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German Pages 401 [404] Year 2012
Arbeit an der Literatur
Literatur | Theorie | Geschichte Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik Band 2 Herausgegeben von Udo Friedrich, Bruno Quast und Monika Schausten
Ulrich Hoffmann
Arbeit an der Literatur Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue
Akademie Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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978-3-05-005859-7 978-3-05-006033-0
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ...............................................................................................................
1
Einleitung
9
.......................................................................................................
11
Begriffliche Annäherung .....................................................................................
12
Tendenzen der Forschung ...................................................................................
15
Methodische Annäherung und Vorgehen ............................................................
20
2
Mythos und Materie ...................................................................................
23
2.1
Die Mythizität der Matière de Bretagne ...........................................................
23
2.1.1 historia und materia – Mythisierung und Kontinuität .........................
24
Die historiographische Tradition ........................................................................
25
Die volkssprachliche Überlieferung ....................................................................
27
Tradition und Mythisierung .................................................................................
31
2.1.2 Form und Pragmatik – Bedeutsamkeit mythischen Erzählens ............
34
Bedeutsamkeit und Wirkungspotential der mythischen Erzählung ......................
35
Kennzeichen mythischen Erzählens nach Blumenberg ........................................
38
Die pragmatische Dimension mythischen Erzählens von Artus ..........................
41
Die Literarizität des Erzählens ..........................................................................
46
2.2.1 Wiedererzähltes und Erzählen – Distanz und Modifikation ...............
47
Distanzierende und rationalisierende Rezeption .................................................
48
Literarische Aneignung der Materie ...................................................................
51
2.2
6
Inhaltsverzeichnis 2.2.2 Entmythisierung und Mythopoetik – Chrétien und Hartmann ............
53
Erzähltes und Erzählen bei Chrétien de Troyes ..................................................
54
Entmythisierung und literarische Bearbeitung ....................................................
61
Umschreibung und Mythopoetik bei Hartmann von Aue .....................................
63
3
Mythisches und Literatur
.........................................................................
68
3.1
Die symbolische Form mythischen Denkens ...................................................
68
3.1.1 Mythizität und Literarizität – Kulturwissenschaft und Mythosforschung ................................................................................................
69
Text und kultureller Kontext ................................................................................
69
Kulturelle Praxis und symbolische Formen .........................................................
72
3.1.2 Indifferenz und Akzentuierung – Grundzüge mythischen Denkens ...
74
Konkreszenz und mythischer Kausalbegriff .........................................................
76
Die Ordnungsformen Raum und Zeit ...................................................................
78
Die mythische Form literarischen Erzählens ....................................................
82
3.2.1 Kunst und Mythos – Synchronie und Diachronie ................................
82
Das Verhältnis der symbolischen Formen ...........................................................
83
Präsenz und Bedeutung .......................................................................................
86
3.2.2 Mythisierung und Mythosanalogie – Form und Inhalt ........................
89
Literatur als formaler Mythos ..............................................................................
90
Mythosanalogie und kulturelle Bedeutung ..........................................................
94
4
Hartmanns Erec
97
4.1
Harmonisierung und Hybridität ........................................................................ 100
3.2
...........................................................................................
4.1.1 Hirschjagd und Heide ............................................................................ 102 4.1.2 Sperberpreis und Herberge .................................................................... 112 4.1.3 Vom Kampf zum Kuss ........................................................................... 123 4.1.4 Vom ungemach zum gemache .............................................................. 131 4.2
Kontrastierung und Progression ........................................................................ 141
Inhaltsverzeichnis
7
4.2.1 Vom wec in einen kreftigen walt ........................................................... 144 4.2.2 Vom rûhen walt âne wec ....................................................................... 153 4.2.3 Famurgan und Penefrec ......................................................................... 172 4.3
Gegenwelt und Destruktion ............................................................................... 186 4.3.1 Brandigan und des hoves vreude ........................................................... 188 4.3.2 Das ander paradîse ................................................................................ 194 4.3.3 Vom Kampf zur Krönung ...................................................................... 206
4.4
Resümee: Von der Harmonisierung zur Gegenwelt ........................................ 228
5
Hartmanns Iwein
5.1
Kontrastierung und Sukzession ......................................................................... 236
.........................................................................................
233
5.1.1 Artushof und âventiure .......................................................................... 237 5.1.2 Der Brunnen und sîn reht ...................................................................... 243 5.1.3 Vom Kampf zur Herrschaft ................................................................... 260 5.1.4 Von des andern êre zu ir zweier wehsel ............................................... 269 5.2
Harmonisierung und Integration ....................................................................... 275 5.2.1 Wahnsinn und Heilung .......................................................................... 276 5.2.2 Lunetekampf und Schwestern vom Schwarzen Dorn .......................... 288 5.2.3 Harpinkampf und Burg zum Schlimmen Abenteuer ........................... 299
5.3
Eigenwelt und Reflexion ................................................................................... 320 5.3.1 diz ist her Îwein ...................................................................................... 321 5.3.2 Vom Abenteuer zum erzählten Abenteuer ........................................... 330
5.4
Resümee: Von der Kontrastierung zur Eigenwelt ........................................... 339
6
Literarisierung des Mythischen und Mythizität der Literatur ................................................................... 344 Literarisierung und Mythopoetik .........................................................................
345
8
Inhaltsverzeichnis Mythosanalogie und Mythizität ...........................................................................
348
Bedeutsamkeit und Bedeutung .............................................................................
350
Erec und Iwein .....................................................................................................
354
Mythisches und Erzählen .....................................................................................
356
Literaturverzeichnis
..............................................................................................
359
Abkürzungen ........................................................................................................
359
Quellen ................................................................................................................
360
Forschungsliteratur .............................................................................................
361
Register
......................................................................................................................
393
Sachen und Begriffe .............................................................................................
393
Personen und Werke ............................................................................................
396
Figuren, Orte und Motive ....................................................................................
398
Vorwort
Vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2011 vom Fachbereich Literaturwissenschaft der Universität Konstanz unter dem Titel „Mythisches und Erzählen. Zur Wirkung und Funktion mythischer Inhalte und Strukturen in den Artusromanen Erec und Iwein Hartmanns von Aue“ als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet und mit einem Register versehen. Mein ganz besonderer Dank gilt Bruno Quast, der nicht nur die Arbeit betreut hat. Von Anfang an hat er mich für das Thema begeistert und mich in seiner offenen, allem Neuen gegenüber aufgeschlossenen, dabei immer fordernden Art gefördert. Für das in mich gesetzte Vertrauen über den längeren Zeitraum auch während meines Referendariats hinweg sowie für die mir immer wieder eröffneten Möglichkeiten, mich in Forschung und Lehre einbringen zu können, möchte ich mich herzlich bedanken. Ich freue mich, dass Udo Friedrich das Koreferat übernommen hat. Ihm und Timo Reuvekamp-Felber, der das Drittgutachten anfertigte, gilt an dieser Stelle mein Dank, ebenso Gabriela Signori und Bernd Stiegler für das anregende Kolloquium. Eine Arbeit an der Literatur leisten nicht nur Dichter und Wissenschaftler, sondern alle, die an der Entstehung eines Buches beteiligt sind. So danke ich nochmals Bruno Quast und Udo Friedrich und schließlich Monika Schausten für die Aufnahme meiner Studie in die Reihe Literatur – Theorie – Geschichte. Katja Leuchtenberger vom Akademie Verlag danke ich für die hilfreiche und immer herzliche Betreuung bei der Erstellung der Druckvorlage. Als Manuskript kennen die Arbeit Raphael Kuch, dem ich für letzte kritische Anmerkungen in Münster danke, sowie Angelika Zacher, die die ersten Ideen produktiv noch in München begleitet hat. Am besten kennt die Arbeit in allen ihren Phasen Yvette Deseyve. Ihr und meinen Eltern, Michaela und Hans-Günther Hoffmann, möchte ich dieses Buch widmen. An alle hier genannten Personen denke ich, wenn ich das Buch in Händen halte.
Bremen, im Mai 2012
1
Einleitung
Die germanistische Mediävistik sieht sich bei der Erforschung der mittelalterlichen Literatur mit einem Gegenstand konfrontiert, der dem Wissenschaftler zugleich fremd und vertraut ist. Seit der Debatte um Paul Zumthors Essay zur mittelalterlichen Poetik befasst sich die Literaturwissenschaft mit diesem zunächst inhaltlich angelegten Problemfeld unter dem inzwischen zum allgemeinen Schlagwort avancierten Begriff der Alterität.1 Verschiedene Ansätze zur Annäherung an diese vermeintliche Fremdheit der Literatur haben jedoch aufgezeigt, dass sich unausweichlich methodische Probleme gerade dort einstellen, wo die hermeneutische Distanz „über die Brücke ästhetischer Erfahrung“ überwunden werden soll.2 Die hieraus resultierende Diskussion ist dabei bis heute ebenso wenig abgebrochen, wie sie noch immer fruchtbar ist.3 In seinem Beitrag zu Alterität und Methode greift Christian Kiening diese Diskussion auf. Mittelalterliche Literatur sei für ihn zunächst „keineswegs völlig fremd, sondern allgemein-, national- und fachhistorisch Teil gegenwärtiger Welten“; auf der anderen Seite erscheine der Gegenstand „aber auch wieder so unvertraut […], dass sich an ihm in exemplarischer Weise literaturwissenschaftliche Instrumentarien entwickeln und überprüfen“ ließen.4 Was sich von diesem Standpunkt aus als eine Chance für die Mediävistik auffassen lässt, ist zugleich ihre Herausforderung. Denn es gehe – so Kiening weiter – nicht nur darum, die mittelalterliche „Welt zu verstehen“, sondern, in Erkenntnis der Tatsache, dass Alterität immer schon subjektgeneriert ist, in gleicher Weise darum, „das Verstehen so zuzurichten, dass die Unvertrautheit überwunden werden kann“.5 Methodisch stellt sich das Problem von zwei Seiten: von der des Betrachteten wie von der des Betrachtens. Denn in der Weise wie der Begriff der Alterität eine prinzipielle Unverfügbarkeit mittelalterlicher Literatur zum Ausdruck bringt, muss nun auch der Methode eine prinzipielle Offenheit eigen sein. Mit Methode meint Kiening „nicht die jeweilige Verfahrensweise bei der Interpretation eines Textes, sondern die grundle1 2 3 4 5
Zumthor, Essai de poétique médiévale. Zu dieser Debatte Jauß, Alterität und Modernität; Zumthor, Comments on H. R. Jauß’s article. Jauß, Alterität und Modernität, S. 26; vgl. mit weiterer Literatur Strohschneider, Alterität. Vgl. Peters, ‚Texte vor der Literatur?‘ Kiening, Alterität und Methode, S. 162. Ebd., S. 159.
12
Einleitung
gende Systematizität des Umgangs mit vergangenen Sinngefügen“.6 Möchte man an dem Anspruch festhalten, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Gegenstand primär von diesem bestimmt sein sollte, dann zielt die von Kiening so bezeichnete Systematizität letztlich auf eine unerreichbare Systematik. Es geht somit um eine gegenseitige Annäherung von Gegenstand und Methode: Das Untersuchte muss soweit abstrahiert werden, wie es in gleicher Weise differenziert untersucht werden kann. Der Grad der Abstraktion richtet sich dabei nach dem der theoretischen Systematisierung – und umgekehrt. Kiening schlägt hierfür vor, den Begriff der Alterität in zweifacher Bedeutung zu fassen: (1) als „relationale und deskriptive Kategorie, die hinsichtlich des beobachteten Systems Differenzierungen ermöglicht“, sowie (2) als „systematische und methodologische Kategorie, die hinsichtlich des Beobachtungssystems Differenzierungen erlaubt“.7 Auf Grundlage solcher, wissenschaftstheoretischer Vorüberlegungen ließe sich erst ein Gegenstand erschließen, der Teil „einer Welt“ ist, „die uns als mythische oder archaische, phantastische oder magische primär unvertraut ist, aber vertraut werden soll“.8 Vorliegende Studie möchte sich diesem Problem der Fremdheit mittelalterlicher Literatur stellen, einer Fremdheit, die sich gerade auch in der auffallenden Präsenz des Mythischen im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts zeigt. Am Beispiel der Artusromane Hartmanns von Aue kann deutlich werden, wie diese Präsenz des Mythischen nicht nur besondere Formen des poetischen Umgangs mit vorgegebener Materie zeitigt, sondern darüber hinaus auch unter formalen Gesichtspunkten zu einem Bestimmungskriterium vormoderner Literarizität werden kann. Um die Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue zu beschreiben und sie in ihrem Verhältnis zur Literarizität des jeweiligen Textes zu bestimmen, muss zunächst eine begrifflich-differenzierende Annäherung an den Gegenstand erfolgen. Anschließend können im Rahmen der von Kiening geforderten Systematizität Differenzierungen auch zur Methodik des hier gewählten Ansatzes vorgenommen werden. Begriffliche Annäherung Fluchtpunkt und primärer Gegenstand der Analyse ist das Mythische, das sich in unterschiedlichen Formen und Gestaltungen auf verschiedenen Ebenen des Textes zeigt. Erst über die Beschreibung des Mythos allerdings lassen sich Kennzeichen des Mythischen – als konstitutive Eigenschaften und Erscheinungsformen des Mythos – formulieren. Hier wird das angesprochene Problem für die literaturwissenschaftliche Systematik offensichtlich. Der Mythos bleibt im eigentlichen Sinne wissenschaftlicher Erkenntnis unverfügbar, da er sich diskursiver Sprache verweigert: „Denn der Mythos“, so begründen dies Udo Friedrich und Bruno Quast, „lässt sich als das Andere der Vernunft ver6 7 8
Ebd., S. 163. Ebd., S. 162. Ebd., S. 159.
Einleitung
13
stehen, das sich einer vollständigen rationalen Auflösung entzieht“.9 Diese hier implizit angesprochene Alterität ist es schließlich, die eine Definition des Mythos abhängig macht von der jeweils gewählten Perspektive. Gerhart von Graevenitz kommt daher zu der Auffassung, „dass das, was wir für ‚Mythos‘ halten, eine große kulturgeschichtliche Fiktion ist“. Er spricht von der „Idee“ des Mythos als dem „Produkt von europäischen Wahrnehmungs- und Denktraditionen, die allein mit Methoden der Kulturgeschichtsschreibung zu erschließen sind“.10 Eine Annäherung an den Mythos setzt also eine Berücksichtigung der von Kiening beschriebenen Kategorien der Alterität voraus, das, was als Mythos bezeichnet wird, ist abhängig vom Ansatz seiner Beschreibung.11 Diese Abhängigkeit berücksichtigen entsprechend Aleida und Jan Assmann in ihrem gemeinsam verfassten und viel zitierten Beitrag zum Mythos. Sie vermeiden eine umfassende, weil stets zu enge Mythosdefinition. Da gerade die abendländische Kultur „ein reflexives Verhältnis zum Mythos entwickelt“ habe,12 schlagen sie eine getrennte Betrachtung von sieben Mythos-Begriffen vor, die verschiedene, jeweils von der Fragestellung geleitete Schwerpunkte setzen. Neben den polemischen und den historischkritischen Mythos-Begriff treten der narrative wie der literarische, schließlich der „Alltags-Mythos“ und die so genannten „Großen Erzählungen“.13 Im Zentrum ihrer Ausführungen erläutern sie den Mythos aus funktionalistischer Perspektive der Religionswissenschaft und Ethnologie.14 Der Mythos lässt sich so als ein „kulturelle[r] Leistungswert“ definieren, der „die vielfältigen Ordnungen des sozialen Lebens verbindlich zu regeln“ in der Lage ist; in seiner „lebenspraktische[n] Eingebundenheit“ erscheint er als eine „fundierende, legitimierende und weltmodellierende Erzählung“.15 In ähnlicher Weise schlägt Christoph Jamme als Minimaldefinition vor, den „Mythos als mündliche[n] Kommentar einer Kulthandlung zu bestimmen“, der in einer eigenen „Erzählstruktur“ von Ereignissen erzählt, die „an bestimmten Knotenpunkten der menschlichen Existenz“ ansetzen.16 Ausgehend von der Funktionsbestimmung solcher als Erzählform gedachter Mythen unterscheiden Aleida und Jan Assmann grundsätzlich zwischen legitimierenden, das heißt solchen Mythen, die „die Rückführung bestehender Verhältnisse auf einen urzeitlichen ordo“ vollziehen, und deutenden Mythen, „die allgemeine Themen der Daseinsbestimmung aufwerfen“.17 So ist es gerade die pragmatische Dimension des Mythos, die notwendig für seine Bestimmung ist und ihm erst seinen „Sitz im Leben“ zuweist. 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. X. Graevenitz, Mythos, S. VIII f. Zum Mythos als theoretischem Konstrukt Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 19. Vgl. hierzu auch Gebert, Beobachtungsparadoxien mediävistischer Mythosforschung. Assmann/Assmann, Mythos, S. 179. Vgl. ebd., S. 179 f. Vgl. ebd., S. 185 ff. Ebd., S. 180. Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 21. Assmann/Assmann, Mythos, S. 185 f., Hervorhebung dort.
14
Einleitung
Grundsätzlicher beschreibt dies Ernst Cassirer. In seiner Philosophie der symbolischen Formen,18 die gerade die kulturwissenschaftlich orientierte Germanistik nachhaltig geprägt hat, weist er dem Mythos den Status einer „geistigen Grundfunktion“ zu, die wie die wissenschaftliche Erkenntnis, die Religion oder auch die Kunst eine eigene Form der Welterschließung darstelle. Jede dieser Grundfunktionen bezeichne „eine bestimmte geistige Auffassungsweise und konstituiert in ihr und durch sie zugleich eine eigene Seite des ‚Wirklichen‘“.19 Somit wird deutlich, dass es sich jeweils um „eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestaltung zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen“ handelt.20 Diese Gestaltung ist dabei im produktiven Sinn zu sehen, da es darum gehe, so Cassirer, „die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden“.21 Cassirer spricht daher konsequent vom mythischen Denken, das sich wie alle anderen „Grundformen geistigen Schaffens“ erst in der Form seiner Gestaltung beschreiben lasse: Für sie alle gilt, dass sie die ihnen gemäße und eigentümliche Auffassungs- und Gestaltungsweise nur dadurch zur Geltung bringen können, daß sie für sie gleichsam ein bestimmtes sinnliches Substrat erschaffen. So wesentlich ist hier dieses Substrat, daß es bisweilen den gesamten Bedeutungsgehalt, den eigentlichen „Sinn“ dieser Formen zu umschließen scheint. Die Sprache scheint sich vollständig als ein System von Lautzeichen definieren und denken zu lassen – die Welt der Kunst und die des Mythos scheint sich in der Welt der besonderen, sinnlich-faßbaren Gestalten, die beide vor uns hinstellen, zu erschöpfen. […] Der Gehalt des Geistes erschließt sich nur in seiner Äußerung; die ideelle Form wird erkannt nur an und in dem 22 Inbegriff der sinnlichen Zeichen, deren sie sich zu ihrem Ausdruck bedient.
Mythisches Denken erweist sich als eine den Mythos als Erzählform erst hervorbringende Grundkategorie. Dem Wissenschaftler obliegt es somit von verschiedenen Ebenen auszugehen, worauf Aleida und Jan Assmann mit Nachdruck hinweisen: „Es liegt in der Komplexität des Mythos-Begriffs, daß er sich zugleich auf Text- und auf Mentalitätsstrukturen bezieht. So wird eine Bestimmung konstitutiver Elemente immer sowohl textbezogene als auch solche Faktoren mit einschließen müssen, die das ‚mythische Denken‘ betreffen.“23 Die literaturwissenschaftliche Analyse muss für die Bestimmung des Mythischen daher differenziert zurückgreifen auf den „Mythos als Erzählform und das so genannte mythische Denken als eine Texten vorausliegende und sie durchdringende Bewusstseinsform mit einer ihr eigenen Logik“.24 Bezieht man das Mythische – als die genuine Eigenschaft der von Aleida und Jan Assmann angesprochenen konstitutiven Elemente des Mythos – sowohl auf die Erzähl18 19 20 21 22 23 24
Cassirers Philosophie der symbolischen Formen wird zitiert mit Angabe des jeweiligen Bandtitels. Cassirer, Die Sprache, S. 9. Ebd., S. 11, Hervorhebung dort. Ebd., S. 12, Hervorhebung dort. Ebd., S. 18 f. Assmann/Assmann, Mythos, S. 187. Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XXXV.
Einleitung
15
wie die Bewusstseinsform des Mythos, so konturiert sich eine Kategorie, die über eine Phänomenologie des Mythos aufgefüllt werden kann. Verschiedene philosophische, ethnologische, religionswissenschaftliche wie auch literaturwissenschaftliche25 Arbeiten konnten hierfür Ergebnisse liefern. Das, was in diesen Forschungen als mythisch beschrieben wird, hängt allerdings zumeist davon ab, ob der Mythos primär als Erzählung oder als Ausdruck mythischen Denkens aufgefasst wird. Um die verschiedenen Gestaltungen, Wirkungen und Funktionen des Mythischen in der Literatur beschreiben zu können, muss man auf sich ergänzende Phänomenologien des Mythos zurückgreifen. Hierfür eignen sich – bei aller Verschiedenheit des theoretischen Ansatzes und der oft genannten Schwierigkeit gegenseitiger Vermittlung26 – die Arbeiten Ernst Cassirers sowie Hans Blumenbergs.27 Das Mythische ist – so Christoph Jamme – auf der einen Seite als eine bestimmte „Perzeptionsweise von Wirklichkeit, die zugleich Ausdrucksweise“ des mythischen Denkens ist,28 zu charakterisieren, auf der anderen Seite – in Anlehnung an Blumenbergs Theorie der Rezeption des Mythos – über „eine Auflistung von Stilmerkmalen der mythischen Erzählung“ zu erschließen.29 Hiermit sind die zwei Seiten genannt, von denen man sich dem Mythischen in der Literatur annähern und über die eine gemeinsame Perspektive auf die Artusromane Hartmanns von Aue gewonnen werden kann. Tendenzen der Forschung Bisherige Forschungen zum Mythischen im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts, zum Artusroman Chrétien’scher Prägung zumal, konzentrierten sich meist nur auf einzelne Aspekte, womit eine jeweils von der Fragestellung geleitete Bestimmung des Mythischen mehr oder weniger theoretisch reflektiert einherging:30 25
26 27 28 29 30
Mit Bezug auf das mythische Denken als ein „Weltverständnis, über das immer wieder spekuliert wird“, bezweifelt Ute Heidmann Vischer jedoch grundsätzlich die Kompetenz des Literaturwissenschaftlers zur Bestimmung des Mythischen, das „anthropologische oder psychologische, nicht aber literaturwissenschaftliche Forschungen ermitteln“ könnten; Heidmann Vischer, Mythos, S. 665; vgl. schon Heuermann, Probleme, S. 15. Diese Auffassung erscheint allerdings und nicht zuletzt infolge der so genannten kulturwissenschaftlichen Wende in der Germanistik als überholt, was bereits auf dem Internationalen Germanistenkongress in Wien 2000 betont wurde, denn – so Wolfgang Braungart – „die vielfältigen strukturellen Analogien zwischen Literatur und Mythos […] verlangen kulturwissenschaftliche Vorgehensweisen. Ja, sie begünstigen geradezu ein Verständnis von Literaturwissenschaft als Mythenwissenschaft“; Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 277; vgl. auch den Beitrag von Gottwald, Mythosforschung und Literaturwissenschaft. Vgl. etwa Rudolph, Schwierigkeiten; ferner Rudolph, Metapher. Zu nennen sind hier neben zahlreichen Einzelstudien vor allem die Arbeit am Mythos von Hans Blumenberg sowie die dreibändige Philosophie der symbolischen Formen Ernst Cassirers. Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 24. Ebd., S. 27. Die folgenden Ausführungen sollen anhand ausgewählter Arbeiten Tendenzen der Forschung aufzeigen. Umfassender können die Ergebnisse der Forschung im jeweiligen Zusammenhang dis-
16
Einleitung
Galt gerade der älteren Forschung das Interesse am Mythischen nahezu ausschließlich der Stoffgeschichte, der Provenienz einzelner Figuren oder Motive,31 widmete sich die strukturalistisch geprägte Literaturwissenschaft zunehmend der Aufdeckung mythischer Erzählschemata,32 woran sich letztlich Fragen auch nach der Pragmatik anschlossen, über die ein Artusmythos in der Literatur erfasst werden sollte. Hans Fromm greift nach eigener Aussage auf einen ethnologisch ausgerichteten Mythos-Begriff zurück und versteht unter Mythos „eine in die Verbindlichkeit von Glaube und Ritus eingelassene Überlieferung, die grundlegende Fragen des In- der Welt-Seins beantwortet oder deutet“.33 Bezeichnenderweise werde – so Fromm – ein eigener „Artusmythos“ allererst zu einem Zeitpunkt greifbar, ab dem „die mit mythischen Elementen angereicherte Sage in die Hände der ‚Ungläubigen‘ fällt“; Dichter hätten in Romanen daher einen Mythos entwerfen können, der zwar auf ältere mythische Erzählungen rekurriere, doch erst infolge rationaler und bewusster Bearbeitung zu einem „Mythos von idealer Herrschaft“ habe werden können.34 Ein Prozess zunehmender Rationalisierung im 12. Jahrhundert habe somit erst die Ausbildung eines neuen, an Literatur gebundenen Mythos ermöglicht. Von einem sekundären Mythos um König Artus in der Literatur spricht dann konsequent Alfred Ebenbauer und möchte seinerseits den Mythos zunächst über seine Funktion definiert wissen, die er in der Begründung einer Weltordnung sieht,35 die der christlichen Glaubenswelt entgegen trete.36 Die Romane von Artus und seinen Rittern ließen mittels intertextueller Bezüge geradezu „eine mythische Erzählwelt mit ihrer eigenen – mythischen – Geschichte“ entstehen,37 sodass sich ein eigener „Artusmythos“ als „Ursprungsmythos der Aristokratie“ herausbilde.38 Er schließe inhaltlich noch an mythische Erzählungen an und ließe sich auch strukturell mit solchen vergleichen, doch
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34 35 36 37 38
kutiert werden, sowohl in theoretischer Hinsicht in den Kapiteln 2 und 3 als auch im konkreten Bezug zu den Romanen in den Kapiteln 4 und 5. Einen ausführlichen Überblick über die Forschung zum Mythischen in der Literatur des Mittelalters bietet Friedrich/Quast, Präsenz des Mythos, speziell mit Blick auf den Artusroman Wolfzettel/Dietl/Däumer, Artusroman und Mythos. Stellvertretend seien an dieser Stelle lediglich die materialreichen Arbeiten von Roger Sherman Loomis genannt, hier v. a. Loomis, Celtic Myth; Loomis, Arthurian Tradition. Anzuführen sind hier etwa die Studien zum Parzival von Kuhn, Parzival; Bertau, Innere Erfahrung; auch Simon, Einführung in die strukturalistische Poetik. Fromm, „Aufklärung“ und neuer Mythos, S. 2. Inwiefern damit tatsächlich die Perspektive der Ethnologie erfasst ist, muss hier offen bleiben, wie auch lediglich darauf hingewiesen werden kann, dass nicht nur von ethnologischer Seite betont wird, dass Mythen grundsätzlich keine Fragen beantworten; vgl. Assmann/Assmann, Mythos, S. 186. Fromm, „Aufklärung“ und neuer Mythos, S. 9. Ebenbauer folgt hier einer religionswissenschaftlich geprägten Mythendefinition, für die er sich auf Mircea Eliade beruft; vgl. Ebenbauer/Wyss, Der mythologische Entwurf, S. 519. Eine Abgrenzung zeige sich unter anderem daran, dass schon Artus „so etwas wie ein Konkurrent Christi“ sei; ebd., S. 521. Ebd., S. 522. Ebd., S. 524.
Einleitung
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beruhe er letztlich auf Literatur.39 Ebenbauer geht zwar von einem religionswissenschaftlich geprägten Mythos-Begriff aus, doch „ohne daß damit der poetische Mythenbegriff notwendig ausgeklammert wäre“.40 Was Ebenbauer und Fromm entwerfen, mag mit Aleida und Jan Assmann als ein literarischer Mythos aufgefasst werden; trotz konkreter Funktionen sind literarische Mythen grundsätzlich frei von Verbindlichkeit und Heiligkeit und daher offen für Variationen und spielerische Behandlungen im Rahmen einer mitunter weit ausgreifenden Rezeption: „Ihr Gegenstand sind Stoffe der antiken und mittelalterlichen Mythologien, aber auch neuerer literarischer Schöpfungen, sofern diesen als kollektiven Identifikationsangeboten eine entsprechende Resonanz beschieden ist.“41 Die Vorstellung eines über Literatur vermittelten Artusmythos mag indes kaum hilfreich sein, um über Inhalt, Form und Pragmatik die Mythizität mittelalterlicher Artusromane zu erfassen, verdeckt sie doch – wie allgemein der literarische Mythos-Begriff – gerade je spezifische Eigenschaften von Mythos und Literatur. So hat jüngst Jan-Dirk Müller in unmittelbarer Antwort auf Fragen Alfred Ebenbauers zum Mythos hervorgehoben, dass nicht nur in heuristischer Verwendung Begriffe wie Mythos und Literatur klar voneinander zu trennen seien.42 Müller folgt der Mythos-Auffassung Ernst Cassirers und möchte mythische Denkstrukturen in der Literatur anhand der Analyse spezifischer Raum- und Zeitkonzepte nachzeichnen.43 Die Mythizität von Literatur gründe – so Müller – in der Verbindung mit „bestimmte[n] Anschauungsformen von Welt, die nicht notwendig in Opposition zum Weltbild der christlichen Hochreligion stehen, so wenig wie sie aus dem gegenwärtigen Denken völlig verschwunden sind“.44 Müller kann in seinen Arbeiten eine spezifische Mythizität von Literatur in struktureller Hinsicht überzeugend aufzeigen, wenngleich er letztlich doch nur dieser einen Perspektive verhaften bleibt, was er selbst allerdings geradezu programmatisch betont: „Es geht um
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Vgl. ebd., S. 530. In mehreren Studien haben sich Alfred Ebenbauer und Ulrich Wyss einzelnen Szenen, Sachverhalten und Figuren aus Artusromanen gewidmet und mit anderen mythologischen Überlieferungen in Beziehung gebracht, so etwa mit der eddischen Lokasenna oder den homerischen Epen. Vgl. Ebenbauer, Truchseß Keie; Wyss, Partonopier; Wyss, Parzivals Sohn; hierzu kritisch Kokott, Mittelhochdeutsche Mythen, S. 16 f. Ebenbauer/Wyss, Der mythologische Entwurf, S. 519. Assmann/Assmann, Mythos, S. 180. Als Beispiele führen sie unter anderem Parzival, Faust oder Don Juan an. Bastert, Einleitung Karl der Große, S. XVI f., greift dies für den mittelalterlichen Karlsmythos auf. Vgl. Müller, Mythos und mittelalterliche Literatur, S. 332. Müller antwortet hier auf eine Rezension Ebenbauers zu Friedrich/Quast, Präsenz des Mythos, in der dieser kritisch auf die einzelnen Beiträge eingeht, um letztlich den Ertrag der dort verfolgten Mythosforschung in Frage zu stellen; Ebenbauer, Rez. Präsenz des Mythos. Vgl. Müller, Mythos und mittelalterliche Literatur, S. 332–335. Müller hat diesen Ansatz in verschiedenen Studien umgesetzt, von denen zumindest zwei herausgegriffen und hier genannt seien: Müller, Zeit im ‚Tristan‘; Müller, Verabschiedung des Mythos. Müller, Mythos und mittelalterliche Literatur, S. 332.
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Mythos und mythisches Denken als Struktur, nicht um mythische Inhalte.“45 Dass das Mythische jedoch weder über Inhalte noch Strukturen ausschließlich erfasst werden kann, man vielmehr von einer vielschichtigen Präsenz des Mythischen nicht zuletzt auch mit Blick auf den höfischen Roman auszugehen hat, ist dagegen immer wieder betont worden: „Unzweifelhaft“, so fasst dies Klaus Ridder zusammen, „finden sich mythische, magische und märchenhafte Strukturen, Motive und Denkformen in den höfischen Romanen.“46 Und auch Udo Friedrich und Bruno Quast können dieses Ergebnis allgemein festhalten: Mythisches ist „in der mittelalterlichen Erzählkultur auf allen Ebenen des Erzählens zu greifen: auf der Ebene der Stoffe, Motive und Figuren, der Handlungsschemata, Erzählstrukturen und -motivationen“.47 Die mediävistische Forschung hat Mythisches somit meist in Abgrenzung zu anderen, den jeweiligen Roman bestimmenden Inhalten und Eigenschaften untersucht und war dabei stark von einem Denken in Oppositionen geprägt, das sich im aufgeworfenen Gegensatz von Mythischem und Höfischem inhaltlich ausdrückt wie darüber hinaus von Mythischem und Literarischem.48 Überwiegend bleiben diese Arbeiten entsprechend auch der jeweiligen Untersuchungsebene verpflichtet. Neben dieser synchrone Beziehungen innerhalb eines literarischen Textes fokussierenden Betrachtung ist aus diachroner Perspektive das Mythische im Verhältnis von Mythos und Literatur ebenfalls Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung gewesen. Gerade für die Literatur des 12. Jahrhunderts wurden dabei Entwicklungen und Tendenzen einer Entmythisierung ebenso formuliert wie solche einer Remythisierung: Walter Haug konzentriert sich auf die erzählstrukturelle Seite des Mythos. Ausgehend vom Vergleich verschiedener Ausgestaltungen mythischer Erzählungen formuliert er seine Hypothese, „daß wir als mythische Basis ein systematisches Konzept anzuset45
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Ebd., S. 332; vgl. auch ebd., S. 334. Müller erhebt einen Anspruch dieses Ansatzes auch für andere Arbeiten und schreibt ihn auch den Beiträgen in Friedrich/Quast, Präsenz des Mythos, zu, womit er diesen allerdings nicht gerecht werden kann, legen schließlich schon die Herausgeber Wert darauf, dass das Mythische immer schon auf allen Ebenen des Textes zu berücksichtigen sei und anscheinend sich ausschließende „Fragenkomplexe nicht voneinander zu trennen sind“; Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XXXV. Auch Armin Schulz folgt Müller in verschiedenen Arbeiten in diesem Ansatz und hält seinerseits fest, ihm gehe es „nicht um die Provenienz mythischer Motive und Inhalte – solches ist in der Forschung seit langem aufgearbeitet worden –, sondern um ihre Strukturen und Funktionen“; Schulz, Der neue Held, S. 420 f. Dabei wird gerade bei Schulz aber deutlich, dass die Untersuchung ohne die vermittelten Inhalte nicht auskommen kann; vgl. ebd., etwa S. 431–433. Ridder, Rationalisierungsprozesse, S. 199. Vgl. auch Wawer, Tabuisierte Liebe, S. 234, sowie Braun, Von Gott gezeugt, S. 41. Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XVI; vgl. hieran anschließend und einen Inhalte, Funktionen und Strukturen gleichermaßen berücksichtigenden Ansatz propagierend, der selbst verschiedene Mythostheorien integrieren und fruchtbar machen müsse, Wolfzettel/Dietl/Däumer, Artusroman und Mythos, hier S. XII f. Vgl. Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XXXIV, die aber betonen, dass solche „sich ausschließenden Oppositionen […] stets auch in Überblendungen vorkommen“ können.
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zen hätten, von dem her die Einzelmythen immer wieder neu formuliert werden“. Er spricht entsprechend von „mythischer Transformation“ in Abgrenzung von „literarischlinearer Variation“.49 Das historische Verhältnis von Mythos und Literatur sieht er geprägt durch die „literarische Ablösung vom Mythischen“ in der Form, dass es zunächst ein „Nacherzählen des Mythos mit einer veränderten Einstellung“ bedeute. Für den Literaturwissenschaftler sei nun die Art und Weise interessant, „in der mythische Schematismen bei der Literarisierung in die Reflexion geraten und sich in dieser Auseinandersetzung erzählerisch niederschlagen“. Die mythischen Strukturen leisteten für Haug somit „ihren Dienst als Hilfskonstruktionen bei der Blickwende auf den literarischen Prozeß […]. Das bedeutet: der mythische Übergang wird in der Weise literarisiert, daß das Göttliche sich vom Menschlichen scheidet“.50 Klaus Ridder beschreibt dies im Kontext der Rationalisierungstendenzen des 12. Jahrhunderts: „Übergreifend läßt sich formulieren, daß reflexive Strukturen im Bereich literarischer Ästhetik etabliert werden, die natürlich auch Erzählstoffe und -elemente aufnehmen (können), die einen tendenziell ‚irrationalen‘ Charakter haben. Diese Stoffe und Elemente bestimmen das literarische Ganze jedoch nicht; sie werden funktionalisiert, in ein Größeres eingebunden, das stark rationalen Prinzipien verpflichtet ist. […] Die Geltungsansprüche mythischer Motive werden (erkennbar) vorgespielt, d. h. sie werden nach den Prinzipien fiktionaler Gestaltung konstruiert.“51 Haug wie Ridder gehen somit von einem systematischen Prozess der Entmythisierung aus, in dessen Rahmen vormals Mythisches – bezogen auf den Mythos als Erzählform mit an Traditionen gebundenen Inhalten und Erzählstrukturen – von neuen, das literarische Erzählen bestimmenden Strukturen abgelöst würde. Einen Prozess der Remythisierung hat für die mittelalterliche Literatur Hans Robert Jauß beschrieben. Auch er geht von einer – als anfänglich verstandenen – Entmythisierung aus, in deren Rahmen Mythisches über die allegorische Aneignung des Mittelalters „zum Stillstand“ gebracht worden sei,52 doch: „Auf einer zweiten Stufe werden die in der Personifikation zum Stillstand gekommenen Göttergeschichten durch Umerzählen wieder in Bewegung gebracht.“53 Der Bedeutungsüberschuss der Allegorie bedinge diese neue Dynamik und ermögliche, ja erzwinge regelrecht die Etablierung eines neuen, jetzt postallegorischen Mythos.54 Hierunter versteht Jauß „eine Erzählung […], die 49 50 51 52 53 54
Haug, Verhältnis von Mythos und Literatur, S. 26. Ebd., S. 32 f. Ridder, Rationalisierungsprozesse, S. 199. Jauß, Allegorese, S. 189. Ebd., S. 207. Vgl. ebd., S. 189: „Die allegorische Mythenrezeption des Mittelalters hat den Bedeutungsüberschuß der Archetypen auf das reduziert, was sich im Horizont der christlichen Moral eindeutig erklären und als Beispiel benutzen ließ. Gleichwohl muß der im moralischen Typos vereindeutigte mythologische Rest noch einen Anreiz geboten haben, die ‚Leerform‘ der vergessenen Geschichten wieder durch erklärende Fabeln auszufüllen. Und mit der allegorischen Fabel kam nicht selten auch der die Erklärung überragende mythische Bedeutungsüberschuß wieder zur Geltung.“
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das Ganze der Welt betrifft, das Verhältnis des Menschen zu höheren Mächten verbildlicht“.55 Ein so verstandener neuer Mythos finde seinen Ort nun in der Literatur, die Trägerin eines Weltbildes werde. Heinz Schlaffer spricht hier von der Artikulation eines Bedürfnisses nach Sinn, „das von Ritualen, Mythen, Religionen befriedigt werden sollte, und das nach deren Schwächung und Verschwinden nur noch in den Kunstwerken einen Schein jener Befriedigung findet“.56 So stelle sich in der Literatur ein Darstellungsmodus ein, der dem des mythischen Denkens analog sei: „Wie das mythische Denken einer auffälligen Naturerscheinung (z. B. einem isoliert stehenden Felsen) einen Gott, einen Namen, eine Geschichte, eine Opferhandlung zuordnet, so fügt auch der Roman Begebenheit, Charakter, Zeichen und Schicksal in einer Weise zusammen, die im wirklichen Leben nicht anzutreffen ist.“57 Auf diese Weise erscheint nun Mythisches – bezogen auf die Wahrnehmungs- wie Ausdrucksform des mythischen Denkens – in der literarischen Gestaltung, in der poetischen Form. Beide Ansätze der Ent- wie der Remythisierung entwerfen je auf ihre Weise ein Modell, in dem der Mythos und die Literatur beziehungsweise Mythisches und Literarisches nicht nur einander gegenübergestellt, sondern auch unmittelbar aufeinander bezogen werden. Dabei wird das Mythische einmal auf den Mythos als Erzählung, einmal auf Formen mythischen Denkens zurückgeführt. Es liegen somit zwei groß angelegte und in der Forschung häufig getrennt rezipierte Entwürfe vor, die jeweils nur eine Seite einer Entwicklung berücksichtigen und diese zu einem anscheinend zwangsläufigen teleologischen Prozess stilisieren. Werden in synchroner Perspektive die Ebenen des Erzählens zu sehr getrennt betrachtet, liegen in diachron ausgerichteten Untersuchungen die Schwerpunkte meist nur auf einem Aspekt der Verhältnisbestimmung von Mythischem und Literarischem, von Mythos und Literatur. Methodische Annäherung und Vorgehen Der hier gewählte Ansatz will dem Versuch einer Synthese synchroner wie diachroner Perspektivierung in textnahen und vergleichenden Lektüren der Artusromane Hartmanns von Aue nachgehen. Dabei soll deutlich werden, wie im Rahmen poetischer Verfahren, im Zuge auch einer Arbeit an der Literatur die verschiedenen Ebenen des jeweiligen Textes sich wechselseitig durchdringen. Will man nicht pauschal von einem literarisch vermittelten Artusmythos ausgehen, sind daher in verstärktem Maß inhaltliche, formale wie pragmatische Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen.58 Zudem 55 56 57 58
Ebd., S. 201. Damit wäre eine solche Erzählung als fundierend, legitimierend und weltmodellierend zu bestimmen; vgl. Assmann/Assmann, Mythos, S. 180. Schlaffer, Das Nachleben des mythischen Sinns, S. 31. Ebd., S. 32. Vgl. Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 37 f.; Köbele, Mythos und Metapher, S. 244 f. Berücksichtigt hat dies für den Tristan Gottfrieds von Straßburg sowie den Iwein Hartmanns von Aue bereits Hammer, Tradierung und Transformation; vgl. auch Poppe, Rez. Tradierung und Transformation, v. a. S. 532. An die Arbeit Hammers kann hier ertragreich angeschlossen werden.
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sollen teleologische Modelle in ein Moment des Zugleich von entmythisierendem und mythisierendem Erzählen aufgelöst werden, wie es sich in syntagmatischen und paradigmatischen Zusammenhängen ebenso zeigt wie in Ausgestaltungen kleinerer Erzähleinheiten und einzelner Motivdetails. Das in den Romanen präsente Mythische gilt es daher für die Analyse näher zu bestimmen, um einen methodisch-differenzierten Zugang zu ermöglichen, mit dem sowohl die verschiedenen Textebenen berücksichtigt als auch gegenläufige Entwicklungen nachvollzogen werden können. Kann der Mythos einmal als Erzählform, einmal als Ausdruck einer eigenen Bewusstseinsform theoretisch-abstrahierend bestimmt werden, so hat man sich dem Mythischen entsprechend von zwei Seiten anzunähern: (1) Bezogen auf den Mythos als Erzählform ist Mythisches in den Artusromanen zunächst an die Tradition des Erzählens von König Artus gebunden. Orientiert an der stofflichen und formalen Tradition der überlieferten Materie ist es inhaltlich in Motiven und Motivkomplexen wie auch in eigenen Erzählstrukturen zu beschreiben. Hierbei gilt es darzustellen, wie Mythisches im Rahmen der Rezeption eingebunden ist in die literarische Produktion, wie es innerhalb neuer Kontextualisierungen eine Wirkung zeitigen und Funktionen erfüllen kann. Im Nachvollzug so zu bezeichnender mythopoetischer Verfahren können schließlich Tendenzen einer Entmythisierung erkennbar werden, in deren Folge aber Mythisches noch in literarisierter Form präsent bleibt. (2) Bezogen auf den Mythos als Bewusstseinsform ist Mythisches über die erzählten Inhalte hinaus gerade auch auf der Ebene der Darstellung zu berücksichtigen. Orientiert an Ausdrucksformen mythischen Denkens ist es in speziellen Konstruktionen von Raum und Zeit wie in eigenen Kausalzusammenhängen zu beschreiben, die mithin Einfluss nicht nur auf die erzählte Handlung nehmen, sondern gerade auch die Erzählung selbst maßgeblich bestimmen. Im Rahmen nachzuvollziehender mythosanaloger Gestaltungen kann somit deutlich werden, wie auch mythisierendes Erzählen noch die literarische Darstellung prägt. Um schließlich das Verhältnis von Mythischem und Erzählen in den Artusromanen Hartmanns von Aue zu bestimmen, gilt es letztlich aufzuzeigen, wie Mythisches im Rahmen mythopoetischen und mythosanalogen Erzählens in den Romanen nicht nur präsent, sondern darüber hinaus insgesamt eingebunden ist, wie es funktionalisiert wird oder Funktionen erfüllt. Die pragmatische Seite des Mythischen ist somit auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens gleichermaßen zu berücksichtigen, wie sie in thematischer Hinsicht auch Aufschluss geben kann für den kulturellen Kontext. Der hier im theoretisch-differenzierenden Rahmen bestimmte Begriff des Mythischen kann im Folgenden weiter diskutiert und für die zu untersuchenden Romane anwendbar gemacht werden. Die Arbeit gliedert sich daher im Wesentlichen in zwei Teile, die ihrerseits jeweils zwei Kapitel umfassen. In einem ersten Teil gilt es eine historische wie theoretische Grundlage zu schaffen, die sich dem Mythischen sowohl inhaltlich über die Rezeption als auch formal über Strukturen mythischen Denkens zuwendet. So sind zunächst (Kapitel 2) Fragen nach der Mythizität der erzählten Mate-
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rie von König Artus aufzugreifen, um nachvollziehen zu können, wie mythisch geprägte Inhalte und Erzählmuster in der Überliefung tradiert werden konnten, die maßgeblich über Chrétien de Troyes vermittelt dann auch Grundlage für das Erzählen bei Hartmann von Aue sind. In diesem Zusammenhang kann umfassender auf Ergebnisse zum mythischen Erzählen von Hans Blumenberg eingegangen werden, der den Prozess der Rezeption als eine Arbeit am Mythos beschreibt, die letztlich noch von der Literatur geleistet wird, während dieser jedoch eine eigene Literarizität zugeschrieben werden muss. Um systematische Unterscheidungen von mythischem und literarischem Erzählen vornehmen zu können, muss die Untersuchung anschließend (Kapitel 3) einem kulturwissenschaftlich orientierten Ansatz geöffnet werden. Unter Rückgriff auf allgemeine Erkenntnisse zu kulturellen Sinngebungsprozessen, wie sie Ernst Cassirer im Rahmen seiner Philosophie der symbolischen Formen herausgearbeitet hat, können Grundzüge mythischen Denkens dargestellt werden und es kann der Frage nachgegangen werden, inwiefern mythische Strukturen noch am literarischen Erzählen partizipieren. Mit Blick auf die literarhistorischen wie kulturellen Verflechtungen der Romane Hartmanns von Aue können so Konzepte einer Mythopoetik wie Mythosanalogie jeweils vorgestellt und für ihre Anwendung verfügbar gemacht werden. In je eigenen Kapiteln sollen schließlich der Erec (Kapitel 4) sowie der Iwein (Kapitel 5) Hartmanns von Aue untersucht werden. Hierfür bietet sich eine textnahe Lektüre im Rahmen eines close reading an, um Wirkungen und Funktionen des Mythischen im mythopoetischen und mythosanalogen Erzählen auf zugleich inhaltlicher wie formaler Ebene zu erfassen.59 Die einzelnen Abschnitte folgen daher im Wesentlichen dem Handlungsverlauf der jeweiligen Romane, doch sollen abschließend (Kapitel 4.4 und Kapitel 5.4) einzelne Resümees gezogen werden, um übergreifende Zusammenhänge deutlich zu machen. Erst dann (Kapitel 6) können Ergebnisse gegenübergestellt und zusammengefasst werden, sodass das Verhältnis von Mythischem und Erzählen systematisch ausgewertet und eine Arbeit an der Literatur vor dem Hintergrund einer Literarisierung des Mythischen wie einer Mythizität der Literatur nachvollzogen werden kann. Die vorzunehmende Konkretisierung der differenzierenden Betrachtung – sowohl des Gegenstandes als auch des methodischen Zugangs – beruht jedoch weiterhin auf einer theoretischen Ebene, wie sie Kiening für eine allgemeine Systematizität gefordert hat. Die Annäherung an Gegenstand und Methode, wie sie hier verfolgt wird, versteht sich als eine gegenseitige Annäherung von Gegenstand und Methode. Die theoretisch gewonnene Differenzierung wäre allein gedanklich aufzuheben in eine Vorstellung von „komplexen oszillierenden Interaktionen“.60 Sie ermöglicht allerdings „Konzeptualisierungen“, die ihrerseits aber nicht vorgeben sollen, „‚die Sache selbst‘ einzufangen, wohl aber sie zum szientifischen Gegenstand zu machen“.61 59 60 61
Vgl. zu den Vorzügen des Lektüreverfahrens eines close reading die Ausführungen bei Müller, Höfische Kompromisse, S. 43; ferner Warning, Erzählen im Paradigma, S. 186. Kiening, Alterität und Methode, S. 161. Ebd., S. 162.
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2.1 Die Mythizität der Matière de Bretagne Die Geschichte von König Artus ist von den Geschichten um König Artus klar zu trennen. Während von der historia eines vermeintlichen Heerführers aufgrund der stark überformten historiographischen Überlieferung kaum etwas bekannt ist, vermitteln nahezu unzählige, volkssprachlich überlieferte Erzählungen je eigene Ausschnitte der „Geschichte“ um König Artus, die als eine europaweit verbreitete materia die mündliche Erzähltradition über Jahrhunderte hinweg geprägt hat. In dieser Ausschließlichkeit sind historia und materia allerdings kaum auszumachen, da quer durch die verschiedenen Überlieferungsstufen stets Überschneidungen und wechselseitige Beeinflussungen einzelner Traditionen festzustellen sind. Das Verhältnis von historia und materia soll zunächst näher beschrieben werden, um eine weiter gefasste Materie bestimmen zu können, die den literarischen Bearbeitungen des 12. Jahrhunderts zugrunde lag und als so genannte Matière de Bretagne Gegenstand auch des Artusromans wurde. Die Leitfrage des Kapitels zielt auf eine Bestimmung der Mythizität der erzählten Materie, wofür zunächst der Inhalt und anschließend die Form des Erzählens wie deren pragmatische Dimension näher untersucht werden. Zur Bestimmung einer inhaltlichen Mythizität werden die verschiedenen Traditionslinien anhand prominenter Textzeugen nachgezeichnet, um mögliche Ursprünge und Kontinuitäten des Erzählten aufzuzeigen und die Anreicherung historisch geglaubter Sachverhalte mit mythischen Inhalten als einen Prozess der Mythisierung nachzuvollziehen. Was hieran anschließend als eine Form mythischen Erzählens aufgefasst werden kann, soll unter Rückgriff auf Thesen Hans Blumenbergs zur Rezeption des Mythos theoretisch erörtert werden. Um die pragmatische Dimension in ihrer mythischen Wirksamkeit zu beschreiben, wird die so genannte englische Tradition des Erzählens von Arthur1 im Vordergrund stehen, im Speziellen auch deren Funktionalisierung, wie sie bei Geoffrey of Monmouth beobachtet werden kann. Über die inhaltliche, erzählerische wie pragmatische Seite können so 1
Die Namensform Arthur wird in der Forschung entsprechend der englischen Tradition parallel zur Namensform Artus gebraucht. Mit der jeweiligen Verwendung wird hier jedoch keine durchgehende Systematik angestrebt, Arthur und Artus werden synonym verwendet.
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Mythos und Materie
Hinweise auf eine Mythizität der Matière de Bretagne gewonnen werden. Bezogen auf den Mythos als Erzählform lassen sich Konstituenten des Mythischen bestimmen sowie ein begriffliches Instrumentarium für die Analyse der Romane Hartmanns von Aue entwickeln.
2.1.1 historia und materia – Mythisierung und Kontinuität Die ältere Forschung unterteilte die Quellen zur Stoffgeschichte des Artusromans entsprechend der Textsorten zumeist in einzelne Gruppen: Neben verschiedenen überlieferten Sagen und Legenden wurden volkstümliche Erzählungen getrennt von Texten der Historiographie untersucht.2 Joachim Bumke nimmt eine andere Unterscheidung vor, wenn er eine volkssprachlich-mündliche Tradition von einer lateinisch-schriftlichen trennt.3 Dies ist unter methodischen Gesichtspunkten zwar gleichfalls nachvollziehbar, doch ist es für die hier verfolgte Frage nach dem Verhältnis von historia und materia ebensowenig ausreichend, da vor allem für das frühe wie auch noch für das hohe Mittelalter zwischen einfachen, mündlich tradierten Erzählungen und der gelehrten Geschichtsschreibung bezüglich ihres Anspruchs auf geglaubte Inhalte nur schwer unterschieden werden kann.4 Während einerseits im Volkssprachlichen durchaus historisch geglaubte Wahrheiten tradiert wurden, waren selbst streng historiographische Texte Teil einer heterogenen Überlieferung.5 Hierauf wird von Seiten der historischen Forschung immer wieder hingewiesen.6 Als Beispiel sei ein Relief aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nur kurz genannt, das sich an der Porta della Pescheria, dem Nordportal der Kathedrale von Modena, befindet.7 Durch die Namensbeischriften kann die Darstellung als eine Szene aus der weit verbreiteten Entführungsgeschichte von Arthurs Frau identifiziert werden, die etwa auch in der Vita des heiligen Gildas Caradocs of
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Vgl. mit einem Überblick über die ältere Literatur Gottzmann, Artusdichtung, S. 21 f. Vgl. zuletzt das Kapitel „Stoff und Quellen“ bei Bumke, Erec, S. 137–150, hier v. a. S. 138. Vgl. mit explizitem Verweis auf die arthurische Überlieferung Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte, S. 46–51. Zu den Problemen einer Unterscheidung zwischen einer „‚historical‘ Latin tradition“ und einer „‚mythic‘ or ‚fictitious‘ vernacular tradition“ äußert sich ebenfalls SimsWilliams, Welsh Arthurian Poems, S. 35; vgl. hierzu auch Haug, König Artus, S. 108. Als exemplarisch kann hier das im Mittelalter tradierte Wissen um Arthur gelten; vgl. SimsWilliams, Welsh Arthurian Poems, S. 34: „Such knowledge might (to use modern terms) include historical or mythic truth, or an uncertain mixture of both, as was the case with Arthur himself.“ Gerade die Werke Geoffreys of Monmouth und Waces geben hierfür ein Beispiel, worauf zurückzukommen ist; vgl. auch Haug, König Artus, S. 109. Vgl. Althoff, Genealogische und andere Fiktionen, S. 27; Althoff, Formen und Funktionen, S. 13; Melville, Wozu Geschichte schreiben?, S. 88 f.; vgl. ausführlich auch Melville, Le problème des connaissances historiques. Siehe hierzu Stiennon/Lejeune, La légende arthurienne; ferner Loomis, Celtic Myth, S. 3–11.
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Llancarfan überliefert ist,8 doch in der so dargestellten Form kaum ohne eine mündliche Tradition angenommen werden kann.9 Am Kirchenportal, an der Schwelle zwischen dem Sakralen und dem Profanen, zeigt sich somit eine Darstellung, die sowohl auf lateinisch-klerikalen als auch volkssprachlich-mündlichen Überlieferungen beruht. Aufs Engste verbindet sich hier zu Beginn des 12. Jahrhunderts eine zweifellos als historisch geglaubte Wahrheit mit volkstümlicher Überlieferung. Was einerseits der mittelalterlichen historia zugeordnet wird, ist zugleich materia einer europaweit populären Erzählung. Die Frage nach der Mythizität erzählter Inhalte muss stets berücksichtigen, wie ausgehend vom historischen Sachverhalt das Erzählte zunehmend auch Gegenstand volkstümlicher Erzählungen wurde. Wie das Beispiel aus Modena zeigt, ist dabei jedoch nicht von einer einseitigen Entwicklung – von historia zu materia – auszugehen, vielmehr zeigen sich auch Kontinuitäten in der Überlieferung, zeigen sich parallele Entwicklungen, eigenständige Tradierungen und wechselseitige Beeinflussungen. Diese sind aufgrund der Quellenlage im Einzelnen nur schwer zu rekonstruieren, doch soll im Folgenden kurz gezeigt werden, wie neben der mittelalterlich historiographischen Erinnerung an Artus erzählte Inhalte zunehmend auch mit Mythischem durchsetzt wurden, vornehmlich aus dem keltischen Kulturkreis.10 Anhand einer Auswahl prominenter Textzeugen wird daher die historiographische Tradition kurz in ihren Grundzügen vorgestellt, um anschließend in gleicher Weise auf volkssprachliches Erzählgut einzugehen. Was also aus systematischen Gründen zunächst getrennt beschrieben wird, ist anschließend jedoch im wechselseitigen Verhältnis unter der Frage nach Kontinuität und Mythisierung zusammen zu sehen. Die historiographische Tradition Zur historischen Person von Artus lassen sich bis heute nur vage Vermutungen anstellen, zu einer abschließenden Klarheit wird die Forschung vermutlich niemals kommen, nicht zuletzt auch deshalb, da die Geschichtsschreibung „seit Beginn der Überlieferung von der Sage überformt“ ist.11
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Caradoc erzählt zwei ausführliche arthurische Episoden, darunter die früheste Erzählung von der Entführung Gwenhwyfars durch Melwas und ihrer Gefangenschaft in urbs vitrea (Glastonbury). Gildas vermittelte und befriedete die widerstreitenden Parteien. Vgl. Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 83; Haug, König Artus, S. 106 f. Vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 41. Lange spricht hier von dem „Einbruch keltischen Erzählgutes in die europäischen Literaturen, der sich unter dem Zeichen des König Artus vollzieht“; Lange, Literaturbeziehungen, S. 165. Zu den keltischen Wurzeln des Artusstoffes siehe grundlegend Zimmer, Die keltischen Wurzeln; Zimmer, Die ältesten Zeugnisse; ferner Bromwich, Celtic Elements; Thomas, Some Critical Reflections. Ruh, Höfische Epik, S. 97; vgl. auch Carley, Arthur in English History, S. 47; Wolf, Suche nach König Artus, S. 7 f.
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Mythos und Materie
Die älteste bekannte historiographische Quelle, in der von Arthur erzählt wird, ist die so genannte Historia Britonum aus dem 9. Jahrhundert. Der anonym überlieferte Text, früher einem Nennius zugeschrieben, berichtet von einem dux bellorum, einem keltischen Heerführer, der um 500 gegen die Sachsen gekämpft haben soll. Als historische Quelle für das 6. Jahrhundert ist dieser Bericht mit Sicherheit anzuzweifeln,12 doch belegt er eine bereits feste Tradition arthurischer Erzählungen für das 9. Jahrhundert.13 Als Hinweise hierfür wurden einerseits die legendarische Zwölfzahl der Schlachten genannt sowie das aus der St.-Oswald-Legende bekannte Motiv, Arthur habe in der achten Schlacht bei Guinnion auf der Schulter das Bild Mariens getragen.14 Andererseits bezieht man sich auf die erzählten, so genannten mirabilia: So wird etwa von einem (Grab-)Hügel aus Steinen berichtet, auf dem sich einer mit dem Fußabdruck von Arthurs Hund Cabal befinde, der von niemandem dort weggenommen werden könne, sowie vom Grab Amrs, dem Sohn Arthurs, das stets in einer anderen Länge aufgefunden werde.15 „Zweifellos“, so resümiert Kurt Ruh, „ist die Darstellung der ‚Historia Britonum‘ das Produkt fortgeschrittener Sagenbildung.“16 Dies ist auch für die zweite maßgebliche historiographische Quelle festzuhalten, die Annales Cambriae des 10. Jahrhunderts.17 Sie beruhen zu großen Teilen vermutlich auf der Historia Britonum und berichten ebenfalls von der Schlacht bei Guinnion im Jahr 516, bei der Arthur jetzt allerdings das Zeichen des Kreuzes auf seiner Schulter geführt haben soll.18 Für das Jahr 537 führen sie die Niederlage Arthurs in der Schlacht bei Camlann an, dem sich ein nicht näher bestimmtes Sterben in Britannien und Irland angeschlossen haben soll. Insgesamt beinhalten sie vielerlei Informationen, die unabhängig von der früheren Geschichtsschreibung sind und auf eine breite mündliche Tradition verweisen.19 Wie für die Annales Cambriae war auch für die Gesta regum Anglorum des William of Malmesbury von 1125 die Historia Britonum die maßgebliche Quelle. William nennt 12 13 14
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Vgl. Charles-Edwards, Arthur of History, S. 16–25, hier v. a. S. 18. Vgl. Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 36; Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 56. Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 97: Der Verweis auf Maria ist für Ruh zudem auch Anzeichen für „die Tendenz des Autors, Arthur zu einem christlichen Glaubenshelden umzugestalten“. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 54–56, sieht hierin einen Zusammenhang mit einer heilsgeschichtlichen Begründung des Geschehens. Vgl. auch Charles-Edwards, Arthur of History, S. 27. Vgl. mit den entsprechenden Auszügen aus dem Text Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 56–59; ferner Gottzmann, Artusdichtung, S. 27. Ruh, Höfische Epik, S. 97. Zu den Annales Cambriae siehe Charles-Edwards, Arthur of History, S. 25–28; mit den entsprechenden Auszügen Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 60–62; zur chronikalen Überlieferung Fletcher, Arthurian Material, v. a. S. 31 f. Vgl. Gottzmann, Artusdichtung, S. 27; Bezzola, Artus, Sp. 1074 f. Zimmer nimmt hier einen Übersetzungsfehler des Altkymrischen an und lokalisiert das Kreuz auf dem Schild. Als heraldisches Zeichen würde dies allerdings auf eine spätere Interpolation verweisen; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 60 f.; Charles-Edwards, Arthur of History, S. 27. Vgl. Haug, König Artus, S. 108.
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ausdrücklich auch eine mündliche Tradition, von der er sich entschieden absetzen möchte.20 Dennoch erzählt er nicht nur von Arthurs Entrückung nach Avalon, sondern ebenso von dem angeblich 14 Fuß langen Grab Walwens (Gawein).21 William bringt jedoch nachhaltig eine distanzierte Haltung gegenüber den mündlich tradierten Erzählungen zum Ausdruck, da er die historische Wahrheit über Arthur berichten möchte.22 In den genannten historiographischen Texten liegen also zahlreiche und bisweilen sogar eindeutige Hinweise auf eine breite mündliche Erzähltradition von Geschichten um Arthur vor. Von dieser zeugen auch verschiedene volkssprachliche Texte, die zwar zumeist erst in schriftlicher Form späterer Zeit überliefert sind, doch aufgrund stilistischer und vor allem sprachlicher Untersuchungen dem bisher betrachteten Zeitraum zugeordnet werden können. Von diesen teils sehr fragmentarisch überlieferten Texten soll hier zumindest eine Auswahl kurz vorgestellt werden. Die volkssprachliche Überlieferung Die vermutlich älteste Erwähnung Arthurs in der Volkssprache hat sich in nur einer Handschrift von etwa 1265 erhalten. Es handelt sich um das kymrische Heldenepos Gododdin, das vermutlich bereits im 9. Jahrhundert erstmals kodifiziert wurde, ein ältester Kern wird gar für das 6. Jahrhundert angenommen.23 Darin wird Gwarddur, der Held des Epos, aufgrund seiner Taten mit Arthur verglichen: „Wann auch immer das kurze Lied gedichtet wurde, es setzt offenbar voraus, daß Arthur für die Hörer ein Begriff war, ein Inbegriff des Helden.“24 Jünger als Gododdin, doch ebenfalls schwer zu datieren, ist das im so genannten Schwarzen Buch von Carmarthen von 1250 überlieferte, nach dem ersten Vers Pa gur yv y porthaur meist nur als Pa gur bezeichnete Gedicht,25 in dem Arthur einem Torwächter von sich und seinen Männern erzählt, die Guir gorev im bid seien, die besten Männer in der Welt. Namentlich genannt werden neben Arthur mit Cei dem Weißen zahlreiche Helden wie Melld oder Mydron, die als „sicher mythische Figuren“ anzu20 21 22
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Vgl. Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte, S. 54–56. Vgl. Gottzmann, Artusdichtung, S. 27 f. Vgl. Lacy, König Artus, S. 49, für den William dann zugleich „ein entscheidend-wichtiger Zeuge für die Entwicklung des Mythos“ sei, der sich – im Sinne eines sekundären Mythos – um die Figur des Königs ausprägte. Auf eine v. a. im 12. Jahrhundert zunehmende distanzierte Haltung gegenüber der erzählten Materie ist in Kapitel 2.2.1 näher einzugehen. Zur Datierung Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 37; vgl. allgemein Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 65–69. Lange weist auf umfangreiche Interpolationen hin, die eine Authentizität des Textes anzweifeln lassen; vgl. Lange, Literaturbeziehungen, S. 167. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, 66 f. Zimmer weist zudem darauf hin, dass ein späterer Einschub des Vergleichs ausgeschlossen werden kann. Vgl. auch Lloyd-Morgan, Celtic Tradition, S. 2. Vgl. Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 38–46; mit Wiedergabe und Übersetzung des gesamten, 90 Verse umfassenden Gedichts, versehen mit zahlreichen Anmerkungen zum Text siehe Zimmer, Die keltischen Wurzeln, 69–76. Eine Übersetzung bietet auch Birkhan, Keltische Erzählungen, Bd. II, S. 104–106.
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sprechen sind und mit keltischen Gottheiten in Verbindung gebracht werden können.26 Mydrons ebenfalls an dieser Stelle erwähnter Sohn Mabon wird als Gefolgsmann von Uthir Pendragon (Uterpandragon) genannt und ist einer von drei berühmten Gefangenen in der walisischen Mythologie, der besiegt werden muss, um Freiheit zu erlangen.27 Die Forschung hat hierin Parallelen zu Chrétiens Mabonagrain aus der Joie de la courtEpisode im Erec gesehen.28 Auch in Culhwch ac Olwen wird von ihm und seiner Befreiung berichtet. Bei diesem ältesten vollständig erhaltenen Text der Artussage der Zeit um 110029 handelt es sich um eine Brautwerbungsgeschichte, die „viele alte, echt keltische Überlieferungsreste bewahrt“ hat und die „altkeltisch-mythologischen Züge“ noch erkennen lässt.30 So können verschiedene arthurische Episoden mit anderen keltischen Erzählungen verglichen werden, die „mythisch geprägt sind“, hierunter fallen etwa „Kämpfe gegen Riesen, gefährliche Tiere, Gewinn andersweltlicher Gegenstände“.31 Vom Gewinn solcher Objekte aus der Anderwelt berichtet das walisische Gedicht Preiddeu Annwn, das sich mit weiteren Texten, die Arthur erwähnen, in einer Sammelhandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert, dem so genannten Buch von Taliesin, erhalten hat. Auch dieser Text lässt sich nur unsicher datieren, doch könnte er aufgrund sprachlicher Kriterien bis in das 8. Jahrhundert zurückreichen.32 In Andeutungen wird hier ein Beutezug Arthurs in die Anderwelt erzählt, auf dem verschiedene kostbare Schätze geraubt werden. Aus einer auf einer Insel gelegenen gläsernen Burg stiehlt Arthur mit nur wenigen Überlebenden nach schweren Kämpfen einen von neun Jungfrauen erhitzten Kessel, der Speisen nur für Mutige zum Kochen bringen soll.33 26
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Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 70 f., dort auch weitere Angaben zu den genannten Personen. Für die spätere französische Artusdichtung ist zudem von Interesse die Erwähnung des katzenartigen Monsters Cath Palug (Chapalu), das sich auch im Fußbodenmosaik der Kathedrale von Otranto findet; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 75 u. 41 f.; Haug, König Artus, S. 111 f.; Birkhan, Einführung, S. 19; zum Mosaik von Otranto allgemein Haug, Artussage und Heilsgeschichte. Vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 71. Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 177. Birkhan, Einführung, S. 55, nimmt für Mabonagrain „zwei keltische Apollo-Namen (Maponos und Grannos)“ als Ursprung an; vgl. auch Kapitel 4.3.2. Der Text, der zur Gruppe der Mabinogion gezählt wird, ist dem Frühmittelkymrischen zuzuordnen und in zwei Handschriften von etwa 1350 bzw. 1400 erhalten; vgl. hierzu Roberts, Culhwch ac Olwen, v. a. S. 73–80; eine vollständige Übersetzung bietet jetzt Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 113–165; vgl. auch die Übersetzung von Birkhan, Keltische Erzählungen, Bd. II, S. 33–103. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 113. Mertens, Artusroman, S. 22. Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 78, nennt seinerseits „[…] the release of captives, the slaying of witches and giants, the hunting of oppressive beasts and the winning of precious otherworld objects. An Arthurian world, not yet chivalrous perhaps, but wondrous, dangerous and defended by the leader, is clearly established.“ Ins 8. Jahrhundert datiert Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 79; Sims-Williams gibt als möglichen Zeitraum 850–1150 an; Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 54. Text mit Übersetzung bei Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 80–85; eine Übersetzung bietet auch Birkhan, Keltische Erzählungen, Bd. II, S. 107–109.
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Die Vorstellung einer jenseitigen, gläsernen Insel findet sich zahlreich nicht nur in der volkssprachlichen Literatur. Unbestritten sieht die Forschung in Erzählungen wie dem Gedicht Preiddeu Annwn die „mythische Basis“ für die prominente und weit verbreitete Geschichte der Entführung von Arthurs Frau Ginover.34 Ein ebenfalls früher Bezugstext ist die bereits erwähnte Vita Gildae Caradocs von Llancarvan, in der Melvas mit Guennuvar auf seine Burg Glastonia35 flieht, von wo sie Arthur befreien muss.36 Noch bei Chrétien wirkt diese Erzählung im Chevalier de la Charette nach,37 dort entführt Meleagant Guenièvre in sein anderweltliches Herrschaftsreich Goirre.38 In Hartmanns Iwein wird die Entführung der Königin durch Meljakanz vom Burgherrn der Harpin-Episode als vremde mære berichtet (V. 4528–4726),39 und auch in Hartmanns Erec erscheint Maheloas von dem glesînen auf der Hochzeit Erecs und Enites (V. 1919–1927).40 Anhand dieses nur kursorischen Überblicks zur Überlieferung aus dem keltischen Kulturkreis wird bereits deutlich, dass inhaltliche Gemeinsamkeiten selbst noch mit den Artusromanen Hartmanns von Aue bestehen. An dieser Stelle sollen speziell aber noch zwei der so genannten Mabinogion kurz angesprochen werden, die auch die Forschung lange Zeit sehr intensiv beschäftigt haben: das unter der Bezeichnung Chwedl Gereint ab Erbin bekannte Mabinogi sowie Owain, Chwedl Jarlles y Ffynnon.41 Sie gehören zu einer Gruppe von insgesamt elf keltischen Prosaerzählungen, die in verschiedenen Handschriften ab dem späten 13. Jahrhundert überliefert,42 zum Teil aber noch „sehr archaischen, mythosnahen Inhalts“ sind.43 Daneben kann in gleicher Weise ein jeweils auch historischer Kern angenommen werden. So wurde die Figur Gereints etwa mit einem Feldherrn namens Gerontios in Cornwall in Verbindung gebracht, von dem im 34 35
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Haug, „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“, S. 7. Caradoc wählt die latinisierte Form Glastonia des englischen Glastonbury, das auf die keltische Bezeichnung Ynis Gutrin, ‚Glasinsel‘, zurückgeht; vgl. Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 60; Haug, König Artus, S. 106 f.; Loomis, Arthurian Tradition, S. 219 f. Vgl. auch mit Verweis auf Erwähnungen in zahlreichen anderen Texten Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 57–61. Auf die verschiedenen Andeutungen auf Arthur in lateinischen Viten der Zeit vor Geoffrey kann hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. hierzu Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 93–99; und Roberts, Culhwch ac Olwen, v. a. S. 82–84. Vgl. hierzu v. a. Haug, „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“, S. 5–16. Vgl. Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 59 f.; vgl. zum Land von Goirre Loomis, Arthurian Tradition, S. 218–222. Haug verweist auf die Gemeinsamkeiten mit Chrétien, doch auch darauf, dass „Hartmann zweifellos eine von Chrétien abweichende Version gekannt hat“; Haug, „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“, S. 9. Zur Harpin-Episode in Hartmanns Iwein siehe Kapitel 5.2.3. Zu den unterschiedlichen Namensformen siehe Chandler, Catalogue of Names, S. 200 f.; zur Erwähnung in Hartmanns Erec siehe Kapitel 4.1.4. Chwedl ist das kymrische Wort für ‚Erzählung‘. Zu diesen Mabinogion siehe v. a. Middleton, Chwedl Gereint ab Erbin; Thomson, Owain; ferner Jones/Jones, Mabinogion. Zur Überlieferung siehe Middleton, Chwedl Gereint ab Erbin, S. 147; Thomson, Owain, S. 159 f. Birkhan, Einführung, S. 33.
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Schwarzen Buch von Carmarthen ein ins 10. Jahrhundert zu datierendes Preislied überliefert ist.44 Owein wird als Sohn Uryens von Rheged genannt, einem südschottischen König, der nach Kämpfen gegen den englischen König Theodric in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts ermordet worden sein soll. Hiervon berichtet bereits die Historia Britonum, außerdem hat sich eine Totenklage auf Owein erhalten.45 Gerade die ältere Forschung widmete sich immer wieder der Frage, inwiefern die genannten Mabinogion dann auch mögliche Quellen für die Romane Chrétiens und Hartmanns gewesen sein könnten.46 Die unter der Bezeichnung ‚Mabinogionfrage‘ in der Forschung geführte Diskussion ist heute allerdings insofern zu einem, wenn auch aufgrund verschiedener Unsicherheiten nicht gänzlich befriedigenden Abschluss gekommen, als sprachliche und inhaltliche Argumente dafür sprechen, die Erzählungen gegenüber den französischen Artusromanen als sekundär einzustufen.47 Unterschiede, die bislang nicht weiter aufgelöst werden konnten, werden inzwischen eher dem jeweils bearbeitenden Dichter zugeschrieben, als dass von einer schriftliterarischen Vorlage ausgegangen wird, zumal zunehmend auch die „vorliterarische, mündliche Tradition sehr viel ernster genommen wird“.48 Gerade im Gereint haben sich typische Phrasen einer mündlichen Überlieferung erhalten, die noch parallel zur schriftlichen angenommen wird,49 deren Kenntnis den jeweiligen Dichtern zwar nicht nachgewiesen, aber ebensowenig abgesprochen werden kann.50 Insgesamt stellt Joachim Bumke daher resümierend fest, dass „diese Frage nur noch wenig Interesse“ findet.51 Zur Vollständigkeit sollen noch zwei letzte Texte zumindest kurz erwähnt werden, die der Forschung wiederum ähnliche Schwierigkeiten, besonders hinsichtlich der Datierung bereitet haben: Es handelt sich um die so genannte Erex saga sowie die Ivens saga, die nordische Prosabearbeitungen der Romane Chrétiens vermutlich aus dem 13. Jahrhundert sind, deren älteste Textzeugen allerdings erst aus dem 15. beziehungsweise
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Vgl. mit einer Übersetzung des Preisliedes ebd., S. 22–25. Kritisch zur Identifizierung Gereints mit einem Feldherrn äußert sich Middleton, Chwedl Gereint ab Erbin, S. 148. Vgl. Birkhan, Einführung, S. 20–22 u. 46–48; Thomson, Owain, S. 160 f. Vgl. mit einer Gegenüberstellung der wichtigsten Argumente v. a. Salberg, La mabinogionfrage; knapp und übersichtlich Birkhan, Einführung, S. 37–41; außerdem Thomas, ‚Gereint‘ and ‚Erec‘; Thomas, Sir Gawein’s Interpretation; Lozac’hmeur, Les origines armoricaines. Vgl. Birkhan, Einführung, S. 37. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 168. Vgl. Lloyd-Morgan, Celtic Tradition, S. 7; Birkhan, Einführung, S. 41; Middleton, Chwedl Gereint ab Erbin, S. 153–155. Middleton bleibt daher skeptisch gegenüber einer schriftlichen Vorlage für Chrétien; vgl. ebd., S. 149–152. Die Möglichkeit einer gemeinsamen Vorlage nimmt Lozac’hmeur, Les origines armoricaines, S. 161, an. Über den Vergleich überlieferter Fassungen des Gereint kommt Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 46–49, zu dem Schluss, dass verschiedene Versionen kursierten. Zum Owein vgl. ebenfalls kritisch aufgrund nicht zufriedenstellend aufzulösender Unterschiede gerade zum zweiten Teil von Chrétiens Yvain Thomson, Owain, S. 167 f. Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 169; Ruh, Höfische Epik, S. 124. Bumke, Erec, S. 149.
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17. Jahrhundert stammen.52 Gerade die Erex saga weist auffallende Übereinstimmungen sowohl mit dem kymrischen Gereint als auch mit dem Erec Hartmanns von Aue auf, sie ergeben „aber kein so profiliertes Bild, daß eine schriftliterarische Quelle wahrscheinlich ist“,53 oder um überhaupt erst „einen Zusammenhang zu sichern“.54 Tradition und Mythisierung Fasst man die Beobachtungen zu den historiographischen und volkssprachlichen Quellen des Artusstoffes zusammen, ist bis in das 12. Jahrhundert eine breite Überlieferung der Geschichte von und der Geschichten um Artus festzustellen. Von Artus berichten zahlreiche historiographische Texte, die insofern in einem direkten Verhältnis zueinander stehen, als die Historia Britonum des 9. Jahrhunderts meist die Vorlage für spätere Geschichtsschreiber war. Schon aus diesem Grund sind trotz einzelner Veränderungen und unterschiedlicher Bewertungen konstante Momente auszumachen. Dies ist einerseits auf den jeweils vertretenen Anspruch auf Historizität zurückzuführen, andererseits lässt sich ein tatsächlich historischer Kern des Erzählten nicht belegen. Eine inhaltliche Kontinuität ist auch in den überlieferten volkssprachlichen Texten festzustellen, die auf eine weit verbreitete mündliche Erzähltradition schließen lassen. Für diese Erzählungen ist ein gemeinsamer Ursprung zu vermuten. Ist es also auf der einen Seite ein historisch anzunehmender Kern, der das Zentrum der historiographischen Texte bildet, ist es auf der anderen Seite ein Motivschatz eines allgemeinen Stofffundus, der den volkssprachlichen Erzählungen zugrunde liegt. Ist man geneigt, einerseits von historia, andererseits von materia zu sprechen, ergeben sich jedoch methodische Probleme, „denn es ist natürlich nur in der Theorie möglich, Hagiographie, Historiographie und mythische Erzählungen fein säuberlich zu trennen. In der Praxis erweisen sich solche Grenzen schnell als fließend.“55 Was Gerd Althoff hier allgemein für die mediävistische Forschung feststellen kann, dass die oftmals „säuberlich getrennten Bereiche von Geschichtsschreibung und Mythos näher zusammenzurücken, wenn nicht in eins zu setzen“ sind,56 gilt im Speziellen auch für die Überlieferungen zu Artus. Vergleicht man die frühen keltischen Quellen mit den historiographischen, zeigen sich Gemeinsamkeiten, die eher auf ein gemeinsam zugrunde liegendes Erzählgut verweisen, als dass direkte Abhängigkeiten anzunehmen sind.57 Gegenseitige Beeinflussungen zeitlich paralleler Überlieferungen sind dabei jedoch nicht aus52 53 54 55 56 57
Vgl. Kretschmer, Erzähltradition; ferner Kalinke, King Arthur; Kalinke, structural comparison; Gottzmann, Die Sinnstruktur der ‚Erex saga‘; Freche, Geschlechterkonstruktion. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 169. Bumke, Erec, S. 150. Althoff, Formen und Funktionen, S. 13. Ebd., S. 14. Vgl. Sims-Williams, Welsh Arthurian Poems, S. 56: „It is more convincing to think of them as reworkings of a common story-pattern for different purpuses than as texts to be relatet by a stemma.“
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zuschließen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist etwa der angesprochene Feldzug Arthurs in die Anderwelt im Preiddeu Annwn, für den mythische Motive mit historiographisch verbürgter Tradition zu verbinden versucht wurden.58 Auf der anderen Seite durchdringen Inhalte der mündlichen Erzähltradition auch die lateinisch-schriftliche Historiographie und reichern diese mit mythischen Inhalten an. Verschiedene Beispiele, wie sie etwa schon im so genannten Mirabilien-Teil der Historia Britonum zu finden sind, wurden bereits genannt. Mit Bezug auf Namenslisten im Culhwch ac Olwen oder im Pa gur spricht Brynley F. Roberts entsprechend von einem „increasing magnetism“ der Figur Arthurs und betont „the strength of his legend“.59 Auch Norris J. Lacy nennt als eine ihrer „wesentlichen Eigenschaften“ ihre „zentripetale Kraft, die eine Anzahl von ursprünglich unabhängigen Elementen anzieht und in sich vereint“.60 Für Lacy sind schließlich diese „zur Artus-Geschichte angesammelten Elemente“ dann „der Kern des Mythos“.61 Die das Kapitel leitende Frage nach der Mythizität des Erzählten gewinnt hier an Prägnanz. Der Annahme eines genuinen Artus-Mythos liegt jedoch ein Mythos-Begriff zugrunde, der eine „spielerische Behandlung, Variation und Freiheit der Imagination“ voraussetzt.62 Berücksichtigt man allerdings die hier deutlich gewordene Vermengung von historiographischer und volkstümlicher Überlieferung, in der die historisch geglaubte Wahrheit tradiert wird, ist von einer solchen Freiheit der Imagination bis in das beginnende 12. Jahrhundert nicht auszugehen. Bleibt die Historizität Arthurs auch weiterhin im Dunkeln,63 lässt sich aber unzweifelhaft eine Mythisierung des Erzählten beobachten: „Die Gestalten der Vorzeit nahmen überdimensionale Formen an, auch Erinnerungen an die überwundene heidnische Götterwelt wurden an sie geknüpft. So wurden diese Ereignisse zwar in mythisierter Form, aber immer noch im Glauben an ihre historische Wahrheit von den Erzählern (cyfarwyddiaid) tradiert.“64 Helmut Birkhan ver58
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Vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 85: „Es scheint, als habe er [der Dichter des Preiddeu Annwn] versucht, das alte keltische Motiv von den Schätzen der Anderwelt, die hin und wieder in die Menschenwelt geraten, mit der kriegerischen Tradition von Arthur, dem Anführer der Helden Britanniens, zu verknüpfen.“ Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 79. Lacy, König Artus, S. 58. Für ihn ist es gar eine „mythische Anziehungskraft“, die das „Zusammenwachsen einer ausgeformten Legende um diese historisch dunkle und vielleicht fiktive Figur“ bewirkt; ebd., S. 62. Ebd., S. 58. Assmann/Assmann, Mythos, S. 180. Eine solche „Freiheit der Imagination im Umgang mit Geschichten von einst Übermächtigem“ ist für Hans Blumenberg schließlich auch Kennzeichen nicht mehr des Mythos, sondern vielmehr seiner Rezeption; Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 23. Auf Blumenbergs Mythos-Begriff, der im Wesentlichen gerade über den Umgang, d. h. über die Rezeption im Erzählen, zu fassen ist, wird in Kapitel 2.1.2 ausführlich eingegangen. Vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 29 u. 191 f. Die Frage nach der Historizität Arthurs besitzt hier keine weitere Relevanz. Einen Überblick geben Parins, Looking for Arthur; Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 191–194; zuletzt Wolf, Suche nach König Artus, S. 9–39. Birkhan, Einführung, S. 27.
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gleicht Arthur mit anderen, historisch gesicherten Figuren wie Theoderich unter dem Gesichtspunkt der „Mythisierung einer historischen Persönlichkeit in der Geschichtserinnerung“ und kann feststellen, „daß beide – bei Dietrich von Bern beobachten wir es besonders im Nibelungenlied – in andere Sagenkreise einbezogen werden oder diese an sich ziehen“.65 Gleiches nimmt er dann auch für die Erzählungen von Owein und Gereint an: „Was unsere Erzählungen betrifft, so möchte ich doch letztlich motivliche Herkunft aus der altkeltischen – oder vorsichtiger: alteuropäischen – Religion erwägen, im Sinne der erwähnten Mythisierung historischer Personen wie Owein, Gerontios u. a.“66 Strukturell gesehen vollzieht sich hier an der historischen Person Vergleichbares, wie Hans Robert Jauß es für das Nachleben der antiken Mythologie im Mittelalter unter dem Gesichtspunkt einer Remythisierung beschrieben hat, indem die zur Allegorie geronnenen Figuren aufgrund ihres Bedeutungsüberschusses mit Material angereichert wurden, das ihnen eine neue Geschichte gab.67 Überträgt man dieses Modell auf einen nicht-mythischen Ausgangsbestand, ist folglich von einer Mythisierung zu sprechen. Daneben sind es gerade die keltischen Mytheme, die trotz „aller nicht mehr verstandenen Fülle“ im Erzählgut des 12. Jahrhunderts – anders als die Erzählungen der griechisch-römischen Mythologie – ungehindert weiter tradiert wurden.68 Mit Blick auf die arthurische Erzähltradition wird somit deutlich, dass nicht zwischen einer die historia pflegenden lateinisch-klerikalen Geschichtsschreibung auf der einen und einer die materia tradierenden volkssprachlich-mündlichen Überlieferung auf der anderen Seite unterschieden werden kann. Der Einfluss der Historiographie auf das mündliche Erzählgut lässt sich ebenso feststellen wie ein Durchdringen jener mit Elementen aus der keltischen Mythologie, was als eine Form der Mythisierung beschreibbar ist. Von einer historischen Entwicklung kann und soll hier nicht ausgegangen werden, da bereits in den frühesten Überlieferungsstufen solche heterogenen Bestände auszumachen sind. Letztlich verhindern auch der Überlieferungsbefund und die Probleme der Datierung der einzelnen Texte einen ausreichend historisch-kritischen Zugriff, zumal spätere Kontaminationen nie gänzlich ausgeschlossen werden können. Im Folgenden soll daher von einer inhaltlichen Stofftradition, von einer Materie, ausgegangen werden, die weder einzig auf einen möglichen historischen Kern zurückgeführt, noch als eigener Mythos bezeichnet werden kann. Dieser Materie, die als so genannte Matière de Bretagne dem Artusroman seit dem 12. Jahrhundert als Grundlage dient, ist dabei aber eine Historizität in der Tradition ebenso wenig abzusprechen, wie ihr auf der 65
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Ebd., S. 17. Vgl. zur Figur Theoderich/Dietrich zuletzt Kragl, Mythisierung; sowie Gottzmann, Theoderich. Ähnliches lässt sich auch in Erzählungen von Karl dem Großen ausmachen, in denen die „Konstruktion eines Mythos“ betrieben wird; vgl. hierzu Bastert, Einleitung Karl der Große, v. a. S. XIV–XVII, sowie die weiteren Beiträge in Bastert, Karl der Große. Mit der Mythisierung des historischen Karl befasst explizit Fried, Karl der Große; vgl. ferner Herbers, Karl der Große. Birkhan, Einführung, S. 45. Vgl. Jauß, Allegorese, S. 189 u. 195. Lange, Literaturbeziehungen, S. 204.
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anderen Seite eine Mythizität über den Inhalt durchaus zuzusprechen ist. Berücksichtigt man darüber hinaus auch weiterhin die Rezeption des Erzählten, so ist festzustellen, dass gerade die „Episoden, die ein mythisches Potenzial in sich trugen“, das Erzählen von Artus nachhaltig prägten.69 Die formale und pragmatische Seite des Erzählens sollen im Folgenden gerade unter dieser Perspektive theoretisch besprochen und als eine „Arbeit am Mythos“ beschrieben werden.
2.1.2 Form und Pragmatik – Bedeutsamkeit mythischen Erzählens Das dem Kapitel zugrunde liegende Vorhaben, sich dem Mythischen, bezogen auf den Mythos als Erzählform, anzunähern, orientiert sich nicht nur an den erzählten Inhalten, sondern muss in gleicher Weise auch das Erzählen selbst berücksichtigen. Fasst man den Mythos als „fundierende, legitimierende und weltmodellierende Erzählung“,70 der zunächst als „mündlicher Kommentar einer Kulthandlung“ anzusehen ist,71 lässt er sich nach Harald Weinrich entsprechend „sowohl durch seinen Inhalt (Gegenstände einer gewissen Bedeutung, die große Dimension) als auch durch seine Form (die erzählende Redeweise) definieren“.72 Nachdem im vorangegangenen Abschnitt des Kapitels der Inhalt, die Materie, Gegenstand der Untersuchung war, über die der Matière de Bretagne eine Mythizität zugesprochen werden konnte, gilt es nun, eben dieser Form des Erzählens nachzugehen. Über den Vergleich verschiedener Überlieferungszeugen der erzählten Materie ließen sich neben konstanten Inhalten, die als mögliche historische Restbestände auf eine Historizität des Erzählten auf der einen, als überlieferte Mytheme auf eine inhaltliche Mythizität auf der anderen Seite bezogen werden konnten, auch Veränderungen im Erzählen feststellen. Solche Veränderungen mögen auf unterschiedliche Erzählintentionen der verschiedenen – historiographischen oder volkstümlichen – Überlieferungsformen zurückführbar sein, doch soll im Folgenden auf theoretischer Basis erörtert werden, inwiefern hier eine spezielle Form des Erzählens zugrunde liegen mag, die als eine Form mythischen Erzählens beschrieben werden kann. Die Frage zielt demnach auf eine Mythizität nicht mehr nur des Erzählten, sondern im Konkreten auch des Erzählens. Dabei ist jedoch zugleich dessen pragmatische Dimension zu berücksichtigen. Für Weinrich sind Mythen „prinzipiell Erzählungen“, denen immer schon der „Status eines Sprechaktes im Sinne Saussures“ zukomme.73 Auch Aleida und Jan Assmann weisen darauf hin, dass schon die Rezitation von Mythen als Handlung aufgefasst werden kann.74 In einer weiter gefassten Sichtweise, die 69 70 71 72 73 74
Haug, König Artus, S. 111. Assmann/Assmann, Mythos, S. 180. Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 21. Weinrich, Erzählstrukturen des Mythos, S. 169. Ebd., S. 170. Vgl. Assmann/Assmann, Mythos, S. 186 f.
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über den engeren Zusammenhang von Mythos und Ritus hinausgeht, bezieht sich die Pragmatik auf die Funktion und Funktionalisierbarkeit mythischen Erzählens. Form und Pragmatik des mythischen Erzählens sollen zunächst anhand der Theorie Hans Blumenbergs beschrieben werden, der dem Mythos in gleicher Weise eine Bedeutsamkeit zuschreibt wie ein Wirkungspotential, das sich gerade im Erzählen des Mythos ausdrückt. Hiermit kann nicht nur die Frage nach der Mythizität des Erzählens von Artus weiter verfolgt, sondern zugleich ein begriffliches Instrumentarium gewonnen werden, das der Beschreibung der Mythizität der Romane Hartmanns von Aue dienen wird. Anschließend wird auf die konkrete Funktion des Erzählens von Artus im 12. Jahrhundert eingegangen, wie sie vor allem in der englischen Tradition, speziell bei Geoffrey of Monmouth, zu beobachten ist. Bedeutsamkeit und Wirkungspotential der mythischen Erzählung Hans Blumenberg baut in seiner groß angelegten Theorie zum Mythos und zum mythischen Erzählen auf Thesen auf, die er bereits 1971 in der Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik referiert hat.75 In seinem Beitrag zum „Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos“ versucht er dabei jedoch „nicht historisch oder philologisch zu klären, was ‚der Mythos‘ ursprünglich oder in einer bestimmten Phase unserer Geschichte bzw. Vorgeschichte gewesen sein mag“, sondern er möchte ihn „als immer schon in Rezeption übergegangen verstanden“ wissen.76 Wenngleich Blumenberg auch einen engen Zusammenhang von Mythos und Ritus insofern annimmt, als er ein „Modell der ‚symbolischen Passung‘ von erzählter Geschichte und erklärter Handlung“ entwirft, das die Wiederholung des Rituals garantiert,77 bleibt er bei seiner Ausgangsfeststellung, dass es allein der erzählte Mythos ist, der, nachdem er sich vom Ritus gelöst hat,78 in zahlreichen Geschichten fassbar ist:79 „Das Ursprüngliche bleibt Hypothe-
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Zu Hans Blumenberg siehe Wetz, Hans Blumenberg, S. 100–114; Wetz, Absolutismus der Wirklichkeit; Rudolph, Mythos; Rudolph, Schwierigkeiten, S. 883 f.; Müller, Rez. Arbeit am Mythos. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 28. Ebd., S. 35. Der Mythos übernimmt dabei zunächst die „Funktion der Auslegung des Rituals“ und ist diesem nachgeordnet, er wirkt „nachträglich auf das Ritual zurück und verformt oder ergänzt es“. Für den Zusammenhang stellt Blumenberg fest, „daß die ‚Passung‘ des Mythos zum Ritual nicht inhaltlich ist (wie es sein würde, wenn das Ritual sekundäre Darstellung und Präsentation des Mythos wäre), sondern symbolisch“; ebd., S. 34. Blumenberg nimmt einen Prozess an, in dem „der Mythos aus der Funktion der Auslegung des Rituals ausbricht“. Dies ist möglich, da die „Passung“ von Mythos und Ritus eben nur eine symbolische ist, die verschiedene Paraphrasen offen lässt. „Daher bleibt die Geschichte, die die Handlung auslegt, leicht von dieser ablösbar und autonom.“ Ebd., S. 34. Vgl. Wetz, Absolutismus der Wirklichkeit, S. 47; sowie Bürger, Arbeit an der Geschichte, S. 495: „In der Arbeit am Mythos geht es nicht um Geschichte, sondern um Geschichten.“
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se, deren einzige Verifikationsbasis die Rezeption ist.“80 Was Blumenberg dann unter dem Titel Arbeit am Mythos entwirft, ist im eigentlichen Sinne weniger eine Mythostheorie, als vielmehr eine Theorie über die Rezeption des Mythos,81 deren Verfahrensweisen er beschreiben möchte, die zugleich als Kennzeichen mythischen Erzählens anzusehen sind.82 Die Rezeption des Mythos liegt in der Notwendigkeit des immer wieder neuen Erzählens von Geschichten begründet, das die Depotenzierung einer als bedrohlich wahrgenommenen Übermacht verfolgt,83 die Blumenberg den „Absolutismus der Wirklichkeit“ nennt.84 Die Depotenzierung erfolgt im Erzählen mittels verschiedener Verfahren der Differenzierung, der Gewaltenteilung, des Willkürentzugs, oder auch der Namengebung:85 „Was durch den Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen in dem, was es mit ihm auf sich hat.“86 – „Auf einen Satz gebracht: Die Welt verliert an Ungeheuern.“87 Durch das wiederholte Erzählen wird allerdings ein Prozess in Gang gebracht, der schließlich „ad absurdum“ führt, „wenn alles voll von Göttern ist“, die dem Menschen als „vertraut und ansprechbar“ in den Geschichten gegenübertreten.88 Allein im Benennen und Ordnen des Chaos erschöpft sich das Erzählen jedoch nicht, wesentlich ist die Zuschreibung von Bedeutsamkeit, die dem Geordneten einen für den Menschen bedeutsamen Sinn verleiht. Sie ist „ein Resultat, kein angelegter Vorrat: Mythen bedeuten nicht ‚immer schon‘, als was sie ausgelegt und wozu sie verarbeitet werden, sondern reichern dies an aus den Konfigurationen, in die sie eingehen oder in die sie einbezogen werden.“89 Dabei „arbeitet“ – so die Formulierung bei Blumenberg – 80
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Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 28. Blumenberg vermeidet daher eine eindeutige Definition von Mythos, er nähert sich ihm über Inhalte, Formen und Funktionen an, wie sie in der Rezeption auszumachen sind; vgl. Soosten, Arbeit am Dogma, S. 86 f.; Rudolph, Mythos, S. 58 u. 60 f. Vgl. Bürger, Arbeit an der Geschichte, S. 497. Blumenberg grenzt sich entsprechend deutlich von Cassirers Mythostheorie ab, in der er das für ihn entscheidende Moment der Rezeption vermisst; vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, v. a. S. 185–187; zu Cassirer siehe hier Kapitel 3.1.2. Vgl. Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 27. „Der Mythos läßt den Menschen leben, indem er die Übermacht depotenziert; für das Glück des Menschen hat er keine Bilder.“ Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 38. Vgl. auch Soosten, Arbeit am Dogma, S. 84 f. Kritisch zur Vorannahme einer vorgeschichtlichen Angst des Menschen, aus der heraus erst der Mythos entstanden sei, äußert sich Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 93 f. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 9. Zu diesen Verfahren Wetz, Hans Blumenberg, S. 106 f.; Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 96. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 12. Von daher ist dann auch der Mythos „ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“; ebd., S. 18. Blumenberg schließt hier an die Dialektik der Aufklärung Adornos und Horkheimers an; vgl. Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 95–105; Soosten, Arbeit am Dogma, S. 81–83. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 127. Ebd., S. 32. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 66.
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die Bedeutsamkeit mit verschiedenen Wirkungsmitteln, die der Erzählung letztlich eine Struktur geben, die sie in eine „Ausschließlichkeit gegen jede konkurrierende Realität“ erhebt,90 die letztlich ihrerseits als Realität, als Wahrheit angenommen wird.91 Und hierin unterscheidet sich die mythische Erzählung von der Fabel, denn – so Blumenberg – „das Fiktive kann diesen Sinnverweis nicht leisten; aber die Bedeutsamkeit des Mythos ist als fiktive nicht erkennbar, weil er keinen nennbaren Autor hat“.92 In der als Wahrheit angenommenen Bedeutsamkeit liegt schließlich das Wirkungspotential des Mythos, das sich in der Rezeption formuliert und weiter konkretisiert, was als ein Prozess der Selektion beziehungsweise Optimierung auf das Bedeutsame hin angesehen werden kann:93 Der Mythos wirkt in seiner Rezeption wie eine Bindung ans Objektive: indem er die Unbegrenztheit des Arbiträren begrenzt durch die Typik eines vorgegebenen Horizonts, gibt er sich den Anschein, hierin bringe sich „die Sache selbst“ zur Geltung. Die Verwechslung des Bedeutsamen und des Wahren legt sich nahe. Dabei ist Bedeutsamkeit nur diejenige Qualität der Mythologeme, die sie durch Evokation zu immer neuer „Bearbeitung“ im Bestand der Traditi94 on hält.
Die Rezeption ist dann zweifach möglich, material und formal;95 dies bedeutet, dass es nicht nur ein Umkreisen seiner Materialien, auch nicht nur ein Nachspielen seiner formalen Strukturen ist, sondern daß dieses Verfahren seine eigene Konsequenz, gleichsam seine Finalität, hat. Ich nenne es: den Mythos zu Ende zu bringen. Das soll heißen: seine Bedeutsamkeit – oder wie immer man sein Wirkungspotential nennen mag – nicht nur zu erneuern, nicht nur zu 96 akkumulieren und zu steigern, sondern rein darzustellen.
Dies ist die „Arbeit am Mythos“, für die einzelne Verfahrensweisen als Stilmerkmale, als „Grundformen“97 mythischen Erzählens ausgemacht werden können.
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Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 80. In einer Aufzählung nennt er unter anderem die „Gleichzeitigkeit, latente Identität, Kreisschlüssigkeit, Wiederkehr des Gleichen […]“. Mithilfe solcher Mittel erfüllt der Mythos seine Funktion des Ordnens und ist somit dem Logos vergleichbar, wenngleich hierbei grundlegende Unterschiede bestehen; vgl. Wetz, Hans Blumenberg, S. 110–112; Wetz, Absolutismus der Wirklichkeit, S. 55: „Beim Mythos gründen diese Ordnungen in Geschichten und Erzählungen, beim Logos in Begriffen und Systemen.“ Vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 78: „Bedeutsamkeit muß also einen eigenen Wirklichkeitsbezug, ein Fundament von Wirklichkeitsrang, haben. Wirklichkeitsrang bedeutet nicht den empirischen Nachweis; an seine Stelle kann Selbstverständlichkeit, Vertrautheit, archaische Weltzugehörigkeit treten.“ Vgl. hierzu auch Wetz, Hans Blumenberg, S. 104 f.; Jamme, Mythos und Wahrheit, S. 42 f. u. 49 f. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 85. Vgl. ebd., S. 183 f.; Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 34 f. Ebd., S. 35. Vgl. ebd., S. 28. Ebd., S. 31. Zur letzten Konsequenz der „Arbeit am Mythos“ im Gegensatz zur „Arbeit des Mythos“ vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 294 f. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 50.
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Kennzeichen mythischen Erzählens nach Blumenberg Grundlegend ist zunächst die Feststellung, dass Mythen „Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit“ sind, Eigenschaften, die nach Blumenberg „Mythen traditionsgängig“ machen.98 Blumenberg nennt hier vor allem als „das eigentümlichste Moment“ die ikonische Konstanz von Mythologemen und fasst diesen Begriff als „deskriptives Prädikat“ des Mythos.99 In der Rezeption des Mythos treten ikonisch konstante Mythologeme offen zutage als „gehärtete Grundmuster“, die „eben so prägnant, so gültig, so ergreifend in jedem Sinne [sind], daß sie immer wieder überzeugen, sich immer noch als brauchbarster Stoff für jede Suche nach elementaren Sachverhalten des menschlichen Daseins anbieten“.100 Neben einzelnen Figuren oder Motiven können es in sich geschlossene und zusammenhängende Handlungsschemata sein, da die „Tradition bestimmte Materialien und Schemata fixiert“.101 Die Feststellung, dass gerade die mündliche Überlieferung auf solchen Grundmustern beruht, bedarf an dieser Stelle so wenig der weiteren Begründung, wie sie vor allem mit Blick auf mittelalterliche Überlieferungsformen unmittelbar einleuchtend ist.102 Neben der ikonischen Konstanz ist mythisches Erzählen in gleicher Weise von einer Inkonsistenz und Elastizität geprägt. Dies ist umso verständlicher, als die Möglichkeit einer Variation erst den Blick auf ein zugrunde liegendes ikonisches Muster freigibt: Die je vorhandenen Mythologeme scheinen immer nur wie Orientierungspunkte für neue Gruppen von Geschichten in einem Vertrautheitsfeld gewesen zu sein. Auch die einzelne Ge98
Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 40. Für Aleida und Jan Assmann ist es eben diese stil- und traditionsbildende Kraft, die die „kulturelle Funktion des Mythos“ begünstigt; Assmann/Assmann, Mythos, S. 193. Zu den narrativen Verfahren vgl. auch ebd., S. 187 f. 99 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 165. 100 Ebd., S. 166. 101 Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 21. Blumenberg geht etwa vom einfachen Fall des die Erzählung konstituierenden Namens aus: „Die Namen, die das Erste waren, stehen als das Letzte noch bereit, wenn die Geschichten schon wieder fast vergessen sind.“ Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 51. Eng mit dem Namen verbunden ist jedoch meist auch die Grundstruktur der Geschichte: So ist etwa Odysseus „deshalb eine Figur von mythischer Qualität, weil seine Rückkehr in die Heimat eine Bewegung der Sinnrestitution ist, vorgestellt im Muster der Schließung des Kreises, die den Ordnungstenor der Welt und des Lebens gegen jeden Anschein von Zufall und Willkür verbürgt“; ebd., S. 86. Die Figuren und ihre Geschichte werden zu einer „Ikone“ derart, dass „wir am Mythos von Sisyphos ergreifen, was einem einzigen seine einzige verhängte Wirklichkeit bedeuten muß: die des den Berg emporgewälzten und ihn stets wieder zurückrollenden Felsblocks – wir werden auch ergriffen davon, daß wir im Bild erfassen, wofür uns der Begriff der ‚Realität‘ zu blaß und allgemein ist“; ebd. Exemplarisch zeigen sich zwei ikonisch konstante Grundmuster verbunden mit je einer Figur: „Sisyphos ist eine mythische Figur der Vergeblichkeit, […] Odysseus ist eine Figur der ins Gelingen mündenden Leiden.“ Ebd., S. 87. 102 Blumenberg geht hierauf an verschiedenen Stellen ein; vgl. ebd., S. 168–170 u. 190 f., dort mit Rückgriff auf Jauß, Alterität und Modernität, sowie implizit Zumthor, Essai de poétique médiévale. Zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit siehe Assmann/Assmann, Mythos, S. 189 f.
