Archäologischer Anzeiger: Heft 2/1967 [Reprint 2020 ed.]
 9783112323380

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ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER 1967 • HEFT 2

SIEDLUNGSFORMEN IN DER MAREOTIS Die geradezu gründerzeitliche Bauwut, die in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende in Alexandria herrschte1, hat die wenigen, damals in der Stadt noch vorhandenen Baureste antiker oder frühchristlicher Zeit fast vollständig zerstört oder in den Zonen stärkerer Verschüttung doch so überlagert, daß heute kaum noch Aussichten bestehen, wesentliche Reste der antiken Stadt wiederzugewinnen2. Ein gleiches Schicksal scheint jetzt — unter neuen Vorzeichen — auch der Umgebung der Stadt zu drohen, einem Gebiet, das — seit Jahrhunderten völlig versteppt und nur mehr von wandernden Beduinenstämmen bewohnt — gleichwohl eine der fruchtbarsten Provinzen Unterägyptens war3. Dieses einst dichtbesiedelte Land ist aber archäologisch ebensowenig bekannt und erforscht wie die Stadt selbst. Wenige Reisende berichteten über ihre Erfahrungen4 in diesem Gebiet und

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Für Zitate wurden neben den im AA. 1966, 589 ff. verzeichneten Abkürzungen die in den M D I K . verwendeten Kürzel benutzt. Auf eingehendere Darstellung der geographisch-geologischen Voraussetzungen sowie eine Zusammenstellung der historischen Daten wurde verzichtet, da ein zusammenfassender Überblick für den Band I der derzeit in Arbeit befindlichen Abu Mena-Publikation vorgesehen ist; hier soll auch ein Katalog der einzelnen Ruinengebiete gegeben werden. Für stete Hilfe bei der Umschrift arabischer Ortsnamen danke ich herzlichst Fräulein Dr. G. Kircher sowie Herrn Dr. K. Brisch; für Hinweise auf ägyptische Vergleichsstücke Herrn Dr. D. Arnold. Trotz der über lange Jahre laufenden Sammelarbeit A. Adrianis (vgl. Ann. Mus. GrécoRom. 1, 1932/33, 5 5 - 9 6 ) haben sich auch in den Neubaugebieten der Stadt keine zusammenhängenden Baureste gefunden, die Rückschlüsse auf die Form einzelner Bautypen zuließen (vgl. auch Breccia, BArchAlex. 23, 1928, 355—369). Erst die jüngsten Ausgrabungen auf dem Köm al-Dikka ergaben erkennbare Reste eines spätantiken Bades sowie eines in der Spätantike ausgebauten Odeions (vgl. dazu J . Lipinska, Travaux du Centre d'Arch. de l'Académie

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Polonaise 3, 1966, 181—199). S t r a b o X V I I 1 , 1 4 ; D i o d o r I I I 4 9 — 5 0 ; Athenaios, Deipnosophist. I 60; Sokrates, Hist. Eccl. I 27. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung von Weedon, Cairo Scientific Journal 6, 1912, 201—246. Neben allgemeinen Angaben zur Mareotis (vgl. Weedon a. O.) finden sich auf eigener Landeskenntnis basierende Angaben nur bei folgenden Autoren: 1730: Sieur Granger (Tourtechot), Relation du Voyage fait en Egypte par le Sieur Granger en l'Année 1730 . . . (1745). — 1792: W. G. Browne, Travels in Africa, Egypt and Syria from the Year 1792 to 1798 (1799). — 1820: General H. Frhr. von Minutoli, Reise zum Tempel des Jupiter-Ammon in der libyschen Wüste und nach Oberägypten in den Jahren 1820 und 1821 (1824) sowie vom gleichen Verf., Nachträge zu meinem Werke betitelt: Reise zum usw. usw. (1827). — 1821: J . M. A. Scholz, Reise in die Gegend zwischen Alexandrien und Paraetonium . . . (1822). — 1824: J . R. Pacho, Relation d'un Voyage dans la Marmarique, la Cyrenaique . . . (1827). — 1847: Bayle St. John, Adventures in the Libyan Desert and the Oasis of Jupiter Amon (1849). — 1866: MahmoudBey, Mémoire sur l'Antique Alexandrie, ses Faubourgs et Environs découverts . . . (1872).

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WOLFGANG

MÜLLER-WIENER

nur vereinzelte Grabungen wurden hier unternommen, die — soweit überhaupt — nur mäßig publiziert worden sind 5 . Ein Versuch, im Zusammenhang mit den ersten Ausgrabungen in Abu Mena 1905—1907 die antike Besiedlung des Gebietes zwischen libyscher Wüste und Mareotis-See näher zu untersuchen, ist trotz erster Ansätze offenbar gescheitert 6 , obwohl zu jener Zeit gewiß noch erheblich mehr über dem Boden erhalten gewesen sein muß als heute. Der leichte Zugang zu vielen alten Siedlungsplätzen, die teils nur wenige hundert Meter neben den modernen Hauptstraßen liegen, hat seitdem den Steinraub in unvorstellbarem Maße gefördert. Die Lage der zahlreichen kleinen Ortschaften an der Nordwestküste der in den Mareotis-See hinausragenden Landzunge von Sldl 'Ali Mirghib (vgl. die Karte Abb. I) 7 ist heute durchweg schon von ferne an den tiefen Raubgräben zu erkennen, die sich kreuz und quer über die einst bebauten Gebiete ziehen; diese Ortschaften dürften damit fast alle für die archäologische Forschung verloren sein. Doch auch den im bisher fast unberührten Steppengebiet südöstlich der Bahnlinie Alexandria—Marsa Matrüh liegenden Siedlungsruinen droht jetzt der Untergang; die für das moderne Ägypten immer dringender gewordene Ernährungsfrage zwingt zur Ausnutzung aller landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, so daß die bisher immer nur sehr theoretisch erörterten und oft als wenig aussichtsreich beurteilten Pläne für eine Neubesiedlung der westlichen Maryüt jetzt energisch in Angriff genommen wurden 8 . Durch den Großeinsatz modernster Baumaschinen wird hier in wenigen Jahren ein riesiges Gebiet mit umfangreichen Resten einer alten landwirtschaftlichen Kultur neu erschlossen 9 ; das Arbeitstempo der Maschinen und die Form der Aufschließung bringen es dabei freilich mit sich, daß die zahllosen antiken Ortschaften in diesem Gebiet zugrunde gehen oder zumindest so weitgehend zerstört werden, daß wesentliche Einzelheiten sowie die Zusammenhänge zwischen Einzelbauten und Gesamtsiedlung in Bälde nicht mehr zu erkennen sein werden. Ausgehend von topographischen Studien zur Ortsgeschichte und zur Siedlungsform von Abu Mena konnte der Verfasser auf zahlreichen Ausflügen und Wanderungen in der Umgebung des Grabungsplatzes selbst sowie anläßlich von Fahrten nach Alexandria einzelne Beobachtungen machen, die — obwohl angesichts der Ausdehnung des Gebietes und

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Pläne zu ausführlicher Erforschung des Gebietes sind von Zeit zu Zeit gefaßt worden (vgl. Breccia, BArchAlex. 8, 1905, 131 sowie BArchAlex. 20, 1924, 284f.; Adriani, BArchAlex. 32, 1938, 176); auch eine kombinierte Land- und Luftbild-Untersuchung wurde nach dem Vorbild von Poidebard geplant (BArchAlex. 33, 1939, 418). Grabungen wurden in dem hier betrachteten Gebiet nur in Taposiris Magna, in Plinthine (Köm en-Nugus) sowie in Kurüm et-tuwäl (an der Wüstenstraße nahe Amriya) unternommen. J. C. E. Falls, Drei Jahre in der Libyschen Wüste (1911) 178 erwähnt Pläne Kaufmanns, im Band II seiner Abu Mena-Publikation auch die Umgebung zu behandeln. Die vorliegende Karte wurde auf der Grundlage der vom Survey of Egypt 1926/30 herausgegebenen Karten 1:100000 (Blätter Alexandria;

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El-Hammäm; El-Ghayata) gezeichnet und in den Gebieten um Abu Mena herum sowie an den Ufern des Mareotis-Armes nach eigenen Aufzeichnungen ergänzt. An heutigen Ortsbezeichnungen wurden nur einige wichtige Markpunkte eingetragen, um die Übersichtlichkeit des Blattes nicht zu stören. Dazu ausführlich W. F. Hume—F. Hughes, The Soils and Water-supply of the Maryut District, West of Alexandria (1921) sowie Weedon (s. Anm. 3). Nach den bisher vorliegenden Nachrichten ist beabsichtigt, die gesamte Wüstenrandzone von der bisherigen (etwa auf 0,00—5 m Höhe liegenden) Fruchtlandgrenze aus bis zu einer Höhe von 30 m landwirtschaftlich zu erschließen. Diese Grenzlinie ist auf der Karte Abb. 1 strichpunktiert angegeben.

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K A R L

P E T E R S

A b b . 1. A t t i s c h rotfiguriges S c h a l e n f r a g m e n t . G ö t t i n g e n , U n i v e r s i t ä t

genannten Werkes mit der im Index Collections der neuen englischen Ausgabe von 19427, so ist der Zuwachs augenfällig, allein die Suche nach unserem Fragment ist vergeblich, das heißt, Sir John kann es nicht gesehen haben. Es findet sich auch nicht in der 1963 erschienenen second edition. Begnügen wir uns, den heutigen Verbleib 8 des Fragments zu kennen, und wenden uns nunmehr seiner Betrachtung zu. Wie schon eingangs erwähnt, ist es aus mehreren Scherben zusammengesetzt; der errechnete Durchmesser der Schale beträgt 25 cm, der des Innenbildes mit Mäander 16,5 cm. Vom Fuß, der ohne Unterbrechung in den Schalenboden übergeht, bekanntlich ein charakteristisches Merkmal der

' J . D . Beazley, A t t i c R e d - f i g u r e V a s e - P a i n t e r s 1028f. 8 N i c h t k e n n e n wir i h n leider v o n e i n e m a n d e r e n , n a c h J a c o b s t h a l 44 A n m . 1 in G ö t t i n g e n b e f i n d lichen, a u s d e m Besitz v o n E . P e t e r s e n s t a m menden, attisch rotfigurigen Schalenfragment m i t Silen auf Kline, in eine S p i t z a m p h o r a

ä u g e n d ( J d l . 7, 1892, 118): n i c h t bei J . D . Beazley, A t t i s c h e V a s e n m a l e r des rf. Stils u n d A R V . 1 , j e d o c h A R V . 2 1624 zu S. 7 9 f . ( m a n n e r of E p i k t e t o s ) ; z u r D a r s t e l l u n g vgl. w e i t e r J . D . B e a z l e y , A t t i c R e d - f i g u r e d V a s e s in A m e r i c a n M u s e u m s (1918) 15 A b b . 7.

ZU E I N E M G Ö T T I N G E R S C H A L E N E R A G M E N T

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Abb. 2. Attisch rotfigurige Schale des Antiphon-Malers. Basel, Kirschgartenmuseum

Schalenform B 9 , ist nur ein kleines Stück erhalten. Außen ist die Schale schwarz, an einigen Stellen jedoch hat der Tonschiicker im Brand eine nicht beabsichtigte, kupferrote Färbung erhalten. Das Innenbild umläuft ein Mäander, der in viermaligem Wechsel von Zinnen10 unterbrochen wird. Die Darstellung — ein jugendlicher, bekränzter Symposiast, auf einer Kline liegend, beim Kottaboswurf — paßt sehr gut zur Gattung des Gefäßes11 und lehrt 9

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Beazley, ARV. 2 S. L I . H. Bioesch, Formen attischer Schalen 41. Vgl. z. B. CVA. Berlin (2) Taf. 66, 4 = Beazley, ARV. 2 336, 10. Münzen u. Medaillen A. G„ Auktion 26, 69 Nr. 130 Taf. 48 = Beazley, ARV. 2 1646 zu S. 335ff. Nr. 25ter. Beazley in L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic Vase Paintings in the Museum of Fine Arts, Boston I I I 44 zu Nr. 146: »The 'billet-spaces' of the maeander border are rare in vase-painting outside the cups of the Antiphon Painter, his associates and followers, and his older colleague the Colmar Painter«. Zur Abstimmung von Darstellung und Gefäß aufeinander, speziell bei solchen, die den Frauen gehören, vgl. die wichtigen Bemerkungen von

E. Götte, Frauengemachbilder in der Vasenmalerei des fünften Jahrhunderts 7. 13. Natürlich kommt die Darstellung auch auf anderen Gefäßen vor, die wie die Trinkschale zum Symposiongeschirr gehören, für das Darstellungen auf Vasen ganze Musterkarten bieten, so z. B. CVA. Berlin (2) Taf. 64, 1 . 2 (mit Hinweisen; zu dem zitierten Schalenfragment Florenz PD 315 kann ein in Göttingen befindliches Fragment gehören, wie Sir John Beazley gesehen hat, vgl. Beazley, ARV. 2 1612). Schon Jahn, Philologus 26, 1867, 221 Taf. 1 (spiegelverkehrt) bespricht den bekannten Psykter des Euphronios in Leningrad (Beazley, ARV. 2 16,15. Hierzu Mingazzini, AA. 1950/51, 38f. u. Sparkes. Archaeology 13, 1960, 202ff.). Wir verwei-

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K. P E T E R S ; ZU E I N E M GÖTTINGER SCHALENFRAGMENT

deutlich, wie die Schale bei diesem Spiel gefaßt wird12, sind doch die Vasenbilder, was die Handhabung und ihren Gebrauch angeht 13 , das authentische Zeugnis, was Jacobsthal eindrucksvoll am Beispiel der Hydria demonstrierte14 und worauf schon O. Jahn 1 6 hingewiesen hat: »Es ist sicher nicht ohne Interesse, die Vasenbilder darauf anzusehen, wie die verschiedenen Gefäße auf denselben angefaßt, gehalten und getragen werden. Man kann dabei ebensowohl die aus den natürlichen Bedingungen hervorgehende stehende Gewohnheit als die Wandelbarkeit der Mode anschaulich verfolgen«. Zum Motiv des gelagerten Symposiasten: »das rechte Knie hochgezogen, den linken Unterschenkel so scharf zurückgeschlagen, daß er wie amputiert wirkt«, weist Jacobsthal 1 6 unter anderen Vasenbildern — auch solchen der Glaukonzeit, in deren frühe Phase unsere Schale gehört — auf das schon erwähnte, bei ihm auf Taf. 9 abgebildete Schalenfragment mit einem echtbürtigen Bruder unseres Symposiasten und auf die Berliner Schale F 2303 17 des Antiphon-Malers hin, wo, wie hier, »die Härte des Motivs durch Angabe der Beugefalten im Knie . . . gemildert (ist)«. Läßt schon diese Gegenüberstellung an ein und denselben Maler denken, so wird der Blick auf ein weiteres Symposionbild des Malers (Abb. 2) 18 kaum einen Zweifel aufkommen lassen19. Da aus der Abbildung nicht zu ersehen, muß noch gesagt werden, daß oberhalb der Randschale, die der Jüngling in der ausgestreckten Rechten hält, in Rot die Buchstaben HO TAliund unter dem Daumen seiner linken Hand KAA05 stehen. Kaum erkennbar ist auch der Symposionkranz, der rote Blätter hat. Rote Farbspuren finden sich vereinzelt oben unter Mäander und Zinnen; sind es herausgeschleuderte Weintropfen 20 ? Wie auf der Berliner Schale ist der Kontur in Relieflinien gegeben; am Original läßt sich Vorzeichnung am Körper des Jünglings — besonders Kontur des rechten Beines — erkennen. Mit Einschluß des hier abgebildeten Stückes besitzt die Göttinger Sammlung, die im übrigen in diesem Jahr ihr zweihundertjähriges Bestehen feiern kann 21 , vier Stilproben des

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sen noch auf die hübsche Oinochoe Berlin F 2416, CVA. Berlin (3) Taf. 146, 3 (mit Hinweisen) = Beazley, ARV. 2 1020, 99. Sie ist auch in anderer Hinsicht interessant, zeigt sie doch, daß die Vasenmaler in der Wiedergabe der einzelnen Vasenformen wohl zu unterscheiden wußten, wenngleich es sich hier natürlich nicht um exakte Formzeichnungen handelt; doch können sie im Verein mit den Vasen selbst für das Aufzeigen des Formwandels unter Umständen Bedeutung haben. Sehr lehrreiche Gegenüberstellungen von Darstellung und Vase bei J . V. Noble, The Techniques of Painted Attic Pottery Taf. 138—163. Jahn a. O. 238 f. Ob dies mit Tonschalen möglich ist, darf man wohl bezweifeln. Vgl. z. B. zum Psykter: Greifenhagen, Jahrb. der Berl Mus. 3, 1961, 123 mit Anm. 11. S.125 mit Anm. 13. S. 126 mit Anm. 21. 22 (Tragen des Psykters). Zum Exaleiptron Scheibler, Jdl. 79, 1965, 81 ff. S. 86 mit Anm. 71. S. 107 Abb. 31 (Transport). S. 88 (Feine Beobachtungen zum Vasenverband, in dem das Exaleiptron er-

scheint. Rückschlüsse auf den Inhalt dieser Gefäße). Zum Tragen des Aryballos: Haspels, BSA. 29, 1927/28, 216ff. Vom Tragen auf kurzer Strecke ist der Transport zu unterscheiden, auch hierfür ein hübsches Beispiel: Münzen u. Medaillen A. G., Auktion 22, Taf. 46 Abb. 143. 14 16 16 17

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P. Jacobsthal, Ornamente griech. Vasen 17. Philologus 26, 1867, 238 Anm. 154. Jacobsthal 51 f. CVA. Berlin (2) Taf. 66, 4 = Beazley, ARV. 2 336, 10. Münzen u. Medaillen A. G., Auktion 22, 88 Nr. 163 Taf. 54 = Beazley, ARV. 2 336, 9 bis. Zur linken Hand vgl. CVA. Wien (1) Taf. 7, 1 = Beazley, ARV. 2 230, 8. — Briefliche Zustimmung von Sir John. Dr. D. Schulz dachte daran, als er mit mir das Fragment betrachtete. F. Wieseler, Die Sammlungen des archäologischnumismatischen Instituts der Georg-AugustsUniversität. Ein museographischer Bericht . . . (1859) 1. Vgl. auch A. Rumpf, Archäologie I 62.

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Antiphon-Malers oder seiner Art82, darunter die Schale, die den damaligen Assistenten und jungen Privatdozenten am Archäologischen Institut der Georgia Augusta so intensiv beschäftigt hat 23 und den wir hier im Respekt vor seinen bekannt knappen und präzisen Beschreibungen selbst haben zu Wort kommen lassen; sie sollen zwei Tafeln des in Vorbereitung befindlichen CVA.-Bandes Göttingen, Universität, füllen. Berlin

Karl Peters

KIAAIBANTEZ Auf meinem Bücherschrank stand längere Zeit als Leihgabe eine attisch rf. Pelike (Abb. 1 a und b)1, die hier nicht der Zeichnung wegen, sie ist mäßig, veröffentlicht werden soll; vielmehr interessiert ein Detail in der Darstellung ihrer Vorderseite, das nur auf einigen Vasen innerhalb einer kurzen Zeitspanne auftaucht2. Das Bild selbst — 'Kriegers Abschied', insbesondere die Libation — ist beliebt in der attischen Vasenmalerei vom ausgehenden 6. bis späten 5. Jh. 3 . Was wir im Blick haben, ist der doch wohl hölzerne Ständer, gegen den der große Rundschild des Jünglings, dessen Schildzeichen4 wir leider nicht zu deuten vermögen, gelehnt ist. Wir wollen ihn mit Aristophanes5 KlAAißas nennen. Dem Scholion zur Stelle8 entnehmen wir, daß es dreigliedrige Gestelle sind, was auf die Darstellung — zwei sich im spitzen Winkel treffende Holme mit horizontaler Verstrebung — zutrifft. Auf der Suche nach Parallelen fand sich als nächste eine Pelike in der Art des NiobidenMalers in San Francisco (Abb. 2 a und b)7, wo die stilistische Übereinstimmung so weit geht,

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Beazley, ARV. 2 337, 23 (Antiphon Painter). 343, 41 (Manner of the Antiphon Painter). 344, 47 (Manner of the Antiphon Painter). Vgl. oben Anm. 4. Berlin, Privatbesitz. Aus Athen. Aufnahmen K. H. Paulmann. Für die Erlaubnis zur Publikation bin ich dem Besitzer sehr zu Dank verbunden. — H 36,5 cm. Bandförmige Henkel. Zwischen Fuß und Körper ein scheibenförmiges Zwischenglied. Fußkante tongrundig. Unter den Henkeln großes Palmetten-Rankenornament. Über A eingefaßtes Palmetten-Lotosknospenornament, über B eingefaßtes liegendes Palmetten-Rankenornament. Unter den Bildern umlaufender, unterbrochener KreuzplattenSchlüsselmäander. Tonschiicker vielfach rot gebrannt. Tongrund an einigen Stellen verrieben. H. R. W. Smith, CVA. San Francisco Collections (1) 38, Text zu Taf. 18, 1 (im folgenden Smith). Beazley in L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic

Vase Paintings in the Museum of Fine Arts Boston I I 77 zu Nr. 108 (mit Hinweisen). 4

Der Niobiden-Maler und sein Kreis, in den unsere Vase gehört, haben eine Vorliebe für Rosetten und Wagenräder, vgl. Simon, AJA. 67, 1963, 50 Anm. 33 (mit Hinweis).

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Ach. 1122 (ed. Hall-Geldart). Liddell—Scott I I 951 s. v. KlAAißas. Durch Smith 38 in anderem Zusammenhang auf Aristoph., Ach. 1103 hingewiesen, machte mich Dr. D. Wachsmut auf die hier interessierende Stelle Ach. 1122 aufmerksam, wofür ich ihm sehr zu danken habe.

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TpiCTiiEAfj Tivct CTKSudanaTa, ¿9 cüv trrnÖECCCTi Tas äa-rriSas, ITTEIBÖV Kiiucoai - R R O A E I I O O V T E S . CVA. San Francisco Collections (1) Taf. 18, l a . b ; 19, l a — c ; 20, l a . b . Beazley, Attische Vasenmaler des rf. Stils 339, 28 (Niobidenmaler). Beazley, ARV. 1 425, 15 (Manner of the Niobid Painter). Beazley, ARV. 2 610, 27 (Manner of the Niobid Painter).

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Antiphon-Malers oder seiner Art82, darunter die Schale, die den damaligen Assistenten und jungen Privatdozenten am Archäologischen Institut der Georgia Augusta so intensiv beschäftigt hat 23 und den wir hier im Respekt vor seinen bekannt knappen und präzisen Beschreibungen selbst haben zu Wort kommen lassen; sie sollen zwei Tafeln des in Vorbereitung befindlichen CVA.-Bandes Göttingen, Universität, füllen. Berlin

Karl Peters

KIAAIBANTEZ Auf meinem Bücherschrank stand längere Zeit als Leihgabe eine attisch rf. Pelike (Abb. 1 a und b)1, die hier nicht der Zeichnung wegen, sie ist mäßig, veröffentlicht werden soll; vielmehr interessiert ein Detail in der Darstellung ihrer Vorderseite, das nur auf einigen Vasen innerhalb einer kurzen Zeitspanne auftaucht2. Das Bild selbst — 'Kriegers Abschied', insbesondere die Libation — ist beliebt in der attischen Vasenmalerei vom ausgehenden 6. bis späten 5. Jh. 3 . Was wir im Blick haben, ist der doch wohl hölzerne Ständer, gegen den der große Rundschild des Jünglings, dessen Schildzeichen4 wir leider nicht zu deuten vermögen, gelehnt ist. Wir wollen ihn mit Aristophanes5 KlAAißas nennen. Dem Scholion zur Stelle8 entnehmen wir, daß es dreigliedrige Gestelle sind, was auf die Darstellung — zwei sich im spitzen Winkel treffende Holme mit horizontaler Verstrebung — zutrifft. Auf der Suche nach Parallelen fand sich als nächste eine Pelike in der Art des NiobidenMalers in San Francisco (Abb. 2 a und b)7, wo die stilistische Übereinstimmung so weit geht,

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Vase Paintings in the Museum of Fine Arts Boston I I 77 zu Nr. 108 (mit Hinweisen). 4

Der Niobiden-Maler und sein Kreis, in den unsere Vase gehört, haben eine Vorliebe für Rosetten und Wagenräder, vgl. Simon, AJA. 67, 1963, 50 Anm. 33 (mit Hinweis).

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Ach. 1122 (ed. Hall-Geldart). Liddell—Scott I I 951 s. v. KlAAißas. Durch Smith 38 in anderem Zusammenhang auf Aristoph., Ach. 1103 hingewiesen, machte mich Dr. D. Wachsmut auf die hier interessierende Stelle Ach. 1122 aufmerksam, wofür ich ihm sehr zu danken habe.

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TpiCTiiEAfj Tivct CTKSudanaTa, ¿9 cüv trrnÖECCCTi Tas äa-rriSas, ITTEIBÖV Kiiucoai - R R O A E I I O O V T E S . CVA. San Francisco Collections (1) Taf. 18, l a . b ; 19, l a — c ; 20, l a . b . Beazley, Attische Vasenmaler des rf. Stils 339, 28 (Niobidenmaler). Beazley, ARV. 1 425, 15 (Manner of the Niobid Painter). Beazley, ARV. 2 610, 27 (Manner of the Niobid Painter).

