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German Pages 108 [128] Year 2020
ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER 1969 • H E F T 2
BEIBLATT
ZUM
JAHRBUCH DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS BAND 84
WALTER
DE GRUYTER 1969
â CO •
BERLIN
INHALT Seite
B a k a l a k i s , G., Aus den Grotten in Antiparos und Paros. Mit 6 Abbildungen
125
B l ü m e l , C., Zur Echtheitsfrage des antiken Bronzepferdes im Metropolitan Museum in New York. Mit 6 Abbildungen
208
H e i n r i c h , E. — S e i d l , U., Zur Siedlungsform von (Jatal Hüyük. Mit 6 Abbildungen. 113 J a n t z e n , U . , Samos 1968. Mit 4 Abbildungen
161
K r u g , A., Ein Bildnis Mithradates' VI. von Pontos. Mit 6 Abbildungen
189
K ü b l e r , K., Eine spätgeometrische Amphora. Mit 1 Abbildung
137
K y r i e l e i s , H., Orientalische Bronzen aus Samos. Mit 9 Abbildungen
166
L a n g l o t z , E., Nachtrag zu: Beobachtungen zur antiken Ganosis (AA. 1968, 470ff.) 231 L i t t a u e r , M. A . — K a r a g e o r g h i s , V., Note on Prometopidia. Mit 8 Abbildungen.
. 152
M e i s c h n e r , J., Ein Pferdeamulett aus Bogazköy. Mit 7 Abbildungen
179
M e t z l e r , D., Eine attische Kleinmeisterschale mit Töpferszenen in Karlsruhe. Mit 6 Abbildungen
138
M e t z l e r , D., Ein Meisterwerk spätantiker Porträtkunst. Mit 4 Abbildungen
195
P a r l a s c a , K., Zwei falsche Bronzeporträts. Mit 4 Abbildungen
203
S a n g m e i s t e r , E. — S c h u b a r t , H., Zambujal. Mit 6 Abbildungen
119
S c h i e m e n z , G. P., Die Kirche bei Katirci Camii — eine Neuentdeckung in Göreme. Mit 10 Abbildungen 216 S c h l ä g e r , H. f — B l a c k m a n , D. J. — S c h ä f e r , J . , Addenda et Corrigenda zu : Der Hafen von Anthedon (AA. 1968, 21 ff.) 229 S e i d l , U., Eine Stele aus der Nähe von Urfa. Mit 4 Abbildungen
171
W a c e F r e n c h , E., The First Phase of LH IIIC. Mit 14 Abbildungen
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ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER 1969 • HEFT 2
ZUR SIEDLUNGSFORM VON £ATAL HÜYÜK James Mellaart hat seinen einzigartigen Funden in Qatal Hüyük (52 km südöstlich von Konya) 1 eine Deutung gegeben, die wir in den folgenden Zeilen an einer wichtigen Stelle ergänzen und modifizieren möchten. Die Grabungsstelle Qatal Hüyük West mit ihrer chalkolithischen Keramik darf dabei außer Betracht bleiben. Es handelt sich vielmehr um die zehn an der Hauptgrabungsstelle übereinanderliegenden neolithischen Bauschichten, die Mellaart auf Grund von Radiokarbondaten in die Zeit etwa zwischen 6380 und 5600 setzt 2 . Darunterliegende, bisher nur auf engstem Raum angeschnittene Horizonte sollen bis 6500 hinabreichen. Die Häuser sind in allen Schichten rechteckig, quadratisch oder leicht trapezförmig. Sie drängen sich so dicht zusammen, daß in der Regel nur am Siedlungsrand eine Seite des Hauses freiliegt. Dabei benutzen nur in wenigen Ausnahmefällen benachbarte Häuser eine Mauer gemeinsam. Einige der Häuser sind einräumig, die meisten von ihnen besitzen jedoch Nebenräume, die offensichtlich durch innere Unterteilung der Grundrisse entstanden und immer bedeutend kleiner sind als der Hauptraum. In einigen Fällen gibt es auch von außen angelegte Nebenräume. Die Nebenkammern geben sich in einigen Fällen durch die in ihnen gemachten Funde als Vorratsräume zu erkennen. Die Wände bestehen aus Lehmziegeln und tragen innen eine große Anzahl übereinander angebrachter weißer Putzschichten. Neben Lehmziegeln ist auch Holz verwandt. Es handelt sich um Kanthölzer, oft von bohlenartigem Querschnitt, die, wenn wir die Planzeichnungen recht verstehen, vor den Wänden, niemals innerhalb der Mauer stehen. Sie können an zwei Stellen durch horizontale Hölzer verbunden sein. Mellaart nimmt an, daß hier die Erinnerung an ein Pfostenhaus vorliegt. Diese sei so deutlich, daß offenbar die Stiele Unterzüge der Deckenkonstruktion unterstützt hätten und also mit ihnen das tragende Gerüst des Hauses bildeten, während die Mauern aus Lehmziegeln nur zum Abschluß der Räume notwendig seien. In dieser Form 3 erscheint uns die Theorie unrichtig. Die sorgfältig gezeichneten Pläne in den Vorberichten der AnatSt. 4 lassen deutlich erkennen, daß die Wandpfosten in der Regel kein ihnen entsprechendes Gegenüber besitzen. Die Unterzüge hätten also bei Benutzung der Stiele doch auf der einen Seite auf die Wand gelegt werden müssen; andere Stiele stehen an Stellen, an denen die Anordnung eines Unterzuges ganz unsinnig wäre, und sehr viele Häuser sind, wenn man den Grundrißzeichnungen glauben darf, ganz ohne 1
2
Mellaart, AnatSt. 12, 1962, 41 ff.; 13, 1963, 43ff.; 14, 1964, 39ff.; 15, 1965, 15 ff. (fatal Hüyük West); 16, 1966, 165ff.; AA. 1966, 1 ff.; Mellaart, Qatal Hüyük, A Neolithic Town in Anatolia (London 1967), hier zitiert als »Qatal Hüyük«. Nach M. J . Mellink in R. W. Ehrich, Chronologies in Old World Archaeology (Chicago 1965)
8 AA. 1969
3 4
124: 6 3 8 5 ± 1 0 1 in Schicht X ; 5797 + 7 9 in Schicht II. »Qatal Hüyük« 63 f. Die wir hier ausschließlich benutzen müssen, weil die Pläne »Qatal Hüyük« Abb. 4 — 10 zwar einen Zustand mit mehr ausgegrabenen Räumen zeigen, aber im Maßstab zu klein sind.
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E R N S T
H E I N R I C H
- U R S U L A
SEIDL
Abb. 1. (,'atal H ü y ü k , R e k o n s t r u k t i o n des I n n e r e n von Schrein VI 61
Verwendung von Holz errichtet (vgl. unsere Abb. 4—6)6. Dagegen stehen die Wandstiele und ihre Querverbindungen augenscheinlich mit der Einrichtung der Häuser und dem Wandschmuck in Beziehung (darauf und auf Mellaarts Rekonstruktion des Wandaufbaus 6 und ebenso auf seine Deutung der Wandmalerei in »shrine« VI B l 7 als eine Reihe von Pfostenhäusern mit Satteldach soll hier nicht eingegangen werden; es wird das in einer umfangreichen Arbeit über die Typenordnung altvorderasiatischer Bauwerke, die im Entstehen begriffen ist, geschehen). Trotz dieser Einwände kann Mellaarts Grundidee richtig sein; uns scheint auch der rechteckige Grundriß der Häuser und das Schlußergebnis unserer Überlegungen (s. u. S. 118 f.) dafür zu sprechen. Nur haben hier wohl die Hölzer nicht mehr ihre ursprüngliche konstruktive Bedeutung. Sie mögen wohl, wo sie vorhanden sind, die Wandkonstruktion verstärken, besonders, da die Wände an manchen Stellen sehr dünn sind; das Mauerwerk muß jedoch an anderen Stellen imstande gewesen sein, die flachen Dächer auch ohne hölzerne Hilfskonstruktionen zu tragen. Zugänglich waren die Häuser in den älteren Schichten ausschließlich vom Dach her und die abgeteilten Kammern waren vom Hauptraum aus durch niedrige, fensterartige Öffnungen in den Wänden erreichDie Häuser besitzen sämtlich eine in den Grundzügen für alle typische Einrichtung. In der Nordostecke der meist nord-südlich gerichteten Häuser befindet sich in der Regel eine fast quadratische Lehmbank, und an diese schließt sich an der Ostwand eine ähnliche, aber längere an, welche mit einem niedrigen Lehmmäuerchen abschließt, ähnlich wie eine Chaiselongue an einer Seite durch ein erhöhtes Kopfpolster abgeschlossen ist. Bei ostwestlich gerichteten Häusern ist die Einrichtung ähnlich, soweit es die Raumverhältnisse erlauben. An der Westseite und in der Südwestecke können weitere Klinen vorhanden sein (die horizontalen Begrenzungen dieser Liegestätten sind es, die regelmäßig mit den vertikalen Wandstreifen der stuckverkleideten Holzstiele korrespondieren). Ein niedriger Herd steht in der Regel in der Mitte der Südseite, es gibt Öfen verschiedener Form und an der 5
Nach A n a t S t . 16, 1966, 179 Abb. 7; ebenda 14, 1964, 52 Abb. 11 ; 40 Abb. 2.
6 7
» f a t a l H ü y ü k « 61 Abb. 11. E b e n d a Taf. 8.
ZUR SIEDLUNGSFORM VON £ATAL H Ü Y Ü K
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Abb. 2. Qatal Hüyük, Rekonstruktion des Aufbaus von Schicht VI
Südwand fanden sich öfter Spuren der Leiter, die von einer Öffnung im Dach herabführte. Die Einrichtung des Hauses scheint also auf die Himmelsrichtungen Bezug zu nehmen, und zwar ohne Rücksicht darauf, wie die Längsachse des Hauses selbst gerichtet ist. Die Lehmbänke zeichnen sich dadurch aus, daß unter der größeren Liegestatt Skelette von Frauen, unter der in der Ecke Skelette von Männern gefunden worden sind; oft lagen mehrere derartige Bestattungen übereinander. Mellaart hält die eine Kline für den Sitz der Hausherrin, die andere für den des Hausherrn, die zugleich hier ihre Begräbnisstätte fanden. Unter den anderen Lehmbänken fanden sich Bestattungen von Kindern und von Erwachsenen, die bei Lebzeiten in der Familie eine weniger wichtige Rolle spielten. Die Wände sind auf verschiedene Weise geschmückt. Nicht selten sind Wandmalereien, deren reichhaltiger Inhalt hier nicht einmal angedeutet werden kann. Außerdem gibt es plastischen, aus Lehmstuck hergestellten Wandschmuck und zwar in Form einer 'Göttin' die Arme und Beine seitlich von sich streckt, in Form von Stier- und anderen Tierköpfen und von antithetisch angebrachten Leoparden. Bär und Stier kommen im Basrelief vor. Besonders häufig sind Stierköpfe oder -hörner, die zu mehreren über- und nebeneinander an der Wand oder auf den Rändern der Lagerstätten angebracht sind. Mellaart meint, daß in einigen Fällen Waffen, Geräte, Statuetten von Frauen und Männern und menschliche Schädel als Opfergaben vor an der Wand angebrachten Kultemblemen niedergelegt sein könnten. Daß ein großer Teil der Gemälde sowohl wie der gesamte plastische Schmuck Beziehungen zu Kultvorstellungen haben müssen, ist nicht zu bestreiten; in dem gleichen
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ERNST
HEINRICH -URSULA
SEIDL
Sinne muß wohl verstanden werden, daß die weiße Tünche der Wände überaus häufig, in manchen Räumen hundertmal, erneuert worden ist, denn dabei hat es sich wohl eher um eine kultische Reinigung als um eine Forderung der Hygiene gehandelt. Alle Räume enthielten Hausrat der verschiedensten Art; Herde sind regelmäßig vorhanden, und häufig auch (Brot-?)Öfen. Überall befanden sich die beschriebenen Gräber unter den Liegestätten. Wandgemälde und plastische Symbole fehlen, soweit wir sehen, nur ganz selten, häufen sich in anderen Häusern und sind in einigen im Überfluß vorhanden. Mellaart sondert die reich geschmückten Häuser als »shrines« von den übrigen ab. Die Kriterien, die er für die Unterscheidung benutzt 8 , scheinen uns nicht unbedingt stichhaltig. So gibt es z. B. Gemälde (Mellaarts erstes Argument) nach der Tabelle auf S. 81 von »fatal Hüyük« auch in zwölf »Häusern«, nicht nur in »shrines«, Figürchen (Mellaarts fünftes Argument) sind in den Häusern VII 24, VI 25 und III 2 gefunden, und auch in der Art und Zahl der Bestattungen gibt es doch wohl keine grundsätzlichen Unterschiede. Obwohl die Unterscheidung zwischen »shrines« und »houses« schwer ist und selbst Mellaarts Angaben darüber in den Vorberichten und den Listen und Plänen in »fatal Hüyük« schwanken, sieht er doch augenscheinlich einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den einen und den anderen. Da nun aber die Zahl der Schreine im Verhältnis zu der der Häuser außergewöhnlich hoch ist — in Schicht VI B fast 1 : 2!9 —folgert Mellaart, daß der von ihm ausgegrabene Teil der Siedlung das »Priesterviertel« sei, das sich von anderen, noch unausgegrabenen Teilen entsprechend unterscheiden müsse, zumal bisher keine Werkstätten — übrigens auch keine Ställe und keine Speicher! — gefunden seien. Die am reichsten geschmückten »shrines« — sie enthielten nur Frauengräber, und weniger als sonst üblich —, seien vielleicht nicht eigentlich bewohnt worden, sondern hätten vornehmen Priesterinnen als Kult- und Begräbnisort gedient. Obwohl nun tatsächlich in manchen Räumen der praktische Gebrauch einzelner Lagerstätten durch die Anbringung der Kultsymbole fast unmöglich gemacht ist (Abb. I) 10 , scheint uns angesichts der überall vorhandenen, dem täglichen Leben dienenden Einrichtungen die grundsätzliche Trennung von Wohn- und Kulthäusern, zusammen mit der gesamten Konstruktion einer komplizierten Gesellschaft mit besonderem, in sich gegliederten Priesterstand in neolithischer Zeit aus einem noch unvollständigen Befund, sehr gewagt. Ein besonderes, dem Kult vorbehaltenes Viertel hätte doch wohl nur dann einen Sinn, wenn die Kulteinrichtungen allen Einwohnern der Siedlung zugänglich wären. Man braucht sich nur Mellaarts glaubhafte Rekonstruktionen (Abb. 2)11 anzusehen und sich die Einbettung der »shrines« in die Bezirke privaten Charakters zu vergegenwärtigen, um die UnWahrscheinlichkeit einer solchen Beziehung einzusehen. Demgegenüber glauben wir, eine Erklärung für die in f a t a l Hüyük gefundene Situation aus dem Siedlungsplan ablesen zu können. Mellaart spricht im Zusammenhang mit dem Grundriß der Siedlung von »Planung«12. Diese Auffassung erlaubt ihm, den Plan mit dem allerdings recht schematischen Muster auf dem Wandgemälde im Schrein VII 14 gleichzusetzen (Abb. 3)13, das dunkle, wieder in sich gemusterte Quadrate und Rechtecke zwischen hellen Bändern zeigt, die sich fast
8 9 10
Ebenda 78. Ebenda 70 (Tabelle). Ebenda Abb. 30.
11 12 13
»fatal Hüyük« Abb. 12. Ebenda 67. Ebenda Taf. 59. 60.
ZUR SIEDLUNGSFORM VON QATAL H Ü Y Ü K
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Abb. 3. £atal Hüyük, Wandgemälde in Schrein VII 14
regelmäßig kreuzen. Ähnliche Muster gibt es auch sonst 14 , und gerade diese Regelmäßigkeit ist es, die zu dem wirklichen Siedlungsplan, der keineswegs das Ergebnis einer vorausdenkenden Planung sein kann, recht wenig paßt. Es genügt für den hier verfolgten Zweck, die Pläne der Schichten VI, VII und VIII (hier Abb. 6. 5. 4) zu betrachten, und wir benutzen aus den oben schon erwähnten Gründen dafür Vorlagen aus den Vorberichten in den AnatSt., obwohl diese nicht den ganzen inzwischen festgestellten Befund enthalten. Von Schicht VII wollen wir ausgehen (Abb. 5)15. Bei genauer Betrachtung zeigt sich da, daß einige Häuser Blöcke bilden, die im Raumgewirr eine besondere Stellung einnehmen. Wir haben sie durch Schwarzfärbung der Mauern kenntlich gemacht. Es sind die Häuser 22/21/23, 9/7/14 und 1/8. Sie sind fast regelmäßig rechteckig oder quadratisch, und man könnte sie aus dem Siedlungsverband herausnehmen, ohne daß ihre Form unerklärlich würde. An ihren Wänden laufen sich die meisten Mauerzüge der Nachbarhäuser tot, so daß es aussieht, als ob sie von diesen eingehüllt wären (beobachte dies besonders an der Gruppe 9/7). Diese Vorstellung wird unterstützt durch die Beobachtung, daß bei der Anlage der Häuser 35, 20 und 12 mit der Ausklinkung ihrer Ecken augenscheinlich auf Haus 21 und Haus 9 Rücksicht genommen ist. Es macht geradezu den Eindruck, als ob sich die hell gelassenen Hausgruppen in die Zwischenräume zwischen die schwarz angelegten eindrängten. Das würde ihre unregelmäßige Form und ihre nach Osten abnehmende Größe erklären. Ein Blick auf Schicht VIII (Abb. 4) zeigt nun, daß zu ihrer Zeit die Stellen 12 (2 ist nicht ausgegraben), 16 und 15 tatsächlich nicht bebaut waren. An dieser Stelle wenigstens ist der oben gewonnene Eindruck durchaus richtig. Die Stellen 9 und 17 sind in Schicht VIII nicht untersucht. Da sich aber die Südostecke von VII 9 in Schicht VIII im südwestlich davon gelegenen Freiraum markiert, ist anzunehmen, daß auch diese Häuser schon in VIII vorhanden sind, und die Annahme, daß bei 22/21 ähnliche Verhältnisse vorliegen, ist wohl nicht zu gewagt. Im Rückblick ist festzustellen, daß in Schicht VI (Abb. 6)16 die Gruppen 1/8 und 9/7/14 ihren Charakter behalten haben, wenn auch 7 und 14 jetzt durch einen Umbau zu einer Einheit zusammengezogen sind. Haus 10, das in VII als selbständige Einheit mit Sicherheit nicht zu erkennen war, hat diese Eigenschaft, die es schon einmal in Schicht VIII besaß, zurückgewonnen. Nur die Gruppe 22/21/23 ist stark verändert. Zwar ist Haus 23 noch immer selbständig, aber bei 21/22 machen neu angelegte Räume auf der früher leeren Hausstelle 40 und die Verlängerung der Nordmauer 11
Ebenda Taf. 41. 42.
15
Nach AnatSt. 14, 1964, 52 Abb. 11.
16
Ebenda 40 Abb. 2.
118
E. H E I N R I C H - U . S E I D L , ZUR SIEDLUNGSFORM VON £ATAL HÜYÜK
von 21 über 23 hinaus die alten Verhältnisse unklar. Auf der bisher nicht besprochenen oberen, östlichen Terrasse der Siedlung (die Grenze zwischen beiden ist auf unseren Abbildungen 4 und 6 mit zwei Pfeilen bezeichnet; Abb. 5 reicht im Osten gerade bis an die Terrassenkante heran) lassen sich in 45 und 31 Glieder des Gefüges erkennen, auf die in ähnlicher Weise Rücksicht genommen wird, wie wir es auf der unteren Terrasse besonders an den Häusern 9/7 und 1/8 beobachtet haben. Diese Beobachtungen führen uns zu der Annahme, daß die schwarz gezeichneten Blöcke auf Hausstellen stehen, die ursprünglich nicht durch andere Häuser miteinander verbunden waren und die wir als 'Siedlungskerne' bezeichnen wollen. Die Zwischenräume wären dann erst später ausgefüllt worden, wahrscheinlich unter dem Zwang einer Vermehrung der Bevölkerung. Wir möchten vermuten, daß in Schichten unter VIII, wenn sie sich auf größerer Fläche ausgraben ließen, die Häuser noch in auffälligerer Vereinzelung auftreten würden, als es sich in VIII andeutet, und daß am Anfang der Siedlung eine Gruppe von isolierten Einzelhäusern steht, die in ungefähr, aber nicht genau gleichen Abständen voneinander errichtet waren. Wir haben in unseren Grundrißabbildungen diejenigen Häuser durch Schraffur herausgehoben, die von Mellaart als »shrines« aufgeführt werden; die etwas weitere Schraffur einiger Grundrisse bezeichnet die in der Publikation »£atal Hüyük« nachträglich hinzugekommenen »shrines«: Da zeigt sich nun, daß von unseren Siedlungskernen die Häuser 1 und 8 schon in Schicht VIII »shrines« sind und bis in die Zeit von VI auch bleiben. Haus 10 ist in VIII noch nicht als »shrine« erkannt, wird aber in VII dazu und bleibt es in VI; Haus 14 hat in allen drei Schichten diesen Charakter, Haus 31 in den beiden Schichten, die es in unseren Abbildungen erkennen lassen (Abb. 4—6). Haus 7 ist in Schicht VII noch nicht ein »shrine«, wird aber dazu in VI, und umgekehrt ist es mit Haus 9. Wir möchten zu erwägen geben, ob dieser merkwürdige Wechsel nicht vielleicht auf der Schwierigkeit beruht, »shrines« von »houses« zu unterscheiden. Von der Gruppe 22/21/23, die auf unseren Abbildungen zuerst in Schicht VII erscheint, behält in VI nur 23 seinen Charakter. Auch das Haus 45 in VI, das wir vorhin als Siedlungskern erkannten, ist ein »shrine«. Die übrigen »shrines« ordnen sich um die Siedlungskerne zu Gruppen. Dies erlaubt uns, der Summe der geschilderten Beobachtungen eine Deutung zu geben, die uns annehmbar erscheint. Die Siedlungskerne müssen zugleich die Stammhäuser der Sippen sein. Offensichtlich behielten sie bis in die Zeit der Schicht VI eine besondere Bedeutung. Daß in älterer Zeit jedes Haus zugleich Kultstätte sein konnte, zeigt sich gerade in Kleinasien sehr deutlich an mehreren Stellen (Hacilar, Beycesultan). Es wäre nur natürlich, wenn das ältere Haus, dem wohl auch größere Würde zukam, mit der Zeit reichere Ausstattung an kultischen Emblemen erhielt, die doch auch bei den neu hinzugekommenen nicht ganz fehlte, und es ist auch gut denkbar, daß die Würde, die zunächst die älteste Wohnstätte besaß, auf eine ihrer eng benachbarten Töchter überging. Es ist sogar möglich, daß in einer solchen Gruppe, wie doch die Pläne der Schichten VI und VII offensichtlich mehrere zeigen (Abb. 5—6), gelegentlich ein Raum in besonderem Maße metaphysischen Bedürfnissen zu genügen hatte, nur daß seine Bedeutung nicht die ganze Siedlung sondern höchstens die zunächst Umwohnenden anging, und daß er sich nicht generell, sondern nur gradmäßig von den anderen Häusern unterschied. Der Charakter des Einzelhauses als Besitz eines Einzelnen oder einer Familie ist dabei den Häusern in £atal Hüyük immer erhalten geblieben, denn sie behalten, trotz der eng gedrängten Lage, jedes für sich ihre Umfassungswände. Nur Nebenräume, die von außen her für kürzere oder längere Zeit angegliedert werden, benutzen schon vorhandene Umfassungsmauern des
'35
Abb. 4
Abb. 4 £atal Hüyük, Schicht V I I I , die Pfeile bezeichnen die Terrassenkante
Abb. 5 Catal Hüyük, Schicht V I I
Abb. 6 Q"atal Hüyük, Schicht VI, die Pfeile bezeichnen die Terrassenkante
Die Holzstiele stehen unmittelbar an den Wänden. Die in der Zeichnung erscheinenden hellen Fugen sollen nur dazu dienen, Holz und Mauerwerk klar zu trennen.
Abb. 5
E. S A N G M E I S T E R
- H .
SCHUBART,
ZAMBUJAL
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ursprünglichen Hauses mit. Das bedeutet, daß man seine Dachbalken auf eigene Mauern legen konnte und die des Nachbarn nicht in Anspruch zu nehmen brauchte und das wahrscheinlich auch nicht tun durfte, während bei agglutinierten Häusern des Zweistromlandes benachbarte Räume in der Regel durch nur eine Mauer getrennt sind, auch wenn sie zu verschiedenen Wohnstätten gehören. Wie bei so deutlicher Abgrenzung des Einzelbesitzes der allen gemeinsame Zugang über die Dächer geregelt war, ist eine Frage, deren Lösung an verwandten rezenten Wohngebilden versucht werden sollte. gerjjn
Ernst Heinrich Ursula Seidl
ZAMBUJAL E i n e k u p f e r z e i t l i c h e B e f e s t i g u n g in P o r t u g a l Als die Phöniker und Griechen ihre Handelsniederlassungen an den Küsten der Pyrenäenhalbinsel gründeten, trafen sie hier auf eine einheimische Bevölkerung, die bereits seit Jahrtausenden unter einem ständig zunehmenden ostmediterranen Kultureinfluß gestanden hatte. An ihrer Ost- und Südküste, wo Landschaft, Vegetation und Klima mediterran bestimmt sind, steht die Iberische Halbinsel mittelmeerischen Einflüssen offen. Für diesen Raum lassen sich Verbindungen mit dem Vorderen Orient seit dem frühen Neolithikum nachweisen. Kultureinflüsse sind in dieser Frühzeit entscheidender als Völkerwanderungen, die sich im einzelnen auch nur schwer beobachten lassen. Mit dem Beginn der Metallzeit dagegen kann man im Westmittelmeer den Niederschlag gezielter Unternehmungen feststellen. In den archaischen Hochkulturen des östlichen Mittelmeeres war durch den gesteigerten Bedarf an Metallen, vor allem an Kupfer, ein Metallhandel erwachsen, der weitreichende Kontakte ermöglichte. Aus seinem schnellen Anwachsen erklärt sich die vergleichsweise rasche Verbreitung der Metallkenntnis über den Mittelmeerraum. Die Kupfersucher förderten zugleich die Erschließung der Rohstoffquellen und die Kulturausbreitung. Nachdem erst einmal Kreta und die ägäischen Inseln in die Metallkultur einbezogen waren, war es nur natürlich, daß die dort ausgebildete Schiffahrt auch in den Dienst der Kupfersuche gestellt wurde. Durch den Seeweg wurde die Reichweite der Unternehmungen vergrößert, und entfernte wie neuartige Lagerstätten wurden entdeckt. Wo uns im Westmittelmeer früheste Metallkultur begegnet, trägt sie den Stempel einer Gemeinschaftsorganisation, die durch das Spezialistentum der Metallsuche geprägt wurde und als Fremdkörper zwischen ortsansässiger Bevölkerung auftritt. Erst lang andauernde Kontakte bewirken die Assimilierung der Einheimischen 1 . Derartige Niederlassungen von Metallsuchern sind im westlichen Mittelmeer, vor allem aus Spanien und Portugal bekannt. Sie liegen nicht fern vom Meer, so weit landeinwärts, daß sowohl der Rückhalt zum Handelsweg über See wie die Nähe zur Erzlagerstätte gegeben ist. Diese Anlagen sind gegen die Landseite mit starken Befestigungen versehen, 1
Vgl. hier u n d im Folgenden: B. Blance, Antiq u i t y 35, 1961, 192ff.; E . Sangmeister, Die
Bronzezeit im W e s t m i t t e l m e e r in Saeculum Weltgeschichte I 551 ff., Bibliographie 662.
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die nach ihrer fortifikatorischen Konzeption (flankierende Bastionen, vorgeschobene Forts) nur in Ägypten, Vorderasien und auf Syros Vergleichbares haben. Die Häuser mit rundem oder ovalem Grundriß geben der Siedlung fast schon das Gesicht einer mediterranen Stadt. Reichliche Zeugnisse für handwerkliche Betätigung, vor allem für eine Kupferindustrie, unterstreichen das. An den wenigen bisher bekannten Plätzen findet sich ein Niederschlag ostmediterraner Kulturerzeugnisse in Form von Knochenbüchsen, Knochenkämmen und Knochennadeln, Steingefäßen sowie einer Keramikgattung, deren Vorkommen sich hier nur aus Beziehungen zum Osten erklären läßt. Nachdem in neuerer Zeit nur an zwei Plätzen dieses Charakters gegraben wurde (Los Miliares2 in der Provinz Almeria und Vila Nova de Säo Pedro 3 bei Lissabon), konnte nunmehr eine weiter Untersuchung dieser sogenannten ostmediterranen Kolonien in Angriff genommen werden. 40 km nordnordwestlich von Lissabon und kaum 12 km von der Atlantikküste entfernt liegt auf einer spornartigen Höhe über einem Flußtal die kupferzeitliche Befestigung von Zambujal (Torres Vedras, Portugal). Von Zambujal aus, besonders von dem höher gelegenen Teil der Befestigung, hat man einen weiten Blick über das Flußtal des Sizandro, während der direkte Blick nach Westen durch einen höheren Bergrücken verstellt ist. Der Platz ist günstig gewählt, wenn man das Meer und den Weg zur Küste im Auge haben will, ohne aber selbst von der See her sogleich bemerkt zu werden. Zambujal wurde 1938 durch Leonel Trindade entdeckt und rasch in seiner Bedeutung erkannt 4 . Seit 1944, besonders 1959/60 wurden von portugiesischer Seite Ausgrabungen in Zambujal vorgenommen, die jedoch noch nicht zu einer Klärung der Gesamtanlage führten 5 . Nachdem der Grabungsplatz von portugiesischer Seite dem Deutschen Archäologischen Institut zur Untersuchung angeboten worden war, konnten 1964 durch das Deutsche Archäologische Institut in Madrid und das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Freiburg/Breisgau Grabungen aufgenommen werden, die in den Jahren 1966 und 1968 ihre Fortsetzung erfuhren. Es war das Ziel der ersten Grabungskampagne 6 , die stratigraphischen Verhältnisse an einem Platz zu klären, dessen Befestigungsanlagen bereits durch die an der Mauer entlangführenden älteren Suchgräben teilweise freigelegt waren. Das Material der frühen Schichten entspricht Los Miliares I bzw. Vila Nova de Säo Pedro I und liefert die für den sogenannten »Importhorizont« typischen Funde 7 . Die Feinstratigraphie dieses Komplexes läßt bereits
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3
4
M. Almagro u. A. Arribas, El poblado y la Necrópolis Megalíticos de Los Millares (Madrid 1963) Fig. 3 Taf. 1 — 6, dort auch die altere L i t e r a t u r zitiert. A. do P a f o u. E . Sangmeister, Germania 34, 1956, 211 ff., bes. 215 Abb. 3; dort auch die ältere L i t e r a t u r ; A. do Paijo, Castro de Vila N o v a de Säo P e d r o X I V - X V I , »Anais« I I . Serie, 14 (Lisboa 1964) vgl. auch V. Leisner u. H . Schubart, Die kupferzeitliche Befestigung von P e d r a do Ouro/Portugal, MM. 7, 1966, 20 ff. Abb. 3 ff. S. 46 f. E . J a l h a y , O M o n u m e n t o pre-histórico do Casal do Z a m b u j a l (Torres Vedras), Brotéria 42, 1946, Fase. 4; E . J a l h a y , U n a fase interesante del
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6
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Bronce Inicial Portugués, Ampurias 9/10, 1947/48, 14f. Vgl. A. do Pa90, V. Leisner, L. Trindade, H . S c h u b a r t u. O. Veiga Ferreira, Castro do Z a m b u j a l (Torres Vedras), Boletim Cultural J u n t a Distrital de Lisboa, Ser. 61/62, 1964, 279 ff. E . Sangmeister u. H. Schubart, Grabungen in der kupferzeitlichen Befestigung von Zamb u j al/Portugal 1964, MM. 6, 1965, 39ff.; E . Sangmeister, H. S c h u b a r t u. L. Trindade, E x c a v a f ö e s no Castro Eneolítico do Z a m b u j a l (Torres Vedras-Portugal) 1964, Torres Vedras 1966. MM. 6, 1965, 48ff. Abb. 4 b . c. 13 A. 16; Taf. 2 6 b - e u n d MM. 10, 1969 Abb. 2. 3 a . 4 a . b. d. e. h. (im Druck).
ZAMBUJAL
Abb. 2. Zambujal. Luftaufnahme von Norden
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SCHUBART
Abb. 3. Z a m b u j a l . T u r m B, im H i n t e r g r u n d der Zwinger
jetzt eine Differenzierung innerhalb dieser Stufe erkennen, deren exakte Feststellung der abschließenden Bearbeitung vorbehalten werden muß. Erst in jüngeren Schichten treten Glockenbecherscherben 8 hinzu. Diese Schichten entsprechen der Phase Los Miliares II bzw. Vila Nova de Säo Pedro II 9 . Der Grundriß der Anlage, der in einem Höhenschichtenplan festgehalten wurde, findet seine Parallelen in Los Miliares und Vila Nova de Säo Pedro, den bisher besten Beispielen der sogenannten Kolonien10. Das Ziel der Grabungen in den Jahren 1966 und 1968 war es, die innere Struktur der Befestigung zu erforschen. Zu diesem Zweck wurde fast über die gesamte erkennbare Ausdehnung hin die dünne Oberflächenschicht unter Belassung von Stegen abgetragen und die oberste Steinlage freigeputzt (Abb. 1.2). Der Befund wurde steingerecht im Maßstab 1:20 aufgenommen 11 . Die Befestigungsanlage ist aus Mauerwerk im Stein-Lehm-Verband errichtet, grundsätzlich wurde die Zweischalentechnik verwendet, wobei nur jeweils die Schauseiten der Mauer(Schalen) gut gesetzt sind, während die Zwischenräume zwischen den Schalen unregelmäßig gefüllt wurden. Insgesamt wurden 11 Türme und eine Vielzahl von
8
9
MM. 6, 1965, 48ff. Abb. 4 e ; 20; Taf. 26f. g; MM. 8, 1967, 77 Abb. 13; MM. 10, 1969 Abb. 1 (im Druck). Zur Chronologie vgl. E . Sangmeister, Die Datierung des R ü c k s t r o m s der Glockenbecher u n d ihre Auswirkung auf die Chronologie der K u p f e r zeit in Portugal, Palaeohistoria 12, Groningen
10
11
1966 (1967) sowie H. S c h u b a r t , Zwei Belegungsphasen im K u p p e l g r a b Monte do Outeiro bei Aljustrel (Portugal), MM. 6, 1965, 65ff. Vgl. oben Anm. 2 u n d 3 sowie MM. 7, 1966, 19 ff. Abb. 3 ff. E . Sangmeister u. H . S c h u b a r t , MM. 8, 1967, Beilage u n d MM. 10, 1969, Beilage (im Druck).
ZAMBUJAL
Abb. 4. Zambujal. Zwinger von Norden
Abb. 5. Zambujal. Zwinger, Ostwand
123
124
E.
S A N G M E I S T E R — H. S C H U B A E T ,
ZAMBUJAL
Abb. 6. Z a m b u j a l . Blick von Südosten über die Außen- ( H a l b r u n d t \ i r m K) u n d Innenbefestigung ( R u n d t ü r m e B u n d A)
Mauerstücken erkannt, die zu einem Teil Schalen, zum anderen nur Zwickelfüllungen darstellen. Schon die Analyse dieser oberflächlich sichtbaren Türme und Mauern ergab in verschiedenen Zonen des Kernwerkes und der sogenannten Außenbefestigung jeweils eine Abfolge von vier bis sechs Bauphasen. An der breitesten Stelle der Kernbefestigung (17 m) wurde 1966 ein durchgehender Schnitt 12 angelegt, der sieben Bauphasen ergab: zunächst wurden vor die etwa 2 m breite älteste Mauer außen und innen mehrere Mauerschalen gelegt. In der fünften Phase wurde dann durch eine weiter außen der bisherigen Konstruktion vorgelegte Mauer eine Art Zwinger mit über 3,50 m hoch anstehenden Mauern gebildet. Die letzte Ausbauphase stellen Hohltürme mit einer Eindeckung durch falsche Kuppeln (Abb. 3) dar, die allerdings nur in ihrem Unterteil erhalten sind13. Die beiden untersuchten Hohltürme der Außenfront enthielten Funde von Glockenbechern, wie sie in den älteren Bauphasen zu fehlen scheinen. 1968 wurde mit Untersuchungen zum inneren Aufbau der Kernbefestigung an die Ergebnisse der Kampagne 1966 angeknüpft. Damals war als ältestes im Schnitt 27 ein Mauerzug von ca. 2,50 m Breite mit Außen- und Innenfront festgestellt worden14, an den sich die sechs jüngeren Bauphasen angesetzt hatten. Diese Mauer, zu der noch eine ältere Stufe der Innenfront aufgedeckt wurde, läuft nach Norden in die Schnitte 26 und 37 hinein und setzt auf einen offenbar gleichzeitigen breiteren Sockel auf, der wiederum direkt dem Felsen aufliegt. Damit ist die älteste Mauer der Kernbefestigung auch in ihrer ursprünglichen 12
MM. 8, 1967, 50ff. Abb. 2. 3.
13
MM. 8, 1967, 50ff. Abb. 2 - 4 .
14
MM. 8, 1967, 56f. 67f. Abb. 2. 3.
G. B A K A L A K I S ,
AUS D E N G R O T T E N IN A N T I P A R O S UND P A R O S
125
Form nachgewiesen. Sie wird in dem sonst annähernd geradlinigen Verlauf durch eine nach Osten vorspringende bastionsartige Anlage (E) unterbrochen und in späteren Bauphasen außen und innen durch weitere Mauerschalen verkleidet. 1966 war bereits der der mittleren Ausbauphase der Kernbefestigung angehörende Zwinger in seiner Ausdehnung erkannt worden 15 ; 1968 wurde er bis auf den anstehenden Felsen freigelegt, wo er trotz der starken Böschung der Mauern noch eine durch Kreisbögen begrenzte Grundfläche von 8,0 m Länge und 3,5 m Breite besitzt (Abb. 4). Die fast 4 m hohe Ostwand des Zwingers läßt auf ihrer Innenfront eine Tür und acht in ihrer Bedeutung noch ungeklärte kleinere Galerien (Abb. 5) erkennen, die von außen durch die jüngsten Bauphasen der Kernbefestigung verschlossen sind 16 . Im Norden, Osten und Süden der Kernbefestigung wurden Siedlungsschichten mit Hausbauten (kreisförmige Grundrisse) und Herdstellen untersucht 17 . Die Klärung des Verhältnisses von Innen- und Außenbefestigung (Abb. 1. 2. 6) wie die vollständige Untersuchung der Außenbefestigung werden Aufgaben einer nächsten Grabungskampagne sein. Unter den Funden zeichnen sich neben der qualitätvollen »Importkeramik« und Glockenbechern vor allem Knochennadeln, Knochenkämme und Knochengefäße, Kalksteingefäße und -idole sowie Kupfergeräte — Flachbeil, Nadel mit Spatelkopf, Palmelaspitzen — aus 18 . Daneben treten relativ häufig Gußtropfen auf, sowie neuerdings einzelne Bruchstücke von Schmelztiegeln mit daran haftenden Gußtropfen, Belege für eine an diesem Platz intensiv geübte Kupferindustrie. „ , ., Madrid
Edward Sangmeister „ , . , c , , , Hermanfrid Schubart
A U S D E N G R O T T E N IN A N T I P A R O S U N D
PAROS
D I E GROTTE AUF ANTIPAROS
Die berühmte, durch den Besuch des Marquis de Nointel im Jahre 1673 1 und seine romantische Schilderung bekanntgewordene sog. Goldgrotte auf Antiparos (antik 'QXiapos) wurde bis heute von vielen Archäologen besichtigt 2 . Im Sommer 1968 besuchte ich diese Grotte und, obwohl ich keine Spuren von den einst auf den Stalagmiten des geräumigen Höhleneingangs eingemeißelten antiken Inschriften 15 16
17
18
MM. 8, 1967, 51 f. Abb. 2. 3 Beilage. MM. 10, 1969, Abb. 6 Tai. 1 - 3 (im Druck). Auf ähnliche Öffnungen in der Mauer von Mersin (J. Garstang, Prehistoric Mersin [Oxford 1953] 130ff. Fig. 79f.) wies uns dankenswerterweise K . Bittel hin; auch dort scheint allerdings die Deutung als Schießscharten (a. O. 131) fragwürdig. MM. 6, 1965, 47 Taf. 2 2 b ; MM. 8, 1967, 50 Schnitt 16, Beilage. Vgl. MM. 6, 1965, 48ff. Abb. 4. 5. 11 - 2 1 Taf. 2 5 f . ; MM. 8, 1967, Abb. 13; MM. 10, 1969, Abb. 1 — 5 (im Druck). — Eine erste Unter-
1
2
suchung über jenes Fundmaterial, das für die Datierung der einzelnen Befestigungsphasen wichtig ist, soll in einem der nächsten Bände der MM. erscheinen. Im Jahre 1673 feierte der Kardinal Marquis de Nointel in der Grotte Weihnachten! Tournefort, Relation d'un Voyage du Levant I (1718) 71 ff.; Rubensohn, AM. 25, 1900, 369; B . Kalouda, 'H 'AvTiTrapos, ToupicmKÖs 6Sr|y6s (1962) 16.; vgl. auch Th. und N. Alibrantis, n&pos-' A VTnrocpos (1968)162 ff. und Karte. R E . X V I I 2, 2427ff. s. v. Oliaros (J. Schmidt) Literatur und Karte.