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schichte wird nie so dicht angelegt, daß nicht neue Elemente eingeschoben und eingewoben werden könnten, die dann legitimiert werden als ein Nachholen des bis dahin Verschwiegenen 103 oder Verlorenen.
Blumenberg bezeichnet den Mythos daher auch als „Rahmen, innerhalb dessen interpoliert werden kann“; die „Konstanz des Grundmythos“ konnte so erst „gerade wegen seiner Elastizität, ja Porosität, der Umstellbarkeit der Elemente, ihrer bloßen ‚Kontiguität‘“, zum „Phänomen seiner Rezeption werden“.104 In engerer Perspektive auf erzählte Inhalte ist folglich das Merkmal der Wiederholbarkeit des Erzählten zu ergänzen: Es ist dies auch etwas, was zur Natur des Mythos gehört, daß er Wiederholbarkeit suggeriert, ein Wiedererkennen elementarer Geschichten, das der Funktion des Rituals nahekommt, durch welches die unverbrüchliche Regelmäßigkeit der den Göttern wohlgefälligen Handlungen ver105 sichert und eingeprägt wird.
Bleibt die Wiederholbarkeit reine Suggestion, liegt in ihr jedoch eine Notwendigkeit, die nicht allein aus den Inhalten resultiert. Eine Notwendigkeit liegt etwa vor, wenn über das Moment der Wiederholung eine „Selektion des Beliebigen auf das Bedeutende hin“106 erreicht wird. Die angesprochenen Kriterien der ikonischen Konstanz, der Elastizität und Wiederholbarkeit setzen ein besonderes Verhältnis zur Zeitlichkeit geradezu voraus. Mythisches Erzählen ist ein zeitloses Erzählen in zweierlei Hinsicht. Die Zeitlosigkeit bezieht sich zunächst auf die Persistenz des Erzählten in der Rezeption: Die „mythische Qualität“ des erzählten Inhalts sieht Blumenberg gegeben durch seine „temporale Stabilität“.107 Es ist dies die Persistenz der ikonischen Konstanz, die zeitlos in einer lang anhaltenden Bewährung des wiederholten Erzählens ist.108 Auf der anderen Seite besteht eine Zeitlosigkeit in der immanenten Chronologie und Erzählfolge: „Im Mythos gibt es keine Chronologie, nur Sequenzen. […] Es ist nur die Masse des Stoffes, die sich zwischen die frühesten und die spätesten Ereignisse schiebt, die den Eindruck der Weit103
Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 50. Ebd., S. 51. 105 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 70. 106 Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 35. 107 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 177. Blumenberg grenzt sich aufgrund seiner Rezeptionsperspektive auch hier folgerichtig von Cassirer ab, den er widerlegend zitiert: „Nicht dadurch also, daß ein bestimmter Inhalt in zeitliche Ferne gerückt und in die Tiefe der Vergangenheit zurückgelegt wird, bekommt er die mythische Qualität, sondern durch seine temporale Stabilität.“ Blumenberg zitiert Cassirer, Das mythische Denken, S. 130 f. 108 Blumenberg vermeidet jedoch das Attribut „zeitlos“: „Die Verwechslung von temporaler Resistenz und ‚Zeitlosigkeit‘ gehört zu den fast metaphysischen Leichtfertigkeiten: wie gern sähen wir, daß das uns Überkommene und Verbliebene auch das dessen Würdigste als das Wahre selbst, das ‚alte Wahre‘, wäre. Dabei ist es nur das Undatierte in unbestimmter Dauer, seine Gleichgültigkeit gegen den Zeitverbrauch, die mit dem Titel der Unsterblichkeit einhergeht.“ Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 178. „Zeitlos“ ist jedoch das Erzählte durchaus in seiner Persistenz, zumindest so lange, wie der Mythos nicht zu Ende gebracht ist.
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räumigkeit in der Zeit, des unbestimmten zeitlichen Hintergrundes und der Ausgetragenheit des Vordergrundes erweckt.“109 Die Erzählfolge ist dann für die Erzählung insofern frei verfügbar, als „keine der Geschichten Spuren in der nächsten [hinterlässt], so gut sie auch nachträglich miteinander verwoben sind. Die Götter machen Geschichten, aber sie haben keine Geschichte.“110 Dies ist dann die notwendige Voraussetzung für die genannte Elastizität und Wiederholbarkeit. Zuletzt sei noch ein allgemein grundlegendes Stilmerkmal der mythischen Erzählung angeführt, das Blumenberg die Umständlichkeit nennt: „Sucht man nach einem deskriptiven Universalinstrument für die Verfahrensweisen des Mythos, so wird man mit ‚Umständlichkeit‘ wenigstens eine Annäherung ausmachen.“111 Auch sie steht im engen Zusammenhang mit der Depotenzierung des Absolutismus der Wirklichkeit und meint die Vermeidung jeglicher Absolutsetzung einer allgemeinen Allmacht, des höchsten Gottes wie des tiefsten Ursprungs.112 Sie ist als ein Verfahren beschreibbar, das das Absolute zu unterlaufen versucht, indem es dieses in umständliche Geschichten bindet: „Die Gewalten des Mythos […] müssen sich Prozeduren unterziehen, wie bedenklich diese moralisch immer sein mögen. Ohne List und Verkleidung, ohne Verwandlung und Zugeständnis, ohne Hemmung und Verzögerung der Willkür geht es nicht ab.“113 Im Verfahren des umständlichen Erzählens erfolgen letztlich die genannten Verfahren der Depotenzierung, des Willkürentzugs, der Differenzierung, der Gewaltenteilung.114 Die ikonische Konstanz und Wiederholbarkeit des Erzählten, die Inkonsistenz und Elastizität des Erzählens, das besondere Moment der Zeitlichkeit wie das Verfahren der Umständlichkeit sind typische Kennzeichen mythischen Erzählens. Sie stehen in enger Beziehung zueinander, bedingen sich teils wechselseitig und können gerade in der Zusammenschau eines längeren Prozesses der Rezeption des Mythos analysiert und beschrieben werden. Dabei bleibt jedoch der Mythos als solcher hinter der nur in der Re109
Ebd., S. 142. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur biblischen Literatur, in der „die Geschichte der Geschichten durchgehende Identität, zuverlässige Chronologie und Genealogie, Lokalisierung und Datierung besitzen“ muss; ebd., S. 142; vgl. auch Soosten, Arbeit am Dogma, S. 94 f. Ein Moment mythisierenden Erzählens in Auseinandersetzung mit biblischer Heilsgeschichte hat Bruno Quast an der Wiener Genesis gezeigt; vgl. Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 41–68. 110 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 148; vgl. auch ebd., S. 143: „Ewigkeit und Notwendigkeit als Attribute des ‚höchsten Wesens‘ schließen ein, daß es keine Geschichte hat.“ 111 Ebd., S. 159. 112 Vgl. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 43: „Von herausragender Wichtigkeit für den Mythos und seine Rezeption ist dabei die Negation des Attributes ‚Allmacht‘. Positiv entspricht dem, was ich als kategoriale Bestimmung mythologischer Formen ihre ‚Umständlichkeit‘ nenne.“ 113 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 160. Als prominentes Beispiel nennt Blumenberg die Odyssee. 114 Beispiel einer solchen Gewaltenteilung ist in der griechischen Mythologie etwa „die partielle Zuständigkeit der Götter in bezug auf das Menschenleben“, von der zahlreiche, umständliche Geschichten erst erzählen und einen regelrechten Dualismus bzw. Polykratismus herstellen; ebd., S. 162. Noch im christlichen Mittelalter übernimmt eine ähnliche Funktion die Figur des Teufels: „In Satans Gestalt ist der Mythos zur Subversion der dogmatisch disziplinierten Glaubenswelt geworden.“ Ebd., S. 159.
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zeption fassbaren mythischen Erzählung zurück. Folgt man soweit den Ergebnissen Blumenbergs, zeigt sich über diese Merkmale mythischen Erzählens eine an Inhalte gebundene Mythizität, die in der Analyse von Texten beschreib- und bestimmbar ist. Ohne dass im Einzelnen nochmals die bereits vorgestellten Textzeugen der Erzählungen von Artus besprochen werden müssen, können in den überlieferten Fassungen Kennzeichen mythischen Erzählens in der Rezeption ausgemacht werden. Ikonisch konstante Motive und Handlungssequenzen, die als solche über die einzelnen Varianten der Erzählungen tradiert werden, finden sich in den genannten Texten der Historiographie und der volkssprachlichen Überlieferung. Dies zeugt zugleich von der zeitlichen Persistenz des Erzählten, wie auch die einzelnen Elemente in verschiedenen Kontexten und Motivationszusammenhängen erzählt werden können.115 Die Wiederholbarkeit des Erzählten und das Verfahren der Umständlichkeit verweisen letztlich auf einen funktionalen Aspekt des Erzählens, auf den zuletzt noch kurz eingegangen werden soll, um nach der inhaltlichen und erzählerischen auch die pragmatische Seite der erzählten Materie von Artus auf Hinweise für ihre Mythizität hin zu untersuchen. Die pragmatische Dimension mythischen Erzählens von Artus Wie ausgeführt liegt für Hans Blumenberg die wesentliche Funktion des Mythos in der Schaffung von Distanz gegenüber dem als bedrohlich wahrgenommenen Absolutismus der Wirklichkeit. Diese Arbeit des Mythos setzt sich fort in der Arbeit am Mythos. Sie leistet eine Depotenzierung des Übermächtigen im Erzählen mythischer Geschichten, die zunehmend an Prägnanz gewinnen. Die Arbeit am Mythos ist beschreibbar als ein Rezeptionsprozess mit einem „selektiven Effekt, und zwar auf das ‚menschlich‘ Bedeutsame hin: was den Menschen zentral affiziert, was unabhängig von den Aussichten theoretischer Verifikation seinem Selbstverständnis zur Artikulation verhilft“.116 Die Artikulation des Bedeutsamen ist für Blumenberg dabei jedoch nicht in durch Geschichten gegebenen Antworten zu sehen, sondern im Erzählen selbst, „bevor die Frage akut wird und damit sie nicht akut wird“:117 Die Geschichten, von denen hier zu reden ist, wurden eben nicht erzählt, um Fragen zu beantworten, sondern um Unbehagen und Ungenügen zu vertreiben, aus denen allererst Fragen sich formieren können. Furcht und Ungewißheit zu begegnen, heißt schon, die Fragen nach dem, 118 was sie erregt und bewegt, nicht aufkommen oder nicht zur Konkretion kommen zu lassen. 115
Beispiele für die „Spannung zwischen der Beständigkeit eines unveränderlichen Kerns einerseits sowie der Instabilität und Adaptionsfähigkeit der Details“, die notwendig ist für die „Aktualität als Geschichte und […] Validität als Mythos“, gibt Lacy, König Artus, S. 60–62, Zitat S. 61. 116 Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 35. 117 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 219. 118 Ebd., S. 203 f.; vgl. hierzu Wetz, Hans Blumenberg, S. 108. Blumenberg wählt als Beispiel den Prometheus-Mythos: „Die Geschichte von Prometheus beantwortet keine Frage über den Menschen, aber sie scheint alle Fragen zu enthalten, die über ihn gestellt werden können.“ Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 35.
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Um die pragmatische Dimension mythischen Erzählens näher bestimmen zu können, ist also stets die „Einbettung in Lebenszusammenhänge“ zu berücksichtigen.119 Walter Burkert bezeichnet die mythische Erzählung daher auch als „angewandte Erzählung“, die „als primäre Verbalisierung von überindividuellen, kollektiv wichtigen Aspekten der erfahrenen Wirklichkeit“ aufzufassen ist und „um ihrer Beziehung auf die Realität willen“ erzählt wird.120 Anders als Blumenberg reduziert er also die Funktion mythischen Erzählens nicht allein auf die Überwindung einer Angst, er betont jedoch ebenso das Moment der historischen Entwicklung, da die verschiedenen Möglichkeiten der Anwendung wechseln, einander überlagern, oder unerkannt weiter tradiert werden können.121 Mit konkretem Blick auf das Mittelalter fasst Gerd Althoff Mythen – im Anschluss an Jan Assmann122 – als Erzählungen im Rahmen einer fundierenden Geschichtserinnerung und sieht im Wesentlichen drei Funktionen für deren Erzählen: Neben der Erklärung von Ungewöhnlichem und Erstaunlichem sowie der Bewältigung von Problemen, Niederlagen oder Defiziten dienten mythische Erzählungen der Legitimation von Herrschaft über die Begründung genealogischer Modelle.123 Mit Aleida und Jan Assmann lassen sich diese Funktionen legitimierenden Mythen einerseits und deutenden Mythen andererseits zuordnen. Formulieren diese kollektiv wahrgenommene, anthropologische und kulturelle Grundfragen, haben sich jene „selbst noch im schriftverwendenden europäischen Mittelalter […] als dominante Form der Historiographie erhalten“.124 Im Kontext der arthurischen Erzähltradition bis ins 12. Jahrhundert lässt sich gerade diese Form am deutlichsten im Werk Geoffreys of Monmouth ausmachen. Geoffrey of Monmouth verfasste seine berühmte und schon bald viel rezipierte Historia Regum Britanniae um 1138, von der sich bis heute noch über 200 Handschriften erhalten haben.125 Er berichtet von Brutus, einem Urenkel des aus Troja geflohenen Aeneas, der sich mit seinen Gefolgsleuten auf der Insel Albion ansiedelt. Hieran schließt sich die Geschichte der sich nach ihrem Ahnherrn selbst als Briten bezeichnenden Könige an, die die Grundlage der späteren normannischen Herrschaft legen. Dominierendes Zentrum ist dabei die umfassende Erzählung von König Arthur, der siegreiche Schlachten unter anderem gegen die Sachsen, Schotten und Iren führt und auf einem Feldzug gegen die Truppen des römischen Kaisers Lucius am Mont Saint-Michel gegen einen fürchterlichen Riesen kämpft, den er erst blendet und schließlich im Zwei-
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Assmann/Assmann, Mythos, S. 186. Burkert, Literarische Texte, S. 65. Realität fasst Burkert dabei ganz „im diesseitigen, handfesten Sinn“; vgl. auch Burkert, Mythisches Denken, hier v. a. S. 22–26. 121 Vgl. Burkert, Literarische Texte, S. 65. 122 Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, S. 78. 123 Vgl. Althoff, Formen und Funktionen, S. 27 u. 32 f. sowie passim. 124 Assmann/Assmann, Mythos, S. 185. 125 Zu Geoffrey allgemein Curley, Geoffrey of Monmouth; Pilch, Geoffrey von Monmouth, S. 97–99; mit Bezug auf Hartmann von Aue Steppich, Geoffrey’s Historia Regum Britanniae. 120
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kampf tötet.126 Geoffreys Darstellung reicht bis zur Sachsenherrschaft über die Insel und ist somit als Ergänzung der vorangegangenen Geschichtswerke anzusehen, wie sie etwa mit der bereits vorgestellten Historia Britonum oder mit den Gesta regum Anglorum des William of Malmesbury vorliegen.127 Neben diesen historiographischen Texten konnte sich Geoffrey aber zugleich auch auf verschiedene, in der Volkssprache überlieferte Erzählungen der keltischen Tradition stützen.128 Geoffrey bezieht sich im Prolog entsprechend auf ein altes volkssprachliches Buch als unmittelbare Vorlage, ein Britannici sermonis librum uetustissimum,129 das in der Forschung zwar angezweifelt wurde,130 dessen Existenz aber keineswegs unwahrscheinlich ist.131 Insgesamt jedoch verarbeitet Geoffrey in seiner Historia verschiedene Quellen zu einer eigenen Darstellung, die im 12. Jahrhundert und darüber hinaus auch noch in der modernen Forschung unzweifelhaft als historiographisch eingestuft wird.132 Geoffrey unternimmt Anstrengungen, das Erzählte an andere, historiographisch wie biblisch verbürgte Ereignisse anzubinden,133 sodass Arthur nicht nur unzweifelhaft als historisch angenommen werden sollte,134 sondern dass er gar zur nationalen Identitätsfigur, zur Personifikation britischer Geschichte schlechthin werden konnte.135 Neben solchen Versuchen zur Historisierung der Figur Arthurs, die ihrerseits wiederum zu einer stark idealisierten Überhöhung führten, zeigen sich zugleich aber auch Anzeichen seiner Mythisierung.136 Geoffrey integriert hierzu verschiedene Episoden, die aus der volkstümlichen Überlieferung bekannt waren. Dies macht deutlich, dass er nicht nur die verschiedenen Traditionen kannte, sondern ebenso „the nature of the myth“ verstand,137 was er auch gezielt einsetzte: Wolf-Dieter Lange etwa vermutet in der Anlehnung an den Amphitryon-Stoff für die Erzählung von der Zeugung Arthurs die „Absicht des Autors, ihm mythische Dimensionen zu verleihen“,138 Dagmar Ó Riain-Raedel interpretiert die Erzählung des Riesenkampfs am Mont Saint-Michel als 126
Vgl. die Zusammenfassungen und ungekürzt wiedergegebenen Bücher VIII. bis XI. in Langosch, König Artus, S. 5–71. Einen Kommentar bietet Curley, Geoffrey of Monmouth, v. a. S. 75–108. 127 Vgl. Busse, Brutus in Albion, S. 210; Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 99 f. 128 Als Hinweise werden Übereinstimmungen von Namen oder Orten mit volkssprachlicher Überlieferung gewertet; vgl. ebd., S. 109; Kasten, The western Background, S. 22; Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 16 f.; sowie Haug, König Artus, S. 109; Mertens, Artusroman, S. 21. 129 Zit. n. Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 100. 130 Vgl. Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 15. 131 Vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 25 f.; Lange, Literaturbeziehungen, S. 166. 132 Vgl. Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 101; Pilch, Geoffrey von Monmouth. 133 Vgl. Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 15. 134 Vgl. Busse, Brutus in Albion, S. 214. 135 Vgl. Kasten, The western Background, S. 22; Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 106; Noble, Patronage, S. 162. 136 Zur Historisierung und Mythisierung der Figur Arthurs bei Geoffrey siehe Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte, S. 57–59. 137 Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 109. 138 Lange, Literaturbeziehungen, S. 169.
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Aufnahme eines mythischen Heldenschemas,139 und Walter Haug erkennt in der wenn auch recht knapp gehaltenen Erzählung von Arthurs Entrückung nach Avalon eine „Verfestigung des Wiederkehrmythos“.140 Norris J. Lacy meint durch Geoffrey „den mythischen Status von Artus […] bestätigt“,141 und Ingrid Kasten möchte gar die Ausbildung eines eigenen Artus-Mythos bei Geoffrey sehen.142 Zur Bewertung dieser doppelten, historisierenden wie mythisierenden Erzählweise findet sich in der Forschung häufig die Bezeichnung der „Geschichtsklitterung“143, die zugleich Geoffreys Anliegen zum Ausdruck bringen soll, politische Ziele zu verfolgen. Eine überzeugende Deutung gibt Wilhelm Busse, der die Historia Geoffreys als Versuch zur Legitimation der normannischen Herrschaft in Britannien bestimmt:144 Zu Beginn des 12. Jahrhunderts kursierten verschiedene konkurrierende englische und keltisch-walisische Gründungssagen für die jeweils rechtmäßige Herrschaft. In dieser Situation habe Geoffrey gezielt deren Inhalte aufgegriffen, um über deren Umerzählung diese zu negieren und zugleich eine Gründungssage der Normannen zu etablieren. Die genealogische Anbindung der jetzt normannischen Herrscher an Arthur eröffnete dabei die Möglichkeit der Legitimation über die im Rahmen der keltischen Überlieferung bekannte Tradition.145 Die Aufnahme mythischer Erzählungen wie eigene Anstrengungen der Mythisierung und Historisierung Arthurs zielten dabei ganz „auf eine nationale Geschichtsmythologie im Interesse des Königs“,146 Geoffrey „ignored the reality of Celtic Britain to propagate a myth“.147 Die Historizität wie Mythizität der Figur Arthurs 139
Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 16 u. 63 f. Einen Vergleich mit Culhwch ac Olwen zieht Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 108; Curley, Geoffrey of Monmouth, S. 91, sieht in Übereinstimmungen einen Beleg dafür, dass Geoffrey auf keltische Erzählungen Bezug nimmt. 140 Haug, König Artus, S. 111. Diese Episode bei Geoffrey bereitet der Forschung nicht wenig Probleme, da durch die Historisierung der Figur die Grundlage auch für Arthurs Tod gegeben war, der nach dem Auffinden seiner Gebeine 1191 in Glastonbury als bewiesen galt, womit eine Wiederkehr ausgeschlossen schien; vgl. Carley, Arthur in English History, S. 48; Birkhan, Einführung, S. 18; Roberts, Geoffrey of Monmouth, S. 110; Ostmann, Bedeutung der Arthurtradition, S. 20 f. 141 Lacy, König Artus, S. 50. 142 Vgl. Kasten, The western Background, S. 21. Zum problematischen Umgang mit dem Begriff eines „Artus-Mythos“ siehe die Ausführungen in Kapitel 1. 143 So etwa Haug, König Artus, S. 109; Birkhan, Einführung, S. 29. Als „Geschichtskonstruktion“ bezeichnen sie Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 165; Ruh, Höfische Epik, S. 99. 144 Vgl. im Folgenden Busse, Brutus in Albion, S. 208–214. 145 Vgl. Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 17: „To his English contemporaries the Historia offered sublimation of their own recent humiliation through identification with ancient national tradition.“ Genealogische Modelle lagen schon vor Geoffrey in keltischen Texten vor; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 109–111; Roberts, Culhwch ac Olwen, v. a. S. 80–82. 146 Mertens, Artusroman, S. 15. 147 Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 11. Dass Geschichte und Mythos so zusammengehen, betonen Assmann/Assmann, Mythos, S. 197: „Geschichte, die zur verpflichtenden Erinnerung verdichtet und in Festen kommemoriert wird, ist Mythos. Solche Erinnerung verwendet die Vergangenheit nicht nur als Überhöhung und legitimierenden Sockel für die Gegenwart, sondern auch als einen ‚Motor‘ für die Verwirklichung kollektiver Ziele, Hoffnungen, Ideale.“
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bot letztlich für nahezu alle britischen Könige der kommenden Jahrhunderte die Möglichkeit, ihre Herrschaft über diese Genealogie zu legitimieren.148 So begründete etwa Eduard I. seinen Herrschaftsanspruch ausdrücklich mit Bezug auf die Historia Geoffreys, und noch Ende des 15. Jahrhunderts berief sich Henry Tudor auf Arthur und führte in seiner Krönungsprozession den roten Drachen Uterpandragons mit sich.149 Am Beispiel der Historia Regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth wird somit die pragmatische Dimension mythischen Erzählens von Artus greifbar. Geht Blumenberg von einer grundsätzlichen Bedeutsamkeit im mythischen Erzählen aus, die sich im wiederholten Erzählen konkretisiert und Rückschlüsse auf dessen Wirksamkeit liefert, kann bei Geoffrey eine solche Wirksamkeit über eine Funktionalisierung der Materie nicht zuletzt für politische Zwecke ausgemacht werden. Im Rahmen einer die normannische Herrschaft in Britannien zu legitimierenden Geschichtskonstruktion fungierten überlieferte Erzählungen als deren mythische Begründung. Die Wirksamkeit des Erzählten, eine Wirklichkeit unhinterfragt herzustellen, zeigt sich letztlich nicht nur in der unmittelbaren Reaktion, sondern lässt sich über die Rezeption des Textes noch bis ins Spätmittelalter nachweisen. Ließ sich im ersten Abschnitt des Kapitels der Materie eine Mythizität im Hinblick auf die erzählten Inhalte zuschreiben, verfolgte der zweite Abschnitt diese auch in eigenen Formen mythischen Erzählens theoretisch zu begründen. Bei Zugrundelegung der Thesen Hans Blumenbergs kann schließlich auf ein begriffliches Instrumentarium zurückgegriffen werden, mit dem etwa die tradierten Inhalte als ikonisch konstant in der Überlieferung bezeichnet werden können. Diese erwiesen sich als unabhängig gegenüber dem Ort und der Form ihrer Überlieferung, was zugleich als ein deutlicher Hinweis auf ihre Elastizität wie ihre Wiederholbarkeit im Erzählen gewertet werden kann. Der Rahmen, den die Erzählungen den Inhalten bereithielten, eröffnete die Möglichkeit immer neuer Besetzungen in historisch und kulturell veränderten Kontexten und zeugt letztlich von einer zeitlichen Persistenz in der Rezeption. Solche Kennzeichen, die mit Blumenberg als genuine Merkmale mythischen Erzählens theoretisch bestimmt werden können, verweisen letztlich aber auf eine Mythizität im Erzählen von Artus, wie es noch bis ins 12. Jahrhundert hinein zu beobachten ist. Den Erzählungen von Artus ist somit in dreierlei Hinsicht eine Mythizität zuzuschreiben: Mythisches zeigt sich in den erzählten Inhalten, in der Form ihres Erzählens wie im pragmatischen Anliegen ihrer Tradierung und Wirkung in der Rezeption. In der Weise, wie das Erzählen von Artus als eine Form der Arbeit am Mythos angesehen werden kann, setzt sich diese im Wiedererzählen der Geschichten, die vor allem über Chrétien de Troyes vermittelt auch in den deutschen Artusroman eingingen, in der Literatur fort. Die Arbeit am Mythos, die von Blumenberg als ein Prozess des Zuendebringens des Mythos beschrieben wird, wird in letzter Konsequenz auch von der Literatur 148 149
Vgl. hierzu etwa Carley, Arthur in English History, S. 50–57. Vgl. Busse, Brutus in Albion, S. 213 f.
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geleistet, wenngleich man „annehmen möchte, daß sie einen bereits zur legeren Behandlung disponierten Mythos antreffen mußte, um so frei damit umzuspringen, wie sie es tat“.150 Die mit den Romanen Chrétiens de Troyes einsetzende, von Artus und seinen Rittern erzählende Literatur zeugt letztlich immer schon von einer Distanz gegenüber dem Mythischen der Materie und ist im weiteren Rahmen einer Entmythisierung zu beschreiben. Wie diese Distanz notwendige Voraussetzung für ein literarisches Wiedererzählen war und dieses im Rahmen einer Entmythisierung des Erzählten zugleich als ein Prozess der Literarisierung zu beschreiben ist, soll im folgenden Kapitel dargestellt werden, um auch die Romane Hartmanns von Aue verorten zu können.
2.2 Die Literarizität des Erzählens Die Erzählungen von König Artus haben bis ins 12. Jahrhundert zahlreiche Ausgestaltungen und eine europaweite Verbreitung erfahren. Vermittelt über meist lateinischsprachige historiographische Werke, aber vor allem auch über unzählige, in der Volkssprache mündlich weitergegebene Erzählungen gingen sie in den mit Chrétien de Troyes einsetzenden Artusroman ein. Kann die Erzähltradition von Artus bis ins 12. Jahrhundert über Inhalt, Erzählweise wie pragmatische Dimension in ihrer Mythizität beschrieben werden, so zeigt sich die Literatur des ausgehenden Jahrhunderts gerade hierin auffallend verschieden, wenngleich sie noch immer an diese Tradition anschließt. Die von Artus und jetzt vor allem von seinen Rittern erzählenden Romane rekurrieren auf diese Tradition nicht nur implizit im Wiedererzählen der vorgegebenen Materie, sondern auch explizit etwa in Prologen oder Erzählerkommentaren. Hier wie dort zeigen sich dabei deutliche Anzeichen einer genuin schriftgeprägten Literarizität, die von der Forschung meist über den Prozess der Literarisierung im Rahmen des grundlegenden Paradigmenwechsels von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit beschrieben wird. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wie über die weiter gefasste Perspektive einer die Unterscheidung von mündlichem und schriftlichem Erzählen übergreifenden Poetik des Wiedererzählens ein veränderter Umgang mit der vorgefundenen Materie festzustellen ist, der seinerseits im Erzählen eine veränderte Einstellung zu diesem Wiedererzählten voraussetzt. Literarhistorisch lässt sich eine zunehmende Distanz gegenüber den in ihrer Mythizität bestimmbaren Inhalten vor allem im Übergang von der so genannten englischen Tradition zu ihrer kontinentalen Rezeption beobachten. Der zunehmend freiere Umgang mit der wiedererzählten Materie zeugt von einer – fortgeschrittenen – Arbeit am Mythos im Sinne Hans Blumenbergs und ist zugleich in einen Prozess der Entmythisierung einzuordnen, der spätestens mit den Romanen Chrétiens de Troyes die Möglichkeit einer schriftliterarischen Gestaltung des Erzählten eröffnete.
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Auf der Grundlage dieser literarhistorischen Ausführungen sollen schließlich die Artusromane Hartmanns von Aue verortet werden. Anders als es für die Situation Chrétiens festzuhalten ist, kann Hartmann erstmals auch auf eine Vorlage zurückgreifen, die schriftliterarische Ansprüche nicht nur formuliert, sondern programmatisch und traditionsbildend umsetzt. Hartmanns Arbeit ist insofern als eine Arbeit an der Literatur zu bestimmen, die eigene Verfahren für den Umgang mit der Mythizität der wieder zu erzählenden Materie entwickelt. Diese Verfahren sollen als Verfahren einer Mythopoetik für die Analyse der Romane theoretisch formuliert werden.
2.2.1 Wiedererzähltes und Erzählen – Distanz und Modifikation Im Rahmen von Vorüberlegungen für eine noch umfassender zu formulierende „Theorie mittelalterlichen Erzählens, volkssprachlicher wie lateinischer Epik“, führte Franz Josef Worstbrock den Begriff des „Wiedererzählens“ ein:151 „Wiedererzählen könnte die fundamentale allgemeinste Kategorie mittelalterlicher Erzählpoetik sein, eine, die noch die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, mündlichem und schriftlichem Erzählen übergreift.“152 Wesentliches Charakteristikum dieser Poetik ist für ihn die „Disjunktion von Stoff und Form“, wobei als Bezugsgröße für den mittelalterlichen Erzähler allein der „bloße Stoff“, der Gegenstand der Erzählung, die Materie, fungiert.153 Dieser Materie kommt dabei eine Autorität zu,154 die vom Dichter grundsätzlich unberührt bleibt, allein in der Gestaltung dieser Materie liegt seine Tätigkeit. In Anlehnung an die Poetria nova Galfrids von Vinsauf benennt Worstbrock daher „das gesamte Tun des Dichters […] als das Verfahren eines Artifex, der eine alte Materia neu formt. Kunstgriff und Kunstfertigkeit des Artifex werden als artificium bezeichnet.“155 Das Artificium, „der schöpferische, eigenkünstlerische Bereich des Wiedererzählers“, der jedoch „ohne die Vorgabe überlieferter Materia nicht ins Spiel kommt“,156 eröffnet verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit den erzählten Inhalten.157 Die vorgegebene Materie und das Artificium konstituieren somit den Text, was für Worstbrock „ein Universale der Epoche“ ist.158 Für die folgende Darstellung des modifizierten Umgangs mit der von Artus handelnden Materie ist von einer solchen Poetik des Wiedererzählens auszugehen, die nicht nur 151
Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 128. Zu Worstbrocks Konzept des Wiedererzählens siehe auch Kreft, Wiedererzählen. 152 Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 130. 153 Ebd., S. 135. Worstbrock orientiert sich hier an Panofsky, Renaissancen. 154 Vgl. hierzu etwa Bumke, Autor und Werk; Cramer, Autorität des Musters; Haug, Wege der Befreiung; Lofmark, Der höfische Dichter; Lofmark, The authority of the source. 155 Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 137. 156 Ebd., S. 141. 157 Vgl. ebd., S. 137. 158 Ebd., S. 138.
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Mythos und Materie
mündliches und schriftliches Erzählen in gleicher Weise betrifft, sondern auch die Differenz von wiedererzählter Materie und ihrer artifiziellen Darstellung stets in Erinnerung behält. So wird sich zeigen, wie gerade mit Blick auf die Erzählungen von Artus zunehmend diese Differenz von den Dichtern im 12. Jahrhundert wahrgenommen, reflektiert und diskursiv zur Sprache gebracht wird. Dies ist umso entschiedener festzuhalten, als die Materie Historisches wie Mythisches umfasst. Distanzierende und rationalisierende Rezeption Für die im vorangegangenen Kapitel anhand einer Auswahl prominenter Texte kursorisch dargestellte Entwicklung der Erzähltradition von Artus wurde zwischen einer lateinisch-schriftlichen und einer volkssprachlich-mündlichen Tradition unterschieden, um letztlich aufzuzeigen, wie wechselseitige Beeinflussungen und Abhängigkeiten paralleler – aber eben nicht autonomer – Überlieferungen zu einer gemeinsamen, im historiographischen wie volkstümlichen Erzählen rezipierten Materie führten. Bis ins 12. Jahrhundert verband sich mit dieser Materie ein kontinuierlicher Glaube an ihre historische Faktizität auf der einen Seite, auf der anderen Seite konnte sie zugleich aufgrund ihrer durch Inhalte und Erzählformen vermittelten Mythizität noch für eine mythisch begründende, herrschaftslegitimierende Erzählung funktionalisiert werden. Als prominentestes Beispiel wurde bereits die Historia Regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth vorgestellt, in der dieser Mythisches mit Historiographischem geschickt vereinte, um letztlich seinerseits eine Gründungssage Britanniens zu kanonisieren.159 Ungeachtet der noch bis weit ins Spätmittelalter reichenden Wirkmächtigkeit der Historia Geoffreys zog diese bereits Ende des Jahrhunderts auch deutliche Kritik auf sich,160 was Ausdruck einer letzten Stufe zunehmender Distanznahme zu den mythisch geprägten Inhalten ist, wie sie im Verlauf des 12. Jahrhunderts beobachtet werden kann: Bereits in Culhwch ac Olwen zeigen sich Anzeichen einer Ironisierung des Erzählten im scheinbar sinnlosen Nennen von unzähligen Namen, die ein „buntes Gewebe von mythologischen und literarischen Anspielungen, Sprachspielen und chronologischen Unmöglichkeiten“ ergeben.161 Und auch dem Historiographen William of Malmesbury erscheint in seiner Gesta regum Anglorum von 1125 die angebliche Entrückung Arthurs nach Avalon kaum glaubwürdig.162 Auffallend differieren dann auch die jeweils erzählten Angaben zum Tod von Arthur, der bei Geoffrey zwar noch todwund nach Avalon
159
Vgl. Busse, Brutus in Albion, S. 214, sowie die Ausführungen hierzu in Kapitel 2.1.2. So erzählt etwa Giraldus Cambrensis in seinem Itinerarium Kambriae (nach 1188) von einem von Teufeln besessenen Mann, der mithilfe des Johannesevangeliums gerettet werden könne, wohingegen die Historia Geoffreys diese Teufel wieder massenweise herbeirufen würde; vgl. Haug, König Artus, S. 109; zu Giraldus siehe Richter, Giraldus Cambrensis. 161 Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 114. Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 78, vermutet hier eine direkte Ironisierung der Namenslisten im Pa gur. 162 Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 98. 160
Die Literarizität des Erzählens
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gebracht wird,163 dessen Gebeine dann aber – so berichtet wiederum Giraldus Cambrensis – 1191 bei Glastonbury gefunden worden seien.164 „Der Mythos vom Weiterleben des Königs und seine Toterklärung […] haben also nebeneinander über die Jahrhunderte hin weitergewirkt.“165 Die beschriebene Situation ist kennzeichnend vor allem für die so genannte englische Tradition des Erzählens von Arthur und unterscheidet sich grundlegend von der kontinentalen.166 Während „die Artus-Geschichte […] in England dermaßen historisch und politisch besetzt“ war und sich dort noch lange mythische Reste bewahrt haben,167 verfolgen die Erzählungen von Artus auf dem Kontinent, vermittelt über die französische Rezeption, keine historiographischen oder politischen Anliegen mehr und zeichnen zunehmend eigenständige Facetten der erzählten Materie. Am deutlichsten wird dies in der Darstellung Artus’, der – im Gegensatz zu den vorangegangenen Darstellungen Arthurs – weder Kämpfer noch einziger Mittelpunkt des Geschehens mehr ist, zunehmend in den Hintergrund gerät und ambivalente Züge erhält.168 Anschaulich zeigt sich dieser Umschlag in der veränderten Bewertung des Erzählten in Waces Roman de Brut. Waces 1155 abgeschlossener Roman de Brut ist die französischsprachige Bearbeitung von Geoffreys Historia, von deren Erfolg heute noch über 30 erhaltene Handschriften zeugen.169 Am Hof Heinrichs II. und seiner Frau Eleanore von Aquitanien orientierte sich Wace an den Bedürfnissen und Vorlieben seines Publikums,170 was sich vor allem in einer typisierenden und idealisierenden Darstellungsweise ausdrückt, die höfischen Ansprüchen genügen sollte.171 Seine Bearbeitung folgt zwar grundsätzlich der Vorlage, doch weicht sie gerade in den von Arthur erzählenden Passagen immer mehr von dieser ab und nimmt einen mehr als doppelt so großen Umfang ein, was zunächst auf stilistische Gründe zurückzuführen ist.172 Auf der anderen Seite ist inhaltlich eine veränderte Konzeption festzustellen, die sich gerade im distanzierten Umgang mit mythisch geprägten Inhalten ausdrückt. Wace greift zwar explizit auch auf mündliche 163
Vgl. Langosch, König Artus, S. 68. Vgl. Busse, Brutus in Albion, S. 214; Haug, König Artus, S. 105 f.; grundlegend hierzu Nitze, Exhumation of King Arthur. 165 Haug, König Artus, S. 107. Haug nennt Beispiele selbst noch aus dem 19. Jahrhundert! 166 Zur Unterscheidung einer englischen von einer kontinentalen Tradition siehe Batt/Field, Romance Tradition, S. 60 f.; Busse, Brutus in Albion, S. 214 f.; Carley, Arthur in English History, S. 47 f. 167 Busse, Brutus in Albion, S. 214 f., mit Beispielen aus Layamons Brut von ca. 1200–1225 und aus Arthour and Merlin aus dem frühen 14. Jahrhundert; zur Wiederkehr Arthurs bei Layamon Noble, Patronage, S. 172; mit Bezug auf die Überlieferung der Mabinogion Birkhan, Einführung, S. 35 f. 168 Vgl. Kasten, The western Background, S. 26; Jackson, Arthurian Material, S. 280. Auf Vorläufer verweisen Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 85; Lloyd-Morgan, Celtic Tradition, S. 5. 169 Zu Wace Le Saux, A Companion to Wace, S. 1–10; zum Roman de Brut ebd., S. 81–152. 170 Vgl. Le Saux, A Companion to Wace, S. 82; Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 19. 171 Vgl. Lange, Literaturbeziehungen, S. 173; Mertens, Artusroman, S. 19. 172 Vgl. Lange, Literaturbeziehungen, S. 171. Einen guten Überblick über die stilistischen Veränderungen bietet Le Saux, A Companion to Wace, S. 102–107. 164
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Mythos und Materie
Erzählungen von Arthur zurück,173 doch möchte er sich ebenso entschieden von diesen absetzen. So berichtet er von der lang andauernden Friedenszeit, während der die weithin bekannten Erzählungen verbreitet worden seien: En cele grant pais ke jo di, Ne sai si vus l’avez oï, Furent les merveilles pruvees E les aventures truvees Ki d’Artur sunt tant recuntees Ke a fable sunt aturnees. Ne tut mençunge, ne tut veir, Tut folie ne tut saveir. Tant unt li cunteür cunté E li fableür tant fablé Pur lur cuntes enbeleter, Que tut unt fait fable sembler. In dieser Friedenszeit wurden wundersame Dinge als wahr verbreitet und die Abenteuer erdichtet, die man von Arthur so oft erzählt hat, dass sie bis ins Fabelhafte übersteigert sind – ich weiß nicht, ob ihr davon gehört habt. Das alles ist nicht ganz gelogen und nicht ganz die Wahrheit, nicht alles Unsinn, aber auch nicht alles mit Sicherheit verbürgt. Die Erzähler haben so viel erzählt und die Fabulisten so viel gefabelt, um ihre Geschichten damit auszuschmü174 cken, dass sich jetzt alles wie eine erfundene Fabel ausnimmt.
Wace zweifelt zwar nicht an der Historizität Arthurs,175 doch kommt deutlich zum Ausdruck, wie ambivalent für ihn diese Erzählungen zu bewerten sind. Die Durchdringung der historiographischen Tradition mit dem Erzählgut aus volkstümlicher Überlieferung, die im vorangegangenen Kapitel als eine Form der Mythisierung des Erzählten durch Anreicherung mit mythischen Inhalten beschrieben worden ist, gerät bei Wace im Rahmen des Erzählerkommentars in bewusste und Distanz nehmende Reflexion.176 Und auch implizit wird diese Abkehr von mythischen Inhalten deutlich. Beispielhaft zeigt sich dies in der prominenten und von daher für Wace kaum zu übergehenden Episode vom Riesenkampf Arthurs auf dem Mont Saint-Michel, die er nicht nur gegenüber seiner Vorlage deutlich erweitert hat,177 sondern die auch offensichtlich auf mythische
173
Vgl. ebd., S. 84 u. 89–94; Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 19; Mertens, Artusroman, S. 17. Explizit verweist Wace auf mündliche Erzählungen bei der Erwähnung der Tafelrunde, die Arthur eingeführt habe, wovon die Briten in vielen Geschichten erzählen würden: Fist Artur la Roünde Table | Dunt Bretun dient mainte fable. Zit. n. Le Saux, A Companion to Wace, S. 128. Gottzmann weist darauf hin, dass das Motiv der Tafelrunde konkret „auf kymrische Erzählungen zurückgeführt werden kann“; Gottzmann, Artusdichtung, S. 35. 174 Zit. n. Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 20; Übersetzung n. Langosch, König Artus, S. 95 f. 175 Vgl. Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 20; Noble, Patronage, S. 170. 176 Vgl. Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte, S. 61 f. 177 Vgl. Le Saux, A Companion to Wace, S. 140.
Die Literarizität des Erzählens
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Bestände zurückzuführen ist.178 Wace unternimmt Anstrengungen, dieser Episode realistische Züge zu verleihen, indem er konkrete Zeitangaben und detaillierte Beschreibungen anführt; letztlich nimmt er der Figur Arthurs ihre „mythischen Konnotationen“,179 wenn er ihn als einen sich fürchtenden Kämpfer darstellt und in der Folge dessen Gefolgsmann Gawain zum eigentlichen Helden stilisiert.180 Insgesamt wird deutlich, wie Wace eine eigene Konzeption seiner Erzählung von Arthur verfolgt, wie er auf der einen Seite noch an ihrer Historizität festhält, auf der anderen Seite gezielt jene Elemente zu überwinden versucht, die als mythische zu bestimmen waren. Waces Roman de Brut erzählt zwar noch die Geschichte von Arthur, doch gerät dieser immer mehr in den Hintergrund des Geschehens zugunsten anderer an seinem Hof versammelter Ritter. Hier deutet sich ein grundlegender Wechsel in der Erzähltradition an, weshalb Waces Roman auch als „Übergang in eine neue Gattung“ bezeichnet wurde.181 Literarische Aneignung der Materie Kann für die frühen Erzählungen von Artus nur kaum zwischen den einzelnen Überlieferungstraditionen gerade im Hinblick auf ihren Anspruch auf historisch geglaubte Inhalte unterschieden werden,182 so ist überdies deutlich zu erkennen, wie diese im Verlauf des 12. Jahrhunderts zunehmend frei verfügbar wurden. In der Volkssprache ist etwa mit Culhwch ac Olwen „der früheste arthurische Text, der keinerlei historische Ambitionen mehr hat“, bereits um 1100 anzusetzen,183 wohingegen der „erste lateinische Text der Artusdichtung ohne Chronikcharakter und Anspruch auf Historizität“ mit De Amore des Andreas Capellanus um 1200 einsetzt.184 Und entsprechend dieser Tendenz ist am Ende dieser Entwicklung auch von der erzählten Materie weniger im Hinblick auf die Figur Artus die Rede als vielmehr von einer allgemeiner und weiter gefassten Matière de Bretagne.185 Berühmt ist die Unterscheidung dreier Stoffkreise, die Jean Bodel in seiner Chanson de Saisnes vornimmt:
178
Vgl. Haug, König Artus, S. 113 f.; sowie Le Saux, A Companion to Wace, S. 138: „The episode of the Mont St Michel giant, in the Roman de Brut as in the Latin texts of the Historia Regum Britanniae, reintroduces in the characterization of Arthur the mythical dimension.“ 179 Haug, König Artus, S. 114. 180 Vgl. Le Saux, A Companion to Wace, S. 138: „The French writer obviously felt the need to rationalise the whole episode, to the extent of adding a feature of psychological realism at odds with his sources (where Arthur is characterised by epic rage, not fear). The idealised figure of Arthur is correspondingly debased.“ Vgl. ferner Barron/Le Saux/Johnson, Dynastic Chronicles, S. 21. 181 Gottzmann, Artusdichtung, S. 36; vgl. auch Kasten, The western Background, S. 24. 182 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.1.1. 183 Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 113. 184 Schmolke-Hasselmann, Accipiter et chirotheca, S. 389; zu Andreas siehe Karnein, A. Capellanus; zur Artusepisode Karnein, De Amore, S. 90–93. 185 Vgl. Haug, König Artus, S. 116: „Artus der große Eroberer, der Kämpfer gegen Riesen, der Held, der, von den eigenen Leuten verraten, heroisch untergeht und auf den man als Retter wartet – dieser
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Mythos und Materie N’en sont que trois materes à nul home entendant: De France et de Bretaigne et de Romme la grant; Ne de ces trois materes n’i a nule samblant. Li conte de Bretaigne s’il sont vain et plaisant Et cil de Romme sage et de sens aprendant, Cil de France sont voir chascun jour aparant. Es gibt nur drei Sagenkreise für den, der sich darauf versteht: von Frankreich, von der Bretagne und vom großen Rom; und diese drei Sagenkreise unterscheiden sich ganz und gar. Die Erzählungen der Bretagne sind nichtig und bloß unterhaltsam, die von Rom lehrreich und voller 186 Sinn, die von Frankreich sind wahr, wie jeden Tag offenkundig wird.
Jean Bodel hat seine Abgrenzung der Matière de Bretagne von der Matière de Rome und der Matière de France bezeichnenderweise mit einer Bewertung im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt versehen: Seien diese zweifelsfrei wahr oder zumindest lehrreich, so sei jene „nichtig und bloß unterhaltsam“, entbehre also jeglichen Anspruch auf Historizität. Diese negative Beurteilung durch Jean Bodel mag zum einen natürlich in seinem Anliegen, von Karl dem Großen zu erzählen, begründet sein;187 zum anderen wird hier die Abkehr von mythischen Erzählungen offensichtlich, denn „mündlich tradierte keltische Mythen und Legenden bilden den Grund zu jenen von Jean Bodel um 1200 als vain et plaisant bezeichneten bretonischen Erzählungen“.188 Was bei Jean Bodel in der Ausdifferenzierung verschiedener Erzählstoffe zum Ausdruck kommt, ist eine deutliche Abkehr von der Historizität des Erzählten einerseits; es ist dies aber andererseits zugleich eine Abkehr auch von den mythisch geprägten Inhalten der Materie. Der hier dargestellte Überblick macht deutlich, wie sich gerade mit dem Wechsel von der englischen Tradition zu ihrer kontinentalen Rezeption konzeptuelle Modifikationen im Umgang mit dem Erzählten verbanden: Die Materie ist und bleibt Bezugspunkt, doch setzt ein freierer Umgang mit dieser ein, der zugleich Ausdruck einer gesteigerten Distanzierung ist. Die Disjunktion von Stoff und Form, von der einleitend die Rede war, tritt zunehmend ins Bewusstsein, wird explizit in Erzählerkommentaren angesprochen und gerät schließlich in theoretische Reflexion, verbunden mit meist abfälligen Bewertungen. Dem jeweiligen Artifex einer Erzählung, der die Materie nicht nur aus einer ihm vorliegenden Quelle übernimmt, sondern zugleich gewissermaßen als Kompilator diverser, auch mündlicher Quellen auftritt, eröffnet sich nicht nur die Möglichkeit, sein formschaffendes Vermögen zu demonstrieren, sondern auch Bewertungen, ja selbst inhaltliche Modifizierungen vorzunehmen.189 Der Artifex vollzieht so seine Action-Held par excellence wird im Übergang von der Chronik zum Roman zu einer gänzlich passiven Figur.“ Vgl. auch Mertens, Artusroman, S. 14. 186 Zit. n. Jean Bodel, Saxenlied, Verse 6–11; Übersetzung n. Weddige, Einführung, S. 192; zu Jean Bodel siehe Gnädinger, Bodel. 187 Vgl. Batt/Field, Romance Tradition, S. 60. 188 Lange, Literaturbeziehungen, S. 164. 189 Worstbrock betont explizit diese inhaltliche Komponente. Er zählt neben den Verfahren der Dilatatio materiae und Abbrevatio auch die des Ordo naturalis und Ordo artificialis wie des Ornatus diffi-
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„Arbeit an einer gegebenen Materie“,190 er arbeitet an der Geschichte, er arbeitet an der Historie, er arbeitet am Mythos.
2.2.2 Entmythisierung und Mythopoetik – Chrétien und Hartmann Chrétien de Troyes ist in die bisher nachgezeichnete Tradition des Erzählens von Artus gewissermaßen im unmittelbaren Anschluss an Wace einzuordnen. Über seine Person und sein Umfeld können nur Vermutungen angestellt werden, doch geht die Forschung heute übereinstimmend – wenn auch mit angemessener Vorsicht – von einem Wirken im Umkreis des Hofs Heinrichs II. und dessen Frau Eleanore von Aquitanien aus, deren Tochter Marie von Champagne er später einmal selbst als seine Gönnerin genannt hat.191 Eine Nähe zu Wace besteht somit zunächst ganz im wörtlichen Sinn, wenngleich sein Werk auf eine veränderte Rahmensituation schließen lässt. Um 1170 verfasste Chrétien seinen Roman Erec et Enide, der als „der erste Artusroman im vollen, gattungsdefinitorischen Sinn“ angesehen werden kann, insofern als „die matière de Bretagne […] schon im Bewußtsein der Zeitgenossen als ein gesondertes Stoffgebiet“ wahrgenommen wurde.192 Ist Waces Roman de Brut als volkssprachliche Bearbeitung der Historia Regum Britanniae Geoffreys of Monmouth noch am Übergang von der Chronik zum Roman zu verorten, neben dem die zahlreichen mündlichen Erzählungen auch weiterhin tradiert wurden, kann Chrétien als „Schöpfer einer genuin schriftliterarischen Gattung“ bezeichnet werden.193 „Und anders als Geoffrey und Wace geht es Chrétien nicht um Geschichtsmythologie, anders als den Erzählern geht es ihm nicht um spannende Unterhaltung aus dem Fundus keltischer Überlieferungen, sondern um schöne und lehrreiche Geschichten neuer Art.“194 Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass Chrétien sowohl Geoffrey und Wace als auch nicht weiter zu ermittelnde mündliche Erzählungen kannte.195 Eine einzelne direkte Vorlage wurde von der älteren Forschung bisweilen vermutet,196 doch erwiesen sich solche Spekulationen als nicht haltbar: „Deswegen neigt man heute eher zu der Ansicht, daß Chrétien diese Geschichte
cilis und Ornatus facilis auf, mit denen zunächst „Verfahren der Veränderung auf eine rein formal zusammenfassende Weise benannt“ sind, die dann aber „jeweils durch Entscheidungen inhaltlichen Interesses motiviert“ sein können; Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 136. 190 Ebd., S. 137. 191 Zu Chrétien und seinem Umfeld siehe Schmolke-Hasselmann, Chrétien. 192 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 166. Zum Gattungsbegriff, für den stets eine Dynamik von Traditionen und Werkreihen anzusetzen ist, siehe Grubmüller, Gattungskonstitution. 193 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 167. 194 Mertens, Artusroman, S. 24. 195 Vgl. Bumke, Erec, S. 138 f.; Gottzmann, Artusdichtung, S. 46; Kasten, The western Background, S. 25; zur Quellenlage auch Ruh, Höfische Epik, S. 96 f. u. 101–105. 196 Vgl. etwa Frappier, Chrétien de Troyes, S. 169 f.
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Mythos und Materie
selbst zusammengebaut und dabei Motive aus der mündlichen Überlieferung der keltischen Artussagen benutzt hat.“197 Die Erzählungen der Matière de Bretagne boten sich Chrétien in mehrfacher Hinsicht an: Die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene, im 12. Jahrhundert zugenommene Distanz zum Erzählten wie die Möglichkeit, dieses auch im Rahmen einer Poetik des Wiedererzählens modifizierend darzustellen, waren die Voraussetzungen für den produktiven Umgang. Hinzu kam die prinzipielle Offenheit der Materie. Dieser kam nicht mehr der Anspruch auf Historizität zu, was gewissermaßen einen Perspektivenwechsel ermöglichte, in dessen Folge der Roman „nicht eine immer schon vorgegebene Wahrheit zur Anschauung bringt, sondern in einem offenen Horizont auf die Suche nach der Wahrheit geht“.198 Waren die alten Erzählungen meist noch eng in einen (fundierenden) Wirkungszusammenhang eingebunden, so ist der Roman jetzt eher problemorientiert,199 er ist offen für Neubesetzungen und „konnte am besten mit aktuellen Inhalten gefüllt werden und somit das Leitthema der höfischen Kultur tragen: edle Liebe und rechter Kampf“.200 Letztlich war es aber vor allem die Mythizität der Materie, die diese zur Behandlung solch kulturell bedeutender Themen disponierte. Bevor dies genauer erläutert werden kann, soll zunächst deutlich gemacht werden, wie die genannte Distanz zu und die Offenheit der Materie Chrétien zu einem neuen Dichtungsverständnis verhalf, das er in seinem Prolog zum Erec formuliert. Erzähltes und Erzählen bei Chrétien de Troyes Chrétien beginnt seinen Roman mit der scheinbar zu selbstverständlichen Feststellung, dass so manches mehr wert sei, als man gemeinhin anzunehmen bereit sei:201 Li vilains dit an son respit que tel chose a l’an an despit qui molt valt mialz que l’an ne cuide. (V. 1–3) Im Sprichwort des Bauern heißt es, man pflege manches zu verachten, was viel mehr wert sei, als man annehme.
Indem Chrétien als klerikal gebildeter Dichter eine solche Erkenntnis über ein zitiertes Sprichwort eines Bauern formuliert, führt er bereits vor Augen, dass gerade auch im Volkstümlichen ein solcher Wert enthalten ist. Über die Sentenz hinausgehend wird der weitere Bezug schnell deutlich:
197
Bumke, Erec, S. 140; vgl. auch Bumke, Geschichte, S. 135; Mertens, Artusroman, S. 26. Haug, Zwerge auf den Schultern der Riesen, S. 188; vgl. auch Haug, Ästhetik des Widerspruchs, S. 212; Mertens, Artusroman, S. 14. 199 Vgl. Haug, König Artus, S. 117. 200 Mertens, Artusroman, S. 11. 201 Zitiert wird nach der Ausgabe Chrétien de Troyes, Erec et Enide (Gier). 198
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d’Erec, le fil Lac, est li contes, que devant rois et devant contes depecier et corronpre suelent cil qui de conter vivre vuelent. (V. 19–22) Von Erec, dem Sohne Lacs, handelt die Erzählung, welche die Leute, die vom Geschichtenerzählen leben wollen, vor ihrem Publikum von Königen und Grafen auseinanderzureißen und zu verderben pflegen.
Er bezieht sich auf mündlich vorgetragene Erzählungen von Erec, die von professionellen Geschichtenerzählern an den Höfen auseinandergerissen und verdorben würden. Dass diese Geschichten überhaupt verdorben werden können, setzt einen Wert des Eigentlichen voraus, und dass sie verdorben werden, ein Verkennen ihres eigentlichen Wertes. Der Bezug zum Sprichwort des Bauern liegt auf der Hand.202 Und die Lehre, die er aus der Sentenz des Eingangs zieht – por ce fet bien qui son estuide atorne a bien quel que il l’ait; car qui son estuide antrelait, tost i puet tel chose teisir qui molt vandroit puis a pleisir (V. 4–8) darum tut man gut daran, alles, was man gelernt hat, nutzbringend anzuwenden, was es auch sei; denn wer seine Kenntnisse nicht pflegt, wird sehr leicht etwas verschweigen, was ihm später sehr zustatten käme
–, setzt er sogleich um, wiederum als Konsequenz des unmittelbar Vorangegangenen: Des or comancerai l’estoire qui toz jorz mes iert an mimoire tant con durra crestïantez; de ce s’est Crestïens vantez. (V. 23–26) Sogleich will ich die Geschichte beginnen, die alle Tage in der Erinnerung der Leute bleiben soll, solange die Christenheit besteht; dessen hat Chrétien sich gerühmt.
Chrétien macht deutlich, dass er eine Erkenntnis aus dem Sprichwort gewonnen hat und diese zum Guten wenden möchte. Die von ihm formulierte Lehre richtet er wie sein Anliegen, die Geschichte Erecs zu erzählen, auf die Zukunft aus: Soll jene später zur Freude gereichen, so soll auch diese in Erinnerung bleiben. Inhaltlich wie formal über zweimal acht Verse (V. 1–8 u. 19–26) ist somit der Bogen gespannt: von der einleiten202
Gerold Hilty weist auf die Schwierigkeiten hin, eine Verbindung des Sprichwortes mit dem übrigen Text herzustellen, doch sieht er einen engen inhaltlichen Zusammenhang mit der Argumentationsführung im Prolog; vgl. Hilty, Zum Erec-Prolog, S. 247, Anm. 8. Der hier vorgeschlagene Bezug des Sprichwortes, das explizit auf den Wert volkstümlicher Rede anspielt, zu der ebenfalls in ihrem Wert von den Geschichtenerzählern an den Höfen verkannten Erzählung von Erec wird gerade durch das Argument der Notwendigkeit der in angemessener Form zu erfolgenden Wissensvermittlung unterstützt.
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Mythos und Materie
den Sentenz über oft verkannten Wert und deren Auslegung bis zum zunächst falschen, dann eigenständigen Erzählen der Geschichte Erecs. Hierbei handelt es sich somit um eine Geschichte, die aufgrund ihres zu erkennenden Wertes in Erinnerung bleiben soll. Konkret geht es jetzt allerdings um die Frage, worauf dieser Wert beruht, worin sich dieser ausdrückt und wie er sich zu erkennen gibt beziehungsweise erkannt werden kann. Chrétien wählt hierfür die bekannte und in ihrer Deutung bis heute umstrittene Formulierung, die innerhalb des Prologs an exakt zentraler Stelle steht: et tret d’un conte d’avanture une molt bele conjointure (V. 13 f.)
Zum Erzählen der Geschichte geht er von einem conte d’avanture aus, den er über traire in eine Beziehung zur molt bele conjointure setzt. Bei diesem conte d’avanture – hier ist sich die Forschung überwiegend einig – handelt es sich um „einen bereits bekannten Stoff“,203 mit ihm „ist vermutlich eine mündliche Erzählung gemeint, wie sie von Spielleuten vorgetragen wurde“,204 es ist also „zunächst der Gegenstand genannt, den man bisher mißachtet hat“,205 eine Erzählung mithin, die den zu erkennenden Wert besitzt. Die Übersetzung des Verbs traire bereitet der Forschung allerdings deutlich größere Probleme, verbindet sich mit dieser doch auf entscheidende Weise die Deutung dieser Verse. Walter Haug neigt zur Übersetzung „herausholen“,206 was sich auf den in der Erzählung enthaltenen Wert beziehen lässt und mit dem Sprichwort des Bauern problemlos in Einklang gebracht werden kann. Gerold Hilty weist dagegen darauf hin, dass das Verb an dieser Stelle „keineswegs die Bedeutung ‚(heraus)ziehen‘“ haben könne, er es deshalb auf ein nicht näher bestimmtes „Schaffen“ beziehen möchte.207 Das Verb ziele somit primär auf die conjointure als das, was es zu schaffen gilt. Hilty spricht dann gar von einem „Schöpfungsakt, der mit tret une conjointure umschrieben wird“.208 Die Absicht Chrétiens wird vielleicht deutlicher, wenn man den unmittelbaren Kontext berücksichtigt, in dem die zwei Verse stehen. Im Anschluss an die Auslegung der Eingangssentenz eröffnet Chrétien einen zweiten, inneren Rahmen und nennt seine Motivation zum Erzählen: Por ce dist Crestïens de Troies que reisons est que totevoies doit chascuns panser et antandre a bien dire et a bien aprandre; […] 203
Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 140. Mertens, Artusroman, S. 26. 205 Haug, Literaturtheorie, S. 102. 206 Vgl. ebd., S. 101 f. 207 Hilty, Zum Erec-Prolog, S. 251. Für Hilty steht die „Bedeutung ‚(heraus)ziehen‘ im Sinne von ‚einen Auszug machen‘, ‚zusammenfassen‘ […] in diametralem Gegensatz zu dem Grundgedanken des Prologs“, da das Wissen doch „in vollem Umfang vermittelt werden“ solle; ebd., Anm. 22. 208 Ebd., S. 251. 204
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par qu’an puet prover et savoir que cil ne fet mie savoir qui s’escïence n’abandone tant con Dex la grasce l’an done: (V. 9–18) Darum sagt Chrétien von Troyes, es sei vernünftig, daß jeder immerfort darauf sinne und sich befleißige, Gutes zu reden und Nützliches mitzuteilen; […] damit man daraus zu erweisen und zu erkennen vermag, daß man nicht klug handelt, wenn man nicht sein Wissen mitteilt, solange Gott einem die Gnade dazu gibt.
Mit der Nennung seines Namens überführt er den allgemeinen Gehalt der Sentenz auf seine Person, entwickelt seine Motivation konsequent aus der bisherigen Gedankenführung, um daraus seinen Schluss zu ziehen: tret d’un conte d’avanture | une molt bele conjointure. Und gleich weitet er seine Tätigkeit wieder in eine Allgemeinheit aus, knüpft sie (par que) an ein Ziel und stilisiert sich gleichsam zum Beispiel. Innerhalb des ersten Rahmens, der vielleicht nicht zufällig durch Li vilains dit (V. 1) und Crestïens vantez (V. 26) markiert ist, konstruiert Chrétien einen zweiten Rahmen, jetzt markiert mit dist Crestïen (V. 9) und Dex done (V. 18). Spannt jener den Bogen vom Sprichwort des Bauern zum Autor der Geschichte Erecs, wird dieser nach Innen hin konkreter, wenn er den Autor in Bezug zu Gottes Gnade stellt. Die Interpretation der zentralen Aussage als Schöpfungsakt erfährt damit vielleicht keine stichhaltige Begründung,209 zumindest aber inszeniert sich Chrétien auf eine nicht gekannte Weise als Autor.210 Wie ist nun aber die Arbeit dieses Autors zu charakterisieren? Bezieht sich seine, von der Erkenntnis getragene Arbeit primär auf die conjointure, so würde der Wert seiner Geschichte erst durch sein Artificium entstehen. Haug geht in der Interpretation am weitesten, wenn er im Produkt, der conjointure, „die Organisation der Einzelelemente zu einem sinnvollen Ganzen, kurz: die sinnvermittelnde Struktur“ sehen will. Diese ist für ihn daher auch insofern molt bele, „als sie den Stoff auf den Sinn hin transparent werden läßt: Schönheit ist Ausdruck der Sinnerfülltheit.“211 Franz Josef Worstbrock lehnt diese Interpretation entschieden ab, da „ein ‚sinnvolles Ganzes‘ […] noch keine ‚sinnvermittelnde Struktur‘“ sei.212 Er möchte sich dann auch „damit be209
Zur Abhängigkeit des Dichters von göttlicher Gnade siehe Haug, Wege der Befreiung, S. 33. Für Haug ist die Arbeit Chrétiens „bezeichnend für die neue, vom religiösen Sinnhorizont abgelöste Literatur“; ebd., S. 39. Inwiefern allerdings noch immer auf einen religiösen Sinnhorizont im ErecProlog angespielt wird, wäre an anderer Stelle zu überlegen. 210 Bumke weist darauf hin, dass Nennungen des Autornamens „nicht in erster Linie autobiographische Bezeugungen, sondern […] Teil einer neuen Poetik“ sind, auf die Chrétien hier explizit verweist: „Durch die begriffliche Unterscheidung von conte und conjointure (auf anderer Ebene von matière und sen) hat Chrétien de Troyes der neuen Poetik des höfischen Romans ein Fundament geschaffen, auf dem die ganze Gattung aufbauen konnte.“ Bumke, Autor und Werk, S. 104. 211 Haug, Literaturtheorie, S. 102. 212 Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen, S. 140. Er verspürt zudem im Hinblick auf den Wunsch, der Symbolstruktur des Artusromans eine theoretische Grundlage zu geben, einen „Hauch von Petitio principii“.
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scheiden, bele conjointure unvorgreiflich als ‚schöne, ästhetisch befriedigende Komposition‘ zu verstehen, die als solche die Kategorie des Kunstgerechten, des Artificium vertritt“, und grenzt entsprechend conte d’avanture von bele conjointure im Sinne von Materia und Artificium ab.213 Sofern nun aber beides in gleicher Weise konstituierend für den Text ist,214 ließe sich der Wert sowohl auf das Erzählte wie auf die Erzählung beziehen. Gerhard von Graevenitz plädiert schließlich für ein „Erzählen selbst“, das den Zusammenhang von conte d’avanture und bele conjointure erst erzeuge, und interpretiert es in Anlehnung an den literaturtheoretischen Macrobius-Kommentar zu Scipios Traum als Vermittlungsinstanz zwischen dem von Macrobius doppelt definierten contextio-Begriff: Chrétien denke „das Erzählen selbst als die Funktion, die den ordo relationis, die contextio der narrativen Inhaltsstruktur, und die Ordnung des Sinns, die ontologische contextio, verknüpft“.215 Den conte d’avanture fasst Graevenitz als das vorgegebene Erzählte, das unter Hinweis auf Macrobius mythischer Provenienz sein könne.216 Chrétien überführe es nun in die conjointure, welche folglich als bele zu bestimmen sei, da sie „im philosophisch-ontologischen Sinne ‚wahr‘ ist“.217 Zentral ist somit die Arbeit des Dichters, der durch den Akt des Erzählens ein Wert zukommt. Chrétien misst in seinem Prolog letztlich der Materie einen gewissen Wert bei, der dann allerdings erst durch seine Arbeit erkannt und vermittelt werden kann, weshalb seine Erzählung wiederum der Erinnerung wert ist. Man braucht den Versen nicht wie Haug unterstellen, dass Chrétien dem Erzählten allererst durch die Form einen Sinn zuweist, sondern dieser vielmehr im Sinne einer Bedeutsamkeit der Materie bereits eigen ist. Es erfolgt allerdings im Erzählen eine Art Nobilitierung des Erzählten in die Form einer neuen Erzählung in der Weise, wie auch über die doppelte Rahmung dieser Aussage eine Steigerung von der Bauernregel zum von Gottes Gnade abhängenden, seinerseits volkssprachlichen Werk des Dichters vorgegeben ist.218 Der Wert des Erzählten wie der Erzählung, der somit grundsätzlich von der Arbeit des Dichters abhängt, bedingt daher nur konsequent die Probleme der Deutung der Verse 13 und 14 213
Vgl. ebd., S. 140. Die Arbeit Worstbrocks weist hier eine begriffliche Unschärfe auf, wenn er die conjointure einerseits als Komposition bezeichnet, andererseits als „Kunstgriff und Kunstfertigkeit des Artifex“; ebd., S. 137. Die Tätigkeit des Dichters lässt sich so nur schwer von ihrem Produkt abgrenzen. Auf die Bedeutung des Verbs traire geht Worstbrock entsprechend nicht ein. 214 Vgl. ebd., S. 138, sowie die Ausführungen zu Beginn des Kapitels 2.2.1. 215 Graevenitz, contextio und conjointure, S. 237. Chrétien zitiert anlässlich der Beschreibung von Erecs Krönungsmantel selbst diesen Kommentar. 216 Vgl. mit Zitat der entsprechenden Stelle bei Macrobius ebd., S. 235. 217 Ebd., S. 237. Chrétien korrigiere somit „den Reduktionismus der integumentum-Lehre“, wenn er mit dem Erzählen die Funktion des macrobinischen velamen wieder einführe. 218 Chrétien benutzt zwei verschiedene Begriffe für die jeweilige Erzählung. Ist es der conte (V. 13 u. 19), der ihm vorliegt und der von Geschichtenerzählern verdorben wird, ist es jetzt die estoire (V. 23), die er zu erzählen beginnen möchte. Hier muss keine ausdifferenzierte Begrifflichkeit vorliegen, die Haug, Literaturtheorie, S. 104 f., zudem leidvoll vermisst, doch lässt sich eine Abgrenzung dieser Begriffe in ihrem Gebrauch innerhalb des Prologs sicher nicht von der Hand weisen.
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und hierbei vor allem auch des Verbs traire. Diesem kommt eine Zwischenstellung zu, die – bezogen auf die Wertigkeit des Erzählten wie der Erzählung – sowohl ein ‚Herausholen‘ wie ein ‚Komponieren‘ umgreift. Im Erzählen verbindet sich eine rezeptive mit einer produktiven Tätigkeit im Modus des Zugleich. Dieses Zugleich von Rezeption und Produktion hat Rainer Warning in einer beeindruckenden Analyse des Chrétien’schen Romans beschrieben. Er sieht im „Gegensatz von conte d’avanture und bele conjointure […] die grundsätzliche pragmatische Differenz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, die Auswirkungen für den gesamten Roman hat.219 Warning zeigt, wie Chrétien auf der Geschichtsebene des Textes mit „zwei unterschiedlichen Erzählschemata“ arbeitet: Zum einen liegt ein Erzählschema vor, „das uns aus Mythen und Märchen geläufig ist“ und das Warning mit Rückgriff auf Greimas als Aktantenschema bestimmt,220 zum anderen ein „Figuralschema der steigernden Reprise“, wie es in der „Kontrastierung analoger Stationen eines doppelten Kursus“ zum Ausdruck kommt,221 mit dem „ein moralisches Identifikationspotential bereitgestellt wurde, das mit der magisch fundierten Wunscherfüllungsstruktur des Aktantenschemas in Konflikt geraten mußte“.222 Hierin gründet für Warning die „Heterogenität des Erzählten“, die konstitutiv für den Artusroman werden sollte.223 Das unvereinbare Aufeinandertreffen zweier verschiedener Erzählformen im Übergang zur Schriftlichkeit wird auf der Diskursebene schließlich überwunden „in der Homogenität ihrer ironischen Vermittlung“,224 die letztlich Ausdruck einer genuinen Literarizität ist. In der Weise also, wie Chrétien Mythisches mündlicher Erzählungen rezipiert, produziert er in einem Moment des Zugleich Literatur. An dieser Stelle kann nun die Frage nach der Bedeutung der Mythizität der von Chrétien wiedererzählten Materie für ihre jetzt literarische Rezeption sowie nach den Verfahren im produktiven Umgang mit dieser wieder aufgegriffen werden. Wie Warning gezeigt hat, bietet etwa das Figuralschema „ein moralisches Identifikationspotential“ für die Vermittlung eines – hier höfischen – Wertesystems und wird mit dem Aktantenschema verknüpft, das sich durch seine „überzeitliche Grundstruktur“ auszeichnet.225 Eine solche temporale Stabilität verweist ihrerseits zunächst auf eine 219
Warning, Heterogenität des Erzählten, S. 89; vgl. auch Warning, Identitätskonstitution, S. 576; Warning, Narrative Hybriden, S. 22 f. 220 Warning, Heterogenität des Erzählten, S. 80; vgl. auch Warning, Identitätskonstitution, S. 558– 573. Inwiefern Chrétien ein Aktantenschema umsetzt, braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. 221 Warning, Heterogenität des Erzählten, S. 83. 222 Ebd., S. 86. 223 Die Unverträglichkeit beider Schemata beschreibt Warning ebd.: „Während nämlich das Aktantenschema auf der Vorstellung eines geschlossenen Systems zirkelhaft bewegter objektiver und ihnen angeglichener modaler Werte beruht, verweist das Figuralschema auf eine transzendente Instanz, die Werte spendet.“ 224 Ebd., S. 93; vgl. auch Warning, Identitätskonstitution, S. 573–586; Greiner, Erzählen, S. 306 f. 225 Warning, Heterogenität des Erzählten, S. 81. Warning hält an dieser Grundstruktur im Wesentlichen fest, wenngleich er sich kritisch mit der These Greimas auseinandersetzt und zurecht betont,
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Mythizität des Erzählten und verleiht diesem sodann eine Bedeutsamkeit, die eine allgemeine Wahrheit zum Ausdruck bringen mag.226 Die von Chrétien vorangetriebene Homogenisierung des Heterogenen eröffnet nun der Literatur Möglichkeiten, diese Bedeutsamkeit zu nutzen. Volker Mertens sieht gerade im Roman Chrétiens „über das erzählerisch-mythische Grundmuster, das mit den Dimensionen von Tod und Liebe arbeitet“, ein Potential gegeben, das „dem Roman eine Allgemeingültigkeit [sichert], die die Gebundenheit an historische Konstellationen transzendiert. Dieses mythische Potential kann dann in verschiedenen Rezeptionssituationen jeweils aus dem Lebenshorizont des Publikums neu aktualisiert werden.“227 Diese pragmatische, auf die kulturellen Werte des Lesers/Hörers der Geschichte ausgerichtete Seite der Erzählung ist nun aber allein von einer Literatur zu leisten, die die Schriftlichkeit voraussetzt und so einen Raum der Reflexion bietet.228 Chrétien war es somit möglich, auch aus der beschriebenen Distanz zum zu erzählenden Inhalt heraus wie im freieren Umgang mit diesem, die bedeutsamen Themen der Materie als die wertvollen Themen seiner Zeit zu formulieren. Hiervon handelt er – wie dargelegt – in seinem Prolog zum Erec. In diesem Zusammenhang erklären sich schließlich neben der Ausbildung einer expliziten Erzählinstanz auch die inhaltlichen Modifikationen, die Chrétien gerade am Mythischen der Materie vornimmt. Die romanistische Forschung, auf die hier zurückgegriffen wird, beschreibt sie als eine Form der Rationalisierung, die das Erzählte weitmöglich realistisch und nachvollziehbar erscheinen lassen soll:229 Schon Jean Frappier stellte eine „Verwässerung“ und „Auflösung“ des Mythischen in den Romanen Chrétiens fest, um sie so an die eigene Zeit anzupassen,230 und Roger Sherman Loomis dass „die Autonomie des Modells“ notwendigerweise preisgegeben wird, wenn erst durch „seine axiologische Besetzung durch das Subjekt der Narration eine Erzählung konstituiert“ wird, in die auf diesem Weg Umweltsysteme, hier ein höfisches Wertesystem, eingehen; ebd., S. 81 f. 226 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.1.2. Die Kritik Warnings am Modell von Greimas wäre im Sinne Blumenbergs dahingehend aufzulösen, als die sich unter anderem in ihrer Zeitlosigkeit sich ausdrückende „Bedeutsamkeit des Mythos“ wahr, das heißt „als fiktive nicht erkennbar“ ist, da der Mythos „keinen nennbaren Autor hat“; Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 85. 227 Mertens, Artusroman, S. 44; vgl. auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 266 f. Dass für das Mittelalter hierin kein Widerspruch liegt, hat Warning, Identitätskonstitution, S. 573, betont: „Es konnte Märchen und Mythen moralisieren und die Moral mythisieren, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten.“ 228 Vgl. Wandhoff, Une molt bele conjointure, S. 113: Erst mit der Schriftlichkeit ließen sich für den Adel neue Erzählwelten „zu einer narrativen Vertiefung ihres kulturellen Gedächtnisses“ erschließen; die Erzählungen der Matière de Bretagne wurden so „ausgreifende Erzählungen […], die man auf diese Weise in der mündlichen Überlieferung niemals zu hören bekommen hatte“. In gewisser Weise nutzte dieses Potential bereits Geoffrey of Monmouth, doch blieb seine Darstellung noch immer historischer wie mythischer Strategien zur Legitimation normannischer Herrschaft verpflichtet; vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.1.2. 229 Die Tendenz einer solchen Rationalisierung zeigte sich bereits bei Wace; vgl. Kapitel 2.2.1. 230 Vgl. Frappier, Chrétien de Troyes, S. 164: „[…] his taste for the reasonable and the realistic led him to dilute these myths and to introduce the actuality of his own time.“
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beobachtete im Erec und Yvain „a strong tendency toward realism“.231 Ausführlicher hat dies Jean Fourquet beschrieben. Er unterscheidet – vor allem am Beispiel des Erec – zunächst ebenfalls zwei Ordnungen, die dann im literarischen Erzählen aufgefangen werden, „celles du plan chevaleresque et celles du plan mythique, qui coexistent sous le couvert du même schéma, de la même séquence épique“.232 Chrétien lasse Mythisches nur so weit im Roman präsent, wie es ihm für die Darstellung des Höfischen hilfreich erscheine.233 Hierbei verfolge er ein Konzept, „que l’on a appelé la rationalisation, c’est-à-dire l’effacement de la cohérence du plan mythique“.234 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Chrétien nicht nur an und mit der wieder zu erzählenden Materie arbeitet, sondern dass er dies auch explizit im Prolog seines Romans zum Ausdruck bringt. Chrétiens Arbeit rekurriert auf die Bedeutsamkeit des Erzählten der mündlichen Überlieferung und partizipiert am mythischen Potential zur Formulierung kulturell bedeutender Themen. Dabei entwirft Chrétien den in seiner Form traditionsbildenden Artusroman. Rezeption mythischer Materie und Produktion der literarischen Erzählung erweisen sich von diesem Standpunkt aus als äquivalent.235 Was somit einerseits problemlos als Literarisierung bezeichnet werden kann, vollzieht sich andererseits im Rahmen einer Arbeit am Mythos, die letztlich aber sowohl situativ wie prozessual als Ausdruck einer Entmythisierung zu charakterisieren ist. Entmythisierung und literarische Bearbeitung Hans Ulrich Gumbrecht bestimmt einen Prozess der Entmythisierung theoretisch unter pragmatischer Perspektive als eine „Rezeption von Mythen, welche sich unter einer Einstellung und in Verstehenshandlungen vollzieht, wie sie in einer ‚primären‘, ‚mythengerechten‘ Kommunikationssituation ausgeschlossen gewesen wären“.236 Entmythisierung ist somit als eine (intentionale) Handlung, die eine veränderte Einstellung gegenüber dem Behandelten voraussetzt, und immer auch zugleich als ein historischer Prozess der Rezeption des Mythos beschreibbar.237 231
Loomis, Arthurian Tradition, S. 463. Loomis betont dies für beide Romane, „except for the adventures of the storm-making spring and the ‚Joie de la Cort‘“. 232 Fourquet, Le rapport, S. 300; vgl. auch Fourquet, L’épisode, S. 45. Fourquet zeigt dies besonders am Beispiel der Joie de la Cour-Episode, doch bezieht er seine Beobachtungen auf den gesamten Roman. Siehe zu noch weiter zu differenzierenden Beobachtungen Kapitel 4.3. 233 Vgl. Fourquet, L’épisode, S. 47. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 266, merkt ihrerseits an, dass sich Chrétien mythischer Motive und Strukturen bedient habe, „um sie dann seinen eigenen Intentionen unterzuordnen und den Erfordernissen seiner Zeit anzugleichen“. 234 Fourquet, L’épisode, S. 45; Hervorhebung dort. Zu Rationalisierungstendenzen im 12. Jahrhundert, mit Blick auf den höfischen Roman, siehe Ridder, Rationalisierungsprozesse, dort auch mit einem Ausblick auf das Verhältnis zum vermeintlich Irrationalen des Mythischen, S. 198 f. 235 Vgl. zu dieser Äquivalenz Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 28. 236 Gumbrecht, Entmythisierung, Sp. 21. Gumbrecht bietet einen systematischen, wissenschaftsgeschichtlichen Überblick über verschiedene Ansätze, Entmythisierungen historisch zu deuten. 237 Vgl. ebd., Sp. 22.
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Eine solche Rezeption des Mythos, im immer wieder neuen Erzählen seiner Geschichten, bezeichnet Hans Blumenberg – hierauf wurde bereits eingegangen – als eine Arbeit am Mythos. Diese Arbeit am Mythos ist für ihn als ein fortschreitender rezeptiver Prozess anzusehen, da festzuhalten ist, dass das Wiedererzählen „nicht nur ein Umkreisen seiner Materialien, auch nicht nur ein Nachspielen seiner formalen Strukturen ist, sondern daß dieses Verfahren seine eigene Konsequenz, gleichsam seine Finalität, hat. Ich nenne es: den Mythos zu Ende zu bringen.“238 Blumenbergs teleologisch angelegtes Modell, das letztlich ein Modell der Entmythisierung ist, ist vielleicht besser allgemein als eine Tendenz zu beschreiben, weshalb er sich für die „Phänomenologie der Rezeption des Mythos“ auch entsprechend vorsichtig auf eine „Bandbreite zwischen den Extremwerten Terror und Poesie“ bezieht, innerhalb derer „Materialien und Formalien mythischer Provenienz verarbeitet oder simuliert“ werden,239 und an deren Ende Blumenberg die Literatur verortet: Ich meine nun, die Reichweite des Wortgebrauchs würde sachgemäß interpretiert, wenn man sie als Projektion eines über die Zeit verlaufenen Prozesses nimmt, der die anfänglichen Schrecknisse des Übermächtigen depotenziert und im „Herunterspielen“ der Sanktionen und Zwänge schließlich das Poetische selbst oder wenigstens die Disposition dazu hervorgebracht 240 hat.
Voraussetzung für diese poetische Verarbeitung mythischer Gehalte ist dabei die Distanz gegenüber dem erzählten Inhalt: Nicht der Stoff des Mythos, sondern die ihm zugestandene Distanz des Zuhörers und Zuschauers ist das entscheidende Moment. Was in der Mythologie Götterlehre im strengen Sinne gewesen sein mag, hat menschliches Leben vielleicht einmal mit Zwang und Furcht bedrückt; aber das alles ist in Geschichten aufgegangen, und daß selbst die Göttergeschichten nicht mehr 241 schrecken und nicht mehr binden, disponiert sie zugleich zu ihrer ästhetischen Rezeption.
Hans Robert Jauß hat diese Entwicklung anhand der Rezeption vorwiegend klassischantiker Mythen im Mittelalter beschrieben. Vor allem am Beispiel Amors zeigt er auf, wie der Prozess der Entmythisierung als Reduktion mythischer Erzählungen auf ein Substrat nachvollzogen werden kann, das sich dann „im Horizont der christlichen Moral eindeutig erklären und als Beispiel benutzen ließ“.242 Diese allegorische Mythenaneignung243 überführt die alten Götter und Figuren „in den allegorischen Status der Per-
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Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 31; vgl. auch Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 294 f. Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 57. 240 Ebd.; vgl. hierzu mit Bezug auf Blumenberg Gumbrecht, Entmythisierung, Sp. 34 f. 241 Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 17. Es ist dann gerade diese „Distanz, in deren Steigerung schließlich der Mythos aus der Funktion der Auslegung des Rituals ausbricht, gleichsam um seiner Freiheit Endgültigkeit im Poetischen zu erringen“; ebd., S. 34. 242 Jauß, Allegorese, S. 189. Deutlich wird hierbei sowohl der Handlungs- als auch der Prozesscharakter der Entmythisierung; vgl. Gumbrecht, Entmythisierung, Sp. 22. 243 Vgl. hierzu allgemein Wehrli, Antike Mythologie, v. a. S. 25–29. 239
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sonifikation […]: der Erzählzusammenhang der Mythen wurde überflüssig“.244 An diesem Punkt werden nun Figuren wie Amor für die mittelalterliche Allegoriendichtung verfügbar, die eigene Geschichten entwerfen und „den antiken Mythos in einem neuen allegorischen Gewand“ darstellen.245 Bezugstext ist für Jauß unter anderem De Amore des Andreas Capellanus, der dem „Reich Amors den Charakter eines vollständigen Weltmodells“ gibt und Amor selbst die neue Funktion als richterliche Instanz über die Liebenden zuweist.246 Jauß betont dabei allerdings, dass eine solche Darstellung neben der klassisch-antiken Vorstellungswelt „noch andere Traditionen, die Form des Streitgedichts und Elemente der ‚Anderen Welt‘ des Artusromans voraussetzt“.247 Für den hier zu besprechenden Zusammenhang ist ferner bezeichnend, dass Andreas’ Text eine zwar in den thematischen Kontext eingebundene, doch in sich geschlossene Artusepisode am Ende des zweiten Buches enthält, die das weit verbreitete Motiv des Sperberwettkampfs erzählt und aufgrund ihrer „allegorisch-symbolische[n] Bedeutungsschicht“ von Beate Schmolke-Hasselmann als eine „kleine, wenn auch noch nicht voll ausgereifte Liebesallegorie“ gedeutet wurde.248 Ist auch die Quellenlage für diese Episode insgesamt unbekannt und nicht weiter rekonstruierbar, so liegt für Alfred Karnein doch „der Schluß nahe, daß auch im Falle der Sperber-Erzählung Andreas Bauteile der ‚matière de Bretagne‘ frei zusammensetzt, um durch Überzeichnung der Phantastik das Ganze zu desavouieren“.249 Insgesamt kann De Amore des Andreas also als Beispiel einer entmythisierenden und zugleich allegorisierenden, das heißt literarisierenden Bearbeitung mythischer Materie angesehen werden, die sich einerseits dieser bedient, doch sich ebenso entschieden von ihr distanziert. Die Frage nach den Quellen für Andreas lenkt den Blick schließlich auf einen letzten, für die Rezeption mythischer Erzählungen doch entscheidenden Sachverhalt, der auch für Warning ausschlaggebend war: der Übergang von der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit. Umschreibung und Mythopoetik bei Hartmann von Aue Aleida und Jan Assmann weisen darauf hin, dass sich für die abendländische Tradition „der Zusammenhang von Mythos und Leben mit dem Eindringen der Schriftlichkeit verändert“ hat; hierdurch kam es einerseits zur – hier zu beobachtenden – Fremdheitser244
Jauß, Allegorese, S. 189. Ebd., S. 197. Hier schließt sich seine bereits einleitend angeführte These der Remythisierung an. 246 Ebd., S. 198. 247 Ebd., S. 197. 248 Schmolke-Hasselmann, Accipiter et chirotheca, S. 399. Die Allegorese erfolgt für SchmolkeHasselmann über die mögliche Auflösung der erotischen Metaphern von Sperber und Handschuh bei Andreas. Auf den Zusammenhang mit dem in Hartmanns Erec erzählten Sperberwettkampf wird in Kapitel 4.1.2 eingegangen. 249 Karnein, De Amore, S. 92. Unklar muss letztlich bleiben, ob Andreas nicht bereits auf Chrétiens Fassung der Sperbererzählung in Erec et Enide reagiert; zur Diskussion der Quellenlage ebd., S. 90–92; vgl. auch Karnein, Funktion und Struktur, S. 174 f. 245
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fahrung und Kritik, andererseits – so zeigt es sich bei der Rezeption biblischer Erzählungen – zur Kanonisierung und Dogmatisierung: Distanznahme und Dogmatisierung sind Rezeptionsformen, die die Erfahrung eines Bruchs entweder bestätigen oder bekämpfen. Neben Abschreibung und Festschreibung gibt es als eine dritte Rezeptionsform die Umschreibung von Mythen. Sie ist für die abendländische Schrift250 kultur als Literarisierung und Aesthetisierung des Mythos bedeutsam geworden.
Eine solche „Umschreibung“ mythischer Erzählungen praktiziert bereits Chrétien bei der Literarisierung der ihm vorgegebenen Materie, und nur konsequent lassen sich in seinen Romanen auch Anzeichen einer Entmythisierung erkennen. Um schließlich eine solche „Umschreibung“ für die Analyse der Romane Hartmanns von Aue theoretisch konkretisieren zu können, ist auf deren besondere literarhistorische Situation einzugehen: Wie die Romane Chrétiens sind auch der Erec und Iwein Hartmanns in die weit verbreitete Tradition des Erzählens von Artus einzuordnen. Da seinem Publikum aber die mündlichen Erzählungen vielleicht nicht im gleichen Maße bekannt gewesen sein mögen, ist „die literarhistorische Situation, in der Hartmann geschrieben hat, […] grundlegend von derjenigen Chrétiens verschieden“.251 Und anders als Chrétien wiedererzählt er nicht nur bis dahin lediglich mündlich überlieferte Geschichten, sondern benutzt dessen Romane als unmittelbare Vorlagen.252 Hartmann war so „die Geschichte, die höhere Wahrheit zu enthalten behauptete, bereits vorgegeben, er mußte sie nur noch für sein Publikum neu erzählen“.253 Die Forschung hat sich lange Zeit mit diesem Verhältnis von französischer Vorlage und deutscher Bearbeitung auseinandergesetzt und unter dem Schlagwort der Adaptation courtoise bisweilen heftige Fehden geführt.254 Die stets aufs Neue gestellte Frage, inwiefern Änderungen an der wiedererzählten Materie vorgenommen wurden, oder überhaupt vorgenommen werden konnten, ist heute insofern beantwortet, als zahlreiche Unterschiede in den betreffenden Romanen diese nicht nur inhaltlich belegen, sondern auch – nicht zuletzt über das eingangs beschriebene Konzept einer die mittelalterliche Literatur prägenden Poetik des Wiedererzählens – theoretisch wie historisch untermauert werden konnten.255 Neben der schriftliterarischen Vorlage sind Hartmanns Romane jedoch auch ihrerseits in den Zusammenhang der mündlichen Erzähltradition zu stellen, deren unmittelbarer Einfluss 250
Assmann/Assmann, Mythos, S. 189. Haug, Der aventiure meine, S. 459; zu Hartmann siehe auch Cormeau, Hartmann von Aue. 252 Vgl. hierzu die jeweils einführenden Anmerkungen zu den Kapiteln 4 und 5. 253 Mertens, Artusroman, S. 52. 254 Zur Diskussion um die Adaptation courtoise siehe die romanistischen Arbeiten von Michel Huby, L’adaptation; Huby, L’interprétation; Fourquet, Hartmann d’Aue; Fourquet, Les adaptations; die Kontroverse ist nachzuvollziehen in den Beiträgen von Wolf, Adaptation Courtoise; Huby, Definition; Wolf, Schlussreplik; vgl. auch Freytag, Hartmanns Methode; Lofmark, Der höfische Dichter. 255 Vgl. Worstbrock, Wiedererzählen und Übersetzen; speziell zum Erec auch Worstbrock, Dilatatio materiae; zuletzt auch Bumke, Erec, S. 143–149. Eine Auswahl von Beispielen gibt Strasser, Übernahme von Literatur, S. 185–188.
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zwar nicht nachgewiesen, doch immerhin vermutet werden kann;256 zumindest mittelbar aber besteht er über die Vorlage Chrétiens. Cormeau und Störmer weisen darauf hin, dass die Romane Chrétiens wie auch Hartmanns „aus Motivmaterial verschiedener Art und Tradition zusammengesetzt“ sind, weshalb einzelne Details „nur aus ihrer Herkunft erklärbar sind“, was „vor allem auch beim deutschen Bearbeiter“ zu berücksichtigen sei: „Das Erzählmaterial ist als aktives Element zu betrachten, dem beide Autoren ihre neue Sinnsetzung nicht ohne einen Rest aufzwingen können.“257 Für die Situation Hartmanns ist somit festzuhalten, dass dieser – anders als Chrétien – erstmals auf schriftlich konzipierte Literatur aufbauen, und das heißt mit der Vorlage und an der Vorlage arbeiten konnte. Dabei weist das „Erzählmaterial“, wenn auch nur als „Rest“, über die literarische Vorlage hinaus. Zur Charakterisierung von Hartmanns Arbeit ist von dieser doppelten Perspektive auszugehen, zumal sich im direkten Vergleich mit seiner Vorlage zeigen wird, dass er entschieden umfassender über diese und über diese hinweg auf das Mythische der Materie zugreift und zurückgreift, um es an entscheidenden Stellen seiner Romane einzusetzen und zu funktionalisieren. Hartmanns Arbeit ist im Kontext einer Adaptation mit ihren modifizierenden Implikationen zu sehen und schon vorab als eine Arbeit an der Literatur zu bestimmen. Darüber hinaus erfolgt im Kontext einer weiteren Literarisierung eine „Umschreibung von Mythen“ im Sinne Assmanns, die hier betont als poetischer Umgang mit Mythischem, bezogen auf den Mythos als Erzählform mit tradierten Inhalten und Strukturen, zu konkretisieren ist und im Weiteren unter dem Begriff der Mythopoetik gefasst werden soll. Ute Heidmann Vischer definiert „mythopoetische Texte“ als „literarische Werke, die Mythen aufnehmen und auf eine für die Textaussage konstitutive Weise dichterisch bearbeiten“.258 Als literarische Texte greifen sie auf mythische Inhalte zurück oder orientieren sich an mythischen Erzählformen und integrieren sie unter möglichen quantitativen aber auch qualitativen Veränderungen in die eigene literarische Darstellung. Bruno Quast beschreibt mythopoetische Verfahren am Beispiel des Leben Jesu der Frau Ava und spricht von der „Splitterhaftigkeit“ des Erzählten, der „Heterogenität der aufgerufenen Bilder“.259 In Verbindung mit intertextuellen und somit eindeutig poetischen Darstellungsmitteln zeige sich in gleicher Weise „die materiale Konstanz eines Erlösungsmythos“, insofern eine direkte Aufnahme eines aus dem Mythos bekannten Motivs oder zumindest eine Form mythischen Erzählens zur Descensusschilderung gewählt wird.260 „Es ist der Restcharakter des Mythos, der sich in der ästhetischen Kon256
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 169 u. 197 f.; fehlende Belege betonend Bumke, Erec, S. 149 f. 257 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 174; eigene Hervorhebung. 258 Heidmann Vischer, Mythos, S. 665. Anders als es der Titel vermuten lässt entwickelt Nolan, Mythopoetic Evolution, kein Konzept für eine Mythopoetik. 259 Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 103; vgl. insgesamt sein Kapitel „Vom Antimythos zur Mythopoetik“, ebd., S. 41–107. 260 Ebd., S. 104 f. Die von Quast so bezeichnete materiale Konstanz eines Mythos wäre in der hier gewählten Terminologie als ikonische Konstanz mythischer Materie zu bestimmen.
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Mythos und Materie
struktion des Mythos vom Descensus widerspiegelt: Vostellungssplitter, Reste aus heterogenen Zeichensystemen wie Bild- und Schrifttraditionen fungieren als Bausteine der mythischen Einlagerung.“261 Im Gesamten werde deutlich, wie Frau Ava „mit den inszenierten Brüchen und Widersprüchlichkeiten einer mythopoetischen Totalisierung“ arbeitet.262 Quast betont „die Künstlichkeit der mythischen Erzählung“, die aufgehe in der „Kunstform der Narration“.263 Mythopoetisches Erzählen ist letztlich „künstliches“, das heißt literarisches Erzählen. Der Begriff der Mythopoetik soll gerade die für Hartmann von Aue oben genannte doppelte Perspektive von Arbeit an der Literatur und Arbeit mit mythischer Materie zum Ausdruck bringen, insofern der Begriff eine Form des Umgangs mit Mythischem bezeichnet, der als poetischer jedoch stets eingebunden ist in die literarische Form des Erzählens. Mythopoetisches Erzählen ist mithin Ausdruck des literarischen Umgangs mit Mythischem, es ist aber immer auch schon Ausdruck einer genuinen Literarizität des Erzählens.264 Die Analyse der Romane Hartmanns von Aue gilt es gerade auf die Frage hin zu perspektivieren, an welchen Stellen und auf welche Weise Mythisches in den Text integriert ist, in welcher Art ein mythopoetischer Umgang zu konstatieren ist, welche Kontextualisierungen Mythisches erfährt. Damit richtet sich das Interesse sowohl auf die Wirkung als auch auf die Funktion, die Mythisches im Erzählten wie im Erzählen selbst ausübt und erfährt.265 Die Wirksamkeit des Mythischen mag aus der Bedeutsamkeit des Mythos resultieren, die in der Literatur zur Formulierung bedeutender kultureller The261
Ebd., S. 106. Quast setzt sich mit Claude Lévi-Strauss’ Konzept der Bricolage auseinander, auf das hier nicht weiter eingegangen wird, zumal nicht der „Mythenbastler“ am Werk ist, am ehesten noch ein „Literaturbastler“, der sich auch mythischer Materialien bedient. Quast weist selbst auf die Grenzen des Mythenkonzepts von Lévi-Strauss hin; vgl. ebd. S. 105. Zum Konzept der Bricolage siehe Lévi-Strauss, Das wilde Denken, v. a. S. 29–48; vgl. hierzu Stierle, Mythos als Bricolage; ferner Schlesier, Ödipus. 262 Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 106. Mit ihrer Descensuserzählung trete Frau Ava dann „nicht nur gegen eine historische Verankerung, vielmehr offenbar zielgerichtet gegen eine Historisierung der Erlösung an“. 263 Ebd., S. 105, Hervorhebung dort; vgl. auch die Ausführungen zur Veronica des Wilden Mannes, in der die „mythopoetische Gestalt“ Jesu explizit als „Kunstform“ zu betrachten ist: „Mythischer Gehalt präsentiert sich im Gewand mythischer Gestalt.“ Ebd., S. 77. 264 Kiening verweist neben metasprachlichen Reflexionen in Prologen oder Epilogen auch auf „andere Formen der Reflexion, strukturelle oder rhetorische: Veränderung von Vorlagen, Selektion und Arrangement von Textelementen, Zitat, Anspielung und Intertextualität. Auch sie sind der Auseinandersetzung mit der Literarizität eines Textes verpflichtet.“ Kiening, Ansätze literarischer Theoriebildung, S. 127 f. Zur Schwierigkeit einer Bestimmung von Literarizität siehe Van Peer, Poetizität; ausführlich Winko, Suche nach der Weltformel. 265 Jan-Dirk Müller legt hierauf besonderen Wert: Er betont, dass „man im Artusroman keltische Mythen oder allgemeiner mythische Archetypen“ aufdecken könne. Dies sei aber „so lange methodisch fragwürdig, als man nicht bei ihrer Überformung und ihrer Funktion ansetzt. Es sind eben die Formen der Verhüllung – besser Verarbeitung –, die aufschlussreich für die ‚Arbeit am Mythos‘ sind.“ Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 200.
Die Literarizität des Erzählens
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men nutzbar gemacht werden kann – anhand der Lektüre des Chrétien’schen Erec-Prologs wurde hierauf hingewiesen –, doch bietet der bislang explizierte Ansatz, der sich dem Mythischen im Hinblick auf den Mythos als Erzählform über seine inhaltliche, erzählerische wie pragmatische Seite angenähert hat, hierfür gleichfalls eine Grundlage, auf der gewissermaßen aufbauend ein kulturwissenschaftlicher Ansatz anschließen kann, der sich dem „mythische[n] Denken als eine Texten vorausliegende und sie durchdringende Bewusstseinsform“266 widmet.
266
Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XXXV.
3
Mythisches und Literatur
3.1 Die symbolische Form mythischen Denkens Im vorangegangenen Kapitel wurde der Komplex „Mythos und Materie“ eingehend untersucht, um eine Annäherung an das Mythische in der Literatur primär über den erzählten Inhalt sowie über die mit dem Inhalt einhergehende Erzählweise und Pragmatik zu erreichen. Hierdurch konnte die so genannte Matière de Bretagne in ihrer Mythizität beschrieben werden. Die Entwicklung der Stoffgeschichte um König Artus war dabei leitend für den Nachvollzug einer Mythisierung des Erzählten, das im 12. Jahrhundert, vor allem im Übergang von der englischen Tradition zu ihrer kontinentalen Rezeption, zunehmend in kritische Distanz geraten ist, woran sich in modifizierenden Wiedererzählungen, schließlich in den Romanen Chrétiens de Troyes, eine Entmythisierung anschloss. Zur Benennung solcher Umschreibungen mythischer Erzählungen wurde der Begriff der Mythopoetik eingeführt, um das Zugleich von rezeptivem und produktivem Umgang mit den wieder zu erzählenden mythischen Inhalten im literarischen Erzählen zu erfassen. Richtete sich das Interesse somit zunächst auf die inhaltsbezogene Seite des Erzählens, soll dieses in seinem Verhältnis zu Strukturen mythischen Denkens Gegenstand der nun folgenden Ausführungen sein. Hierfür bietet die bislang verfolgte diachron ausgerichtete Perspektive auf die erzählte Materie eine Grundlage für eine jetzt auf synchrone Ebene zu erweiternde Betrachtung, in deren Rahmen kulturelle Bedingungen allererst berücksichtigt werden können. Der im Folgenden zu erläuternde Ansatz öffnet sich somit einer kulturwissenschaftlichen Fragestellung nach dem Mythischen, das über die symbolische Form mythischen Denkens im Verhältnis zu anderen den literarischen Text konstituierenden symbolischen Ordnungen zu beschreiben ist. Unter Rückgriff auf grundlegende Beobachtungen zum mythischen Denken im Zusammenhang mit kulturellen und schließlich auch künstlerischen Möglichkeiten der Welterschließung, wie sie Ernst Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen umfassend angestellt hat, kann letztlich ein Instrumentarium gewonnen werden, um die Mythizität der Romane Hartmanns von Aue – bezogen auf das Mythische als Ausdruck einer eigenen Bewusstseinsform im Kontext einer spezifischen kulturellen Praxis – beschreiben zu können.
Die symbolische Form mythischen Denkens
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3.1.1 Mythizität und Literarizität – Kulturwissenschaft und Mythosforschung Um Mythisches in der Literatur und das Mythische der Literatur beschreiben zu können, ohne damit schon in eine Dichotomie von Mythos und Literatur zu verfallen, ist von einem Begriff des Mythischen auszugehen, der weniger auf rein textbezogene Faktoren zielt, als er vielmehr grundlegende Strukturen erfassen soll, die den Mythos als kulturellen Leistungswert bestimmen. Damit – so formulieren es Aleida und Jan Assmann – „entfernen wir uns von ‚den‘ Mythen im Sinne konkreter textlicher Ausprägungen und nähern uns ‚dem‘ Mythos im Sinne einer Mentalitätsform“ an.1 Vom Mythischen ist somit im Folgenden als von einer Kategorie anderer Ebene auszugehen, die in gleicher Weise Text und kulturellem Kontext zugrunde liegen und diese formen kann. Zur Beschreibung dieses Verhältnisses aber ist es notwendig, den zu verfolgenden Ansatz kulturwissenschaftlich zu erweitern: „Die mythopoetische Kraft von Literatur und die vielfältigen strukturellen Analogien zwischen Literatur und Mythos verlangen kulturwissenschaftliche Vorgehensweisen. Ja, sie begünstigen geradezu ein Verständnis von Literaturwissenschaft als Mythenwissenschaft.“2 Ausgehend von dieser Auffassung soll der hier zu umreißende Ansatz in knappen Zügen verortet werden, wobei im Anschluss an Gerhard von Graevenitz von einem „Pluralismus des Kulturellen“ ausgegangen wird,3 der Fokus auf das Mythische somit nur einer unter mehreren möglichen ist. Text und kultureller Kontext Das Verhältnis von Text und Kontext ist primäres Untersuchungsfeld neuerer kulturhistorischer Forschungen, innerhalb derer die Literaturwissenschaft ihren genuinen Gegenstand, die Literatur, im Zuge transdisziplinärer Fragestellungen perspektivieren und erklären kann.4 Sie situiert ihre „klassischen Gegenstände […] in einer neuen Rahmung, die den Horizont des Textes überschreitet“,5 und muss sich folglich in gleicher Weise auch auf den kulturellen Kontext konzentrieren, wobei die jeweilige Beziehung in einer ausgewogenen und für die jeweils leitende Fragestellung sinnvollen Wechselbeziehung zueinander zu beschreiben ist. Die Literatur ist dabei nicht nur in einem Ensemble von Texten zu sehen, sondern selbst als „eine eigene kulturelle Praxis im ‚Kontext‘ weiterer kultureller Praktiken“ aufzufassen.6 Die Kulturwissenschaft berücksichtigt hier wie dort „Materialität, Medialität, Strukturen und Geschichte von Kulturellem und Kulturen, um zu sehen, wie Geistiges produziert und konstruiert wird“.7 Dabei kann es zwar inner1 2 3 4 5 6 7
Assmann/Assmann, Mythos, S. 190. Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 277. Graevenitz, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften, S. 98. Vgl. Müller, Einleitung Text und Kontext, S. VII–XI. Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 570. Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 276. Graevenitz, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften, S. 98.