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daß man, wenn nicht von gleicher Hand, gewiß aber von ein und derselben Werkstatt sprechen muß 8 ; das mag auch auf die Dreharbeit zutreffen9. Mit diesem Vasenbild waren nun gleichfalls zwei weitere gefunden, denn der Bearbeiter des CVA.-Bandes San Francisco Collections (1), H.R.W.Smith, gibt neben minuziöser Beschreibung und detaillierter Interpretation eine Aufstellung der wenigen ihm bekannten Vasenbilder mit diesen KiAAißccvres10, die nunmehr durch die eingangs genannte Vase aus Berliner Privatbesitz bereichert werden kann; sie ist, wie wir jetzt meinen, schon seit 1935 in der Literatur aufgeführt11. Smith sieht in der Darstellung auf der Pelike in San Francisco: »Warrior's homecoming — rather than his departure, if may one stress the wreath held by woman on the right: he has done cc^ia crrEcpotvcov«12, was Sir John Beazley unter dem Hinweis, daß Zweige sowohl beim Abschied wie bei der Heimkehr am Platze sind13, nicht übernommen hat 14 . Tragen beide Vasen auch das gleiche Thema vor, so doch mit Varianten, deren augenfälligste doch wohl die ist, daß auf der Pelike in Berlin rechts neben dem Jüngling ein Bärtiger im Mantel steht. E r trägt einen Lorbeerkranz auf dem Haupt und hält in der Rechten ein Szepter, die ihn hier16 und anderenorts gerne zum König avancieren lassen16. Thematisch und stilistisch sehr nahe steht auch die von Smith an erster Stelle genannte Münchner Oinochoe des Niobiden-Malers mit 'Kriegers Rüstung' 17 . Blickt man auf die lanzenhaltenden Jünglinge in Chiton, Chlamys und Petasos, so wird die Nähe der 'Art des Malers1 zum Maler offenbar. Mit diesen Bildern sind wir, wenn man so sagen darf, im häuslichen Bereich geblieben, der auf den beiden Peliken durch Lehnstuhl und Tänie bzw. Kranz 18 an der imaginären Wand angedeutet ist. Ihn und damit auch die Abschiedsszenen19 verlassen wir mit dem letzten und bedeutendsten Vasenbild, das mit Smith in unserem Zusammenhang noch genannt werden muß20, der Darstellung auf der Rückseite des bekannten Volutenkraters aus Spina21, den Argonauten mit Athena, wie es gemeinhin interpretiert wird, was hingegen keineswegs so sicher ist 22 . 8

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Sir John Beazley: »The pelike is school of the Niobid Painter just as you say; the vase is very like the San Francisco vase as you say« (brieflich 12. 9. 1965). Zur Form der Pelike in San Francisco vgl. 10 Smith 38. Smith 37 f. T. B. L. Webster, Der Niobidenmaler (1935) 21 Nr. 28 a: »Athenischer Kunsthandel. A, Kriegers Abschied. B, Jünglinge«. Beazley, ARV. 1 425, 13: »Athens Market. A, y. leaving home (y. between w. and king). B, yy.«Beazley, ARV. 2 610, 25: »Athens Market. A, youth leaving home (1, woman standing to right, 2, youth wearing petasos, standig to left, with spears, 3, king with sceptre standing to left). B, two youths«. Sir John Beazley: . . . »and I think it must be no. 25 in my list, ARV. 2 p. 610, although I have described the reverse as having only two youths instead of two youths and a boy. Perhaps I was interrupted when making the note. I have noted the patterns exactly and they are just as in the photograph« (brieflich 12 Smith 38. 12. 9. 1965).

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L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic Vase Paintings in the Museum of Fine Arts Boston I I 77 zu Nr. 108. Beazley, ARV. 2 610, 27. Vgl. Anm. 11. Nur ein Beispiel: Pelike München 2359, CVA. München (2) Taf. 73, R. Lullies spricht von Bärtigem mit Kranz und Szepter, Beazley, ARV. 2 1661 zu S. 608—12: »A, warrior leaving home; B, king and two women«. T. B. L. Webster, Der Niobidenmaler 23 Nr. 58 Taf. 22b. CVA. München (2) Taf. 87, 2. Beazley, ARV. 2 607, 84. Ob Kranz oder Tänie, ist nicht immer sicher zu sagen, vgl. CVA. Bonn Taf. 10, 1; 12, 4; 14,4. CVA. Schloß Fasanerie (1) Taf. 27, 1.2. Vgl. Simon, AJA. 67, 1963, 57 Anm. 70 (mit Hinweisen). Smith 38 f. N. Alfieri—P. E. Arias—M. Hirmer, Spina Taf. 42—44, Beazley, ARV. 2 612, 1. Vgl. Simon, AJA. 67, 1963, 54ff. Vgl. weiterhin Beazley, ARV. 2 249, 1.

N. K U N I S C H, N E U E R W O R B E N E A N T I K E GLÄSER I N B E R L I N

179

Wer jedoch hier mit dem gerne nach Kriterien für eine absolute Datierung ausspähenden amerikanischen Gelehrten 23 ein Historienbild 24 sehen will, nämlich: »Athena blessing or congratulating the Athenian besiegers of Samos, taken in 439 by Artemon's skill«, hat nicht nur einen terminus post quem für den Krater in Ferrara 26 gewonnen, sondern wird folgerichtig auch einer Spätdatierung der Pelike in San Francisco zustimmen. Mit Recht stellt Smith das plötzliche Auftauchen der Schildständer und anderer zum Kriegswesen gehöriger Utensilien 26 in der perikleischen Vasenmalerei als Phänomen 27 heraus, was unsere Vase, von deren Existenz man wohl wußte, die Bilder jedoch nicht kannte, erneut deutlich macht. Wie ersichtlich, sind es Vasenbilder des Niobiden-Malers oder seines Kreises, in denen diese 'Militaría' erscheinen. Für Smith war die Charakterisierung dieser Maler als »the jingoes of the Kerameikos« durch Seltman 28 gewiß belustigend zu lesen, und sie paßte in sein Konzept; nun, Hurrapatrioten hin und Chauvinisten her, »an infatuation with military still-life«, wie Smith 29 schreibt, kann der Gruppe nicht abgesprochen werden. Berlin

Karl Peters

NEUERWORBENE ANTIKE GLÄSER D E R ANTIKENABTEILUNG D E R STAATLICHEN MUSEEN BERLIN Zu den umfangreichsten Verlusten, welche der Zweite Weltkrieg für die Antikenabteilung der Staatlichen Museen Berlin gebracht hat, gehört die fast vollständige Zerstörung der Glassammlung des Antiquariums. Die Sammlung wurde 1943 im Flakturm am Friedrichshain untergebracht, der nach Abschluß der Kampfhandlungen am 5./6. Mai 1945 einer Explosion zum Opfer fiel; ungefähr 2800 antike Gläser gingen verloren 1 . Lediglich etwa 120 Gläser, darunter einige hervorragende Objekte, aus der ehemaligen Sammlung F.L. von Gans stammend, wurden in das Bergwerk Grasleben verbracht, überdauerten dort den Krieg und gelangten über das Kunstgutlager Celle schließlich nach Berlin zurück. A. Greifenhagen hat 1962 die wichtigsten der wiedergewonnenen Stücke erneut bekanntgemacht 2 . Seit dem Neubeginn der Antikenabteilung in Charlottenburg besteht die Absicht, die Sammlung antiker Gläser über den geretteten Bestand hinaus langsam zu vergrößern. Die 23

Vgl. H. R. W. Smith, Der Lewismaler 10f., zur Kotyle Berlin F 2317, Beazley, ARV. 2 972, 1.

24

Smith 39.Vgl. Simon, AJA. 67,1963, 54 Anm.53.

25

Mit D. v. Bothmer, Amazons in Greek Art 214, können wir einer Datierung in die dreißiger Jahre nicht zustimmen.

26

Vgl. Smith 38 Sp. 2 unten zu Beazley, ARV. 2 600, 12 (zu einem nicht gedeuteten Gegenstand) und 1075, 7 (wo nach Smith der gleiche Gegenstand dargestellt ist, hierzu Beazley in L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic Vase Paintings

27 28 29 1 2

in the Museum of Fine Arts Boston I I 79 zu Nr. 108, der auf die Halsamphora A R V . 1 700, 79 ( = ARV. 2 1058, 111) hinweist. Smith 38. Smith 39. Smith 39. G. Bruns in Die Berliner Museen (1953) 23. 26. Journal of Glass Studies 4, 1962, 61 ff. Zu ebenda 61 Anm. 1 wäre nachzutragen: Zahn, Amtl. Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen 29, 1907/08, 59 Abb. 41.

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Wer jedoch hier mit dem gerne nach Kriterien für eine absolute Datierung ausspähenden amerikanischen Gelehrten 23 ein Historienbild 24 sehen will, nämlich: »Athena blessing or congratulating the Athenian besiegers of Samos, taken in 439 by Artemon's skill«, hat nicht nur einen terminus post quem für den Krater in Ferrara 26 gewonnen, sondern wird folgerichtig auch einer Spätdatierung der Pelike in San Francisco zustimmen. Mit Recht stellt Smith das plötzliche Auftauchen der Schildständer und anderer zum Kriegswesen gehöriger Utensilien 26 in der perikleischen Vasenmalerei als Phänomen 27 heraus, was unsere Vase, von deren Existenz man wohl wußte, die Bilder jedoch nicht kannte, erneut deutlich macht. Wie ersichtlich, sind es Vasenbilder des Niobiden-Malers oder seines Kreises, in denen diese 'Militaría' erscheinen. Für Smith war die Charakterisierung dieser Maler als »the jingoes of the Kerameikos« durch Seltman 28 gewiß belustigend zu lesen, und sie paßte in sein Konzept; nun, Hurrapatrioten hin und Chauvinisten her, »an infatuation with military still-life«, wie Smith 29 schreibt, kann der Gruppe nicht abgesprochen werden. Berlin

Karl Peters

NEUERWORBENE ANTIKE GLÄSER D E R ANTIKENABTEILUNG D E R STAATLICHEN MUSEEN BERLIN Zu den umfangreichsten Verlusten, welche der Zweite Weltkrieg für die Antikenabteilung der Staatlichen Museen Berlin gebracht hat, gehört die fast vollständige Zerstörung der Glassammlung des Antiquariums. Die Sammlung wurde 1943 im Flakturm am Friedrichshain untergebracht, der nach Abschluß der Kampfhandlungen am 5./6. Mai 1945 einer Explosion zum Opfer fiel; ungefähr 2800 antike Gläser gingen verloren 1 . Lediglich etwa 120 Gläser, darunter einige hervorragende Objekte, aus der ehemaligen Sammlung F.L. von Gans stammend, wurden in das Bergwerk Grasleben verbracht, überdauerten dort den Krieg und gelangten über das Kunstgutlager Celle schließlich nach Berlin zurück. A. Greifenhagen hat 1962 die wichtigsten der wiedergewonnenen Stücke erneut bekanntgemacht 2 . Seit dem Neubeginn der Antikenabteilung in Charlottenburg besteht die Absicht, die Sammlung antiker Gläser über den geretteten Bestand hinaus langsam zu vergrößern. Die 23

Vgl. H. R. W. Smith, Der Lewismaler 10f., zur Kotyle Berlin F 2317, Beazley, ARV. 2 972, 1.

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Smith 39.Vgl. Simon, AJA. 67,1963, 54 Anm.53.

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Mit D. v. Bothmer, Amazons in Greek Art 214, können wir einer Datierung in die dreißiger Jahre nicht zustimmen.

26

Vgl. Smith 38 Sp. 2 unten zu Beazley, ARV. 2 600, 12 (zu einem nicht gedeuteten Gegenstand) und 1075, 7 (wo nach Smith der gleiche Gegenstand dargestellt ist, hierzu Beazley in L. D. Caskey—J. D. Beazley, Attic Vase Paintings

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in the Museum of Fine Arts Boston I I 79 zu Nr. 108, der auf die Halsamphora A R V . 1 700, 79 ( = ARV. 2 1058, 111) hinweist. Smith 38. Smith 39. Smith 39. G. Bruns in Die Berliner Museen (1953) 23. 26. Journal of Glass Studies 4, 1962, 61 ff. Zu ebenda 61 Anm. 1 wäre nachzutragen: Zahn, Amtl. Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen 29, 1907/08, 59 Abb. 41.

180

NORBERT

KUNISCH

Neuerwerbungen dieser Jahre seit 1958 sollen im folgenden vorgelegt werden. Im Blick auf die großen Sammlungen in Deutschland mit ihren reichen Schätzen vor allem rheinischen Glases erstrebt die Antikenabteilung eine Beschränkung auf Stücke aus dem östlichen Mittelmeergebiet und setzt auch in dieser Hinsicht von Gans' Sammeltätigkeit fort. Sie kann sich naturgemäß bei Neuerwerbungen nur auf den Kunsthandel stützen; dies schließt zu Datierungen verhelfende Fundnotizen, ja selbst über jeden Zweifel erhabene Herkunftsangaben aus: Alle im Katalog erwähnten Fundorte sind jeweils vom Händler genannt. Nur das Alabastron Nr. 1 (Abb. 1) entstammt der hellenistischen Zeit, alle übrigen hier vorgelegten Stücke gehören der Kaiserzeit an. Ein Großteil der Gläser entspricht den bekannten Typen der Glasindustrie des gesamten Römischen Reiches. Zu den besonders häufig vorkommenden Formen gehören die Rippenschale Nr. 4 (Abb. 4), die in die Form geblasenen Gläser Nr. 5—7 (Abb. 7—9), frei geblasene Flaschen wie Nr. 10, 11, 13 und 14 (Abb. 10—13), das Doppelbalsamarium Nr. 23 (Abb. 22) und die mit bunten Fäden verzierten Flaschen Nr. 35—37 (Abb. 35—37). Kleinen, klar abgegrenzten Formtypen gehören die Goldbandpyxis Nr. 3 (Abb. 3)3 und der spitzkonische Becher Nr. 38 (Abb. 38) an. Die Glasmasse fast aller vorgelegten Stücke hat die Farben, welche für die Gläser des östlichen Mittelmeergebietes üblich sind: vor allem Dunkelblau, Opak-Weiß, Aubergine- und Bernsteinfarben sowie gelbliche und grünliche Töne; nur das klare Hellblau des Bechers Nr. 18 (Abb. 17) ist mir an anderen Gläsern unbekannt. Unter den frühen Stücken ragt das Goldglas Nr. 2 (Abb. 2) mit einem bisher bei derartigen Objekten unbekannten Darstellungsthema heraus, aber auch das Tellerchen Nr. 8 (Abb. 5) als gut erhaltenes Exemplar dieser frühen, frei geblasenen Gefäße, deren Plumpheit man das noch Ungewohnte der neuen Technik ansieht. Viel feiner, in ihrem Ebenmaß aber wohl ebenfalls recht früh ist die Schale Nr. 9 (Abb. 6), mit der eingezogenen Lippe an hellenistische Tonschalen, mit den gewellten Handhaben an das Tellerchen Nr. 8 erinnernd. Die Flasche Nr. 16 (Abb. 15) ermöglicht es, den vielen Fragmenten aus Karanis und Dura-Europos ein völlig erhaltenes Stück an die Seite zu stellen. Auch der Typus der Schale Nr. 19 (Abb. 19) ist in nur wenigen Exemplaren vertreten. Für die Becher Nr. 18 (Abb. 17) und 28 (Abb. 27) sind mir keine Parallelen bekannt; der Dekor allerdings ist bei anderen Gefäßformen häufig: Die Schlangenfäden von Nr. 18 begegnen an der hier vorgelegten Flasche Nr. 17 (Abb. 16) und mit ihr zu vergleichenden Stücken und das angeschmolzene Wabenmuster von Nr. 28 an einer Schale in Corning. Das Kännchen Nr. 20 (Abb. 20) findet seine nächsten Verwandten bei Gefäßen des 2. Jhs. n. Chr., hat aber auch manches •— z. B. Glasfarbe und Herstellungsweise — gemeinsam mit der Kanne Nr. 21 (Abb. 23), die dem Typus der 'Cologne pitchers' (um 300 n.Chr.) nahesteht. Als Vergleichsstücke für die Tripelflasche Nr. 26 (Abb. 26) finden sich nur die wenigen Fragmente aus Dura-Europos und ein ganz erhaltenes Stück in London; das Berliner Stück ist jedoch henkellos. Die Biegung des Halses an der Flasche Nr. 29 (Abb. 29) ist wohl beabsichtigt; ähnliche Biegung und leicht geöffnete Trichtermündung kommen an den Flaschen theriomorpher Form häufig vor, besonders an solchen, welche die Gestalt von Fischen haben 4 . Mit den in die Vorform geblasenen, kräftigen Rippen scheint die Kanne

3

Gleiche Technik und gleiches Material: Alabastron, Berlin Inv. 451 x — Greifenhagen, Journal of Glass Studies 4, 1962, 63 Nr. 6; Oliver, Journal of Glass St. 9, 1967, 20 Nr. 8.

4

Glass from the Ancient World. The Ray Winfield Smith Coll. The Corning Mus. of Glass (1957) Nr. 335 (im folgenden: Smith, Cat. Corning).

N E U E R W O R B E N E A N T I K E GLÄSER IN B E R L I N

«ff

mi

Abb. 2. Goldglasboden (Nr. 2)

Abb. 1. Alabastron (Nr. 1)

Abb.^3. Goldbandpyxis (Nr. 3)

Abb. 4. Rippenschale (Nr. 4)

182

NORBERT

KUNISCH

Nr. 31 (Abb. 31) den Rippenschalen — wie Nr. 4 (Abb. 4) — nahezustehen, Trichtermündung, Fäden, die Form des Bauches, für deren konkaven Umriß ich jedoch kein gänzlich übereinstimmendes Parallelstück fand, wie auch die Ähnlichkeit mit der Flasche Nr. 32 (Abb. 32) machen die spätere Datierung wahrscheinlich. Die Flaschen Nr. 35—37 (Abb. 35—37), mit den andersfarbigen Henkeln gehören eng zusammen. Viele dieser Formen tragen die Zickzackfäden der Flasche Nr. 36 (Abb. 37). Ebensolche Fäden, zwei oder mehrere Henkel weisen auch Flaschen des Grundtypus von Nr. 34 (Abb. 34) auf, weshalb das große und klar gegliederte Stück hier seinen Platz findet. Weder Parallelen noch Vorstellungen über den Verwendungszweck habe ich für das letzte Stück. Mit der sich nur wenig öffnenden Trichtermündung mag es in die Nähe solcher Gefäße wie Nr. 29 und 30 (Abb. 29. 30) gehören, noch eher aber ist es islamisch. KATALOG 5 1. Alabastron. Inv. 1966. 32. H 13,7 cm. Ägypten. Abb. 1 Aus dunkelblauem, praktisch opakem Glas mit eingelegten opak-weißen Fäden: Ringe an Hals und Fuß, dazwischen Federmuster. Sandkerntechnik; zwei verkümmerte Handhaben. Straffe, hellenistische Form. — 2. Jh. v. Chr. Vgl. Zahn, Sammlung Schiller Nr. 169 Tai. 6. 2. Goldglasboden. Inv. 1962. 32. L noch 8 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 2 Doppelt: ein Teil mit dem Standring, der andere mit dem jetzt fehlenden Gefäß zusammenhängend; dazwischen Darstellung in Goldfolie: Der junge Herakles ringt mit zwei Schlangen. An einer Schlange rote Blutstreifen; neben dem Kranz Gruppen grüner Punkte; überall feine Schraffur. — 1. Jh. n. Chr. Veröffentlicht: Greifenhagen, Müjb. 3. F. 16. 1965, 47ff. Abb. 1. 3. Goldbandpyxis. Inv. 1961. 5. H mit Deckel 5,6 cm; Dm 5,7 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 3 Das Stück zeigt die üblichen Farben; konzentrische Rillen an Deckel und Boden; auf dem Deckel ein Knauf. Gebrochen. — Frühes 1. Jh. n. Chr. Veröffentlicht: Journal of Glass Studies 4, 1962, 139 Nr. 4; Oliver, Journal of Glass Studies 9, 1967, 25 Nr. 3. 4. Rippenschale des flachen Typus. Inv. 1963. 2. Dm 20,8 cm. Amlash, Nordpersien. Abb. 4 16 Rippen; am Rand Schleif spuren; im Boden zwei geschliffene konzentrische Kreise.— 1. Jh. n. Chr. Vgl. C. Isings, Roman Glass 18f. Form 3a; in diesem Museum befinden sich zwei weitere Rippenschalen, aus dem Grabfund von Lübsow/Pommern (Pernice, PZ. 4, 1912, 141). 5

Im Katalog werden neben den aus der Archäolog. Bibl. bekannten Abkürzungen und Sigeln die bei Smith, Cat. Corning 287 ff. angeführten verwendet; ferner: J. Boehlau, Sammlung Vogell = J. Boehlau, Griech. Altertümer südrussischen Fundorts a. d. Besitz A. Vogell/Karlsruhe, Auktion Cramer Kassel 1908. Fremersdorf, Denkmäler = F. Fremersdorf,

Die Denkmäler des römischen Köln. Isings, Roman Glass = C. Isings, Roman Glass from dated Finds. Archaeologica Traiectina II (1957). Zahn, Sammlung Schiller = R. Zahn, Sammlung Baurat Schiller/Berlin. Werke antiker Kleinkunst. Auktion Lepke Berlin 1929. Die Photographien aller Stücke werden I. Lückert, Berlin, verdankt.

N E U E R W O R B E N E A N T I K E GLÄSER IN B E R L I N

183

Abb. 6. Tiefe Schale (Nr. 9)

5. Lotosknospenbecher. Inv. 1964. 47. H 17,7 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 9 6 Reihen einfacher Knospen; Rand horizontal geschliffen; Boden eben. — 1. J h n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 45f. Form 31; Berliner Kriegsverlust: Zahn, Amtl. Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen 29, 1907/08, 59 Abb. 41. 6. Kleine Amphora. Inv. 1964. 1. H 7 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 7 Aus auberginefarbenem Klarglas, die Henkel aus grünlichem Glas. Zungenmuster oberund unterhalb des Bauchstreifens; dort langgestreckte, fortlaufende Spiralranke. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Smith, Cat. Corning Nr. 75 (dort — wie auch bei einem weiteren Stück in Berlin, Inv. 30219, 147 — eine etwas größere Rankenform). 7. Kleine Spitzamphora. Inv. 1964. 2. H 10 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 8 Aus dunkelblauem Klarglas. Bauch horizontal gerippt. 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Smith, Cat. Corning Nr. 85; Fremersdorf, Denkmäler I I I Taf. 32; ein weiteres Stück in Berlin, Inv. 30219, 151. 8. Teller. Inv. 1958. 8. Dm 17,5 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 5 Aus dunkelblauem, fast opakem Glas mit vielen Luftblasen; frei geblasen. Ringfuß, aus dem Boden herausgedrückt; nach unten gefalteter Rand. Am Rand zwei Handhaben aus gewelltem, opak-weißem Glas. 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Smith, Cat. Corning Nr. 64 (sehr verwandt in Material und Technik). 12 AA. 1967

184

NORBERT

Abb. 7. Kleine Amphora (Nr. 6)

KUNISCH

Abb. 8. Kleine Spitzamphora (Nr. 7)

9. Tiefe Schale. Inv. 1964. 43. H 6,1 cm; Dm 16,5 cm. Kleinasien. Abb. 6 Aus gelblich-grünem Klarglas; frei geblasen. Lippe nach außen gefaltet; Ringfuß aus dem Boden herausgedrückt. Zwei gewellte Handhaben am Rand aus gleichfarbigem Glas. — 1./2. Jh. n. Chr. 10. Salbfläschchen. Inv. 1964. 45. H 18,4 cm. Kleinasien. Abb. 10 Aus bernsteinfarbenem Klarglas. Schlanker Hals mit Trichtermündung; walzenförmiger Bauch, nach unten spitz zulaufend. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Smith, Cat. Corning Nr. 157. 11. Salbgefäß in Vogelform. Inv. 1964. 13. H 9,5 cm. Kleinasien. Abb. 12 Aus grünlichem Klarglas. Kleeblattmündung, nach innen umgeschlagen; Schwanzspitze abgebrochen. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. J. Boehlau, Sammlung Vogell Nr. 983 Taf. 11, 16; Zahn, Sammlung Schiller Nr. 265 Taf. 15. 12. Kleines Salbtöpfchen. Inv. 1964. 6. H 4,3 cm. Unbekannte Herkunft. Aus grünlichem Klarglas. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Fremersdorf, Denkmäler IV Taf. 94 Mitte rechts.

Abb. 18

13. Fadenbandglas. Inv. 1964. 3. H 15,7 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 11 Aus dunkelblauem Klarglas mit wellenförmig auseinandergezogenem, opak-weißem Faden. Gestreckte Tropfenform mit Trichtermündung; Boden eingedellt. — 1./2. Jh. n.Chr. Vgl. Zahn, Sammlung Schiller Nr. 176 Taf. 15.

NEUERWORBENE ANTIKE GLÄSER IN BERLIN

185

186

N O R B E R T

KUNISCH

Abb. 12. Salbgefäß in Vogelform (Nr. 11)

Abb. 13. Salbfläschen (Nr. 14)

14. Salbfläschchen. Inv. 1966. 13. H 8,5 cm. Syrien.

Abb. 13

Aus bernsteinfarbenem Klarglas. Schlanker Hals mit gerundeter Trichtermündung; gedrückt-kugeliger Bauch. Vom Boden ausgehend ist ein opak-weißer Faden in elf Windungen spiralig um den Bauch gezogen. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Fremersdorf, Denkmäler I I I Taf. 12. 15. Rührstab. Inv. 1964. 38. L 18,8 cm. Unbekannte Herkunft.

Abb. 14

Aus violettblauem Klarglas mit eingedrehtem, opak-weißem Faden. Oberes Ende zu einer Öse zurückgebogen. — 1./2. Jh. n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 94f. Form 79. 16. Henkellose Flasche. Inv. 1964. 49. H 14 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 15 Aus farblosem Klarglas. Nach außen, oben und innen gefaltete, profilierte Lippe; Verengung am Halsansatz; kugeliger Bauch. Das Gefäß steht auf acht aus dem Boden herausgezupften Warzen. — 2./3. J h . n. Chr. Vgl. Harden, Karanis Nr. 682 Taf. 19; Ch. Clairmont, Dura-Europos, Final Report V Part I V : Glass Vessels Nr. 200—203; Zahn, Bachstitz I I Nr. 164 Taf. 68. 17. Henkellose Flasche. Inv. 1964. 46. H 9.5 cm. Unbekannte Herkunft.

Abb. 16

Aus grünem Klarglas. Trichtermündung nach innen gefaltet; Verengung am Halsansatz; falscher Ringfuß angesetzt. Am Bauch Schlangenfäden aus gleichfarbigem Glas. —2./3. Jh. n. Chr. Vgl. ähnliche, weniger kugelige Formen: Smith, Cat. Corning Nr. 314; Zahn, Bachstitz I I Nr. 165 Taf. 69. 18. Becher mit Fuß. Inv. 1966. 34. H 7,3 cm; Dm 8,3 cm. Nordiran.

Abb. 17

Aus blaßblauem Klarglas. Gerundeter Rand; falscher Standfuß angesetzt. Zwei Ringe unter dem Rand und Schlangenfäden am Bauch aus gleichfarbigem Glas. Teile der Wand ergänzt. — 2./3. Jh. n. Chr.