126
GEORGIOS
Abb. 1. F u n d e
aus der
BAKALAKIS
Höhle von Antiparos, a—c ( = Nr. 1). Neolithische Scherbe; d 1 —5. Obsidiansplitter
AUS D E N GROTTEN I N A N T I P A R O S U N D PAROS
127
finden konnte 3 , ließen sich zu meinem Erstaunen zahlreiche Scherben auflesen. Wie inzwischen Prof. C. Renfrew von der Universität Sheffield (England), der die Ausgrabungen auf der kleinen Insel von Saliagos, zwischen Paros und Antiparos, durchgeführt hatte 4 , mir mitteilte, hatten auch er und seine Mitarbeiter einige prähistorische Scherben, wenn auch nicht so charakteristische, dort gefunden. Er wird sie wahrscheinlich demnächst veröffentlichen. Die von mir aufgelesenen Scherben stammen nicht nur aus prähistorischer Zeit, sondern auch aus der geometrischen, orientalisierenden und klassischen Periode. Viele Scherben aus historischer Zeit stammen von einer einfachen, unverzierten Keramik oder von einer mit schlichter Verzierung; sie gehören also zu Gefäßen, »die man nicht ohne Not in Mengen zu importieren pflegt« (Buschor)5. Daher werden sie von Weihegaben von Wallfahrern oder Besuchern der Grotte herrühren. Sie müssen also mit dem epigraphisch bestätigten Kult in der Höhle, besonders mit dem der Artemis, in Beziehung gebracht werden 6 . Dieses gilt vor allem für die Lampe Abb. 4, 15. Die Durchführung systematischer Grabungen verspricht neue Aufschlüsse über den Kult in der Höhle zu geben und läßt auch neue Funde erwarten. Leider ist der Boden des geräumigen Eingangs zu der Höhle bis zu dem größeren, säulenförmigen Stalagmiten heute gepflastert. Das schließt aber nicht aus, gerade unter den neuen Gneisplatten vielleicht unberührte Schutterde finden zu können. Die von mir aufgelesenen Scherben lagen an der Oberfläche der Erdschüttung zu beiden Seiten der Treppe, die von dem heutigen hypaethralen Vorplatz des Grotteneingangs bis zum engen Durchgang des zweiten Raumes führt, der durch eine Gittertür abgeschlossen ist. Eine Grabung oder Untersuchung auch dieses von der Errichtung der Treppe herrührenden Erdschuttes dürfte vermutlich bessere Funde ergeben, die nachher systematisch studiert werden könnten. Aber vielleicht wird es auch, gerade dicht an den Wänden der Höhle, eine unberührte Erdschicht geben. Die weiter unten beschriebenen Scherben, die nach der Abfassung dieses kleinen Aufsatzes dem Museum von Paros übergeben worden sind, und zwar die aus historischer Zeit, tragen leider nichts zu dem Problem der Herkunft der kykladischen Vasengattungen, besonders der delischen Gruppe Ad aus Paros bei; doch weisen sie auf lokale parische einfachere oder feinere Keramik hin, wie die Gruppe von Délos XV, Ae 747'. Scherben prähistorischer Zeit: 1. Abb. la—c. Scherbe einer skyphosförmigen Vase neolithischer Zeit, ungefähr solche, wie die von Saliagos8, H 8 cm, Br 6,5 cm. Ergänzter Randdurchmesser 13 cm. Dunkelbrauner Ton mit reichlich Glimmer. Innere wie äußere Oberfläche glatt schwarz poliert ('black-burnished'). Vgl. Scherbe aus der Höhle Hagios Nikolaos in Paros, hier S. 132 Abb. 6,1. Einhenkeliger Becher in der Sammlung Apeiranthos (Naxos) Inv. Nr. 720. Die kykladische Vase im Museum Naxos Inv.Nr. 3595, mit einem 'black-burnished'-Hals 3
IG. X I I 5, 4 7 6 - 7 9 . Die Inschriften ließen sich bereits im Jahre 1899 nicht mehr lesen.
4
J. D. Evans — Colin Renfrew, Excavations at Saliagos near Antiparos, BSA. Suppl. V Nr. 5 (1968).
5
AM. 54, 1929, 143.
6
Der Beginn des Textes der Inschrift Nr. 476:
7
8
E-rri KpiTcovos oI6e r)A0ov MevavSpo;.. . deutete schon auf Adoranten oder Besucher, aber deutlicher ist noch die Inschrift Nr. 478: ©eä(i) 'ApT£|j[lSl] . . . Vgl. J. N. Coldstream, Greek Geometrie Pottery. A Survey of Ten Local Styles and their Chronology (1968) 171 ff. 176ff. Evans - Renfrew a. O. 36, 14 Abb. 35, 4. 5.
128
GEORGIOS
B A K A L A K I S
und geritztem unteren Teile, sollte als Fortsetzung der neolithischen Stufe der kykladischen Kultur aus der Frühbronzezeit gelten. Prof. Renfrew hatte die Güte gehabt, mir nachzuweisen, daß unsere Scherbe einer früheren als der neolithischen Stufe der Kultur von Saliagos angehöre 9 . 2—6. Abb. 2.3. Nr. 2 und 3 gehören zu größeren handgemachten Vasen, Nr. 4 zu feineren. Auf der inneren Seite Nr. 2—4 kann man die Striche des Werkzeuges sehen. Nr. 5 gehört zu einem ausladenden Gefäß, Nr. 2 und 6 zu großen dickwandigen Phialen. Die zwei letzten Scherben Nr. 5 und 6 gehören schon der Frühbronzezeit an. Mit diesen Scherben sind einige Obsidiansplitter gefunden worden (Abb. 1 d), von denen Nr. 4 besonders interessant ist. Prof. Renfrew weist mich darauf hin, daß es sich um melischen Obsidian handelt, obwohl das Material nicht so schwarz in der Farbe ist. Scherben von Vasen h i s t o r i s c h e r Zeit: 1. Abb. 4,1; 5,1. Scherbe von einem geometrischen Skyphos mit abgesetztem Mündungsrande. Rötlich braun, ziemlich reiner Ton mit feinem Glimmer. H 6 cm, Br 3,5 cm. Innen wie außen hellbrauner Firnis. Am Mündungsrand einfarbiges Band, auf den Schultern neun konzentrische Halbkreise und in der Mitte als 'Kern' der Ansatz des Zirkelpinsels. Die Breite des Pinselstriches ist deutlich differenziert. Wohl parisch 10 . 2. Abb. 4,2. Scherbe von einem geometrischen Gefäß — eher Kantharos als Skyphos — mit abgesetztem Mündungsrande. Ziemlich reiner rötlichbrauner Ton mit feinem Glimmer. H 3 cm, Br 4,5 cm. Innen bis auf ein reserviertes Band am Mündungsrande schwarz gefirnist. Außen am Mündungsrande fünf schwarze umlaufende Streifen. Auf den Schultern schwarze senkrechte Triglyphenlinien und Metopen aus Punktlinien. Wohl parisch 11 . 3. Abb. 4,3; 5,3. Scherbe von einem geometrischen Kantharos mit abgesetztem Mündungsrande und hohen, den Rand übersteigenden Bandhenkeln, wie die aus Delion von Paros 12 . Dunkelbrauner Ton, ziemlich rein, mit reichlichem Glimmer. H 9 cm, Br 3,5 cm. Oberfläche nicht gut geglättet. Innen schwarz gefirnißt, außen variierend von hellbraun bis zu dunkelbraun. Das Ornament des Henkels: Zwei gefirnißte Bänder an den senkrechten Rändern, umlaufende Streifen (erhalten einer an dem Ansatz, vier an der Wölbung), dazwischen Andreaskreuz. Wohl parisch 13 . 4. Abb. 4,4. Scherbe von einer kleinformatigen, dünnwandigeren geschlossenen Vase, vielleicht einer Oinochoe frühorientalisierender Zeit. Lederbrauner Ton mit feinem Glimmer. H 4 cm, Br 2,5 cm, D der Wände 4 mm. Innen nicht gefirnißt. Außen mit glattverstrichener Oberfläche und schwarzer, nicht glänzender bis roter Firnisbemalung. Oben, wohl am Halsansatz, hängende Dreiecke, Reste von Winkelbändern, und unten die Rückseite eines ziegenähnlichen Tieres mit dünnem langgestreckten Körper und kurzem senkrechten Schwanz. Weiter unten Reste von Rhomben als Füllornament. Werkstatt wie Ornamentik ist gleich mit den qualitativ besseren Exemplaren aus Delos14, Paros 15 , 9
Die Zeichnung dieser Scherbe Abb. l c wird Frl. Gayle W e v e r von den Ausgrabungen in Photolivos (Drama) v e r d a n k t .
10
Vgl. Delos X V 48 ff. T a i . 26, 4. 8. 11. 15. 16. 18. 19, G r u p p e Ae.
11
Vgl. f ü r F o r m und Motive Delos X V 63 Ae 74, Taf. 31 = Coldstream a. O. 179 Taf. 38, 4. Brock, BSA. 44, 1949, 36 Taf. 13, 2 (Amphora-
12 13
14 15
scherbe); S. 42 Taf. 14, 17; S. 43 Taf. 14, 3; S. 46 Taf. 15, 2 (alles Skyphosfragmente). — O. Rubensohn, Das Delion von P a r o s (1962) 90 Taf. 14, 21. 22. R u b e n s o h n a. O. 91 Taf. 15, 15. 16. Vgl. Délos X V Ad —Ae 77. 81. 84. 87; Samos V 38 Nr. 167 Taf. 31. Délos X V 39ff. Taf. 14, 8. 2 0 - 2 5 , Ad. R u b e n s o h n a. O. 100 ff. Taf. 18, 6 ff.
AUS DEN GROTTEN IN ANTIPAROS UND PAROS
Abb. 2. Prähistorische Scherben Nr. 2 — 6 aus der Höhle von Antiparos
129
130
G E O R G I O S B A K A L A K I S
Abb. 4. Aus der Höhle von Antiparos. 1 — 14: Scherben historischer Zeit; 15. F u ß einer L a m p e
Siphnos16 und Kimolos17. Zur Herkunft der Gattung, die Buschor auf den Umkreis von Siphnos bezogen hat 18 und die wahrscheinlich »a mystery« bleibt 19 , trotz der Meinung von Rubensohn 20 , daß »die Vasen der Gruppe Ad aus anderer kykladischer Fabrik stammen müssen«, gewinnt die Meinung von J. K. Brock 21 , »Paros als Zentrum vorzuschlagen« 22 , auch durch unsere kleine Scherbe vielleicht mehr an Wahrscheinlichkeit 23 . 5. Abb. 4,5. Kleine Scherbe von einem aryballosähnlichen Väschen. Dunkelbrauner Ton mit Glimmer. H 3 cm, Br 3 cm. Innen nicht gefirnißt. Außen Reste von einem Stern oder ähnlichem Ornament, darunter vier umlaufende Streifen und 'Wellenspiralen' bzw. ein aus liegenden 'S' gebildetes Band in nicht glänzender Firnismalerei. Vgl. die 'Wellenspirale 1 der Gattung Ad24. Wohl parisch. 6. Abb. 4,6. Kleine Scherbe von einer Kotyle (?). Ton und Firnis wie Nr. 5. H 2,6 cm, Br 3 cm, D 3 mm. Zwischen umlaufenden Streifen winkelförmiges Muster. Parisch ? 16 17 18 19
20 21
Brock, BSA. 44, 1949, 79 Taf. 1 2 - 1 5 . Mustakas, AM. 69/70, 1954/55, 155ff. Beil. 56ff. AM. 54, 1929, 160. Brock, BSA. 44, 1949, 79; Mustakas, AM. 69/70, 1954/55, 157. Rubensohn, Das Delion von Paros 102. Brock, BSA. 44, 1949, 79.
22 23
24
Mustakas, AM. 69/70, 1954/55, 157. Vgl. J. N. Coldstream, Greek Geometric P o t tery 171 fi. 176ff. R u b e n s o h n a. O. Taf. 16, 6 - 8 ; Mustakas, AM. 69/70, 1954/55 Beil. 56 ff.; Délos X V Taf. 20 ff. - Délos X V I I Taf. 10ff.; 18, 5a. b ; 21, 16a. b. - Coldstream a. O. 178 Taf. 37d.
AUS D E N G R O T T E N I N A N T I P A R O S UND P A R O S
131
Nachahmung korinthischer Form und Fabrik. Vgl. Abb. 4,7. Innen und außen schwarz gefirnißt. 8. 9. Abb. 4,8. 9. Zwei Scherben von tellerförmigen Vasen. Ton wie Nr. 2 und 15. Nr. 8. H 6 cm, Br 3,5 cm. — Nr. 9. H 3,5 cm, Br 3 cm. Außen glattgestrichene Oberfläche. Innen: auf Nr. 8 zwei schwarze umlaufende Streifen, auf Nr. 9 ein roter. Ergänzter Dm des umlaufenden Streifens auf Nr. 8: 10,5 cm. Wohl parisch. 6. Jh. 10. Abb. 4,10. Noch in die archaische Zeit gehört das Fragment von einem unbemalten zweihenkeligen Becher. Gelber Ton. H 4 cm 25 . Chiotisch ? 11. 12. Abb. 4,11. 12. Nr. 11 Fuß eines attischen Napfes klassischer Zeit mit tongrundiger unterer Seite und innen wie außen schwarz gefirnißten Wandungsansätzen. Br 3 cm. Ergänzter Dm des 5 M" Fußes 0,10 m. Nr. 12 Fuß. Einheimische Nachah- 0 1 mung von Nr. 11. Br 3,5 cm. Ergänzter Dm 9,5 cm. Abb. 5. Profile der Scherben A b b - 4, 1. 3. 15 13. Abb. 4,13. Scherbe von einer außerattischen Kylix. Innen wie außen schwarz gefirnißt. Br 3 cm. 4. Jh. v. Chr. 14. Abb. 4,14. Scherbe von einer hellenistischen kothonartigen Schale. Br 4 cm. 15. Abb. 4,15; 5,15. Fuß einer 'Mesomphalos'-Lampe. Reiner Ton mit Glimmer. Dm 8,5 cm, H 3 cm. Teilweise mit Zement bedeckt. Außen bis auf einige schwarze Streifen nicht bemalt. Innen haben wir eine zentrale konische bzw. kegelförmige Erhöhung »Auxvou TÖ necöpupaXov«26. Parisch, 6.—5. Jh. v. Chr. D I E HÖHLEN KALABAKI UND HAGIOS NIKOLAOS AUF PAROS
Von Herrn N. Alibrantis, Professor des Parischen Gymnasiums, hatte ich erfahren, daß es auf der südöstlichen Seite der Insel, und zwar in der Nähe des Klosters Hagios Georgios, eine Höhle unter dem Namen Kalabaki-Höhle gibt. Am 2. August 1968 besuchten wir die Höhle in Begleitung von N. Alibrantis und G. Prekas unter der Führung von M. Tsigonias, ehemals Feldwächter. Wir gingen aus von der schönen Bucht Drios und fanden nach einem Gang von etwa zwei Stunden auf den ziemlich steilen und weglosen Abhängen des Berges Koroboli 27 den Eingang zur Höhle. Der Eingang zu der kleinen und schmalen Höhle befindet sich westlich, gegenüber der Schlucht von Langada. Nach dem tunnelförmigen ersten Raum gibt es noch einen zweiten, aber wir konnten ihn nicht besuchen, da man darin nicht stehen kann. Trotz der überall herumliegenden Abfälle ist es uns gelungen, Scherben von Wein-Spitzamphoren aufzulesen, eine prähistorische Reibschale und wenige kleine Scherben aus klassischer und hellenistischer Zeit. Sie gehören zu dünnwandigen, einfachen Vasen. Leider haben wir sie nicht photographiert, jedoch gesondert von den anderen dem Museum von Paros übergeben. 25
Delos X 56 Nr. 1 1 9 - 1 2 0 Taf. 20. 27
26
Batrachomyomachie 129. Vgl. J . Perlzweig, Lamps from the Athenian Agora (Exc. of the
Ath. Agora Picture Book Nr. 9) Abb. 13, 78. 79. s. die Karte in R E . X V I I I 2, s. v. Paros 1781 f. (Rubensohn). IG. X I I 5, S. X X I I , vgl. auch Th. u. N. Alibrantis, FF&pos-' AvTiTrapos, Karte.
132
G. B A K A L A K I S ,
AUS DEN GROTTEN IN ANTIPAROS UND PAROS
Abb. 6. Scherben aus der Höhle Hagios Nikolaos auf Paros
Von der Höhle Kalabaki stiegen wir noch etwas weiter hinauf, und auf dem Berggipfel fanden wir den Eingang zu der Höhle von Hagios Nikolaos in der Nähe des im Jahre 1664 gegründeten Klosters von Hagios Georgios. Die Höhle heißt so, weil es neben ihrem Eingang und dem Hauptgebäude des Klosters noch eine kleine Kapelle gibt, eigentlich das Osteophylakion des Klosters, die dem Hagios Nikolaos geweiht ist. Der Eingang zu dieser Höhle befindet sich jetzt auf der anderen Seite der Insel, Naxos gegenüber 28 . Die Höhle von Hagios Nikolaos ist ziemlich geräumig. Man sagt uns, daß im Winter ein kleiner Bach durch die Höhle fließt. Es kann auch sein, daß die beiden Höhlen, Kalabaki und Hagios Nikolaos, die Rücken an Rücken liegen, eine Verbindung haben. Unterhalb des Höhleneingangs gibt es im felsigen Bergabhang eine nie versiegende Quelle mit gutem Wasser, der Grund für die Errichtung der kleinen Oase des Klosters von Hagios Georgios und seiner schönen Gärten. S c h e r b e n aus der Hagios—Nikolaos—Höhle: 1. Abb. 6,1. Kleine Scherbe von einem neolithischen Gefäß der Kulturstufe wie Nr. 1 Abb. la.b. Innen wie außen schwarz poliert ('black-burnished'). H 3 cm. 2. Abb. 6,2. Kleine Scherbe von einem geometrischen Skyphos wie Abb. 4,2. Brauner Ton. Br 2,5 cm. Innen rot gefirnißt. Außen fünf vertikale Linien im braunen Firnis; wohl von einem Triglyphen- und Metopen-Verzierungsschema. Parisch. 3. Abb. 6,3. Fuß von einem attischen (?) schwarz gefirnißten Skyphos, klassischer Zeit. L 7,5 cm, ergänzter Dm 6 cm. 4. Abb. 6,4. Scherbe von einer nur außen schwarz gefirnißten Vase. L 5,5 cm. 4. Jh. v. Chr. Thessaloniki 28
Vgl. Alibrantis a. O. 125 und Karte.
Georgios B a k a l a k i s
E. W A C E
FRENCH,
T H E F I R S T PHASE OF L H IIIC
133
T H E F I R S T PHASE OF LH IIIC Discussions from the earliest, including that of Furumark (1941, 1944), to the most recent, that of Desborough (1964), about the pottery of LH IIIC have been hampered by the lack of a full stratigraphic sequence from a settlement site and by lack of a sufficient quantity of pottery to allow any form of numerical analysis. The term LH IIIC was first used by Mackeprang (1938) who assigned to this group pottery of the Close Style and the wares of the Granary Class that accompany it. That these two groups of pottery belong to LH IIIC goes without question, but they must be defined with care. The term Granary Class should only be applied to the types of pottery so described by Wace, BSA. 25, 1921—23, 51 ff., types which were found whole and in situ on the floor of the East Basement of the Granary. It must not be extended to cover other pottery from within the Granary, either from the fill or from beneath the floors, as this is often of earlier date and type. Further confusion has arisen because, until 1957 at least (when the West Wall deposit at Tiryns was discovered), it was not realized that two destructions involving burning could be identified at Mycenae and Tiryns. Previously all pottery from burnt levels within the Citadels (and frequently from elsewhere as well) had been equated with the pottery from the destruction level of the Granary1. This problem was analysed by Alin (1962), and he makes it quite clear how little evidence there is for LH IIIC on the mainland. Furumark's (1944) definition of his LH IIIC l a depends totally on the presence in certain groups of pots of his 'sub-IIIB' style. The assignment of many pots to this group can, on recent evidence, be seen to be incorrect and Furumark's groupings will therefore require total revision. Desborough (1964)5 summed up the situation correctly when he said: »What, then, are the new elements which distinguish the emergence of LH IIIC, and where in the Mycenaean world did they originate ? There is an initial difficulty here, in that stratification evidence linking LH I I I B with a new style is only very rarely found, and in particular is not yet available in the Argolid«. Desborough inclines to the view — put forward by Furumark — that the Close Style is an early manifestation of LH IIIC but he concludes cautiously: »Furthermore, it may well be that the Close Style is not the earliest manifestation of LH IIIC in the Argolid; here, most unfortunately, it seems that we have not sufficient evidence to be sure« (1964) 6. The recent work at Mycenae has provided just such a sequence and the new material from Mycenae and Tiryns has given a bulk of pottery of LH I I I B and IIIC on which numerical analysis can be based. As the new Mycenae sequence and the pottery from it will require detailed study before it can be fully presented in publication, certain important deductions are presented here2. Special abbrevations besides those used in AA. 1968: Alin (1962) = P. Alin, Das Ende der Mykenischen Fundstätten auf dem Griechischen Festland. Studies in Mediterranean Archaeology I (1962) Desborough (1964) = V. d'A. Desborough, The Last Mycenaeans and Their Successors (1964). Furumark (1941) = A. Furumark, The Mycenaean Pottery (1941). Furumark (1944) = A. Furumark, The Mycenaean IIIC Pottery and Its Relation to Cypriote Fabrics, OpArch. 3, 1944, 194ff.
Mackeprang (1938) = M. P. Mackeprang, Late Mycenaean Vases, AJA. 42, 1938, 537ff. 1 2
e. g. Wace, BSA. 51, 1956, 105 fig. 2. I thank Lord William Taylour for permission to make preliminary use of material from his excavations at Mycenae. Though these definitions are primarily my own, the development of all my study of Mycenaean pottery owes a great deal to continual discussion over the material with Mrs, W. J . Craig,
134
E L I Z A B E T H
WACE
FRENCH
ir l -m j t \ $f / /1 fl
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-10 monochrome inside
r u u i - T u n j
Fig. 1—14.
During the preliminary sorting and study of the material in excavation and study seasons, one of the prime aims has been to identify features which might be considered to mark the beginning of the LH IIIC period3. Stratigraphically the last phase of LH I I I B is marked by a violent destruction of the major buildings within the Citadel at Mycenae. The debris from this destruction was, in general, never cleared away in antiquity and subsequent occupation took place on top of it. All material from above the debris levels, which were clearly identifiable by a mass of calcined stone and mudbrick, burnt beams etc., was examined for distinctive characteristics which might fulfill the criteria suggested by Desborough (1964) 6 and others. The search has been successful and it is now possible to 8
A small quantity of stratified pottery of LH I I I C was found in the excavations of 1962. Notes on the significance of this were privately circulated at once. The 1964 season provided a vast bulk of LH I I I C material, and from study of this in 1965 the first detailed outline of the phasing of the period was worked out. No
further work on the L H I I I C strata was done until 1968 when the excavation of the great baulk allowed a complete check to be made on the stratigraphic sequence. The material published here is taken from work done during the 1968 season,
T H E F I R S T PHASE OF LH IIIC
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outline the characteristics of a pottery phase which follows the great destruction stratigraphically and comprises clear stylistic innovations; which is clearly, thus, LH IIIC and yet has no trace of the later conventional elements of LH IIIC such as the Close Style and those listed by Desborough (1964) 6f. This evidence is important and therefore the criteria for identifying this phase are summarized here: 1. Monochrome paint on the inside of vases which in LH I I I B would have had only linear decoration (Fig. 1—4). The difference between deep bowls of groups A and B has been previously summarized ( A E A T . 2 0 , 1965,137 f). The external decoration of the vases mentioned here is similar to that on vases of group A, but they are painted inside with monochrome paint. They do not have the deep rim band of vases of group B. The effective geographical range of this criterion may be limited to the Argolid. Sherds found on survey in Euboea4 and in Thessaly with monochrome interiors have been thought to antedate LH IIIC and this characteristic may have started earlier in areas where the clay did not produce the required buff appearance. 2. Very widespread and plentiful use of spirals, particularly antithetic spirals (Fig. 5—10). Many of these spirals are also rather poorly drawn and the line is wobbly. It is not possible to say whether this implies lack of skill or just the non-rejection of sub-standard pieces. The use of this criterion, of course, depends upon the presence of sufficient pottery for numerical analysis to be possible. It can, however, be a useful corroborative argument. 3. The use of linear decoration on shallow angular bowls (FS 295; Fig. 11). Throughout the LH IIIA and B periods this shape is common but is always unpainted. Suddenly linear decoration is used on it; usually a line at the rim, slightly overlapping outside and covering the top of the handles (a very useful point of identification in sherd-sorting); two small groups of lines, one each on the upper and lower body inside; a spiral inside the base. This use of a spiral inside the base of various bowl shapes appears to be a criterion in its own right. It occurs widely on deep bowls as well as shallow angular bowls. 4. Development in jar/jug rims towards the hollow that is a criterion of later LH IIIC without the hollow yet being tangible (Fig. 12). Again this characteristic is of little use by itself but shows clearly the position of this group of material. The fully developed hollow rim is illustrated by Furumark5. 5. Prevalence of a type of deep bowl with a new decorative system, consisting of a monochrome interior and a single band of medium width at the rim (Figs. 13. 14). From the Mycenae evidence it is not yet possible to say what decoration these vases had outside at the base. An example from Argos (Tomb X X X no. DV 190)6 is undecorated outside except for the rim band. Rim sherds of this type are extremely common in the relevant strata at Mycenae. 6. A final characteristic at Mycenae is the introduction of a rather sandy fabric in small shapes which would previously have been of 'fine' clay. The gritty fabric like that of
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Popham, BSA. 61, 1966, 105.
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Furumark (1941) 81 fig. 22.
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J . Deshayes, Argos, Les Fouilles de la Deiras
(1966). He quite rightly realized that this vessel and a painted shallow angular bowl which accompanied it belong to a phase of LH IIIC prior to the Granary Class,
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E. W A C E F R E N C H ,
T H E F I R S T P H A S E OF L H IIIC
the Warrior Vase (which at times is easy to confuse with Middle Helladic) is a sign of a later phase of LH IIIC. The only published material where all these features can be identified and which therefore serves as a good sample of the phase, is that from Tarsus 7 . Other deposits of the phase have almost certainly been found, particularly in Cyprus and it is to be hoped that other groups can in future be identified. The problem of terminology now arises. Furumark (1944) divided LH IIIC into two main sections (1 and 2) and used LH IIIC2 to mean Submycenaean. The first section was subdivided into a, b, c. As both Desborough and Styrenius 8 publish definitive works using the term Submycenaean rather than LH IIIC2, there seems little purpose in preserving this usage of LH IIIC2. It is not yet clear, however, how many phases will be identified within true LH IIIC on the basis of recent excavations 9 . It seems most sensible, therefore, to leave the re-assignment of phase names until further study has been completed and for the meantime to use generalisations, »early IIIC« etc. On the other hand, there can be no doubt that the pottery published here represents the first phase of the LH IIIC period at Mycenae, whatever one may chose to call it. A further feature of the early LH IIIC deposits 10 at Mycenae, to which it is important to call attention, is the presence of handmade hole-mouth vessels with a highly but roughly burnished surface and frequently a raised decorative band somewhat below the rim. A vessel of this type was found at Lefkandi (phase I) and is illustrated by Popham and Sackett 11 . This Lefkandi example is compared with pottery from Italy »usually dated rather later«. More closely contemporary, however, are 'Coarse Ware 1 pieces from Troy VII b l which from the illustrations and description appear similar12. Connections between Troy and LH IIIC are attested by Mycenaean sherds at Troy. Ankara
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8 9
The excavators assigned this material to the Granary Class through the misconception mentioned above. In calling attention to this original error I have, until now, been inclined to place the material too early, i. e. in L H IIIB. Its real position in terms of comparsion with Mycenae can now be clearly seen. C.-G. Styrenius, Submycenaean Studies (1967). There are at least four at Mycenae prior to the destruction of the Granary. At Lefkandi the excavators have distinguished three main phases
Elizabeth Wace French
but I am informed by Mr. Popham that there are also several sub-phases. 10
These sherds are easy to overlook or to mis-sort as Middle Helladic; thus, until all occurrences are carefully checked, it is not possible to say exactly what the time range of these pieces is within the Mycenae stratification.
11
M. R. Popham — L. H. Sackett, Excavations at Lefkandi, Euboea 1 9 6 4 - 6 6 (1968) fig. 34.
12
C. W. Blegen, Troy IV 2 fig. 284.
K . K Ü B L E R, E I N E S P Ä T G E O M E T R I S C H E
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AMPHORA
E I N E SPÄTGEOMETRISCHE AMPHORA Wegen der Ungewißheit ihres Schicksales und der Entlegenheit ihrer bisher einzigen bekanntgewordenen Veröffentlichung 1 sei hier kurz auf eine geometrische Amphora, ehemals Kunstsammlungen der Stadt Breslau, hingewiesen. Sie stellt sich in ihrem Halsbild neben zwei Amphoren und eine Kanne in Athen (Benton, BSA. 35, 1934/35, 103, 2 Taf. 25, 2; S. 106, 15 Taf. 26, 1; S. 106f., 16Taf. 25, 3. 4). Die langhalsigen Vögel in den mit der argivisch geometrischen Ornamentik sich berührenden Winkelfeldern über den Pferden nähern sich über die Vögel im Halsbild der Amphora Benton a. O. Taf. 25, 2 hinaus den extrem langhalsigen Vögeln der Kanne Kahane, AJA. 44, 1940, Taf. 27, 3. In geringerem Maße als die Amphora Benton a. 0 . Taf. 26, 1 und die Kanne Kahane a. O. Taf. 27, 3 zeigt die Breslauer Amphora die Verhärtung der Form, die neben deren Verschleifung (vgl. Benton a. O. Taf. 25, 2—4 und J. M. Davison, Attic Geometrie Workshops [Yale CISt. XVI] Abb. 44) der 30er Jahre des 8. Jhs. einhergeht. Auch die Verwaschenheit des Triglyphenbandes der Amphora fügt sich hier ein, und zum liegenden Bock bietet dasselbe Jahrzehnt die nächsten Vergleiche. Eingehender über die Zusammenhänge im Nachtrag zu K. Kübler, Kerameikos VI 2. Tübingen
1
Die H o h e Straße, Schlesische J a h r b ü c h e r
IPrWil
Abb. 1. Geometrische A m p h o r a . E h e m . Kunstslgg. Breslau
Karl Kübler
1, 1938, 267 (danach Abb. 1). Hinweis von W . Fuchs.
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D I E T E R
METZLER
E I N E ATTISCHE KLEINMEISTERSCHALE MIT TÖPFERSZENEN IN K A R L S R U H E Darstellungen von Handwerk und Handel sind in der griechischen Vasenmalerei, gemessen an der Zahl und Vielfalt mythologischer und kultischer Szenen, verhältnismäßig selten, seltener auch als Bilder aus der Welt der Athleten oder der Symposiasten. Ihrer weiten Verbreitung und zahlenmäßig günstigen Überlieferung wegen bieten die Vasenbilder, betrachtet man sie nach ihrer Thematik, eine willkommene Möglichkeit, das sich in diesen Darstellungen widerspiegelnde Bildungsideal sowie das ästhetische Interesse des Publikums kennenzulernen. Für die gesellschaftliche Situation Athens am Übergang von der archaischen zur klassischen Zeit ist die Bevorzugung von Bildthemen, die eigentlich der Welt des Adels1 angemessener sind als der der jetzt aufsteigenden Händler und Handwerker, sehr charakteristisch, zeigt doch allein die geringe Anzahl von Darstellungen aus der Arbeitswelt2, daß die Menschen dieser Schichten — so weit sie als Käufer 3 bzw. Auftraggeber dieser Vasen überhaupt in Frage kommen — noch nicht zu der Selbstverständlichkeit eines eigenen Bildungsideals haben durchdringen können4. Um so wertvoller sind uns jedoch die wenigen Bilder, in denen das Selbstbewußtsein der Vasenmaler Szenen und Vorgänge aus ihrem Bereich, dem der produktiven handwerklichen Arbeit — sei es der eigenen oder der ihrer Kollegen aus anderen Berufen — bildhaft gestaltet. Unter ihnen nehmen die Bilder mit Töpfern oder Malern5 einen besonderen Rang ein, da sie gleichsam als Selbstdarstellungen gelten dürfen. 1
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In der Paideia der Griechen dieser Epoche spielt das mythische Vorbild eine nicht zu unterschätzende Rolle (W. Jaeger, Paideia I [1954] 313f. und passim) und die Bürger übernahmen bereitwillig die adligen Vergnügungen des Sportes und des Symposions (H.-I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum [1957] 63ff.). Zur Ikonographie dieses Themas allgemein vgl. V. Husa, Homo Faber, Arbeitsmotive auf alten Abbildungen (1967). Die prächtig bemalten Vasen waren j a zudem im Gegensatz zum unbemalten Tongeschirr des täglichen Gebrauchs, wie es besonders die amerikanischen Ausgrabungen der athenischen Agora zutage gefördert haben, ziemlich teuer (vgl. die Liste I bei Amyx, Hesperia 27, 1958, 277), so daß man allein aus den Preisunterschieden wohl im übrigen schließen muß, daß die Menge der sorgfältig mit figürlichem Schmuck bemalten Gefäße einem zahlungskräftigeren Publikum vorbehalten waren als den Handwerkern, die diese Gefäße herstellten. Welskopf, Klio 43/45, 1965, 49ff. bes. 55. In zeitlicher Folge seien hier die Darstellungen von Töpferszenen mit der Töpferscheibe nach den älteren Arbeiten von A. Furtwängler (Be-
schreibung der Vasensammlung im Antiquarium I, Berlin [1885] 47ff.), G. M. A. Richter (The Craft of Athenian Pottery, [1923]), P. Cloché (Les Classes, les métiers, le trafic [1931]), J . D. Beazley (Potter and Painter in Ancient Athens, Proc. Brit. Acad. 30, 1945), A. Rieth (5000 Jahre Töpferscheibe [I960]) und Ziomecki (Raggi 6, 1964, H. 1/2) zusammengestellt: 1 — 7 : Korinthische Pinakes aus Pendeskuphia 1. Berlin, Furtwängler Nr. 640. Ziomecki Anm. 29 2. Berlin, Furtwängler Nr. 814. Ziomecki Anm. 29 3. Berlin, Furtwängler Nr. 815. Ziomecki Anm. 29 4. Berlin, Furtwängler Nr. 868. AD. I Taf. 8, 18. Richter Abb. 69. Cloché Taf. 19, 2 5. Berlin, Furtwängler Nr. 869. AD. I Taf. 8, 17. Richter Abb. 57. Cloché Taf. 19, 1 6. Berlin, Furtwängler Nr. 870. Ziomecki Anm. 29 7. Paris, Louvre MNB 2857. Richter Abb. 62. Cloché Taf. 18, 2. Ziomecki Abb. 5 8. Attische Kleinmeisterschale, aus Etrurien ?, in Karlsruhe Inv. Nr. 67/90. Hier Abb. 1 - 4 9. Attische sf. Schale, Herkunft unbekannt, in London, Brit. Mus. B 432. Richter
E I N E ATTISCHE KLEINMEISTERSCHALE MIT TÖPFERSZENEN
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In diesen Kreis tritt jetzt eine neu erworbene Kleinmeisterschale im Badischen Landesmuseum (Abb. 1—4)6, die die frühesten unter den attischen Töpferszenen trägt und noch dazu bisher nicht dargestellte Werkvorgänge zeigt. Sie ist zudem die einzige Kleinmeisterschale, auf der die Herstellung eines Tongefäßes, das übrigens dieselbe Form wie das bildtragende Gefäß selbst hat, dargestellt ist. Zunächst einige Bemerkungen zur Schale selbst: Sie war in mehrere Scherben zerbrochen, ist jedoch bis auf geringfügige Reste vollständig erhalten, wie die Untersuchung mit der Quarzlampe ergab. Der eine Henkel in der etwas steifen geraden Linienführung ist zur Hälfte modern ergänzt. Die beiden Bilder sind bis auf einen Ausbruch am Hinterkopf des den Lehmkloß aufsetzenden Arbeiters (Abb. 3) nicht restauriert worden. Das Gefäß hat die für die Kleinmeisterschalen7 übliche Form: Auf einem schlanken hohen Stiel, der aus einem weit ausladenden Fuß emporwächst, sitzt der bauchige tiefe Schalenkörper, dessen obere Randzone durch eine Profilleiste abgesetzt steiler ansteigt. Auch im Innern der Schale ist der Lippenrand durch ein sehr exakt gearbeitetes, scharfkantiges Profil von dem Kugelsegment der Schüssel abgetrennt. In den Maßen und der Form gleicht sie einer Schale des Tleson in Boston8. Zwar ein wenig größer aber in den Maßverhältnissen verwandt
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Abb. 61. R i e t h Abb. 61. Ziomecki Abb. 3 10. Attische sf. H y d r i a , aus Vulci, in München, Nr. 1717. Richter Abb. 58. Cloche Taf. 19, 3. Beazley, ABV. 362, 36. R i e t h Abb. 62. J . Noble, The Techniques of P a i n t e d Attic P o t t e r y Abb. 73. 230 11. Böotischer sf. Skyphos, aus Lokris, in Athen. Richter Abb. 71. R i e t h Abb. 59 12. Attische sf. Scherbe, Athen, Akropolis Nr. 853. Beazley Taf. 1, 1. R i e t h Abb. 65 13. Attischer weißgrundiger P i n a x , Athen, Akropolis Nr. 2579 b. Rieth Abb. 60 14. Attische rf. Scherbe, Athen, Akropolis Nr. 166. Richter Abb. 68. Beazley Taf. 1 , 2 , 3 15. Attische rf. Scherbe, Athen, Akropolis Nr. 739. Richter Abb. 60. Beazley Taf. 5, 2. R i e t h Abb. 65. Ziomecki Abb. 6 16. Attische rf. Scherbe, Athen, Akropolis Nr. 470. Beazley Taf. 5, 4 17. Attischer rf. Kelchkrater, aus San Luigi, in Caltagirone. Beazley Taf. 5, 1. Cloche Taf. 19, 6. R i e t h Abb. 58 18. Attische rf. Scherbe, von der P n y x , in Athen. Beazley S. 17. Hesperia, Suppl. X 1956 Taf. 8 Nr. 104. R i e t h Abb. 63 19. Attische rf. Pelike, aus Nola, in London, Brit. Mus. E 387 20. Unteritalischer rf. Skyphos, in Oxford. Rieth Abb. 64. Karlsruhe, Badisches L a n d e s m u s e u m I n v . Nr. 67/90. Pressenotiz über die E r w e r b u n g im Karlsruher Fächer 3, 1968, 1 (Februarheft) S. 1. E r w e r b u n g s b e r i c h t von J . T h i m m e im J a h r b u c h der Staatl. K u n s t s a m m l u n g e n B a d e n - W ü r t t e m bergs 5, 1968. Ich d a n k e H e r r n Dr. T h i m m e
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f ü r seine Freundlichkeit, mir die P u b l i k a t i o n dieser Vase zu gestatten. Die P h o t o g r a p h i e n (Photoarchiv des Badischen Landesmuseums) stellte W e r n e r Mohrbach her. L i t e r a t u r zu den Kleinmeisterschalen ist zus a m m e n g e f a ß t bei Beazley, ABV. 158 — 197. Ferner Amyx, A J A . 66, 1962, 229ff. (Xenokles). D. v. B o t h m e r , ebenda 255 ff. Sonderliste G der Münzen u n d Medaillen AG. Basel 1964 Nr. 5 5 - 6 0 u n d 81. R . M. Cook, Greek P a i n t e d P o t t e r y (1966) 79f. Boston, Museum of Fine Arts 92.2655 (L. D. Caskey, T h e Geometry of Greek Vases [1922]) 173 Nr. 129 Abb. 129. Mus.