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Mythisches und Literatur
halb der Literaturwissenschaft nicht darum gehen, die Kultur als solche zu beschreiben,8 da sie sonst Gefahr liefe, „die Spezifität von Literatur zu vernachlässigen“.9 Doch gilt es, den Ansatz dahingehend zu erweitern, die Literatur mit den ihr zugrunde liegenden kulturellen Mechanismen zu verstehen, wofür die kulturwissenschaftliche Betrachtung von Literatur in ihrer transdisziplinären Ausrichtung Theorien und Methoden bereithält.10 Dies ist umso entschiedener festzuhalten, richtet sich der Fokus auf das Verhältnis von Mythischem und Literarischem.11 Denn gerade in dieser Perspektive lassen sich „Literarizität oder Poetizität […] schwerlich als prinzipielles Unterscheidungsmerkmal des literarischen Textes von seinem Kontext, der literarischen Handlung von anderen (sprachlich-)kulturellen Handlungen beanspruchen. Eher geht es um ein Mehr oder Weniger, um Grade literarischer Elaboriertheit und Komplexität, um poetische Prägnanz und Intensität.“12 Dass mythisches Erzählen aus rezeptionstheoretischer Perspektive mit literarischen Formen des Erzählens einhergeht, wurde im vorangegangenen Kapitel gezeigt; inwiefern literarisches Erzählen seinerseits Anzeichen mythischen Denkens erkennen lässt, gilt es im Weiteren zu diskutieren. Um „über den Grad an ‚Mythizität‘ eines Textes entscheiden zu wollen“, ist es für Christian Kiening eine „Notwendigkeit, traditionelle Erzählungen als kulturelle Texte zu analysieren, also auf den gesamten Fundus und weiten Horizont mythischen Wissens zu beziehen, der mit dem einzelnen Text aufgerufen sein kann“.13 Zur näheren Bestimmung dieses Text und Kontext in gleicher Weise betreffenden Wissens favorisiert Udo Friedrich als Leitbegriff den der „symbolischen Ordnung“. Hiermit ist eine „Struktur gemeint, innerhalb derer Subjekte handeln oder sich verhalten: Sprache, Mythos, Habitus, Diskurs“.14 Über herkömmliche Betrachtungen immanenter Erzähllogiken oder sozialhistorischer Muster hinausgehend erlaube „die Berücksichtigung zusätzlicher historischer ‚Ordnungen des Wissens‘ eine zusätzliche kulturelle Kontextualisierung. 8 9
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Graevenitz weist überdies darauf hin, dass die Literaturwissenschaft hierzu auch nur in Ansätzen in der Lage wäre; vgl. ebd., S. 100. Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 571; vgl. hier auch Peters, Historische Anthropologie, S. 85: Literatur dürfe nicht „zum bloßen Dokument für kulturell-mentale Befunde“ verkommen. Vgl. Müller, Einleitung Text und Kontext, S. VII f.; Müller, Überlegungen, S. 6 f. Vgl. Gottwald, Mythosforschung und Literaturwissenschaft, S. 295: „Wer also über die traditionelle literaturwissenschaftliche Mythos-Forschung, die sich primär auf die rezeptionsästhetische Erläuterung des Weiterwirkens von Stoffen und Motiven aus der antiken Literatur bezieht, hinausgelangen will, benötigt interdisziplinäre Ansätze, vor allem in Form von Wissen über einzelwissenschaftliche Mythos-Theorien und -Forschungen.“ Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 276. Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 38. Kiening stellt seinerseits heraus, dass Erzählungen allein im Nachzeichnen ihrer Tradition nicht hinreichend in ihrer Mythizität beschrieben sind. Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 571; vgl. auch Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 277: „Als kulturelle Praxis verbindet sich Literatur mit anderen Formen menschlicher Praxis. Diese Verbindung läßt sich konzeptualisieren durch Begriffe wie Mythos, Symbol, Ritual, Metapher.“
Die symbolische Form mythischen Denkens
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Eine solche Ordnung wäre die mythische.“15 Das Verhältnis von Literatur zu ihrem Kontext ist auf Grundlage solcher Ordnungen beschreibbar, die Teilhabe der „Literatur an der kulturellen Sinnproduktion“ zumindest partiell nachvollziehbar.16 Doch gilt es weniger dieses Verhältnis im Hinblick auf die Kultur, als vielmehr die Mythizität des Textes im Konkreten zu beschreiben. Dabei ist jedoch die spezifische Eigenart des literarischen Textes jeweils zu berücksichtigen. Ebenso wenig wie Texte ein von ihrer Umwelt abgeschlossenes, autonomes System darstellen – die Kritik am Strukturalismus hat dies hinreichend deutlich gemacht –, lösen sie sich in kulturellen Ordnungssystemen auf oder lassen sich allein aus diesen heraus verstehen. Texte stehen zwar „in komplexen übergeordneten kulturellen Zusammenhängen, die ihren Erzählverlauf steuern“,17 doch sind es Zusammenhänge, die den Erzählverlauf vielmehr auch steuern.18 Wenngleich hier deutlich gemacht werden soll, inwiefern der Rückgriff auf Erkenntnisse kulturhistorischer Forschungen notwendig zur Bestimmung der Mythizität literarischer Texte ist, so sind doch die der Literatur immanenten und im Rahmen von gattungstypologischen Erzählpoetiken auch intertextuellen Bezügen geschuldeten Logiken zu berücksichtigen wie die der Literatur spezifischen Möglichkeiten der Reflexion.19 Abzugrenzen sind somit stets Erzähllogiken, die etwa einen bestimmten Handlungstypus entwerfen, von einer Kultursemiotik, die dem Text eine kulturelle Bedeutung gibt.20 Die kulturelle Bedeutung lässt sich schließlich im Nachvollzug der sich im Text manifestierenden symbolischen Ordnungen ermitteln, womit „Koordinaten von elementaren Daseinsproblemen“ abgesteckt werden können,21 die grundlegend für die Kultur sind, in der der Text geschrieben ist. Die symbolische Ordnung mythischen Denkens etwa ist zwar an den erzählten Inhalten orientiert, doch prägt sie entscheidend gerade die Form der Darstellung. Die Analyse muss daher auf der formalen Ebene des Erzählens ansetzen: „Die kulturelle Eigenheit künstlerischer Werke drückt sich hier nicht in bestimmten Themen oder Motiven aus, sondern in der spezifischen Gestaltung von Darstellungskategorien wie Raum, Zeit, Kausalität, Identität, Perspektive. Dieser Ansatz erfaßt kulturelle Dimensionen von Literatur, ohne ihre Formen zu vernachlässigen.“22 15 16 17 18 19
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Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 293. Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 277. Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 293. Vgl. Kiening, Versuchte Frauen, S. 77 f.; vgl. auch Friedrich, Diskurs und Narration, S. 101–103. Vgl. Harzer, Poetische Anschauungsformen, S. 291; vgl. auch Haug, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft?, S. 92: „Perspektiven nichtliterarischer Systeme kreuzen ein und bilden mit dem narrativen Gefüge ein nicht harmonisierbares mehrschichtiges Ensemble. Über diese Offenheit für das Heterogene kann sich der Literaturwissenschaftler gewinnbringend mit der semiotisch orientierten Kulturwissenschaft verständigen, ja mit ihr insoweit zusammenspielen, als er sich auch mit Rücksicht auf den kulturellen Kontext, den sie erschließt, den Blick frei hält für jene lebendige Komplexität des Literarischen, die ihm bei harmonisierenden Deutungsversuchen verlorengeht.“ Vgl. Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 293; Kiening, Versuchte Frauen, S. 80. Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 294. Martinez, Literarische Form, S. 281.
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Mythisches und Literatur
Im Konkreten geht es somit um die Frage, inwiefern der literarische Text Strukturen mythischen Denkens zu erkennen gibt. Die Richtung der Frage zielt dabei stets auf den Text, die Möglichkeit, „die kulturelle Bedeutsamkeit literarischer Texte zu erfassen“,23 kann daran anschließen. Das Wissen vom Kontext kann eine Basis geben, auf der auch im Speziellen die Romane Hartmanns in ihrer Mythizität beschrieben werden können. „Eine kulturwissenschaftliche Betrachtung in diesem Sinn muß notwendig historischsynchron und interdisziplinär angegangen werden, sie bedarf jedoch der Kontrolle, indem sie sich am Forschungsstand der Nachbardisziplinen orientiert.“24 Aus diesem Grund soll im Folgenden auf die philosophische Mythostheorie Ernst Cassirers eingegangen werden, dessen Ansatz es ermöglicht, auch „literarische Formen als kulturelle Gebilde zu erkennen“.25 Kulturelle Praxis und symbolische Formen Ernst Cassirer formulierte seine Mythostheorie im Rahmen seiner umfassender angelegten Philosophie der symbolischen Formen,26 die er selbst einmal als „Prolegomena zu einer künftigen Kulturphilosophie“ bezeichnet hat.27 Er geht darin von einem Kulturbegriff aus, der handlungstheoretisch ausgerichtet ist: „Denn der Inhalt des Kulturbegriffs“, so formuliert es Cassirer, „läßt sich von den Grundformen und Grundrichtungen des geistigen Produzierens nicht loslösen: das ‚Sein‘ ist hier nirgends anders als im ‚Tun‘ erfaßbar.“28 Diesen notwendig weit gefassten Kulturbegriff erschließt Cassirer über eben dieses „Tun“ des Menschen, das er auf verschiedene „geistige Grundfunktionen“ zurückführt, denen die Aufgabe der Welterschließung und Bedeutungsstiftung zukommt: Jede echte geistige Grundfunktion hat mit der Erkenntnis den einen entscheidenden Zug gemeinsam, daß ihr eine ursprünglich-bildende, nicht bloß nachbildende Kraft innewohnt. Sie drückt nicht bloß passiv ein Vorhandenes aus, sondern sie schließt eine selbständige Energie des Geistes in sich, durch die das schlichte Dasein der Erscheinung eine bestimmte „Bedeutung“, einen eigentümlichen ideellen Gehalt empfängt. Dies gilt für die Kunst, wie es für die Erkenntnis gilt; für den Mythos wie für die Religion. Sie alle leben in eigentümlichen Bildwelten, in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie viel23 24 25 26
27 28
Ebd., S. 285. Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 572; vgl. Müller, Einleitung Text und Kontext, S. IX f. Martinez, Literarische Form, S. 285. Zu Cassirer allgemein und einführend Auerochs, Ernst Cassirer; Paetzold, Ernst Cassirer; Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, S. 90–101; hervorzuheben ist die Einführung von Recki, Kultur als Praxis; siehe ferner Sandkühler/Pätzold, Kultur und Symbol; Orth, Kulturphilosophie; Braun/Holzhey/Orth, Ernst Cassirers Philosophie; speziell im Kontext der Kulturwissenschaften Orth, Ernst Cassirer; Krois, Ernst Cassirer; Hamlin, Concept. Cassirer, Logik des Symbolbegriffs, S. 229; zur Unterscheidung von Kulturphilosophie und Kulturwissenschaft(en) Freudenberger, Kulturphilosophie, S. 260 f.; Orth, Kulturphilosophie, S. 219 f. Cassirer, Die Sprache, S. 11.
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mehr nach einem selbständigen Prinzip hervorbringen. Und so schafft auch jede von ihnen sich eigene symbolische Gestaltungen, die den intellektuellen Symbolen, wenn nicht gleichar29 tig so doch ihrem geistigen Ursprung nach ebenbürtig sind.
Cassirer beschreibt ein System von Symbolisierungen in der Kultur, das Elemente einer Praxis und Poiesis beinhaltet, wobei ihm ein weit gefasster Begriff des Symbolischen zugrunde liegt.30 Im Weiteren bezeichnet er die auf geistige Grundfunktionen zurückgehenden verschiedenen Weisen der Symbolisierungen als symbolische Formen:31 Unter einer „symbolischen Form“ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem 32 Zeichen innerlich zugeeignet wird.
Der Begriff der symbolischen Form umfasst somit „ausdrücklich zwei Momente: den tätigen Prozeß der Formung und sein gegenständliches Resultat“.33 Mit dieser begrifflichen Grundlegung verfolgt Cassirer schließlich das Ziel, „zu verstehen und zu erweisen, wie aller Inhalt der Kultur, sofern er mehr als bloßer Einzelinhalt ist, sofern er in einem allgemeinen Formprinzip gegründet ist, eine ursprüngliche Tat des Geistes zur Voraussetzung hat“.34 Die doppelte Ausrichtung seines begrifflichen Ansatzes erlaubt es ihm somit, über die Inhalte der Kultur ihren jeweiligen Ausprägungen wie den ihnen zugrunde liegenden Gestaltungsweisen nachzugehen. So möchte er „die verschiedenen Erzeugnisse der geistigen Kultur, die Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnis, de[n] Mythos, die Kunst, die Religion“, die von ihm so bezeichneten symbolischen Formen, in ihren je eigenen Grundzügen beschreiben wie in ihrer gemeinsamen Funktion, „die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden“.35 Die Aufgabe einer Kulturwissenschaft besteht für Cassirer nun darin, „die allgemeinen Bedingungen dieser Funktion aufzustellen und das Prinzip, von dem sie beherrscht 29 30
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Ebd., S. 9. Den Begriff des Symbols definiert Cassirer im dritten Band seiner Philosophie der symbolischen Formen: „Wir dagegen haben dem Symbolbegriff von Anfang an eine andere und weitere Bedeutung gegeben. Wir versuchten mit ihm das Ganze jener Phänomene zu umfassen, in denen überhaupt eine wie immer geartete ‚Sinnerfüllung‘ des Sinnlichen sich darstellt; – in denen ein Sinnliches, in der Art seines Daseins und So-Seins, sich zugleich als Besonderung und Verkörperung, als Manifestation und Inkarnation eines Sinnes darstellt.“ Cassirer, Phänomenologie der Erkenntnis, S. 109; vgl. hierzu Recki, Kultur als Praxis, S. 32: „Symbolisierung faßt er ganz generell als die Vermittlung von Sinnlichem und Geistigem, das Symbol ist der Ort (und der Akt) dieser Vermittlung, die sich in den unterschiedlichsten Materialien oder Medien abspielen kann – in artikuliertem Laut, in materiellen Dingen, in Ritualen, Zeremonien und Techniken, überhaupt in Handlungen aller Art, in Institutionen, in Formeln.“ Vgl. ausführlich auch Rolf, Symboltheorien, S. 57–74. Vgl. zur Abgrenzung der Begrifflichkeiten ebd., hier v. a. S. 66 f. Cassirer, Begriff der symbolischen Form, S. 175. Recki, Kultur als Praxis, S. 37, Hervorhebung dort. Cassirer, Die Sprache, S. 11; vgl. Orth, Von der Erkenntnistheorie zu Kulturphilosophie, S. 75 f. Cassirer, Die Sprache, S. 12.
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wird, klarzulegen“.36 Hierfür gelte es aber „einen Standpunkt zu finden, der über all diesen Formen und der doch andererseits nicht schlechthin jenseits von ihnen liegt: – einen Standpunkt, der es ermöglichte, das Ganze derselben mit einem Blicke zu umfassen und der in diesem Blicke doch nichts anderes sichtbar zu machen versuchte, als das rein immanente Verhältnis, das sie zu einem äußeren, ‚transzendenten‘ Sein oder Prinzip haben“.37 Und weiter: Wenn alle Kultur sich in der Erschaffung bestimmter geistiger Bildwelten, bestimmter symbolischer Formen wirksam erweist, so besteht das Ziel der Philosophie nicht darin, hinter all diese Schöpfungen zurückzugehen, sondern vielmehr darin, sie in ihrem gestaltenden Grundprin38 zip zu verstehen und bewusst zu machen.
Im Konkreten bedeutet dies, dass zunächst nach den einzelnen symbolischen Formen gefragt werden muss, um „das bedingende Gesetz ihres Aufbaus“ zu ermitteln, und zwar der Art, dass „wir es an den Erscheinungen selbst aufzeigen und es von ihnen ‚abstrahieren‘“.39 Cassirer fordert hier eine Vorgehensweise der vergleichenden Phänomenologie. In seiner Philosophie der symbolischen Formen widmet sich Cassirer folglich in je eigenen Bänden neben der Sprache und der wissenschaftlichen Erkenntnis auch ausführlich dem mythischen Denken.40 Dieses gilt es nun in seinen Grundzügen darzustellen, bevor auf das Verhältnis der symbolischen Formen zueinander aus synchroner wie diachroner Sicht eingegangen werden soll, um schließlich auch die Literatur in ihrer Mythizität zu verorten.
3.1.2 Indifferenz und Akzentuierung – Grundzüge mythischen Denkens Cassirer beschreibt das mythische Denken als symbolische Form, die „gleich der Erkenntnis, gleich der Sittlichkeit und der Kunst als eine selbständige, in sich geschlossene ‚Welt‘ [erscheint], die nicht an fremden von außen herangebrachten Wert- und Wirklichkeitsmaßstäben gemessen werden darf, sondern die in ihrer immanenten Strukturgesetzlichkeit begriffen werden soll“.41 Hierfür erhebt er den Anspruch, „eine kritische Phänomenologie des mythischen Bewußtseins“ zu geben,42 was sich für ihn als an36 37 38 39 40
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Ebd., S. 8. Ebd., S. 14. Ebd., S. 51. Ebd., S. 12. Cassirer plante einen eigenen Band zur Kunst, doch widmete er ihr neben einzelnen Anmerkungen in verschiedenen Arbeiten nur ein Kapitel in seinem Versuch über den Menschen; vgl. Graeser, Ernst Cassirer, S. 86. Cassirer, Das mythische Denken, S. 6; vgl. insgesamt Recki, Kultur als Praxis, S. 84–108; Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, v. a. S. 125–129; Plümacher, Mythos. Cassirer, Das mythische Denken, S. 18. Christian Kiening sieht hierin einen Nutzen dieser Theorie, da Cassirer ein „Verständnis von Mythos als phänomenologisch gestützte analytische Kategorie“
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spruchsvolle Aufgabe darstellt, insofern er „die Inhalte des mythischen Bewußtseins statt von außen über sie zu reflektieren, von innen her verstehen will“.43 Zentral für das Verständnis von Cassirers Ansatz ist dabei seine Feststellung, dass das mythische Denken eine eigene, in sich selbst gründende Logik aufweist, die es zu ergründen gilt: „Die Welt des Mythos ist kein bloßes Gebilde der Laune oder des Zufalls, sondern sie hat ihre eigenen Fundamentalgesetze des Bildens, die durch alle ihre besonderen Äußerungen hindurchwirken.“44 Nicht nur die doppelte Ausrichtung des Begriffs der symbolischen Form auf den Prozess der Formung wie das Resultat wird hier deutlich, sondern ebenso die ihr zukommende Rationalität. Was Cassirer als Fundamentalgesetz bezeichnet, liegt dann nicht nur dem Ganzen der Formgebung zugrunde, sondern prägt das einzelne Produkt, indem es „ihm gleichsam sein Siegel aufdrückt“45: Das Einzelne, das besondere Sein und das konkret-besondere Geschehen, ist und besteht; aber dieser sein Bestand ist ihm nur dadurch gesichert und verbürgt, daß wir es als einen Sonderfall eines allgemeinen Gesetzes oder genauer gesagt, eines Inbegriffs, eines Systems allgemeiner Gesetze denken können und denken müssen. Die Objektivität dieses Weltbildes ist somit nichts anderes als der Ausdruck seiner vollständigen Geschlossenheit, als der Ausdruck der Tatsache, daß wir in und mit jedem Einzelnen die Form des Ganzen mitdenken und das Einzelne somit gleichsam nur als einen besonderen Ausdruck, als einen „Repräsentanten“ dieser 46 Grundform ansehen.
Die Geschlossenheit des mythischen Weltbildes ist im Weiteren für Cassirer durch die grundsätzliche Indifferenz in der reinen, objektiven Präsenz seiner Inhalte näher bestimmt: Der Mythos „lebt in einer Welt reiner Gestalten, die ihm als ein durchaus Objektives, ja als das Objektive schlechthin gegenüberstehen“, doch bleibt die „Form der Wirklichkeit in sich noch völlig homogen und undifferenziert“; anstelle einer Differenzierung in verschiedene Wahrnehmungs- und Wissensordnungen „steht hier die bloße Hingabe an den Eindruck selbst und an seine jeweilige ‚Präsenz‘“, so „geht alles Sein,
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biete; Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 36. Birgit Recki weist darauf hin, dass Cassirer „die Ausdrücke ‚Mythos‘, ‚mythisches Denken‘, ‚mythische Lebensform‘ gleichbedeutend gebraucht“: „Gemeint ist eine alle Lebensbereiche der Gesellschaft durchdringende Form des Verstehens, die mit ihrer eigenen Ordnung, z. B. ihren eigenen Verfahren der Klassifikation und der Bildung von gedanklichen Beziehungen auch eine eigene Logik hat.“ Recki, Kultur als Praxis, S. 90, Hervorhebung dort; kritisch zum Begriff der Phänomenologie Holzhey, Cassirers Kritik, S. 196 f.; vgl. ausführlich auch Orth, Phänomenologie. Cassirer, Das mythische Denken, S. 50. Cassirer, Die Sprache, S. 21. Seine Methodik beschreibt Cassirer folglich als eine Dialektik von Synthese und Analyse zur Formulierung eines abstrakten Gesetzes, welches er aus den beobachtbaren Einzelerscheinungen ableitet. Zur Methodik siehe v. a. den Abschnitt in Cassirer, Das mythische Denken, S. 43–47. Cassirer, Die Sprache, S. 31. Cassirer, Das mythische Denken, S. 42 f.; vgl. auch Cassirer, Die Sprache, S. 37. Die „Repräsentation“ definiert Cassirer als die „Darstellung eines Bewußtseinselementes in einem anderen und durch ein anderes“; ebd., S. 35.
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alle ‚Wahrheit‘ und Wirklichkeit in die bloße Präsenz des Inhalts auf“.47 Dieser „Grundzug des mythischen Denkens“ – so nennt ihn Cassirer explizit48 – wiederholt sich entsprechend auch in allen Erscheinungsformen des mythischen Denkens.49 Ausgehend von dieser Feststellung nähert sich Cassirer weiteren, zunächst allgemein gehaltenen Grundbeobachtungen, bevor er auf die einzelnen Bedingungen der Wahrnehmung, im Wesentlichen auf die Kategorien Raum und Zeit, konkreter eingeht. Konkreszenz und mythischer Kausalbegriff Als instrumental fruchtbares Kriterium zur Charakterisierung mythischen Denkens formuliert Cassirer das „Gesetz der Konkreszenz oder Koinzidenz der Relationsglieder im mythischen Denken“, das sich „durch alle seine einzelnen Kategorien hindurch verfolgen“ lässt.50 Als eine Kategorie der Quantität beschreibt Cassirer hierfür zunächst das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen. Insgesamt lässt sich eine „Einerleiheit des Teils mit dem Ganzen“ beobachten, insofern das mythische Denken „zwischen dem Ganzen und den Teilen nirgends eine scharfe Grenzscheide setzt – wie für dasselbe der Teil nicht nur das Ganze vertritt, sondern es geradezu ist“.51 Dieses Zusammenwachsen der einzelnen Relationsglieder zeitigt seine Folgen über die bloße Statik des Gegebenen hinaus auch für das Geschehen. Was dem Teil geschieht, geschieht in gleicher Weise stets auch dem Ganzen: „Der Teil ist, mythisch gesprochen, noch dasselbe Ding wie das Ganze, weil er realer Wirkungsträger ist – weil alles, was er leidet oder tut, was aktiv und passiv an ihm geschieht, zugleich ein Leiden und Tun des Ganzen ist.“52 Daneben erweist sich dieses Gesetz als zutreffend auch im Hinblick auf das Verhältnis eines einzelnen Gegenstandes zu seinen Eigenschaften, was unter dem Gesichtspunkt der Qualität zu sehen ist: „Auch hier beobachten wir denselben eigentümlichen Zusammenfall der Relationsglieder: die Eigenschaft ist für das mythische Denken nicht sowohl eine Bestimmung ‚am‘ Dinge, als sie vielmehr die Gesamtheit des Dinges selbst […] ausdrückt und in sich schließt.“53 Es liegt eine gewisse Verkörperung des Ganzen
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Cassirer, Das mythische Denken, S. 47. Ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 51, sowie Cassirer, Die Sprache, S. 33: „Denn jedes einzelne Sein des Bewußtseins hat eben nur dadurch seine Bestimmtheit, daß in ihm zugleich das Bewußtseinsganze in irgendeiner Form mitgesetzt und repräsentiert wird. Nur in dieser Repräsentation und durch sie wird auch dasjenige möglich, was wir die Gegebenheit und ‚Präsenz‘ des Inhalts nennen.“ Hervorhebungen dort. Cassirer, Das mythische Denken, S. 82, Hervorhebung dort. Ebd., S. 82 f., Hervorhebung dort. Ausführlicher beschreibt er dort: „Das Ganze ist der Teil in dem Sinne, daß es mit seiner vollen mythisch-substantiellen Wesenheit in ihn eingeht, daß es geradezu sinnlich und materiell in ihm irgendwie ‚steckt‘.“ Als Beispiel verweist er auf den Totemismus. Ebd., S. 65; vgl. ausführlich ebd., S. 65–69. Ebd., S. 84, Hervorhebung dort.
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vor, nicht mehr im Sinne eines Pars pro Toto, dafür in der Zuschreibung einer Eigenschaft an eine bestimmte Substanz.54 Letztlich erweist sich dieses Gesetz konkret als ein solches der Koinzidenz für die Kategorie der Ähnlichkeit. Das mythische Denken ist auch hier seinem Grundzug nach indifferent im Hinblick auf an sich unterschiedliche Gegenstände, „weil eben jede wahrnehmbare Gleichheit oder Ähnlichkeit für den Mythos der unmittelbare Ausdruck einer Identität des Wesens ist“.55 Beispielhaft zeigt sich dies in der Vorstellung der realpräsentischen Wirkmacht einer bloß mimetischen Handlung, die als solche allerdings nicht wahrgenommen wird.56 Mit dem Gesetz der Konkreszenz ist somit ein entscheidender Grundzug des mythischen Denkens benannt, der sowohl das Ganze bestimmt, wie er sich in seinen Teilen quantitativ und qualitativ aber auch schon über Ähnlichkeiten ausdrückt, womit vorwiegend die Objektebene des mythischen Denkens erfasst ist. Für Handlungen lassen sich entsprechende Grundbeobachtungen über den mythischen Kausalbegriff anstellen.57 Anders als etwa für das analytische Denken gelten hier keine empirisch beobachtbaren und zu abstrahierenden Gesetze von Ursache und Wirkung, allein die bloße Nähe zweier Zustände, räumlich oder zeitlich, lässt die (eigentliche) Kontiguität in eine (mythische) Kausalität umschlagen: Jede Gleichzeitigkeit, jede räumliche Begleitung und Berührung schließt hier schon an und für sich eine reale kausale „Folge“ in sich. Man hat es geradezu als Prinzip der mythischen Kausalität und der auf sie gegründeten „Physik“ bezeichnet, daß hier jede Berührung in Raum und 58 Zeit unmittelbar als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung genommen wird.
Gerade zur Beantwortung der in zahlreichen mythischen Erzählungen gestellten Ursprungsfrage kann im mythischen Denken noch frei über die „Ursachen“ verfügt werden: „Hier kann noch alles aus allem werden, weil alles mit allem sich zeitlich oder räumlich berühren kann.“59 Maßgeblich ist daher auch allein die Erzählfolge, in der die einzelnen Relationsglieder einander zugeordnet werden.60 Der mythische Kausalbegriff weist damit seinerseits auf der Handlungsebene Momente der Koinzidenz und Konkreszenz auf, wie sie schon auf der Objektebene auszumachen waren: 54 55 56
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Als Beispiel dient Cassirer die Alchemie, die die Eigenschaft auf eine Substanz im Körper zurückführt, etwa die Brennbarkeit auf Phlogiston, das zu extrahieren wäre; vgl. ebd., S. 85 f. Ebd. S. 87, Hervorhebung dort. Hierin unterscheidet sich das mythische Denken grundlegend von anderen symbolischen Formen, etwa der Sprache, der Religion oder auch der Kunst, in denen ein Bewusstsein einer Bedeutungsebene jenseits bloßer Präsenz auszumachen ist; vgl. hierzu Kapitel 3.2.1. Vgl. hierzu auch Martinez, Doppelte Welten, S. 13–36. Cassirer, Das mythische Denken, S. 59. Ebd., S. 61, Hervorhebung dort. Vgl. Weinrich, Erzählstrukturen des Mythos, S. 174: „Die Ordnung der mythischen Ereignisse liegt ganz und gar in der Erzählfolge, ohne daß es notwendig wäre, von Kausalität zu sprechen.“ Die Erzählfolge sei dann aber „von großer Bedeutung“; andere Diskursformen etwa der Wissenschaften oder der Theologie haben sich von dieser Form der Erzählung entfernt.
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Mythisches und Literatur Der sympathetisch-magische Zusammenhang greift wie über die räumlichen, so auch über die zeitlichen Unterschiede hinweg: wie die Auflösung des räumlichen Beisammen, die physische Abtrennung eines Körperteils vom Ganzen des Körpers, den Wirkungszusammenhang zwischen beiden nicht aufhebt, so gehen auch die Grenzen des „Vor“ und „Nach“, des „Früher“ 61 und „Später“ ineinander über.
Formuliert das analytische Denken stets einen allgemeinen Sachverhalt, ein allgemeines Gesetz, aus dem heraus ein individuelles Geschehen abgeleitet und erklärt wird, so liefert dagegen der Mythos einen „Bericht über ein individuelles Geschehen – über den Fortgang von einer individuellen und konkreten Ding- und Daseinsform zu einer anderen“,62 womit sich die Erzählung am Ende selbst genügt. Noch deutlicher zeigt sich dies im Hinblick auf anscheinend zufälliges Geschehen. „Häufig findet es sich, daß dort, wo wir, vom Standpunkt der wissenschaftlichen Welterklärung, vom ‚Zufall‘ sprechen, das mythische Bewußtsein gebieterisch eine ‚Ursache‘ verlangt und in jedem einzelnen Falle eine solche Ursache setzt.“ Es ist das Individuelle des Geschehens, die individuelle Tat, die nicht weiter hinterfragt zu werden braucht, um zur Erklärung eines Zustandes auszureichen. Das mythische Denken „richtet die Frage des ‚Warum‘ gerade auf das Besondere, auf das Einzelne und Einmalige. Es ‚erklärt‘ das individuelle Geschehen durch die Setzung und Annahme individueller Willensakte“, die dann „keiner weiteren Erklärung mehr fähig oder bedürftig sind“.63 Die Ordnungsformen Raum und Zeit Mit dem Gesetz der Konkreszenz und dem mythischen Kausalbegriff sind wesentliche Grundzüge formuliert, die das mythische Denken charakterisieren und seine Erscheinungsformen erklären können.64 Um konkreter über diese allgemeinen Grundzüge des Mythos als Denkform hinauszugehen, widmet sich Cassirer den Kategorien Raum und Zeit, über die sich die Einzelerscheinungen des mythischen Denkens „zu einer Gesetzlichkeit, zu einer […] Weltordnung zusammenfassen lassen“65 und den Mythos als Anschauungsform gliedern: Für Cassirer bilden sie die „Grundkonstanten, auf die alles Veränderliche bezogen wird; sie sind die universellen Stellensysteme, denen alles Einzelne sich in irgendeiner Weise einfügt und innerhalb welcher es seinen festen ‚Platz‘ zugewiesen und damit seine eindeutige Bestimmtheit verbürgt erhält“.66 Die „gedanklichen Medien“ von Raum und Zeit erscheinen dabei weniger „als konkrete Inhalte des
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Cassirer, Das mythische Denken, S. 69. Ebd., S. 62. Ebd., S. 63–65, Hervorhebung dort. Vgl. ebd., S. 96. Ebd., S. 101. Ebd. Es sei das Bestreben mythischen Denkens, „alles Dasein einer gemeinsamen Raumordnung, alles Geschehen einer gemeinsamen Zeit- und Schicksalsordnung einzufügen“; ebd., S. 102.
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Bewußtseins, denn als seine universellen Ordnungsformen“; sie werden so zu Koordinatenachsen einer Weltordnung.67 Raum- und Zeitordnung im mythischen Denken sind im Wesentlichen vom „Gegensatz des ‚Heiligen‘ und des ‚Profanen‘“, geprägt; es ist dies für Cassirer der „Grundund Urakzent des mythischen Bewusstseins“, der „alle besonderen Scheidungen und Verknüpfungen im Ganzen des Raumes und im Ganzen der Zeit“ beherrscht.68 Es ist als würde alles, was der Mythos ergreift, in diese Scheidung einbezogen – als durchdringe und imprägniere sie gleichsam das Ganze der Welt, soweit es sich als mythisch geformtes Ganzes darstellt. Alle abgeleiteten und mittelbaren Formen der mythischen Weltauffassung bleiben, so vielfältig sie sich gestalten und zu welcher geistigen Höhe sie auch erwachsen mö69 gen, durch diese primäre Teilung irgendwie mitbedingt.
So sind es etwa heilige Orte und heilige Zeiten, „an denen dieser Charakter vor allem erscheint“ und die den Gegensatz des Heiligen und Profanen zu einem „wahrhaft universelle[n] Gegensatz“ erheben.70 Allgemein lassen sich so über die Ordnungsformen Raum und Zeit die Koordinaten der Inhalte im mythischen Denken abstecken, die dann erst von diesem erfasst und geformt werden. Weil alles Dasein in die Form des Raumes, alles Geschehen in die Rhythmik und Periodik der Zeit eingespannt ist, so überträgt sich jede Bestimmung, die an einer gewissen räumlichzeitlichen Stelle haftet, alsbald auf den Inhalt, der in ihr gegeben ist; – wie umgekehrt auch der besondere Charakter des Inhalts auch der Stelle, an der er sich befindet, einen auszeichnenden Charakter gibt. Kraft dieser Wechselbestimmung wird allmählich alles Sein und Geschehen in 71 ein Netzwerk der feinsten mythischen Beziehungen eingesponnen.
Mythisches erweist sich somit allererst über die Form, die über die raum-zeitliche Zuordnung gegeben ist. So eröffnet sich für Cassirer ein „Ausblick auf eine allgemeine Formenlehre des Mythos, die die Betrachtung über die allgemeine Denkform, die ihm zugrunde liegt, ergänzt und die sie erst wahrhaft mit konkretem Gehalt erfüllt“.72 Es ist dieser formale Bezugspunkt, der die Mythostheorie Cassirers im Weiteren auszeichnet. Cassirer widmet sich ausführlich den jeweiligen Ausformungen von Raum und Zeit, die über charakteristische Akzentuierungen innerhalb der grundlegenden Scheidung des Heiligen vom Profanen zu erschließen sind. So erweist es sich für die mythische Raumordnung als wesentlich, dass „jeder Ort und jede Richtung gleichsam mit einem besonderen Akzent versehen [ist] – und dieser geht überall auf den eigentlichen mythischen
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Ebd., S. 101, Hervorhebung dort. Cassirer, Das mythische Denken, S. 103; vgl. hierzu Graeser, Ernst Cassirer, S. 68 f.; ferner Plümacher, Mythos, S. 181 f. Kritisch zu dieser Grundscheidung mit Blick auf außereuropäische Kulturen steht Mohn, Mythostheorien, S. 97; vgl. zu Cassirer dort insgesamt S. 84–103. Cassirer, Das mythische Denken, S. 100. Ebd., S. 103. Ebd., Hervorhebung dort. Ebd.
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Grundakzent, auf die Scheidung des Profanen und des Heiligen zurück“.73 Gerade über die Grenzen des Raumes lassen sich seine Charakteristika erschließen. Grenzziehungen gründen im Wesentlichen darauf, „daß der Mensch, in seiner unmittelbaren Stellung zur Wirklichkeit, als Wollender und Handelnder, sich begrenzt – daß er dieser Wirklichkeit gegenüber für sich bestimmte Schranken aufrichtet, an die sein Gefühl und sein Wille sich bindet“.74 Dies zeigt sich vor allem in der Unterscheidung „zweier Bezirke des Seins: eines gewöhnlichen, allgemein Zugänglichen und eines anderen, der, als heiliger Bezirk, aus seiner Umgebung herausgehoben, von ihr abgetrennt, gegen sie umhegt und beschützt erscheint“; der mythische Raum wirkt insgesamt „als ein Schema, durch dessen Anwendung und Vermittlung die verschiedenartigsten, auf den ersten Blick völlig unvergleichbaren Elemente aufeinander bezogen werden können“.75 Beschriebene Grundzüge der Konkreszenz und Koinzidenz, quantitativer und qualitativer Art wie der Ähnlichkeit, wirken dann in gleicher Weise, wie der Raum als solcher eingebunden sein kann in eine mythisch-kausale Ereignisfolge.76 Aussagekräftiger noch als die Ordnung des Raumes ist die mythische Zeitordnung, „denn der ‚Mythos‘ als solcher schließt seiner Grundbedeutung nach keine räumliche, sondern eine rein zeitliche Ansicht in sich“.77 Erst mit der Zeit erfasse man „sozusagen die Tiefendimension dieser Welt“,78 während sie ihrerseits von der Grundscheidung des Heiligen und Profanen bestimmt wird: „Was sich für den mythischen Raum ergab, das gilt auch für die mythische Zeit – ihre Form hängt von der eigentümlichen, mythischreligiösen Akzentuierung, von der Art der Verteilung der Akzente des ‚Heiligen‘ und des ‚Unheiligen‘ ab.“79 Im Ganzen kommt ihr „ein besonderer Akzent der ‚Heiligkeit‘ zu“,80 insofern sie gerade keine bloßen Relationen zum Ausdruck bringt, sondern vielmehr durch „eine feste Schranke […] die empirische Gegenwart von dem mythischen Ursprung“ trennt und „beiden je einen eigenen unvertauschbaren ‚Charakter‘“ gibt; von daher lässt sich das mythische Bewusstsein „geradezu als ein ‚zeitloses‘ Bewußtsein“ bezeichnen, „denn verglichen mit der objektiv-kosmischen und der objektivhistorischen Zeit besteht hier in der Tat eine solche Zeitlosigkeit“:81 73 74 75 76
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Ebd., S. 106. Zur Raumordnung siehe Graeser, Ernst Cassirer, S. 69–71; Paetzold, Die Realität der symbolischen Formen, S. 8–12. Cassirer, Das mythische Denken, S. 106, Hervorhebung dort. Ebd., S. 106 f., Hervorhebung dort. Auf die jeweiligen Einzelerscheinungen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, Formen von Partizipation und Identität, von Prädetermination und Geschlossenheit, von Grenzverletzungen und Übergangsriten werden an entsprechender Stelle der Textanalyse im konkreten Kontext erläutert. Verwiesen sei zumindest auf Cassirer, Das mythische Denken, S. 104–128. Ebd., S. 129, Hervorhebung dort. Zur Zeitordnung siehe Graeser, Ernst Cassirer, S. 71 f.; zum Zeitbegriff Cassirers allgemein Orth, Kulturphilosophie, S. 129–147. Cassirer, Das mythische Denken, S. 130. Ebd., S. 145, eigene Hervorhebung. Ebd., S. 132. Ebd., S. 131.
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Für den Mythos gibt es keine Zeit, keine gleichmäßige Dauer und keine regelmäßige Wiederkehr oder Sukzession „an sich“, sondern es gibt immer nur bestimmte inhaltliche Gestaltungen, die ihrerseits bestimmte „Zeitgestalten“, ein Kommen und Gehen, ein rhythmisches Dasein und Werden offenbaren. Hierdurch wird das Ganze der Zeit durch gewisse Grenzpunkte und gleichsam durch bestimmte Taktstriche in sich abgeteilt; aber diese Abschnitte sind zunächst lediglich als unmittelbar empfundene, nicht als gemessene oder gezählte vorhanden. 82 Insbesondere alles religiöse Tun des Menschen zeigt eine derartige rhythmische Gliederung.
Auch für die Ausgestaltungen der Zeit lassen sich hieran anschließend Grundzüge der Konkreszenz ausmachen sowie Formen mythischer Kausalität anbinden.83 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass einerseits eine grundlegende Indifferenz in der Hingabe an die bloße Präsenz der Inhalte das mythische Denken charakterisiert, wie andererseits spezifische Akzentuierungen den Mythos als Anschauungsform prägen: Merkmale einer Indifferenz liegen vor allem in der Konkreszenz oder Koinzidenz der Relationsglieder im mythischen Denken vor, die sich quantitativ im Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen, qualitativ im Verhältnis des Gegenstands zu seinen Eigenschaften ausdrücken, die sich aber auch im Verhältnis von Ähnlichkeit und Identität zeigen. Was zunächst auf der Objektebene anzusiedeln ist, setzt sich auf der Handlungsebene im mythischen Kausalbegriff fort. Auch hier zeigt sich das mythische Denken seinem Wesen nach indifferent, gerade im Hinblick auf Fragen nach dem Ursprung, nach dem Werden und Geschehen, nach Fragen auch des Zufalls. Diese allgemein formulierten Grundzüge mythischen Denkens wirken sich im Speziellen auf die gedanklichen Medien Raum und Zeit aus, die als universelle Ordnungsformen letztlich auch die Inhalte bestimmen. Dies geschieht im Wesentlichen über charakteristische Akzentuierungen innerhalb der ihnen zugrunde liegenden Scheidung des Heiligen vom Profanen. Die mythischen Raum- und Zeitordnungen lassen sich hierdurch in ihren Grundstrukturen beschreiben, die sich auf der einen Seite in räumlichen Grenzziehungen, auf der anderen Seite in einer Zeitlosigkeit und rhythmischen Gliederung niederschlagen. Die mit Cassirer referierten Grundzüge mythischen Denkens geben ein begriffliches Instrumentarium zur Hand, mittels dessen die Romane Hartmanns von Aue formal in ihrer Mythizität beschrieben werden können. Der Ansatz Cassirers eröffnet darüber hinaus auch Anbindungen an kulturwissenschaftliche Fragestellungen, die sich dem Verhältnis des Mythischen zum Literarischen über die Kategorie der symbolischen Ordnung nähern. Im folgenden Kapitel soll daher auf die jeweilige synchrone wie diachrone Beziehung der verschiedenen symbolischen Formen eingegangen werden, um eine konkrete Terminologie für die Analyse erstellen zu können. 82 83
Ebd., S. 133, Hervorhebung dort. Auch hier kann auf die jeweiligen Einzelerscheinungen, spezielle Zeit-, Rechts- oder Naturordnungen sowie eine umfassende Schicksalsordnung, nicht näher eingegangen werden. Auch sie sollen an entsprechender Stelle der Textanalyse im Kontext näher besprochen werden. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Cassirer, Das mythische Denken, S. 129–169.
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3.2 Die mythische Form literarischen Erzählens Ausgehend von einem handlungstheoretisch ausgerichteten Kulturbegriff konnten mit Ernst Cassirer Grundlagen einer allgemeinen Theorie symbolischer Formen vorgestellt werden. Dabei erwies sich der Begriff der symbolischen Form als hilfreich einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus kulturelle Praktiken zugleich bezogen werden können auf Prozesse ihrer symbolischen Formgebung wie auf deren formal beschreibbare Produkte. Grundzüge mythischen Denkens ließen sich in ihrer Indifferenz sowie in ihren charakteristischen Akzentuierungen vor allem innerhalb raum-zeitlicher Gestaltungsformen aufzeigen. Zur Bestimmung des jeweiligen Grades an Mythizität eines literarischen Textes hat sich überdies gezeigt, dass der zu verfolgende Ansatz auf kulturtheoretische Ebene erweitert werden muss, um in einem Text und Kontext in gleicher Weise bestimmenden Pluralismus des Kulturellen verschiedene Praktiken der Welterschließung erfassen zu können, ohne dabei die spezifischen Eigenlogiken der Literatur zu vernachlässigen. Im Weiteren gilt es, sich dem Verhältnis von Mythischem und Literarischem auf eine Weise anzunähern, die ihre wechselseitige Bedingung wie Abgrenzung voneinander erfasst. In Weiterführung des in Anlehnung an die Philosophie Ernst Cassirers formulierten Ansatzes ist daher zunächst das Verhältnis der ihnen zugrunde liegenden symbolischen Formen zu berücksichtigen. Allgemeine Beobachtungen sollen für das spezielle Verhältnis von Kunst und Mythos zunächst in synchroner Perspektive konkretisiert werden, um eine prinzipielle Gleichzeitigkeit und auch Gleichwertigkeit mythischer und ästhetischer Symbolisierungen aufzuzeigen. Kritisch gilt es darüber hinaus ihr diachrones Verhältnis zu erörtern und Unterscheidungskriterien wie formale und funktionale Analogien zu ermitteln. Ausgehend von dem gleichfalls kritisch zu referierenden Ansatz Clemens Lugowskis soll schließlich die Literatur in dieser doppelten Perspektivierung verortet werden. Lassen sich Tendenzen einer umfassenden Rationalisierung in der kulturellen Entwicklung ausmachen, so weist dagegen die Literatur auch gegenläufige Momente einer Mythisierung auf. Solche in der Literatur zu beobachtende Momente zeigen sich in formalen Analogien zum mythischen Denken und sollen als mythosanaloge Strukturen im literarischen Erzählen terminologisch erfasst werden. Neben der Form gilt es letztlich die Inhalte mythosanalogen Erzählens über deren funktionale Bestimmung auf theoretischer Ebene in Bezug zum kulturellen Kontext zu stellen.
3.2.1 Kunst und Mythos – Synchronie und Diachronie Ernst Cassirer hat im Rahmen seiner umfassend angelegten Philosophie der symbolischen Formen neben dem mythischen Denken auch der Sprache und der wissenschaftlichen Erkenntnis je eigene Bände gewidmet. Darüber hinaus geht er an verschiedenen
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Stellen auf Religion, Geschichte oder Technik, aber auch – speziell in seiner erst spät erschienenen Schrift Versuch über den Menschen – auf die Kunst als je eigene symbolische Formen ein.84 Im Folgenden soll das Verhältnis der symbolischen Formen zueinander in den Blick genommen werden. Es ist der Frage nachzugehen, wie diese sich auf synchroner Ebene voneinander abgrenzen und zugleich in diachroner Perspektive in einer historischen Entwicklung und wechselseitigen Beziehung stehen.85 Hierbei kann auf das spezielle Verhältnis von Kunst und Mythos konkreter eingegangen werden, das gerade mit Blick auf die Literatur maßgeblich wird und an den grundlegenden Gegensatz von Präsenz und Bedeutung anschließt. Das Verhältnis der symbolischen Formen Wie bereits im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, bezieht Cassirer seinen weit gefassten und handlungstheoretisch ausgerichteten Kulturbegriff auf verschiedene geistige Grundfunktionen, in denen die von ihm im Wesentlichen einzeln beschriebenen symbolischen Formen gründen.86 Diese haben auf je spezifische Weise an der Bewusstseinstätigkeit der Symbolisierung teil, denn: Keine dieser Gestaltungen geht schlechthin in der anderen auf oder läßt sich aus der anderen ableiten, sondern jede von ihnen bezeichnet eine bestimmte geistige Auffassungsweise und konstituiert in ihr und durch sie zugleich eine eigene Seite des „Wirklichen“. Sie sind somit nicht verschiedene Weisen, in denen sich ein an sich Wirkliches dem Geiste offenbart, sondern sie sind die Wege, die der Geist in seiner Objektivierung, d. h. in seiner Selbstoffenbarung verfolgt. Faßt man die Kunst und die Sprache, den Mythos und die Erkenntnis in diesem Sinne, so hebt sich aus ihnen alsbald ein gemeinsames Problem heraus, das einen neuen Zugang zu einer 87 allgemeinen Philosophie der Geisteswissenschaften erschließt.
Cassirer entwirft mit Blick auf den kulturellen Prozess ein Ensemble prinzipiell voneinander unabhängiger symbolischer Formen.88 Auf je unterschiedlichem Weg liegt ihnen dabei jedoch die eine gemeinsame Funktion der Welterschließung zugrunde: Die verschiedenen Erzeugnisse der geistigen Kultur, die Sprache, die wissenschaftliche Erkenntnis, der Mythos, die Kunst, die Religion werden so, bei all ihrer inneren Verschiedenheit, zu Gliedern eines einzigen großen Problemzusammenhangs, – zu mannigfachen Ansätzen, die alle auf das eine Ziel bezogen sind, die passive Welt der bloßen Eindrücke, in denen der Geist 89 zunächst befangen scheint, zu einer Welt des reinen geistigen Ausdrucks umzubilden.
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Vgl. Cassirer, Versuch über den Menschen, v. a. S. 212–261; hierzu Hinsch, Die kunstästhetische Perspektive, v. a. S. 262–274. Verwiesen sei an dieser Stelle auf Cassirer, Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum. Cassirer wollte der Kunst einen eigenen Band der Philosophie der symbolischen Formen widmen, zu dem es jedoch nie gekommen ist; vgl. Graeser, Ernst Cassirer, S. 86. Vgl. im allgemeinen Überblick Schwemmer, Vielfalt der symbolischen Welten. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.1.1. Cassirer, Die Sprache, S. 9, Hervorhebung dort. Recki, Kultur als Praxis, S. 35, spricht hier von der „Pluralität von Gestaltungsweisen“. Cassirer, Die Sprache, S. 12, Hervorhebung dort.
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Grundsätzlich geht Cassirer dabei von einer Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit der symbolischen Formen im kulturellen Prozess aus, da sie durchaus auf gleiche Inhalte der Wahrnehmung reagieren, wenngleich sie unterschiedliche Symbolisierungen vornehmen. Birgit Recki weist auf das Problem einer systematischen Zuordnung hin, die über die bloße Feststellung der gemeinsamen Funktion hinausgehend das Verhältnis der symbolischen Formen zueinander erst noch konkreter darstellen müsste. Sie spricht daher allgemein „von idealtypisierenden analytischen Trennungen in einem interdependenten Funktionszusammenhang“.90 Ernst Wolfgang Orth betont seinerseits, dass die einzelnen Formen „in einem funktionellen und strukturellen Nebeneinander“ stehen und „sich wechselseitig ergänzen“, wobei „einige Formen besonders hervorgehoben“ zu sein scheinen: „So hat die Sprache eine Art universaler Funktion, die schon in Mythos und Kunst und noch in den exakten Wissenschaften eine Rolle spielt.“91 Das Problem der Abgrenzung der einzelnen symbolischen Formen voneinander ist offensichtlich. Im Gesamten ist zwar zunächst von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit auf synchroner Ebene auszugehen, doch stehen sie zugleich in einem sich voneinander absetzenden und wechselseitig durchdringenden Verhältnis, worauf Cassirer explizit hinweist: Die einzelnen geistigen Richtungen treten nicht, um einander zu ergänzen, friedlich nebeneinander, sondern jede wird zu dem, was sie ist, erst dadurch, daß sie gegen die anderen und im 92 Kampf mit den anderen die ihr eigentümliche Kraft erweist.
Neben der Sprache ist es schließlich auch der Mythos, dem eine Schlüsselstellung zuzukommen scheint. Cassirer hat ihn mitunter als den allen „gemeinsamen Mutterboden“ bezeichnet.93 Birgit Recki spricht daher vom „Dilemma des Begriffs vom Mythos“, wie er von Cassirer gebraucht wird, denn insgesamt lasse sich „eine systematische auf Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit aller symbolischen Formen ebenso wie eine geschichtsphilosophische Auffassung des Mythos“ erkennen, wie sie sich etwa im Bild des Mutterbodens ausdrückt, „und die geschichtsphilosophische Auffassung droht der systematischen immer wieder in die Quere zu kommen“.94 An diesem Punkt, der eine diachrone Perspektive auf das Verhältnis der symbolischen Formen zueinander eröffnet, setzt eine häufig formulierte Kritik an Cassirers Philosophie an. Recki widmet dieser Kritik ein eigenes Kapitel, in dem sie wesentliche Punkte anspricht, an denen sich „eine Handvoll offener Probleme“ zeigen.95 Besonders hervorzuheben ist das Problem der „sich in der Architektonik der symbolischen Formen penetrant bemerkbar machenden Geschichtsphilosophie, die Cassirer nirgends explizit
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Recki, Kultur als Praxis, S. 75, Hervorhebung dort. Orth, Kulturphilosophie, S. 96. Dies zeige sich etwa schon in der von Cassirer gewählten Terminologie, im Gebrauch von Begriffen wie Zeichen, Symbol oder Grammatik. Cassirer, Die Sprache, S. 13. Cassirer, Sprache und Mythos, S. 157. Recki, Kultur als Praxis, S. 85, Hervorhebung dort. Ebd., S. 43.
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problematisiert und austrägt“.96 Dies bewertet auch Christian Kiening insgesamt als „problematisch“: „Einerseits werden in Kantischer Tradition die Anschauungsformen der mythischen Wirklichkeit als Kategorien des menschlichen Bewusstseins entworfen, andererseits wird das mythische Denken als Form der Protorationalität verstanden und eine historische Abfolge von Mythos und Logos, von Konkretheit und Abstraktheit, von magischer Wirklichkeitsbewältigung und wissenschaftlicher Wirklichkeitsgestaltung nahegelegt.“97 In der Tat vertritt Cassirer die These einer historischen Entwicklung und Ausdifferenzierung. Dies wird an der bereits zitierten Auffassung des Mythos als Mutterboden der symbolischen Formen implizit deutlich, explizit formuliert er in Anlehnung an Hegels Phänomenologie des Geistes ein teleologisches Modell: So stellt sich im Verhältnis des Mythos, der Sprache und der Kunst, so sehr ihre Gestaltungen in den konkreten geschichtlichen Erscheinungen unmittelbar ineinandergreifen, doch ein bestimmter systematischer Stufengang, ein ideeller Fortschritt dar, als dessen Ziel es sich bezeichnen läßt, daß der Geist in seinen eigenen Bildungen, in seinen selbstgeschaffenen Symbo98 len nicht nur ist und lebt, sondern daß er sie als das, was sie sind, begreift.
Es ist somit ein Prozess der Ausdifferenzierung99, nicht so sehr der einzelnen Symbolisierungsweisen untereinander, als vielmehr im Bezug auf die Einstellung zum verwendeten Symbol im Rahmen eines solchen systematischen Stufengangs, der eine Art der Entwicklung aus dem Vorangegangenen darstellt, ohne dieses jedoch gänzlich abzulösen. Cassirer spricht zwar einerseits von einem „Prozeß der Vernichtung“, doch hebt er andererseits zugleich das notwendige „Zusammenwirken“ hervor und behandelt dies entsprechend unter dem Aspekt der „Dialektik des mythischen Bewußtseins“: Dem stetigen Aufbau der mythischen Bildwelt entspricht das stete Hinausdrängen über sie: derart jedoch, daß beides, die Position wie die Negation, der Form des mythisch-religiösen Bewußtseins selbst angehören und sich in ihm zu einem einzigen unteilbaren Akt zusammenschließen. Der Prozeß der Vernichtung erweist sich, tiefer betrachtet, als ein Prozeß der Selbstbehauptung, wie der letztere sich nur kraft des ersteren vollziehen kann: beide vereint fördern erst in ihrem ständigen Zusammenwirken das wahre Wesen und den wahren Gehalt der my100 thisch-religiösen Form zutage.
Birgit Recki legt hierauf besonderen Wert: „Wir haben nicht schlichtweg von einer Ablösung oder Überwindung des Mythos durch die anderen symbolischen Formen, sondern von seiner Aufhebung auszugehen und dabei die dreifache Bedeutung im Sinn zu behalten, die dieser Begriff in der Hegelschen Dialektik hat: Etwas aufheben heißt nicht nur, es negieren im Sinne einer Vernichtung (tollere), sondern auch es bewahren 96
Ebd., S. 46. Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 36. 98 Cassirer, Das mythische Denken, S. 34. 99 Begriff nach Paetzold, Die symbolische Ordnung der Kultur, S. 176, mit dem Hinweis, dass hieraus Religion wie Kunst hervorgingen; vgl. kritisch hierzu Rudolph, Schwierigkeiten, S. 135–137. 100 Cassirer, Das mythische Denken, S. 283, Hervorhebung dort. 97
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(conservare), indem man es auf ein höheres Entwicklungsniveau hebt (elevare).“101 Beispielhaft zeigt sich dieses dialektische Verhältnis von Entwicklung und Bewahrung in den konkreten Verhältnissen von Mythos und Religion einerseits, von Kunst und Mythos andererseits, die an den Gegensatz von Präsenz und Bedeutung anschließen. Präsenz und Bedeutung Cassirer behandelt Mythos und Religion als je eigene symbolische Formen, doch gelingt ihm keine trennscharfe Abgrenzung, wenn auch der von den Inhalten unabhängige formale Aspekt als ausschlaggebendes Kriterium der Unterscheidung deutlich wird: Der Inhalt des religiösen Bewußtseins läßt sich, je weiter wir ihn bis zu seinen Ursprüngen zurückzuverfolgen suchen, um so weniger von dem des mythischen Bewußtseins scheiden. Beide sind derart ineinander verflochten und verkettet, daß sie sich nirgend in wirklicher Bestimmtheit voneinander sondern und einander gegenüberstellen lassen. […] Dennoch ist, trotz dieser unlöslichen Verwobenheit der Inhalte von Mythos und Religion, die Form beider nicht die 102 gleiche.
Der Unterschied in der Form liegt dabei in der veränderten Einstellung gegenüber den Inhalten begründet, was den ideellen Fortschritt zeitigt und als Unterscheidungskriterium herangezogen werden kann. Richtet sich das mythische Denken auf die „bloße Präsenz des Inhalts“,103 überwindet das religiöse Bewusstsein diese Inhalte jedoch nicht im Sinne einer sie ausschließenden Abkehr, es bewahrt sie zunächst und hebt sie – vermittelt durch die eigene Formgebung – auf eine neue, jetzt religiöse Sinnebene: Es kann diese Welt [des mythischen Bewusstseins] nicht entbehren, es kann sie nicht unmittelbar von sich ausstoßen; aber sie empfängt nun allmählich, durch das Medium der religiösen Fragestellung gesehen, einen neuen Sinn. Die neue Idealität, die neue geistige „Dimension“, die durch die Religion erschlossen wird, verleiht nicht nur dem Mythischen eine veränderte „Bedeutung“, sondern sie führt geradezu den Gegensatz zwischen „Bedeutung“ und „Dasein“ erst in das Gebiet des Mythos ein. Die Religion vollzieht den Schnitt, der dem Mythos als solchem fremd ist: indem sie sich der sinnlichen Bilder und Zeichen bedient, weiß sie sie zugleich als solche, – als Ausdrucksmittel, die, wenn sie einen bestimmten Sinn offenbaren, notwendig zugleich hinter ihm zurückbleiben, die auf diesen Sinn „hinweisen“, ohne ihn jemals vollstän104 dig zu erfassen und auszuschöpfen.
Im religiösen Bewusstsein erst tritt dieser „Gegensatz zwischen ‚Bedeutung‘ und ‚Dasein‘“ hervor, der dem Mythos fremd ist, da er seinem Wesen nach indifferent ist.105 Was für die Religion in Abgrenzung zum Mythos wesentlich ist, das Annehmen einer Bedeutungsebene über der bloßen Präsenz der Inhalte, kann ähnlich auch für die 101
Recki, Kultur als Praxis, S. 102, Hervorhebung dort. Cassirer, Das mythische Denken, S. 285 f., Hervorhebung dort; vgl. hierzu auch Recki, Kultur als Praxis, S. 96–98. 103 Cassirer, Das mythische Denken, S. 47. 104 Ebd., S. 286, Hervorhebung dort. 105 Vgl. Rudolph, Schwierigkeiten, S. 136 f., sowie die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. 102
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Kunst ausgemacht werden. Für Cassirer ist die Kunst von der Religion zunächst nicht nur über die Inhalte, sondern auch über die Formgebung nur kaum verschieden: Die Religion und die Kunst stehen in ihrem rein geschichtlichen Wirken einander so nahe und durchdringen sich derart, daß beide bisweilen auch ihrem Gehalt und dem inneren Prinzip des Bildens nach ununterscheidbar zu werden scheinen. Von den Göttern Griechenlands hat man 106 gesagt, daß sie Homer und Hesiod ihre Entstehung verdanken.
Der Kunst kommt in der kulturellen Entwicklung eine gewisse Sonderstellung zu, wenn sie eine vermittelnde Position einnimmt.107 So geht Cassirer an anderer Stelle auf die „beiden Extreme, zwischen denen alle Kulturentwicklung sich bewegt“, ein und bestimmt sie „als die Welt des Ausdrucks und die Welt der reinen Bedeutung“; Kunst erreiche dabei „gewissermaßen das ideale Gleichgewicht zwischen diesen beiden Extremen“.108 Letztlich tendiere die Kunst jedoch zur Annahme einer Bedeutung, was über die Bestimmung ihres Verhältnisses zum Mythos und zur Sprache ersichtlich wird: Ist das mythische Denken noch grundsätzlich als indifferent zu bestimmen, herrsche auch im Sprachbewusstsein anfangs noch eine „Einerleiheit von Wort und Wesen, von ‚Bedeutendem‘ und ‚Bedeuteten‘“, doch trete mit der „Kraft des Logos […] das Wort als ein Eigenes und Eigentümliches, in seiner rein ideellen, in seiner ‚signifikanten‘ Funktion heraus“.109 In der Kunst liege letztlich eine neue „Stufe der ‚Ablösung‘“ vor: Die Anfänge der bildenden Kunst reichen vielmehr, wie es scheint, in eine Sphäre zurück, in der die Tätigkeit des Bildens selbst noch unmittelbar im magischen Vorstellungskreis verwurzelt und auf bestimmte magische Zwecke gerichtet ist, in der somit das Bild selbst noch keineswegs selbständige, rein „ästhetische“ Bedeutung hat. Dennoch wird schon in der ersten Regung eigentlich künstlerischer Gestaltung im Stufengang der geistigen Ausdrucksformen ein ganz neuer Anfang, ein neues „Prinzip“ erreicht. Denn hier zuerst gewinnt die Bildwelt, die der Geist der bloßen Sach- und Dingwelt gegenüberstellt, eine rein immanente Geltung und Wahrheit. Sie zielt nicht auf ein anderes und verweist nicht auf ein anderes; sondern sie „ist“ schlechthin und besteht in sich selbst. Aus der Sphäre der Wirksamkeit, in der das mythische Bewußtsein, und aus der Sphäre der Bedeutung, in der das sprachliche Zeichen verharrt, sind wir nun in ein Gebiet versetzt, in dem gleichsam nur das reine „Sein“, nur die ihm eigene innewohnende Wesenheit des Bildes als solche ergriffen wird. Damit erst formt sich die Welt des Bildes zu einem in sich geschlossenen Kosmos, der in seinem eigenen Schwerpunkt ruht. 110 Und nun erst vermag auch der Geist zu ihr ein wahrhaft freies Verhältnis finden.
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Cassirer, Die Sprache, S. 13. Rudolph spricht entsprechend von der Kunst als einem „missing link zwischen Mythos und dem ‚Rest der Kultur‘“; Rudolph, Schwierigkeiten, S. 137, Hervorhebung dort. 108 Cassirer, Form und Technik, S. 86, Hervorhebung dort; vgl. Hinsch, Die kunstästhetische Perspektive, S. 187–190; Orth, Ernst Cassirer, S. 289; Graeser, Ernst Cassirer, S. 91; ferner Van Heusden, Kunst, S. 200: „Im Mythos sind wir Menschen direkt mit der Welt der Ereignisse und der Aktionen befaßt, während wir in der Kunst kontemplativ den Prozeß der Gestaltung betrachten. In der Kunst ist das Leben repräsentiert, nicht gelebt.“ Hervorhebung dort. 109 Cassirer, Das mythische Denken, S. 33, Hervorhebung dort. 110 Ebd., S. 33 f., Hervorhebung dort; vgl. Hinsch, Die kunstästhetische Perspektive, S. 119 f. u. 135 f. 107
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Mythisches und Literatur
Cassirer vermittelt eine emphatische Vorstellung einer Kunst, die bereits Züge von Autonomie erkennen lässt.111 Er spricht von der ästhetischen Welt als einer „Welt des ‚Scheines‘“, die „einen ganz neuen Schritt der Wahrheit in sich“ trage, sofern sie „die Welt des Daseins und des Wirkens, in der auch die mythisch-magische Anschauung sich bewegt, hinter sich läßt“.112 An diesem Punkt ist bereits das potentielle Ende des ideellen Fortschritts erreicht,113 den Cassirer an sein grundsätzliches Verständnis der Kultur als einem „Prozeß der fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen“ anlehnt, in dem „Sprache, Kunst, Religion und Wissenschaft […] unterschiedliche Phasen“ ausbilden würden;114 mit Blick auf die Kunst habe dann im Speziellen auch die „Dichtung an diesem Prozeß der Vermenschlichung und Individualisierung Anteil“.115 Die hier angelegte Teleologie wird in solchen Formulierungen nicht nur deutlich, sondern bleibt insgesamt fragwürdig, und es verwundert kaum, dass sich Cassirer mit der Kunst überwiegend über die Rezeption der Philosophie und Literatur des 18. Jahrhunderts, vornehmlich Kants und Goethes, beschäftigt hat.116 Für die Literatur der Vormoderne lässt sich eine solche emphatische Auffassung von Kunst nicht halten beziehungsweise gar nicht erst formulieren.117 Der potentiell letzte Schritt der Ablösung ist hier noch nicht vollzogen, der Kosmos erscheint hier gleichsam nicht geschlossen, weshalb die Sphäre der Wirksamkeit nicht gänzlich verlassen und die der Bedeutung noch eng in den kulturellen Kontext eingebunden ist.118 Was hier nur allgemein angedeutet werden kann, können die Analysen der Artusromane Hartmanns von Aue zeigen. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass im Verhältnis der symbolischen Formen zueinander eine produktive Dynamik, zumindest aber eine stete Spannung angelegt ist, die nicht aus einer Ungenauigkeit in der Philosophie Cassirers resultiert, sondern zu begreifen ist „als eine Ambivalenz und Spannung in der Sache selbst – im Geist der Kultur“.119 Aus synchroner Perspektive ist von einer prinzipiellen Gleichzeitigkeit und auch Gleichwertigkeit der symbolischen Formen auszugehen, die sich in ständiger Auseinandersetzung mit der jeweils anderen befinden und sich nicht nur auf eine bestimmte Epoche beziehen und festlegen lassen. Cassirer selbst geht vom mythischen Denken noch in der Moderne aus.120 Mit Blick auf die Literatur der Vormoderne 111
Vgl. Van Heusden, Kunst, S. 201 u. 206 f.; Recki, Kultur als Praxis, S. 115. Cassirer, Das mythische Denken, S. 34. 113 Auerochs, Ernst Cassirer, S. 89, spricht vom Ende einer „evolutionären Stufenleiter“. 114 Cassirer, Versuch über den Menschen, S. 345; vgl. hier auch Recki, Kultur als Praxis, S. 66. 115 Cassirer, Das mythische Denken, S. 234. 116 Vgl. Van Heusden, Kunst, S. 204 f.; sowie im Überblick Recki, Kultur als Praxis, S. 109–125. 117 Vgl. Müller, Einleitung Text und Kontext, S. VIII. 118 Paetzold, Die symbolische Ordnung der Kultur, S. 177, betont, dass erst die „Kunst der Moderne“ sich „vom religiösen Kult und von der höfischen Repräsentation“ geschieden habe. 119 Recki, Kultur als Praxis, S. 102. 120 Vgl. etwa Cassirer, Das mythische Denken, S. 19: „Ja, auch die Welt unserer unmittelbaren Erfahrung – jene Welt, in der wir alle, sofern wir außerhalb der Sphäre bewußter, kritisch-wissenschaftlicher Reflexion stehen, beständig leben und sind – enthält eine Fülle von Zügen, die sich, vom 112
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ist im Anschluss an Cassirer von einer solchen Gleichzeitigkeit verschiedener Symbolisierungsweisen in wechselseitiger Durchdringung auszugehen.121 Aus diachroner Perspektive festigt sich diese Feststellung, da eine inhaltliche Abhängigkeit im historischkulturellen Prozess zu konstatieren ist, die Veränderungen in der jeweiligen Einstellung zur Form zu überdauern vermag. So ist deutlich geworden, wie der formale Aspekt in der Weise der jeweiligen Symbolisierung unabhängig von den Inhalten ausschlaggebend zur Bestimmung des jeweils Mythischen, Religiösen oder Ästhetischen ist. Wenn auch nur schwer eine stringente Unterscheidung einzelner symbolischer Formen vorgenommen werden kann, so ist mit ihnen doch die Möglichkeit gegeben, zumindest Tendenzen kultureller Tätigkeiten anzuzeigen, die sich synchron und diachron aufeinander beziehen lassen. Vor allem mit Blick auf den Mythos und die Kunst, gerade in ihren jeweiligen formalen Ausprägungen, können strukturelle Unterschiede deutlich werden, wie sie in einer gegenüber dem Mythos zunehmend ins Bewusstsein tretenden Bedeutungsebene vorliegen. Daneben sind Analogien in der Formgebung festzuhalten, wie sie in den Artusromanen des ausgehenden 12. Jahrhunderts auszumachen sind.
3.2.2 Mythisierung und Mythosanalogie – Form und Inhalt Ist die Philosophie Cassirers über das Konzept der symbolischen Formen insgesamt auf eine kulturelle und anthropologische Betrachtung ausgerichtet, so soll im Folgenden für die Untersuchung von Literatur an diesen Ansatz angeschlossen werden. Für Markus Winkler besteht „weitgehend Konsens darüber, daß Kunst im Mythos verwurzelt ist und diesen zugleich aufhebt […]. Zumindest macht man dies für Kunst geltend, die sich mit bestimmten Mythenbeständen und -traditionen, d. h. mit Mythologie, oder aber mit Strukturmerkmalen der mythischen Denkform auseinandersetzt.“122 Inwiefern Literatur auf mythische Erzählungen aufbaut, an diese anschließt, sie verarbeitet und dabei in einen umfassenderen Prozess der Entmythisierung einzuordnen ist, konnte in Kapitel 2 gezeigt werden. Wurde Mythisches dabei überwiegend auf die erzählten Inhalte bezoStandpunkt eben dieser Reflexion, nur als mythisch bezeichnen lassen.“ Cassirer hat sich mit der Frage nach dem mythischen Denken in der Moderne vor allem im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beschäftigt; vgl. hierzu Recki, Kultur als Praxis, S. 102–108; Plümacher, Mythos, S. 186–190. 121 Vgl. hier Friedrich/Quast, Mediävistische Mythosforschung, S. XII: „Für eine Anwendung der Mythostheorie Cassirers auf literarische Phänomene des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bleibt zu vermerken, dass bei aller Superiorität der analytischen Erkenntnisform gegenüber der vorrationalen Cassirer von der Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit von mythischer und rationaler Bewusstseinsform ausgeht. Rationalität schließt mythische Wahrnehmung nicht aus, umgekehrt figuriert die mythische Bewusstseinsform als Vorstufe des Rationalen.“ 122 Winkler, Literaturwissenschaft und Mythenwissenschaft, S. 303. Vgl. auch Harzer, Poetische Anschauungsformen, S. 288. Gegen eine solche Auffassung spricht sich Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 275, aus, wenn es letztlich aber „nicht leichthin zu entscheiden“ sei; ebd., S. 277.
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Mythisches und Literatur
gen, sind im Weiteren Strukturen mythischen Denkens zu berücksichtigen. Mit Cassirer konnte gezeigt werden, dass von einer Aufhebung des Mythos durch die Kunst insgesamt nicht in einer Ausschließlichkeit gesprochen werden kann, da Mythisches und Ästhetisches grundsätzlich gleichzeitig und zu jeder Zeit Formen der Symbolisierung sind, die in synchroner wie diachroner Perspektive in wechselseitiger Auseinandersetzung stehen, im kulturellen Prozess dann allerdings auch Veränderungen erfahren können. Mit Blick auf die Literatur ist hierauf genauer einzugehen, um eine Begrifflichkeit für die Analyse der Romane Hartmanns von Aue schärfen zu können. Literatur als formaler Mythos Für die Literatur hat im Anschluss an Cassirer Clemens Lugowski in seiner bereits 1932 erschienenen Arbeit über Die Form der Individualität im Roman die vielleicht weitreichendste These formuliert.123 Ähnlich wie Cassirer geht auch er geschichtsphilosophisch von einer Entwicklung aus, die er im aufklärerischen Denken als eine Entwicklung vom Mythos zum Logos sieht, in deren Folge dann – hier schließt sich eine problemgeschichtliche Betrachtung auch an die Vorstellung Cassirers vom kulturellen Entwicklungsprozess an – der Mensch sich in seiner Individualität hätte vervollkommnen können. Anhand formaler Analysen verschiedener Romane des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit möchte er diesen Prozess nachzeichnen. Die zugrunde gelegte historische These seiner Arbeit baut dabei auf der doppelten Annahme auf, dass einerseits „keiner Nation des nachmittelalterlichen Abendlandes […] ein Mythos in dem umfassenden hellenischen Sinne des Wortes [mehr] eigen“ sei und sich andererseits vor allem seit der Renaissance „das vor dem unaufhaltsamen Vordringen des ‚aufklärenden Geistes‘ zurückweichende Mythische in die künstlichen Formen der Kunst, insbesondere der Dichtung zu flüchten versucht“ habe.124 Der Literatur komme mit Blick auf einen Prozess der zunehmenden Entmythisierung im Übergang zur Neuzeit eine besondere Rolle zu, wenn sie Formen und Funktionen des Mythos auf- und übernimmt.125 Lugowski hebt vor allem den Formaspekt der Literatur hervor, die in ihrer „spezifischen Künstlichkeit“ des „Gemachtseins“ zu beschreiben sei:126
123
Zu Lugowski siehe v. a. Müller, Clemens Lugowski; Haustein, Kausalität als Autorität. Hervorzuheben sind die sehr guten Darstellungen von Müller, Der Prosaroman; Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag; siehe ferner die Beiträge in Martinez, Formaler Mythos; zuletzt mit Blick auf den Erec Hartmanns von Aue Gerok-Reiter, Erec. 124 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 10 u. 12; vgl. auch Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag, S. XIII: „Geschichtsphilosophisch impliziert Lugowskis Untersuchung, daß sich die Restbestände mythischen Denkens auf ästhetische Strukturen zurückgezogen haben, während seine ursprüngliche Lebensmacht bereits geschwunden ist.“ 125 Lugowski lehnt seine Thesen an Max Webers Grand Récit der „Entzauberung der Welt“ an; vgl. Martinez, Mythisches Analogon, S. 659; hierzu kritisch Müller, Der Prosaroman, v. a. S. 162 f. 126 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 10.
Die mythische Form literarischen Erzählens
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Die künstlich „gemachte“ Welt der Dichtung […] ist eine Ganzheit. Es ist damit zunächst nicht anderes gemeint, als daß alles „Einzelne“, das in der Dichtung erscheinen mag, sich in einer eigentümlichen Gebundenheit an einen übergreifenden Zusammenhang, also nicht ohne 127 weiteres als autonomes „es selbst“ findet.
In dieser indifferenten Ganzheit erweise sich die Literatur analog zum Mythos, wobei gerade nicht die jeweiligen Einzelelemente des Erzählten ausschlaggebend seien, als vielmehr allein ihre Zu- und Anordnung innerhalb der Form: „Formal-mythisch im Sinne Lugowskis ist ein literarisches Werk nicht, weil es mythologische Stoffe enthielte oder Göttergeschichten erzählte, sondern aufgrund von Gestaltungsmerkmalen, die Lugowski als Effekt verdeckter mythischer Denkformen ansieht.“128 Im Speziellen prägte er den für die Literaturwissenschaft nachhaltig ertragreichen Begriff einer „Motivation von hinten“, um im Anschluss an die von Cassirer herausgearbeitete mythische Kausalität die in der Literatur vorzufindenden finalen Motivationen in ihrer Analogie zu Strukturen mythischen Denkens erfassen zu können.129 Heinz Schlaffer schließt an Lugowskis Ausführungen direkt an, wenn er insgesamt den Roman dem mythischen Denken gegenüberstellt: „Wie das mythische Denken einer auffälligen Naturerscheinung (z. B. einem isoliert stehenden Felsen) einen Gott, einen Namen, eine Geschichte, eine Opferhandlung zuordnet, so fügt auch der Roman Begebenheiten, Charakter, Zeichen und Schicksal in einer Weise zusammen, die im wirklichen Leben nicht anzutreffen sind.“130 Und über diese „ästhetische Analogie zu mythischen Strukturen“, die „nicht die äußeren Bestandteile von Dichtung, sondern ihre innere Perspektive, ihre besondere Art, ein Weltbild zu erzeugen“, betrifft,131 komme der Literatur schließlich eine Funktion zu, die ihrerseits analog zu der des Mythos aufzufassen sei. So ist es für Lugowski das grundlegende „Bedürfnis des Menschen“ gleichfalls mittels der Literatur, sich eine „sinndurchwaltete Welt zu schaffen“.132 Deutlich wird auch hier Lugowskis Rückgriff auf Cassirers funktionale Bestimmung der symbolischen Formen. Doch sei es schließlich die Literatur, die – hier kommt Lugowskis geschichtsteleologische These zum Tragen – die Funktion des Mythos in einer nicht mehr mythengeprägten Welt übernehme. Mit Blick bereits auf die Literatur des 18. Jahrhunderts spricht dann auch Schlaffer von dem Bedürfnis, „das von Ritualen, Mythen, Religionen befriedigt werden sollte, und das nach deren Schwächung und 127
Ebd., S. 13, Hervorhebung dort. Diese Betonung der Komposition eines Romans erhebt dann einen „grundsätzlich-kunsttheoretischen Anspruch“; Müller, Der Prosaroman, S. 151; vgl. auch Haustein, Kausalität als Autorität, S. 555. 128 Martinez, Literarische Form, S. 282; vgl. auch Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag, S. XIII. 129 Vgl. Martinez, Formaler Mythos, S. 18; sowie Müller, Der Prosaroman, S. 148 f. Zur mythischen Kausalität nach Cassirer siehe die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. 130 Schlaffer, Das Nachleben des mythischen Sinns, S. 32. 131 Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag, S. XI u. XIV. 132 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 184, Hervorhebung dort. Für Müller, Clemens Lugowski, S. 31, wird Literatur „damit zum Medium historischer Erkenntnis, das sich durch ihre besondere Formgebundenheit von allen anderen – diskursiven – Medien unterscheidet“.
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Mythisches und Literatur
Verschwinden nur noch in den Kunstwerken einen Schein jener Befriedigung findet“.133 Der Prozess einer umfassenden Entmythisierung wäre somit begleitet von einem Prozess der Mythisierung von Literatur. Unter diesen formalen aber auch funktionalen Gesichtspunkten wäre Literatur insgesamt in Analogie zum Mythos zu sehen, wenngleich sie, dies betont Lugowski explizit, „nun aber doch kein Mythos mehr [ist]: wir werden künftig von ihr als einem mythischen Analogon sprechen“.134 Dem Begriff des mythischen Analogons, den Lugowski für die Literaturwissenschaft prägte, liegt dabei die Auffassung von Literatur als einem formalen Mythos zugrunde, die eben die Form und Funktion von Literatur über ihre Analogie zu Strukturen mythischen Denkens erklären soll.135 Der Begrifflichkeit Lugowskis ist jedoch eine gewisse Unschärfe eigen, da sie sowohl atemporal-definitorisch als auch kultur-evolutionär angelegt ist. So möchte er entsprechend seinem problemorientierten Ansatz in formalen Analysen die Ausbildung der Individualität im Roman der frühen Neuzeit nachzeichnen, die er mit einer beobachtbaren und zunehmenden „Zersetzung des mythischen Analogons“ einhergehen sieht,136 die allerdings aufgrund der genuinen Künstlichkeit von Literatur niemals zum Abschluss komme: „Bedenkt man, daß das mythische Analogon ein konstitutives Element aller Dichtung ist, so erhellt, daß der dichterisch gestaltenden Deutung des Einzelmenschen Grenzen gesetzt sind.“137 Jan-Dirk Müller hat die These Lugowskis aufgegriffen und Einzeltendenzen benannt, nach denen die Zersetzung des mythischen Analogons beschrieben werden kann, ohne dass diese Tendenzen aber in einer Ausschließlichkeit auftreten oder auf eine spezielle 133
Schlaffer, Das Nachleben des mythischen Sinns, S. 31. Weiter führt er dort aus: „Die Stelle, die in traditionsgeleiteten Gesellschaften von ‚Sinn‘ eingenommen wurde, bleibt in modernen, von rationaler Aufklärung, Wissenschaft und Technik geprägten Gesellschaft leer; Kunst und Poesie füllen diese Leere fiktiv auf. Der Begriff ‚Sinn‘ soll den kulturellen Überlieferungszusammenhang zwischen archaischen Weltdeutungen und dem semantischen Gehalt ästhetischer Formen bewußt machen.“ Auf das Problem einer Auffassung von Kunst, die eine Autonomie bereits voraussetzt – Schlaffer spricht explizit selbst vom „zwecklosen Zweck der Kunst“, ebd., S. 36 – wurde in Kapitel 3.2.1 bereits eingegangen. 134 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 13, Hervorhebung dort. 135 Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag, S. XIII, macht seinerseits die Abgrenzung des mythischen Analogons vom Mythos stark, da „die Entsprechung zum Mythos […] nur möglich [ist], weil zugleich die Entfernung von ihm vorausgesetzt ist“; vgl. auch Müller, Der Prosaroman, S. 149; zu den Begriffen „mythisches Analogon“ und „formaler Mythos“ siehe Martinez, Mythisches Analogon; Detering, Verhältnis. 136 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 52. Den Beginn der Zersetzung des mythischen Analogons setzt er mit den Romanen Jörg Wickrams an; vgl. ebd., S. 182. Auf den kultur-evolutionären Aspekt geht konkreter Schlaffer, Clemens Lugowskis Beitrag, S. XIII, ein: „Der bloße Formcharakter der mythischen Präsenz und dessen Diskrepanz zu einem weitgehend entmythisierten Leben sind Bedingung für den raschen Abbau (‚Zerrüttung‘) des mythischen Analogons in der neuzeitlichen Geschichte des Erzählens. – Eingegrenzt auf die ästhetische Sphäre vermag jedoch der ‚formale Mythos‘ hier die Grundlinien poetischer Weltbilder in ähnlicher Weise festzulegen, wie einst der ‚inhaltliche‘ Mythos die Semantik des archaischen Weltbildes festgelegt hatte.“ 137 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 182, Hervorhebung dort.
Die mythische Form literarischen Erzählens
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Epoche beschränkt sein müssen. Er nennt etwa den Wegfall eines sinnstiftenden Erzählrahmens, die Subversion eines Erzählmusters oder auch die Hybridisierung unterschiedlicher Erzählmodelle. Ihnen allen sei „gemeinsam, daß sie überkommene Sinnvorgaben (‚Ganzheiten‘, Analoga des Mythos) zitieren, um sie beiseite zu schieben“.138 Mit diesen Tendenzen benennt Müller letztlich Verfahren, die am Ganzen des literarischen Textes ansetzen. Diesem sind somit eigene narrative Formgebungen zuzuschreiben, die der mythischen Formgebung entgegenwirken. In Lugowskis Begriff des mythischen Analogons, mehr noch in dem des formalen Mythos, ist also ein inhärenter Widerspruch angelegt, wenn man ihn einerseits auf die Literatur insgesamt anwenden möchte, andererseits von einer allmählichen Zersetzung ausgeht. Müller fordert eine strikte Historisierung des Ansatzes, um das literaturtheoretische Potential nutzen zu können. „Die latente Teleologie der Form der Individualität sollte“, so Müller, „also nicht den Blick darauf verstellen, daß letztlich ein fundamentales Problem von Literatur überhaupt behandelt wird.“139 So ist es eben gerade der „Künstlichkeitscharakter“, den Lugowski als „konstitutives Moment aller Dichtung“ herausstellt,140 und der die Möglichkeit eröffnet, Literatur unter dieser formalen und auch funktionalen Perspektive synchron in Beziehung zum mythischen Denken zu setzen. Andererseits müsse man diachron von „bloße[n] Umbildung[en] einer bestimmten Ausprägung in eine andere“ ausgehen,141 ohne dabei einem teleologischen Ablösungsmodell zu verfallen.142 Es ist somit festzuhalten, dass Begriffe wie mythisches Analogon oder formaler Mythos zwar auf die formalen und funktionalen Analogien von Literatur und Mythos aufmerksam machen, dass sie Literatur insgesamt jedoch nicht beschreiben können. Für die konkrete Analyse gerade mittelalterlicher Romane143 erweist es sich als unglücklich wenn nicht gar verfehlt, Literatur von vorneherein als mythisches Analogon oder gar als 138
Müller, Der Prosaroman, S. 158. Müller, Clemens Lugowski, S. 35; vgl. Müller, Der Prosaroman, S. 147 u. 162 f.: Im veränderten Forschungsparadigma, in dem die geschichtsphilosophischen und problemgeschichtlichen Implikationen des Ansatzes Lugowskis fragwürdig geworden sind, sei diesem außerdem ein differentialdiagnostischer Charakter nicht abzusprechen; vgl. Haustein, Kausalität als Autorität, S. 558. 140 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 182, vgl. auch ebd., S. 180. 141 Ebd., S. 182. 142 Vgl. Müller, Der Prosaroman, S. 155 f.: „Natürlich erfolgt die Ablösung nicht abrupt, sondern in einem längeren Prozeß, natürlich gibt es viele Übergänge, und natürlich gibt es einen ‚formalen Mythos‘ nur im Plural: Er ist ein anderer im Artusroman (und seinen Prosa-Derivaten), ein anderer in den Chansons de geste, ein anderer in den vielen Spielarten exemplarischen und novellistischen Erzählens. Naiv wäre es schließlich zu glauben, daß der Ablösungsprozeß unumkehrbar ist.“ Vgl. skeptisch zu diesem Konzept Gottwald, Mythosforschung und Literaturwissenschaft, S. 300. 143 Anzumerken ist hier, dass Lugowski in seiner Form der Individualität vom Roman der frühen Neuzeit ausgeht, er somit seine Thesen in einem engen Epochenmodell ansiedelt. Diesem Denken zufolge wäre das mythische Analogon entsprechend auch erst im Übergang zur Neuzeit, in der das Denken als weniger mythisch geprägt vorzustellen wäre, voll ausgebildet und könne in der Folge zersetzt werden. 139
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Mythisches und Literatur
formalen Mythos bezeichnen zu wollen. Will man aber der These Lugowskis folgen, dass sich in der Literatur Formen mythischen Denkens erhalten haben und Literatur diese in einer nicht mehr mythisch geprägten Kultur auch übernimmt, so ist festzuhalten, dass solche Formen den gesamten Text jedoch nicht bestimmen und entsprechend diesen auch nicht als einen wie auch immer gearteten Mythos erscheinen lassen.144 Mit Blick auf den gesamten literarischen Text, der in seiner Mythizität beschrieben werden soll, ist vielmehr von partiellen Gestaltungen auszugehen, die dann allerdings durchaus in Form und Funktion Analogien zum mythischen Denken aufweisen können.145 Mythosanalogie und kulturelle Bedeutung In Anlehnung an die Terminologie Lugowskis, doch auch unter Hinweis auf deren Ambivalenz, wird für die Analyse der Romane Hartmanns von Aue vielmehr von mythosanalogen Strukturen gesprochen werden. Hiermit sollen Formen der Darstellung erfasst werden, die dem mythischen Denken analoge Gestaltungen erkennen lassen, doch eben nicht mit ihnen identisch sind.146 Unter Rückgriff auf die Darlegungen Cassirers zum mythischen Denken können solche Strukturen in ihren Anschauungsformen von Raum und Zeit oder auch in Grundzügen einer Konkreszenz und Kausalität im Roman untersucht und in ihrer Wirkung und Funktion auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens bestimmt werden. Mythische Formen und Funktionen gilt es dabei innerhalb des Textes zu bestimmen, wie sie in ihrem Bezug zum kulturellen Kontext zu erhellen sind. Neben der engeren Perspektive ist somit stets auch die funktionale Bestimmung zu berücksichtigen, die die 144
So sind etwa für Schulz, Ambivalenzen des Höfischen, S. 16, Artusromane grundsätzlich „mythenanaloge Erzählungen, in ihrer zyklischen Struktur und darin, daß ihre Helden letztlich austauschbar sind“. Eine solche Auffassung einer Analogie zum Mythos lässt keine Abgrenzungen mehr erkennen und keine Unterscheidungen mehr vornehmen. Müller, Clemens Lugowski, S. 33, hält den Begriff des formalen Mythos „glücklicher“ als den des mythischen Analogons, komme darin doch die formale Seite der Literatur deutlicher zum Ausdruck. An diesem Punkt kann auch seinen Ausführungen nicht uneingeschränkt gefolgt werden, da Literatur schließlich auch eigene, jeweils einzeln zu bestimmende Logiken des Erzählens aufweist und sich nicht allein in der Analogie zu mythischen Formen erschöpft. Der Begriff des formalen Mythos verdeckt gerade diese Logiken. 145 Lugowski, Die Form der Individualität, S. 181, geht selbst von verschiedenen „Formschichten“ aus, über die sich Literatur aufbaue: „Das, was man gemeinhin ‚die‘ Form einer Dichtung nennt, ist in Wahrheit als ein sehr komplexes Ineinander von Formschichten aufzufassen, deren jeder ein spezifischer Gehalt entspricht, so daß es falsch ist, von ‚dem‘ Gehalt einer Dichtung zu sprechen.“ 146 Die Bezeichnung „analoge“ Strukturen soll dies hinreichend deutlich machen. Cassirer hat selbst auf diese Abgrenzung der Analogie vom Mythos hingewiesen: „Denn eben dort, wo wir eine bloße ‚Analogie‘, d. h. ein bloßes Verhältnis sehen, hat es der Mythos nur mit unmittelbarem Dasein und mit unmittelbarer Gegenwart zu tun.“ Cassirer, Das mythische Denken, S. 87, Hervorhebung dort. Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 200 f., spricht von „mythomorphen Teilkomplexen“: „Mythomorph soll hier heißen, was den Strukturen und Verläufen ‚echter‘ Mythen entspricht. […] Literarische Gestaltung kann solche Strukturierungen aufnehmen, fortbilden oder verwerfen, doch ist sie […] nicht mit ihnen identisch.“
Die mythische Form literarischen Erzählens
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Darstellung dem Erzählten zukommen lässt.147 Insofern erst lässt sich eine kulturelle Kontextualisierung erreichen, als „die Wiederholung struktureller Elemente mythischer Weltsicht in einer nicht mehr mythischen Kultur die Funktion und damit auch die aktuelle Geltung solcher Elemente verändert“.148 Zu fragen ist nicht zuletzt auch nach den Inhalten, die in mythosanalogen Strukturen dargestellt werden und somit nicht nur als rein textimmanente Inhalte erscheinen, sondern zugleich auch als kulturell bedeutende Inhalte erkennbar werden. So betont auch Christian Kiening, „dass der formale oder der pragmatische Aspekt allein noch nicht genügen, um die Kategorie des Mythischen analytisch sinnvoll zu verwenden“, weshalb „inhaltliche Aspekte mythischen oder mythisierenden Erzählens nicht ganz zu übergehen“ seien, mythisch dargestellte Inhalte beziehen sich auf grundsätzlich ihrer Bedeutung nach zeitlose Momente der Kultur, so etwa auf „das Verhältnis des Menschen zu übermenschlichen Mächten, […] auf Ursprünge, Übergänge und Gründungsmomente, die mit dem Zeitenabstand nicht an Präsenz verloren haben, vielleicht aber mit Bedeutung angereichert worden sind“.149 Diese Bedeutung verleiht ihnen letztlich aber auch die mythosanaloge Form literarischen Erzählens,150 wie darüber hinaus ihre Eingebundenheit in den kulturellen Kontext funktional erschlossen werden kann.151 Udo Friedrich spricht von „verschiedene[n] mythische[n] Konfigurationen, die zwar, gemessen an ihren archaischen Ausprägungen, depotenziert erscheinen, nichtsdestoweniger aber mythische Funktionen weiter transportieren“; ein solcher „mythische[r] Überschuss“ verweise letztlich auf „elementare Felder“ der Kultur.152 Am Ende aber wird es nicht allein darauf ankommen, die an einen elementaren Inhalt gebundenen mythosanalogen Formen in ihrer kulturellen Funktion zu ermitteln, sondern aufzuzeigen, welche Strategien im literarischen Text angelegt sind, mit dem Mythischen in Form mythosanaloger Strukturen umzugehen. Wolfgang Braungart führt verschiedene Möglichkeiten an: „Literatur kann mythisieren und Mythen destruieren, symbolisieren bzw. metaphorisieren und Symbolordnungen destruieren, ritualisieren und rituelle 147
Vgl. Schausten, Herrschaft braucht Herkunft, S. 158. Martinez, Formaler Mythos, S. 22. 149 Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 37 f. 150 Vgl. Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 200; Müller zielt dabei allerdings zu einseitig auf die Form ab, wenn er die Inhalte als „zweitrangig“ betrachtet. 151 Müller, Höfische Kompromisse, S. 9, betont für die kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft, dass es nicht darum gehen könne, einen Bezug zwischen sozialgeschichtlicher Konstellation und literarischer Verarbeitung aufzudecken, sondern darum, „die narrativen Konfigurationen, in denen sie vermittelt sind“, nachzuzeichnen und als literarische Ausformungen zu verstehen. Der Bezug zum kulturellen Kontext dürfe daher nicht auf eine real erfahrene Alltagswelt hin reduziert werden, sondern stelle sich als Partizipation in einer kulturellen Praxis dar; vgl. ebd., S. 35. 152 Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 295. Friedrich unterscheidet erzähllogische von kultursemiotischen Gehalten exemplarisch am Eckenlied. Zum „Überschuß des Mythos“, der „sich noch am ehesten als ästhetisches Potential“ erschließt, Assmann/Assmann, Mythos, S. 196: „Die mit dem Mythos fusionierte Kunst kann ihm zu Neuaufladung und Wiederherstellung verhelfen; der mit der Kunst fusionierte Mythos kann ihr überhistorisches Potential aktivieren.“ 148
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Mythisches und Literatur
Ordnungen auflösen.“153 Auch die von Müller formulierten Tendenzen, nach denen ein mythisches Analogon zersetzt werden könne, stellen letztlich solche Strategien dar, wie mythosanaloge Strukturen grundsätzlich literarisch verarbeitet werden.154 Im Anschluss an Cassirer ist stets von einem „Ineinandergreifen“ und „Zusammenwirken“ verschiedener – mythischer aber auch ästhetischer – Symbolisierungen auszugehen, die sich in wechselseitiger synchroner wie diachroner Auseinandersetzung befinden. Was aus philosophischer Perspektive theoretisch-abstrahierend als Grundzug kultureller Praxis erscheint, soll in seinem engen Zusammenhang von zugleich entmythisierendem wie mythisierendem Erzählen in den Artusromanen Hartmanns von Aue beschrieben werden. Ist in methodisch-systematischer Hinsicht das eine tendenziell mehr inhaltlich auf den Mythos als Erzählform auszurichten, so das andere formal auf Strukturen mythischen Denkens. Mythische Bedeutsamkeit einerseits, kulturelle Bedeutung andererseits gilt es dabei nicht in bloße Opposition zu stellen, als vielmehr auch in ihrem sich inhaltlich und formal bedingenden, bisweilen ergänzenden Verhältnis darzustellen, wobei der Übergang vom mythisch Bedeutsamen im Sinne Blumenbergs zur kulturellen Bedeutung im Sinne Cassirers im Zentrum steht.
153 154
Braungart, Einleitung zur Teilsektion, S. 277. Vgl. oben die Ausführungen zu Müller, Der Prosaroman, S. 156–159, sowie Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 201.
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Hartmanns Erec
Der literarhistorischen Bedeutung des Erec Hartmanns von Aue steht eine überraschend schlechte Überlieferungssituation gegenüber.1 Die Forschung datiert die Entstehung des Romans in die Jahre um 1180, doch hat sich neben vier kleineren Fragmenten, von denen zumindest drei aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammen, allein nur eine Handschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert erhalten, die den Text annähernd vollständig überliefert. Im so genannten Ambraser Heldenbuch, das von 1504 bis 1516 im Auftrag Kaiser Maximilians I. in Tirol angefertigt wurde, steht der Roman unter anderem im Verbund auch mit weiteren, Hartmann zugeschriebenen Werken, darunter dem Iwein.2 Es handelt sich hierbei um Abschriften älterer Textzeugen, die aufgrund ihrer Auswahl nicht nur einen Einblick in das literarische Interesse des Habsburgers gewähren, sondern überdies eine in der Handschrift einzigartige Zusammenstellung des Werkes eines Autors darstellen. Neu aufgefundene und erst 1978 beziehungsweise 2005 publizierte Fragmente, die auffallend von der bekannten Fassung abweichen, haben die Frage nach einer möglichen zweiten Dichtung aufgeworfen, die parallel zu der unter dem Namen Hartmann von Aue überlieferten existiert haben könnte.3 Aufgrund der nur geringen Umfänge dieser Fragmente kann diese Frage nach heutigem Kenntnisstand jedoch noch nicht endgültig geklärt werden.4 So stellt sich vor dem Hintergrund dieser schlechten Überlieferung die historische Textgestalt des Hartmann’schen Erec bis heute als ein Problem philologischer Arbeit dar. Heutige Editionen nehmen von früheren Rekonstruktionsversuchen Abstand und legen den im Ambraser Heldenbuch überlieferten Text als den tatsächlich erhaltenen und vollständigsten Textzeugen zugrunde.5 1
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Vgl. im Folgenden den Überblick bei Bumke, Erec, S. 9–17; zuletzt Glauch, Zweimal „Erec“. Hartmanns Erec wird zitiert nach Hartmann von Aue, Erec (Scholz); Chrétiens Roman nach Chrétien de Troyes, Erec et Enide (Gier). Zum Ambraser Heldenbuch Janota, Ambraser Heldenbuch; Gärtner, Ambraser Heldenbuch. Vgl. Gärtner, Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente; Nellmann, Der ‚Zwettler Erec‘; Gärtner, Die Zwettler Erec-Fragmente. Vgl. Bumke, Erec, S. 15; Schröder, Irrungen und Wirrungen, S. 24. Glauch, Zweimal „Erec“, S. 366, plädiert für die Annahme eines zweiten, von Hartmanns Erec unabhängig entstandenen mitteldeutschen Romans. Wenngleich zahlreiche seit der ersten Ausgabe von Moriz Haupt (1839), später dann auch von Albert Leitzmann (1939) vorgenommene Konjekturen beibehalten wurden, ist die hier zugrunde
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Aufgrund dieser schlechten und vor allem geringen Überlieferung ist man geneigt anzunehmen, der Roman habe im Mittelalter eine auch nur geringe Verbreitung erfahren. Dem steht jedoch eine breite Rezeption bereits in der mittelhochdeutschen Literatur gegenüber. Nicht nur beziehen sich zahlreiche Autoren implizit wie explizit, zum Teil mit wörtlichen Zitaten auf den Erec,6 auch Gottfried von Straßburg würdigt im Rahmen des so genannten Literaturexkurses seines Tristan Hartmann als Vorbild seiner Generation. Ob sich Gottfrieds Ausführungen zur aventiure meine, die sich in Hartmanns cristallînen wortelîn am deutlichsten ausdrücke,7 tatsächlich auf dessen verloren gegangenen Prolog zum Erec beziehen, muss jedoch spekulativ bleiben.8 Nicht von ungefähr aber bezieht sich Gottfried auf Hartmann, der mit dem Erec den ersten Artusroman in deutscher Sprache verfasst hat. In seinem Artusroman wiedererzählt Hartmann die Geschichte Erecs und Enites, die ihm in der französischen Fassung von Chrétien de Troyes vorgelegen hat, der sich seinerseits auf mündliche Erzählungen der so genannten Matière de Bretagne bezieht.9 Hartmanns Roman ist somit weniger direkt am als vielmehr in der Nähe des Übergangs von der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit anzusiedeln, insofern er zwar in die europaweit verbreitete, meist mündlich überlieferte Stofftradition von Artus und seinen Rittern einzuordnen ist,10 doch primär auf einen schriftliterarisch konzipierten Text aufbaut. Jede Auseinandersetzung mit dem Roman muss daher die besondere literarhistorische Situation in ebendieser doppelten Ausrichtung berücksichtigen: Hartmanns Roman ist Ergebnis einer inhaltlichen und damit auch an die Stofftradition gebundenen Arbeit, wie er auf der anderen Seite formal an die literarische Vorlage anschließt. Die folgende Untersuchung kann vor diesem Hintergrund auf eine bereits weit zurückreichende und ertragreiche Forschung innerhalb der germanistischen aber auch
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gelegte Ausgabe zu nennen: Hartmann von Aue, Erec (Scholz); vgl. hierzu auch Scholz, Der ErecText. Auch Kurt Gärtner greift in seiner 7. Auflage des Erec wieder verstärkt auf die Ambraser Fassung zurück: Hartmann von Aue, Erec (Gärtner). Zuletzt hat Volker Mertens diese als Leithandschrift für seine Ausgabe genommen: Hartmann von Aue, Erec (Mertens). Auch Eberhard Nellmann plädiert dafür, die Ambraser Handschrift vermehrt heranzuziehen; vgl. Nellmann, Bemerkungen zum Text. Vgl. im knappen Überblick Bumke, Erec, S. 151 f.; mit weiterführender Literatur Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 23–25; sowie Wolf, Einführung, S. 48; ausführlicher Schirok, Literarische Anspielungen; Kern, Reflexe des literarischen Gesprächs. Vgl. die Stelle bei Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke, Krohn), Verse 4621–4637. Zumindest läge eine auch theoretische Auseinandersetzung mit dem Erec vor; vgl. Haug, Der aventiure meine. Vgl. hierzu und im Folgenden die Ausführungen in Kapitel 2.2.2. Wenngleich die Nennung Chrétiens in Hartmanns Erec nur in den Wolfenbütteler Fragmenten belegt ist, gibt es dennoch „wenig begründete Zweifel“ an der direkten Vorlage; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 168; vgl. auch Mertens, Artusroman, S. 51 f. Darauf, dass neben Hartmann zahlreiche Überlieferungen der Geschichte Erecs anzunehmen sind, die weder schriftlich fixiert, noch bis heute bekannt sein müssen, verweist zuletzt wieder Glauch, Zweimal „Erec“, S. 371.