Abb. 16. Henkellose Flasche (Nr. 17)

Abb. 17. Becher mit F u ß (Nr. 18)

188

Abb. 18. Kleines Salbtöpfchen (Nr. 12)

N O R B E R T

K U N I S C H

Abb. 19. Schale mit F u ß (Nr. 19)

19. Schale mit Fuß. Inv. 1966. 3. H 6 cm; Dm 14,5 cm. Westanatolien. Abb. 19 Aus grünlichem Klarglas. Der fast waagerecht nach außen gebogene Rand ist zu 18 Spitzen ausgezogen; falscher Ringfuß angesetzt. — 2./3. Jh. n. Chr. Vgl. Harden, Karanis 111 Anm. 2 Abb. 2g; Isings, Roman Glass 58f. Form 42d; Loeschcke, Sammlung Niessen Nr. 1096 Taf. 45. 20. Kännchen. Inv. 1964. 14. H 11 cm. Kleinasien. Abb. 20 Aus auberginefarbenem Klarglas. Mündung mit Tülle nach außen gefaltet; Rippen des stark gedrückt-kugeligen Bauches in die Vorform geblasen und spiralig verdreht; Boden abgeplattet. Knoten des Henkels und die Tülle mit der Plattzange gekniffen. — 2./3. Jh. n. Chr. Vgl. das in Einzelheiten verwandte Gefäß Fremersdorf, Denkmäler IV Taf. 17. 21. Kanne. Inv. 1958. 9. H 15 cm. Syrien. Abb. 23 Aus auberginefarbenem Klarglas. Trichtermündung mit gerundetem Rand; Hals und birnenförmiger Bauch mit Rippen verziert, in die Vorform geblasen, am Hals spiralig verdreht; am unteren Bauch schwache Abplattungen, die jeweils über einer Rippe liegen, unter dem Henkel aber fehlen; dickes, gewelltes Band am Halsansatz; breiter, mehrfach geriefelter Henkel; falscher Ringfuß aus farblosem Klarglas angesetzt. — 3. Jh. n. Chr. Vgl. in der Form allgemein: Fremersdorf, Denkmäler III Taf. 93ff; Smith, Cat. Corning Nr. 302; Loeschcke, Sammlung Niessen Taf. 15; für eine ähnliche Rippenverzierung: Zahn, Bachstitz II Nr. 141 Taf. 57. 22. Kelchglas. Inv. 1964. 19. H 12,5 cm. Syrien. Abb. 21 Auf hohem Fuß aus völlig farblosem Klarglas. Rand gerundet; Stengelfuß. Unter der Mündung ein türkisfarbener Faden. — 3. Jh. n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 50 f. Form 36 c; Smith, Cat. Corning Nr. 219; Fremersdorf, Denkmäler V Taf. 62. 63. 66—69. 23. Doppelbaisamarium der üblichen Form. Inv. 1964. 50. H 19 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 22 Aus grünem Klarglas, mit Fadenauflagen und Henkeln aus gleichem Material. — 3./4. Jh. n. Chr.

Abb. 22. D o p p e l b a l s a m a r i u m (Nr. 23)

Abb. 23. K a n n e (Nr. 21)

190

NORBERT

Abb. 24. Kleine Kanne (Nr. 24)

KUNISCH

Abb. 25. Henkellose Flasche (Nr. 25)

24. Kleine Kanne. Inv. 1964. 44. H 12,2 cm. Kleinasien. Abb. 24 Aus gelblich-grünem Klarglas, Henkel und Fäden aus dem gleichen Material. Trichtermündung, nach innen gefaltet; tropfenförmiger Bauch mit eingestülptem Stand; Henkel auf der Mündung weit auseinandergezogen und zurückgefaltet, die abstehenden Enden sind mit der Plattzange gekniffen. Um den Bauch ist ein Faden in 11 Windungen herumgezogen. — 3./4.Jh. n. Chr. Vgl. O. Doppelfeld, Römisches und fränkisches Glas in Köln Abb. 106 (mit Fuß und Dellen). 25. Henkellose Flasche. Inv. 1964. 35. H 13,5 cm. Kleinasien. Abb. 25 Aus fast farblosem Klarglas. Schlanker Hals mit wenig geöffneter Trichtermündung; Mündungsrand unbearbeitet; kugeliger Bauch; Boden leicht eingedellt. Am Bauch drei Reihen gezupfter Warzen. — 3./4. Jh. n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 123ff. Form 104b; mehr tropfenförmiger Bauch: Haberey, Glastechnische Berichte 31, 1958, 190 Abb. 9 (Bonn, Landesmuseum); Doppelfeld a. O. Abb. 94. 26. Tripelflasche ohne Henkel. Inv. 1966. 2. H 19 cm; Dm 15,5 cm. Westanatolien Abb. 26 Aus grünlichem Klarglas. Mündungsränder nach innen gefaltet; Boden leicht eingedellt. — 3. Jh. n. Chr. und später. Vgl. Ch. Clairmont, Dura-Europos, Final Report V Part 4, Glass Vessels Nr. 647—649 Taf. 35; ebendort Taf. 38 — London, Brit. Mus. 81.4—6.1 (alle mit Henkel).

N E U E R W O R B E N E A N T I K E GLÄSER IN B E R L I N

191

Abb. 26. Tripelflasche ohne H e n k e l (Nr. 26)

27. Trinkkelch (Vexiergefäß). Inv. 1966. 12. H 10,4 cm; Dm 11,5 cm. Anatolien. Abb. 28 Aus grünlichem Klarglas. Aus einem Stück frei geformt ; Behälter eingestülpt, die Doppelwand ist mit einem kleinen Loch zum Fuß hin offen; Rand des Fußes gerundet. —4. Jh. n. Chr. Vgl. Smith, Cat. Corning Nr. 241. 242; J. Boehlau, Sammlung Vogell Nr. 884 Taf. 13,19. 28. Kugeliger Becher. Inv. 1966. 4. H 7,5 cm; Dm 8,5 cm. Anatolien. Abb. 27 Aus hellgrünem Klarglas. Unbearbeiteter Rand; Boden leicht eingedellt. Am Bauch Fäden aus gleichfarbigem Glas in miteinander verbundenen, horizontalen Wellen wabenförmig aufgelegt und an das Gefäß angeschmolzen. Boden teilweise ergänzt. — 4. Jh. n. Chr. Vgl. zur Form: Isings, Roman Glass 113ff. Form 96; zum Dekor: Smith, Cat. Corning Nr. 307. 29. Henkellose Flasche mit gebogenem Hals. Inv. 1964. 17. H 20 cm. Syrien. Abb. 29 Aus farblosem Klarglas. Schlanker Hals mit wenig geöffneter, gerundeter Trichtermündung; am Bauch aus der Vorform geblasene Rippen; ohne Stand. Am Hals gleichfarbiger Faden. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. ein Gefäß ähnlicher Form, ohne Rippen, mit Fuß: S. und A. Abdul-Hak, Cat. III. du Dép. d. Ant. Greco-Rom. au Musée de Damas Taf. 50, 1 b.

NORBERT

KUNISCH

Abb. 27. Kugeliger Becher (Nr. 28)

Abb. 28. Trinkkelch (Nr. 27)

30. Henkellose Flasche. Inv. 1964. 12. H 18,5 cm. Kleinasien. Abb. 30 Aus farblosem Klarglas. Schlanker Hals mit wenig geöffneter, gerundeter Trichtermündung; gedrückt-doppelkonischer Bauch mit vier großen Dellen; nach unten herausgewölbter Fußring. Zwei gleichfarbige Fäden am Hals. Mündung teilweise ergänzt. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. für ähnliche Halsformen: Smith, Cat. Corning Nr. 291 und 352. 31. Kanne. Inv. 1963. 3. H 26,5 cm. Syrien. Abb. 31 Aus grünem Klarglas. Trichtermündung, nach außen gefaltet; kegel-tropfenförmiger Bauch mit 7 Rippen, in die Vorform geblasen. Ringe an Mündung und Hals, der sehr breite Henkel und der angesetzte Standfuß ebenfalls aus grünem Glas. — 3 . - 5 . Jh. n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 152 ff. Form 121b und 123. 32. Henkellose Flasche. Inv. 1966. 33. H 11,6 cm. Kleinasien. Abb. 32 Aus grünem Klarglas. Trichtermündung mit gerundetem Rand; Bauch fast kegelförmig mit 9 Rippen, in die Vorform geblasen; Boden eingedellt. Am unteren Bauch zwischen den Rippen je eine Nuppe aus blauem Glas. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. die verwandte Form: Isings, Roman Glass 123ff. Form 104b. 33. Salbfläschchen. Inv. 1964. 48. H 9,6 cm. Unbekannte Herkunft. Abb. 33 Aus grünem Klarglas. Gefäßwand geradlinig mit senkrecht aufgelegten, gleichfarbigen Fäden; Mündung und Fuß stark verdickt, beide abgeplattet. Ein kleines Henkelchen, das andere ist weggebrochen. — 4./5. J h n. Chr. 34. Bauchige, henkellose Vase. Inv. 1964. 15. H 11,5 cm. Syrien. Abb. 34 Aus auberginefarbenem Klarglas. Breite Trichtermündung, unterhalb des nach innen gefalteten Randes in einem Ring nach außen gebauscht; eckig-kugeliger Bauch; Boden eingedellt. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. Zahn, Sammlung Schiller Nr. 264 Taf. 13; Loeschcke, Sammlung Niessen Nr. 1075 bis

NEUERWORBENE ANTIKE GLÄSER IN BERLIN

193

Abb. 32. Henkellose Flasche (Nr. 32)

Abb. 33. Salbfläschchen (Nr. 33)

Abb. 35. Doppelhenkelflasche m i t F u ß (Nr. 35)

Abb. 34. Bauchige, henkellose Vase (Nr. 34)

Abb. 36. Henkelflasche m i t zylindrischem B a u c h (Nr. 37)

N E U E R W O R B E N E A N T I K E GLÄSER IN B E R L I N

Abb. 37. Spitzamphora (Nr. 36)

195

Abb. 38. Spitzkonisches Gefäß (Nr. 38)

1076 Taf. 45 und 52 (s. Harden, Karanis 174f. Anm. 3); ein Stück mit zwei Henkeln in diesem Museum, Inv. Ü 701, wahrsch. Slg. von Gans. 35. Doppelhenkelflasche mit Fuß. Inv. 1964. 11. H 17 cm. Syrien. Abb. 35 Aus farblosem Klarglas. Trichtermündung gerundet; langer, schlanker Hals; Bauch weit ausladend, eiförmig; Stengelfuß. Ring um den Hals und die beiden spitz hochgewinkelten Henkel aus dunkelgrünem Glas. — 4./5. Jh. n. Chr. 36. Spitzamphora. Inv. 1964. 18. H 18,5 cm. Nordiran. Abb. 37 Aus farblosem Klarglas. Trichtermündung gerundet; schlanker Hals, ausladende Schulter. Ringe um Mündung und Hals, die beiden Henkel, der Zickzackfaden am Bauch und der Knauf an der Spitze aus dunkelgrünem Glas. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. Loeschcke, Sammlung Niessen Nr. 1011 Taf. 17 und 52 (mit Dellen). 37. Henkelflasche mit zylindrischem Bauch. Inv. 1966. 35. H 16,3 cm. Syrien. Abb. 36 Aus gelbem Klarglas. Trichtermündung nach innen gefaltet; Boden leicht eingedellt. Ring unter der Mündung und der breite Henkel aus dunkelgrünem Glas. — 4./5. Jh. n. Chr. Vgl. Isings, Roman Glass 156f. Form 126; Harden, Karanis Nr. 732 Taf. 9.

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FRANK

BROMMEE

38. Spitzkonisches Gefäß (Lampe oder Trinkbecher). Inv. 1964. 20. H 18,5 cm. Amlash, Nordpersien. Abb. 38 Aus grünlichem Klarglas. Fuß leicht abgeplattet ; der Rand und die verschieden breiten Bänder der Wand geschliffen. Ein Kranz von Nuppen aus blauem Glas aufgelegt: abwechselnd je drei große und drei Gruppen von sechs kleinen Tropfen. — 4./5. J h . n. Chr. Vgl. Harden, Karanis Nr. 457 Taf. 5; Fremersdorf, Denkmäler V I I Taf. 105. 39. 'Ständer'. Inv. 1964. 16. H 11,5cm. Persien. Abb. 39 Aus grünlichem Klarglas, jetzt mit sehr bunter Iris überzogen. Wenig geöffnete, geschliffene Trichtermündung; Hals mehrfach zusammengezogen; rundes, sehr flaches Bodenstück, auf der Oberseite sechsmal tief mit einem ovalringförmigen Ornament gestempelt; Boden abgeplattet. Nur der Mündungstrichter ist hohl, das übrige massiv. 9.—11. Jh. n. Chr.(?) Abb. 39. 'Ständer' (Nr. 39)

Berlin

Norbert Kunisch

EIN BRUCHSTÜCK VOM S Ü D F R I E S DES PARTHENON S. Casson hat in seinem Catalogue of the Acropolis Museum S. 139 unter Nr. 4859 ein Friesbruchstück zum erstenmal abgebildet und folgendermaßen beschrieben: »Hoof and part of the drapery of a figure, to the right. On the underneath side is part of the plane surface of the lower part of the slab; the fragment is the right lower corner of a slab in the series X X X V I I I - X L I V on the south side, perhaps from X X X V I I I , fig. 126. This fragment has not previously been published. H. -21 m.« Dies scheint bisher die einzige Erwähnung des Bruchstückes in der wissenschaftlichen Literatur geblieben zu sein. Der Beschreibung kann noch hinzugefügt werden, daß auch in der Abbildung von Casson der Scamillus deutlich sichtbar ist und daß die Länge, am Scamillus gemessen, 10,5 cm beträgt und die Dicke an derselben Stelle 5,5 cm; an Höhe maß ich 20,5 cm. Unterschiedlich von der Beschreibung ist aber an der rechten Seite kein Rand, also keine Anathyrose, sondern vielmehr Bruchfläche zu beobachten — und nicht einmal eine senkrechte. Auch dies ist sogar auf Cassons Abbildung zu erkennen. Es kann sich also im Gegensatz zu dem, was er schreibt, nicht um die rechte untere Ecke einer Platte handeln. Versucht man, das Bruchstück unterzubringen, so scheidet der Ostfries aus, weil in ihm keine Tiere mit Hufen vorkamen. Der Westfries kommt auch nicht in Frage, weil dort nur ein einziges Pferd nach rechts gewandt ist, dessen einziger auf dem Boden aufstehender Huf erhalten ist. Auch im Nordfries gab es keinen nach rechts gewandten Huf.

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FRANK

BROMMEE

38. Spitzkonisches Gefäß (Lampe oder Trinkbecher). Inv. 1964. 20. H 18,5 cm. Amlash, Nordpersien. Abb. 38 Aus grünlichem Klarglas. Fuß leicht abgeplattet ; der Rand und die verschieden breiten Bänder der Wand geschliffen. Ein Kranz von Nuppen aus blauem Glas aufgelegt: abwechselnd je drei große und drei Gruppen von sechs kleinen Tropfen. — 4./5. J h . n. Chr. Vgl. Harden, Karanis Nr. 457 Taf. 5; Fremersdorf, Denkmäler V I I Taf. 105. 39. 'Ständer'. Inv. 1964. 16. H 11,5cm. Persien. Abb. 39 Aus grünlichem Klarglas, jetzt mit sehr bunter Iris überzogen. Wenig geöffnete, geschliffene Trichtermündung; Hals mehrfach zusammengezogen; rundes, sehr flaches Bodenstück, auf der Oberseite sechsmal tief mit einem ovalringförmigen Ornament gestempelt; Boden abgeplattet. Nur der Mündungstrichter ist hohl, das übrige massiv. 9.—11. Jh. n. Chr.(?) Abb. 39. 'Ständer' (Nr. 39)

Berlin

Norbert Kunisch

EIN BRUCHSTÜCK VOM S Ü D F R I E S DES PARTHENON S. Casson hat in seinem Catalogue of the Acropolis Museum S. 139 unter Nr. 4859 ein Friesbruchstück zum erstenmal abgebildet und folgendermaßen beschrieben: »Hoof and part of the drapery of a figure, to the right. On the underneath side is part of the plane surface of the lower part of the slab; the fragment is the right lower corner of a slab in the series X X X V I I I - X L I V on the south side, perhaps from X X X V I I I , fig. 126. This fragment has not previously been published. H. -21 m.« Dies scheint bisher die einzige Erwähnung des Bruchstückes in der wissenschaftlichen Literatur geblieben zu sein. Der Beschreibung kann noch hinzugefügt werden, daß auch in der Abbildung von Casson der Scamillus deutlich sichtbar ist und daß die Länge, am Scamillus gemessen, 10,5 cm beträgt und die Dicke an derselben Stelle 5,5 cm; an Höhe maß ich 20,5 cm. Unterschiedlich von der Beschreibung ist aber an der rechten Seite kein Rand, also keine Anathyrose, sondern vielmehr Bruchfläche zu beobachten — und nicht einmal eine senkrechte. Auch dies ist sogar auf Cassons Abbildung zu erkennen. Es kann sich also im Gegensatz zu dem, was er schreibt, nicht um die rechte untere Ecke einer Platte handeln. Versucht man, das Bruchstück unterzubringen, so scheidet der Ostfries aus, weil in ihm keine Tiere mit Hufen vorkamen. Der Westfries kommt auch nicht in Frage, weil dort nur ein einziges Pferd nach rechts gewandt ist, dessen einziger auf dem Boden aufstehender Huf erhalten ist. Auch im Nordfries gab es keinen nach rechts gewandten Huf.

E I N BRUCHSTÜCK VOM S Ü D F R I E S DES P A R T H E N O N

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Abb. 1. Friesbruchstück. Athen, Akropolismuseum

So bleibt allein der Südfries übrig. Aus ihm können die ersten dreiundzwanzig Platten auch gleich außer Betracht gelassen werden. Sie enthalten, mit Ausnahme von Figur 1, nur Reiter. Zu Figur 1 kann das Bruchstück aber nicht gehören, da nur die Oberfläche des Blocks abgesplittert ist. Bei keinem der Reiter kann das Gewand so weit auf den Boden reichen, wie bei unserem Bruchstück. So kommt also nur eine der Platten XXIV-XLIV in Frage. Soweit widerspricht unser Ergebnis also noch nicht dem von Casson. Wie aber das Bruchstück zu der von Casson vorgeschlagenen Platte X X X V I I I gehören soll, ist nicht einzusehen: Von ihrem unteren Rand fehlt nur die rechte Ecke und auf ihr kann sich kein Huf befunden haben. Außerdem sind im Parthenonfries die zweizehigen Rinderhufe deutlich von den Pferdehufen unterschieden. Auf dem Bruchstück ist eindeutig ein Pferdehuf wiedergegeben. Es können also auch die Platten XXXV-XLIV, auf denen keine Pferde dargestellt waren, ausgeschieden werden. Die Platten XXIV-XXXIV des Südfrieses kommen somit in die engere Wahl. Von ihnen kommen X X I X und X X X nicht in Betracht, weil auf ihnen kein Gewandstück so weit nach unten gehangen haben kann. Eine weitere Einschränkungsmöglichkeit ergibt sich durch den Winkel, in dem der Huf auf dem Boden aufsteht. Die im äußerst spitzen Winkel aufstehenden Hinterhufe der Pferde von Platte XXVI, XXVII und X X X I sind ausgeschlossen. Mit den Vorderhufen steigen die Pferde in die Luft, diese sind also erst recht nicht gemeint. Auch die Platte X X X I V kann man eliminieren. Auf ihr waren vier Hufe dargestellt. Beim vordersten kann kein Gewand gewesen sein. Die beiden mittleren überschneiden sich, wovon auf dem Bruchstück nichts zu sehen ist; der hinterste ist so zurückgestellt, daß er mit dem Bruch-

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F. B R O M M E R , E I N B R U C H S T Ü C K VOM S Ü D F R I E S D E S P A R T H E N O N

Abb. 2. P a r t h e n o n - S ü d f r i e s , P l a t t e X X I V m i t d e m B r u c h s t ü c k Abb. 1

stück nicht identisch sein kann. So bleiben also auf dem Ausschließungswege nur die Platten XXIV, XXV, XXIX*, X X X I I und X X X I I I des Südfrieses übrig. Wenn die Rekonstruktion der Platte X X I X * richtig ist, dann kann auch diese aus dem gleichen Grund wie die Platten XXVI, XXVII und X X X I ausgeschieden werden. Auch die Platte XXV kann wegen der Höhe des Bruchstücks fast mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Da es ferner sehr unwahrscheinlich ist, daß von den nur aus Carreys Zeichnungen bekannten Platten X X X I I und X X X I I I gerade dieses eine Bruchstück erhalten wäre, kann man wohl auch diese Platten ausschalten. So bleibt allein die Platte XXIV übrig. Wie die Aufnahmen (Abb. 1. 2) zeigen, die ich 1954 im Akropolismuseum von dem originalen Bruchstück vor dem Abguß der Platte machte, paßt das Bruchstück dort auch in der Höhe ausgezeichnet. Man kann daher die Zuschreibung an die Platte Süd XXIV für überaus wahrscheinlich halten. 1 Mainz 1

Auch bei einem anderen B r u c h s t ü c k sind die Angaben von Casson i r r e f ü h r e n d . S. 132 h a t er die Nr. 404 von Smith u n t e r — wie bei i h m üblich — f a s t wörtlicher Ü b e r n a h m e von dessen T e x t m i t dem Akropolisbruchstück 1159 identifiziert. N a c h dem I n v e n t a r ist aber 1159 ein P f e r d e f r a g m e n t . Hier scheint sich wiederum das Inv e n t a r insofern zu irren, als es sich offenbar u m d a s K u h f r a g m e n t h a n d e l t , das Casson S. 132 u n t e r 1159a a u f g e f ü h r t h a t . Diese Nr. 1159a gibt es wieder im I n v e n t a r nicht. D a s B r u c h s t ü c k S m i t h Nr. 404 h a t vielmehr die N u m m e r Akr.

Frank Brommer 1169, die Casson S. 187 jedoch u n t e r d e n E r e c h t h e i o n b r u c h s t ü c k e n a u f z ä h l t , wenn a u c h m i t dem Vermerk »it is u n c e r t a i n w h e t h e r t h i s is a f r a g m e n t of t h e E r e c h t h e i u m frieze«. D a s B r u c h s t ü c k k o m m t aus G r ü n d e n der Größe u n d des Stils zweifellos f ü r den Erechtheionfries n i c h t in Frage. E s ist also bei Casson S. 187 die Nr. 1169 zu streichen. S. 132 ist bei Nr. 1159a das a zu streichen u n d 1159 ist in 1169 zu ä n d e r n . A u s k ü n f t e aus d e m Akropolis-Inventar w e r d e n Frl. K u r a v e l u v e r d a n k t .

J. T H I M M E ,

BILDER, INSCHRIFTEN U N D OPFER AN ATTISCHEN GRÄBERN

199

BILDER, INSCHRIFTEN UND OPFER AN ATTISCHEN GRABERN Ein vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe neuerworbenes attisches Grabrelief (Abb. 1) erscheint mir besonders geeignet, die bei meiner Interpretation der Hegesostele begonnene Diskussion der Sinngehalte attischer Grabreliefs fortzusetzen 1 . In dem flachen Grabnaiskos der Karlsruher Stele sind drei Frauen in Chiton und Mantel dargestellt. Zwei Mädchen stehen vor einer auf einem Hocker (Diphros) sitzenden Frau. Die Stehenden mit relativ kurzem Haar, ins Profil gewendet, eine Hand an die Wange gelegt, blicken an der Sitzenden vorbei. Bei einer von ihnen, der linken, ist auch die zweite Hand sichtbar, die geöffnet in einer redenden Geste mit angewinkeltem Arm vor dem Körper gehalten wird. Die Sitzende, mit Sandalen bekleidet, trägt den Mantel als Schleier über dem Hinterhaar und blickt frontal aus der Stele heraus. Sie hält den gewinkelten rechten Arm vor den Leib und greift mit der linken Hand zum Mantelschleier auf der Schulter. Über den Köpfen der drei Figuren ist auf der schmalen Giebelleiste je ein weiblicher Name eingeritzt. Von links nach rechts: EIAAOANH, XOIPOZ, MYPPINH. In der Mitte des Giebelfeldes befindet sich eine vierte, etwas größere Namensinschrift, KAAAIZTO, wohl von einer Nachbestattung herrührend 2 . Stilistisch und typologisch verwandte attische Grabreliefs hat kürzlich S. J. Charitonides zusammengestellt bei der Veröffentlichung eines neuen Stelenfragments vom Friedhof beim Syntagmaplatz in Athen 3 . Seine Datierung dieser Gruppe um 360 v. Chr. trifft auch für unser Relief zu4. Welche Aussagekraft besitzt nun das neue Karlsruher Grabrelief für die Diskussion des dargestellten Zusammenhangs? Die feierlich thronende Myrrhine, die in einer eindrucksvollen Diagonale das Relieffeld beherrscht, ist dem Irdischen entrückt, als Heroine verklärt dargestellt; aufgerichtet würde sie die stehenden Frauen wohl um zwei Haupteslängen überragen. Durch den Mantelschleier, den die Verstorbenen auf attischen Grabreliefs so häufig und auf weißgrundigen Lekythen wiederholt tragen, ist Myrrhine als Braut gekennzeichnet. Als dem Irdischen bereits entrückt, dürfte sie hier aber wohl nur als Braut des Todes gemeint sein können 6 . Artemidor sprach in seinem Traumbuch noch im 2. Jh. n. Chr. den gegenseitigen Bezug von Hochzeit und Tod klar aus: »Hochzeit und Tod gelten als 1

2

Thimme, AntK. 7, 1964, 16ff. Die damals und hier vorgenommene Deutung geht nicht von Einzelwerken aus, sondern ist aus einer Durcharbeitung des gesamten Denkmälerbestandes erwachsen, aus einer Arbeit, deren Resultate später vorgelegt werden sollen. Zusätzlich zu den in den Verzeichnissen für die Publikationen des DAI. enthaltenen Abkürzungen und Sigeln werden hier folgende verwendet: Biesantz, Grabreliefs = H. Biesantz, Die thessalischen Grabreliefs (1965). Buschor = Buschor, Müjb. N. F. 2, 1925, 167 ff. Thimme = Thimme, AntK. 7,1964, 16 ff Zanker = Zanker, AntK. 9,1966,16ff. Die Giebelleiste, nicht das Giebelfeld, trägt üblicherweise die Namensinschriften.

ij AA. 1967

3 4

5

AM. 79, 1964, 145ff. Erwerbungsbericht 1966 im Jb. der Staatl. Kunstslgn. Baden-Württemberg 4, 1967 (im Druck). Inv. Nr. 66/64. H 93 cm. Wrede, AM. 41, 1916, 258; Karousos, Jdl. 52, 1937, 172ff.; Bielefeld, Gymnasium 73, 1966, 375. Der Mantelschleier wird aber nicht nur von Frauen und Göttinnen auf Hochzeitsbildern über dem Hinterhaar getragen, sondern hatte auch in anderen Situationen eine besondere Bedeutung. Persephone trägt ihn häufig (vgl. die lokrischen Tonreliefs), aber auch DionysosHades sowie Männer — Trauernde und Verstorbene — sind zuweilen mit dem Mantel über dem Hinterkopf dargestellt, vgl. Lullies, AA. 1966, 112f. Abb. 30; R. Hampe—E. Simon,

200

JÜRGEN

THIMME

Wendepunkt im menschlichen Leben und immer weist eines aufs andere hin. Deshalb kündigt auch das Heiraten Kranken den Tod an. Denn dem einen wie dem anderen, dem Verstorbenen wie dem Heiratenden wird dasselbe zuteil«6. Die griechische Auffassung vom Sterben als Hochzeit, die Bezeichnung der Verstorbenen als Braut und des Grabes als Brautgemach sind gut belegt. In meiner Interpretation der Hegesostele habe ich die engen Beziehungen zwischen den Hochzeitsbräuchen und dem Bestattungszeremoniell erneut hervorgehoben7 und in meiner Behandlung der Kykladenidole die religiösen Voraussetzungen für die Gleichsetzung von Hochzeit und Tod erstmals zu skizzieren versucht 8 . Vor diesem Hintergrund darf es wohl als wahrscheinlich gelten, daß die Darstellung der Verstorbenen im Mantelschleier ihrer Charakterisierung als Braut des Todes galt. Daß diese Vermutung zutrifft, läßt sich auch noch von einer anderen Seite her zeigen. Choiros, der mittlere Name auf der Giebelleiste mit der Bedeutung Schweinchen oder weibliche Scham konnte in Griechenland nur einer Hetäre gegeben werden. Choiros ist zwar als Hetärenbeiname noch nicht belegt, aber ganz ähnliche Beinamen wie Ziege oder Sau sind bezeugt9. Wenn Choiros nur ein Hetärenname sein kann, so bezeichnen die übrigen Namen, von denen Kallisto und Myrrhine als Hetärennamen bekannt sind, aller Wahrscheinlichkeit nach auch Hetären. Als Hetäre wird Myrrhine nicht verheiratet gewesen sein, was ja auch der fehlende Gattenname nahelegt. Trägt Myrrhine dennoch den Brautschleier, so kann also wohl nur ihre Eigenschaft als Braut des Todes gemeint sein10. Daß hier die Frauen ohne die geringste Anspielung auf ihren erfolgreichen Beruf dargestellt sind, entsprach griechischer Auffassung am Grabe. Weder die griechischen Grabinschriften noch die Grabreliefdarstellungen, von ganz wenigen (durchaus verständlichen) Ausnahmen abgesehen11, geben einen Hinweis auf den Beruf der Verstorbenen. Man muß daraus den Schluß ziehen, daß im allgemeinen für die Griechen das Sein nach dem Tode mehr bedeutete als die vergangene bürgerliche Existenz; diese war am Grabe, im Anblick des Todes, so bedeutungslos, daß sie nicht einmal angedeutet wurde.