H
Dm
Br m i t Dm, Henkeln F u ß Boston 13,35 cm 19,25 cm 26,7 cm 9,0 cm Karlsruhe 13,00 cm 19,20 cm 26,5 cm 9,3 cm
Aus dieser nahezu völligen Ü b e r e i n s t i m m u n g darf m a n wohl eine gewisse Absicht herleiten, die mit den technischen Mitteln, auf die die F r ü h z e i t der Mechanisierung so stolz zu sein pflegt (P. M. Schuhl, Machinisme et Philosophie [1947] passim), die Gleichheit der P r o d u k t e anstrebte. I m Gegensatz dazu sah m a n später, jedenfalls im 4. J h . , als die hippokratische Schrift über »die Regelung der Lebensweise« e n t s t a n d (Hippokrates, Schriften hrsg. von H . Diller [1962] 228) - gerade die Verschiedenheit in der A u s f ü h r u n g der auf der Töpferscheibe gedrehten Gefäße: »Mit derselben D r e h u n g der Töpferscheibe stellen sie alle möglichen F o r m e n her. Wobei keine der a n d e r e n gleicht, obwohl sie mit denselben Geräten g e m a c h t sind«
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DIETER
METZLER
ist eine andere Karlsruher Schale, die ebenfalls von Tleson signiert ist 9 . Die Grundformen der Bemalung halten sich an das geläufige Schema: Schalenfuß und untere Hälfte des Schalenkörpers sowie dessen Inneres, das nur durch eine tonfarbige Kreisfläche mit schwarzem Zirkelpunkt und Ring akzentuiert wird, sind schwarz. Die schmalen Zonen auf der Außenseite zwischen den Henkeln tragen nicht wie üblich Palmetten, sondern nur — jeweils unterhalb der Töpferszene auf dem oberen Rand — eine fiktive Inschrift aus je sechzehn Buchstaben. Zwar beginnt die Inschrift auf jeder Seite mit einem E, aber die folgenden Buchstaben sind zum Teil so unleserlich und so willkürlich aneinandergereiht, daß man wohl einen Analphabeten als Schreiber annehmen muß. Das ist eigentlich seltsam, denn gerade die Kleinmeisterschalen zeigen häufig sehr exakt geschriebene Signaturen und Trinksprüche, ihre Verfertiger waren also durchaus des Schreibens kundig 10 . Nun hat andererseits das Schriftband in der Mittelzone der Lippenschale, wie Buschor 11 diesen Typ der Kleinmeisterschale im Gegensatz zur Bandschale 12 , die kaum Inschriften zeigt, nannte, einen auf die Gesamtfläche bezogenen ästhetischen Wert: Es wird fester Bestandteil des Dekors und erfüllt also schließlich die Funktion eines ornamentalen Motivs13. Vielleicht wollte der schreibunkundige Maler die Inschrift eines berühmten Genossen kopieren. So hat etwa die Epitimos-Signatur 14 sechzehn Buchstaben, doch sind seine Schalen bunter und stilistisch älter. Exekias-Signaturen können ebenfalls sechzehn Buchstaben 15 haben, und vor allem kann man bei seinen zwölf16 erhaltenen Signaturen erhebliche graphologische Unterschiede und Abweichungen in der Rechtschreibung feststellen, so daß wohl kaum alle 'E^ekiccs ETroisaev - Signaturen vom Meister selbst geschrieben sein können 17 . Vielleicht wollte unser Maler diese Signatur nachbilden. Aus dem Stil der figürlichen Darstellungen auf Exekias als Maler18 zu schließen, ist zwar verlockend aber aussichtslos. Die beiden Szenen sind bei aller natürlichen Frische doch (I 22, 494 L). Das Irrationale im handwerklichen Prozeß wird hier ebenso als ein Positivum (vgl. dazu E. Zilsel, Die Entstehung des Geniebegriffes. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der Antike und des Frühkapitalismus [1926]) gewertet wie in dem Selbstzeugnis des attischen Töpfers Bakchios, der sich rühmt, seine Werke nicht mit angelernter Techne, sondern aus angeborener Physis geschaffen zu haben (Preuner, Jdl. 35, 1920, 69). 9
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Karlsruhe Inv. 65/43, Neuerwerbungen 1952 bis 1962 (Karlsruhe 1966) 14. Vgl. P. Kretschmer, Die Griechischen Vaseninschriften (1894) §§ 5, 45f. Allgemein zur Verbreitung der Schriftlichkeit im spätarchaischen Athen: Harvey, REG. 79, 1966, 585ff. bes. 604 ff. und J. Platthy, Sources on the Earliest Greek Libraries (1968) 66ff. E. Buschor in A. Furtwängler—K. Reichhold, Griechische Vasenmalerei III (1932) 219 (nach Beazley, JHS. 52, 1932, 167). R. M. Cook a. O. (Anm. 7) 80. Beazley, JHS. 52, 1932, 195. Der von Harvey a. O. 605 angestellte Vergleich mit sinnlosen
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Buchstabenreihen moderner Künstler (Picasso und Klee) ist insofern schief, als die antiken Schreiber eine Signatur, also eine Schrift, die von anderen gelesen und verstanden werden sollte, meinten. Ein schreibkundiger athenischer Töpfer wird wohl kaum seine Signatur absichtlich so verunstaltet haben, daß man ihn für einen Analphabeten halten mußte. Beazley, ABV. 119, 9. New York, Metr. Mus. 25. 78. 4. So die neue Schale der Basler Auktion (s. Anm. 16).
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H. Cahn, Auktion 34 der Münzen und Medaillen AG. Basel, 1967, Text zu Nr. 129. Das gilt etwa auch von der Münchener Lippenschale 2125 (Beazley, ABV. 147, 3), wo der Name Exekias EXfEKIKA^ geschrieben wird oder von der Athener Schale 1104 (Beazley, ABV. 147, 5), wo neben der Form EAX^EKlAf auf der anderen Schalenseite die sinnlose Buchstabenfolge ENEOINOIOIEN auftaucht. Exekias signierte als Töpfer und Maler zugleich die Berliner Löwenkampf-Amphora 1720 (Beazley, ABV. 143, 1) und die vatikanische Brettspieler-Amphora 344 (Beazley, ABV. 145, 13).
E I N E ATTISCHE KLEINMEISTERSCHALE MIT TÖPFERSZENEN
Abb. 1 u n d 2. Kleinmeisterschale. Karlsruhe, Badisches L a n d e s m u s e u m
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D I E T E R
METZLER
ziemlich anspruchslos gemalt. Die Angabe der Muskulatur durch Ritzung der schwarzflächigen Körper hält sich wie die Zeichnung des Gesichtes und der Haare an geläufige Schemata, einzig der mit weißen Punkten gesäumte bunte Mantel des stehenden Mannes könnte auf einen bestimmten Maler verweisen: Diese Punktreihen finden sich im Oeuvre des Kentauren-Malers 19 . Doch scheint mir diese Übereinstimmung für eine eindeutige Zuweisung nicht auszureichen, zumal die rein keramische Arbeit — Form und Größe des Gefäßes — auch an den Töpfer Tleson denken ließe. Doch auch diese Unbestimmbarkeit ist charakteristisch: Der Verfertiger unserer Schale hat in engem Kontakt zu mehreren Werkstätten gestanden und in den Szenen dieser Schale gleichsam ein Genrebild seines Berufsstandes geschaffen. Um 540 mag sie entstanden sein, wie nicht nur die Art, in der die Augen der Figuren gegeben sind, zeigt, sondern auch die Form der Schale20, die auf der Höhe der Entwicklung die reife Lösung eines Gefäßtyps verkörpert, dessen Frühformen um 580 in Lakonien 21 , seit etwa 56022 in Athen begegnen und in Ionien nachgebildet werden 23 . Um 530 scheint dieser hochfüßige Schalentyp aufgegeben worden zu sein24. Wie die Zeitgenossen diesen Gefäßtyp nannten, ist schwer zu entscheiden. Auf einer Lippenschale des Eucheiros heißt das Gefäß selbst TroTf|piov 2 6 , also ganz allgemein: Trinkgefäß. Ein anderes Mal wird eine Kleinmeisterschale auch KUAI£ genannt 26 . Dies ist der moderne archäologische Terminus für Trinkschale. Doch scheint auch er eine abstraktere Bedeutung gehabt zu haben, denn so wurde auch die Form, die wir verabredungsgemäß Skyphos nennen, bezeichnet, jedoch hieß nicht diese Form allein KUAI£, wie E. Vanderpool 27 kürzlich meinte, sondern dieses Wort findet sich auch auf einem chiotischen Kelch 28 und sogar auf einem Krater 29 . Da Vasennamen im Laufe der Zeit von einem auf andere Gefäßtypen übertragen werden konnten 30 , scheint es, vom Einzelfall einmal abgesehen, leider doch geraten, Zuflucht zu einem modernen Kennwort zu nehmen.
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Beazley, A B V . 189 f. F. Villard, Le Peintre des Centaures in Studies presented t o D . M. Robinson II (1953) 65ff. Taf. 2 0 a ; 21a. Verwandt ist die Zeichnung des Körperumrisses und der Muskulatur bei dem Jäger der Lippenschale N e w York 74. 51. 1371 (CVA. [2] Taf. 8a), die Beazley dem Kentauren-Maler zuweist, die zwar kleiner als unsere Schale ist, aber bemerkenswerterweise auch wie diese keine gemalten P a l m e t t e n an den Henkelansätzen zeigt. E s ist jedoch auffällig, daß es im Oeuvre des Kentauren-Malers keine Schriftimitationen gibt. Die gleiche Schalenform begegnet übrigens gemalt in dem Schulterbild einer frühen Nikosthenes-Amphora, die sich ebenfalls in Karlsruhe befindet (Inv. Nr. 64/52. Neuerwerbungen, Karlsruhe 1966, 19. U m 535 v. Chr.). Hochfüßige lakonische Schalen n i m m t Shefton (BSA. 49, 1954, 309) schon in den 570 er Jahren oder früher für das Werk des Arkesilas-Malers an. Cook, a. O. (Anm. 7) 80. Cook, a. O. 130f. Beazley, J H S . 52, 1932, 203 Abb. 19 kennt ein Fragment der einzigen rotfigurigen Kleinmeister-
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schale (London E 134), die jedoch der frühesten Stufe dieser Malweise angehört. Beazley, J H S . 52, 1932, 178. Ders., A B V . 162, 1. A m y x , Hesperia 27, 1958,207 Anm. 52: London, Brit. Mus. B 601. 10 und 601. 7 = Beazley, A B V . 79 (Gordion-cup). Vanderpool, Hesperia 36, 1967, 187 ff. Sechs Beispiele aus dem 6. bis 4. Jh. Ebenfalls an den Aufsatz v o n E. Vanderpool schließt F. Brommer (AA. 1967, 546) eine neue B e s t i m m u n g des Begriffs K y l i x an. Brommer sieht darin eine Gattungsbezeichnung für jedwede Art v o n »Trinkgefäß mit Henkeln«. Zu den abgeleiteten Formen KuTuxvr) und KuXicrKiov vgl. W. E. Thompson, A J A . 69, 1965, 230f. und M. Guarducci, Epigraphia Graeca (1968) I 272 Nr. 12. J H S . 75, 1955, Archaeological Report 22 zu Taf. 2e. Adolphseck Nr. 74. CVA. (1) Taf. 44, 5. F. Brommer erwähnt hier als zweites Beispiel noch die Amphora B 196 im Brit. Mus. Ein unbekannter Gefäßtyp verbirgt sich schließlich in folgender Hesych-Glosse: XEirairrij. oivoxor|. Kai elSos KÜXlKOSVgl. etwa Brommer, Hermes 77, 1942, 356ff.
E I N E ATTISCHE KLEINMEISTERSCHALE MIT TÖPFERSZENEN
Abb. 3. Wie Abb. 1. Detail
143
Abb. 4. Wie Abb. 2. Detail
Eine Kleinmeisterschale ist unser Gefäß auch in bezug auf seine Bilder, die ja eben Szenen aus der Arbeit dieser schlichten Miniaturmaler zeigen. Sie seien hier kurz beschrieben. Das eine Bild zeigt den Beginn des Herstellungsprozesses eines Tongefäßes: von links setzt ein bärtiger, unbekleideter Mann einen zylindrischen Lehmkloß genau auf das Zentrum der breiten schweren Töpferscheibe (Tpoxos). Wie das Zugreifen mit beiden Händen anzudeuten scheint, tut er es mit Sorgfalt, denn der Ton muß konzentrisch aufgesetzt werden, um einen gleichmäßigen Lauf der Scheibe und damit eine gleichmäßig zentrierte Gefäßform zu gewährleisten. Rechts von der Scheibe sitzt — frontal gesehen — auf einem niedrigen Klotz ein ebenfalls unbekleideter, aber unbärtiger, also jüngerer Mann, der aufmerksam wartend zu seinem Kollegen hinüberschaut. Mit seiner Rechten hält er die Scheibe an. Seine Aufgabe ist das Drehen der Töpferscheibe, eine Tätigkeit, die auf anderen Bildern mehrfach dargestellt ist 31 . Stets ist es ein unbärtiger Mann, der auf einem niedrigen Holzoder Steinklotz oder einem Kissen sitzt. Daß er in Vorderansicht dargestellt wird, scheint ebenfalls zu einem geläufigen Bildschema zu gehören, wie eine schwarzfigurige Scherbe von der Akropolis32 aus den Jahren um 510 zeigt. Die qualitätvolle Zeichnung dieser Scherbe, die von der ganzen Reife der spätarchaischen Malerei getragen ist, lehrt allerdings auch durch die Gegenüberstellung, daß die neue Töpferszene in Karlsruhe eben wegen ihrer ungezwungenen Originalität eine sehr frühe Fassung dieses Motivs ist. Die beiden Handwerker sind durch den Bart des einen als verschieden alt charakterisiert. Vielleicht darf man daraus auch auf eine Arbeitsteilung schließen, etwa in dem Sinne, wie sie R. Hampe bei kretischen Pithos-Töpfern beobachtet hat 33 : Der jüngere Sitzende ist der Scheibendreher, der Ältere mit Bart und gekrümmtem Rücken derjenige, der für das Kneten und Aufbereiten des Tones verantwortlich ist und hier dem Töpfer den Tonkloß zurechtrückt. Die schwere Scheibe34 im Mittelpunkt der Szene ist die im 6. und 5. Jh. gebrauchte große Schwungscheibe, die den in Attika üblichen konischen Fuß hat 35 , der in Korinth stets 31
Oben A n m . 5 Nr. 12, 15, 17.
32
Oben A n m . 5 Nr. 12.
33
R. H a m p e — A . Winter, Bei Töpfern u n d Töpferinnen in K r e t a , Messenien u n d Zypern (1962). Eine entsprechende Arbeitsteilung sieht
34
35
H a m p e auch auf G r u n d der Linear-B-Zeugnisse in der mykenischen E p o c h e (Gymnasium 63, 1956, 45f.). A. Rieth, F ü n f t a u s e n d J a h r e Töpferscheibe (1960). s. Anm. 5 Nr. 9, 14, 15.
144
D I E T E R
M E T Z L E R
zylindrisch ist36. Dieser Fuß ist unten mit einem weißen Band 37 abgeschlossen — vielleicht die eiserne (?) Fassung 38 , mit der der Fuß auf dem dünnen Lagerbolzen ruht. Die Schwungscheibe, die vom Dreher durch unmittelbares Berühren dieser großen Scheibe selbst angetrieben wird, ermöglicht einen schnelleren Lauf als die Scheibe der Pithos-Töpfer, die an Quergriffen an der Laufachse 38 angefaßt und gedreht wird. Ihre Schnelligkeit der Drehung wird in humorvoller Weise durch ein Bild auf einer rotfigurigen Pelike 40 illustriert: Zwei Satyrn 41 benutzen das Gerät als Karussel. Abgesehen davon, daß die schwere Masse der großen Schwungscheibe auch einen gleichmäßigeren Lauf garantiert, der für das Aufziehen der dünnwandigen und formenreichen attischen Vasenprofile eine technische Voraussetzung ist, hat die Laufgeschwindigkeit noch eine andere Bedeutung. R. Hampe und A. Winter haben darauf hingewiesen42, daß das Arbeitstempo des Töpfers die Konstante ist, nach der der Dreher sich zu richten hat. Dieses Arbeitstempo ist wiederum abhängig von der Durchlaufgeschwindigkeit des zu formenden Tones durch die Hand des Töpfers. Da das aber bedeutet, daß die Drehgeschwindigkeit vom Umfang bzw. Durchmesser des Gefäßes abhängt, erfordert umgekehrt die Durchlaufgeschwindigkeit auch eine ihr angemessene Scheibengröße. Deshalb haben die schweren Schwungscheiben für die verhältnismäßig kleinen attischen Gefäßformen, da sie ja durch direktes Anfassen am Rand in Schwung versetzt werden, einen großen Durchmesser — nämlich nach den Vasenbildern zu urteilen etwa 80 bis 100 cm —, während die unmittelbar an der Achse gedrehten kretischen Scheiben nur so groß sein müssen, daß sie den Fuß des wie weit auch immer ausladenden Pithos tragen können. Dadurch erklären sich m. E. die geringen Durchmesser von 41 cm 43 bzw. sogar nur 22 cm44, die diese kretischen Scheiben haben. Alle diese Scheiben haben jedoch Handantrieb, wie die Vasenbilder zeigen, und schon ein homerischer Vergleich besagt: »Leicht herum, so wie oft die befestigte Scheibe der Töpfer / Sitzend mit prüfenden Händen herumdreht, ob sie auch laufe«45.
36 37
38
39
s. Anm. 5 Nr. 1 - 7 . Die weiße F a r b e scheint auf dieser Seite abgeb l ä t t e r t zu sein. Sehr schön sichtbar ist sie auf dem gegenüberliegenden Bild. Aus der Lage dieses eisernen — weiß deutet hier wohl die F a r b e des schimmernden Metalls a n — Ringes a m u n t e r e n E n d e des F u ß e s darf geschlossen werden, d a ß der konische F u ß fest mit der schweren Scheibe v e r b u n d e n ist, d a ß hier also nicht die Scheibe v o m F u ß getrennt ist u n d d a ß das Lauflager nicht u n m i t t e l b a r u n t e r dem Scheibenboden Hegt, wie L. Hussong (bei Ziomecki a. O. [Anm. 5] Abb. 2 a) a n n i m m t , auch nicht im I n n e r n des konischen Fußes, wie R i e t h (a. O. 60 a. b) an einem anderen Beispiel gezeigt h a t , sondern d a ß die schwere Scheibe mit d e m konischen F u ß fest v e r b u n d e n auf einem d ü n n e n Zapfen l ä u f t . Diese Lagerung zeigen auch die Scheiben auf dem böotischen u n d dem unteritalischen Skyphos (oben A n m . 5 Nr. 11 u n d 20). R . H a m p e , Eine kretische Töpferscheibe des 7. J h s . v. Chr., in Charisterion f ü r A. K. Or-
landos (1967) 179 Abb. 1; 181 Abb. 2. Ich d a n k e H e r r n Prof. H a m p e , d a ß er mir f r e u n d licherweise diesen Aufsatz zuschickte. 40
Oben A n m . 5 Nr. 19. Vgl. auch die A k r o b a t i n auf der Töpferscheibe (Anm. 5 Nr. 20), die von einer komischen Theaterperson mit einem Seilzug gedreht wird.
41
S a t y r n u n d andere Kobolde b e t r a c h t e t e der antike Töpfer als gute oder böse Geister, deren Gunst er sich zu vergewissern h a t t e . Vgl. dazu etwa das u n t e r dem Titel Kcciitvos b e k a n n t e Töpferlied (Richter a. O. [Anm. 5] 94f.; zuletzt M. J. Milne bei J. V. Noble, The T e c h n i q u e s of P a i n t e d Attic P o t t e r y 102ff.) oder auch A. M a l l w i t z - W . Schiering, OlForsch. V (1964) 237ff. H a m p e , Charisterion Orlandos 181. Scheibe aus A f r a t i : E b e n d a 178. Scheibe aus Mallia: H a m p e — W i n t e r a. O. (Anm. 33) 117 Abb. 60. Homer, Ilias X V I I I 600 f. ( Ü b e r t r a g u n g von J . H . Voss).
42 43 44
45
E I N E A T T I S C H E K L E I N M E I S T E R S C H A L E MIT T Ö P F E R S Z E N E N Die
uns
bekannte
Fußtöpferscheibe46
scheint dagegen erst eine hellenistische findung
145
Er-
zu s e i n ; e r w ä h n t w i r d sie seit d e m
3. J h . v . C h r . 4 7 u n d a b g e b i l d e t ist sie wohl zum
erstenmal auf einem
Relief
Ptolemaios I. ständig erweiterten
des
seit
Isistem-
pels a u f P h i l a e m i t der D a r s t e l l u n g , wie d e r Schöpfergott C h n u m das erste Menschenpaar a u s T o n b i l d e t 4 8 . W ä h r e n d dieser a u f ä l t e r e n Bildern49
sich
dabei
stets
der
m i t der H a n d zu drehenden
einfachen,
Scheibe
be-
d i e n t , n i m m t er h i e r die m o d e r n e t e c h n i s c h e H i l f e d e r F u ß s c h u b s c h e i b e f ü r seine u r a n fängliche
Schöpfertätigkeit
in
S o g a r in die diese T ä t i g k e i t
Anspruch.
bezeichnende
H i e r o g l y p h e w i r d diese t e c h n i s c h e N e u e r u n g aufgenommen50. Möglicherweise form
der
wird jedoch
eine
Fußschubscheibe schon
Früh-
von
ei-
n e m T ö p f e r b e n u t z t , der in e i n e r k l e i n e n n u r 1 0 , 5 c m h o h e n K a l k s t e i n s t a t u e t t e aus Z y p e r n v o m E n d e des 6. J h s . , also n u r w e n i g e Jahre, nachdem
in A t h e n
die B i l d e r
der
Karlsruher Kleinmeisterschale gemalt wurd e n , d a r g e s t e l l t ist ( A b b . 5 ) 5 1 . E i n b ä r t i g e r Mann hockt
vornübergebeugt a m
Boden62
und formt mit beiden H ä n d e n einen T o n kloß. D a r u n t e r befindet sich eine
46
47
48
49
Von Ziomecki, Raggi 6, 1964, H. 1/2, 10 als zweischeibiges Töpferrad bezeichnet. Ecclesiasticus X X X V I I I 32 (Richter a. O. [Anm. 5] 91) und Didymos Chalkenteros, Schol. ad Pindarum, Olymp. X I I I 2 7 a (p. 362 Drachmann) : öti [ö KepotHEiKÖs -Tpö)(os] EKcerepcoögv e X c c u v e t c c i O t t o TT65oSTrr£pvr|S.Daß hier die u T E p v T ] = Fußsohle erwähnt wird, bestätigt ausdrücklich, daß es sich um die fortgeschrittene, voll ausgebildete Form des Fußantriebes handelt, der in römischer Zeit dann weit verbreitet ist (Ziomecki a. O. 10). Rieth a. O. (Anm. 34) Abb. 72. Vgl. ferner: A. Lucas, Ancient Egyptian Materials and Industries (1962) 369 (Hinweis von Herrn Dr. M. Weber, Köln). A. M. Badawi, Der Gott Chnum, Diss. Berlin 1937, 18 Abb. 6. Ähnlich wie Chnum das erste Menschenpaar aus Ton töpfert, wird auch in der Kosmogonie des Empedokles Aphrodite als
10 AA. 1969
Abb. 5. Kalksteinstatuette eines Töpfers. London. Brit. Mus.
breitere
50
51
52
Koroplastin der ersten Menschen beschrieben (Empedokles B 73). In der Litanei für Chnum, die auf einer unter Domitian reliefierten Säule des Tempels von Esna eingemeißelt ist, findet sich sechsmal dieselbe Hieroglyphe, in der Chnum die Töpferscheibe mit dem linken Fuß antreibt, wobei sich die eigentliche Scheibe in Sitzhöhe befindet (S. Sauneron, Esna I I I . Le Temple de Esna [1968] 71 f. T e x t Nr. 225. Hinweis von Herrn cand phil. E . Graefe, Köln). London, Brit. Mus. C 225. F. N. Brit. Mus. Cat., Pryce, Sculpture I 2 (1931) 91 Abb. 146. G. M. A. Richter, The Craft of Athenian Pottery 70 Abb. 65. Eine verwandte Körperhaltung zeigt die Statuette eines Mannes mit großem Gefäß aus Ägypten (M R) im Ägyptischen Museum in Berlin (Katalog 1967 Nr. 470 Abb. 470 Inv. 14489; 6,8 cm hoch).
146
D I E T E R
M E T Z L E R
dicke Scheibe, die der Mann mit seinen Füßen berührt. Es ist anzunehmen, daß es sich trotz der unbequemen Körperhaltung um die Arbeit an einer primitiven Fußschubscheibe handelt, wie sie heute noch in wenig entwickelten Gesellschaften, die für den Hausbedarf bzw. für einen mäßig weiten Export, wie etwa in abgelegenen zypriotischen Dörfern 53 produzieren, gelegentlich von Töpferinnen benutzt wird. Eine solche töpfernde Frau zeigt eine weitere Statuette vom Ende des 6. Jhs. (Abb.6). Bei dieser 8 cm hohen Terrakotta aus der attischen Kolonie Elaious auf der thrakischen Chersonnes, die jetzt im Louvre aufbewahrt wird54, handelt es sich keineswegs um die Darstellung einer Hausfrau, die sich mit ihrem Kochtopf beschäftigt 56 , sondern wie G. Gaudron durch Vergleich mit ethnologischen Parallelen feststellte, wirklich um eine Töpferin, die die Innenwand des Gefäßes glättet, »la phase finale du façonnage d'un grand vase«58. Die gleichen Handgriffe kann man bei den heutigen zypriotischen Töpferinnen finden57. Übrigens ist die Töpferarbeit für Frauen nicht ungewöhnlich — schon in Knossos wird auf einer Linear-B-Tafel eine Kerameia erwähnt58 und auf der rotfigurigen Caputi-Hydria ist ein Mädchen mit dem Bemalen einer Vase beschäftigt 59 . Wie die Kalksteinstatuette in London stammt auch die Terrakotta in Paris aus einem Grab, und man wird sich deshalb fragen, welche Bedeutung diesen Töpferdarstellungen als Grabbeigaben zukommt. Gaudron, der diese Frage aufwarf, wies darauf hin, daß es sich bei den griechischen Grabbeigaben gewiß nicht wie in Ägypten um die magische Repräsentation der Arbeiter handelt, die sich um die Versorgung des Toten im Jenseits zu kümmern haben. Doch läßt er diese Frage ohne positive Antwort. Ich möchte folgende Deutung vorschlagen: Diese Töpferfiguren stellen wie so viele andere Genrefiguren, die man als Grabbeigaben gefunden hat, vielleicht das Leben im Jenseits dar. Eigentlich gehören zur Beschäftigung der Toten im Land der Seligen nur so angenehme Beschäftigungen wie die Liebe, Tanz und Musik, Sport und Symposion oder die adligen Vergnügungen der Jagd und des Krieges 60 . Doch zeigen pompeianische Wandmalereien, in denen Jenseitsbilder ein mehr oder weniger profaniertes Weiterleben führen, Eroten und Pygmäen bei künstlerischen oder handwerklichen Tätigkeiten 61 . H. G. Horn hat in seiner noch unveröffentlichten Dissertation 62 die Gleichsetzung von Eroten — und zu ihnen gesellen sich die Pygmäen 53
54
55 56
H a m p e - W i n t e r a. O. 8. 63. 93. 108f. Taf. 32. 33. 46 — 50. Von Hampe wird diese primitive Scheibe als »Dreherchen« bezeichnet. Eine Sonderentwicklung dieser Technik — Zuhilfenahme des Fußes beim Drehen der Scheibe, deren eigentlicher Antrieb durch einen Gehilfen vorgenommen wird — findet sich in Ägypten schon auf einem Fresko aus der Zeit der 18. Dynastie (N. de Garis Davies, The Tomb of KenAmun at Thebes I [1930] Taf. 59. Rieth a. O. Abb. 47). Paris, Louvre B 302. S. Mollard-Besques, Catalogue Raisonne des Figurines et Reliefs en Terre-Cuite I (1954) 44 Taf. 33. Sehr ähnlich ist die Terrakotta einer Töpferin aus Megara Hyblaea (Syrakus, Mus. Naz. Inv. Nr. 9957), die ebenfalls aus einem Grabe des letzten Viertels des 6. Jhs. stammt. So S. Mollard-Besques a. O. Gaudron, Bull. Soc. Preh. 50, 1953, 5 6 2 - 5 6 4 .
57
58
59
60 61
62
Afrikanische Vergleichsbeispiele in Abb. l a - e . H a m p e - W i n t e r a. O. (Anm. 33) Taf. 26, 1; 29, 2; 42, 2. K N Ap 639, 7. M. V e n t r i s - J . Chadwick, Documents in Mycenaean Greek (1956) 420. Noble a. O. (Anm. 41) Abb. 74. Den Malerinnen späterer Zeit hat Plinius (NH. X X X V 147) ein Kapitel seines Malerbuches gewidmet. Vgl. z. B . Thimme, AntK. 7, 1964, 26. Pygmäen im Maleratelier: F. Mazois, La Maison de Scaurus 118 Taf. 7. Heibig Nr. 1537. Eroten als Goldschmiede: Pompei, Vettierhaus (OlForsch. V [1964] 245 Abb. 70). Ferner: L. Curtius, Die Wandmalerei Pompejis (1929) Abb. 90. 93. H. Blümner, Technologie und Terminologie der Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern (1887) IV 369ff. Abb. 5 6 - 5 8 . H. G. Horn, Mythologische Untersuchungen zum Kölner Dionysosmosaik (Diss. Köln 1968), Kapitel: Eros und Löwe.
E I N E A T T I S C H E K L E I N M E I S T E R S C H A L E MIT T Ö P F E R S Z E N E N
147
aus den Isismysterien — mit den Bewohnern der Inseln der Seligen herausgestellt. Wenn diese sich jedoch mit so 'bürgerlichen' Beschäftigungen wie Kunst und Handwerk abgeben, so kann das nur heißen, daß sie diese Tätigkeit ohne Zwang und Mühen ausführen, also jene glückliche Stufe des Lebens erreicht haben, die unter der Herrschaft des Kronos einmal in der Vorzeit möglich gewesen war und die jetzt das Hoffen der politisch unmündig Gehaltenen in die Form der religiösen Utopie kleidet 63 . Daß in der handwerklichen Arbeit nicht unbedingt eine entehrende, minderwertige Lebensweise gesehen wurde, lehrt Aristoteles, der den vor allen gerecht nennt, der von seiner eigenen Hände Arbeit lebt 6 4 . Zwar stammen diese Vergleiche aus anderen Epochen der antiken Welt, doch meine ich, daß gerade wegen der Erwähnung des gerechten Lebens hier mit Einflüssen einer alten TheoA b b 6 i Terrakottastatuette einer Töpferin. logie zu rechnen ist, die als Volksreligion geParis, Louvre rade im sepulkralen Bereich schon früh ihren Niederschlag findet. In den aus Gräbern stammenden Töpferfiguren hätte man also entsprechend diesen Erwägungen ins Jenseits projezierte Darstellungen eines gerechten und glücklichen Lebens zu sehen. Es hieße jedoch, den Bogen der Interpretation überspannen, wollte man in allen Handwerkerszenen Jenseitsdarstellungen erkennen. Vielmehr muß man, wie gerade die Scherben der auf der Athener Akropolis 65 gefundenen Töpferweihungen zeigen, in ihnen auch die ganz naive Darstellung der eigenen Tätigkeit und Leistung sehen, die aus dem Weihgeschenk an die Gottheit ein Denkmal eigenen Ruhmes macht 6 6 . Zurück zur Fußschubscheibe. Fruchtbar konnte diese Erfindung wohl erst werden, als man eine Antriebsscheibe für die Füße von der in Sitzhöhe laufenden Arbeitsscheibe trennte. Das geschah im Laufe des Hellenismus, als die Kunst der Töpfer und Vasenmaler längst zu einer schematisierten Massenproduktion abgesunken war, da das Profitstreben der Manufakturunternehmer 67 in immer stärkerem Maße die billige Sklavenarbeit ausnutzte 63
64
65
Vgl. z. B . I. Trencsenyi-Waldapfel, Untersuchungen zur Religionsgeschichte (1966) 133 bis 154. Aristoteles, Rhetorik I I 4, 1381a. Auf die große Bedeutung dieser Stelle machte aufmerksam R. v. Pöhlmann, Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt 3 (1925) I 232 Anm. 4. s. oben Anm. 5 Nr. 12 — 18 (Nr. 17 wurde zwar auf der Pnyx gefunden, doch kann es sich dabei sehr gut um eine Verschleppung von der Akropolis selbst handeln). Ebenfalls aus einem Heiligtum stammen j a auch die korinthischen Pinakes Nr. 1 - 7 .
10*
66
Diesen Funktionswandel beobachtet sehr genau Pausanias bei der Beschreibung der Denkmäler in Olympia (V 21, 1; 25, 1). Die Sorge um den Ruhm bei den Mitmenschen spricht sehr deutlich die ebenfalls von ihm selbst hergestellte Weihung des Töpfers Nikomachos aus (Terrakottapfeiler aus Lukanien, Ende 6. J h . in Neapel, Mus. Naz. L. H. Jeffery, The Local Scripts of Archaic Greece [1961] 255).
67
Töpferei als Manufakturbetrieb: F. Heichelheim, Wirtschaftsgeschichte des Altertums (1938) 373ff., bes. 379. Massenproduktion in der Antike: Hill, AJA. 48, 1944, 370.
148
DIETER
METZLER
und deren Ausbeutung durch technische Veränderungen des Arbeitsgerätes intensivierte. Durch den Fußantrieb wurde dabei zwar die Arbeitskraft des Drehers eingespart, aber die Konzentration des numehr mit Händen und Füßen gleichzeitig tätigen Hand- (und Fuß)werkers scheint doch wohl beträchtlich gelitten zu haben. Die Arbeitsteilung der älteren Produktionsweise dagegen hatte durch den in der Form des Agons sanktionierten Wettbewerb 88 der spezialisierten Fachkräfte künstlerische Meisterleistungen hervorgebracht, die später durch den Zwang der unter den repressiven gesellschaftlichen Bedingungen eingeführten technischen Standartisierung der Massenproduktion ebenso untergingen wie gleichzeitig die Signaturen, die vom Selbstbewußtsein ihrer Meister künden, verschwinden mußten 69 . Vielleicht war es auch das Selbstbewußtsein der Töpfermeister, das zur Beibehaltung der einfacheren Scheibe beitrug: Als die wahren Könner befaßten sie sich nur mit der künstlerischen Gestaltung des Tones, während sie die grobe Arbeit Hilfskräften überließen. Das andere Bild unserer Schale zeigt wiederum die Töpferscheibe in der Mitte, auf der diesmal auf einem kleinen Tonsockel 70 die fertige Kleinmeisterschale mit den schon angefügten Henkeln steht. Während auf der gegenüberliegenden Seite der erste Arbeitsvorgang bei der Herstellung eines Gefäßes, das Aufsetzen des Tonkloßes, dargestellt ist, sieht man hier das letzte Handanlegen: Links von der Scheibe sitzt auf einem Hocker ein unbekleideter unbärtiger Mann, der mit seinem linken Zeigefinger den oberen Rand des Sockels unter dem Gefäß berührt und mit der rechten Hand einen länglichen in Deckweiß aufgemalten Gegenstand in Höhe des Schalenfußes hält. Auf der anderen Seite der Schale fehlt diesmal der mitarbeitende Kollege. Statt dessen steht dort ein Mann im langen bunten Mantel und mit langem Haar. Er ist unbärtig und hält die rechte Hand wie im Redegestus vorgestreckt. Was macht der Handwerker? Ich vermute, daß es sich hier wiederum um den Töpfer handelt. Der längliche weiße Gegenstand in seiner Rechten muß nach der archaischen Farbsymbolik aus schimmerndem Material, also Metall, sein. Der Form nach ist es ein Spachtel. Solche Geräte, Messer, Schaber oder Spachtel, benutzte auch der antike Töpfer zum Profilieren oder Schneiden des Tones71. Die Handhaltung unseres Töpfers hier ist die gleiche wie die eines korinthischen Töpfers 72 , der einen Profilstab an einen Aryballos hält und mit der rechten Hand an den Außenrand der Scheibe faßt, um sie zu drehen. Auf unserem Bild steht die Scheibe jedoch still — übrigens auch auf dem Gegenbild der anderen Schalenseite— denn die schwere Scheibe kann nicht durch Berühren des verhältnismäßig unstabilen Tonkloßes in ihrer Mitte in Schwung versetzt werden, zumal nicht mit dem Zeigefinger, den unser Töpfer wie abtastend und maßnehmend genau an die durch Ritzung bezeichnete Nahtstelle legt, wo die Schale mit ihrem Fuß auf dem Sockel ruht. Um die Darstellung nicht durch Überschneiden der Arme zu verunklären, wird die rechte Hand mit dem Metallgerät etwas höher gehalten. Dargestellt ist der letzte Arbeitsvorgang, nämlich das Abtrennen der fertig getöpferten Schale mit einem flachen Messer von dem Kloß, auf dem sie 68
69
Töpferagone: Preuner, Jdl. 35, 1920, 69f. Wettbewerb als agonistisches Element im Bereich der Handwerker schon bei Hesiod (Erga 25). Sehr bezeichnend ist die kühne Behauptung des Euthymides auf seiner Amphora in München (2307, Beazley, ARV. 2 26, 1), sie besser gemacht zu haben als Euphronios es je vermochte. Bemerkenswerterweise werden die Signaturen der Töpfer und Maler seit dem Ende des 5. Jhs.
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71
immer seltener, begegnen im 4. Jh. noch gelegentlich in Unteritalien und treten im Hellenismus so gut wie gar nicht mehr auf. Dieser Tonsockel ist bei der Herstellung kleiner Gefäße auch sonst dargestellt (Anm. 5 Nr. 7, 9, 14). Richter a. O. (Anm. 51) 84f. £üorpov, Koiris oder ijaxocipoc können die dazu benutzten Geräte 72 heißen. s. oben Anm. 5 Nr. 7.
