUbaydallāh ibn ʿUmar ibn ʿĪsā 169 Daiber, Hans 17, 20 Damschen, Gregor 425 Dascal, Marcelo 55–59

Personenregister

David (König) 203, 301–312, 314, 317–318, 364, 413–414, 442, 454–457, 460, 469, 473, 475, 479, 484–485 Davis, Stephen T. 86 al-Dāwūdī al-Asadī, Abū Jaʿfar Aḥmad ibn Naṣr 12, 62 de Boer, Tjitze J. 138, 171, 174 de Lagarde, Paul 286–287, 327 Demiri, Lejla V, 18–20, 24, 43–44, 68, 89, 170, 173, 259–261, 264–265, 293, 299, 412–413, 433 Detlef, C. 262 al-Dhahabī, Muḥammad ibn Aḥmad 260, 265 Di Matteo, I. 89 al-Dimyāṭī 285, 288 Dioskoros I. von Alexandria 277 ed-Dîb, Abdülazîm 153 Ducrot, Oswald 41 Dunlop, Douglas M. 112, 442 Durusoy, Ali 36, 203 Dye, Guillaume 69, 237 Dziri, Amir 39, 167, 169, 251 Eggler, Marcel 73 Eichner, Heidrun 9 El Hour, Rachid 12 El Kaisy-Friemuth, Maha 115–117, 286, 293–294 Elias von Nisibis 11 Elija (Prophet) 65, 376, 381–382, 393, 465, 467–468, 473 Elischa 375–376, 381–382, 384, 465–467 El-Rouayheb, Khaled 21, 34–35, 38, 153, 173, 193, 215 Elster, Jon 158, 165 El-Tobgui, Carl Sharif 216 Emiroğlu, İbrahim 28, 57, 160, 228 Endress, Gerhard 149, 173, 198 Enriques, Federigo 35 Erickson, Millard J. 277 Eriksson, Anders 39 Esau (Sohn Isaaks) 364 Esots, Janis 190, 201, 211 Eulogius von Córdoba 27 Eustathios von Antiochia 278 Eutyches 277 Ezechiel 382, 465

527

al-Fārābī, Abū Naṣr Muḥammad 34, 41, 54, 57, 151–153, 188, 198, 203, 210, 215 Fares Hassan, Said 263 Finkel, Joshua 12 Fitschen, Klaus 280 Flügel, Gustav 215 Føllesdal, Dagfinn 158, 165 Forster, Regula 42–43, 251, 438 Frank, Richard M. 237 Franziskus von Assisi 177 Frede, Michael 172 Fritsch, Erdmann 9, 38, 43–44, 83, 85, 293 Fürst, Alfons 279 Gabriel (Erzengel) 10, 99, 103, 302, 413, 455, 473, 475, 479, 484 Gabrieli, F. 179 Gairdner, W. H. T. 130 Garcin, Jean-Claude 261 Gardet, Louis 147, 175, 187, 193–194, 201, 446 Gaudeul, Jean-Marie 12, 87 Gelenbevî, İsmail ibn Mustafa ibn Mahmud 6, 34–35, 37, 50, 57, 109, 154, 161, 164, 167, 175, 178–182, 199–202, 205, 208–209, 247, 433 Gerigk, Eva-Maria 345 Gettier, Edmund 158 al-Ghaṭafānī al-Kūfī, Abū ʿAmr Ḍirār ibn ʿAmr 84, 88 al-Ghazālī, Abū Ḥāmid Muḥammad b. Muḥammad al-Ṭūsī 9, 21, 30, 32, 34, 37, 63, 71, 113–132, 145, 153, 157, 169–171, 173–174, 178, 184, 192, 200, 202–204, 207, 216, 234, 236, 252, 285–286, 292, 294, 298, 337, 341, 411–412, 423, 429, 436 Gibson, Margaret Dunlop 9 Gierl, Martin 45 Gilliot, Claude 67 Gimaret, Daniel 46, 49, 133 Gioia, Luigi 10 Glei, Reinhold F. 17–18 Goddard, Hugh 61, 146, 173 Goetz, Hans-Werner 62 Gölcük, Serafeddin 436 Goldmann, Alvin I. 228 Goldziher, Ignaz 76, 165, 391 Grabmann, Martin 82, 440 Graf, Georg 17, 226, 237, 260, 267, 275, 291, 294

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Personenregister

Graf, Gunter 11 Grafton, David D. 12 Griffel, Frank 153, 192, 436 Griffith, Sidney H. 9–14, 29, 38, 62, 82, 87, 133, 149, 177, 227, 236, 260, 291, 391 Groff, Peter S. 194 Grootendorst, Rob 22, 157, 165, 225, 227 Gutas, Dimitri 8, 17, 136, 173, 237, 275, 283 Gwynne, Rosalind Ward 34, 70–71, 73, 168–169, 171, 215, 252, 379–380, 423 Gyekye, Kwame 106 Habermas, Jürgen 22, 107, 157, 241 Ḥabīb ibn Khidma Abū Rāʾiṭa l Takrītī 29 Hacınebioğlu, Ismail Latif 83, 188, 202, 212, 423, 426 Haddad, Rachid 14 Hadot, Ilsetraut 64 Hadrian (Kaiser) 65 Hage, Wolfgang 278 Hägglund, Bengt 10, 14, 274, 278–279, 348, 358 Hahn, Hugo 52 Ḥajjī Khalīfa 115, 259 al-Ḥallāj, Abū l-Mughīth al-Ḥusayn ibn Manṣūr 119 Hallaq, Wael B. 39, 83, 95, 166, 194, 202, 252, 379 Hanst, Michael 469 al-Ḥaramayn siehe al-Juwāynī, ʿAbd al-Malik ibn ʿAbdallāh Hargis, Jeffrey W. 64 Harris, James Rendel 14 Hārūn al-Rashīd (Kalif) 111 Ḥasan (Ḥusayn) ben Mashiaḥ 29 al-Ḥasan al-Baṣrī 410 Ḥasanayn, Muḥammad 20, 43, 115, 259–261, 264, 266, 268–273, 275, 279, 283–285, 290, 293–294, 298–300, 302, 439, 455, 469, 478 Hassan, Hassan Ibrahim 263 Haßlauer, Steffen 50–51, 55–56, 59 Hatiboğlu, Ibrahim 68 Hauschild, Wolf-Dieter 10, 278, 348, 358 Hayek, Michel 13, 17, 38 Heemskerk, Margaretha 97, 177 Heer, Nicolas 40 Heimgartner, Martin 12, 281 Heinrichs, Wolfhart 170, 214 Hermotimos 65

Hettema, Theo L. 54 Heyworth-Dunne, James 192 Hintikka, Jaakko 439 Hodgson, M. G. S. 187 Hödl, Ludwig 53 Hoffmann, Joseph 64 Holmberg, B. 176 Holz, Hans Heinz 38 Hoover, Jon 283, 293, 412 Hoppmann, Michael 196 Horten, Max 162 Hoyland, Robert G. 36, 66, 82, 149, 432, 434 Hoyningen-Huene, Paul 155–156, 250 al-Ḥumaydī al-Ẓāhirī, Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Abī Nasṛ Futūḥ al-Azdī 12 Hülegü 262 al-Ḥumaydī, Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Abī Naṣr Futūḥ al-Azdī 83, 146 Ḥunayn ibn Isḥāq 173 Hunter, Erika C. D. 136 Ḥusayn, Ṭāhā 147 Ibn ʿAbbās 78 Ibn Abī Shayba 78 Ibn al-Durayhim 94 Ibn al-Ḥājib, Jamāl al-Dīn 191, 318 Ibn al-Ḥanbalī, Naṣr al-Dīn ʿAbd al-Raḥmān al-Anṣārī 77 Ibn al-Labbād 137 Ibn al-Layth, Abū l-Rabīʿ Muḥammad 111–112 Ibn al-Rāwandī 34 Ibn ʿAwf 285, 288 Ibn Fūrak, Abū Bakr 21, 34, 38, 57, 191–193, 214, 421, 439 Ibn Ḥadjar al-Haytamī 59 Ibn Ḥajar 165 Ibn Haldun 168 Ibn Ḥanbal, Aḥmad 69 Ibn Ḥazm, Abū Muḥammad ʿAlī ibn Aḥmad ibn Saʿīd 3, 32, 94, 117–118, 133, 135–136, 141, 216, 276, 299, 412 Ibn Isḥāq, Abū ʿAbdallāh Muḥammad ibn Isḥāq ibn Yasār ibn Khiyār 79–80 Ibn Jazla, Abū ʿAlī Yaḥyā ibn ʿĪsā ibn ʿAlī 85 Ibn Khaldūn, Abū Zayd ʿAbd ar-Raḥmān ibn Muḥammad 167 Ibn Qayyim al-Jawziyya 283, 411 Ibn Qutayba 46