6

7

Griech. Leben im Spiegel der Kunst (1959) Tai. 40; Conze II (1900) 247 Nr. 1140. Die Verhüllung des Hauptes war auch bei Einweihungen und Reinigungsriten gefordert, vgl. Diels, Sibyllinische Blätter (1890) 122 fi. A. Dieterich, Eine Mithraslithurgie (1903) 167; E . Neumann, Apuleius, Amor und Psyche mit einem Kommentar (1952) 84; K. Kerenyi, Die Mysterien von Eleusis (1962) 67. 70. Die häufiger vertretene Meinung, daß die Tracht als »prägnante Bezeichnung« der reiferen, verheirateten Frau gelten dürfe •— vgl. zuletzt N. Himmelmann-Wildschütz, Studien zum Ilissos-Relief (1956) 25 — kann daher kaum richtig sein. Die Verhüllung des Hauptes der Unterweltsgötter, der Todgeweihten und der Trauernden am Grabe könnte dazu geführt haben, daß diese Tracht auf Trauernde schlechthin übertragen wurde, vgl. Langlotz, J d l . 76, 1961, 89; s. auch Thimme 27 Anm. 62. Artemidor von Daldis, 'OvsipoKpmKa 2, 49 (Traumbuch, Übertragung von F. S. Kraus, bearb. u. erg. v. M. Kaiser, 1965, 207). Thimme 21 f. Vgl. Buschor 170f. und W. Peek,

8 9

10

11

Griech. Grabgedichte (1960) 38. Die Auffassung der Griechen vom Tode als Hochzeit war weit verbreitet, daneben gab es aber auch andere Vorstellungen, wie z. B. die vom Tode als Wiedergeburt. Dazu jetzt grundlegend Bastet, BAntBeschav. 40, 1965, 26ff. AntK. 8, 1965, 72 ff. bes. 75 f. R E . VIII 1358 ff. s. v. Hetairai (Schneider) R. H a m p e — E. Simon, CVA. Mainz (1) 46 f. zu Taf. 46, 3. 5. Trotz der oben Anm. 5 genannten verschiedenen Möglichkeiten, den Mantelschleier der unverheirateten Myrrhine zu deuten, scheint mir der gegenseitige Bezug von Hochzeit und Tod, der weder Einweihung noch Trauer auszuschließen brauchte, doch am wahrscheinlichsten zu sein. Priester und Ärzte werden zuweilen durch Darstellungen oder Inschriften hervorgehoben. Da die Arete der Verstorbenen für ihr gesteigertes Sein nach dem Tode von entscheidender Bedeutung war, ist es verständlich, daß die mit einer besonderen Arete verbundenen Berufe noch am ehesten erwähnt wurden. Vgl. Thimme 17 Anm. 9.

B I L D E R , I N S C H R I F T E N UND O P F E R AN A T T I S C H E N

GRÄBERN

201

Abb. 1. Grabrelief der Myrrhine. Karlsruhe, Badisches Landesmuseum

Ist Myrrhine als Braut des Todes, dem Irdischen entrückt, als Heroine verklärt dargestellt, in welchem Verhältnis zu der Thronenden sind dann die beiden stehenden Frauen aufzufassen ? Ihre geringere Größe und ihre als Randfiguren untergeordnete Stellung in der Komposition des Grabreliefs sprechen dafür, daß sie — jedenfalls ursprünglich — als hinter bliebene, trauernde Angehörige der verstorbenen Myrrhine gedacht waren12. Dafür, daß Dienerinnen gemeint sein könnten, wie dies noch wieder für diesen Stelentypus von Charitonides angenommen wurde, gibt es keine Argumente. Die Frauen tragen nicht einmal einen Armelchiton, der seit Jahrzehnten — ohne Grund allerdings und entgegen jeder Wahr12

13*

Ihre Namensinschriften weisen sie allerdings als Verstorbene aus, vgl. Thimme 24 Anm. 47. Sei es, daß ihre Namen später nachgetragen wurden oder daß möglicherweise das Relief vom Lager erworben wurde, wobei der Käufer sich mit einer annähernden Entsprechung zu

den persönlichen Familienverhältnissen zufrieden gab: die Charakterisierung der Figuren und ihre Anordnung in der Komposition lassen keinen Zweifel zu, daß ursprünglich die Stehenden als lebend und die Sitzende als verstorben gemeint waren.

202

J Ü R G E N

THIMME

scheinlichkeit — als typisches Sklavinnengewand gilt13. Auffällig betont ist in unserem Grabrelief der Gegensatz der Blickrichtungen zwischen den beiden stehenden Frauen und der sitzenden Myrrhine. Er unterstreicht die Isolierung der thronenden Frau. Sie nimmt die Stehenden nicht wahr, und diese blicken an ihr vorbei in eine unbestimmte Ferne, so als wäre auch sie, die doch im Bilde vor ihnen sitzt, ihren Augen nicht wahrnehmbar 131 . Das sinnende In-die-Ferne-Schauen der beiden stehenden Frauen wird durch eine besondere Gebärde verdeutlicht, die durch Wiederholung bei beiden Figuren noch besonders betont erscheint. Sie ist uns von Werken der Plastik und der Vasenmalerei bekannt. T. B. L. Webster hat kürzlich eine ähnliche Gebärde — die Hand berührt das Kinn — überzeugend als Ausdruck visionären Schauens erläutert 14 . Daß offenbar der Bedeutungsunterschied zwischen Berühren der Wange und Berühren des Kinnes nicht allzu groß war, läßt sich an dem am Boden sitzenden Seher im Ostgiebel des Zeustempels von Olympia ablesen. Eine sorgende oder trauernde Besinnung werden alle diese Gebärden ausdrücken, eine Vergegenwärtigung vergangenen oder zukünftigen Geschehens15. Die Elemente unserer Grabreliefdarstellung — die Gebärde der stehenden Frauen, die eine Vision anzudeuten scheint, die Charakterisierung der Verstorbenen als Braut des Todes und ihre gleichzeitige Isolierung, das Sich-gegenseitig-nicht-Wahrnehmenkönnen der Hinterbliebenen und der Verstorbenen, die Stimmung der Darstellung, die leise Wehmut mit feierlicher Stille verbindet — fügen sich zu einem Gesamtbild, das mir nur eine Deutung zuzulassen scheint: Eilathane und Choiros stehen am Grabe der verstorbenen Myrrhine. Ihre liebende Erinnerung und das Grab evozieren das Bild der Verstorbenen. Ihre Verbundenheit mit der durch den Tod Verklärten wird deutlich, ohne daß die Grenzen, die sie scheiden, verwischt sind. Das für uns zunächst befremdende Nebeneinander zweier Welten in einem Bild, das Erscheinen am Grabe von Hinterbliebenen und einer Verstorbenen, die sich gegenseitig nicht wahrnehmen, kennen wir als Darstellungsweise weißgrundiger Lekythen. Die Vision der Hinterbliebenen am Grabe ist ihr häufiges Thema, das auch auf den Grabreliefs fortgesetzt wird16. Die hier vorgetragene Deutung des neuen Hetärengrabmals in Karlsruhe bestätigt meine bei der Interpretation der Hegesostele vorgeschlagenen Thesen. Ich habe mich bemüht, meine Interpretation der Grabreliefs auf eine Erörterung jedes einzelnen Bildelementes zu gründen. Zur Kontrolle der Deutung steht uns in den griechischen Grabepigrammen ein wertvolles Quellenmaterial zur Verfügung, das mir noch immer nicht genügend ausgeschöpft zu sein scheint. Unsere Frage an die Grabreliefs — Erinnerungsbilder an das vergangene Leben der Verstorbenen oder aber Bilder des Grabkultes —, die legitime Alternative, die sich heute aus der bisherigen Diskussion ergibt, müßte auch 13

Thimme 19f. s. auch unten S. 210. Wäre der Ärmelchiton das charakteristische Gewand, das in Athen nur von Sklavinnen getragen wurde, so bliebe Ps.-Xenophon, Athen Polit. 110 unverständlich. Dort wirft ein Spartaner den Athenern vor, daß in Athen Freie und Sklaven in der Kleidung n i c h t zu unterscheiden seien. Diesen Hinweis verdanke ich D. Metzler.

13a

Vgl. M. Schmidt, AntK. 10, 1967, 73 Anm. 16.

14

T. B. L. Webster, Hellenismus (1966) 34.

15

Anders G. Neumann, Gesten und Gebärden (1965) 128 ff. Diese feinsinnige Studie zu einem bedeutenden Thema bleibt letztlich unverbind-

16

lich, da der Verfasser die Bedeutung der Gesten und Gebärden auf Grund seines persönlichen Verständnisses ohne Begründung definiert. Die mögliche Anwendung der so gewonnenen Übersetzung der Gesten- und Gebärdensprache auf einige ausgewählte Beispiele der Malerei und Plastik besagt nicht viel. Bei einem anderen Verständnis dieser oder jener Geste und Gebärde würde man in manchen Fällen zu einer anderen Deutung der gewählten Beispiele kommen können, ohne gegen die Gegebenheiten der Darstellung verstoßen zu müssen. Thimme 25 ff. Taf. 7, 2, bes. Anm. 53. 54; anders Buschor 176.

B I L D E R , I N S C H R I F T E N UND O P F E R AN A T T I S C H E N G R Ä B E R N

203

vom Material der Grabepigramme aus noch einmal überprüft werden17. Wir wissen — und die griechischen Grabepigramme bestätigen es —, daß es in Griechenland nebeneinander recht verschiedene, ja auch gegensätzliche Vorstellungen vom Jenseits gegeben hat. Die homerische Auffassung vom Schattendasein der Toten, die bis in den Späthellenismus fortgewirkt hat, steht neben der Auffassung zahlreicher Griechen, die in die Mysterienkulte eingeweiht waren und an ein seliges Leben nach dem Tode glaubten. Es ist also von vornherein wahrscheinlich, daß auch die griechischen Grabreliefs nicht nur auf eine Grundidee zurückgeführt werden können. Es ist hier nicht notwendig, zu der nun auftauchenden Frage Stellung zu nehmen, ob etwa der homerischen Vorstellung vom Jenseits Grabreliefs mit Erinnerungsbildern, der eleusinischen Auffassung aber Stelen als Grabkultbilder entsprechen könnten, sondern es gilt hier dafür einzustehen, daß es eine große und bedeutende Gruppe griechischer Grabreliefs gibt, die sich als Bilder des Grabkultes überzeugender, widerspruchsfreier verstehen lassen denn als Erinnerungsbilder des Lebens. Und für diese Ansicht gibt es auch epigraphische Anhaltspunkte. Auf der Stele der Mnesarete in München (Abb. 2) 18 , einem der schönsten attischen Grabreliefs aus dem frühen 4. Jh. v. Chr., steht eine junge Frau mit kurzem Haar, mit einem Ärmelchiton bekleidet, vor einer sitzenden Frau, die still, mit geneigtem Kopf, in sich gekehrt, dem Irdischen entrückt dargestellt ist. Die Blicke beider Frauen treffen sich nicht. Leise, ergreifende Schwermut und Trauer charakterisieren die Darstellung. Es ist auch hier die Frage: liegt ein »durch den Tod verklärtes Lebensbild« vor, obwohl »die verstorbene Frau nie so traurig und entrückt in ihrem Hause gesessen« hat 19 , oder haben wir in der Stele der Mnesarete ein Zeugnis des attischen Grabkultes vor uns ? Also Herrin und Dienerin, den »stillen Verein im Leben«, wie P. Wolters und E. Buschor meinten, oder die Darstellung der dem Irdischen entrückten Mnesarete mit der zurückgelassenen Tochter in verhaltener Trauer. Ich meine, das Grabepigramm gibt die Antwort auf unsere Frage. Es lautet: " H S e TTÖCJIV T'EÄITTEV K a i ä 8 E Ä q > o ( 0 ) s (-irj-rpi TE TTEVÖOS K a i TEKVOV l a s y d A r i s TE ÄPETRIS EVKÄE(I)O(V ä y r i p c o . 'EvOotSe, TTm T r ä a r i s d p E T f j s ¿Tri T E p [ p a

uoAoö]crav

MvT)aapETT|v KCCTE^E(i) (DEpaEcpovris ö ( a ) A a p i o s .

»Sie ließ den Gatten zurück und ihren Bruder, der Mutter den Schmerz und ihr Kind, auch unvergänglichen Ruf großer Tugend. Hier in den Gemächern der Persephone wird Mnesarete, die nun zum Ziel jeglicher Tugend gelangte, festgehalten«20. 17

Nach Buschor würde diese Alternative nicht bestehen, Grabreliefs und Lekythen wären Lebens- und Grabkultbilder zugleich. Dazu ausführlicher unten S. 212. Zur Literatur über griechische Grabgedichte: grundlegend W . Peek, Griech. Grabgedichte 38, außer der ebenda 42 ff. genannten Literatur s. H. Gutscher, Die attischen Grabinschriften (1889); C. M. Kaufmann, Die Jenseitshofinungen der Griechen und Römer nach den Sepulkralinschriften (1894); H. R . Hastings, On the Relation between Inscriptions and Sculptured Representations on Attic Tombstones, Diss. Madison Wise. 1912 ( = Bull. of

the Univ. of Wisconsin Nr. 485, Phil. a. Lit. Ser. 5, 2, 99ff.); G. Pfohl, Über F o r m und Inhalt griech. Grabinschriften, Jahresber. Neues Gymnasium Nürnberg 1954/55, 37 ff. 18

Wolters, M ü j b . 4, 1909, 3 ff.

19

Buschor 176.

20

Die zwei letzten Zeilen kehren auf dem Grabrelief der Phanogara in Leiden und in ähnlichen Wendungen in weiteren Grabepigrammen wieder und dürfen also als typisch aufgefaßt werden, Wolters a. O. 5; Peek a. O. Nr. 99. 122. 144. 164. 210.

204

JÜRGEN

THIMME

Wer Bild und Grabgedicht unvoreingenommen zusammen aufnimmt, wird nicht umhinkönnen, die Darstellung mit den Worten des Grabepigrammes zu deuten und also in der Sitzenden Mnesarete zu sehen, wie sie im Reich der Unterweltskönigin, dem Irdischen entrückt, thront, und in der Stehenden ein Mädchen, das die im Schmerz zurückgelassenen Angehörigen (Gatte, Bruder, Mutter und Kind) 21 vertritt und nun um die verstorbene Mnesarete am Grabe trauert. In Übereinstimmung mit dem Grabgedicht fasse ich also die einzelnen Elemente der Darstellung als Zeugnis des Grabkultes auf. Der Bildhauer hatte im Dienste seiner Auftraggeber, die um den Tod eines nahen Verwandten trauerten, zu bezeugen, daß die Verstorbene die ihr zustehenden Ehren empfangen hatte und nun in einem neuen, gesteigerten Sein, in einem verklärten, ewigen Leben mit den Angehörigen über den Tod hinaus verbunden blieb. In diesem Zusammenhang empfinde ich Buschors Deutung der attischen Grabreliefs als »verklärte Bilder des Lebens« mißverständlich und würde die Formulierung als Bilder eines verklärten, ewigen Lebens vorziehen. Diskussionen kämpfen häufiger um Worte, die so leicht mißzuverstehen sind, als um Anschauungen, die so schwer unmißverständlich formuliert werden können. Unser Sprachgebrauch verwendet das Wort Leben in zwei Bedeutungen: Einmal als Bezeichnung des Ursprungs und der höheren Einheit alles Seins, in einer unbegrenzten Bedeutung, zum anderen aber auch in einer klar begrenzten Weise, die als irdisches Leben zwischen Geburt und Tod genau definiert ist. Um der Deutlichkeit willen bleiben wir in unserem Sprachgebrauch darauf angewiesen, zwischen beiden Bereichen zu unterscheiden, auch wenn die Griechen sich ihre Vorstellung vom unbegrenzten Leben wie kaum ein anderes Volk vor oder nach ihnen in einer wunderbaren Weise von dem zwischen Geburt und Tod begrenzten Leben gebildet haben. Es könnte sein, daß der bisher selten klar definierte Gebrauch des Wortes Leben mancherlei Mißverständnisse bei der Interpretation griechischer Grabreliefs zur Folge hatte 22 . Dennoch scheint mir ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden nur um eine Nuance anders lautenden Definitionen» verklärte Bilder des Lebens« und »Bilder eines verklärten Lebens« zu bestehen und in der verschiedenen Sicht des Lebens am Grabe begründet zu sein. Buschors Ausdruck scheint mir die in den attischen Grabreliefs sichtbare Grenze des Todes zwischen Leben und ewigem Leben nicht deutlich genug herauszuarbeiten und die Bedeutung des vergangenen irdischen Lebens für das ewige Leben zu stark zu betonen, so als ob das Leben nach dem Tode als natürliche Kontinuität des irdischen Lebens zu verstehen wäre. Ich meine dagegen, daß viele Griechen die Einheit des Seins vor und nach dem Tode nicht als eine natürliche Kontinuität aufgefaßt haben, die sich eo ipso ereignen würde, sondern als eine Steigerung des Lebens, die vom Vollzug bestimmter, 'kultischer' Handlungen abhängig blieb. Für alle Griechen war die nach der Väter Sitte vorgeschriebene Bestattung 23 , die von kultischen Handlungen begleitet war, die unabdingbare Voraussetzung, um zumindest Frieden 21

22

entspricht nicht ganz unserem Wort Kind, sondern bezeichnet primär die Erzeugten, Sohn oder Tochter. Das vor Mnesarete stehende Mädchen könnte also durchaus das inschriftlich erwähnte TEKVOV sein. Das Eigentümliche griechischer Grabbilder mag man unter bestimmten Voraussetzungen als »Verschmelzung von Leben und Tod« bezeichnen, Buschor 172 und ders., Grab eines attischen Mädehens 2 (1941) 58. Wenn ich die Berechtigung dieser Formulierungen in meinem Hegeso-

TEKVOV

23

aufsatz (Thimme 17. 24. 26) angezweifelt habe, so deshalb, weil ich in diesem Zusammenhang das Wort Leben in seiner begrenzten Bedeutung als irdisches, alltägliches Leben verstanden hatte, und dies scheint mir primär in den griechischen Grabbildern nicht gemeint zu sein. Dazu ausführlich unten S. 210 ff. E. Rohde, Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen 1 0 (1925) 216f.; M. P. Nilsson, Geschichte der griech. Religion I, H A W . V 2, 1 (1941) 160ff.

B I L D E R , I N S C H R I F T E N U N D O P F E R AN ATTISCHEN

GRÄBERN

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Abb. 2. Grabrelief der Mnesarete. M ü n c h e n

nach dem Tode zu finden. Ruhelos und von jedem höheren Sein ausgeschlossen blieb, wer kein Grab gefunden hatte, das schrecklichste Los, das die Griechen kannten. Ihnen war die Bestattung so wesentlich, daß auch die griechischen Historiker — im Gegensatz zu den Römern — bei Schilderungen von Schlachten selten zu erwähnen vergaßen, in welcher Weise die Gefallenen ihre letzte Ruhe gefunden hatten 24 . Die Vernachlässigung der heiligen Pflicht, für die Beisetzung der Angehörigen zu sorgen, galt als stärkster Frevel. Der Staat war verpflichtet, die Bestattung auf seine Kosten durchführen zu lassen, wenn dies bei einem seiner Bürger aus irgendeinem Grunde unterblieben war. Doch auch dieses Gesetz 24

K. Sauer, U n t e r s u c h u n g e n zur Darstellung des Todes in der griech. u n d röm. Geschichtsschreib u n g . Diss. F r a n k f u r t a. M. 1930, 20. N a c h Sauer h a b e n die Griechen im Gegensatz zu den R ö m e r n den Tod k a u m als ein individuelles

Schicksal eines b e s t i m m t e n Menschen erfahren, sondern in i h m stärker das allgemeine Menschenschicksal gesehen, das in eine allgemeine S p h ä r e hinüberleitet, e b e n d a 9. 26 f.

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THIMME

genügte den Griechen noch nicht; durch Stiftungen, Adoptionen und Freilassungen von Sklaven versuchten sie, für jeden Fall alles nur erdenkliche Mögliche zu tun, sich die ordnungsgemäße Errichtung und Pflege ihrer Gräber zu sichern 25 . Selbst für die vergessenen Toten, für die keine Nachkommen mehr sorgten, opferten die Griechen noch am dritten Tag der Anthesterien, dem griechischen Allerseelenfest. Die Kontinuität des irdischen im ewigen Leben war für die Griechen also an die Voraussetzung der Bestattung gebunden. Erst dieser Zusammenhang läßt die Bedeutung begreifen, die die Griechen der richtigen Bestattung mit den durch Sitte und Gesetze geregelten Zeremonien beimaßen. Der Mehrheit der attischen und außerattischen Bürger genügte aber diese erste Voraussetzung, um nach dem Tode Frieden zu finden, noch immer nicht. Sie machten Gebrauch von der allen Freien und Unfreien gebotenen Möglichkeit, die Sicherheit eines seligen Lebens nach dem Tode zu gewinnen. Und diese Sicherheit bot allein die Einweihung in die Mysterien, allen voran die Mysterien in Eleusis26. Die Größe der Weihehäuser sowie literarische Nachrichten bezeugen eindeutig, daß in klassischer Zeit die Mehrheit der Bevölkerung zu den Eingeweihten gehörte. Diese Mysterien und die große Bedeutung, die in Griechenland einer ordnungsgemäßen Bestattung beigemessen wurde, erhellen das vitale Interesse vieler Griechen am Jenseits. Die Bilder am Grabe müssen auch in diesem Zusammenhang gesehen werden. Als Zeugnisse frommer Pflichterfüllung geben sie den Blick auf ein neues verklärtes Leben frei, an das viele Griechen ohne Frage glaubten. Nicht so sehr die Erinnerung an das vergangene irdische Leben der Verstorbenen erschließt den Sinn der Darstellungen als vielmehr die Vergegenwärtigung des Todes als Tor zu einem neuen ewigen Sein. Die Bedeutung der Attribute auf attischen und außerattischen Grabreliefs als Opfergaben für den Verstorbenen geben die letzte Bestätigung, daß die Grabreliefs als Grabkultbilder verstanden werden müssen, daß in ihnen die Sicht auf das verklärte Leben nach dem Tode wichtiger ist als die Erinnerung des vergangenen irdischen Lebens. Weißgrundige Lekythen wie unteritalische Grabvasen stellen in aller Deutlichkeit dar, wie an das Grab für den Verstorbenen die verschiedensten Opfergaben gebracht werden: Vasen, Tänien, Kränze, Granatäpfel, Waffen, Musikinstrumente, Strigiles, Spiegel und manches andere mehr. Die immer wieder getroffene Feststellung 27 , daß diese Gegenstände im profanen Leben der Griechen ihren festen Platz hatten, ist zwar richtig, aber für unsere Diskussion völlig belanglos, da für alle diese Gegenstände durch Darstellungen oder Ausgrabungen erwiesen 25 26

17

Rohde a.O. I 250f.; Nilsson a.O. 167. K. Kerinyi, Die Mysterien von Eleusis 28ff.; den dort genannten antiken Zeugnissen wäre noch die bekannte Stelle in Piatons Phaidon hinzuzufügen: » . . . wenn einer ungeweiht und ungeheiligt in der Unterwelt anlangt, daß der in den Schlamm zu liegen kommt, der Gereinigte aber und Geweihte, wenn er dort angelangt ist, bei den Göttern wohnt«, deutsch v. F. Schleiermacher, Sämtl. Werke (1926) 88. N. Himmelmann-Wildschütz, Studien zum Ilissos-Relief 36. Biesantz, Grabreliefs 95. Zanker 19. Wenn Biesantz alle Bildelemente der thessalischen Grabreliefs ohne weiteres aus dem Lebenskreis des thessalischen Alltags versteht und meint, seine vorgetragenen Ergebnisse

sprächen gegen meine Deutungen, so wird man dem Verfasser entgegenhalten müssen, daß er die chthonischen und sepulkralen Bedeutungen der auf den thessalischen Grabreliefs vorkommenden Bildelemente grundsätzlich verschwiegen hat. Man mag Mantelschleier, Rhyton, Granatapfel, Pferd, Hund und Hahn auf das profane Leben beziehen, aber die vielfach bezeugte chthonisch-sepulkrale Bedeutung dieser Elemente überhaupt nicht zu erwähnen, läßt sich nicht rechtfertigen. Die weiteren Elemente der thessalischen Grabreliefs wie Waffen, Spinnrocken, Aryballos, Schale, Kästchen, Hase und Blüte sind weniger deutlich als sepulkral determiniert, aber selbstverständlich können auch sie alle als Totenspende nachgewiesen werden.