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romanistischen Literaturwissenschaft aufbauen. Im Einzelnen wird daher weniger der Frage nach oder Diskussion von unmittelbaren oder nur mittelbaren Vorlagen und Einflüssen für die von Hartmann präsentierte Geschichte nachgegangen. Im Vordergrund steht die Frage nach der für die Erzählung relevanten Wirkung und Funktion des Mythischen, das im Rahmen mythopoetisch erzählter oder mythosanalog gestalteter Handlungsabschnitte und Details auf der Ebene des Erzählten wie der des Erzählens präsent ist. Von daher ist primär vom Roman selbst auszugehen; erst im Zuge eines close reading kann eine Berücksichtigung der Stofftradition, der Vorlagenbearbeitung sowie der hierzu vorliegenden Ergebnisse bisheriger Forschungen ebenso erfolgen wie ein Rückgriff auf theoretisch gewonnene Erkenntnisse zum Mythos und zum mythischen Denken.11 Die einzelnen Kapitel sind daher im Wesentlichen am Handlungsverlauf orientiert, Abweichungen von diesem lassen bisweilen einzelne Details oder Zusammenhänge deutlicher zum Vorschein bringen. So sind ebenso Abschnitte zu untersuchen, die eine nur geringe oder keine Präsenz des Mythischen aufweisen, die jedoch gleichfalls aufschlussreich sein können, um deren Wirkung und Funktion im Zuge auch der Interpretation zu erschließen. In einem ersten Kapitel (4.1) soll zunächst der Handlung vom Artushof bis zur so genannten Krise in Karnant nachgegangen werden. Dabei wird sich zeigen, wie der so genannte erste Handlungszyklus nicht zuletzt auch infolge inhaltlicher und struktureller Veränderungen seitens Hartmanns gegenüber seiner Vorlage von Chrétien gleichermaßen vom mythopoetischen wie mythosanalogen Erzählen bestimmt ist, was sich auf der Ebene der Geschichte in einer Verschränkung und letztlich Harmonisierung von Höfischem und Mythischem ebenso ausdrückt, wie sich die Erzählung von Hirschjagd und Sperberpreis dann insgesamt als hybrid erweist. In einem zweiten Kapitel (4.2) ist entsprechend der neu einsetzenden Handlung mit dem erneuten Aufbruch Erecs auf Aventiure die Präsenz des Mythischen auch neu zu untersuchen. Mythisches gerät entlang des zweifachen Weges durch den Wald im so genannten zweiten Handlungszyklus zunehmend in Kontrast zu anderen, den Roman konstituierenden Ordnungssystemen, seien es höfische oder christliche Leitvorstellungen, womit ein veränderter Umgang mit dem Mythischen auch auf der Ebene des Erzählens einhergeht. Paradigmatisch kann dies anhand der so genannten Zwischeneinkehr im Zusammenhang mit Erecs Aufenthalt in Penefrec aufgezeigt werden, wobei die Figur der Famurgan im Zentrum stehen wird. In einem eigenen Kapitel (4.3) soll schließlich die große Schlussaventiure Erecs im Baumgarten zu Brandigan besprochen werden, zumal sie in besonderer Weise vom Mythischen geprägt ist und der sich dort ereignenden Handlung entsprechend eine besondere Bedeutung auch für den Roman zukommt. In einem abschließenden Kapitel (4.4) können die hier nur angedeuteten, im Folgenden auszubreitenden Linien dann 11
Die Analyse des Romans baut hier auf die theoretischen Grundlegungen der Kapitel 2 und 3 auf, auf die an je entsprechender Stelle verwiesen werden kann.
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zusammengeführt werden, um die je unterschiedliche und sich verändernde Präsenz des Mythischen in ihrer Wirkung und Funktion auf inhaltlicher und formaler Ebene nachzuzeichnen. Die Lektüre des Romans berücksichtigt dabei stets die sowohl mythopoetische als auch mythosanaloge Seite der Literatur, wenngleich nicht immer generalisierbare Aussagen getroffen werden können. Eine systematische Auswertung der Ergebnisse zum Umgang mit Mythischem in den Artusromanen Hartmanns von Aue kann erst nach der Analyse auch des Iwein abschließend erfolgen (Kapitel 6).
4.1 Harmonisierung und Hybridität In der literaturwissenschaftlichen Forschung zum Erec bestand lange Zeit Einigkeit über den strukturellen Aufbau des Romans. Im Anschluss an den bereits 1948 veröffentlichten und im Folgenden viel rezipierten Aufsatz von Hugo Kuhn ging und geht zum Teil bis heute die Forschung von einer grundsätzlichen Zweiteilung aus, die sich – so Kuhn – schon „dem unbefangenen Blick“ zeige: Es handelt sich um die „Geschichte Erecs und Enites bis zur Hochzeit“ sowie, daran anschließend, um „die spätere Abenteuerfahrt des Paares“.12 Diese Einteilung in einen ersten und zweiten Handlungszyklus ist im Grundsatz von der Forschung übernommen worden, wenngleich sie bisweilen auch Modifikationen im Detail erfahren hat, da mit den jeweiligen Interpretationen die Bedeutung einzelner Textstellen in der Struktur unterschiedlich eingeschätzt wurde.13 Kritisch hinterfragt wurde der Ertrag für die Deutung des Romans. Liegt für Kuhn in der Kontrastierung der beiden Zyklen „die Deutung des Ganzen“,14 so führt Hans Fromm den Gedanken konsequent weiter, wenn er in „dem noch allgemeineren Prinzip der Doppelung […] die sinnbezogene Doppelweg-Struktur“ sieht.15 Walter Haug spricht dann entsprechend von der Symbolstruktur des Artusromans als einer über das Wegschema ausgetragenen sinnvermittelnden Struktur insofern, als „der Sinn dessen, was sich in den einzelnen Stationen ereignet, […] wesentlich durch seinen Stellenwert im Schema bestimmt [sei], d. h. die Situationen sind symbolisch auf ihre strukturelle Position bezogen“.16 In genauerer Analyse des Romans kommt Haug dann zu der An12
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Kuhn, Erec, S. 18. Kuhn führt Gedanken weiter, die bereits in der romanistischen Forschung zu den Romanen Chrétiens angestellt wurden; vgl. Kellermann, Aufbaustil und Weltbild, S. 6 f.; Bezzola, sens de l’avanture, S. 82 f. Die Frage nach der Zweiteilung des Romans ist meist von der Bewertung der Krise in Karnant dominiert, die nach der Hochzeit und vor der Abenteuerfahrt steht. Modifizierende Deutungen erfuhren vor allem die Binnengliederungen der Handlungszyklen. Verwiesen sei hier auf Ruh, Höfische Epik, S. 116 f. u. 131; Haug, Literaturtheorie, S. 93–97; Mertens, Artusroman, S. 59 f. Kuhn, Erec, S. 44, Hervorhebung dort. Fromm, Doppelweg, S. 125. Haug, Symbolstruktur des höfischen Epos, S. 668; vgl. auch ebd., S. 669: „Die Stationen der vorgegebenen Struktur werden also mit Episoden besetzt, die einerseits in linearer Verknüpfung einen
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sicht, dass „der Doppelweg, den Erec zu gehen hat, […] offensichtlich bis in Einzelheiten hinein auf Korrespondenzen und Oppositionen aufgebaut“ sei.17 Elisabeth Schmid mahnt dagegen an, dass allein über den Nachvollzug der Symbolstruktur die Interpretation zu oberflächlich ausfalle und nicht alle Details des Romans geklärt werden könnten, weshalb sie grundsätzlich von diesem etablierten Modell absehen möchte.18 Joachim Bumke hat jüngst das Wegschema seinerseits in Frage gestellt, doch hält er an der Zweiteilung zumindest des Chrétien’schen Romans noch immer fest, die er mit dem viel besprochenen Vers ici fenist li premiers vers (V. 1796) auch ausreichend begründet sieht.19 Hartmann habe dann allerdings „die meisten Hinweise, die eine solche Gliederung nahe legen, getilgt“ und, „wo bei Chrétien der erste Teil endet, [liege] bei Hartmann kein Einschnitt“ vor.20 Er schlägt daher vorsichtig eine Dreiteilung des Hartmann’schen Romans vor, nach der die Krise in Karnant mit der Aventiure-Fahrt den Mittelteil bilden, die Ereignisse bis zur Hochzeit den Anfangs- und die Joie de la curtEpisode mit der Heimkehr des Paares den Schlussteil.21 Wenngleich mit einer solchen Dreiteilung des Romans die bislang vorherrschende Deutung der Kontrastierung des ersten mit dem zweiten Handlungszyklus von Bumke grundsätzlich in Frage gestellt wird, bleibt im Wesentlichen ein Strukturmodell jedoch gewahrt, über das einzelne Stationen, Handlungssequenzen und Motivgestaltungen im Roman beschrieben werden können.22 Hugo Kuhn hat die Komposition eines ersten Handlungsteils vom Aufbruch der Jagdgesellschaft bis zur Rückkehr Erecs an den Artushof prägnant beschrieben. Er nennt „vier selbständige Geschichten“, die „in der Weise ineinandergeschachtelt sind, daß immer die Exposition der einen in die nächste hineinführt, bis zur innersten, von
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Handlungszusammenhang ergeben, die aber anderseits ihre eigentliche Bedeutung quer zu diesem Zusammenhang aus ihrer strukturellen Position beziehen.“ Haug, Literaturtheorie, S. 95. Vgl. Schmid, Weg mit dem Doppelweg. Die entschlossene Ablehnung des Doppelweg-Modells seitens Schmid fand in der Forschung jedoch nur wenig Anklang; vgl. jetzt Wolf, Einführung, S. 46.; Schulz, Ambivalenzen des Höfischen, S. 6, Anm. 19; einen neuen Ansatz beschreibt Lieb, Ein neuer doppelter Kursus. Auf die Grenzen der so genannten Doppelwegstruktur kann an entsprechender Stelle eingegangen werden. Vgl. Bumke, Erec, S. 74 f. Einen Überblick über die Deutungen dieses in der germanistischen Forschung nur wenig beachteten Verses bietet Burrichter, ‚Ici fenist li premiers vers‘. Bumke, Erec, S. 76. Bei Hartmann ist ein Einschnitt an entsprechender Stelle nicht zu übersehen, wenngleich er kein wörtliches Zitat des Chrétien’schen Verses gibt. Nach Abschluss der Hirschjagd setzt der Erzähler mit dem Aufbruch Erecs und Enites nach Karnant neu ein: nû grîfe wider an die vart, | dâ von der rede begunnen wart (V. 1838 f.). Siehe hierzu auch Kapitel 4.1.4. Vgl. Bumke, Erec, S. 77. Hierbei kann es zunächst nur um eine Beschreibung des Romans gehen; vgl. Schulz, Ambivalenzen des Höfischen, S. 6, Anm. 19, der unter diesem Gesichtspunkt am Modell Haugs festhält; vgl. auch Gerok-Reiter, Erec, S. 149 f. Eine andere Frage ist es aber, eine solche Struktur als gattungsprägend zu bestimmen, was hier nicht zu diskutieren ist.
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der aus dann die Auflösung den gleichen Weg zurück nimmt“.23 Diese vier „Geschichten“ nennt er 1) die Jagd auf den weißen Hirsch, 2) die Zwergenbeleidigung, 3) den Sperberpreis und 4) die Arme Herberge. Er macht im Vergleich des Hartmann’schen Romans gegenüber der Vorlage von Chrétien außerdem deutlich, wie jener Umstellungen in der Erzählfolge der einzelnen Expositionen vorgenommen hat, die im Gesamten „eine konsequentere und raschere Folge“ bedingen.24 Mehr noch als für den Erzählprozess erweisen sich diese Umstellungen als ausschlaggebend für die Betrachtung des Mythischen in diesen Handlungsabschnitten, da sie strukturelle Analogien und Korrespondenzen nicht nur verdeutlichen, sondern zum Teil erst herstellen. Bezeichnenderweise sieht Kuhn einen Einschnitt an eben der Stelle, die den Abschluss der Hirschjagd am Artushof betrifft. Der anschließende Abschnitt mit Hochzeit und Heimfahrt sei dann „handlungsmäßig stagnierend“ und diene „nur Repräsentationsszenen“.25 Gerade hier aber zeigt sich eine auffällig veränderte Präsenz des Mythischen. Für die folgenden Ausführungen soll dem Handlungsverlauf bis zur Krise in Karnant gefolgt werden, sie erstrecken sich somit zunächst ausgehend von der Hirschjagd über den Sperberpreis von Tulmein bis zur Rückkehr an den Artushof und konzentrieren sich anschließend auf die dort stattfindende Hochzeit und die Heimkehr Erecs nach Karnant. Dabei wird zu sehen sein, wie über die Vermittlung mythischer und höfischer Ordnungsformen eine Harmonie am Artushof erreicht und auch strukturell umgesetzt wird, die jedoch nicht nur eine Hybridität der Erzählung bedingt, sondern schließlich unterlaufen wird und in Distanz gerät.
4.1.1 Hirschjagd und Heide Die Exposition des ersten Handlungsstrangs ist gemeinsam mit dem Prolog der Überlieferung zum Opfer gefallen, doch gibt der Erzähler im Hartmann’schen Text später deutlich zu erkennen, dass bereits von Karadigân die Rede war, dô der hirz was gejaget, | als iu ê ist gesaget (V. 1102 f.). Um nun Aufschlüsse über das dort Gesagte gewinnen zu können, ist die Forschung allein auf Hartmanns Vorlage von Chrétien angewiesen:26 Im Anschluss an den Prolog wird im französischen Roman in nur wenigen Versen eine ganze Szenerie höfischer Idealität in sowohl raum-zeitlicher wie personeller Hinsicht entworfen. König Artus hat sich zu Ostern mit seinem Hof in Quaradigan versammelt. Der Erzähler nennt molt i or boens chevaliers (V. 31) ebenso wie riches dames et puceles | filles de rois, gentes et beles (V. 33 f.). Die Einheit des Hofs erscheint 23 24 25 26
Kuhn, Erec, S. 20. Ebd., S. 22. Ebd., S. 20. Der Einschnitt, den Kuhn hier innerhalb des ersten Handlungszyklus sieht, entspricht in etwa der Stelle, die bei Chrétien mit dem oben zitierten Vers 1796 deutlich markiert ist. Bisweilen wurde darauf hingewiesen, dass in diesem kurzen Abschnitt kaum wesentliche Unterschiede anzunehmen sind; vgl. etwa Ruh, Höfische Epik, S. 18; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 178. Auf mögliche Unterschiede wird daher eigens einzugehen sein.
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hier in feierlicher Zusammenkunft vortrefflicher Ritter und schöner Damen. Artus verkündet knapp, dass er den weißen Hirsch jagen wolle, um die Sitte, die costume (V. 38), wieder zu beleben. Von Gauvain erfährt man indes Genaueres über diese costume: Nos savomes bien tuit piece a quel costume li blans cers a: qui le blanc cerf ocirre puet par reison beisier li estuet des puceles de vostre cort la plus bele, a que que il tort. (V. 43–48) Seit langem ist uns allen wohlbekannt, welche Bewandtnis es mit dem weißen Hirsch hat: Wer ihn erlegt, muß nach dem Recht die schönste unter den Jungfrauen Eures Hofes küssen, wohin das auch führen mag.
Artus setzt den nächsten Morgen als Termin an für die Jagd im Wald, die eine Jagd werden solle, wie man sie noch nie erlebt habe (V. 65 f.). Auch die Königin reitet am nächsten Morgen in Begleitung ihrer Magd in den Wald und wird gerade noch von Erec eingeholt, der aus keinem anderen Grund ihr nachgeritten sei, allein um ihr Gesellschaft zu leisten (V. 109 f.). Vorerst deutet also nichts darauf hin, dass Erec im weiteren Kontext der Hirschjagd seine Frau erhalten wird, und so gelangt er mit den Damen des Hofs auf eine Lichtung, auf eine heide (V. 7), von der auch Hartmann erzählt. An dieser Stelle setzt sowohl bei Chrétien wie bei Hartmann die Exposition des zweiten Handlungsstrangs, der Zwergenbeleidigung, ein. Bevor hierauf eingegangen wird, ist auch Hartmanns Text nach Aussagen zur Hirschjagd zu befragen: Nach Abschluss der Jagd breitet der Erzähler unter Wiederaufnahme der in der Überlieferung verlorenen Rede die Regeln weiter aus: Auch er berichtet von dem reht daz dâ von wart benant (V. 1107), dass derjenige Ritter, der den hirz hete gevangen (V. 1105), under den megeden allen | eine küssen solde, | swelhe er wolde (V. 1109–1111). Dieses Mädchen solle die Schönste am Hof sein, diu mit gelîchem mære | diu schœniste dâ wære, | daz er die kuste an ir munt (V. 1758–1760). Das sei sîn reht nâch der gewonheit (V. 1114), das ihm von der Gesellschaft ausgesprochen werden muss (im ze rehte wart geseit; V. 1115). Einvernehmlich solle der Kuss erfolgen, eben gemäß der gewonheit, als im si sîn vater liez – sîn vater Uterpandragôn hiez –, daz er den kus næme dâ und ouch niender anderswâ, wan swâ ez im die guoten knehte gesageten ze rehte. (V. 1786–1791)
Der Brauch der Hirschjagd, die gewonheit, ist alten Ursprungs, doch erfährt man nichts über das genaue Alter. Zwar wird Uterpandragon, Artus’ Vater, hier genannt,27 der ihm die Regeln des Brauchs vermittelt habe, doch bleibt der eigentliche Ursprung im Dun27
Uterpandragon wird bereits im Pa gur genannt; vgl. Kapitel 2.1.1.
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kel der Vergangenheit. Das reht nâch der gewonheit schöpft seine Autorität aus einer langen Tradition, die in nicht näher bestimmter Wiederholung aktualisiert wird.28 Betrachtet man die Motivgeschichte, dann ist auch hier eine lange Tradition der Hirschjagd festzustellen. Bereits für die Antike ist die Sage von der „verfolgten Hinde“ belegt, in der die Jagd den Helden in einen anderweltlichen Bereich führt, in altnordischen und vor allem keltischen Mythen treten Tiere der Anderwelt zudem meist weiß in Erscheinung.29 Daneben gibt es zahlreiche Feenerzählungen, vor allem über den Perceval- und Tyoletsagenkreis vermittelt,30 die alle das ähnliche Motiv enthalten und vermutlich dem Publikum „die Erinnerung an Entrückungen des jagenden Helden in eine jenseitige Welt […] oder an den Hirsch als Ungeheuer wecken [mussten], dessen Erlegung eine Heldentat ohnegleichen ist“.31 Die wesentlichen Bausteine solcher Erzählungen benennt Loomis: „The essential features were: a fay offers her love on condition that the hero pursue a white stag with the aid of a white hound which she provides; the hero cuts off the stag’s head; he is robbed of it; he finally recovers it and receives the fay’s love as his reward.“32 In der von Chrétien und Hartmann erzählten Fassung sind erwartungsgemäß nicht alle genannten Elemente dieser Erzählungen auszumachen. Als Substituierungen fasst die Forschung zudem die Rolle Enites auf, die an die Stelle der Fee trete,33 wie entsprechend auch das so genannte Hirschkopfmotiv durch den Kuss ersetzt sei.34 Trotz solcher Umschreibungen bleibt jedoch die allen Varianten zugrunde liegende Struktur gewahrt, nach der ein anderweltlicher Hirsch zu erlegen ist, um in den Besitz einer schönen Frau zu gelangen.35 Mit Rachel Bromwich kann daher von einer 28
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Dies lässt sich schon daraus ersehen, dass es bei Chrétien den Rittern am Hof, allen voran Gauvain, von Anfang an bekannt ist, wie es sich um diese Jagd verhält. Dass Artus sie jedoch ankündigt als eine Jagd, wie sie noch nie erlebt worden sei, bleibt dabei lediglich ein Topos der Überbietung. Zum Topos der Überbietung allgemein Curtius, Europäische Literatur, S. 171–174. Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 68–70; Gruenter, Der vremede hirz, S. 236. Zu Vorstellungen weißer Hirsche in der antiken Literatur und altnordischen Mythologie Lewis, Das Tier, S. 42 f. Vgl. Gruenter, Der vremede hirz, S. 236; Lange, Literaturbeziehungen, S. 176. Ruh, Höfische Epik, S. 19. Walter Haug sieht in der Jagd „die männliche Domäne schlechthin“, die er als „archetypische[n] Kampf gegen das Animalische“ sehr allgemein auf das „Urbild [des] Mythos vom Drachenkampf“ zurückführt; Haug, Rollen des Begehrens, S. 250. Loomis, Arthurian Tradition, S. 70. Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 214. Diese Umschreibung der mythischen Erzählung ist bei Chrétien deutlich angezeigt, wenn er betont, dass Enide keinen Zauber treibt und keine Formel spricht (V. 710). Hierauf wird noch im Zusammenhang der Wettkämpfe in Tulmein eingegangen; vgl. Kapitel 4.1.2. Vgl. hierzu ausführlich Minis, Bitte der Königin; ferner Ruh, Höfische Epik, S. 123 f. Die Diskussion um die Ursprünglichkeit des Hirschkopf- oder des Kussmotivs spielt für deren Bewertung in den Romanen Chrétiens und Hartmanns nur eine untergeordnete Rolle, worauf bereits Ó RiainRaedel, Zur mythischen Struktur, S. 216, hingewiesen hat. Vgl. Gruenter, Der vremede hirz, S. 236. Gruenter untersucht den Tristan Gottfrieds von Straßburg und konstatiert eine Aufnahme des Motivs, wie es später in Jagdallegorien zum konkreten Schema ausgearbeitet ist und am prominentesten wohl in Hadamars von Laber Jagd in Erscheinung tritt; vgl. Glier, Hadamar von Laber, Sp. 364 f. In Culhwch ac Olwen wird von der Jagd auf den riesen-
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modifizierten Form eines Mythos gesprochen werden, dessen Grundzüge noch in der Rezeption zu erkennen sind.36 In Anlehnung an Hans Blumenberg37 lässt sich die Jagd auf den weißen Hirsch beispielhaft als ikonisch konstant bezeichnen. Der weiße Hirsch tritt als prägnantes Motiv deutlich in Erscheinung, und auch ein von Blumenberg so bezeichnetes gehärtetes Grundmuster lässt sich in der Bewährungsprobe des Helden verbunden mit der Erlangung einer Frau problemlos erkennen. Überdies kommt hier ein elementarer Sachverhalt zum Ausdruck, der in der Zuordnung von ritterlicher Kühnheit und Frauenschönheit gängiger Fluchtpunkt der Interpretation ist.38 Die Elastizität des Erzählten, wie sie etwa in den Substitutionen deutlich wird, verstärkt dabei die Prägnanz des Schemas. Ein doppelter Bezug zur Zeitlichkeit liegt schließlich in der temporalen Stabilität des erzählten Motivs vor, das heißt in seiner zeitlichen Persistenz innerhalb der Rezeption, aber auch offensichtlich in der Zeitlosigkeit des Erzählten als immer schon Bewährtes, wie es sich in der nicht näher bestimmten Wiederholbarkeit des Ereignisses ausdrückt. Das Erzählen von diesem alten Brauch zielt letztlich auf eine Vermeidung jeglicher Begründung, da die Herleitung und Autorisierung aus der Tradition keine Frage nach dem Warum mehr zulässt. Berücksichtigt man somit über die Motivgeschichte hinausgehend auch die konkrete Erzählung des im Roman vorliegenden Motivs in Anlehnung an die von Blumenberg herausgearbeiteten Kennzeichen mythischen Erzählens, so kann die Jagd auf den weißen Hirsch als mythopoetisch bezeichnet werden. Merkmale der ikonischen Konstanz, der Zeitlichkeit und Wiederholbarkeit lassen sich hier ebenso benennen wie das grundlegende Merkmal der Elastizität des Erzählten innerhalb der Rezeption. Im Anschluss an diesen letzten Punkt soll ausführlicher auf die Unterschiede des Hartmann’schen Textes zu dessen Vorlage eingegangen werden: Bei Hartmann ist explizit davon die Rede, dass der durch die erfolgreiche Jagd ausgezeichnete Ritter zwar die von ihm gewählte Dame küssen solle (V. 1109–1111), doch erst nach der Zustimmung der anwesenden Ritter (V. 1790 f.). Der Versammlung der Ritter kommt so unverkennbar eine konstitutive Funktion in der Bestätigung der Wahl und Kontrolle ihrer Ausführung zu.39 Nachdem Artus dann auch eigenhändig den Hirsch erlegt hat, kommt diese Funktion nochmals deutlich zur Sprache: So besteht Artus auf sîn reht nâch der gewonheit. | dô’z im ze rehte wart geseit (V. 1114 f.). Bei Chrétien ist dies anders. Als Artus von seinem Recht Gebrauch machen möchte, kommt es unter den Anwesenden zu Unstimmigkeiten und es droht ein Aufruhr, da Uneinigkeit darüber herrscht, wer die schönste Frau am Hof sei (V. 291 ff.). Artus beruft daraufhin
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haften Eber Twrch Trwyth ebenfalls im Kontext einer Brautwerbung erzählt, der seinerseits schon in der Historia Britonum genannt ist; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 113 f. Vgl. Bromwich, Celtic Dynastic Themes, S. 443 f. u. 464–470. Vgl. im Folgenden auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.2. Verwiesen sei hier stellvertretend auf Mertens, Artusroman, S. 29. Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 122.
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seine Vasallen und andere anwesende Könige zur Beratung ein, und erst die Königin kann mit ihrem Vorschlag des Kussaufschubs bis zur Rückkehr Erecs den Streit beenden (V. 311–341). Auch anlässlich seiner Wahl Enides bittet Artus seine Vasallen um Zustimmung, wobei er, um einen erneuten Streit zu vermeiden, ausschweifend seine Rolle als Herrscher unterstreicht, der die von seinem Geschlecht überlieferte costume zu befolgen und zu pflegen sich verpflichtet sieht (V. 1761 f.).40 Schon zu Beginn der Hirschjagd hatte ihn Gauvain vor einem möglichen Streit unter den Rittern gewarnt (V. 49–58), woraufhin sich Artus auf seine Autorität als Herrscher berief (V. 61 f.). Deutlich zeigt sich also bei Chrétien der Artushof uneins in der Befolgung der costume, wohingegen die gewonheit bei Hartmann anscheinend keiner weiteren Begründung oder Legitimation bedarf.41 Schon Erich Köhler sah mit Blick auf Chrétien einen „fatale[n] Zwang“ der costume als einem „überindividuellen Prinzip“, woraus sich für ihn „– wenigstens zum großen Teil – die Rezeption der keltischen Mythologie“ erklärt.42 Und mehr noch als bei Chrétien lässt sich eine solche Fatalität, in die alle Beteiligten eingebunden sind und ihr geradezu unhinterfragt und machtlos ausgeliefert scheinen, bei Hartmann ausmachen. Ernst Cassirer hat eine solche Fatalität als konstitutives Element mythischen Denkens herausgestellt. Im mythischen Denken herrscht eine eigene Rechts- und Schicksalsordnung, der sowohl das einzelne Sein wie auch Dämonen und Götter unterworfen sind.43 Diese Ordnung drückt sich vor allem in einem Zeitbewusstsein aus, in dem es keine Relationen gibt, für das aber „eine absolute Vergangenheit besteht, die als solche der weitergehenden Erklärung weder fähig noch bedürftig ist“. Und eben dadurch, dass „ein bestimmter Inhalt in zeitliche Ferne gerückt, daß er in die Tiefe der Vergangenheit zurückverlegt wird, erscheint er damit nicht nur als ein heiliger, als ein mythisch und religiös bedeutsamer gesetzt, sondern auch als solcher gerechtfertigt“. Die Vergangenheit selbst hat eben „kein ‚Warum‘ mehr: sie ist das Warum der Dinge“.44 Im Weiteren gibt es für diese mythische Zeitordnung keine regelmäßige Wiederkehr, vielmehr „nur bestimmte inhaltliche Gestaltungen, die ihrerseits bestimmte ‚Zeitgestalten‘, ein Kommen und Gehen, ein rhythmisches Dasein und Werden offenbaren“, was sich vor allem 40
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Erich Köhler sieht folglich „in der Artuswelt Chrétiens […] die Beziehungen zwischen König und Vasallen durch die costumes geregelt“, auf deren „Geltung […] allein die Autorität Artus’ beruht“. Artus werde durch sie erst der „Idealkönig der Feudalität“; Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 210 f. Köhler folgt damit einer sozialhistorischen Perspektivierung des Textes. Die entscheidende Anfangspartie des Hartmann’schen Textes, in der auf den Streit am Hof eingegangen worden sein muss, ist nicht überliefert, doch findet sich ein Hinweis im Text, dass auch hier von einem Streit auszugehen ist (V. 1751); vgl. Gürttler, Artusbild, S. 46. Das Fazit von Ruh, Höfische Epik, S. 122, nach dem die „hauptsächlichste Abweichung Hartmanns von Chrétien […] das Fehlen des Mitbestimmungsrechts der Ritter und der damit zusammenhängende Zank“ sei, greift insofern etwas zu weit. Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 211. Vgl. Cassirer, Das mythische Denken, S. 138. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. Cassirer, Das mythische Denken, S. 130 f., Hervorhebung dort.
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im Ritual als „rhythmische Gliederung“ ausdrückt.45 Hieran schließt sich letztlich das Gefühl „einer universellen Weltordnung“ an.46 Die Jagd auf den weißen Hirsch lässt sich unter Rückgriff auf diese von Cassirer hervorgehobenen Konstituenten somit in ihrer handlungsbestimmenden formalen Ausgestaltung gerade im deutschen Roman als mythosanalog bestimmen. So hat Hartmann die Mythizität des Ereignisses hier deutlicher noch als Chrétien herausgearbeitet, da er nicht nur die Fatalität als eine alles und alle beherrschende Schicksalsordnung über die Inszenierung einer mythischen Zeitordnung herausgestellt hat. Der König tritt hier nicht mehr als Garant als vielmehr seinerseits als Objekt dieser Weltordnung auf, ohne sich – wie bei Chrétien – auf die parole que rois a dite (V. 61) berufen zu können.47 Zudem erscheint der Ursprung des Brauchs in eine hier absolute Vergangenheit verlegt, ohne dass eine Verbindung über die lignages (V. 1762) des Königs – so die Formulierung bei Chrétien – aufgerufen wird.48 Die nicht näher bestimmte, doch rhythmische Wiederkehr des Ereignisses verleiht dieser Ordnung eine zeitlose Dauer. Letztlich aber wird diese über die Auszeichnung der schönsten Frau durch den bewährten Helden nicht nur zur Darstellung gebracht, sondern überhaupt erst hergestellt. Dass es sich bei diesem Akt der Auszeichnung um einen Kuss handelt, über den sich die vom Helden errungenen Qualitäten auf die auszuzeichnende Dame übertragen, vergegenwärtigt im Zentrum der Gemeinschaft die Mythizität dieser Ordnung:49 Mit Cassirer ist hier gerade der Moment der Berührung im Kuss hervorzuheben. Ausgehend vom mythischen Kausalbegriff, nach dem „jede Berührung in Raum und Zeit unmittelbar als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung genommen wird“,50 beschreibt Cassirer diesen „Kausalnexus“51 für den mythischen Kraftbegriff. Wie schon nach dem Gesetz der Konkreszenz qualitative Eigenschaften als Substanzen wahrge-
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Ebd., S. 133. Ebd., S. 137. Nach Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 27 f., erinnert das Verhalten des Königs, der an die Regeln des Brauchs gebunden ist, an Tabus keltischer Souveränitätsmythen. Ebenbauer geht zwar nur am Rande auf die Hirschjagd ein, doch sieht er „hierin so etwas wie die mythische Ordnungsregel des Artushofes“; Ebenbauer/Wyss, Der mythologische Entwurf, S. 523. Für Chrétien ließe sich hier mit Blumenberg ein umständliches Erzählen konstatieren, da die lignages eingeschaltet werden, um gerade eine solche Absolutheit zu vermeiden. Chrétiens Darstellung lässt sich somit als eine weitere Arbeit am Mythos bestimmen, die auf eine Depotenzierung des Mythischen zielt. Dass bei Hartmann eine solche Absolutheit offensichtlich angelegt ist, verweist dagegen auf das Wirkungspotential des Mythischen. Zum weit verbreiteten mythischen Motiv des Kusses, das in der keltischen und germanischen Mythologie ebenso nachweisbar ist wie in der griechischen, siehe ausgehend von der so genannten Drachenkuss-Episode im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven mit weiterführender Literatur Ó RiainRaedel, Zur mythischen Struktur, S. 206–213. Zur Funktion des Kusses als symbolische Handlung siehe grundlegend Schreiner, Er küsse mich. Cassirer, Das mythische Denken, S. 59. Ebd., S. 67, Hervorhebung dort.
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nommen werden,52 so fasst das mythische Denken auch die Kraft „stets als ein Dingund Substanzartiges“ auf; in mächtigen Personen, im Priester wie im Herrscher oder Krieger, erscheint diese Kraft dann „gleichsam verdichtet“ und kann schließlich „durch bloße Berührung auf einen anderen übergehen“.53 In den Besitz dieser Kraft kann man „nur durch physische Übertragung gelangen, die sich hauptsächlich durch Speichel- und Blutmischung“ vollzieht.54 Nach der Erlegung des anderweltlichen Hirschs erfolgt der Kuss, der die Jagd abschließt und über die Zuordnung von jagendem Held und schönster Frau die Ordnung nicht nur bestätigt, sondern diese in der rituellen Vergegenwärtigung überhaupt erst herstellt, insofern als es eine „mimische Darstellung“ als „etwas bloß Mimisches, etwas lediglich Signifikatives auf dem Standpunkt des mythischen Bewusstseins nicht gibt“.55 Auffallend ist dagegen die Erwähnung bei Chrétien – und nur bei Chrétien –, dass Artus Enide nach höfischer Art küsst: beisiee l’a come cortois (V. 1787), was als Akt der Repräsentation sich offensichtlich vom Akt der Präsentation bei Hartmann unterscheidet.56 Vergleicht man somit die beiden nur auf den ersten Blick identisch erzählten Fassungen der Hirschjagd, so zeigt sich, dass Hartmann zunächst die ikonisch konstanten Inhalte getreu seiner Vorlage erzählt und auch die modifizierenden Umerzählungen übernommen hat. An die Elastizität mythischen Erzählens anschließend konnte er über eigenständige Umerzählungen der mythischen Materie auch in ihrer formalen Ausgestaltung Rechnung tragen. Dem mythopoetischen Erzählen fügt sich hier – und so nur bei Hartmann – eine mythosanaloge Darstellung des Erzählten an, die dieses in seiner Mythizität nicht nur anzeigt, sondern es darüber hinaus auch über die Aktualisierung des mythischen Wirkungspotentials, wie es vor allem in der alles beherrschenden Fatalität und rituellen Handlung zum Tragen kommt, in die Erzählung einbindet. Unter Berücksichtigung dieses mit dem mythisierenden Erzählen einhergehenden Wirkungspotentials ist daher eigens auf die Funktion der Hirschjagd für den narrativen Prozess einzugehen. Entsprechend des über die Motivgeschichte herausgestellten gehärteten Grundmusters bietet die Erzählung von der Jagd auf den weißen Hirsch vor allem 52 53 54 55
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Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.1.2. Cassirer, Das mythische Denken, S. 74. Ebd., S. 75. Ebd., S. 87 f., Hervorhebung dort. Der Kuss kommt in nahezu allen Kulturen „als festgelegtes Ritual“ vor und ist auf die „archaische Vorstellung des Austauschs bzw. einer Übertragung v. Kräften durch Berührung“ zurückzuführen; Hilpert/Kohlschein, Kuß, Sp. 545 f. Es ließe sich spekulieren, ob das bereits erwähnte Hirschkopfmotiv, wie es etwa auch der Gereint erzählt, insofern ursprünglicher ist (vgl. hierzu Minis, Bitte der Königin), als die mythische Kraft im abgetrennten Körperteil des Hirschkopfs durch die Hand des Helden an die Dame weitergegeben wird; vgl. hierzu Cassirer, Das mythische Denken, S. 65–69. Entsprechend des teleologischen Modells Cassirers zeige sich dann das mythische Denken noch „verhaftet an den Körpern“, während es „sich von dieser stofflichen Vorstellungsart mehr und mehr zu befreien“ sucht; ebd., S. 76. Mit dem Problem der Teleologie muss diese Frage aber Spekulation bleiben und soll hier nicht weiter verfolgt werden.
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eine Folie für die Initiation oder Bewährung des das anderweltliche Tier erlegenden Helden57 einerseits sowie für die Auszeichnung oder Bestätigung der gewählten Frau als die Schönste der Gesellschaft andererseits. Dieser elementare Sachverhalt bestätigt dabei nicht nur eine Ordnung, sondern stellt diese letztlich erst her. Mit Aleida und Jan Assmann wäre diese hier sowohl inhaltlich als auch formal in ihrer Mythizität beschriebene Erzählung unter funktionalen Gesichtspunkten somit auf die Gruppe der legitimierenden Mythen zu beziehen: In der Einhaltung der Regeln des übermittelten Brauchs erfolgt eine entsprechende „Rückführung bestehender Verhältnisse auf einen urzeitlichen ordo“ mit dem Ziel der gesellschaftlichen Identitätssicherung und Auratisierung des Herrschers.58 In der hier beschriebenen Darstellung der Hirschjagd zeigt sich jedoch eine auffallende Kluft zwischen der Bewahrung der überlieferten Ordnung und der dadurch evozierten Störung der bestehenden Ordnung des Königshofs. Dies ist vor allem im Roman Chrétiens festzustellen. So wurde bereits deutlich, wie zu Beginn die Versammlung der Ritter in höfischer Vollkommenheit erscheint, als Artus vor die Runde tritt. Erst als er sein Vorhaben mitteilt, wird ihm durch Gauvain die entsprechende Warnung zuteil: Sire, fet il, de ceste chace | n’avroiz vos ja ne gré ne grace (Herr, für solche Jagd wird man euch keinen Dank wissen; V. 41 f.). Und auch Artus’ wiederholte Hinweise auf seine Funktion als Herrscher zeugen letztlich vom Legitimationsdruck in dieser Situation.59 Am Ende ist es schließlich der Entschluss zur Jagd, der den Streit unter den Rittern auslöst. Wenn auch bei Hartmann die legitimierende Funktion des mythischen Brauchs weniger in Frage gestellt ist,60 was letztlich auch in der konsequenteren Darstellung der mythischen Fatalität des Geschehens und der rituellen Vergegenwärtigung der Ordnung zum Ausdruck kommt, bleibt der Streit unter den Rittern auch hier deutliches Anzeichen dafür, dass dieser mythische Brauch als Moment der Störung erscheint. Für den narrativen Prozess ist daher die Jagd auf den Hirsch zunächst und in erster Linie in ihrer handlungsauslösenden Funktion zu sehen.61 Der Entschluss zur 57 58
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Vgl. Schmolke-Hasselmann, Der arthurische Versroman, S. 73: Die Hirschjagd als „Phänomen von mythischen Dimensionen dient als Bemessungsgrundlage für Wert und Bedeutung des Helden“. Assmann/Assmann, Mythos, S. 185 f. Angemerkt sei, dass der Bezug zu solchen Mythen hier unter der Frage nach der Wirkung und Funktion der Episode innerhalb der Handlung hergestellt wird. Damit wird das Erzählte aber noch kein Mythos. Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 211, spricht daher vom „Doppelcharakter der Artusgestalt“, der hier in „Glanz“ und „Ohnmacht“ zum Ausdruck komme. Diese Ambivalenz hebt gerade auch im Vergleich mit dynastischen Gründungslegenden, in denen ebenso von Hirschjagden erzählt wird, Franz, Wahre Wunder, S. 150–153, hervor. Über den verlorenen Eingang des Romans, in dem eine mögliche Warnung durch Gawein zu erwarten wäre, lässt sich natürlich nur spekulieren, doch fehlt bei Hartmann in diesem Zusammenhang auch sonst jeglicher Zweifel an der Legitimität des Königs. Vgl. auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 28: „Wie auch immer die Bedeutung der Regeln, denen der König sich zu unterwerfen hat, ausgesehen haben mag, sie verfolgen in der Artusliteratur zumindest einen Zweck: Handlung in Gang zu bringen.“ Vgl. zu dieser gängigen Interpretation schon Ruh, Höfische Epik, S. 20: „Tritt Aventiure nicht von selbst an die Tafelrunder
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Jagd setzt eine Handlung in Gang, in deren Folge die vom Schema vorgegebenen Positionen besetzt werden müssen, um die bestehende Ordnung unter Einhaltung der überlieferten Regeln wieder herzustellen. Diese Ambivalenz der Hirschjagd ist es letztlich, die eine weitere Handlung geradezu erzwingt.62 Ist die Handlung auf diese Weise erst einmal angestoßen, bedarf es keiner weiteren Motivation als allein der, die vom Ausgang der Sequenz notwendigerweise vorgegeben und somit als finale Motivation zu charakterisieren ist.63 Die Erzählung der Hirschjagd erweist sich hierdurch auch in ihrer Handlungsmotivation als mythosanalog in ihrer formalen Darstellung, die letztlich der Mythizität des Erzählten entgegenkommt. Inhaltlich wie formal bleibt die Mythizität der Hirschjagd zunächst aber ein Moment der Störung, die dann im Fortgang der Erzählung gewissermaßen ihre Bestätigung in der so genannten Zwergenbeleidigung erfährt.64 Hierauf muss zunächst kurz eingegangen werden, bevor die weiteren Zusammenhänge dieser beiden Handlungsstränge deutlich werden können: Während sich Artus und seine Ritter im Wald auf der Jagd nach dem weißen Hirsch befinden, kommt die übrige Hofgesellschaft, allen voran die Trias von Königin, Magd und Erec, auf die bereits erwähnte heide (V. 7), wo sie einer zweiten Trias von Ritter, Dame und Zwerg begegnen. Die Königin bittet erst ihre Magd, dann Erec, den Namen des Ritters zu erfragen.65 Trotz ihrer guten Absichten und höfischen Gesinnung66 werden beide jedoch durch den Zwerg des Ritters beleidigt, der sie mit der Geißel schlägt (V. 54 u. 97). Gegenüber der Königin beklagt Erec sein ihm vor ihren Augen und damit vor dem gesamten Hof widerfahrenes Leid und bekräftigt seinen Entschluss zur Rache: ir gesehet mich nimmer mêre, | ich’n gereche mich an disem man, | von des getwerge ich mâl gewan (V. 135–137). Dieser von Kuhn als Exposition des zweiten Handlungsstrangs bezeichnete Erzählabschnitt ist vor allem in seinen immanenten Raumstrukturen wie der weiteren Handlungsmotivation aufschlussreich. Führt der Beginn – so zumindest nach Chrétien zu er-
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heran […], so muß man sie suchen, ja provozieren. Genau das tut Artus mit der Jagd auf den weißen Hirsch.“ Vgl. auch Franz, Wahre Wunder, S. 149. Zu einer ähnlichen, wenn auch sozialhistorisch ausgerichteten Deutung kommt auch Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 212: So erscheine schon „in der costume […] das Ordnungsprinzip der Feudalgesellschaft selbst entfremdet. […] Es sind folglich – vermittels der Problematik der costume – die widerspruchsvollen Grundzüge der feudalen Gesellschaft selbst, die zu ganz wesentlichen Strukturelementen des höfischen Romans werden“ und „den Ritter von der Gemeinschaft weg in die Vereinzelung der aventure-Suche“ zwingen. Zum Zusammenhang von finaler Motivation und mythischem Denken siehe Kapitel 3.2.2. Vgl. Schulz, Ambivalenzen des Höfischen, S. 14: „Das Problem, das am Artushof zunächst als ein internes erschienen ist, kehrt als externes wieder, vermittelt durch die Provokation von außen, nämlich die Zwergenbeleidigung.“ Hervorhebung dort. Sehr viel später erst wird der Name des Ritters mitgeteilt, er’st Îdêrs fil Niut genant (V. 465). Ausdrücklich ist im Text von den zühten der Magd die Rede (V. 31) und auch Erec ermahnt den Zwerg unter Hinweis auf die zuht (V. 79). Die ganze Szene zeigt zudem „offensichtlich auch anerkannte Regeln des sozialen Umgangs“; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 163.
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schließen – an den Artushof, so ist die Szenerie hier die Heide, ein Raum abseits des höfischen Lebens, der zudem durch unhöfisches Verhalten seitens des Ritters mit dem Zwerg deutlich markiert ist. Es kann nach der Vorlage von Chrétien davon ausgegangen werden, dass die Königin mit ihrem Gefolge zunächst ebenfalls wie die jagende Gesellschaft in den Wald aufgebrochen ist (V. 115 f. u. 277 f.), bevor sie zu der Heide, bei Chrétien ist es eine Lichtung,67 kommt. Der Wald wird ausdrücklich als forest avantureuse (V. 65) bezeichnet, womit deutlich das weit verbreitete Motiv des „wilden Waldes“ vorliegt: Christian Schmid-Cadalbert hat den wilden Wald als „eine topische Landschaft mit symbolischer Funktion“ beschrieben.68 Diese Landschaft wird überwiegend als „unbebautes, unbewohntes, meist bewaldetes Gebiet“ dargestellt, um „die Gegenwelt zur höfisch geordneten Welt zu bezeichnen“.69 Entscheidend ist dabei die Funktion, die der Wald als „Raumschwelle“ einnimmt: „Die wichtigste Funktion, die der wilde Wald in der mittelhochdeutschen Literatur hat, ist die einer Raumschwelle zwischen diesseitiger Welt und jenseitigem Ort.“70 So ist auch der „Bewährungsort des Aventiureritters […] in der Regel nicht der wilde Wald selbst, sondern es sind jenseits des wilden Waldes liegende Gebiete oder vom wilden Wald umschlossene Oasen“.71 Während Artus und sein Gefolge im wilden Wald der Hirschjagd nachgehen, kommt es jenseits dieses Waldes auf der Heide zum folgenschweren Geißelschlag. Der Wald der mythischen Jagd bleibt somit auch hier dem „kategorial ‚Anderen‘ […] als Relikt einer mythischen Konstellation“72 vorbehalten. Mit der Heide öffnet sich dagegen ein Raum der Konfrontation des Helden mit zwar gleichfalls unhöfischen Kontrahenten, die ihrerseits jedoch nicht als mythisch zu bestimmen sind. Für eine solche Deutung lassen sich keine Anzeichen im Text ausmachen und schon Roger Sherman Loomis kommt für 67
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Hartmann übersetzt Chrétiens essart (V. 136) mit heide (V. 7), die wenn nicht ihrerseits im, so doch zumindest jenseits des Waldes liegen mag. Zu mhd. heide siehe BMZ I, S. 647: „ebenes, unbebautes land, worauf gras und wilde blumen, auch wol einzelne bäume wachsen.“ Unsicherheiten der genauen Topographie ergeben sich aufgrund des verlorenen Anfangs, doch braucht nicht Erecs Unbewaffnetheit dahingehend gedeutet werden, dass sie durch die Verlagerung des Schauplatzes vom Wald auf eine weit von jeglichem Wald entfernte Heide „einen Teil ihrer evtl. kritisierbaren Brisanz“ verlöre; so Scholz, Stellenkommentar, S. 621. Erec befindet sich nicht auf der Jagd, und selbst bei Chrétien führt er keine Waffen mit sich (V. 239), wenngleich er hier definitiv durch den Wald reitet! Das Fehlen seiner Rüstung ist schon dadurch motiviert, dass Erec Iders nach Tulmein folgen muss, wohin dieser reitet, während Erec erst noch seine Waffen holen muss. Hätte er sie von Beginn an bei sich, hätte er noch vor Ort den Kampf aufnehmen können. Dieser anscheinend nebensächliche Umstand zeugt letztlich von einer finalen Motivation. Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 46. Vgl. zum Schauplatz des wilden Waldes auch Schröder, Schauplätze, S. 239–242 u. 273–276. Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 27. Ebd., S. 36. Ebd., S. 33. Schulz, in dem wilden wald, S. 516. Schulz beschreibt nach diesen allgemeinen Typisierungen im Speziellen dann die Minnegrotte des Tristan in ihrer Liminalität als Ort „zwischen Wald und Hof“; ebd., S. 517 f.
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die Erzählung von der Zwergenbeleidigung zu dem Schluss, dass es sich eher um ein allgemeines Motiv handelt, für das kein Bezug zu mythischen Erzählungen hergestellt werden kann.73 Über die Raumsymbolik ist somit gleichfalls dargestellt, was für die Handlungsführung maßgeblich ist. Im weiteren Kontext der mythischen Hirschjagd erfolgt erst die Zwergenbeleidigung, die der Jagd beigeordnet, dieser aber nicht untergeordnet ist. Führt die Jagd erst zur Vereinzelung des Helden innerhalb einer Gruppe nur von Damen, so kann auch nur er für die Beleidigung des Hofs Genugtuung schaffen. Während die in ihrer Mythizität dargestellte Hirschjagd im Wald die Handlung final motiviert in Gang bringt, resultiert für Erec erst aus der Situation auf der Heide, wegen der dort erfahrenen Schmach, eine eindeutig als kausal zu bestimmende Motivation zum Handeln. Erec nimmt die Verfolgung des Ritters auf, sodass er im durch sîn leit | ûf âventiure nâch reit (V. 220 f.). Auffallend verbindet sich hier in den Expositionen der ersten beiden Handlungsstränge eine finale Motivation mit einer kausalen, die überdies an ein nicht näher bestimmtes Aventiure-Konzept – zumindest sprachlich – angebunden ist.74 Bislang war von den ersten beiden Geschichten die Rede, wie sie Kuhn für den Hartmann’schen Erec herausgestellt hat. Ihre gegenseitige Abhängigkeit konnte ebenso deutlich werden wie ihre gegensätzliche Gestaltung. An dieser Stelle des Romans zeigt sich die Erzählung Hartmanns dann grundlegend verschieden von der Chrétiens. Während dieser im unmittelbaren Anschluss an die Ereignisse auf der Lichtung vom Abschluss der Hirschjagd berichtet, wechselt Hartmann von der Heide direkt an den Hof von Tulmein.75 Durch diese Umstellung in der Erzählfolge erreicht Hartmann – so ist zu zeigen – einen dem bisherigen Verlauf von Hirschjagd und Heide vergleichbaren Bezug der Ereignisse um den Sperberpreis zur so genannten Armen Herberge in Tulmein.
4.1.2 Sperberpreis und Herberge Erec verfolgt den Ritter mit seiner Dame und den Zwerg den ganzen Tag, bis er am Abend nach Tulmein kommt, wo Herzog Imain herrscht (V. 173–176). Dort wird er in höfischer Gepflogenheit empfangen, sô man ze vriundes hûse sol | und als dem wirte wol gezam (V. 179 f.). Der Erzähler berichtet ausführlich von dem dort am nächsten Tag stattfindenden Sperberwettkampf: ez hete der herzoge Îmâîn hôchzît dâ vor zwei jâr: saget diu âventiure wâr, sô hete er si dô zem dritten. an eine wise enmitten 73 74 75
Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 77–85, v. a. S. 84 f. Hierauf ist in Kapitel 4.1.3 noch einzugehen. Vgl. zu diesen unterschiedlich einsetzenden Expositionen die Tabelle bei Kuhn, Erec, S. 20 f.
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hete er hôhe an eine stat einen sparwære ûf gesat ûf eine stange silberîn. diz muoste jærlîche sîn ze vreuden sîner lantdiet. (V. 183–192)
Bereits zum dritten Mal findet in Tulmein ein Fest statt, welches in bestimmter Wiederholung jährlich abgehalten wird. In höfischer Freude wird dieses Fest begangen: die gazzen wâren spils vol, | als ez ze hôchzîten sol (V. 248 f.). Die gesamte Bevölkerung versammelt sich dort durch schœne handelunge (V. 197), um sich ausgiebig an dem Wettkampf zu erfreuen. Als Preis ist der genannte Sperber ausgesetzt, der derjenigen Dame zusteht, deren Ritter im Kampf für sie den Sieg davonträgt. Auf diese Weise bestätigt der vortrefflichste Ritter die schönste Dame am Hof: swes vriundinne den strît behielte ze sîner hôchzît, daz si diu schœniste wære, diu næme den sparwære. (V. 200–203)
In diesem Wettkampf spielt nun Iders eine entscheidende Rolle. Er war es, der die letzten beiden Male den Sieg davon getragen hat und seiner Dame den Sperber auf der silbernen Stange übergeben konnte: Den Sperber hete der ritter genomen zwir, ouch was er komen, daz er in zem dritten næme: und ob ez alsô kæme, sô hete er in immer mêre âne strît mit voller êre. nû sagete man daz mære, daz dâ manec wîp schœner wære dan des ritters vriundîn. dô was sîn vrümekeit dar an schîn: er was alsô vorhtsam, daz er in mit gewalte nam. in getorste dâ nieman bestân: strîtes wart er gar erlân. (V. 204–217)
Aus diesem Bericht des Erzählers geht nun Weiteres, Allgemeines wie Spezielles, über den Wettkampf hervor. Zum einen scheint bei wiederholtem Sieg, drei Mal an der Zahl, der jeweilige Ritter den Sperber dauerhaft für seine Dame beanspruchen zu können. Das Fest würde so eine deutliche Zäsur erfahren, denn âne strît mit voller êre behielte der Ritter den Preis immer mêre. So besteht für Iders die Möglichkeit, diese dauernde Ehre für seine Dame zu erlangen. Doch berichtet der Erzähler vom allgemeinen Zweifel an der Schönheit der Freundin. Iders konnte den Preis dennoch für sie beanspruchen, da er in mit gewalte nam. Offensichtlich ist also der Wettkampf in seinen Regeln gestört. Gewalt herrscht über Recht.
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Soweit zunächst zum Text. Die Forschung hat sich intensiv nicht nur mit der Funktion dieser Episode für den Roman, sondern vor allem auch mit der Frage nach ihren möglichen Quellen befasst. Das Sperberabenteuer ist von einer eindringlichen Geschlossenheit, die zur Vermutung Anlass gab, es handele sich hier um eine „verlorene Erzählung“, die erst später in die höfische Literatur Eingang gefunden habe.76 Loomis bietet eine Übersicht über zahlreiche bekannte Sperberepisoden und vermutet ihren Ursprung in bretonischen Feenerzählungen. Vor allem die Figur der Fee weise deutliche Bezüge zur keltischen Mythologie auf.77 In den überlieferten Fassungen seien jedoch schon früh diese Elemente in den Hintergrund getreten, sodass hier lediglich eine späte, stark veränderte Erzählung vorliege, „a novel varation on an older narrative formula“, die einzig die Struktur bewahrt habe, nach der „women’s virtue and men’s valor“ in Einklang zu bringen seien.78 Auch Kurt Ruh vermutet die Ursprünge in keltischen Erzählungen einer Fee, deren Charakter „in Chrétiens ‚Erec‘ noch deutlich durch die Hülle des irdischen Mädchens [Enide]“ zu erkennen sei.79 Diese Auffassung vertritt noch Christoph Cormeau, wenn er betont, dass spätestens Hartmann „diese Spuren […] getilgt“ habe.80 Im weiteren Kontext der Diskussion um die Sperberepisode, wie sie in modifizierter Form auch in De Amore des Andreas Capellanus erzählt ist, lehnt Alfred Karnein dagegen entschieden die Auffassung ab, dass es sich hier um die Vermittlung einer keltischen Erzählung handele.81 In zahlreichen Erzählungen, nicht nur von Erec, sondern auch im so genannten Bel-Inconnu-Zyklus wie vor allem im Wigalois Wirnts von Grafenberg, erfülle die Sperberepisode zwar die in der Struktur angelegte Funktion, doch stehe sie stets an herausgehobener Stelle als qualifizierende Probe des Helden vor weiteren Abenteuern. Hierdurch werde deutlich, dass sie schon früh in größere Handlungszusammenhänge eingebunden gewesen, bevor sie in der höfischen Literatur rezipiert worden sei.82 So wurde De Amore des Andreas bereits als Beispiel einer entmythisierenden und zugleich allegorisierenden Erzählweise, die mythische Materie literarisch bearbeitet, angeführt.83 Beate Schmolke-Hasselmann deutet entsprechend die Episode 76 77 78 79 80 81
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Vgl. die Diskussion bei Karnein, Funktion und Struktur, S. 169, im Anschluss an Nolting-Hauff, Märchen und Märchenroman. Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 85–100, hier v. a. S. 91. Ebd., S. 99. Ruh, Höfische Epik, S. 121. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 174. Karnein, Funktion und Struktur, S. 175: „Daß bei Andreas eine Fee erscheint, in keltischen Erzählungen die Fee Morgaine eine häufige Rolle spielt, macht […] die Sperberepisode nicht zum verwandelten Rest eines verlorenen Lais.“ Ebd., S. 170 f.; vgl. auch Karnein, De Amore, S. 90–93, v. a. S. 90: „Sie bildet die abschließende qualifizierende Probe des Helden, die mit der Etablierung des Helden als tapferstem Ritter und (in der Regel) seiner Begleiterin als schönster Dame endet.“ Vgl. ferner Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 214. Vgl. hierzu Kapitel 2.2.2.
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bei Andreas als „noch nicht voll ausgereifte Liebesallegorie“ und den Sperber als „Metapher für den höfischen Liebhaber“, als die er schließlich auch bei Chrétien eingesetzt sei.84 Insgesamt lässt sich anhand der Ergebnisse bisheriger Forschungen festhalten, dass es sich bei dem im Erec erzählten Sperberpreis um ein von seiner Herkunft isoliertes und neu kontextualisiertes Motiv handelt. Eine Abwehr möglicher mythischer Spuren ist dann auch bei Chrétien noch deutlich zu erkennen, wenn etwa der Erzähler Enide vom Verdacht der Zauberei explizit freispricht: n’i ot fet charaie ne charme (Sie trieb keinen Zauber und sprach keine Formel; V. 710).85 Und mehr noch bei Hartmann erweist sich darüber hinaus auch die konkrete Ausgestaltung des Sperberpreises einer entmythisierenden Erzählhaltung verpflichtet. Zwar ließe sich – in Entsprechung zur vorangegangenen Analyse der Hirschjagd – auch hier von einem gehärteten Grundmuster sprechen, das den nämlichen elementaren Sachverhalt zur Darstellung bringt und überdies im Bild des Sperbers ein anscheinend prägnantes Motiv in ikonischer Konstanz aufweist, doch geben die oben angeführten Zitate deutlich zu erkennen, dass der Sperberpreis eben als höfisches Fest, als hôchzît, veranstaltet wird. So ist auch der Ursprung des Festes gerade bei Hartmann klar angezeigt,86 und auch seine Wiederholung erfolgt in genau bestimmbaren Abständen eines Jahres. Überdies eröffnet die Möglichkeit, nach dreimaligem Sieg den Preis dauerhaft beanspruchen zu können, kumulative Entwicklungen im Rahmen des sich wiederholenden Wettkampfs, die als solche dem mythischen Denken fremd sind.87 Der Sperberpreis von Tulmein ist daher als höfisches Fest zu bestimmen, nicht nur von seiner inhaltlichen Gestaltung her, sondern ebenso über die im Rahmen einer entmythisierenden Erzählweise erfolgte Darstellung. Entmythisierendes Erzählen erweist sich hierbei als gezielte Abkehr von mythischen Inhalten und Ordnungsmustern, die außerdem über ihre Negation zwar angezeigt, doch umso deutlicher auch abgewiesen 84 85
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Schmolke-Hasselmann, Accipiter et chirotheca, S. 399 u. 394. Zur metaphorischen Verwendung des Sperbers auch bei Hartmann siehe Lewis, Das Tier, S. 35 f. Inwiefern Chrétien mit dieser Erwähnung auf einen möglichen mythischen Hintergrund erst aufmerksam macht, muss mit dem nicht weiter bekannten Wissen seines Publikums dahingestellt bleiben. Zumindest Hartmann erwähnt überhaupt erst keinen Zauber mehr. Findet das Fest bei Hartmann explizit erst zum dritten Mal statt (V. 185 f.), so ist bei Chrétien allein mit der Erwähnung, dass Yder schon die letzten zwei Jahre den Preis errungen habe (V. 595), noch kein Hinweis auf das Alter der costume gegeben. Hartmann hat die vage Angabe seiner Vorlage zum Anlass genommen, diese zu konkretisieren. Die Summierung der Ergebnisse über zwei Jahre hinweg zeigt deutlich, wie die vorangegangenen Kampfentscheidungen in die wiederholten Ereignisse eingreifen. Im Mythos hingegen „hinterläßt keine der Geschichten Spuren in der nächsten, so gut sie auch nachträglich miteinander verwoben sind“; Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 148. Mit Blumenberg ließe sich im Hinblick auf eine mögliche mythische Ursprungserzählung die Arbeit am Mythos als so weit vorangeschritten bestimmen, dass dieser in den Romanen des 12. Jahrhunderts seine äußerste Verformung erfahren hat und an ein Ende gebracht ist; vgl. hierzu Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 31 u. 57 f.; Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 295.
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werden. Der so erreichte Kontrast zur zuvor erzählten Hirschjagd bleibt dabei frappierend. Dieser Kontrast setzt sich bis in Details hinein fort, was bereits die jeweilige Topographie zu erkennen gibt. Findet die Jagd auf den weißen Hirsch im wilden Wald statt, so werden die Wettkämpfe hier auf einer Wiese am Hof von Tulmein abgehalten. Der gleichsam heroische Kampf gegen das anderweltliche Tier kontrastiert entsprechend zum explizit ritterlichen Zweikampf um die Trophäe des Sperbers auf der silbernen Stange.88 Vor allem aber zeigt sich der Kontrast in den jeweils im Text entworfenen Ordnungsfunktionen der costumes: Einen Vergleich von Hirschjagd und Sperberpreis hat diesbezüglich bereits Erich Köhler in seiner Studie zum Rechtsbrauch in den Romanen Chrétiens angestellt. Er unterscheidet verschiedene Arten von costumes: „1. die costumes, zu deren Einhaltung König Artus verpflichtet ist, 2. costumes, deren Mißbrauch vom Helden des Romans abgestellt wird, die aber weiter bestehen […].“89 Zur ersten Gruppe zählt er die Hirschjagd im Wald, zur zweiten den Sperberpreis von Tulmein. Stets gehe es für Köhler aber in gleicher Weise „um die Wiederherstellung eines gestörten Rechtszustandes“.90 Für die Hirschjagd konnte gezeigt werden, dass der mythische Brauch zwar als ordnungsstörend, doch zugleich als Ordnung herstellend zu bestimmen ist. Die Ankündigung der Jagd macht einerseits auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam, die sich im Streit der Ritter um die schönste Dame zeigen, andererseits stellt die getreue Einhaltung der überlieferten Regeln die Ordnung überhaupt erst her. Die Regeln der Jagd stehen dabei zu keinem Zeitpunkt zur Disposition. In Tulmein dagegen – und hier ist Köhler zuzustimmen – sind es gerade die Regeln der costume, die durch Missbrauch gestört sind. Die generelle Ordnung des Hofs scheint davon kaum berührt, werden doch die höfischen Spiele veranstaltet und auch die ankommenden Gäste freundlich empfangen. Nach dem Abstellen des Missbrauchs heißt es dann auch entsprechend, dass die Feierlichkeiten nur umso prächtiger fortgesetzt würden: ir spil begunden si mêren (V. 1312). Die Wiederherstellung der Ordnung des Wettkampfs lässt diesen in die allgemeine Ordnung des Hofs wieder adäquat einfügen und zeitigt eine entsprechend integrative Wirkung, denn arme unde rîche | […] jâhen alle gelîche (V. 1304 f.).91 Den Wettkämpfen um den Sperberpreis in Tulmein kommt so insgesamt eine repräsentative Funktion zu. Den Akt der Repräsentation gilt es in erster Linie wieder herzustellen, mittelbar erst die Ordnung des Hofs. Die Übergabe eines höfisch markierten Symbols92 ist daher auch 88 89
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Diesen Kontrast stellt auch Wilson, Epic and Symbolic Functions, S. 28, heraus und hebt dabei die Unterscheidung der evozierten Bilder von fliehendem Hirsch und jagendem Sperber hervor. Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 206. Die dritte Gruppe, „costumes, die für immer beseitigt werden“, kann hier zunächst vernachlässigt werden. Köhler rechnet zu ihr die Kämpfe, die Mabonagrin im Baumgarten zu Brandigan führen muss; siehe hierzu Kapitel 4.3. Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 211. Zur Bedeutung des integrativen Moments höfischer Ordnung siehe Wenzel, Repräsentation, S. 173. Zum „Symbolwert“ des Sperbers vgl. ausführlich Lewis, Das Tier, S. 32–35.
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die adäquate Inszenierung93. Der Sperber, ûf eine stange silberîn (V. 190), tritt somit als ein Drittes zwischen siegreichen Held und schönste Frau. Wird die Herstellung der Ordnung zum Abschluss der Hirschjagd im rituellen Akt vergegenwärtigt, in dem der Kuss als unmittelbare Berührung von Held und Frau im Zentrum steht, so erfolgt in Tulmein die Wiederherstellung der in ihren Regeln gestörten Ordnung im repräsentativen Akt der Übergabe der Trophäe. Der Sperber nimmt hierbei die Position eines vermittelnden Symbols ein, macht auf die Verweisstruktur der Repräsentation gerade dadurch aufmerksam und bringt die Zusammengehörigkeit des Helden und seiner Dame zur Darstellung.94 Er schließt somit an eine auch bei Andreas Capellanus zu beobachtende Verwendung als Metapher an.95 Korrespondieren in der Erzählung von der Hirschjagd mythische Inhalte und Darstellungsformen, die die Indifferenz von elementarem Sachverhalt und Erzählung vergegenwärtigen, öffnet sich mit dem entmythisierenden Erzählen der so genannten Sperberepisode die Darstellung einer Bedeutungsebene, die als Ausdruck genuin literarischen Erzählens zu bewerten ist und mit dem Erzählten der höfischen Idealität einhergeht. Bevor nun aber auf die weitere Funktion für den narrativen Prozess eingegangen werden kann, muss zuvor auch hier die der Sperberepisode zugeordnete Szene in der so genannten Armen Herberge berücksichtigt werden: Dem Erzählverlauf wurde zuletzt bis zur Ankunft Erecs in Tulmein nachgegangen, hier kann jetzt angeschlossen werden. Am Abend sorgt sich Erec um ein Nachtquartier. Ohne ausreichend gerüstet zu sein,96 reitet er wîselôs (V. 250) durch die Stadt, bis er vor sich ein altez gemiure (V. 252) erblickt, das abseits und œde lît (V. 269). Dort trifft er auf einen alten Mann, der trotz seiner Armut und ärmlichen Bekleidung – er hat lediglich eine schâfkürsen an | und des selben ûf einen huot (V. 283 f.) – von auffallend 93
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Mit Silke Philipowski ist hier von einer Inszenierung die Rede, da sie gerade wegen ihrer Verweisstruktur der Repräsentation entgegenkommt. Philipowski grenzt die Inszenierung von der Geste ab im Sinne von ‚bedeuten‘ und ‚sein‘, „denn Gesten bilden kein arbiträres Zeichensystem, in dem einem Signifikat ein beliebiger Signifikant zugewiesen wird […]. Wo dies stattfindet, wo also Handlungen beliebig ausgeführt, vermieden oder geplant werden können […], da ist von Inszenierungen zu sprechen, nicht von Gesten.“ Philipowski, Geste und Inszenierung, S. 463. Horst Wenzel fasst unter Repräsentation allgemein die „standardisierten Muster höfisch-adligen Verhaltens, die eine hauptsächlich symbolisch-verweisende Bedeutung haben“. Repräsentation erfolge daher über die „Zuordnung von Statuspositionen, von Innen und Außen adliger Erscheinung, von materiellen Zeichen und ihrer immateriellen Sinngebung“; Wenzel, Repräsentation, S. 175 f. Zur Abgrenzung der Repräsentation vom Ritual siehe auch Wenzel, Ritual und Repräsentation. Vgl. hierzu Schmolke-Hasselmann, Accipiter et chirotheca, S. 399 u. 394. Auf eine metaphorische Verwendung auch bei Hartmann verweist Scholz, Stellenkommentar, S. 672, und v. a. Lewis, Das Tier, S. 35 f. Im Text heißt es ausdrücklich, er sei habelôs dâ gar (V. 238) und habe nichts bei sich, wan daz pherit und sîn gewant (V. 244). Wieder fehlt Erec die Rüstung, die er eigentlich bereits geholt hatte, weshalb er gegen Iders auch nicht direkt auf der Heide antreten konnte. Später erst wird er von Koralus, dem Vater Enites, eine prächtige Rüstung erhalten für den Kampf in Tulmein. Das Fehlen der Rüstung erklärt sich somit durch die spätere Handlung, die offensichtlich final motiviert ist.
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edler Gesinnung zu sein scheint, was nicht nur durch sein weißes und gepflegtes Haar (V. 276–280), sondern gleichfalls durch sein Verhalten deutlich wird, das – so der Erzähler – vil hêrlîch und einem edeln manne gelîch sei (V. 288 f.). Der Alte sei einst ein grâve rîche (V. 402) gewesen und – von urliuge komen (V. 408) – unrechtmäßig um sein Erbe gebracht worden. Doch ehrenvoll trage er gemeinsam mit seiner Frau Karsinefite und seiner Tochter Enite sein Schicksal (V. 424–431). Freundlich empfangen die drei Erec, der bei ihnen die Nacht verbringen kann. Doch keine kostbaren Gemächer, kein edles und reiches Bettzeug, kein Samt und kein Gold stehen dem Helden bereit, dafür nur Stroh und Leinen (V. 368–385).97 Und auch kein prächtiges Mahl, wie man es sich wünschen würde, kommt auf den Tisch (V. 386–392):98 in gap der reine wille genuoc, | den man dâ ze hûse vant: | wan er ist aller güete ein phant (V. 393–395). Der Erzähler gibt sich alle Mühe, die Trias von Koralus, Karsinefite und Enite in ihrer höfischen Gesinnung einzuführen, fern von jeglicher höfischer Prachtentfaltung. Vor allem über Kontraste kann er dies erreichen. Zeigt das Äußere der Szenerie wie der Personen nur Armut, Leid und Unrecht, so strahlen innerer Reichtum, Stolz und Güte umso heller.99 An Enite wird dies ersichtlich: der megede lîp was lobelich. der roc was grüener varwe, gezerret begarwe, abehære über al. dar under was ir hemde sal und ouch zebrochen eteswâ: sô schein diu lîch dâ durch wîz alsam ein swan. man saget, daz nie kint gewan einen lîp sô gar dem wunsche gelîch: und wære si gewesen rîch, sô gebræste niht ir lîbe ze lobelîchem wîbe. ir lîp schein durch ir salwe wât alsam diu lilje, dâ si stât under swarzen dornen wîz. ich wæne, got sînen vlîz an si hâte geleit von schœne und von sælekeit. (V. 323–341) 97 98 99
Bei Chrétien breitet dagegen Enide Kissen und Teppiche über die Betten aus (V. 477–480). Bei Chrétien wird ein Abendessen aufgetischt, sie erhalten alles a lor volanté (V. 500). Zur höfischen Bedeutung von Festmahl und Wohnraum siehe Wenzel, Repräsentation, S. 184. Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann, S. 180: „Die Technik des Kontrastes dient ihm [Hartmann] vor allem dazu, die höfische Gesinnung jenseits aller adligen Repräsentation zu unterstreichen.“ Joachim Schröder sieht im Empfang Erecs ein typisches „Empfangszeremoniell“ mit den selben „Bausteinen“ (Essen, Schlafen, Versorgung der Pferde, Gesinde etc.), wie es für ein solches konstitutiv sei. Dabei sei aber gerade der „Kontrast zwischen höfischer Pracht und Armut herausgearbeitet“, da alles zwar genannt, aber nicht vorhanden ist; Schröder, Schauplätze, S. 222.
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Auch in der Beschreibung Enites kommen Kontraste deutlich zum tragen. Enite sei zwar diu schœniste maget, | von der uns ie wart gesaget (V. 310 f.), doch steht ihre Schönheit im scharfen Widerspruch zu ihrer zerrissenen und verschmutzen Kleidung.100 Wie die innere Gesinnung des alten Mannes gleichsam durch sein Äußeres hindurchscheint, so hier der schöne Körper durch die zerrissene Kleidung. Und der Vergleich Enites mit einem Schwan über die weiße Farbe als Tertium Comparationis101 wird gleich darauf erweitert zu dem aus dem Hohelied Salomons bekannten Vergleich mit einer Lilie unter schwarzen Dornen.102 Hierdurch erfährt sie letztlich eine Nobilitierung, wie sie nur kaum zu überbieten ist.103 Überdies öffnet sich der Text einer christlichhöfischen Stilisierung, die der gesamten Szene zugrunde liegt. So wird Enite auch sonst in ihrer Nähe zu Gott dargestellt,104 und in der oben zitierten Beschreibung wird deutlich, dass got sînen vlîz | an si hâte geleit | von schœne und von sælekeit.105 Insgesamt hat Hartmann diese christliche Prägung der Szene gegenüber seiner Vorlage deutlich erweitert beziehungsweise dieser zum Teil überhaupt erst gegeben.106 Und auch die nur bei Hartmann über die Negation höfischer Vollkommenheit dargestellte Armut erfährt durch Koralus schließlich ihr theologisches Argument, wenn er sich auf die Ordnungs100
Vgl. auch Raudszus, Zeichensprache der Kleidung, S. 81 f. Für Ehrismann steht der Schwan „für Mariens Reinheit, für Geduld und christliche Entsagung“; Ehrismann, Enite, S. 325. Vgl. auch Mertens, Artusroman, S. 54, sowie Tobler, Ancilla Domini. 102 Vgl. Hld. 2,2. Hartmann hat diesen Vergleich ausgehend von einer kurzen Erwähnung einer Lilienblüte bei Chrétien (V. 427) selbständig eingeführt. Für Wiebke Freytag nimmt dieses Bibelzitat „den Charakter einer rhetorisch gesetzten Allegorie an“; dies passe zu dem „moralisch-tropologische[n] Verständnis, wie es Bernhard von Clairvaux in seinen Hoheliedpredigten formuliert. Als Lilie erscheint die anima nach Bernhard unter den Dornen, wenn sie voller Hoffnung sich inmitten von Mühsal und Versuchung ihre Reinheit zu bewahren vermag.“ Freytag, Hartmanns Methode, S. 235. 103 Dass der Erzähler noch den Hinweis darauf gibt, dass ir geburt was âne schande (V. 439) und sie die Nichte des Herzogs Imain sei (V. 435 f.), erscheint daher schon fast überflüssig. 104 So heißt es etwa auch, dass Gott, wenn er denn auf Erden reiten würde, in Enite, die die Pflege von Erecs Pferd mit allem vlîze übernimmt (V. 318 u. 352–365), keinen besseren Marschall hätte haben können (V. 356 ff.). 105 Bei Chrétien heißt es dagegen: Molt estoit la pucele gente, | car tote i ot mise s’antante | Nature qui fete l’avoit (V. 411–413: Die Jungfrau war sehr liebenswert; die Natur hatte ja auch all ihre Kunst darauf verwendet, ihren Körper zu bilden). In Ergänzung von Chrétien bietet hier Hartmann „das christliche Äquivalent zu dem aus der Antike stammenden Naturtopos bei Chrestien“; Freytag, Hartmanns Methode, S. 235. Freytag geht allerdings zu weit, wenn sie bei Hartmann „Gott an die Stelle der Natur“ gesetzt sieht. Dieser Deutung widerspricht schon die spätere Nennung Gottes auch bei Chrétien (V. 433 f.). Insgesamt bleibt eine stärkere Akzentuierung bei Hartmann offensichtlich. Zum Topos der Natura siehe Modersohn, Natura als Göttin, v. a. S. 86–88. 106 Vgl. Freytag, Hartmanns Methode, S. 239. Als „geheimes anderes Bethlehem“ liest Urs Herzog die gesamte Szene und sieht sie „der weihnachtlichen Szene bis ins Einzelne angenähert“; Herzog, Bethlehem, S. 221; vgl. auch Herzog, Der göttliche Gast. Volker Mertens merkt an, dass auch der Topos ‚äußere Armut/innerer Reichtum‘ aus der religiösen Literatur übernommen sei, die der „religiös konnotierten Dimension“ der Szene entspreche; Mertens, Kommentar, S. 630. 101
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macht Gottes bezieht: er mac den rîchen, swênne er wil, | dem armen gelîchen | und den armen gerîchen (V. 541–543).107 Nicht zuletzt mit dieser Begründung wird deutlich, dass bei Hartmann eine ganze Szenerie entworfen ist, die sich in nahezu jeder Hinsicht vom bisher Erzählten abhebt. Über darstellerische Mittel des Kontrasts erscheint die Arme Herberge in einer gestörten, aber doch in Gott aufgehobenen Ordnung.108 Damit mutet sie geradezu als die Umkehrung der Verhältnisse an, wie sie am Hof von Tulmein herrschen. Wird dort das Fest trotz der inneren Störung seiner Regeln in höfischer Prachtentfaltung veranstaltet, so erweist sich das alte Gemäuer des Koralus als ein von außen gestörter Ort abseits des Hofs, der jedoch seinerseits von einer gefestigten und vorbildlichen inneren Ordnung zeugt. Hier wie dort sind es die bestehenden Verhältnisse, die einen Bruch zwischen innerer Ordnung und äußerer Erscheinung erkennen lassen, was beide Male auf das Problem höfischer Repräsentation verweist. Die Frage nach dem Zusammenhang beider Handlungssequenzen wird damit virulent: Koralus berichtet dem fragenden Erec ausführlich vom Wettkampf in Tulmein,109 während ihm dieser von seiner auf der Heide widerfahrenen Schmach durch den Zwerg erzählt, womit er auch vor Koralus nochmals seine Motivation zur Verfolgung Iders zum Ausdruck bringt: daz sol mîn herze immer klagen, mir’n gevüege got noch den tac, daz ich ez gerechen mac. ûf selher âventiure wân, als ich nû gesaget hân, sô bin ich im her nâch geriten. (V. 489–494)
Erec möchte gegen Iders im Kampf antreten, weshalb er Koralus nicht nur um eine Rüstung bittet (V. 499), sondern gleich auch um die Hand seiner Tochter anhält, deren Schönheit er gemäß den Regeln des Brauchs von Tulmein unter Beweis stellen will:110 ich behabete den strît, daz si schœner wære und næme den sparwære dan des ritters vriundîn. […] 107
Auf diesen Vergleich mit Lk. 1,52 hat Cramer, Soziale Motivation, S. 102, aufmerksam gemacht. Koralus selbst betont das Offensichtliche: sîn gewalt ist an mir worden schîn (V. 544). 109 Bei Chrétien setzt bezeichnenderweise an dieser Stelle erstmals die Erzählung des Sperberpreises ein, wohingegen der Erzähler bei Hartmann mit als ich iu gesaget hân (V. 453) auf das bereits Erzählte verweist. 110 Ehrismann bemerkt hierzu passend: „Die Schönheit, nicht die Liebe begründet seinen Einsatz für Enite.“ Ehrismann, Enite, S. 324; vgl. auch Ruh, Höfische Epik, S. 119. Cormeau erklärt dies mit der Konzeption der Figuren, die „nur als Träger objektiver Wert- (und Unwert-) Vorstellungen charakterisiert“ seien, so auch Enite als „Trägerin von Schönheit, und in dieser objektiven Qualität ist sie begehrenswert“; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 180. 108
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ob mir alsô gelinge, daz mir der sige belîbe, sô nim ich si ze wîbe. (V. 507–515)
Auf engstem Raum verbindet sich hier im Gespräch mit Koralus das anfängliche Motiv der Rache mit dem neuen, Enites Schönheit auch öffentlich zu bestätigen. Bei dieser jetzt doppelten Motivation zum Kampf liegt jedoch eine verhängnisvolle Verschränkung vor, da die Werbung um Enite ausschließlich zweckgerichtet zu sein scheint, um das ursprüngliche Motiv der Rache zu erreichen.111 Erec bekräftigt jedoch seine guten Absichten gegenüber Enite und kann nach wiederholtem Eid Koralus am Ende überzeugen (V. 561–587), der ihn daraufhin mit einer prächtigen Rüstung und mit Waffen ausstattet (V. 589–612).112 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Erzählungen vom Sperberpreis und der Armen Herberge parallel und kontrastiv zum ersten Episodenpaar von Hirschjagd und Zwergenbeleidigung gestaltet und in vergleichbarer Weise aufeinander bezogen sind: Konnte die Jagd auf den weißen Hirsch über den erzählten Inhalt als mythopoetisch sowie in ihrer formalen Gestaltung als mythosanalog bestimmt werden, weist die Erzählung vom Sperberpreis in Tulmein deutliche Kennzeichen einer höfischen Ordnung auf, die auffallend parallel zu den mythischen der Jagd gestaltet, doch entsprechend anders besetzt sind. Die dieser Ordnung zugrunde liegende Struktur höfischer Repräsentation kommt nicht zuletzt im vermittelnden Symbol des Sperbers zum Ausdruck, der im gleichfalls repräsentativen Akt der Übergabe auf die Zugehörigkeit von Ritter und Dame verweist, während der abschließende Kuss der mythischen Jagd als ritueller Akt die nämliche Zuordnung unmittelbar herstellt und vergegenwärtigt. Die dort angelegte Dynamik der Jagd ist schließlich auch in die erzählte Handlung der folgenden Episode aufgenommen. Durch den Geißelschlag des Zwergs wird so die Störung gewissermaßen bestätigt. Demgegenüber zeigt sich die gestörte Ordnung am Hof von Tulmein von einer Statik geprägt, die die Diskrepanz von innen und außen befestigt und in der hier anschließenden Szene, in der öden Behausung des Koralus, ihren Ausdruck findet. Das Erzählte korrespondiert hier konsequent mit erzählerischen Mitteln der Negation, die über die Betonung des Kontrasts letztlich wieder auf den Gegensatz zu den vorangegangenen Handlungssequenzen verweisen. Die Zuordnung von Sperberpreis und Armer Herberge erfolgt parallel zu der von Hirschjagd und Heide; dies wird schon strukturell bei Hartmann durch den gegenüber der Vorlage veränderten Erzählverlauf hergestellt. Während noch die Expositionen der Zwergenbeleidigung in beiden Romanen im unmittelbaren Anschluss an die der Hirsch111
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 180. Mertens wählt hier den Begriff „‚geschäftliche‘ Abmachung“; Mertens, Kommentar, S. 632. 112 Merkwürdig mag der Umstand erscheinen, weshalb Koralus eine so prächtige Kampfausrüstung trotz seiner Armut noch immer im Besitz hält. Laut seiner Begründung habe er sie aufbewahrt, falls einst ein Freund sie brauchen würde (V. 597 f.). Die Handlung erweist sich wieder final motiviert.
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jagd einsetzen, wird nur bei Hartmann vom Erzähler der Sperberpreis als nächste Handlung eingeführt,113 während Chrétien seinen Helden zuerst in die Arme Herberge kommen lässt, wo ihm Koralus vom Wettkampf berichtet. Dieser Befund lässt sich aus räumlicher Perspektive wie in personeller Hinsicht erhärten und zeitigt letztlich auch Konsequenzen für den narrativen Prozess: Wie zu Beginn des Romans so liegt auch von der dritten zur vierten Handlung zunächst ein Schauplatzwechsel vor. Abseits der Gesellschaft betritt der Protagonist einen abgesonderten Ort: Ist es erst die Heide im Wald, jenseits der jagenden Gesellschaft des Königs Artus, so ist es hier die Arme Herberge, jenseits der feiernden Gesellschaft des Herzogs Imain. An diesen Orten finden nun jeweils für den Roman entscheidende Begegnungen statt: Trifft Erec auf der Heide auf den Zwerg in der Trias mit Iders und dessen Dame, begegnet er später Enite in der Trias mit ihrem Vater und dessen Frau. Aus der ersten Begegnung resultiert für Erec die erste Motivation zum Kampf, er möchte Rache nehmen für die ihm widerfahrene Beleidigung. In der Armen Herberge schließt sich sodann die zweite Motivation für den Helden an. Um die Schönheit Enites unter Beweis zu stellen, will er an dem Sperberwettkampf teilnehmen. Die parallele und kontrastive Gestaltung der bisherigen Handlung ist offensichtlich. Doch ist gleichfalls festzustellen, dass ihr vom Anfang bis zum Zweikampf in Tulmein zugleich auch eine lineare Entwicklung unterlegt ist, die sich als eine Stufenfolge jeweils nachgeordneter Motivationen zu erkennen gibt. Mit der unvermittelten Ankündigung zur Hirschjagd wird die Handlung in Gang gebracht, die sich im mythosanalogen Erzählen als final motiviert erweist.114 Dieser Motivation von hinten fügt sich in den jeweils zweiten Handlungssequenzen der beiden Episodenpaare nun je eine eindeutig als kausal zu bestimmende Motivation für den Protagonisten an. Diese Motivationen erscheinen dabei in einer eigentümlichen Verschränkung, die überdies in einer Hierarchie der ersten über die zweite aufgelöst werden kann. Um Rache an Iders nehmen zu können, bittet Erec Koralus um Enite, da er gemäß den Regeln von Tulmein eine Dame für den Wettkampf benötigt. Erst in zweiter Linie kann er so auch die dort gestörten Verhältnisse wieder in ihre Ordnung bringen. Beide Motive münden letztlich aber in den ritterlichen Zweikampf gegen Iders in Tulmein, bevor die final motivierte Handlung der mythischen Jagd auf den weißen Hirsch ihren Abschluss findet. Im Folgenden ist daher zunächst kurz auf diesen Kampf einzugehen, damit auch der Weg zurück, vom Kampf zum Kuss, beschritten werden kann.
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Vgl. Kuhn, Erec, S. 22. Am Rande konnte auf diese Motivation von hinten auch am Beispiel der Rüstungen Erecs eingegangen werden.
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4.1.3 Vom Kampf zum Kuss Der zentrale Kampf in Tulmein wurde von Kuhn als die „Wendung“ des gesamten Geschehens bezeichnet.115 Tatsächlich liegt in ihm der zentrale Punkt, an dem die exponierten Geschichten zunächst zusammengeführt werden, um von hier aus auch ihre Auflösung zu erfahren. Und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung des Helden mit seinem Gegner zeigen sich konsequent auch die Verschränkungen bisheriger Motivationen. Am Morgen beginnt außerhalb der Stadt der Kampf. Erec und Iders ereifern sich in einer kurzen Wechselrede, wer den Sperber von rehte neme (V. 697); den Streit solle unter ihnen diu ritterschaft scheiden (V. 707). Iders trägt eine prächtige und kostbare Rüstung (V. 732 ff.), Erecs Ausrüstung dagegen erscheint alt, unbehende und grôz (V. 748).116 Die Zuschauer räumen den Platz und der Kampf kann beginnen. Der Verlauf des Kampfs rekurriert in frappierender Weise auf die bisherige Handlung des Romans und veranschaulicht die Wendung des Geschehens. Charakterisiert den Herrn des Zwergs zu Beginn noch sîn hôchvertiger wân (V. 764), erscheint ihm sein Gegner als ein kint (V. 765), doch führen beide nach den ersten vier Angriffen ihren Kampf gelîche | vil gar lobelîche (V. 782 f.). Erec greift nun zu dem von Koralus erhaltenen Speer (V. 790 ff.) und wendet sich der weinenden Enite zu, deren Sorge er ein Ende bereiten möchte (V. 800 ff.). Der Kampf wird immer heftiger und nähert sich nach einer Pause, zu der Iders um des ritters muot (V. 899) willen rät, seinem Höhepunkt. Die bisher aufgerufenen Assoziationen zu den Szenen auf der Heide und der Herberge verdichten sich in der jetzt explizit werdenden doppelten Motivation Erecs: Der Kampf scheint unentschieden, unz daz Êrec der junge man begunde denken dar an, waz im ûf der heide ze schanden und ze leide von sînem getwerge geschach. und als er dar zuo ane sach die schœnen vrouwen Ênîten, daz half im vaste strîten: wan dâ von gewan er dô sîner krefte rehte zwô. (V. 930–939)
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Kuhn, Erec, S. 19. Erecs Ausrüstung war kurz zuvor noch als ausdrücklich behende unde guot (V. 592) beschrieben worden, als er sie von Koralus empfangen hatte. Offensichtlich dient Erecs schlechte Rüstung hier der Kontrastierung zu Iders. Die Rüstung erweist sich somit innerhalb der Erzähllogik auch hier als Mittel der Darstellung und darf nicht in einem engeren kausalen Zusammenhang gesehen werden. Vgl. schon Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 10: „Nicht die Kausalität also, sondern vielmehr die Funktionalität der Motive für den Aufbau des Romans ist entscheidend.“ Verschiedene Erklärungsversuche verzeichnet Scholz, Stellenkommentar, S. 649 u. 653 f.
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Beide Motive, die Rache für den Geißelschlag wie die Schönheit Enites, sind hier deutlich angesprochen und erweisen sich als ausschlaggebend für den Kampf. Es fällt auf, dass die Motive gegenüber Chrétien jedoch in umgekehrter Reihenfolge genannt werden: So gewinnt Erec dort durch Enide, por s’amor et por sa biauté (V. 911), große Tapferkeit und erst anschließend denkt er an die Königin und daran, que il sa honte vangeroit (V. 915). Durch die Umstellung erzielt Hartmann nicht nur die Entsprechung der Argumentationsfolge bei Koralus,117 sondern macht wiederholt deutlich, wie das Motiv der Schönheit dem der Rache nachgeordnet ist. Entsprechend ist dann auch im unmittelbaren Anschluss an das Ende des Kampfs zuerst von dieser die Rede. Sobald Iders vor im sigelôs (V. 949) liegt, schließt der Erzähler mit Blick auf Erec an: sînen geiselstreich er rach (V. 950). Der Zwerg wird anschließend bestraft (V. 1065 ff.), und Erec schickt den reuigen Iders an den Artushof, wo er sich in die Dienste der Königin begeben soll (V. 1080 ff.). An dieser Stelle des Romans erfährt die Erzählfolge bei Hartmann erneut eine bezeichnende Umstellung gegenüber Chrétien. Während bei diesem Yders an den Artushof kommt und der Erzähler im Anschluss daran erst die weitere Handlung wieder aufgreift (V. 1238 ff.), ist bei Hartmann zunächst vom vorläufigen Ende der Hirschjagd die Rede, bevor auch hier Iders sich in die Gewalt der Königin begibt. Hierdurch erhärtet sich nicht nur die Zuordnung dieser beiden Handlungsstränge. An zentraler Stelle wird zudem die der bisherigen Romanhandlung unterlegte finale Motivation erneut angezeigt, deutlich markiert durch die kausal nur wenig motivierte Bitte der Königin um den Kussaufschub bis zur Rückkehr Erecs. Artus hat zwar den Hirsch bereits gefangen (V. 1105 f.) und möchte sîn reht nâch der gewonheit (V. 1114) nun ausüben, da es ihm von seinen Rittern auch schon ze rehte wart geseit (V. 1115), doch „ein logischer Zusammenhang zwischen Erecs Anwesenheit und der Ausführung des Kusses durch Artus besteht nicht“.118 Eine Kohärenz erfährt der Text einzig über die durch den mythischen Brauch der Hirschjagd vorgegebene finale Motivation, die auf die Einhaltung des gehärteten Grundmusters zielt, nach dem gleichfalls die Erlangung einer Frau vorgegeben ist.119 Die Zuordnung von bewährtem Held und schönster Frau erfolgt jedoch zunächst in Tulmein, wovon jetzt bei Hartmann die Rede ist. 117
So Scholz, Stellenkommentar, S. 660; vgl. auch Kapitel 4.1.2. Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 12. Kiening, Arbeit am Muster, S. 155 f., sieht in solchen „Formen des Aufschubs“ Anzeichen für eine von finaler Motivation bestimmte Erzählung, die über Lugowskis Konzept des mythischen Analogons beschrieben werden könne und Ausdruck dessen ist, was „man als genuin literarisch ansehen darf“; zum Umgang mit Lugowski siehe Kapitel 3.2.2. 119 Vgl. im Anschluss an Kuhn, Erec, S. 41 f., Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 12: „An dem Aufschub des Kusses wird erneut deutlich, daß für die Struktur des Romans nicht die Kausalität des Handlungsablaufs ausschlaggebend ist, sondern daß Hartmann ‚das objektive gedankliche Schema‘ der logischen Begründung der Handlung überordnet.“ Zum gehärteten Grundmuster der Hirschjagd siehe Kapitel 4.1.1. Ansätze einer kausalen Motivation ließen sich daran festmachen, dass eine Feier am Hof kaum vorstellbar wäre, solange die Königin in Ungewissheit bezüglich Erecs Rache an Iders ist. So liest Scholz, Stellenkommentar, S. 665, die Szene. Die Königin erfährt aber vom Aus-
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Der Erzähler schließt an das Vorangegangene an und bezieht sich erst jetzt, dafür ausdrücklich auch auf Enite, die behertet wart mit strîte (V. 1301). Die Leute von Tulmein feiern Erec und jâhen alle gelîche, | dâ enwære dehein zwîvel an, | er enwære der tiuriste man, | der ie kæme in daz lant (V. 1305–1308). Und wie dieser sich als vortrefflichster Ritter hat beweisen können, so gilt der Preis auch für Enite: dô hete si wünnen genuoc, | wan si ûf ir hant truoc | den gewunnen sparwære (V. 1376–1378). Mit Erec und Enite ist die rechte Ordnung des Sperberwettkampfs wieder hergestellt. Dieser kommt mit der Übergabe des Sperbers zum Abschluss, womit im repräsentativen Akt stellvertretend auch die Ordnung des Hofs insgesamt ihre Bestätigung erfährt. Norbert Sieverding hat die dreifache Bedeutung des Sieges prägnant zusammengefasst. So nehme dieser sowohl eine rehabilitierende Funktion bezüglich der Zwergenbeleidigung ein, wie er auf der anderen Seite einen Zugewinn an Ehre für Erec und Enite darstelle. „Die wichtigste Bedeutung des Sieges über Iders besteht jedoch darin, daß Erec und Enite die zentralen Werte und die ‚costume‘ der höfischen Kultur schützen bzw. ihnen ihren Sinn zurückgeben.“120 Für den weiteren Verlauf der Handlung bleibt aber entscheidend, dass gerade über die Verschränkung der Motivationen zu diesem Kampf, die aus dem mythischen Brauch der Hirschjagd resultierende Rache wie die im Rahmen des höfischen Brauchs zu bestätigende Schönheit Enites, das Paar zum eigentlichen Minnepaar erst werden lässt, insofern „Minne als soziale Interaktionsform im ‚Erec‘ […] im Unterschied zur Ehe geprägt [ist] durch Kampf auf der einen, Schönheit auf der anderen Seite“.121 So nehmen Erec und Enite Abschied von Tulmein und kommen auf ihrem Weg nach Karadigan zunächst wieder ûf die heide (V. 1485). Dort wehselten si vil dicke | die vriuntlîchen blicke (V. 1490 f.). Gegenseitig empfinden sie mehr und mehr Zuneigung füreinander, ir herze wart der minne vol: | si gevielen beide ein ander wol | und ie baz unde baz (V. 1492–1494).122 Hier folgt „von selbst und zwangsläufig die entsprechende persönlich-emotionale Bindung“ nach den objektiven Bestätigungen von Tapferkeit und Schönheit.123 Dabei avanciert die Heide, der Ort der anfänglichen Vereinzelung Erecs, zum Schauplatz der Vereinigung. So ist auch über die Topographie ein deutliches Zeichen dafür gesetzt, dass nach den Ereignissen in Tulmein auch die Handlung der Zwergenbeleidigung zum Ende gekommen ist und einzig noch die Hirschjagd abgeschlossen werden muss. gang des Kampfs in Tulmein von Iders, womit ihre Sorge gegenstandslos wäre. Scholz bezieht sich überraschend auf Ruh, der allerdings seinerseits hervorhebt, dass der Leser/Hörer des Romans „sich mit der Finalmotivation“ begnügen könne; Ruh, Höfische Epik, S. 122. 120 Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 15. 121 Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 169. 122 Bei Chrétien küssen sie sich hier zum ersten Mal (V. 1468). Wie Ruh, Höfische Epik, S. 125, schon angemerkt hat, bleibt bei Hartmann der erste Kuss dem König vorbehalten. Für Scholz, Stellenkommentar, S. 675, ist dagegen „in Hartmanns planvollem Aufbau der Liebesbeziehung die Zeit für einen Kuß noch nicht reif“. 123 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 181.
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Erec und Enite kommen nach Karadigan, wo sie mit allen Ehren empfangen werden, als man lieben vriunt sol (V. 1521). Artus und seine Ritter reiten ihrem Helden entgegen, daz si’n emphiengen alle | mit ritterlîchem schalle (V. 1518 f.). Auch die Königin kommt über den Hof und zeigt sich erfreut über den Ausgang von Erecs âventiure: si hiez in willekomen sîn: sîner âventiure was si vrô. vrouwen Ênîten nam si dô, si sprach: ‚vrou maget wol getân, dirre kleider sult ir wandel hân.‘ (V. 1527–1531)
Diese Szene des Willkommenheißens durch die Königin mag zunächst etwas merkwürdig erscheinen, doch merkwürdig ist sie nicht wegen des seltsamen Verhaltens der Königin. Würdig bemerkt zu werden ist diese Szene aufgrund ihrer Bedeutung. Die ersten Worte Ginovers zu Enite, die noch kurz zuvor in Tulmein den Schönheitspreis errungen hat, fordern diese auf, sich umzuziehen. Die Königin führt sie hierzu in eines ihrer Gemächer. Enite nimmt ein Bad und wird mit kostbarsten Gewändern eingekleidet, mit Gewändern ausdrücklich nâch kerlingischen siten (V. 1547). Die gesamte Beschreibung dieser höfischen Kleider erstreckt sich dabei über annähernd 40 Verse (V. 1540– 1577) und mündet in der allegorischen Schilderung von vrouwe Armuot, die aus ihrem Haus weichen muss, um der Rîcheit Platz zu machen (V. 1579–1585). Ein Bescheidenheitstopos des Erzählers bezüglich seines Unvermögens einer angemessenen Darstellung folgt (V. 1590–1605),124 und erst ein Verweis auf die Meinung der Anwesenden schließt die ganze Passage ab: sô was ûzer strîte: ez was vrouwe Ênîte diu aller schœniste maget, diu ie, sô man saget, in des küneges hof kam. (V. 1607–1610)
Die Bedeutung dieser Umkleideszene am Artushof zeigt sich nicht nur in ihrem Umfang von insgesamt nahezu 80 Versen, sondern ist überdies an der Fülle höfischer Prachtentfaltung mit auffallend artifizieller Darstellung durch den Erzähler in ihrer Prägnanz zu erkennen.125 Dem Höfischen des Erzählten eignet hier eine Darstellungsweise, die sich nicht nur genuin literarischer Mittel, hier der Allegorie, bedient, sondern das Erzählen selbst in Reflexion bringt. Höfisch Erzähltes verbindet sich eindrucksvoll mit literarischem Erzählen.126 Doch ist damit die Bedeutung dieses Motivs des Umkleidens in seiner Funktion innerhalb der Erzählung noch nicht erfasst. 124
Zum Bescheidenheitstopos allgemein Curtius, Europäische Literatur, S. 93–95. Vgl. Mertens, Kommentar, S. 640: „Die Allegorie als anspruchsvolle Darstellungsform unterstreicht die Wichtigkeit des Vorgangs, die in der höchstmöglichen Repräsentativität der Szene liegt.“ 126 Ein noch deutlicheres Beispiel ist die Personifikation der vrouwe Melde, die die schlafenden Ritter während des Hochzeitsturniers weckt. Hierauf wird in Kapitel 4.1.4 noch eigens eingegangen. 125
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Schon zuvor gab es bedeutende Momente. So wollte Herzog Imain seine Nichte Enite für den Wettkampf vazzen baz, doch Êrec der widerredete daz (V. 640 f.). Erec gibt hierfür die eindrucksvolle Begründung, man solle eine Frau kiesen bî dem lîbe, | ob si ze lobe stât, | unde niht bî der wât (V. 647–649). Und auch nach dem gewonnenen Kampf möchte Imain Enite für die Reise an den Artushof vazzen baz, doch Êrec der widerredete daz (V. 1408 f.). Jetzt gibt er allerdings keine weitere Begründung mehr. Wiederholt lehnt Erec somit gegenüber dem Herzog von Tulmein ab, Enite neu einzukleiden.127 Die erste Ablehnung lässt sich als folgerichtig verstehen, da im Vorfeld des Wettkampfs die gestörte Ordnung der Repräsentation auch in der Beschreibung Enites, im Bruch von innerer Ordnung und äußerer Erscheinung, adäquat ihren Ausdruck gefunden hat.128 Die zweite Ablehnung allerdings erfolgt nach der Wiederherstellung der Ordnung, die auch den Status Enites korrigiert. Eine neue Einkleidung wäre also hier bereits zu erwarten. Die fehlende Motivation der ablehnenden Haltung Erecs ist entsprechend auch nicht in einer Begründung aufgehoben.129 Das Umkleiden Enites ist daher offensichtlich allein von hinten motiviert.130 Erst die Königin soll Enite diese Art der Auszeichnung geben, die somit am Artushof als dem Zentrum des Romans erst ihre Legitimation erhält. Ein Blick auf Chrétien kann dies verdeutlichen. Auch hier ist von der wiederholten Ablehnung durch Erec die Rede, die aber beide Male erst nach dem Ende des Kampfs erfolgt. Und beide Male begründet er hier seine Ablehnung explizit damit, dass erst die Königin Enide neue Kleider geben solle (V. 1331–1336 u. 1356– 1358). Chrétien verweist also schon frühzeitig auf die spätere Handlung und macht so auf die finale Motivation aufmerksam. Hartmann dagegen erreicht mit der anfänglich vor dem Kampf gegebenen Begründung zunächst die Analogie zur Situation am Hof von Tulmein und trägt schließlich mit dem Ausbleiben einer späteren Begründung der finalen Motivation Rechnung, indem er die bei Chrétien nur unzureichend motivierte Begründung zu umgehen versucht. Die finale Motivation aber zeigt, wie die gesamte Handlung in Tulmein, vor und nach dem Sperberwettkampf, in die ihr zugrunde liegende Handlung der Hirschjagd 127
Peil, Beobachtungen zur Kleidung, S. 138, sieht in der Wiederholung in Anlehnung an die von Kuhn bekannte Formulierung einen „epischen Doppelpunkt“, der „die Aufmerksamkeit des Publikums auf Motiv- oder Episodenwiederholungen lenken soll“. 128 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.1.2, ferner die verschiedenen Deutungsansätze der Forschung zusammenfassend Scholz, Stellenkommentar, S. 650–652, für den die Weigerung überdies „genügend motiviert ist“; ebd., S. 671. 129 Für Scholz ist eine Begründung auch nicht nötig, da Erec sie ja zuvor schon gegeben hat; vgl. ebd., S. 672. Scholz berücksichtigt jedoch nicht den entscheidenden Unterschied, der durch die jeweilige Position vor und nach der Wiederherstellung der Ordnung gegeben ist. Die anfängliche Begründung ergibt nach dem Kampf keinen Sinn mehr. Der Deutungsversuch von Raudszus, Zeichensprache der Kleidung, S. 82, nach der hier „eine offenbare Kritik des Dichters am Kleiderkult der höfischen Gesellschaft“ zum Ausdruck komme, überzeugt nicht, zumal am Artushof ein solcher „Kleiderkult“ noch betrieben wird. 130 Vgl. auch Mertens, Kommentar, S. 634.