Personenregister Ibn Rushd 153, 165, 215, 380 Ibn Sabʿīn 267 Ibn Saʿd, Abū ʿAbd Allāh Muḥammad 410 Ibn Sahl ibn ʿAbdallāh al-Asadī al-Jayyānī, Abū al-Aṣbagh ʿIsā 62 Ibn Shabīb 94 Ibn Sīnā 6, 34, 153, 174, 187, 192–193, 196, 201, 208, 215 Ibn Taymiyya 68, 152, 194, 202–203, 233, 267, 272, 285, 293, 298, 379, 412 Ibn Ṭufayl 151 Ibn Zurʿa, Īsā ibn Isḥāq 153, 215 al-Ījī, ʿAḍud al-Dīn ʿAbd al-Raḥmān 23, 40, 57–58, 120, 161, 191, 199, 205–206, 251–252 Ince, Serkan 95–96 ʿĪsā siehe Jesus Christus Isaak (Stammvater) 364 Ishoʿyahb bar Malkon 275 Iskenderoglu, Muammer 50, 164, 179 Israel (Stammvater) siehe Jakob (Stammvater) Izmirli Ismail Hakkı 169 Jabr, Farīd 195–196 Jaʿfar al-Ṣādiq 259 Jaʿfar ibn Abī Ṭālib 261 al-Jaʿfarī, Ṣāliḥ ibn al-Ḥusayn passim, siehe v. a. 18–20, 259–294 al-Jāḥiẓ, Abū ʿUthmān ʿAmr ibn Baḥr al-Fuqaymī 12, 84, 115, 147–148, 259, 284–285, 288, 410 Jakob (Stammvater) 364–367, 369, 442, 453, 460, 466, 477 Jakob Baradaios 280–281, 469 Jakob von Sarug 281, 358, 469 Jakobus (Apostel) 299, 393, 473 Jakobus (Bruder Jesu) 390 al-Jannī 465 Jaïrus, Tochter des 382, 465 Jesaja 10, 454 Jesus Christus passim, siehe v. a. 10–11, 64–66, 69–71, 78, 80–81, 301–417 Jesus Ebed 279–280 Jochum-Godglück, Christa 3 Johannes (Apostel) 390, 393, 473 Johannes (Autor der Johannesbriefe) 321, 459 Johannes (Evangelist) 299, 376, 392, 407, 467, 474, 481, 484–485

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Johannes der Täufer 404–405, 479–480, 484 Johannes III. (Patriarch) 42, 80 Johannes von Damaskus 12–13, 17, 27, 98–99, 263 Jona (Prophet) 475 Josef (Bruder Jesu) 390 Josef (Marias Ehemann) 278 Josef (Sohn Jakobs) 466 Joseph ben Isaak Qimḥī 16 Joseph, John 281 Jost, Jörg 157 Josua 376, 381, 467 Judah Halevi 16 Judas (Apostel) 299 al-Jurjānī, Sayyid Sharīf ʿAlī Ibn-Muḥammad 57–58, 134, 199–200 Justinian I. (Kaiser) 173 al-Juwāynī, ʿAbd al-Malik ibn ʿAbdallāh 32, 58, 133–136, 153, 285, 288, 412, 448 Juynboll, G. H. A. 213 Kaʿb al-Aḥbār 68 Kahḥālah, ʾUmar Ridạ̄ 259 Kaiphas 11 Kandemir, M. Yaşar 75 Karabela, Mehmet 38, 40, 168, 181–182, 184, 247 Kashouh, Hikmat 116, 286, 291 al-Kātibī, Najm al-Dīn 267 Kaufhold, Hubert 279 Kawerau, Peter 279–280 Kaya, Eyyüp Said 208 Kaya, Mahmut 422 Kelsos 63–66, 274 Kemp, P. 44 Kessler, Hans 10 Khalīl ibn Aybak al-Ṣafadī 259 al-Khazrajī 285 Khoury, Adel Theodor 17, 410 Kılavuz, A. Saim 83 al-Kindī, Abū Yūsuf Yaʿqūb ibn Isḥāq 8, 137–140, 174, 210, 215 Kindt, Walther 5 Kırbaşoğlu, Mehmed Hayri 74 Kis, Anna Flóra 151 Kleinknecht, Angelika 71 Kleomedes von Astypalaia 65 Klopas 390 Klug, Ulrich 385 Knysh, Alexander D. 52

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Personenregister

Koloğlu, Orhan Şener 217 Konstantin VI. (Kaiser) 111 Kopperschmidt, Josef 51 Krauss-Sánchez, Heidi R. 79 Kubat, Mehmet 253 Kuckartz, Udo 28 Küng, Hans 172 Kutluer, İlhan 212 Kyrill Ibn Laqlaq 260, 267, 294 Kyrill von Alexandria 277–278, 281, 358–359, 469 Lambert von Auxerre 72, 341 Lamoreaux, John C. 17 Lange, Christian 281, 469 Langton, Stephan 292 Lausberg, Heinrich 228 Lazarowicz, Klaus 47–48 Lazarus 382, 463, 465 Lazarus-Yafeh, Hava 38, 69, 88, 116, 261, 411 Leaman, Oliver 8, 194 Lecomte, G. 46 Leemhuis, Fred 252 Lessing, Gotthold Ephraim 262 Leuze, Reinhard 26 Lohnstein, Horst 156 Löhr, W. 274 Lona, Horacio E. 64–65, 274 Lorenz, Kuno 54 Luciani, J. D. 133 al-Luhībī, Amal bint Mabrūk ibn Nāhis 44, 261, 266, 449 Lukas (Evangelist) 299, 302, 393, 413, 415, 455–456, 472–475, 479–481, 484–485 Lumer, Christoph passim, siehe v. a. V, 5, 228–245 Luppold, Stefanie 224, 246 al-Maʿarrī, Abū al-ʿAlāʾ Aḥmad ibn ʿAbdallāh ibn Sulaymān 140–141 Macagno, Fabrizio 32, 59–60, 273, 366, 437, 440–441 Madelung, Wilferd 88–90 al-Maghīlī al-Tilmisānī al-Jazāʾirī, Abū ʿAbdullāh Muḥammad ibn ʿAbd al-Karīm ibn Muḥammad 263 al-Mahdī (Kalif) 84, 135, 177 Makdisi, George 34, 40, 215 al-Malik al-Kāmil (Sultan) 19, 177, 259–260 al-Mālikī, Abū al-Faḍl al-Suʿūdī 18, 44, 293