B I L D E R , I N S C H R I F T E N UND O P F E R AN A T T I S C H E N G R Ä B E R N

207

ist, d a ß sie neben ihrer profanen a u c h eine kultische F u n k t i o n im G r a b - bzw. U n t e r w e l t s kult besaßen 2 8 . Diese A u s s a g e s e t z t allerdings z u m Teil die E i n s i c h t v o r a u s , d a ß die Opfergaben am

G r a b e in erster Linie d u r c h G r a b k u l t u n d J e n s e i t s v o r s t e l l u n g e n

bestimmt

wurden. D e r kultische B e z u g für Ölgefäße, Tänien, K r ä n z e , G r a n a t ä p f e l u n d Ä h n l i c h e s v e r s t e h t sich v o n selbst. F ü r a n d e r e Grabbeigaben, e t w a Schauspielermasken oder S c h u h e , h a t m a n längst e r k a n n t , d a ß sie n i c h t e t w a Schauspielern oder S c h u s t e r n als Anspielungen auf ihren B e r u f m i t g e g e b e n wurden, sondern eben b e s t i m m t e n J e n s e i t s v o r s t e l l u n g e n ents p r a c h e n 2 9 . Die B e o b a c h t u n g e n , die in den G r ä b e r n O l y n t h s u n d a n a n d e r e n O r t e n g e m a c h t wurden, h a b e n gezeigt, d a ß die G r a b b e i g a b e n eher für die W e i h e n d e n u n d ihre Vorstellungen a m G r a b e als für die V e r s t o r b e n e n c h a r a k t e r i s t i s c h sind 3 0 . Die G r a b i n v e n t a r e in Griechenland, Kleinasien oder U n t e r i t a l i e n lassen eine D e u t u n g der G r a b g e s c h e n k e als M i t g a b e des persönlichen Besitzes des V e r s t o r b e n e n in ihrer großen Mehrheit n i c h t zu. Sofern n i c h t besondere Gesetze die A u s s t a t t u n g der G r ä b e r regelten, b r a c h t e m a n den T o t e n c h a r a k t e ristische Gaben, die sich in folgende H a u p t g r u p p e n einteilen lassen: 1. Gegenstände, die z u m S c h m ü c k e n des V e r s t o r b e n e n oder seines G r a b e s u n d die bei den a n die B e s t a t t u n g anschließenden Zeremonien wie d e m T o t e n m a h l b e n u t z t wurden, d a r u n t e r T ä n i e n 3 1 , K r ä n z e u n d v o r allem Gefäße z u m Spenden v o n Öl, W e i n u n d W a s s e r .

28 29

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31

s. unten Anm. 43. E. Pottier—S. Reinach, La Nécropole de Myrina (1887) 466ff. Für Schuhe: Thimme 21 Anm. 34. D. M. Robinson, Excavations at Olynthus X I (1942) 182. Ebenda 174ff. Kap. IV (Kterismata) ist grundlegend für das Verständnis der Grabbeigaben. Für unseren Zusammenhang besonders wichtig auch die Feststellung ebenda 199 : »There may have been a time when these things were believed necessary to the life in the world beyond the grave, but if there was, it was farther back than any trace we have in Greek history«. Wozu man heute hinzufügen darf, daß dieser Glaube auch nicht einmal für prähistorische Zeiten als wahrscheinlich angenommen werden kann. Vgl. H. Müller-Karpe, Vom Anfang Roms, 5.Erg.-H. zu RM. (1959) 75. Zanker 19 wie Biesantz, Grabreliefs 85 Anm. 85 haben meine Vermutung, daß die auf attischen Grabreliefs vorkommenden Kästchen meist wohl Tänienkästen waren, zurückgewiesen. Doch ihre Einwände überzeugen nicht. In meinem Hegesoaufsatz kam es mir weniger darauf an, dieses oder jenes Kästchen auf einer Grabreliefdarstellung als Tänienkästen zu erweisen, als vielmehr die Selbstverständlichkeit zu erschüttern, in der bisher alle diese Kästen als Schmuckkästen in einer häuslichen Szene erläutert wurden, und zwar durch den Hinweis, daß derartige Kästen auch als Tänienkästen benutzt wurden. Das Grabrelief der Philis aus Thasos im Louvre — Zanker 17 18 — und ein nicht seltener Terrakottentypus aus Böotien — z. B. Brit. Mus. Cat., Walters Terracottas Nr. 849.

851 Taf. 118. 119 — zeigen neben Vasendarstellungen derartige Kästen mit Tänien. Ist damit der Gebrauch von Tänienkästen am Grabe nachgewiesen, dürfen wohl auch die Kästen auf den Grabreliefs Zanker Taf. 6, 3 und Thimme Taf. 6, 1 mit großer Wahrscheinlichkeit als Tänienkästen angesprochen werden. Die dort aus den Kästen herausgenommenen und z. T. sichtbaren Gegenstände könnten jedenfalls sehr wohl Tänien sein, was Zanker für das zuerst genannte Beispiel auch zugegeben hat. Das Herausziehen einer Tänie ist auch auf dem von J . Fink publizierten Stelenfragment im Musée Rodin — AA. 1964, 303 Abb. 1 — zu erkennen. Daß dieser Kasten als Totenspende gedacht war, wird besonders deutlich durch das Alabastron, das der Verstorbenen neben dem Kästchen dargebracht wird. Sofern man die Darstellung der Totengabe als ein bedeutendes Thema der griechischen — attischen wie außerattischen — Grabkunst anerkennt, ist die Frage, ob die Kästen Schmuck, Tänien oder auch anderes enthalten haben, von untergeordneter Bedeutung, weil Schmuck wie Tänien und Holzkästchen, die das eine oder andere enthalten haben mögen, als Totenspenden nachweisbar sind. Auf der Stele der Hegeso mag nach der Handhaltung der Verstorbenen und nach der Größe des Kästchens als Inhalt tatsächlich eher Schmuck als eine Tänie gedacht gewesen sein. An meiner Interpretation der Hegesostele ändert sich damit nichts. Zankers Deutung des samischen Relieffragmentes (Zanker Taf. 5, 4) als Grabrelief stößt auf eine Schwierigkeit: Der

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JÜRGEN

THIMME

2. Opfer, die ursprünglich den Unterweltsgöttern galten, aber auch auf die Verstorbenen übertragen werden konnten, wie Kränze, Zweige, Granatäpfel, Hähne. Es ist bekannt, daß für diese Opfer sehr früh schon Nachbildungen in Ton oder anderem Material treten konnten. 3. Gegenstände, die das neue verklärte Leben der Verstorbenen verdeutlichen sollten, die vielfach dem Bilde von Heroen angeglichen und so als Krieger, siegreiche Athleten oder Jäger vorgestellt wurden. Waffen und Palästrageräte gehören vor allem in diese Gruppe. Andere Beigaben konnten auf das selige Leben im Elysium anspielen, wie es Pindar besungen und Polygnot dargestellt hatte. Musikinstrumente und Spielzeuge (Bälle, Kreisel, Astragale) vermochten das beispielsweise auszudrücken. Schließlich konnte die besondere Verbundenheit der Verstorbenen mit Dionysos-Hades und anderen Göttern, die ebenfalls einen chthonischen Ursprung besaßen — Aphrodite gehörte vor allem zu ihnen —, in den verschiedensten Beigaben und Bildern angedeutet werden. Ich denke vor allem an Kränze, Masken und Spiegel, aber auch an Nachbildungen chthonischer Götterbilder, des dionysischen Thiasos und von dem Dionysos heiligen Theateraufführungen. Die unzähligen Beispiele von Grabbeigaben, die weder als persönlicher Besitz des Verstorbenen noch als Mittel zur Charakterisierung seiner vergangenen irdischen Existenz gelten können —Waffen in Kindergräbern, Strigiles in Frauengräbern, Spielzeug in Erwachsenengräbern32, Schauspielermasken oder Schauspielerfiguren in Gräbern von Verstorbenen, die unmöglich alle Schauspieler oder Dichter gewesen sein können —, geben die Berechtigung, einen großen Teil der übrigen Grabgeschenke ebenfalls als sepulkral bestimmt aufzufassen. So jedenfalls geben sie einen guten passenden Sinn, der auch von Grabepigrammen bestätigt wird. Sie sprechen von Geschenken an die Toten, von Sühne- und Opfergaben33. Diese Zeugnisse sind zwar nachklassisch, doch gibt es keine Beobachtungen, die derartige Auffassungen auf die hellenistische Zeit begrenzen würden. D. M. Robinson hat bei der Bearbeitung der Gräber von Olynth gezeigt, daß hinsichtlich der Sitte, den Toten Gaben zu spenden, »on the whole no fundamental difference can be noticed from one end of the Hellenic world to the other«34. Meine bei der Interpretation der Hegesostele geäußerten Vorschläge zum Verständnis attischer Grabreliefs haben inzwischen einige kritische Entgegnungen gefunden35, die mir teilweise auf Mißverständnissen zu beruhen scheinen. So mag es zum Abschluß meiner Aus-

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34

stehende Jüngling mit dem Kasten ist nackt. Das wäre auf einem Grabrelief ungewöhnlich und allenfalls bei einem Verstorbenen möglich. Doch nach den Gestaltungsprinzipien der Grabreliefs möchte man in dem Jüngling eher einen Hinterbliebenen mit seinem Grabgeschenk sehen. So bleibt das schöne Relief wohl weiterhin ein ungelöstes Problem. Beispiele bei Robinson a.O. 182. z.B. W. Peek, Griech. Grabgedichte Nr. 182. 189. Daß der Vollzug des Totenopfers glückliche Fahrt zum Palast der Persephone bewirkt, besagt ein Epigramm aus Smyrna, C. M. Kaufmann, Die Jenseitshoffnungen der Griechen und Römer nach den Sepulkralinschriften 28. Robinson a. O. 207. Selbstverständlich soll hier nicht ausgeschlossen werden, daß dem Verstorbenen zu allen Zeiten auch Gegenstände mit-

35

gegeben werden konnten, die früher sein persönlicher Besitz waren; vor allem natürlich Kleidung und Schmuck. Doch bei der Durchsicht von Tausenden von Grabinventaren wird unabweislich deutlich, daß solche Fälle im Gesamtcharakter der Grabbeigaben keine besondere Rolle gespielt haben und daß die von Robinson genannten Beispiele, wo Waffen, Geräte und Schmuck für die bestatteten Kinder zu groß waren, durchaus dem allgemeinen Charakter der Grabgegenstände als Weihgaben an die Toten entsprechen in Übereinstimmung mit einem Zeugnis bei Aristophanes, nach dem man den Toten opfert oocrrrep öeolo-i, vgl. A. Furtwänglcr, Die Slg. Sabouroff I (1883—87) 17. Biesantz, Grabreliefs 95 Anm. 164a. Zanker 19. G. v. Leitner, Lutrophorenreliefs, ungedruckte Diss. München 1965.

B I L D E R , INSCHRIFTEN UND O P F E R AN ATTISCHEN G R Ä B E R N

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führungen sinnvoll sein, meine Deutungen in den Kreis der bisherigen Meinungen einzuordnen und dabei das Gemeinsame sowie das Trennende deutlicher als bisher hervortreten zu lassen. G. Rodenwaldt hatte schon vor über vierzig Jahren am entschiedensten — wohl in Übereinstimmung mit einer weitverbreiteten Meinung — geleugnet, daß die attischen Grabreliefs klassischer Zeit »auch nur die leiseste Nuance eines religiösen Gehaltes« besäßen oder irgendwo der Gedanke einer kultischen Verehrung der Dargestellten angedeutet worden sei 36 . K. Friis Johansen hat dieser These in seiner richtungweisenden Studie energisch widersprochen 37 . E r hat gezeigt, daß der unleugbare Zusammenhang der klassischen attischen Grabreliefs mit den früheren attischen und außerattischen Grabreliefs, die den Verstorbenen wiederholt in heroisierter Weise mit Totenspenden in den Händen darstellen, bereits einer solchen Anschauung entgegensteht. Darüber hinaus hat Friis Johansen mit Hinweis auf die weißgrundigen Lekythenbilder und die berühmte bei Plutarch überlieferte Aristotelesstelle — die Toten seien ßeÄTioves Kai KpeiToves gewesen — aber auch für attische Grabdenkmäler des 5. und 4. Jhs. v. Chr. erhärtet, daß dort in einigen Fällen die Verstorbenen mit ihren Opfergaben in den Händen (Lekythos, Tänie) dargestellt wurden 38 . P. Zanker hat zwar für zwei Beispiele, die Friis Johansen nannte, die attische Schule bestritten, aber dann doch für eine Reihe außerattischer und kleinerer attischer Grabreliefs bestätigt, daß es sich auch hier um die Darstellung des Verstorbenen mit der Totenspende in der Hand handeln müsse 39 , worauf bereits Buschor hingewiesen hatte 4 0 . Nachdem Friis Johansen die Entwicklungsgeschichte der griechischen Grabreliefs im Zusammenhang des griechischen Grabkultes mit seinen starken Heroisierungstendenzen aufzeigen konnte, hat N. Himmelmann-Wildschütz in seiner feinsinnigen, der Iiissosstele gewidmeten Studie 41 , auf E. Buschors entscheidenden Arbeiten 42 aufbauend, in überzeugender Weise das Eigene der Toten in ihrem Für-sich-Sein, in ihrer Entrückung, ihrer Verklärung und schließlich in ihrer götterähnlichen Heroisierung deutlich machen können. Brechen wir hier schon den kurzen Überblick ab und fragen: Wenn zugegebenermaßen archaische und kleinere sowie einige größere attische Grabreliefs klassischer Zeit und die Mehrzahl der weißgrundigen Lekythen den Verstorbenen mit einer Totenspende darstellen und wenn griechische Grabreliefs den Verstorbenen als dem Irdischen entrückt, oft gleichsam zum Heros verklärt, von den Bildern der Hinterbliebenen unterscheiden, warum sollten dann ausgerechnet die größeren attischen Reliefs klassischer Zeit mit der gleichen Charakterisierung der Verstorbenen etwas ganz anderes bedeuten, wie Zanker behauptet ? Welchen Unterschied kann es ausmachen, ob als dem Irdischen entrückt dargestellte Verstorbene eine Lekythos, ein Alabastron oder einen Spiegel, eine Strigilis halten? Lekythen und Alabastra werden wie Spiegel und Strigiles als Opfergaben in den Gräbern gefunden 43 . 36

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G. Rodenwaldt, Das Relief bei den Griechen (1923) 62. K. Friis Johansen, The Attic Grave-Reliefs of the Classical Period (1951) 152ff. Ebenda Abb. 77. 78 und die Darbringung von 3 9 Zanker 16ff. Totengaben Abb. 79. Buschor 176. Ders., Die Plastik der Griechen (1958) 79; dort nennt Buschor die Kästchenszene der Hegesostele »zugleich Grabbesuch«. s. oben Anm. 5. Buschor 167ff., ders., Grab eines attischen Mädchens2 58; ders. ÖJh. 39, 1952, 12 ff.

43

Zanker 19 Anm. 35 glaubte betonen zu müssen, daß man die Zeugnisse verschiedener Kunstgattungen und -landschaften nicht undifferenziert für die Interpretation heranziehen dürfte. Zanker ist es nicht gelungen, klar zu machen, warum auf einem thasischen Grabrelief das von der Verstorbenen gehaltene Kästchen die Totengabe, auf ganz ähnlichen attischen Stelen dagegen etwas anderes bedeuten soll. Dies ist um so schwerer einzusehen, als die Athener — auch nach Zankers Ansicht — auf wiederum ganz ähnlichen Darstellungen, besonders auf tönernen,

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J Ü R G E N

THIMME

Die Tatsache, daß man sich jahrzehntelang nicht daran erinnert hat, daß die meisten auf den Grabreliefs vorkommenden Gegenstände (wie Kästchen, Spiegel, Strigilis) auch als Grabspenden dienten, scheint dazu geführt zu haben, in den Reliefs häusliche, alltägliche Szenen zu sehen. In dieser — zunächst vielleicht verständlichen — Sicht schien es keine Frage zu sein, daß die Mädchen vor den thronenden Frauen beziehungsweise am Rande von Familienszenen die zur Herrin gehörenden Dienerinnen sein müßten. Von hier aus mußte man wohl auch weitere Darstellungen auf archaischen und klassischen Reliefs, die den Verstorbenen als Leierspieler, Jäger, Krieger oder Palästriten zeigten, vom täglichen Leben her interpretieren. Doch diese Deutung steht oft im Widerspruch zur Charakterisierung der Verstorbenen sowie zur Stimmung der Grabbilder, was denn auch wiederholt empfunden worden ist. Buschor wie Himmelmann-Wildschütz haben auf diese »bezeichnende Unlogik« durchaus aufmerksam gemacht 44 . Beide Gelehrte haben versucht, durch die Annahme eines in den »Todesgedanken getauchten Doppelsinns« und von »ins Mythische erweiterten häuslichen Bildern« das Unlogische ihrer Deutungen aufzuheben. Aber eine »Verwischung der logischen Grenzen« vermag ich nirgends auf attischen Grabbildern zu erkennen, und sie scheint mir bei den Griechen auch unwahrscheinlich. Die »Unlogik« wird zur Logik, wenn man sich von der doch gar nicht notwendigen Annahme frei macht, die Lekythenmaler und die Grabreliefbildhauer hätten häusliche Alltagsszenen darstellen beziehungsweise verklären wollen. Sieht man in ihnen die Darstellung der Totenbräuche und in den Gegenständen auf Lekythen wie Grabreliefs Spendengerät, das an Tod und Totenopfer erinnern sollte, was beides von Buschor, wenigstens für die Lekythenbilder, klargestellt wurde 45 , so ist der Hinweis auf das häusliche Leben der Verstorbenen nicht erforderlich, ja nur störend und eben den durchaus logischen Aufbau dieser schlichten Bilder

aber auch marmornen Grabvasen die Darbringung von Totengaben geschildert haben. Wie konnte der antike Besucher des Grabes, das öfters eine große Stele zwischen reliefierten Marmorlekythen mit weißgrundigen Lekythen vereinigte, die nahezu gleichen Bilder einmal als Darbringung der Totenspende, das andere Mal als auf das vergangene häusliche Leben der Verstorbenen bezogene Erinnerungsbilder auffassen ? Buschor, Himmelmann-Wildschütz und ihre Vorgänger hatten doch schon völlig zutreffend gesehen, daß weißgrundige Lekythen wie Grabreliefs nicht nur die gleiche Stimmung zeigen, sondern auch mit Bildern ähnlicher Bedeutung geschmückt waren. Die offensichtlichen Unterschiede zwischen den kleineren und größeren Reliefs, zwischen gemalten und gemeißelten Darstellungen verstehen sich als Unterschiede des Formats und des Materials von selbst. Und die Unterschiede zwischen attischen und außerattischen Reliefs waren m. E . keine der Thematik und der Bedeutung, sondern ausschließlich die der verschiedenen, landschaftlich bedingten 'Handschrift' und Darstellungsweise. Auch die von Zanker genannten Grabreliefattribute, wie vor allem Kästchen, Spiegel, Strigilis, Vogel, seltener Puppe oder gar Spindel, kommen als

44

45

Grabspenden vor, m ü s s e n also nicht auf das häusliche Leben bzw. die Palästra verweisen. Daß selbst die auf attischen Grabreliefs beliebten Hunde nicht nur ausschließlich häuslich zu verstehen sind, lehrt ein Grabgedicht des Diogenes Laertios: »Geht man zum Hades, dann dient immer als Führer ein Hund« (Anth. Graeca V I I 115). Vgl. A. Furtwängler, Die Slg. Sabouroff 24 f. und 51, wo Furtwängler auf Marmorfiguren von Hunden auf attischen Gräbern hinweist. Auch hier wird deutlich, daß die Hunde im Bezirk der Gräber nicht nur Lieblingstiere ihrer Besitzer gewesen sein können. Buschor 173; ders., Grab eines attischen Mädchens 2 58; N. Himmelmann-Wildschütz, Studien zum Iiissos-Relief 14. Auch die von mir genannten Szenen (Thimme 26 Anm. 54) können nicht »unlogisch« genannt werden, wenn man sie als Visionen am Grab versteht, wie dies bereits K. Schefold und E. Langlotz taten (s. Thimme 25 Anm. 53). Buschor 172; ders., Grab eines attischen Mädchens 2 58. 64 und in der l.Aufl. dieser Schrift (1939) 50. Aber auch Buschor 176 hatte schon gesehen: »Selbst die Grabmäler zeigen manchmal Verstorbene mit den Totengaben in der Hand«.

B I L D E R , I N S C H R I F T E N U N D O P F E R A N ATTISCHEN G R Ä B E R N

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verwischend 46 . Ist zum Beispiel auf einem Lekythenbild in München47 die Verstorbene vor ihrem Grab in sich versunken auf einem Felsen, »am Gestade der Unterwelt«, und vor ihr ein Mädchen mit einer Totenbinde dargestellt, so kann man meines Erachtens hier nur mit einer gewaltsamen Konstruktion an ein »Sitzen der Frau im Hause« denken. Oder wenn auf einem anderen Bild 48 dieses Malers aus der Blütezeit des jungen Diphilos ein Mädchen der sitzenden Verstorbenen mit der Kithara ebenfalls eine Totenbinde darbringt, muß man dann nicht an die Darstellung einer seligen Verstorbenen denken, die als Muse verklärt erscheint, »in die andere Welt hinübergetreten«, und spielt »wie die Mädchen des polygnotischen Unterweltsbildes mit ihren Knöcheln«, wie es Buschor doch selbst für eine andere Grabdarstellung für möglich gehalten hat 49 ? Auch hier vermag ich nicht den Doppelsinn zu erkennen, in dem häusliches Lebensbild und Totenspende ineinandergreifen. Wäre die Darstellung einer selig entrückten Verstorbenen, deren Bild als eine das Saitenspiel greifende Muse im Jenseits am Grabe fortlebt, auf einer Grabvase mit einer Szene der Totenspende nicht klar und tief genug 60 ? Pindar hat uns überliefert, wie sich Griechen ein Leben nach dem Tode vorstellen konnten, »wo Meereslüfte rings der Seligen Insel umhauchen, Blüten flammen von Golde auf dem Lande« (2.01.). Oder: »Ihnen leuchtet die Kraft der Sonne, während hienieden die Nacht herrscht, und auf Wiesen von roten Rosen leben sie vor ihrer Stadt, wo der Schatten der Zeder und von goldenen Früchten schwer . . . und die einen erfreuen sich an Pferden und Ringkampf, andere am Brettspiel, andere am Saitenspiel, und in voller Blüte steht ihnen das Glück« (Frgt. 129). Polygnot hatte in seinem berühmten Unterweltsbild in Delphi ganz ähnliche Vorstellungen ausgemalt, während die Frevler und die Uneingeweihten leiden müssen, spielen blumenbekränzte Mädchen (wohl Eingeweihte) ihr geliebtes Knöchelspiel 51 . Also vornehmlich mit Musik, Wettkämpfen und Spielen beschäftigen sich die seligen Verstorbenen. Ihr Tun sollte weniger als Fortsetzung einer Lieblingsbeschäftigung aus den irdischen Tagen verstanden werden als vielmehr als Ausweis ihrer ewigen Seligkeit. Das Bild des Siegers spielt in diesen Vorstellungen immer wieder eine besondere Rolle. »Der Sieger hat der Mittagsstille süße Zeit sich in künftigen Leben geschaffen« (2.01.). Wie der Tote ohne Grab keinen Frieden findet, so steht sein Fortleben nach dem Tode unter der Gefahr der Begrenzung, wenn er »ohne Gesang in des Hades Behausung kommt«, wie es ebenfalls Pindar in immer neuen Versen ausgesprochen hat. »In rühmlichen Sängen dauert langhin die Leistung« (3. Pyth.). »Und das Wort lebt längere Zeit als die Taten, wenn mit der Chariten Gunst es die Zunge herausnahm aus dem tiefen Herzen« (4. Nem.) 82 . Das, was die Sänger bewirkten, leisteten auch die Bildhauer und Vasenmaler. 46

Mit dem Verzicht, die Grabbilder als häusliche Szenen zu verstehen, verliert auch die Deutung der so oft als Dienerin zitierten Figur an Glaubwürdigkeit. In den meisten attischen Grabreliefs gibt es außer dem Vorverständnis der Stelen als häusliche Szenen keine weiteren Argumente, in den Randfiguren Dienerinnen zu sehen.

47

E. Buschor, Grab eines attischen Mädchens 2 69 Abb. 53. 54.

48

Ebenda 63 f. Abb. 50.

51

49

Ebenda 21.

62

50

Auch Grabepigramme feierten die Verstorbene als Muse, z. B. Anth. Graeca VII 12: » . . . tot

nicht bist du, du lebest singend im Musenchor fort«. Oder Nr. 14: » . . . der neun unsterblichen Musen sterbliche Schwester«. A. Brueckner, SBWien 1888, 30 hat weitere Belege für die griechischen Vorstellungen v o m Leben im Jenseits gegeben. Für die Rolle der Musen in der Gräberwelt der Griechen s. P. Boyance, Le Culte des Muses chez les Philosophes Grecs (1936) und F. L. Bastet, BAntBeschav. 40, 1965, 45. Pausanias X 30, 2. Immer wieder heben Grabepigramme hervor, daß das selige Leben nach dem Tode eine Folge der Arete sei, z. B. W. Peek, Griech. Grab-

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J. T H I M M E ,

B I L D E R , INSCHRIFTEN UND O P F E R AN ATTISCHEN G R Ä B E R N

Sie vereinigten sich, um am Grabe das Preisbild der Arete und Schönheit der Verstorbenen anzustimmen, zu ihrer Freude und ewigem Ruhme (10.01.). Selbstverständlich sind die Bilder der Griechen — gesungen, gemalt, gemeißelt —, mit denen sie ein gesteigertes verklärtes, seliges Leben preisen wollten, auf die Erfahrung ihres eigenen Lebens gegründet oder, wie Buschor immer wieder zu Recht betont hat, im Einklang mit dem Leben gestaltet. Erinnerungsbilder des irdischen Lebens, an das Haus, die Familie, an die Jugend der Verstorbenen als Palästriten, als Krieger, als junge Mädchen oder Frauen, wären wohl gar nicht von der Verherrlichung ihrer ewigen Tugend und Schönheit nach dem Tode durch Bilder als Reiter, siegreiche Athleten, als Spielende oder Musizierende zu unterscheiden, wenn eben nicht die Charakterisierung der Dargestellten als entrückte Verstorbene in dieser Frage die Entscheidung brächte 53 . Wenn auch häufig die Bilder entrückter Verstorbener als Musizierende, Spielende, als Athleten oder Krieger sowohl eine charakteristische Erinnerung an das Leben der Verstorbenen enthalten haben mögen wie zugleich eine allen verständliche Anspielung auf das neue verklärte Sein der Verstorbenen, wie es Pindar — und gewiß auch andere Dichter — besungen hatten, so scheint mir diese — sicher vielfach gegebene — Doppeldeutigkeit doch nicht notwendigerweise und nicht wesenhaft zu den griechischen Grabbildern zu gehören. Wenn z. B. in Kindergräbern Waffen, Geräte und Gefäße mitgegeben wurden, die zu benutzen die Verstorbenen in ihrem vergangenen Leben zu klein waren, so darf und muß man annehmen, daß auch Lekythenbilder des Musizierens und des Athletenlebens auf Gräbern von Verstorbenen aufgestellt werden konnten, die weder Musik noch Sport — aus welchen Gründen auch immer — auszuüben fähig waren. In solchen Beispielen fällt also das Moment der Erinnerung fort, und die Bilder erklären sich ausschließlich aus der Anspielung auf ein seliges, gesteigertes Sein nach dem Tode, wie es die griechischen Dichter geschildert haben. So meine ich, dabei bleiben zu müssen, in den meisten Lekythen- wie Grabreliefbildern die Darstellung entrückter Verstorbener und ihre fromme Verehrung durch stille Andacht oder Darbringung der Totenspende — also Grabkultbilder — zu sehen. In vielen Fällen wird die Erinnerung an das Leben der Verstorbenen mit der Vorstellung vom seligen,

53

gedichte Nr. 2 0 8 - 2 1 0 . Die Arete als Voraussetzung eines seligen Lebens nach dem Tode hatte schon Piaton gelehrt. Im Gorgias spricht Sokrates von den Totenrichtern, die die Bösen in den Tartaros und die Edlen zu den Inseln der Seligen schicken. In diesem Zusammenhang wird man die Grabepigramme verstehen dürfen, die auch schon in klassischer Zeit die Arete der Verstorbenen rühmen. Auch das weitgehende Schweigen der Grabepigramme der klassischen Zeit von der irdischen Vergangenheit der Verstorbenen, von ihren Berufen und Lebensläufen, spricht eher dafür, bei den Reliefs an Grabesbilder als an auf die irdische Vergangenheit der Verstorbenen bezogene Lebensbilder zu denken. Mögen manche Darstellungen auf den Grabmonumenten sowohl als profane wie als selige Szenen des Jenseits zu verstehen sein, so ist doch zu bedenken, daß die Auswahl der Szenen auf den Grabmonumenten ganz begrenzt ist und in keiner Weise dem

bunten Alltag griechischen Lebens entspricht, was man unbedingt erwarten müßte, wenn den Griechen die Erinnerung des vergangenen irdischen Lebens am Grabe so wesentlich gewesen wäre, wie das bisher angenommen wurde. Tatsächlich werden aber vor allem Szenen dargestellt, die sich nach den erhaltenen antiken Zeugnissen auch als Bilder des gesteigerten und seligen Lebens im Jenseits verstehen lassen. Das kann kein Zufall sein. Hier wäre auch an M. Eliades Ausführungen zu erinnern, wonach für die primitive wie archaische Menschheit nur das Wirklichkeit besaß, was durch die übergeordnete Wirklichkeit des Mythos bestätigt wurde. Was kein exemplarisches (mythisches) Vorbild besaß, besaß auch keine Wirklichkeit. Die Bilder tragen nicht ihren Wert in sich selbst, sondern erhalten ihn durch ihre Teilhabe am mythischen Urbild. M. Eliade, Kunst und Mythos (1957) 50ff. 56ff. 62ff.; ders., Kosmos und Geschichte (1966) 9ff. 24. 29.32f. 35.