E I N E ATTISCHE K L E I N M E I S T E R S C H A L E MIT T Ö P F E R S Z E N E N
149
ruht 73 . Bei dieser Tätigkeit muß die Scheibe genauso stillstehen wie beim ersten Arbeitsgang, dem Aufsetzen des zu gestaltenden Tonkloßes, deshalb sitzt in der gegenüber dargestellten Szene der Dreher — denn das muß er sein, da auf allen anderen erhaltenen Bildern der rechts von der Scheibe Sitzende stets der Dreher ist 7 4 — auch abwartend abgewendet. Beim letzten Arbeitsvorgang wird er nicht mehr benötigt und braucht also nicht mehr dargestellt zu werden — wie auch der Bärtige, der den Ton zubereitete, seinen Platz für den Töpfer mit dem Hocker freigemacht hatte. Daß das Töpfern in beiden Szenen dargestellt wird und das Malen gar nicht, entspricht ganz dem Bild, das die Signaturen der Kleinmeisterschalen bieten: Stets ist es nur die ETrofecrEv-Formel, mit der der Künstler sich nennt. Ob darin jedoch die Bemalung des Gefäßes durch den Töpfer selbst mit gemeint ist, bleibt angesichts der Ausschließlichkeit 75 dieser Formulierung zu überlegen. Jedenfalls wird dadurch die Vorrangstellung des Töpfers klar hervorgehoben. An der Stelle des Drehers steht jetzt der prächtig gekleidete Mann mit dem langen Haupthaar 76 . Die Bestimmung dieser Person scheint verschiedene Deutungen zuzulassen. Man könnte sich vorstellen, daß es der Leiter der Werkstatt ist, der hier ähnlich wie der in einen Mantel gekleidete Alte mit dem Stab die Töpferarbeit auf dem Fries der bekannten Münchener Hydria 77 beaufsichtigt. Oder es könnte ein Auftraggeber sein, der hier die Herstellung der für ihn geleisteten Arbeit beaufsichtigt, wie etwa der König Arkesilaos von Kyrene auf der
73
In meiner ersten Bekanntmachung der neuen Schale (Karlsruher Fächer 3, 1968, 1, Februarheft S. 1) hatte ich zunächst geglaubt, daß, wenn auf der einen Seite der Töpfer dargestellt ist, auf der anderen wohl der Maler zu sehen sein muß. Doch ist letzteres schlecht möglich, zumal wenn man berücksichtigt, daß Maler in den Darstellungen (vgl. J . V. Noble, The Techniques of Painted Attic Pottery Abb. 74, 207. 208) ihr lederhart gebranntes Gefäß stets frei in der Hand halten und es eigentlich nur zum Ziehen einer Kreislinie mit besonders langem Pinsel (Anm. 5 Nr. 14) auf der Töpferscheibe stehen haben. Lederharte Gefäße — dieses Stadium erreichen sie nach der Lufttrocknung — sind, ohne Beschädigungen zu riskieren, mit der Hand zu halten, da sie »eine erstaunlich hohe Festigkeit und Widerstandsfähigkeit« besitzen (Marwitz, ÖJh. 45, 1960, Beibl. 219 nach: F. Oberlies-G. Pohlmann in Abh. des VI. Intern. Keramischen Kongr. Wiesbaden 1958, 157 ff.). Außerdem entspricht die Stellung der Hand nicht der Handhabung eines Pinsels, sondern wegen ihres festen Zugriffs der eines messerähnlichen Gerätes. — Übrigens weist die Handhaltung der Künstler auf der Caputi-Hydria diese eindeutig als Maler aus (Noble a. O. Abb. 74). Schon deshalb halte ich den Einwand von R. Green (JHS. 81, 1961, 73ff.), es handle sich hier um die Darstellung einer Bronzewerkstatt, für verfehlt, zumal da keramische Formen ja gelegentlich Bronzegeräte nachbilden und es sich anderer-
74 75
76
77
seits bei den von Green herangezogenen Ver gleichsstücken, die eindeutig — weil von Göttern benutzt — Metallgeräte sind, nur um Phialen und Oinochoen handelt, wie sie auf der CaputiHydria überhaupt nicht dargestellt sind. s. oben Anm. 5 Nr. 12, 15, 17. Die einzige, sehr charakteristische Ausnahme macht der Maler Sakonides, der für mehrere Töpfer (Tlenpolemos, Kaulos, Hischylos) arbeitete und dessen Kleinmeisterschale, die er als Maler signierte, bezeichnenderweise eine mit einem ungewöhnlich vielgestaltigen Figurenfries geschmückte Bandschale ist (A. Rumpf, Sakonides [1937] 23f. Nr. 1, 2, 16 und 18). Ähnlich beschreibt Furtwängler a. O. Nr. 815 (oben Anm. 5 Nr. 3) eine Töpferszene auf einem korinthischen Täfelchen, von dem leider keine Abbildung zur Verfügung steht. Auch dort sitzt ein — unbärtiger — Töpfer nach rechts gewandt an seiner Scheibe, während »rechts vor ihm ein zusehender Mann im Mantel« steht. Also im Motiv unserem Bild sehr ähnlich. s. oben Anm. 5 Nr. 10. Das in der Nachzeichnung bei A. Furtwängler Reichhold, Griechische Vasenmalerei I Text S. 159 ergänzte Weiß der langen Zöpfe und des Bartes ist weder auf dem neuen Photo bei Noble a. O. Abb. 73 noch in der Zeichnung der Erstpublikation von O. Jahn (Über ein Vasenbild, welches eine Töpferei darstellt in Berichte d. kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. 25. 2. 1854, Taf. I 1) zu sehen. Beide Male ist dort der Mann nur als glatzköpfig zu erkennen,
150
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berühmten lakonischen Schale das Verladen seines Silphions überwacht 78 . Beide Erklärungen sind jedoch wahrscheinlich nicht ganz schlüssig: Der Redegestus wäre bei dem Werkstattbesitzer überflüssig, denn für einen so selbstverständlichen Werkvorgang brauchte er keine Anweisungen zu geben. Auch der Auftraggeber wird kaum dargestellt sein, denn die keramische Form, und um deren Darstellung handelt es sich in dieser Szene, wird unabhängig vom Besteller allein vom Töpfer bestimmt. Ferner lehren die Besitzerinschriften 79 , die nach dem Brand in das Gefäß eingeritzt werden, daß das Produkt für den Markt und nicht für ein bestimmtes Individuum 80 hergestellt wird. Das wird durch die Fundsituation der Gefäße — manche der Vasen mit Töpferszenen stammen aus Italien 81 — unterstrichen, denn der Käufer 'in Übersee' wird kaum die Möglichkeit gehabt haben, in Athen unmittelbar im Kerameikos die Produktion zu beeinflussen. Vielleicht kommt ein dritter Vorschlag der Deutung näher: Wegen des Redegestus der vorgestreckten rechten Hand könnte es sich um einen jener Müßiggänger handeln, die gelegentlich in Werkstattszenen dargestellt sind. Sie schauen dem Handwerker bei der Arbeit zu und unterhalten sich mit ihm oder anderen Anwesenden — so wie Diogenes Laertius von der Werkstatt des Schusters Simon berichtet, die man vor einigen Jahren an der Agora wieder entdeckte 82 , daß dort Sokrates sich zum gelegentlichen Schwatz oder zum philosophischen Disput einfand. Solche müßigen Zuschauer finden sich etwa auf der Erzgießerei-Schale in Berlin83, in der Schusterwerkstatt der Amphora in Oxford 84 und einer anderen in Boston, in der Schmiede auf der Gegenseite derselben Amphora 86 oder auch in der Schulszene der Duris-Schale in Berlin 86 . Die Bostoner Schmiedeszene erinnert geradezu an eine der hesiodeischen Mahnungen 87 : »Geh an der Schmiede vorbei mit ihrer vielbesuchten Halle«. Ähnlich hat auch bei Homer die Schmiede die Funktion eines geselligen, öffentlichen Treffpunktes 88 . Andererseits baut man für eben diesen Zweck bestimmte Gebäude — die Leschen89, die in ihrem Namen das Schwätzen (Aeaxa^eiv) einschließen90. Diese Lesche kann auch als politischer Versammlungsort 91 dienen. Wie andererseits ein politisches Verwal-
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Paris, Cab. Med. 189. P. A r i a s - M . Hirmer, T a u send J a h r e griechische V a s e n k u n s t (1960) Taf. X X I V . Alle Besitzer-Inschriften sind nach dem B r a n d eingeritzte Graffiti (P. Kretschmer, Die griechischen Vaseninschriften [1894] § 3, 4. A. Mallw i t z — W . Schiering, Die W e r k s t a t t des Pheidias in Olympia, OlForsch. V, 1964, 149ff. R. M. Cook, Greek P a i n t e d P o t t e r y [1966] 259). N u r sehr wenige, sehr f r ü h e Vasen h a b e n schon vor dem B r a n d gemalte Besitzerinschriften. Sie gehören einer primitiven P r o d u k t i o n s s t u f e an, auf der m a n f ü r den Eigenbedarf bzw. f ü r ein sehr beschränktes also übersehbares Auftragsgebiet arbeitet. Den Kauf von Keramik, die auf dem M a r k t angeboten wird, zeigt das Innenbild einer Schale des P h i n t i a s in Baltimore, Beazley, A R V . 2 24, 14. G. M. A. Richter, T h e Craft of Athenian P o t t e r y Abb. 85. P o t s a n d P a n s of Classical Athens, Agora P i c t u r e Book Nr. 1 (1958) Abb. 12,
81
s. oben A n m . 5 Nr. 8, 9, 10, 17, 19. D. B. Thompson, Archaeology 13, 1960, 234ff. Diog. L a e r t . I I 122. 83 Berlin F 2294. Beazley, A R V . 2 400, 1. CVA. (2) Taf. 72, 2. 84 Oxford, Ashmolean Mus. 563. Beazley, ABV. 396, 21. J H S . 28, 1908, 313 Taf. 30. 85 Boston, A m p h o r a 01. 8035. P. Cloche, Les Classes Taf. 23, 1 S. Reinach, Rep. des Vases Peints I 224. 86 Berlin F 2285. Beazley, A R V . 2 431, 48. CVA. (2) Taf. 77. 87 Hesiod, E r g a 493. 88 Homer, Od. X V I I I 328. 89 R E . X I I 2133f. s.v. Leschai (Oehler). So J . B. H o f m a n n , Etymologisches W ö r t e r b u c h des Griechischen (1950) 177. E i n e E n t l e h n u n g 90 aus dem semitischen Sprachbereich (Ed. Meyer, Kleine Schriften [1924] 102, 2) ist d a h e r abzulehnen. 91 D a r e m b e r g —Saglio 1105 s. v. Lesche. 82
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tungsgebäude 6r||iiovpyiov heißen kann 92 . Arinioüpyos aber ist sowohl der politisch wie der handwerklich für die Gesamtheit Tätige; wir finden hier im Sprachlichen die Erinnerung an einen frühen Zustand der griechischen Gesellschaft bewahrt, in der der Handwerker als Spezialist, der für die Gesellschaft als Ganzes und noch nicht für eigene Rechnung arbeitete, dafür von der Gesellschaft einen Teil des agrarischen Mehrproduktes zugewiesen erhielt 93 . Dementsprechend war sein Arbeitsplatz ein Ort, der allen zugänglich war; und diese Funktion eines öffentlichen Treffpunktes hat die Handwerkerstube auch unter veränderten Produktionsverhältnissen noch lange beibehalten, ja sie übertrug sich auch auf das Atelier des bedeutenden Künstlers, wenn man sich an den 'wahren Kern' einer Anekdote hält, wonach Perikles sich in der Werkstatt des Phidias mit Frauen angesehener Bürger verabredete, die sich dort trafen 94 . Ein solcher Müßiggänger scheint der prächtig gekleidete Mann zu sein, der die Arbeit des Töpfers mit 'weisen Ratschlägen' begleitet. Ob andererseits der Töpfer und seine Helfer wegen ihrer Nacktheit als Sklaven anzusehen sind, ist nicht sicher zu entscheiden. Doch muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, da in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. Sklaven schon gelegentlich in athenischen Werkstätten beschäftigt wurden. Auch im Kerameikos hat es Sklaven gegeben95. Darauf deuten manche Namen aus nicht-griechischen Sprachen und manche Herkunftsbezeichnungen als Namen von signierenden Töpfern hin 96 . Daß aber diese fremden Sklaven — oder natürlich auch Metöken, die als Ausländer ja ebenfalls fremde Namen tragen können — ihre Werke signierten, spricht nicht allein für ihr Selbstbewußtsein, sondern auch für das Ansehen, das sie sich durch ihre handwerkliche Leistung, die ihre Kunden wohl zu schätzen wußten, erwarben 97 . Die hier ausführlich behandelten Szenen sind nur gut briefmarkengroß und nehmen auf dem Rand der Trinkschale die Stelle ein, wo gewöhnlich bei diesem recht weit verbreiteten Gefäßtypus in wappenartiger Komposition etwa eine Tierkampfgruppe oder ein ähnliches Motiv angebracht ist. Der Seltenheit entspricht die Bedeutung der Szenen: Wir dürfen in ihnen die Selbstdarstellung eines sich zu höchster Blüte entfaltenden Handwerkszweiges sehen. Ein Töpfer hat hier seine Tätigkeit für so wichtig gehalten, daß er sie entweder selbst oder durch die Hand seines Maler-Kollegen im Bilde festhielt — nicht in einem beliebigen Weihebild 98 , sondern auf dem von ihm selbst hergestellten Gegenstand hat er 92
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G. Busolt —H. Swoboda, Griechische Staatskunde I (1920) 161 Anm. 2. G. Thomson, Frühgeschichte Griechenlands und der Ägäis (1960) 299fl. Plutarch, Perikles 13, 15. Oliva, Klio 38, 1960, 83 Anm. 3. A. Greifenhagen, Eine attische schwarzfigurige Vasengattung 103 Anm. 128. Heichelheim a. O. (Anm. 67) 379. P. Kretschmer, Die griech. Vaseninschriften §§ 44. 45. 74. Die von Ch. Dugas (Melanges G. Glotz I [1932] 335ff.) vorgebrachten Einwände, daß Namen, die durch ein Ethnikon gebildet sind, gerade auch in attischen Adelsfamilien begegnen und insofern nichts über die ausländische Herkunft ihres Trägers aussagen können, müssen eingeschränkt werden, da die Kinder des Themistokles oder Kimon Namen befreundeter oder geachteter Landschaften tragen, während im Kerameikos die Namen
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häufig barbarische Herkunft aus wenig bedeutenden Gegenden beinhalten. Einen ausgesprochenen Sklavennamen trägt der berühmte Töpfer und Maler Epiktet, »der zu den Haussklaven neu zugekaufte« (Kretschmer a. O. § 46). Zum Zusammenleben von Sklaven und freien Lohnhandwerkern vgl. A. Zimmern, The Greek Commonwealth (1961) 264ff. - Die Gefäße mancher Werkstätten scheinen sich besonderer Beliebtheit erfreut zu haben, wie etwa die des Duris, dessen Name auf zwei ganz bestimmt nicht von ihm gefertigten Vasen die in dem Vasenbild dargestellten Gefäße schmückt (M. Wegner, Duris, [1968] 22f.). Weihungen von Töpfern auf der Akropolis: A. E. Raubitschek, Dedications from the Athenian Akropolis (1949) Katalog Nr. 44, 150, 178, 197, 225 und möglicherweise 92 und 209, J. D. Beazley, Potter and Painter 21 ff.
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zwei Vorgänge aus dessen Herstellungsprozeß dargestellt bzw. darstellen lassen. Sorgsam durchdacht sind die beiden Momente ausgewählt: Beide Male wird nicht der eigentliche Ablauf der Tätigkeit dargestellt, sondern der entscheidende Augenblick, in dem etwas Neues begonnen bzw. etwas Fertiges abgeschlossen wird. Der Intention nach steht diese Kleinmeister-Leistung ebenbürtig neben den leider nur literarisch überlieferten Selbstzeugnissen des großen zeitgenössischen Bildhauers und Ingenieurs Theodoros von Samos" — seinem Selbstporträt und seinen Miniaturskulpturen, in denen er sich und sein Meisterwerk der staunenden Mitwelt vorstellt, die ihrerseits allem Neuen und allen individuellen Glanzleistungen höchst aufgeschlossen gegenübersteht. Das Genrebild ist die Bildform 100 , in der im peisistratidischen Athen 101 die sich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bewußtwerdende Klasse der Kaufleute und kleinen Warenproduzenten den künstlerischen Ausdruck ihres erwachenden Selbstbewußtseins findet. Die Töpferszenen der neuen Kleinmeisterschale in Karlsruhe sind dafür ein bezeichnend originelles Beispiel. Köln
Dieter Metzler
NOTE ON PROMETOPIDIA A passage in E. Kunze's article on »Prometopidia« in the Olympiabericht VIII (1967) 194f., calls attention to the fact that both the purpose and the manner of attachment of the bronze hinged horse frontlets found in Cypriot 8th and 7th cent. B. C. tombs over the past few years are not generally understood. In the 'dromoi' of four royal tombs excavated during recent years at Salamis skeletons of horses have been found with bronze frontlets in situ on their foreheads (Figs. 1. 2)1. The upper section of these frontlets was as a rule found curved to fit exactly on the cushion which lay underneath it (Figs. 3. 4). The hinge of the frontlet was always above the level of the eyes, allowing the upper curved part to be attached to the strap behind the ears. The top of the upper part of the frontlet terminates for this purpose in a hook. Near the top of the upper part of the frontlet there was often a curving crest for feathers, as are often seen on reliefs appearing between the ears of the horses. Evidence in the round, provided by terra-cotta figurines from Cyprus, has now not only established the manner of attachment, and the reason for the two-piece format, but may explain another piece of puzzling horse gear from the Near East. A 6th cent, chariot 99
Plinius, N H . 34, 83. Zinserling, Acta Antiqua (Budapest) 15, 1967, 290 ff. 100 Schweitzer (Jdl. 44, 1929, 117f. Anm. 1) hat anläßlich seiner Untersuchungen zur Entwicklung der Bildform eine Reihe der am Ende des 6. Jhs. auftretenden 'Sittenbilder' zusammengestellt. 1:1 Zur Bedeutung der Tyrannis des Peisistratos
für die sozialen Wandlungen in Athen vgl. G. Thomson, Die ersten Philosophen (1961) 178 ff., bes. 184. 1
The Salamis material has already been published : see mainly V. Karageorghis, Excavations in the Necropolis of Salamis I (1967) ; idem, RA. 1969, 57 ff.
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Fig. 1. Salamis T o m b 2. H e a d of a skeleton of an ass with t h e bronze gear in situ
model from Tamassos, now in the British Museum (Fig. 6)2 and another from Ayia Irini, now in the Medelhavsmuseet, Stockholm show clearly the use of frontlet and cushion. It is even more clearly seen and in detail on a terra-cotta head of a horse probably of late 6th cent. B. C. date, again from Cyprus, now in the Metropolitan Museum of Art, New York (Fig. 5)3. There is a slight difference in the lengths of the two sections of these frontlets, the upper one being always somewhat shorter than the lower. The upper end of this top section was attached to the crownpiece of the headstall, i. e. the strap that went over the horse's poll behind the ears. In some cases a half-tubular channel for a horse-hair crest curved forward
2 3
P h o t o British Museum. Fig. 6 by Courtesey of t h e Metropolitan Museum of Art, The Cesnola Coll. no. 74, 51, 1805; p u r chased by subscription 1874 — 76. — For t h e Tamassos t e r r a - c o t t a figurine see recently Masson, BCH. 88, 1964, 235f. fig. 20; for t h e Medel-
h a v s m u s e e t specimen see Gjerstad, Medelhavsmuseet Bulletin 3, 1963, 11 fig. 10 a n d cover; t h e Metropolitan Museum t e r r a - c o t t a head has already been illustrated in V. Karageorghis, E x c a v a t i o n s in t h e Necropolis of Salamis I 47 fig. 10.
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Fig. 2. Salamis T o m b 2. H e a d of a skeleton of a horse with t h e bronze gear in situ
directly over it, rising from the plate just in front of the area of attachment. This upper section of the frontlet, starting over the poll and running forward between the ears, would have protected the occiput and part of the parietal bones. The lower and slightly longer section of the frontlet, depending by a hinge from the upper one, would have protected the remainder of the parietals and the frontal and nasal bones. Because these parts of the horse's head do not lie in the same plane but form an angle, it was necessary to make the frontlet in two sections joined by a hinge. A wide, thick cushion, which appears from the Assyrian reliefs to have been of quilted material (Figs. 7. 8)4, lay under the hinged part of the frontlet. It crossed the brow from cheekstrap to cheekstrap, just under the ears. This would not only have prevented the metal from resting directly upon the animal's head in the area immediately beneath it, but appears to have been thick enough to have held the plate somewhat up from the areas above and below it. In all this area the bone is very thinly covered and there would be no natural cushioning. Moreover, the direct rays of the noonday sun in these latitudes, striking a metal plate, would generate considerable heat, hence this type of padded browband would be effective as insulation as well as a cushion.
4
London, British Museum no. 124875. P h o t o s British Museum. — H . Schäfer — W . Andrae, Die K u n s t des Alten Orients (1925) pl. 33; R . D . B a r n e t t , Assyrian Palace Reliefs (1960) pi. 84;
Y. Yadin, The Art of W a r f a r e in Biblical L a n d s (1963) 427; E . Strommenger - M . Hirmer, 5000 Years of t h e Art of Mesopotamia (1964) pi. 458.
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Figs. 3 a n d 4. F r o n t l e t of bronze from Salamis T o m b 2, with t h e upper half slightly curved
In looking for figured documents outside Cyprus to illustrate this further, one naturally turns to Assyrian reliefs, both because of the quantity of fine detail and because Cypriot harnessing of this period possesses more Near Eastern features than Greek. The earliest Assyrian evidence of protective frontlets is 9th cent. B. C., under Ashurnasirpal II. It is very hard to tell from the reliefs whether these frontlets, which appear to be flat and undecorated, cover any more than the forehead and nasal bones of the horse. In some cases they seem to continue upwards and backwards to form part of the arch that holds a crest of feathers over the poll, but in other cases no connection is visible. The first type, in which the crest holds a number of feathers together, may run from front to back, rather than transversally 5 . On the second type, the arched crests appear to hold three small distinct feathers transversally across the horse's poll6. In neither case is the brow
5
B a r n e t t , Assyrian Palace Reliefs pi. 25; Yadin, op. cit. pl. 387; Strommenger — Hirmer, op. cit. pl. 206 above.
6
B a r n e t t , Assyrian Palace Reliefs pl. 24; Yadin, op. cit. pl. 386; Strommenger — Hirmer, op. cit. pl. 206 above.
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Fig. 5. T e r r a - c o t t a head of a horse.New York.Metropolitan Museum of Art, The Cesnola Collection
cushion present, and the horse's normal forelock hangs free. On some renderings of the first type it looks as though the frontlet arched up and away from the forehead from the area of the eyes on back, but this may be due to the artist's inability to foreshorten. The second type seems to have been entirely separate from the crest and to have been suspended from an ordinary browband, the forelock hanging over it to shade it. The latter seems to have been the way in which the majority of the ivory frontlets found at Nimrud were attached. Although these, because of their material, may have been primarily for ceremonial purposes, and are usually too short to have afforded much protection, they were probably modeled after more functional prototypes 7 . The manner of their attachment, as well as that of similarly proportioned bronze pieces, is indicated by a row of holes along their upper edges, and established by the stone horse head from Zinjirli 8 . This also demonstrates that the browband (a simple strap) and the upper part of the attached frontlet lay u n d e r the forelock, although in this case the latter is parted to show the design. A wide frontlet, however, that ran back between the ears to the poll to form also a poll plate would have to lie o v e r rather than u n d e r the forelock, or it would be obstructed by the latter's roots. Of one 9th cent, type, noted above, that may have avoided this problem by arching over the forelock, there is no material evidence; of a later hinged type there is. This is not only attested in bronze in Cyprus, but in ivory at Nimrud 9 . A metal plate, however, even if hinged, would not lie very well over the forelock; it would tend to rub and break the hair, and if the forelock were thin or it parted under the plate,
7
J . J . Orchard, E q u e s t r i a n Bridle-Harness Ornaments. Ivories f r o m N i m r u d ( 1 9 4 9 - 1 9 6 3 ) I 2 (1967) figs. 1 2 8 - 1 8 7 . Similarly proportioned ivories were f o u n d a t Gordion: Young, A J A . 69, 1965, 166f.; Kohler, A J A . 69, 1965, 198 pi. 46. W e wish to t h a n k Miss Kohler for t h e estimated dimensions of these, which h a v e n o t y e t been
8
9
published. For a discussion of this t y p e of f r o n t let in bronze as well as ivory, see K a n t o r , J N E S 21, 1962, 93 ff. H . Bossert, Altanatolien (1942) pi. 905; R . D. B a r n e t t , A Catalogue of t h e N i m r u d Ivories (1957) pi. 63. Orchard, op. cit. figs. 1 9 1 - 1 9 7 .
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there would be almost no protection for the poorly padded bone here, not only from rubbing, but from the heat of the metal plate. Even under natural conditions, one of the functions of the horse's forelock is to shade his brow 10 ; it also helps to keep the insects away 11 . With this normal protection damaged or inefficient, and with possibly at times greatly increased heat in this area, a substitute would have been desirable. It seems extremely likely that the brow cushion placed beneath these hinged Cypriot frontlets was devised especially for this purpose.
10
One of t h e a u t h o r s remembers f r o m her childhood delivery-wagon horses, which would be o u t in t h e sun all day, wearing m e n ' s old straw h a t s in s u m m e r . These h a d been pierced on either side with holes, so t h a t t h e horses' ears would n o t only be free b u t would serve as pegs
11
to keep t h e m in place. W o l f f - O p i t z , AOF. 10, 1935/36, 326 suggested t h a t t h e special purpose of t h e brow cushion in Assyria was to act as a fly screen, b u t for this alone it would be less effective t h a n t h e longer and more freely hanging n a t u r a l forelock.
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Fig. 7. Assyrian stone relief with King Ashurbanipal shooting a t lions. London, British Museum
It is tempting to draw further conclusions and to suggest that a similar hinged frontlet was responsible for the introduction of the quilted brow cushion in Assyria — an object that has puzzled students of horse gear. Unfortunately, the only material evidence here consists of a few plates from hinged ivory frontlets 12 . The figured evidence is inconclusive. In it the cushion first appears in the 8th cent. B. C., under Tiglath-Pileser III, in conjunction with a threetiered poll crest, but no apparent frontlet 13 . If the latter were a thin plate, however, the artist might not have attempted to show it in strict side view. Neither should we overlook the fact that there is a lacuna of eighty years or more in the Assyrian reliefs — from the time of Shalmaneser III to that of Tiglath-Pileser III. This is a period long enough to have witnessed the introduction of a hinged frontlet and a brow cushion to go with it. Horses that sometimes wore such frontlets and had had their forelocks accordingly shaved (to accomodate the brow cushion) might have worn this cushion even when unprovided with a frontlet of any kind. This would have shaded the forehead, afforded some protection against insects, and counteracted the 'naked' look a shaven forelock produces — particularly among animals usually provided with one, as were the Assyrian horses. It may be
12 13
Orchard, op. cit. figs. 1 9 1 - 1 9 7 . R. D. B a r n e t t - M . Falkner, The Sculptures of Tiglath Pileser I I I (1962) pis. 14. 16. 67.
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Fig. 8. Assyrian stone relief with King Ashurbanipal spearing a lion f r o m t h e saddle. London, British Museum
significant that there is no instance in all these reliefs of a horse with a completely naked brow. Under Sargon II we find clear cases of the brow cushion without the frontlet 14 . Under Ashurbanipal we most frequently find the natural forelock present when the horse is without a frontlet and the brow cushion in use when there is a frontlet 15 . Unfortunately, there is nothing to indicate that the frontlet extends above the browband — rather the contrary. The most explicit document of all — a relief in Berlin, showing a quilted riding cloth and a bridle of Ashurbanipal's lying on a table — seems to prove that at least the type of frontlet always depicted under this king did not extend above the eyes, and depended from a regular browband, the cushion being extra, and that the crest is separately attached to a double crownpiece16. This type extended down to just above the nostrils, it
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B a r n e t t , Assyrian Palace Reliefs pi. 43; Yadin, The Art of W a r f a r e in Biblical L a n d s 427. A. Paterson, The Palace of Sinacherib (The H a g u e n. d.) pis. 42. 66 (top right) ; B a r n e t t , Assyrian Palace Reliefs pis. 64. 84. 85. 87. 89. 96; Strommenger — Hirmer, 5000 Years of t h e Art of Mesopotamia pis. 252. 256 — 258. Paterson, op. cit. pl. 100; C. J. Gadd, T h e
Stones of Assyria (1936) pi. 41. The best p h o t o is in E. Meyer, Altorientalische D e n k m ä l e r im Vorderasiatischen Museum zu Berlin (1965) pl. 160. W e wish to t h a n k Miss E . P o r a d a for calling our a t t e n t i o n t o t h e recent work b y B. H r o u d a , Die Kulturgeschichte des assyrischen Flachbildes (1965) 93ff. 134ff. 150ff. Although H r o u d a discusses t h e figured evidence for
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was probably of bronze, and appears to have had a raised midrib, which would make it easier to depict in strict profile. Actual specimens of this type seem never to have been found. The rather prominent projecting knob at its junction with the browband finds a parallel only among a certain type of Scythian frontlet, which is, however, much shorter, and of decorative rather than utilitarian function 17 . But while we feel we should call attention to this negative evidence, it does not seem sufficient to refute conclusively the suggestion that the brow cushion began as an accessory to a hinged frontlet — and may have continued as a fashion even when the latter was not present. Syosset, Long Island (Nicosia)
Assyrian bridling in some detail, he does not recognize the frontlet of which we seem to have evidence under Ashurnasirpal, nor that of which we do have incontrovertible evidence under Ashurbanipal.
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E. H. Minns, Scythians and Greeks (1913) figs. 45, X I I I 6. 7; 61; M. Artamonova — V. Formana, Sokrovischa Skifskich Kurganov (1966) figs. 128. 132.
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SAMOS 1968 Kastro Tigani Die vierte Grabungskampagne auf dem Kastro Tigani wurde von Anfang September bis Ende Oktober 1968 durchgeführt. Als Mitarbeiter waren außer dem Verfasser tätig: Die Archäologen Dr. R. Toelle, cand. phil. R. Felsch, stud. phil. W. R. Megow, die Architekten Dipl.-Ing. G. Precht und cand. ing. arch. H. Kienast, der Geodät Dipl.-Ing. H. Beckers, der mit der Aufmessung der Höhenlinien den Stadtplan vervollständigte. Mit der Kampagne 1968, die sich südlich an die 1965 bis 1967 ausgegrabenen Gebiete 1 anschließt und bis zum Südrand des Kastrohügels am Felsenabbruch zum Meer reicht, ist die Wiederholung der Wrede'schen Grabung von 1928 und 1930 abgeschlossen. Dies bedeutet aber nicht, daß damit bereits der gesamte Antikenbestand auf dem Kastro erfaßt wäre. Die antiken Bauten setzen sich westlich unter dem modernen Friedhof und östlich unter der augenblicklichen Siedlung fort und sollten bei späterer Gelegenheit ergraben werden (Abb. I)2. Im Grabungsabschnitt 1968 liegen der Innenhof des Südperistyls und die nördlich und westlich dazugehörenden Räume. Nach seiner endgültigen Ausgrabung wurden der Platz, soweit erforderlich, wieder aufgeschüttet, aber auch das gesamte Gelände gründlich überholt und alle verfügbaren Architekturteile ihren ursprünglichen Bauten zugeordnet. Dies nahm längere Zeit in Anspruch, da zum Transport der verschiedenen Säulen- und Gebälkstücke nur ein nicht ganz ausreichender Flaschenzug zur Verfügung stand. Nach der Aufstellung von 25 Säulenteilen des Nord- und Südperistyls und der Basilika ergibt sich nunmehr ein auch dem Laienbesucher verständliches und recht eindrucksvolles Bild des gesamten Ruinenkomplexes (Abb. 2). Eine sparsame Bepflanzung ist vorgesehen. Vorläufige Ergebnisse Vorgeschichte Die hellenistisch-römische Villa liegt in ihrer gesamten Ausdehnung, soweit bisher festgestellt, über relativ mächtigen, prähistorischen Schichten. Wo die vergangenen Grabungen bis auf den gewachsenen Boden geführt wurden, zeichnen sich heute nur noch teils unregelmäßige, teils kreisrunde Gruben ab. Im diesjährigen Grabungsabschnitt fanden sich trotz späterer Überbauung und der älteren Grabung besonders viele Stellen mit ungestörten Schichten. Obwohl diese Abschnitte wegen der genannten Störungen relativ klein teilig und isoliert sind, ließ sich doch ein Zusammenhang zwischen den verschiedenen Stratigraphien herausarbeiten. Außer den schon früher an anderen Stellen beobachteten Gruben wurden auch mehrere Pflaster- und Mauerreste gefunden. Eine beträchtliche Zahl von Gefäßen 1
J a n t z e n , AA. 1966, 164ff.; ders., AA. 1967, 274ff.; ders., AA. 1968, 687ff.
2
I m L a u f e der Arbeiten haben sich einige Kor-
11 AA. 1969
r e k t u r e n an dem Lageplan ergeben. Somit sind die beiden älteren Pläne (AA. 1966, 164 Abb. 10 u n d AA. 1967, 276 Abb. 2) überholt, u n d an ihre Stelle t r i t t der hier abgebildete Gesamtplan.
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ULF
JANTZF.N
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Abb. 1. Kastro Tigani. Lageplan
und Scherben, Obsidian- und Steingeräten ergänzt die älteren Funde und bietet eine gesicherte Basis für die Bearbeitung des gesamten Komplexes.
SAMOS 1968
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Abb. 2. Kastro Tigani. Blick von Nord nach Süd
Hellenistisch-römische Villa Vom Südperistyl wurden in diesem J a h r folgende Teile untersucht: die Westräume, die nördliche und westliche Säulenhalle und der größere Teil des Innenhofes. Nicht ausgegraben wegen der modernen Überbauung blieb der Ostteil — schätzungsweise ein Drittel der ganzen Anlage — und der Westabschluß mit unbekannter Ausdehnung. Die Südseite ist teilweise ins Meer gestürzt, doch reichen die erhaltenen Partien für eine Rekonstruktion aus (Abb. 1). Der hellenistische Innenhof von 19,73 x 13,95 m Achsweite ( = 70 x 50 attische Fuß) wurde in römischer Zeit erweitert, indem der Weststylobat um 1,08 m nach Westen verschoben wurde. Gleichzeitig wurden ein Umlaufkanal mit wechselnd runden und eckigen Becken sowie ein Mittelkanal mit Springbrunnen angelegt. Aus den Verputzschichten läßt sich eine viermalige Erneuerung — wie auch beim Wasserkanal des Nordperistyls — ablesen. In der Südwestecke des Südhofes wurde ein bisher unausgegrabener Brunnen von etwa 1 m Durchmesser angeschnitten. E r konnte bis auf eine Tiefe von 10 m ausgehoben werden, ohne daß damit das Grundwasser erreicht wurde. Die Auffüllung des Brunnens bestand leider in der Hauptsache nur aus viel Erde mit mehr grober als feiner Keramik. Eine vorläufige Durchsicht ergab ein Zuschüttungsdatum in archaischer oder frühklassischer Zeit. Südkapelle Innerhalb des Südhofes und auf dessen Weststylobat übergreifend wurde in mittel- oder spätbyzantinischer Zeit eine kleine Kapelle errichtet, deren bescheidene Reste in der Erst-
164
ULF
J A N T Z E N
Abb. 3. Bronzemünze des Manuel I. Komnenos
grabung abgetragen wurden. Dennoch ließen sich aus geringen Bodenspuren und alten Photographien Lage und Grundriß wiedergewinnen. Ihre genaue Datierung bleibt freilich offen. A r b e i t e n im G e b i e t d e r S t a d t S a m o s Kaiserzeitliche Wasserleitung Die Untersuchungen zum Verlauf der kaiserzeitlichen Wasserleitung, bereits im Vorjahr begonnen, wurden fortgesetzt. Nach den bisherigen Vorstellungen war ihr Ausgangspunkt im Tal westlich von Myli zu suchen, wo auch der Imbrasos entspringt. Weit zu verfolgendes Mörtelmauerwerk des rechteckigen Kanals führt hoch in das quellenreiche Gebirgstal hinauf, ohne daß bisher das Quellhaus aufgefunden werden konnte. Unmittelbar östlich von Myli ist ein relativ gut erhaltener Aquädukt zu verzeichnen, der den Verlauf der Leitung zur Stadt hin angibt. Innerhalb des Stadtgebietes konnten vor allem im Chesios-Tal weitere Abschnitte aufgefunden und gereinigt werden. Ein etwa 15 m langes und außergewöhnlich gut erhaltenes Stück der Leitung wurde im Zusammenhang mit den Arbeiten an der Zisterne (Stadtplan N 31) freigelegt. Zisterne (N 31) Bei den Beobachtungen zur kaiserzeitlichen Wasserleitung war bereits 1967 eine weitgehend verschüttete Zisterne aufgefallen 3 . Wegen ihrer guten Erhaltung und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zur Wasserleitung erschien eine Ausgrabung sinnvoll und erforderlich. Es handelt sich um eine Zisterne von rund 11 x6,50 m Innenmaß. Sie ist mit zwei Längstonnen eingewölbt, die sich in der Mitte auf eine von vier Bogenöffnungen durchbrochene starke Wand stützen. Unsere ältere Vermutung, daß die Zisterne mit der südlich vorbeilaufenden Wasserleitung zusammenhinge, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr muß die Zisterne älter sein als die Wasserleitung, da diese die äußeren Stützpfeiler der Zisterne zerstörte. Weder die Untersuchungen der Wasserleitung noch die der Zisterne ergaben handgreifliche Möglichkeiten für eine absolute Datierung ihrer Erbauungszeit.
3
J a n t z e n , AA. 1968, 692.
SAMOS 1968
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Abb. 4. Totenmahlrelief
Aus der sehr exakten Bauweise der Zisterne könnte man auf die frühe Kaiserzeit schließen, so daß die Wasserleitung gegen Ende des 1. oder Anfang des 2. Jahrhunderts gebaut worden sein kann. Nach Aufgabe als Wasserreservoir wurde die Zisterne in byzantinischer Zeit zu Wohnzwecken verwendet. Aus dieser Zeit stammt auch der Großteil der gefundenen Keramik, sowie zwei Münzen (Abb. 3)4. Unter den Funden älterer Zeit ist nur ein späthellenistisches Totenmahlrelief (Abb. 4) in zweiter Verwendung als Pithosunterlage zu erwähnen. Zwei Skelettgräber im Innern der Zisterne geben wegen des ungewöhnlichen Bestattungsortes einige Rätsel auf. Die Skelette wurden von dem Anthropologen Prof. A. Poulianos (Athen) untersucht. Athen
4
Bronzemunze Manuel I. K o m n e n o s : W . W r o t h , Catalogue of t h e Imperial Byzantine Coins in
Ulf J a n t z e n
t h e British Museum I I 574 Nr. 34 — 38 Taf. 70, 3,
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HELMUT
KYRIELEIS
ORIENTALISCHE BRONZEN AUS SAMOS Die in Abb. 1—3. 5 wiedergegebene Bronzestatuette 1 wurde 1901 in Samos gekauft. Sie soll in Kastaniä bei Karlovasi gefunden worden sein — eine Angabe, an der zu zweifeln kaum Grund besteht. Die Bronze wurde von ihrem ersten Besitzer, Swainson Cowper, 1909 als griechische Frauenfigur bekanntgemacht 2 . E. Buschor 3 sah in ihr den »frischen Durchbruch hocharchaischer Sinnenfreude in Gesicht, Haar und Gewand«, obwohl ihm das orientalische Gepräge der Figur keineswegs entging. Nachdem in den jüngsten Erörterungen über die Zuweisung orientalischer Bronzen an einzelne Herkunftsbereiche verwandte Figuren stärkere Beachtung gefunden haben, erkennt man leicht, daß die Statuette aus Samos ein vorderasiatisches Importstück ist. Dargestellt ist ein Gott, gekleidet in ein knöchellanges kurzärmeliges Gewand mit Fransensaum. In der Taille ist durch eingetiefte Linien ein breiter Gürtel angedeutet. Undeutlich ist ein Halsband mit einem mandelförmigen Anhänger zu erkennen. Als Gott ist die Figur durch die Hörnerkrone gekennzeichnet. Die Hörner führen waagrecht von den Seiten nach vorn und sind nur an den Enden über der Stirn nach oben gebogen. In der flachen Oberseite der Hörnerkrone befindet sich eine runde Öffnung von 3 mm Durchmesser, die für eine Verwendung der Figur als Gerätstütze zu klein ist. Sie hat sicherlich zur Befestigung eines der Göttersymbole gedient, die häufig auf Hörnerkronen dieser Form dargestellt sind (z. B. Anm. 7. 12). Das lange Haar fällt in breiter, spitz zulaufender Masse auf die Schultern und bis tief in den Rücken hinab. Es ist durch waagrechte Rillen plastisch gegliedert und zusätzlich durch senkrechte Ritzlinien bereichert, die in widersinniger Weise auch auf die Hörnerkrone übergreifen 4 . Beide Arme, mit Armreifen an den Handgelenken, sind nach vorn angewinkelt. Die Rechte ist in einer Segensgebärde geöffnet, die geschlossene Linke hielt, wie eine hindurchführende Bohrung zeigt, ursprünglich ein Szepter oder eine Waffe. Das Gesicht ist stark verrieben, so daß Einzelheiten nur unscharf hervortreten. Außer der rundlichen Form des Gesichtes erkennt man die betonten Brauenbögen und den länglichen Schnitt der wulstumrandeten Augen. Merkmale des plastischen Aufbaues sind die überlängte, asthenische Statur, die gestreckten Linien des Umrisses, die Abflachung des Unterkörpers und das eckige Ausbiegen der Hüften. Übereinstimmende Züge findet man bei urartäischen Götterfiguren aus Toprakkale (Abb. 4)5 und aus dem samischen Heraion 6 . Diese Figuren haben auch den gleichen etwas 1
London, Brit. Mus. 1951, 6 - 6 - 2 . Höhe ohne die Guß- und Einlaßzapfen 10 cm. R. A. Higgins danke ich für freundliche Auskunft zu dem Stück. Abb. 1—3. 5 by Courtesy of the Trustees of the British Museum.
2
JHS. 29, 1909, 192ff.
3
Altsamische Standbilder V 81 f. Abb. 3 3 6 - 3 3 7 .
4
Da diese Ritzlinien keine Rücksicht Hörnerkrone nehmen, ist zu vermuten, erst nachträglich auf Samos eingraviert $ind, wo die Form der orientalischen
auf die daß sie worden Hörner-
5
6
krone nicht geläufig war und daher mißverstanden werden konnte. Barnett, Iraq 12, 1950 Taf. 18, 2. Abb. by Courtesy of the Trustees of the British Museum. Die Vorlage für die bisher noch nicht abgebildete Rückansicht wird der liebenswürdigen Vermittlung von R. D. Barnett verdankt. Walter-Vierneisel, AM. 74, 1959, 39f. Beil. 79. 80, 1. Vgl. Herrmann, J d l . 81, 1966, 126ff. Der untere Rand der rückwärtigen Haarmasse ist bei dieser Figur in ähnlicher Weise wie Abb. 3 in der Mitte zugespitzt.
O R I E N T A L I S C H E B R O N Z E N AUS SAMOS
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gespreizten Stand und dieselbe Haltung der Hände, die in der Plastik überhaupt nur bei urartäischen Figuren anzutreffen ist. In den Gesichtsformen der hier besprochenen Statuette, vor allem in der Form des Auges, besteht die engste Verwandtschaft zur Sphinx des Hamburger Rusa-Kandelabers 7 und zu einer Frauenstatuette in Erivan 8 . Schließlich ist auch die Bartlosigkeit charakteristisch für bestimmte urartäische Götterfiguren 9 . Über die ursprüngliche Herkunft der Cowper'schen Statuette dürfte demnach Einigkeit zu erzielen sein: Sie ist die vierte der bisher bekanntgewordenen nicht an Geräte gebundenen Bronzestatuetten aus Urartu 10 . Hier ist wohl auch eine gut erhaltene Götterstatuette unbekannten Fundortes im Britischen Museum anzuschließen 11 . In Haltung und plastischer Form geht sie eng mit der Götterfigur aus Toprakkale zusammen, nur sind ihre Einzelformen verschliffener und mehr schematisiert. Wie die Toprakkale-Figur hatte sie eingelegte Augen, darüber hinaus waren bei ihr die Hörner separat angesetzt — vermutlich in anderem Material. Solche Verwendung von andersfarbigem Material ist vor allem von urartäischen Kleinbronzen bekannt. Für diesen Bereich spricht auch entschieden die Form der ungewöhnlich vorspringenden gebogenen Nase und der kappenartig niedrigen Hörnerkrone. Beides findet gute Parallelen in den neuentdeckten Relieffiguren von Adilcevaz12 sowie in Figuren der Wandmalereien von Altintepe 13 . Wenn die hier geäußerte Ansicht richtig ist, gibt es bis jetzt also fünf freistehend gearbeitete urartäische Bronzestatuetten, die ins spätere 8. oder frühe 7. Jh. zu datieren sind. Obwohl eine so kleine Gruppe in keiner Weise als repräsentativ angesehen werden kann, ist es doch auffallend, daß zwei dieser Figuren aus griechischen Fundorten stammen. Der stilistische Zusammenhang der bescheidenen Cowper'schen Figur mit den Anm. 5. 6 genannten Exemplaren wird durch einen Vergleich mit den übrigen typologisch ähnlichen Bronzen aus dem Orient noch deutlicher. An einer assyrischen Statuette aus Samos, die hier zum ersten Male veröffentlicht werden darf (Abb. 6—8)14, sind die Unterschiede besonders gut zu erkennen. Es handelt sich um eine Männerfigur mit langen gewellten Haaren, angetan mit dem gewickelten 'Schalgewand' 1S . Eingravierte Fransenborten ziehen sich schräg über Brust und Rücken, um die Hüften und um den unteren Saum. In gleicher Weise sind der Gürtel und die vor dem rechten Bein herabfallende Stoffkante angegeben. Über dem unteren Saum läuft eine Zickzacklinie ringsum, und auf der Rückseite des Rockes ist rechtwinkliges Textilmuster angedeutet. Auf der Brust liegt eine halbmondförmige Schmuckscheibe mit eingetieften runden Verzierungen16. Von den vorgestreckten Händen ist die linke nach oben gekehrt, die rechte — jetzt stark korrodiert — war wohl geschlossen. Das breite Gesicht ist von großen, etwas vorquellenden Augen beherrscht; Nase und Mund stehen klein und schmal zwischen den rundlichen Wölbungen von Wange und Kinn. 7
M a r b W P r . 1966 Taf. 5. H e r r m a n n Abb. 19. 20.
8
M. N. v a n Loon, U r a r t i a n A r t 87f. Taf. 10, 2. H e r r m a n n a. O. 127 Abb. 41. Vgl. die Terrak o t t e aus Adilcevaz, Ögün, AA. 1967, 488 Abb. 10.
9
a. O. 103
13
14
M a r b W P r . 1966, 16 f.
10
Vgl. H e r r m a n n a. O. 126ff. Anm. 156.