Mallett, Alex 19 Maʿmar Ibn Rashīd 67 al-Maʾmūn (Kalif) 7, 12, 177 Mans, Dieter 157 Manṣūr (Kalif) 34, 173 Mar Shahdost (Bischof) 277 Māri (Heiliger) 279, 469 Maria (Frau des Klopas) 390 Maria (Mutter Jesu) 70, 78, 80, 98, 269, 271, 278, 280, 297, 302, 304, 390, 413, 450, 455, 473, 475, 479, 484 Maria von Bethanien 463 Maria von Magdala 390, 481–482 Markus (Evangelist) 299, 302, 405, 440, 455, 480 Maróth, Miklós 153 Marschler, Thomas 297 Maslama (Gouverneur) 82 Massignon, Louis 116, 130 al-Masʿūdī, Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn al-Ḥusayn 93, 179 Mattā ibn Yūnus 198 Matthäus (Evangelist) 10, 299, 302, 304–305, 404, 407, 455, 457–458, 472, 480–481, 484 Mattock, J. N. 212 al-Māturīdī, Abū Manṣūr 21, 32, 54, 84, 93–97, 134, 173, 212–213, 216, 236 Mayordomo, Moisés 39 McAuliffe, Jane Dammen 51, 168, 252 McGuckin de Slane, William 95 Meister, Chad 14 Memiş, Murat 252 Miller, Larry Benjamin 40, 53–54, 57, 107, 181, 188, 439 Mirjam (Schwester Moses) 376, 467 Monferrer Sala, Juan Pedro 11–12, 62, 86 Monteiro, Márcio Wariss 429 Mopsos 65 Morewedge, Pervaz 192, 423 Mose 19, 51, 80–81, 130, 271, 291, 303, 376, 379, 381, 393, 417, 451, 453, 456, 466–468, 473 Motzki, Harald 67 Mourad, Suleiman A. 79 Moussalli, Aḥmad S. 27 Muḥammad 19, 27, 32, 63, 69, 74, 77–79, 83, 94, 99, 111–112, 132–133, 145–146, 149, 154, 206, 215, 233, 261, 268, 272–273, 412, 426, 449

Personenregister Muḥammad Murād, Barakāt 58 al-Muktafī (Kalif) 146 Müller, G. 262 Munir-ud-Din, Aḥmed 11 Mūsā, Muḥammad Yūsuf 133 Muslim ibn al-Haddschādsch 69 al-Muṭahhar ibn Ṭāhir al-Maqdisī 57 al-Muʿtaṣim (Kalif) 138 al-Mutawakkil (Kalif) 84–85 Muwaffaq al-Dīn Abū Muḥammad ʿAbd al-Laṭīf ibn Yūsuf al-Baghdādī siehe Ibn al-Labbād al-Nābulusī, ʿAbd al-Ghanī 37 Nagel, Peter 411, 469 Naïn, Jüngling von 382, 465 al-Naqārī, Ḥammū 53, 380 al-Nasafī, Abū Ḥafṣ ʿUmar b. Muḥammad 191–192 al-Nasafī, Abū l-Muʿīn 217–218 al-Nasafī, Burhān al-Dīn 40, 181 al-Nāshiʾ al-Akbar 32, 91 Nasiłowski, Marek 260–261 Nassar, Sami Ali 434 al-Naẓẓām 89 Nebukadnezar 382, 465 Nestorius 277–279, 281, 469 Netton, I. Richard 173 Neusner, Jacob 148 Neuwirth, Angelika 63, 68 Neve, Ernest F. 150 Nicholson, R. A. 130 Nickel, Gordon 89, 411 Nikolaus von Kues 99 Noah 426 Nöth, Winfried 41 Olbrechts-Tyteca, Lucie 41, 157, 228 Origenes 64, 274 Orlandi, Tito 262 Özcan, Tahsin 37, 182 Özen, Şükrü 6, 145 Özervarli, M. Sait 179 Padwick, Constance 116, 286 Pahlitzsch, Johannes 12–13, 98, 263 Paintner, Ursula 47 Palmer, Humphrey 227 Pālūṭ (Heiliger) 279, 469 Pannenberg, Wolfhart 14, 25

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Paret, Rudi 70, 72, 98, 187–189, 213, 269, 271, 297–298, 439, 450 Park, Young-Sik 25 Paulus 39, 130, 299, 320, 323, 457–460, 463 Pehlke, Michael 48 Pelikan, Jaroslav 14 Perelman, Chaïm 22, 41, 157, 228 Périer, A. 140 Perkams, Matthias 8, 27 Perler, Dominik 150, 173 Peta, Ines 116 Peter von Damaskus 13 Petrus (Apostel) 299, 389, 393, 457, 471, 473, 481, 485 Petrus Venerabilis 14, 146 Pfister, Jonas 27, 248–249 Pietruschka, U. 37 Pilatus 484 Pines, Shlomo 314 Pinto, Robert C. 228 Platon 5, 158, 222, 228–229 Platti, Emilio 149, 184 Plotin 174 Pormann, Peter E. 138–139 Porphyrios 63–64, 66–67, 138–140, 146, 153, 174, 196, 267, 397 Poston, Larry 85 Potthast, Daniel 67, 69, 117, 276 Pratt, Douglas 62–63 Puntel, Lorenz B. 4 Qādī ʿIyāḍ 285 Qadri, Anwar Aḥmad 213 al-Qaffāl al-Shāshī 141–142 al-Qarāfī, Shihāb al-Dīn 43–44, 53, 88, 98, 293, 342, 346, 398 al-Qāsim ibn Ibrāhīm 88–90, 147, 411 al-Qirqisānī, Jakob 34 Qudāma ibn Jaʿfar Abū al-Faraj 146–147 Quintilianus, Marcus Fabius 222 al-Rāhib, Nushūʾ al-Khilāfa Abū Shākir ibn al-Sanāʾ Buṭrus 263 Rapoport, Yossef 264 Rapp, Christof 160 al-Rashīd Abū al-Khayr ibn al-Ṭayyib 115 al-Rassī, Abū Muḥammad al-Qāsim 298 al-Rāzī, Fakhr al-Dīn Abū Bakr Muḥammad bin Zakariyyāʾ 21, 50, 153, 164, 179, 210–211, 215, 267

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Personenregister

Reed, Chris 32, 59–60, 273, 366, 437, 440–441 Reinhard, Wolfgang 85 Reinink, Gerrit J. 82–83 Rescher, Nicholas 34, 38, 57, 147, 151, 173 Reynolds, Gabriel Said 97, 116, 129, 236 Richard Löwenherz 262 Rieger, Reinhold 67, 150, 397 Rifāʿī, ʿAbd al-Jabbār 447 Rissanen, Seppo 6, 150 Ritter, Hellmut 43, 410 Rocci, Andrea 429 Roggema, Barbara 80–82, 111–112 Rosenthal, Franz 159, 218 Rotter, Ekkehart 62 Rudolph, Ekkehard 32 Rudolph, Ulrich 28, 173, 210–211, 236 al-Ruhāwī, Abū Muḥammad ʿAbd al-Qādir ibn ʿAbdallāh 285, 288 al-Rummānī, Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn ʿĪsā ibn ʿAlī ibn ʿAbdallāh 184 Rusch, William G. 10, 274 Russell, Bertrand 194 Saçaklızâde Maraşî, Muhammed 6, 37, 41, 57, 59, 165–168, 178–179, 182–185, 194, 433 Safi, Louay 434 Sahas, Daniel J. 13 Sajjadi, Sadeq 151 Sajjadi, Seyyed Jaʿfar 190, 201, 211 Saladin siehe Ṣalāḥ al-Dīn (Sultan) Ṣalāḥ al-Dīn (Sultan) 262–263 Ṣalāḥ al-Dīn Khalīl ibn Aybak al-Ṣafadī 116 Salome 390 al-Samarqandī, Shams al-Dīn Abū al-Qāsim al-Hakīm 40, 167–168, 180–182, 248 Samir, Samir Khalil 9, 13–14 Sanford, David H. 228 al-Sarakhsī, Ibn al-Ṭayyib 285, 288 Sarıoğlu, Hüseyin 165 Sarrió Cucarella, Diego R. 19, 43–44, 53, 260–261, 293 Sayyid Sharīf Jurjānī 179 Sbath, Paul 275 Schaade, A. 5 Schacht, J. 192 Schärtl, Thomas 297 Schiller, F. C. S. 382 Schleiermacher, Friedrich 46, 52