G. H A F N E R , DER SILBERTELLER VON AQUILEIA

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gesteigerten Sein im Jenseits verschmolzen sein. Dennoch war nicht die »Verewigung menschlichen Soseins« und nicht »die Darstellung ihres Lieblingstuns aus ihren Lebenstagen« »den Alten stärkstes Bedürfnis« (Buschor), sondern die Beschwörung der Verstorbenen in einem neuen, gesteigerten, verinnerlichten Sein, in der Verbundenheit mit ihren Angehörigen, die am Grabe Zeugnis ablegen wollten, daß der geliebte und verehrte Tote das ihm Zustehende und ihn Auszeichnende — wie Schmuck, Musikinstrumente, Waffen, Strigiles — erhalten hatte 54 . Diese in die Gräber mitgegebenen Gegenstände mochten in manchen Fällen einst dem Verstorbenen gehört haben und so an sein vergangenes Leben erinnern, ihre besondere Bedeutung und Würde erhielten sie aber erst dadurch, daß sie geeignet waren, auch das neue, gesteigerte Sein der Verstorbenen zu verdeutlichen, was sie auch taten, wenn diese Gegenstände — wie im einzelnen erwiesen und in weiteren Fällen vorauszusetzen — gar keinen Bezug zum irdischen Leben der Verstorbenen hatten. Haben Buschor, Friis Johansen und Zanker bereits gesehen, daß eine Reihe von Grabreliefs den Verstorbenen mit seiner Totenspende darstellen, haben vor allem Buschor und Himmelmann-Wildschütz gezeigt, wie die Griechen das Eigene der Toten darzustellen verstanden, so scheinen mir diese Forschungen den Weg zu weisen zu der Erkenntnis, daß die Griechen am Grabe in ihrer Sorge um den Verstorbenen stärker von der Sicht auf das Jenseits als durch die Erinnerung der irdischen Vergangenheit bestimmt waren, auch wenn das eine das andere nicht auszuschließen brauchte. Karlsruhe

Jürgen Thimme

D E R SILBERTELLER VON AQUILEIA — KEIN 'HISTORISCHES R E L I E F ' Die Diskussion um die 1825 in Aquileia gefundene Silberschale in Wien (Abb. 1) hat in den letzten Jahren sehr lebhafte Formen angenommen 1 . In ihrem Mittelpunkt stand die Frage nach der Identifizierung der Hauptfigur mit einer historischen Persönlichkeit und die damit verbundene Datierung und Lokalisierung des Kunstwerkes; die Namen Marcus Antonius und Germanicus sind im Spiel, und wer sich mit H. Möbius für den ersten entscheidet, wird die Schale für alexandrinisch halten, während sie römisch ist, wenn Germanicus Hauptperson ist, wie F. Matz gegen die Argumente von Möbius zu beweisen sucht. Diese Kontroverse wird von einer breiten gemeinsamen Basis aus geführt, denn es besteht Einmütigkeit in der Interpretation des Schalenreliefs als Ganzem und im Einzelnen. Daß die Mittelfigur den Triptolemos darstellt, der opfert, bevor er den Schlangenwagen besteigt, daß diese Gestalt in der Mitte von Zeus, Demeter, den Jahreszeiten und Tellus umgeben

64

Vgl. K. Meuli in Phyllobolia für Peter von der Mühll 206: »Dieses Zurschaustellen der Trauerbeweise ist aus manchen Gründen gegenüber dem Toten und gegenüber der Gesellschaft ratsam, ja nötig; ist für alle Trauersitten bezeichnend.« Grabepigramme bezeugen, daß diese Ein-

stellung auch für die Griechen charakteristisch war, z.B.Peek a.O. 106. 164. 213. 1

H. Möbius in Festschrift für F. Matz (1962) 80 ff. Taf. 24—27; F. Matz in MarbWPr. 1964, 23ff. Taf. 12. 13; Möbius, AA. 1965, 867ff.

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gesteigerten Sein im Jenseits verschmolzen sein. Dennoch war nicht die »Verewigung menschlichen Soseins« und nicht »die Darstellung ihres Lieblingstuns aus ihren Lebenstagen« »den Alten stärkstes Bedürfnis« (Buschor), sondern die Beschwörung der Verstorbenen in einem neuen, gesteigerten, verinnerlichten Sein, in der Verbundenheit mit ihren Angehörigen, die am Grabe Zeugnis ablegen wollten, daß der geliebte und verehrte Tote das ihm Zustehende und ihn Auszeichnende — wie Schmuck, Musikinstrumente, Waffen, Strigiles — erhalten hatte 54 . Diese in die Gräber mitgegebenen Gegenstände mochten in manchen Fällen einst dem Verstorbenen gehört haben und so an sein vergangenes Leben erinnern, ihre besondere Bedeutung und Würde erhielten sie aber erst dadurch, daß sie geeignet waren, auch das neue, gesteigerte Sein der Verstorbenen zu verdeutlichen, was sie auch taten, wenn diese Gegenstände — wie im einzelnen erwiesen und in weiteren Fällen vorauszusetzen — gar keinen Bezug zum irdischen Leben der Verstorbenen hatten. Haben Buschor, Friis Johansen und Zanker bereits gesehen, daß eine Reihe von Grabreliefs den Verstorbenen mit seiner Totenspende darstellen, haben vor allem Buschor und Himmelmann-Wildschütz gezeigt, wie die Griechen das Eigene der Toten darzustellen verstanden, so scheinen mir diese Forschungen den Weg zu weisen zu der Erkenntnis, daß die Griechen am Grabe in ihrer Sorge um den Verstorbenen stärker von der Sicht auf das Jenseits als durch die Erinnerung der irdischen Vergangenheit bestimmt waren, auch wenn das eine das andere nicht auszuschließen brauchte. Karlsruhe

Jürgen Thimme

D E R SILBERTELLER VON AQUILEIA — KEIN 'HISTORISCHES R E L I E F ' Die Diskussion um die 1825 in Aquileia gefundene Silberschale in Wien (Abb. 1) hat in den letzten Jahren sehr lebhafte Formen angenommen 1 . In ihrem Mittelpunkt stand die Frage nach der Identifizierung der Hauptfigur mit einer historischen Persönlichkeit und die damit verbundene Datierung und Lokalisierung des Kunstwerkes; die Namen Marcus Antonius und Germanicus sind im Spiel, und wer sich mit H. Möbius für den ersten entscheidet, wird die Schale für alexandrinisch halten, während sie römisch ist, wenn Germanicus Hauptperson ist, wie F. Matz gegen die Argumente von Möbius zu beweisen sucht. Diese Kontroverse wird von einer breiten gemeinsamen Basis aus geführt, denn es besteht Einmütigkeit in der Interpretation des Schalenreliefs als Ganzem und im Einzelnen. Daß die Mittelfigur den Triptolemos darstellt, der opfert, bevor er den Schlangenwagen besteigt, daß diese Gestalt in der Mitte von Zeus, Demeter, den Jahreszeiten und Tellus umgeben

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Vgl. K. Meuli in Phyllobolia für Peter von der Mühll 206: »Dieses Zurschaustellen der Trauerbeweise ist aus manchen Gründen gegenüber dem Toten und gegenüber der Gesellschaft ratsam, ja nötig; ist für alle Trauersitten bezeichnend.« Grabepigramme bezeugen, daß diese Ein-

stellung auch für die Griechen charakteristisch war, z.B.Peek a.O. 106. 164. 213. 1

H. Möbius in Festschrift für F. Matz (1962) 80 ff. Taf. 24—27; F. Matz in MarbWPr. 1964, 23ff. Taf. 12. 13; Möbius, AA. 1965, 867ff.

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wird, das alles ist unbestritten. Die Wege trennen sich erst in dem Moment, in dem nach dem Namen der historischen Person gefragt wird, die sich hinter der Gestalt des Triptolemos, als 'neuer Triptolemos' verbirgt; die porträthaften Züge der Gestalt in Statur und Gesicht, sowie die drei kleinen Kinder neben ihm sind dabei die Ausgangspunkte, die zu so unterschiedlichen Schlüssen geführt haben. Wenn in dieser Beziehung keine Einigkeit erzielt werden konnte, so forderte doch die Hauptgestalt immer wieder zu Überlegungen in dieser Richtung heraus, weil sie so wenig der Vorstellung entspricht, die man sich von Triptolemos macht. Sie hat nicht »die mindeste Ähnlichkeit« mit ihm und »scheint eher einem Herakles als einem Triptolemos zu gleichen«2. Da auch die Kinder am Altar als auffallend3 eine besondere Erklärung verlangten, wurden sie mit in die Frage nach der Identität des Triptolemos einbezogen, wobei die Kinderzahl der jeweils vermuteten historischen Persönlichkeit eine Rolle spielte. Die sich dabei ergebende Schwierigkeit, daß man diese Kinder nicht gut als Kinder des Triptolemos ansehen kann, und sie infolgedessen in den Rahmen des vom Künstler gewählten Bildes nicht passen, blieb im Hintergrund, zumal man schnell eine andere Erklärung zur Hand hatte; die Kinder spielten Isis und Bakchos Pais 4 . Wird man hier nur ungern folgen6, so verliert man vollends den Boden unter den Füßen, wenn man sogar die Gestalt der Demeter als Livia, die Großmutter des dargestellten Germanicus6, oder als Kleopatra, die Gemahlin des Marcus Antonius7 interpretiert, wozu die ideale Göttergestalt von sich aus nicht den geringsten Anlaß gibt. Nur die ungewöhnliche Wiedergabe des Triptolemos bietet ein wirkliches Problem, und wenn man sie damit zu erklären versucht, daß die Schale »einen jungen Fürsten als neuen Triptolemos feiert«8 und die Erscheinungsform des Gottes sich der des Fürsten angepaßt hat, so ist dies durchaus eine Möglichkeit. Aber nicht die einzige, denn es bestünde, wenn einer vermuteten Deutung des Ganzen eine damit nicht vereinbare Erscheinung der Hauptfigur entgegensteht, Grund zu der Überlegung, ob denn eben diese Deutung auch richtig ist. Es besteht um so mehr Anlaß, das hier Versäumte nachzuholen, als auch die oben referierte mythologische Grunddeutung nicht alle Details der Darstellung erklärt. Wenn Zeus, der am Himmel über den Wolken auftaucht, auch nicht unbedingt in den eleusinischen Rahmen paßt, so wird man doch keinen Anstoß daran nehmen, daß der allgegenwärtige Gott auch hier nicht fehlt9. Demeter mit der Fackel, der Wagen des Triptolemos mit den geflügelten Schlangen, Tellus und die vier Jahreszeiten-Horen bieten der Deutung keine Schwierigkeiten, wenn auch auffällt, daß Tellus nur zusammen mit einem Rind, jedoch ohne Kinder erscheint. Die Schwierigkeiten beginnen aber bei der Gruppe des »Opferers und der Ministranten«; Möbius bemerkt richtig zu diesen: »hier fällt doch auf, daß sie besonders klein (etwa fünfjährig), daß sie merkwürdig kostümiert sind und daß ein Mäd-

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Möbius in Festschrift Matz 80. Möbius, AA. 1965, 873: »als das Originellste an dem Silberteller hat man immer die drei Kinder angesehen, die am Altar ministrieren«. Ebenda. Gegen die Auffassung, die Kinder seien bestimmte historisch faßbare (so Möbius in Festschrift Matz 89; AA. 1965, 873 f. und Matz in MarbWPr. 1964, 27), wenden sich R. Rostowtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im Römischen Kaiserreich I 214 und C. Picard, L'Antiqu. Class. 20, 1951, 356. 365 ff.

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Matz in MarbWPr. 1964, 27. So auch Voretzsch, RM. 64, 1957, 30 f. Möbius in Festschrift Matz 90 und AA. 1965, 875. Matz in MarbWPr. 1964, 23. Als »historisches Relief« bezeichnet Möbius, AA. 1965, 867 die Schale, die E. Simon, Die Portlandvase (1957) 62 ein »Silbergefäß mit politischem Dekor«, D. E. Strong, Greek and Roman Gold and Silver Plate (1966) 150 »propaganda court silver« nennen. Nur der dünne Stab in seiner Rechten wird von Möbius in Festschrift für F. Matz 83 als »sonderbar« vermerkt.

D E R S I L B E R T E L L E R VON AQUILEIA

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Abb. 1. Silberteller von Aquileia. Wien, Kunsthistorisches Museum

chen an dem Opferdienst teilnimmt« 10 . Mit der Deutung dieser Kinder als »kleine Opferdiener«11 hat man sich aber abgefunden mit der Annahme, durch sie solle der »Kindersegen« des neuen Triptolemos und sein Haus »in mehreren Generationen verherrlicht« 12 werden. Dieser Ausweg steht einer Betrachtung, die die Richtigkeit der Triptolemosdeutung überprüfen will, nicht offen, und das Ungewöhnliche dieser Kinder muß auch deswegen hervorgehoben werden, weil sie sich eben nicht wie Opferdiener benehmen. Sie drängen von der Seite und von hinten heran und zwei von ihnen — vielleicht auch das Mädchen — halten große Schüsseln in den Händen, die voll von runden Scheiben sind. Diese werden als 'Opferkuchen' verstanden, doch sind sie merkwürdig klein dafür 13 , und nicht ihre Form war für diese Erklärung entscheidend, sondern der Zusammenhang, in

10 11 13

Möbius a. O. 82. 12 Matz in M a r b W P r . 1964, 27. Ebenda. Wie Opferkuchen aussehen, zeigt das Relief der

14 A A . 1 9 6 7

U r n e Lovatelli, Möbius in F e s t s c h r i f t Matz 87 Taf. 25, 2; AA. 1965, 882. Sie sind in der H a n d des Herakles f a s t so groß wie eine kleine Schale.

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dem sie hier erscheinen, und weil der 'Opferer' in diese Schüsseln greift. Wie unrömisch dessen geringe Verhüllung in einer solchen Situation ist, wurde bereits bemerkt 14 , und gerade der verglichene Herakles der Urne Lovatelli 15 , der sich, so gut es geht, in sein Löwenfell hüllt, läßt erkennen, was römische Sitte hier vorschreibt. Aber der 'Opferer' kehrt auch den Kindern und dem Altar fast den Rücken und greift so lässig in die Fülle des ihm Dargebotenen, daß man deutlich spürt, wie fern seine Gedanken sind, wie wenig er 'opfert'. »Das Opfer gilt natürlich Demeter«16, so wird mehr aus dem angenommenen Zusammenhang als aus dem Bild selbst geschlossen. Eine Verbindung irgendwelcher Art besteht jedenfalls zwischen dem 'Opferer' und der Demeter nicht, und es fehlt eine Begründung für die Ansicht, Demeter sei als »Empfängerin der Spende doch völlig deutlich«, auch wenn »der Blick des Triptolemos infolge seiner Wendung aus dem Bild heraus die Göttin nicht trifft« 17 . Der Meister der Silberschale wäre ein sonderbarer Stümper gewesen, wenn er sein ganzes Werk unverständlich gemacht hätte, nur weil er für den Triptolemos einen Alexander-Typus als Vorbild verwenden wollte18. Denn so unehrerbietig kann der opfernde Triptolemos doch nicht sein, daß er die Demeter völlig ignoriert, und zu dem Verhältnis von Triptolemos und Demeter paßt es auch schlecht, daß die Göttin von dem Opfernden ebenfalls keine Notiz nimmt. Der 'Opferer' richtet aber seinen Blick weder auf Demeter noch auf den Altar, sondern läßt iHn ohne Ziel in die Weite schweifen. Von der ganzen Opferszene bleibt nur noch der Rundaltar. Ob es freilich ein Altar ist, kann nicht mit Bestimmtheit entschieden werden, wenn auch die Deutung Picards auf die eleusinische Ciste von Möbius19 mit Recht zurückgewiesen wurde. Aber kann dieser zylindrische Gegenstand mit der Reliefdarstellung des Raubes der Kore durch Pluton und den Früchten, die in reicher Fülle am oberen Rand angegeben sind, nicht eine tonnenförmige Ciste sein, ein Behälter wie der Kalathos links neben dem Mädchen ? Er wäre dann voll gefüllt zu denken, worauf auch der herabhängende Zweig deuten könnte. Aber selbst wenn sich der zylindrische Gegenstand einwandfrei als Altar erweisen sollte, so ist doch nicht zu übersehen, wie wenig er in die Handlung einbezogen ist; er steht da, fast ein wenig im Hintergrund, bildet jedenfalls nicht den Zentralpunkt der Gruppe und niemand macht sich an ihm zu schaffen 20 . Der Schluß, daß die Kinder keine Opferdiener sind, der 'Altar' kein zum Opfer benutzter, und daß die Hauptgestalt in ihrer fast herausfordernden Haltung und der mangelhaften Kleidung kein Opferer ist, daß also in diesem Punkte die bisherige Deutung fehlgeht, ist um so näherliegend, als die Hauptgestalt auch durch nichts erkennen läßt, daß sie sich zur Ausfahrt anschickt. Der Schlangenwagen wartet nicht auf seinen Herren, sondern die beiden Hören beschäftigen sich mit den Flügelschlangen in einer Weise, die nichts von einem bevorstehenden Aufbruch ahnen läßt; die eine füttert, die andere streichelt sie. Auch auf dieses Idyll wirft der 'Triptolemos' keinen Blick. Die Gruppe der Hören mit den

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16 17 19 20

E. Löwy in Studien zur Kunst des Ostens, Festschrift für J. Strzygowski (1923) 182 ff. Dazu Möbius in Festschrift Matz 80 Anm. 4. Möbius in Festschrift Matz 87 Taf. 25, 2; AA. 1965, 881f. Möbius in Festschrift Matz 82. 18 Ebenda. Ebenda. Möbius ebenda 83. Keinesfalls darf aber aus der Handlung ge-

schlossen werden, es handele sich u m einen Altar und nicht u m eine Ciste, weil es sinnlos wäre, »wenn die Frommen sie umständen wie die Opferer einen Altar« (Möbius a. O. 83). I m übrigen können selbst Altäre mit brennender Flamme in durchaus anderem Zusammenhang vorkommen, wie der Sarkophag mit Eros, Psyche und Kinderkomos (Matz, Ein römisches Meisterwerk, 19. Jdl.-ErgH. 1958, 83 Taf. I I b ) zeigt.

DER SILBERTELLER VON AQUILEIA

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Schlangen ist in sich geschlossen und nichts deutet auf eine plötzliche Unterbrechung der 'Handlung'. Doch verbindet man sofort den Schlangenwagen mit Triptolemos, für den er symbolisch stehen könnte, aber es muß auch bedacht werden, daß er ursprünglich das Gefährt der Demeter ist, das sie dem Triptolemos für seine Fahrt überläßt 21 . Die sich um das Rad des Wagens windenden Schlangen sind also nicht mit der Hauptfigur in Verbindung zu bringen in dem Sinne, daß sich daraus der Name Triptolemos ergäbe. Man wird, auch wenn man damit vor eine neue Frage gestellt wird, die Erkenntnis begrüßen, daß der so ungewöhnliche 'Triptolemos' eben offenbar jemand anderen darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt und um einer neuen Deutung den Weg zu bereiten, sind die ihn umgebenden Gestalten noch einmal im Zusammenhang zu betrachten. Gütig, und nicht ohne Interesse und Sorge scheint Zeus vom Himmel herabzublicken, und seine Stellung im Bilde macht deutlich, daß alles Übrige auf Erden seinen Schauplatz hat. Demeter, die Göttin des Ackerbaues, der Schlangenwagen als das Gefährt, mit dem die Kenntnis des Ackerbaus über die Erde verbreitet wurde, die vier Hören als die fördernden Kräfte der Natur, Tellus, die fruchtbare Erde selbst, mit einem Rind neben sich, das auf den Viehreichtum hinweist, gehören einer geschlossenen Vorstellungswelt an. Merkwürdigerweise fehlen der Tellus die Kinder, die sie sonst umgeben 22 , und die für diese Darstellung so wichtig sind, weil sie auf die Fruchtbarkeit erst richtig hinweisen. Doch fehlen sie nur an der gewohnten Stelle und tauchen dafür etwas weiter oben wieder auf, wo sie mit Gefäßen voll von Früchten als die Träger des Erntesegens charakterisiert sind. Wenn unter ihnen auch ein wohlgekleidetes Mädchen ist, so mag damit ein Hinweis auf die sich stets erneuernde Geschlechterfolge des Menschen anklingen 23 , doch befremdet unter diesen erotenhaften Knäblein die entsprechende psychenhafte Gestalt 24 keineswegs. Die Kinder sind jenen verwandt, die drei- bis vierjährig wie Eroten, teils mit, teils ohne Flügel auf römischen Sarkophagen 25 vorkommen. Auf dem Silberteller können es nur Personifikationen sein, die einen Bezug zu Tellus haben; auf einem Mosaik in Damaskus 28 ist ihnen die Bezeichnung »Karpoi« beigeschrieben. Sie symbolisieren also die Früchte der Erde, die sie selbst in den

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•4*

E. Ferhle in Roscher, ML. 5, 1137 s. v. Triptolemos. s. die Ära Pacis und das Relief aus Karthago (Matz in MarbWPr. 1964, 29 Taf. 14. 15), den Panzer des Augustus von Primaporta (H. Kahler, Die Augustusstatue von Primaporta [1959] 17 Taf. 20, 1). Bisher ist nur das Fehlen eines Schafes vermerkt und mit Raummangel erklärt worden (Möbius in Festschrift Matz 83). Die weitgehende Entblößung, die Möbius a. O. 83 damit erklärt, daß Tellus den Mantel zurückschlägt »um ihren Schoß zu entblößen und die Samenkörner aufzunehmen«, findet Entsprechungen auf der Schale von Parabiago (A.Levi, La Patera d'Argento di Parabiago [1935] 7 Abb. 7 Taf. 1. 2) und dem Mosaik aus Sassoferrato in München (Levi a. O. 8f. Taf. 4), aber auch auf der Gemma Augustea (A. Furtwängler, Die Antiken Gemmen II 257 Taf. 56). s. auch hier Anm. 26. Im Sinne der Erklärung von Matz, s. o. Anm. 12. Ein ähnlich gekleidetes Mädchen erscheint auf

25 26

einem Sarkophag (F. Matz, Ein römisches Meisterwerk, 19. Jdl.-ErgH. 1958, 98f.Taf. 16—, die Verbindung mit dem Altar ist nicht ursprünglich, s. Matz ebenda). Man vergleiche auch die Psychen zwischen den Eroten auf den Friesen des Vettier-Hauses (Matz a. O. 169 ff. Taf. 36). E. Strong, L'Arte in Roma Antica (1929) 246f. nennt die Kinder der Schale »psiche e gli amorini«. Matz a. O. 45. 84. Aus Philippopolis. Will, AASyr. 3, 1953, 27ff.; D. Levi, in EAA. V 225 Abb. 313 s. v. Mosaico. Die Vierzahl der Karpoi, die die Ge umgeben (auch sie inschriftlich bezeichnet), erinnert an die Jahreszeitenpersonifikationen, die auf der Schale von Parabiago (s. o. Anm. 22) noch neben den beiden Tellus-Kindern für sich, aber mit deutlicher Ähnlichkeit in ihrer Bildung erscheinen. Auf dem Mosaik in München (s. o. Anm. 22) umgeben die Jahreszeiten-Kinder die Tellus, wie die Karpoi auf dem Mosaik in Damaskus.