15
11
Brit. Mus. 132962. B a r n e t t , BrMQu. 26, 1962/63, 94 Taf. 42 a. b. Ögün, AA. 1967, 497ff, Abb, 24—27,
16
12
Özgüf, Anatolia 7, 1963, 44 Taf. 18, 1. van Loon a. O. 67f. Abb. 8. Berlin, Staatl. Mus. (Charlottenburg) Inv. 31638. H 11,1 cm. A u f n a h m e n J . Tietz-Glagow. A. Greifenhagen erteilte gütigst die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Der freundlichen Hilfsbereitschaft von U. Gehrig v e r d a n k e ich die Angaben zu der Figur. B. H r o u d a , Kulturgeschichte des assyrischen Flachbildes 25 f. H r o u d a a. O. 57. vgl. G, R, Meyer, D a s Altert u m 1, 1955, 205 ff,
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HELMUT
K Y R I E L E I S
Abb. 1—3. Götterfigur aus Samos. London, Britisches Museum
Gesichtsformen und Haarumriß sind die gleichen wie bei Relieffiguren des 8. Jhs. 1 7 . Die Abbildungen verdeutlichen besser als Worte, wieviel massiger und geschlossener die assyrische Statuette gegenüber der urartäischen geformt ist. Ihre kurvig geschweiften Umrisse sind ohne Bruch bis zur Basis durchgezogen, die Körperformen und Glieder kräftig gerundet. Typisch für assyrische Figuren ist die ausgeprägte Wölbung des Bauches und der kraftvolle Bau der Arme. Zwei andere assyrische Bronzestatuetten aus Samos 18 zeigen die gleichen Formeigentümlichkeiten. Die Herkunft einer weiteren Statuette aus Samos 19 , die imPrinzip der Götterfigur aus Toprakkale nahesteht, ist wegen der groben Machart schwer zu be-
17
Vor allem Figuren aus der Zeit d. Tiglatpileser I I I . sind zu vergleichen, s. R. D. Barnett —M. Falkner, The Sculptures of Tiglath-Pileser I I I Tai. 1 ff. H. Frankfort, Art and Architecture of the Ancient Orient Taf. 94. Spätere Figuren haben stets den betont breiten, geraden unteren Haarabschluß, s. Frankfort a. O. Taf. 96 ff. Auch sind die Fransen des Schal-Gewandes seit dem späteren 8. J h . bedeutend länger als bei unserer Statuette,
18
E. Kunze, Kretische Bronzereliefs 238 Beil. 5a. b. Homann-Wedeking, AA. 1965, 439 Abb. 8. Man vergleiche weiter die Bernsteinfigur in Boston, ILN. 7. 1. 1939, 25; Frankfort a. O. Taf. 81, und Terrakotten aus Assur, Klengel — Brandt, F u B . 10, 1968, 19ff. Taf. 4; 6; 8, 1; 9, 4; 10, 1.
19
Walter-Vierneisel, AM. 74, 1959, 40 Beil. 80, 2 ; 81, 1.
O R I E N T A L I S C H E B R O N Z E N AUS SAMOS
Abb.4. Götterfigur aus Toprakkale. London, Brit. Mus.
Abb. 5. Seitenansicht der Götterfigur Abb. 1
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Abb. 6. Seitenansicht der Männerfigur Abb. 7
stimmen. Das Stück könnte aus einer provinziellen ostanatolischen Werkstatt stammen. Der Bestand an freistehenden männlichen Bronzestatuetten des neuassyrischen Typus ist mit diesen und den oben genannten Figuren schon erschöpft. Von den insgesamt acht Figuren stammen sechs aus Samos. Wiederum ist die Basis zu gering für weitreichende statistische Überlegungen, aber das Zahlenverhältnis ist doch aufschlußreich für die Bedeutung des frühen Samos und für die Eigenart der dorthin gelangten orientalischen Importstücke. So fehlen beispielsweise in Samos, mit Ausnahme einer Stierattasche 20 , die orientalischen Kesselattaschen, während andererseits neben den vielen Attaschen aus Olympia und Delphi keine Figur des hier behandelten Typus bekanntgeworden ist. Die mit der Cowper'schen Statuette gefundene Bronzeklinge (Abb. 9)21 ist ebenfalls ein Importstück. Es handelt sich wohl nicht um ein Schwert sondern um eine Lanzenspitze. Daß es keine griechische Waffe ist, sieht man auf den ersten Blick. Auch zu bronzezeitlichen zyprischen Lanzenspitzen 22 besteht nur eine oberflächliche Ähnlichkeit. Hervorstechende Formmerkmale des mit einem langen Schaftdorn versehenen Lanzenblattes sind die profilierte, zur Spitze kaum verjüngte Mittelrippe, die Einziehung der Schneiden in den breiteren zwei 20
21
U. J a n t z e n , Griechische Greifenkessel Taf. 60, 3; vgl. H e r r m a n n , OlForsch. VI 118. 123. Courtesy of t h e Trustees of t h e British Museum.
22
Cowper, J H S . 29, 1909, 195 u. Abb. 2. L0,505 m. H . W . Catling, Cypriot Bronze work in t h e Mycenaean World 56ff. HOff. 118ff. Abb. 1. 2. 12. 13 Taf. 2 a . b ; 1 2 a - g ; 1 3 a - c .
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H.
K Y R I E L E I S ,
O R I E N T A L I S C H E B R O N Z E N AUS SAMOS
Abb. 7 und 8. Männerfigur aus Samos. Berlin, Staatliche Museen (Charlottenburg)
Dritteln und der gerundete Ansatz der Spitze im letzten Drittel. Diese Merkmale verbinden die Waffe aus Samos mit einer Reihe bronzener Klingen aus dem nördlichen Iran — ein Zusammenhang, der um so auffälliger ist, als die Form sonst unter Schwert- und Lanzentypen des Mittelmeergebietes und Vorderasiens nicht zu belegen ist. Nahezu übereinstimmende Waffen stammen aus Tomadjan im Elburs 23 ; eng verwandt, wenn auch stumpfer geformt ist eine Lanzenspitze 'from the Elburz region' im Britischen Museum24. Die gleiche ausgeprägte, fast unverjüngt bis zur Spitze geführte Mittelrippe und übereinstimmend geschwungenen Umriß zeigen Schwert- und Dolchklingen aus dem südkaspischen Talisch, aus Guilan und aus dem übrigen nördlichen Iran 25 . Eine systematische Bearbeitung der kaspisch-iranischen Waffentypen fehlt bisher, und auch eine Datierung der vielfach aus irregulären Grabungen stammenden Stücke stößt noch auf erhebliche Schwierigkeiten. Vorerst läßt sich nur erkennen, daß Klingen des hier besprochenen Typus aus dem späten
23
24
H . Samadi, Les Découvertes F o r t u i t e s Klardasht, G a r m a b a k , E m a m et T o m a d j a n (Mazandéran et Guilan) Téhéran 1959, 34ff. Abb. 32. 34. Smith, BrMQu. 11, 1937, 61 Taf. 21, 7; vgl. die Klinge aus Djônii (Talisch) im Musée de St. Germain-en-Laye, Maxwell — Hyslop, I r a q 24, 1962,
25
129 Taf. 38, 3. Vgl. C. F. A. Schaeffer, Stratigraphie Comparée et Chronologie de l'Asie Occidentale, Abb. 217, 3. 14; 219, 1 - 3 ; 227, 10. 13; 236, 1 - 3 ; 237, 24 (Talisch); Calmeyer, B J b V . 2, 1962, 215ff. Taf. 8 - 1 0 ('Amlasch'j ; S a m a d i a. O. 38 Abb. 36.
U. S E I D L, E I N E S T E L E AUS D E R N Ä H E VON U R E A
171
2. und frühen 1. Jt. stammen. Eine untere Grenze ist nach dem heutigen Stand nicht zu ermitteln, doch hindert nichts, für die Lanzenspitze aus Samos ein Datum anzunehmen, das dem der mitgefundenen Bronzestatuette nahekommt 26 . Bonn
Helmut
Kyrieleis
EINE STELE AUS DER NÄHE VON URFA Bei Erdarbeiten in dem Teil des Dorfes Onbir Lisan, das an der Straße Urfa—Gaziantep, ungefähr 55 km westlich von Urfa liegt, sollen nach Aussagen der Bauern mehrere »Steine mit Bildern« gefunden worden sein, die aber bis auf ein Relief von den eingesetzten Arbeitern mitgenommen worden sein sollen. Im Sommer 1967 sahen W. Hoepfner und ich dieses Relief bei Bauern des Dorfes (Abb. I)1. Die Stele aus Basalt, ist ungefähr 40 cm hoch, 22 cm breit und 10 cm tief. Nur die Reliefseite ist bearbeitet, die übrige Oberfläche ist roh belassen. Das Relief stellt einen nach links gerichteten, auf einem Hocker sitzenden Mann dar, der mit der vorgestreckten rechten Hand einen leicht gekrümmten Stab hält und mit der rückwärts erhobenen linken einen nicht genau erkennbaren Gegenstand, wohl eine Waffe, schwingt. Der unverhältnismäßig große Kopf sitzt auf einem ungegliederten, fast rechteckigen Rumpf, an den die Glieder wie Streifen angesetzt sind. Das Profil des Gesichtes wird von einer großen, geraden Nase und einem starken, wohl bärtigen Kinn gebildet; von dem einst sehr großen Auge ist nur noch der äußere Winkel erhalten. Um das glatte Haar ist ein Band gelegt; vielleicht trägt er auch eine Wulstrandkappe. An dem ungegliederten, leicht geknickten rechten Arm sind die Finger der Hand durch Ritzlinien angedeutet; von den Füßen ist jeweils nur der Ansatz zu sehen. Der Sitz des Hockers wird von drei breiten Pfosten getragen. Links bildet ein Teil der ursprünglichen Oberfläche eine Art Rahmenleiste. Das Relief ist eine sehr grobe Arbeit. Zwei vergleichbare reliefierte Basaltstelen wurden am Ende des vorigen Jahrhunderts in Rumkaie am oberen Euphrat (Vilayet Gaziantep; vgl. Karte Abb. 4) entdeckt 2 . Die erste, 26
1
Neuerdings scheint sich durch zwei angeblich in "Amlasch'-Zusammenhang gefundene u r a r t ä ische Bronze-Scheuklappen, die inschriftlich ins 8-/7. J a h r h u n d e r t v. Chr. d a t i e r t sind, die Möglichkeit anzudeuten, mit der D a t i e r u n g von ' A m l a s c h ' - F u n d e n sehr weit herabzugehen. Vgl. Ghirshman, Artibus Asiae 27, 1964, 49 ff. Abb. 1. 2. Auf einer Stipendiatenreise, die mir das D e u t -
2
sche Archäologische I n s t i t u t gewährte. Wir k o n n t e n die Stele n u r w ä h r e n d eines k u r z e n A u t o b u s a u f e n t h a l t e s sehen. Die P h o t o g r a p h i e n a h m W . H o e p f n e r auf. Den S t a a t l . T ü r k . Antikendienst m a c h t e ich schriftl. auf das Relief aufmerksam. Die erste: L o u v r e AO 1189 ( 7 2 x 3 2 x 2 1 cm), die zweite: Louvre AO 1531 ( 5 8 x 2 7 cm); St. Przeworski, Melanges Syriens Offerts ä
172 „ . SffiB^Sr'' ' f; m ^ .
URSULA
SEIDL
"
Abb. 2, zeigt einen mit eingeknickten Beinen stehenden nackten Mann, der mit seiner rechten Hand eine Ähre 3 schultert, in der linken einen unbestimmbaren Gegenstand t ' • • : '-^M, ' hält 4 , den St. Przeworski als Fisch beschreibt; - J F [ H H M i ^ den Mann hält er, daraus folgernd, für einen ^K^ * n f l n ! * 1 Fischer, eine Deutung, die schon allein B I . durch das Attribut der Ähre nicht glaubi haft ist. Auf der rechten Schmalseite der 1 > dt^teM'* Stele ist eine Schlange dargestellt, die scheinggl •I bar aufwärts kriecht. Die Tracht des Mannes bH^ 1 ' p . F " t ! und der Stil verbinden diese Stele aus Rum. C. J ' - ' S F t},\ kale mit derjenigen aus Onbir Lisan: Beide mgärnhi/ ISm « Männer sind nackt, beide tragen kurzes Haar • M B t a ' und einen kurz gestutzten Kinn- und BakM l l i f l kenbart. Die Frisuren differieren ein wenig M K. 'voneinander: der Mann von Onbir Lisan WBHjHSBWy.'y. v trägt ein Haarband oder eine Wulstrand^ « kappe auf seinem kurzen Haar; die Haarfl^MipH^^Kr 7m ' ' kalotte oder die glatte Kopfbedeckung der ÄBHa^^^^HEp^"*^ Gestalt aus Rumkaie steht über der Stirn vor. Beide Gestalten sind ähnlich proporAbb. 1. Stele aus Onbir Lisan tioniert mit ihrem großen Kopf, in dessen Gesicht ein riesiges Auge gezeichnet ist, auf einem kleinen, flachen rechteckigen Rumpf, an dem verkümmerte Arme sitzen; alle Teile sind kaum gegliedert. Gemeinsam ist beiden Darstellungen auch die frontale Wiedergabe des Unterkörpers, der auf altorientalischen Reliefs gewöhnlich im Profil dargestellt ist 8 . Das Relief liegt in beiden Fällen ohne Modellierung in einer Ebene über dem Grund. Die zweite Stele aus Rumkaie, Abb. 3, stellt einen bekleideten Mann dar; er wird auf drei Seiten von einer Rahmenleiste umgeben, wie wir sie am linken Rand der Stele aus Onbir Lisan wiederfinden. Haar- und Barttracht und Stil verbinden die Gestalt eng mit derjenigen der ersten Stele. Die Figur trägt ein gegürtetes Gewand, das in zwei gleichartigen Zipfeln endigt, und dessen Oberteil durch einen Halsausschnitt und einen senkrechten 'v
'
'
ÜHSHI
3
Monsieur René Dussaud I I (1939) 641 ff.; Prof. K. Bittel machte mich freundlicherweise noch auf folgende Zitate aufmerksam: H. Bossert —R. Naumann, Altsyrien (1951) Abb. 427 428. (Datierung: »Ende des 3. Jahrtausends v. Chr.«); Bossert, Orientalia 29, 1960, 105f. Taf. 23, 1 (Datierung der zweiten Stele: »um 700 v. Chr., vielleicht sogar noch etwas später«). St. Przeworski beschreibt die Pflanze als Palme. Aber der Vergleich mit frühgeschichtlichen Ährendarstellungen zeigt eindeutig, daß es sich hier um eine Getreideähre handelt, s. z. B. W. Nagel, s. v. Getreide in RLA. I I I 308ff.; Alabastervase und Rollsiegel aus Warka (E.
Heinrich, Kleinfunde aus den archaischen Tempelschichten in Uruk [1936] Taf. 17b. d; 18 b. c); Rollsiegel (L. Delaporte, Catalogue des Cylindres Orientaux, Cachets et Pierres Gravees du Musée du Louvre I I [1923] Taf. 69 A. 116; 63 A. 26). Hier Photo Chuzéville, Paris. 4
Dieser reicht oben bis fast zum Bart des Mannes, wo er anscheinend schräg nach innen abschließt; unten endigt er in einer Spitze, über der sich innen ein kleiner Zipfel befindet.
5
Ausnahmen z. B. Siegelbilder aus Warka (UVB. X V I I [1962] Taf. 15a; I I I [1932] Taf. 19b; V [1934] Taf. 23c; V I I I [1937] Taf. 51c).
E I N E S T E L E AUS D E R N Ä H E V O N U R F A
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StâWd
Abb. 2. Stele aus R u m k a i e . Paris, Louvre
Abb. 3. Stele aus R u m k a i e . Paris, Louvre
Mittelstreifen gekennzeichnet ist 6 . Die Attribute des Mannes sind schwierig zu deuten. Przeworski beschreibt den Zweig, der auf der rechten Schulter liegt, wohl richtig als Palmwedel, den länglichen Gegenstand unter dem rechten Arm als einen von diesem herab6
Röcke mit gleich langem vorderen u n d hinteren Zipfel begegnen in Süd- u n d Mittelmesopotamien häufig w ä h r e n d der f r ü h d y n a s t i s c h e n Periode: Muscheleinlagen vom Königsfriedhof in Ur (C. L. Woolley, Ur E x c a v a t i o n s I I [1934] Taf. 91. 93. 94. 99); Siegelabrollungen aus F a r a (F.. Heinrich, F a r a [1931] Taf. 55e. f) ; Rollsiegel aus »Kish« (E. Mackay, A Sumerian Palace and t h e »A« Cemetery a t Kish, Mesopot a m i a I I [1929] Taf. 41, 13); Rollsiegel aus Susa (L. Delaporte, Catalogue des Cylindres Orient a u x . . . du Musée du Louvre I [1920] 462 Taf.
45 Nr. S. 57); Rollsiegel (L. Delaporte, Catalogue . . . I I Taf. 65 A. 50; E . Porada, Corpus of Ancient Near Eastern Seals in N o r t h American Collections I [1948] Nr. 85; B. B u c h a n a n , Cat. of Ancient N e a r E a s t e r n Seals in the Ashmolean Museum [1966] Nr. 804; L. Speleers, Musées R o y a u x d ' A r t et d'Histoire, Catalogue des Intailles et E m p r e i n t e s Orientales, Suppl., [1943] 63 Nr. 1292); Muscheleinlagen aus Mari (A. P a r r o t , Les Temples d ' I s h t a r a t et de Ninnizaza. Mission Archéologique de Mari I I I [1967] 245 Abb. 276 Nr. 2412 Taf. 66). Rócke mit
174
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hängenden Ledersack; doch ist der Unterarm an dieser Stelle so zerstört, daß man nicht mehr feststellen kann, ob dieses Gebilde tatsächlich dort befestigt war, und die vage Form wage ich nicht zu deuten. Das am Gürtel befestigte Objekt spricht er als Flasche an; es könnte sich hier m. E. ebensogut um einen Dolch handeln. Den rechteckigen Gegenstand, den der Mann mittels eines kleinen Zapfens mit der linken Hand trägt, hält Przeworski für eine Syrinx. Doch ist bei dieser Deutung nicht der obere Abschluß erklärt, der sich an einer Seite fortsetzt, so als handele es sich um ein darüber gelegtes Tuch. Das rechteckige Gebilde läßt wohl eher an einen Fliegenwedel denken 7 , dessen Stiel — vielleicht aus Platzmangel im Bildfeld — etwas verkümmert ist, zumal auf jüngeren Darstellungen der Diener mit dem Wedel meist auch ein Tuch trägt. Przeworski spricht die Gestalt wegen der 'Syrinx', des 'Ledersacks' und der 'Flasche' als fahrenden Sänger an; dies trifft wohl nicht zu, doch wage ich keinen Deutungsversuch. Die beiden Stelen gehören eindeutig derselben Epoche an, wie Przeworski betont. Er vermutet, daß es sich hier um zwei Orthostaten von einem Mauersockel handele, von denen der Stein mit dem Relief der Schlange auf der Schmalseite sich an einem Eingang befunden habe. Als Vergleichsstücke zu den drei Stelen aus der Osttürkei bieten sich die Bronzestatuetten aus Judeide an 8 . Der ersten Stele aus Rumkaie steht die Statuette A9 sehr nahe: Beiden gemeinsam sind der verhältnismäßig große Kopf, die kurz gestutzte, der Kinnlinie folgende 'Schifferkrause', die im Profil spitz erscheint, der flache Oberkörper mit den eckigen Schultern, die ungegliederten, wulstförmigen Arme und deren Haltung, die betonte Wiedergabe des Geschlechtsteils. Wie der Künstler der Bronzefigur nur die Beine sorgfältig modelliert hat, so betont derjenige der Stele nur die ausladenden Wadenumrisse. Die Frisur oder Kappe des Mannes der Stele sitzt ähnlich wie der Helm der Statuette. Der Unterschied der Kleidung, hier vollständige Nacktheit bzw. nur eine kalottenförmige Kopfbedeckung, dort Helm und Gürtel entspricht dem verschiedenen Stand der Dargestellten, hier Landmann, dort Krieger. Die Statuetten B 10 und C11 aus Judeide sind weniger sorgfältig gearbeitet, die Einzelformen sind plumper, vor allem fehlt die Modellierung der Beine. Die Statuette C mit ihrer großen Nase, dem kurzen abgerundeten Bart, dem flachen Körper und den ungegliederten Gliedmaßen steht der Stele von Onbir Lisan sehr nahe. Im Süden Mesopotamiens findet man neben den plastisch ausgearbeiteten Menschendarstellungen aus der frühgeschichtlichen Periode auch flächige mit summarischer Körperwiedergabe. Als Beispiel dieser Gruppe sei zunächst ein Siegel aus Warka 12 angeführt,
7
verschieden langen Zipfeln k o m m e n z. B. auch w ä h r e n d der Akkad-Zeit (z. B. Delaporte a. O. I Tai. 31 S. 444) u n d im 1. J t . auf dem K a r a t e p e vor (z. B. E. Akurgal — M. Hirmer, Die K u n s t der H e t h i t e r [1961] Taf. 143. 1 4 6 - 1 4 8 ) . Zu dem Oberteil des Gewandes kenne ich keine Parallelen. Die älteste mir b e k a n n t e Darstellung eines Fliegenwedels befindet sich auf einem frühgeschichtlichen Rollsiegel aus W a r k a (UVB. X V I I I [1962] Taf. 15a). Gelegentlich ist er auf mittelbabylonischen Siegeln (z. B. A. Moortgat, Vorderasiatische Rollsiegel [1940] Nr. 555) u n d häufig auf neuassyrischen wiedergegeben (z. B. ibidem Nr. 660. 662 — 665). I m m e r befindet sich das Rechteck aber im Gegensatz zu unserem
Bild an einem langen Schaft. S t a r k e Ähnlichkeit mit unserem Gegenstand h a t ein Musikinstrum e n t auf einer reliefierten Elfenbeinpyxis des 1. J t s . aus Nimrud, das R. D. B a r n e t t f ü r ein S a i t e n i n s t r u m e n t hält (R. D. B a r n e t t , A Catalogue of t h e N i m r u d Ivories . . . in t h e Brit. Mus. [1957] 3 Taf. 16f. ). 8
R. J . u n d L. S. Braidwood, E x c a v a t i o n s in t h e Plain of Antioch. O I P . L X I [1960] 300ff. Taf. 57-59.
9
Braidwood a. O. Taf. 57.
10
Braidwood a. O. Taf. 58.
11
Braidwood a. O. Taf. 59. UVB. X V I I I (1962) 18f. Taf. 15a W 19 829. D a s Siegel wurde u n t e r R i e m c h e n m a u e r w e r k
12
E I N E S T E L E AUS D E R N Ä H E V O N U R F A
175
das eine dreifigurige Speiseszene zeigt. Die sitzende Gestalt gleicht in der Anlage stark dem Sitzenden unserer Stele, auch hier sind die ungegliederten, strichförmigen Beine parallel zueinander an den fast rechteckigen Rumpf gefügt. Im Gegensatz zu dieser Frontalansicht des Unterkörpers des Thronenden sind die Unterkörper der stehenden Diener, wie in Südmesopotamien üblich, in Profilansicht wiedergegeben. Die Darstellung der Beine ist hier auf ein und demselben Bild so unterschiedlich, wie wir es bis jetzt auf verschiedenen miteinander verwandten Denkmälern beobachten konnten: ungegliederte Striche bei der sitzenden, geschwungene Flächen bei den stehenden Gestalten. Die flächigen Siegelabrollungen auf Gipssteintafeln aus dem Gebiet der Anu-Ziqqurrat, z. B. aus den Mauern des 'Weißen Tempels' 13 , in Warka zeigen ähnliche Menschendarstellungen, an deren rechteckigem Rumpf strichartige Gliedmaße sitzen. In Zürich und im Louvre 14 befinden sich drei Statuetten nackter Männer, die sich durch Barttracht und Anlage des Gesichtes als Werke des südlichen Mesopotamien ausweisen, stilistisch aber den Stelen vom oberen Euphrat nahestehen: der knickebeinige Stand gleicht dem der ersten Gestalt von Rumkaie, die ungegliederten flachen Arme denen aller drei Figuren aus der Osttürkei; die Angabe der Finger durch einfache Ritzlinien findet sich bei dem Relief von Onbir Lisan wieder. Przeworski hatte die Reliefs aus Rumkaie auf Grund der Themen, besonders des 'Fischers' und der Haar- und Barttracht mit den Wandmalereien von Mari, der Glyptik aus Kültepe, einer angeblich aus Bogazköy stammenden Bronzestatuette und der Statue des Ur-Ningirsu von Lagas in Berlin in das Ende des 3. Jt. datiert. Doch müssen hier bei der Frage nach der Datierung die Trachteigentümlichkeiten fast ganz außer acht gelassen werden, weil die Haar- und Barttracht lokal, nicht zeitlich begrenzt aufzutauchen scheinen: Der kurze Bart ist vom 3. bis zum 1. Jts. in Nordmesopotamien und Nordsyrien heimisch15, das kurze Haar 16 und das Haarband 17 kommen zu verschiedenen Zeiten in diesem Gebiet vor. Allein die Nacktheit der Männer könnte in Betracht gezogen werden, weil in Mesopotamien nach der frühgeschichtlichen Periode Männer nur in bestimmten, meist niedrigen Funktionen unbekleidet dargestellt sind (als Kriegsgefangene, Diener, Jäger und 'Held mit Tieren'), aus der Frühgeschichte aber selbständige Statuetten von bärtigen nackten Männern auf uns gekommen sind18. Es stehen uns aber Denkmäler zur Verfügung, die den Stelenreliefs aus der Osttürkei auch stilistisch verwandt sind (siehe oben). Diese stammen ausnahmslos aus der frühgeschichtlichen oder spätestens dem Beginn der frühdynastischen Periode: Die Bronzestatuetten aus Judeide sind in einer Schicht gefunden worden, die dem Ende der Phase 'Amuq G, spätestens dem Beginn der Phase H angehört 19 . Die Schichten
13
14
15
gefunden u n d wird von E . Strommenger in die Zeit U r u k I V / I I I d a t i e r t . UVB. I I I (1932) 29 Taf. 19b; UVB. V (1934) Taf. 23c; UVB. V I I I (1937) 51 Taf. 51c. UVB. X V I (1960) Taf. 19; A. Boissier, Notice sur quelques M o n u m e n t s Assyriens à l'Université de Zurich (1912) 28ff. Abb. S. 31. 33. z. B. Bronzefiguren aus J u d e i d e (s. Anm. 8); G i p s s t e i n s t a t u e t t e aus Assur (W. Andrae, Die archaischen Ischtar-Tempel in Assur, W V D O G . X X X I X [1922] Taf. 30. 31) ; Beckenreliefs aus Mardikh (A. Davico u. a., Missione Archeologica I t a l i a n a in Siria, R a p p o r t o Preliminare della C a m p a g n a 1964 [1965J Taf. L X X . L X X I ) ; K u p f e r s t a t u e t t e n aus dem Libanon (H. Seyrig, Syria 30, 1953, 24 ff. ; f ü r diesen Hinweis h a b e
16
17
18
19
ich H e r r n Prof. K. Bittel zu d a n k e n ) ; mittelassyrische Reliefscheibe aus Assur (W. Andrae, D a s Wiedererstandene Assur, [1938] Taf. 49 b); Orthostatenreliefs v o m Teil Halaf (M. F r h r . v. Oppenheim, Teil Halaf I I I , Die Bildwerke [1955] Taf. 11 f. u n d passim). z. B. Beckenrelief aus Mardikh (s. Anm. 15); Reliefscheibe aus Assur (s. oben Anm. 15). z. B. Orthostatenreliefs v o m Teil Halaf (s. Anm. 15); im Gegensatz zu Südmesopotamien, wo das sogenannte W u l s t d i a d e m n u r w ä h r e n d der Frühgeschichte von besonderen Personen get r a g e n wird. z. B. Bronzefiguren aus J u d e i d e (s. Anm. 8); S t a t u e t t e n in Paris u n d Zürich (s. Anm. 14). Braidwood a. O. (s. Anm. 8) 296.
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Abb. 4. Mittlerer Euphrat. Fundkarte
•
A Fundorte von frühgeschichtlichen und frühdynastischen Bilddenkmälern angebliche Fundorte von frühgeschichtlichen und frühdynastischen Bilddenkmälern X Kauforte von frühgeschichtlichen und frühdynastischen Bilddenkmälern O moderne Orte
Afana, Teil
Rollsiegel
'Amuq-Ebene (Judeide)
Rollsiegel
Azaz Basher, Teil Birecik Brak, Teil
Bronze-Statuetten Rollsiegel Rollsiegel Rollsiegel Rollsiegel und Siegelabrollungen
Amulette und Stempelsiegel in Tierform Menschl. Gesichter aus Stein
C. Leonard Woolley, Alalakh (1955) Taf. 60, 35; 62, 1; B. Buchanan, Catalogue of Ancient Near Eastern Seals in the Ashmolean Museum I (1966) Nr. 731. 747. R. J . / L . Braidwood, Excavations in the Plain of Antioch I. OIP. L X I (1960) 331 ff. Abb. 254; 387 Abb. 297, 5. 6; 426 Abb. 327; 487ff. Abb. 381. 382, 2. Ebenda 300ff. Abb. 2 4 0 - 2 4 5 Taf. 5 7 - 5 9 . Buchanan a. O. Nr. 22. Ebenda Nr. 141. 707. 715. 719. 720. 733. 735. 776. Ebenda Nr. 139. 705. 706. 790. Mallowan, Iraq 9, 1947, Taf. 8. 21. 23, 2. 7. 8. 9. 1 0 - 1 4 ; 24, 8. 9. 12. 13. 16. 19; D. J . Wiseman, Catalogue of Western Asiatic Seals in the British Museum I (1962) Taf. 2 e ; lOe; 11a; 12f; 15k; 2 9 b - h ; 30. 31; Buchanan a. O. Nr. 7 0 8 - 7 1 1 . 714. 716. 718. 722. 726. 727. 734. 7 3 7 - 7 3 9 . 7 4 8 - 7 5 8 . 7 6 1 - 7 6 5 . 7 7 9 - 7 8 3 . 785. 787. 783. 792. 7 9 4 - 8 1 5 . 817. 821. Mallowan, Iraq 9, 1947, Taf. 7, 4. 6 - 8 ; 8, 1. 2. 4; 9 - 1 5 . 16, 1. 2. 3. 6. 7. 1 0 - 1 3 . 15; 4 5 - 4 7 . Mallowan a. O. Taf. 1. 2.
E I N E S T E L E AUS D E R N Ä H E V O N U R F A
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Carablus
Rollsiegel
D. G. H o g a r t h , H i t t i t e Seals (1920) 52 Abb. 54. 55; 76 Abb. 81; 85 Abb. 102; W i s e m a n a. O. Taf. 6 f ; O. Weber, Altorientalische Siegelbilder. AO. 17/18, 1920, Nr. 77. 422. 427. 545.
Chagar B a z a r
Rollsiegel
W i s e m a n a. O. Taf. 2 9 a ; 3 2 a — b ; Mallowan, I r a q 4, 1937, Taf. 12, 4. 13 B;
Chuëra, Tell
Rollsiegel u n d Siegelabrollungen
A. Moortgat, Teil Chuera in Nordost-Syrien, Vorläufiger Bericht über die G r a b u n g 1958 (1960) 33 Abb. 31; ebenda I I (1960) 19 Abb. 23; 11 Abb. 14; e b e n d a I I I (1962) 10 Abb. 6; ebenda IV (1965) 8 Abb. 8; 41 Abb. 29; ebenda V (1967) 42 Abb. 29; 44 Abb. 31. E b e n d a I I 11 Abb. 13. E b e n d a 34 Abb. 34. E b e n d a IV 24ff. Abb. 1 2 - 2 8 ; ebenda V 19ff. Abb. 11-15.
A m u l e t t in Tierform Tierfiguren aus Muschel S t a t u e t t e n aus Stein Eski K â h t a
Rollsiegel
U. Moortgat-Correns,
Germayir
Rollsiegel
Mallowan, I r a q 4, 1937, 96 Taf. 12, 2 Abb. 14, 2.
Halaf, Teil
Rollsiegel
Max Freiherr von Oppenheim, Teil Halaf I V (1962) Taf. 23, 1. 2.
Hama
Rollsiegel
F. F u g m a n , H a m a I I 1 (1958) Abb. 49b. 74. 98. 106; O. E. R a v n , A Catalogue of Oriental Cylinder Seals a n d Seal Impressions in t h e Danish National Museum (1960) Nr. 114. 115. 117. 124. E b e n d a Nr. 1 1 8 - 1 2 3 .
Gesiegelte K e r a m i k Hammäm
Rollsiegel
ZAssyr. 57, 1965, 6ff. Abb. 1.
B. B u c h a n a n , Catalogue of Ancient Near E a s t e r n Seals in t h e Ashmolean Mus. I Nr. 152. 724. 766.
Jebel Abu Gelgel
Rollsiegel
E b e n d a Nr. 704.
Jebel el B e d a
S t a t u e u n d Reliefstele aus Stein
Max Freiherr von Oppenheim, Der Teil Halaf (1931) 19 ff. Taf. 62. 63 a. b ; A. Moortgat, Teil Chu6ra in Nordost-Syrien, Vorläufiger Bericht über die Vierte G r a b u n g s k a m p a g n e 1963 (1965) 51 Abb. 36a. b.
J u d e i d e s. ' A m u q - E b e n e K â h t a s. Eski K â h t a Kara Kuzak
Rollsiegel
B u c h a n a n a. O. Nr. 58. 219.
K a r a Ören
Rollsiegel
E b e n d a Nr. 62.
Kirkis
Rollsiegel
E b e n d a Nr. 760.
Kirk M a k h a r a
Rollsiegel
E b e n d a Nr. 773
Kunderiyeh
Rollsiegel
E b e n d a Nr. 789.
Onbir Lisan
Reliefstele
die hier vorgelegte Untersuchung.
Ras Shamra
Rollsiegel
Amiet, Syria 40, 1963, 67 Abb. 12.
Rumkale
Reliefstelen
Salangahia
Statuetten-Fragment
Siverek
Reliefstele
s. Anm. 2. s. Anm. 30; aus der N ä h e von Teil Qanas, nördlich von Salangahia, soll ein Rollsiegel mit 'pigtailed w o m e n ' s t a m m e n , das sich im Besitz eines einheimischen Bauern befindet, s. A n m . 32.
Zincirli
Rollsiegel
Zormara
Rollsiegel
12 AA. l % 9
F. von Luschan, Ausgrabungen in Sendschirli V (1943) Taf. 39a. d. e. f; A. Moortgat, Vorderasiatische Kollsiegel (1940) Nr. 776. B u c h a n a n a. O. Nr. 712.
178
U. S E I D L, E I N E S T E L E A U S D E R N Ä H E VON U R F A
der Phase G verbindet Braidwood mit der frühgeschichtlichen und der ersten frühdynastischen Periode Südmesopotamiens 20 . Die zum Vergleich herangezogenen Siegelbilder aus Warka stammen aus den Schichten der frühgeschichtlichen Periode. Die Männerstatuetten in Zürich und Paris 2011 sind durch verwandte Bilder eindeutig in die Frühgeschichte datiert. Unsere Stelen gehören zu dem frühgeschichtlichen Stil, deren rundplastische Erzeugnisse P. Calmeyer zusammengestellt und von den anders gearbeiteten Werken dieser Zeit abgehoben hat 2 1 . Aus dem osttürkisch-nordsyrischen Gebiet, das im Norden vom Taurus, im Westen von Amanus und Mittelmeer natürlich begrenzt wird, nach Süden und Osten hin aber an das mesopotamische Tiefland anschließt, stammen zahlreiche Kunstwerke, die sich Erzeugnissen aus dem Ende der Frühgeschichte und dem Beginn der frühdynastischen Periode Mittel- und Südmesopotamiens an die Seite stellen lassen. Zu nennen sind zunächst zwei fest umrissene Rollsiegelgruppen 22 der frühgeschichtlichen Zeit: die Siegel mit nichtfigürlichem Muster, die häufig durch eine Öse charakterisiert sind 23 , und diejenigen mit den sogenannten pig-tailed women 24 . Dem Beginn der frühdynastischen Zeit gehören wohl einige Siegel mit Tierreihungen an 2 5 ; aus den jüngeren Phasen sind Siegel sowohl des Mesilim-Stils 26 als auch lokaler frühdynastischer Stilgruppen bekannt 2 7 . Auch Rund- und Flachbilder von Menschen hat dieses Gebiet geliefert: die Masken aus Teil Brak 2 8 , die erwähnten Bronzestatuetten aus Judeide 2 8 a , Steinstatuetten des Mesilim-Stils aus Teil Chuera 29 und Salangahia 30 , die Statue und die Stelen vom Jebel el Beda 3 1 , ein kleines Relief aus der Nähe von Siverek 32 . Zu der trotz weniger Grabungen großen Anzahl von Kunstdenkmälern aus frühgeschichtlicher und frühdynastischer Zeit kommen jetzt noch die Stelen aus Rumkaie und Onbir Lisan. Die Frage nach der Abfolge von Stilstufen und der genaueren Einordnung der Werke sowie nach der Abgrenzung von Lokalstilen lassen sich erst nach intensiver Grabungstätigkeit in diesem Gebiet beantworten. Berlin
20
Braidwood a. O. (s. Anm. 8) 518ff.
20a Vgl. Anm. 14 21 22
23 24
25
26
27
28
Calmeyer, B J V . 2, 1962, 251 f. Die frühgeschichtlichen und frühdynastischen syrischen Rollsiegel hat zuletzt zusammengestellt: Amiet, Syria 40, 1963, 57ff.; Syria 41, 1964, 189ff. Amiet a. O. 62ff. Amiet a. O. 66ff.; vgl. Douglas Van Buren, Orientalia 26, 1957, 289ff. B r a k (Buchanan a. O. [Anm. 6] Nr. 717); angeblich Til Bashir (ebenda Nr. 776. 1021); angeblich Kara Kuzuk (ebenda Nr. 219). Teil Chuera (A. Moortgat, Teil Chuera in Nordost-Syrien, Vorläufiger Bericht über die Vierte Grabungskampagne 1963 [1965] 8 Abb. 8; 41 Abb. 29); Teil Halaf (M. Erhr. v. Oppenheim, Teil Halaf I V Taf. 23, 2); angeblich Til Bashir (Buchanan a. O. Nr. 141). Amiet, Syria 40, 1963, 70ff.; Syria 41, 1964, 189ff.; Teil B r a k (Buchanan a. O. Nr. 751 ff.)M. E . L. Mallowan, Iraq 9, 1947 Taf. 1. 2.
Ursula Seidl
28
* Vgl. Anm. 8
29
A. Moortgat, Teil Chuera in Nordost-Syrien, Vorläufiger Bericht über die Vierte Grabungskampagne 1963, 24ff. Abb. 12ff.; ders., Teil Chuera in Nordost-Syrien. Vorl. Ber. über die Fünfte Grabungskampagne 1964 (1967) 19ff. Abb. 11 ff.
30
Herr Ali Abou Asaf M. A. teilte mir mit, daß bei den amerikanischen Ausgrabungen der Unterteil einer mesilimzeitlichen Statuette dort gefunden worden sei. Zur Lage des Ruinenhügels siehe: AASyr. 15, 1965, 110 Nr. 34 Taf. 10.
31
M. Frhr. v. Oppenheim, Der Teil Halaf (1931) 19 ff. Taf. 62; 63 a. b ; A. Moortgat, Teil Chuera in Nordost-Syrien, Vorläufiger Bericht über die Vierte Grabungskampagne 1963 (1965) 51 Abb. 36 a. b (2 Photographien einer Seite der ersten Stele).
32
I I I . Türk Tarih Kongresi (Ankara 1948) 690ff. Abb. 4; den Hinweis auf diese Stele verdanke ich Herrn H. Erkanol.
J. M E I S C H N E R ,
E I N P F E R D E A M U L E T T AUS B O Ö A Z K Ö Y
179
E I N P F E R D E A M U L E T T AUS B O Ö A Z K Ö Y Der 1935 von K. Bittel bereits bekanntgemachte bronzene Reliefanhänger von Büyükkale in Bogazköy (Abb. 1. 2) 1 wurde 1934 in der obersten Bauschicht gefunden. Der Fundzusammenhang gibt für seine Datierung ebensowenig etwas aus wie für die ursprüngliche Verwendung des Stückes. Zwar gibt es in Büyükkale eine Reihe hellenistischer und römischer Einzelfunde, zu denen aber keine zugehörigen Wohnbauten nachgewiesen werden können. So muß der Fund für sich auf die Form seiner Darstellung hin geprüft und anhand von Parallelen seine kunstgeschichtliche Interpretation versucht werden. Der Anhänger ist als runde, leicht konvexe Scheibe gegossen. Das hochplastische, an der Rückseite hohl belassene Relief erreicht eine Höhe von 2,9 cm. Das obere Rund ist durch zwei massiv mitgegossene, senkrecht abstehende Ösen unterbrochen, die quer zur Fläche verlaufen. Die Rückseite weist keine weiteren Befestigungsspuren auf. Der Durchmesser des Medaillons hat in der Breite 6,1 cm, in der Höhe 5 cm. Sein Gewicht beträgt 120 g. Der untere Rand ist weggebrochen. In kräftigem Relief vor die konvexe Fläche vorspringend (vgl. Abb. 2) ist ein weinlaubbekränzter Dionysoskopf dargestellt; dazu sind Hals und Schulteransatz wiedergegeben. Das Haupt des Gottes ist scharf nach seiner Linken gedreht, so daß die linke Gesichtshälfte in die Tiefe verkürzt sichtbar ist. Die für Dionysos-Darstellungen typische Stirnbinde 2 ist als rund gedrehte breite Kordel gegeben. Schwer legen sich darüber wulstig modellierte Weinblätter eines ausladenden Kranzes. Dieser besteht aus nur wenigen großen Blättern, die für die Wiedergabe von Haupthaar bis auf eine Locke auf der rechten Wange keinen Platz lassen. In weitläufiger Staffelung reichen sie bis auf beide Schultern. An den Schläfen ist rechts und links je ein als Korymbe, vielleicht auch als Pinienzapfen zu verstehendes Gebilde eingefügt. Die Blätter haben durch Kerbungen gegebene Mittel- und teilweise auch Querrippen. Die Protome endet am unteren Medaillonrund in Schlüsselbeinhöhe. Hier werden die verknoteten Vorderläufe eines Pantherfells sichtbar. Der ursprüngliche, jetzt weggebrochene untere linke Abschluß wird symmetrisch zur rechten Seite gestaltet gewesen sein, im wesentlichen also den vom Knoten ausgehenden Vorderlauf gezeigt haben. Seitlich der Schultern ist der unregelmäßig freibleibende Rand der Scheibe mit unplastischen, wohl nach dem Guß geritzten Spiralmustern ausgefüllt. Eine frische Treffsicherheit zeigt sich in der Charakterisierung des Gottes; strotzende Lebensfülle kommt in den schwellend festen, etwas groben Zügen seines Gesichtes zum Ausdruck; der üppige Kopfschmuck atmet dionysische Atmosphäre des Überschwangs. Die formale Durchführung des kleinen Reliefwerkes ist von hoher Dynamik geprägt. Auf einer Fläche von weniger als 30 cm 2 erreicht das Relief eine Höhe von 2,9 cm.