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eingebunden ist.131 Enite ist als neue Dame an den Artushof zu führen, wie es das Grundmuster der mythischen Hirschjagd vorgibt. Erst die Erfüllung dieser mythischen Ordnungsregel, die als reht nach der gewonheit dem Erzählten zuzuordnen ist, woran sich ein auch mythosanaloges Erzählen anschließt, lässt die Handlung zu einem Abschluss finden. Mythisches der Hirschjagd und Höfisches des Sperberpreises verschränken sich hier auf eine Weise, wie sie zunächst in doppelter Hinsicht die Zuordnung von tapferstem Held und schönster Frau zur Darstellung bringen. Erst über diese Zuordnung aber ist dann auch das anfängliche Problem gelöst, das in der beschriebenen Ambivalenz der Hirschjagd seinen Ausgang hatte. Der mythische Brauch der Hirschjagd, der zugleich ordnungsstörend und Ordnung herstellend die Artusgesellschaft herausfordert und letztlich konstituiert, kann erst über die Erlangung einer Frau beendet werden. Somit sind hier offensichtlich „zwei Erzählmotive miteinander kombiniert, um die These zu bekräftigen, daß der tapferste Ritter und die schönste Frau zusammengehören, Waffentat und Liebe in Harmonie sein sollen“.132 Volker Mertens konstatiert jedoch eine „Hierarchisierung der beiden Motive […]: mit dem mythischen der Jagd auf das anderweltliche Tier kann das Problem nicht gelöst werden, wohl aber mit dem ritterlichen des offenen Zweikampfes: das bedeutet Ablösung des mythischen Deutungsmusters durch das feudal-hierarchische“.133 Eine Hierarchisierung aber ist nicht auszumachen, ebenso wenig eine Ablösung des einen Deutungsmusters durch das andere. Durch die mythische Hirschjagd wird die Handlung erst in Gang gebracht. Im weiteren Rahmen der Jagd kommt Erec auf die Heide, wo ihm mit dem Geißelstreich des Zwergs vor den Augen der Königin die öffentliche Schande widerfährt. In Tulmein kann er hierfür Rache nehmen und sich in seiner Tapferkeit und Stärke beweisen. Überdies stellt er die Ordnung des Hofs wieder her und gewinnt Enite zur Braut, deren Schönheit vor aller Augen bestätigt ist. Deutlich ist hier das Mythische Voraussetzung für das Höfische. Und entsprechend ist das Höfische seinerseits Voraussetzung für das Mythische. Erst mit Enite kann der mythische Brauch der Hirschjagd beendet werden: So führt Ginover die höfisch neu eingekleidete Enite vriuntlîchen bî ir hant (V. 1612) und tritt mit ihr vor die Tafelrunde, deren Mitglieder in einem langen Na131
Mit der finalen Motivation und Integration einzelner Handlungsabschnitte in die zugrunde liegende Erzählung ist dann auch die „Konstruiertheit des Erzählens“ gleichsam zu erkennen. Am Beispiel des König Rother führt Christian Kiening einen vergleichbaren Sachverhalt aus: „In dem Maße, in dem kompositorische und finale Motivationen in ihrem Verhältnis in den Blick kommen, erzählerische Alternativen auftauchen und einzelne Figuren die Schemalogik in Dienst nehmen, tritt auch der Bausteincharakter der narrativen Einheit an die Oberfläche.“ Kiening, Arbeit am Muster, S. 137. Alternative wie Indienstnahme sind mit der Möglichkeit einer Einkleidung Enites und der Ablehnung durch Erec offensichtlich gegeben. Am Erec hat Annette Gerok-Reiter in Anlehnung an Lugowski diese finale Motivation im ersten Handlungszyklus nachgezeichnet, die sich über die Motivklammer der Hirschjagd, ergänzt durch eine Klammer zeitlicher Angaben, darstellt; vgl. Gerok-Reiter, Erec, S. 138–143. 132 Mertens, Artusroman, S. 31. 133 Ebd.
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menkatalog vorgestellt werden (V. 1629–1697).134 Alle sind sich einig, dâ enwas dehein man, | er’n begunde ir vür die schœnsten jehen, | die er hæte gesehen (V. 1741– 1743). Auch Artus nimmt sie bî der hant (V. 1745) und weist ihr ihren Platz zwischen sich und der Königin zu: Im Zentrum des Hofs enwart niht dâ wider gestriten, | si enwære diu schœniste dâ | und über die werlt ouch anderswâ (V. 1763–1765). Gemäß dem Brauch der Hirschjagd macht Artus von seinem Recht gebrauch, küsst Enite (V. 1793 f.), und am ganzen Hof herrschen Freude und Harmonie (V. 1797 f.).135 Mit diesem Kuss erfährt Enite die erneute Bestätigung ihrer Schönheit. Und nach ihrem vollendeten Auftritt in kostbarsten Gewändern ist es nunmehr „keine Frage, daß ihr mit dem Kuß des Königs auch dieser (zweite) Schönheitspreis zufallen muß“.136 Konnte der gegen Iders siegreiche Erec ihr mit der Übergabe des Sperbers in Tulmein den ersten Preis zusprechen, so ist es jetzt Artus, der den weißen Hirsch gefangen hat und dem nun das Recht des Kusses zukommt. Das mythische Schema der Hirschjagd ist hierdurch gewahrt und erfüllt, und auch die Ordnung des Hofs ist erneut hergestellt. Die Harmonie am Artushof basiert somit auf der Verschränkung von Höfischem mit Mythischem, die von einer Gleichwertigkeit geprägt ist, von gegenseitiger Abhängigkeit und wechselseitiger Bedingung. Diese Verschränkung zeigt sich auf der Ebene des Erzählten, wie dann auch die Erzählung insgesamt von einer Überblendung zweier Erzählschemata bestimmt ist, die diese Harmonie auf der Ebene des Erzählens umsetzt: Die Harmonisierung der Verhältnisse erfolgt über die Einhaltung mythischer wie höfischer Ordnungsregeln. Im Rahmen des mythischen Brauchs der Hirschjagd kommt Erec nach Tulmein, wo er am Sperberwettkampf teilnehmen und die höfische Ordnung als ein ausgeglichenes Verhältnis der Repräsentation von innerer Ordnung und äußerer Erscheinung wieder herstellen kann. Die so auch in ihrer Schönheit bestätigte Enite führt Erec als Minnepartnerin mit an den Artushof, wo erst jetzt der mythische Brauch zum Abschluss kommen kann. Die Harmonie am Artushof gründet somit auf verschiedenen im Text erzählten Ordnungsregeln. In der doppelten Auszeichnung Enites vor der Tafelrunde kommt daher Mythisches wie Höfisches in gleicher Weise zur Darstellung. Die Einkleidung Enites mit höfischen Kleidern durch die Königin verweist als Akt der Repräsentation nicht nur auf die korrigierten Verhältnisse in Tulmein, sondern gleichfalls auf das höfische Gefüge am Artushof. Der darauf folgende Kuss durch den König vergegenwärtigt dagegen als ritueller Akt dessen mythische Ordnung. 134
Namenkataloge finden sich häufig in mythischen Erzählungen als Mittel der Beglaubigung; vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 47. Beispiele kymrischer Texte sind etwa Pa gur oder Culhwch ac Olwen; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 69–76 u. 114 f. mit 123–136; ferner Roberts, Culhwch ac Olwen, S. 79; zu den genannten Texten siehe die Ausführungen in Kapitel 2.1.1. 135 Dieses Bild vollendeter Harmonie im Zentrum des Hofs erscheint so nur bei Hartmann. Bei Chrétien – hierauf wurde bereits in Kapitel 4.1.1 eingegangen – muss Artus jetzt noch in einer ausschweifenden Rede um die Zustimmung seiner Ritter werben; vgl. zu dieser Szene ausführlich auch Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 5–9. 136 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 182.
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Mit der mythopoetischen Erzählung von der Hirschjagd geht eine mythosanaloge Erzählweise finaler Motivation einher. Dass die finale Motivation der gesamten Handlung unterlegt ist, verdeutlicht nicht nur die Bitte der Königin um den Kussaufschub, sondern ebenso die wiederholte Ablehnung Erecs, Enite neu einzukleiden. In diese Finalität ist jedoch eine innere Handlung eingelagert, die über Heide und Herberge kausal motiviert nach Tulmein führt. Im Zentrum der Erzählung erfolgt dabei eine Verschränkung der kausalen Motivationen, die aus den gegensätzlich gestalteten und jeweils Hirschjagd und Sperberpreis zuzuordnenden Episoden resultieren. Ist der Kampf zunächst notwendiger Zielpunkt dieser kausalen Motivation, ist er dann Ausgangspunkt für die weitere final motivierte Handlung vom Kampf in Tulmein zurück zum Kuss am Artushof. Der Artushof erweist sich so als Ausgangspunkt wie Endpunkt der Erzählung, und Kuss und Kleider schließen diese ab. Bezeichnenderweise ist die beschriebene Ereignisfolge von Heide über Herberge nach Tulmein und den umgekehrten Weg zurück an den Artushof im Text als Aventiure bezeichnet. Nimmt Erec die Verfolgung Iders auf der Heide auf, sodass er im durch sîn leit | ûf âventiure nâch reit (V. 220 f.), so freut sich entsprechend die Königin bei seiner Rückkehr über den glücklichen Ausgang sîner âventiure (V. 1528). Ausgangs- wie Endpunkt der erzählten Aventiure, wie sie hier im Text markiert sind, stecken zugleich aber die innere Handlung ab, die – dies gilt es nachhaltig zu betonen – offensichtlich kausal motiviert ist. Gegenüber Koralus macht dies Erec wiederholt deutlich: ûf selher âventiure wân, | als ich nû gesaget hân, | sô bin ich im her nâch geriten (V. 492–494). Mireille Schnyder ist umfassend auf den Begriff der Aventiure eingegangen. Diese sei „in erster Linie und von Anfang an in der deutschen Literatur des Mittelalters die sinnstiftende Geschichte, die das Geschick des Einzelnen durch die Artifizialität der Nacherzählung konstituiert“.137 Als ein literarisches Erzählmodell der Sinngebung für die Welt ist „âventiure immer Instandstellung eines aus der Ordnung geratenen Geschehens und die Wiederherstellung der Welt“; und erst die „âventiure-Erzählung am Hof von Artus rückt die aus den Fugen geratene Welt wieder zurecht“.138 So gesehen ist Aventiure durch die retrospektive Erzählung des Geschehens konstituiert, die diesem einen Sinn zuweist.139 Erecs hier erzählte Aventiure stellt somit die höfische Ordnung wieder her und folgt entsprechend dem literarischen Erzählschema. Doch mit diesem ist die Handlung noch nicht an ein Ende gekommen. Erst die Hirschjagd gibt dem Ganzen einen Rahmen, in den die Aventiure Erecs eingelagert, dem vorgegebenen Schema der Hirschjagd aber
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Schnyder, Sieben Thesen, S. 369. Ebd., S. 370: „Es muss erzählt werden, was geschehen ist, um das Geschehene in die Macht- und Kulturordnung des Hofes einzugliedern, aber auch, um die von Gott gegebene âventiure, als Geschick und Geschichte, offenbar zu machen.“ 139 Vgl. ebd., S. 370 f. Mertens, Aventiure, S. 187, definiert die Aventiure entsprechend als „das strukturbildende Bauelement des Artusromans“. 138
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nicht untergeordnet ist.140 Die erzählte Aventiure ist somit aufgehoben im mythosanalogen Erzählen der Hirschjagd, Mythisches und Literarisches erscheinen für die Harmonisierung des Erzählten notwendig in Überblendung. Der Roman erweist sich hier als hybrid. Als hybride Konstruktion benennt Michail Bachtin eine Äußerung, „die ihren […] kompositorischen Merkmalen nach zu einem einzigen Sprecher gehört, in der sich in Wirklichkeit aber zwei Äußerungen, zwei Redeweisen […], zwei Horizonte von Sinn und Wertung vermischen“.141 Die im Erzählten ausgeführten unterschiedlichen Ordnungsgefüge korrespondieren mit jeweils unterschiedlichen Erzählweisen, die Harmonisierung des Erzählten bedingt daher notwendigerweise die Hybridität der Erzählung. Der am und für den Artushof erreichte Status wird im Weiteren nun bestätigt und im spannungsreichen Verhältnis von Mythischem und Höfischem zur Darstellung gebracht. Die Ereignisse von der Annäherung Erecs und Enites über die Hochzeitsfeierlichkeiten und das anschließende Turnier bis zur Krise in Karnant werden dabei in einer wiederholten Rahmung präsentiert, der bezeichnenderweise eine Entwicklung vom ungemach zum gemache eingeschrieben ist.
4.1.4 Vom ungemach zum gemache Der Erzähler setzt nach Abschluss der Feierlichkeiten am Artushof mit seiner Erzählung neu ein: nû grîfen wider an die vart, | dâ von der rede begunnen wart (V. 1838 f.). In den folgenden Versen schildert er das zunehmende Begehren, das Erec und Enite füreinander empfinden. Enite erstrahlt als ein engel (V. 1843) und erscheint Erec in all ihrer schœne und ouch mit güete, | daz Êreckes gemüete | vil herzenlîche nâch ir ranc (V. 1844–1846). Beide empfinden mehr und mehr Zuneigung füreinander und können kaum die Nacht abwarten, in der sie beieinander liegen werden. Der Erzähler liefert die Begründung: zewâre ich iu daz sagen wil, dâ was der Minnen gewin: diu Minne rîchsete under in und vuocte in grôzen ungemach. (V. 1857–1860)
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Für Joachim Bumke steht bei Chrétien „die Jagd auf den weißen Hirsch im Mittelpunkt des ersten Abschnitts. Das eingelegte Sperber-Abenteuer und die Werbung um Enide haben, so gesehen, in erster Linie die Funktion, den glücklichen Abschluß der Hirschjagd herbeizuführen.“ Hartmann habe dann die Gewichte anders verteilt: „Die Jagd auf den weißen Hirsch bildet im deutschen Text eher einen lockeren Rahmen; im Mittelpunkt steht die Handlung um Erec.“ Bumke, Erec, S. 29. Dass es bei Hartmann aber sowohl um die Hirschjagd als auch um die Initiation des Helden in gleicher Weise geht, konnte in der Verschränkung beider Erzählungen deutlich werden. Der für Bumke nur lockere Rahmen der Hirschjagd ist daher entsprechend als Rahmen zu betonen, der als gleichwertig zum eingelegten Sperberabenteuer zu sehen ist. 141 Bachtin, Ästhetik des Wortes, S. 195.
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Die personifizierte Minne tritt zwischen sie und lässt ihr sexuelles Begehren wachsen, sodass ez gerten ir sinne | anderre minne (V. 1876 f.).142 Um dieses quälende Begehren noch anschaulicher zu machen, wählt der Erzähler einen Vergleich mit einem Habicht, dem seine Beute vor Augen ist, die er aber nicht erreichen kann (V. 1861–1871). Insgesamt fallen hier Veränderungen auf, die Hartmann gegenüber seiner Vorlage vorgenommen hat. Ist bei ihm vom Habicht die Rede, so erfolgt bei Chrétien der Vergleich mit einem hungrigen Sperber. Überdies ist dort das Bild erweitert um einen nach Wasser dürstenden Hirsch (V. 2027–2034). Chrétien erreicht mit diesem doppelten Vergleich einen offensichtlichen Bezug zur bisherigen Handlung, indem er über Hirsch und Sperber daran erinnert. Die Vereinigung erweist sich so als Folge der vorangegangenen Erzählung und ist als punktueller Rückbezug auf das bisher Erzählte zu bewerten. Diese Funktion deckt sich mit der strukturellen Position bei Chrétien. Der Vergleich findet sich dort nach der Hochzeit in der Hochzeitsnacht, in der es tatsächlich auch zum Vollzug der Ehe kommt. Die an dieser Stelle über Hirsch und Sperber aufgerufenen Ereignisse erfahren hierdurch eine nachträgliche Legitimation.143 Indem Hartmann aber lediglich das Bild des Habichts bemüht,144 übergeht er diese Möglichkeit des Rückbezugs.145 Überdies erfolgt der Vergleich bereits vor der Hochzeit Erecs und Enites und bringt die Qual des Wartens zum Ausdruck. Die ganze Passage ist somit insgesamt anders als bei Chrétien zu bewerten. Über die inhaltliche Änderung und strukturelle Umstellung ist sie als Signal für Kommendes zu sehen, was sich in der ihr unterlegten Semantik auch deutlich zu erkennen gibt. Ist die Situation des sexuellen Begehrens bei noch andauernder Geschiedenheit des Paares eindeutig als eine Situation im Zeichen des ungemach (V. 1860) beschrieben, richtet sich die Spannung entsprechend auf die zu erwartende Vereinigung, auf die am Ende des Abschnitts dann auch explizit angespielt wird: untiurre gerten si des niht | des si doch gewunnen sît (V. 1885 f.). Der Bezug zur bedeutungsvollen Szene in Karnant liegt auf der Hand.146 Dort heißt es gleich zu Beginn: Sobald Erec 142
Dass die Minne auch die sexuelle Vereinigung zum Ziel hat, merkt Kuhn, Erec, S. 37, Anm. 52, an: „Immer ist das Sinnliche der Liebe ganz ungebrochen Sinn und Ziel der Minne.“ 143 Eine Art Weihe mag noch durch das hier zitierte Bild des nach Wasser dürstenden Hirschs aufgerufen sein, das unverkennbar auf Psalm 42,2 beruht. 144 Die anscheinende Reduktion auf nur einen Raubvogel mag dadurch aufgehoben sein, dass Hartmann einen Habicht nennt, der auch in verschiedenen mittelalterlichen Traktaten zur Vogeljagd als besonders begieriger Vogel beschrieben wird. So bringt für Lewis, Das Tier, S. 36 f., der Vergleich mit einem Habicht die Sehnsucht in der Liebe entsprechend deutlicher zum Ausdruck; vgl. auch Mertens, Kommentar, S. 645; Weick, Ornithologisches, S. 93; Franz, Wahre Wunder, S. 155145 Letztlich bleiben den Erzählungen von Hirschjagd und Sperberpreis ihre oben geschilderten mythischen wie höfischen Ausprägungen gewahrt; vgl. auch Wilson, Epic and Symbolic Functions, S. 31: „The fact that Hartmann eliminates Chrétien’s comparison to the deer and intensifies the image of the starving hawk indicates that he wished to separate the white deer hunt and the sparrowhawk episode and emphasizes an essential difference between them.“ 146 Zur Diskussion um den Bezug zu Karnant vgl. die einschlägige Forschung zusammenfassend Scholz, Stellenkommentar, S. 698–700. Scholz macht zu Recht darauf aufmerksam, dass ein ent-
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heim komen ist, dô kêrte er allen sînen list an vrouwen Ênîten minne. sich vlizzen sîne sinne, wie er alle sîne sache wante zuo gemache. (V. 2928–2933)
Wird die Situation am Artushof noch als ungemach empfunden, so die Situation am Hof von Karnant jetzt ausdrücklich als gemach. Nicht zuletzt ist über diese antithetische Schilderung, die sich bis in die sprachliche Formulierung hinein fortsetzt, ein Rahmen vorgegeben, der die Ereignisse vom Ende der Hirschjagd bis zur Krise in Karnant in einen Zusammenhang stellt und bereits einen Wandel andeutet. Die so vorgegebene Antithetik zeigt sich auch in der Verwendung mythischer und höfischer Motive im Erzählen von Hochzeit und Krönung, von Fest und Turnier: Die Hochzeit Erecs und Enites ist bei Hartmann wie auch bei Chrétien auffallend geprägt von einer überbordenden Aufnahme mythischer Figuren und Motive, die in die Schilderung des höfischen Festes eingebunden sind. Den Termin für die Hochzeit setzt Artus zu Pfingsten an (V. 1900 f.). Sie solle ze vreuden sînem lande (V. 1892) an seinem Hof gefeiert werden, wozu er Boten übers ganze Land ausschickt. So finden sich zahlreiche Gäste ein, die in einer langen Aufzählung vom Erzähler vorgestellt werden (V. 1902–2117): Es sind Herzöge und Grafen. Unter ihnen befindet sich namentlich Herr Maheloas von der gläsernen Insel (V. 1919 ff.).147 Gimoers, der Geliebte der Fee Marguel (V. 1934),148 ist ebenso anwesend wie sein Bruder Gresmurs Fine Posterne
scheidender Unterschied bereits darin besteht, dass die Beziehung anfangs ausdrücklich als wechselseitig beschrieben ist, wogegen sie in Karnant ausschließlich aus der Perspektive Erecs geschildert wird. Unzureichend erscheint Scholz die Antithetik von gemach und ungemach, weshalb er insgesamt eine vorausdeutende Lesart ablehnt; vgl. ebd., S. 699. Die aufgerufene Antithetik korrespondiert jedoch auffallend mit der veränderten Perspektive und verdeutlicht gerade die gewandelte Situation. Auf eine Wandlung ist dann entsprechend auch mehrfach im Text angespielt, worauf im Folgenden genauer eingegangen wird. 147 Ursprünge des Motivs der gläsernen Insel werden im walisischen Gedicht Preiddeu Annwn vermutet, das die „mythische Basis“ für die weit verbreitete Erzählung von der Entführung Ginovers durch Meleagant ist; Haug, „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“, S. 7; siehe hierzu und zu unterschiedlichen Namensformen des genannten Maheloas (bei Chrétien heißt er Moloas; 1896) die Ausführungen in Kapitel 2.1.1, dort mit weiterer Literatur. 148 Die Fee Marguel wird nur bei Hartmann genannt. Bei Chrétien wird an ihrer Stelle die Fee Morgain erwähnt (V. 1907). Hartmann mag den Namen geändert haben, da der Famurgan bei ihm eine gewichtigere Bedeutung als bei Chrétien zukommt und ihr Auftreten hier am Artushof nicht in diese Konzeption passt. Überdies ist Famurgan im Hartmann’schen Text bereits tot, wie es später (V. 5158) ausdrücklich heißt; vgl. Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 79 ff.; Wand-Wittkowski, Zauberin Feimurgan, S. 2, Anm. 4. Minis sieht dagegen die Gründe für den anderen Namen in Reimproblemen Hartmanns liegen und hält schlicht fest: „Er nahm aber einen Namen weniger wichtig als die Hartmannforscher es tun.“ Minis, Fâmurgân, S. 65. Auf die besondere Funktion der Famurgan ist an späterer Stelle noch ausführlich einzugehen; siehe Kapitel 4.2.3.
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von der Insel Avalon (V. 1928 ff.).149 Auch Könige befinden sich unter der Gesellschaft. Auf schwarzen Pferden reiten fünf junge Könige herbei, alle prächtig und gleich gekleidet, jeder mit einem Sperber auf dem Arm (V. 1950 ff.). Fünf alte Könige auf weißen Pferden begleiten sie, gesellet ritterlîchen (V. 1946), ebenfalls prächtig und gleich gekleidet, jeder von ihnen mit einem Habicht auf dem Arm (V. 1980 ff.). Der jüngste sei 140 Jahre alt, und alle tragen sie lange weiße Bärte (V. 2081 ff.).150 Schließlich kommen aus Antipodes noch der Zwergenkönig Bilei und sein Bruder, der Riese Brians,151 beide tapfer und reich, in Begleitung von zwei weiteren Zwergenkönigen (V. 2087 ff.). Allesamt empfängt nun König Artus ze Karadigân in sînem hûs (V. 2115). Am Tag der Hochzeit werden Erec und Enite schließlich getraut von eines bischoves hant | von Cantwarje ûz Engellant (V. 2124 f.). An der hier genannten Auswahl einzelner Gäste wird bereits deutlich, wie über die bloße Nennung von zum Teil über den Roman hinaus weit verbreiteten und bekannten mythischen Motiven und Figuren die Mythizität des Erzählten klar angezeigt ist. Wie zuvor bei der mythischen Hirschjagd erst über den höfischen Sperberwettkampf die Ordnung des Artushofs hergestellt werden konnte, so zeigt sich dieser nun gleichermaßen vom Mythischen und Höfischen durchdrungen.152 Nicht zuletzt der Segen des Bischofs macht hierauf abschließend aufmerksam. 149
Avalon wird auch bei Chrétien genannt (V. 1905) und gehört zum Kernbestand der Matière de Bretagne. Erste Erwähnungen finden sich in historiographischen Texten, in Geoffreys of Monmouth Historia Britonum und in Williams of Malmesbury Gesta regum Anglorum, worin überdies auf mündliche Erzählungen verwiesen wird. Über Waces Roman de Brut fand das Motiv Eingang in die Literatur. Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.1.1 und 2.1.2 mit Angabe der Forschungsliteratur. Gimoers wird bei Chrétien Guingamar genannt (V. 1904) und ist selbst Held eines anonym überlieferten Lais des späten 12. Jahrhunderts, in dem er bei der Jagd auf einen weißen Eber in eine Anderwelt zur geliebten Fee gerät; vgl. Gier, Anmerkungen, S. 402. 150 Hartmann hat die Beschreibungen der Könige gegenüber Chrétien (V. 1911–1940) sehr stark ausgeweitet wie auch das Motiv der höfischen Jagd; zu den Details im Überblick und mit weiterführender Literatur Scholz, Stellenkommentar, S. 703–709. Insgesamt fällt die höfische Ausstattung der Könige auf. Wilsons Versuch, sie in Bezug auf den Charakter Erecs allegorisch zu deuten, bleibt jedoch nicht überzeugend; vgl. Wilson, Epic and Symbolic Functions, S. 36 f. Zur Jagd siehe Weick, Ornithologisches; Lewis, Das Tier, S. 38–40. 151 Zu den mythischen Wurzeln Bileis, bei Chrétien Bilis genannt (V. 1942), Loomis, Arthurian Tradition, S. 142 f.; ferner Harward, Dwarfs of Arthurian Romance; zu den Antipoden im Kontext der Überlieferungen von Artus Loomis, König Arthur. 152 Die lange Liste der Gäste erinnert darüber hinaus an so genannte Namenkataloge, wie sie etwa aus keltischen Erzählungen bekannt sind und allgemein in mythischen Erzählungen der Beglaubigung dienen; vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 47: „Namenkataloge tragen das Stigma der Unerfindbarkeit, denn man glaubt, sofort zu bemerken, wenn schlecht erfunden worden wäre.“ Entsprechend auffallend häufen sich auch hier die vom Erzähler angeführten Wahrheitsbeteuerungen und Hinweise auf seine Vorlage, die letztlich aber auch die Distanz gegenüber dem Erzählten zum Ausdruck bringen. Ähnliches hat Stefan Zimmer für den langen Namenkatalog in Culhwch ac Olwen festgestellt: „Die humoristischen, bisweilen satirischen Züge […] sind gerade in der Liste und ihren vielen komischen, wohl vom Dichter frei erfundenen Namen, nicht zu übersehen. […] Daraus re-
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Und im Anschluss an die Hochzeit beginnt das große Fest, dô huop sich dâ ein hôchzît, | daz man ir vollen lop gît (V. 2126 f.). Es wird gespielt und gejagt, es gibt Essen bis spät in die Nacht mit Tanz und Musik, an alle werden Gold und Pferde als Geschenke vergeben. Das Fest erfreut den Hof und wird um weitere 14 Tage verlängert (V. 2214 f.), die Hochzeit wird so gewissermaßen doppelt gefeiert. Zweimal zwei Wochen sind es bei Hartmann, wogegen es bei Chrétien lediglich heißt, dass das Fest plus de quinze jorz dauert (V. 2066). Explizit wird also beim Fest für Erec und Enite im mittelhochdeutschen Roman der bisher erreichte Status in aller Prachtentfaltung doppelt gefeiert, wie auch schon zuvor der erreichte Status im Umkleiden und Küssen Enites doppelt bestätigt wurde. In Analogie ist auch das anschließende Turnier zu sehen, das der Erzähler in über 600 Versen beschreibt (V. 2222–2852). Wie Enite am Artushof ihre letzte Erhöhung erfahren hat, so kann dies spätestens auch jetzt für Erec geschehen.153 Das Turnier und seine lange Beschreibung haben daher „nicht nur dekorativen Wert, ihre strukturelle Funktion liegt darin, ein Verhalten zu betonen, das Erec einen geachteten Platz in der Gesellschaft erworben hat“.154 So verhält er sich zu Beginn noch in aller Bescheidenheit, denn er endûhte sich niht volkomen (V. 2388). Doch in erfolgreichen Kämpfen, die er mit von Gott verliehener sælde und grôze[r] werdekeit (V. 2438) siegreich bestehen kann, zeichnet er sich als bester Ritter aus, denn baz turnierte ritter nie (V. 2469). Am Ende sind sich alle einig, dass ihm der Preis zustehe (V. 2813).155 Das Turnier erschöpft sich jedoch nicht allein in seiner Funktion der Bestätigung von Erecs Qualitäten als vollkommener Ritter, sondern bringt die gleichfalls vollkommene sultiert ein buntes Gewebe von mythologischen und literarischen Anspielungen, Sprachspielen und chronologischen Unmöglichkeiten.“ Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 114. Barbara Haupt führt zur illustren Schar am Fest noch den Aspekt der Historizität an, da die Figuren im mittelalterlichen Weltverständnis „auch quasi historisch begriffen werden“ können; Haupt, Das Fest in der Dichtung, S. 145. Im Roman dient die Hochzeit nach Petra Giloy-Hirtz der „Selbstbespiegelung des Artushofes und der Demonstration seiner kosmopolitischen Verbindungen“; Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 171. 153 Vgl. Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 18: „Analog zu Enites Prüfung im Schönheitspreis [ihre Präsentation vor der Tafelrunde] stellt sich ihm [Erec] im Turnier die Aufgabe, die Werte der Artusgesellschaft repräsentativ zu verkörpern.“ Daher habe Hartmann auch diese Szene derart erweitert. „Das Turnier unterstreicht Erecs ritterliche Qualitäten in eindrucksvoller Weise.“ Ebd., S. 21. Zum Turnier als Ausdruck eines regelrechten Ritter- und Fürstenspiegels siehe Haupt, Das Fest in der Dichtung, S. 152–167; ausführlich Jackson, The tournament. 154 Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 182. 155 So folgt entsprechend auch ein Vergleich Erecs mit Salomon, Absalom, Samson und Alexander (V. 2816 ff.), womit „musterhaft Klugheit, Schönheit und Milte, das vollkommene Ethos eines Ritter-Königs“, aufgerufen werden; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 182. Eine Vorausdeutung auf die verligen-Szene sieht bereits hier Pickering: „The fall from grace is a concealed tertium comparationis in the likening of Erec to Solomon, Absalom, Samson, and Alexander, for Hartmann knows that after the tournament Erec will repair with Enite to Destregâles – and to bed!“ Pickering, The ‚fortune‘, S. 100.
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Beziehung des frisch vermählten Paares zum Ausdruck. Entsprechend erfolgt noch vor Erecs Aufbruch zu diesem Turnier eine bedeutungsvolle wandelunge: Als Erec wolde rîten und von vrouwen Ênîten dô begunde scheiden, von den gesellen beiden ein getriuwiu wandelunge ergie, unde sage iu rehte, wie: der vil getriuwe man, ir herze vuorte er mit im dan, daz sîn beleip dem wîbe versigelt in ir lîbe. (V. 2358–2367)
Am Höhepunkt der Feierlichkeiten ereignet sich bei Hartmann der Herzenstausch, der die Gegenseitigkeit des Ehepaares zur Darstellung bringt. Seine strukturelle Position ist dabei „nicht zufällig angesichts einer Situation, in der sich Erec als vollkommener Ritter präsentiert“.156 Bereits an seiner Rüstung für das Turnier wird seine Beziehung zu Enite deutlich. Als Minnepfand lässt er einen Ärmel157 auf seinem Schild befestigen (V. 2306), dessen Inneres das Bild einer Frau zeigt (V. 2313), und auf seinem prächtigen Helm leuchtet aus Gold gefertigt ein engel ûz einer krône (V. 2337).158 An Enites Reaktion auf die Erfolge ihres Mannes wird schließlich deutlich, wie auch sie in enger Hinwendung an ihn den Kämpfen beiwohnt. Sie empfindet zwar aus Angst um das Leben Erecs zunächst beide liep unde leit (V. 2831), doch kommt sie schnell mit sich darin überein, daz ir ze manne wære ein degen | lieber dan ein arger zage (V. 2847 f.). So ist sie sîner manheit | beide stolz und gemeit (V. 2850 f.). Die Bestätigung der Beziehung Erecs und Enites im höfischen Turnier159 erfolgt daher nur folgerichtig nach der getriuwiu wandelunge, da sie „das im Herzenstausch gründende eheliche Gegenseitigkeitsethos“ zum Ausdruck bringt, „dem in einem höfischen Umfeld die Integration ritterlicher Bewährung notwendig obliegt“. Damit antizipiere aber „die kontextuelle Situierung des Herzenstauschs“, so Bruno Quast weiter, den „entscheidenden Aspekt der Konfliktsituation in Karnant“.160 Diese Antizipation zeigt sich bis in die sprachliche Formulierung hinein angelegt. Ist hier noch von einer getriuwiu wandelunge die Rede, so heißt es später mit Blick auf Erec, dass ein wandelunge an im geschach (V. 2984). Ausdrücklich heißt es an entsprechender Stelle, dass sîn site er wandeln began (V. 2934), da er alle sîne sache | wante zuo gemache 156
Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 169. Zum Ärmel als Minnepfand siehe Brüggen, Kleidung und Mode, S. 132. 158 Erinnert sei daran, dass ihm Enite in ihrer Schönheit zuvor als ein engel (V. 1843) erschien. Zu Schild und Krone Erecs siehe ausführlich McDonald, The likeness of a lady, S. 406 u. 418; McDonald, The Crown Endures, S. 326. 159 Die Schilderung lässt das Turnier überaus höfisch erscheinen. Selbst Loomis kommt zu dem Ergebnis, dass hier keinerlei mythische Motive anklingen; vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 117. 160 Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 170. 157
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(V. 2932 f.). An zentraler Stelle des hier zu besprechenden Abschnitts, vom Abschluss der Hirschjagd bis zur Krise in Karnant, ist somit bereits ein Hinweis darauf gegeben, dass diese hier von Erec und Enite verkörperte höfische Idealität nicht von Dauer sein kann. Solange sie jedoch anhält, steht sie im offensichtlichen Kontrast zum Artushof, der selbst noch bei den Hochzeitsfeierlichkeiten in Durchdringung des Höfischen mit Mythischem dargestellt ist und nach der getriuwiu wandelunge des Paares in immer fragwürdigerem Licht erscheint: Am Morgen des zweiten Tages des Turniers hört Erec schon früh die Messe und besteht anschließend bereits die ersten Kämpfe – noch ohne Publikum (V. 2511 f.). Nur ein Knappe der vrouwe Melde (V. 2516) hat alles mit angesehen und möchte es Artus und seinen Rittern mitteilen, die er jedoch noch schlafend antrifft: er sprach: ‚wes liget ir hie? wer bejagete noch ie mit slâfe dehein êre? hiute hât Êrec sêre g’urbort sper unde swert. got gebe im heil, swenne er sîn gert. ich wil im immer guotes jehen: ich hân an im ersehen alsô manlîch getât, des er immer êre hât.‘ (V. 2526–2535)
An der Schelte des Boten zeigt sich ein offensichtlicher Kontrast von höfischer Idealität und Artusgesellschaft. Über diesen Kontrast erhöht sich zunächst die Vollkommenheit des Helden, dem über die Personifikation der öffentlichen Meinung nicht nur Gottes Beistand, sondern auch immerwährender Ruhm zugesprochen wird. Der Kontrast macht letztlich aber auch deutlich, wie Artus und seine Ritter gerade nicht in solch höfischer Verfassung erscheinen. Bezeichnenderweise wählt Hartmann hier das Mittel der Personifikation, um auf diesen Unterschied aufmerksam zu machen.161 Erzählte Personifikationen können zwar in entsprechender syntagmatischer Relation zu anderen Figuren oder Handlungsabläufen noch mythischem Denken nahe stehen, doch erschöpfen sie sich meist – wie auch hier – auf paradigmatischer Ebene des Textes in ihrer Funktion etwa der Mahnung zum korrekten Verhalten.162 So „haben sie sich, anders als genuin mythische Gestalten, schon weit davon entfernt […]. Sie sind Figuren der Heilssehnsucht und der Lebenskonzeption geworden, Figuren der Erkenntnis und Reflexion, und heben sich damit in verschiedenem Maße ab vom Bereich des Numinosen.“163 Als ein 161
Hartmann hat die Personifikation der vrouwe Melde eigenständig eingeführt und so erscheint auch nur bei ihm der Artushof in diesem negativen Licht. 162 Vgl. Kiening, Personifikation, S. 359. Entsprechend typisch tritt die Personifikation auch hier auf die noch schlafenden Ritter, wie sie allgemein meist in Träumen oder traumähnlichen Zuständen auf Figuren trifft; vgl. ebd., S. 360; zu verschiedenen Ansätzen der Personifikationsforschung ebd., S. 349–353; grundlegend auch Huber, Personifikation. 163 Kiening, Personifikation, S. 385.
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Phänomen des sprachlichen Nennaktes innerhalb einer erzählten Welt lässt die Personifikation überdies „in der Differenz von Name und fingierter Person die eigentümliche Gebrochenheit dieser Realität aufscheinen“164 und führt eine Bedeutungsebene ein, die als solche dem mythischen Denken fremd ist.165 Der Bote der vrouwe Melde, wie er hier in der Geschichte auftritt und zugleich über diese hinausweist, kann damit adäquat auf die auf Hybridisierungen basierende Harmonie am Artushof aufmerksam machen, während ein ausdrücklich als literarisch angezeigtes Erzählen sich auch als Mittel zur Distanzierung vom Mythischen in der Geschichte erweist. Nach der getriuwiu wandelunge des Paares wird somit aber offenbar, wie der erreichte Status Erecs und Enites über den der Artusgesellschaft hinausreicht, wenngleich er auf der am Hof erfolgten Harmonisierung höfischer und mythischer Ordnungsmuster beruht. Erst die spätere wandelunge wird auf dieses Missverhältnis in der Beziehung von Erec und Enite aufmerksam machen. Zuvor allerdings folgt noch die Heimkehr Erecs mit seiner angetrauten Frau nach Karnant, wo die höfische Idealität die gesamte Szene über gewahrt bleibt. Der Kontrast zum mythisch geprägten Artushof setzt sich somit noch bis in Erecs zukünftiges Herrschaftsgebiet hinein fort. Dies ist umso auffallender, zieht man die Vorlage von Chrétien zum Vergleich heran: Die äußere Handlung in Karnant bis zur entscheidenden Krise nimmt bei Hartmann kaum Platz in Anspruch. In gerade einmal 53 Versen (V. 2870–2923) nennt der Erzähler den Aufbruch in Karadigan, den Empfang in Karnant wie auch die Krönung Erecs und Enites durch König Lac. Und gerade diese bedeutungsreiche Szene ist in fünf Versen (V. 2919–2923) nur kurz erwähnt. Dass sie aber tatsächlich von großer Bedeutung ist, wird gerade auch daran ersichtlich, dass von ihr bei Chrétien mit keinem Wort die Rede ist. Dafür schildert der Erzähler dort umso ausführlicher die Feierlichkeiten der Ankunft in fast 190 Versen (V. 2243–2429): Die Beschreibung folgt einem auffallend durchkomponierten Muster und gibt eine regelrechte Inszenierung wieder.166 Dem Empfang in großer Öffentlichkeit schließt sich der Besuch im Münster von Carnant an, der nach frommem Brauch von einer Prozession begleitet wird. Ein Fest in wiederum großer Öffentlichkeit beendet den Tag und schließt den Rahmen. Den Ereignissen im Münster kommt durch die Struktur des Textes bereits eine hervorgehobene Stellung zu. Und hier zeigt sich erneut und auf engstem Raum Mythisches und Höfisches in Verschränkung: Am Altar opfert Erec ein Kreuz mit wundersam leuchtenden Steinen, in das eine Kreuzesreliquie eingefasst ist und das einst Kaiser Konstantin besessen habe. Enide stiftet ein von der Fee Morgain im Val Perilleus aus Seide von Almeria gefertigtes Gewand, das Artus’ Frau Guenièvre von Kaiser Gassa erworben habe und jetzt einem Priester als Messgewand diene. Was auf 164
Ebd., S. 354. Kiening nennt sie entsprechend ein „Phänomen der Einblendung und Überblendung von Bildhaftem im Diskurs der Rede“. 165 Siehe hierzu ausführlich Kapitel 3.2.1. 166 Vgl. zu dieser Szene bei Chrétien auch Wandhoff, Ekphrasis, S. 134–140.
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der Ebene des Erzählten in Verschränkung erscheint, setzt sich in die Erzählung hinein fort, wenn innerhalb der kunstvollen Struktur, die die Bedeutung der Szene unterstreicht, den Opfergaben eine umständliche und Bedeutsamkeit stiftende Aitiologie beigegeben wird.167 Als Opfergaben kommt den überreichten Objekten letztlich aber eine Symbolfunktion zu, die auf das Ordnungsgefüge des Hofs abhebt. Eindrucksvoller hätte auch bei Hartmann die zuvor noch am Artushof im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten auf inhaltlicher Ebene dargestellte Verschränkung von Mythischem und Höfischem nicht ausfallen können.168 Letztlich bleibt im mittelhochdeutschen Roman aber der entscheidende Unterschied von Artushof und Herrschaftsbereich Erecs gewahrt. Entsprechend der erreichten Harmonie des Ehepaares, die über die am Artushof erfolgte Harmonisierung mythischer und höfischer Ordnungsregeln hinausweist, zeigt sich auch der Hof von Karnant im Gegensatz zur Vorlage in seiner höfischen Ordnung, während dem Artushof bei Hartmann noch die Mahnung der vrouwe Melde zuteil werden muss.169 Und auf diesem Höhepunkt höfischer Vollkommenheit folgt bei Hartmann konsequent die Krönung Erecs und Enites.170 167
Ähnliches beschreibt Udo Friedrich für Schwert und Rüstung Eckes im Eckenlied, denen „als Produkt magischer Kunstfertigkeit“ ohnehin schon „mythische Qualität“ zuzusprechen sei, denen aber letztlich mythische Bedeutsamkeit über die Aitiologie zugeschrieben werde; vgl. Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 289 f. Die Herkunft der Gaben von Morgain verweist überdies auf die keltische Mythologie, in der kostbare Gegenstände häufig Attribut der Feen sind. Vgl. hierzu mit konkretem Bezug auf diese Szene bei Chrétien Wolfzettel, Fee, Sp. 949. 168 Die Münsterszene bei Chrétien ist jedoch nur im so genannten Guiot-Manuskript (Paris, Bibl. Nat., fr. 794) überliefert; vgl. die Ausgabe Chrétien de Troyes, Erec et Enide (Roques), S. 221; sowie Chrétien de Troyes, Erec und Enide (Kasten), S. 143 u. 145; ferner Wandhoff, Ekphrasis, S. 134, mit weiterer Literatur. Scholz, Stellenkommentar, S. 730, merkt lediglich an, dass Hartmann hier den Text „stark gekürzt“ habe. Die Frage, ob Hartmann diese Szene vielleicht nicht gekannt und sie deshalb nicht übernommen habe, muss letztlich offen bleiben, wenngleich Roques in seiner Ausgabe des Chrétien’schen Textes, S. LXIX, durchaus auch die Möglichkeit in Erwägung zieht, „qu’il peut aussi bien provenir d’une addition originale de Chrétien à un premier texte“, und auch Wandhoff, Ekphrasis, S. 134, betont, dass „es nach wie vor keine stichhaltigen Argumente gegen ihre Authentizität gibt“. 169 Folglich kann hier die Auffassung nicht geteilt werden, dass die Rückkehr nach Karnant als „eine natürliche Fortsetzung der Feste am Artushof“ anzusehen sei; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 182; vgl. schon Ruh, Höfische Epik, S. 116. 170 Ruberg hat sich intensiv mit der Krönung auseinandergesetzt und kommt an dieser Stelle zu dem Schluss, es könne „nicht zweifelhaft sein, daß es Hartmann auf die de facto schon vollzogene Übertragung von Herrscherpflichten ankam. Von daher fällt deutlicheres Licht auf die Art der Krise des jungen Paares in Karnant, sein Versagen erstreckt sich […] auch auf die herrscherlichen Qualitäten.“ Ruberg, Königskrönung, S. 75. Vgl. auch Bussmann, Sprache, Identität und Rang, S. 6 f.: In der Herrschaftsübergabe bei Hartmann liege eine Notwendigkeit, um die spätere Krise zu einem öffentlichen Problem zu machen. Überdies weist sie hier auf den „größtmöglichen Kontrast zum idealen Herrscherpaar des Textes“ hin, als das sie Artus und Ginover sieht. Dies werde schon daran deutlich, dass Hartmann nicht vom zweifelhaften Entschluss zur Hirschjagd schreibe, kein Streit am Artushof drohe und Artus sich nicht auf seine Königsmacht berufen müsse. Ebd., S. 10. Bussmann hat dabei aber nicht berücksichtigt, dass Hartmanns Roman fragmentarisch ist, ein Streit
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Die Ereignisse vom Abschluss der Hirschjagd bis zur Etablierung Erecs und Enites als zukünftige Herrscher werden insgesamt in einer Rahmenstruktur präsentiert: Beginnt die Erzählung im ungemach des Begehrens am Artushof, endet sie im gemache wechselseitiger Hingabe in Karnant. Der Segen des Bischofs bei der Hochzeit korrespondiert mit dem Segen des Vaters bei der Krönung,171 wie das ausschweifende Fest den Erfolgen Erecs beim Turnier gegenübersteht. Im Zentrum der Erzählung erfolgt schließlich bei Hartmann an nahezu exakt zentraler Position172 der Herzenstausch, der die Wechselseitigkeit des Paares zur Darstellung bringt. Diese Rahmenstruktur greift somit das Prinzip der Rahmung der vorausgegangenen Erzählung von Hirschjagd und Sperberpreis wieder auf und mag schon auf struktureller Ebene die erreichte Harmonie bestätigen, die auf der Ebene des Erzählten in der Hochzeit Erecs und Enites am Artushof ihren Ausdruck findet. Der Artushof erscheint auch hier konsequent in seiner konstitutiven Verschränkung von Höfischem und Mythischem, wie sie die vorangegangene Erzählung insgesamt bestimmt, die nicht zuletzt über die Hybridisierung divergierender Erzählmuster die Zusammenführung des Paares erst ermöglicht. Der gesamten Struktur ist dabei eine Entwicklung unterlegt, die sich gleichfalls als Harmonisierung beschreiben lässt. Die Erwähnungen des anfänglichen ungemach und des späteren gemache zeigen daher nicht nur die Rahmenstruktur an, sondern verweisen gleichfalls auf die veränderte Situation des jetzt vermählten Paares. Am Höhepunkt der Hochzeitsfeierlichkeiten erfolgt bei Hartmann dann auch an strukturell hervorgehobener Position mit der getriuwiu wandelunge eine Überhöhung des Paares. Die im unmittelbaren Anschluss daran geschilderte höfische Idealität Erecs und Enites steht in auffallendem Kontrast zur negativ gezeichneten Artusgesellschaft. Hartmann bedient sich zur Darstellung dieses Kontrasts nicht nur der Personifikation, die nicht zuletzt auch auf der Ebene des Erzählens eine Distanzierung vom Erzählten zum Ausdruck bringt, sondern er grenzt zudem noch den künftigen Herrschaftsbereich Erecs deutlich vom Artushof ab. Indem er eine der beeindruckendsten Szenen bei Chrétien gerade nicht übernimmt, ist für Karnant – im Gegensatz zum Artushof – eine entsprechende Verschränkung höfischer und mythischer Motive in der Darstellung nicht auszumachen. Hartmann entwirft hier ein Ideal, das erst in doppelter Distanzierung vom Mythischen zur Anschauung kommen kann. Damit ist Mythisches aber noch notwendige Voraussetzung wie notwendiger Bestandteil der Erzählung und so erweist sich der Roman nicht nur auf der Ebene des Erzählten, sondern auch auf der Ebene des Erzählens als vom Mythischen entsprechend bestimmt. Ist Erecs Aventiure des ersten Handlungszyklus in gleicher Weise geprägt vom mythopoetischen wie mythosanalogen Erzählen, durchaus droht und vor allem: Der schlafende Artus beim Turnier entspricht entschieden nicht den Vorstellungen der öffentlichen Meinung, wie sie aber von Erec verkörpert werden. 171 Die entsprechende Korrespondenz von Hochzeit und Münster ist bei Chrétien zudem in der Verwendung mythischer Motive zu erkennen, die hier wie dort im sakralen Akt von Bedeutung sind. 172 Der Erzählung vom ungemach (V. 1860) zur getriuwiu wandelunge (V. 2362) über 502 Verse stehen 571 Verse von diesem bis zum gemache (V. 2933) gegenüber.
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ist dieses im Folgenden auch entlang der zweiten Aventiure Erecs in seiner Wirkung und Funktion zu untersuchen.
4.2 Kontrastierung und Progression In den Erzählungen von Hirschjagd und Sperberpreis erfolgt in paralleler Gestaltung mythischer wie höfischer Ordnungsregeln die doppelte Zuordnung von tapferstem Held und schönster Frau, an die sich in bleibender Verschränkung von Mythischem und Höfischem die Zusammenführung des Paares am Artushof anschließt. In Überblendung einer doppelten Handlungsführung erweist sich der Roman dabei als hybrid: Dem mythopoetischen Erzählen von der Hirschjagd eignet eine Darstellungsweise, die nicht zuletzt aufgrund ihrer final motivierten Handlung als mythosanalog beschrieben werden konnte. Entsprechend ihrer Funktion, die Handlung nicht nur anzustoßen, sondern diese auch erst mit dem Kuss durch Artus abzuschließen, gibt sie der Erzählung einen Rahmen, innerhalb dessen die Ereignisse von Tulmein geschildert werden. Dem mythosanalogen Erzählen ist somit eine Handlung eingelagert, die im Text explizit als Aventiure bezeichnet ist und sich im Gegensatz zur Rahmenhandlung der Hirschjagd als kausal motiviert erweist. Das mythische Schema der Hirschjagd und das literarische Schema der Aventiure ergänzen sich dabei notwendig, da erst mit der Ankunft Enites am Artushof die Voraussetzung zum Abschluss auch des mythischen Brauchs der Hirschjagd gegeben ist. Nach der doppelten Auszeichnung für Enite durch König und Königin wird am Artushof die Trauung vollzogen und gefeiert. Mythisches wie Höfisches zeigen sich dort noch in gleicher Weise auf der Ebene des Erzählten präsent und bringen so die erreichte Harmonie zur Anschauung. Die erzählte Harmonie basiert somit auf der Hybridität divergierender Erzählschemata, wobei Ausgangs- und Endpunkt der Erzählung der Artushof ist. Im Zentrum steht König Artus, der nicht nur die Jagd ankündigt, sondern diese selbst mit dem Kuss für Enite abschließt. Erst im Rahmen der Hochzeit kann sich Erec auf dem Turnier am Artushof beweisen. Mit der getriuwiu wandelunge kommt schließlich die Gegenseitigkeit Erecs und Enites zum Ausdruck, wohingegen der Artushof jetzt in immer fragwürdigerem Licht erscheint. Hiermit ist ein Hinweis darauf gegeben, dass die am Artushof erreichte Harmonie im Kontrast zur höfischen Idealität steht, die nach der Krönung Erecs und Enites notwendige Bedingung für die Herrschaft in Karnant ist, dort allerdings zunächst noch im Zeichen der Krise steht: Gleichsam im Rekurs auf die getriuwiu wandelunge erscheint die Krise jetzt als wandelunge Erecs: ein wandelunge an im geschach (V. 2984). Erec vernachlässigt seine herrscherlichen Pflichten, wenn er mit seiner Frau vor der Gesellschaft flieht (V. 2949 f.): in schalt diu werlt gar. | sîn hof wart aller vreuden bar (V. 2988 f.). Doch auch Enite ist Gegenstand der Klage der Hofgesellschaft:
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si sprâchen alle: ‚wê der stunt, daz uns mîn vrouwe wart kunt! des verdirbet unser herre.‘ (V. 2996–2998)
Dabei wird allerdings weniger Enite selbst beschuldigt, als vielmehr der Moment ihrer Einführung in den Hof von Karnant beklagt.173 Und mit Bezug auf den Hofherrn Erec steht mithin die Zusammenführung des Herrscherpaares in Frage. Die am Artushof erreichte Harmonie führt ins gemache von Karnant, wo sie nicht weiter aufrechterhalten werden kann. Jetzt liegt es an Erec selbst, die Ordnung seines Hofs wieder herzustellen und Enite ordentlich in sein Herrschaftsgebiet einzuführen. Die Bestätigung von Herrscher und Herrscherin erfordert daher den erneuten Auszug auf Aventiure. Der Aufbruch jedoch bleibt unbestimmt, der Text gibt keinerlei Hinweise auf eine mögliche Motivation.174 War es zu Beginn des Romans der Geißelschlag des Zwergs auf der Heide vor den Augen der Königin, der Erec dazu bewegte, noch ohne Rüstung die Verfolgung Iders aufzunehmen, ûf selher âventiure wân (V. 492), so ist der Ort des Aufbruchs auch jetzt eine heide (V. 3107), über die Erec und Enite reiten, nâch âventiure wâne (V. 3111). Der Aufbruch erfolgt jedoch in aller Heimlichkeit. Seinen Knappen teilt Erec einzig mit, er wolle rîten | ûz kurzwîlen (V. 3061 f.), und er untersagt auch jede Begleitung (V. 3087). Heimlich legt er seine Rüstung an (V. 3064–3066). Der Aufbruch ist im offensichtlichen Kontrast zum früheren geschildert, was umso deutlicher wird, zieht man Hartmanns Vorlage zum Vergleich heran. Bei Chrétien findet der Aufbruch in aller Öffentlichkeit statt. Vor versammeltem Hof (aprés li cort; V. 2682) bittet der Vater um Erklärung: Moi doiz tu dire ton afere, | ne me doiz nule rien celer (Mir musst du sagen, was du vorhast, du darfst mir nichts verheimlichen; V. 2694 f.). Und der Bitte des Vaters kommt der Sohn nach: Erec respont a la parsome, | et li conte tot; et devise | comant il a sa voie anprise (Erec antwortete schließlich und erzählte ihm alles, er erklärte ihm auch, wie er seinen Zug geplant hatte; V. 2712– 2714). Er lässt sich seine beste Rüstung anlegen auf dem eigens hierfür auf einer Galerie ausgebreiteten Teppich aus Limoges (V. 2623 ff.).175 173
Im Vordergrund steht die Verbindung des Paares und nicht die Schuld Enites. Der letzte hier zitierte Vers etwa bleibt bemerkenswert offen in der Aussage und gründet auf ein nicht näher bestimmtes des, das einen Kausalnexus von Ursache und Wirkung zwar andeutet, diesen aber nicht weiter formuliert. Thomas Cramer zielt an der Bedeutung dieses Verses vorbei, wenn er übersetzt: „Durch sie [Enite] gerät unser Herr ins Verderben.“ Hartmann von Aue, Erec (Cramer), S. 135. Zutreffender ist dagegen die Übersetzung von Susanne Held: „Davon geht unser Herr zugrunde.“ Hartmann von Aue, Erec (Scholz), S. 177. Der Frage nach der Schuld Enites wird hier nicht weiter nachgegangen, einen Überblick über die Forschung gibt Scholz, Stellenkommentar, S. 742–744 u. 757–761. 174 Fritsch-Rössler, Finis Amoris, S. 46 f., zeigt, wie der Aufbruch in aller Widersprüchlichkeit von Hartmann geschildert wird, was zur regelrechten Verunklarung führt. 175 Über die Rüstung heißt es, dass sie aus Silber gefertigt sei und niemals Rost ansetze (V. 2640 f.). Der Helm sei mit einem goldenen Reif und Edelsteinen besetzt, die angeblich überaus hell strahlen (V. 2655). Hier wird man sich an die leuchtenden Steine auf dem Reliquienkreuz erinnern, das Erec bei seiner Ankunft in Carnant im Münster gespendet hatte. Erec selbst schmückt sich also mit
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Diese Veränderungen bewirken somit erst den Kontrast zur früheren Situation, auf die mit gleicher Topographie und Formulierung aufmerksam gemacht wird. Es ist mithin ein Verfahren angezeigt, das auf die Kontrastierung verschiedener Ordnungen zielt, die zuvor noch in notwendiger Verschränkung waren und im Folgenden progressiv erst entworfen und voneinander abgesetzt werden. Das Verfahren der Kontrastierung folgt der von der Forschung für den zweiten Handlungszyklus herausgearbeiteten Struktur des so genannten „Doppelten Kursus“. Nach Hugo Kuhn entsteht dieser „aus der absichtlichen spiegelbildlichen Kontrastierung zweier Daseinsstufen“.176 In einer ersten Episodenreihe befindet sich das Paar „in bewußt anti-höfischen Situationen“, wohingegen es sich in einer zweiten Reihe für die „neuerworbene höfische Lebensform in den gleichen Abenteuern, nun aber mit umgekehrten Vorzeichen“, zu bewähren hat.177 Über die Binnengliederung dieser Reihen ist sich die Forschung seit Kurt Ruh weitgehend einig.178 Er fasst zunächst die Räuberkämpfe, zuerst mit drei, dann mit fünf Räubern, zu einer Episode zusammen. Dieser folgt die erste Begegnung mit einem Grafen, der sich als dritte Episode der erste Kampf gegen Guivreiz anschließt. Nach der so genannten Zwischeneinkehr bei Artus beginnt die zweite Reihe mit einem erneuten Kampf gegen rohe Gewalt, den Riesenkämpfen, denen eine erneute Begegnung mit einem Grafen und der zweite Guivreizkampf folgen.179 An diesen Kampf schließt sich eine zweite Einkehr Erecs und Enites an, jetzt in Penefrec, dem Jagdschloss von Guivreiz.180 Kurt Ruh sieht als „Prinzip der Doppelung“ das der „Ordnung der Steigerung und des Kontrastes“,181 und Walter Haug spricht entsprechend vom Prinzip der Reihung einzelner Episoden, die in „zwei kontrastierende Triaden strukturiert“ sind.182 Die weiteren Ausführungen folgen daher im Wesentlichen dieser Gliederung des Romans und widmen sich konkret dem schon zu Beginn des Aufbruchs in Karnant aufgerufenen literarischen Modell der Aventiure, wie es in topographischer, motivlicher und personeller Hinsicht ausgestaltet ist und Konstituenten der Handlungsführung ausähnlichen Steinen. Der Teppich, der das Bild eines Leoparden zeigt (V. 2630), mag noch Reflex einer alten Vorstellung sein, wonach der Tritt auf die Haut eines Raubtieres dem ausziehenden Helden Kraft verleihen soll. Dass es sich um eine bildliche Darstellung handelt, ist für Braches, Jenseitsmotive, S. 154 f., nach wie vor Ausdruck einer dieser zugeschriebenen Zauberkraft. – Von diesen Steinen und diesem Teppich ist natürlich nur bei Chrétien die Rede. 176 Kuhn, Erec, S. 31 f. 177 Ebd., S. 32. 178 Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 174–178; Mertens, Artusroman, S. 32 f. 179 Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 131. 180 Diese zweite Zwischeneinkehr auf dem Weg nach Brandigan ist in ihrer Analogie zur Zwischeneinkehr bei Artus noch nicht hinreichend von der Forschung erkannt worden. Die Bezüge werden im Folgenden jedoch noch deutlich werden. Auf Erecs letzte Aventiure in Brandigan wird ausführlich in Kapitel 4.3 eingegangen. 181 Ruh, Höfische Epik, S. 131. 182 Haug, Literaturtheorie, S. 95.
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bildet. Dabei gilt es Mythisches im Text zu untersuchen, das im mythopoetischen Erzählen ebenso seinen Ausdruck findet, wie es in mythosanalogen Strukturen und Wirkungszusammenhängen die Erzählung bestimmt. Schließlich kann deutlich werden, wie nicht zuletzt auch mit Blick auf den Protagonisten des Romans das Programm der Kontrastierung und Progression in der Präsenz des Mythischen umgesetzt wird.
4.2.1 Vom wec in einen kreftigen walt Erec und Enite brechen in aller Heimlichkeit in Karnant auf: nû riten si beide âne holz niuwan heide, unz daz si der tac verlie. dô diu naht ane gie, schône schein der mâne. nâch âventiure wâne reit der guote kneht Êrec. nû wîste si der wec in einen kreftigen walt (V. 3106–3114).
Sie reiten ziellos über eine Heide und suchen förmlich die Aventiure.183 Am Abend stellt sie sich auch umgehend (nû) ein, sobald der Weg sie in einen dichten Wald führt. Beim Aufbruch zur ersten Aventiure Erecs auf der Heide war sein Ziel klar bestimmt, er wollte Rache nehmen für das ihm und dem Hof widerfahrene Leid. Entsprechend war auch der Weg zu diesem Ziel von Beginn an vorgegeben. In der Spur der Verfolgten war er förmlich zu sehen: ûf ir slâ (V. 161) nahm Erec die Verfolgung von Iders und dessen Zwerg auf, die ihm ûf dem wege | ûz sîner ougen phlege (V. 170 f.) nicht entkamen. Auch jetzt gilt es für Erec, eine Krise zu überwinden, doch bleibt der Weg unbekannt und offen. Allein das Ziel scheint die Handlung vorzugeben, die somit final motiviert ist.184 Entsprechend ist auch nicht davon die Rede, dass Erec bewusst eine Richtung wählt. Es ist vielmehr der Weg, der diese vorgibt und in den Wald führt. 183
Die Ziellosigkeit kommt mit nâch âventiure wâne klar zum Ausdruck. Bei Chrétien heißt es entsprechend: Erec s’an va […] ne set ou, mes en avanture (Erec zog fort […] er wusste nicht wohin, ritt einfach aufs Geratewohl; 2763 f.). 184 Über die finale Motivation erklärt sich letztlich auch Erecs Anlegen der Rüstung in Karnant, was von vorne nur kaum motiviert ist und entsprechend auch in aller Heimlichkeit geschieht. Auch das Redeverbot für Enite ist als Hinweis auf die Finalität zu sehen, wird doch gerade sie es sein, die wiederholt erst durch den Verstoß gegen das Verbot Erec auf Gefahren aufmerksam machen wird. Mit einer kausalen Erklärung des Redeverbotes hat die Forschung entsprechend auch nicht wenig Schwierigkeiten, worauf hier nicht eigens eingegangen werden kann. Verwiesen sei auf Schmid, Spekulationen, S. 111–113, sowie auf die Zusammenstellung verschiedener Thesen bei Scholz, Stellenkommentar, S. 755–757. Vgl. kritisch auch Haustein, Kausalität als Autorität, S. 561 f. Cormeau erkennt letztlich in der gesamten Szene des Aufbruchs ein „Erklärungsdefizit […], das die Aufmerksamkeit und Deutungsaktivität auf das folgende Geschehen lenkt“; Cormeau/Störmer,
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In diesem Wald befinden sich drei Räuber, die überaus gewaltsam und jederzeit zum Überfall bereit sind, weshalb sie am Wegesrand ihrem Opfer auflauern (V. 3117–3122). So möchten sie sich Erecs Frau bemächtigen (V. 3213 f.), die ihrer jedoch gewahr wird und ihnen ihre böse Gesinnung ansieht (V. 3127 f.). Sie warnt Erec (V. 3176–3184), der die Räuber schließlich im Kampf besiegen kann (V. 3235 f.). Nach niuwan drî mîle (V. 3293) stoßen sie auf weitere Räuber, die zur selben Bande gehören.185 Und wieder begehrt einer Enite (V. 3334), die Erec wiederholt warnt (V. 3371–3377), sodass dieser auch jetzt als Sieger aus dem Kampf gehen kann (V. 3400 f.). Erec und Enite ziehen schließlich weiter ûf disem wege (V. 3432) und verlassen den Wald: dô begunden si balde | gâhen von dem walde: | vil schône der tac ûf gie (V. 3472–3474). Im Wald ereignen sich zwei Begegnungen mit Räubern. Erec und Enite werden überfallen, nicht zuletzt wegen der Schönheit der Frau.186 Erec muss folglich den Angriff jeweils abwehren und sich und seine Frau vor den Angreifern verteidigen. Hartmann hat dieses Prinzip der Verteidigung vor unhöfischen Gegnern gegenüber Chrétien deutlicher herausgearbeitet. Dort leben die Angreifer zwar ebenfalls vom Raub (V. 2793), doch sind es explizit Ritter (V. 2792), die es zudem weniger auf Enide, als vielmehr auf ihr Pferd abgesehen haben (V. 2796 f.).187 Erec zeigt überdies deutlich größeren Einsatz im Kampf, wenn er zum Angriff auf die Ritter förmlich losstürzt (V. 2854 u. 3007) und selbst die Fliehenden noch verfolgt (V. 2890 u. 3042). Was Hartmann somit auf der einen Seite in Betonung des Unhöfischen verstärkt, nimmt er auf der anderen Seite zurück. Erec avanciert so noch deutlicher zum Erdulder und Verteidiger in einer Situation, die im Wald auf ihn zukommt. Diese Begegnungen im Wald tragen bei Hartmann deutliche Anzeichen einer Aventiure, die in der Topographie ebenso zu sehen sind wie in Momenten des Unhöfischen und des Zufalls. Walter Haug hat die „Welt der avanture“ als den „Gegenbereich“ des Hofs bezeichnet, in dem „Ereignisse – Bedrohungen, Anforderungen, Aufgaben – auf den Helden ‚zukommen‘, ihm unvorhersehbar zufallen“. Es ist der „Aventürenbereich“, der als „Ort des Zufälligen schlechthin“ zu bestimmen sei.188 Der Zufall – so Christoph Cormeau – fungiert als „Verbindungsmittel zwischen den Episoden“, der „den Helden in neue Konstellationen führt (= Âventiure)“ und notwendigerweise „eine Ortsverände-
Hartmann von Aue, S. 183; für Fritsch-Rössler, Finis Amoris, S. 46, entpuppt sich dieses „Motivierungs-Defizit […] bei genauerer Betrachtung als durchdacht konzipierte Lenkungsstrategie“. 185 man saget daz ez wære | ein geselleschaft under in (V. 3299 f.). Auch sie haben den walt in ir phlege | unde lâgen bî dem wege (V. 3306 f.). 186 Ruh, Höfische Epik, S. 132, bezeichnet Enite deshalb als „Lockvogel im besten gewæte“. 187 Die ersten Ritter interessieren sich ausschließlich für Enides Pferd (V. 2796 f.). Die späteren fünf haben es dagegen auf die von Erec erbeuteten Pferde abgesehen, nur einer bemerkt die Schönheit Enides (V. 2941–2956). Im Neid auf die anderen Pferde mag vielleicht deutlich werden, dass die beiden Gruppen anscheinend nicht zu einer Bande gehören. Bei Chrétien ist hiervon auch nirgends die Rede. Hartmann hat die Einheit der Episode deutlicher markiert. 188 Haug, Eros und Fortuna, S. 223.
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rung des Helden“ zur Voraussetzung hat.189 Der Wald bietet die entsprechende Folie,190 und am Ende ist es die Nacht, die der Aventiure ihre zeitliche Zuordnung gibt.191 Nach erfolgreicher Abwehr der Überfälle reiten Erec und Enite am nächsten Morgen weiter. Und wieder ist es der Weg, der die beiden führt (V. 3477). Noch bevor sie zur Burg eines Grafen gelangen, kommt ihnen zufällig ein Knappe entgegen (V. 3490 f.). Dieser berichtet später seinem Herrn von der Begegnung und vor allem von der Schönheit Enites (V. 3615 ff.). Der Graf will daraufhin die beiden auf seine Burg einladen, was Erec jedoch ausschlägt. Bisher galt der Graf als biderbe unde guot, | an sînen triuwen wol behuot | unz an die selben stunt (V. 3688–3690). Doch jetzt verfängt er sich in der minne stricke (V. 3694) und begehrt Enite zur Frau: Untriuwe riet sînen sinnen, | daz er dar sô kæme, | daz er si im benæme (V. 3675–3678). Im Schlaf will er Erec überraschen, doch kann Enite ihn auch vor diesem Überfall warnen und sie fliehen wieder ûf den wec (V. 4029). Der Graf stellt ihnen mit seinen Leuten nach, und es kommt zur Konfrontation im Wald, bei der Erec den Grafen seines unhöfischen Verhaltens bezichtigt: ir enthöveschet iuch (V. 4197). Den anschließenden Kampf kann er zwar siegreich bestehen, doch fürchtet er die erneute Verfolgung und setzt seine Flucht vil drâte (V. 4231) fort. Die Grafenepisode ist ihrer Struktur nach mit der Räuberepisode zunächst vergleichbar. Geführt vom Weg kommt der Held an einen Ort, an dem er sich einer bedrohlichen Situation zu stellen hat. Waren zuvor die Räuber in ihrem unhöfischen Verhalten und Verlangen nach Enite abzuwehren, so ist der Gegner jetzt ein Graf, der sich in seinem Begehren nach der Frau enthövescht und das Paar heimtückisch überfällt.192 Auf der Flucht kommt es auch hier nach drei Meilen im Wald (V. 4197) zur erneuten Konfrontation,193 in der sich Erec zwar verteidigen kann, doch seine Flucht fortsetzen muss. Der Korrespondenz beider Episoden ist dabei eine Steigerung unterlegt, die nicht nur im Personal zum Ausdruck kommt – dort Räuber, hier unhöfischer Graf –, sondern vor allem in der gesteigerten Bedrohlichkeit zu sehen ist, die Erec über die Verteidigung hinaus zum Fliehen nötigt. Entsprechend bittet er jetzt erstmals Gott um Hilfe: herre got der guote, habe mich in dîner huote und hilf mir âne schande von disem lande. (V. 4232–4235) 189
Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 175. Vgl. Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 36. Speziell zum Wald als Ort des Raubüberfalls siehe ausführlich Busse, Wald. Vgl. auch die Ausführungen zum wilden Wald in Kapitel 4.1.1. 191 Die Zeit ist dabei als „subjektive Zeit des Helden“ zu bewerten, „auch wo sie durch objektive Angaben gegliedert wird“; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 175. 192 Hartmann hat auch hier den Bezug zu Enite verdeutlicht. Bei Chrétien berichtet der Knappe dem Grafen nur beiläufig von Enide, dafür umso mehr von Erec und den schönen Pferden (V. 3218 ff.). 193 Auf die Korrespondenz des Schauplatzes hat bereits Schröder, Schauplätze, S. 308, aufmerksam gemacht. Gestützt wird sie überdies von den jeweils drei Meilen, die zwischen den wiederholten Kämpfen zurückgelegt werden (V. 3293 u. 4115). 190
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Der Erzähler schränkt die Unterstützung Gottes für seinen Helden aber sofort ein: vergebene was doch der gedanc, wan ez nieman vernam, ê er vol ûz dem walde kam: daz was sîn grôziu sælekeit. (V. 4239–4242)
Gott wird von Erec ausdrücklich als Lenker des Geschehens angerufen, doch kommt es zu keinem Eingreifen, worauf der Erzähler ebenso ausdrücklich verweist. Schon bei Chrétien ist von einem möglichen Beistand Gottes die Rede, als der Graf den Überfall auf Erec beschließt. Der Erzähler bemerkt jedoch nur am Rande: mes Dex li porra bien aidier, | et je cuit que si fera il (aber Gott wird ihm schon helfen können, und ich denke, das wird er auch tun; V. 3420 f.). Von einer Hilfe Gottes ist im Weiteren dann aber nicht mehr die Rede. Am Ende ist es die Einsicht des Grafen, unrechtmäßig gehandelt zu haben, die ihn von einer weiteren Verfolgung Erecs abhält (V. 3629–3646). Ist bei Chrétien die Möglichkeit des Eingreifens Gottes zwar angesprochen, so bleibt doch der Ausgang rational begründet und nachvollziehbar. Ähnlich ist dies bei Hartmann der Fall: Dass Erec wohlbehalten aus dem Wald gelangt, verdankt er einzig seiner sælekeit, die hier nicht weiter denn als Glück zu bestimmen ist und vom Erzähler auf den Umstand zurückgeführt wird, dass keiner der Ritter des Grafen die Verfolgung aufnehmen wolle, da er hierdurch die Schande eingestehen müsse, dass Erec entkommen sei: alsô beleip ez ungeseit.194 Im Gegensatz zu Chrétien bleibt der Hof des Grafen ohne Einsicht und ein Eingreifen Gottes wird vom Erzähler explizit abgewiesen. So ist es auch weiterhin der Zufall, der den Helden auf seinem Weg begleitet, der immer bedrohlicher wird und ihm nôt und ungemach (V. 4273) zuteil werden lässt. Der Weg führt Erec in ein ihm unbekanntes Land (V. 4277 f.), in dem es zu einer Begegnung kommt, die alles Bisherige übertrifft. Der Erzähler berichtet vom Herrscher über dieses Land, von dem uns wunder geseit (V. 4281) sind: er was ein vil kurzer man, mir ensî gelogen dar an, vil nâch getwerges genôz, wan daz im vil grôz wâren arme unde bein. dâ zuo den brüsten er schein kreftic unde dic genuoc. […] wir müezen sîner geschiht ein michel teil verdagen. man möhte vil dâ von gesagen, wan daz der rede dâ würde ze vil: dâ von ich iu si kürzen wil. ez hâte der herre guot 194
Dass für den Erzähler der Grund für die sælekeit im Zögern der Ritter liegt, macht bereits der Reim deutlich, der sælekeit und ungeseit in unmittelbaren Zusammenhang stellt (V. 4242 f.).
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gelücke unde rîchen muot unde hâte unverzaget den prîs an manegem man bejaget: dar umbe man noch von im seit (V. 4282–4308)
Wie erst später zu erfahren ist, handelt es sich um Guivreiz le pitîz, der künec über Îrlant ist (V. 4476 f.).195 Guivreiz wird vom Erzähler in all seiner merkwürdigen Erscheinung vorgestellt. Die ganze Statur wirkt auffallend widersprüchlich, kommt der eines Zwergs nahe, und doch ist von seinen langen Armen und Beinen wie von seiner kräftigen Brust die Rede. Es seien dies wunder, die von ihm erzählt werden, wie auch seine Kampfeskraft anscheinend noch in der Gegenwart des Erzählers gerühmt werde. Guivreiz wird vom Erzähler eine eigene geschiht zugeschrieben, die so umfassend sei, dass er sie nur andeuten kann. Vielleicht ist sie seinem Publikum auch weithin bekannt.196 Tatsächlich handelt es sich bei Guivreiz um eine Figur im Roman, die offensichtlich mythische Züge erkennen lässt: „No personage in Erec offers better credentials as a creation of the Celtic fancy than the dwarf king Guivret.“197 Nach umfangreichen Vergleichen mit zahlreichen bekannten Erzählungen führt Loomis die Figur Guivreiz auf den mythischen König Beli zurück: Ihr Ursprung liegt „in the mythical Welsh personage Beli, who was […] a euhemerized pigmy king of the Other World“; erst in späterer Überlieferung wurde diesem „the title Mawr, meaning ‚the Great‘“, zugesprochen.198 Während der Erzähler bei Chrétien noch versichert, qu’il estoit molt de cors petiz (dass er von sehr kleinem Wuchs war; V. 3665), zeichnet der Erzähler im deutschen Roman eine auffallend amorphe Gestalt. Wenn ihm dennoch das Epitheton le pitîz zugegeben wird, macht dies nicht nur auf die Vorlage aufmerksam, sondern bringt zugleich die ganze Ambivalenz der Figurenzeichnung zum Ausdruck.199 Entsprechend ambivalent 195
Guivreiz nennt erst nach seiner Niederlage seinen Namen, wie zuvor auch Iders erst nach dem Kampf in Tulmein. Die Nennung des Namens folgt hier wie dort im Rahmen der Unterwerfung, mit der die Schonung durch den Sieger einhergeht; vgl. hierzu Jones, Schutzwaffen. 196 Dass Hartmann an dieser Stelle deutlich von seiner Vorlage abweicht, ist offensichtlich. Die konkrete Frage nach einer möglichen anderen Quelle, wie sie die ältere Forschung beschäftigte – vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 790 – bleibt an dieser Stelle jedoch müßig, da Hartmann keine aussagekräftigen Details anführt, die eine Quelle annehmen lassen. Auf andere Erzählungen, die von Guivreiz handeln, ist aber offensichtlich angespielt. 197 Loomis, Arthurian Tradition, S. 139; siehe insgesamt zu Guivreiz ebd., S. 139–145. 198 Ebd., S. 143. Andere Namensformen sind etwa Pelles, Belinor oder Bilis. Als Bilei ist letzterer auch auf der Hochzeit am Artushof erwähnt; vgl. Kapitel 4.1.4. Fritsch-Rössler, Motivgirlanden, S. 345, sieht eine Beziehung zur Hochzeitsszene dadurch gegeben, dass Guivreiz aufgrund seines Aussehens „eine physiognomische Synthese aus Bilei und Brians“, dem Zwerg und dem Riesen, sei. Dass verschiedene Modifikationen des ursprünglichen Beli im selben Text auftreten, verdeutlicht eine schon früh einsetzende Arbeit am Mythos. Ein Zusammenhang ist ferner mit dem Elfenkönig Auberon, Herr der Unterwelt, anzunehmen, der gleichfalls auf den genannten Beli zurückgeführt werden kann; vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 139–141; Braches, Jenseitsmotive, S. 156. 199 Dieses Epitheton ist Guivreiz überdies nur im Kontext der Erec-Erzählungen beigegeben; vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 141. In der Forschung wird auch der Hartmann’sche Guivreiz
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ist dann auch sein Auftreten im Roman zu sehen, das zwischen dem einer mythischen Figur und dem eines höfischen Ritters changiert.200 Chrétien entwirft für seinen Auftritt zunächst eine ganze Szenerie (V. 3655–3659), die mit Graben, Mauer und Brücke Motive aufweist, „die vielfach bei Reisen in die Andere Welt erwähnt werden“.201 In einem hohen Turm befindet sich Guivret, der die Herannahenden erblickt, sich prachtvoll zum Kampf rüstet und sich mit einer Darstellung goldener Löwen schmückt (V. 3670). Während bei Chrétien diese Beschreibung im mythopoetischen Erzählen auf eine Verschränkung mythischer und ritterlicher Motive hinausläuft, weist der Text Hartmanns an dieser Stelle eine empfindliche Lücke auf. Mit vermutlich einer Seite der Handschriftenvorlage ist daher jede mögliche weitere Beschreibung von Guivreiz verloren gegangen.202 Dennoch wird bei Hartmann noch deutlicher als bei Chrétien auf höfische Ordnungsregeln Bezug genommen. Erec und Enite sehen den Herrn des ihnen unbekannten Landes auf sich zureiten (V. 4321 f.), der Erec sofort als einen Ritter erkennt, der âventiure suochet (V. 4340). Allein am Umstand, dass er eine so schöne Frau mit sich führe und gut bewaffnet sei, könne er dies erkennen (V. 4331–4339). Entsprechend fordert er ihn sogleich heraus unter Hinweis auf Ritterschaft und Schönheit: nû wert iuch, ritter, ez ist zît (V. 4347) und wert iuch durch iuwer schœnez wîp (V. 4376). Wie im früheren Zweikampf gegen Iders in Tulmein, so sind auch hier männliche Stärke und weibliche Schönheit in Beziehung gesetzt,203 was in der weiteren Schilderung des Kampfs auch deutlich zum Ausdruck kommt. Erec kann gegen Guivreiz bestehen, der den Sieg auf Erecs manheit (V. 4517) und vrümekeit (V. 4520) zurückführt,204 und schon während des Kampfs zeichnet sich dies in der Hinwendung des Helden zu seiner Frau ab (V. 4425–4432).205 Den am Boden liegenden Guivreiz will Erec jedoch erschlagen meist als Zwerg bezeichnet, was zuletzt wieder Scholz, Stellenkommentar, S. 790, zurückwies; vgl. auch Mertens, Kommentar, S. 660. Wenngleich noch Burkhard Hasebrink Guivreiz als Zwerg bezeichnet, weist er doch auf die Widersprüchlichkeit der Figurenzeichnung hin, die gerade in einer „Kultur der Signifikanz des Körpers […] bemerkenswert“ sei; Hasebrink, Erecs Wunde, S. 3. 200 Mertens, Artusroman, S. 34, bezeichnet ihn entsprechend als „mythische Figur“, die sich „dann jedoch als vollendet höfisch“ erweise; Harms, Kampf, S. 122, nennt Guivreiz einen „zwergenhaften, aber starken, höfisch denkenden König“. 201 Braches, Jenseitsmotive, S. 156. 202 Vgl. Gärtner, Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente, S. 360–363; Nellmann, Rez. Erec, S. 243. Die Forschung vermutet an dieser Stelle außerdem den Zweifel Enites, Erec trotz des Redeverbots erneut zu warnen; vgl. mit Literatur Scholz, Stellenkommentar, S. 790 f. 203 Nicht gefolgt werden kann hier somit der Ansicht von Huber, Ritterideologie, S. 65: „Auffällig ist gerade die Absenz christlicher oder wie immer ‚ethischer‘ Motivationen. […] Als Motor dieser Kämpfe wirken unverhüllt Kampfgier, Aggression um ihrer selbst willen und sonstige Affekte.“ 204 Schon vorher heißt es, ez muoste sterke unde heil | under in beiden | an dem sige scheiden (V. 4385–4387). 205 Den Bezug zum Iderskampf stellt auch Sieverding her; beide Male folge auf die Hinwendung zur Frau die Wende auch im Kampf. Sieverding sieht daher im Kampf gegen Guivreiz „das kompositorische Gegenstück zum Iders-Kampf“; Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 47 f.
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(V. 4441), was dieser unter Hinweis auf Tugend, Schönheit und Gott gerade noch abwehren kann: ‚nein‘, sprach er, ‚ritter guot, durch dînen tugenthaften muot unde durch dîn schœne wîp sô lâ mir den lîp unde êre got an mir. […]‘ (V. 4442–4446)
Sie verbinden sich gegenseitig ihre Wunden (V. 4488 f.), und Guivreiz bietet ihm als Freundschaftsdienst an, mit auf sein Schloss zu kommen, um sich vom Kampf zu erholen (V. 4559–4569).206 Die Begegnung Erecs mit Guivreiz steht insgesamt deutlich im Zeichen der Aventiure, auf der sich Erec seit Beginn seines Auszugs von Karnant befindet. Die einzelnen Stationen sind dabei stets vom Zufall bestimmt, was vor allem im Bild des Weges zur Darstellung kommt. Erec wählt von Anfang an niemals selbst die Richtung seiner Reise, sondern folgt dem Weg, der ihn führt. Zu Beginn jeder Episode ist davon ausdrücklich die Rede.207 Wolfgang Harms hält allgemein für den Weg fest: „Daß der Weg den Wanderer führt, trägt oder lenkt, ist in den Artusromanen von jeher häufig, ist deshalb aber nicht als leere, nur tradierte Formel abzutun. Denn die darin zum Ausdruck kommende Passivität des viator-Helden ist innerhalb des Artusromans […] von daher zu erklären, daß eine Annäherung oder ein Erreichen des Zieles […] nicht allein in der Macht des viator oder einer anderen weltlichen Macht steht.“208 Die Passivität Erecs ist mit fortschreitender Handlung schließlich auch immer deutlicher geworden. Wehrt er zunächst noch die überfallenden Räuber ab, findet er sich sogleich auf der Flucht vor dem Grafen wieder. Gegenüber Guivreiz wird letztlich offensichtlich, dass er sich zur Wehr setzen und ihm dieser dazu noch die Motive erst nennen muss. Und parallel zu dieser passiven Haltung des Helden avanciert der Weg immer deutlicher zu einer „Macht, die auf den Menschen wirkt“.209 Der Weg erscheint somit als strukturbildendes Motiv der Handlungsführung, die insgesamt final motiviert ist. Christoph Cormeau spricht entsprechend unter formalen Ge206
Zur Freundschaft, die sich auf der Handlungsebene sinnbildlich gerade auch im gegenseitigen Verbinden der einander zugefügten Wunden darstellt, siehe Hasebrink, Erecs Wunde, S. 5 f. 207 Otto Brückl beschreibt daher das „Bild des Weges“ gerade in seiner dreifachen Funktion, es sei „sowohl Inhalt (Stoffliches), gestaltgewordener Gehalt (ausgeprägte Idee) wie auch Gestaltendes (Form)“ und trete entsprechend „an entscheidenden Knotenpunkten des Handlungs- sowie Betrachtungsgefüges […] in Erscheinung“; Brückl, Betrachtungen, S. 14. 208 Harms, Homo viator, S. 258. 209 Harms, Kampf, S. 124. Ausführlich heißt es dort: „Der Weg wird nicht von Erec ausgewählt, sondern Erec wird vom Weg geführt. Wenn der Weg zeigt und trägt, erhält er bereits Anzeichen einer Personifikation; er ist eine Macht, die auf den Menschen wirkt.“ Trachsler betont dagegen, dass „keinesfalls […] der Ritter aber dem Weg schlechthin ausgeliefert“ sei, sondern es bleibe vielmehr „stets seinem Willen anheimgestellt, zur Fahrt aufzubrechen, den Weg weiterzuverfolgen oder die Fahrt abzubrechen“; Trachsler, Der Weg, S. 119.
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sichtspunkten von der „narrativen Vorsehung […]: Sie lenkt vom Ende her, vom anvisierten Ziel aus den Ablauf, finale Motivation ist das eigentliche Prinzip, das von kausaler Verkettung nur mehr oder minder eingekleidet wird.“210 Entsprechend blieben dann „auch echte Kausalität, ungelenkter Zufall und reale Zeit“ von der Erzählung ausgeschlossen.211 Um den Zufall erzählerisch zu motivieren, blieben dem Erzähler schließlich die Möglichkeiten, einerseits „offen davon zu sprechen, daß allein er die Fäden in der Hand hält“, andererseits könne er „das Geschehen als von einer ‚objektiven‘ Macht geordnet vorstellen, die göttliche Vorsehung oder das Schicksal beanspruchen“.212 Bleibt der Zufall in der hier besprochenen ersten Triade des zweiten Handlungszyklus im Bild des Weges vom Erzähler unkommentiert dargestellt, bleibt die Frage nach einer ebensolchen objektiven Macht aber offen. Absicherung bietet hier das Modell der Aventiure, das schon zu Beginn des Auszugs in Karnant aufgerufen und auch von Guivreiz direkt angesprochen ist. Mireille Schnyder beschreibt die Aventiure als ein Erzählmodell der Kontingenzbewältigung, die sich mit dem „göttlichen und providentiellen Heil“ verbinde.213 Im Erec sei es geradezu „deutlich, dass die âventiure von Gott kommen muss“.214 Guivreiz macht diesen Zusammenhang dann auch explizit. Wie gezeigt ist an dieser Stelle allerdings von einem Eingreifen Gottes im Text keine Rede. Und an anderer Stelle, bei Erecs Hilferuf zu Gott bei der Flucht vor den ihn verfolgenden Rittern des Grafen, heißt es ausdrücklich, dass ez nieman vernam (V. 4240). Von einem Eingreifen Gottes in die bislang nachgezeichnete Handlung ist ebenso wenig die Rede wie von irgendeiner anderen Ordnungsmacht. Im Text bleibt die finale Motivation unbestimmt und verläuft sich auf dem Weg ins Numinose. Diese Motivation von hinten lässt sich als Ausdruck mythosanalogen Erzählens bestimmen, insofern als keine weiteren handlungsbestimmenden Konstituenten auszumachen sind. Das schon zu Beginn des Auszugs im Text aufgerufene literarische Modell der Aventiure erweist sich somit aber in der ersten Triade des zweiten Handlungszyklus aufgrund seiner finalen Motivation in formaler Hinsicht noch vom mythosanalogen Erzählen bestimmt. Und auffallend geht damit ein auf den Inhalt zu beziehendes, mythopoetisches Erzählen einher, wenn nur allzu konsequent gerade Guivreiz auf Bedingungen der Aventiure aufmerksam macht. Im Kampf gegen Guivreiz verdichten sich die im Verlauf der bisherigen Handlung progressiv entwickelten, kontrastierenden Ordnungsvorstellungen: Der von Guivreiz an konkrete Wertmaßstäbe angebundenen Vorstellung von Aventiure 210
Cormeau, Fortuna, S. 27 f.; vgl. auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 177. Hasebrink, Erecs Wunde, S. 5, hebt seinerseits hervor, dass den Kämpfen „unabhängig von ihrer kausalen Motivierung eine kompositionelle Notwendigkeit zugesprochen“ werden müsse. 211 Cormeau, Fortuna, S. 28. 212 Ebd., S. 29. 213 Schnyder, Sieben Thesen, S. 371; vgl. auch Schnyder, Zum Begriff des Abenteuers, zum Erec v. a. S. 260–263. Auch Ehrismann, Ehre und Mut, S. 23, definiert seinerseits die Aventiure über den „‚Zufall‘, der im Rahmen des mittelalterlichen Weltbildes auch von Gott gesteuert sein konnte“. 214 Schnyder, Sieben Thesen, S. 370. Schnyder bezieht sich hier auf Erecs Kampf gegen Iders.
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steht die Passivität Erecs gegenüber. Dabei ist es ausgerechnet die ambivalent gezeichnete Figur – vom Erzähler mittels des zitierten Exkurses zu ihrer eigenen geschiht zudem als gleichsam mythopoetische Figur markiert –, die dem Helden die Grundzüge der Aventiure in Erinnerung ruft und ihm die entsprechende Motivation zum Kampf gibt: Ritterlichkeit und Schönheit zu bestätigen in einer in Gott aufgehobenen Ordnung. In gleicher Weise ist Guivreiz’ Bitte um Schonung nach der Niederlage zu sehen, die als ein Wiedervorhalten derselben Ziele für den Helden zu bewerten ist. Im König von Irland verschränken sich wie zuvor am Artushof Mythisches und Höfisches. Diese Verschränkung ist letzten Endes aber ebenso konsequenter Fluchpunkt einer progressiven Semantisierungsstrategie. Zu Beginn der Guivreiz-Episode ist vom Erzähler der Steigerungscharakter der einzelnen Begegnungen Erecs deutlich angesprochen. Waren die Räuber noch ausdrücklich unhöfische Gesellen im Wald, denen Hartmann im Gegensatz zu Chrétien auch nicht den Status eines Ritters zuerkennen wollte, so eröffnet die Grafenepisode bereits eine offenkundige Kontrastierung zum Höfischen. Die zunehmende Gefahr zeigt sich hier von einem Grafen ausgehend, der von höfischen Idealen abfällt und sich enthöveschet. Schließlich ist es Guivreiz, der die Verschränkung von Höfischem mit Mythischem geradezu verkörpert und daher vielleicht nicht von ungefähr vom Erzähler so ungestalt gezeichnet ist. Erec kann zwar die Kämpfe im Wald bestehen, doch ist das Ziel seines Weges noch nicht erreicht. Er findet am Ende in Guivreiz zwar einen Freund (V. 4559 f.), trägt aber noch immer die von ihm zugefügte Wunde davon. Verkörpert Guivreiz selbst die Verschränkung von Höfischem mit Mythischem, überträgt sich seine Ambivalenz damit gleichsam auch auf Erec,215 sodass noch Enite liep bî leide empfindet, denn sie ist ir mannes siges vrô: | sîn wunden beweinde si aber dô (V. 4502–4505). Die offene Wunde verweist damit nicht nur auf den noch ungeklärten Status des Helden, sondern gleichsam auf die noch anhaltende Offenheit auch der Erzählung.216 So nimmt Erec die Einladung von Guivreiz, mit auf sein Schloss zu kommen, zwar an, doch macht er dabei deutliche Einschränkungen: ich enmac niht langer hie bestân niuwan unze morgen vruo und sage iu, war umbe ich daz tuo. ich envar nâch gemache niht: swaz ouch mir des geschiht, dar ûf ahte ich niht vil, wan ich dar nâch niht werben wil. (V. 4573–4579) 215
In eine ähnliche Richtung zielt letztlich auch die Deutung Hasebrinks, wenn er einerseits die Widersprüchlichkeit in der Figur Guivreiz’ hervorhebt, andererseits die Wunde Erecs zum Anlass nimmt, die in eine Freundschaft mündende Gleichrangigkeit der Kontrahenten nachzuzeichnen; vgl. Hasebrink, Erecs Wunde, S. 3–6. 216 Die Wunde wird erst später am Artushof und nochmals in Penefrec verbunden werden. Siehe hierzu ausführlich Kapitel 4.2.3. Einen Zusammenhang zur Handlungsführung sieht auch Feistner, Bewußtlosigkeit, S. 246.
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Zielt der erste Handlungszyklus auf eine Harmonisierung des Mythischen und Höfischen im gemache, macht Erec hier nur allzu deutlich, dass sein Ziel noch nicht erreicht ist, er schlägt das von Guivreiz gebotene gemache aus. Zu Beginn war Erec ausgeritten ûf âventiure wâne, jetzt gilt es die Aventiure abzuschließen, um so den Ereignissen auch ihren Sinn zu geben, insofern Aventiure die Begebenheit ist, „von der aus sich im Rückblick alle Zufälligkeiten und Ereignisse in ein sinnvolles Gefüge lesen lassen“.217 Entsprechend soll im Folgenden der Handlung weiter nachgegangen werden, um Bezüge aufzuzeigen, die eine zunehmende Kontrastierung von Mythischem und Höfischem erkennen lassen.
4.2.2 Vom rûhen walt âne wec Nachdem Erecs Wunden aufs Erste versorgt sind,218 bricht er mit Enite erneut auf, der Weg führt ihn weiter auf seiner Aventiure: nû reit der ritter Êrec, als in bewîste der wec, er enweste selbe, war: sîn muot stuont niuwan dar, dâ er âventiure vunde. (V. 5288–5292)
Mit der nahezu gleich lautenden Formulierung wie zuvor beim Aufbruch in Karnant ist auch hier der Beginn einer Aventiurenreihe markiert. Diese so genannte zweite Triade des zweiten Handlungszyklus steht dabei in mehrfacher Hinsicht im Zusammenhang mit der ersten. Nicht nur sind die einzelnen Stationen in ihrer parallelen Gestaltung aufeinander bezogen,219 sondern sie setzen überdies die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene Kontrastierung und Progression im erzählerischen Prozess fort.220 Dabei wird sich allerdings zeigen, dass signifikante Unterschiede auszumachen sind: Die schon in den ersten Versen aufgerufene Finalität der Aventiure wird zunehmend von einer kausalen Motivation eingeholt, in deren Rahmen auch der Held insgesamt aktiver auftreten wird. Zugleich bildet sich eine Handlungsführung aus, die der erzählten Welt eine in Gott gründende Ordnung zuweist. Dabei zeigt sich jedoch auch eine zunehmende Präsenz des Mythischen, die nicht nur an den begonnenen Steigerungscharakter der einzelnen Episoden anschließt. In Auseinandersetzung mit der jetzt providentiellen Ordnung steigert sich deren Kontrast zu einer mythischen, was auf der Ebene der Dar217
Schnyder, Sieben Thesen, S. 371; vgl. auch Schnyder, Zum Begriff des Abenteuers, S. 271. Erec bleibt nicht nur eine Nacht bei Guivreiz, sondern trifft in einem schönen Wald auf Artus und sein Gefolge. Dort erhält er durch Ginover weitere Versorgung seiner Wunde. Auf diese so genannte Zwischeneinkehr soll im Zusammenhang erst mit Erecs zweiter Zwischeneinkehr in Penefrec in Kapitel 4.2.3 eingegangen werden. 219 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 94 f. 220 Vgl. schon Ruh, Höfische Epik, S. 131.
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stellung in gleicher Weise zum Ausdruck kommt wie auf der Ebene des Erzählten in den jeweiligen Konfrontationen. Veränderungen zeichnen sich bereits ab, wenn Erec seinen angestammten Weg verlässt und jetzt tiefer in den Wald vordringt. Zu Beginn der ersten Episode werden Erec und Enite selbst nicht überfallen, und es ist auch nicht die Stimme Enites, die Erec vor angreifenden Gegnern warnt. Jetzt hören sie die Stimme einer fremden Frau, die im Wald aus Angst um ihr Leben um Hilfe ruft (V. 5296–5301). Erec will in Erfahrung bringen, waz diu rede möhte sîn, woran – so der Erzähler – was doch sîn manheit schîn (V. 5304 f.). Er macht sich auf durch rûhen walt âne wec (V. 5313) zu der erbärmlich aussehenden Frau in dem wilden walde (V. 5319). Von ihr erfährt er, dass ihr Geliebter, Cadoc, von zwei Riesen entführt worden sei (V. 5355 f.), und mit dem vinger wîste si in die vart (V. 5366), wohin diese ihn verschleppt hätten. Wie früher auf der Heide, als er Iders und dessen Zwerg nach Tulmein gefolgt war, so eilt Erec auch jetzt los und folgt der wieder deutlich sichtbaren Spur: nû was er komen ûf ir slâ | und îlte in vil sêre nâ, | unz er si begunde sehen an (V. 5378–5380). Die Riesen behandeln Cadoc nâch vreislîchem site (V. 5399), schlagen auch auf Erec ein und brâchen vaste ritters reht (V. 5412). Einem Riesen sticht Erec ein Auge aus (V. 5511) und tötet ihn, den zweiten köpft er (V. 5568). Den verwundeten Cadoc findet Erec dank der Blutspur (V. 5575 ff.) und bringt ihn wieder zurück zu seiner Frau. Die Episode der Riesenkämpfe bewertete Hugo Kuhn lediglich „als Vorgeschichte zum folgenden Abenteuer“, da sie „nicht nur zeitlich, sondern auch inhaltlich unselbständig“ sei.221 Rodney Fisher konnte in einem detaillierten Vergleich mit der Räuberepisode jedoch überzeugend Korrespondenzen herausarbeiten, die sich nicht allein im „Kampf gegen rohe Gewalt“222 erschöpfen: „Die allgemeinen Umstände, die Umwelt, die Gegner, und der Verlauf des Kampfes lassen auf einen Zusammenhang schließen, der durch wörtliche Übereinstimmungen bestätigt wird.“223 Räuber- wie Riesenepisode fungieren somit insgesamt „als doppelter Einstieg in die Welt des Unhöfischen“.224 Neben diesen Korrespondenzen weist der Roman an dieser Stelle jedoch bedeutende Unterschiede zum Vorangegangenen auf, die nicht allein aus dem veränderten Umfang gegenüber der Vorlage resultieren,225 sondern gleichsam dessen Steigerungscharakter aufgreifen. Waren es zuvor – bei Hartmann – explizit Räuber, die Erec zwei Mal auf seinem Weg bedrohten, sind es jetzt zwei Riesen, die einen Ritter im Wald gefangen 221
Kuhn, Erec, S. 27. Sie diene „dazu, am Tage die Situation für die folgende Nacht“ vorzubreiten. So Ruh, Höfische Epik, S. 131. 223 Fisher, Räuber, S. 357. Fisher weist seinerseits unter anderem darauf hin, dass die Räuber bei Hartmann gerade keine Ritter sind, wodurch das „Unritterliche“ verbindendes Element zu den Riesen ist; ebd., S. 356. Auf den Unterschied zu Chrétien wurde bereits in Kapitel 4.2.1 eingegangen. 224 Ebd., S. 358. 225 Fisher hat darauf hingewiesen, dass die Darstellung des Riesenkampfs einen nahezu doppelt so großen Umfang einnimmt wie die der beiden Räuberkämpfe zusammengenommen. Dies sei umso auffallender, da bei Chrétien dieses Verhältnis gerade umgekehrt ist; vgl. ebd., S. 359. 222
Kontrastierung und Progression
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halten.226 Erec befindet sich erstmals in einer Situation, in der er sich nicht mehr nur zur Wehr setzen muss, sondern aktiven Einsatz bei der Befreiung Cadocs zeigt.227 Entsprechend verlässt er seinen Weg und begibt sich zielgerichtet in den Wald, wo er die Riesen herausfordert. Von Riesen wird in Mythen nahezu aller Kulturen an prominenter Stelle erzählt,228 in denen sie meist als Widersacher der Götter in Erscheinung treten.229 Kann für die hier zu besprechende Episode der Entführung Cadocs zwar kein direkter Bezug zu mythischen Erzählungen hergestellt werden,230 so folgt die Darstellung der Riesenepisode doch auffallend gerade diesem dualistischen Grundmuster. Hans Blumenberg hat dargestellt, wie im Übergang vom polytheistischen Mächtegleichgewicht zum Monotheismus die fremden Götter notwendigerweise zu Dämonen werden. „Als solche, das ist nicht zufällig, übernehmen sie die Bestimmungen der mythischen Funktionsweise, nun mit dem verkehrten Vorzeichen und in grotesker Karikierung.“231 Der Vorgang der Dämonisierung erweist sich somit als einer der Kontrastierung zu dem einen Gott und mündet in einen Mächtedualismus. Wenn dem einen Gott dann aufgrund feststehender Dogmen keine Geschichten mehr zugeschrieben werden können,232 so übt „die Imagination allein noch ihr freies Spiel“ in der umständlichen Darstellung auch noch des Teufels der christlichen Tradition; es ist mithin die „omnipotente Selbstverfügung der Metamorphose und des Blickenlassens tierischer Attribute“ des Teufels, die den „Mythos zur Subversion der dogmatisch disziplinierten Glaubenswelt“ werden lässt.233 Die Verkehrung der Verhältnisse zur höfisch-disziplinierten Ordnung wird bereits in dem geschilderten Verhalten der Riesen deutlich, die in aller Abfälligkeit auf Erecs ausdrücklich höfische Redeweise reagieren.234 Sie steigert sich in die konkrete Hand-
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Die beschriebene Linie von ‚unhöfisch‘–‚Abkehr vom Höfischen‘–‚Verschränkung mit Mythischem‘ wird mit den Riesen entsprechend fortgesetzt. 227 Vgl. Campbell, Act of Mercy, S. 5. Außerdem stellt sich für Campbell in dieser Episode eine wieder zunehmende Gegenseitigkeit des Paares dar; vgl. ebd., S. 10 f. Hierauf ist im Zusammenhang der Ereignisse in Limors zurückzukommen. 228 Vgl. im Zusammenhang von antiken Mythen und christlichen Geschichtsmodellen Fromm, Riesen und Recken. 229 Vgl. Röhrich, Riese, Sp. 670 f. 230 Loomis erörtert verschiedene Indizien, doch reichen sie nicht aus, um einen direkten Bezug herzustellen; vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 160–162. Dennoch hält er an der Mythizität der Riesen fest und verweist auf die prominente Artusepisode vom Mont Saint-Michel, wie sie etwa Geoffrey of Monmouth in seiner Historia Regum Britanniae erzählt; vgl. ebd., S. 160; vgl. hierzu die Ausführungen mit Angabe weiterer Literatur in Kapitel 2.1.2. 231 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 158; vgl. auch Cassirer, Das mythische Denken, S. 291 f. 232 Vgl. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 143 u. 148. 233 Ebd., S. 159. 234 Besonders fallen in diesem Wortgefecht zwischen Erec und den Riesen die Tiervergleiche auf, mit denen sie den Gegner als rehter affe (V. 5452) oder als ein huon (V. 5483) beschimpfen, wogegen sie ihn bei Chrétien ausdrücklich noch als Vasax (Krieger; V. 4402) bezeichnen. Aus dem Mund
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lung der Riesen, die nâch vreislîchem site (V. 5399) auf den Ritter Cadoc einschlagen und ritters reht (V. 5412) brechen.235 Die Gewalt nimmt solche Formen an, dass nicht nur Cadoc nach dem Kampf gegenüber Erec die Riesen als zwêne vâlande (V. 5648) bezeichnet. Schon während des Kampfs wählt der Erzähler diese Formulierung zum Zeitpunkt, als Erec zum Schlag gegen den noch übrig gebliebenen vâlant ausholt: Êrec im vaste zuo gie. dannoch vaht der vâlant mit unverzageter hant. er sluoc sô manegen grimmen slac, daz uns wol wundern mac, daz Êrec vor im genas, wan daz der mit im was, der Dâvîde gap die kraft, daz er wart sigehaft an dem risen Gôlîâ: der half ouch im des siges dâ, daz er in mit gewalte volle gevalte und im daz houbet abe sluoc. dô was dâ vehtens genuoc. (V. 5555–5569)
Am Höhepunkt des Kampfgeschehens nennt der Erzähler den Riesen nicht zufällig einen Teufel, zu einem Zeitpunkt, als erstmals im Roman der Beistand Gottes für Erec explizit wird (V. 5561). Der Kampf Erecs gegen den Riesen erweist sich so als ein Kampf mythischer Bedeutsamkeit, die in der Frage nach dem göttlichen Beistand für den Menschen gründet. Der Riese avanciert als Teufel letztlich in christlicher Tradition zu einer „Übersteigerungsfigur des mythischen Repertoires, Inbegriff aller Mittel gegen eine theologische Instanz der Zuverlässigkeit und Festlegung auf den Menschen“.236 Eine theologische Instanz der Zuverlässigkeit ist im schützenden Beisein Gottes gerade aber in diesem Kampf erstmals gegeben und sogleich im Kontrast, ja mehr noch: in Konfrontation zum Mythischen eingeführt. Dabei wird aber letztlich auch die dem Ganzen unterlegte mythische Struktur des Mächtedualismus im Erzählen literarisch eingeholt, was mit dem unmittelbar an gleicher Stelle vom Erzähler aufgerufenen Vergleich
der Riesen mögen Affe und Huhn geradezu als tierische Attribute des Teufels erscheinen. Auf der anderen Seite eröffnet und schließt Erec seine Rede unter Hinweis auf Gott (V. 5438 u. 5475). 235 Die Opposition von Ritter und Riese ist in der zitierten Formulierung schon offensichtlich angelegt, doch kommt sie außerdem zum Ausdruck, wenn Erec noch gegenüber den Riesen betont, dass Cadoc ritters namen (V. 5468) trage. „Den beiden Riesen, die als schreckliche, mit Kolben bewaffnete Teufel, also als anti-ritterliche Typen dargestellt werden“, trete dann auch Erec – so Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 42 – „mit ritterlichem Anstand entgegen.“ Zur Keule als typischer Waffe eines Riesen und Ausdruck des Nicht-Christlichen siehe Röhrich, Riese, Sp. 673; Kasten, Rennewarts Stange, v. a. S. 394 u. 404 f. 236 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 158 f.