Schöck, Cornelia 173, 199–200 Schon, Dietmar 17 Schönecker, Dieter 425 Schönig, Hanne 29 Schulthess, Peter 82 Schulze, Reinhard 29 Schumacher, Joseph 216 Schumann, Olaf H. 26, 85 Schupp, Franz 57, 84, 151, 170 Schwarb, Gregor 29 Schwartz, Yossef 54 Schwöbel, Christoph 25 Seale, Morris S. 237 Sellheim, R. 411 Şentürk, Recep 74 Serrano Ruano, Delfina 62 Shabīb al-Basṛī, Abū Bakr Muḥammad ibn ʿAbdallāh ibn 84 al-Shāfiʿī 224, 379–380 al-Shahrastānī, Abū al-Fatḥ Muḥammad ibn ʿAbd al-Karīm ibn Aḥmad 136, 285 al-Shīrāzī, Ibrāhīm ibn ʿAlī ibn Yūsuf al-Fīrūzābādī 167 Shoemaker, Stephen 237 Sībawayh 380 Sicker, Martin 264 Sidarus, Adely 262–263 Siegel, Harvey 228 al-Sijistānī al-Manṭiqī, Abū Sulaymān Muḥammad ibn Ṭāhir ibn Bahrām 198–199 Simon Petrus siehe Petrus (Apostel) Simon von Cyrene 290, 390 Şimşek, Sait 69 Sinanoğlu, Mustafa 46 Sivan, Emmanuel 284 Sklare, David 29 Skyrms, Brian 21 Sokrates 196, 222, 228–229, 422, 426 Somekh, S. 11 Sprenger, Aloys 160 Spuler, Bertold 274–275 Steinschneider, Moritz 8, 12, 16, 53, 62, 86–87, 94–95, 237, 263–264, 412 Stieglecker, Hermann 10–11, 98, 342, 346, 398 Stock, Kristina 5 Stoker, Wessel 67 Strauß, Gerhard 46–47 Strohmaier, Gotthard 140

Personenregister

533

Stump, James B. 14 Suermann, Harald 80–81 Suhrawardī 153, 215 al-Sulamī, ʿAlī ibn Ṭāhir 284 al-Suyūṭī 293 Swanson, Mark N. 13–14 Sweetman, J. W. 116

Üçer, Ibrahim Halil 34, 173–174 Uludağ, Süleyman 54 ʿUmar 78 al-ʿUmarī, Muḥammad 41–42 ʿUmayr ibn Saʿd ibn ʿUbayd (Emir) 80–81, 85 ʿUmayrat, Zakariyyā 133 ʿUthmān, Fatḥī 25–26

al-Ṭabarī, Abū al-Ḥasan ʿAlī ibn Sahl Rabban 84–88, 94, 285, 288 al-Taftāzānī, Saʿd al-Dīn Masʿūd ibn ʿUmar ibn ʿAbdallāh 9, 179, 189–191 al-Tahānawī 203 al-Ṭaḥāwī, Abū Jaʿfar 54 Tamim, Asad 133 Tammelo, Ilmar 380 al-Tarjumān, ʿAbdallāh 86 Ṭaşköprüzâde, Ahmed Efendi 23–24, 54, 114, 166–167, 178, 184, 186 al-Tawḥīdī, Abū Ḥayyān 198–199 Tertullian, Q. Septimius Florens 15, 150 Tetens, Holm 123, 127 Teule, Herman G. B. 263, 275 Theodor I. Laskaris (Kaiser) 19, 61, 259–260 Theophrast 82 Thomas (Heiliger) 279, 469 Thomas von Aquin 82 Thomas, David 12, 17–18, 28, 38, 60, 84–85, 87, 89–94, 99, 132–133, 136–138, 140–142, 150–151, 184, 264, 291, 411–412 Timotheus (Patriarch) 84, 136, 177 Tindale, Christopher 22 al-Tirmidhī, Muhammad ibn ʿĪsā 69, 410 Toenies Keating, S. 29 Tolan, John 62, 99, 177 Topaloğlu, Bekir 23, 37, 190, 200–202, 204, 206–208, 211–212, 216, 239 Tottoli, Roberto 77 Toulmin, Stephen E. 157, 222 Triebs, Franz 43, 292 Tritton, A. S. 134 Trophonios 65 al-Ṭūfī, Najm al-Dīn 40, 48–49, 58, 68, 89, 168, 170–171, 173, 175, 261, 293, 299, 412–413, 425, 429, 433 Türcan, Talip 213 Turmeda, Fray Anselmo 86 al-Ṭurṭūshī, Abū Bakr 285, 288 al-Ṭūsī, Naṣīr al-Dīn 160–162, 267 Tyerman, Christopher 262

Vajda, G. 77, 411 van den Berg, H. 85, 166 van den Ham, Frederik Jacob 18, 44 van Eemeren, Frans Hendrik 5, 22, 35, 42, 157, 165, 221, 225–227, 424 van Ess, Josef 3, 10–11, 29, 39, 42, 70–71, 82, 84, 89, 97, 99–101, 109, 147, 153, 161, 169, 171–172, 174–177, 188, 191, 236–237, 251–252, 274, 317, 432 Van Gelder, G. J. H. 39, 176, 193 Velasquez, Isaak 412 Vidal-Castro, Francisco 437 Vogel, Lothar 50 von Grunebaum, Gustav Edmund 141–142 von Kügelgen, Anke 202, 267 Vööbus, Arthur 116, 286 Wagner, Ewald 20, 37, 50, 145, 147, 179, 446–447 Wagner, Tim 160 Wahb ibn Munabbih 68 Walker, Paul Ernest 133–135 Walløe, Lars 158, 165 Walther, Jürgen 428 Walton, Douglas 32, 59–60, 123, 273, 366, 437, 440–441 Walzer, Richard 8, 66, 237 al-Warrāq, Abū ʿĪsā Muḥammad 84, 90–93, 132, 147, 300 Wāṣil 87 Watt, Montgomery W. 174 Wehr, Hans 57, 79, 439 Weinberger, Ota 4 Weintritt, Otfried 263 Wensinck, A. J. 214 Wheeler, Brannon M. 169 Whittingham, M. 129 Willard, Charles Arthur 228 Williams, Arthur Lukyn 15 Wilms, Franz-Elmar 115–116, 118, 129, 207, 234, 285–286, 292, 337, 412 Winter, Reiner 21

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Personenregister

Winter, Tim 26 Witkam, Jan Just 18, 85, 147, 264, 294 Wolff, Michael 172 Wolfson, Harry Austryn 6, 170 Wrede, William 313 Würsch, Renate 41 Yaḥyā ibn ʿAdī 138, 140, 149, 151, 184, 198 Yaḥyā ibn Sallām 67 Yaḥyā ibn Ziyād 67 al-Yamānī, ʿAbd al-Raḥmān ibn Yaḥyā al-Muʿallimī 74 al-Yaʿqūbī 132–133 Yarbrough, Luke 94 Yasūʿ siehe Jesus Christus