1
12*
K. Bittel,Bogazköy I 53 Taf. 21, 8. — Prof. K. Bittel danke ich, das Stück an dieser Stelle behandeln zu dürfen; Dr. R. Boehmer, Prof. W. Grünhagen, Dr. H. Sichtermann und Dr. G. Gamer bin ich für Auskünfte und die Beschaffung von Fotografien sehr verpflichtet.
2
Vgl. H. Brandenburg, Studien zur Mitra 136 ff. Zur Mitra des Dionysos vgl. ebenda 140ff.: Sie ist nicht mit dem Stirnband identisch, sondern bezeichnet die von Frauen getragene Haube.
180
JUTTA
M E I S C H N E R
Dieser höchste Punkt liegt in dem wulstigen Weinblatt über der Stirnmitte; es steht nahezu senkrecht vom Reliefgrund ab. An der rechten Kopfseite gehen die Blattschichten in stumpfwinklige Lage, d. h. flache Reliefhöhe über, während die drei großen Blätter der linken, der Fläche zugedrehten Kopfhälfte, zwar erhaben gebildet, parallel dem Grund aufliegen. Über diese Abstufung plastischer Erhabenheit des Reliefs hinaus gibt es noch geritzte Spiralmotive, die horrorvacui-artig den Rand füllen. Offenbar gelang dem Künstler die Wiedergabe der Tiefenillusion an der aus dem Grund herausgewendeten rechten Kopfhälfte überzeugender, während an der dem Grund zugekehrten linken Seite der Protome perspektivische Unstimmigkeiten vorliegen. Hier müßte der Blattkranz ganz hinter der Schläfe verschwinden. Somit entstünde oberhalb der linken Schulter eine leere Fläche. In naiver Weise sind hier drei große Blätter vom Haupt abstehend in die Fläche geklappt. Die Kontur der linken Schulter bleibt vollends ungeklärt. Sie läuft wohl mit der Kante des untersten Weinblattes zusammen und ist am Medaillonrand unausgeführt, wo dicht neben dem geknoteten Tierfell die Spiralritzung beginnt. Diese Steigerung der Reliefhöhe auf so kleinem Raum ist das adäquate formale Ausdrucksmittel für die Spannung der Komposition: Die Schultern sind (von der Figur aus gesehen) nach rechts ausgerichtet schräg ins Bildfeld gesetzt. Gleichwohl ist das Gesicht scharf abgewinkelt zur linken Körperseite gedreht. Die harte Achsenverschiebung von Schultern und Gesicht wird an der rund herausgewölbten Halskontur deutlich. Doch die abrupte Bewegung, die sich in Schultern, Hals und Kopf ausdrückt, ist zum Stillstand gekommen. Das Gesicht des Gottes selbst zeigt keine Anspannung oder Aufmerksamkeit. Der Kopf ist leicht gesenkt; die Blickrichtung ordnet sich der Kopfhaltung unter. Sie führt in spitzem Winkel abwärts; innerhalb des Ausschnitts unserer Protome trifft sie sich etwa mit der linken Schulter. So entsteht zwischen linker Schulter, Halsansatz und Stirn ein eindeutig begrenztes Kompositionsdreieck, dessen 'offene' Seite des abgewandten Gesichtes durch die imaginäre Linie der Blickführung geschlossen wird. Hart voneinander divergierende Bewegungsrichtungen, scharf gegeneinander gesetzte Kompositionsachsen erreichen sowohl räumliche Tiefe wie kubische Plastizität der Anlage. Sie sind Grundzüge, die die frühhellenistische Kunst des fortschreitenden 3. Jhs., die Epoche des sogen, schlichten Stils, kennzeichnen. Die aufwendige Ausstattung unseres Götterbildes mit dem üppigen Blattkranz, die abrupte Haltung des Kopfes vermeiden eben noch hochhellenistisches Pathos der Gesamtwirkung. Betrachten wir die Gesichtsgestaltung: Die wesentlichen Organe, Augen, Nase, Mund sind mit unklassischer Detailbetonung vorgetragen. Sie sind von höchst ursprünglicher, unkonventioneller Bildung. Die wenig schöne, breite Nase erinnert an Satyrphysiognomien 3 . 3
z. B.: W. Klein, Vom a n t i k e n Rokoko Abb. 12; B o a r d m a n - D ö r i g - F u c h s - H i r m e r , Die griech. K u n s t
EIN P F E R D E A M U L E T T AUS
BÜGAZKÖY
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Die Oberlippenfurche ist stark ausgeprägt, seitlich schwingen sich die Lippenhälften prononciert aufwärts, ein Zug, der den Gott der Sinnenfreude und satten Lebensgenusses trefflich charakterisiert. Wie die Nase sind auch die Augen auffallend breit und flächig angelegt; schönlinige Konturierung der Lidöffnung wird nicht angestrebt. Weit sind die Unterlider herabgezogen 4 ; die kaum vorkragenden Brauen beschatten das groß blickende Auge weniger, als daß sie eine nachdrückliche Abgrenzung der Stirn bilden. Jedes Gesichtsorgan sagt, unabhängig vom anderen, Wesentliches zu einer Charakterisierung des Gottes aus. Das formale Gewicht, das jedem Einzelorgan zukommt, wird deutlich an seiner Lagerung im Gefüge der angrenzenden Gesichtsteile: Durch weit ausholende konkave Senken sind Unterlider und Mundwinkel von den Wangen abgesetzt. Der Individualisierung der Details wird durch das Gegeneinander großflächiger Teilkomplexe Rechnung getragen. Augen und Lippen, Kinn und Wangen werden isoliert zu eigenwertiger Bedeutsamkeit, in dieser Tendenz zu inhaltlicher Über- A b b ' 2 ' B r ° n X n k a i r g r r r h t M i 1 0 s n y S 0 S P r 0 t 0 m e ' höhung wie formaler Isolierung gleichwohl dem gemeinsamen Thema untergeordnet. So fügen sich die solchermaßen expressiv behandelten Gesichtsteile durchaus einem einheitlichen gesamtverbindlichen Achsensystem ein, das umschlossen wird durch die straff begrenzende Kontur von Kinn, Wangen und Stirnband. Dieses gehört mit den Brauen, den Oberlidern, den breiten Nasenflügeln, der Mundspalte und der Unterlippe zu den waagerechten Koordinationslinien, zu denen im rechten Winkel der Nasenrücken, die Oberlippensenke und das prononcierte Kinn sowie die betonten Senken seitlich der Mundwinkel stehen. Gebunden in diesem Koordinatensystem unterliegen die einzelnen Gesichtszonen einer strengen Bezüglichkeit aufeinander. Die plastische Durchdringung der Gesichtsteile ist, gemessen an der Räumlichkeit, mit der die Blätter des Kranzes behandelt sind, zurückhaltender. Das hohe, kräftige Kinn, die ebenso hohen, fleischigen Wangen bilden den ungebrochenen tragenden Grund für den Gesichtsbau. Ihre kompakten Wölbungen liegen mit den Brauenknochen in gleicher Reliefhöhe, gegen die sich die Unterhöhlungen der Augenringe und Mundwinkel nicht so sehr durch die Tiefe ihrer Einsenkung, als durch ihre ausholende Flächigkeit abheben.
4
Abb. 292 rechts; W. Fuchs, Der Schiffsfund von Mahdia Abb. 19; A. Blanco, Museo del Prado, Cat. Escultura Taf. 12. 13. Diesen Typus der Dionysos-Darstellung in seinem realistischen Empfinden für das Wesen des Gottes vertritt auch das Emblem einer bronzenen Klinenlehne aus Pella aus dem
3. J h . V. Chr., Oikonomos, AM. 51, 1926, Taf. 10; Neugebauer, AM. 57, 1932, 32ff. Sehr ähnlich in der Anlage, wenn auch drastischer in der Wirkung sind das fleischige Kinn, die lässig aufgeworfenen Lippen, die breite häßliche Nase und das durch ausholende Lid- und Brauenbögen betonte Auge,
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JUTTA
MEISCHNER
So spiegelt der Gesichtsbau dieselbe Formbehandlung, die wir an der Anlage der gesamten Protome beobachteten: leidenschaftliche Dynamik des inhaltlichen Vorwurfs, die jedoch in einem streng geschlossenen Kompositionsschema gebunden bleibt. Vom Gegenstand der Darstellung her bietet sich zum stilistischen Vergleich der Barberinische Faun in München (Abb. 3) an, doch nur, um die fortschreitende hellenistische Zeit zu dokumentieren. Dieses Werk gehört in den beginnenden 'Barock' des Hochhellenismus und weist auf die 'zentrifugale' Kompositionsweise des 2. Jhs. voraus. Die Intimität der Gesichtszüge schafft eine Vielfalt an Detailformen. E s werden Assymmetrien deutlich, axiale Verschiebungen, deren motivischer Anlaß das halbseitliche Aufliegen des Kopfes auf der linken Schulter ist. So wird die linke Gesichtshälfte zusammengepreßt, Kinn und rechter Kiefer dagegen herausgeschoben; die am linken Auge sich bildenden Krähenfüße fehlen rechts. Auffallend schief zur Achse des Nasenrückens liegt auch der Mund. Das Wangendreieck ist an der aufliegenden linken Gesichtshälfte schmaler als rechts, gewinnt gleichwohl an plastischem Wert durch den Realismus des herabsackenden linken Mundwinkels. Der in seine Richtung führende, sich aus der Lagerung des Gesichtes ergebende physikalische Schwerpunkt divergiert so sternförmig von der Richtung der abgedrängten rechten Gesichtshälfte. Nicht nur die Komposition, auch die plastische Durchführung weist gewiß um Jahrzehnte über den Dionysoskopf aus Bogazköy hinaus. Die naturalistischen Differenzierungen der Oberfläche fehlen der Bronze gänzlich, dazu die tiefe Unterarbeitung von Mund und Augen. Der an der Dionysos-Protome vorliegende Grad plastischer Durchdringung der Oberfläche führt vielmehr in die Nähe etwa des Galliers Ludovisi 6 . Das innen tief hinter der Nasenwurzel eingesenkte Auge liegt im Profil noch vergleichsweise flach zwischen Brauen und Wangen; die Naso-Labial-Falten gliedern das Gesicht gemäß streng symmetrischer Tektonik ohne nachhaltig schattierende Wirkung. Die Kinnrinne ist trotz des erregt geöffneten Mundes nur leicht von der Unterlippe abgesetzt. Die äußerste Anspannung der Gefühle findet außer an den geschürzten Brauen über der Nasenwurzel keinen Ausdruck im Muskelspiel des Gesichts; hier herrscht wie an der Dionysos-Bronze noch die Regelmäßigkeit eines neutralen Modells. Das Pathos des Galliers ist weitgehend durch die Komposition: Drehung des Kopfes, Öffnung der Lippen und nicht zuletzt durch die dichte Masse des halblangen Haars erreicht. Hier zeichnen sich an einem gattungsmäßig fernstehenden Werk der Großplastik bildnerische Mittel ab, deren Anlage und künstlerische Wirkung mit der unserer Bronze übereinstimmen. Schwankt die Datierung des Barberinischen Fauns zwischen 200 und 220®, so wird der Gallier Ludovisi übereinstimmend gegen 225 angesetzt 7 . Mit ihm ist die frühhellenistische Form, der 'schlichte Stil' bereits überschritten. Unsere als geschlossenes Dreieck komponierte Dionysos-Protome wahrt diese 'Schlichtheit' noch, während sie durch das jäh hochgeworfene Haupt des Galliers zerrissen wird. Am Ausgang des Frühhellenismus also findet die Dionysos-Bronze aus Bogazköy ihren kunstgeschichtlichen Platz. Wir geben ihr ein approximatives Entstehungsdatum zwischen 235 und 225. Weiter ins 3. J h . zurück führt das motivisch unserem bekränzten Dionysoskopf nächst verwandte Original zum Satyr mit
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6
Dörig a. O. Abb. 273; P. v. Bienkowski, Die Darstellungen der Gallier in der hellenistischen Kunst Abb. 6. 7; BrBr. 422. Horn, RM. 52, 1937, 156f.: »frühes 2. Jh.«; Pfuhl, J d l . 47, 1932, 71 Anm. 4: »eher vor als
nach 200«; Hausmann, AM. 77, 1962, 278 Beil. 74, 3: »220«; Dörig a. O.: »220«. 7
Horn a. O. 147; H. Kahler, Der Große Fries von Pergamon 68; Dörig a. O, zu Abb. 273.
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Abb. 3. Barberinischer F a u n , Detail. München, G l y p t o t h e k
geschultertem Böckchen im Prado zu Madrid (Abb. 4)8. Den Aufbau der Gruppe kennzeichnet die gebrochene Vielachsigkeit frühhellenistischer Werke: Das raumgreifende Schreitmotiv der Beine wird in den Hüften abgefangen; über seiner Pyramide baut sich die Senkrechte des Rumpfes auf. In Schlüsselbeinhöhe vervielfältigen sich die scharfwinklig gebrochenen Kompositionslinien. Die Senkrechte des Rumpfes wird von der Querachse von linkem Unterarm und rechtem Hinterlauf des Böckchens abgeschnitten. Über ihr erhebt sich ein annähernd gleichseitiges Dreieck, dessen Spitze der Kopf des Böckchens bildet. Dieses aufgestockte Dreieck wird exakt halbiert durch das Lot von Hals, Brust und Vorderläufen des Tieres. Die an sich lebhafte Wendung der Köpfe von Satyr und Böckchen durchbricht dieses in Pyramiden sich aufbauende Kompositionsschema nicht, sondern führt den Blick des Betrachters zu seinem Gipfelpunkt und schließt dort das Netz sich unruhig kreuzender Achsen. Wenn auch am Madrider Satyr die verflachende Manier des römischen Kopisten berücksichtigt werden muß, scheint doch die Gesichtsanlage des griechischen Originals in seiner schlichten, unakzentuierten Formung zeitlich hinter dem Dionysosköpfchen aus Bogazköy zurückzustehen. Die ebenmäßig ausschwingenden Konturen der groß angelegten Gesichtsdetails beherrschen wie an unserer Bronze die breiten Gesichtsflächen; doch sind die sanft rhythmisierten Übergänge zwischen Höhen und Tiefen am Kopf des Madrider Satyrs um gut zwei Jahrzehnte entfernt von jener schwellenden Dynamik, die jeder Teilform in neuem Ansatz plastischen Eigenwert verleiht.
8
Vgl. Blanco a. O. 33 Taf. 12. 13; bei H. Ladendort, A n t i k e n s t u d i u m u n d Antikenkopie 67 in
Verwechslung mit Blanco a. O. Taf. 14 als S a t y r Ildefonso bezeichnet,
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J U T TA M E I S C H N E R
Die gattungsmäßige Stellung unseres Reliefs zwischen Rundplastik und Kleinkunst weist nicht nur Bezüge zur Großplastik auf; am Rande des Plakettenrundes erscheint als flächenfüllender Schmuck ein Motiv, das uns aus der Keramik des späteren 3. Jhs. bekannt ist, die Spiralranke mit knospenartigen Verdickungen an Zwickeln und Ausläufern. Ein schönes Beispiel im Stil der Westabhangkeramik findet sich in Pergamon ; es wird von J. Schäfer gegen 220 datiert 9 . Sehr beliebt ist das Motiv an megarischen Bechern aus Antiochia 10 , wo es ohne erkennbare Abänderung im 2. Jh. fortlebt 11 . In organischerer Funktion, als 'Volutenbaum', kennt es die unteritalische Vasenmalerei des 4. Jhs. 12 . Welchen Zweck mag das Reliefmedaillon einst versehen haben ? Auf seine Anbringung deuten die kräftigen Ösen; es hat lose an einem Abb. 4 a. Kopf des Satyrs Abb. 4b
schmalen Riemen herabgehangen u n d
war nicht flach anliegend wie die Phalerae am Pferdezaumzeug 13 , die in Rom auch als Orden verliehen 14 und am Panzer getragen wurden 15 , durch Ösen der Rückseite befestigt 16 . Das Gewicht unseres 9
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J . Schäfer, Hellenist. Keramik, PergForsch. 11, D 3 Taf. 10, vgl. die Skala S. 58. Antioch on t h e Orontes IV 1 Abb. 12, 2. 1 2 - 1 4 . 22. 23; 13, 2. 3; zur Datierung vgl. L. Byvanck, BullAntBeschav. 28, 1953, 8; ein attisches Beispiel ebenda 4 Abb. 6. Antioch on t h e Orontes IV 1 Abb. 11, 19. 20; vgl. L. B y v a n c k a. O. 8. A. Trendall, The Red-Figured Vases of Lucania, C a m p a n i a and Sicily II Taf. 57, 5. 6; 65, 1—5; 165, 3; 169, 3 - 6 ; 225, 3 . 4 ; vgl. aber ebenda Taf. 75, 2; 100, 4; 224, 4. J H S . 29, 1909, 157f. Abb. 9; A. de Franciscis, II Museo Naz. di Napoli (1963) Abb. 80 und F a r b t a f . I I I ; D. K e n t Hill, Cat. of Class. Bronze Sculpture in t h e Walters Art Gall. Taf. 4 Nr. 10; J. Toynbee, The Art of t h e R o m a n s Abb. 30; E. Knauer, Das Reiterstandbild des Kaisers Marc Aurel, Abb. 1. 3. 5; Germania R o m a n a 30, 3; 32, 1. 3. 5. 7; L. Lindenschmit,
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T r a c h t u n d B e w a f f n u n g des röm. Heeres während der Kaiserzeit Taf. 7, 3; 8, 1. 2; H. Schoppa, Die K u n s t der Römerzeit . . . Abb. 49; Daremberg-Saglio II 1, 786 Abb. 2738/39; vgl. besonders das in der S c h m u c k f o r m unserem Anhänger g u t vergleichbare peltaförmige Bronzeplättchen mit Reliefbüste über den N ü s t e r n des kolossalen Pferdekopfes aus Herculaneum, J d l . 48, 1933, 158f. Abb. 88, hier Abb. 7; E r d m a n n , J b P r e u ß Kunstslg. 1936, 201 Abb. 4. A. Alföldi, Der frührömische Reiteradel u n d seine Ehrenzeichen 17ff.; Daremberg-Saglio IV I, 426. Schoppa a. O. Abb. 40; G e r m a n i a R o m a n a 28, 5; 30, 1; Lindenschmit a. O. 1, 6. 7; 2, 1; 7, 1. H. Menzel, Die römischen Bronzen aus Deutschland I. Speyer Nr. 86 Taf. 54; F. Matz, 92. B W P r . , 1932, 7 Abb. 3; E. Pernice, 56. B W P r . 1896, 27ff.; H . Lehner, Das Römerlager Vetera bei X a n t e n 41 Taf. 1 oben. — D a s Fehlen
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¡¡•dMfl Bronzeanhängers von circa 120 g scheint uns seine Deutung als menschlichen Brustschmuck einigermaßen zu erschweren, wenn auch nicht auszuschließen, vgl. das fast brustbreite Medaillon des Pferdeführers mit Darstellung einer Kaiserbüste auf dem Severusbogen in Leptis Magna (Abb. 5)17. Immerhin handelt es sich hier nicht um ein reales menschliches Wesen, sondern um eine symbolische Personifikation, die der gens Septimia — so P. Townsend 18 , während R. Bartoccini in der Figur einen Genius sieht19. Für menschlichen Halsschmuck vorgesehene Medaillons sind an Maß und Gewicht meist bescheidener, vgl. die etwa 2 cm messenden Goldanhänger aus Tanais 20 , deren Form und Ausgestaltung im übrigen unserem Beispiel aus Bogazköy eng verwandt sind. Auch dort erhebt sich je eine Götterbüste in hohem Relief vor der runden Fläche. Das genannte Monument in Leptis Magna bietet aber neben der Gestalt des Genius einen weit überzeugenderen Hinweis auf den einstigen Verwendungszweck unseres Anhängers: das Relieffragment mit Wiedergabe zweier römischer Legionäre und eines Pferdevorderleibes (Abb. 6)21. Das Pferd trägt ein breites Pectoral (AettccÖvov), an dem links vom Bug drei Anhänger verschiedener Form lose herabhängen. Der vorderste scheint ein Gorgoneion zu sein, der mittlere Abb. 4b. Satyr mit Böckchen. eine runde Scheibe, der dritte hat die UmMadrid, P r a d o risse eines Efeublattes. Ihr natürliches Format dürfte mit dem unserer Bronze von 6 cm ziemlich genau übereinstimmen. Bartoccini erklärt diese Anhänger als apotropäische Amulette und weist auf paralleles Brauchtum der Gegenwart in Libyen hin 22 . Ein-
17
18
jeglicher Halterungsvorrichtung an den Tarentiner Silberscheiben in Princeton und Boston, AA. 1965, 563 Abb. 5 — 10, scheint uns für die Vermutung B. Segalls, in ihnen Schalenembleme zu sehen, gegenüber der Deutung A. Alföldis als Reiterscheiben zu sprechen. Africa It. 4, 1931, 98. 100 Abb. 73. 76; AJA. 42, 1938, 515f. Taf. 19a. E b e n d a 515 f. Die Deutung als Personifikation der gens Septimia übernimmt M. Squarciapino,
Leptis Magna 66. 19 20
Africa It. 4, 1931, lOOf. AA. 1909, 141 Abb. 1. - Etruskische bullae haben mitunter größere Maße, z. B. G. Giglioli, L ' a r t e etrusca Taf. 368, 4, oder die ähnlich unserem Beispiel mit Kopfprotomen verzierten Anhänger, ebenda Taf. 412, 2.
21
Africa It. a. O. 125 Abb. 90.
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Ebenda 127 mit Anm. 3.
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J U T T A
M E I S C H N E R
deutige Amulettkapseln sind die Anhänger etruskischer Pferdedarstellungen des 4. Jhs. 2 2 a . Für derartige an Brustriemen und Leibgurt von Pferden angebrachte Anhänger gibt es genug Beispiele von der Archaik bis ins Sassanidische. Dienen sie bloßem Schmuck, treten sie in einer Vielzahl gereiht auf; es gibt runde 23 , blatt- 2 4 , lotusförmige 25 Schmuckanhänger. 22a
23
Alföldi, A n t K . 4. Beih. (Festschr. K . Schefold) 45 Taf. 14; H. Mühlestein, Die E t r u s k e r im Spiegel ihrer K u n s t (1969) 292 Abb. 55; 296 Abb. 36. Pfuhl, MuZ. I I I T a f . 33, 1 4 5 - 1 4 7 ; vgl. CVA. B r i t . Mus (8) I I D n Taf. 4, 1. 2 ; 7, 6. 7; 10, 1. 2; 12, 1; 13, 2; I I D q Taf. 5, 1; J . Anderson, Ancient Greek Horsemanship Taf. 17 a (klazomenisch); D. v. Bothmer, Amazons in Greek Art T a f . 64, 4 b (attisch); CVA. Villa Giulia (1) IV B n Taf. 2, 1; CVA. Heidelberg (2) Taf. 62, 1 — 3 ; J . Beazley, E t r u s c a n Vase-Painting Taf. 5, 2; 7, 1. 2 (archaisch etruskisch); CVA. Brit. Mus. (7) I V E Taf. 4, 9 (campanisch, 4. J h . ) ; K . Schumacher, Sammlung antiker Bronzen, Karlsruhe Nr. 847 Taf. 16, 5; E . Herzfeld, Am T o r von Asien Taf. 51 links (römisch); eben-
24
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da rechts; E r d m a n n , J b . Preuß. Kunstslg. 1936, 193ff. Abb. 7. 12. 13. 15. 16 (sassanidisch). Pfuhl a. O. I I I Taf. 129, 4 0 2 ; K . LehmannHartleben, Die Trajanssäule Taf. 7 V I I ; 13 X X I ; 20. 34. 41. 47. 49 C I V ; Schumacher a. O. Nr. 792. 849 Taf. 16, 10; Propyläen Kunstgeschichte I I (1967) 217. Pfuhl a. O. I I I Taf. 233, 583; W . Technau, E x e kias Taf. 16; J . Beazley, Der KleophradesMaler Taf. 32, 2; Anderson a. O. Taf. 20 (Palmetten- und Lotusanhänger) D. v. B o t h m e r a. O. Taf. 58, 3; Daremberg-Saglio I I 1, 648 Abb. 2687. Lotusförmige Anhänger scheinen auf attischen Bereich begrenzt zu sein. — Weitere Varianten finden sich am Zaumzeug sassanidischer Pferdedarstellungen, vgl. z. B . E r d m a n n a. O. Abb. 1. 3. 9. 10. 16. 20. 21.
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BOGÄZKÖY
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Sind nur vereinzelte, wie an dem Beispiel von Leptis Magna, oder ein einziger Anhänger am Brustgurt 2 6 vorhanden, handelt es sich, aus Analogie zu den auf gleiche Weise an gleicher Stelle angebrachten Eberzahnamuletten 27 zu schließen, um Pferdeamulette. D. h. mit Sicherheit um Pferdeamulette —, denn auch die gereihten, hier als bloße Zierobjekte bezeichneten Anhänger sowie die an den Kreuzungsstellen des Zaumzeugs angebrachten Phalerae werden ursprünglich übelabwehrende Bedeutung gehabt haben 28 . Die zahlreich an der Traj anssäule 29 sowie am Sockel der Antoninus-Pius-Säule 30 auftretenden mondsichelförmigen Anhänger, die sogen. lunulae, in der Regel vorn in der Mitte der Brust (vgl. auch die Anm. 26 angeführte lunula des Dioskuren-Pferdes im Giardino Boboli) angebracht, meist gereiht mit einer Vielzahl wein- oder efeublattförmiger Anhänger, haben als Amulette eine j ahrtausendealte Vergangenheit 31 . Wenn auch für unser Dionysos-Emblem keine direkte Parallele in dieser Bedeutung nachgewiesen werden kann, so hat das Erscheinen eines Gottes als übelabwehrendes Motiv nichts Überraschendes. Die oben erwähnten Goldanhänger aus Tanais (Anm. 20) mit den Büsten der Athena, Aphrodite, Zeus, Artemis (?) und Demeter (?) sind durch den Mitfund einer lunula mit Wahrscheinlichkeit ebenfalls als Amulette ZU deu-
Abb. 6. Relieffragment vom Tetrapylon
i n Leptis Magna ten, wie auch vierzig ebenfalls aus hellenistischen Gräbern aus Tanais stammende Goldplättchen mit gleichartigen Götterbüsten. Sulla pflegte ein goldenes Apollofigürchen aus Delfi auf der Brust zu tragen 32 . Eigürchen der ephesischen Artemis hatten dieselbe Funktion 33 . Der unseres Pferdeamuletts am nächsten kommen zwei Beispiele aus Unteritalien. E s sind deltaförmige 26
27 28
29
Daremberg-Saglio II 1, 791 Abb. 2748; Brit. Mus. Cat. L a m p s 211 Abb. 330; E . Nash, Bildlexikon zur Topografie des antiken R o m I 128. Vgl. v. Mercklin, J d l . 48, 1933, 125ff. Abb. 45. Vgl. Daremberg-Saglio I 1, 255; R E . I 1, 1988; vgl. auch Andersons Deutung der gereihten Anhänger auf klazomenischen Vasen als Amulette (oben Anm. 23) sowie Alföldi in Festschr. K . Schefold 45. Lehmann-Hartleben a. O. Taf. 20 X X X V I ; 49
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C1V; 64 C X X X V 1 I I ; 66 C X L I V ; 67. Propyläen Kunstgesch. II (1967) 217. Zu Belegen aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. bis in koptische Zeit vgl. R. M. Boehmer, Kleinfunde aus Bogazköy (1970), das Kapitel Bronzeanhänger: Lunulae. Vgl. weiter das Elfenbeinkästchen in Troyes aus dem 11. Jh., D. Rice, Byzantin. K u n s t (1964) 440 Abb. 405. Plut., Sulla 29. RAC. I 400; Daremberg-Saglio I 1, 255.
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AUS
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Abb. 7. Bronzener Pferdekopf. Neapel, Nationalmuseum
Bronzeplatten (die eine mit dem kolossalen bronzenen Pferdekopf aus Herculaneum mitgegossen [Abb. 7]), auf denen sich in stark vorspringendem Relief eine Büste erhebt 3 4 ; eine von ihnen wird als Hygieia gedeutet. Diese Bronzeplatten gehören, wie unser Exemplar aus Bogazköy, zum Pferdegeschirr, und zwar zum Kopfzeug. Auf die ursprüngliche Bedeutung der Phalerae an Pferdegeschirr als Amulette wurde bereits hingewiesen (vgl. Anm. 28). An so hervorragender Stelle wie dem Kopf angebrachten Appliken muß Amulettcharakter mit Gewißheit zugesprochen werden. So behauptet z. B. auch M. Rostofzeff, daß Stirnschmuck das Pferd schützen soll 36 . Zwei Pferdeamulette mit Reliefdarstellungen von Götterbildern also liegen uns in diesen Beispielen aus Unteritalien vor. Sie erweisen sich nach Gegenstand, Bedeutung und Ausführung als nächste Parallelen zu unserem Reliefanhänger mit Dionysosbüste. Dieser nun, sollte sein einstiger Verwendungszweck im Vorangehenden zutreffend gedeutet worden sein, ist nicht nur ein seltener Vertreter einer abseitigen Gruppe antiker Realien; sein Reliefschmuck ist von so frischer Originalität, daß das Stück als Beispiel griechischer Kleinkunst die Aufmerksamkeit auch des Stilkritikers beanspruchen darf. Berlin
31
J d l . 48, 1933, 158 mit Anm. 5; 159 mit Anm. 1 Abb. 88 = A. de Franciscis, 11 Museo Naz. di
Jutta
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Napoli (1963) Abb. 82. Festschr. O. Montelius 229.
Meischner
A. K R U G ,
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EIN BILDNIS MITHRADATES' VI. VON PONTOS Im Archäologischen Museum von Venedig befindet sich unter der Inventarnummer 245 eine leicht unterlebensgroße Heliosbüste aus Marmor (Abb. 1—3)1. Sie stammt aus dem Besitz des venezianischen Adeligen Girolamo Zulian, dessen Sammlung antiker Skulpturen während seines Aufenthaltes als Gesandter an der Hohen Pforte in Konstantinopel und später in Rom entstand und nach seinem Tode 1795 dem Museum von Venedig vererbt wurde. Das Material der Büste — nach Angabe von Amelung thasischer Marmor geringer Qualität, der auch an geschützten Stellen schuppig verwittert — weist ebenfalls auf eine Herkunft des Werkes aus dem griechischen Osten hin. Die Gesamthöhe der Büste beträgt 0,56 m, die Höhe des Kopfes 0,28 m und die Länge des Gesichtes 0,18 m. Die Nase, die mittlere Partie von Unterlippe und Kinn sowie der obere Teil des breiten Nimbus sind in feinkristallinem, wohl italischem Marmor ergänzt. An Stirn, Augen und Ansatzstellen der Ergänzungen ist die zuckrig ausgewitterte Oberfläche des Marmors leicht geglättet worden. Die in den Einzelaufnahmen abgebildeten modernen Strahlen aus Bronze, der Büstenfuß und die im Text zu den Einzelaufnahmen erwähnten modernen roten Farbspuren sind bei einer neuerlichen Reinigung der Büste entfernt worden. Das Aussehen dieser Heliosbüste, von der keine Replik oder Variante bekannt ist, wird durch die Wiedergabe des Haares und die individuellen Gesichtszüge bestimmt, welche die ideale Jugendlichkeit des Sonnengottes vermissen lassen. Über der Stirn bilden fünf züngelnde Locken den Ansatz zu einem strahlenartigen Haarkranz, der jedoch im weiteren nicht durchgeführt wird. Vielmehr greifen an den Schläfen lang durchgezogene Locken von der Vorderseite in die Seitenflächen des Kopfes um und entfalten dort, über- und untereinandergeschoben, einen bemerkenswerten Reichtum an Einzelformen. Das lange, in dicke Locken gegliederte Nackenhaar wird überhaupt erst in der Seitenansicht sichtbar. Sowohl in der Vorder- wie in der Seitenansicht prägt sich die sorgfältig artikulierte Trennung der einzelnen Lockenstränge ein, die besonders auf der rechten Seite des Kopfes durch tiefe Aushöhlungen voneinander getrennt sind. Diese verschiedenen Haarpartien, die in der Vorderansicht etwas übergangslos nebeneinanderstehen, ordnen sich in der Seitenansicht einheitlich einer rückwärtsfliegenden Bewegung unter, in der Stirn-, Seitenund Nackenlocken übereinstimmen. Dieser Helioskopf ist nicht auf flächenhafte Wirkung von der Vorderansicht her angelegt, vielmehr sind die Profilansichten in ihrer einheitlichen Komposition und ihrem Motivreichtum der Vorderansicht zumindest gleichwertig. Das fast hagere Gesicht wird von den tiefliegenden, eng beieinanderstehenden Augen beherrscht. Die Spalte des halbgeöffneten Mundes ist tief ausgebohrt; die Oberlippe ist leicht gewölbt und glatt, die Rinne auf ihrer Oberseite — das Philtrum — ist nicht angegeben. Die auf der Abbildung sichtbaren Schatten in den Mundwinkeln sind Staubflecken, gleichwohl sind 1
G. Valentinelli, Marmi Scolpiti del Museo Archeologico della Marciana di Venezia (1863) 19 Nr. 34. — H . Diitschke, Antike Bildwerke in Oberitalien V Nr. 98. EA. 2 4 4 4 - 2 4 4 6 (W. Amelung). — C. Anti, Il Regio Museo Archeologico nel Palazzo Reale di Venezia (1930) Sala X I I I Nr. 5. H. Hoffmann,
J A R C E . 2, 1963, 122f. Tai. 27, 16. 17; 28.
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Archivio Fotografico Neg. Nr. 1 5 0 3 - 1 5 0 5 . 2 3 9 4 . F r a u B r u n a Forlati T a m a r o h a b e ich f ü r die Freundlichkeit zu danken, mit der sie Fotografien der Büste zur Verfügung gestellt u n d d a r ü b e r h i n a u s N e u a u f n a h m e n v e r a n l a ß t hat.
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hier die Wangen trotz der geringen Modellierung der Oberfläche schmal. Die Oberarmbüste ist mit einem Chiton und einem Übergewand bekleidet, das auf beiden Schultern mit einer runden Fibel geheftet ist. Beide Gewandstücke werden unter der Brust von einem bandartigen Gürtel zusammengehalten, so daß ihr Verhältnis zueinander nicht ganz ersichtlich ist. Die Form des Büstenausschnittes sowie die Bohrtechnik ohne stehengebliebene Bohrstege weist auf eine Entstehung der Büste im 2. Jh. n. Chr. hin. Für die Frage nach der Entstehungszeit des Vorbildes ist der individuelle Kopf des Helios maßgebend, denn die Gewanddrapierung, die in ihren Faltenzügen so deutlich Rücksicht auf den Büstenausschnitt nimmt, dürfte wohl zugleich mit der Umwandlung des Originals in die vorliegende Büste entstanden sein. Die ungewöhnlich breite Form des Strahlenkranzes, die auch bei einer Heliosbüste in Madrid 2 vorliegt und die man zunächst gleichfalls dem Kopisten des 2. Jhs. n. Chr. zuschreiben möchte, ist durch die Heliosmetope von Ilion 3 als ein hellenistischer Zug gesichert. Von dieser Äußerlichkeit abgesehen ergeben sich unter den nachklassischen Heliosbildern in Plastik und Relief, und nur unter diesen ist nach einer Entsprechung zu suchen, nur ungenügende Parallelen für die Venezianer Büste. Von dem Heliostypus hellenistischer Prägung mit halblangen, ungeordnet fliegenden Locken 4 trennt ihn neben den Unterschieden in den Einzelformen der Mangel an barockem Schwung. Der besonders in Reliefdarstellungen beliebte En-face-Kopf mit den flammenartig das Gesicht umrahmenden Haaren 6 ist durch die gleichmäßige Aureole der Locken stärker ornamental gebildet und auf Frontalansicht hin angelegt als der individuellere und rundansichtigere Venezianer Helios. Auch der dem Alexanderbild nahestehende Heliostypus, der durch die in zwei symmetrische Strähnen geteilte Anastole über der Stirn gekennzeichnet ist 6 und der nach Aussage rhodischer Münzbilder7 des 4. Jhs. bereits vor Alexander d. Gr. in Rhodos gebräuchlich war, unterscheidet sich durch die nach vorn fallenden Haarsträhnen, die Stirn und Wangen überschatten, in seinem ganzen Erscheinungsbild von der Büste in Venedig. Ebensowenig finden sich unter den Heliosköpfen mit den kurzen flammenartigen 2
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P r a d o . Marmor. H 0,51 m. EA. 1614. 1615. A. Blanco, Catälogo de la E s c u l t u r a (1957) 3 6 7 - E Taf. 82. Berlin, P e r g a m o n m u s e u m . EAA. V 494 Abb. 630 s. v. Nimbo (Collinet-Guerin). Die D a t i e r u n g des A t h e n a t e m p e l s u n d der Metopen s c h w a n k t zur Zeit zwischen augusteisch, so E. W . Goet h e r t —H. Schleif, A t h e n a t e m p e l von Ilion (1962) 24f. 41 f. Taf. 3 4 - 4 0 und dem 4-/3. J h . v. Chr., so H. Kahler, Gnomon 36, 1964, 79, in der Rezension zu Goethert —Schleif. F ü r eine E n t s t e h u n g u n t e r der Regierung des Lysimachos im 3. J h . v. Chr. entscheidet sich B. Mills Holden, The Metopes of t h e Temple of A t h e n a a t Ilion (1964) 29ff. Auch im Falle der Spätd a t i e r u n g bleibt die Metope von Ilion als eine Darstellung des späten Hellenismus f ü r eine E i n o r d n u n g des Venezianer Helios verwendbar. So z. B. Rhodos, Museum 13640. Clara Rhodos V 1 (1931) 42ff. Abb. 23. 24. - E h e m . Slg. Hiller v. Gaertringen. B. Graef in Strena Helbigiana 99ff. Abb. Taf. — Pergamonfries, Berlin. H. Kähler, Der große Fries von P e r g a m o n Taf. 9. — Rhodos, Museum. R. L u l l i e s - M . Hir-
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mcr, Griech. Plastik 2 (1960) Taf. 263. - Auch der Helios der Metope von Ilion gehört hierher. Gipsabguß Hildesheim. O. Rubensohn, Hellenist. Silbergerät in a n t i k e n Gipsabgüssen Nr. 38 Taf. 11. — Altar. Rom, Mus. Cap. Stanze Terrene I I 1 A. S t u a r t Jones, Mus. Cap. 47f. Nr. 1 Taf. 9. - Giebelrelief. Brooklyn 62. 148. J A R C E . 2, 1963, 118ff. Taf. 20, 1. 2. D o r t ist von Hoffm a n n weiteres Material zu diesem T y p u s zusammengestellt. L a t e r a n . EA. 2257. — Bologna. F. Poulsen, P o r t r ä t s t u d i e n in norditalienischen Provinzmuseen 25 Nr. 6 Abb. 46. 47. — Dieser wenig signifikante T y p u s dient auch zur Darstellung von Dioskuren, Attis o. ä., s. G. v. KaschnitzWeinberg, Sculture del Magazzino del Museo Vaticano Nr. 1 4 1 - 1 4 4 Taf. 33. Diese K ö p f e sind ebensowenig p o r t r ä t h a f t wie der Tuffkopf v. Kaschnitz-Weinberg a. O. Nr. 582 Taf. 93, den H o f f m a n n mit einigen der oben g e n a n n t e n Helioi u n t e r dem Gesichtspunkt der P o r t r ä t haftigkeit gruppiert. BMC. Caria and Islands Taf. 36, 5. 7 - 1 1 ; 37, 1 — 6; 38, 1—8. Zu der Angleichung Alexanders
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A N T J E
KRUG
Locken, deren Profil auf den hellenistischen und frühkaiserzeitlichen Prägungen der Stadt Rhodos erscheint 8 , zu den langen zurückfliegenden Locken und Stirnhaaren des Venezianer Helios vergleichbare Züge9. Die nächsten Parallelen im Hinblick auf die langen, voneinander abgesetzten und dann ineinandergewirkten Lockenstränge, sowie die Betonung der Seitenansicht neben der Vorderansicht, finden sich bei dem alexanderhaften Helios Lazzeroni 10 und dem Alexander Barracco 11 . Allerdings trennen die individuellen Gesichtszüge des Venezianer Helios ihn sowohl von diesen wie auch von allen übrigen Heliosdarstellungen, die ein jugendlich vollwangiges, ja A b b . 4. T e t r a d r a c h m e sogar rundes Gesicht zeigen. M i t h r a d a t e s V I . von Pontos. Sucht man, da die in Griechenland geschaffeMünchen, S t a a t l . Münzslg. nen Heliosbilder in Plastik und Relief offenbar keine überzeugende Parallele enthalten, unter anderen Kunstwerken Anhaltspunkte zu gewinnen, besonders für die eigentümliche Form der voneinander getrennten, langen zurückfliegenden Locken, so gelangt man zu den vielfach auf Gemmen dargestellten Flußgott- und Erinysköpfen 12 . Im Hinblick auf die Lockenbildung ist ein Aureus des P. Clodius von 44 v. Chr. zu vergleichen (Abb. 6)13, welcher einen von den griechischen Heliostypen der Plastik und der rhodischen Münzen abweichenden Sol zeigt. Des weiteren sind heranzuziehen die unter den Quaestoren Aesillas und Sura für die Provinz Macedonia geschlagenen Münzen mit dem Bildnis Alexanders d. Gr. aus den Jahren 93 bis 88 v. Chr.14, ein von diesem Alexandertypus beeinflußter Sol auf einem Denar des C. Coelius Caldus von 62 v. Chr.16 und schließlich die Münzen mit dem Porträt Mithradates VI. von Pontos (Abb. 4 und 5)16. Namentlich bei der von G. Kleiner als jünger bezeichneten Gruppe 17
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an das ältere Heliosbild s. H. P. L'Orange, Apotheosis in Ancient P o r t r a i t u r e (1947) 34 ff. BMC. Caria a n d Islands Taf. 40, 1 - 1 1 . 17; 42, 6. 9 - 1 2 . W. Amelung im T e x t zu EA. 2444 — 2446 u n d C. Anti, II Regio Museo Sala X I I I Nr. 5, möchten das Vorbild der Venezianer Büste im rhodischen K u n s t k r e i s suchen. EA. 1172. - H. P. L'Orange, Apotheosis 34 Abb. 15. J e t z t in Schloß Adolphseck bei F u l d a . ABr. 477. 478. - M. Bieber, Proc. Amer. Phil. Soc. 93, 1949, 425 Abb. 80. 81. Die D e u t u n g von E. Simon auf einen Dioskur, Heibig 4 I I 1921, ist nicht überzeugend. z. B. A. Furtwängler, AG. Taf. 35, 9. 12; 40, 18. Von M.-L. Vollenweider, Steinschneidekunst u. ihre Künstler in s p ä t r e p u b l i k a n . u. augusteischer Zeit (1966) 48 f. Taf. 45, im Hinblick auf die Münzbildnisse des M i t h r a d a t e s VI. in das 1. J h . v. Chr. datiert. München, Staatl. Münzslg. s. auch Brit. Mus. Cat. Coinage R o m a n Republic I I I Taf. 58, 2—4. Ich
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h a b e der Direktion der Münzslg. f ü r die Anfertigung von Fotografien u n d die P u b l i k a tionserlaubnis zu d a n k e n . H. Gaebler, Münzen Nordgriechenlands I I I 1 (1906) 69ff. Taf. 3, 1 - 3 . 5 (Aesillas). 3, 4 (Sura); I I I 2 (1935) 9 Taf. 3, 13. 14 (Aesillas); 3, 15 (Sura). Der vom Motiv der Locken her ebenfalls vergleichbare Alexanderkopf auf dem Goldmedaillon von Tarsos, Cab. des Med., G. M. A. Richter, P o r t r a i t s of t h e Greeks I I I (1964) Abb. 1717, ist jünger als die Venezianer Heliosbüste u n d möglicherweise von ähnlichen Vorbildern angeregt. S y d e n h a m , R o m a n Republican Coinage Taf. 25, 891. — Brit. Mus. Cat. Coinage R o m a n R e p u blic I I I Taf. 47, 22. München, Staatl. Münzslg. = G. Kleiner, Jdl. 68, 1953, 79 Abb. 2 nach Gipsabguß. BMC. Pontus, Paphlagonia, Bithynia, Bosporus Taf. 8, 5; 9, 1—3. Vgl. auch K. Lange, Antike Herrscherköpfe 82. J d l . 68, 1953, 78ff.