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mit dem biblischen Kampf Davids gegen Goliath erfolgt.237 Mittels dieser Analogisierung238 wird die mythische Struktur nicht nur aufgedeckt, sondern im Erzählen aufgegriffen und über die Zuschreibung von Bedeutung zugleich funktionalisiert und depotenziert: Dem in mythischer Bedeutsamkeit stilisierten Kampf wird eine Bedeutung zugeschrieben, wie sie in jüdisch-christlicher Tradition dem Goliathkampf zukommt, dem Kampf des entschlossenen und auf Gott vertrauenden Helden gegen den Riesen.239 Auf der Ebene des Erzählens erfolgt somit in gleicher Weise die Abweisung des Mythischen, wie auf der Ebene der Geschichte der Riese geköpft wird. Die so erfolgte direkte Zuordnung von entschlossenem Held und Gottes Beistand240 resultiert aus Veränderungen, die Hartmann gegenüber Chrétien vorgenommen hat. So ist bei diesem weder von den Riesen als von Teufeln die Rede, noch folgt der biblische Vergleich. Und auch die Unterstützung Gottes im Kampf ist lediglich in der Bitte Cadocs und seiner Frau genannt (V. 4349 f. u. 4448 f.). Die mythopoetische Erzählweise Hartmanns folgt somit einem Programm der progressiven Kontrastierung mythischer und höfischer Ordnungsformen, wie es auch im weiteren Verlauf der zweiten Aventiurereihe fortgesetzt wird. Am Ende der Episode wird dann zwar das obligate Wegmotiv wieder aufgerufen, doch jetzt in entscheidender Modifikation. Wie schon während der Handlung im Wald deutlich wird, dass Erec seinen angestammten Weg verlässt und der Richtungsweisung der Dame sowie der Spur der Riesen folgt, was letztlich auf Erecs zielgerichteten Einsatz verweist, so ist es jetzt ausdrücklich er, der den Weg aus diesem wilden walde sucht: ouch schiet vil balde wider ûz dem walde der tugentrîche Êrec unde suochte den wec, dâ er vrouwen Ênîten sîn hiez bîten. (V. 5710–5715) 237
Vgl. 1 Sam 17. Von einer Analogisierung ist deshalb zu sprechen, da lediglich die Struktur des mythischen Mächtedualismus aufgegriffen wird. Gott und Teufel sind durch Erec und Riesen gleichsam substituiert. 239 Vgl. auch die noch weiter gehende Interpretation von Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 291: Indem Erec bereits „Barmherzigkeit und Kampfestüchtigkeit in seiner Person vereint, erweist er sich als miles christianus“ und werde letztlich „als Erlöserfigur stilisiert“. Mertens weist darauf hin, dass der Goliathkampf häufig in mittelhochdeutschen Predigten als Beispiel für die Unterstützung Gottes herangezogen wird; Mertens, Kommentar, S. 668. 240 Nicht gefolgt werden kann der Interpretation Ohs, für die der Sieg über die Riesen „durch die Hilfe Gottes als persönliches Verdienst abgeschwächt“ ist; Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 43. Im Text ist neben der Unterstützung durch Gott explizit auch von den Fertigkeiten Erecs die Rede, vor allem von seiner snelheit (V. 5533 u. 5547), die ihm im Kampf zugute kommt. Im Kampf gegen den Riesen am Mont Saint-Michel, wie er in der Historia Regum Britanniae Geoffreys of Monmouth erzählt ist, sieht Maureen Fries unter Hinweis auf Boethius für Artus die Möglichkeit, sich als Herrscher zu bestätigen; vgl. Fries, Boethian Themes, S. 37. Auf eine mögliche Rezeption beothianischer Schicksalsvorstellungen im Erec ist im Folgenden noch einzugehen.
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Der Weg verliert hier offensichtlich seine für die Handlung bestimmende Funktion, was auf eine veränderte Motivierung schließen lässt. Schien die Handlung bislang allein vom Zufall regiert zu sein, so öffnet sie sich zunehmend einer kausalen Motivierung,241 die auch die einzelnen Stationen in einen engeren Zusammenhang setzt. Kaum dass Erec bei Enite angekommen ist, geht ihm seine von Guivreiz zugefügte Wunde wieder auf (V. 5719).242 Ohnmächtig fällt er zu Boden, daz er lac vür tôt (V. 5738). Enite beginnt fürchterlich zu klagen. Sie zweifelt an Gott, vruowe Ênîte zurnte vaste an got (V. 5774). In Erinnerung an Gottes Wort, daz ein man und sîn wîp | suln wesen ein lîp (V. 5826 f.), sehnt sie sich nach dem Tod, daz sich sô iht scheide | unser lîp mit zwein wegen (V. 5837 f.).243 Enite ruft die wilden Tiere des Waldes herbei, doch keines von ihnen kommt (V. 5855–5859). Deshalb ruft sie den Tod direkt an: vil lieber Tôt, nû meine ich dich. von dîner liebe kumt, daz ich alsô verkêre den site, daz ich wîp mannes bite. nâch dîner minne ist mir sô nôt. nû geruoche mîn, vil reiner Tôt. (V. 5886–5891)
Als auch der Tod sie nicht erhören will, verflucht sie ihn, wie sie sich und den Tag verflucht, als sie in Karnant den klagenden sûft beging (V. 5951). Gehandelt habe sie wie die Unerfahrenen, die leistent durch des tiuvels rât, | dâ von ir heil zestœret wirt (V. 5971 f.). Sie erinnert sich an ihre Eltern (V. 5974 f.), die der Hoffnung waren, alles wende sich zum Guten, doch der wân ist mînem lîbe verkêret ze ungewinne. in triegent sîne sinne, swem daz ze wendenne ist gedâht, ez enwerde vollebrâht, swaz von gote geschaffen ist: dâ vür enhœret dehein list, man enmüeze im sînen willen lân. der muoz ouch an mir ergân: ich muoz eht unsælic sîn. (V. 5983–5992)
Enite sieht sich vom Glück und von Gott verlassen und will nun selbst Hand an sich legen. So greift sie zum Schwert ihres Mannes. 241
Vgl. auch Fisher, Räuber, S. 358 u. 373. Das Aufgehen der Wunde ist einerseits von vorne motiviert, da es aus der vorangegangenen Erzählung resultiert, andererseits von hinten, da Erec für die folgende Szene der Klage und in Limors schon hier ohnmächtig zu Boden fallen und für tot gelten muss. Ihr kommt somit eine strukturbildende Funktion innerhalb der Handlungsführung durchaus zu, worauf später zurückzukommen ist. 243 Über die auf den Körper bezogene Argumentation Enites hinausgehend sieht Kraß das Motiv des Herzenstausches in die Klage integriert, wenn Enite feststellt, dass sie ein tôtez herze habe (V. 5790); vgl. Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 296.
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Kurt Ruh sieht in der Totenklage Enites ein „rhetorisches Prunkstück pathetischer Stilform“, das Hartmann gegenüber Chrétien zwar auf das Zehnfache ausgedehnt habe, das jedoch jeglicher inhaltlichen Bedeutung entbehre: „Entscheidend ist nicht, was Enite in diesem Zusammenhang sagt, sondern einzig, daß sie klagt.“ Entsprechend sei die Klage auch nicht „zur Deutung des Geschehens heranzuziehen“.244 In der Klage Enites konkretisiert sich jedoch auf eindringliche Art und Weise auch in der Figurenrede der Anspruch einer in Gott gründenden Schicksalsordnung.245 Steigert sich die Wildheit des Waldes zum personifizierten Tod, wird in Abgrenzung dazu – und in Erinnerung an die Lehren des Vaters246 – Gottes Ordnungsmacht über die Welt entfaltet. Fritz Peter Knapp hat sich ausführlich diesem Monolog gewidmet und zeigt, wie Hartmann insgesamt nicht nur „das Sentenziöse wesentlich verstärkt“, sondern die Rede gerade auch „um religiöse Motive bereichert“ hat.247 So sind verschiedene Aussagen Enites, etwa über die Zuordnung von Mann und Frau, unmittelbar an die Bibel angelehnt,248 wie dann die ganze Szene auf den Umschlag des Schicksals hin zugeschnitten ist. Der immer wieder aufgerufene Hinweis auf das verkêren der Situation verdeutlicht noch die Abgrenzung von Gott und tiuvel, von dem das heil zestœret wirt. Enite deutet ihre Situation daher nicht nur einmal als unsælic (V. 5992 u. 6038)249 und kommt zum Schluss: swaz man dem unsæligen tuot, | sîn gelücke wirt doch nimmer guot (V. 6006 f.). Am tiefsten Punkt angelangt, bar jeder Hoffnung, doch im Innersten der Liebe Erecs zugewandt, ergreift sie daher das Schwert unde kêrte daz ort | engegen ir brüsten, | nâch tôdes gelüsten (V. 6111–6113). Doch dann geschieht das Unerwartete: nû kam geriten ein man, der si es erwande, den got dar gesande. […] Oringles hiez der rîche man, von Lîmors geborn. 244
Ruh, Höfische Epik, S. 134. Dass sich die Forschung in der Deutung dieser Klage nicht einig ist, darauf verweisen Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 186 f. Worstbrock zeigt auf, wie Hartmann im Rahmen seiner Poetik der Dilatatio materiae hier in den Text seiner Vorlage eingreifen konnte, ohne größeren Einfluss auf die Handlung zu nehmen; vgl. Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 19. 246 Vgl. etwa noch die Aussagen des Koralus über die von Gott verhängte Ordnung (V. 541–544) sowie die Ausführung hierzu in Kapitel 4.1.2. 247 Knapp, Enites Totenklage, S. 85. Knapp zeigt an anderer Stelle auch weitere Verbindung auf, wie etwa das Selbstmordmotiv, das aus der Erzählung von Pyramus und Thisbe von Ovid übernommen ist: „Der Selbstmord als höchster Liebesbeweis hat als ovidisches Erbe in den arthurischen Roman Eingang gefunden. Daß es der verhinderte Selbstmord ist, sollte sich bei einem christlichen Autor an sich von selbst verstehen.“ Knapp, Selbstmord, S. 184; vgl. hierzu insgesamt ebd., S. 174–179. 248 Vgl. ebd., S. 176, unter Hinweis auf Gen 2,24; Matth 19,5; Marc 10,7; Eph 5,31; vgl. auch die Beispiele bei Knapp, Enites Totenklage, S. 85 f.; mit Hinweis auf die genannten Tiere Lewis, Das Tier, S. 47 f.; ferner Curtius, Europäische Literatur, S. 192. 249 Die Negationspartikel ‚un-‘ bringt die verkehrte Situation adäquat zum Ausdruck. 245
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den hâte got dar zuo erkorn, daz er si solde bewarn. […] ir ze heile reit er durch den walt: nâch wiu, des enist mir niht gezalt, wan daz ich betrahte in mînes herzen ahte, ez kam von ir sælikeit, daz er des tages ie ûz gereit. […] von geschihte in truoc in den walt der selbe wec, […] von wunder er dar kam (V. 6115–6143).
Auf engstem Raum müht sich der Erzähler ab, das plötzliche Erscheinen des Grafen zu erklären. Doch alle Versuche laufen nur auf einen letzten Grund hinaus. Gott ist es, der anscheinend als einziger hier die Fäden in der Hand hält.250 Ist es der Zufall, der vom Erzähler unkommentiert im Bild des Weges die Episoden der ersten Begegnungen Erecs und Enites nach ihrem Auszug von Karnant miteinander verbindet, so ist spätestens jetzt, nach Erecs Unterstützung durch Gott im Kampf gegen die Riesen, die „objektive“ Macht251 auch für den Handlungsverlauf eingeführt: „Bis zur Oringlesepisode“, so resümiert Bruno Quast, „entrollt sich Erecs Aventiureweg als Zufallsgeschehen. Orientierung in einer kontingent erscheinenden Welt gewährt allein der Weg, auf dem Erec und Enite sich befinden. Mit der Oringlesepisode erst greift […] die göttliche Kausalitätsinstanz ins Geschehen ein.“252 Auffallend verbindet sich somit in der besprochenen Szene eine Situation des schicksalhaften Umschlags mit dem von Gott gelenkten Zufall. Frederick P. Pickering hat hier ein Erklärungsmodell nach dem der Consolatio Philosophiae des Boethius vorgeschla-
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Joachim Theisen sieht hierin einzig das Anliegen des Erzählers, „der Ereignisabfolge […] einen Teil ihrer Ärgerlichkeit zu nehmen“; Theisen, Des Helden bester Freund, S. 158. Anders verhält es sich bei Chrétien. Der Erzähler nennt zwar auch dort Gott an entscheidender Stelle, doch versucht er, wie schon zuvor in der ersten Grafenepisode, das unerwartete Ereignis nicht im Unbegreiflichen zu belassen, sondern auch hier möglichst rational zu begründen. Von Gott heißt es zwar, dass er Enide nicht vergessen wollte (Dex ne la vost pas oblïer; V. 4642), doch ließ er sie etwas zögern (Dex la fet un petit tarder; V. 4634), sodass erst der Graf rechtzeitig kommen konnte. Deutlich ist bei Chrétien wieder ein anderer Akzent gesetzt. Zur Rationalisierung des Geschehens in der ersten Grafenepisode vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.1. 251 Vgl. Cormeau, Fortuna, S. 29. 252 Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 173; vgl. auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 187: „Die Vorsehung, sonst die autonome Verfügung des Erzählers über den Zusammenhang, wird hier auf einmal zum Walten göttlicher Vorsehung, mit der der Erzähler sich eins weiß.“ Der Erzähler kann das zufällige Geschehen aber gerade nicht begreifen und sucht selbst in seinem Herzen nach der Erklärung (V. 6127–6131).
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gen.253 Ausführlicher beschäftigte sich in mehreren Studien Ruth H. Firestone mit dieser These.254 Sie kommt nach eingehender Lektüre zu der Auffassung, dass schon Chrétien aus vorgefundenen Erzählungen einen zusammenhängenden Roman gemacht und diesem einen „moral sense“ unterlegt habe, „in accord with the Consolatio“; Hartmann habe dies wiederum selbst in seiner Vorlage erkannt und eine entsprechende Antwort darauf gegeben.255 Vor allem im unerwarteten Erscheinen des Grafen Oringles werde dies deutlich: „This complex episode reflects […] that the workings of devine order become fully clear to the reader.“256 Die Rezeption boethianischer Vorstellung zeigt sich vor allem aber auch in den von Hartmann gewählten Begriffen. Pickering betont, dass dem boethianischen Modell entsprechend „‚the will of God‘ will rarely be a direct reference to the God of Christian faith and dogma. That is indeed the case in Erec. […] Much more regularly reference to God’s will serves as the proper (or merely formal) preface to a more carefully worded attribution of cause to fortune (sælde) or chance (geschiht), both of which are manifestations of God’s will.“257 Auch Gisela Emrich-Müller stellt nach eingehender Untersuchung der für das Erscheinen des Oringles bemühten Schicksalsbegriffe fest, dass „jeder Zufall und jede Vorstellung einer nichtchristlich-transzendenten Schicksalsmacht ausgeschlossen“ werden können, weshalb „an der christlich-providentiellen Aussage kein Zweifel“ bestehe.258 Ähnliches gilt dann hier auch für das Wegmotiv, worauf Ernst Trachsler hingewiesen hat: „Zweifellos identifizieren die Verfasser unserer Artusromane die lenkende Macht, die sich im führenden Weg […] oder einfach in der ‚geschiht‘ manifestiert, letztlich mit Gott. Gott ist der Grund alles Geschehens.“259 Dienen dem Erzähler die genannten Begriffe teils schon in früheren Erzählabschnitten der Bezeichnung des Zufalls, so verdichten sie sich doch erst an dieser Stelle des Romans zu einer Gesamtheit, die eine göttliche Ordnung zum Ausdruck bringt. Findet Erec erst im Kampf gegen die Riesen die Unterstützung Gottes, ist es jetzt Enite, der diese zukommt. Auffallend ist auch hier Gottes Ordnung angesprochen in einer Situati253
Vgl. Pickering, The ‚fortune‘; zu Boethius siehe Rädle/Worstbrock, Boethius. Vgl. Firestone, Chrétien’s Enide; Firestone, Boethian Order; Firestone, Boethius; ferner Firestone, Sælde in Gottfried’s Tristan. 255 „Hartmann, recognizing the source of Chrétien’s inspiration, composed his Erec as a Boethian answer to Chrétien.“ Firestone, Boethius, S. 19. Firestone weist mit Rückgriff auf Pickering zudem auf die Plausibilität hin, dass Hartmann Boethius kannte und sich mit dessen Modell auseinandersetzen konnte; vgl. Firestone, Boethian Order, S. 128; Firestone, Chrétien’s Enide, S. 70 f.; ferner Goebel, Boethii ‚Philosophiae consolatio‘. Dass bereits die Historia Regum Britanniae Geoffreys of Monmouth Grundzüge boethianischer Ordnungsvorstellungen aufweist, hat Maureen Fries dargestellt; vgl. insgesamt Fries, Boethian Themes. 256 Firestone, Chrétien’s Enide, S. 95. 257 Pickering, The ‚fortune‘, S. 97. 258 Emrich-Müller, Schicksalsbegriff, S. 63 u. 73. 259 Trachsler, Der Weg, S. 117. Oben konnte bereits festgestellt werden, dass bis zu dieser Episode der Weg schon seine führende Rolle verloren hat. 254
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on größter Bedrohlichkeit. Der Verweis auf den Einfluss des Teufels aktualisiert dabei in der Figurenrede das dualistische Grundmuster, wie es bereits in der Riesenepisode ausgeprägt ist. Die progressive Kontrastierung divergierender Ordnungsmuster markiert letztlich aber eine Grenze, die im Thema des Todes aufgerufen und in der weiteren Handlung bildhaft umgesetzt ist. So ist es ausgerechnet der Herr von Limors, den Gott schickt, nachdem Enite den Tod herbeigerufen hat. Der Moment des verkêrens erweist sich so als ein Oszillieren zwischen unterschiedlich semantisierten Zuständen, auf der Handlungsebene als ein Schauplatzwechsel in das Reich des Oringles. Oringles bringt Enite und den tot geglaubten Erec auf sein Schloss Limors. Als Reich des Todes deutet Loomis Limors und erkennt einen motivlichen Zusammenhang mit dem Schadil li Mort im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven, der über die Auflösung des Namens mit der Abtrennung des maskulinen Artikels in „le Mort, Limors“ hinausgeht und in der Bestimmung der Burg als „Castle of the Dead Man“ mündet.260 Zwar seien keine mythischen Erzählungen bekannt, auf die das Motiv hier unmittelbar zurückgeführt werden könne, doch sei die Erzählung von Limors zweifellos als „a Breton modification of an earlier Celtic visit to some divine abode“ anzusehen.261 Auf eine „Celtic form of the Persephone myth“ verweisen als Spuren noch die Figur des Oringles als Herr des Todes, die Motive der Heirat und Essensverweigerung sowie die Struktur der Befreiung der Frau durch den erst tot geglaubten, dann wieder auferstandenen Helden.262 Auch für Braches ist dieser „archaische Kernpunkt unberührt geblieben“,263 den Ó Riain-Raedel als Initiation für den Helden anthropologisch deutet.264 Doch hält sie es für „nicht wahrscheinlich, daß Chrétien oder Hartmann sich der mythischen Bedeutung des Oringles bewußt gewesen sind“.265 Insgesamt ist auch für Braches die Erzählung bei Hartmann „in hohem Grade profaniert“ und folge einer „drastischen Rationalisierung“,266 während nach Loomis schon Chrétiens Darstellung „drastically remodeled“ ausfällt.267 Und tatsächlich hebt Hartmann gerade in Bezug auf Oringles zunächst dessen höfische Verhaltensformen und Vorstellungen hervor: Oringles erkennt die Schönheit Enites und beschließt, da es ihm sein sin und seines herzen rât eingegeben hätten, sie zur Frau zu nehmen (V. 6194–6211). Er bietet ihr ein unbeschwertes Leben an:
260
Loomis, Arthurian Tradition, S. 164 f.; vgl. insgesamt ebd., S. 162–168. Auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 96–103, bespricht Limors im Zusammenhang mit Ulrich. 261 Loomis, Arthurian Tradition, S. 165. 262 Ebd., S. 165 u. 168. Die Struktur zeige dabei Bezüge vor allem auch zur bretonischen Mythologie auf; vgl. ebd., S. 167; zum Tabu des Essens, das typisch für einen Aufenthalt in der Anderen Welt ist, siehe Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 100 u. 103. 263 Braches, Jenseitsmotive, S. 158. 264 Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 98–100. 265 Ebd., S. 102. 266 Braches, Jenseitsmotive, S. 157 f. 267 Loomis, Arthurian Tradition, S. 168.
Kontrastierung und Progression
163
ritter unde knehte, vrouwen, rîche dienestman, sô ir nie grâve mê gewan, die mache ich iu undertân. (V. 6277–6280)
Er schickt Boten zu Geistlichen (V. 6336), die die Trauung vollziehen sollen: si wart im sunder danc gegeben. ez enhalf ouch niht ir widerstreben: er wolde si ze wîbe hân. (V. 6348–6350)
Doch der Erzähler schließt unmittelbar an: got hete den gewalt und er den wân. (V. 6351)
Mit diesem Kommentar des Erzählers ist der zu erwartende Umschlag in der Bewertung des Geschehens gegeben, der so sentenziös wie effektvoll die Grenze zwischen Gott und Oringles zieht. Wie schon in der ersten Grafenepisode vom Wandel des Grafen die Rede ist, der sich in der Minne stricke (V. 3694) verfängt und Enite zur Frau begehrt, so ist es jetzt der Minne maht (V. 6340). Ist der erste Graf von Untriuwe (V. 3675) falsch beraten,268 sodass er sich enthöveschet (V. 4197), steigert sich der Wandel des Oringles jetzt zu einer vom Erzähler sanktionierten Abkehr von Gott.269 Diese Steigerung im Rückgriff auf die göttliche Ordnungsmacht greift dabei in nahezu gleicher Formulierung den Gegensatz Gottes auch zu den Riesen auf, denn auch einem der Riesen trouc, ob got wil, sîn wân (V. 5527).270 Gilt im Riesenkampf die Unterstützung Gottes Erec, so ist es jetzt Enite, der diese erneut zukommen muss, da Oringles sie immer stärker bedrängt. Anhand der von Hartmann breit auserzählten Essensverweigerung Enites wird dies deutlich, wie auch das der gegenüber Chrétien deutlich erweiterten Szene unterlegte Motiv des Wandels angesprochen wird: Oringles breitet Enite in einer eindringlichen Rede aus, wie sich ihre frühere Situation verkêret hât (V. 6461). Über die anaphorisch immer wieder aufgegriffene antithetische Schilderung von ê und nû (V. 6471–6494), eingeleitet mit ê wâret ir arm, nû sît ir rîch,271 zielt Oringles auf Enites Anerkennung des wehsels des Ehegatten, denn: iu ist ein arm man tôt: des sît ir ergetzet mit mir. 268
Wörtlich heißt es dort Untriuwe riet sînen sinnen, | daz er dar sô kæme, | daz er si im benæme (V. 3675–3678). Die Erwähnung des sin mag in gleicher Weise als Signal für die Korrespondenz gelten, wie auch der Überbietungstopos in Vers 6279 den Steigerungscharakter anzeigt. 269 Eine Auffassung, dass es Hartmann hierbei um die „Psychologie dieses Charakters“ ginge, so Scholz, Stellenkommentar, S. 856, lässt sich mit Blick auf die plötzliche Wende wie auch unter Berücksichtigung der strukturellen und sprachlichen Analogien zur ersten Grafenepisode bzw. zum Riesenkampf nicht halten. Bumke weist überdies darauf hin, dass Hartmann das Betören in der Minne von Chrétien übernommen hat; vgl. Bumke, Erec, S. 53. 270 Vgl. ebd., S. 51, mit Hinweis auf das Verhalten. 271 Hartmann hat diesen Vers, der sich ebenso bei Chrétien findet (V. 4763), zum Anlass genommen, die ganze Rede entsprechend zu erweitern, mit all ihren Implikationen.
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Hartmanns Erec
den selben wehsel möhtet ir immer gerne trîben. (V. 6497–6500)
Wenn Oringles seine Rede mit der Armut Enites eröffnet, die sich in Reichtum verkehren werde, und mit dem Hinweis auf ihren armen toten Mann beschließt, bezweckt er nicht nur die Trennung des Paares zu unterstreichen, sondern unterläuft überdies die Ordnungsmacht Gottes, dem allein – so Koralus in Tulmein – es zusteht, den rîchen, swênne er wil, | dem armen gelîchen | und den armen gerîchen (V. 541–543).272 Entsprechend fällt auch das Urteil der Tochter aus: si sprach: ‚daz ensol got wellen, sît daz ich mînen gesellen alsô muoz hân verlorn. […] ich hân immer manne rât, 273 sît mir in got benomen hât.‘ (V. 6412–6419)
Voll Zorn schlägt Oringles auf sie ein, bis sie blutet und ihn seine Ritter anklagen, denn sô dûhte’z si alle gelîche, | arme unde rîche, | ein michel ungevuoge (V. 6526–6528).274 Enite weicht keinem seiner Schläge aus, denn sie wânde den tôt dâ gedienen mite (V. 6569). Wie der ersten Grafenepisode ist auch den Ereignissen in Limors ein Wandel eingeschrieben, der sich in der Abkehr des Grafen von anerkannten Ordnungsregeln ausdrückt. Ist es dort das höfische Verhalten, dem der Graf zuwider handelt, ist es jetzt explizit die göttliche Ordnungsmacht, die im Beistand Gottes für Enite zunächst deutlich wird, die Oringles dann aber nachhaltig untergräbt. Deutlich zeigt sich der Herr von Limors in Abgrenzung zu Gott, worauf nicht nur der Erzähler hinweist. Aufgerufen ist insgesamt wie schon in der Totenklage Enites das Moment der Verkehrung, dargestellt als ein beständiges Oszillieren auf der Grenze zwischen ê und nû, zwischen arm und reich, Leben und Tod. Limors erweist sich auf dieser Grenze als ein Ort des Übergangs, an dem die horizontale Ordnung des Vorher und Nachher und die vertikale Ordnung von Leben und Tod zusammenfallen und in der Liebe auf Dauer gestellt werden sollen. So zumindest ist es die Absicht des Oringles, wie er sie gegenüber Enite ausspricht: den selben wehsel möhtet ir | immer gerne trîben. Mit Gewalt will Oringles die noch in der Klage Enites offenbar gewordene providentielle Ordnung auflösen und in eine mythische Zeitlosigkeit verkêren. Allein der Tod erscheint Enite auch jetzt als der einzige Ausweg. Und es ist der Tod, der auch erscheint.
272
Vgl. hierzu ausführlich auch mit Hinweis auf Lk 1,52 die Ausführungen in Kapitel 4.1.2. Der Bezug Enites auf Gott findet sich allein nur bei Hartmann, wie auch Enites Erinnern an die Eltern während der Klage (V. 5974 f.) nur bei ihm erwähnt ist. 274 Dass die am Hof von Limors versammelte Gesellschaft mit arme unde rîche erfasst wird, kann im Zusammenhang der Antithetik von arm und reich kaum als Floskel abgetan werden, stellt sich dadurch doch nochmals der Kontrast zu Oringles dar, der gerade diese Ordnung untergräbt. 273
Kontrastierung und Progression
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Von Enites Klagerufen erwacht Erec, der in des tôdes wâne | und doch des tôdes âne (V. 6590 f.) im Nebenzimmer auf der Bahre liegt. Er greift zum Schwert und erschlägt die Wachen und den wirt selbe dritten (V. 6622). Alle anderen fliehen, wan si vorhten den tôt (V. 6665). Nur Enite freut sich über sein Erscheinen: den tôten si vil gerne sach: ze liebe wart ir ungemach allez verkêret und vreude gemêret. (V. 6684–6687)
Das unvermittelte Erscheinen Erecs gab in der Forschung immer wieder Anlass, die ganze Szene in ihrer Komik zu sehen.275 Zwar entbehrt es wohl kaum einer gewissen Ironie, dass das Reich des Todes liutlôs beleip (V. 6663) und alle wie wild durcheinander rennen, doch zeigt sich darin auch ein erneuter Umschlag der Handlung, die auf eine erneute und endgültige Verkehrung der Situation hinausläuft, die letztlich aber Limors als Reich des Todes entsprechend dem mythischen Motiv bestätigt: Ist es zu Beginn Oringles, der als Herr des Todes entsprechend der Überlieferung von Limors auftritt, ist er erschlagen, wenn der Tod in Limors wütet. Erec tritt gewissermaßen mit seinem Erwachen an die Stelle des Todes, womit dieser zwar abgewiesen und bildhaft überwunden ist, doch verbleibt die Erzählung im Bild des Todes. Der Erzähler schließt daran unmittelbar an, wenn er Erec als personifizierten Tod auftreten lässt.276 So ist es tatsächlich der Tod, den die Fliehenden fürchten, und vor dem auch der Erzähler selbst geflohen wäre (V. 6680 f.). Schließlich ist es Enite, die den tôten […] vil gerne sach, hatte sie sich ihn ja auch ersehnt, wie sie ihn auch schon im Wald direkt angerufen hatte. Prägen zu Beginn der Episode die Verhältnisse in Limors noch höfische und christliche Ordnungsvorstellungen, untergräbt diese Oringles mit Gewalt, weshalb noch seine Ritter ihn ermahnen. Mit dem Auftritt des Todes verkehrt sich die Ordnung des gesamten Hofs, sodass sich eht niemen deheiner zuht (V. 6625) entsinnt und alle wider ritter rehte (V. 6647) fliehen.277 Nur die Toten bleiben zurück und Limors bleibt endgültig ein Ort des Todes. Zum Positiven wendet sich das Geschehen aber für Erec und Enite,
275
Vgl. die Zusammenstellung der Forschung bei Scholz, Stellenkommentar, S. 863–865. Als „besonders lächerlich“ liest die Szene Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 101. 276 Als Personifikation des Todes erkennt auch Scholz Erec aus der Sicht der Fliehenden; vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 865. Die Abweichung von Chrétien ist hier signifikant. Dort ist vom Tod gerade nicht die Rede, die Leute von Limors meinen, que ce soit deables | qui leanz soit entr’ax venuz (es wäre der Teufel, der da unter sie gefahren wäre; V. 4832 f.; vgl. auch V. 4855). 277 Das Moment der Verkehrung zeigt sich der gesamten Szene unterlegt und ist aufgegriffen auch in auffallend antithetischen Schilderungen, die eine Aufhebung der Relationen zum Ausdruck bringen: So fliehen die leien vür die phaffen (V. 6631) wie der kneht vür sînen herren (V. 6638) nicht wie üblich ûf die burc ûz dem tal, sondern ûz dem hûs | und sluffen ze loche sam diu mûs (V. 6653– 6655). Ihnen ist daz wîte bürgetor […] ze wênic und ze enge, | sô daz si mit gedrenge | vielen über mûre (V. 6656–6660).
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Hartmanns Erec
hat sich für sie doch allez verkêret. Erscheint Erec gleichsam von den Toten auferstanden, kann er Enite retten und mit ihr aus dem Reich des Todes fliehen. Mag die Episode von Limors von Hartmann wie auch schon von Chrétien gegenüber ihrem mythischen Ursprung in stark modifizierender Weise erzählt sein, so ist doch vor allem bei Hartmann zu erkennen,278 dass er im mythopoetischen Erzählen gerade an ihre Mythizität inhaltlich wie funktional anschließt. Über die Aufnahme ikonisch konstanter Motive und ihrer zugrunde liegenden Struktur der Initiation hinausgehend bietet sie die Möglichkeit, den Kontrast von mythischer Zeitlosigkeit und providentieller Ordnung weiter herauszustellen. Limors ist hierdurch als ein Ort mythischer Bedrohlichkeit gezeichnet, an dem der Held seine Entschlossenheit unter Beweis stellen und jetzt die eigene Frau retten kann. Am Ende aber bleibt die Episode einer literarischen Darstellung verpflichtet, die auf eine Abweisung des Mythischen zwar zielt, doch dieses letztlich nicht aufhebt. Kann Erec von Limors entkommen, erreicht er dies auf der Ebene des Erzählens in Funktion des personifizierten Todes. Die Darstellung greift Mythisches auf, überführt es in die uneigentliche Sprache der Literatur,279 doch bleibt sie in einem unentschiedenen Grenzbereich.280 Das Bild von Limors bleibt in mythopoetischer Gestaltung gewahrt und Erec und Enite müssen diesen Ort verlassen. Inhaltlich wie funktional ist Limors somit als eine Steigerung zum rûhen walt âne wec der Riesen zu sehen,281 und auch jetzt müssen Erec und Enite wieder vom abseits liegenden Ort auf ihren Weg zurückfinden. Hatte Erec im Kampf gegen die Riesen die Hilfe Gottes erfahren und seinen Weg zurück in den Wald aktiv gesucht, so besteht auch jetzt Hoffnung auf Beistand. Der Erzähler weist direkt darauf hin: nû müeze got gesenden | disen ellenden, | Êrecke und Ênîten, | ros, dâ si ûfe rîten (V. 6698–6701). Und so kommt ihnen vor der Burg schließlich ein Knappe mit Erecs Pferd entgegen,
278
Die Bedeutung dieser Episode für Hartmann zeigt sich schon am Umfang, der bei ihm annähernd dreimal so viele Verse wie bei Chrétien einnimmt; vgl. Bumke, Erec, S. 53. 279 Haug spricht entsprechend vom „Tiefpunkt, der durch den Namen der Burg Limors als symbolischer Durchgang durch den Tod zu verstehen ist“; Haug, Literaturtheorie, S. 96; vgl. auch Mertens, Artusroman, S. 33. Der „symbolische Tod“ als „eines der typischsten Szenarios der Initiation“ macht dabei aber zugleich auch auf die zugrunde liegende mythische Struktur aufmerksam; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 98 f. 280 Die Personifikation ist hierbei die entsprechende Figur, die sich stets auf der Grenze zwischen Kult und Literatur bewegt; vgl. hierzu Kiening, Personifikation, S. 356: „Personifikationen können als Wahrnehmungsformen, auch wenn sie keine kultische oder rituelle Funktion haben, in Transformationen weiterleben, können archetypisch oder mythosanalog fungieren, können immer wieder zum Leben erwachen.“ Vgl. auch Kiening, Zwischen Körper und Schrift, S. 278; ferner Huber, Personifikation, S. 54. 281 Den Steigerungscharakter hebt – wenn auch recht allgemein gehalten – schon Loomis, Arthurian Tradition, S. 163, hervor. In der Hilfe Erecs für seine eigene Frau wird für Campbell außerdem die Gegenseitigkeit des Paares erstmals wieder deutlich, die mit dem Riesenkampf vorbereitet sei; vgl. Campbell, Act of Mercy, S. 10 f.
Kontrastierung und Progression
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was der Erzähler entsprechend kommentiert: ez vuocte eht gotes wille (V. 6726).282 Mit göttlicher Hilfe kann Erec mit Enite gemeinsam auf einem Pferd von Limors entkommen. Auch jetzt ist der wec im unerkant (V. 6737), doch kann Enite ihm den Weg weisen (V. 6746), sodass si kâmen in den walt | ûz der sorgen gewalt | wider ûf ir kunden wec (V. 6760–6762), wo sie sich ihrer gegenseitigen Liebe versichern. Joachim Bumke wollte jüngst in der Versöhnung Erecs und Enites das Ende ihrer Aventiure-Fahrt sehen.283 Dass sie auf ihrer Fahrt jedoch noch nicht an ein Ende gekommen sind, verdeutlicht der folgende Kampf, in dem Erec erneut gegen Guivreiz antreten muss. Erec und Enite befinden sich noch immer auf ihrem Weg durch den Wald, der jetzt in auffallend großräumiger Topographie inmitten dreier Länder verortet wird. Genannt werden das Land von König Artus, von Oringles, in dem sich auch die Riesen befanden,284 und von König Guivreiz (V. 6750–6759). Von diesem, so ruft der Erzähler in Erinnerung, hatte Erec die Wunde erhalten (V. 6755). Im Wald nun folgt ihre zweite Begegnung. Unausweichlich reiten Erec und Guivreiz einander entgegen: nû gerieten si beide einen wec, an dirre sîten Êrec unde jenenthalp er, der eine hin, der ander her, daz si niht mohten bewarn, si enmüesten ein ander widervarn: alsô vuocte’z diu geschiht. […] in den wec hielt er [Guivreiz]. enmitten riten si [Erec und Enite] dort her. der mâne bôt in schœne naht, der dô von wolken was bedaht. (V. 6862–6895)
War im Zusammenhang mit ihrer ersten Begegnung bereits von Aventiure die Rede, die von Guivreiz auch direkt angesprochen wird,285 so zeigt sich für das Geschehen jetzt erneut ein ganzes Aufgebot von konstitutiven Elementen, um einer regelrechten Insze282
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 187: „Gott selbst beteiligt sich mit dem herbeigeschafften Pferd an der Erzählregie.“ Ein entscheidender Unterschied ist hier wieder gegenüber Chrétien auszumachen. Dort schickt nicht Gott den Knappen mit dem Pferd, sondern es ist der reine Zufall, der Erec gelegen kommt: ceste avanture li fu bele (V. 4862). Vgl. hierzu Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 62: „Das ‚Zufällige‘ der Chrestienschen ‚avanture‘ wird bei Hartmann ersetzt durch Gottes Wille.“ Der Zufall ist es bei Chrétien auch dann, wenn Erec und Enide sich der Führung des Pferdes anvertrauen (V. 4871). 283 Vgl. Bumke, Erec, S. 55. 284 Dass die Riesen dem Land von Oringles zuzuordnen sind, ist aus dem Text zu erschließen, fand doch kein Schauplatzwechsel zwischen den Episoden statt; vgl. Braches, Jenseitsmotive, S. 158: Das Auftreten der Riesen in der Nähe von Limors sei in der Motivtradition bereits angelegt, „halten sich doch bei den Grenzen der Unterwelt oft solche Ungeheuer auf“. 285 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 4.2.1.
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Hartmanns Erec
nierung einer zufälligen Begegnung auf Aventiure nachzukommen. Die Unausweichlichkeit ist eindrucksvoll in der ganzen Topographie wie im Bild des Weges vorgegeben, die Begegnung bei Nacht im Wald kann nicht anders als zufällig gelten.286 Letztlich ist es die geschiht, die alles so arrangiert. Und da sich die Freunde nicht erkennen, kommt es zum Kampf, in dem Guivreiz Erec besiegen kann. Bevor jedoch Schlimmeres geschieht, stürzt rechtzeitig Enite herbei und gibt sich und Erec zu erkennen, sodass Guivreiz vrouwen Ênîten | bî der stimme erkande, | ouch half ez, daz si in nande (V. 6957–6959). Die zweite Begegnung mit Guivreiz schließt zunächst in der Wiederaufnahme des selben Gegners die Wiederholungsstruktur der zweiten Triade ab und setzt auch den Steigerungscharakter fort, da der Kampf zweifellos als der bislang bedrohlichste zu gelten hat. Ist die Versöhnung des Paares nach den Ereignissen in Limors im gemeinsamen Ritt auf einem Pferd bildhaft umgesetzt, ereignet sich mit der Unterstützung Enites in der zweiten Guivreizbegegnung diese Gegenseitigkeit in der Beziehung nun auf der Handlungsebene.287 Am Abend führt sie schließlich Guivreiz ûz dem wege | in gemelîcher phlege | an einen wisevlecken (V. 7034–7036), wo Êrecke und vrouwen Ênîten, | die ze manegen zîten | bî ein ander niht lâgen (V. 7094–7096), nun – und nur bei Hartmann288 – gemeinsam die Nacht verbringen: dem unbescheiden hazze | wart ein ende gegeben (V. 7099 f.). Die Aventiure scheint jetzt an ein Ende gekommen zu sein, und so ist es konsequent, wenn auch der zweite Kampf gegen Guivreiz im Zeichen der Aventiure steht. Noch bevor sie sich zur Ruhe begeben, sitzen sie am Feuer, und Erec erzählt seine Aventiure: dô si dâ bî gesâzen und ein teil vergâzen kumberlîcher arbeit und Êrec hâte geseit, waz kumbers er hete erliten, […] begunden si vil verre klagen und gote grôze genâde sagen, daz Êrec dannoch lebete, […] 286
Anders sieht es Harms: Mit der Wegbeschreibung gebe „Hartmann jedoch nicht eine umständliche Beschreibung einer zufälligen Begegnung, sondern er läßt die entstehende Situation als unabänderliche Notwendigkeit erscheinen“; Harms, Kampf, S. 123. Zunächst ist die Begegnung jedoch durchaus als zufällig inszeniert, wenngleich ihre Notwendigkeit offensichtlich ist, was auf die finale Motivation aufmerksam macht, die auch hier der Szene unterlegt ist. Was Harms in einem Ausschließlichkeitsverhältnis sieht, ist aber gerade Kennzeichen der Erzählung, worauf gleich ausführlicher eingegangen wird. 287 Vgl. Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 172. 288 Dass Hartmann gerade an dieser Stelle den Akzent darauf setzt, „daß die Trennung von Tisch und Bett jetzt aufgehoben ist“, wohingegen von der gemeinsamen Nacht bei Chrétien erst auf Guivrets Schloss erzählt wird, hat Bumke, Erec, S. 56, hervorgehoben.
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nû hete in an der genâden sant ûz kumbers ünden gesant got und sîn vrümekeit, daz er nû allez sîn leit hâte überwunden, daz er ze disen stunden wol vrœlîchen saz. (V. 7046–7076)
Fröhlich kann Erec von all der Mühsal und dem Leid erzählen, da ihm doch got und sîn vrümekeit diese zu überwinden halfen. Die retrospektive Betrachtung des Weges schließt letztlich an eine Ordnung an, wie sie sich vor allem im Kontrast zum Mythischen der Riesenkämpfe und Limors immer deutlicher abzeichnete. Die erzählte Aventiure basiert somit auch hier auf der Entschlossenheit und Tapferkeit des Helden, wie sie zugleich in Gott gründet.289 Mit dieser Erzählung Erecs ist aber eine offensichtliche Spannung aufgerufen, bleibt er am Ende doch von Guivreiz besiegt.290 Es ist erneut die ambivalente Figur, die auf diese Spannung nicht nur aufmerksam macht, sondern maßgeblich daran beteiligt ist. Insgesamt zeigt sich schon der Kampf auch im Widerspruch zu Erecs Einschätzung seiner Aventiure. So ist weder von der Unterstützung Gottes noch von Erecs Stärke die Rede, vielmehr sind beide ausdrücklich gerade nicht im Kampf präsent. Die Konstituente Gott wird vom Erzähler zwar aufgerufen: nû sî got, der in ner! (V. 6901), doch bleibt ein Eingreifen Gottes aus.291 Dafür erfährt die Handlung eine auffallend rationale Begründung, die mit der Stärke des Gegners, vor allem aber mit der Schwäche Erecs gegeben wird: Guivreiz kommt nicht nur seine Stärke zugute, sondern ebenso der Umstand, dass er ausgeruhter ist (V. 6917 f.). Schon zu Beginn des Kampfs erkennt Enite Erecs unkraft (V. 6891) und weist später Guivreiz darauf hin, dass Erec stark verwundet sei (V. 6949 f.). Auch der Erzähler bezieht sich auf dessen Verwundung (V. 6933), und am Ende nennt Erec selbst seine Wunde, die er von Guivreiz im ersten Kampf empfangen hatte (V. 6997). Fluchtpunkt der Begründungen bleibt die Wunde Erecs. Wie schon nach dem ersten Kampf gegen Guivreiz verweist die Wunde auch jetzt wieder auf die noch kommende Handlung, in der nicht nur Erec nach dem verlorenen Kampf seine Ehre wieder herzustellen hat, sondern allererst eine Heilung erfolgen muss. Es ist mithin die Wunde, die auch gleich zu Beginn der Episode vom Erzähler genannt wird. Damit gibt er nicht nur der Episode eine Geschlossenheit, sondern unter-
289
Vgl. Schnyder, Sieben Thesen, S. 370 f.; Schnyder, Zum Begriff des Abenteuers, S. 271. Den Ausgang des Kampfs beachtet zuwenig Harms, wenn er ihn insgesamt zu positiv als „Wende auf dem Wege zur höfischen Welt“ deutet; Harms, Kampf, S. 127. 291 Für Sieverding, Der ritterliche Kampf, S. 62, zeigt die ausbleibende Hilfe Gottes, „daß ritterliches Handeln, das einzig auf individuellen Ehrgewinn zielt und bei dem der Kampf ausschließlich Selbstzweck ist, in Hartmanns Augen dem göttlichen Willen nicht entspricht“; die Bitte des Erzählers um Beistand habe „einen leicht ironischen Unterton“. Vgl. auch Mertens, Artusroman, S. 33.
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Hartmanns Erec
streicht vor allem die Signalfunktion der Wunde.292 Nach dem vermeintlichen Abschluss der Aventiure-Fahrt zeigt sich jetzt aber die Erzählung erneut in ihrer Finalität vom mythosanalogen Erzählen bestimmt. Das Erzählen einer Aventiure wird hier wie schon in der ersten Triade vom Mythischen gleichsam eingeholt. Nur konsequent ist es dann auch Guivreiz, der den Helden auf der Ebene des Erzählten einholt. Zu Beginn der Episode berichtet der Erzähler ausführlich von Guivreiz’ Aufbruch in den Wald: Ein Knappe habe davon erfahren, wie diz wunder ergie | ûf Lîmors (V. 6814 f.). Er eilt zu seinem Herrn und begunde im sagen, | wie der grâve Oringles wære erslagen | und daz hæte ein tôter man getân (V. 6834–6836). Guivreiz erkennt, dass es sich nur um Erec handeln kann (V. 6839); er bricht sofort auf, daz er dem ellenden man | ûz dem lande hulfe dan (V. 6860 f.). Guivreiz erfüllt die Funktion des Helfers, was letztlich auf die mythischen Ursprünge der Figur verweist.293 Von Guivreiz wird Erec dann auch tatsächlich Hilfe erhalten, auf seinem Schloss Penefrec. Zusammenfassend lässt sich somit im Vergleich zur ersten Triade festhalten: Für die Begegnungen im Wald zeigt sich die Handlung stets vom Zufall bestimmt, der den Helden in immer neue Situationen führt, in denen er sich und seine Frau verteidigen muss. Nicht zuletzt in der ersten Begegnung mit Guivreiz wird aber deutlich, dass die Aventiure Erecs, auf die in der Figurenrede explizit hingewiesen wird, allein von hinten motiviert ist. Das Erzählmodell der Aventiure, das ein Moment der Absicherung im Erzählen zunächst bietet, erwies sich insofern vom mythosanalogen Erzählen bestimmt und von der mythopoetisch gezeichneten Figur gleichsam angezeigt. Von einem göttlichen Beistand für den Helden war dann konsequent keine Rede. Kontingenz und Finalität kennzeichnen diesen Weg durch den Wald. Dies ändert sich in der zweiten Triade von Begegnungen, die noch tiefer in den Wald führt, wofür der Held seinen angestammten Weg verlässt. Erec tritt jetzt aktiv für andere ein und zeigt sich entschlossen in immer bedrohlicheren Kämpfen. Hierbei erfährt er die Unterstützung Gottes. Im Kontrast zu den Riesenkämpfen und Limors wird eine eigene Ordnung progressiv entwickelt, für die jetzt Kausalität und Providenz in gleicher Weise kennzeichnend sind. In der zweiten Begegnung mit Guivreiz verbinden sich dann jedoch rationale Begründungen mit einer finalen Motivation, die sich in einer gegenüber den vorangegangenen Ereignissen auffallend verkehrten Ordnung zeigen, die ihrerseits Momente des Zufalls auf dem Weg der Aventiure erkennen, aber auch den Beistand Gottes vermissen lässt. Und es ist erneut die ambivalente Figur, die hierauf aufmerksam macht. Am Ende ist der Held nicht mehr nur verwundet, sondern überdies im Kampf geschlagen. 292
Unzureichend bleibt die Deutung der Wunde Erecs als „Symbol seines defekten Rittertums“ von Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 49. 293 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 144 f.: Meist besteht das Motiv der Heilung in der Verwandtschaft Belis (Guivreiz) zu Mydron (Morgain), worauf in Kapitel 4.2.3 zurückzukommen ist. Bisweilen wird von einem Horn in Guivreiz’ Besitz berichtet, das über den Klang heilt, oder wenn man daraus trinkt. Auch über das Hornmotiv besteht eine Verbindung zu Morgain, von der gleichfalls mit diesem Horn erzählt wird; vgl. Paton, Studies in the fairy mythology, S. 104–123.
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Mythisches ist entsprechend der progressiv entwickelten, in Gott gründenden höfischen Ordnung auch zunehmend im Roman präsent. Eine Kontrastierung zu dieser wie eine Abweisung von jenem erfolgt dabei sowohl auf der Ebene des Erzählten wie auf der des Erzählens. Volker Mertens siedelt noch „die erste Dreiergruppe im ‚realistischen‘ Bereich“ an, doch trete mit Guivreiz bereits eine „mythische Figur“ in der Geschichte auf, folglich müsse sich der Held „verstärkt mit Wesen außergesellschaftlicher Natur auseinandersetzen“. „In der zweiten Dreiergruppe“, so fährt Mertens fort, „herrscht nun ganz die mythische Welt“, die durch die Riesen und Limors vertreten sei.294 Guivreiz, Riesen und Limors konnten über den Rückgriff auf die Motivgeschichte auch hier inhaltlich in ihrer Mythizität beschrieben und somit einem mythopoetischen Erzählen zugeordnet werden, das an Tradiertes anschließt und dieses variierend in die Erzählung einbindet, um Funktionalisierungen zu eröffnen. Auf der Ebene des Erzählten stehen sie kontrastiv dem Helden gegenüber, der sich auf seiner Aventiure dem Kampf stellen muss. Führt der Zweikampf gegen Guivreiz, der Mythisches wie Höfisches in gleicher Weise verkörpert, noch zur Versöhnung, so stehen die Auseinandersetzungen mit dem Mythischen in den folgenden Kämpfen ganz im Zeichen des Todes. Eine Abweisung des Mythischen, wie sie hier zum Ausdruck kommt, setzt sich dann auch bis in die erzählerische Darstellung hinein fort. Auf der Ebene des Erzählens eröffnet sich über die Aufnahme auch mythischer Strukturen die Möglichkeit, der schon im Tradierten angelegten mythischen Bedeutsamkeit in der uneigentlichen Sprache der Literatur eine die bloße Präsenz übersteigende Bedeutung zuzuschreiben. Als literarische Überschreibungen sind sowohl der Vergleich mit dem biblischen Goliathkampf als auch das Mittel der Personifikation zu sehen, die Erec gleichsam zur Erlöserfigur stilisieren. Der aktive Einsatz für andere und das unbedingte Vertrauen auf Gott kommen so zur Darstellung. Mythisches erweist sich letztlich aber sowohl auf der Ebene des Erzählten als auch auf der des Erzählens als Voraussetzung für die literarische Sinnzuweisung. Das entsprechende literarische Modell der Aventiure ist daher auch mit Blick auf die Handlungsführung vom mythosanalogen Erzählen bestimmt. In den beiden Guivreizkämpfen wird die Aventiure explizit angesprochen und kommt eindrucksvoll auch zur Darstellung, zugleich decken sie aber mit Wunde und Kampfausgang die Finalität der Handlung auf. Die ambivalente Figur Guivreiz macht dabei auf eine Verschränkung des Mythischen und Höfischen aufmerksam, wie sie auch den ersten Handlungszyklus bestimmt. Beide Male ist es dann auch Guivreiz, der die Führung übernimmt und Erec mit Enite auf sein Schloss bringt (V. 4585 f. u. 7116 f.). Beide Male findet der Held dann auch Heilung, doch – nach aller Abweisung des Mythischen – jetzt über die Annahme mythischer Hilfe. Die Handlung findet so erst ihren Fortgang, ausgehend von einem schœnen walt und von Penefrec.
294
Mertens, Artusroman, S. 34.
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4.2.3 Famurgan und Penefrec Nachdem Erec seinen ersten Kampf gegen Guivreiz überstanden und auch eine Nacht bei ihm verbracht hat, kommt er mit Enite in einen schœnen walt (V. 4629.8). Dort befindet sich Artus mit seinem Hof wieder einmal auf der Jagd und hat hierfür ein Zeltlager bî der strâze (V. 4629.15) errichtet. Erec trifft auf Keie,295 der ihm sofort ansieht, daz er ungemach | ûf dem wege hete erliten (V. 4629.32 f.), doch lehnt Erec seine Einladung an den Artushof ab: ich hân ze varne verre | und enmac ze disen zîten | ûz dem wege niht gerîten (V. 4669–4671).296 Gemeinsam mit Gawein verfolgt Keie Erec, doch wiederholt dieser auch jetzt seine Ablehnung (V. 4975–4978). Erst mit Hilfe einer List können ihn die beiden Ritter an den Hof bringen.297 Beim Anblick der Zelte sieht sich Erec am falschen Ort: ich wæne mich verriten hân (V. 5044), und er betont seine Nichteignung zum Hof, da er müede unde wunt und folglich unhovebære sei (V. 5063 f.).298 Doch aller Ablehnung zum Trotz freuen sich Artus und die Königin und bemühen sich um den Helden und seine Frau. Der so genannten Zwischeneinkehr Erecs am Artushof wurde von der älteren Forschung zumeist nur kompositioneller Wert zuerkannt.299 Doch bekräftigt sich in der Ablehnung Erecs, mit an den Artushof zu kommen, seine Entschlossenheit zur Aventiure. Im wiederholten Hinweis auf seinen Weg, den Erec gegenüber Keie auch explizit als mîne strâze (V. 4676 f.) bezeichnet, kommt dies deutlich zum Ausdruck.300 Insgesamt stellt sich Erec in bewusste Abgrenzung zum Artushof,301 der auch jetzt in seiner ihm eigentümlichen Verschränkung von Höfischem und Mythischem erscheint. Ein erstes Anzeichen hierfür liefert schon die Topographie des ausdrücklich schönen Waldes, der
295
Das zufällige Aufeinandertreffen ist bei Hartmann in für die erste Aventiure-Reihe charakteristischer Weise im Bild des Weges dargestellt (V. 4629.27–4629.29), bei Chrétien entsprechend mit der Formulierung par avanture (V. 3947) auf den Begriff gebracht. 296 Erecs ablehnende Haltung erklärt sich zunächst damit, dass er Keie nicht die Gelegenheit geben möchte, einen verwundeten Ritter, anscheinend von ihm besiegt, am Artushof vorführen zu können (V. 4629.56–4666). Dass Erec aber entschieden keinen Kontakt mit dem Artushof aufnehmen möchte, zeigt sich dann auch daran, dass er Keie seinen Namen verschweigt (V. 4831 f.). 297 Die List erfolgt über ein geradezu ironisches Spiel mit dem Wegmotiv. Artus errichtet sein Lager an der Stelle, wo Erec aus dem Wald kommen muss (V. 4998–5036). Erecs Weg „führt“ ihn zu Artus, doch ist es vielmehr dieser, der sich ihm in den Weg stellt. 298 Scholz, Stellenkommentar, S. 809, sieht sich mit dem Verb verreiten an das verligen in Karnant erinnert und vermutet „erzählerische Ironie“ angesichts Erecs Aussage, dass er unhovebære sei. 299 Vgl. etwa Kuhn, Erec, S. 31: „Eigenen Erzählungsgehalt, Sagen- oder Aventiurestoff enthält sie [die Zwischeneinkehr] so wenig wie jene [die Schlusseinkehr]. Auch ihre Handlung besteht in reiner Repräsentation.“ Ähnlich urteilt dann auch Ruh, Höfische Epik, S. 133. 300 Vgl. Trachsler, Der Weg, S. 69. 301 Vgl. Feistner, Bewußtlosigkeit, S. 246.
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dem Aufenthaltsort des Königs entsprechend als schön bezeichnet wird,302 doch als Wald in gleicher Weise auf einen Ort bedrohlicher Begegnung aufmerksam macht.303 Zunächst aber erhält Erec Hilfe von der Königin. Sie lässt ein Pflaster holen, das auf wundersame Weise jede noch so schwere Wunde zu heilen vermag, denn – so der Erzähler – diu werlt ze deheinen zîten | bezzer phlaster nie gewan (V. 5151 f.).: mit disem phlaster verbant der küneginne hant des ritteres sîten. (V. 5148–5150) dâ mite diu küneginne Êrecke die wunden verbant. des phlasters güete er wol emphant. (V. 5245–5247)
In den 100 Versen zwischen den zitierten Erwähnungen, dass die Königin Erec verbindet, berichtet der Erzähler ausführlich von diesem Pflaster (V. 5153–5244):304 Es komme von Famurgan, der Schwester des Königs Artus, die lange vor ihrem Tod ihre zouberlist darauf verwendet habe, dieses Pflaster herzustellen. Ausschweifend berichtet der Erzähler von dieser Famurgan, doch könne er – wie früher auch von Guivreiz – nicht alle wunder von ihr erzählen und müsse vieles verschweigen.305 Sie sei jedenfalls eine gotinne gewesen, die jeden Augenblick an einem anderen Ort hätte sein können, um im nächsten Moment wieder in aller Ruhe durch die Luft zu schweben, so als ginge sie auf Erden. Sie habe auf dem Wasser und unter dem Wasser gelebt, wie im Feuer und im Tau. Jederzeit habe sie einen Menschen in ein Tier und wieder zurück verwandeln können und alle Tiere aus Wald und Flur seien ihr untergeben gewesen wie die Drachen der Luft und die Fische im Wasser. Böse Geister und Dämonen hätten auf ihr Wort gehört, und in der Hölle hätten ihre Verwandten gelebt, selbst der tiuvel was ir geselle. Von diesem habe sie erhalten, was sie wollte, und von jedem Kraut habe sie die Wirkung gekannt. Seit der Zeit, als Sibillâ gestorben sei und Erictô, von der Lûcânus erzählt habe, dass sie Tote zum Leben erwecken konnte, habe von zouberlîchem sinne | nie bezzer meisterinne | danne Fâmurgan (V. 5228–5230) gelebt. Lese man in allen arzâtbuochen, fände man kein besseres Heilmittel als ihr Pflaster, das sie geschaffen habe mit ihren Kenntnissen, die si wider Kriste | uopte, sô des gerte ir muot (V. 5241 f.). 302
Die Entsprechungsfunktion hebt Schröder, Schauplätze, S. 276, hervor, wenngleich er vorschnell schließt, dass dort „ein Ritter kaum auf unhöfische Wesen treffen wird“; vgl. auch Krause, Jagd als Lebensform, S. 54 f. 303 Die Anspielung auf das Motiv des wilden Waldes ist kaum zu übersehen; vgl. zu diesem Motiv die Ausführungen in Kapitel 4.1.1. Für Mertens, Kommentar, S. 663, ist es „der mythische Wald, in dem Artus den weißen Hirsch erlegt hat“. 304 Die folgenden Zitate zu Famurgan sind den genannten Versen entnommen. 305 Auch von Guivreiz konnte der Erzähler nicht alle wunder (V. 4281) erzählen, sondern musste vieles verschweigen (V. 4299 f.). Auffallend bedient sich Hartmann dieses Unsagbarkeitstopos gerade an Stellen, an denen er auf mythische Materie zurückgreift, ohne dass diese in seiner Vorlage von Chrétien erzählt ist. Vgl. zu Guivreiz die Ausführungen in Kapitel 4.2.1.
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Hartmann hat den Text an dieser Stelle gegenüber seiner Vorlage von Chrétien auf das Zehnfache ausgedehnt und allererst die Erzählung von Famurgan in den Roman integriert. Bei Chrétien ist zwar gleichfalls von dem Pflaster die Rede, das Artus von seiner Schwester Morgain empfangen habe (V. 4196), doch ist es lediglich Teil einer medizinischen Behandlung: Nach Auswaschung der Wunde und deren Verbinden (V. 4205 f.), könne dieses in einer Woche wirken, wiederhole man die Behandlung täglich (V. 4199–4202). Von Morgain selbst wird nichts erzählt.306 Die Erzählung Hartmanns lenkt die Aufmerksamkeit dagegen umso mehr auf Famurgan selbst. Famurgan ist die von Hartmann gebrauchte Namensbezeichnung für die prominente mythische Fee Morgain.307 Wie sich schon die Feenmythologie insgesamt auf keinen klar zu benennenden Ursprung zurückführen lässt,308 so stand auch die Forschung zu Morgain vor nicht unerheblichen Schwierigkeiten, ihre Figur und ihr Charakter seien insgesamt – so Loomis – als „the most perplexing in the Matière de Bretagne“ zu bewerten.309 Zurückzuführen ist Morgain sowohl auf Morrigan, die irische Göttin für Fruchtbarkeit und Krieg sowie Herrin des keltischen Jenseits- und Totenreiches, als auch auf ihr walisisches Pendant Mydron, die zudem als Herrin über das Meer bekannt ist, sodass Wasser als das älteste Attribut Morgains gelten kann.310 Daneben ist von zahlreichen weiteren Einflüssen aus unterschiedlichen mythischen Traditionen auszugehen, wie sie vor allem in Folge der kontinentalen Rezeption anzunehmen sind.311 Im Ergebnis erscheint Morgain im europäischen Mittelalter als „a female pantheon in miniature“.312 Als Inbegriff der Zauberei erhielt sie schon früh im Rahmen des weit verbreiteten Glaubens an die schicksalbestimmende Macht der Feen das Appellativum ‚la fee‘ als Ableitung vom mittellateinischen Wort ‚fatum‘, das in seiner ganzen semantischen
306
Antonini weist zudem darauf hin, dass bei Chrétien Morgain in der knappen Erwähnung weder eindeutig als Fee noch als Magierin zu bestimmen sei; vgl. Antonini, Fâmurgân nell’ ‚Erec‘, S. 69. 307 Vgl. im Folgenden grundlegend Loomis, Morgain la Fée and the Celtic Goddesses; Funcke, Morgain, S. 4–13; Wolfzettel, Fee, Sp. 956–960; Jennings, Metamorphosis of Morgain, S. 197 f.; kritisch bleibt Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 31 f.; zur Namensform siehe Fauth, Fata Morgana, S. 440–454; ferner Minis, Fâmurgân, S. 65–67. 308 Verbindungen bestehen über den keltischen und germanischen Kulturraum hinaus etwa noch bis in den slawischen und semitischen; vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 945 f. 309 Loomis, Morgain la Fée and the Celtic Goddesses, S. 183. Einen guten Überblick über die ältere Forschung bietet Funcke, Morgain, S. 1–4; ferner Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 49–76. 310 Vgl. Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, S. 11. Wasser ist allgemein dominierendes Attribut für Feen im inselkeltischen und bretonischen Bereich; vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 951. 311 Vgl. Funcke, Morgain, S. 8 f.: „Die Morrigan-Figur ist auf dem Weg durch verschiedene Traditionsräume mit anderen mythischen und sagenhaften Gestalten und Elementen vermengt und verändert worden, bis sie zur Fee Morgain geworden ist.“ Speziell mit Blick auf die kontinentale Rezeption über Wales siehe Loomis, Morgain la Fée and the Celtic Goddesses, S. 194 f.; ferner Paton, Studies in the fairy mythology, S. 164. 312 Loomis, Morgain la Fée and the Celtic Goddesses, S. 200.
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Breite von Zauber und Schicksal anzusiedeln ist.313 Von daher wird von Morgain meist in Verbindung „mit allen wichtigen Ereignissen des menschlichen Lebens: Geburt, Taufe, Hochzeit, Kindbett, Tod“ erzählt.314 Die Erzählung von Famurgan in Hartmanns Erec gab, da sie keine Entsprechung bei Chrétien hat, häufig Anlass zur Frage nach möglichen anderen Quellen.315 Die meisten Übereinstimmungen zeigen sich mit Morgen, von der Geoffrey of Monmouth um 1150 in seiner Vita Merlini berichtet, die zugleich der älteste schriftliche Beleg für die Fee aus dem keltischen Avalon ist. Wie Famurgan bei Hartmann ist Morgen in Kenntnis aller Kräuter heilkundig und hat die Fähigkeit zu fliegen und die Gestalt zu verwandeln.316 Parallelen zeigen sich überdies zur antiken Mythologie: So galt dem Mittelalter die aus Ovids Metamorphosen bekannte Zauberin Circe als Beispiel für Magie, da sie nicht nur auf dem Wasser wandeln, sondern ebenso Menschen in Tiere und wieder zurück verwandeln kann.317 In den Pharsalia berichtet Lukan, auf den Hartmann explizit verweist (V. 5218), von der Herrschaft Erichtos über die Tiere318 und von Sybille, die schon früh in Verbindung mit Morgain, vor allem im italischen Raum, gebracht wurde und die man im Ätna auf Sizilien, dem Eingang zur Hölle, beheimatet glaubte.319 Die zahlreichen Parallelen reichen jedoch nicht aus, um eine direkte Vorlage der genannten Texte für Hartmann wahrscheinlich zu machen. Vielmehr sind mehrere unbekannte Quellen anzunehmen, die auch einer mündlichen Überlieferung zuzuschreiben sind,320 doch kann insgesamt festgehalten werden, dass Hartmanns Famurgan unbestreitbar „das Ergebnis einer Kontamination bereits vorliegender Motive“ ist.321 Hartmanns Text erweist sich letztlich über die Nennung der prägnanten Figur der Famurgan hinausgehend auch in der Aufnahme der verschiedenen mit ihr verbundenen ikonisch konstanten Motive als mythopoetisch. Trotz ihrer Elastizität in der Rezeption 313
Vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 946 f.; Funcke, Morgain, S. 8. Die Etymologie zu ‚Morgain‘ ist bis heute umstritten. Ausführlich beschäftigt sich damit Fauth, Fata Morgana, S. 440–454, der den Namen auf die kelt. Wurzel *morg-/*murg- ‚zum Grenzbereich/Küste gehörig‘ zurückführt, was sich mit dem Wissen von der mythischen Gottheit Morrigan deckt, die als Göttin des Schicksals und des Todes zudem am Übergang von Wasser und Land topographisch angesiedelt wird. 314 Wolfzettel, Fee, Sp. 948. 315 Vgl. im Folgenden grundlegend Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition; im Überblick auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 32–39. 316 Vgl. Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, S. 9; Funcke, Morgain, S. 10 f.; WandWittkowski, Zauberin Feimurgan, S. 2; Wolfzettel, Fee, Sp. 956 f. 317 Vgl. Wand-Wittkowski, Zauberin Feimurgan, S. 2; Lewis, Das Tier, S. 45; sowie Minis, Fâmurgân, S. 67 f., die überdies auf Vergils Aeneis hinweist, in der vom schnellen Flug der Fama die Rede ist. 318 Vgl. Minis, Fâmurgân, S. 67 f.; Wolfzettel, Fee, Sp. 949, weist auf Beziehungen zur irischen Mythologie hin. 319 Ausführlich hierzu Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, S. 12–21; Fauth, Fata Morgana, S. 417–440; ferner Wolfzettel, Fee, Sp. 959 f., mit Hinweis auf den späteren Lancelot en prose. 320 Vgl. Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, v. a. S. 9 u. 32 f.; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 37 f.; Antonini, Fâmurgân nell’ ‚Erec‘, S. 69 f. 321 Wand-Wittkowski, Zauberin Feimurgan, S. 2.
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zeigt sich deren temporale Stabilität noch in der Darstellung bei Hartmann. Die einzelnen Motive sind überdies – so etwa die Verwandlung von Menschen in Tiere, das Leben im Wasser wie im Feuer, die Fähigkeit zu fliegen und im Augenblicksmoment den Ort zu wechseln – in ihrer Mythizität klar angezeigt. Mit dem Moment der Metamorphose, der Herrschaft über die Elemente und der Überwindung von Raum und Zeit sind wesentliche Grundzüge mythischen Denkens aufgerufen, die mit der Aufhebung von Gegensätzen auf eine Entdifferenzierung der verschiedenen Wahrnehmungs- und Wissensordnungen hinauslaufen.322 Dem entspricht auch der ambivalente Charakter der Figur, wie er im Text in einer zugleich dämonisierenden wie bewundernden Darstellung gründet.323 Das Dämonische der Famurgan kommt nicht nur in der Bezeichnung als gotinne zum Ausdruck, sondern vor allem auch in ihrer Herrschaft über die übelen geiste, | die dâ tiuvel sint genant. Über ihre Verwandtschaft in der Hölle und ihre Gesellschaft mit dem Teufel selbst ist sie diesem Bereich des Dämonischen klar zugeordnet. Unterstrichen und überhöht wird dies noch durch den abschließenden Hinweis auf ihre Gegnerschaft zu Christus. Damit ist der Erzählung von Famurgan aber gleichsam ein mythischer Mächtedualismus eingeschrieben, wie er bereits für die Riesenkämpfe dargestellt werden konnte.324 Die ambivalente Bewertung der Figur ist letztlich aber Resultat des auch bewundernden Berichts des Erzählers. Im Erzählen ihrer wunder scheint er geradezu ihren Tod zu bedauern, da ihr Wissen mit ihr verloren gegangen sei (V. 5159 f.). Dafür lobt er ihr Pflaster, das selbst ein wîser man nicht ablehnen könne, biete es ihm doch unersetzbare Hilfe (V. 5232–5239).325 Es ist mithin das Motiv der Heilung, das auch innerhalb der Handlung diese Ambivalenz fortsetzt. Ihre Fähigkeit zu heilen teilt Famurgan mit zahlreichen weiblichen Figuren der europäischen Mythologie,326 wenn auch eine eigene Traditionslinie Morgains 322
Vgl. Cassirer, Das mythische Denken, S. 47 f. Cassirer bezeichnet den Moment des noch undifferenzierten Zustands als den allem zugrunde liegenden „einen Grundzug des mythischen Denkens“; ebd., S. 48; vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. 323 Als „zwiespältige Gestalt“ bezeichnet sie Mertens, Kommentar, S. 666. Die Ambivalenz ist bereits in der Figur Morrigan angelegt, die als Fruchtbarkeitsgöttin zugleich auch Herrin über das Totenreich ist. Von ihrem doppelten Gesicht zeugen auch janusköpfige Steinrelikte im keltischen Kulturraum, worauf Funcke, Morgain, S. 4, aufmerksam gemacht hat. Wiegand hebt dagegen die beschriebene unklare Motivherkunft hervor. Die erfolgte Durchmischung unterschiedlicher Traditionen führe nur zu verständlich zu einer ambivalenten Darstellung auch im Roman; vgl. Wiegand, Morgan la Fay, S. 86 u. 88. Dass eine ambivalente Darstellung der Morgain insgesamt für die Artustradition kennzeichnend ist, betont Wolfzettel, Fee, Sp. 958. 324 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.2. 325 Wenn Hartmann die Fee verteufelt und andererseits meint, sie könne mit ihrer Heilkraft doch durchaus nutzen, dann zeigt sich für Braches eine „Zwitterstellung“ der Figur zwischen christlicher Verdammung und Sympathie zum archaischen Weltbild; Braches, Jenseitsmotive, S. 164. Als einen „Zwitter zwischen Dämon und Mensch“ bezeichnet sie auch Wand-Wittkowski, Zauberin Feimurgan, S. 4, für die insgesamt „der Charakter der Figur schillernd und unbestimmt“ bleibt; ebd., S. 6; vgl. auch Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 85. 326 Vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 950.
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als heilende Zauberin nur schwer nachgezeichnet werden kann.327 Spätestens mit Giraldus Cambrensis ist das Motiv jedoch fester Bestandteil im Zusammenhang der Überführung des verwundeten Artus nach Avalon durch Morgain.328 Die zuvor ausführlichste Beschreibung ihrer Heilkraft liefert dagegen der Roman Hartmanns, dem somit eine besondere Stellung innerhalb dieser Tradition zukommt.329 Bei Hartmann ist es Erec, der Heilung durch das Pflaster der Famurgan erfährt, weshalb er seinen Weg auf Aventiure fortsetzen kann.330 Von daher ist im Weiteren auf die Funktion dieses Motivs im Roman einzugehen, zumal Hartmann an dieser Stelle von seiner Vorlage von Chrétien offensichtlich abweicht und über die mythopoetische Erzählung von Famurgan hinausgehend die Heilung Erecs auch auf formaler Ebene der Darstellung mythischem Denken analog begründet: Nachdem die Königin das Pflaster geholt hat, ergreift der Erzähler das Wort und berichtet zunächst von dessen Wirkung: dâ von wil ich iu sagen, | wie guot ez ze wunden was (V. 5133 f.). Es heile jede Wunde gerade so, wie es nötig sei, bis man am Ende jedoch von jeder noch so schweren Wunde nichts mehr bemerken könne. Zu Recht scheint dies erklärungsbedürftig, und so schließt der Erzähler an: wundert nû deheinen man, der’z gerne vernæme, von wannen diz phlaster kæme, daz hâte Fâmurgân, des küneges swester, dâ verlân lange vor, dô si erstarp. (V. 5153–5158)
Ist bei Chrétien die Wirkung des Pflasters als Teil einer medizinischen Behandlung anscheinend nicht in Frage gestellt, so bezieht sich der Erzähler bei Hartmann auf die Herkunft des Pflasters, um die Wirkung zu begründen. Mit der rhetorischen Frage an sein Publikum leitet er die Erzählung von Famurgan ein und liefert mit ihr die Aitiologie des Pflasters. Damit aber öffnet er die Erzählung nicht nur den mythischen Inhalten, sondern überführt diese in eine mythische Darstellungsform, denn: „Die Form der Aitiologie partizipiert an einem Narrativ, das genuin der Frage nach dem Ursprung verpflichtet ist und dem traditionell mythischer Gehalt zugewiesen wird.“331 Als einen 327
Vgl. Paton, Studies in the fairy mythology, S. 45. Paton betont aber auch die wiederum auffallenden Übereinstimmungen mit Morgen in der Vita Merlini Geoffreys. 328 Vgl. Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, S. 31; Fromm, „Aufklärung“ und neuer Mythos, S. 12; Wolfzettel, Fee, Sp. 956; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 32 f., mit Hinweis bereits auf Geoffrey. 329 Vgl. Paton, Studies in the fairy mythology, S. 45. Eine unbekannte, mündliche Quelle für Hartmann ist anzunehmen. Loomis, Morgain la Fée in the Oral Tradition, geht daher von Hartmanns Beschreibung der Famurgan aus, um die Frage nach der mündlichen Überlieferung zu erörtern. 330 Wolfzettel spezifiziert daher die Rolle Famurgans im Erec als die einer Gabenfee; vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 957; zur Gabenfee allgemein ebd., Sp. 947–950. 331 Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 290; siehe grundlegend auch Cancik-Lindemaier, Ätiologie, hier v. a. S. 392 f.
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Sonderfall der deutenden Mythen bestimmen Aleida und Jan Assmann die Aitiologie, da an auffällige Details der Erscheinungswelt angeknüpft wird.332 Sind es letztlich aber doch wunder, von denen der Erzähler berichtet, wird die Wirkung des Pflasters dadurch weniger nachvollziehbar gemacht, als vielmehr verschleiert.333 Beispielhaft liegt hier ein erzählerisches Verfahren der Umständlichkeit vor, das an eine Depotenzierung der Wirklichkeit anschließt und zugleich dem Pflaster eine Bedeutsamkeit zuschreibt. Diesem kommt somit innerhalb des Erzählten eine eigene Wirklichkeit zu, die die Frage nach der Wirksamkeit des Pflasters obsolet werden lässt.334 Es ist letztlich die mythopoetische Erzählung von Famurgan, die an die Stelle einer rationalen Begründung tritt und dem Pflaster über die umständliche Aitiologie auch seine Wirkkraft spendet.335 Das Pflaster firmiert hier gleichsam als Substanz gewordene Wirksamkeit des Mythischen, wie „auch sonst“, so Cassirer, „überall im mythischen Denken die Verdinglichung von Beschaffenheiten und Prozessen von Kräften und Tätigkeiten wieder[kehrt], die häufig geradezu zu ihrer unmittelbaren Materialisierung führt“.336 Die „mythische Kraft“ erscheint im mythischen Denken gleichsam als „ein eigenes stoffartiges Sein, das als solches von Ort zu Ort, von Subjekt zu Subjekt wandert“.337 Und so ist es nicht mehr einfach nur ein phlaster (V. 5132), sondern nach der Erzählung von Famurgan jetzt ausdrücklich daz selbe phlaster […] dâ mite diu küneginne | Êrecke die wunden verbant (V. 5243–5246). Als Pflaster allerdings kommt es in besonderem Maße dem von Cassirer beschriebenen mythischen Kraftbegriff entgegen, da man „in den Besitz der Zauberkraft […] nur durch physische Übertragung gelangen“ kann.338 Hieraus resultiert letztlich „die tiefe Kluft, durch die diese mythische Form der Medizin von der empirisch-wissenschaftlichen […] getrennt bleibt“.339 332
Assmann/Assmann, Mythos, S. 186. Dass in der Erzählung von Famurgan natürlich auch speziell vom Pflaster die Rede ist, das sie eigenhändig hergestellt hat, gibt diesem jedoch keine nähere Konkretisierung, da letztlich die Zutaten noch weiter ins Unbestimmte zurückgeführt werden. So bedient sich Famurgan nicht nur der Kräuter, deren Kraft nur ihr bekannt sind, sondern gleichfalls auch der Gaben des Teufels (V. 5206–5215). 334 Zum Verfahren der Umständlichkeit und zum Wirklichkeitsbezug über Stiftung von Bedeutsamkeit siehe ausführlich Kapitel 2.1.2. 335 Beispielhaft kann der Begriff der Aitiologie in diesem Zusammenhang seine Verwendung finden, da die Erzählung von Famurgan als in sich geschlossene Einheit vom Erzähler angezeigt ist; vgl. hierzu den Hinweis zur terminologischen Verwendung von Cancik-Lindemaier, Ätiologie, S. 393: „Der Ausdruck Ä. sollte nicht für totale Konzepte, sondern – im traditionellen Sinne – für kleine Einheiten gebraucht werden, sei es für selbständige Erzählstücke, sei es für Teile eines größeren Zusammenhangs: die Angabe eines Grundes für einen empirisch faßbaren, konkreten Sachverhalt.“ 336 Cassirer, Das mythische Denken, S. 76. 337 Ebd., S. 75. 338 Ebd. Wie schon beim Kuss der Hirschjagd liegt hier ein Moment der Berührung vor; vgl. auch die Ausführungen zum Kuss in Kapitel 4.1.3. 339 Cassirer, Das mythische Denken, S. 75 f. So ist es dann auch allgemein nach einer berühmt gewordenen Formulierung Cassirers „dem Mythos eigentümlich, daß er, bei aller ‚Geistigkeit‘ seiner Ob333
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Die Heilung Erecs, wie sie bei Hartmann durch die Erzählung von Famurgan substituiert wird und mittels des mit mythischer Bedeutsamkeit versehenen Pflasters mythischem Denken analog erfolgt, erweist sich gegenüber der Darstellung Chrétiens als mythisiert. Mythopoetisches wie mythosanaloges Erzählen dienen in gleicher Weise dazu, die Erzählung voran zu bringen, wie auf der Ebene des Erzählten der Held aufbrechen kann, sobald er mit dem Pflaster versorgt ist: wan als er verbunden wart, dô hügete er wider ûf die vart. in dûhte, er wære gar genesen, 340 und enwolde dâ niht langer wesen. (V. 5248–5251)
Wie der Heilung durch das Pflaster in der hier zum Ausdruck kommenden subjektiven Wahrnehmung Erecs am Ende aber eine gewisse Unsicherheit zukommt, bleibt auch der gesamten Szene ihre Ambivalenz erhalten. Mit der mythisierenden Erzählung bei Hartmann geht zugleich eine implizite Distanznahme gegenüber den mythischen Inhalten einher, die bei Chrétien nicht ausgemacht werden kann.341 Ist bei ihm Morgain ohnehin nur am Rande erwähnt, so nimmt sie dennoch an der Hochzeit Erecs und Enides am Artushof teil (V. 1907).342 Bei Hartmann hingegen ist nicht nur explizit vom Tod Famurgans die Rede, sondern überdies von ihrem Wirken wider Kriste (V. 5241).343 Übernommen hat Hartmann jedoch die Verwandtschaft der Fee mit Artus.344 Schon hierdurch setzt sich die Ambivalenz der Figur bis an den Artushof fort, da eine königliche Schwester mit weiterer Verwandtschaft in der Hölle nur kaum mit dem höfischen Ideal vereinbar ist.345 Der königliche Besitz des Pflasters aktualisiert letztlich die Verbindung zu Famurgan noch über deren Tod hinaus,346 und so ist es auch hier der Artushof, der nicht nur vom Höfischen und Mythischen gleichermaßen durchdrungen ist, jekte und Inhalte, in seiner ‚Logik‘, in der Form seiner Begriffe, verhaftet an den Körpern klebt“; ebd., S. 76, Hervorhebung dort. 340 Am Rande sei an Chrétien erinnert, der von der einwöchigen Kur erzählt. Zudem möchte Artus Erec zuliebe 14 Tage im Wald bleiben, bis dieser vollkommen auskuriert sei (V. 4209–4212). 341 Im Kontext einer Lektüre, die im Pflaster ein Fiktionssignal erkennt, hebt auch Niesner, Das Wunderbare, S. 149 f., eine Distanz in Form ironischen Erzählens hervor. 342 Konsequent hat Hartmann die Geliebte Gimoers dann auch Marguel (V. 1934) genannt. Wäre Famurgan wie bei Chrétien bei der Hochzeit anwesend gewesen, hätte sie später nicht als tot gelten können; vgl. hierzu auch Kapitel 4.1.4. 343 Meyer, Struktureller Zauber, S. 143, spricht daher von einer „doppelten Distanzierung“ Hartmanns von der Welt der Fee; vgl. auch Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 85 f. Dass Feen eigentlich als unsterblich galten – vgl. Wolfzettel, Fee, Sp. 957 –, verdeutlicht dabei den Bruch mit der Tradition. 344 Zum Motiv des Verwandtschaftsverhältnisses Morgains mit Artus siehe Paton, Studies in the fairy mythology, S. 136–144. Auf Probleme der Quellenlage verweist in diesem Zusammenhang Wolfzettel, Fee, Sp. 956 f.; vgl. auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 30. 345 Vgl. schon ebd., S. 34. 346 Vgl. Lewis, Das Tier, S. 46. Eine Lockerung der Verbindung – trotz der Verwandtschaft – sieht dagegen Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 85. Dass über das Pflaster der Famurgan ihr Wirken nur umso nachhaltiger auch im Roman erscheint, betont Funcke, Morgain, S. 25.
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sondern jetzt geradezu eine vermittelnde Funktion einnimmt. Entsprechend der Topographie des zweiten Handlungszyklus ist es dann auch der Wald, in dem Erec auf Artus trifft. Dass es ein schœner walt ist, verdeutlicht nur umso mehr die Präsenz des Höfischen wie des Mythischen. Konsequent heißt es dann von Erec, dass er enwolde dâ niht langer wesen (V. 5251). Eine Abweisung des Mythischen, wie sie hier in der noch notwendigen Annahme aber bereits auch angelegt ist, erfolgt dann in gesteigertem Maße bei der Wiederaufnahme desselben Motivs in Penefrec, der zweiten Zwischeneinkehr Erecs: Nach erfolgreichem Kampf gegen die Riesen und der Flucht aus dem Reich des Todes unterliegt Erec im Zweikampf gegen Guivreiz, da ihn die bereits in Limors wieder aufgegangene Wunde noch allzu sehr schwächt.347 Erneut benötigt Erec Heilung der ihm von Guivreiz zugefügten Wunde, der sie ihm auch zukommen lassen möchte: der vil wênige man, Guivreiz ir wirt, vuorte sî ze bezzerm gemache dâ bî, ûf eine sîne veste, dâ er si bewart weste ze vollem gemache. von aller guoten sache sô was daz selbe hûs vol, rehte als ich iu sagen sol. (V. 7115–7123)
Der Erzähler beschreibt nun in aller Ausführlichkeit welcher Art das gemache ist, das hier anzutreffen sei (V. 7124–7206): Er berichtet von der Burg inmitten eines Sees voller Fische, der überdies von einem Wald und einer kreisrunden Mauer umgeben sei, die nur einen Zugang offen lasse. Innerhalb dieser Mauer seien drei Bereiche voneinander abgetrennt, in denen einmal Rotwild, einmal Schwarzwild und einmal Kleintier in aller Fülle vorzufinden seien. Überhaupt sei zur Jagd alles vorhanden, was nur irgend gebraucht werde, ebenso wie es Essen und Trinken und unzählige Kostbarkeiten gebe, sodass es dem Gast dort an nichts fehlen sollte. Und so schließt der Erzähler: Penefrec was diz hûs genant. | dâ man dehein gebresten vant (V. 7188 f.). Hartmann hat seinen Roman für die Beschreibung Penefrecs gegenüber Chrétien auch hier stark ausgeweitet. In über 80 Versen führt er aus, was bei Chrétien in zwei knappen Anmerkungen nur kurz angedeutet ist.348 Deutlicher unterstreicht er damit die strukturelle Bedeutung der Episode, die wie die Episode im schœnen walt als erneute Zwischeneinkehr auf Erecs Weg anzusehen ist.349 Beide Aufenthalte Erecs, hier bei 347
Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 4.2.2. Bei Chrétien heißt es lediglich, dass die Burg Pointurie sehr schön und gut sei (V. 5146) und sie daher einen angenehmen Aufenthalt darstelle (V. 5150). Die lange Beschreibung Penefrecs mag der Episode dagegen ein „für den Aufbau der Erzählung notwendige[s] Gewicht“ geben; Wiesinger, Die Funktion der Burg, S. 264. 349 In der entsprechenden Position des Romans hat Peter Wapnewski den Aufenthalt in Penefrec gesehen. So führt er den Aufenthalt bei Guivreiz als „Abstecher auf das Wasserschloß Penefrec“ als
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König Artus, dort bei König Guivreiz, schließen eine vorausgegangene Reihe von jeweils drei Kämpfen ab, von denen sich der verwundete Held vor der Weiterreise erholen muss.350 Beide Male aber wählt Erec nicht selbständig seinen Weg, sondern wird an den jeweiligen Hof gebracht. Lehnt er zunächst noch Guivreiz’ Einladung an dessen Hof ab, da er nâch gemache niht strebe (V. 4576), ist es erst die List Gaweins, die ihm den Aufenthalt bei Artus gewissermaßen aufnötigt. Später folgt er der Einladung Guivreiz’ und findet in Penefrec dann einen Ort voller gemache. Doch auch jetzt ist er zu dieser Zwischeneinkehr genötigt wegen seiner Wunde.351 Hier wie dort ist es letztlich die Wunde Erecs, die die Aufmerksamkeit auf den Fortgang der Handlung lenkt. Und so ist es die narrative Instanz des Erzählers, die erneut den Erzählfluss unterbricht: wer solde nû sîn arzât sîn, der heilte sîne wunden? dar zuo hete er dâ vunden vrouwen vil rîche, edele, wætlîche, des küneges swester zwô. (V. 7207–7212)
Wie anlässlich der ersten Heilung Erecs richtet sich auch jetzt der Erzähler in einer rhetorischen Frage an sein Publikum und leitet erneut eine Erklärung ein, wie die Heilung Erecs erfolgt. Ist es im ersten Fall die aitiologische Erzählung des Pflasters, die den Heilungsprozess substituiert, ist es hier eine medizinische Behandlung, die den Heilungsprozess explizit macht. Ist das Pflaster Famurgans zuvor noch in Abgrenzung zu allen bekannten arzâtbuochen (V. 5239) beschrieben, richtet sich das Interesse jetzt auf den arzât (V. 7207) Erecs. Dessen Aufgaben übernehmen die Schwestern von Guivreiz, wie auch Enite ihrem Mann zur Seite steht (V. 7220 f.). Überdies schließt sich ein 14-tägiger Kuraufenthalt Erecs an, er bleibt in Penefrec, unz er wol geheilet was | und sîner wunden genas, | rehte vierzehen naht (V. 7234–7236). Die unterschiedliche Akzentuierung der beiden Szenen ist über die als Signal zu verstehende Frage nach dem Arzt hinausgehend evident, da – auffallend gerade über den Vergleich mit Chrétien352 – erst jetzt eine nachvollziehbare Begründung für die Heilung vierte Station des zweiten Weges, zuvor die Zwischeneinkehr als „Abstecher an den Artushof“ als vierte Station des ersten Weges; vgl. Wapnewski, Hartmann von Aue, S. 46 f. Obwohl auch Erika Oh die vergleichbare Position beider Episoden im Handlungsverlauf feststellt, nimmt sie Penefrec nicht in ihr Strukturschema auf; vgl. Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 71 f. 350 Eine Entsprechung des schönen Waldes mit dem „ordentlichen Wald“ in Penefrec, beides Orte der königlichen Jagd, sieht Krause, Jagd als Lebensform, S. 57. 351 Dass die Wunde jetzt erst zu einem Aufenthalt zwingt, zeigt sich daran, dass Erec im zweiten Kampf gegen Guivreiz unterliegt, wohingegen er gegen Keie noch bestehen konnte. Dass der Verursacher der Wunde Erec dann auch führt, veranschaulicht nur noch diese Abhängigkeit. Der Episodendoppelung ist somit auch hier das Prinzip der Steigerung unterlegt. Eine „chiastische Form“ sieht Hasebrink, Erecs Wunde, S. 7. 352 Hartmann nennt erst hier die Pflege Erecs und den 14-tägigen Aufenthalt, was Chrétien bereits in der ersten Zwischeneinkehr thematisiert hat, worauf bereits hingewiesen wurde.
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Erecs gegeben wird,353 die damit aber ausreichend motiviert zu sein scheint, ist doch seine Wunde bereits wol heil (V. 7224). Dennoch nennt der Erzähler unmittelbar anschließend wieder das Pflaster Famurgans: si heten des phlasters ein teil, dâ von ich ê gesaget hân, daz dâ Fâmurgân hâte gemachet mit ir hant. des hâte in ze gebe gesant vrouwe Ginovêr ein teil. daz was ouch dises mannes heil. (V. 7225–7231)
Konnte die Wirkung des Pflasters mythischem Denken analog über die Berührung mit dem Helden erfolgen, so ist die Übertragung mythischer Kraft jetzt gemäß dem für das mythische Denken allgemein von Cassirer aufgestellten Gesetz der Konkreszenz nicht nur in qualitativer, sondern speziell auch in quantitativer Hinsicht entsprechend anzunehmen.354 Insofern erklärt es sich, dass noch ein teil des Pflasters Erec ouch helfen kann, das heißt in gleicher Weise, wie das Pflaster als Ganzes. Als Teil ist das Pflaster jedoch auch im übertragenen Sinne jetzt Teil der Pflege durch die Frauen, weshalb es an dieser Stelle lediglich erwähnt und nicht weiter beschrieben wird und insofern also dem Helden ouch hilft.355 Die Wirkung des Pflasters scheint gleichsam in der umfassenden medizinischen Behandlung aufzugehen, wenn nicht gar von dieser kompensiert zu werden. Dieser Befund lässt sich zumindest für den Roman Chrétiens anstellen, da das Pflaster Morgains in Pointurie nicht erwähnt wird. Mit der Erwähnung bei Hartmann erfolgt dagegen eine direkte Anbindung an die frühere Szene im schœnen walt, die nicht nur bereits in der beschriebenen strukturellen Äquivalenz der Episoden vorgezeichnet, sondern vom Erzähler im expliziten Verweis auf das zuvor Erzählte auch angezeigt ist. Die genannte unterschiedliche Akzentuierung der beiden Szenen wird dadurch aber nur umso deutlicher herausgestellt. Ersetzt die Erzählung von Famurgan die Begründung für die Wirksamkeit des Pflasters und substituiert sie mithin auch den gesamten Heilungsvorgang, kann das Pflaster gewissermaßen als Substanz gewordene Erzählung angesehen werden, die mythischem Denken analog über Berührung auf den Helden wirkt. Mit dem Verweis auf eben diese zuvor erzählte Erzählung macht der Erzähler hier aber gerade auf diesen Zusammenhang aufmerksam. Das Pflaster ist in Penefrec weniger mythopoetisch in die erzählte Handlung eingebunden als vielmehr 353
Vgl. Niesner, Das Wunderbare, S. 153. Für Haage ist offensichtlich, dass die Schwestern „bis in Einzelheiten hinein Züge der adligen Laienärztin in der mittelalterlichen Realität“ tragen; Haage, Feimurgan, S. 17. In gewisser Weise behält Hartmann hierdurch auch das bei Chrétien schon angelegte Steigerungsprinzip bei. So beschreibt dieser noch umfassender und detaillierter als zuvor die Behandlung Erecs gemäß medizinischer Praxis (V. 5154–5183); vgl. Haage, Heilkunde, S. 523. 354 Zu den Kategorien der Qualität und Quantität in mythischer Konkreszenz siehe Kapitel 3.1.2. 355 Die Integration des Pflasters in die Behandlung der Schwestern stellt sich schon sprachlich über den verwendeten Reim dar. So bilden die Reimpaare heil/teil (V. 7224 f.) und teil/heil (V. 7230 f.) gewissermaßen als umarmender Reim den Rahmen für die Nennung des Pflasters.
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metonymisch im Erzählen eingesetzt. Als Teil verweist es auf ein Ganzes, wenngleich dieses in ihm noch immer präsent ist, „in dem Sinne, daß es mit seiner vollen mythischsubstantiellen Wesenheit in ihn eingeht, daß es geradezu sinnlich und materiell in ihm irgendwie ‚steckt‘“.356 Insofern mag das Pflaster ouch dises mannes heil sein und dient nicht nur dem Erzähler.357 Das Pflaster der Famurgan ist hier über seine Mythizität hinaus letztlich aber zugleich auch in die uneigentliche Sprache der Literatur überführt. Die synekdochische Eigenschaft als Pars pro Toto ermöglicht dies in gleicher Weise wie das Kontiguitätsmoment, das dem „Doppelcharakter der Sprache“ im Sinne Roman Jakobsons zugrunde liegt.358 Nach Jakobson kann sich jede Rede in zwei verschiedene semantische Richtungen entwickeln: „Der Gegenstand der Rede kann sowohl durch die Similaritätsoperation als auch durch die Kontiguitätsoperation in einen anderen Gegenstand überführt werden. Den ersten Weg könnte man als den metaphorischen, den zweiten als den metonymischen Weg bezeichnen.“359 In der Literatur sei dieses wie jenes gleichermaßen nachvollziehbar, doch überwiege die Metonymie gerade in der realistischen Darstellung.360 Bezogen auf die hier zu besprechende Szene ist es die im Erzählten wirkende Berührung, die sich als Kontiguitätsoperation in die Erzählerrede hinein als Metonymie fortsetzt. Die Äquivalenz der Korrelation eröffnet letztlich die Möglichkeit, das mythische Geschehen literarisch darzustellen und dem Unwahrscheinlichen den Anschein einer Wirklichkeit zu geben, ohne diese in einer erneuten umständlichen Aitiologie begründen zu müssen. Dem kommt letztlich sowohl die ausführliche Beschreibung der Pflege Erecs entgegen als auch die gegebene Begründung, wie das Pflaster in den Besitz der Schwestern von Guivreiz kam. Der kurze Hinweis auf Ginover bleibt vollkommen über den Verweis auf die frühere Erzählung motiviert und so braucht nicht weiter auf die in der Motivgeschichte angelegte Verbindung von Guivreiz mit Famurgan zurückgegriffen werden.361 356
Cassirer, Das mythische Denken, S. 83. Die offensichtliche Mehrdeutigkeit von Vers 7231 resultiert nicht zuletzt aus der Unbestimmtheit des Pflasters, das auf der Ebene des Erzählten wie auch auf der Ebene des Erzählens in gleicher Weise eingebunden ist. Übersetzungen im Sinne von „Auch das kam diesem Mann zugute“ oder „Das kam diesem Mann auch zugute“ wären ebenso denkbar wie „Das kam auch diesem Mann zugute“. Die Übersetzung bei Hartmann von Aue, Erec (Cramer), S. 317, mit „Das half auch diesem Manne“ engt die Mehrdeutigkeit empfindlich ein, wohingegen die Übersetzung von Susanne Held, streng an der originalen Wortfolge orientiert, der Offenheit am ehesten entgegenkommt: „Davon wurde auch dieser Mann gesund.“ Hartmann von Aue, Erec (Scholz), S. 409. 358 Jakobson, Der Doppelcharakter der Sprache; siehe hierzu Rolf, Metapherntheorien, S. 101–105. 359 Jakobson, Der Doppelcharakter der Sprache, S. 168. 360 Vgl. ebd., S. 169 f. 361 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 144 f.: Die den Figuren Guivreiz und Famurgan zugrunde liegenden mythischen Figuren Beli und Mydron stehen stets in einem Verwandtschaftsverhältnis. Infolge der weit verzweigten Rezeption wurde diese jedoch „hopelessly muddled“. Außer Frage stehe aber letztlich: „The dwarf king of Arthurian tradition had a kinswoman famed for her healing powers, and that she was originally Morgain.“ An der Guivreiz-Handlung werde somit deutlich, dass „the profound influence of the legends of Morgain la Fée on the matter of Erec is established“.
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Die erneute Nennung des Pflasters der Famurgan bei Hartmann zeigt somit zweierlei: Erneut erfährt Erec nach der Verwundung durch die ambivalente Figur Guivreiz Hilfe durch das Pflaster der eindeutig dem Mythischen zuzuweisenden Figur Famurgan. Erfolgt auf der Ebene der Handlung nach verlorenem Kampf im Rahmen einer umfassenden Behandlung durch die Schwestern notwendigerweise noch die Annahme der mythischen Hilfe, setzt sich auf der Ebene der Darstellung die in den vorangegangenen Episoden aufgegriffene Abweisung des Mythischen dagegen fort. Zielt die Überblendung der mythischen Struktur der Riesenkämpfe mit dem biblischen Vergleich auf eine Depotenzierung des Mythischen im Erzählen, verfolgt auf ähnliche Weise das erzählerische Spiel mit der Personifikation eine Überwindung mythischer Bedrohlichkeit in Limors. Auch in Penefrec erweist sich Mythisches durch die metonymische Verwendung des Pflasters literarischer Verfügbarkeit nicht nur anheimgestellt, sondern von dieser gleichsam überboten. Der Erzähler unterstreicht dies mit der seinerseits nur kaum zu überbietenden Beschreibung von Enites Pferd, die sich, wie schon die Erwähnung des Pflasters, in dieser Ausführlichkeit nur bei Hartmann findet:362 Wie die Beschreibung der unterstützenden Behandlung Erecs leitet der Erzähler auch die Unterstützung für Enite mit der rhetorischen Frage ein (V. 7265 f.).363 Es folgen zunächst Beschreibungen der Farbe und der Gestalt des Pferdes (V. 7290–7393), bis schließlich – wie zuvor für das Pflaster – eine Herkunftsgeschichte erzählt wird, ich sage iu, wie ez dar was komen (V. 7394): Guivreiz habe das Pferd einst auf Aventiure einem Zwerg abgenommen und später seinen Schwestern geschenkt (V. 7435 f.). Dass der Erzähler hiermit aber nicht wie für das Pflaster eine umständliche Aitiologie liefert, die als mythische Erzählung anzusehen ist, gibt er unzweifelhaft zu erkennen. Es folgt zwar zunächst gleichfalls der obligate Unsagbarkeitstopos mit dem Hinweis, dass man all die wunder nicht erzählen könne und ihrer mê gedagen müsse (V. 7454 f.), doch bezieht sich der Erzähler im Folgenden ausdrücklich auf seine Vorlage, wie sie ihm der meister seite (V. 7462), und darauf, dass er es an sînem buoche las (V. 7491). Die Betonung seiner Kunstfertigkeit mündet schließlich in der Wechselrede mit dem Publikum über die Zuverlässigkeit seiner Erzählung (V. 7493–7525).364 Und so greift der Erzähler in seiner Beschreibung der Satteldecke dann auffallend auch Motive auf, die zuvor die Mythizität Famurgans anzeigten.365 Doch jetzt beweist er seine eigene Herrschaft über die vier elementâ (V. 7594), über die Tiere auf der Erde, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft und die Drachen im Feuer (V. 7600–7653); all das meisterte ouch 362
Aufgrund der Fülle der Forschung zu Enites Pferd sei lediglich verwiesen auf Scholz, Stellenkommentar, S. 898–929; sowie Bürkle, Enites Pferd und der Diskurs artistischer meisterschaft. 363 Der Bezug wird überdies in den folgenden Versen noch deutlicher, wenn direkt auf Erecs Not seit Limors angespielt wird (V. 7270 f.). 364 Damit verweist Hartmann aber – so resümiert Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 26 – „das Dargestellte in keinen anderen Raum als den der Fiktion“. 365 Vgl. Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 93: „Die Schilderung von Enites Pferd (vor allem der Satteldecke) ist eine bewußte, überhöhende Gegenüberstellung zur Feimurgan-Beschreibung.“
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starker list (V. 7599). Es ist mithin die Kunstfertigkeit des Erzählers, die dem Mythischen gleichkommt, sodass selbst Jûpiter […] und diu gotinne Jûnô (V. 7659 f.) nichts Besseres besessen hätten.366 Die ausladende Beschreibung von Enites Pferd, ihrem Geschenk der Schwestern, lässt deren erstes Geschenk, das Pflaster für Erec, nahezu verblassen. Wenngleich die mythische Wirksamkeit des Pflasters noch im Teil erhalten bleibt und so dem Helden zugute kommen kann, ist bereits der metonymische Darstellungsmodus als Versuch einer Zurückweisung des Mythischen auf der Ebene des Erzählens zu bewerten, zumindest aber als eine auffallende Reduktion. Dem steht die ausführliche Beschreibung von Enites Pferd gegenüber, die nicht von ungefähr darstellerische Mittel und auch inhaltliche Details aufgreift, wie sie zuvor in der mythopoetischen Erzählung von Famurgan herausgearbeitet werden konnten. Jetzt aber ist es ausdrücklich die Kunstfertigkeit des Erzählers, die zum Mythischen auf der Ebene der Darstellung im Kontrast steht. Innerhalb der Geschichte aber ist dieses wie jenes präsent und wirklich: Wie Enite auf ihrem neuen Pferd reiten kann, kann auch Erec vom Pflaster geheilt seinen Weg fortsetzen. Über die Nennung des Pflasters auch in Penefrec erweist sich letztlich dieser Ort als eine Station des Übergangs. Die in der Erzählung von Famurgan bereits deutlich gewordene Ambivalenz der Figur und ihrer Hilfe wird hier im Pflaster aktualisiert und Penefrec letztlich semantisch dem Artushof zugeordnet, von dem die Schwestern von Guivreiz das Pflaster erhielten. Penefrec wie der schöne Wald erweisen sich somit nicht nur aufgrund ihrer strukturellen Entsprechung als Zwischeneinkehren, sondern sind überdies beides Orte, an denen der Held Höfischem aber immer auch Mythischem begegnet. Beide Male ist er zwar auf die heilende Wirkung des Pflasters angewiesen, doch beide Male ist er nicht bereit, länger am Ort zu verweilen, als es unbedingt notwendig erscheint. Hier wie dort bricht er auf, sobald er sich dazu in der Lage sieht: Kaum ist er von Ginover verbunden, dô hügete er wider ûf die vart. | in dûhte er wære gar genesen | und enwolde dâ niht langer wesen (V. 5249–5251). Mit ähnlicher Formulierung wiederholt sich dies in Penefrec. Schon während der 14 Tage, die ihm überdies noch viel zu lange erscheinen (V. 7260–7263), kommt es Erec so vor, als ob er in einem walde | wære âne obedach (V. 7245 f.). Wie im schœnen walt bei Artus möchte er auch jetzt sogleich weiterreiten: dô huop er sich wider ûf die vart. | swie guot gemach dâ wære, | im was dâ vil swære (V. 7239–7241).367
366 367
Als einen Vergleich der Überbietung gar sieht es Scholz, Stellenkommentar, S. 926. Die Ausgabe von Scholz behält für Vers 7239 den überlieferten Text aus dem Ambraser Heldenbuch mit Ergänzung von sich bei, „weil dadurch die Spannung zwischen Erecs Ungeduld und der folgenden retardierenden Darstellung noch größer wird“; Scholz, Stellenkommentar, S. 898. Seit der zweiten Auflage der Ausgabe von Moriz Haupt von 1871 hat man die Ergänzung vermieden und huop in hügete geändert. Hierdurch wird noch deutlicher der Bezug zu Vers 5249 über dieselbe Formulierung kenntlich, was auch der strukturellen und inhaltlichen Bedeutung nachkommt. Vgl. die Ausgabe Hartmann von Aue, Erec (Cormeau, Gärtner).