Yavuz, Yusuf Şevki 168, 188–189 Yığın, Adem 215 Yuhannā ben Hayān 151 Yūnān siehe Jona (Prophet) al-Yūnīnī, Qutb al-Dīn ʾAbū al-Fatḥ Mūsā ibn Muḥammad ibn ʾAḥmad ibn ʿAbdallāh 18, 259–260 Zamolxis 65 Zawanowska, Marzena 29 Zebedäus, Frau des 390 Zeller, Dieter 313 Zeus 65 Zomeño, Amalia 112

Sachregister A priori 109, 166, 188, 190–192, 201, 204, 315, 343, 350 Abänderung (der Bibel) siehe taḥrīf Abbasiden 7, 12, 84, 111–112, 135, 149, 168, 174, 236, 262–263, 274–275 ādāb al-baḥth 40, 180–181, 247 ādāb al-baḥth wa-l-munāẓara 38, 166–167, 179, 181 Adäquatheit 122, 231–234, 244–245 – prinzipielle 232 – situative 231–232, 316 Adressat 240–242 Adversus Judaeos 15 āḥād 76, 253, 391, 440, 470–471 ahl al-sunna wa-l-jamāʿa 7 Akzeptabilität 155–156, 230, 241–242 Akzidenz 134, 139 Al-radd al-jamīl li-ilāhiyyāt ʿĪsā bi-ṣarīḥ al-injīl 114–132, 174, 207, 234, 285–286, 294, 411 Analogieschluss 17, 73, 77, 83, 99, 103, 110, 147, 187, 191, 193, 195, 227, 267, 379–380, 397, 442 Analyse siehe Argumentationsanalyse al-Andalus 3, 12, 16, 112, 117, 276, 437 Antitrinitarismus 69, 237 Apologetik 3, 11, 25, 45–46, 51–53 ʿaqīda 30, 54, 134, 171 ʿaql 21, 74, 92, 164, 209–210 ʿaqliyyāt 21 Argument(ation) 121, 215–220, 230, 238–241, 443 – interpretative 105, 203, 268, 291, 298–340, 363–364, 393, 400, 415–416, 426, 428–431 – praktische 244–245 Argumentationsanalyse 165–166, 246–255 – praktische 181–182, 199, 252–255, 446 Argumentationsindikator 95, 121

Argumentationsrhetorik 5 Argumentationsstrategie 35, 48–49, 66, 91–92, 100, 139, 290, 300, 303, 332, 341, 393, 400, 434 Argumentationstheorie 22, 33, 221–255, 443, 447 – erkenntnistheoretische 22, 222, 228–245, 447 – islamische 17, 28, 32–35, 38–43, 56, 80, 100, 175–215, 221, 255, 421, 446 – konsensualistische 222 – Pragma-dialektische 224–228 – rhetorische 222–224 Argumentativität V, 5, 22, 43, 50, 72, 74, 98, 107, 112, 133, 136–137, 164, 215–216, 245, 265, 319 Argumentum – a fortiori 66, 73, 375–388, 431, 470 – a maiore ad minus 379 – a minori ad maius 379, 383–385 – ab auctoritate 378; siehe Autorität – ad personam 268 Arianer 274, 297 Ashʿarīten 7, 133–134, 164, 296 Aussage 121, 155–157, 199–200 Aussagenlogik 35, 124, 155–156, 163, 250, 255 Autorität 185, 191, 207–209, 212, 217, 236, 268, 291, 378, 413, 440–441 awlā 66, 377, 379, 383 awwaliyyāt 192, 200–204, 206 Axiom 57, 109, 152, 189, 191, 193, 201–203, 212, 214, 267, 310, 324, 326, 356, 371, 373 Ayyubiden 19, 260, 263

536

Sachregister

baddala 412 badīhī 189, 192 badīhiyyāt 57, 109, 152, 166, 186, 190–192, 201–202, 214, 267, 309–310, 324, 326, 342–344, 346, 348, 350, 353, 356, 371 baḥth 179–180 bayt al-ḥikma 7 Begründung 160 Beweis 163–165, 186–188, 193 Bibel 68, 286–292, 410–417 – Übersetzungen 286–292, 416; siehe Vulgata, Alexandrinische – Verfälschung siehe taḥrīf Bibelbasierte Argumente 83, 203, 270, 298, 300–340, 375–397, 417, 429–430 Briefwechsel 63, 111–113 Buchreligionen 27 bunuwwa 303, 363, 456 burhān 6, 17, 186–190, 193–194, 201, 252, 267, 422–423 burhān al-khulf 72 Buyiden 177–178 Byzantiner 19, 50, 111, 141, 281–282, 468–469 Chalcedonier 17 Christen – orientalische 117, 138, 262, 275–276; siehe Jakobiten, Kopten, Melkiten, Nestorianer, Orientfranken – westliche siehe Franken Christologie 10–11, 15–16, 18, 93–97, 117–118, 122–123, 136, 145, 150, 246, 273–276, 278–280, 282, 285, 358–363, 412; siehe Dyophysitismus, Monophysitismus, Natur (Wesen), Person Codex Cavensis 291 Codex Toletanus 291 Common word 24 dalīl 17, 134, 146, 163–164, 166, 184, 186–187, 193, 363, 437, 456 ḍarūrī 161, 189, 192, 199–200, 203 ḍarūriyyāt 57, 161, 202, 211–212 Davidsohn 302–307 Deduktion 160, 198, 422–424, 426, 428 Definitionslehre 120 dhawqī 422 Dialektifikation 226–228

Dialektik 5, 7, 38–41, 77, 91, 147, 168, 174, 181, 226, 397, 432–433, 437, 446–447 Dialog 22, 26, 42–43, 50, 56, 63, 174, 176, 179, 284, 432, 438 – interreligiöser 25 Dienerschaft 301, 303, 320–326, 363–364 Disjunktion 60, 124, 156, 309, 341–352, 400, 435, 437, 440; siehe taṣnīf – ausschließende 49, 57; siehe Kontravalenz – vollständige 36, 219, 328, 400 Diskurs 4, 6–7, 12, 18, 24–25, 115, 147, 319 Diskussion 56–57, 59 Disputation 4, 11–12, 14–17, 20, 32, 34, 36–38, 40–42, 49–51, 53–56, 58–59, 67, 80–83, 91, 97, 111, 115, 135, 145–146, 166–172, 176–182, 188, 206, 208, 218, 233, 236–237, 241, 255, 259, 275, 284, 319, 438–439, 448 Disputationstheorie 181 Dissens 51, 202 Doketismus 274, 462 Drāshā da-hwā l ḥad men Ṭayyāyē ʿam iḥidāyā ḥad b-ʿumrā d-Bēt Ḥālē 82–83 Dyophysitismus 280, 326–340, 469; siehe Melkiten, Nestorianer Egartā d-Mār(y) Yoḥannan patṛ iyarkā metṭụ l mamllā d-mallel ʿam amirā da-Mhaggrāyē 42, 80–83 Einsheit Gottes 69, 93, 122, 252, 297 Eisagogḗ 66, 138–139, 146, 174, 196, 267 éndoxa 57, 109, 229, 429 Enthymem 195–197, 249 Erbsünde 16, 300 Ergänzungsprämisse 73, 118, 122–123, 126–127, 243, 249–250 Ergebnisoffenheit 42, 47–48 Erkenntnis 22–23, 128, 158–170, 191–193, 210, 216–219, 222, 230–231, 233, 240, 421–422, 448 Erkenntnisprinzip 21–22, 31–32, 38–39, 106, 110, 128, 164–166, 171, 193, 225, 230–231, 233–234, 238, 251–252, 254–255, 311, 421–431, 445 – deduktives 107–108, 111, 128, 163, 220, 231, 311–312, 317–320, 322, 324–326, 334, 343, 348–352, 355–363, 367–369, 371–375, 386–388, 393–396, 400–404, 406, 408–410, 422–426, 428