218

GERMAN

HAFNER

Gefäßen tragen, und umtanzen die Mutter Erde. Auf der Silberschale haben sie sich von ihr getrennt, um die Früchte der großen Gestalt in der Mitte zu bringen. Dabei vollzieht sich ein Wandel; unter ihren Händen und nachdem vielleicht ein Teil der Früchte auf einem Altar geopfert wurde (wenn die Deutung auf einen Altar aufrecht erhalten werden soll), werden sie zu klingender Münze. Denn was in den Schüsseln hegt, ist gemünztes Geld27. Der Reichtum der Welt hat seinen Quell in der Fruchtbarkeit der Erde, nach alter und nie vergessener Erkenntnis. Daher ist auch Plutos, der Gott des Reichtums, in der eleusinischen Kultgemeinschaft verehrt worden, als der Sohn der Demeter 28 . Dieser Gott lebt in einer wunderlichen Mischung von Göttlichkeit, Personifikation und Zauberwesen, wobei die naheliegende Identifizierung mit Pluton, dem Gott der Unterwelt und der dort ruhenden Schätze, zu weiteren Überschneidungen führt. Pluton, der unmißverständlich auf dem zylindrischen Gegenstand dargestellt ist, mag daher als ein weiterer Grund angesehen werden, die Hauptgestalt des Tellers als Plutos, den Gott des Reichtums, anzusprechen. Freilich ist er hier ein anderer, als das Kind auf dem Arm der Eirene, das Kephisodotos gestaltet hat, und wie wir es uns wohl auf Grund von Vasenbildern vorstellen. Doch paßt das Bild von dem Kind nicht gut zu den Vorstellungen, die man sich im Altertum von Plutos machte. Zwicker29 kommt nach den Angaben in der antiken Literatur zu dem Ergebnis, daß man sich ihn nicht als Kind, sondern »am ehesten als kraftgeladenen Mann denken« muß. Dies paßt gut zu der Gestalt des Silbertellers, der Möbius30 »Vitalität und Energie, hochfahrendes und ungeistiges Wesen« bescheinigt. Auch erinnert die Fülle der Früchte um ihn herum an die Verse des Aristophanes 31 : »Die Behälter sind gefüllt mit weißer Gerste und die Krüge mit schwarzem, duftendem Wein, alle Geräte sind — o Wunder! — voll von Gold und Silber.« Gold und Silber befinden sich hier in den Schüsseln, in die Plutos hineingreift, nicht um sich den Inhalt anzueignen, sondern um ihn zu verteilen, als der große Reichtumspender. Wohlgestaltet und liebenswürdig, doch auch blind ist Plutos 32 nach antiker Vorstellung. Es muß offen bleiben, ob der Künstler des Tellers auch diese Blindheit durch den merkwürdig verschwimmenden Blick 33 hat andeuten wollen; auf eine totale Vergoldung der Gestalt hat er verzichtet, wohl weil das Bild von dem Plutos xpwoüs öAos34 literarisch ist und sie das einheitliche Bild des Tellers mit seinem Wechsel von silbernen und vergoldeten Teilen zu sehr gestört hätte. So vergoldete er nur das Gewand 35 wie bei den anderen

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28

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31 32

Die gleichen runden Scheiben, wenn auch in etwas anderer Anordnung, befinden sich in der Hand der »Megalopsychia«, und in dem Gefäß in ihrer Rechten auf dem Mosaik aus Antiochia, D. Levi, Antioch Mosaic Pavements (1947) Tai. 76b; es sind sicher Münzen, die die »Großherzigkeit« unter die Leute wirft. s. auch zu dem folgenden J. Zwicker in RE. X X I 1027 ff. s. v. Plutos. Ebenda 1041. Diese auf Marcus Antonius gemünzten Worte glaubt Möbius, AA. 1965, 870 auch auf diese Gestalt beziehen zu können. Plutos 804S. Quellen bei Zwicker in RE. X X I 10451

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Der »pathetische Blick der mittelgroßen Augen, der innen durch die tiefe Einbettung beschattet ist« (so Matz in MarbWPr. 1964, 26) erinnert an den 'Blinden Homer'. Bei Lukian, s. Zwicker a. O. 1046. Über die Vergoldungen stellte mir Herr Dr. W. Oberleitner das Ergebnis seiner Untersuchungen am Original, dessen Oberfläche nur durch metallische Ausblühungen geringfügig gelitten hat, zur Verfügung, wofür ihm herzlich gedankt sei: Mittelfigur: Gewand Schlangenwagen: Flügel, Rad (mit Ausnahme der Speichen) 'Rundaltar': Zweig, Reliefverzierung, Opfergaben

DER SILBERTELLER VON AQUILEIA

219

Gestalten auch. Die Blindheit, von Zeus aus Neid hervorgerufen 36 und Grund für den Reichtum der Unwürdigen und die Armut derer, die ihn verdient hätten, ist durch die Komödiendichter weidlich ausgenützt worden. Doch steht hinter ihrer negativen Schilderung die positive, daß nämlich Zeus dem Blinden die richtige Richtung weise. So gewinnt auch die Gestalt des Zeus auf dem Teller einen neuen Sinn. Er schaut vom Olymp herab, um das Tun des Plutos zu überwachen. Bei Lukian 37 befiehlt Zeus ihm, zu einer bestimmten Person zu gehen und ihm den Reichtum zu bringen; Hermes soll ihm dabei den Weg zeigen. Und als Plutos eigenwillig zögert, da muß Zeus seinen Befehl noch einmal ausdrücklich wiederholen. Hier sichert die Aufmerksamkeit des Zeus, daß Plutos auch in seiner Blindheit den richtigen Weg findet und den von der Erde durch die Gaben der Demeter, des Triptolemos und der Hören hervorgebrachten Reichtum nicht sinnlos verteilt 38 . Mit dieser Deutung des Silbertellers und besonders der Hauptfigur erübrigt sich jede Spekulation, die aus dem Kunstwerk ein historisches Relief machen will. Die Eigenart der Gestalt erklärt sich ganz aus sich, und durch sie fügen sich auch die anderen Teile des Reliefs zu einem einheitlichen Gedanken zusammen. Gedanklich muß dieses Bild aufgenommen werden, das keineswegs nur eine Vorstufe ist für jene Darstellungsart 39 , die aus einzelnen Bildelementen nicht ein schaubares, naturalistisches Ganzes zusammenfügt, sondern eine verstandesmäßig ablesbare und zu einem Gedanken auflösbare Komposition. Der hier Gestalt gewordene Gedanke paßt nicht schlecht zu einem so kostbaren Gefäß wie dem Silberteller von Aquileia.

Mainz

36 37 38

Zeus: Gewand, Blitz Hören über dem 'Altar': rechte: Ähren im Haar, Mantel linke: Mantel (Untergewand nicht vergoldet) Kinder am 'Altar': Mädchen: Kalathos, Gewand (geringe Reste von Vergoldung) vorderer Knabe: Fell Die Gegenstände in den Schalen Tellus: Mantel Kuh: Horn ? (sehr geringer Rest) Kniende Höre: Gewand, Schale Höre: dahinterstehend: Gewand, Schilfkranz Demeter: Mantel, Fackel (geringe Reste), Olivenbaum (geringe Reste) Aristophanes, Plut. 87 ff. Timon 10. 11. Vielleicht ergibt sich jetzt eine Möglichkeit, den

German Hafner

39

dünnen Stab (s. o. Anm. 9), der oben spitz zuläuft und also nicht die normale Form eines Zepters hat (Möbius in Festschrift Matz 83), zu erklären. Dieser Stab kommt zwar ähnlich auf einer Zeichnung einer Tonlampe in der Hand des Jupiter vor (A. B. Cook, Zeus I 712 Abb. 652), doch kann das dort an der Flüchtigkeit der Arbeit oder der Ungenauigkeit der alten Zeichnung liegen. Auf dem Silberteller, der in den Details genau ist, hat der Stab in der Hand des Zeus die Form eines Kentron; sollte nicht damit die Lenkgewalt des Zeus angedeutet sein ? Zur Bedeutung des Stabes als Zeichen überirdischer Macht s. auch F. J. M. de Waele, The Magic Staff or Rod in Graeco-Italian Antiquity (1927). So Möbius in Festschrift Matz 96 unter Berufung auf B. Schweitzer, Jdl. 46, 1931, 192 Anm. 1.

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JUTTA

MEISCHNER

Abb. 1. Porträt des Volusianus. Northampton, Smith College Museum

E I N P O R T R Ä T DES K A I S E R S VOLUSIANUS Der lebensgroße Kopf (Abb. 1—3), 1949 für das Smith College Museum in Northampton gekauft 1 , ist ein ausgezeichneter Vertreter der sog. gallienischen Renaissance. In der äußeren Anlage wie im Stil der Formung — man vgl. Haar- und Barttracht sowie den oblongen Gesichtsschnitt einerseits, die Plastizität der Lockenangabe und der weich bewegten Gesichtsmodellierung andererseits — deckt sich der Kopf mit dem frühen 1

B. Felletti Maj, Iconografia Romana Imperiale (im folgenden = Iconografia) Nr. 305 ; Vermeule, Dumbarton Oaks Papers ( = DOP.) 15, 1961, 7

Abb. 12; M. Milkovich, A Loan Exhibition Nr. 32 mit Abb. — Der rechte Teil des Hinterkopfes ist abgeschlagen, sonst gut erhalten.

EIN PORTRÄT DES KAISERS VOLUSIANUS

221

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JUTTA

MEISCHNER

EIN PORTRÄT DES KAISERS VOLUSIANUS

223

Gallien-Porträt 2 . Allein diese Kennzeichen hoher Qualität und des für die Zeit Galliens charakteristischen Stils regten dazu an, die bedeutende Neuerwerbung mit einer Münze des jugendlichen Gallien zu vergleichen und so die Identität mit dem Kaiser festzustellen 3 . Die Methodik dieser Zuweisung ist nun aber zu lückenhaft, als daß ihr Ergebnis nicht von mehreren Seiten her anfechtbar wäre: Es ist unzulässig, ein bislang unbekanntes Kaiserporträt ausschließlich anhand von Münzen zu identifizieren, wenn eindeutig benannte plastische Bildnisse des betreffenden Kaisers vorhanden sind. Aber, selbst wenn der ikonografische Vergleich des neuen Stückes mit den Porträtplastiken Galliens durchgeführt worden wäre, entbehrte eine Zuweisung auf Grund von physiognomischer Übereinstimmung bündiger Beweiskraft. Denn der Kopf in Northampton ist in keiner Weise als offizielles Kaiserporträt ausgewiesen worden; Repliken werden nicht angeführt. Bereits B. Felletti Maj distanziert sich in ihrem umfangreichen Handbuch zur Kaiserikonografie des 3. Jhs. von der Zuschreibung des Northamptoner Kopfes an Gallien und ordnet ihn in die noch zu diskutierende Reihe der Gallien-Porträts ein4. H. Jucker schließlich lehnt die Identifizierung ab 6 , während C. Vermeule die durch M. Leeb vorgenommene Benennung diskussionslos anerkennt 6 . Sollte nun die Annahme, das Porträt in Northampton stelle ein Kaiserbildnis dar, zutreffen, so müssen sich erfahrungsgemäß Repliken aufweisen lassen, die im Denkmälerbestand noch unerkannt geblieben sind. Das ist in der Tat der Fall: Denselben Porträttypus wie der Kopf im Smith College geben der einer modernen Panzerbüste aufgesetzte Kopf in Wien (Abb. 4. 5)7 sowie der 'Aurigia' des Thermenmuseums in Rom wieder (Abb. 6—8)8. Das Wiener Bildnis wurde kürzlich ebenfalls auf Gallien bezogen9. Auch diese Zuweisung geht lediglich von der stilistischen Aussage des Kopfes aus, die in die Epoche des jugendlichen Gallien weist. Eine ikonografische Prüfung anhand der gesicherten Porträts dieses Kaisers ist unterblieben. Ohne eine Typenzuordnung des Wiener Stückes vorzunehmen, hebt E. Reschke den Kopf nur formal von dem bekannten jugendlichen Gallien in Berlin ab. Der 'Auriga' in Rom ist von Felletti Maj zwar als Darstellung eines hohen Staatsbeamten gedeutet, aber meines Wissens nie als offizielles Kaiserbildnis angesprochen worden. Soweit ich sehe, ist die Zusammengehörigkeit dieser drei Porträts als Wiedergabe jeweils derselben Person, auf denselben Bildtypus zurückgehend, bisher übersehen worden. Diese scheint uns evident zu sein. Man vergleiche die merklich eingefallenen Wangen, die tiefliegenden Augen unter kräftig ausgebildeten Keulenlidern 10 . Über den inneren Augenwinkeln markieren sich leicht wulstige Stirnmuskeln. Charakteristisch ist weiter die kurze Oberlippe und die aufgeworfene Unterlippe, ein persönlicher Zug, der u. a. zur Identifizierung des Kopfes führen wird. Den überzeugendsten Nachweis für Typengleichheit bilden Einzelheiten der Haaranordnung: so an den Stücken in Northampton und Rom die

2 3

4 6 6 7

Felletti Maj, Iconografia Nr. 289—291. Leeb, Smith College Mus. of Art Bull. 29—32, 1951, 8 ff. Abb. 1—3. Iconografia Nr. 305. AntK. 2, 1959, 60 Anm. 24. Vgl. Anm. 1. E. v. Sacken—F. Kenner, Die Sammlungen des k. k. Münz- und Antiken-Cabinetes Taf. 25 Nr. 159. — Ein Teil der Nase und der Unterilppe sind ergänzt ; die Oberfläche ist geputzt. Unsere Abb. 4. 5 mit freundl. Genehmigung von R. Noll.

8

B. Felletti Maj, Museo Nazionale Romano, I Ritratti Nr. 300; dies., B d ' A . 2, 1948, 97ff. Abb. 1 . 2 . — Der Kopf ist in ausgezeichnetem Erhaltungszustand.

9

E. Reschke, Römische Sarkophagkunst zwischen Gallienus und Constantin dem Großen in F. Altheim—R. Stiehl, Die Araber in der Alten Welt III 380f„ Titelfoto.

10

Aufschlußreich der Vergleich des Halbprofils unserer Abb. 6 mit DOP. a. O. Abb. 12.

224

JUTTA

MEISCHNER

Abb. 6. Porträt des Volusianus, Typus Northampton. Rom, Thermenmuseum

Zange in Stirnmitte. Die Horizontale der Haargrenze auf der Stirn wird über der rechten Schläfe als Stufe weitergeführt; das Schläfenhaar bildet jeweils eine nach vorn geöffnete Welle, während sich die Haarschicht über dem Ohr in rückwärts gerichtete Locken staut. Solche zurückgeschobenen verdickten Locken gibt es auch an der linken Ecke der Stirn und im Nacken des Wiener Kopfes. In der Wiedergabe der Haaroberfläche ähneln sich die Stücke in Wien und Rom darin, daß feine Ritzungen durchgeführt sind, während an dem in Northampton die Strähnen plastisch gegeneinander abgesetzt sind. Auch die Wiedergabe des Bartes stimmt an den Wiederholungen in Wien und Rom miteinander in der knötchenartigen Lockenwiedergabe überein, während die Replik in Northampton den krausen Bart mit einigen flachen Bohrlöchern durchsetzt zeigt; ihre eigenständigere Arbeit äußert sich auch an der deutlich auf den Hals übergreifenden Breite des Bartes. Der Schnurrbart ist jeweils nur dünn angegeben und greift über die Mundwinkel nach unten aus. Die tadellos erhaltenen Nasen der beiden letztgenannten Köpfe bieten weitere Vergleichpunkte im Profil.

E I N P O R T R Ä T DES KAISERS VOLUSIANUS

225

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JUTTA

ME I S C H N E R

Nachdem die offizielle Geltung der drei betrachteten Porträts durch Typengleichheit nachgewiesen werden konnte, sind wir genügend autorisiert, nun nach dem Namen des Dargestellten zu fragen. Zwei Exemplare der hier zusammengestellten Dreierreihe sind, wie oben bereits erwähnt, unabhängig voneinander auf Kaiser Gallien bezogen worden. Von Gallien gibt es zwei gesicherte Bildnistypen 11 . Stil und Komposition dieser beiden Fassungen divergieren in ungewöhnlichem Maße. Gleichwohl lassen sich für die Ikonografie Galliens verbindliche Merkmale des Gesichtsschnitts aufweisen, die beiden Fassungen gemeinsam sind: Das sind Abb. 9. Sesterz des das Mundprofil, dessen dünnere Oberlippe merklich über Volusianus Augustus die Unterlippe hinausreicht, sowie das steile, nahezu senkrechte Stirnprofil 12 . Und hier liegt das Kriterium, an dem eine Zuweisung der Replikenreihe Northampton—Wien—Rom an Gallien scheitern muß. Das an dieser Reihe sich abzeichnende Profil der kurzen Oberlippe, und der etwas aufgeworfenen Unterlippe hat eine der Physiognomie Galliens genau entgegengesetzte Anlage. Auch die Stirn zeigt nicht das steil senkrecht verlaufende Profil, schwenkt vielmehr über der Nasenwurzel vor und weicht im oberen Teil zurück. Zur ikonografischen Bestimmung des Porträttypus Northampton—Wien—Rom stehen uns nunmehr ausschließlich die Kaisermünzen zur Verfügung. Außer den physiognomischen Charakteristika des leicht schrägen Stirnprofils und der vorstehenden Unterlippe bietet das Bildnis zwei weitere Anhaltspunkte für eine Identifizierung: Der kurze Bart ist — ähnlich dem des früheren Gallien-Porträts —• bewußt in seiner lockeren Natürlichkeit herausgearbeitet; die einzelnen Strähnen und Locken sind plastisch durchmodelliert. Dieser äußere Zug der lockigen Barttracht spiegelt den gleichen Zeitgeschmack wie die formale Durchführung von Kopfbau und Detailmodellierung in fließend rhythmisierten Konturen und einer vielfältigen Oberflächenvibration, in die auch die Gesichtsorgane einbezogen, nicht aber hervorgehoben werden. Der Begriff der 'gallienischen Renaissance' ist, wie längst erkannt wurde, in Nomen und Epitheton nicht zutreffend formuliert 13 . G. Bovini verlegt ihren Beginn anhand der Münzen auf das Porträt Kaiser Volusians vor 14 . Diese Beobachtung, auf die Münzen des Volusianus Augustus beschränkt, überzeugt (Abb. 9)1B. An den Münzen des Volusianus Augustus also sind — nachdem die S t i l g l e i c h h e i t im Sinne der 'Renaissance* sowohl am Porträttypus Northampton wie an den Münzen festgestellt wurde — die für unsere Replikenreihe herausgestellten i k o n o g r a f i s c h e n Merkmale zu prüfen: Haartracht, 11

12

Den des jugendlichen Gallien, im Stil der 'Renaissance' gearbeitet, Felletti Maj, Iconografia Nr. 289—291, und den späteren, ebenda Nr. 292—296. H. P. L'Orange, Studien zur Geschichte des spätantiken Porträts Abb. 10. 11; Dusenbery, Marsyas 4, 1945—47, Abb. 4. 6. 10. 11; Felletti Maj, Iconografia Abb. 136; Vermeule, DOP. 15, 1961, Abb. 13.

13

14

15

Mathew, JRS. 33, 1943, 67; Dusenbery a. O. 13; Felletti Maj, Iconografia S. 208; HimmelmannWildschutz in Festschrift Matz 112; Reschke a. O. 380. MonAnt. 39, 1943, 199. 220f. 347; Scerrato, ArchCl. 6, 1954, 162; vgl. aucli Felletti Maj, Iconografia S. 208. Abb. 9 nach R. Delbrueck, Die Miinzbildnisse von Maximinus bis Carinus Taf. 11, 4; vgl. auch ebenda Taf. 11,8.

EIN PORTRÄT DES KAISERS VOLUSIANUS

227

Mund- und Stirnprofil. Ein Vergleich des gelockten Bartes hier und dort sowie des die Schläfen voll überdeckenden Haares fällt positiv aus. Endlich finden sich an den sorgfältiger geschnittenen Stempeln die bei Gallien vermißten Züge von Stirn- und Lippenprofil, wie sie oben S. 223, 226 beschrieben wurden. Unser Bildnis stellt einen nicht mehr so jugendlichen Mann dar, wie ihn R. Delbrueck nach den Münzen beschreibt. Daß Volusian nur etwa 20 Jahre alt geworden 16 , d. h. »um 230« geboren sei17, ist wohl Hypothese. Literarisch ist über sein Alter keinerlei Aussage überliefert. Felletti Maj und Bovini entscheiden sich in den Interpretationen seines Münzbildes für reifes Mannesalter 18 . Sämtliche bisher vorgenommenen Zuschreibungen an Volusian sind von Felletti Maj mit Recht nur unter Vorbehalt aufgenommen worden19, da der Nachweis für ein Kaiserporträt (etwa durch Repliken, Attribute 20 , überlebensgroße Maße, Fundzusammenhang oder ehemaligen Aufstellungsort) bei keinem der Beispiele erbracht ist. Der Stil des hier vorgelegten VolusianA b b 1 0 . P r i v a t p o r t r ä t , e t w a 240 n. Chr. Porträts gibt einen eindeutigen Hinweis für R o m , Museo N u o v o die zeitliche Beurteilung der 'gallienischen Renaissance'. Die so bezeichnete Stilströmung wurde zwar von Kaiser Gallien gepflegt, zeitigte ihre schönsten Beispiele aber offenbar schon vor dessen Regierungsantritt. Auch der Begriff der Renaissance als solcher sollte für die hier vorliegenden kunstgeschichtlichen Gegebenheiten nicht verwendet werden. Eine Renaissance kennzeichnet sich darin, daß sie die zeitgenössische Kunstentwicklung abbricht, indem sie historische, als klassisch empfundene Formen an ihre Stelle setzt, die fortan den Zeitgeschmack prägen. Eine Rückorientierung auf den augusteischen Klassizismus ist gegen Mitte des 3. Jhs. zweifelsfrei zu beobachten. Wird aber mit dieser Rückorientierung die voraufliegende Entwicklung abgebrochen? Greift nicht vielmehr schon das spätere Gallien-Porträt auf diese wieder zurück 21 ? Wie stellt sich uns die kunstgeschichtliche 16

Delbrueck a. O. 43.

17

R E . V i l i A 2, 1996 (Enßlin).

18

Iconografia S. 207f.; M o n A n t . 39, 1943, 197.

19

Iconografia Nr. 270—279.

20

'Heroische N a c k t h e i t ' k a n n nicht als Indiz f ü r ein Kaiserbildnis g e w e r t e t werden, d a sie a u c h f ü r p r i v a t e G r a b s t a t u e n belegt ist, wie e t w a die

21

O m p h a l e im Vatikan, V a t . Mag. K a t . Nr. 727 Taf. 113. Der Cacciatore im Museo Capitolino b r a u c h t also nicht auf einen Kaiser oder Prinzen g e d e u t e t zu werden, wie es W . Fuchs, AA. 1966, 76 ff. versuchte. Siehe H . P. L'Orange, Studien zur Geschichte des s p ä t a n t i k e n P o r t r ä t s 35 ff.; Bovini a. O. 350 A n m . 8 (Schlosser) 355 f.

228

GERDA

BRUNS

Situation der vorangehenden Zeit überhaupt dar? Den Ausdruck: Renaissance zu rechtfertigen, schien die Konfrontierung ihrer Vertreter mit den Porträts des Decius im Museo Capitolino und des Gallus im Museo Gregoriano22, Exponenten der realistischen Kunstströmung römisch-italischer Prägung23. Daß neben dieser Strömung in Rom selbst aber seit Alexander Severus klassizistische Tendenzen nie abgeebbt sind, hat B. Schweitzer24 gezeigt. Die letztgenannte von mir als 'Senatsstil' interpretierte Richtung umfaßt auch stadtrömisch orientierte Bildnistypen von Soldatenkaisern26. Zwischen dem gegen 240 einzuordnenden Kopf im Museo Nuovo (Abb. 10) und dem von H. v. Heintze als Trebonianus Gallus angesprochenen, rund zehn Jahre jüngeren Kopf der Ny Carlsberg-Glyptothek28 einerseits und dem Volusian-Porträt andererseits liegt gewiß kein derartiger Stilbruch, der zu der Bezeichnung einer Renaissance berechtigte. Berlin

J u t t a Meischner

KABIRENHEILIGTUM BEI

THEBEN

VORLÄUFIGER BERICHT ÜBER DIE GRABUNGSKAMPAGNEN 1 9 6 4 — 1 9 6 6

Mein Dank für die Möglichkeit, in der Berichtszeit jedes Jahr Grabungen durchzuführen, sei gleichermaßen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Mittel voll zur Verfügung stellte, wie dem Herrn Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts für seine Unterstützung ausgesprochen. Mein Dank gilt ebenso den Abteilungen Athen und Rom, die vielfache Hilfe leisteten. Die Leitung der griechischen Antikenverwaltung und insbesondere die die Ephorie Theben verwaltenden Damen E. Touloupa (1964 und 1965) und B. Philippaki (1966) mit ihren Helfern am Museum in Theben haben mich durch Unterstützung der Arbeiten aufs lebhafteste verpflichtet. Dadurch, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft zusätzlich zu den Mitteln für die Grabung im Sommer 1965 auch Geld für die Errichtung einer Arbeitsbaracke zur Verfügung stellte, sind seit der Herbstkampagne dieses Jahres die Arbeitsbedingungen wesentlich günstiger; es besteht jetzt die Mögüchkeit zur Durcharbeitung der Funde am Ort als Vorbereitung für die Veröffentlichung. Außerdem können empfindliche Kalksteine mit nur wissenschaftlichem Wert, für die im sehr beengten Museum in Theben kein Platz zur Aufbewahrung ist, geschützt unter der Betonbodenplatte gelagert werden. Den Entwurf für die Baracke zeichnete Dipl.-Ing. G. Schneider; die Durchführung übernahmen unter seiner Leitung örtliche Kräfte. Die Baracke enthält einen größeren und einen kleineren Arbeitsraum und eine kleine Küche. Die angebaute Terrasse dient für die gemeinsamen Mahlzeiten und als zusätzlicher Arbeitsplatz. In der Zeit zwischen den Kampagnen wohnt der Wächter dort. 22 23 24

Felletti Maj, Iconografia Nr. 235 und 259. L'Orange a. O. 4 fi. Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 5, 1954, 173ff. ( = B. Schweitzer, Zur Kunst der Antike

26 26

II 265ff.). Vgl. oben S. 43 ff. D. Mustilli, II Museo Mussolini 112, 27; Felletti Maj, Iconografia Nr. 105.

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GERDA

BRUNS

Situation der vorangehenden Zeit überhaupt dar? Den Ausdruck: Renaissance zu rechtfertigen, schien die Konfrontierung ihrer Vertreter mit den Porträts des Decius im Museo Capitolino und des Gallus im Museo Gregoriano22, Exponenten der realistischen Kunstströmung römisch-italischer Prägung23. Daß neben dieser Strömung in Rom selbst aber seit Alexander Severus klassizistische Tendenzen nie abgeebbt sind, hat B. Schweitzer24 gezeigt. Die letztgenannte von mir als 'Senatsstil' interpretierte Richtung umfaßt auch stadtrömisch orientierte Bildnistypen von Soldatenkaisern26. Zwischen dem gegen 240 einzuordnenden Kopf im Museo Nuovo (Abb. 10) und dem von H. v. Heintze als Trebonianus Gallus angesprochenen, rund zehn Jahre jüngeren Kopf der Ny Carlsberg-Glyptothek28 einerseits und dem Volusian-Porträt andererseits liegt gewiß kein derartiger Stilbruch, der zu der Bezeichnung einer Renaissance berechtigte. Berlin

J u t t a Meischner

KABIRENHEILIGTUM BEI

THEBEN

VORLÄUFIGER BERICHT ÜBER DIE GRABUNGSKAMPAGNEN 1 9 6 4 — 1 9 6 6

Mein Dank für die Möglichkeit, in der Berichtszeit jedes Jahr Grabungen durchzuführen, sei gleichermaßen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die die Mittel voll zur Verfügung stellte, wie dem Herrn Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts für seine Unterstützung ausgesprochen. Mein Dank gilt ebenso den Abteilungen Athen und Rom, die vielfache Hilfe leisteten. Die Leitung der griechischen Antikenverwaltung und insbesondere die die Ephorie Theben verwaltenden Damen E. Touloupa (1964 und 1965) und B. Philippaki (1966) mit ihren Helfern am Museum in Theben haben mich durch Unterstützung der Arbeiten aufs lebhafteste verpflichtet. Dadurch, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft zusätzlich zu den Mitteln für die Grabung im Sommer 1965 auch Geld für die Errichtung einer Arbeitsbaracke zur Verfügung stellte, sind seit der Herbstkampagne dieses Jahres die Arbeitsbedingungen wesentlich günstiger; es besteht jetzt die Mögüchkeit zur Durcharbeitung der Funde am Ort als Vorbereitung für die Veröffentlichung. Außerdem können empfindliche Kalksteine mit nur wissenschaftlichem Wert, für die im sehr beengten Museum in Theben kein Platz zur Aufbewahrung ist, geschützt unter der Betonbodenplatte gelagert werden. Den Entwurf für die Baracke zeichnete Dipl.-Ing. G. Schneider; die Durchführung übernahmen unter seiner Leitung örtliche Kräfte. Die Baracke enthält einen größeren und einen kleineren Arbeitsraum und eine kleine Küche. Die angebaute Terrasse dient für die gemeinsamen Mahlzeiten und als zusätzlicher Arbeitsplatz. In der Zeit zwischen den Kampagnen wohnt der Wächter dort. 22 23 24

Felletti Maj, Iconografia Nr. 235 und 259. L'Orange a. O. 4 fi. Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 5, 1954, 173ff. ( = B. Schweitzer, Zur Kunst der Antike

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II 265ff.). Vgl. oben S. 43 ff. D. Mustilli, II Museo Mussolini 112, 27; Felletti Maj, Iconografia Nr. 105.