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4.3 Gegenwelt und Destruktion Entlang der zwei Triaden des zweiten Handlungszyklus konnten divergierende Ordnungsformen mythischer und christlich-providentieller Art in ihrem progressiven und zueinander kontrastierenden Entwurf nachvollzogen werden. Auf seinem Weg durch den Wald muss Erec Situationen bestehen, die ihn in gesteigerter Bedrohlichkeit zur Verteidigung zwingen. Schon der Ausritt in Karnant steht dabei ganz im Zeichen der Aventiure, die sich mit der entsprechenden Topographie und dem konstitutiven Wegmotiv zunächst als Zufallsgeschehen zu erkennen gibt. Explizit angesprochen wird die Aventiure Erecs schließlich von Guivreiz, womit aber auch implizit die Frage nach deren Sinn aufgerufen ist, wenngleich sie mit der final motivierten Handlung noch unbeantwortet und offen bleibt. Die ambivalente Figur des Königs auf inhaltlicher Ebene macht auf Ambivalenzen auch der Erzählung aufmerksam, die in formaler Hinsicht aus der Vermengung mythosanalogen Erzählens mit dem Erzählen der Aventiure resultieren. Geradezu programmatisch konkretisiert sich dies in der so genannten Zwischeneinkehr am Artushof, im schönen Wald erfährt Erec Hilfe durch das Pflaster der Famurgan. Über die mythopoetische Erzählung von Famurgan ist gleichsam die Herkunft des Pflasters legitimiert, welches mythischem Denken analog auch wirken kann und Erec seinen Weg auf Aventiure fortsetzen lässt. Eine gezielte Auseinandersetzung mit dem Mythischen erfolgt schließlich mit Erecs erneutem Auszug. Auf inhaltlicher Ebene zeigt sich im mythopoetischen Erzählen von den Riesen und Limors Erec jetzt aktiv im Einsatz für andere, er verlässt seinen angestammten Weg und erfährt die Unterstützung Gottes. Die jetzt kausal motivierte und in Gott gründende Ordnung der Aventiure steht im Kontrast zur mythischen der Riesen und Limors, gegen die Erec im Kampf antritt. Auf der Ebene der Darstellung zeigen sich entsprechende Ansätze der Abwehr des Mythischen durch den Erzähler: In Überblendung mythischer Strukturen im biblischen Vergleich einerseits, im Spiel mit der Personifikation andererseits erfolgt eine Depotenzierung des Mythischen in der literarischen Darstellung. Doch wie Mythisches in der analogen Gestaltung auch im Erzählen noch immer präsent ist, muss Erec nach seinem Sieg über die Riesen und Oringles schwer verwundet mit Enite aus dem Reich des Todes fliehen. Und so steht am Ende die Konfrontation mit Guivreiz, dem Erec jetzt unterlegen ist. Erneut benötigt er Hilfe und erhält sie in Penefrec, erneut im Auflegen des Pflasters der Famurgan. Doch entsprechend der progressiven Kontrastierung mythischen und literarischen Erzählens ist nur mehr ein Teil des Pflasters auch nur Teil einer jetzt umfassenderen Behandlung Erecs. Die Rationalisierung des Erzählten ist begleitet von einer literarischen Vereinnahmung des Mythischen: So erscheint das Pflaster in Penefrec der Verfügbarkeit des Erzählers anheimgestellt, der auf seine frühere Erzählung nicht nur verweist, sondern diese mit der kunstvollen Erzählung von Enites Pferd noch überbietet. Der Abweisung des Mythischen durch den Erzähler entspricht in der Geschichte, dass Erec weder zuvor am Artushof noch in Penefrec länger verweilen möchte.
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Schließlich ist Erecs Aventiure in Penefrec noch nicht beendet. Nicht nur seine Niederlage im Kampf verlangt einen erneuten Auszug, schon seine Abhängigkeit von Hilfe macht hierauf aufmerksam. Und noch nach dem Aufenthalt in Penefrec übernimmt Guivreiz die Führung, doch kann er den Weg an den Artushof nicht finden: sus riten si nâch wâne und doch der gewisheit âne unz hin umbe mitten tac. nû truoc si der huofslac ûf einer schœnen heide an eine wegescheide (V. 7808–7813)
Erneut sind die konstitutiven Elemente angeführt, die den Auszug als einen Aufbruch auf Aventiure kennzeichnen: Die Ungewissheit der Richtung ist ebenso genannt, wie das Wegmotiv unmittelbar aufgerufen ist. Wie stets zu Beginn der Fahrt kommen sie auf eine Heide, die als schöne Heide bereits Erwartungen wecken mag.368 Letztlich lenkt die wegescheide aber unweigerlich die Aufmerksamkeit auf die weitere Handlung, zumal Hartmann hier auch entschieden von seiner Vorlage abweicht. Bei Chrétien ist vom Aufbruch selbst nicht die Rede und auch nur am Rande wird erwähnt, dass sie den ganzen Tag auf ausdrücklich geradem Weg reiten: Chevalchié ont, des le matin | jusqu’al vespre, le droit chemin (V. 5319 f.). Mit der wegescheide bei Hartmann ist aber ein Topos aufgerufen, der die Entscheidung der Richtungswahl fordert.369 Dem Motiv der Weggabelung hat sich intensiv Wolfgang Harms gewidmet.370 Prominent ist aus antiker Überlieferung etwa die Geschichte von Herakles am Scheideweg, die in den Memorabilien Xenophons erzählt wird. In christlicher Tradition ist die Vorstellung der zwei Wege aus der von Matthäus berichteten Bergpredigt bekannt, die über eine moralische Wahl zwischen Tugend und Laster hinausgeht und in eschatologischer Erweiterung den schmalen Weg zum Leben vom breiten Weg ins Verderben absetzt (Matth 7,13 f.). Wenngleich eine Beeinflussung durch die antike Tradition im Mittelalter anzunehmen ist,371 steht doch eine christliche Deutung im Vordergrund, wie sie Hartmann auch dem Prolog seines Gregorius unterlegt.372 Ursula Deitmaring weist darauf hin, dass im 12. Jahrhundert das Motiv so umfassend bekannt war, dass kein weiterer Hinweis auf konkrete Semantisierungen gegeben werden musste. Der Vorstellung vom schmalen und breiten Weg fügt sich eine Richtungssymbolik an, nach der 368
Sowohl zu Beginn des ersten Auszugs Erecs ist die Heide (V. 7) der Ort der ersten Begegnung, wie der Weg auch zu Beginn des zweiten Auszugs zunächst über eine Heide (V. 3107) führt. Wenn die Heide hier explizit als schön bezeichnet wird, mag bereits ein Kontrast zu den früheren Szenen angelegt sein, der Neues erwarten lässt. 369 Vgl. Trachsler, Der Weg, S. 198 f. 370 Vgl. im Folgenden Harms, Homo viator. Harms geht in seiner Studie jedoch nicht auf den Erec ein. 371 Vgl. Siefken, Zum Motiv der zwei Wege, S. 4. 372 Vgl. Hartmann von Aue, Gregorius (Mertens), insbesondere die Verse 79–96. Zum Gregorius siehe Lorenz, Bemerkungen zum Motiv; Lorenz, Das Bild der zwei Wege; Siefken, Zum Motiv der zwei Wege, S. 1–13; Trachsler, Der Weg, S. 211 f.; Harms, Homo viator, S. 35–40.
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allein der rechte Weg zum Heil führt. Die Richtungen selbst übernehmen dann schon allein durch ihre Nennung eine „Funktion der Stellvertretung: Rechts–Links nehmen als Bedeutendes das Bedeutete in sich auf“.373 Vor diesem Hintergrund ist die Wahl des Weges an der wegescheide eine kaum zu überbietende Möglichkeit der Bedeutungssetzung,374 zumal Erec und seine beiden Begleiter den offensichtlich falschen Weg einschlagen: welh wec ze Britanje in daz lant gienge, daz was in unerkant. die rehten strâze si vermiten: die baz gebûwen si riten. (V. 7814–7817)
Wenn sie explizit nicht den rechten Weg nehmen und sich vielmehr für den breiten entscheiden, ist den kommenden Ereignissen schon hier ein Deutungshorizont vorgegeben, der einer christlichen Erwartungshaltung entgegensteht. Die so angelegte doppelte Spannung „zwischen Analogie und Gegensatz zum christlichen Weg“375 einerseits und auf die kommenden Ereignisse andererseits setzt sich in der anschließend narrativ entfalteten Spannung fort,376 in der schrittweise erfolgenden Annäherung an Brandigan, der Beschreibung der Burg und des darunter liegenden Baumgartens.
4.3.1 Brandigan und des hoves vreude Nach nur kurzem Ritt kommen Guivreiz, Erec und Enite zu einer Burg, die schon wegen ihrer Größe beeindruckt. Guivreiz ist es bei ihrem Anblick sogleich vil ungemach, es begunde in vaste beswæren, | daz si dar komen wæren (V. 7823–7825). Während er bei Chrétien seinem Freund bereitwillig jede Auskunft über die Burg gibt (V. 5339 f.), verweigert selbst der Erzähler bei Hartmann zunächst jede weitere Erklärung. Im knapp gehaltenen fiktiven Dialog vertröstet er sein Publikum, da es noch nicht an der Zeit sei, alles schon jetzt vorwegzunehmen: Er sage es, sô ich’z sagen sol, doch sei es noch niht zît. | wie bitelôs ir sît! | wer solde sîn mære vür sagen? (V. 7827–7830) Dafür liefert der Erzähler unter Hinweis auf seine Quelle eine umso ausführlichere Beschreibung der Anlage (V. 7834–7893): Hoch auf einem Felsen, umgeben mit mächtigen Mauern und 30 Türmen, throne die prächtige Burg. Auf der einen Seite befinde sich eine Schlucht, die so Schwindel erregend tief sei, dass es jedem beim Blick hinunter so vorkomme, 373
Deitmaring, Bedeutung von Rechts und Links, S. 290; vgl. auch Harms, Homo viator, S. 201 u. 287; mit Beleg aus einer Predigt des 12. Jahrhunderts Trachsler, Der Weg, S. 211. 374 Cormeau, Joie de la curt, S. 196, spricht hier von einem „Bedeutungsüberschuß“. 375 Trachsler, Der Weg, S. 215. 376 Wenn Hartmann die Weggabelung so merkwürdig in seinen Roman einführt und – so Walter Haug – auch Guivreiz den Weg seltsamerweise nicht kennt, dann mache er auf die folgende Handlung des Romans aufmerksam: „In Hartmanns Änderung steckt zumindest ansatzweise eine poetologische Reflexion.“ Haug, Joie da la curt, S. 272.
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sam er sæhe in die helle (V. 7881). Zur anderen Seite liege eine Stadt am Fluss mit einem boumgarte schœne und wît, | daz weder vor noch sît | dehein schœner wart gesehen (V. 7890–7892). Mit dieser ausführlichen Beschreibung der Topographie wird bereits deutlich, dass es sich um einen besonderen Ort handelt, der sich vom Bisherigen absetzt. Nach Rainer Gruenter folgt die Beschreibungstechnik Grundzügen mittelalterlicher Landschaftsdarstellungen, die weniger einem raumlogischen Zusammenhang, als vielmehr einer Kulissenzeichnung folgen.377 Gertrud Höhler erkennt lediglich „unsortierte Versatzstücke“, die keinerlei Bezug zueinander aufwiesen; dem Erzähler komme es „vielmehr darauf an, einen Ort seiner Bedeutung nach vorzuführen“.378 Auch Peter Wiesinger erkennt darin eine „hinweisende Funktion auf die Wichtigkeit des bevorstehenden, sich an diesem Ort vollziehenden Geschehens“.379 Diese Funktion ist unmittelbar nachvollziehbar, wie mit Burg, Stadt und Baumgarten auch die Schauplätze der folgenden Ereignisse vorgestellt werden. Ein Zusammenhang der genannten Details ist jedoch deutlich hergestellt in der Darstellungsweise, die über eine bloße Kulissenzeichnung hinausgeht und über die stufenweise Beschreibung von oben nach unten das Beschriebene gleichsam entlang eines Abstiegs vorführt. Letztlich ist hierdurch bereits eine doppelte Opposition entworfen, die die höllengleiche Schlucht vom schönen Garten abgrenzt, doch beide unterhalb der prächtigen Burg und außerhalb der Stadt verortet. Über die Erzählerrede im Anschluss an den fiktiven Dialog wird hierauf in besonderem Maße aufmerksam gemacht, insofern auch hier ein Verfahren gegeben ist, das nicht nur Spannung und Aufmerksamkeit weckt, sondern – wie zuvor schon für die Erzählung von Famurgan380 – das Erzählte mittels einer „narrative[n] Technik auf eine höhere Ebene“ hebt und „sie damit ins Bewußtsein“ drängt.381 Die an der Weggabelung aufgerufene doppelte Spannung wird hier gewissermaßen dreidimensional veranschaulicht.382 In der folgenden Figurenrede erfolgt daher der Rückgriff auf ebendiese Situation. Auf die Frage Erecs, wie diese Burg nun heiße, verflucht Guivreiz seine falsche Richtungswahl: daz ez got verwâze! […] ich hân mich übele übersehen, | gezeiget zuo der winstern hant (V. 7901–7906). Mit der ausführlichen Beschreibung der Topographie ist somit nicht nur ein Hinweis auf die Bedeutung der kommenden Ereignisse gegeben, sondern zugleich ein binäres 377
Vgl. Gruenter, Zum Problem der Landschaftsdarstellung, S. 255 f. u. 262. Höhler, Kampf im Garten, S. 378, Hervorhebung dort. Höhler führt weiter aus: „Was Hartmann uns vorführt, ist eine Kette von Begriffen, die von Bedeutungen gefüllt sind. Diese Einzelbedeutungen sind der Funktion und dem Charakter des größeren Raumes (Burg und Stadt und Garten) zugeordnet.“ Die einzelnen „Kennzeichen haben eine gewisse tradierte Verbindlichkeit, die mit ins Bild tritt, wenn das Ding genannt wird“. 379 Wiesinger, Die Funktion der Burg, S. 264. 380 Vgl. zum analog gestalteten Verfahren die Ausführungen in Kapitel 4.2.3. 381 Haug, Joie de la curt, S. 273. 382 Auf die Entsprechung von oben und unten mit der Richtungssymbolik von rechts und links hat Deitmaring, Bedeutung von Rechts und Links, S. 287, hingewiesen. 378
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Oppositionsverhältnis entworfen, das vor allem auch durch das wieder aufgegriffene Motiv der Weggabelung verstärkt wird. Hiermit ist sowohl dem Schauplatz wie der weiteren Handlung eine Semantik unterlegt, die umso mehr eine Erwartungshaltung weckt. Im Dialog zwischen Erec und Guivreiz verlagert sich diese Haltung dann auf die Ebene der Geschichte: Guivreiz möchte seinen Freund von diesem Ort wegführen, doch bekräftigt Erec seinen unbedingten Willen, zu dieser Burg zu reiten. Im stichomythischen Wortwechsel (V. 7926–7951) verschärfen sich die jeweiligen Absichten, bis Guivreiz schließlich den Namen der Burg nennt: diz hûs heizet Brandigân (V. 7959). Guivreiz erzählt Erec von der Aventiure, die ihn in Brandigan erwarte und wegen der schon viele Ritter hierher gekommen und schließlich erschlagen worden seien (V. 7960–7970). Erst nach erneuter Aufforderung führt er weiter aus: ‚nû wil ich iuch wizzen lân, wie diu âventiure ist getân, und rehte wie’z dar umbe stât, sît ir’s niht wellet haben rât. s’ist Joie de la curt genant.‘ (V. 7998–8002)
Und der Erzähler unterbricht den Redefluss, um erklärend anzuschließen: daz selbe wort ist unerkant uns tiutschen liuten: durch daz wil ich’z bediuten: des hoves vreude sprichet daz. (V. 8003–8006)
Guivreiz berichtet weiter von einem Ritter, der nû vil manege zît (V. 8011) in dem Baumgarten unterhalb der Burg lebe und jeden erschlagen habe, der gegen ihn angetreten sei (V. 8007–8027). Erst später wird man seinen Namen, Mabonagrin, erfahren.383 Doch schon jetzt lässt Erec sich von seinem Entschluss nicht mehr abbringen: dô sprancte der künec Êrec | vil sêre lachende ûf den wec (V. 8028 f.). Es ist stets die Figur Guivreiz, die an entscheidenden Stellen des Romans auf Aventiuren aufmerksam macht.384 Wie schon bei ihrer ersten Begegnung ist es Guivreiz, der Erec explizit auf eine Aventiure hinweist, wie auch ihre zweite Begegnung ganz im Zeichen der Aventiure steht. Doch ist er zunächst selbst der Gegner, der den unbekannten beziehungsweise unerkannten Ritter herausfordert, möchte er jetzt seinen Freund vom Kampf abhalten. Und nicht nur mit der Rollenverkehrung ist ein Hinweis auf die veränderte und besondere Situation gegeben, sondern vor allem dadurch, dass einzig dieser Aventiure ein Name zuerkannt wird.385 Als Joie de la curt, des hoves vreude, wie 383
Auf die Namensnennung ist an entsprechender Stelle einzugehen; siehe Kapitel 4.3.3. Diese Funktion kommt Guivreiz offensichtlich zu und ist noch nicht hinreichend von der Forschung erkannt und untersucht worden. Vor allem die der Figur eigenen ambivalenten Züge mögen dabei Berücksichtigung finden. Im Iwein ist es ein wilder Mann im Wald, der sowohl Kalogreant als auch Iwein von Aventiure erzählt; siehe hierzu Kapitel 5.1.1. 385 Dass Erec konkret nach einem Namen fragt (V. 7988), verdeutlicht nochmals, wie die Spannung erzeugende Hinführung auf der Ebene des Erzählten eine Erwartungshaltung weckt. 384
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der Erzähler wörtlich übersetzt, gibt der Name jedoch das Gegenteil von dem vor, was Guivreiz von der Aventiure erzählt. In der Benennung ist somit offensichtlich eine Diskrepanz angelegt zwischen dem Namen und dem Benannten. Wenn der Erzähler in die Rede seiner Figur gerade hier eingreift, um den französischen Ausdruck ins Deutsche zu übersetzen, zu bediuten, dann unterstreicht dies den Moment der Bedeutungsübertragung, mithin der Übertragung von Inhalt auf Zeichenebene.386 Der durch die Namengebung evozierte Widerspruch greift jedoch in gleicher Weise Freude und Leid auf, wie sie in Brandigan anzutreffen sind: Erec reitet mit Enite voraus in die Stadt, in der überall vreuden vil vorzufinden sind, tanzen und aller slahte spil, | daz jungen liuten wol gezam (V. 8062–8064). Beim Anblick der Ankommenden mischt sich jedoch sogleich Leid unter die ausgelassene Gesellschaft: ir vreuden entwîchen (V. 8080) und alle beklagen das unabwendbare Schicksal des Helden (V. 8086–8108). Die ganze Szene der Ankunft ist geprägt von diesem Umschlag der Freude in Leid, wodurch letztlich Erecs Absicht, die Aventiure zu wagen, nur umso deutlicher hervortritt: er was ein alsô vester man, swie in daz volc untrôste, daz in daz niht belôste sîner manlîchen stætekeit. (V. 8141–8144)
Fest im Vertrauen auf Gott und seine Herrschaft über Leben und Tod (V. 8147–8153) reitet Erec fröhlich singend weiter in Richtung der Burg. Schon weit vor den Toren kommt ihnen der Burgherr Ivreins entgegen und empfängt sie nach allen Formen höfischer Gesinnung.387 Auch er empfindet Freude und Leid, denn liep unde swære | was er im ze gaste (V. 8179 f.). Den Höhepunkt erreicht die Schilderung des Kontrasts am Abend, als Ivreins seinen Gast zu den Damen in die Kemenaten führt. Inmitten eines prächtigen Raums, der hell im Licht des Marmors und aller Farben von Edelsteinen erstrahlt (V. 8208–8220), treffen sie 80 Frauen in schwarzen Gewändern, mit denen sie ihr Leid zu erkennen geben (V. 8227–8238). Von Guivreiz erfährt Erec, dass es sich um die Witwen der im Baumgarten erschlagenen Ritter handelt (V. 8327 f.). Im Gesamten widmet der Erzähler dieser Szene 170 Verse (V. 8188–8358), wohingegen Chrétien die Witwen mit keinem Wort erwähnt. Mit dieser eigenständigen Erweiterung aber erreicht 386
Der Erzähler wählt hier das Verb diuten, dem im Mittelhochdeutschen diese Mehrdeutigkeit zukommt. In der semantischen Breite von ‚zeigen, deuten‘, ‚bedeuten‘ und ‚ausdeuten, übersetzen‘ ist die Struktur der Übertragung von Inhalt auf Zeichenebene jeweils angelegt; Lexer I, Sp. 443; BMZ I, S. 326–328. Chrétien spielt auf ähnliche Weise mit der Diskrepanz zwischen Name und Sache der Joie, wenn er das Wort in beider Bedeutung einsetzt. Dabei hebt er allerdings diese Diskrepanz erst ins Bewusstsein, da sein französisches Publikum diese nachvollziehen kann; vgl. Gier, Anmerkungen, S. 408. Hartmann wählt hier entsprechend seiner Übersetzerrolle zugleich eine angemessene Methode, auf diese Diskrepanz aufmerksam zu machen. 387 Das Empfangszeremoniell beschreibt Schröder und hebt seinerseits die kontrastive Wirkung hervor; vgl. Schröder, Schauplätze, S. 246 f. Den Namen des Burgherrn erfährt der Leser/Hörer erstmals in Vers 8605.
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Hartmann neben einem spannungsgeladenen retardierenden Moment in der Erzählung eine letzte Steigerung gerade des Gegensatzes von höfischer Prachtentfaltung und drohender Gefahr in Vergegenwärtigung dauernden Leids. Über Farbkontraste und Negationen erscheint letztlich der Hof von Brandigan in einer insgesamt gestörten Ordnung.388 Die Störung resultiert letztlich aus der Aventiure des Baumgartens, was im Gespräch Erecs und Ivreins beim abendlichen Essen explizit gemacht wird. Auf die Frage Erecs, wie es um die Aventiure bestellt sei, berichtet ihm der Burgherr alles ausführlich und auch, dass michel schade dâ von geschehen sei (V. 8418). Er rät ihm inständig davon ab, die Aventiure zu wagen,389 doch sieht sich Erec nun am Ziel seines Weges angekommen: dô sprach der künec Êrec: 390 ‚ich weste wol, der selbe wec gienge in der werlde eteswâ, rehte enweste ich aber wâ, wan daz ich in suochende reit in grôzer ungewisheit, unz daz ich in nû vunden hân. […] dâ von ich gerne wâgen mac mîne kranken êre, daz sich diu hie mêre, daz ich gar ze lobe stê oder daz si vol zegê. ob mir got der êren gan, daz ich gesige an disem man, sô wirde ich êren rîche. (V. 8520–8562)
Gegenüber dem Burgherrn bringt Erec seine unbedingte Entschlossenheit ebenso zum Ausdruck wie sein festes Vertrauen auf Gott. Mit der Ankunft in Brandigan ist ein Auftakt gegeben für die letzte Aventiure Erecs, die mit der langen und ausführlichen Vorbereitung in ihrer Bedeutung für den Roman 388
Um die gestörte Ordnung des Hofs in Brandigan darzustellen, sind mithin Mittel angewendet, wie sie dem Erzähler bereits zuvor dienten, um auch die gestörte Ordnung des Hofs von Tulmein wiederzugeben. So können die 80 Witwen in Analogie zu Enite gesehen werden, ebenso die Negationen bei der Schilderung von Koralus und dessen Behausung; vgl. hierzu Kapitel 4.1.2. 389 Den Rat Ivreins deutet Sullivan als Mittel, Spannung zu erzeugen als auch um die unbedingte Absicht des Helden zu unterstreichen; vgl. Sullivan, Rejecting the Counsel, S. 99 f. u. 114 f. 390 Erecs Bezeichnung seines Weges als der selbe wec ist hinreichend über die Situation des Gesprächs mit Ivreins motiviert wie auch über seine hier formulierte Motivation zum Kampf, die in erster Linie in der Wiederherstellung der auf Ehre basierenden höfischen Ordnung zu sehen ist. Insofern braucht der Konjektur der sælden wec von Bech, Hartmanns Erek, S. 466, nicht gefolgt zu werden, wie sie bei Hartmann von Aue, Erec (Cormeau, Gärtner), beibehalten ist; vgl. hierzu Scholz, Stellenkommentar, S. 948 f.; ausführlich Scholz, Der hövesche got, S. 146–150; aufgrund der schlechten Überlieferungssituation möchte dagegen Voss, der selbe wec, an der Konjektur als zumindest einer möglichen Lesart festhalten.
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hervorgehoben ist. Insgesamt stellt sich so bereits im Vorfeld neben einer Spannung eine Erwartung ein, die geprägt ist von dichotomen Wertmaßstäben, nach denen die kommenden Ereignisse zu beurteilen sind. Nicht nur zeigen sich Gegensätze von Freude und Leid vielfach und auf engstem Raum entworfen, sondern gleichsam eine Abgrenzung christlicher Heilserwartung von drohender Verdammnis. Über die Topographie ist dies ebenso in Szene gesetzt, wie die gesamte Handlung anscheinend zwangsläufig auf diese finale Entscheidung zusteuert. So inszeniert schon die Situation an der Weggabelung zunächst ein Zufallsgeschehen, das allein von hinten motiviert zu sein scheint und bereits als narrative Fügung und Bestimmung gedeutet wurde.391 Doch ausdrücklich heißt es später auch, dass Guivreiz den Weg zur Linken gewählt hat.392 Die Fortsetzung des Weges ist zudem über die Erwartung des Helden auch kausal motiviert, wie letztlich seine Motivation zum Kampf explizit wird.393 In dieser doppelten Motivierung erweist sich die Aventiure von Brandigan als konsequente Fortführung und Verdichtung der vorangegangenen Aventiure-Fahrt. Sie ist dies nicht nur im Hinblick auf die dem Helden zugesprochenen Eigenschaften und Einstellungen,394 sondern vor allem auch im Hinblick auf die funktionale Einbindung mythopoetischer Erzählweisen wie mythosanaloger Gestaltungen in die literarische Darstellung. Konnte für den ersten Handlungszyklus eine Verschränkung des Höfischen und Mythischen in hybrider Konstruktion festgestellt werden, so für den zweiten Handlungszyklus ein Verfahren der Kontrastierung divergierender Ordnungen, die progressiv entworfen und voneinander abgesetzt werden. Über den Steigerungscharakter der aufeinander bezogenen Episoden war dies auch strukturell angezeigt. In exzeptioneller und hervorgehobener Position zum Vorangegangenen steht die letzte Aventiure Erecs im Baumgarten zu Brandigan. Wie an keiner anderen Stelle weist der Roman hier Mythisches inhaltlicher wie struktureller Art auf, die den Baumgarten insgesamt als eine Gegenwelt erscheinen lassen.
391
Vgl. Cormeau, Joie de la curt, S. 195; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 189: Was zunächst als „Zufall“ erscheint, ist „vom Ende her gelesen […] natürlich Bestimmung“. Haug, Joie de la curt, S. 271, sieht hier eine „besondere Logik der Handlungsführung […], die sich in der Art und Weise zeigt, wie mit dem Zufall umgegangen wird: das Zufällige auf der Erzählebene ist nicht ein sinnloses Zufälliges, sondern es steht im Dienst der Konstruktion“. 392 Guivreiz stößt dabei überdies – wie bereits zitiert – einen Fluch aus: daz ez got verwâze! […] ich hân mich übele übersehen, | gezeiget zuo der winstern hant (V. 7901–7906). Seine Richtungswahl grenzt er somit von einer möglichen göttlichen Führung ab. 393 Selbst Cormeau konstatiert trotz seiner auf Finalität zielenden Lektüre klar auch die Motive auf der Figurenebene: „Von Beginn an ist durch Reden, Gedankenmonologe und Erzählerkommentare die Motivation und Einstellung der Kontrahenten Gegenstand der Erzählung wie in keiner Szene vorher.“ Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 189. Die „Handlungsebene“ werde dann im weiteren Fortgang als eine „vom Subjekt kausal motivierte vorgestellt“; Cormeau, Joie de la curt, S. 199. 394 Vgl. ebd. S. 197.
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4.3.2 Das ander paradîse Der Baumgarten von Brandigan wurde schon in früherer Forschung in seiner offensichtlichen Andersartigkeit im Erscheinungsbild über den Nachweis mythischer Elemente zu erklären versucht.395 So stellte etwa Dagmar Ó Riain-Raedel ältere Forschung zusammenfassend fest: „Die krönende Schlußepisode des Erec bringt in großem Maß mythische Elemente, mehr als in dem ganzen übrigen Roman zusammen genommen.“396 Im Vergleich mit der Vorlage von Chrétien konnte sie zeigen, dass durch Änderungen seitens Hartmanns diese mythischen Elemente noch stärker zum Ausdruck kommen.397 Volker Mertens sieht in den „andersweltliche[n] Zügen“ des Baumgartens insgesamt eine „mythische Dimension“, und Walter Haug betonte zuletzt, dass gerade Hartmann jede Gelegenheit genutzt habe, durch den Gebrauch zahlreicher Motive den „überirdischen Charakter des Ortes“ herauszustellen.398 Den jeweiligen Arbeiten eignet dabei ein Ansatz, der Mythisches vorwiegend über Motive, Figuren oder tradierte Erzählstrukturen zu beschreiben versucht, mithin allein die mythopoetische Seite der Erzählung berücksichtigt. Hieran kann angeschlossen werden, doch sollen ebenso mythosanaloge Strukturen aufgezeigt und die funktionale Einbindung mythischer Inhalte in die Erzählung berücksichtigt werden. Die Episode von Brandigan und vom Kampf im Baumgarten wird seit Loomis auf zwei Erzähltraditionen zurückgeführt, die in der von Chrétien erzählten Fassung miteinander verflochten seien. Im Ergebnis sei diese als ein „patchwork of traditional motifs“ anzusehen, „some of them Celtic in origin“, und nahezu jedes Detail zeuge von der „coalescence of two famous themes – the visit to the castle of Bran and the release of Mabon from captivity“.399 Mit dem Mabinogi Branwen ist eine Erzählung von König Bran bekannt, in deren Zentrum dessen Gastfreundschaft auf der Insel der Freude steht, von der es jedoch keine Rückkehr gibt;400 der Name des Königs hat sich im Roman noch zur Bezeichnung der Burg Brandigan erhalten.401 Für Braches verbindet sich mit der Darstellung des Ortes die Vorstellung eines jenseitigen Totenreichs, dem sich dann auch die Figur Mabonagrins einfügt.402 Mabonagrin lässt sich zweifellos auf den mythischen Sonnengott 395
Zu nennen sind v. a.: Loomis, Arthurian Tradition, S. 168–184; Nitze, Erec; Braches, Jenseitsmotive, S. 159–163; Höhler, Kampf im Garten; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 248–263; Fourquet, L’épisode. 396 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 248. 397 Vgl. ebd., S. 251 f.; vgl. auch Rider, De l’énigme à l’allégorie, S. 120. 398 Mertens, Artusroman, S. 35; Haug, Joie de la curt, S. 277. 399 Loomis, Arthurian Tradition, S. 169 f.; vgl. die Ergebnisse von Loomis zusammenfassend Lange, Literaturbeziehungen, S. 176 f.; kritisch hierzu mit Bezug auch auf den Gereint Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 248–253. 400 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 170 f. u. 175; auch Nitze, Erec, S. 696–698. 401 Zur Namensform Loomis, Arthurian Tradition, S. 171. 402 Vgl. Braches, Jenseitsmotive, S. 159–163.
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Apollo Maponos zurückführen.403 Als Mabon, Sohn der Mydron, ist er bereits im Pa gur404 genannt und gilt überdies als einer der in der walisischen Mythologie berühmten Gefangenen, der seiner Frau untergeordnet ist und nur im Kampf befreit werden kann.405 Über Vergleiche verschiedener bekannter Erzählungen macht Loomis wahrscheinlich, dass eine eigene Erzählung vorgelegen haben könnte, die dann Grundlage für die weitere Aufnahme in andere Kontexte war.406 Von der Befreiung Mabons durch Artus wird ausführlich etwa in Culwch ac Olwen erzählt.407 Die im Roman namenlose Freundin Mabonagrins trägt Züge einer Fee, die gleichsam an die bekannten Feen Niniane und Morgain erinnern, wenn auch die Feenmotivik insgesamt stark abgewandelt und umerzählt ist.408 Doch mag die heilende und erlösende Wirkung eines Horns, von dem sowohl im Zusammenhang mit Mabonagrin und Morgain als auch mit König Bran erzählt wird, verbindendes Element der disparaten Traditionen sein.409 Bereits mit der Aufnahme zahlreicher Figuren, Motive und ganzer Motivzusammenhänge, wie sie aus mythischen Erzählungen verschiedener Überlieferungen bekannt sind, erweist sich der Roman indes als mythopoetisch. Die der mythischen Erzählung genuin zuzuschreibende Elastizität des Erzählten ermöglicht nicht nur die Verbindung disparater Traditionen über die Variation und Umstellbarkeit von Elementen und Aufnahme neuer, sondern zeigt überdies die Prägnanz einzelner Grundmuster und Motive an, die sich ikonisch konstant in der Rezeption erhalten haben. So konnte bereits für Brandigan festgestellt werden, dass noch in der Darstellung bei Hartmann der ambivalente Charakter in der Schilderung von Freude auf der einen, Leid und Todeserwartung auf der anderen Seite vorliegt. Im Folgenden wird mit Blick auf die Ereignisse im Baumgarten zu zeigen sein, wie sich diese Ambivalenz noch bis in die dort geschilderten Umstände der Gefangenschaft Mabonagrins hinein fortsetzt. Dabei gilt es die im Mythischen gründende Bedeutsamkeit des Erzählten ebenso darzustellen wie deren erst im Roman auszumachende Bedeutung aufzuzeigen. Über die Analyse mythosanaloger 403
Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 177. Birkhan, Einführung, S. 55, nimmt für die Namensform Mabonagrin „zwei keltische Apollo-Namen (Maponos und Grannos)“ als Ursprung an. 404 Dort ist er ein Gefolgsmann Uterpandragons; vgl. Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 71. Zum Pa gur siehe Kapitel 2.1.1, zur Figur der Mydron im Zusammenhang der Morgain Kapitel 4.2.3. 405 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 176 f. 406 Vgl. ebd., S. 180 f. 407 Die entsprechende Episode bei Zimmer, Die keltischen Wurzeln, S. 152–155; vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.1. 408 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 177–182; Braches, Jenseitsmotive, S. 162 f.; Funcke, Morgain, S. 28; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 262, bezweifelt dagegen, dass überhaupt diese Feenmotivik zum Tragen komme. 409 Vgl. Loomis, Arthurian Tadition, S. 182 f.; Lange, Literaturbeziehungen, S. 177. Zum Horn Morgains, über das letztlich auch ein Motivzusammenhang zu Guivreiz hergestellt werden kann, vgl. Paton, Studies in the fairy mythology, S. 104–123, sowie Kapitel 4.2.2. Einen weiteren Versuch zur Homogenisierung sieht Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 257, im Motiv der Verwandtschaft des Herrn von Brandigan mit Mabonagrin.
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Strukturen auf formaler Ebene können dann auch deren Auswirkungen auf die Handlung nachvollzogen werden, die letztlich Gegenstand der literarischen Darstellung sind. Die umfassendste Beschreibung des Baumgartens erfolgt im Rhamen einer Descriptio durch den Erzähler (V. 8698–8753), die er mit einer Quellenberufung einleitet: ob uns daz buoch niht liuget, sô was alsô erziuget der selbe boumgarte, daz uns mac wundern harte, witzige unde tumbe. (V. 8698–8702)
Hartmann folgt hier getreu seiner Vorlage von Chrétien, der seinerseits die wahre Geschichte wiedergeben möchte (V. 5688).410 Doch macht der Erzähler bei Hartmann noch deutlicher und vor allem explizit, dass es sich um Inhalte handelt, die ihm wie gleichermaßen seinem Publikum (uns) fremd erscheinen werden (wundern). Die so bereits in der Erzählerrede erreichte Distanz setzt sich ins Erzählte hinein fort als räumliche Isolierung mit der Beschreibung der Grenzen: ich sage iu, daz dar umbe weder mûre noch grabe engie, noch in dehein zûn umbevie, weder wazzer noch hac noch iht, daz man begrîfen mac. dâ gienc alumbe ein eben ban, und enkunde doch dehein man dar in gân noch gerîten, niuwan ze einer sîten, an einer vil verholnen stat. dâ gienc ein engez phat: daz enweste der liute niht vil. (V. 8703–8714)
Die Isolation des Gartens beschreibt der Erzähler über die negative Aufzählung etablierter Begrenzungsvorrichtungen: Mauer, Graben, Zaun, Wasser, Hecke. Und doch könne niemand den Garten betreten, außer an einer verborgenen und nur Wenigen bekannten Stelle. Es sind gleichsam Wunder, die er angekündigt hat und die zu Recht fragwürdig erscheinen.411 So beschließt er auch seine Descriptio entsprechend rhetorisch mit der Frage an sein Publikum nach ebendieser Grenze: hœret ir iht gerne sagen, wâ mite der boumgarte beslozzen wære sô harte? ich weiz wol, daz unmanec man 410
Vgl. Haug, Joie de la curt, S. 276. Auf die Änderungen Hartmanns weist Haug gleichfalls hin, auf die an entsprechender Stelle eingegangen wird. 411 Ein Widerspruch zwischen Steigerung des Wunderbaren und kritischer Distanznahme, wie ihn Scholz, Stellenkommentar, S. 953, in Auseinandersetzung mit Gruenter, Das wunnecliche Tal, S. 383, und Wiesinger, Die Funktion der Burg, S. 226, annimmt, kann hier nicht gesehen werden.
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den list ze disen zîten kan, dâ mite diz was getân. man sach ein wolken drumbe gân dâ niemen durch mohte komen, wan als ir habet vernomen. (V. 8745–8753)
Mit der Wolke ist die Grenze zwar markiert, doch ebenso diffus. Mit der Wiederaufnahme der Frage nach der Grenze zum Abschluss seiner Descriptio verbindet sich der Erzähler erneut aber über die rhetorische Frage mit seinem Publikum und grenzt sich seinerseits mit diesem vom Erzählten ab. Die so auf der Ebene des Erzählens wie des Erzählten evozierte räumliche Distanz zum Baumgarten erweitert der Erzähler zudem in die vierte Dimension, wenn er die Entstehung des Gartens und seiner Grenze von seiner Gegenwart und der seines Publikums absetzt (ze disen zîten). In seiner räumlichen und zeitlichen Zuordnung erscheint der Baumgarten somit schon in der Darstellung des Erzählers auf eine Weise fremdartig, dass es nur konsequent ihn und jeden anderen, Klugen wie Einfältigen, wundern mag, was er von diesem Baumgarten erfährt. Wie der Garten von der ihn umgebenden Umwelt abgegrenzt ist, hebt der Erzähler auch formal seine Descriptio von der diese umgebenden Erzählung ab. Damit bedient er sich nicht nur des nämlichen Verfahrens wie auch anlässlich der mythopoetischen Erzählung von Famurgan,412 sondern Hartmann folgt zudem einem konstitutiven Grundmerkmal lateinischer Dichtungslehre zur Beschreibung eines Locus amoenus.413 Als Locus amoenus ist dann auch der Baumgarten insgesamt geschildert, denn wer auch immer dorthin gelangen möge, der vant dâ, swes in gezam | von wünneclîcher ahte (V. 8717 f.). Genannt sind neben herrlichen Bäumen mit Blüten und Obst duftende Blumen wie gleichfalls der liebliche Gesang der Vögel (V. 8719–8744), mithin klassische Merkmale einer topischen Lustortschilderung.414 In seiner anmutigen Vollkommenheit verweist der Topos des Locus amoenus gerade in der Kontrastierung zur Wildnis dabei traditionell auf eine verkehrte Welt.415 Wie in der Beschreibung der Wildnis von Brandigan mit der ebenfalls unterhalb der Burg verorteten Schlucht als assoziierter Eingang zur Hölle gleichsam eine christliche Semantik aufgerufen ist,416 gemahnt auch der Baumgarten in seiner paradiesähnlichen Vollkommenheit an die Schöpfung Gottes, 412
Vgl. die Ausführungen in Kapitel 4.2.3. Zuletzt hat Mireille Schnyder anlässlich der Schilderung des Baumgartens durch den Erzähler gezeigt, wie das „Beschriebene zum Erlesenen“ werde. Es gehe „nicht um einen wie auch immer inszenierten Augenzeugenblick, sondern um das Erzählen fremder Erzählungen“; Schnyder, Künstliche Paradiese, S. 64 f. Als ein Erzählen fremder Erzählungen ist letztlich das bezeichnet, was hier als mythopoetisches Erzählen beschrieben wird. 413 Vgl. grundlegend Thoss, Studien zum locus amoenus, hier v. a. S. 51; Curtius, Europäische Literatur, S. 202–206. 414 Vgl. Gruenter, Das wunnecliche tal, S. 353: „Baum, Schatten, Wiese, Blumen, Quell, Bach, sanfte Winde, Vögel samt ihren Eigenschaften und Funktionen sind die Elemente der topischen Lustortschilderung.“ 415 Vgl. Gruenter, Das wunnecliche tal, S. 373 f., mit Bezug auf den Baumgarten S. 382 f. 416 Vgl. hierzu die ausführliche Beschreibung der Topographie von Brandigan in Kapitel 4.3.1.
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als verkehrte Welt an die Folgen des Sündenfalls.417 Entsprechend bezeichnet Mabonagrins Freundin diesen Ort auch folgerichtig als daz ander paradîse (V. 9542). Diese in der Descriptio jedoch nur implizit aufgerufene und zugleich schon unterlaufene göttliche Schöpfungsordnung wird zunächst noch aufgefangen von der klassisch gelehrten Toposdarstellung, denn: „Auf jeden Lustort“, so Rainer Gruenter, „fällt der Abglanz seines mythologischen Vorbildes. Jedes Paar, das Amor zwischen Gebüsch und Quell, bei Vogelsang und Blätterlispeln vereint, vollzieht den heiligen Willen der Venus.“418 Formal dem lateinischen Dichtungsideal verpflichtet greift die Beschreibung dann inhaltlich auf traditionelle Motive aus der keltischen Mythologie zurück, sodass sie insgesamt den „Schilderungen einer keltischen Anderen Welt sehr nahe kommt“.419 Als kennzeichnend lassen sich gerade auch die Blumen, Bäume und Vögel anführen, die in Erzählungen von der Anderen Welt genannt werden.420 Und schon die Wolke verweist auf keltische Mythen. Gertrud Höhler merkt zwar zunächst allgemein an, „daß die verhüllende Wolke als Bild für den distanzgebietenden Zauber oder Bann in den verschiedenen Kulturkreisen gleichermaßen vertreten ist“, doch fungiere sie speziell in der keltischen Mythologie als Ersatz für das den meist als Insel vorgestellten Ort der Götter umgebende Wasser.421 Die Wolke diene gleichfalls häufig dazu, „das Jenseitige der Örtlichkeit distanzierend vom Diesseits abzutrennen“.422 „Unzweifelhaft“ wirke hier „das mythische Motiv von der Reise ohne Rückkehr in das Land mit, das Sterblichen verschlossen ist“.423 Während Hartmann das Bild der Wolke wählt, um die Grenze des Baumgartens zu markieren, berichtet Chrétien lediglich von einer Mauer aus Luft (V. 5690 f.) und bleibt damit allein der Darstellung über die Negation verpflichtet. Neben dieser mythopoetischen Erzählweise in Aufnahme unterschiedlicher Motive vor allem bei Hartmann ist es letztlich aber gerade die mythosanaloge Gestaltung von Raum- und Zeitstrukturen, die den Baumgarten weiterhin prägen. Wie bereits in der Descriptio des Erzählers eine räumliche und zeitliche Distanzierung zum Baumgarten erfolgt, erweist sich dieser auch in seiner raum-zeitlichen Gestaltung von seiner Umgebung verschieden. So lassen sich über einzelne erzählte Elemente des Baumgartens und 417
Vgl. Freytag, Jenseitsvorstellungen, S. 56; Frühe, Das Paradies ein Garten, S. 259 f.: „Es ist sicher kein Zufall, daß wie in der Paradieserzählung des Jahwisten fruchttragende Bäume genannt sind, deren Früchte mit Geboten und Verboten belegt sind.“ Vgl. Curtius, Europäische Literatur, S. 206. 418 Gruenter, Das wunnecliche tal, S. 384. 419 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 258. 420 Vgl. recht allgemein Braches, Jenseitsmotive, S. 161; ausführlicher Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 258 f. Chrétien nennt darüber hinaus noch heilkräftige Kräuter (V. 5711 f.), womit die in der Erzählung auch sonst angelegte Feenmotivik hier angedeutet sein mag; vgl. Braches, Jenseitsmotive, S. 161. Einen Rückgriff auf die Feenmotivik auch bei Hartmann sieht Funcke, Morgain, S. 27, schon in den Bäumen vermittelt. 421 Höhler, Kampf im Garten, S. 385. Im Mythos von Avalon verbinden sich schließlich Nebel, Wolken und Wasser zu dieser Grenze; vgl. ebd., S. 387. 422 Ebd., S. 383. 423 Ebd., S. 389, mit Hinweis auch auf die Mythen von Orpheus und Gilgamesh.
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ihrer Wechselbestimmung mit den Ordnungsformen von Raum und Zeit im Sinne Cassirers Analogien zum mythischen Denken erkennen.424 Nicht nur liegt mit der Wolke ein Motiv vor, das die Grenze des Baumgartens an mythische Erzählungen anbindet, sondern dieser wird über die Beschaffenheit seiner genannten Inhalte noch weiter konkretisiert. Während die mythische Raumordnung vom profanen einen heiligen Ort abgrenzt, gilt für ihn wie für alle darin enthaltenen Teile gemäß der mythischen Konkreszenz das von Cassirer so bezeichnete Gesetz der Partizipation beziehungsweise des Ganzen: „Wie der Raum in sich selbst eine bestimmte Struktur besitzt, die in all seinen einzelnen Gebilden wiederkehrt, so kann auch kein einzelnes Sein und Geschehen aus der Bestimmtheit, aus der Fatalität des Ganzen heraustreten und von ihr gleichsam abfallen.“425 In der Beschreibung des Erzählers wird dies deutlich am Obst, das nur im Garten gegessen aber nicht hinausgetragen werden kann: des obezes mohte man ezzen, swie vil oder swâ er wolde: er muoste unde solde daz ander dâ belîben lân. ez was dar umbe alsô getân, ez enmohte niemen ûz getragen. (V. 8739–8744)
Bleibt die Begründung allein mit der Angabe von müezen unde sollen bei Hartmann entsprechend offen, kommen der Darstellung bei Chrétien Ansätze einer Rationalisierung zu. Dort können die Früchte der Bäume zwar ebenfalls nicht aus dem Garten mitgenommen werden, doch liege dies an dem Umstand, dass man mit den Früchten den Ausgang nicht finden könne (V. 5698–5704).426 Hartmann hat hier mit der Verweigerung jeglicher Begründung gerade aber das Mythische des Baumgartens entsprechend unterstrichen. Mythische Konkreszenz lässt sich nicht allein in der Darstellung der räumlichen Beschaffenheit nachweisen, sondern zeigt sich gleichfalls in der entworfenen Zeitordnung. So ist dem Baumgarten vom Erzähler bereits eine eigene Zeit zugesprochen, die mythischem Denken analog „die empirische Gegenwart von dem mythischen Ursprung“ trennt.427 Und innerhalb der Grenzen zeigt sich in der Konkreszenz entgegengesetzter Zeitabschnitte die Zeit gleichsam aufgehoben.428 Wie schon Chrétien von den Bäumen erzählt, die tot esté et tot yver | […] avoit flors et fruit maür (die den ganzen Sommer 424
Vgl. im Folgenden die Ausführungen zu den Ordnungsformen Raum und Zeit in Kapitel 4.1.2. Cassirer, Das mythische Denken, S. 111; vgl. auch ebd., S. 82 f. 426 Die Begründung von Chrétien bleibt letztlich natürlich gleichfalls offen und nicht nachvollziehbar, doch liegt in ihr zumindest ein Ansatz, das Unbegreifliche begreiflich zu machen. Mit Blumenberg ließe sich hier von einem umständlichen Erzählen sprechen, das eine Arbeit am Mythos bereits anzeigt, während das Mythische bei Hartmann noch konkreter an die Raumordnung gebunden bleibt und nicht im Erzählen aufgeht. 427 Cassirer, Das mythische Denken, S. 131. In seiner Descriptio spricht der Erzähler – wie oben dargestellt – explizit die andere Zeit an (V. 8749). 428 Vgl. zur Zeitlosigkeit im mythischen Denken Cassirer, Das mythische Denken, S. 131–133. 425
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und Winter über Blüten und reife Früchte haben; 5696 f.), so wählt auch Hartmann dieses Bild, um die Zeitlosigkeit des Baumgartens darzustellen: Denn wer auch immer dorthin käme, der finde boume maneger slahte, die einhalp obez bâren und andersît wâren mit wünneclîcher blüete. (V. 8719–8722)
Die zugleich blühenden und Früchte tragenden Bäume429 bindet Hartmann unmittelbar und gleichsam synästhetisch an der vogele süezer dôz (V. 8724) an, womit sich dem Besucher eine ebenso umfassende wie wirkungsvolle ougenweide (V. 8734) biete: swer mit herzeleide wære bevangen, kæme er dar in gegangen, er müeste ir dâ vergezzen. (V. 8735–8738)
Mit dieser weitreichenden Veränderung gegenüber seiner Vorlage greift Hartmann hier ein Motiv auf, das aus dem Fundus paradiesischer Wunderorte stammt430 und die Aufhebung aller Gegensätze letztlich als eine Aufhebung der Zeit im Vergessen darstellt und auch die affektive Seite entsprechend berücksichtigt.431 Für die Beschreibung des Baumgartens vereint der Erzähler somit klassische Darstellungsmodi und topisches Material zur Schilderung eines von seiner Umgebung abgegrenzten Locus amoenus mit einer mythopoetischen Erzählweise über die Aufnahme unterschiedlicher, vornehmlich aus der keltischen Mythologie bekannter Motive. In artifizieller Darstellung unterlegt er seiner Descriptio zugleich auch eine mit seinem Publikum eingenommene distanzierte Haltung gegenüber den erzählten Inhalten, die allgemeine Verwunderung auslösen. Wie schon in der Beschreibung von Guivreiz oder auch anlässlich der Erzählung von Famurgan macht er auf die wunder des Erzählten aufmerksam und zeichnet sie damit in besonderer Weise aus.432 Über die so auch angezeigte mythopoetische Erzählung scheint dieser eine Bedeutsamkeit zuzukommen, die in der rein statischen Beschreibung – gleichsam von außen433 – allerdings noch unbestimmt bleibt. Der Baumgarten von Brandigan erhält jedoch bereits das Stigma einer 429
Als „Bild für die Aufhebung irdischer Zeitgesetze“ deutet sie gleichfalls Thoss, Studien zum locus amoenus, S. 152, vgl. auch ebd., S. 25 f. 430 Vgl. Haug, Joie de la curt, S. 276, der hierin ein Signal für Hartmanns Bestreben sieht, das Wunderbare des Baumgartens zu verstärken. Zum Motiv des Leid-Vergessens siehe auch mit weiteren Beispielen Thoss, Studien zum locus amoenus, S. 88. 431 Vgl. zum „spezifischen Lebensgefühl, das allen Gebilden des Mythos innewohnt und ihnen ihre eigentümliche Tönung verleiht“, Cassirer, Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum, S. 27, Hervorhebung dort. 432 Zur Beschreibung von Guivreiz vgl. Kapitel 4.2.1, zur Erzählung von Famurgan Kapitel 4.2.3. 433 Die äußerliche Betrachtung des Gartens wird vor allem an der distanzierenden Descriptio des Erzählers deutlich, worauf im Folgenden noch genauer einzugehen ist.
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Gegenwelt, die in Abgrenzung zu und Verkehrung von der ihn umgebenden Umwelt beschrieben ist und eine eigene Realität und Naturgesetzlichkeit aufweist. So erfolgt die Darstellung gerade der raum-zeitlichen Beschaffenheit des Gartens in mythosanaloger Gestaltung, die den Baumgarten insgesamt als einen mythischen Raum beschreiben lässt. Als mythischer Raum nimmt er Einfluss jedoch nicht nur auf die im Garten befindlichen Früchte, sondern letztlich auch auf die weitere Handlung, die sich in ihm vollzieht.434 Im Folgenden soll daher der an die Descriptio des Erzählers angeschlossenen Handlung nachgegangen werden: Am Morgen nach der Ankunft möchte Erec die Aventiure im Baumgarten wagen. Ivreins führt ihn in Begleitung von Enite, Guivreiz und weiterer Gefolgschaft gegen dem boumgarten hin (V. 8755). Als Herr von Brandigan gehört er zu den Wenigen, die den Eingang zu diesem Garten kennen, und so bringt er sie an die stat | […] ze dem verholnen tor (V. 8756–8758), wo sie sich von ihrem Gefolge trennen (V. 8755–8764). Zu viert reiten sie in den Baumgarten, wo ihnen Ivreins seltsæne dinc (V. 8768) zeigt: hie was gestalt ein wîter rinc von eichînen stecken. des wunderte Êrecken. ir iegelîch was sus bedaht, ein mannes houbet drûf gestaht, wan einer, der was lære. wâ von daz wære? dâ hienc ein grôz horn an. (V. 8769–8776)
Auch jetzt weckt der Erzähler über die rhetorische Frage Interesse, doch berichtet er nicht wie zuvor unter Hinweis auf sein buoch. Es sind vielmehr die Figuren des Romans, die die Merkwürdigkeiten in Augenschein nehmen. Und so ist es jetzt Erec, der sich wundert und von Ivreins Genaueres über diese Eichenpfähle erfahren möchte. Ausführlich gibt ihm dieser auch Auskunft (V. 8779–8816): Auf den Pfählen seien die Köpfe der erschlagenen Ritter aufgespießt. Der letzte Pfahl sei für seinen Kopf bestimmt, verliere er den Kampf. Sollte er jedoch gegen Mabonagrin bestehen, müsse er das Horn dreimal kräftig blasen, um den Sieg zu verkünden. Doch Ivreins bezweifelt, dass es je diesen Ritter geben werde, der dies vollbringen könne. Das Horn zur Verkündigung der Rettung und Erlösung ist als prominentes Motiv in Mythen verschiedenster Kulturen vertreten und fand weite Verbreitung auch in der mittelalterlichen Literatur.435 Die kreisförmig aufgestellten Eichenpfähle erinnern Ger434
Vgl. Cassirer, Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum, S. 27: „Es gibt kein Sein und kein Geschehen, kein Ding und keinen Vorgang, kein Element der Natur und keine menschliche Handlung, die nicht in dieser Weise räumlich fixiert und prädeterminiert wären. Die Form dieser räumlichen Bindung und die eigentümliche schicksalhafte Notwendigkeit, die ihr innewohnt, sind unverbrüchlich; – vor ihnen gibt es kein Entrinnen.“ 435 Auf die Zusammenhänge zum Motiv des Horns kann hier nicht weiter eingegangen werden. Siehe mit Bezug zu den bereits erwähnten Erzählungen von Bran und Mabon wie zu Chrétiens Erec Magnúsdóttir, La voix du cor, v. a. S. 25–77; vgl. auch Höhler, Kampf im Garten, S. 396–403.
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trud Höhler an keltische Kulte, in denen die Köpfe der besiegten Gegner den Göttern präsentiert wurden.436 Der Ring sei daher nicht nur als Beiwerk zur Markierung eines Schreckensortes, sondern als direkter „Nachfolger der Kultplätze keltischer Menschenopfer“ aufzufassen.437 Dagmar Ó Riain-Raedel geht nicht davon aus, „daß Chrétien oder Hartmann hinter diesem Motiv eine mythische Bedeutung haben erkennen können“, da es lediglich im Kontext der Schauplatzschilderung Erwähnung finde.438 Doch wird gerade mit diesem Motiv die beschriebene mythische Ordnung offensichtlich: Was hier im Ring der Eichenpfähle förmlich zu sehen ist, sind die immer wiederkehrenden Kämpfe im Baumgarten. Die Kreisform vergegenwärtigt auf synchroner Ebene gleichsam den Kreislauf des Geschehens in einer nicht näher bestimmten, doch rhythmischen Wiederholung.439 Es ist – wie schon in der Beschreibung des Erzählers – mithin eine Zeitlosigkeit angezeigt, die sich über den „einfachen Ablauf einzelner Phasen des Geschehens“ hinaus „mehr und mehr der Betrachtung des ewigen Kreislaufs des Geschehens“ zuwendet.440 Damit aber erhebt sich „von der Rhythmik und Periodik […] jetzt der Gedanke zur Idee der Zeitordnung als einer universellen, alles Sein und Werden beherrschenden Schicksalsordnung“.441 Dem Schicksal eignet dabei letztlich eine Fatalität des Geschehens, die in der Darstellung der Eichenpfähle ihren bereits lange vorbereiteten Höhepunkt erfährt. Schon die ersten Erwähnungen der Aventiure zielen auf diese Steigerung, wenn etwa Guivreiz befürchtet, es müsse Erec alsam ergân, | als ez allen den ergie, | die noch her kâmen ie (V. 7979–7981). Und immer wieder beschwört die Bevölkerung von Brandigan das unabwendbare Schicksal (V. 8086–8110 u. 8159–8169). Am Abend ist es schließlich der Burgherr selbst, der mit allen Mitteln versucht, Erec vom Kampf abzuhalten, da Mabonagrin noch von jedem Gegner den Kopf abgeschlagen hätte: ob ir des niht geloubet, | und welt ir’z danne selbe ersehen, | sô muoz iu alsam geschehen (V. 8517–8519). Beim Anblick der abgeschlagenen Köpfe erklärt sich daher auch die Furcht Ivreins, der zwar auf den Beistand Gottes für Erecs Seele hofft (V. 8813 f.), doch letztlich ohne Hoffnung ist: dir enmac eht niemen des 436
Vgl. mit Verweisen auch auf andere Kulturkreise ebd., S. 393–395. Ebd., S. 395. 438 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 261. Zu diesem Kontext merkt sie jedoch unmittelbar an, dass dessen „mythische Struktur und Bedeutung Chrétien durchaus im richtigen Sinne interpretiert und angewendet hat“. 439 Aus der Anwesenheit der trauernden Witwen in Brandigan schloss die Forschung auf 80 bislang geführte Kämpfe. Da dies ebenso spekulativ ist wie die gleichfalls mögliche Annahme, dass nicht alle Ritter verheiratet gewesen sein müssen und somit durchaus mehr Kämpfe stattgefunden haben können, veranlasst Scholz dazu, die Diskussion über die Anzahl der Eichenpfähle als unnötig für die Interpretation fallen zu lassen; vgl. mit der entsprechenden Forschung Scholz, Stellenkommentar, S. 956. Dieser Auffassung kann auch hier gefolgt werden, womit aber die Wiederholung der Kämpfe letztlich unbestimmt bleibt. 440 Cassirer, Das mythische Denken, S. 137, Hervorhebung dort. 441 Ebd., S. 138, Hervorhebung dort. Verwiesen sei auch hier erneut auf die Darstellung der weiteren Zusammenhänge in Kapitel 4.1.2. 437
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gewegen, | ez sî ein ende umbe dînen lîp (V. 8815 f.). In dramatischer Steigerung zeigt sich diese unabwendbare Fatalität vor allem aber in der Reaktion Enites, die beim Anblick der Schädel und nach den hoffnungslosen Worten Ivreins erblasst, mit kläglichen Gebärden in Ohnmacht fällt und ihrer Sinne beraubt ist: der liehte tac wart ir ein naht, | wan si gehôrte noch gesach (V. 8827 f.). Spätestens mit der Reaktion Enites erscheint die ganze Szene im deutlichen Kontrast zur anfänglichen Beschreibung des Baumgartens durch den Erzähler. Über Ohnmacht und Leid wird ein offensichtlicher Bezug hergestellt zu den die Descriptio leitenden Motiven der Synästhesie und des Leidvergessens.442 Dadurch ist in unverkennbarer Weise angezeigt, dass sich Erec und seine Begleiter zwar bereits im Baumgarten befinden, dass sie jedoch noch nicht zu dem vom Erzähler als Locus amoenus beschriebenen Ort vorgedrungen sind. Im Inneren des Baumgartens wird somit deutlich, dass hier zwei voneinander abgetrennte Bereiche vorliegen, denen Leid und Schrecken auf der einen, Schönheit und Vergessen auf der anderen Seite zuzuordnen sind.443 Damit aber erweist sich der Baumgarten zu Brandigan nur umso deutlicher als ein mythischer Raum, dem der von Cassirer so bezeichnete „Grund- und Urakzent des mythischen Bewusstseins“ zugrunde liegt, der im „Gegensatz des ‚Heiligen‘ und des ‚Profanen‘“ seine räumliche Umsetzung erfährt.444 Und offensichtlich zeigt sich auch für den Baumgarten diese Unterscheidung „zweier Bezirke des Seins: eines gewöhnlichen, allgemein Zugänglichen und eines anderen, der, als heiliger Bezirk, aus seiner Umgebung herausgehoben, von ihr abgetrennt, gegen sie umhegt und beschützt erscheint“.445 Mit dieser Ordnung verbindet sich letztlich – so Cassirer – „ein eigenes mythisch-religiöses Urgefühl […] der räumlichen ‚Schwelle‘“, für deren Überschreiten dann „ganz bestimmte sakrale Vorschriften“ gelten: „Der Übergang von einem mythisch-religiösen Bezirk in einen andern ist stets an sorgfältig zu beachtende Übergangsriten gebunden. Sie sind es, die nicht nur den Übertritt von einer Stadt in die andere, von einem Land ins andere, sondern auch den Eintritt in jede neue Lebensphase […] regeln.“446 Die Heiligung des innersten Bereichs ist mit der sanktionierten Überschreitung der Grenze letztlich in der Handlung nachvollziehbar an der schrittweisen Annäherung, die 442
Unterstrichen wird dies durch Änderungen Hartmanns gegenüber seiner Vorlage. Während Chrétien auch hier den Gesang der Vögel nennt (V. 5720 f.) und noch von hell leuchtenden Helmen auf den aufgespießten Schädeln erzählt (V. 5730 f.), ist Enide entsprechend fasziniert und neugierig ob der avanture (V. 5820–5827). 443 Dass der Eichenring also nicht zum „absolut exklusiven Raum der letzten Bewährung“ gehören kann, hat ohne weitere Schlussfolgerungen bereits Höhler, Kampf im Garten, S. 381, bemerkt. 444 Cassirer, Das mythische Denken, S. 103. Im Rahmen der Descriptio des Erzählers kommt von außen dem Baumgarten bereits selbst eine Abgrenzung zu seiner Umgebung zu, die im Motiv der Wolke auf die Unterscheidung eines heiligen von einem profanen Raum evoziert. Im Inneren des Gartens konkretisiert sich diese Unterscheidung jedoch erst so weit, wie sie für den mythischen Raum insgesamt konstitutiv ist. 445 Ebd., S. 106, Hervorhebung dort. 446 Ebd., S. 127 f., Hervorhebung dort.
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als Abstieg von Brandigan und zugleich als Vereinzelung des allein den Garten betretenden Helden in Szene gesetzt ist:447 Auf Brandigan macht sich noch das ganze Volk auf, Erec zu begleiten, mit Ausnahme der trauernden Witwen, sodass diu burc beleip liute lære | âne die trûrigen schar, | diu beleip dar ûfe gar (V. 8671–8673). Vor dem Baumgarten muss nun auch die restliche Bevölkerung von Brandigan zurückbleiben: hie beleip daz volc allez vor âne vrouwen Ênîten. ouch muoste mite rîten Guivreiz der herre: ir menige wart niht merre, niuwan dise viere. (V. 8759–8764)
Erec und Enite, Guivreiz und Ivreins kommen zu den Eichenpfählen, wo sich Erec von Frau und Freund trennen muss: hie muoste er sich scheiden | von sînen gesellen beiden | und eine rîten vürbaz (V. 8874–8876). Schließlich weist ihm Ivreins den Weg jenseits der Pfähle, den Erec allein beschreiten muss: in wîste vür die stecken der wirt selbe mit der hant ûf einen stîc, den er dâ vant: der was grasic und niht breit. sie beliben alle, er eine reit. (V. 8881–8885)
Während bei Chrétien ausdrücklich die ganze Bevölkerung aufbricht, sodass die Burg menschenleer bleibt (V. 5650), und auch alle in den Garten eintreten (V. 5717), bis Erec sie selbst noch zurückschicken muss (V. 5774), ist bei Hartmann die unhinterfragt erzwungene Vereinzelung des Helden aufs Effektvollste umgesetzt.448 Dies unterstreicht der Erzähler noch, wenn er gar den Anschein erweckt, als könne selbst er seinem Protagonisten nicht bis ins Innerste des Gartens folgen: ich enweiz, wie ez im ergie 447
Vgl. hierzu auch die Schilderung des Weges bei Höhler, Kampf im Garten, S. 380 f. u. 391. Am Abend vor dem Aufbruch erläutert Ivreins einen wundersamen Mechanismus zum Übergang in den heiligen Bezirk, nach dem sich auf ein Wort hin eine Tür öffnen solle, die dann einzig dem Ritter Eingang gewähre (V. 8482–8489). In der weiteren Handlung wird dieses Motiv nicht mehr aufgegriffen, was deutliche Anzeichen einer nicht weiter auflösbaren Inkonsistenz des Textes trägt, worauf hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Vgl. hierzu die Hinweise auf die Probleme der Textüberlieferung bei Scholz, Stellenkommentar, S. 955 f. 448 Rider sieht hierin „la seule modification significative“ Hartmanns an Chrétiens Vorlage, die dazu führe, dass bei ihm die Grenze „une vraie barrière“ sei; Rider, De l’énigme à l’allégorie, S. 123. Höhler bindet dagegen die Vereinzelung des Helden an das Motiv der Wolke an: „Wesentlich als durchlaufendes Kennzeichen für das kultisch besetzte Wolkenphänomen ebenso wie für seine säkularisierten Nachprägungen in der Literatur ist die Einzelheit, daß der Auserwählte, und nur er, das Gewölk durchschreitet und ins Zentrum vordringt.“ Höhler, Kampf im Garten, S. 387. In den angeführten Textzitaten ist jedoch deutlich geworden, dass auch Erecs Begleiter bis in den Baumgarten hineingehen und somit die Wolke an der Ivreins bekannten Stelle durchschreiten. Erst ins innerste Zentrum kann nur Erec als Auserwählter vordringen.
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(V. 8886). Und mit der Angst um Erec bleiben auch die aus Sorge um ihn gesprochenen Gebete zurück (V. 8887–8895).449 Erst jetzt kommt Erec jenseits der Eichenpfähle zu dem beschriebenen, paradiesähnlichen Ort,450 wenn er alleine auf dem Weg im Baumgarten fortschreitet: hie reit der künec Êrec eine den grasigen wec wol drîer rosseloufe lanc durch bluomen und vogelsanc in jenen boumgarten vort. (V. 8896–8900)
Über die zunächst statisch und gleichsam von außen erfolgende Descriptio des Erzählers hinaus, die dem Baumgarten bereits eine Mythizität über die räumliche Geschlossenheit und Zeitenthobenheit zuweist, bestätigt sich diese somit auch in der anschließenden Handlung innerhalb des Gartens. Die genauere Beschreibung der Topographie folgt entsprechend einer mythischen Raumordnung, und auch die Zeitordnung ist als eine mythische Schicksalsordnung zu bestimmen. Über die mithin lang vorbereitete und jetzt regelrecht ansichtig gewordene Fatalität des Geschehens in Abgrenzung zur synästhetischen Vollkommenheit des Locus amoenus ist die schon für Brandigan festzustellende Ambivalenz von Freude und Leid nicht nur in eine räumliche Zuordnung gebracht, sondern gleichfalls auf Dauer gestellt. Damit aber wird die schon im Motiv der Weggabelung auch evozierte und noch der Beschreibung Brandigans unterlegte christliche Heilserwartung geweckt, die sich jedoch in ihrer Verkehrung als Fatalität einer mythischen Gegenwelt darstellt: War es zuerst der explizit breite und ausgebaute Weg, auf dem Erec nach Brandigan gekommen ist, so verbindet sich erst in der Absonderung des Baumgartens der gleichfalls an christliche Symbolik erinnernde schmale grasbewachsene Weg451 des Einzelnen mit dem Ort des anderen Paradieses, an dem der Held auf seinen teufelsgleichen Gegner treffen wird. Dem weiteren Geschehen im Baumgarten kommt somit im Vorfeld auf eindringliche Art und Weise nicht nur eine Bedeutsamkeit zu, die einen elementaren Sachverhalt zur Anschauung bringen wird. Zugleich 449
Im Gegensatz zur gelehrten Descriptio des Baumgartens, über die der Erzähler seine Distanz gegenüber den erzählten Inhalten zum Ausdruck bringen kann, wählt er hier eine Erzählweise, die den Anschein einer unmittelbaren Beteiligung am Geschehen weckt, was nicht nur die Spannung steigert, sondern zugleich auch die Fatalität unterstreicht, auf die anscheinend auch der Erzähler keinen Einfluss nehmen kann. Vgl. dagegen Trachsler, Der Weg, S. 203 f., der festhält, dass sich der Erzähler selbst wie Erec als Einzelner aus der Menge hervorhebt, weshalb jedoch „die Vereinzelung des Helden nicht absolut“ sei. 450 Die Richtung verkennt Braches, Jenseitsmotive, S. 162, wenn sie mit den Eichenpfählen „den Übergang vom elysischen Zaubergarten zu jenem grauenvollen Ort“, markiert sieht. 451 „Signifikative Züge des Heilsweges“ sieht Trachsler in Anlehnung an Matth 7,13 f., doch liest er ihn zugleich auch „unter dem Aspekt des Übergangs in die mythisch-märchenhafte ‚Andere Welt‘ […]. Die beiden Gesichtspunkte brauchen sich nicht auszuschließen – ich halte die Mehrdeutigkeit für ein konstitutives Merkmal dieses Weges.“ Trachsler, Der Weg, S. 214. Zweifel an dieser Lesart hegt Scholz, Stellenkommentar, S. 953.
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wird die Option vorbereitet, die Ereignisse in einer christlich-höfischen Bedeutung zu lesen. Im Folgenden gilt es diesem Verhältnis von mythischer Bedeutsamkeit und im Erzählen gestifteter Bedeutung nachzugehen, das sich im Nachvollzug der Handlung vom Kampf im Baumgarten bis zur Krönung Erecs in Karnant bestimmen lässt.
4.3.3 Vom Kampf zur Krönung In Brandigan verdichten sich in struktureller Außenstellung zum bisherigen Verlauf des zweiten Handlungszyklus höfische und mythische Ordnungsmuster auf engstem Raum, wie sie auf dem Weg durch den Wald in wiederholten Begegnungen und Kämpfen erst progressiv entworfen und voneinander abgesetzt werden. Der Baumgarten unterhalb der Burg stört in seiner von Mabonagrin ausgehenden Gewalt gegenüber ankommenden und auf Aventiure sinnenden Rittern letztlich die Freude des gesamten Hofs. Als mythischer Raum steht er zum Hof nicht nur in einem oppositionellen Verhältnis, sondern bringt die nämliche Ambivalenz von Freude und Leid zur Anschauung und weist ihr eine zeitenthobene Stellung zu. Überdies untergräbt er sowohl die höfische als auch eine latent evozierte christliche Ordnungsvorstellung, was an der offensichtlichen Bezugnahme auf die vorangegangene Schilderung der Situation vor und in Brandigan deutlich wird, in der Beschreibung durch den Erzähler wie auf der Handlungsebene. Er ist letztlich ein Ort der Konfrontation mit dem Verkehrten, die es dem Helden ermöglicht, nicht nur die Freude des Hofs wieder herzustellen, sondern gleichfalls in einer letzten Bewährung seinen Weg zu beenden. In dieser doppelten Motivation dringt Erec bis ins Innerste des Baumgartens ein und überschreitet die mythische Schwelle. Inmitten der schönsten Idylle trifft Erec auf eine Frau, die in einem langen Hermelinmantel gekleidet auf einem silbernen Bett in einem prächtigen Zelt452 sitzt. Gleichsam als Herrscherin des Gartens stilisiert453 erscheint auch sie in vollkommener Schönheit, dass Erec mit zühteclîchen witzen (V. 8959) vom Pferd steigt und zum Gruß seinen Helm abnimmt, wan sîn zuht was vil grôz (V. 8967). Den höfischen Anstand Erecs mag die Dame jedoch nicht erwidern, wenngleich sie ihn grüßt, wan si’s diu gewonheit niht erlie (V. 8972). Eindringlich und ohne Umschweife mahnt sie ihn an sein unabwendbares Schicksal, da ihm sol unde muoz | schade und laster hie geschehen (V. 8977 f.). Unter Hinweis auf ihren Mann (V. 8988 f.) appelliert sie an sein Leben: ez muoz iu an den lîp gân (V. 8987). Ein letztes Mal vor der eigentlichen Konfrontation wird die Fatalität des Ortes in Erinnerung gerufen, die im Kontrast zur prächtigen Erscheinung der 452
An den Wänden des Zeltes ist ein Ensemble verschiedener Figuren und Tiere dargestellt, das „in den Zusammenhang von Weltmittelpunkts- und Paradiesschilderungen“ anzusiedeln ist; Haug, Joie de la curt, S. 277. Gruenter, Das wunnecliche Tal, S. 369, meint darin „höfische Gruppen“ zu erkennen und fühlt sich geradezu an die Gobelinkunst des 14./15. Jahrhunderts erinnert. Schon Höhler, Kampf im Garten, S. 410, hat dies kritisch aufgegriffen und zu Recht auf Paradiesschilderungen verwiesen, weshalb von einem einzelnen Paar auszugehen sei. 453 Vgl. Gruenter, Das wunnecliche Tal, S. 370; Höhler, Kampf im Garten, S. 408 f.
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Dame umso deutlicher zum Ausdruck kommt.454 Die genannte gewonheit macht dabei auf die wiederholten Kämpfe aufmerksam,455 die noch stets zum Tod des ankommenden Ritters geführt haben. Schließlich bereitet das betont höfische Verhalten Erecs die Konfrontation mit dessen Verkehrung vor. Und so gehôrte er eine stimme | starc unde grimme, | diu lûte sam ein horn dôz (V. 8992–8994): des boumgarten herre was lanc unde grôz, vil nâch risen genôz. der underwant sich grôzer drô. sîn ros was grôz unde hô, starc rôt, zundervar. der varwe was sîn schilt gar: sîn wâpenroc alsam was, er selbe rôt, als ich ez las, gewâfent nâch sînem muote: ich wæne, sîn herze bluote, swenne er niht ze vehtenne vant: sô mordic was sîn hant. (V. 9011–9023)
Die schreckliche Erscheinung Mabonagrins zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich, riesengleich und feuerrot verkörpert er geradezu Bedrohlichkeit und Mord. Der Erzähler bezieht sich auch hier wiederum auf seine Vorlage, um diese Erscheinung glaubhaft zu machen. Während jedoch bei Chrétien Maboagrin überaus schön ist (V. 5852) und nur von seiner besonderen Größe (V. 5853 f.) und vom Rot allein seiner Rüstung die Rede ist (V. 5849), verstärkt Hartmann gerade die Darstellung zur Assoziation mit einem dämonischen Riesen.456 Als der rôte man wird er im Folgenden bezeichnet (V. 9068, 9274, 9317 u. 9338) und in letzter Steigerung ist er der vâlant (V. 9197 u. 9270), gegen den Erec kämpfen muss. Der Vergleich mit den früheren Kämpfen gegen die Riesen liegt auf der Hand, die gleichfalls als vâlande (V. 5648 u. 5556) bezeichnet werden und in Kontrastierung zum höfischen und auf Gott vertrauenden Helden einen mythischen Mächtedualismus evozieren.457 Erfuhr Erec gleich David gegen Goliath die 454
Vgl. ebd., S. 393 u. 407; Winston-Allen, Gardens, S. 88: „Here the double connection of the garden as scene of amorous intimacy and battle-ground becomes apparent.“ 455 Köhler rechnet die Aventiure im Baumgarten zu den costumes des Romans, wie sie im Mittelhochdeutschen mit gewonheit schon im Hinblick auf die Hirschjagd bezeichnet sind; vgl. Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 209; siehe hierzu auch Kapitel 4.1.1. 456 Mabonagrin ist kein Riese, wie aus dem Zitat deutlich wird. Zudem wird er von Erec aus dem Bann des Gartens erlöst, wobei von einer Rückverwandlung in einen Ritter nicht erzählt wird, was einer Metamorphose gleichkäme. Letztlich ist er Neffe Ivreins (V. 9408). Dennoch ist die Assoziation mit einem Riesen aufgerufen, auch die rote Farbe unterstreicht die Bedrohlichkeit. Trachsler, Der Weg, S. 205, spricht von der „numinose[n] Wirkung“, die „vom riesenhaften, roten Mabonagrin“ ausgeht. Als Riese deuten ihn Braches, Jenseitsmotive, S. 160, und noch Bumke, Erec, S. 63 f. 457 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 4.2.2. Den Vergleich mit den Riesenkämpfen stellt auch Kuttner, Erzählen des Erzählten, S. 216, an.
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Unterstützung Gottes, so beruft er sich auf ihn auch im stichomythischen Wortwechsel mit Mabonagrin, in dem er selbst noch diesen in Abgrenzung zu Gott stellt: ir’n sprechet niht: ob got wil (V. 9047). Mabonagrin erscheint so insgesamt als „eine gegengöttliche Herrschergestalt“,458 zwar nicht als Riese oder Teufel, doch als Riese und Teufel stilisiert in einem mythischen Raum, dem Schauplatz des finalen Kampfs. Wie dargestellt zeichnet diesen Raum eine mythische Zeitordnung aus, die als Schicksalsordnung nicht nur in den Eichenpfählen veranschaulicht, sondern zuletzt noch von Mabonagrins Dame unmittelbar in Erinnerung gerufen wird. Und „erst in dieser Fassung als Schicksal“, so Cassirer, „wird die mythische Zeit zu einer wahrhaft kosmischen Potenz – zu einer Macht, die nicht nur Menschen, sondern auch die Dämonen und Götter bindet, weil nur in ihr und kraft ihrer unverbrüchlichen Maße und Normen alles Leben und Wirken der Menschen und selbst der Götter möglich ist“.459 Ivreins macht schon am Abend zuvor – gleichsam die Regeln des Kampfs erläuternd – auf diese Ausschließlichkeit im Baumgarten aufmerksam. Gegenüber Erec betont er, dass er wie Mabonagrin ganz auf sich allein gestellt sein wird, denn was auch immer ihnen beiden geschehe, sine hânt eht scheidæres niht (V. 8493). Selbst der Erzähler gibt deutlich zu erkennen, dass er nicht in das weitere Geschehen eingreifen kann. Hatte er bereits den Anschein erweckt, dass auch er seinem Helden nicht bis ins Innerste des Baumgartens folgen könne (V. 8886), so fürchtet er jetzt um Erec (V. 9133). Er richtet zwar noch einen Hilferuf an Gott (V. 9129), doch ist den gesamten Verlauf des Kampfs über, anders als etwa beim Kampf gegen die Riesen im Wald, von einem Eingreifen Gottes nicht die Rede. Von daher erscheint die eingeworfene Frage des Publikums nach den Gründen für die Kraft und Ausdauer der Kämpfer nur folgerichtig: ‚geselle Hartman, nû sage, wie erwerte in’z der lîp?‘ (V. 9169 f.)
Und sogleich erfährt man den Grund, zunächst für Mabonagrin, dann für Erec: die kraft gâben in ir wîp. diu dâ gegenwürtic saz, diu geschuof ir manne daz: […] ir schœne gap im niuwe kraft, sô daz er unzagehaft sîne sterke wider gewan […] Êrec, ze swelchen zîten 458 459
Höhler, Kampf im Garten, S. 393, oder als „Priester des heidnischen Kultes“ ebd., S. 395. Cassirer, Das mythische Denken, S. 138; vgl. auch ebd., S. 142 f.: „Wo einmal die allmächtige Zeit und das ewige Schicksal auf den Plan treten, da werden durch sie die polytheistischen Einzelgötter, ja selbst der höchste Schöpfergott entthront. […] Die Götter sind nicht mehr die unbedingten Gesetzgeber der physischen wie der sittlichen Welt, sondern sie haben in ihrem Tun und Wirken ein höheres Gesetz über sich.“ Zur mythischen Raum- und Zeitordnung des Baumgartens siehe die Ausführungen in Kapitel 4.3.2, im theoretischen Kontext Kapitel 3.1.2.
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er gedâchte an vrouwen Ênîten, sô starcte im ir minne sîn herze und ouch die sinne, daz er ouch mit niuwer maht nâch manlîcher tiure vaht. (V. 9171–9187)
Doch am Ende ist es nicht allein Erecs gedanc an sîn schœne wîp, der ihm Kraft spendet (V. 9230 f.), sondern ebenso der Umstand, dass Êrec in sîner kintheit ze Engellande, sam man seit, vil wol gelernet ringen ze andern behenden dingen. ouch half in, daz man îsengewant vil müelîchen mit der hant an dem manne mac begrîfen. (V. 9282–9288)
Über den rein sachlichen Grund der Rüstung hinaus ist es Erec selbst, der sîn kraft erzeicte (V. 9296), die ihm schon seit seiner Kampfausbildung in der Kindheit zukommt, die letztlich aber durch die Liebe im unmittelbaren Kampfgeschehen aktiviert wird. Im Kampf wird so auf eindringliche Weise neben der ritterlichen Selbstbehauptung das „Motiv der Stärke durch die Minne symmetrisch beiden Kämpfern zugeschrieben“.460 Damit liegt dem Geschehen im Baumgarten wie schon der Hirschjagd ein – im Sinne Blumenbergs – elementarer Sachverhalt zugrunde, der in der Zuordnung von tapferem Held und schönster Frau zum Ausdruck kommt.461 Dass es sich hierbei um einen elementaren Sachverhalt handelt, der nicht nur auf Erec und sein Verhältnis zu Enite beschränkt werden kann, macht die Erläuterung des Erzählers für sein Publikum deutlich, wenn er den Sachverhalt in gleicher Weise auf Mabonagrin und seine Frau bezieht: die kraft gâben in ir wîp. Diesem kommt eine Bedeutsamkeit zu, die die Unterscheidung von rechtschaffendem Held und gewaltsamem Widersacher übersteigt. So erfüllt die Rückführung beider Beziehungen auf den nämlichen Sachverhalt Steigerung wie Depotenzierung zur Stiftung dieser mythischen Bedeutsamkeit: „Bedeutsamkeit entsteht sowohl durch Steigerung als auch durch Depotenzierung. Durch Steigerung als Zuschuß zu positiven Fakten, zu nackten Tatsachen, als die nicht nur rhetorische Anreicherung der Sachverhalte; durch Depotenzierung als Mäßigung des Unerträglichen, Überführung des Erschütternden zum Andringlichen und Bewegenden.“462 Der Kampf kann als eine Annäherung gesehen werden, da zuletzt der vermeintlich Übermächtige unterliegt, der Sieger auf der anderen Seite aber nicht zum Übermächtigen avanciert. Der anschließende Streit um die Namensnennung verdeutlicht dies.463 460
Cormeau, Joie de la curt, S. 197. Vgl. die Ausführungen auch zur Hirschjagd in Kapitel 4.1.1. 462 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 85. Vgl. hierzu auch ausführlich Kapitel 2.1.2. 463 Hartmann weicht hier bezeichnenderweise von seiner Vorlage ab. Bei Chrétien gibt sich zwar Erec gleichfalls zuerst zu erkennen, doch nennt Maboagrin seinen Namen erst, nachdem er seine Geschichte erzählt hat (V. 6082). 461
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Indem Mabonagrin nach der Niederlage seinen Namen in der Erzählung erhält (V. 9384), ist mit der Namengebung die Depotenzierung adäquat umgesetzt und der anfangs schrecklich auftretende Gegner in die Vertrautheit überführt.464 Blumenberg hat es „auf einen Satz gebracht: Die Welt verliert an Ungeheuern.“465 Auf der anderen Seite ist es Erec, der sich wider dem site (V. 9370) als erster zu erkennen gibt.466 Am Ende geben sie sich die Hand, nehmen sich die Waffen ab und setzen sich zusammen aufs Gras: êren unde guotes | gunden si ein ander wol, | als ein geselleschaft sol (V. 9395–9397). Das unmittelbar folgende, freundschaftliche Gespräch gibt weitere Aufschlüsse über die jeweilige Situation der beiden Ritter. Erec fragt Mabonagrin, wie es zu diesem Leben im Baumgarten gekommen sei, da doch nur in höfischer Gesellschaft ein wahrhaft gutes Leben geführt werden könne: wan bî den liuten ist sô guot (V. 9438). In Kontrastierung zu diesem höfischen Ideal der Integration in die Gesellschaft zielt Erec im Weiteren auf einen erklärenden Grund für Mabonagrins sonderliche Lebensführung, wofür ihm der Befehl einer anderen Person, oder auch der Dienst für Gott möglich zu sein scheint. Entsprechend der mythischen Ordnung des Gartens erwägt er alternativ noch einen apersonalen, nicht weiter hinterfragbaren Zwang: nû weder habet ir disen muot von iemannes gebote? oder welt ir’s lôn haben von gote? oder sult ir immer hinne sîn? (V. 9439–9442)
Ausführlich erzählt ihm Mabonagrin seine Geschichte (V. 9462–9568):467 Im Alter von wol einlif jâr (V. 9467) sei er in ein fremdes Land gekommen. Dort habe er sich in die gleichaltrige Tochter aufgrund ihrer Schönheit verliebt und sie anschließend mit auf die Burg seines Onkels Ivreins entführt, der die Schwertleite an ihm vollzogen habe. Seine vriundinne (V. 9487) habe ihm anschließend das Versprechen abgenommen, das zu tun, worum auch immer sie ihn bitten möge. Gerne habe er ihr jeden Wunsch erfüllen wollen, denn bis in alle Ewigkeit (von hiute über hundert jâr; V. 9520) gelte ihm ihr Wille als größte Freude. So habe sie mit ihm in diesem Baumgarten, diesem ander paradîse
464
Im Folgenden heißt er dann auch der ritter Mâbonagrîn (V. 9636). Zur Namengebung als Form der Depotenzierung im mythischen Erzählen siehe Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 12; vgl. hierzu auch Wetz, Hans Blumenberg, S. 106 f.; Jamme, ‚Gott an hat ein Gewand‘, S. 96; vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.2.; verwiesen sei ferner auf Ridder, Namengebrauch und Sinnstiftung, mit weiterführenden Hinweisen auf die verschiedenen poetischen Implikationen in der Literatur. 465 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 127. Cassirer erklärt dies ausführlicher über die Konkreszenz von Bild und Sache, die zur Identität über bloße Ähnlichkeit führt. Es ist dies ein „Namenszauber, der einen integrierenden Bestandteil der magischen Weltansicht ausmacht“; Cassirer, Das mythische Denken, S. 53; vgl. hierzu Lamping, Der Name in der Erzählung, S. 105–122; siehe auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. 466 Vgl. hier allgemein Huber, Ritterideologie, S. 65 u. 72; ferner Jones, Schutzwaffen, S. 87 f. 467 Vgl. auch die ausführliche Kommentierung bei Haug, Joie de la curt, S. 277–285.
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(V. 9542), leben wollen, bis ein Ritter ihn besiegt haben würde. Es hätte für immer sein sollen, da sie nicht geglaubt habe, dass es je einen solchen Ritter geben würde. Mabonagrin liefert mit seiner Geschichte eine umfassende Begründung für die Situation. Sie ist jedoch weder als eine umständliche Aitiologie, die mehr verschleiert, als sie erklärt, noch im Sinne einer anderen mythischen Ursprungserzählung zu sehen, da sie neben konkreten Ortsangaben auch mit konkreten Hinweisen auf Altersangaben versehen ist und somit einer „sequentialisierenden Einbettung“468 unterliegt, mithin historisch-biographische Züge erhält.469 Erst im weiteren Zusammenhang mit dem Baumgarten öffnen sich diese Angaben einer Verklärung in das ander paradîse und die ewige Dauer. Im von seiner Außenwelt abgegrenzten und Zeitlosigkeit verheißenden Baumgarten sollte ihre beiderseitige Hingabe auf Dauer gestellt und von ihrer Schönheit und seiner Kampfesstärke genährt werden. Der Garten selbst bleibt damit aber nicht erklärt und im Weiteren auch unhinterfragt. Walter Haug hat über den Vergleich mit dem Chrétien’schen Text aufgezeigt, wie Hartmann mit dem so genannten rash boon-Motiv in Verbindung mit der nur bei ihm erzählten Entführungsgeschichte aus einer „einseitigen Verpflichtung ein wechselseitiges Verhalten, ja eine Übereinstimmung allen Wollens und Wünschens als Kennzeichen wahrer Liebe“ zur Darstellung bringt.470 Die Erzählung von Mabonagrin formuliere gleichsam ein „Liebesideal auf der Grundlage völliger Übereinstimmung im Denken, Fühlen und Wollen“, letztlich werde „die Liebe des im Garten isolierten Paares […] zu idealer Harmonie verklärt“.471 Nach Entführung und List des Blanko-Versprechens ist dieses gelebte und im Baumgarten verstetigte Ideal jedoch Folge eines auf Gewalt gründenden und der höfischen Ordnung widersprechenden Verhaltens des Paares.472 So bedingen sowohl die Idealität des Entwurfs wie dessen gewaltsame Umsetzung nur konsequent die Außenstellung zur Gesellschaft und führen in die Isolation. Der Baumgarten bringt dies adäquat zur Anschauung, indem er Freude wie Leid in sich vereint und nur in seiner Abgeschiedenheit die Idealität in zeitloser Dauer mythisch vergegenwärtigt. Als Gegenwelt steht der Baumgarten dabei auch im Hinblick auf dieses Ideal im offensichtlichen Kontrast zur vermeintlichen Idealität des Hofs von Brandigan. Der in ihm gelebten Idealität kommt mithin eine Bedeutsamkeit zu, die über seine Grenzen 468
Begriff nach Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 97. Mit der Angabe des Alters von elf Jahren, das zu einer Heirat noch nicht berechtigt, und der Erwähnung der Schwertleite sind wichtige biographische Wendepunkte im Leben eines jungen Adeligen genannt. Den Unterschied von biographischer Erzählung und aitiologischer Ursprungserzählung hebt Schausten in ihrer Lektüre des Wilhelm von Österreich Johanns von Würzburg hervor, der dort allerdings aufgehoben wird; vgl. Schausten, Herrschaft braucht Herkunft, S. 172 f. 470 Haug, Joie de la curt, S. 281; vgl. schon Haug, Lesen oder Lieben, S. 316–318. Ein rein einseitiges Verhältnis ausgehend von Mabonagrins vriundinne sieht dagegen Cormeau, Joie de la curt, S. 199, der damit aber die Bedeutung der Entführung durch Mabonagrin als Voraussetzung für die anschließende Bitte verkennt. 471 Haug, Joie de la curt, S. 282 u. 287. 472 Vgl. ebd., S. 288. 469
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hinausweist, da auch Erec – in gleicher Weise wie Mabonagrin – im Kampf Unterstützung durch den Gedanken an seine abwesende Frau erhält. Das Gespräch Erecs mit Mabonagrin macht letztlich deutlich, wie die im Kampf wirksam gewordene Zuordnung von tapferem Held und schönster Frau, die als elementarer Sachverhalt der Erzählung auf beide Paare gleichermaßen zu beziehen ist, auf einer Gegenseitigkeit in der Paarbeziehung beruht. Es macht somit explizit, was zuvor den Kampf ausgezeichnet hat und als Joie de la curt der Aventiure im Baumgarten die entsprechende Bezeichnung gab. Doch erst mit der Abkehr von Gewalt und der Wiedereingliederung des Paares in die Gesellschaft ist dann auch die Freude des Hofs wieder hergestellt. Mabonagrin betont daher, wie, nachdem durch ihn die Joie de la curt | genzlîchen nider gelegen (V. 9601 f.) gewesen sei, Erec nun alles gar ze vreude gekêret (V. 9608) habe. In der Forschung wird seit Hugo Kuhns programmatischem Erec-Aufsatz kontrovers diskutiert, inwiefern dieser Aventiure ein allegorischer Status zuzusprechen ist. Kuhn sieht in ihr die letzte Steigerung für die Bewährung des Helden, der unverkennbar eine allegorische Bedeutung zukomme: „Die Auflösung ist nicht schwer. Der Garten bedeutet, was er heißt: die höfische Freude, allen offen und doch nur auf besondere Weise zugänglich.“473 Gestützt werde diese Deutung nicht nur durch die „kompositionelle Sonderstellung“ der Episode, sondern gleichfalls dadurch, dass sie am Ende des Romans „aus dem Realen heraus“ führe und „das Ganze spiegelt“.474 Was sich im Baumgarten für Kuhn „allegorisch spiegelt, ist des Paares eigener Weg: Zerstörung und Wiedergewinn der Minne und damit der höfischen Freude“.475 Insgesamt sei die Episode jedoch „nicht erzählte Allegorie, sondern allegorische Erzählung: Aventiure, aber mit feinstem Takt ins Allegorische gewendet“.476 Marianne Wünsch hat an die Überlegungen Kuhns angeschlossen und diese weiter entwickelt: Für sie bezieht sich die „Allegorie“ von Joie de la curt konkret „auf die Sinnstruktur des Gesamtromans“ und bringt diese im Kampfgeschehen als dem „eigentlichen allegorische[n] Vorgang“ zur Darstellung, womit sich letztlich die ganze Episode „als genaue Abbildung der Gesamthandlung“ erweise.477 Vor allem Mabonagrins retrospektive Deutung seiner Vergangenheit wie des Kampfs mache auf diese Relation aufmerksam, „und als retrospektive Deutung“ gebe sich schließlich die Episode „als Ganzes zu erkennen: als Interpretation und verkürztes Modell von Erecs Handlungsweg“.478 Fluchtpunkt der Erzählung sei hierbei „ein normatives Modell für âventiure überhaupt“, das im „exemplarischen Charakter der Allegorie“ deutlich werde und Gültigkeit für den Roman annehme.479 473
Kuhn, Erec, S. 35. Ebd., S. 38. 475 Ebd. S. 36. 476 Ebd., S. 37 f. Diese Vorsicht in der Wahl der Terminologie bekräftigte Kuhn später; vgl. Kuhn, Allegorie und Erzählstruktur, S. 206 u. 212. 477 Wünsch, Allegorie und Sinnstruktur, S. 513 u. 515. Wünsch gliedert die Episode in einzelne Phasen, wobei sie dem Kampf die Position zuschreibt, die die gesamte Episode im Roman einnimmt. 478 Ebd., S. 516. Wünsch stellt diese doppelte Relation graphisch dar; vgl. ebd., S. 532. 479 Ebd., S. 517. 474
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Dieser Auffassung widersprach in aller Entschiedenheit Christoph Cormeau, wenngleich seine Deutung im Wesentlichen auf einen ähnlichen Sachverhalt abzielt: Cormeau sieht in der Episode „nicht Allegorie, sondern nur komprimierte Vergegenwärtigung synchroner und diachroner Bedeutungssetzung“.480 Erecs Erfahrungen, die er den Erzählverlauf hindurch machen muss, vor allem im Bezug auf sein isoliertes Leben in Karnant, zeigten sich im Baumgarten auf synchroner Ebene verdichtet. Hierdurch entstehe ein „Bedeutungsüberschuß, der das übliche Schema des Ehre-Messens im Kampf weit übersteigt“.481 Im Kampf erwiesen sich „entschlossene Tapferkeit“ und „Vertrauen in die gottgewollte Schicksalhaftigkeit“ verbunden mit einer rechten „Minnehaltung“ als ethische Qualitäten, die es anzunehmen gelte.482 Über Rückbezüge auf frühere Situationen, in erster Linie auf Karnant, werde diese „Bedeutungsschicht“ aufgebaut,483 vor allem werde „die ganze Bedeutung des Kampfes […] in dem Gespräch der Kontrahenten danach offengelegt“; erweise sich Mabonagrins Leben im Baumgarten geradezu konträr zu den formulierten ethischen Ansprüchen, habe Erec im Kampf gegen ihn schließlich „seine frühere Minneauffassung im Sieg widerlegt, den er durch seine neue Minneauffassung erreichte“.484 Problematisch am Ansatz Cormeaus bleibt die Betonung einer solchen „ethischen Erkenntnis“, die zwar im Roman vorbereitet werde und für diesen Gültigkeit besitze, die letztlich aber keinen normativen Anspruch erhebe.485 Schließlich verlässt für Cormeau auch „die Handlung hier nicht die ‚normale Realität‘ des Romans“.486 Deshalb möchte er den Begriff der Allegorie vermeiden, wenngleich er zugesteht, dass „den 480
Cormeau, Joie de la curt, S. 200. Cormeau referierte seine Überlegungen 1978 auf dem germanistischen Symposion in Wolfenbüttel über „Formen und Funktionen der Allegorie“ unter der Leitung von Walter Haug. Dass seine Thesen trotz expliziter Ablehnung der früheren nur schwer von diesen abzugrenzen sind, was nicht zuletzt an der gewählten Terminologie liegt, hat die Diskussion im Anschluss an sein Referat hervorgehoben; vgl. Ziegeler, Diskussionsbericht, S. 336–340. 481 Cormeau, Joie de la curt, S. 196. Dennoch möchte Cormeau daran festhalten, dass der Kampf auf der Handlungsebene wie jeder andere sei. Ob es um die Verteidigung gegen Räuber, die Befreiung eines Gefangenen oder – wie hier – um den Beweis „der adäquateren Minneauffassung“ geht, sei nicht entscheidend, da sie „gleichrangig und in gleicher Weise konstruiert“ seien; ebd., S. 200. 482 Ebd., S. 197 f. 483 Ebd., S. 198 f. Im Wesentlichen stimmt ihm Haug hier zu, wenngleich er die Frage offen lassen möchte, ob es sich um eine Allegorie handelt: „Mit welcher Begrifflichkeit man aber auch immer operieren mag, jedenfalls ist nicht in Abrede zu stellen, daß das im Baumgarten nur seiner Liebe lebende Paar jene Situation spiegelt, in der sich Erec und Enide [sic!] nach dem ersten Handlungskreis befunden haben.“ Haug, Joie de la curt, S. 287. 484 Cormeau, Joie de la curt, S. 199. 485 Vgl. auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 189: In der finalen Aventiure „verdichtet sich der Sinn der Handlung, doch sie ist nicht allegorisch in dem Sinn, daß sie auf gültige Orientierungsmuster außerhalb des Romans verwiese, in ihr konzentrieren sich vielmehr die Bezüge auf den ganzen Verlauf“. 486 Cormeau, Joie de la curt, S. 204, Anm. 20. Diese Schlussfolgerung liegt notwendigerweise in seiner Argumentationsführung begründet.
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zweifellos vorhandenen allegorischen Zügen in der Episode“ die Funktion einer „ebenfalls ohne Zweifel vorhandene[n] Normexplikation auf der Sinnebene“ zukomme.487 Hugo Kuhn kommt ihm in Revision seiner früheren These in diesem Punkt entgegen, wenn er den Figuren des Romans „zu ihrer erzählten Rolle […] eine ausdrücklich zeigende“ zuerkennt, jedoch „keineswegs etwa als Personifikationen in einer erzählten Allegorie, aber als Darsteller und als Sprecher für die erzählerisch implizierte Programmatik“, womit auch die Figuren und die Wunder nicht aus dem erzählten Weg herausfielen; letztlich bleibe aber diese „Verbindung der besonderen Signale mit dieser besonderen Rolle, die es vielleicht erlaubt, von Allegorie zu sprechen“.488 Die hier referierte Diskussion zeigt auf, welche Bedeutung der Baumgarten-Episode in der Forschung zugesprochen wurde. Der Kampf Erecs gegen Mabonagrin wie auch ihr anschließendes Gespräch veranlassen von je verschiedenen Standpunkten aus, Rückschlüsse auf das Verständnis auch der übrigen Ereignisse des Romans zu ziehen. Die Frage nach einem ethischen Erkenntniswert oder normativen Anspruch ist dabei eng verknüpft mit der Frage nach dem Realitätsgehalt489 der Episode, die dem Erzählten einen allegorischen Status zuerkennen lässt oder ihm diesen verweigert. Einigkeit besteht weithin jedoch in der Annahme einer Bedeutungsebene, die dem Erzählten einen Sinn zuweist, der in Bezug zu früheren Ereignissen gesetzt werden kann. Die Realität des Romans wird insofern nicht verlassen, als der Kampf Erecs im Baumgarten noch notwendiger Bestandteil seines eigenen Weges ist. Wenngleich eine Gegenseitigkeit des Paares bereits in Limors und spätestens im Zuge der Niederlage im zweiten Kampf gegen Guivreiz wieder hergestellt ist, steht notwendigerweise ein finaler Sieg Erecs noch aus, in dem er dauernde Ehre erlangen kann, wie sie ihm Mabonagrin nach dem Kampf auch zuerkennt: des sît ir immer g’êret (V. 9609).490 Dies wird zu wenig von Kuhn und Wünsch berücksichtigt, die in der Joie de la curt-Episode das Ganze gespiegelt beziehungsweise die Sinnstruktur vermittelt sehen wollen.491 Demgegenüber unterscheiden sich die gesamte Szenerie des Baumgartens und auch die darin erzählte Handlung deutlich vom Bisherigen. In mythopoetischer Erzählweise und mythosanaloger Gestaltung ist der Baumgarten als eine mythische Gegenwelt entworfen, in der eigene Gesetzmäßigkeiten und Handlungsführungen gelten. Diesen sind sowohl die Figuren des Romans wie am Ende Gott und selbst der Erzähler unterworfen, worauf letztlich der Einwurf des Publikums aufmerksam macht. Mit der Frage nach der Unter487
So in der Diskussion seiner Vorlage auf dem Symposion; Ziegeler, Diskussionsbericht, S. 336. Kuhn, Allegorie und Erzählstruktur, S. 208. 489 Der Begriff der Realität soll in Anlehnung an seinen Gebrauch in der bisherigen Forschung auch hier verwendet werden, wenngleich er zur Bezeichnung eines innerliterarisch vermittelten und damit immer schon fiktiven Weltentwurfs überaus problematisch ist. 490 Zur hergestellten Gegenseitigkeit des Paares siehe Kapitel 4.2.2, zur Notwendigkeit der Fortsetzung des Weges, die vor allem im Motiv des Pflasters der Famurgan deutlich wird, Kapitel 4.2.3. Haug sieht im letzten Kampf dagegen lediglich eine „narrative Bestätigung“ des bereits zuvor Erreichten; Haug, Joie de la curt, S. 288. 491 Vgl. mit Hinweis auf Kuhn auch Quast, Ehe und Minne in Hartmanns ‚Erec‘, S. 176 f.