Sachregister – erkenntnisgenetisches 426 – induktives 355–357, 425–428 – interpretatives 14, 48, 110, 315, 317, 338–340, 412, 416, 426, 428–431 erkenntnistheoretisch ausgerichtet 47 Erschaffenheit 23, 112–113, 192, 442, 452–453, 462–463; siehe Schöpfung Erstgeborener 303, 364–370, 453, 456 Essenz 20, 68, 172, 279, 281, 442, 451, 457, 468–470 Evangelien 404 – Widersprüche zwischen 64, 86, 268, 270–271, 293, 404–410, 413–416, 479–486 Externalisierung 226 Fatimiden 12, 262–263 Fehlschluss 35, 58, 109–110, 332, 338 Fī tathlīth Allāh al-wāḥid 9, 13–14 fiqh 7–8, 37, 136, 215–216, 252, 294, 379 Frage-Antwort-Situation 17, 49, 63, 82, 101, 223, 437–442 Fragegenerierung 30, 60, 437–442 Franken 19, 149, 262, 264, 279, 283–284, 288, 319, 325, 339–340, 351, 357, 362, 368–369, 374, 387, 396, 403, 409, 449 Frequentismus 230, 303, 313, 363–364 Funktionalisierung 226 fuqahāʾ 61 Geist – Gottes 70–71, 98–106, 108–110, 297 – Heiliger 10, 14, 92–93, 109, 139, 397–398, 459, 478 Geschichtsschreibung 132–133 Geschöpf lichkeit siehe Erschaffenheit Gettier-Problem 158 ghāliban 363, 456 Glaubensbekenntnis 13, 87–88, 358, 478 Gottesbild 122, 295–298 Griechisches Erbe 7–8, 17, 138, 140, 275 Gültigkeit 121, 127, 154, 231–232, 255, 316 Hadith 49, 63, 68–70, 74–80, 83–84, 86, 146, 191, 233, 253–254, 265, 273, 294, 410, 412–413 Hadithwissenschaft 29, 74–77, 207, 265, 298–300, 391 ḥadsiyyāt 192, 212 ḥajm 134

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Hanafiten 168–169 Häresiographie 63, 132–137 Häretiker 13–14, 18, 27, 91, 99, 277 Heiliger Geist siehe Geist, Heiliger ḥikma 182 ḥikmat al-ishrāq 422 ḥissī 192 ḥissiyyāt 161, 211 ḥujja 17, 186–187, 193 Hypostase 10, 92–93, 109, 145, 172, 203, 226–227, 269–270, 277, 279, 281, 296, 298, 300, 341, 344–348, 359, 397–404, 428, 436, 442, 452, 469–470, 476–478 Hypothese 95–97 Ideengeschichte 30, 61, 63–65, 68, 111, 153 iḍṭirār 17 ijmāʿ 191, 215 ikhtilāf 202, 215 Illokution 243–244 Illuminationsphilosophie 422 ʿilm 20–21, 58, 199, 205, 213, 217, 389 ʿilm al-ālāt 165–166 ʿilm al-baḥth wa-l-munāẓara 166, 168–169, 180 ʿilm al-balāgha 5, 41 ʿilm al-jadal 40, 166, 168, 247 ʿilm al-kalām 41, 166, 168–169, 175, 239, 443 ʿilm al-kalām al-jadīd 447 ʿilm al-khilāf 36, 166, 169, 182 ʿilm al-manṭiq 6, 166, 247; siehe manṭiq ʿilm al-munāẓara 39–40, 164, 167–168, 180–182, 184, 247 ilzām 29 Implikation 26, 91, 93, 96, 101, 105–106, 124, 126, 156–157, 163, 203, 278, 290, 307, 310, 321, 323, 365, 367, 383, 392, 424–425 – strikte 127 Induktion 187, 242–243, 425–428 Inkarnation 16, 64, 69, 90–92, 115, 136, 237, 270, 299–300, 326, 328–331, 436, 460 Intuition 211–212, 422 Īsāgūjī 155–156, 175, 192, 199, 267 isnād 74–76, 212 Israel, Volk 303, 314, 364, 441, 453, 456, 477 isrāʾīliyyāt 68–69, 77, 410–411 istiḍlāl 29, 57, 188, 191–193, 423, 439 istiqrāʾ 183, 187, 425–426, 433 istiqrāʾ al-naqīḍ 425

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Sachregister

istiqrāʾ al-tāmm 425 istithnā’ 106 ithbāt 17, 437 iʿtiqād 216–217 ittiḥād 269 jadal 6, 11, 36–37, 40, 50, 57–58, 77, 147, 168, 170–171, 176, 181, 187–188, 190, 223–224, 228, 275, 318, 397, 439 jadal bi-al-aḥrā 73 jadal bi-al-awlā 73 jāhiliyyāt 208–209 jahl 217 Jakobiten 117–118, 273–274, 276, 279–282, 357–363, 370, 468–470 jawhar 134–135; siehe Substanz jihād 284 Judäo-Arabisch 16 Juden 12, 14–16, 64, 67–69, 77, 83, 94, 130, 133, 148, 177, 188–189, 204, 263–264, 272, 285, 290, 327, 335, 389–390, 392–393, 410–411, 414, 450, 461, 471–475, 479–482, 484–485 Judenchristentum 237 Judentum 10, 14–16, 28–29, 45–46, 52, 61, 64, 67–69, 77, 137, 146–148, 237, 260, 265, 271, 275, 294, 410–411 juzʿī 199 kadhb 423 Kalām 4, 7, 21–24, 28, 39, 54, 71, 135, 148, 153, 171–172, 175, 215, 237, 423, 443 – Arbeitsdefinition 171 kalām 160 kalām al-nafs 53 kalimat Allāh 98 kasb 190–191 Kategorem 267 Kategorie 66, 113, 151 khabar 189–190, 268, 326–340, 428, 431, 433, 436 khabar al-wāḥid 212–214 Khārijīten 133 khilāfī 101 Kolosserhymnus 365, 369 Kompositionsprinzip 60, 110, 183, 251, 341, 432–442 Konklusion 21, 58, 60, 92, 107–108, 113, 121, 127, 154, 156–157, 160–161, 164–165, 172, 181, 184, 186, 193–195, 198–201, 218–219, 230

Konsens 22, 107, 191, 200, 202–203, 222, 224, 241, 269, 429 Kontingenz 192, 204, 207–208, 408 Kontradiktion 36, 82, 93, 167, 226 Kontravalenz 124, 156, 440 Kontroverse 49, 53, 55, 59, 112, 168, 186, 237 Konversion 63, 68, 85–87, 135, 146, 259, 261, 275 Konzilien 14, 149, 270, 278–279, 282, 300, 358, 412 Kopten 12, 91, 114–117, 260, 262–263, 267, 280, 282, 286–287, 289, 293 Koran 9–10, 13–14, 16, 26, 29, 34, 41, 49, 51, 63, 67–74, 76–84, 89, 98–102, 105, 109–110, 128, 146, 168–169, 171, 187–189, 191, 203, 206–207, 210, 213–215, 233, 243, 248, 252, 269, 271–272, 297–298, 304–305, 331, 336–337, 346, 353, 356, 376, 379, 388, 391, 393, 405, 409–414, 416, 423, 429, 439, 444, 448–449, 468, 483–484, 486 Kreuzfahrer siehe Kreuzzüge Kreuzigung 20, 69, 213, 219, 223, 269–270, 290, 295, 300, 329, 359, 370–375, 383–384, 388–397, 414, 440, 450, 468–476, 479–480, 482–483 Kreuzzüge 19, 260, 262, 264, 284 Kritik 47–48 kullī 199 Logik 4–9, 20–22, 28, 33–35, 38, 41, 51, 121, 139, 147, 150–157, 166, 169–170, 172, 174, 202, 215–216, 238, 242, 255, 296, 446 – angewandte 254 – syllogistische siehe Syllogistik Logos 23, 36, 91, 93, 152, 160, 279, 344–346, 398, 423, 433, 450 madlūl 164 madrasa 21 maḥsūsāt 192, 212 maḥsūsāt al-ẓāhira 200 majlis 11–12, 51, 63, 83, 146, 176–177, 227, 438 Mamluken 262–264, 283 manʿ 183–185 manʿ al-mujarrad 184 manʿ maʿa al-sanad 184 manqūl 19, 146, 451 manṭiq 6, 23, 37, 165, 255, 423; siehe ʿilm al-manṭiq