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finden sich sowohl jene langen zurückfliegenden Locken mit dem gesträubten Stirnhaar wie auch die für den Venezianer Helios so bezeichnenden unidealen, etwas hageren Züge und der breite Mund mit den tiefliegenden Winkeln. Zu Beginn der planmäßig antirömischen Politik des Königs, die in dem Italikermord von 88 v. Chr. in offenen Krieg ausbricht, wird dieser Münztypus geschlagen, der in Anlehnung an das Bildnis Alexanders d. Gr. und in der Absicht geschaffen wurde, den Anspruch des Mithradates als TrpocjTccTTi 5 der Hellenen auf die politische Alexandernachfolge auch durch die Angleichung an das Aussehen des Vorgängers zu unterstützen 18 . Als angestrebtes Vorbild wählte Mithradates jedoch nicht den in vielfachen Varianten vorliegenden Alexander-Herakles lysippischer Tradition 19 , den die Azara-Herme und verwandte Werke wiedergeben, noch den in Alexandria beheimateten polytheistischen Alexander, der neben verschiedenartigen Götterattributen die in die Stirn hängenden Haarmassen des alexandrinischen Sarapis übernimmt. Statt dessen glich er unter Beibehaltung gemäßigter Porträtzüge sein Münzbildnis dem Typus des Alexander-Helios an, wie er in der bereits erwähnten Heliosbüste Lazzeroni und den Prägungen des Aesillas vorliegt20. In der Heliosbüste Venedig, deren Abb. 5. Mithradates VI. von Pontos als Helios. Vorbild auch aus stilistischen Gründen in Venedig, Museo Archeologico die Nähe der genannten späthellenistischen Alexanderbildnisse gehört, finden sich in so hohem Maße Elemente des Alexander-Helios und Züge Mithradates' VI., wie sie die jüngere Prägung mit dem alexanderhaften Typus überliefert, daß der Gedanke naheliegt, in ihr ein Bildnis dieses Königs in der Apotheose als Helios zu erkennen. Mit der Angleichung an Helios tat Mithradates keinen ungewöhnlichen Schritt; hierin sind ihm die Ptolemäer seit Ptolemaios III. Euergetes I. 2 1 und die Seleukiden seit Antiochos IV. 22 vorausgegangen. Auch Namen wie Alexander Helios für den Sohn des M. Antonius und der Kleopatra entspringen der Vorstellung von einer Heliosapotheose des Königs 23 . Ungewöhnlich ist lediglich der künstlerische Ausdruck, den dieser Anspruch 18 19 20 21
Dazu Kleiner, J d l . 68, 1953, 78ff. Dazu Kleiner, J d l . 65/66, 1950/51, 206ff. Dazu L'Orange, Apotheosis 30 f. Abb. 12. BMC. Ptolemies Taf. 12, 3 - 5 (Ptolemaios III). 17, 1 . 2 (Ptolemaios V.). Richter, Portraits III
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Abb. 1853 (Ptolemaios VIII.). BMC. Seleucid Kings Taf. 12, 1 - 6 . 1 3 - 1 6 (Antiochos IV.). 19, 1 - 5 . 7. 8. 1 1 - 1 4 (Antiochos VI.). Plutarch, M. Antonius 54.
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A. K R U G ,
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findet. Während die eben genannten Könige dem nicht mehr als üblich verschönten Porträtkopf den Strahlenkranz des Helios additiv hinzufügen, mischen sich hier in dem Bildnis des Mithradates Elemente des Alexanderbildes, des Helios und Individualzüge des Königs zu einem Mithradates-Helios. In diesem Bild stehen Porträtzüge und Götterattribute nicht mehr unverbunden nebeneinander, vielmehr wird aus diesen Elementen in der Venezianer Büste eine neue, als Porträt und als Idealbild befriedigende Einheit gestaltet. Dieses Verhalten ist in den offiziellen Münzbildnissen anderer Könige ungewöhnlich, wird aber von zwei in Abformungen überlieferten ptolemäischen SchalenemAbb. 6. Aureus des P. Clodius von 44 blemen eingeleitet, welche das Bild des Königs nahev. Chr. München, Staatl. Münzslg. zu frontal in der Art des Sonnengesichtes zeigen, umrahmt von Locken und Strahlenkranz 24 . Auch unter den im Typus uneinheitlichen Bildnissen des Mithradates VI. wird diese Tendenz zur Verschmelzung durch eine Parallele gesichert 25 . Ein Panzertorso ohne Kopf von Delos26 dürfte typenmäßig ein Vorläufer der römischkaiserzeitlichen Panzerstatuen gewesen sein. Ein Kopf ebenfalls aus Delos27, der 'Inopos' 28 sowie ein wenig bekannter Kopf aus Ostia in Frascati 29 stehen mit ihren fliegenden Locken den späten Alexanderbildnissen vom Typus der Aesillasprägungen nahe, doch lassen sie Abzeichen der Apotheose vermissen. Ein kürzer gelockter Kopf mit Eichenkranz in Venedig30 ist stark zerstört und schwer zugänglich; er steht dem Kopf von Ostia näher als den übrigen Bildnissen des Mithradates VI. Unter einer Anzahl von Gemmen und Kameen 31 wiederum entsprechen zumindest die Gemmen auch in der Wiedergabe des Diadems den Münzbildnissen des Königs in so hohem Maße, daß man nicht ohne vorherige Autopsie über ihre tatsächliche Entstehungszeit entscheiden kann. Die beiden bekanntesten Darstellungen des Königs, die ihn als Herakles zeigen, weichen weitgehend von den 24
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Schwarzgefirnißtes Schalenmedaillon ehem. Berlin, Vaseninv. 5832. O. Rubensohn, Hellenist. Silbergerät 24 Abb. 1 (Ptolemaios I. ?), j e t z t verschollen. — Gipsabguß Hildesheim 1121. R u b e n sohn a. O. Nr. 13 Abb. 2 Taf. 10 (Ptolemaios I I I . ?). J ü n g s t e vollständige Zusammenstellung der gesicherten und vorgeschlagenen Bildnisse Mithradates' VI. von M. Floriani-Squarciapino in EAA. V 124f. s. v. Mitridate VI. Die jüngere Zusammenstellung bei Richter, P o r t r a i t s I I I (1964) 275 ist weniger vollständig. Delos I n v . 2 7 - 2 9 . F. Chapouthier, Délos 16, 38 f. Abb. 49. 50. Athen NM. 429. C. Michalowski, Dolos 13, 5ff. Taf. 7. Louvre. Charbonneaux, R e v u e des Arts 1, 1951, 8ff. Abb. 2. 7 - 9 . 13. Villa Aldobrandini. R. Calza, Scavi di Ostia V. I R i t r a t t i I, R i t r a t t i Greci e R o m a n i (1964)
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Nr. 12 Taf. 7. Mit den weichen, schlaffen Zügen u n d dem dicken Hals s t e h t dieser Kopf jedoch den Münzbildnissen Ariarathes I X . Eusebes von K a p p a d o k i e n u n d dem auf diesen König gedeut e t e n Marmorkopf von der Akropolis, Athen NM. 3556, Richter, P o r t r a i t s I I I 276, Abb. 1942 —1944, näher als den Münzbildnissen Mithradates' VI. von Pontos. K o m p o s i t s t a t u e des San Teodoro auf der Piazz e t t a San Marco. L. Sartorio, Arte Veneta 1, 1947, 132f. Abb. 119. 121. - G. Mariacher, Arte Veneta 1, 1947, 230 Abb. 188. Sardonyxkameo. Leningrad, E r m i t a g e . F u r t wängler, AG. Taf. 32, 17. — K a m e o . Florenz. F u r t w ä n g l e r , AG. Taf. 59, 5. — A m e t h y s t . Florenz. F u r t w ä n g l e r , AG. Taf. 32, 29. — R o t e r Jaspis. Slg. Southesk. F u r t w ä n g l e r , AG. Taf. 31, 16. — A m e t h y s t . Brit. Mus. F u r t w ä n g l e r , AG. Taf. 32, 20. - Karneolfrgt. F u r t w ä n g l e r , AG. Taf. 32, 21.
D. M E T Z L E R, E I N M E I S T E R W E R K S P Ä T A N T I K E R P O R T R Ä T K U N S T
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Münzbildnissen ab 3 2 . Statt der züngelnden Locken, die auch bei dem älteren Münztypus vorhanden sind, haben sie die kurzen krausen Haare, die für das Heraklesideal kennzeichnend sind, ohne jedoch diese beiden Porträtelemente soweit auseinanderklaffen zu lassen, wie man es bei den Bildnissen anderer hellenistischer Könige beobachten kann. Damit stehen neben dem Venezianer Mithradates-Helios auch diese beiden Bildnisse nicht nur in der Wahl des Bildtyps, sondern in ihrem ganzen Verhalten gegenüber dem Problem der Apotheose im Bild in der Nachfolge der Alexanderikonographie, in welcher die Verschmelzung der Elemente an die Stelle der einfachen Addition tritt. Ob die in der Kopie verunklärte Gewandbüste als Hinweis auf die Statue dienlich sein kann, muß offenbleiben 33 . Eine Darstellung des Königs als gewandeter Helios ist zwar wahrscheinlich, aber, wie der unbekleidete Koloß des Helios-Nero in Rom zeigt, nicht mit Sicherheit vorauszusetzen. Das leicht unterlebensgroße Format teilt der Venezianer Mithradates mit zahlreichen in Kopien überlieferten hellenistischen Königsporträts, die nur selten Lebensgröße überschreiten 34 . Das neugewonnene Bildnis des Mithradates-Helios, das Elemente des hellenistischen Porträts, des Alexanderbildnisses und in dem betont üppigen Nackenhaar auch Anklänge an die Haartracht auf sassanidischen und parthischen Königsdarstellungen enthält, steht mit der Person des Dargestellten in der Phase des Übergangs von den hellenistischen Diadochenmonarchien zu Königreichen neupersischer Prägung. Kassel
Antje
EIN MEISTERWERK SPÄTANTIKER
Krug
PORTRÄTKUNST
In deutschem Privatbesitz befindet sich das bedeutende Porträt eines bärtigen Mannes, das hier mit der gütigen Erlaubnis des Besitzers bekannt gemacht werden soll (Abb. 1—4) 1 . Der lebensgroße Kopf ist aus einem gelblich-weißen, sehr fein-kristallischen Marmor gearbeitet, wie er im westlichen Kleinasien begegnet. Die Herkunft wird präzisiert durch die Angabe, daß der Kopf in der Nähe von Ephesos gekauft wurde. Reinigungen und
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Kopf. Louvre Ma 2321. Winter, J d l . 9, 1894, 245ff. - Pfuhl, J d l . 45, 1930, 15f. - Kleiner, J d l . 68, 1953, 86f. 94. - G. Hafner, Späthellenist. Bildniskunst (1954) 45 ff. - M. Bieber, Sculpture of the Hellenistic Age2 (1961) 122 Abb. 482. 483. - Richter, Portraits I I I Abb. 1930. 1933. Statuette aus Pergamon. Berlin. F. Winter, AvP. V I I 2 (1908) 175ff. Beibl. 25. Kleiner, J d l . 68, 1953, 88f. 94. - Hafner a. O. 45 ff. - Bieber a. O. 122 Abb. 486. 487. Richter a. O. 275. Die Heraklesbronze im Brit. Mus. aus Nordengland, von Oikonomides, Archaeology 15, 1962, 13ff. als Mithradates VI. gedeutet, sowie die Heraklesbronze Neapel, Palazzo Reale, nach L. Curtius in Festschr. W. Amelung 61 ff. Abb. 1 — 6 Taf. 5 eine italische Wiederholung der damals in Pergamon befindlichen Statuette aus der Prometheusgruppe in Berlin, sind beide zu provinziell, um bei einer
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Herkunft fern des pontischen Reiches mit Sicherheit an die übrigen Mithradates-Heraklesbildnisse angeschlossen werden zu können. Die bei Th. Reinach, Mithradates Eupator König von Pontos (1895) 283 zusammengestellten schriftlich überlieferten Statuen des Königs sind nicht näher bestimmbar. Appian, Mithr. 116. - Plinius NH. 33, 151. - Plutarch, Lucullus 37. — Cicero, In Verrem I I 159. So a. Juba I I . Kopenhagen 452. V. H. Poulsen, Les Portraits Romains Nr. 9 Taf. 16. 17. H 0,45m. — Numidischer König. Volubilis. MonPiot 43, 1949, Taf. 9. H 0,41 m. - Seleukos I. Neapel 5590. ABr. 101. 102. H 0 , 5 3 m. Die Maße sind: 29 cm Gesamthöhe; 24,5 cm von der Kinnspitze zur Scheitelhöhe. Die Photographien stellte liebenswürdigerweise das Badische Landesmuseum zur Verfügung (Aufnahme: Werner Mohrbach).
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andere restauratorische Arbeiten wurden nicht vorgenommen, so daß die originale Oberfläche, so weit sie unverletzt ist, die starke Belebtheit und Ausdruckskraft der antiken Marmorbearbeitung sprechen läßt. Erhalten ist vom Kopf nur das Gesicht vom Ansatz der Haare an der linken Schläfe bis etwa zwei Finger breit hinter dem rechten Ohr. Der gesamte Hinterkopf ist durch einen einheitlichen großflächigen Bruch abgetrennt und verloren. Beschädigungen im Gesicht zeigen die Nase, von der nur noch der Ansatz an der Nasenwurzel und die Bohrungen der Nasenlöcher erhalten sind, sowie die rechte Stirnhälfte mit Abplatzungen an der Schläfe, den Brauen und dem Oberlid. Zwei weitere Verletzungen, vermutlich durch Aufschlag beim Sturz bedingt, befinden sich auf der rechten Wange und am Haaransatz an der linken Schläfe; ferner gelegentliche leichte Kratzer im Haupt- und Barthaar, auf den Wangen und Augen. Sehr charakteristisch hebt sich das glatt polierte, feinfühlig modellierte Inkarnat von der gerauhten Oberfläche der Haare ab. Intensive Belebung erfährt das Porträt durch Modellierung der Wangenpartien — leicht vorstehende Wangenknochen, weiche Falten von den Mundwinkeln zu den Nasenflügeln und sich vorwölbende Tränensäcke. In entsprechend energischer Plastizität ist die Stirn gegliedert: Drei nur mäßig tiefe Parallelfalten kontrastieren mit der kraftvollen Wölbung der Stirnmitte über der Nasenwurzel, die in mächtigen Bögenschwüngen die tiefliegenden Augen überspannen. Auf diese Überaugenwülste aufgetragen sind die dünnen Grate der Brauen in voller plastischer Form, ohne das Geflimmer der einzelnen Haare anzudeuten. In den äußeren Augenwinkeln deuten jeweils drei feine Kerbschnitte Krähenfüße an. Sehr persönliches Merkmal ist die Warze im rechten Augenwinkel, zu der noch am Ansatz des linken Nasenflügels ein kleiner Pickel kommt. Diese realistischen Einzelmerkmale unterstreichen noch die ohnehin lebhaft empfundene Individualität der dargestellten Person. Diese spricht schon aus dem sehr eigentümlichen Blick, den in gleicher Weise wachen wie resignierenden Augen, in einer Intensität, die durch die Verschiebung der Pupille — in Peltabohrung mit Kreis darum angegeben — zur linken Seite besonders hervorgehoben wird. Dieser Blickrichtung entspricht die Wendung des Kopfes nach links. Sie bedingt die asymmetrischen Verschiebungen der Gesichtszüge, wie etwa die Verkürzung der linken Wange, den tiefer ausgearbeiteten inneren Winkel des rechten Auges, die verkleinerte linke Schläfenpartie. Selbst in den verschieden tief gebohrten Nasenlöchern wird diese Hervorhebung der rechten Gesichtshälfte als der dem Betrachter zugewandten verdeutlicht. Die ungleich weit ausgezogene Haargrenze an den Schläfen zeigt die Bezogenheit der Ansichtsseite auf die Kopfwendung am klarsten. Schließlich wird die Wendung des Kopfes noch aus der Modellierung des Halses ersichtlich, dessen straffer Großflächigkeit auf der rechten Seite der deutlich erkennbare Kinnladenknochen der rechten Wange entspricht, während sich an der linken, dem Betrachter abgewandten Seite der Backenbart zum Halse hin staut. Das Profil des Kopfes ist von einheitlicher Geschlossenheit. Die Haarkalotte aus feinen gefiederartig angeordneten, kurzen Einzellocken wölbt sich über der Stirn ein wenig in größeren Haarbüscheln und setzt so einen scharfen Akzent, bevor die Konturlinie von der leicht fliehenden Stirn mit dem kräftigen Wulst über die leider abgebrochene Nase und die vorstehende Oberlippe mit dem dichten Schnurrbart zu dem sehr massigen Kinn mit dem knappen, eng anliegenden Bart führt. In der Anhebung des Kinnes wird noch einmal die leise Hebung des Blickes aufgenommen. Aus dieser Blickrichtung und der Kopfwendung, deren sorgfältige Ausarbeitung in besonders sprechender Weise einen Eindruck vom handwerklichen wie vom schöpferischen
EIN MEISTERWERK SPÄTANTIKER
PORTRÄTKUNST
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Abb. 1 u n d 2. P o r t r ä t k o p f . Privatbesitz
Vermögen des Künstlers zu geben vermag, darf man wohl schließen, daß der Kopf ursprünglich zu einer Statue gehört hat — also etwa einer Porträtstatue in der Art der bekannten Beispiele aus Aphrodisias 2 . Diese Beamtenstatuen aus Aphrodisias datiert man gemeinhin in den Anfang des 5. Jhs. In ihrer geradezu weltlichen Individualität zeigen sie bei aller Vergeistigung eine unserem Kopf verwandte Geisteshaltung. Stilistische Unterschiede jedoch verbieten es, ihn zeitlich allzu nah an diese berühmten Meisterwerke heranzurücken. Auffällig ist bei den Statuen aus Aphrodisias zunächst die starke Verwendung des Bohrers in den Haaren und Augen, eine gewisse lineare Verhärtung, die die Einzelformen des Gesichtes scharf voneinander abhebt, wo der Kopf aus Ephesos, der gänzlich ohne den Drillbohrer bearbeitet worden ist, die Gesichtsfläche als ein bewegtes Ganzes zeigt, deren Formübergänge plastisch gebildet sind, also der tastenden Hand zugänglich sind, während die Bohrungen der Statuen aus Aphrodisias durch Licht- und Schattenwirkungen optischmalerische Eindrücke hervorrufen. Wohl um ein Viertel]ahrhundert jünger als die Beamtenstatuen sind zwei Bildnisköpfe aus Aquileia3, die in den letzten Jahren vor der Zerstörung der Stadt durch die Hunnen im Jahre 452 entstanden sind. In der Wahl der künstlerischen 2
Istanbul, Arch. Mus. Inv. Nr. 2256/2266. J. I n a n —E. Rosenbaum, R o m a n a n d E a r l y Byzantine P o r t r a i t Sculpture in Asia Minor (1966) 179ff. Nr. 242. 243 Taf. 176. 178. W. V o l b a c h M. Hirmer, Frühchristliche K u n s t (1958)
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Taf. 65 — 67. A. R u m p f , Stilphasen der spätantiken K u n s t (1957) Abb. 9 6 - 9 9 . H . P. L'Orange, Studien zur Geschichte des s p ä t a n t i k e n P o r t r ä t s (1933) 82 Nr. 109. 110 Abb. 2 0 6 - 2 0 9 ,
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DIETER
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Mittel stehen sie zwischen dem neuen Kopf aus Ephesos und denen aus Aphrodisias, wobei eine gewisse Vereinfachung der Details den Eindruck entstehen läßt, als stünden sie noch den mit dem Bohrer bearbeiteten Beamtenporträts näher. Doch gibt es gerade ikonographische Übereinstimmungen, die unseren Kopf mit denen aus Aquileia verbinden. Gemeinsam ist ihnen die realistische Wiedergabe der in der Wirklichkeit beobachteten physiognomischen Einzelformen wie etwa Stirnfalten, Augenbildung, Wangenpartien und individuell bewegten Gesichtsumriß. Demgegenüber treten stilistische Unterschiede hervor, die in der künstlerischen Tradition lokaler Schulbildungen begründet sind. Deutlich wird dies gerade vor den aquileischen Köpfen, die im dortigen Museum in einer Reihe mit republikanischen und älteren kaiserzeitlichen Privatporträts aufgestellt sind4. Allen gemeinsam sind eine starke Betonung der Ausdruckswerte, graphisches Lineament, Verhärtung charakteristischer Details sowie deutlich provinzielle Züge. Anders der Kopf aus Ephesos, der ganz in der fruchtbaren Tradition der griechisch sprechenden und griechisch schaffenden Kultur der östlichen Reichshälfte steht 5 : die Plastizität der Oberflächenwölbungen, die Unterscheidung von Inkarnat und Haar durch Politur bzw. Aufrauhung, ferner die Wiedergabe des kleinsten Details ohne dadurch die geschlossene, von innen her belebte Gesamtform zu sprengen — Gestaltungsmittel, wie sie auch andere Köpfe aus Kleinasien zeigen, die man unabhängig voneinander ebenfalls um die Mitte des fünften nachchristlichen Jahrhunderts datiert hat. Da ist zunächst ein Kopf aus Aphrodisias, der 1904 in den Hadriansthermen gefunden wurde, jetzt aber spurlos verschwunden ist und nur in einer alten Photographie von Gaudin bekannt ist 8 . Mit unserem Kopf gemeinsam hat er das weich modellierte Inkarnat, die eng anliegenden Haare, den feinen dichten Bart. Doch wirkt er etwas schematischer — etwa in der harten Linienführung des Oberlides — mit einem leisen Zug ins akademisch Strenge. Noch mehr mit graphischen Mitteln drückt sich die hier anklingende Verhärtung in dem ephesischen Porträt in Selijuk7 aus, das trotz aller Detaillierung individueller Formen, die beispielsweise seine erschlafften Alterszüge prägen, sehr viel summarischer gebildet ist. Verwandt in der Porträtauffassung sind zwei Köpfe in der Sammlung Titzel-Riefstahl 8 und im Thermenmuseum9, die zwar als westlich gelten, von denen der erste aber stilistisch durchaus den kleinasiatischen Köpfen vergleichbar ist, so in der plastischen Durchbildung der Wangen- und Stirnpartie und der Darstellung der Kurzhaartracht. Ebenfalls um die Mitte des Jahrhunderts datiert werden ein Porträt aus Tabai in Smyrna 10 und eines aus Aphrodisias in Brüssel 11 . Beide zeigen zwar physiognomisch stark unterschiedene Persönlichkeiten, sind auch mit unterschiedlichen Mitteln stilisiert — das Porträt in Brüssel knüpft in der Behandlung des Haupt- und Barthaares an die Tradition antoninischer
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G. Brusin, Kleiner Führer durch Aquileia und Grado (1961) 81 Abb. 44. Zur kulturellen Tradition der östlichen Reichshälfte vgl. W. E. Kaegi, Byzantium and the Decline of Rome (1968). Erim, AJA. 71, 1967, 237 f. Taf. 69, 16 links. Oberleitner, ÖJh. 47, 1964/65, 16 Nr. 1 Abb. 7. 8. Inan-Rosenbaum a. O. 153 Nr. 196 Taf. 181, 3. 4. H. P. L'Orange, Studien zur Geschichte des spätantiken Porträts 87 Nr. 121 Abb. 226. 227. )i. M. Felletti-Maj, Museo Nazionale Romano,
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I Ritratti (1953) Nr. 325. L'Orange a. O. 87 Nr. 122 Abb. 228. 230. G. Rodenwaldt, 76. BWPr. 1919, 19 Nr. 12 Taf. 6. Nach Inan —Rosenbaum a. O. 107 jetzt nicht mehr aufzufinden. Rodenwaldt a. O. 18 Nr. 11 Abb. 7. Erim a. O. 236 Taf. 66, 7. Es handelt sich keineswegs um eine Bronze, wie A. Grabar, Sculptures Byzantines de Constantinople, IV — X siècle (1963) 9 und 15 wohl auf Grund der durch Brand bedingten dunklen Färbung annimmt, sondern natürlich um eine Marmorplastik,
EIN MEISTERWERK SPÄTANTIKER
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Abb. 3 u n d 4. P o r t r ä t k o p f Abb. 1 und 2
Marmortechnik 12 an. Doch wirkt in beiden dasselbe Menschenbild, das auch unser Porträt geformt hat. Besonders das Bildnis aus Tabai hat etwas von dessen robuster irdischer Kraft. Mit diesem gemeinsam hat es die Art der Augenbohrung und die kräftig durchfurchte Stirn, über der sich in ähnlich freier Manier die Fransen des kurzen Haares gliedern. Diese leichte Auflockerung des Kalottenrandes unterscheidet unser Porträt deutlich von den äußerlich so ähnlich scheinenden Beamtenporträts der Basisreliefs des Theodosiusobelisken13. Doch sind diese Bildnisse der »Vertreter der Konstantinopler Hofgesellschaft« 14 trotz mancher individueller Elemente sehr viel hieratischer. Ihre Formen — besonders die 12
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Dieser antoninische Bohr-Stil m i t seiner malerischen und preziösen W i r k u n g findet sich auch bei dem Kopf aus Sardes, der wegen seiner V e r w a n d t s c h a f t mit dem Brüsseler Kopf aus Aphrodisias (hier Anm. 11) s i c h e r a u c h in die Zeit u m 450 zu datieren ist (s. u n t e n Anm. 28 Nr. 3). G. Bruns, Der Obelisk und seine Basis auf dem H i p p o d r o m zu Konstantinopel, IstForsch. V I I , 1935, Abb. 37. 40. 41. 63. 82. 83. Dazu die Rezension von H . Kahler (Philol. Wochenschrift 59, 1939, 9 3 - 9 9 ) , die die D a t i e r u n g auf 390 mit neuen A r g u m e n t e n b e k r ä f t i g t . Vgl.
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a u c h : H. Wrede, IstMitt. 16, 1966, 178ff. Ich gestehe, d a ß ich auf G r u n d äußerer Ähnlichkeiten auch eine D a t i e r u n g des neuen Kopfes aus Ephesos in theodosianische Zeit in E r w ä gung gezogen h a t t e . Doch b e s t ä r k t e mich H. P. L'Orange, dem ich meine Alternativen vortrug, durch sein kundiges Urteil, der späteren D a t i e r u n g den Vorzug zu geben. F ü r seinen brieflichen R a t sage ich H e r r n Prof. L'Orange auch an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank. J. Kollwitz, Oströmische Plastik der theodosianischen Zeit (1941) 115ff,
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Haare — sind voluminöser, schärfer voneinander abgegrenzt, ohne die weichen Übergänge. Ihr Repräsentationscharakter findet sich auch in den Einzelformen wieder: Jedes Detail ist hier gewissermaßen auf Ansicht gearbeitet. Die Formverhärtung bewirkt hier zwar Prägnanz aber auch — als Objektivierung — die Vernachlässigung des Individuellen. Sie stehen noch in der Tradition des konstantinischen Hofporträts 16 , das mit seiner akademischklaren Plastizität für die Folgezeit 16 stilbildend wird. Der neue Kopf aus Ephesos hat diese hieratisch-repräsentative Plastizität überwunden, aber überwunden, indem sie in ihm auf einer höheren Stufe aufgehoben bleibt, nicht negiert, sondern verwandelt. Entsprechende Unterschiede der Stilstufen zeigt ein Vergleich mit Köpfen der teils historisch teils stilistisch datierten Konsulardiptychen. Unter ihnen zeigen das des Asturius von 44917, das des 'Patricius' (um 425)18 oder auf dem Diptychon Lampadiorum 19 die Köpfe des letzten der Wagenlenker und des Konsuls mit seinen Begleitern verwandtere Züge — besonders in der plastischen Bewegtheit der Oberfläche und in einer gewissen Brutalität des Ausdrucks — als die theodosianischen Diptychen des Stilicho20 und Probianus 21 . Um noch in einer anderen Bildgattung nach Datierungshilfen zu suchen, sei auf Porträts in Mosaiken verwiesen. Hier bietet sich als ein geradezu schlagender Beweis der Vergleich mit dem ikonographisch ganz ähnlichen Kopf des Petrus 22 aus dem Kuppelmosaik des Baptisteriums der Orthodoxen in Ravenna 23 , das unter dem Bischof Neon geschaffen wurde. Neon gelangte 451 auf den bischöflichen Thron 24 . Für seine Mosaiken scheint er sich Künstler aus Konstantinopel kommen gelassen zu haben, deren Stil sich nach F. Deichmann »in der Ponderierung der Figuren, ihrer kräftigen Bewegung und im farblichen Reichtum« ausdrückt 25 . Genau das darf man mutatis mutandis auch von unserem Marmorkopf sagen. Auch er ist in sich ponderiert, scheint zu einer bewegten Statue gehört zu haben, und die kontinuierlichen Übergänge der Einzelformen seines Gesichtes sind in ihrem Licht- und Schattenspiel von außerordentlicher farbiger Vielfalt. Neben dem Petrus sind es Andreas und Bartholomäus, denen der Mosaizist einen ähnlichen Porträtcharakter gab 26 . Vergleicht man sie mit dem entsprechenden Mosaik des Baptisteriums der Arianer (um 500)27, so wird die hellenistische Komponente in der Porträtkunst des mittleren 5. Jhs. besonders klar. Allein die physiognomische Gegenüberstellung mit dem Petrus des Neon-Mosaiks würde die Datierung unseres Kopfes sichern, deshalb sei nur kurz auf eine andere — mir sehr fern liegend erscheinende — Datierungsmöglichkeit eingegangen: Bei einigen spätantiken Bildnissen ist man gelegentlich auf Frühdatierungen ins 2. oder 3. Jh. verfallen 28 . Der Grund 15 16
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Vgl. L'Orange, Studien . . . Abb. 1 2 0 - 1 3 2 . 150. Ein P o r t r ä t in Trier (Landesmuseum ST 2309, P h o t o Nr. B 281—283) gehört wegen seiner schweren F o r m e n mit den festen Umrissen des vollen Gesichtes u n d der k n a p p e n H a a r k a l o t t e in die J a h r e um die W e n d e v o m 3. zum 4. Viertel des 4. Jhs. H e r r Dr. Cüppers teilte mir freundlicherweise mit, d a ß m a n in Trier mündlich die Identifizierung mit Valentinian (364 — 375) vorgeschlagen hat, was von der stilistischen Datierung u n d der Trierer Kaisergeschichte her sehr wohl d e n k b a r ist. Vgl. auch u n t e n Anm. 28. R. Delbrück, Die K o n s u l a r d i p t y c h e n (1929) Nr. 4. Delbrück a. O. Nr. 64. Delbrück a. O. Nr. 56. Delbrück a. O. Nr. 63.
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Delbrück a. O. Nr. 65. Sehr schönes F a r b f o t o bei F. Gerke, S p ä t a n t i k e u n d frühes Christentum (1967) 137. S. K. Kostof, The O r t h o d o x B a p t i s t e r y of R a v e n n a (1965). Kostof a. O. 11. 12 Anm. 9. D e i c h m a n n in EAA. VI 623 (s. v. R a v e n n a ) . Kostof a. O. Abb. 52. 53. 57. W . Volbach—M. Hirmer, Frühchristi. K u n s t Taf. 149. 1. Berlin I n v . 1863. G. Bruns, Ein s p ä t a n t i k e s K o p f f r a g m e n t aus Ephesos in Studies presented t o D. M. Robinson I (1951) 688ff. zitiert f r ü h e r e Datierungen in antoninische Zeit, d a t i e r t selbst den Kopf u m 400. 2. Trier ST 2309 (hier Anm. 16) E. Esperandieu, Recueil V I Nr. 5050 schlägt 2. J h . vor.
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dafür mag in einem Grundmerkmal liegen, das allen diesen fraglichen Köpfen gemeinsam ist: Sie sind keine creationes ex nihilo, nicht unmittelbar mechanische Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern Gestaltungen der Realität, die einem bestimmten Bildungsideal verpflichtet sind. Sie greifen in klassizistischer Manier auf ältere hochgeschätzte Vorbilder zurück, lehnen sich an bewährte Typen an und unterstreichen durch das Zitat des Vergangenen die Bedeutung des Gegenwärtigen. Dadurch, daß diese Rückbezüge in vielfacher Wiederholung von der frühen römischen Kaiserzeit bis in die Spätantike immer wieder auftreten, werden die oft erstaunlichen Spannen in der Datierung vielleicht zu einem Teil erklärbar. Auch der Kopf aus Ephesos enthält Elemente, die als klassizistisch verstanden werden können. Deutlich sind gewisse stilistische Merkmale (Haarbehandlung, Modellierung des Inkarnates) und ikonographische Formen (Barttracht, Gesichtsausdruck) an ältere Bildnistypen hadrianischer 29 , gallienischer 30 oder theodosianischer 31 Zeit angelehnt, ohne dabei natürlich in eine schematische Typisierung zu verfallen 32 . O. Pelikan hat sich mit der »Bedeutung der Klassizismen in der römischen Bildhauerei« befaßt 3 3 und für die Spätantike von der »programmatischen Retrospektive« der Klassizismen und ihrem philhellenisch-heidnischen Aspekt gesprochen, andererseits in ihnen auch »gewisse innere Regulative« der Stilentwicklung als Reaktion auf die expressive Abstraktion der Formen gesehen. Wenn dieser Sicht auch etwas Mechanistisches, Undialektisches anhaftet, so ist der Ansatz der Problemstellung doch höchst bedeutsam, da in ihm die Funktion der Stilbildung in Kunst und Gesellschaft angedeutet wird. In der konkreten Situation einer Epoche — und in unserem Falle noch darüber hinaus einer einzigen Stadt, nämlich Ephesos — ist dann aber gerade das Nebeneinander der Stilformen beachtenswert: Neben der an älteren Vorbildern geschulten Wiedergabe der Wirklichkeit, die sich j a ebenfalls klassizistischer Möglichkeiten bedient, ist es vor allem eine Gruppe von Bildnissen des 5. Jhs., die einen ganz eigentümlich spätantiken Weg der Form-
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3. Kopf aus Sardes, im Depot, Inan — Rosenbaum a. O. 166 Nr. 220 Taf. 180, 3. 4. Wird von G. M. A. Hanfmann, Römische Kunst (1964) Nr. 90 für gallienisch erklärt, ebenso im Katalog der Ausstellung »Art Treasures of Turkey« (1966) Nr. 149. 4. Karlsruhe Inv. Nr. B 2172. EA. 3390. Dieses gallienische Porträt wird in der Photothek des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom im Kasten P 501/1 (Porträts des 5. Jhs.) geführt. 5. Kopenhagen, Ny Carlsberg-Glyptothek 767 a. F. Poulsen, From the Coll. I I I , 1942, 106ff. Von F. Poulsen im Katalog von 1951 zu Recht als gallienisch mit Anklängen an hadrianische Vorbilder erkannt, galt dieser Kopf bei seiner Erwerbung 1939 als spätantik, man dachte an das 5. J h . Vgl. den Kopf aus Lullingstone im British Museum. J . M. C. Toynbee, Art in Roman Britain (1964) 59 ff. Taf. 10. Vgl. das Porträt aus Pompeiopolis um 280 (Inan —Rosenbaum a. O. 105 Nr. 104 Taf. 63, 1. 2) oder das aus Miletopolis in Berlin (Inan —
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Rosenbaum a. O. llOf. Nr. 114 Taf. 67, 3. 4. Vgl. oben Anm. 13. Über die Mitte des 5. Jhs. hinaus lassen sich klassizistische Elemente nur noch vereinzelt, aber in sehr bezeichnender Qualität finden. So könnte ein Kopf in Tokat (Inan —Rosenbaum a. O. 106f. Nr. 107 Taf. 183, 1. 2), für den E. Rosenbaum (a. O. 40 Anm. 3) Herkunft aus Ephesos annimmt, etwa 20 Jahre später in derselben Werkstatt gearbeitet sein wie unser Kopf. Charakteristisch hellenistische Gesichtsformen zeigt schließlich in justinianischer Zeit der Petrus der berühmten Sinai-Ikone, M. Chatzidakis, K. Weitzmann u. a., Frühe Ikonen (1965) Abb. S. 5. A. Grabar, L'Age d'Or de Justinien (1966) Abb. 202. O. Pelikan, Sbornik Brno 13, 1964, 107ff. Schon früher hatte S. Ferri (Crd'A. 1, 1935/36, 166ff.) vor einer Überschätzung des Einflusses der plotinischen Philosophie auf die bildende Kunst und vor einer Beschränkung der klassizistischen Phase auf die sogenannte gallienische Renaissance gewarnt.