Abb. 1. Kabirenheiligtum bei Theben. Plan, Stand der Grabung 1966

vorhellenistisch E22I

hellenistisch und später

E23

römisch; Mörtelmauerwerk

BESSS Bauten (noch undatiert) ergänzt noch nicht ausgegraben aus dem Plan 1888 übernommen Stufenunterlager 1 Tempel 2 Rechteckbau 3 »Ältere Grenzmauer« 4 Säulenstellung 5 Altar? 6 Theater 7 Ältere C a v e a ? 8 Älterer M a u e r z u g 9 Später Ziegelraum 10 Apsisbau 11 »Torbau« 12 Unterer Rundbau 13 Halle 14 Hellenistische Mauerzüge 15 Römische Theaterumfassungsmauer 16 Älterer Nischenbau 17 Opfergruben 18 Mittlerer Rundbau 19 Kanal 20 Kanal becken 21 Römische Ostanlage 22 Brunnen 23 Südostanlage 24 Südwestanlage 25 Ziegelbecken 26 Impluviumbau 27 R a u m südlich älterem Nischenbau Niv. 35,59 28 Kurvenbau westlich Rundbau 18 29 Kurvenbau südöstlich Rundbau 18

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KABIRENHEILIGTUM BEI THEBEN

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Ich spreche der Deutschen Forschungsgemeinschaft gern auch hier meinen Dank für diese großzügige Förderung der Arbeiten aus. Mitarbeiter bei der Kampagne vom 9. Mai bis 30. Juni 1964 waren G. Krien-Kummrow, cand. phil. W.-D. Heilmeyer, cand. phil. H. J. Deckers als Archäologen; cand. arch. H. Fast je als Architektin, Th. Duncker als Photograph. Goldschmiedemeisterin I. Bruns hatte als freiwillige Helferin die Führung der Küche und die Rechnungsarbeiten sowie anfallende Hilfsarbeiten übernommen. Im Winter führte die Zeichnerin Th. Kemper in Rom Planzeichnungen aus. An dem Sommerabschnitt der Kampagne 1965 vom 10. April bis 30. Juni nahmen teil als Archäologen: G. Krien-Kummrow (vom 18. Mai bis 30. Juni), cand. phil. H. Holzhausen, stud. phil. Ch. Strube, E. M. Klaiber, S.-G. Groeschel; alsArchitekt Dipl.-Ing. G. Schneider und die Zeichnerin Th. Kemper; als Photograph Th. Duncker. Auch I. Bruns stellte ihre Hilfe wieder zur Verfügung, besonders bei den durch den Barackenbau schwierigen Abrechnungsarbeiten. G. Schneider und Th. Kemper arbeiteten in den Monaten Juli und August zunächst noch im Kabirion, dann in Athen an den Aufnahmeplänen. Im Herbstabschnitt der Kampagne 1965 vom 1. September bis 3. November übernahmen die archäologischen Aufgaben Ch. Leon, cand. phil. H. Holzhausen und cand. phil. H. J. Deckers, der auch die photographischen Aufnahmen im Gelände machte. G. Schneider und Th. Kemper führten wieder die Architekturaufnahmen durch. Für Gesamtaufnahmen und das Photographieren der Kleinfunde stellte die Abteilung Athen für vier Tage ihren Photographen A. Tzimas zur Verfügung. Th. Kemper führte im Winter in Rom wieder einige Zeichnungen und Ordnungsarbeiten durch. Die Sommerkampagne 1966 begann am 29. April und dauerte bis zum 16. Juli. I. Bruns unterstützte die Unterzeichnete wie in den Jahren 1964 und 1965 und führte Gefäßzeichnungen aus. Vom 1. Mai bis 30. Juni führte Dipl.-Ing. W. Zick eine Gesamtvermessung des Grabungsgeländes durch und legte eine Geländekarte im Maßstab 1:1000 an. F. Jaccard, Schülerin des Istituto centrale di Ristauro in Rom, restaurierte während der gleichen Zeit Gefäße und unterwies einen geschickten Arbeiter, so daß er ein guter Helfer wurde. Vom 8. Mai an war stud. arch. H. Zeumer als studentische Hilfskraft, vom 25. Mai an Dipl.-Ing. K. Kammerer als Architekt mit der zeichnerischen Aufnahme beschäftigt. Stud. phil. H. Kammerer-Grothaus arbeitete als archäologische Hilfskraft mit. Das Ehepaar Kammerer und H. Zeumer reisten am 3. Juli ab. Die Abschlußarbeiten dauerten für I. und G.Bruns noch bis zum 16. Juli. Auch nach dieser Kampagne konnte der Photograph A. Tzimas wieder fünf Tage lang Gesamtansichten und Kleinfunde aufnehmen. Im Sommer 1964 half uns als bewährter Aufseher wie in den Jahren 1959 und 1962 A. Speliopoulos aus Olympia, der dort inzwischen ein Hotel erbaut hat und daher leider in Theben nicht mehr zur Verfügung steht. So arbeitete im Sommer 1965 wieder S. Karathanassis aus Samos mit. Während der Kampagnen im Sommer 1964 und 1965 hatte sich A. Chatzinikolis — von der Ephorie in Theben am Museum und als Antikenwächter im Bezirk West-Theben, zu dem das Kabirion gehört, eingesetzt — so gut eingearbeitet, daß er als Aufseher eingestellt werden konnte. Er hat sich im Herbst 1965 und im Sommer 1966 aufs beste bewährt.

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GERDA

BRUNS

Abb. 2 a. Kabirion von Westen, nördlicher Teil

Über die Ergebnisse der einzelnen Kampagnen erscheinen Berichte im AEATIOV. Hier sollen die Ergebnisse der Arbeiten in den Jahren 1964—1966 zusammengefaßt werden. G r a b u n g s b e f u n d (Abb. I) 1 . Da in den Berichtsjahren nicht am Tempel (1), am Rechteckbau (2) und am Unteren Rundbau (12) gearbeitet wurde, werden diese Bauten nicht aufgeführt. Auch die Säulenstellung (4) und die hellenistischen Mauerzüge (14) in ihrem westlichen Teil der Treppenstraße werden hier nicht erwähnt. Die wesentlichste Veränderung für den Anblick des Grabungsplatzes gegenüber dem Bericht von 1962 ist durch die Freilegung des 'Theaters' hervorgerufen, dessen römische Phase für den Betrachter die zunächst in die Augen fallende ist (Abb. 2 a und b). — Beim Blick von Ost nach West ist die Baracke der neue Blickfang (Abb. 3). 1

Die Ziffern in Klammern beziehen sich auf die Bezifferung der Bauwerke im Plan (Abb. 1). Außerdem sind einzelne Mauern zur leichteren Auffindbarkeit für den Leser mit M und einer folgenden Nummer bezeichnet, die Pfeilervorlagen an der Theaterumfassungsmauer mit Pf und folgender Nummer (die Nummern entsprechen den in den Fundbüchern verwendeten Bezeichnungen). Die Niveauangaben beziehen

sich auf die jetzige Fundamentoberfläche des Tempels (s. -|-30m auf dem Steinplan AA. 1964, 240 Abb. 5 Planquadrat H VII). Für die in diesem Bericht nicht mehr aufgeführten Monumente vgl. den vorläufigen Bericht AA.1964, 231 ff. und AEXT. 18, 1963, Xpov. 115ff. P. Wolters—G. Bruns, Das Kabirenheiligtum bei Theben I (1940) ist im folgenden Wolters— Bruns zitiert.

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Abb. 2 b . Kabirion von Westen, südlicher Teil

Die Tatsache, daß Keil 3 des Koilons bis auf die beiden untersten Stufen zerstört war, war der Anlaß, an dieser Stelle zu untersuchen, ob sich für die Datierung der Sitzstufenanlage ein sicherer Anhalt fände. Zur größten Überraschung lag unter dieser Stufenlücke der bisher älteste erhaltene Bau des Heiligtums. Der Mittlere Rundbau (18) ist ein aus großen, in einer Reihe längsverlegten Quadern um eine Eschara als Zentrum gefügter Bau, der noch in zwei Steinlagen erhalten ist (Abb. 4—6)2. Die Tür liegt nach Norden, ein wenig nach Osten verschoben. Die Quadern sind, wie häufig im Kabirion 3 , rund 55—60 cm hoch. Sie sind zum Teil unregelmäßig gearbeitet und bilden ein annäherndes Rund. Nur das oberste Drittel der oberen Steinlage ist innen so abgearbeitet, daß ein wirkliches Rund entsteht; ursprünglich wohl bis zu dem Ansatz dieser Rundung reichend, läuft (jetzt verschieden hoch) eine zwischen 50 und 80 cm breite 'Bank' aus kleinen Kalksteinen; diese sind plattenförmig in mehreren unregelmäßigen Schichten übereinandergelegt 4 und an die Rundmauer angeschoben 6 . Die Eschara im Zentrum besteht aus einem wieder nur annähernden Rund, das aus ungleich großen Dachziegelstücken gesteckt ist. Verschiedene Aschenschichten mit dazwi2

3

4

l;

Die ganze H ö h e ist bisher n u r a n einem kurzen Stück außen, westlich des 'Opferstocks', festgestellt. z. B. a m Tempel, a m R e c h t e c k b a u und an d e r Ovalmauer. Die ' B a n k ' im R e c h t e c k b a u ist anders gefügt, es m u ß aber, d a sich j a a u c h d o r t eine OpferAA.

1967

5

s t ä t t e f a n d , a n sie erinnert werden (AA. 1964, 251). Der Versuch, den R u n d b a u e t w a m i t d e m B r a n d o p f e r a l t a r vor d e m Didymeion zu vergleichen (Th. Wiegand, D i d y m a I, H . K n a c k f u s s , Die Baubeschreibung Z 634 T a i . 84), ergibt zu viel Verschiedenheiten f ü r einen einfachen Vergleich.

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G E R D A

B R U N S

Abb. 3. Kabirion von Nordosten m i t Baracke westlich des Baches

schenliegenden Erd- und Ziegelschichten sind festgestellt (Abb. 7). Auch rings um die Eschara lagen solche Ziegelfragmente, aber ganz ohne Gefäßscherben im Gegensatz zum Unteren Rundbau 6 . Seitlich an der 'Bank' stehen diese Ziegel etwa hochkant (Abb. 8 und 6 links). Späterhin wurde dann das Opfer über die ganze Eschara weg vollzogen, was an dem Rest von Aschen-Ziegellagen (Abb. 4, links von der Eschara, auch Abb. 7 hinten links) und im Schnitt der darüberliegenden Erde zu beobachten war. In der obersten Aschenschicht fand sich, durch das Feuer schwer beschädigt, aber doch kenntlich, eine nach P. R. Franke böotische Münze der Zeit von 244—1977 zusammen mit einer uncharakteristischen Kabirenscherbe. Der Rundbau hat also in der zweiten Hälfte des 3. Jhs. noch dem Kult gedient, und zu dieser Zeit wurden auch noch Kabirenbecher im Kult verwendet. Nach Auflassung des Kultes war eine Nord-Süd-Mauer über den Rundbau gelegt worden, die später vom 'Theater' abgeschnitten worden war. Sie führte über ein großes Steingefäß mit hohem Fuß, das wir mit der vorläufigen Bezeichnung 'Opferstock' benannten. Um dieses freilegen zu können, wurden die Mauersteine zwischen den Sitzstufen und dem Rundbau abgenommen, wobei sich direkt unter diesen Steinen drei Münzen fanden. Eine war nicht mehr bestimmbar 8 ; die zweite zeigt Athenakopf und Weintraube und ist als lokrisch 338 6 7

AA. 1964, 247 f. Sämtliche M ü n z b e s t i m m u n g e n h a t P. R. F r a n k e d u r c h g e f ü h r t , w o f ü r i h m a u c h hier g e d a n k t sei. Sein M a n u s k r i p t der M ü n z b e s t i m m u n g e n ist

8

abgeschlossen u n d soll baldmöglichst vorgelegt werden. F r a n k e h ä l t f ü r möglich, d a ß eine sikyonische P r ä g u n g des 3. oder 2. J h s . vorliegt.

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Abb. 4. Mittlerer R u n d b a u (18) von N o r d w e s t e n

Abb. 5. Mittlerer R u n d b a u (18) von Osten; K u r v e n b a u (28) im H i n t e r g r u n d , (29) v o r n links

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B R U N S

Abb. 6. Mittlerer R u n d b a u (18) u n d M 57 v o n Südsüdwesten

bis 300 bestimmt. Die dritte ist wieder eine böotische Münze der Zeit zwischen 244—197 (Demeter und Poseidon). Sie entspricht also der in der Asche der Eschara gefundenen Münze, und ich möchte annehmen, daß der Neubau, zu dem diese Mauer gehörte, ein Grund für die Aufgabe des Rundbaus war, ohne aus dieser Annahme Schlüsse auf die Bedeutung des Baues ziehen zu können. Die aus Ostsüdost kommende Wasserleitung kann zugehörig sein, denn für sie ist eine Rinne in einen Stein des Rundbaues gehauen (s. Abb. 4 im Vordergrund rechts). Sie verschwindet jetzt unter der zweiten Koilonstufe. Vor oder um 200 v. Chr. hat der Rundbau also aufgehört zu existieren. Im Ostteil zog sich eine Kalkmörtelschicht über die Mauer des Rundbaues hin. Im Innern sind vorläufig zwei kurze Suchgräben gezogen: der eine verläuft südlich der Eschara in Ost-West-Richtung, der andere vom Eingang zur Mitte hin. Hart an der Unterkante des Türschwellblockes, der in der untersten Quaderreihe liegt, fanden sich, offensichtlich als Fundamentbeigabe gedacht, zwei ineinandergesteckte Gefäße, ein einhenkliger Napf und darin ein Kantharos (Abb. 9). Der Napf ist aus feinem, gelblichem Ton und hat einen dünnen, braun bis rot gebrannten Überzug. Der Henkel ist leider verloren. Der Ton des Kantharos ist rötlichgelb. Er ist gleichmäßig schwarz gebrannt, auf dem Rand sind auf beiden Seiten je drei senkrecht stehende Mystenzweige aus 2 x 3 Blättchen in weißer Deckfarbe aufgemalt. Die Form entspricht der von P. N. Ure um 530 datierten, ohne ganz identisch zu sein9. Man setzt diese Gefäße jetzt etwas später an, ohne ein ge9

P . N. Ure, Black Glaze P o t t e r y f r o m R h i t s o n a in Boeotia (1913) 17 Taf. 2, 18.218.

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Abb. 8. Mittlerer R u n d b a u (18), Ziegellagen u m die E s c h a r a nach A b h e b u n g der Ziegel über der Eschara

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BRUNS

f

Abb. 9. Kantharos und Napf als Fundamentbeigabe an der Türinnenseite des Mittleren Rundbaus. H 10,8 bzw. 7,5 cm

naueres Datum geben zu können. In die spätarchaische Zeit ist damit die Entstehung des Rundbaus datiert. Im Ost-West-Graben fand sich in gleicher Höhe 10 der Rest eines im rechten Winkel geknickten geraden Feldsteinmäuerchens (Abb. 5, linke Bildhälfte), bei dem eine Kantharosscherbe mit spätarchaischer Inschrift lag (Abb. 10). Der Name MiyiAocos kommt auf zwei Scherben eines Gefäßes, die in später durchwühlten Schichten beim Kanalbecken gefunden sind, mit gleichem Schriftcharakter noch einmal vor. Das Niveau des Mäuerchens war mit einer dünnen Erdschicht bedeckt, auf der eine deutlich locker eingefüllte Feldsteinschicht lag von einer Dicke zwischen 20 und 40 cm. Diese war stellenweise abgedeckt von einer dünnen, lockeren Aschenschicht, in der sich, schräg nach unten liegend, eine Knabenstatuette aus hellrötlichem Ton fand. Leider ist die Qualität so mäßig, daß eine genauere Datierung kaum möglich ist. Nicht vor dem 4. Jh. v. Chr. kann man nach den Proportionen sagen. Der Graben soll bis an die Eschara herangeführt werden, um vielleicht noch ein Stück des Feldsteinmäuerchens zu fassen und eventuell erschließen zu können, ob es sich bei der Aschenschicht um eine frühere Opferstelle handelt oder um eine 'Reinigung' wie im Unteren Rundbau. Über der Aschenschicht liegen mit wenig Asche durchsetzte Erdschichten; in der Höhe der Eschara war eine feste, helle Lehmschicht, wohl für deren Anlage, eingebracht. Der 'Opferstock' (Abb. 11. 12) steht rechts vor der Eingangstür; das Becken war zerbrochen und ist antik geflickt. Man hat das fehlende Stück des oberen Randes, im Profil genau mit dem erhaltenen Randstück übereinstimmend, in Ton ersetzt. Auf dem Terrakottarand sind Reste der Bemalung erhalten, die auf dem Stein fehlt. Das Ganze ist mit einem Bleirand verfestigt; das Innere ist bis in etwa halbe Höhe mit Erde gefüllt und dann dünn und unregelmäßig mit Blei ausgegossen. Die Erde ist an Stellen zu erkennen, wo das 10

Grabungsniveau 30,80 m, d.h. 80 cm höher gelegen als die jetzige Fundamentoberfläche des Tempels.

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Blei schlecht geflossen ist, so daß Löcher in der Platte geblieben sind. Es kann daher keinesfalls Wasser in dem Gefäß gestanden haben; ein Weih Wasserbecken ist also nicht anzunehmen, zumal außerdem in dem schmalen oberen Rand (der Lippe) ein kleiner Dübel eingebleit ist; der Behälter muß ehemals geschlossen gewesen sein. Die zur Tür führende Rampe dürfte in ihrem jetzigen unsorgfältigen Zustand eine spätere Veränderung sein. Westlich und südöstlich des Rundbaus liegen die Reste zweier Kurvenbauten. Der südöstliche (29) war nach Westen geöffnet. Nur die Fundamentlagen sind erhalten aus Feldsteinen und Kalksteinen, ähnlich denen, die zur 'Bank' im Rundbau verwendet sind (Abb. 5 links vorn). Im Fundament westlich des Rundbaus (28) überwiegen die Feldsteine (Abb. 13). Bei beiden Bauten sind Kabirenscherben beziehungsweise kleine Näpfe mit ornamentaler Verzierung gefunden, die noch in klassische Zeit gehören dürften. Im westlichen befand sich nach Westen hin eine so starke Brandschicht, daß wir zunächst glaubten, einen Ofen gefunden zu haben. Der Typus der Bauten entspricht, soweit erhalten, dem Apsisbau (10) nördlich des Tempels 11 . Im Jahre 1956 war im Nordteil des Grabens A ein Teil einer Aschenstelle aufgedeckt worden, die unter den östlichen Grabenrand reichte 12 . Das Halbrund wurde damals zugedeckt und besonders darauf geachtet, als im Sommer 1965 an dieser Stelle weiter nach Osten gearbeitet werden konnte. Leider war am Rand ein Stück abgewaschen. Es stellte sich heraus, daß diese Aschenstelle etwa die Mitte eines Apsidenbaus einnimmt, dessen Fundamentunterkante in der Höhenlage zwischen 29,52 m im Norden und 30,01 m im Süden schwankt. Höchster erhaltener Punkt ist 30,24 m (Abb. 14—16). Das Niveau der jetzt als unregelmäßiges Oval erscheinenden Aschenlage liegt bei 29,40 m. Da kein Estrich über dem Fundament erhalten war, der Fußboden also vermutlich höher als bei 30,24 m lag, müssen wir für diese Aschenlage eine Grube von mehr als 1 m Tiefe annehmen. Wahrscheinlich muß die Grube rund ergänzt werden, denn jetzt liegt die Asc.henlage nach Osten verschoben im Bau. Ergänzt man sie zu einem Rund, was durch den früheren Befund gegeben ist, so macht die Verbreiterung nach Westen so viel aus, daß die Anlage etwa die Mitte des Raumes einnimmt. Der vor der Tür liegende Aschenrest hat eine Höhe von 29,68 m, wäre also eine um 30 cm weniger tiefe, kleine Grube in einem Vorraum gewesen, von dem nur die Fundamente der östlichen Zungenmauer erhalten sind. Während der Bau im Osten auf fester, lehmiger Erde aufgeführt werden konnte, mußte das nach Westen schnell abfallende Gelände für die Westmauer neu angeschüttet werden. Die Zerstörung ist hier entsprechend größer. Zu vermerken ist, daß der Fußboden des Apsidenbaus höher lag als der des Tempels.

11

Erinnert sei auch an den jetzt verschwundenen Apsisbau im Tempel, Wolters—Bruns 22 Abb. 1.

12

Sie ist in dem Plan AA. 1964, 235 Abb. 2 nicht eingezeichnet.

Abb. 11. 'Opferstock' rechts (westlich) vor der Eingangstür zum Mittleren Rundbau von Westen

Abb. 12. 'Opferstock' (von Südosten, von den Theaterstufen aus) mit antiker Flickung und Yerbleiung; links die Rampe zum Rundbau

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Abb. 13. Kurvenbau (28) westlich des Mittleren Rundbaus von Westen

Abb. 14. Apsisbau (10) von Süden

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B R U N S

Abb. 15. Apsisbau (10) von N o r d e n

Nördlich der 'Apsis' liegen eine Anzahl (im schematischen Plan nicht eingezeichneter) älterer Feldsteinmauern (s. Abb. 16), für die ich noch keine Deutung zu geben vermag. In Höhe dieser Mauern fanden sich im Winkel unter dem südlichen halbierten Findling (der rechte in Abb. 16) einige wichtige Stücke der Kabirengattung. Besonders hübsch ist ein großer Kreisel (Abb. 17). Der wichtigste Fund ist ein großer Napf (Abb. 18 und 19). Leider sind Fuß und oberer Rand nicht gefunden. Die Rückseite zeigt zwei flott gezeichnete Kraniche. Die Szene der Hauptseite widerrät E. Kirstens 13 Zueinanderordnung von 13

E . K i r s t e n — W . Kraiker, Griechenlandkunde 4 (1962) 239 f. Die bisher als selbstverständlich a n g e n o m m e n e Auffassung der beiden G o t t heiten als V a t e r u n d Sohn b e d ü r f t e a u c h einer E r k l ä r u n g . (Das F e h l e n einer weiblichen G o t t heit im Heiligtum selbst ist in diesem Zusamm e n h a n g auffällig.) Man m u ß vorläufig wohl die Z u e i n a n d e r o r d n u n g eines älteren u n d eines

k n a b e n h a f t e n Gottes h i n n e h m e n , ohne eine zwingende E r k l ä r u n g der Beziehung der beiden zueinander geben zu k ö n n e n . W i r wissen nur, d a ß der Pais Mundschenk des K a b i r o s sein k o n n t e (Wolters—Bruns Taf. 5) u n d d a ß beide gemeinsam, aber a u c h g e t r e n n t Weihgeschenke erhalten k o n n t e n (s. hier A n m . 14).

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Abb. 16. Mauerreste und Findlinge nördlich und nordöstlich des Apsisbaus (10)

Kabiros und Pais als Liebhaber und Geliebter. Die Flötenspielerin ist durch die Busenbinde als weiblich ausgewiesen, und das Gefäß wurde im Heiligtum der klassischen Zeit benutzt, an dessen Kult Frauen teilnahmen 14 . Der Apsisbau muß jünger sein als dieses Gefäß, das heißt, er kann nicht vor dem frühen 4. Jh. entstanden sein. Ein weiterer Bau in dieser Feldsteintrockenmauertechnik ist im Osten des Heiligtums erhalten. Er ist als 'Älterer Nischenbau' (16) bezeichnet und gehört in eine Abfolge von wahrscheinlich drei Bauten an dieser Stelle. Der jüngste ist die Nische in der römischen Theaterumfassungsmauer (Beschreibung unten S. 262. 264f.), die mit ihrer südlichen Mauer die Nordmauer der älteren Nische (16) abschneidet. Die südliche Mauer dieser älteren Nische wird von der römischen Koilonmauer südlich Pfeiler 7 abgeschnitten (Abb. 20 und 21). Auffällig ist der große Eckstein im Nordosten dieser älteren 'Nische', der trotz sehr viel größeren Ausmaßes an den großen Stein auf dem Mauerwerk der Apsis erinnert (Abb. 16 Mitte). Innerhalb dieses Nischenraumes (16) lief von Ost nach West in Höhe der Fundamentunterkante eine ältere Mauer (M 58, Abb. 22) etwa in Richtung auf den älteren Eckstein an der Südwestecke der römischen Nische zu; er bildet hier das Ende einer Nord-SüdMauer. Die Tatsache, daß diese Stelle axial zum Tempel und dem dazwischenliegenden 'Opfergrubenbau' (17) — s. unten S. 250 — und der Anlage (5) — s. unten S. 245 — liegt, veranlaßt zu der Annahme, daß diese Bauten kultisch eine besondere Bedeutung haben. Leider vermag ich noch keine ausreichend begründete Erklärung zu geben. Auch der Mauerrest klassischer Zeit (M 66) im Nordosten der römischen Nische, vor dem nach Süden 14

F ü r die Teilnahme von Frauen am K u l t sind Weihinschriften zu vergleichen, z. B . W o l t e r s — Bruns 4 1 Nr. 4 5 : 'AVOIUA TOI TTÄI [5t] TCÖ

Kaßip(CO). Nr. 4 6 : EEVGOV KT) nupphrrroc Kaßipu T T A I S I . Nr. 4 8 : KaA(A)iarc