Sachregister maqālāt 63, 132, 136–137 maqbūlāt 200, 207, 209 maʿqūl 19–20, 146, 451 maʿqūlāt 151 mashhūr 76 mashhūrāt 6, 57, 109, 196, 200, 204–205, 207, 213, 343, 353, 356 matn 74–76 Māturīdīten 296 mawdūʿ 75, 423 Meinungsverschiedenheit 56, 64, 166, 215, 226–227 Melkiten 117–118, 273–274, 276, 279, 282, 357, 370, 468–470 Menschensohn 331–332 Menschwerdung siehe Inkarnation Mereologie 96–97 Messias 10, 15–16, 35–36, 91–92, 119, 130–131, 141, 172, 204, 269, 279, 281, 300–302, 304–305, 310, 313, 342, 358–359, 370, 376–377, 382, 388–389, 391–393, 404, 412–415, 433, 440, 442, 451, 454–455, 457, 463–465, 467–476, 478–485 Metapherninterpretation 104, 110, 210, 296 Metaphysik 6, 8, 24, 174, 297 Methode, dialektische 6, 36, 50, 82, 149, 432–434, 442 al-milal wa-l-niḥal 63, 132–136 minhāj al-muḥaddithīn 298–300 minhāj al-tafsīrī 298–299 minhāj ʿaqlī khāliṣ 298, 300 Modus Ponens 71, 101, 127, 132, 195–196, 310, 424 Modus Tollendo Ponens 434–435 Modus Tollens 96, 105–107, 342, 352, 355, 379, 435 Mongolen 262, 264, 283 Monophysitismus 17, 280, 282, 286, 469; siehe Jakobiten, Kopten Monotheismus 14, 21, 26–27, 67, 111, 122, 136, 138, 273, 297 muʿāraḍa 29, 183–186, 437 muʿāriḍ 184–185 muḥaddithūn 74 muḥāl 199 mujarrubāt 192 mūjiba 199 mukāshafa 422 mukhayyalāt 200, 207–208

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mumkin 199 munāẓara 6, 11, 32, 36–37, 39, 42, 49–51, 53, 56–58, 147, 164, 167–168, 176, 178–181, 223–224, 228, 255, 285, 293, 438, 447 muqaddima 58, 199 murakkab al-naqṣ 182 musallamāt 6, 57, 200, 206–207 mushāhada 189–190, 204, 268, 326–340, 428, 431, 433, 436 mushāhada al-bāṭina 200 mushāhadāt 192, 211, 353 Mutakallimūn 23, 29, 54, 61, 97, 111, 134–136, 149, 159–160, 173, 179, 185, 198, 254, 397, 422 mutaṣawwifa 61 mutashābihāt 210 mutawātir 190–192, 213–214 mutawātirāt 192, 200, 214 mutawwarāt 192 Muʿtaziliten 7, 48, 61, 89, 91, 97, 134, 138, 164, 174, 188, 217–218, 284, 296, 300 muṭlaq 199 Mystik 29, 119, 199, 422 naqḍ 49, 183–184, 186 naql 92, 184, 209–211, 309–310, 322, 324, 334, 348, 353, 356, 359, 361, 366, 371, 373 naskh 411 natīja 58, 196, 423 Natur (Wesen) 102, 117–118, 134, 163, 269, 274, 276–282, 285, 295–296, 299, 326–332, 335–336, 338, 357–363, 370, 374–375, 377, 380, 383, 436, 442, 460–462, 468–470 naẓar 57–58, 179, 186, 190, 193, 203, 437 naẓariyyāt 167, 201–202 Nestorianer 17, 85, 99, 117–118, 237, 273–279, 282, 357, 370–373, 468–470 Neuplatonismus 9, 66, 173–174 Notwendigkeit 17, 120, 127, 160–161, 164, 185, 188–189, 191–192 Offenbarung 8, 23–24, 45, 55, 68, 71, 83, 88, 112, 136, 148, 159, 169, 173, 188, 191, 198–199, 209–211, 214, 216, 234, 295, 306, 335–337, 346, 348, 379, 405–406, 408–409, 413–414, 439, 441, 457 Orient 12, 28, 66, 83, 174, 236, 275, 284; siehe Christen, orientalische Orientfranken 284

540

Sachregister

Paraklet 132–133, 272 Person 10, 117–118, 139–140, 172, 227, 276–281, 285, 296–297, 370, 392, 397, 442, 468–470, 472 Persuasion 5–6, 20, 37, 40, 57–58, 70, 83, 107, 129, 134, 168, 176, 195, 209, 222–224, 228, 230, 234–236, 246, 438 Petitio principii 332, 338 Philosophie 7, 9, 24, 27, 34, 38, 40, 54, 63, 97, 137–140, 147, 151, 166, 173–174, 182, 187, 192, 196–199, 202, 275, 388, 422–423 Plausibilität 102, 105, 300, 309 Pluralismus 26, 174 Poesie 32, 63, 140–142, 265; siehe Rangstreitdichtung Polemik 6, 11, 45–47, 51–53, 56 Prädikabilien 140 Prädikatenlogik 35, 250, 255 Präexistenz Christi 348 Pragma-Dialektik siehe Argumentationstheorie, Pragma-dialektische Prämisse 6, 21, 29–30, 57–58, 60, 67, 71, 73, 78–80, 83, 86, 95, 107–108, 121, 127–128, 155, 160, 164–165, 181–182, 184–186, 188–196, 198–200, 216, 267; siehe Ergänzungsprämisse – gebräuchliche 109 – materielle 73, 106, 156–158, 243 Prämissentypen 200–215 Probabilismus siehe Wahrscheinlichkeit Produkt 63, 68, 227 Prophetengeschichten 63 Prophetentum 32, 85, 111–112, 233, 271–273 Prozess 162, 187, 204, 217–218, 226–227, 235, 250, 311, 352, 421 Psalmen 130, 203, 301, 303–304, 310, 314, 398, 454, 456, 477, 484 Pseudo-Klementinen 69, 237 qaḍiyya 155, 166, 186, 190, 199, 205, 208, 423 qaḍiyya sharṭiyya 196 qānūn 181 Qaräisch 16 qiṣaṣ al-anbiyāʾ 68, 410 qiyās 17, 103, 147, 152, 186–187, 193–195, 379–380, 423, 436 qiyās al-ʿaks 72, 95