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bildung darstellen — die expressiven, ja geradezu expressionistischen Porträts 34 . Als bekanntestes und charakteristischstes Beispiel stehe hier für diese Gruppe der sogenannte Eutropius aus Ephesos in Wien 36 , der ebenfalls um die Mitte des Jhs. datiert wird. Einziges Merkmal, das er mit unserem Porträt gemeinsam hat, ist die Längung des Gesichtes, die beim Eutropius sich zu einem Ausdruck asketischer Vergeistigung steigert — ein expressives Stilmittel, das seinen Gegenpol findet in einem anderen Porträt aus Ephesos: dem unverhältnismäßig breiten Gesicht des kolossalen Domitian 36 , wodurch gerade diesem skrupellosen Herrscher der frühen Kaiserzeit ein bezeichnend gewalttätiger Ausdruck beigelegt wird. Die Großflächigkeit und Akzentuierung der Formelemente des Eutropius — die rauhe, in ihrer Konsistenz aufgekratzte und so in ihrer materiellen Erscheinung vernichtete Oberfläche der Gesichtshaut unterstreicht diesen Formwillen noch37 — sind der künstlerische Ausdruck einer die Materie transzendierenden Vergeistigung, die sich nicht unmittelbar um die sinnliche Wahrnehmung und gestaltende Veränderung der Wirklichkeit bemüht, sondern Wirklichkeit als von Gott geschaffene Welt erfährt, deren Formen als Ausfluß seines Geistes nur von geistiger Qualität sein können, also von übersinnlicher intellektueller (d. h. formal: ornamentaler) Schönheit sind38. Diese x«PlS39 des Heiligen umspielt das »engelhafte Antlitz« des uveuncrnKÖs avf|p 40 . Aus einem ähnlichen Grund konnten Kaiserbildnisse41 nicht zur Datierung unseres neuen Porträts herangezogen werden: Der in hieratischer Repräsentation über der Menschheit thronende Kaiser hat als Gottes Bote und Stellvertreter Anteil an der himmlischen Schönheit. Er wird als ü u e p a e i i v o v 6eap,a 4 2 angesehen. Zugleich hat er als Träger der höchsten Staatsfunktion jegliche Individualität zurückzustellen. In dieser repräsentativen Funktion treffen sich in einem Punkte expressiver und klassizistischer Porträtstil: Beide suchen die unmittelbar vorliegende Wirklichkeit zu überhöhen — der eine in Richtung auf eine übersinnliche schöne Welt des Jenseits, der andere auf ein sinnlich erfahrbares Formideal der Vergangenheit. Beide können als politische Waffe in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingesetzt werden — besonders bekanntes Beispiel ist der klassizistische Charakter der Kunst aus dem Kreis der heidnischpatrizischen Opposition um die Familien der Symmachi und Nicomachi 43 . Das neue Porträt aus Ephesos weist Züge beider Strömungen auf und scheint darüber hinaus — wie auch etwa der Kopf Gaudin 44 , der Kopf aus Tabai 45 oder die Köpfe in 34
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O. Pelikan (Vom antiken Realismus zur spätantiken Expressivität, 1965) hat nach Rodenwaldts bahnbrechenden Studien neuerdings die gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Grundlagen dieser Entwicklung erörtert. Wien, Kunsthist. Museum, Inv. Nr. I 880. L'Orange a. O. 84ff. Nr. 115 Abb. 2 1 6 - 2 1 8 . Riemschneider, Klio 46, 1965, 390. L. Laurenzi, Corsi di Cultura sull'Arte Ravennate e Bizantina (1965) 375ff. Oberleitner, ÖJh. 47, 1964/65, 16 Nr. 2. I n a n - R o s e n b a u m a. O. 151 f. Nr. 194 Taf. 181, 1. 2. I n a n - R o s e n b a u m a. O. 67 Nr. 27 Taf. 16, 1. G. Daltrop, Domitian in Die Flavier (Das Römische Herrscherbild, 1966) 86 Taf. 15 b. G. Bruns (Studies Robinson I, 1951, 691) sieht im Fehlen der Politur an einigen ephesischen Köpfen »ein bewußtes Mittel künstlerischen Ausdrucks«.
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Zur plotinischen Ästhetik, die die spätantiken Anschauungen weitgehend bestimmt hat, vgl. E. Grassi, Die Theorie des Schönen in der Antike (1962) 168ff. 259 ff. L'Orange, Acta Congressus Madvigiani 1954 III (1957) 70. L'Orange 7. AttiCIAC. (1961) II 480. Zeitgenössische Kaiserporträts sind etwa der Kopf im Louvre (A. Rumpf. Stilphasen . . . Abb. 124, 125), die kolossale Bronzestatue in Barletta (Rumpf a. O. Abb. 133) oder das Porträt in Kopenhagen (Rumpf a. O. Abb. 143). L'Orange in Acta Madvig. III 70. F. Klingner, Vom Geistesleben im Rom des ausgehenden Altertums (1941). Römische Geisteswelt (1964) 514ff. W. Volbach —M. Hirmer, Frühchristi. Kunst Taf. 90. 91. s. o. Anm. 6. s. o. Anm. 10.
K. P A E L A S C A ,
ZWEI FALSCHE B R O N Z E P O R T R Ä T S
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Aquileia 46 — ein drittes Element zu verkörpern. Ich meine die starke Weltlichkeit, die robuste und energische Willenskraft, die aus diesen Bildnissen spricht und nicht allein als christliche Humilitas gegenüber der Charis der Göttlichkeit verstanden werden kann. Sondern in dieser »characteristic irregularity and even ugliness of the mortals«47 wirkt noch ein lebendig verwahrtes Erbe der hellenistisch-kleinasiatischen Stadtkultur mit, die ihre Eigenarten und Machtpositionen sowohl gegen das Römertum der großen Familien wie auch gegen den zentralistischen Machtanspruch des theokratischen Herrschers lange Zeit aufrechthielt 48 . Das Erstaunliche an dem neuen Porträt ist seine Eigenständigkeit, seine relative Unvergleichlichkeit. Was an ihm klassizistisch ist, erklärt das zum Scheitern verurteilte, auf das Festhalten an der überholten Vergangenheit gerichtete Streben der privilegierten munizipalen Oberschicht, deren längst vollzogene Einordnung in den christlich-theokratischen Staat sich in den 'transzendierenden' Stilmerkmalen dieser Porträts widerspiegelt. Doch einem einzelnen fragmentarischen und namenlosen Objekt gegenüber bleiben diese Interpretationshilfen notwendig beschränkte Schematismen. Der prachtvolle Porträtkopf selbst wirkt durch seine klassische Konkretheit, stilistisch wie ikonographisch ist er von bedeutungsvoller Individualität. Münster
Dieter Metzler
ZWEI FALSCHE BRONZEPORTRÄTS In neueren Beiträgen zur Porträtplastik des 3. Jhs. wird ein verschollener Bronzekopf besprochen, der sich vor über 30 Jahren im Kairiner Kunsthandel befunden hat. Die dabei vorgetragenen Überlegungen zu seiner stilistischen und ikonographischen Bestimmung beruhen jedoch auf verfehlten Voraussetzungen. Es erscheint deshalb geboten, diesen Sachverhalt richtigzustellen. Der genannte Kopf (Abb. 2. 3) wurde 1936 mit der Provenienzangabe Krokodilopolis im Fayum von P. Graindor publiziert 1 . Er deutete ihn unter Hinweis auf eine Replik in Florenz (Abb. 4) als Maximinus Thrax. B. M. Felletti Maj übernahm diese Benennung, wenn auch mit Vorbehalt 2 . Die Tatsache, daß zwei Exemplare dieses Bildnisses bekannt sind, bestätigt nach ihrer Ansicht die Deutung als ein »personaggio imperiale«. Neuerdings betonte J. Meischner in einer besonderen Studie die starke Ähnlichkeit der Köpfe in Florenz und Kairo und bekräftigte unter Erweiterung der Reihe durch einen Kopf in München die Interpretation als Maximinus Thrax 3 . In jüngster Zeit bereicherte V. Poulsen
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s. o. Anm. 3. L'Orange, Acta Madvig. III 70. s. etwa A. H. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian (1940) 192ff. 251 ff. P. Graindor, Bustes et Statues-Portraits d'Égypte Romaine (1936) 64f. Nr. 20 Taf. 19 (zwei Ansichten). B. M. Felletti Maj, Iconografia Romana Imperiale da Severo Alessandro a M. Aurelio Carino
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2 2 2 - 2 8 5 d. C. (1958) 120 Nr. 83. C. C. Vermeule, Roman Imperiai Art in Greece and Asia Minor (1968) 403. AA. 1967, 34ff. Abb. 2. 3 (nach Graindor); Abb. 4 (Abb. 4 hier wiederholt als Abb. 4). 5 der Kopf in Florenz, Uffizien Inv. 242: Felletti Maj a. O. 119 Nr. 82; G. Mansuelli, Galleria degli Uffizi. Le Sculture II (1961) 119f. Nr. 153, 2 Abb.; mit Angaben über die Ergänzungen.
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KLAUS
PARLASCA
Abb. 1. Moderner N a c h g u ß des Kopfes Abb. 4 Privatbesitz, E u r o p a
Abb. 2. Moderner N a c h g u ß des Kopfes Abb. 4. E h e m . Kairo, Slg. Bircher
die Diskussion um einen anderen Deutungsvorschlag: Er glaubt, den Graindor'schen Kopf als Constantius Chlorus ansprechen zu dürfen 4 . Zur Ergänzung der beiden Tafelabbildungen bei Graindor veröffentlichte J. Meischner erstmals eine weitere Photographie, die denselben Kopf in geringfügig abweichendem Erhaltungszustand wiederzugeben scheint 5 . Hierbei handelt es sich um die 1936 angefertigte Reproduktion eines Photos im Besitz von G. Kaschnitz-Weinberg, wie ich einer H. Sichtermann verdankten Auskunft entnehme. Die Platte ist im römischen Institut mit der Angabe »Privatbesitz, Europa« (letzteres in Bleistift zugefügt) inventarisiert. Die Originalaufnahme (Abb. 1) gelangte mit dem gesamten photographischen Nachlaß von G. Kaschnitz-Weinberg ins Archäologische Institut der Universität Frankfurt/Main. Es ist nicht bekannt, ob Kaschnitz das Photo erst im Jahre 1936 erwarb und ob die von Graindor publizierten Aufnahmen wesentlich älter sind als das Erscheinungsjahr seines Buches (1936). Das Archäologische Institut der Universität Tübingen besitzt jedoch ältere Abzüge der Negative, nach denen die Vorlagen der Graindor'schen Tafelabbildungen hergestellt worden sind. Sie tragen den Vermerk »Kairo, Bircher«. Demnach befand sich der
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Meddelelser fra N y Carlsberg G l y p t o t e k 1968, 81f. Abb. 19. 20 (nach Graindor).
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a. O. Abb. 1; 35 Anm. 5 lies Inst. Neg. 36.1106.
ZWEI FALSCHE
BRONZEPORTRÄTS
Abb. 3. Moderner N a c h g u ß des Kopfes Abb. 4. E h e m . Kairo, Slg. Bircher
Abb. 4. P o r t r ä t k o p f auf moderner Büste. Florenz, Uffizien
Bronzekopf vor 1914 in dieser bekannten Kairiner Privatsammlung 6 . Es wäre theoretisch durchaus denkbar, daß der Kopf später — wie die ganze durch Verkäufe zerstreute Sammlung — in den Besitz eines europäischen Sammlers gelangt ist. Diesen naheliegenden Schluß verbietet jedoch der unterschiedliche Erhaltungszustand: Der geringeren Größe der Bruchfläche an der Halskante nach zu urteilen, müßte die Kaschnitz'sche Photographie zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen worden sein, sofern die Abbildungen 1—3 wirklich denselben Guß wiedergeben. Die Photographie Abb. 1 zeigt den Kopf auf einem weißen, runden Marmorsockel, während er auf den Graindor'schen Abbildungen anscheinend lose auf einer provisorischen Holzstütze sitzt 7 .
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Die Photos sind retuschiert. Sockel und Hintergrund sind a b g e d e c k t ; a u ß e r d e m ist auch die s t a r k v e r s c h a t t e t e Vorderseite des Halses leicht überarbeitet. Offensichtlich h a n d e l t es sich u m Vorlagen einer f ü r das Sieglin-Werk vorgesehenen Tafel, die G. Lippold e r w ä h n t (s. u. Anm. 8). Ein P r o b e d r u c k ließ sich jedoch im LippoldNachlaß des Archäologischen I n s t i t u t s der Universität Erlangen nicht ermitteln (nach einer H. Bartels v e r d a n k t e n A u s k u n f t ) . Die Praxis,
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Tafeln lange im voraus anfertigen zu lassen, entsprach der Gewohnheit Th. Schreibers; vgl. R. Pagenstecher — C. Watzinger, E x p e d i t i o n E. von Sieglin I I 1 A (1923) S. V I I f . ; desgl. I I 1 B (1927) S. I X . Schreibers Tod - a m 13. März 1913 — bietet einen entsprechenden T e r m i n u s a n t e q u e m f ü r die Existenz des Bircher'schen Kopfes (Abb. 2. 3). Der breite, schwärzliche Sockel ist vermutlich retuschiert.
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KLAUS
PARLASCA
Schwerwiegender ist aber die Tatsache, daß auch die Oberfläche in beiden Fällen einen unterschiedlichen Eindruck macht. So fallen bei Abbildung 1 die starken Glanzlichter auf, während die vielen hellen Flecke bei der Wiedergabe auf Abb. 2 und 3 eher an eine stumpfe Patinierung denken lassen. E s fällt schwer, diese Differenzen nur auf verschiedene Beleuchtung zurückzuführen. Ein genauerer Vergleich der inzwischen ermittelten Originalphotos ergibt einige weitere Merkwürdigkeiten. Die unterschiedliche Länge der ausgebrochenen Partie am unteren Rande wurde bereits erwähnt. Ob dieser Befund mit einer vor Aufnahme des Kaschnitz'schen Photos erfolgten Beschädigung zu erklären ist, läßt sich nicht eindeutig entscheiden. Andere Einzelheiten sprechen jedoch eine deutlichere Sprache. Das Kaschnitz'sche Photo (Abb. 1) zeigt im Kehlkopfbereich einen Gußfehler in Form eines länglichen Lochs. Der Bircher'sche Kopf (Abb. 2. 3) hat an dieser Stelle aber einen deutlich schmaleren, länglichen Fleck von waagerechter Ausdehnung. Verschieden sind vor allem auch die Kanten an der rechten Halsseite. Hier erkennt man bei Abb. 1 einen stumpfwinkligen Absatz, dessen Grat sich aber rechts neben der Bruchstelle nicht fortsetzt (Bei den Photographien des Bircher'schen Kopfes [Abb. 2. 3] sind die Kanten des Halsansatzes retuschiert). Wenn man alle Indizien zusammennimmt, ergibt sich die zwingende Folgerung, daß die Abbildungen 1 bzw. 2 und 3 nicht dasselbe Objekt wiedergeben. Auf den ersten Blick ist dieser Tatbestand verblüffend: Es handelt sich demnach statt nur um einen um zwei verschollene Bronzeköpfe. Die Lösung dieses Problems ist jedoch recht einfach: G. Lippold hatte bereits in seiner Besprechung des Graindor'schen Buches den Bircher'schen Kopf im Kairiner Handel (Abb. 2. 3) als modernen Nachguß des Florentiner Porträts (Abb. 4) angesprochen 8 . E r begründete dieses Verdikt mit der nicht weiter erläuterten Feststellung, die Bronzewiederholung stimme in allen Beschädigungen mit dem Florentiner Kopf überein. Gemeint ist offenbar vor allem die Nase, bei der man sogar noch die Fuge der Ergänzung erkennen kann. Auch die kleine Bestoßung einer Lockenendigung — etwa über dem inneren Winkel des linken Auges — hat ihre Entsprechung bei der Bronze; hier wirkt diese Stelle merkwürdig verunklärt. Auch das wulstige, ergänzte Nackenhaar des Florentiner Porträts entspricht genau der entsprechenden Partie des Bronzekopfes der ehemaligen Sammlung Bircher. Für die Echtheit des Kopfes auf Abbildung 1 ergibt sich dasselbe negative Resultat durch den Nachweis, daß auch er ein Nachguß desselben Porträts ist. Vor allem ist der beschriebene Absatz an der rechten Halsseite unvereinbar mit der Annahme antiken Ursprungs. In diesem Zustand kann der Kopf nicht von einer Statue oder Büste abgebrochen sein. Der angeblich aus dem Fayum 9 stammende Kopf (Abb. 2. 3) ist also eine in moderner Zeit importierte Fälschung, das von J . Meischner publizierte Photo (Abb. 1) gibt einen weiteren Guß derselben Werkstatt wieder. Dieser Befund ist keineswegs ohne Analogie. E s sei in diesem Zusammenhang nur an den Bronzekopf des Antinoos in den Uffizien
8
GGA. 200, 1938, 155; ebendort 149ff. wichtige Bemerkungen zu anderen Bildnissen. Vgl. ferner die Ergänzungen und Berichtigungen in den Besprechungen von A. Adriani, BArchAlex. 31, 1937, 312ff. und F. Poulsen, R E A . 39, 1937, 385f.
9
Das von Graindor a. O. 64 als Provenienz an-
gegebene Krokodilopolis ist identisch mit der antiken Gauhauptstadt Arsinoe. In ihrer Nähe liegt Medinet el Fayum, die heutige, als Umschlagplatz für den Antikenhandel bekannte Provinz-Hauptstadt. Hier Abb. 2 und 3 nach in Tübingen hergestellten Fotos, die ich der Hilfsbereitschaft U. Hausmanns verdanke.
ZWEI FALSCHE
207
BRONZEPORTRÄTS
erinnert, den bereits A. Rumpf vor 40 Jahren als Nachguß des 'Antinous Farnese' in Neapel als Fälschung erkannte 10 . Bronzenachgüsse von Antiken — zumeist handelt es sich dabei um Idealskulpturen ohne falsifikatorische Absicht — hat es bereits in der Renaissance gegeben11, doch ist die genauere Datierung einzelner Exemplare mitunter schwierig. Die Zeitstellung der beiden Bronzeköpfe Abbildung 1—3 wenigstens annähernd zu bestimmen, scheint mir auch ohne Autopsie möglich zu sein. Soweit ich sehe, fehlen Merkmale, die in der Literatur als Charakteristika für Güsse der Renaissance und des Barock angeführt werden. Einen gewissen Anhaltspunkt für die relativ späte Entstehung der beiden Fälschungen bietet ein bereits von M. Wegner als Fälschung erkannter Bronzekopf des Antoninus Pius 12 . Auch an diesem fällt der unregelmäßige Rand des Halsansatzes auf. Eine Datierung der beiden Nachgüsse (Abb. 1—3) in die zweite Hälfte des 19. Jhs. ist deshalb am wahrscheinlichsten. Diese Frage ist aber für unseren Zusammenhang nur von sekundärer Bedeutung, da sie das Prinzipielle des Fälschungsproblems nicht berührt. Die Diskussion der ikonographischen Frage bedarf eines weiteren Rahmens, als er diesem Beitrag gesetzt ist. Der Verfasser muß aber bekennen, daß ihn die Zuordnung des Kopfes in der Münchener Residenz 13 an den 'Typus Kairo', d. h. an den Florentiner Kopf (Abb. 4) nicht überzeugt hat. Vermutlich sind die beiden Dargestellten nicht identisch. Somit ist es nach Eliminierung des Kairiner Kopfes fraglich, ob überhaupt einer dieser Köpfe einen Kaiser darstellt, da das wichtige Indiz der Existenz von Repliken entfällt. Frankfurt/Main
10
11
RM. 42, 1927, 241 ff. Beilage 36 (Inv. 1640). Als a n t i k b e h a n d e l t von K. Kluge —K. L e h m a n n Hartleben, Die a n t i k e n Großbronzen (1927) I I 36ff.; I I I Taf. 11, sowie neuerdings — offenbar ohne K e n n t n i s des R u m p f ' s c h e n Aufsatzes — von F. de la Maza, Antinoo, el Ú l t i m o Dios del Mundo Clásico (Mexiko 1966) 164 Nr. 5 Abb. S. 163. — Z u m "Antinous F a r n e s e ' (Neapel, Mus. Naz. Inv. 6030) zuletzt Chr. W . Clairmont, Die Bildnisse des Antinous (1966) 50 Nr. 33 Taf. 25. 26 (mit älterer Lit.). Hallo, J d l . 42, 1927, 193ff.; W . M ü l l e r , RM. 53, 1938, 164ff. (jeweils mit weiterer Literatur). Zuletzt H . Ladendorf, A n t i k e n s t u d i u m u n d Antikenkopie 2 (1958) 208 (Index s. v. Bronzekopie) 183 (Bibliogr. Nr. 1004ff. 1009f.). Die bereits von Benndorf, Ö J h . 4, 1901, 169f., als m o d e r n e r k a n n t e B r o n z e s t a t u e eines Camillus in Neapel (Inv. 5611) wurde später wiederholt als Replik der b e k a n n t e n S t a t u e im Konservat o r e n p a l a s t g e n a n n t : L. Cl. Spaulding, T h e 'Camillus'-Type in Sculpture, Diss. New York, Columbia Univ. 1911, 45; vgl. Heibig 4 I I 270ff. Nr. 1450. Demgegenüber k a n n m a n den von
Klaus Parlasca
J. Meischner a. O. 35 e r w ä h n t e n überlebensgroßen Bronzekopf in München, den F u r t w ä n g ler f r ü h e r als Maximinus T h r a x i n t e r p r e t i e r t h a t t e , nicht als Fälschung bezeichnen. E r gehört vielmehr zu einer Büstenserie, die f ü r das Grabmal Kaiser Maximilians I. b e s t i m m t war u n d u m 1510/15 in Augsburg gearbeitet wurde. Vgl. zuletzt H. R. Weihrauch, Die Bildwerke in Bronze . . . K a t . Bayer. Nationalmus. München X I I I 5 (1956) 38 Nr. 50 m i t 2 Abb., mit Bibl. E r soll vermutlich P r o b u s darstellen. 12
Esperandieu X I (1938) 17 Nr. 7670 mit 2 Abb. (1929 im Pariser K u n s t h a n d e l , angeblich aus Südfrankreich); M. Wegner, Die Herrscherbildnisse in antoninischer Zeit (1939) 138 nach einem E. P a u l v e r d a n k t e n Hinweis. Die von Wegner e r m i t t e l t e Vorlage, ein Kopf im Lateran, w u r d e 1857 in Ostia g e f u n d e n : A. Giuliano, Cat. dei R i t r a t t i R o m . del. Mus. P r o f a n o L a t e r a nense (1957) 56 Nr. 61 Taf. 38; Wegner a. O. 141, h ä l t dieses s t a r k ü b e r a r b e i t e t e Bildnis gleichfalls nicht f ü r antik.
13
Meischner a. O. 37 ff. Abb. 6. 7.
208
CARL
BLÜMEL
ZUR ECHTHEITSFRAGE DES ANTIKEN BRONZEPFERDES IM METROPOLITAN MUSEUM IN NEW YORK Bedeutende antike Kunstwerke, die nicht in einer Ausgrabung gefunden wurden, sondern als Zufallsfunde über den Kunsthandel meist zu sehr hohen Preisen in die großen Museen gelangten, wurden mehrfach zu Unrecht in ihrer Echtheit angezweifelt. Die bekanntesten Beispiele dafür sind: die archaische Göttin mit dem Granatapfel des Berliner Museums, der archaische Kuros im Metropolitan Museum von New York und die Thronlehne im Museum von Boston, ein Gegenstück zum berühmten Ludovisischen Thron im Thermenmuseum in Rom. Die Zweifel wurden stets bald nach der ersten Publikation dieser Werke angemeldet. Da sie aber echt waren, verstummten die Angriffe allmählich. Das dauerte aber zehn, zwanzig und mehr Jahre. Um die Bostoner Thronlehne stritt man sich sogar über achtzig Jahre, eine Tatsache, die eigentlich recht beschämend für die archäologische Wissenschaft ist. Jetzt hat J. V. Noble, Vizedirektor des Metropolitan Museums in New York, die Echtheit des berühmten Bronzepferdes seines Museums (Abb. 1) in Zweifel gezogen1. Das Werk wurde 1923 in Paris erworben und fünfundvierzig Jahre lang, wie kaum eine andere Antike, nicht nur von den Archäologen, sondern auch von zahllosen Kunstfreunden bewundert und geliebt. L. Curtius widmete dem Pferd eine seiner interessantesten Arbeiten 2 und sagte von ihm, es sei die schönste uns erhaltene griechische Bronze. Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben, daß erst nach fünfundvierzig Jahren die Echtheit eines besonders hoch geschätzten antiken Kunstwerks in Zweifel gezogen wurde. Nach der Meinung von Noble soll eine Naht, die über die Stirn des Pferdes bis zu den Nüstern und weiter über Rücken und Bauch verläuft, auf die zweiteilige moderne Sandform zurückgehen (Abb. 3). Er glaubt, daß die Griechen zu der Zeit, als das Pferd entstanden sein soll, nur den nahtlosen Guß aus einem Stück von einem Wachsmodell kannten 3 . Auch hält er das Draht- und Eisengerüst mit dem durchglühten Erdkern im Innern des Pferdes, das er mit einem Magnet und danach mit X- und Gammastrahlen feststellen konnte, bei einem antiken Bronzeguß für nicht möglich4. Die meisten archäologischen Fachkollegen glaubten, vor den komplizierten technischen Ausführungen Nobles resignieren zu müssen und erhoben keine Einwände, wenn sie auch das Ausscheiden des Bronzepferdes aus der Reihe der berühmtesten uns erhaltenen Antiken bedauerten. Nach meiner Meinung ist nun gerade die Naht, die Noble sah, der beste Beweis für die Echtheit des Pferdes. Er hält für einen Gußgrat, was in Wirklichkeit eine Lötnaht ist. An keiner modernen Bronze, ob sie mit Sand- oder mit Wachsform gegossen wurde, sieht man solche Nähte. Jeder moderne Bronzeguß kommt mit einer häßlichen Gußhaut aus der Sandform. Er wird deshalb in der Bronzegießerei, oft zum Leidwesen des beteiligten Bild1
New York Times v. 7. 12. 1967, 1. Newsweek 18. 12. 1967. Spiegel 11. 12. 1967. Noble, BMetrMus. February 1968, 253 ff. The Sciences 8 Nr. 5 May 1968, 14. G. Ortiz, Burlington Mag. March 1969, 154. Für die Echtheit des Pferdes: Blürael, Weltkunst 38, 1968, 568 Sanka Knox,
New York Times v. 10. 8. 1968. C. Vermeule, Burlington Mag. March 1968, 167. 2
L. Curtius, Antike 3, 1927, 162 ff.
3
Noble a. O. 253.
4
Ebenda 254 ff.
ZUR E C H T H E I T S F R A G E D E S A N T I K E N B R O N Z E P F E R D E S IN N E W Y O R K
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Abb. 1. Bronzepferd. New York, Metropolitan Museum
hauers, ganz überarbeitet. Dabei verschwinden alle Gußgrate vollkommen, ebenso wie die Rückstände an Bronze aus den Gieß- und Luftkanälen. Man wird in den Museen an keiner Bronze aus den letzten Jahrhunderten Gußgrate sehen. Wenn wirklich das Bronzepferd in Paris im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts gefälscht und gegossen wurde, müßte es ihm ebenso ergangen sein. Daß man die Gußgrate an modernen Bronzen beseitigt, ist j a nur verständlich. Eine Kleinbronze möchte man auch einmal in die Hand nehmen und sich dabei nicht an einem Gußgrat reißen. Bei einer Großbronze ist ein solcher entsprechend stärkerer Grat nicht weniger störend. E r fällt mit seinem gradlinigen Schatten auf der glatten Oberfläche der Bronze sofort ins Auge. Solche Grate werden deshalb mit der Gußhaut sauber weggenommen und hinterlassen auf der massiven Oberfläche der Bronze auch keinerlei Spuren. Diese Arbeit habe ich nur zu oft beim Gießen von eignen Skulpturen und vor allem bei den Vorbereitungen zu der Ausstellung »Sport der Hellenen« im J a h r 1936 beobachten können, wo nicht weniger als sechzehn kleine und große antike Bronzen unter meiner Aufsicht mit Sandform nachgegossen wurden. Um die Überarbeitung in der Gießerei zu vermeiden, hat der Bildhauer Manzü auf Bronzen gelegentlich die Gußgrate stehengelassen (Abb. 4) B . Der Unterschied dieser Gußgrate zu der Lötnaht auf der Stirn des Pferdes ist unverkennbar. In der ersten Veröffentlichung des Bronzepferdes von 1923 6 sprach Gisela M. A. Richter von einem Vollguß, und das wurde in allen weiteren Publikationen, auch von L. CurtiusundE. Kunze wiederholt. Verständlich ist das natürlich, eine Bronze von 42 cm Höhe
5
Nach J . Rewald, Manzù Taf. 81.
14 AA. 1969
6
Richter, BMetrMus. 18, 1923, 89.
210
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und 36 cm Länge hat, auch wenn sie innen hohl ist, ein recht erhebliches Gewicht. Nach der Meinung von Noble7 kann das Pferd nur antik sein, wenn es voll gegossen wurde. Man kann aber nur kleine Bronzen von wenigen Zentimetern voll gießen, wie zum Beispiel die Tiere, die man in Olympia zu vielen Hunderten gefunden hat. Bei größeren Stücken ist das unmöglich, weil bei ihnen die flüssige Bronze nicht gleichmäßig erkaltet und sie als völlig verzerrte Fehlgüsse aus der Form herauskämen. Das haben mir bisher alle Fachleute in den Gießereien bestätigt. Diese Erfahrung haben natürlich auch die Griechen in ihren Werkstätten gemacht und sich darauf eingestellt. Selbst verhältnismäßig kleine Bronzen aus dem 6. Jh. v. Chr., wie etwa die Greifenköpfe an griechischen Bronzegefäßen, sind hohl gegossen. Man konnte allerdings das Wachsausschmelzverfahren beibehalten, wenn man Teile goß, die überall gleich dick oder gleich dünn waren und damit ein gleichmäßiges Erkalten nach dem Guß gewährleisteten. Die Teile wurden überarbeitet, von der Gußhaut befreit und dann zusammengelötet. Diese Lötnähte verstanden die Griechen auf der Oberfläche fast immer mit Bronze ganz zum Verschwinden zu bringen. Aber überall da, wo wir in die Bronzen hineinsehen können, lassen sich die Nähte entweder fühlen oder bei entsprechender Beleuchtung sehen und photographieren. Chemisch lassen sich Lötnähte nur im Innern griechischer Bronzen feststellen. Gerade in diesen Tagen konnte ich beobachten, daß dieses vernünftige Verfahren auch chinesische Bronzegießer angewandt haben; nur waren sie nicht so geschickt im Überarbeiten der Lötnähte. An zwei Bronzestieren aus der Tangzeit, die goldgelb und unpatiniert waren, lief ein breiter schwarzer Lötstreifen über die Rücken und auch da, wo die Beine angelötet waren, sah man dieselben schwarzen Nähte. Das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Man weiß seit langem, daß der Wagenlenker von Delphi aus sieben größeren Teilen zusammengesetzt wurde und auch seine Haarschleife am Hinterkopf wurde gesondert gegossen und dann angelötet. Neuerdings hat Tobias Dohm das Innere des etruskischen Arringatore, der im Museum von Florenz steht, ausgeleuchtet, photographiert und festgestellt, daß er aus ebensovielen Gußteilen wie der Wagenlenker zusammengesetzt wurde 8 . B. S. Ridgway hat in einem Aufsatz 9 an Hand von vielen Abbildungen gezeigt, daß die Bronzestatue einer Frau aus dem 3. Jh. v. Chr., die am 9. 8. 1953 von Schwammfischern im Meer gefunden wurde und jetzt im Museum von Izmir steht, aus vielen Gußteilen zusammengelötet wurde. Allein der Kopf mit Schleier wurde aus drei Stücken zusammengesetzt. Bei diesem Verfahren kam es dem Bildhauer darauf an, seine Figur in Teile zu zerlegen, die sich ohne Schwierigkeiten abheben ließen. Stark unterschnittene Einzelheiten, wie Haarlocken, Haarschleifen oder auch Schamhaare bei nackten männlichen Statuen, mußten wieder gesondert gegossen und angefügt werden. Das Verfahren entspricht im wesentlichen den Überlegungen, die ein Gipsformer anstellen muß, wenn er von einem Wachs- oder Tonmodell eine Stückform anfertigt. Jedenfalls kann die feine Linie auf der Stirn des Pferdes nur der Rest einer Lötnaht und kein Gußgrat sein. Man hat es im Metropolitan Museum mit bewunderungswertem Scharfsinn fertiggebracht festzustellen, was sich im Innern des Pferdes an Gußresten erhalten hat. Ein Magnet wurde an einem Faden befestigt und man ging mit ihm um das Pferd herum und stellte nun fest, an welchen Stellen und wie stark an den verschiedenen Punkten der Magnet von dem Pferd angezogen wurde. Er reagierte natürlich besonders stark da, wo von dem eisernen
7
Noble a. O. 253
8
Dohm, Bd'A. 49, 1964, 101.
9
Ridgway, AJA. 71, 1967, 333.
ZUR E C H T H E I T S F R A G E D E S A N T I K E N B R O N Z E P F E R D E S IN N E W Y O R K
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Abb. 2. Helmwange Olympia
Gestänge, das den verglühten Erdkern im Innern des Pferdes hielt, Teile besonders nah an den Rand herankamen. Auf Eisenteile weiter im Innern war die Bewegung des Magnets schwächer. Eine schematische Zeichnung in der Veröffentlichung von Noble zeigt das Ergebnis der Untersuchung höchst anschaulich 10 . Die Anziehungspunkte für den Magneten verteilen sich über den ganzen Leib des Pferdes. Dann aber wurde das Pferd auch mit X und Gammastrahlen durchleuchtet und photographiert. Diese Strahlen benutzt man für gewöhnlich bei der Prüfung von Stahlplatten, die beim Bau von Unterseebooten Verwendung finden. Auf diesen Photographien läßt sich nun deutlich erkennen, wie das ganze Innere der Bronze mit Erde gefüllt ist und von eisernen Stäben und vielen Drähten durchzogen wird 11 . Damit glaubte man, endgültig den Beweis dafür erbracht zu haben, daß das Pferd mit einer modernen Sandform gegossen wurde und eine Fälschung sein mußte, weil man immer von der Voraussetzung ausging, daß ein echtes antikes Pferd nur voll gegossen sein konnte. Am 5. Mai 1960 kam ich in das Nationalmuseum von Athen, und mit der Erlaubnis von Direktor Chr. Karusos wurde mir in der Werkstatt der Restauratoren der große bronzene Apollon 12 , den man bei Straßenbauarbeiten 1959 im Piräus gefunden hatte, gezeigt. E r lag in einer großen Wanne in fließendem klarem Wasser, sein linkes Bein war stark angebrochen und nach der Seite abgewinkelt, und so konnte man in das Innere hineinsehen. Zu meiner großen Überraschung war das Bein ganz angefüllt mit einem Geflecht von eisernen Stangen und Drähten, zwischen denen die Reste von verglühter Erde in schwarz-braunen Klumpen hingen. Im Innern des Wagenlenkers von Delphi hat es auch einmal ebenso ausgesehen. F. Chamoux 13 berichtet, daß in der Statue, als man sie fand, sich schwarze verglühte Erde und ein Gestänge aus Eisen vorgefunden habe. J e t z t kann man das nicht mehr sehen, weil die Statue zum größten Teil mit Gips ausgefüllt wurde. Im Antiquarium des Berliner
10 11 14»
Noble a. O. 255 Abb. 4. Ebenda 255 Abb. 5.
12 13
Richter, Kouroi (London 1960) 136 Nr. 159 bis. Chamoux, L'Aurige de Delphes (FdD. I V 5) 59.
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Museums begegnen einem immer wieder Hohlgüsse von archaischen Bronzen, in denen sich noch schwarze Erde und Reste von Metallgerüsten erhalten haben. Nun stellt man sich natürlich die Frage, wie und warum diese Stützen mit verkohlter Erde in die Bronzen hineinkamen. Das Zusammenlöten der einzeln gegossenen Teile einer griechischen Bronze war ein sehr komplizierter Vorgang. Die verschiedenen Teile mußten ein festes Auflager haben, das auch bei großer Hitze und bei Druck nicht nachgab. Da stellte man ein Modell her, das den ganzen Hohlraum der Bronze füllte. Es bestand aus einem festen Erdkern, der überdies durch viele Draht- und Eisenstützen zusammengehalten wurde und auf ihm wurden die Teile zusammengelötet. Dabei wurde der Erdkern durchglüht, blieb aber
Bronze. So spricht auch der Umstand, daß man in dem Bronzepferd so viele Draht- und Eisenstützen feststellen konnte, für seine antike Herkunft. Es ist sogar ein eindeutiger Beweis, weil sich beim modernen Sandguß ein so kompliziertes Gestänge erübrigt. Die moderne Gußerde bildet schon für sich allein eine so feste Masse, daß in der Regel nur ein oder zwei gerade Metallstangen beflB nötigt werden, die den Gußkern innerhalb der NegaAbb. 3. Kopf des Bronzepferdes Abb. 1 tivform in der richtigen Lage halten. Das komplizierte Drahtgeflecht findet sich nur in antiken Bronzen. Der Schnitt durch den Sandkasten für einen modernen Bronzeguß kann den Gießvorgang deutlich machen (Abb. 5)14. Mit einem starken Halteeisen ist der Sandkern der Figur so im Kasten befestigt, daß zwischen Sandkern und Sand-Negativform ein 3—5 mm starker Hohlraum gebildet wird, der zur Aufnahme der flüssigen Bronze bestimmt ist. Dieser Hohlraum stellt später die Wandung der Plastik dar. Die übrigen Hohlräume sind Luftkanäle, die einen einwandfreien und blasenlosen Guß ermöglichen. An dem modernen Nachguß der berühmten Bronzestatuette des nackten Mädchens aus dem Museum in München (Abb. 6), der gerade nach dem Guß aus dem Formkasten herausgenommen wurde, halten nur zwei glatte gekreuzte Metallstäbe den Gußkern. Schließlich ist auch zu bedenken, daß das Fälschen recht schwierig ist. Einmal muß der Fälscher ein echtes Kunstwerk mehr oder weniger treu kopieren. Er darf dabei aber nicht zu weit gehen, weil er sich sonst als Kopist verrät, und bei allem, was er selbst hinzu tut, läuft er wieder Gefahr, dadurch als Fälscher entlarvt zu werden. Diese Zwitterstellung macht es unmöglich, daß eine Fälschung zu einem Kunstwerk wird. Mir sind in den letzten vierzig Jahren in meiner Tätigkeit am Berliner Museum sehr viele Fälschungen gezeigt
14
Nach Seitz, Entstehung einer Plastik, Taf. 36.
ZUR E C H T H E I T S F R A G E D E S A N T I K E N B R O N Z E P F E R D E S IN N E W Y O R K
worden. Es waren aber durchweg wertlose Machwerke. Die hohe künstlerische Qualität des Pferdes, die niemand leugnen kann, sollte allein schon für seine Echtheit sprechen. Im ersten Viertel des 20. Jhs. soll nach Ansicht von Noble 15 das Bronzepferd gefälscht worden sein. Zu dieser Zeit gab es in Paris viele Bildhauer, die nie in ihrem Leben ein Pferd modelliert haben, weil das ein besonders schwieriger Vorwurf ist, der fast immer ein lebenslanges besonderes Studium erfordert. Mit Hilfe der Ausstellungskataloge aus dieser Zeit müßte es für Noble nicht schwer sein, unter den wenigen Pferdebildhauern den Neoklassizisten herauszufinden, der das Bronzepferd in New York vor 1923 gefälscht haben kann. Sicher hat dieser Mann, wenn es ihn überhaupt gegeben hat, nicht nur ein Pferd modelliert. Eine schwierigere Aufgabe hätte sich ein Fälscher nicht aussuchen können, zumal es damals für ein solches Pferd überhaupt keine brauchbaren antiken Vorbilder gab. Die archaischen Marmorpferde 16 im Akropolismuseum waren damals nur in schlechten Photographien oder Abbildungen greifbar, nach denen ein Bildhauer nicht arbeiten konnte und in Gips abgegössen wurden diese Pferde wegen der Farbspuren auf ihrer Oberfläche überhaupt nicht. Auch hätte kein Fälscher mit diesen schlanken archaischen Marmorpferden als Vorbild das ganz andersartige frühklassische Bronzewerk fertigen können. Auch die beiden Pferdeköpfe aus Marmor im Museum auf Thasos 17 hätten ihm nichts genützt. Mir scheint, daß Noble die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Fälscher, zumal in der Zeit vor 50 Jahren, als Griechenlandreisen noch recht selten und schwierig waren, weit überschätzt. Das Loch in der Mähne findet sich an derselben 18 Stelle an einem Marmorpferd von der Akropolis 1 .
*
213
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Abb. 4. B r o n z e s t a t u e t t e
wieder, es diente zur Befestigung des Zaumzeuges. von Giacomo Manzü Das geöffnete Maul mit dem sichtbaren Gebiß hat die Trense getragen. Diese Einzelheit hätte ein Fälscher übernehmen können. Aber nie konnte er ein Pferd erfinden, das weder die Pferde im Akropolismuseum noch die vom Parthenonfries kopiert, sondern stilistisch eindeutig zwischen beiden steht. 15 16
Noble a. O. 256. P a y n e , Archaic Marble Sculpture (London o. J.) Nr. 606 Taf. 1 3 4 - 5 ; Nr. 697 Taf. 1 3 9 - 4 0 ; Nr. 700 Taf. 1 3 7 - 9 .
17
Daux, Guide de Thasos (Paris 1967) 118 Abb. 58; 119 Abb. 59.
18
P a y n e a. O. Nr. 700.
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Warum sind bei dem Bronzepferd drei Füße genau ebenso abgebrochen wie die Hinterbeine bei dem erst um 1939 in Olympia gefundenen Pferd 1 9 ? Doch nur deshalb, weil beide Pferde auf die gleiche Art mit Zapfen unter den Hufen in der Plinthe befestigt waren, von der sie mit Gewalt losgerissen wurden. Ebenso wie das Pferd in Olympia muß auch das Bronzepferd in New York einmal im Freien und nicht in einem geschlossenen Raum, wie es D. v. Bothmer 2 0 annimmt, gestanden haben. Solche Weihgeschenke wurden aufgestellt, um gesehen zu werden, und man muß E . Kunze 21 zustimmen, wenn er von dem Pferd in Olympia sagt: »Nur wird man sich die kleinen Wagenanatheme nicht auf niedrigen, massiv gemauerten Basen, sondern auf mäßig hohen Pfeilern oder Säulen aufgestellt denken müssen, wie denn der Wagen des Spartaners Polypeithes nach Pausanias Worten ITH