qiyās al-awlā 379 qiyās al-iḍmārī 195–197, 249 qiyās al-istithnā’ī 101, 106, 127, 132, 195–196, 424 qiyās al-jadalī 196 qiyās al-shumūl 152, 194 qiyāsī 186 qnome 279, 469; siehe Hypostase Quaestio 82, 246, 440 Quaternität 397–404, 476 questioning siehe Fragegenerierung Rabbanitisch 16 Radd 3–4, 10, 46–60, 247, 443, 447–448 – Grundbedeutung 48, 50 – Nominaldefinition 50, 59 Radd-Literatur 16–20 Rangstreitdichtung 37, 145, 147, 446 Rationalität 7–8, 10, 55, 67, 71, 74, 81, 85–86, 97, 108, 145–151, 153, 157, 159–160, 164, 169, 171–172, 185, 198, 207, 211, 215, 224–227, 231, 233–234, 253, 328, 377, 397, 425 rāwī 76, 471 Rechtsfragen 169, 206, 213, 215, 379 Rechtslehre siehe fiqh Rechtswissenschaften siehe uṣūl al-fiqh Reductio ad absurdum 72, 95, 195 Reductio per impossibile 72, 341 Regressus ad infinitum 186, 477 Rhetorik 5, 41, 47, 58, 222–224, 228, 240, 246, 447 – neue 224 – Tübinger 224, 228 al-rūm 19 al-sabr wa-l-taqsīm 210, 219, 268, 341, 400, 432, 434–436 sāʾil 183–186 sāliba 199 salīḥiyyūn 284 Satzgefüge, hypothetisches 82, 99–100, 106–107, 171–172, 317, 432–433, 442 Scharfsinn 212 Schiiten 61, 89, 91, 133, 177, 263 Schlüssigkeit 121, 154, 218, 231, 316 Schlussregel 106, 108, 157–158 Schmähkritik 50, 135, 448 Schmähung 48, 50, 62, 85, 141, 223, 234 Schöpfer 20, 89, 131, 297, 305, 450–451

Sachregister Schöpfung 72–73, 92–93, 162, 164, 189, 346, 365, 369, 399, 460, 477; siehe Erschaffenheit Selbstrede 53 Shāfiʿīten 133, 259, 261 shakhṣ 226–227, 277 shākk 205 sharīʿa 23, 165 sharṭiyya muttaṣila 106 ṣidq 423 Signifikation, indirekte 243 Sinneswahrnehmung 161, 192, 211–212 Sīra 63, 79–80, 84 Skeptizismus 140 Sohnschaft 320–326, 363–370 Sophisten 57, 133, 152, 191, 228 Sozialisation 226–227 Spätantike 7, 63, 68, 82 Standardoutput 240–241 Stoiker 172 Streitfrage 6, 16, 19, 23, 49, 145, 167, 223, 246–247, 274, 448 Streitgespräch 176–178; siehe Disputation, Kontroverse Substanz 113, 134–135, 139, 277, 353 Sufis 44, 61, 119, 377 Sühneopfer 300 sukūt li-al-ʿajz 107 Sunna des Propheten 69–70, 77–78, 191, 253, 444, 448 Sunniten 54, 61, 75, 89, 93, 174, 261, 263 Syllogismus siehe Syllogistik – dialektischer 196 – disjunktiver 434 Syllogistik 8–9, 41, 57–58, 150, 152–154, 160–163, 169, 186–189, 193–197, 201–203, 210, 249–250, 255, 267, 352–353, 355, 379, 382, 422–424 Synoden 277–278 ṭabīʿat 277 tafsīr 37, 63, 268, 294, 298–299 taḥrīf 68, 87–88, 94, 271, 411–417, 441 taḥrīf al-lafẓ 89, 411 taḥrīf al-maʿnā 89, 129, 411 taḥrīf al-naṣṣ 89, 411 taḥrīf maʿnawī 129 tajriba 190, 343, 350, 366 tajribiyyāt 192, 200, 212, 343 tanāquḍ 86, 414

541

taqlīd 54, 208, 217, 295 taqlīdiyyāt 208–209 taqsīm 29, 36, 182–183, 268, 327, 433–436, 442 taqsīm ʿaqlī 433–434 taqsīm istiqrāʾī 433–434 taʿrīf 40, 182–183 tasalsul 186 taṣawwuf 37 taṣawwur 170, 199 taṣdīq 170, 182–183, 199 taṣnīf 36, 93, 100, 119, 189–190, 269–270, 274, 301, 309–310, 321, 327, 329–331, 341–352, 363, 375, 400, 428, 436–437, 440 tawātur 20, 270, 299–300, 328–329, 388–391, 440, 470–472 taʾwīl 95 Theologie 175 – argumentative 21, 23, 29, 166, 171, 200, 215–220, 239–240; siehe Kalām – islamische 3, 6–7, 27–30, 39, 153, 169, 423, 446–447 Thesengenerierung 436–437, 442 Tora 15, 19, 43, 68–69, 94, 130, 148, 264, 291, 303, 310, 314, 376, 398, 410, 417, 451, 453–454, 456, 466–468, 477, 479–480 Trinitätslehre 9–10, 14, 67, 69, 90, 122, 136, 138–140, 237, 270, 277, 297, 300, 370, 397–404, 476–478; siehe Hypostase, Quaternität Tritheismus 14, 298 Trugschluss siehe Fehlschluss Überlieferung siehe Hadith, naql Überredung siehe Persuasion Übersetzungsinitiative 7–8, 34, 66, 173–174, 237 Überzeugung 5, 11, 14, 37, 41–42, 47, 52, 55, 57–59, 70, 83, 111, 127, 129, 146, 148, 160, 165, 168, 217, 222–226, 228, 231, 233, 235, 240, 244–245, 424, 427 Überzeugungskraft 58, 65, 86 ʿubūdiyya 303, 363, 456 Umayyaden 12–13, 82, 173, 263, 275 uqnūm 226–227, 277 Urteil 5, 107, 128, 155, 169, 185, 194–195 uṣūl al-fiqh 58, 166, 168–169, 239, 443

542

Sachregister

Verbindungsfunktion 156–157 Vereinigung 89, 92–93, 269, 278–279, 326–340 Verklärung Jesu 393, 473 Vernunft 210–211; siehe ʿaql Vulgata, Alexandrinische 116, 286–292, 327, 472 wahm 205 wahmiyyāt 200 Wahrheit 4, 6, 8–9, 11, 21–23, 25–26, 36–37, 42, 47, 53–57, 59–60, 70, 76, 107, 121, 125, 134–135, 141, 149, 151–152, 159–161, 165–170, 178–182, 184, 187, 189, 191, 195, 198–201, 206, 213, 215–218, 222–223, 228, 230, 400 Wahrheitsähnlichkeit 108, 111, 204, 206, 210, 212, 230, 235, 308–309, 311–312, 317, 320, 326, 335, 339–340, 344, 352, 358, 361, 363, 370, 393, 395–396, 402, 408–409 Wahrheitsanspruch 25–26, 107, 145, 150, 169 Wahrheitsfindung 42–43, 48, 50, 53–54, 84, 139, 148, 165–166, 169, 202, 234 Wahrheitsgarantie 106, 128, 157, 232, 347, 424 Wahrheitskriterium 172 Wahrheitstransfer 108, 154

Wahrheitswert 21, 154–156, 196, 200, 209, 212, 230, 402, 423 Wahrscheinlichkeit 48, 108, 129, 205–206, 213–214, 222–223, 228–230, 235, 241–242, 306–309, 311–313, 315, 318, 320, 322–324, 326, 338–340, 343, 350–354, 356, 358, 363, 369, 375, 388, 396, 403, 410, 430–431 Wesen siehe Essenz, Natur (Wesen), Substanz Wesenseinheit 297 Widerspruchsprinzip 88, 95, 119, 331–332, 338 wijdāniyyāt 161, 211 Wissen 4, 20, 23, 158–159, 161, 179, 229, 344–347 Wort Gottes 20, 71, 98–105, 108–110, 297, 344–346, 406, 410–411, 450, 452; siehe Logos Wunder 11, 65–66, 72, 271–272, 375–388, 465–468, 475 yaqīniyyāt 192, 196, 200–204, 208 zabūr 310, 454; siehe Psalmen ẓann 58, 108, 200, 206–207, 213 ẓanniyyāt 58, 200, 204–208 Zusatzprämisse siehe Ergänzungsprämisse Zwei-Naturen-Lehre siehe Dyophysitismus