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stützung für Erec und Mabonagrin im Kampf ist schließlich der elementare Sachverhalt der Erzählung aufgerufen, dem über die einzelne Episode hinaus Geltung auch für den gesamten Roman zukommt. So konnte der nämliche Sachverhalt nicht nur auf Erec wie Mabonagrin gleichermaßen bezogen werden, sondern überdies auch in den Erzählungen von der Hirschjagd und vom Sperberpreis in Tulmein konstatiert werden,492 die im mythischen wie im höfischen Brauch, in der jeweiligen costume, diesen vergegenwärtigen beziehungsweise repräsentieren,493 was sich zunächst als verbindendes Element heterogener Überlieferungen erwies, letztlich aber die Hybridität der Erzählung zur Folge hatte.494 Auch der Weg Erecs und Enites durch den Wald zielt auf die wieder zu erreichende Zuordnung von Tapferkeit und Schönheit, die erst im letzten Kampf Erecs in Brandigan ihre Erfüllung findet, im finalen Sieg des Helden beim Gedanken an seine Frau. Damit ist eine Paradigmatik entworfen, über die die jeweiligen Abschnitte des Romans in einen Zusammenhang gebracht und aufeinander bezogen werden können. Deren universalen Anspruch unterstreicht dabei aber die Mythizität der letzten Aventiure, die ihr die entsprechende Bedeutsamkeit zukommen lässt. So ist es gerade die Mythizität der Erzählung, die die Vermutung einer Allegorie in rein phänomenologischer Hinsicht nahelegt. Schon die Descriptio des Erzählers lässt eine Allegorie, genauer eine statische Beschreibungsallegorie,495 vermuten, die über die Erklärung einzelner Details in ihre Bedeutung aufzulösen ist.496 In mythopoetischer Rede sind Details vornehmlich aus der keltischen Mythologie gleichsam zitiert, ohne jedoch einen konkreten Mythos zu erzählen. Dennoch weckt die statische Beschreibung des Baumgartens den Anschein eines – im Sinne Harald Weinrichs – immobilisierten Mythos, der in dieser Form mit der mittelalterlichen Allegorie vergleichbar ist: „Der in seinem narrativen Charakter reduzierte und in seinem Ereignischarakter immobilisierte Mythos wird nun als ein Bild vergleichbar mit der Allegorie, die das Mittelalter sehr geliebt hat.“497 Gleichsam zu einem Stillleben reduziert fordere dieser schließlich die 492
Auf die näheren Bezüge der Episode gerade zum Sperberpreis von Tulmein, der zentralen Aventiure Erecs im ersten Handlungszyklus, braucht an dieser Stelle nicht näher eingegangen zu werden. Nur erwähnt seien etwa das Motiv der Schönheit, das in Bezug auf Enite wie die 80 Witwen gleichermaßen vertreten ist, sowie das Motiv der Verwandtschaft von Mabonagrins vriundinne mit Enite; vgl. hierzu etwa Cormeau, Joie de la curt, S. 198 f. Auch die jeweilige Stilisierung des Kampfs als Spiel lässt Korrespondenzen erkennen; vgl. Höhler, Kampf im Garten, S. 413–419. Die Bezüge unterstreichen allerdings die Grundlegung des nämlichen Sachverhalts, mithin die paradigmatische Geschlossenheit des Romans. 493 Vgl. hierzu die Kapitel 4.1.1 und 4.1.2. 494 Vgl. hierzu die Kapitel 4.1.3 und 4.1.4. 495 Zum Begriff siehe Blank, Allegorie, S. 45. 496 Kurz, Metapher, S. 50 f., nennt als Beispiel einer deskriptiven Allegorie die Beschreibung eines Locus amoenus, die zumeist auch explizit auf die Bedeutungen der beschriebenen Details hinweist. 497 Weinrich, Erzählstrukturen des Mythos, S. 176. Weinrich wählt als Beispiel den Mythos von Narziss, wie er im Roman de la rose aus dem 13. Jahrhundert „kaum noch in seiner Ereignisfolge dargestellt [wird], sondern nur noch, ich möchte sagen, in seinem Resultatcharakter. Er wird repräsen-
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weitere Erzählung: „Wenn der Mythos stillsteht, setzt sich der Erzähler in Bewegung.“498 Schon die aus dem Kontext der Erzählung fallende Nennung des Namens der Joie de la curt durch Guivreiz ruft den Erzähler auf den Plan, der den Namen bediuten (V. 8005) möchte und zur näheren Erklärung ins Deutsche übersetzt. Und im unmittelbaren Anschluss an die rein statische Descriptio folgt dann schließlich auch die erzählte Handlung. In mythosanaloger Gestaltung raum-zeitlicher Strukturen und Handlungsführungen umkreist die Erzählung jedoch ein nicht weiter hinterfragbares noch auflösbares Geschehen, das sich selbst der Verfügbarkeit des Erzählers zu entziehen scheint. Damit aber wird die mythosanalog gestaltete Erzählung jetzt einer dynamischen Geschehensallegorie vergleichbar,499 die der anschließenden Allegorese bedarf. Hans Robert Jauß hat darauf aufmerksam gemacht, wie die Allegorie in ihrer Wirkung mit der „eines Mythos aus einer fremden, dem unmittelbaren Verständnis verschlossenen Welt vergleichbar“ ist, „solange der allegorischen Erzählung der Schlüssel fehlt (oder noch fehlt)“.500 Entsprechend konsequent stellt sich die Frage des Publikums nach der Kraft für die beiden Kämpfer ein,501 und auch auf der Figurenebene fragt Erec nach dem Leben in diesem Baumgarten, um eine Erklärung zu bekommen.502 Das an den Kampf anschließende Gespräch der Kontrahenten erweist sich so schon über die unerklärt bleibende mythische Ordnung des Baumgartens motiviert. Das Gespräch Erecs und Mabonagrins ist jedoch keineswegs als eine Allegorese anzusehen, die im Sinne von aliud dicitur, aliud significatur eine Übertragung des Erzählten in einen von diesem geschiedenen Sinnzusammenhang verfolgt.503 Doch macht das Gespräch, dies hat die referierte Forschungsdiskussion hinreichend herausgestellt, auf eine Bedeutungsebene aufmerksam, indem gerade hier Bezüge zu Früherem hergestellt werden. Dies erfolgt jedoch nicht in verkürzter oder auch spiegelnder Wiederaufnahme
tiert durch die Quelle und sodann durch die Blume.“ Das Resultat verweist letztlich auf die ikonische Konstanz des Mythos; vgl. hierzu auch Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 102. 498 Weinrich, Erzählstrukturen des Mythos, S. 176. Vgl. auch Jauß, Allegorese, S. 189. 499 Begriff auch hier nach Blank, Allegorie, S. 45. Kurz, Metapher, S. 50, rechnet zu dieser Form der narrativen Allegorie beispielhaft „das dramatische Modell des Kampfes“. Versteht man die narrative Allegorie als eine Fortführung metaphorischen Erzählens, ist für den Kampf Erecs gegen Mabonagrin entsprechend auf die Metaphorik des Minnespiels hinzuweisen. Hierauf kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden. Verwiesen sei lediglich auf die Hinweise bei Scholz, Stellenkommentar, S. 965 f., dort mit weiterer Literatur. 500 Jauß, Allegorese, S. 191: „Die Ereignisse, Figuren und Motivationen der Handlung verweisen ständig auf ein Geheimnis, das zu immer neuer Lösung herausfordert, weil keine Deutung von sich aus die verschlüsselte oder verlorene Wahrheit mit Gewißheit beanspruchen kann. Das Faszinosum dieser Wirkung dürfte auch mittelalterlichen Dichtern bewußt geworden sein.“ 501 Mabonagrin ist schließlich in der Erzählung als Teufel stilisiert und der Erzähler hatte zuvor noch zu erkennen gegeben, dass er nichts Näheres erzählen könne. 502 Erec zielt mit seiner Frage entsprechend auch nicht nur auf eine andere Person oder Gott, sondern gleichfalls auf den mythischen Umstand (V. 9439–9442). 503 Zu dieser Form der Übertragung siehe Suntrup, Allegorese, S. 36 f.
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der früheren Situation Erecs und Enites in Karnant,504 sondern in Variation der gestörten Ordnung des hier wie dort zugrunde liegenden elementaren Sachverhalts.505 Genügte die Liebe des Protagonistenpaares allein sich selbst, weshalb sie in die Isolation führte, ist diese hier nach den erklärenden Worten Mabonagrins Resultat von Gewalt und List. Damit wird die Situation von Karnant „in der Baumgartenepisode nicht einfach kopiert, sondern sie wird auf eine reflektiert-ideologische Ebene gehoben“.506 Der mythosanalogen Erzählung vom Baumgarten kommt damit aber durch die retrospektive Betrachtung eine Bedeutung zu, was dem mythischen Denken grundsätzlich fremd ist. Ernst Cassirer hat für die Unterscheidung der symbolischen Formen Mythos und Religion, Sprache und Kunst die Bewusstmachung einer Bedeutungsebene als ein ausschlaggebendes Kriterium herausgestellt.507 Richtet sich das mythische Denken allein auf die „bloße Präsenz des Inhalts“,508 zeigt sich erst in der Sprache und der Religion der grundlegende „Gegensatz zwischen ‚Bedeutung‘ und ‚Dasein‘“.509 Der Kunst, der vormodernen Literatur zumal, kommt hier eine gewisse Zwischenstellung zu, insofern sie zwischen der „Welt des Ausdrucks und [der] Welt der reinen Bedeutung“ anzusiedeln ist.510 Der in der mythosanalogen Erzählung mit Bedeutsamkeit angereicherte elementare Sachverhalt ist mit der Darstellung des Kampfs ebensowenig erschöpft, wie er in bloße Bedeutung überführt wird. Vielmehr eröffnet das Gespräch über den Baumgarten eine zusätzliche Ebene der Bedeutung, wenngleich es wie der Kampf selbst die Realität des Romans nicht verlässt. Damit ließe sich im besten Falle von einer impliziten Allegorie sprechen, die nur einen Hinweis auf die Übertragung auf eine Bedeutungsebene bietet, die letztlich aber vom Leser/Hörer umzusetzen ist.511 Im Konkreten erwirkt das Gespräch jedoch eine explizite Entmythisierung, indem über die Bewusstmachung einer Bedeutungsebene die bloße Präsenz der Inhalte zugunsten einer Anbindung an die literarische Präsentation und das heißt Repräsentation von die Immanenz
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So im Grunde schon Kuhn, Erec, S. 36; vgl. auch Wolf, Einführung, S. 68; Kasten, The western Background, S. 28; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 190. Von einer „Abbreviatur der Situation des Protagonistenpaares unmittelbar vor der Krise“ spricht Schmid, Spekulationen, S. 115. 505 Vgl. auch Bumke, Erec, S. 66. 506 Haug, Joie de la curt, S. 288. Haug ist hier zuzustimmen, wenngleich er im selben Zusammenhang selbst noch von einer Spiegelung ausgeht; vgl. ebd., S. 287. Den Unterschied zu Karnant betont auch Scholz, Stellenkommentar, S. 971 u. 977. 507 Vgl. im Folgenden Kapitel 3.2.1. Blumenberg spricht entsprechend von der Bedeutsamkeit des Mythos; vgl. etwa Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 66; siehe hierzu ausführlich Kapitel 2.1.2. 508 Cassirer, Das mythische Denken, S. 47. 509 Ebd., S. 286. 510 Cassirer, Form und Technik, S. 86. Hierzu betont Paetzold, dass erst die „Kunst der Moderne“ sich „vom religiösen Kult und von der höfischen Repräsentation“ scheide; Paetzold, Die symbolische Ordnung der Kultur, S. 177. 511 Zur impliziten Allegorie in Abgrenzung zur expliziten siehe Kurz, Metapher, S. 40 f.; vgl. ferner Blank, Allegorie, S. 45. Auf die noch wenig erforschte Unterscheidung für die mittelalterliche Literatur hat bereits Wells, Allegorie als Interpretationsmittel, S. 19, hingewiesen.
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des Romans übersteigenden kulturellen Ordnungsmustern aufgegeben wird.512 Dieser Prozess der Entmythisierung über die Bewusstmachung einer Bedeutungsebene mag dabei dem Verfahren einer Überführung in die Allegorie zwar nahe kommen, insofern auch „deren ‚Erklärung‘ mythischer Phänomene […] am Ende auf die vollständige Negation dieser Phänomene“513 hinausläuft und geradezu kennzeichnend für die mittelalterliche Aneignung mythischer Erzählungen ist,514 doch bleibt die Aventiure von Brandigan, die Joie de la curt, eingebunden in den Erzählverlauf des Romans und wird nicht zur Allegorie.515 So schließt die Entmythisierung letztlich an die schon im zweiten Handlungszyklus einsetzende Entwicklung einer Abweisung des Mythischen an, wie sie für die zweite Triade in zunehmendem Maß auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens zu konstatieren war.516 Und auch im Anschluss an das Gespräch Erecs und Mabonagrins setzt sich die Entmythisierung in der Geschichte fort, wenn die mythische Ordnung des Baumgartens insgesamt in ihrer Auflösung erscheint: Gemäß dem von Cassirer beschriebenen Gesetz des Ganzen und der Partizipation im mythischen Denken sind mit der Niederlage Mabonagrins auch für den mythischen Baumgarten entsprechende Konsequenzen verbunden, denn „dieses Gesetz des Ganzen wiederholt sich in jedem seiner Teile. Die Prädetermination des Seins gilt für das Individuum, wie sie für das Universum gilt.“517 Mabonagrin steht selbst in disem bande (V. 9585) wie allgemein das Teil im Verhältnis zum Ganzen, da er als der rôte man wie dieses „realer Wirkungsträger ist – weil alles, was er leidet oder tut, was aktiv und passiv an ihm geschieht, zugleich ein Leiden und Tun des Ganzen ist“.518 Insofern hat auch 512
Vgl. zur kultursemiotischen Seite der Literatur in Ergänzung zur handlungslogischen am Beispiel des Eckenliedes Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 293 f. 513 Cassirer, Versuch über den Menschen, S. 119: Diese Kongruenz von (allegorischer) Deutung und Entmythisierung kennzeichne selbst noch die moderne wissenschaftliche Beschäftigung mit Mythen, doch „von den frühen Formen der allegorischen Deutung unterscheiden sich die modernen Verfahren darin, daß sie den Mythos nicht mehr bloß als eine auf einen bestimmten Zweck ausgerichtete Erfindung wahrnehmen“. 514 Vgl. ebd., S. 118 f.; Cassirer, Das mythische Denken, S. 305 f.; zur allegorischen Mythenaneignung im Mittelalter siehe Wehrli, Antike Mythologie, S. 25 f., umfassend auch die Beiträge in Horn/Walter, Allegorese des antiken Mythos; vgl. dagegen Fromm, „Aufklärung“ und neuer Mythos, S. 15: „Allegorisierung des Mythos bedeutet nicht sein Absterben, wohl aber Verlust an Sinntiefe und -weite durch Bedeutungsfestlegung.“ Mit der Festlegung auf eine Bedeutung ist aber gerade der Mythos in seinem Grundzug der Indifferenz aufgehoben; nur der Hinweis auf eine Bedeutung kann diesen noch in der Literatur analog erzählbar erhalten, wenngleich er dadurch aber letztlich einer Auflösung unterzogen wird. 515 Rider, De l’énigme à l’allégorie, S. 126, konstatiert hier die Reduktion einer „atmosphère énigmatique“, auf die eine „atmosphère quasi-allégorique“ folge. 516 Vgl. Kapitel 4.2.2. 517 Cassirer, Das mythische Denken, S. 111; vgl. hierzu auch die Beschreibung des Baumgartens in Kapitel 4.3.2 sowie den weiteren Zusammenhang in Kapitel 3.1.2. 518 Cassirer, Das mythische Denken, S. 65. Die metonymisch gebrauchte Bezeichnung als der rôte man unterstreicht gerade diese Relation, worauf die erst später erfolgende Namensnennung nach der Niederlage Mabonagrins aufmerksam macht.
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die Niederlage des im Garten herrschenden vâlant die Auflösung von dessen Herrschaftsreich zur Folge. War zuvor die Einheit des mythischen Raumes gewahrt und in seiner Schicksalsordnung in den Eichenpfählen regelrecht ansichtig geworden, so stellt die an den Kampf anschließende Handlung gerade diese raum-zeitlichen Bestimmungen des Baumgartens in ihrer Auflösung dar: Mabonagrin kann gegenüber Erec nicht nur erklären: hiute ist mînes kumbers zil: | nû var ich ûz und swar ich wil (V. 9588 f.),519 sondern das Ende des auf ihm liegenden Zwangs anhand der Eichenpfähle auch beweisen: daz ich vil wol erziugen mac, | ob ir’z niht wol geloubet. | sehet eht ir diu houbet (V. 9571–9573).520 Fortan müsse er keine Köpfe mehr auf diese Pfähle spießen, da Erec ihn von disem bande | hât erlœset (V. 9585 f.). Erecs Sieg wird damit zu einer Erlösungstat stilisiert,521 die die immer wiederkehrende Gewalt im einmaligen, gleichsam historischen Akt beendet. Nach diesem Sieg nimmt Erec das Horn vom letzten Pfahl, das dort ungeblâsen manegen tac (V. 9620) gehangen hat, und verkündet das Ende:522 nû wart âne twâle wider dem alten site getân. der künec Îvreins von Brandigân der nam vrouwen Ênîten und vuorte si besîten ze jenem boumgarten in. (V. 9643–9648)
Mit Ivreins und Enite kommen auch alle anderen Leute von Brandigan bis ins vormals der Allgemeinheit verschlossene Innerste des Gartens, wo sie Erec und Mabonagrin in aller Freude begrüßen: nû îlten si alle | mit vrœlichem schalle, | dâ si die herren sâhen an (V. 9652–9654).523 Die Auflösung der mythischen Grenze mit der Aufhebung auch der mythischen Zeitund Schicksalsordnung des zur Gegenwelt von Brandigan stilisierten Baumgartens zielt letztlich auf die Aufhebung seiner Mythizität. Und mit der Destruktion des Mythischen erfolgt nicht nur die letzte Erhöhung des Helden, sondern sie ermöglicht auch die An519
Dass Mabonagrin hierbei jedoch nicht auf eine Trennung von seiner vriundinne abzielt und somit kein Widerspruch zur zuvor von ihm erwähnten Übereinstimmung im Wollen vorliegt, betont Scholz, Stellenkommentar, S. 978. 520 Erinnert sei hier an die Formulierung Ivreins, mit der er Erec die Fatalität mit den Eichenpfählen beglaubigt: ob ir des niht geloubet, | und welt ir’z danne selbe ersehen, | sô muoz iu alsam geschehen (V. 8517–8519). 521 Vgl. mit Hinweis gleichfalls auf die „mythische Dimension“ des Baumgartens Mertens, Artusroman, S. 35; ferner Schnyder, Künstliche Paradiese, S. 67. 522 Das Blasen des Horns verweist letztlich allein auf den Sieg über Mabonagrin, der – wie dargelegt – die Auflösung des mythischen Banns zur Folge hat. Bei Chrétien scheint hier noch immer ein mythischer Mechanismus zu wirken, da Maboagrin Erec auffordert, das Horn zu blasen, da er nur dann befreit sei und die Freude beginnen könne (V. 6094–6098). 523 Später heißt es entsprechend, dass alle den einstmals mythisch umhegten Baumgarten auch wieder verlassen: nû vuoren wîp unde man | ûz dem boumgarten dan (V. 9744 f.).
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bindung des Erzählten an jetzt explizit christlich-höfische Ordnungsmuster. So werden zunächst die Köpfe der erschlagenen Ritter in symbolischer Handlung ehrenvoll und nach christlichem Brauch begraben, womit die Freude des Hofs erst eigentlich beginnen kann:524 diu houbet, als ir hôrtet sagen, diu drinne wâren abe geslagen, diu nam man abe den stecken – des êre got Êrecken –, unde wurden boten gesant nâch der phafheit in daz lant, daz man si begrüebe nâch êren. hie begunde sich êrste mêren diu vreude ûf Brandigân. (V. 9746–9754)
Und wie Erec hier die göttliche Ehre zugesprochen wird, so wird seine Erlösungstat immer umfassender nicht nur auf seine eigene Stärke, sondern gleichfalls auf die göttliche Fügung zurückgeführt.525 Schon Mabonagrin bringt dies – nach seiner Niederlage – gegenüber Erec zum Ausdruck: mich […] | hât erlœset iuwer hant. | got, der hât iuch her gesant (V. 9585–9587).526 Mehrfach macht er Gott direkt für das glückliche Ende verantwortlich (V. 9454 f. u. 9582) und betont in gleicher Weise Erecs ellenthaftiu hant (V. 9606). Schließlich stimmen in diesen Lobpreis alle im Baumgarten versammelten Leute ein. So rufen mit gelîchem munde, beide man unde wîp: ‚ritter, g’êret sî dîn lîp! mit sælden müezest immer leben! got hât dich uns ze trôste gegeben und in daz lant gewîset. wis gevreuwet und geprîset, aller ritter êre! jâ hât dich immer mêre got und dîn ellenthaftiu hant gekrœnet über elliu lant. mit heile müezest werden alt!‘ (V. 9667–9678)
Mit der letzten Aventiure ist Erecs höfische Ehre nicht nur im umfassenden Sinn und über alle Grenzen hinweg wieder hergestellt, sondern sein tatkräftiger Sieg im Baum524
Höhler, Kampf im Garten, S. 393, sieht im Akt der christlichen Beerdigung der Köpfe einen Akt der „Austreibung eines heidnischen Kultgebarens“. 525 Wenn in der Figurenrede Erecs Weg nach Brandigan als von Gott gelenkt erscheint, so beeinflusst dies im Nachhinein nicht die Handlungsmotivation an der Weggabelung, die in gleicher Weise – wie dargelegt – kausal wie final motiviert ist, in einer doppelten Spannung auf die kommenden Ereignisse vorbereitet und dabei bereits auch auf ein christliches Deutungspotenzial anspielt. 526 Mertens, Kommentar, S. 693, hebt diese Stelle gerade im Hinblick auf die Einschätzung Mabonagrins hervor, denn: „Mabonagrins Nennung Gottes ‚vermenschlicht‘ ihn.“
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garten zugleich in christlicher Perspektive retrospektiv gedeutet. Der erst zum Sieg führende und im Kampf offenbar gewordene elementare Sachverhalt, ritterliche Stärke in der rechten Minnebeziehung, erfährt damit letztlich eine Legitimierung, die ihn in die höfisch-christliche Ordnung integriert.527 Die Bedeutung des zuvor in gleicher Weise für Mabonagrin wie Erec in mythischer Bedeutsamkeit dargestellten Sachverhalts wird damit unterstrichen. Die Integration erfolgt hier jedoch nicht im Rahmen einer Harmonisierung des Mythischen und Höfischen, wie sie noch der Krise in Karnant vorausging,528 sondern jetzt in einem Ausschließlichkeitsverhältnis nach ihrer progressiven Kontrastierung im zweiten Handlungszyklus.529 Mythisches in mythopoetischer Rede und mythosanaloger Gestaltung erweist sich vom narrativen Standpunkt aus jedoch als Möglichkeit zur Darstellung eines bedeutsamen Sachverhalts, der in seiner Bedeutung aufgenommen und in die neue Ordnung integriert wird. Dass es am Ende aber nicht allein um eine mythische Begründung und Legitimierung dieses jetzt bedeutenden Sachverhalts geht, zeigt die vollzogene Entmythisierung an. Die Aventiure im Baumgarten von Brandigan zielt letztlich auf die Überwindung des Mythischen zur Integration des ihr zugrunde liegenden Sachverhalts in die höfische Ordnung. Die Nachhaltigkeit der Überwindung des Mythischen veranschaulicht schließlich der Schluss des Romans: In großer Freude wird auf Brandigan ein vierwöchiges Fest gefeiert, doch empfindet Erec noch immer Kummer beim Anblick der 80 trauernden Witwen. In rhetorischer Anteilnahme schildert der Erzähler das Mitleid Erecs, seine übergroße erbermde.530 Doch die Damen finden in Brandigan keine Freude mehr, sie wollen und können in ständiger Gegenwart Mabonagrins das ihnen zugefügte Leid nicht vergessen. Schließlich möchte Erec sie – in aller höveschlîchen (V. 9861) Art – an den Artushof bringen, wo sie ein glückliches Leben führen sollen. König Ivreins rüstet sie für die Reise mit Kleidern und Pferden, sodass sie gelîch und wol zesamene schein, | […] riuwevar al ein (V. 9856 f.),531 und begleitet sie und Erec zum Abschied noch bis vor die Burg. 527
Vgl. die Paarbeziehung betonend Haug, Lesen oder Lieben, S. 318: Die Erfahrung der „Radikalität der Du-Beziehung kann mit der Rückkehr in die Gesellschaft nicht zurückgelassen werden […]: Erec sprengt zwar die Isolation der radikalen Du-Beziehung auf, aber gerade dabei wird diese Radikalität festgehalten und im Bewußtsein mitgetragen.“ Ergänzend, wenn auch zu einseitig ist hier die Deutung von Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 263: Der Kampf im Baumgarten habe „außer der mythischen Bedeutung von der Bewährung als Mann und Kämpfer die höfische Ausdeutung von der Bewährung als idealer Artusritter aufgenommen“. 528 Vgl. Kapitel 4.1.4. 529 Vgl. Kapitel 4.2.3. 530 Auf engstem Raum finden sich verschiedene Komposita mit oder Ableitungen von bermde, sodass ein ganzes Wortfeld auf Erecs Mitleid aufmerksam macht (V. 9782–9804). 531 Schon früher war von ihrer gleichen Kleidung die Rede, die sehr kostbar und schwarz sei, woran – so ausdrücklich der Erzähler – sich ihre Trauer zeige (V. 8227–8249). Die Erwähnung, dass Ivreins sich auch hier um die angemessene Kleidung der Damen kümmert, aktualisiert das bereits zugrunde liegende Motiv.
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Gleich einem Trauerzug kommen sie schließlich an den Artushof, wo ihnen ein großer Empfang bereitet wird. Der Anblick dieser seltsænern schar (V. 9882) weckt allseits Verwunderung und Erec erzählt seine Aventiure, denn sô grôz dinc wære erstanden | von rîcher âventiure (V. 9897 f.). Unterdessen versorgt die Königin Ginover die 80 Damen und vuorte si ze gemache (V. 9905), wohin ihnen Erec und Artus folgen, der beim Anblick von ir ungemach (V. 9933) Erecs Tat erst erkennt: ‚Êrec, lieber neve mîn, dû solt von schulden immer sîn geprîset unde g’êret, wan dû hâst wol gemêret unsers hoves wünne.‘ (V. 9944–9948)
Gleichsam in symbolisch stellvertretender Handlung wendet er sich an die Witwen, damit si ir muot und ir lîp | ze vreuden verkêrten (V. 9955 f.) und kleite si mit selher wât, | sô si ze vreuden beste stât (V. 9960 f.). Mit der symbolischen Umkleidung der Witwen ist die Wiederherstellung der rechten Ordnung nicht nur angezeigt,532 sondern gleichfalls als ein Akt der Repräsentation vollzogen, der die Erlösungstat Erecs im höfischen Zeremoniell würdigt. Der unmittelbare Zusammenhang der Szene macht dies deutlich.533 In gleicher Weise erfolgte die Repräsentation höfischer Ordnung am Artushof bereits im Anschluss an den Sperberwettstreit von Tulmein, als Erec Enite vor der Tafelrunde präsentierte, nachdem sie von Ginover neu eingekleidet worden war. Doch folgte auf den höfischen Akt der Kuss durch Artus als Abschluss der mythischen costume der Hirschjagd,534 bleibt eine mythisch fundierte Bestätigung der hergestellten Ordnung nach der finalen Bewährung des Helden jetzt aus. Die nach der Überwindung des Mythischen wieder gewonnene höfische Ordnung wird allein im höfischen Zeremoniell bestätigt und in ihm repräsentiert. Überdies verweist der in der Umkleidung der jetzt 80 mit an den Artushof geführten Damen offensichtlich angelegte Bezug zur früheren Situation über die bloße Zahl hinaus auf eine Steigerung schon deshalb, weil die ordnungsstiftende Tat jetzt einzig auf Erec zurückzuführen ist und nicht in gleicher Weise – so im Ergebnis der Hirschjagd – auch auf Artus. Mit dieser Szene zielt Hartmann auf eine Überhöhung seines Helden, die nicht zuletzt in der deutlich werdenden erbermde eine christliche Komponente erhält.535 532
Vgl. Peil, Beobachtungen zur Kleidung, S. 135 f.: „Der Kleiderwechsel ist hier ein bewußter Akt, der vollzogen wird, um die Kleidung mit dem emotionalen Zustand [der Freude am Hof] in Einklang zu bringen.“ Vgl. auch Raudszus, Zeichensprache der Kleidung, S. 88. 533 Vgl. schon Wapnewski, Hartmann von Aue, S. 539. Von den Witwen heißt es, dass sie durch ihre Einwilligung zum Umkleiden den künec dar an êrten (V. 9957), weshalb Wolf, Einführung, S. 69, die Würde von Artus hervorhebt. Dies mag im engeren Zusammenhang nachvollziehbar sein, doch erschöpft sich darin das Motiv der Umkleidung in dieser Szene nicht. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass nur sieben Verse später Êrec der Êren holde (V. 9963) im Zentrum steht. 534 Vgl. Kapitel 4.1.3. 535 Vgl. schon Kuhn, Erec, S. 38 f.; Ruh, Höfische Epik, S. 140; Mertens, Artusroman, S. 59. Das Motiv der compassio in der höfischen Literatur ist vor dem Hintergrund des frömmigkeitsgeschichtli-
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Die Begründung der Ordnung auf allein höfische wie christliche Vorstellungen sowie die Überhöhung des Helden durch Hartmann lassen sich auch im direkten Vergleich mit der Vorlage von Chrétien bestätigen: Chrétien kennt weder das Motiv der 80 Witwen,536 noch zeigt sich der Artushof in einer vergleichbaren Ordnung. So steht bei Chrétien Artus unbestritten im Zentrum der Handlung, wenngleich der Königshof zugleich in denkbar fragwürdigem Licht erscheint: Aus ungeklärten Gründen sei Artus tags zuvor noch zur Ader gelassen worden (V. 6364 f.) und die Königin springt bei der Ankunft Erecs und Enides vor Freude wie ein Vogel hin und her (V. 6410 f.). Erec erzählt von seinen Erlebnissen und bleibt mit seiner Frau über Jahre am Hof (V. 6444 u. 6453 f.). Zu einem unbestimmten Zeitpunkt erfährt er vom Tod seines Vaters,537 woraufhin er jedoch nicht in die Heimat zieht, sondern vor Ort in Kirchen Messen singen lässt (V. 6470 f.). Priestern, Armen und Bedürftigen spendet er neue Kleider (V. 6476 ff.), was jedoch nicht als Ausdruck seiner erbermde, sondern vielmehr als Opferhandlung für seinen verstorbenen Vater zu bewerten ist.538 Sein geerbtes Land nimmt Erec anschließend von Artus als Lehen und bittet ihn, an dessen Hof gekrönt zu werden (V. 6485–6489). Zu Weihnachten findet die Krönung dann in Nantes statt, während der Erec zwar neben Artus auf einem prächtigen und ausdrücklich gleichen Stuhl Platz nimmt (V. 6651–6673), letztlich aber als Lehnsmann ihm untergeordnet bleibt.539 Artus erscheint dagegen jetzt in Größe und Freigebigkeit unübertroffen am Tag von Erecs Krönung.540 Die Krönung Erecs ist bei Chrétien in aller Ausführlichkeit geschildert, die dem besonderen Ereignis und finalen Höhepunkt am Ende des Romans entgegen kommt.541 Der eigentliche Vorgang vollzieht sich unter der Leitung von Bischöfen und Äbten zwar ausdrücklich nach christlichem Brauch, selonc la crestïene loi (V. 6798), doch steigert sich die Beschreibung der Insignien in die Nennung zahlreicher fabelhafter Details, wie vergleichbare schon die frühere Münster-Szene in Carnant prägten.542 So chen Paradigmenwechsels im 12. Jahrhundert zu sehen; vgl. Kraß, Mitleidfähigkeit, hier v. a. S. 298. Kraß schließt an Thesen von Schwietering, Der Wandel des Heldenideals, an. 536 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 251, vermutet, dass Hartmann hier eine andere, unbekannte Erzählung vorgelegen haben könnte. 537 Im Text heißt es lediglich, dass es acht Tage vor Weihnachten gewesen sei (V. 6461), womit jedoch nicht zu erschließen ist, wie lange sich Erec bis dahin schon am Hof aufgehalten hat. 538 Entsprechend heißt es im Text, dass Erec molt fist bien ce que fere dut (sehr gut ausführte, was er tun musste; 6475). Wenngleich hier bei Chrétien durchaus religiöse Motive nicht zu übersehen sind – vgl. Bumke, Erec, S. 70 f. –, kommt diesen doch ein anderer Status zu. 539 Vgl. McDonald, The Crown Endures, S. 320. Von einer „gewisse[n] Gleichrangigkeit“ geht dagegen Haupt, Literarische Bildbeschreibung, S. 559, aus, doch bietet die Krönung dem Erzähler bei Chrétien die Gelegenheit zur Feststellung, dass Artus Erec viel gegeben habe (V. 6500). 540 In annähernd 40 Versen überbietet sich förmlich der Erzähler im Lobpreis auf Artus, der selbst Cäsar und Alexander überträfe (V. 6596–6635). 541 Vgl. im Folgenden die ausführliche Besprechung bei Kraß, Geschriebene Kleider, S. 109–117. 542 Zur Münsterszene siehe Kapitel 4.1.4. Den Vergleich beider Szenen zeichnet im Einzelnen Wandhoff, Ekphrasis, S. 136–139, nach.
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widmet der Erzähler über 70 Verse allein der Beschreibung von Erecs Krönungsmantel (V. 6674–6747): Unter Hinweis auf seine Vorlage wie auf Macrobius erzählt er, wie dieser Mantel von vier Feen gefertigt worden sei und jede von ihnen je eine Kunst des Quadriviums dargestellt habe. Als Stoff habe das Fell der Barbioleten, wundersamen Tieren aus Indien,543 gedient, den sie mit Goldfäden zusammengenäht und mit Edelsteinen an den Schließen bestückt hätten. Kostbare Steine schmücken auch die goldenen Kronen für Erec und Enide, die selbst den Glanz des Mondes übertreffend so hell leuchten, dass alle Umstehenden erschrecken und eine ganze Zeit lang geblendet sind (V. 6774–6793). Schließlich berichtet der Erzähler von dem berühmten Zepter, auf dem alle Arten von Menschen und Tieren detailgetreu eingeschnitten seien (V. 6808–6819). Folgt man zunächst der Deutung Jacques LeGoffs, zielen die Beschreibungen des Erzählers auf eine Verschränkung von Christlichem und Magischem: Artus, der durch die erfolgreiche Jagd auf den weißen Hirsch „eine neue, der Magie entstammende Legitimität geschöpft“ habe, überreiche Erec „neben Krone und Zepter ein wunderbares Gewand, das ihm, bevor der Bischof ihm durch die Salbung die christliche Investitur verleiht, die Investitur der Magie gibt“.544 Für Barbara Haupt erfüllt der Mantel mit den Darstellungen des Quadriviums bei der Krönung überdies den „Aspekt der Fürstenspiegelfunktion“,545 wie auf der anderen Seite das Zepter ein „Bild der paradiesischen Schöpfungsordnung“ gebe, „in Relation zu der von Gott geschaffenen kosmischen Ordnung“.546 Wie auch immer die Insignien Erecs im Detail zu bewerten sind, so ist doch festzuhalten, dass im Zentrum des Krönungsrituals wunderbare547 und christlichhöfische Motive wie schon zuvor im gesamten Roman hier jedoch auf engstem Raum miteinander regelrecht verwoben sind, was zweifellos eine Bedeutung des Erzählten über den eigentlichen Akt der Investitur hinaus vermuten lässt. So deutet vor allem Gerhard von Graevenitz, angeregt von der schon bei Macrobius angelegten Gewebemetapher des textum, den Krönungsmantel „als theoretisch relevante Selbstthematisierung und Selbstinszenierung von Literatur“, da dieser sich auf eindringliche Weise auf das „literaturtheoretische Problem der ‚Zusammensetzung‘“, Chrétiens conjointure, beziehe.548 Diese verbinde sowohl innerhalb des Erzählten die unterschiedlichsten Motive, wie sie auch die einzelnen Textebenen miteinander verschränke. Der Mantel sei das 543
Zu den Barbioleten ausführlich Burgess/Curry, Berbiolete, die über einen Vergleich vornehmlich mit dem Roman de Troie Benoîts de Sainte-Maure weitere Details nennen und letztlich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ihrer Beschreibung reale Vorbilder dienten; vgl. ebd., S. 92. Als Erfindung Chrétiens deutet sie dagegen Haupt, Literarische Bildbeschreibung, S. 570. 544 LeGoff, Kleidungs- und Nahrungskode, S. 212. 545 Haupt, Literarische Bildbeschreibung, S. 577; kritisch hierzu Mertens, Artusroman, S. 41. 546 Haupt, Literarische Bildbeschreibung, S. 579. 547 Im Einzelnen braucht an dieser Stelle nicht den Motivdetails nachgegangen werden, inwiefern sie mythische Ursprünge haben, oder mythische Ausdrucksformen assoziieren. 548 Graevenitz, contextio und conjointure, S. 232 u. 234, Hervorhebung dort; zur poetologischen Deutung des Mantels siehe auch Kraß, Geschriebene Kleider, S. 362–365; vgl. ferner – mit Bezug auf Macrobius – Hart, Chrestien. Zu Chrétiens Prolog siehe Kapitel 2.2.2.
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„Musterbeispiel einer solchen Verschränkung“ und zugleich deren „poetologische[s] Bild“.549 Auch Barbara Haupt sieht in der Mantelbeschreibung in erster Linie eine poetologische Reflexion über das eigene Werk am Ende des Romans, da Chrétien nicht nur Macrobius erwähnt, sondern überdies volkssprachliche Vorlagen nennt.550 Beispielhaft seien es daher die Feen, die Personifikationen des gelehrten Wissens auf den Stoff weben. Die Darstellung könne man daher „mit einiger Vorsicht auch auf Chrestiens Roman im Ganzen, auf die bele conjointure übertragen“.551 Und insofern eben auch die Materie allein nur der Stoff zur Darstellung ist und „der gelehrte Autor“, so Volker Mertens weiterführend, „nur Bürge für die Beschreibung, nicht für die Anfertigung“ sei, könne der Mantel insgesamt als „Symbol des Werks selbst“ gedeutet werden.552 Die Forschung sieht in der Mantelbeschreibung eine bis in die poetologische Reflexion reichende Darstellung, die aufschlussreich für den gesamten Roman Chrétiens ist. Und wie den gesamten Roman hindurch so weist eben auch diese letzte Szene bei Chrétien die nämliche Verschränkung unterschiedlichster Motive und Darstellungsweisen auf, die weder dem Höfischen oder Christlichen, noch dem Mythischen eindeutig und ausschließlich zuzuschreiben sind. Entsprechend ambivalent fällt am Ende auch die Darstellung Artus’ aus. Überdies wählt Chrétien als finalen Schauplatz den damit nicht zuletzt als ideelles Zentrum etablierten Artushof,553 an dem sein Roman endet. Hartmann setzt hier andere Akzente.554 Erfolgt die Repräsentation der wiedergewonnenen höfischen Ordnung am Artushof allein in der Umkleidung der Witwen, die gewissermaßen die bei Chrétien vorgegebene Investitur substituiert, so ist mit ihr aber zugleich auch Erecs Erlösungstat ins Zentrum gerückt und eine in der Krönung durch Artus notwendig angelegte Unterordnung als Lehnsmann umgangen.555 Außerdem war bei Hartmann die Krönung Erecs bereits durch seinen Vater in Karnant vollzogen worden,556 sodass ihm am Artushof lediglich metaphorisch, doch umso effektvoller die Ehrenkrone zugesprochen wird, gleichsam in Akklamation durch die dort versammelte Gesellschaft, in Anerkennung seiner Leistung: hie emphie der valsches vrîe von al der massenîe sîner arbeit ze lône alsô der êren krône. (V. 9888–9891) 549
Graevenitz, contextio und conjointure, S. 238. Haupt, Literarische Bildbeschreibung, S. 564 f. 551 Ebd., S. 576. 552 Mertens, Artusroman, S. 41; vgl. auch Bumke, Erec, S. 71 f. 553 Vgl. Ruberg, Königskrönung, S. 74. 554 Vgl. Bumke, Erec, S. 68, der seinerseits hervorhebt, dass der Roman Hartmanns in der Schlusspartie so weit wie an keiner anderen Stelle von seiner Vorlage abweicht. 555 Die Suspension der Lehensfrage hebt Ruberg, Königskrönung, S. 78, hervor; vgl. Mertens, Artusroman, S. 59: „Er ist König aus eigenem Recht geworden und bedarf keiner abschließenden Sanktionierung durch Artus mehr.“ 556 Vgl. Kapitel 4.1.4. 550
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Und so ist es Êrec der Êren holde (V. 9963), der en allen vlîz | g’êret (V. 9965 f.) wird und im Mittelpunkt der höfischen Freude steht, bis er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält (V. 9969 f.). Auch bei Hartmann spendet er reiche Geschenke an Bedürftige, die jedoch nicht wie bei Chrétien als Opfergaben für seinen verstorbenen Vater, sondern vielmehr als Ausdruck jetzt seiner und nicht Artus’ Freigebigkeit zu bewerten sind.557 Damit überträgt Hartmann auch dieses bei Chrétien angelegte Motiv auf seinen Helden, dem allein die höchste Ehre des Hofs zuerkannt wird. Die Schlusspartie mit der Heimkehr Erecs in sein Land eröffnet über diese weltliche Ehrzuweisung hinaus bei Hartmann letztlich eine christliche Perspektive, wenn Erec vom Erzähler die dauernde Ehre durch Gott zugesprochen wird.558 Die Handlung folgt dabei zunächst noch einer regelrechten Inszenierung des höfischen Ideals: Mit zühteclîchem schalle (V. 10019) und farbenfroher Prachtentfaltung (V. 10023–10031) wird Erec der Empfang bereitet, als einem rîchen künege zam, | in sînem künecrîche (V. 10035 f.). Und während der anschließenden Freudenfeiern empfängt er erneut lobelîche | die krône von dem rîche (V. 10064 f.).559 Über die ganze Welt verbreitet sich sein Ruhm, denn an sînem lobe daz stât, | daz er genant wære | Êrec der wunderære (V. 10043–10045).560 Nach den Erfahrungen seiner Aventiure richtet Erec – so der Erzähler561 – schließlich in vorbildlicher Weise sein herrschaftliches Handeln nach der in Gott gründenden Ordnung aus:
557
Ausdrücklich heißt es, dass alle einen gemeinen segen | mit triuwen tâten über den degen, | daz got sîner êren wielte | und im die sêle behielte (V. 9986–9989). 558 Vgl. Bumke, Erec, S. 70: „Die Schlußszene in Karnant kann so verstanden werden, daß Erec zuletzt eine neue Dimension des Rittertums repräsentiert, für die nicht mehr ritterlicher Ruhm und ritterliche Vorbildlichkeit der höchste erreichbare Wert ist, sondern die Aussicht auf die ewige Seligkeit.“ 559 Es handelt sich hier um eine Festkrönung, da Erec schon zuvor von seinem Vater gekrönt worden war; vgl. hierzu Ruberg, Königskrönung, S. 77. 560 Der Erzähler scheint auch hier gegenüber seinem Publikum die wundersame Verbreitung von Erecs Ruhm genauer erklären zu müssen, da er in sîn wesen und sîn schîn (V. 10048) hier wie dort zugleich gegenwärtig sei (V. 10046–10053). Letztlich zielt der Erzähler jedoch nicht auf eine umständliche Begründung, die Erec mithin zu einem mythischen Helden stilisiert, da seine Erzählung am Ende – dies zeigen die folgenden Ausführungen – auf eine in Gott gründende Ordnung abhebt. In der Forschung wurde bisweilen die Ansicht vertreten, Hartmann habe seinen Roman in der Schlusspartie einer legendarischen Überhöhung angenähert; vgl. Scholz, Stellenkommentar, S. 991. Hierbei kann es sich jedoch nur um eine Annäherung handeln, da es ausdrücklich auch heißt, dass sîn êre werte | unze an sînen tôt (V. 10103 f.). Eine Legende würde jedoch gerade auf eine Vergegenwärtigung der Ehre auch nach dem Tod hin angelegt sein. Ausführlich untersucht Bruno Quast Gemeinsamkeiten und Unterschiede differenter, geistlicher und weltlicher, Erzählmodelle im Erec und kann aufzeigen, wie sich der höfische Roman noch aus religiösen Wissensbeständen speist und über den Helden in Gestalt eines religiösen Virtuosen ein am Diesseits ausgerichtetes Heilsinteresse formuliert; vgl. Quast, „Ein saelic spil“, S. 520 f. 561 Gleichsam als Epimythion liest sich die Ermahnung des Erzählers, Geschehenes nicht einzig auf die eigene vrümekeit zurückzuführen, sondern stets Gott dafür zu danken (V. 10091–10100).
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er tete, sam die wîsen tuont, die des gote genâde sagent, swaz si êren bejagent, und ez von im wellent hân. (V. 10085–10088)
Und so ist es nach der weltlichen Ehre die göttliche Ehre, die seinen Ruhm begründet: sît in got hâte g’êret, | dô wart’z ouch im gekêret | ze lobe in allen stunden (V. 10098– 10100). Schließlich wünscht der Erzähler seinem Protagonisten in einer einem Gebet annähernden Rede, die er nicht zuletzt auch an die eigene Gegenwart und die seines Publikums anbindet, nâch der werlde krône gleichsam die himmlische Krone562 mit dem êwigen lîbe: daz im got gebete mit veterlîchem lône nâch der werlde krône, im und sînem wîbe, mit dem êwigen lîbe. durch got des bitet alle, daz uns der lôn gevalle, der uns gote gehulde, daz ist goldes übergulde, nâch disem ellende. (V. 10125–10134)
Die Neugestaltung der gesamten Schlusspartie durch Hartmann folgt letztlich einer offensichtlichen Bezugnahme auf die finale Schlussaventiure von Brandigan, über die nach der Überwindung des Mythischen eben diese neue Perspektive deutlich werden kann. So zielte der zweite Handlungszyklus bereits auf die aktive und selbstverantwortlichte Initiative des Helden, über die erst im unbedingten Vertrauen auf Gottes Beistand auch in der dieser Ordnung entgegengesetzten, verkehrten Welt des Baumgartens zu Brandigan die rechte Zuordnung von ritterlicher Stärke und weiblicher Schönheit bestätigt werden konnte. War es die wieder der höfischen Freude zugeführte Gesellschaft von Brandigan, die gegenüber Erec bereits ausrief, dass eben got und seine ellenthaftiu hant ihn gekrœnet habe über elliu lant (V. 9676 f.), sodass er mit heile müeze […] werden alt (V. 9678), so setzt die Handlung am Artushof und in Karnant diesen Wunsch als Ergebnis bildhaft und auch explizit um, wenn Erec nâch der werlde krone das ewige Leben zuerkannt wird. Und in der reflektierten Annahme des in die hergestellte und bestätigte Ordnung überführten und integrierten bedeutenden Sachverhalts kann erst in der rechten Beziehung zu seiner Frau im und sînem wîbe dieser letzte Preis zufallen. Erst dann, wenn dies in der Schlusserzählung bei Hartmann, und nur bei ihm, deutlich geworden ist, kann der Erzähler schließlich enden: hie hât diz getihte ein ende. (V. 10135)
562
McDonald, The Crown Endures, S. 329, spricht von einer dritten Krone: „Erec’s third crown signals separation both from the knight’s wandering life and from the court of King Arthur.“
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4.4 Resümee: Von der Harmonisierung zur Gegenwelt Harmonisierung und Hybridität, Kontrastierung und Progression, Gegenwelt und Destruktion – die den Kapiteln jeweils vorangestellten Überschriften stellen Stichwörter bereit, über die sowohl Wirkung als auch Funktion des Mythischen im Roman bestimmt werden können. Im Wesentlichen rekurrieren sie auf die Ebene des Erzählten, wie sie aber in Ansätzen auch die Ebene des Erzählens erfassen sollen. Damit ist auch thesenartig eine je unterschiedliche und sich verändernde Präsenz des Mythischen im Roman festgehalten, die sich im mythopoetischen Erzählen, bezogen auf die an Traditionen gebundenen Inhalte und Handlungsmuster, ebenso ausdrückt wie in mythosanalogen Gestaltungen, die Grundzügen mythischen Denkens folgen. Mythisches tritt damit auf verschiedenen Ebenen des Textes in einen Bezug zu anderen, den Roman konstituierenden Ordnungssystemen, es tritt in Bezug zu höfischen und christlichen Verhaltensformen und Wertvorstellungen einerseits, es tritt aber andererseits auch in Bezug zu Formen der Darstellung, die genuin der Literarizität des Textes verpflichtet sind. Orientiert am strukturellen Aufbau des Romans wurde dieser daher entlang des Handlungsverlaufs untersucht, um ebendiese Verhältnisse und Veränderungen aufzuzeigen:563 Beispielhaft konnte die Erzählung von der Jagd auf den weißen Hirsch in Anlehnung an die von Hans Blumenberg herausgestellten Kennzeichen mythischen Erzählens als mythopoetisch bestimmt werden. In ikonischer Konstanz ist mit dem weißen Hirsch nicht nur ein prägnantes Motiv in den Roman integriert, sondern ist mit dem im Roman als gewonheit bezeichneten, nicht weiter hinterfragbaren und in einen unbestimmten Ursprung zurückgeführten Brauch zudem ein Handlungsmuster vorgegeben, das in der stets aufs Neue zu bestätigenden Zuordnung von männlicher Stärke und weiblicher Schönheit einen elementaren Sachverhalt aufweist, mit dem der Erzählung eine mythische Bedeutsamkeit zukommt. Die Erfüllung dieses Sachverhalts konstituiert letztlich den Hof von König Artus und findet im Kuss für die schönste Frau als dem entsprechenden rituellen Akt, der diese Ordnung vor der versammelten Hofgesellschaft vergegenwärtigt, ihren Abschluss. Über die Gestaltung einzelner Details und Motivzusammenhänge im Roman, die Strukturen mythischen Denkens erkennen lassen, ließ sich die Erzählung überdies als mythosanalog bestimmen, nicht zuletzt auch deshalb, da sie über den notwendig zu erbringenden Abschluss mit dem Kuss der gesamten Handlung eine finale Motivation unterlegt. Mythisches erwies sich somit als ebenso prägend für die erzählten Inhalte, wie es sich für die Erzählung als maßgeblich die Handlung bestimmend auswirkt.
563
Die folgenden Ausführungen fassen wesentliche Zusammenhänge und Leitgedanken der einzelnen Kapitel zusammen. Dabei können nicht alle Einzelaspekte in gleichem Maß wieder aufgegriffen werden, wie auch eine weitere Anbindung an bisherige Forschungen bewusst ausbleiben soll. Verwiesen sei daher auf das abschließende und ergänzend konzipierte Kapitel 6.
Resümee: Von der Harmonisierung zur Gegenwelt
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In die Erzählung von der Hirschjagd ist eine Handlung eingelagert, die mit dem Sperberpreis von Tulmein auf den nämlichen Sachverhalt zielt. In paralleler Gestaltung, was nicht zuletzt auch durch Umstellungen Hartmanns gegenüber seiner Vorlage von Chrétien hervorgehoben wird, stellt sich dieser gleichfalls im Roman als gewonheit bezeichnete Brauch jedoch als ausdrücklich höfisches Fest dar. Konkrete Angaben zum Ursprung und Verlauf unterstreichen dies ebenso, wie mit der Übergabe der höfisch markierten Trophäe an die schönste Dame durch den im Kampf bewährten Ritter ein symbolischer Akt vollzogen wird, der die Ordnung des Hofs repräsentiert. Dieser Hof von Tulmein ist zentraler Schauplatz der Aventiure Erecs, die im Gegensatz zur Handlung der Hirschjagd nachdrücklich kausal motiviert ist: Erec begibt sich dorthin, um die auf der Heide widerfahrene Schmach durch den Geißelschlag des Zwergs zu rächen, und er tritt im Kampf gegen Iders an, um die Schönheit Enites unter Beweis zu stellen, deren Leben in der Armen Herberge gleichsam Ausdruck der gestörten Verhältnisse in Tulmein ist. Mit seinem Sieg über den gewaltsamen Ritter und der damit einhergehenden, jetzt rechten Zuordnung von ritterlicher Stärke und weiblicher Schönheit stellt er letztlich die Ordnung des Hofs von Tulmein wieder her und er bestätigt diese repräsentativ mit der Übergabe der Trophäe an Enite. Mit seinem Sieg ist zugleich aber die Voraussetzung geschaffen, um auch die Hirschjagd am Artushof in Bestätigung des nämlichen Sachverhalts zu beenden. Erecs Weigerung, Enite noch in Tulmein neu einzukleiden, verweist nicht nur auf die noch unabgeschlossene, final motivierte Handlung der Hirschjagd, sondern ermöglicht überdies eine Bestätigung der höfischen Ordnung noch am Artushof. Mit Kuss und Kleider für Enite durch König und Königin kommen schließlich beide Handlungen zu einem Ende. Ist Mythisches im Brauch der Hirschjagd, Höfisches im Sperberpreis zunächst je anderen Höfen semantisch zugeordnet, verbinden sie sich abschließend am Artushof, der somit von diesem wie jenem gleichermaßen geprägt ist. Im anschließenden Fest kommt dies nicht zuletzt auch nachhaltig zum Ausdruck. Mythisches wie Höfisches ist somit jeweils Voraussetzung für das andere, was auf der Ebene des Erzählens gleichsam aufgegriffen wird, wenn Erec erst im Rahmen der final motivierten Hirschjagd seine Aventiure antreten kann, die aber wiederum am Artushof erst beendet wird. Zielt die Verschränkung des Höfischen und Mythischen auf der Ebene des Erzählten letztlich auf eine Harmonisierung, erscheint entsprechend die Erzählung in Überblendung der mythopoetisch erzählten und mythosanalog gestalteten Hirschjagd mit der höfischen Aventiure Erecs in Tulmein. Der Roman erweist sich damit auf der Ebene des Erzählens als hybrid. Vor diesem Hintergrund der Hybridität der Erzählung bei gleichzeitiger Heterogenität des Erzählten erfolgt die Krise in Karnant, die sich in der Geschichte als ein spannungsreiches Verhältnis von gemach und ungemach darstellt. Die Krise markiert dabei nicht nur eine Wende innerhalb der Geschichte, sondern bedingt geradezu eine neue Zuordnung des Höfischen und Mythischen, mit der eine veränderte Präsenz des Mythischen auch auf der Ebene des Erzählens einhergeht.
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Im Nachvollzug des Weges durch den Wald ist deutlich geworden, wie sich Erec Gegnern stellen muss, die zunehmend im Kontrast zu höfischen Verhaltensweisen und christlichen Wertmaßstäben erscheinen. Sind es anfänglich Räuber und ein Graf, die höfischem Verhalten zuwider handeln, sind es schließlich Riesen und erneut ein Graf, die selbst eine christlich fundierte Ordnung untergraben. Dieser progressiven Kontrastierung ist ein Prinzip der Steigerung auch insofern eingeschrieben, als sich Erecs Weg zunächst als final motiviertes Zufallsgeschehen darstellt, in dem Erec passiv und den Ereignissen ausgeliefert ist, während sich mit dem aktiven Einsatz für andere die Ereignisfolge zunehmend kausal verknüpft und sich eine christlich-providentielle Ordnung narrativ entfaltet. Die mythopoetisch erzählten Episoden von Riesenkampf und Limors bieten hierfür die entsprechende Folie, um im Anschluss an auch mythosanaloge Gestaltungen von Zeitlosigkeit diese Ordnung kontrastiv aufzuzeigen. Dem fügt sich eine Darstellungsweise, die sich zunehmend genuin literarischer Mittel bedient. Nicht erst im ironischen Spiel mit der Personifikation im Totenreich von Limors, schon im Vergleich des Riesenkampfs mit dem biblischen Kampf Davids gegen Goliath tritt das Erzählen in Distanz zum Mythischen und macht auf eine Bedeutungsebene aufmerksam, die über das konkrete Geschehen hinausweist und implizit die Frage nach dem Ziel von Erecs Weg aufwirft. Erecs wiederholter Aufbruch in den Wald ist sowohl in Karnant als auch im Anschluss an die Zwischeneinkehr als ein Aufbruch auf Aventiure markiert, die jeweils in die Begegnung mit Guivreiz zunächst mündet. In Auseinandersetzung mit der ambivalenten Figur des zwergengleichen Königs von Irland, die am Mythischen wie Höfischen gleichermaßen partizipiert, wird schließlich ebendiese Frage nach der Aventiure Erecs aufgegriffen. Spricht sie Guivreiz im ersten Kampf explizit an, ist sie implizit auf der Handlungsebene dem zweiten Kampf eingeschrieben. Zielt sie jeweils auf eine Zuordnung von ritterlicher Stärke und weiblicher Schönheit, erfüllt sich diese zwar mit der Vereinigung des Paares, doch ist sie nur in der anschließenden Erzählung Erecs von seinen Kämpfen an die in Gott gründende Ordnung angebunden. Entsprechend bleibt Erec hier wie dort verwundet und auf fremde Hilfe angewiesen. Zeigt die Figur Guivreiz eine noch andauernde Verschränkung des Höfischen und Mythischen an, überträgt sich diese auf den Helden, wenn er am Artushof wie in Penefrec Heilung allein durch das Pflaster der Famurgan erhält. Der Roman Hartmanns eröffnet anlässlich der Heilung Erecs eine eigene, mythopoetische Erzählung von Famurgan, die als aitiologische Erzählung die Wirkkraft des Pflasters begründet, das mythischem Denken analog auf den Helden mittels der Kraftübertragung durch Berührung wirken kann. Während sich Mythisches hier noch als maßgeblich am Fortgang der Handlung beteiligt erweist, tritt es bei Wiederaufnahme desselben Motivs bei Erecs zweiter Zwischeneinkehr in Penefrec zunehmend in den Hintergrund. Zwar zeitigt es auch dort die nämliche Wirkung, doch ist es jetzt Teil einer insgesamt rational nachvollziehbaren, medizinischen Versorgung des Helden. Überdies verweist der Erzähler mit der Nennung des Pflasters auf die frühere Erzählung von
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Famurgan, womit diesem ein metonymischer Status in der Erzählung zukommt, der an die mythosanaloge Wirksamkeit anschließen kann. Die Erzählungen der Zwischeneinkehren schließen somit nicht nur unmittelbar an die jeweils vorangegangenen Ereignisse an, sondern setzen das Prinzip der progressiven Kontrastierung fort, in deren Folge Mythisches zunehmend abgewiesen und überboten, wenn auch nicht überwunden wird. Kann Erec jeweils aus dem Einflussbereich seiner Gegner entkommen beziehungsweise diese selbst noch besiegen, richtet er sein Handeln nach einer christlich-providentiellen Ordnung aus. Wenn er dies im Erzählen seiner Aventiure bei Guivreiz zum Ausdruck bringt, kontrastiert es offensichtlich zu der noch im Anschluss erfahrenen Hilfe in Penefrec, weshalb er von dort wie zuvor vom Artushof entsprechend Abschied nimmt. Erecs abschließende Aventiure in Brandigan erweist sich schon im Vorfeld an der Weggabelung als zugleich notwendiges wie dann beabsichtigtes Ziel seines Weges. Der Finalität der Erzählung schließt sich mit Erecs Entschlossenheit eine Kausalität in der Geschichte an, wodurch dem bevorstehenden Geschehen bereits eine besondere Stellung zukommt. So verdichten sich in Brandigan auf engstem Raum die entlang der Handlung progressiv entworfenen und voneinander abgesetzten Ordnungen. Der sich mit 80 trauernden und schwarz gekleideten Witwen als ein Ort der Trauer und des Leids zu erkennen gebende Hof kontrastiert zum unterhalb der Burg gelegenen, in aller Herrlichkeit geschilderten Baumgarten, der in Verkehrung der Verhältnisse geradezu als eine Gegenwelt erscheint. In Aufnahme zahlreicher mythischer Motive sowie in mythosanaloger Gestaltung raumzeitlicher Strukturen ist dieser als ein von seiner Umgebung klar abgegrenzter mythischer Raum gezeichnet, dem eine eigene Gesetzlichkeit zukommt, die als alles bestimmende mythische Schicksalsordnung das Geschehen auf schrecklich-fatale Weise bestimmt. In rhythmischer Wiederholung gewaltsamer Kämpfe untergräbt sie die höfische Freude von Brandigan, doch übt sie in gleicher Weise Zwang auch auf Mabonagrin aus, der mit seiner Frau in diesem Baumgarten lebt und ankommende Ritter tötet. Im Vertrauen zwar auf Gott, doch letzthin in Vereinzelung und Abgeschiedenheit des mythischen Raumes tritt Erec gegen den teufelsgleichen Gegner an. Der Kampf erscheint schließlich nicht nur als Erlösungskampf für den Hof von Brandigan wie für Mabonagrin und seine Frau stilisiert, insofern Erec diesen besiegen kann. Der Kampf bringt überhaupt erst einen Sachverhalt zur Anschauung, der als mythisch bedeutsamer Sachverhalt auf die Zuordnung von männlicher Stärke und weiblicher Schönheit zielt. Indem Erec allein aufgrund der eigenen Stärke und in Gedanken an seine Frau innerhalb der mythischen Ordnung Mabonagrin besiegen kann, bestätigt er diesen dem Geschehen unterlegten Sachverhalt, wie er dessen mythische Bedeutsamkeit jedoch in Destruktion des Mythischen zugleich untergräbt. Erecs anschließendes Gespräch mit Mabonagrin lässt den mythisch bedeutsamen Sachverhalt letztlich als einen Sachverhalt bestimmen, dem eine Bedeutung über das einzelne Ereignis hinaus zukommt und auf paradigmatischer Ebene auf die vorangegangenen Ereignisse rekurriert. Zielt die Aventiure Erecs auf seinem Weg durch den Wald auf die nämliche Zuordnung von Stärke und Schönheit, trifft dies ebenso für seine erste Aventiure in Tul-
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mein wie für die mythische Hirschjagd zu. Erwies sich der Roman zu Beginn in Überblendung beider Handlungen als hybrid, insofern der nämliche Sachverhalt an je andere Sinn- und Wertmaßstäbe angebunden ist, fügt sich erst am Ende mit dem Sieg Erecs in Brandigan und der Destruktion des Mythischen dieser Sachverhalt einzig in die progressiv und in Abgrenzung zum Mythischen entworfene höfische Ordnung ein, die letztlich in Gott aufgehoben ist. Erecs Rückkehr nach Karnant unterstreicht abschließend diesen Zusammenhang auf der Handlungsebene, während der Erzähler für Erec und Enite wie für sich und sein Publikum um ein ewiges Leben bittet. Der Abwehr des Mythischen auf inhaltlicher Ebene korrespondiert eine Erzählweise, die zunehmend an der Literarizität des Textes ansetzt. Indem mythische Bedeutsamkeit, die in der mythopoetischen Erzählung an die unmittelbare Präsenz der Inhalte gebunden ist, in eine diese übersteigende Bedeutung überführt wird, erfährt auch die mythosanaloge Gestaltung mit ihrer Wirkung auf die Handlung wie mit ihren Möglichkeiten für deren Darstellung eine Funktion auf der Ebene des Erzählens. Erecs Aventiure ist als erzählte Aventiure erst sinnvoll und schließt als Erzählung an auch kulturell bedeutende Vorstellungen an. Was als eine Literarisierung des Mythischen beschrieben werden kann, bedingt letztlich aber eine Mythizität der Literatur. Bevor dies jedoch weiter ausgeführt werden kann, soll zunächst noch Hartmanns zweiter Artusroman besprochen werden, der über eine Abwehr des Mythischen hinausgeht und sich mit dessen gleichsam programmatisch vorgeführter Integration in die Erzählung einer Reflexion über das Erzählen öffnet.
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Hartmanns Iwein
Der Iwein Hartmanns von Aue ist in den Jahren um 1200 entstanden und steht damit in einem recht weiten zeitlichen Abstand zum Erec.1 Der Roman hat eine schnelle und überaus weite Verbreitung erfahren, wovon – im Gegensatz zum früheren Roman – noch heute zahlreiche Überlieferungsträger aus nahezu dem gesamten hochdeutschen Sprachgebiet zeugen. Insgesamt sind neben 17 Fragmenten 16 annähernd vollständige Handschriften bekannt, von denen zwei bis ins zweite Viertel des 13. Jahrhunderts zurückreichen.2 Dieser Überlieferungsbefund deckt sich mit der enormen Wirkung, die der Roman innerhalb nur weniger Jahre bereits erfahren hat. Verweise und Anspielungen in der mittelhochdeutschen Literatur finden sich schon in Wolframs Parzival sowie in Gottfrieds Tristan, denen weitere Bearbeitungen des Romans sowie einzelner Motive bis ins späte Mittelalter folgen.3 Beeindruckende Zeugnisse seiner Rezeption sind zudem die vielen bildlichen Darstellungen. Zu nennen sind neben den figürlichen Darstellungen auf dem so genannten Maltererteppich und auf Burg Runkelstein aus dem 14. Jahrhundert der Bilderzyklus im Hessenhof von Schmalkalden aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sowie die Fresken auf Burg Rodenegg in Südtirol, die in die Zeit um 1220 datiert werden können und auf Grundlage des Hartmann’schen Romans angefertigt wurden.4 Der Iwein gehört damit nicht nur zu den breit überlieferten, sondern ebenso zu den zeitgenössisch bereits häufig rezipierten mittelhochdeutschen Romanen. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser breiten Überlieferung stellt sich für die philologische Arbeit die Frage nach dem möglichst authentischen Text. Unterschiede zwischen den Handschriften im Textumfang einzelner Abschnitte wie vor allem auch in1
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Zu den Schwierigkeiten der relativen Chronologie der Werke und der absoluten Datierung siehe im Überblick mit einer kurzen Abwägung verschiedener Argumentationen Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 25–32. Hartmanns Iwein wird zitiert nach Hartmann von Aue, Iwein (Mertens), der Roman Chrétiens nach Chrestien de Troyes, Yvain (Nolting-Hauff). Vgl. die Übersicht bei Wolf, Einführung, S. 69 f. Vgl. mit weiterführender Literatur ebd., S. 72. Zur Datierung ausführlich Schupp/Szklenar, Ywain auf Schloß Rodenegg. Dass neben Hartmann vermutlich auch mündliche Überlieferungen des Stoffes Einfluss auf die Gestaltung der Fresken genommen haben, erwägt Ott, Rodenegg revisited, S. 65–71. Zu den anderen Bildzeugnissen siehe mit weiterführender Literatur Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 227–231.
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Hartmanns Iwein
haltlicher Art zeigen auf, dass schon früh zwei Fassungen existiert haben müssen, die – parallel überliefert – auch weitere Bearbeitungen erfahren haben.5 Da sich vor diesem Hintergrund kein einzelner Text als gesichert rekonstruieren lässt, folgt Volker Mertens in seiner Edition der Handschrift B der Gießener Universitätsbibliothek und mit dieser dem „zeitlich Hartmann am nächsten stehenden Text, der, wenn auch nicht unbedingt eine autorgesicherte, so doch eine zeitgenössische Authentizität aufweist“.6 Hartmann hat, um die Geschichte Iweins zu erzählen, wie bei seinem ersten Roman auf eine Vorlage von Chrétien de Troyes zurückgreifen können, die beiden überlieferten Fassungen in der vermutlich selben Textgestalt zugrunde lag.7 Insgesamt folgt er dem französischen Text des Yvain jedoch weitaus strenger, wenngleich er deutlich umfassender erzählt. Die wesentlichen quantitativen Unterschiede betreffen überwiegend Passagen, die auf den anderen Prätext rekurrieren. So hat Hartmann mit dem Iwein seinen zweiten Artusroman verfasst, während Chrétien die Kenntnis auch seines Lancelot voraussetzt, auf den er bisweilen nur verweist, wo Hartmann zu genaueren Erläuterungen genötigt ist.8 Auf der anderen Seite setzt er sich weitaus subtiler mit dem eigenen Erzählen auseinander als es etwa im Erec, auf den er selbst Bezug nimmt, der Fall ist.9 In seinem eigenständig verfassten Prolog reflektiert er schließlich Bedingungen des Erzählens und Hörens der Geschichte Iweins, was die Forschung immer wieder zu grundlegenden literaturtheoretischen Überlegungen veranlasst hat.10 Für die Analyse des Iwein ist daher von einer Situation auszugehen, die jetzt in doppelter Weise auf schriftlicher Literatur aufbaut. Mag ein Vergleich mit dem französischen Text einzelne Motivgestaltungen oder Erzählhaltungen bisweilen erhellen, ist ein gesteigerter literarischer Anspruch anzunehmen. Darüber hinaus steht der Roman aber gleichfalls in einer Tradition, die über die schriftliche Vorlage hinweg auf eine auch mündlich verbreitete Materie zurückgreift.11 Entsprechend ist auch das schriftliche wie 5
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Vgl. Bumke, Fassungen, zum Iwein v. a. S. 5–11 u. 30–60. Die markantesten Abweichungen zwischen den Fassungen betreffen vor allem die verschieden gestalteten Schlussszenen; vgl. Hausmann, Mittelalterliche Überlieferung, S. 72–95, der kritisch auf das Konzept Bumkes eingeht. So Volker Mertens in seiner auch hier zugrunde gelegten Ausgabe Hartmann von Aue, Iwein (Mertens), S. 966. Abweichungen zwischen den Fassungen, sofern sie für die hier verfolgte Argumentation relevant sind, können an entsprechender Stelle berücksichtigt werden. Herangezogen wird daher gleichfalls die Ausgabe Hartmann von Aue, Iwein (Cramer). Joachim Bumke stellt nach einem Vergleich fest, dass „der *B-Redaktor denselben Chrétien-Text als Vorlage benutzt hat wie der *A-Redaktor“; Bumke, Fassungen, S. 39; zum Verhältnis Hartmanns zu Chrétien vgl. allgemein Kapitel 2.2.2. Dies betrifft vor allem die Entführungsepisode, die bei Hartmann ausführlicher erzählt ist, da er deren Kenntnis beim Publikum nicht voraussetzen kann; vgl. hierzu Kern, Text und Prätext. Vgl. zusammenfassend und genauer charakterisierend Mertens, Artusroman, S. 79–87. Vgl. hier vor allem Haug, Literaturtheorie, S. 119–133. Mehr noch als beim Erec ist die Verbreitung des Stoffes hier bezeugt. So erwähnt bereits Wace in seinem Roman de Rou die berühmte Quelle im Wald von Brecheliant, auch hat sich das Mabinogi Owain, Chwedl Jarlles y Ffynnon erhalten. Chrétien selbst erwähnt dann einen Lai über Laudine (V. 2153). Zur Stoffgeschichte siehe die Ausführungen in Kapitel 2.1.
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mündliche Erzählen wundersamer Geschichten im Roman ebenso präsent wie thematisiert und perspektiviert nicht zuletzt auch dessen Mythizität. Die Analyse des Romans folgt im Wesentlichen demselben Verfahren und Vorgehen, wie es sich bereits für den Erec als geeignet erwiesen hat. Nur in textnaher Lektüre können Wirkung und Funktion des Mythischen erfasst und beschrieben werden, insofern erst der unmittelbare Kontext Aufschluss geben kann über die Gestaltung einzelner, mitunter an Traditionen gebundener Motive, Handlungsmuster und Strukturen einerseits, wie er dann aber andererseits deren Einbindung im Roman erkennen lässt. Von daher sollen entlang dem Handlungsverlauf neben mythopoetisch und mythosanalog gestalteten Erzähleinheiten auch im Iwein solche Abschnitte untersucht werden, die für die weiteren Zusammenhänge, nicht zuletzt auch auf interpretatorischer Ebene, relevant sind. Ein Rekurs auf stoffgeschichtliche Hintergründe wie auf theoretische Erkenntnisse zum Mythischen kann an entsprechender Stelle erfolgen,12 wobei mitunter auf bereits frühere Ausführungen zum Erec verwiesen werden kann. In einem ersten Kapitel (5.1) soll zunächst die Ausgangssituation des Romans am Hof von König Artus betrachtet werden, um anschließend die wundersame Quelle im Wald von Breziljan zu untersuchen. Dabei wird zu zeigen sein, wie die Quelle in mythosanaloger Gestaltung divergente Ordnungsvorstellungen im Roman erst aufdeckt, die dann auf der Handlungsebene im Nachvollzug von Iweins Sukzession der Artusritter wie des Quellenhüters sich als zueinander im Kontrast stehend erkennen lassen und eine je andere Perspektive auf die Quelle eröffnen. Bleibt Mythisches letztlich noch im Ungewissen, soll der weiteren Präsenz des Mythischen im Anschluss an die Krise in einem nächsten Kapitel (5.2) auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens nachgegangen werden. So werden sich die mythopoetischen Episoden von Riesenkämpfen als je unterschiedlich in die sie umgebenden Handlungen von Gerichtskämpfen integriert erweisen, während beginnend mit Wahnsinn und Heilung Iweins ein Weg der Harmonisierung in der Geschichte beschrieben werden kann. Erscheint dabei zunehmend und über mythosanaloge Gestaltungen hinausgehend eine Bedeutungsebene der Erzählung angezeigt, ist vor diesem Hintergrund abschließend erneut auf die wundersame Quelle einzugehen. In einem eigenen Kapitel (5.3) soll schließlich aufgezeigt werden, wie Mythisches als notwendiger Teil des Eigenen in der Geschichte firmiert, während sich die Erzählung gerade in Auseinandersetzung mit dem Mythischen einer Reflexion über die eigenen Bedingungen öffnet. Abschließend (5.4) können die wesentlichen Ergebnisse zu Wirkung und Funktion des Mythischen im Roman zusammengeführt werden, die systematisch im Vergleich mit den Ergebnissen der Analyse auch des Erec ausgewertet werden sollen (Kapitel 6).
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Vgl. hierzu die grundlegenden Kapitel 2 und 3, auf die an entsprechender Stelle verwiesen wird.
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5.1 Kontrastierung und Sukzession Chrétien de Troyes stellt seinem Roman keinen eigenen Prolog voran, sondern setzt mit der Handlung am Hof Königs Artus ein, der zu Pfingsten in Carduel ein prachtvolles Fest abhält (V. 1–7). Bei diesem Fest, im Kreis anderer Artusritter, beginnt Calogrenanz eine Geschichte zu erzählen, die er selbst erlebt hat, die jedoch nicht von seiner Ehre, vielmehr von seinem schändlichen Versagen handelt (un conte, | Non de s’enor, mes de sa honte; V. 59 f.). Mit der Nennung von Artus schon im ersten Vers, was gemeinhin als Gattungssignal angesehen wird, und der üblichen Festfreude am Hof evoziert Chrétien zunächst das zu erwartende höfische Ideal, das dann aber durch die Erzählung von Calogrenanz umso plötzlicher unterlaufen wird. Chrétien erreicht mit dem offensichtlichen Widerspruch von Ideal und Abweichung gleich zu Beginn seines Romans nicht nur die Aufmerksamkeit seines Publikums, sondern erzielt mit dem Erzählen Calogrenanz’ den Eindruck einer Unmittelbarkeit, die sich gleichsam seiner Feststellung fügt, dass Artus selbst zwar tot sei, sein Name jedoch stets lebendig bleibe (V. 38). Das Erzählen wie dessen Wirkung sind damit nicht nur thematisch aufgegriffen, sondern auf der Handlungsebene bereits effektiv umgesetzt. Hartmann von Aue schließt hier gewissermaßen direkt an, doch grenzt er mehr noch als Chrétien die eigene Gegenwart des Erzählens von der Vergangenheit des Erzählten ab. So formuliert er einen eigenen Prolog, in dem er nicht nur sich selbst als gebildeten Autor nennt (V. 21–30), sondern den besonderen Wert des Erzählens von Artus und seinen Rittern hervorhebt, da ihm und seinem Publikum noch mit ir mære | sô rehte wol wesen sol (V. 56 f.).13 Entsprechend mag noch immer und allein schon mit dem Namen des Königs eine Ordnung verbunden sein, der zu folgen vor Schande bewahren könne: ist im der lîp erstorben, sô lebt doch iemer sîn name. er ist lasterlîcher schame iemer vil gar erwert, der noch nâch sinem site vert. (V. 16–20)
In gesteigerter Weise und diskursiv hebt er damit die zeitliche Distanz zum Erzählten bei andauernder Wirkung der Erzählung hervor und entwickelt in reflektierter Perspektive des Prologs in nur wenigen Versen bereits grundlegende Gedanken, die dann auf der Handlungsebene aufgegriffen werden. So wirft das geradezu Präsenz herstellende Erzählen Kalogreants am Artushof ebensolche Fragen nach der Persistenz und Differenz von Zeit und Ordnung auf, insofern es diese nicht nur inhaltlich zur Anschauung bringt, sondern in der Form einer Erzählung von grôzer sîner swære | unde von deheiner sîner vrümcheit (V. 94 f.) offensichtlich die Festfreude am Artushof unterläuft. Die Erzählung Kalogreants mag letztlich aber weniger eine mit dem Namen Artus verbun13
Vgl. im Folgenden Mertens, Imitatio Arthuri, v. a. S. 354 f. Auf den Prolog ist im Zusammenhang mit der konkreten Erzählsituation Kalogreants in Kapitel 5.3.2 ausführlicher einzugehen.
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dene Ordnung bestätigen, als sie vielmehr zu dieser kontrastiert. Schauplatz und Fluchtpunkt der Erzählung ist die wundersame Quelle im Wald von Breziljan, zu der ihm Iwein und später Artus mit allen seinen Rittern folgen. Die folgende Analyse setzt mit der inhaltlichen Exposition am Artushof ein, um mit der Rückkehr Iweins in den Kreis der Artusritter zunächst abzuschließen. Umrissen ist damit der so genannte erste Handlungszyklus des Romans.14 Dieser erste Handlungszyklus handelt von Kämpfen an der Quelle und er handelt von Iweins Weg zur Herrschaft über die Quelle an der Seite Laudines. Verbunden ist damit ein Prinzip der Wiederholung mit einem der Sukzession, was – dies wird zu zeigen sein – kontrastierende Ordnungsvorstellungen in synchroner wie diachroner Hinsicht nicht nur aufdeckt, sondern ebenso bestätigt. Unterschiede liegen dabei in zwei aufeinander zu beziehenden Herrschaftsbereichen vor – hier von Artus, dort von Laudine –, die jedoch in ihrer jeweils höfischen Ordnung vorgestellt werden. Unterschiede erweisen sich gerade auch in der Auseinandersetzung mit und an der Quelle, die in unveränderter Präsenz erst Kalogreant, dann Iwein und später Artus erscheint. Im Folgenden ist daher die höfische Ordnung am Artushof wie am Laudinehof zu berücksichtigen, wobei im Zentrum die Quelle im Wald von Breziljan stehen wird. Über die mythopoetische Aufnahme einzelner Motive hinausgehend ist es gerade deren mythosanaloge Gestaltung, die nicht nur die Handlung bestimmt, sondern einen elementaren Sachverhalt zur Anschauung bringt, der je unterschiedlich vor und hinter der Quelle sowie im Sinne eines Zuvor und Danach auf der Handlungsebene perspektiviert wird. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich demnach zunächst systematisch auf die Exposition und die Darstellung der Quelle, um dann dem Handlungsverlauf von Iweins Kampf bis zu seiner Übernahme der Herrschaft an der Seite Laudines nachzugehen.
5.1.1 Artushof und âventiure Zu Pfingsten richtet Artus auf seiner Burg in Karidol ein Fest aus, das wie gewohnt all seine anderen Feste weit übertrifft, daz er dâ vor noch sît | deheine schœner nie gewan (V. 36 f.). Die ganze Burg erstrahlt in höfischer Pracht, wande sich gesamenten ûf der erde | bî niemens zîten anderswâ | sô manec guot rîter als dâ (V. 40–42). Auch sind so manec magt unde wîp zugegen, die schœnsten von den rîchen (V. 46 f.), weshalb sie in allen wîs ein wunsch leben (V. 44) führen können. Die allseitige Freude ist so groß, dass selbst der Erzähler nur bedauern kann, dass man zu seiner Zeit nicht mehr in gleicher Weise feiere wie man ze den zîten pflac (V. 52). Und nicht nur über die zeitliche Distanz hinweg betrachtet scheint der Hof von König Artus auch sonst in jeder Hinsicht ein Ort zu sein, der in sich ruht, eine Gesellschaft, die vollkommen ist und sich selbst 14
Zum Aufbau des Romans siehe Ruh, Höfische Epik, S. 147 u. 154; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 200 f. An entsprechender Stelle der Analyse, vor allem zum zweiten Handlungszyklus, ist auf dessen konkrete Ausgestaltung ausführlicher einzugehen.
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genügt. Es ist eine exklusive Gesellschaft, die für nichts Fremdes, nichts Gemeines und vor allem für niemanden, der nicht den edelsten Ansprüchen genügt, einen Platz freihält: deiswâr dâ was ein bœser man | in vil swachem werde (V. 38 f.).15 Indem alles Fremde ferngehalten wird, erweist sich die versammelte Runde nahezu hermetisch von ihrer Außenwelt abgeschlossen und gibt sich ganz dem wunsch leben hin. So kann sich nach dem großen Festmahl jeder ganz der individuellen vreude widmen, der in dô aller beste gezam (V. 63 f.). Es werden allerlei Spiele veranstaltet, es wird musiziert und getanzt, man erzählt sich von Liebe und von ritterlichen Heldentaten (V. 62–72). Gawein, der vortrefflichste aller am Hof versammelter Ritter, beschäftigt sich ausschließlich mit seinen Waffen (V. 73), während sich Keie inmitten des Saals schlafen legt, denn einzig ze gemache âne êre stuont sîn sin (V. 76).16 Und auch Artus und die Königin ziehen sich zum Schlafen zurück, doch sie mêr durch geselleschaft geleit | danne durch deheine trâcheit (V. 83 f.).17 Vor diesem Hintergrund richtet sich das weitere Interesse auf eine kleine Gruppe von Artusrittern, in deren Mitte Kalogreant eine Geschichte zu erzählen beginnt, ein mære, | von grôzer sîner swære (V. 93 f.). Noch bevor er richtig beginnen kann, kommt Ginover hinzu, die einzig von Kalogreant rechtzeitig gesehen und höflich gegrüßt wird, und es entfacht ein Streit zwischen ihm und dem ebenfalls erwachten Keie über das rechte Verhalten gegenüber der Königin, ein Streit, der mithin auf Grundsatzfragen höfischer Werte wie zuht und êre abzielt.18 Die Königin kann zwischen den Streitenden vermitteln und Kalogreant überreden, seine Geschichte fortzusetzen. Und so erzählt Kalogreant, wie er vor nunmehr zehn Jahren nâch âventiure reit, | gewâfent nâch gewonheit, und ze Breziljân in den walt gekommen sei (V. 261–263): Jenseits dieser Wildnis (V. 275) sei er zu einer Burg gelangt, deren Herr ihn in überaus höfischer Zuvorkommenheit19 für eine Nacht aufgenommen und mit seiner schönen Tochter reichlich bewirtet habe, doch habe dieser nichts von Aventiure gewusst, da noch nie ein Ritter gekommen sei, von dem er daz het vernomen | daz er âventiure suochte (V. 376 f.). Am Morgen sei Kalogreant dann wieder zurück in den wilden Wald
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Wenngleich die Exklusivität der Artusgesellschaft einer Ausgrenzung Anderer nahekommt, wird damit jedoch zunächst die eigene Idealität unterstrichen; vgl. Wenzel, Keie und Kalogrenant, S. 91. Gawein und Keie zeigen sich somit bereits zu Beginn in ihrer traditionellen komplementären Rollenverteilung; vgl. ebd., S. 93; Volkmann, Funktion des Streites, S. 106 f. Der Erzähler gibt eine Begründung, die wie schon die unmittelbare Gegenüberstellung zu Keie eine vorschnelle Kritik aushebelt. Auf eine mögliche Kritik ist gleich noch einzugehen. Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 202. Mehrfach ist dem Text zu entnehmen, dass die Burgbewohner nach höfischer Ordnung handeln. Der Burgherr leistet Kalogreant schon bei der Ankunft den Steigbügeldienst (V. 293), alle sind prächtig nâch ir rehte gekleidet (V. 305 ff.), vor allem ist die Tochter überaus schön (V. 316). Mit einem großen Essen erweist der Wirt sînem gaste grœzer êre, als je einem anderen zuvor (V. 355 f.). Vgl. auch Mertens, Stellenkommentar, S. 983, der insgesamt die „Darstellung eines höfischen Empfangs von beispielhafter Qualität“ konstatiert.
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geritten (V. 397 f.), wo er auf einer Lichtung auf einen furchterregenden Wilden getroffen sei, dem er ebenfalls den Grund seiner Fahrt genannt habe: ich sprach: ‚ich wil dichz wizzen lân, ich suoche âventiure.‘ dô sprach der ungehiure: ‚âventiure? waz ist daz?‘ ‚daz wil ich dir bescheiden baz. Nû sich wie ich gewâfent bin: ich heize ein rîter und hân den sin daz ich suochende rîte einen man der mit mir strîte, unde der gewâfent sî als ich. daz prîset in unde sleht er mich gesige aber ich im an, sô hât man mich vür einen man, und wirde werder danne ich sî. […]‘ (V. 524–537)
Auch der Wilde sei über dieses Ansinnen des Ritters verwundert gewesen (V. 547 ff.), doch habe er ihm den Weg zu einer wundersamen Quelle mit einem großen Stein unter einem Baum mit lieblichem Vogelsang gewiesen, wo er seinen Gegner finden könne.20 Kalogreant habe dort allerlei Schönes aber auch Schreckliches erlebt, bis ihn ein fürchterlicher Ritter des Friedensbruchs angeklagt und zum Kampf herausgefordert habe (V. 712 f.). Schmählich habe Kalogreant gegen ihn verloren: der prîs was sîn, unde mîn diu schame (V. 756), sodass er als ein êrlôser man (V. 766) ohne Pferd und Rüstung zu Fuß den Rückweg habe antreten müssen. So hätte es ihn auch nicht trösten können, dass ihn der Burgherr vom Vortag dennoch nach sîn hövscheit (V. 788) erneut bewirtet habe. Am Ende bereut Kalogreant, dass er seine Geschichte überhaupt erzählt hat: ich hân einem tôren gelîch getân, diu mære der ich laster hân, daz ich iuch diu niht kan verdagen: ichn woltes ouch ê nie gesagen. (V. 795–798)
Die Erzählung Kalogreants ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich nicht nur für die Konstitution des Artushofs und dessen raum-zeitliche Zuordnung, sondern in gleicher Weise für die Exposition des Romans: Noch vor seiner Erzählung erweist sich Kalogreant gegenüber der Königin als mustergültiger Vertreter des Hofs und nicht zuletzt auch im Streit mit Keie, dem des mannes êre leit ist (V. 110). Doch berichtet Kalogreant anschließend geradezu das Gegenteil von dem, was zu erwarten ist: Nicht nur hat er eine schmähliche Niederlage einstecken müssen, sondern er erwies sich als Artusritter insgesamt fremd in einer Welt, die von Aventiure nichts weiß. Überdies verblasst Kalogreant geradezu gegenüber der hövscheit des Burgherrn und weckt Verwunderung selbst noch bei dem wilden Mann 20
Siehe zur Quelle ausführlich Kapitel 5.1.2.
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im Wald wegen seines Ansinnens. Letztlich führt die Konfrontation mit dem Ritter an der wundersamen Quelle zum Vorwurf des Rechtsbruchs, und so scheint seine Niederlage nur folgerichtig zu sein. Ist sein Ziel allein der Ehrgewinn, wie er es gegenüber dem Wilden zum Ausdruck bringt, ist er am Ende ein êrlôser man, der zurück an den Artushof kommt, während der Burgherr noch immer in seiner hövscheit handelt und die rechtmäßige Ehre letztlich dem Ritter an der Quelle zukommt. Damit bleibt aber die Ehre dem anderen Ort zugewiesen, einem Ort jenseits des wilden Waldes, der konstitutiv im Artusroman die Grenze bildet.21 Der Artushof erweist sich somit auch in der Erzählung von Kalogreant deutlich abgegrenzt von seiner Umgebung und steht in offensichtlichem Kontrast zu dieser, da die Frage der Ehre nicht mehr nur Gegenstand verbaler Auseinandersetzung ist, sondern jetzt überhaupt zur Disposition steht und regelrecht eine Antwort fordert. Im Gespräch Kalogreants mit dem Wilden verbindet sich diese Frage eng mit der rechten Auffassung von Aventiure, die Konstituens des Artushofs ist, aber der umgebenden Welt, ob höfisch oder wild, fremd ist.22 Mit der Erzählung Kalogreants am Pfingstfest von Artus, die seine Aventiure erst zur eigentlichen Aventiure werden lässt,23 und nicht zuletzt in Gegenwart der Königin wird der persönliche Ehrverlust des Artusritters schließlich eine öffentliche Angelegenheit,24 die das Ordnungsgefüge des gesamten Hofs beeinträchtigt. Kalogreant scheint sich der Folgen seiner Erzählung durchaus bewusst zu sein, wenn er sie lieber verschwiegen hätte. Doch der Umstand, dass er sie überhaupt zehn Jahre lang verschwiegen hat, verleiht ihr nicht den Status einer aktuellen Störung, sondern verweist auf eine bereits im Inneren des Hofs angelegte Spannung, die nach ihrer Vergegenwärtigung nur umso entschiedener der Auflösung bedarf.25 Die Ordnung des gesamten Hofs ist damit sowohl in räumlicher Hinsicht gestört, was die auf Exklusivität gründende Idealität in Frage stellt, wie auf der anderen Seite der Störung bereits eine zeitliche Dauer zukommt. Implizit wird hier eine Defizienz des Artushofs deutlich, die letztlich darin zu sehen ist, dass einzig 21
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Vgl. zu dieser Funktion des wilden Waldes im Artusroman insgesamt Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, hier v. a. S. 36; Schulz, in dem wilden wald, S. 515 f.; sowie die Ausführungen zu diesem Motiv in Kapitel 4.1.1.; auf die besondere Topographie ist in Kapitel 5.1.2 einzugehen. Hartmann hat diesen Aspekt gegenüber Chrétien noch herausgestellt, da bei diesem der Burgherr durchaus von avanture weiß, da er schon so manchen chevalier errant beherbergt habe (V. 259 f.). Dass Aventiure ein „so unverzichtbares wie zentrales Konstitutionsmoment des idealen Hofes“ ist, hat Strohschneider, âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln, S. 379, hervorgehoben. Vgl. Schnyder, Zum Begriff des Abenteuers, S. 259; Schnyder, Sieben Thesen, S. 369 f. Vgl. Wandhoff, Âventiure als Nachricht, S. 14. Strohschneider, âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln, S. 380, hat dargestellt, wie gerade die Erzählung einer Aventiure am Hof „die Anderwelt der gefahrvollen Un-Ordnungen, die den Hof umgibt, in seinem Innern in einer Art Epiphanie für alle Sinne zur Erscheinung kommen“ lässt und letztlich zur Voraussetzung werden kann, „dass immer wieder das eine, die âventiure-Erzählung, in das andere, die âventiure-Handlung ‚umschlagen‘ kann“. Scheuer, Gegenwart und Intensität, S. 129, beschreibt, wie die von Kalogreant erzählte Vergangenheit vor diesem Hintergrund „nicht bloß vergegenwärtigt, sondern futurisiert wird“.
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der individuelle Ehrgewinn im Zentrum ritterlicher Bewährung steht.26 Schon die Situation am Pfingstfest spiegelt diesen Sachverhalt wider, wenn nach dem gemeinschaftlichen Mahl jeder allein nach eigener Freude und Ehre strebt,27 worauf nicht zuletzt Keie im Streit mit Kalogreant aufmerksam macht.28 Vor allem aber bringt dies die AventiureDefinition Kalogreants zum Ausdruck, die einzig auf den individuellen Ehrgewinn abzielt und somit „das Aventiureprinzip auf eine äußerliche Hülle“ reduziert.29 Doch während bei Chrétien selbst noch das Zurückziehen Artus’ und Ginovers ins Schlafgemach explizit mit Verwunderung goutiert wird,30 kommt bei Hartmann dem König jetzt die Aufgabe zu, entsprechend deutlich auf die Nachricht von Kalogreants Aventiure zu reagieren. Im Gedenken an sîns vater sêle (V. 895) gibt er seine Absicht kund, in vierzehen tagen | unde rehte an sancte Jôhannes naht | mit aller sîner maht | zuo dem brunnen (V. 900–903) zu ziehen. Der Eid auf seinen Vater Uterpandragon wie der Hinweis auf die Frist der Friedenszeit nach Pfingsten31 machen deutlich, dass er die Wahrung der Ordnung als herrschaftliche Pflicht annimmt.32 In der Forschung herrschte lange Zeit Uneinigkeit darüber, inwiefern in der Exposition des Romans implizit oder gar explizit eine Artuskritik formuliert ist.33 Bernd Schirok hat die Diskussion jedoch dahingehend auflösen können, als er gezeigt hat, dass die zu Beginn des Romans angelegte Ambivalenz in der Beurteilung der Situation geradezu notwenig für die Handlungsauslösung und -beschleunigung ist: Denn würde in dieser Situation das Herrschaftszentrum in Gestalt des Königs weiterhin statisch verweilen, fiele nachhaltig schlechtes Licht auf die von ihm repräsentierte Ordnung; auf der ande26 27
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Vgl. Borck, Ehre, S. 3 f. Mit Lieb, Essen und Erzählen, S. 64, „könnte man hier unter höfisch-zeremoniellen Gesichtspunkten diesen Zustand auch einen zeremoniellen Zwischenraum nennen, eine zeremonielle Lücke, die sich durch die verschiedensten Interaktionen unkontrolliert anfüllt“. Wenzel, Keie und Kalogrenant, S. 99 f., betont, dass im verbalen Angriff Keies die höfische Ordnung, wenn auch ex negativo, so doch zumindest diskursiviert werde. Von daher sei die Rolle Keies zumindest ambivalent zu sehen; vgl. ebd., S. 93 f. Volkmann, Funktion des Streites, S. 107, führt dies auf seine Funktion als Truchsess zurück wie auf motivgeschichtliche Ursprünge, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann; vgl. Ebenbauer, Truchseß Keie, S. 114. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 202; vgl. auch ebd., S. 197: „Kalogreants Definition rückt in ihrer abstrakten Kürze Aventiure in die Nähe der Farce.“ Vgl. ferner Peil, Überlegungen zur ‚aventiure‘-Definition, S. 72 f.; Haug, Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘, S. 228. Der Rückzug des Königspaars löst dort allseitige Verwunderung aus (V. 42–48), was Hartmann übergangen hat. Mertens, Stellenkommentar, S. 980, merkt an, dass bei Hartmann „im Unterschied zur ausgesprochenen Schelte der Ritter bei Chrétien eine lediglich implizite Kritik des Erzählers am höfischen Paar“ erhalten bleibe. Vgl. zur Wahrung der Friedenszeit Mertens, Recht und Abenteuer, S. 192; ausführlich auch Matthias, Yvains Rechtsbrüche, S. 165–171; hierzu kritisch Weigand, Rechtsprobleme, S. 836 f. Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 990. Eine Entsprechung zur Hirschjagd im Erec, anlässlich der gleichfalls an Artus’ Vater erinnert wird (V. 1786 f.), ist nicht zu übersehen. Vgl. mit Hinweisen auf die ältere Forschung Pütz, Artus-Kritik; die Diskussion bei Ruh, Höfische Epik, S. 149; Borck, Ehre, S. 1–3.
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ren Seite lässt der Aufbruch des höchsten Repräsentanten den eigentlichen Protagonisten des Romans verblassen, weshalb dieser nur umso entschiedener zum Aufbruch regelrecht genötigt ist.34 Der Protagonist des Romans ist schließlich Iwein, der der Erzählung Kalogreants von Beginn an folgt. Und sobald dieser geendigt hat, ist er der erste, der das Wort ergreift: er sprach: ‚neve Kâlogrêant, ez richet von rehte mîn hant swaz dir lasters ist geschehen. ich wil och varn den brunnen sehen, unde waz wunders dâ sî.‘ (V. 805–809)
In spontaner Reaktion auf das Gehörte gibt Iwein seinen Entschluss bekannt, selbst zu dieser Quelle reiten zu wollen, um die Schmach seines Verwandten zu rächen.35 Als weiteres Motiv nennt er überdies die Neugier, die Quelle selbst zu sehen und waz wunders dâ sî. Schließlich ist es der Ehrgewinn, den allein er in der Ausführung der Rache zu erzielen hofft, weshalb ihm die Ankündigung von Artus, selbst dorthin zu gehen, widerstrebt: ez was dem hern Îwein ungemach, wander sich het an genomen daz er dar eine wolde komen. er gedâhte: ‚ichn mac daz niht bewarn, unde wil der künec selbe varn, mirn werde mîn rîterschaft benomen. […]‘ (V. 908–913)
Iwein folgt hier offensichtlich der Aventiure-Auffassung Kalogreants, wenn für ihn der Kampf einzig Mittel ist, die eigene Ehre gegenüber dem Hof zu behaupten.36 Damit ist seine Motivation zum Kampf jedoch ebenso fragwürdig, wie sie auf der anderen Seite mit den Motiven der Rache, der Neugier und des individuellen Ehrgewinns auffallend überbestimmt ist. Dieser Entschluss zum Aufbruch macht in seiner offensichtlichen Defizienz, die überdies mit der Nichteinhaltung der 14-tägigen Friedenspflicht nach Pfingsten noch unterstrichen wird,37 letztlich auch aufmerksam auf eine auf der Erzähl-
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Vgl. Schirok, Zum Stellenwert der ‚Artuskritik‘, S. 64. Diese im Roman angelegte Spannung mag noch als ein Reflex angesehen werden auf den vor allem bei Wace festzustellenden „Übergang von der Chronik zum Roman“ der Matière de Bretagne; Haug, König Artus, S. 116; vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2.1. Iwein folgt hier der legitimen Auffassung, dass eine dem Einzelnen widerfahrene Schmach von der ganzen Hofgesellschaft gerächt werden kann und muss; vgl. Wandhoff, Zur Problematik ehrenhaften Erzählens, S. 125 f. Schon Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 203, betonen, dass die Schmach Kalogreants auch für Iwein „sofort und legitim Herausforderung zur Rache“ sei. Vgl. Borck, Ehre, S. 5. Hier liegt sicherlich die primäre Funktion dieses Motivs, das zugleich das Thema der Fristeinhaltung im zweiten Handlungszyklus vorwegnimmt. Weniger ist damit auf eine konkrete Rechtsverletzung durch Iwein abgezielt; vgl. Weigand, Rechtsprobleme, S. 837.
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ebene noch unzureichende Motivation,38 sodass der Geschichte Iweins erst retrospektiv ein Sinn zugewiesen werden muss, der zunächst noch unbestimmt und offen bleibt. So eignet sich Iwein im „imaginierte[n] Nachvollzug“ noch „die von Kalogrenant erzählte âventiure-Suche mit allen Details“ lediglich an:39 Er sieht die Stationen seines Wegs klar vor Augen, denn er weiß von dem walt ze Breziljân, von den schœnen juncvrouwen, von dem vil ungetânen man und möchte ausziehen, bis er an den stein unde den brunnen kommen wird (V. 923–944). Doch erschöpft sich Iweins Weg nicht allein in der Nachfolge Kalogreants auf seiner Aventiure,40 vielmehr wird sich an der wundersamen Quelle erst erweisen, ob es für ihn gut oder schlecht ausgehen wird, ob er engeltes ode genieze (V. 940). Es geht ihm aber nicht allein um die Rache seines Verwandten – das Motiv wird hier signifikanter Weise bei Hartmann im Gegensatz zu Chrétien nicht wieder aufgegriffen41 –, sondern Iwein erwartet eine Situation, die ihm die Möglichkeit zur Bewährung seiner eigenen rîterschaft (V. 913) bieten soll. Es ist letztlich das nur bei Hartmann genannte Motiv der Neugier, zu sehen, waz wunders dâ sî, das die Aufmerksamkeit über das Ziel der Rache hinaus lenkt.42 So rüstet er sich heimlich und lässt sein bestes Pferd bereiten, um sich nâch wâne in michel arbeit (V. 968) aufzumachen und sich durch grôze wilde, | walt unde gevilde (V. 969 f.) dahin zu begeben, wo er den boum, den brunnen, den stein sieht und ouch daz vogelsanc hört (V. 990 f.).43
5.1.2 Der Brunnen und sîn reht Die so genannte Brunnenaventiure wird meist als die zentrale Aventiure im Iwein bezeichnet. An zentralen Gelenkstellen des Romans trifft der Held inmitten eines dichten und wilden Waldes immer wieder auf die wundersame Quelle, die gleichsam als Konvergenzpunkt anscheinend divergierender Ordnungsmuster in Erscheinung tritt. So bringen die Neugier der Artusritter und Iweins folgerichtige Bezeichnung der Quelle als wunder gerade diese vom Artushof geleitete Wahrnehmung zum Ausdruck, wie ent38
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Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 203, sehen hier eine „finale Komponente“, die jedoch „durch die Solidarität der Artusritter im gemeinsamen Aventiureprinzip und das konkrete Motiv der Verwandtenrache“ überdeckt ist. Schnyder, Zum Begriff des Abenteuers, S. 259. Dass es nicht um das eigene Erleben der Aventiure Kalogreants geht, zeigt sich schon darin, dass in der weiteren Handlung „die eigentliche Reise […] nur noch Nebensache“ ist; ebd. Bei Chrétien heißt es noch beim Aufbruch Yvains ausdrücklich und ausschließlich, dass er die Schmach seines Vetters rächen möchte: Qui vangera, s’il puet, la honte | Son cosin (V. 748 f.). Cormeau verkennt diese auffallende Änderung Hartmanns gegenüber Chrétien, wenn ihm vor dem Hintergrund der Erzählung Kalogreants „Hartmanns Ergänzung des Neugiermotivs (V. 808 f.) nicht glücklich“ erscheint; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 203. Dass Hartmann an dieser Stelle lediglich Details der Quelle nennt und nicht wie Chrétien nochmals andere Stationen des Wegs wiederholt, hat Grosse, Erzählperspektive, S. 94, herausgestellt. Damit konzentriert sich Hartmann auf ebendiese Details, die das Neugiermotiv begründen und denen im Folgenden die weitere Aufmerksamkeit gilt.
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sprechend auch die Erzählung Kalogreants von dieser Quelle während des Pfingstfestes Anlass zur Erörterung ehrenhaften Verhaltens und ritterlicher Bewährung ist. Erzähltechnisch erweist sich die Erzählung Kalogreants von daher nicht zuletzt auch als handlungsauslösend, da sie das Ordnungsgefüge am Artushof zur Diskussion stellt und wegen der durch sie erfolgten Aktualisierung erzählter Erfahrung nicht nur Reaktionen erfordert, sondern überhaupt erst Aktion jenseits höfischer Repräsentation ermöglicht: Die Erzählung von der Quelle ist gleichsam Weckruf für Artus wie Antrieb für Iwein. Nicht zuletzt wegen dieser Funktion im Roman ist die Brunnenaventiure Kalogreants und Iweins auch zentraler Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung gewesen. Dabei wurde und wird bis heute stets auf die besondere und sonderbare Beschaffenheit der Quelle und der sie umgebenden Örtlichkeit eingegangen, die aus je verschiedener forschungsgeschichtlicher Fragestellung mithilfe motivgeschichtlicher und auch strukturaler Ansätze in ihrer Mythizität zu beschreiben versucht wurde, sodass noch Jürgen Wolf in seiner Studieneinführung zum Werk Hartmanns von Aue die Besprechung der Quelle mit dem Hinweis auf „mythische Stofftraditionen“ einleitet.44 Die Frage nach möglichen ursprünglichen, mythisch geprägten Erzählungen und anderen motivlichen Quellen war lange Zeit primäres Interesse der Forschung.45 Das Brunnenabenteuer wird gemeinhin als zum Kernbestand der Materie gehörig eingestuft, dessen ursprüngliche Gestalt bis heute jedoch nicht zufriedenstellend rekonstruiert werden kann.46 Auf zumindest einen Text, der Chrétien vorgelegen haben muss, hat die Forschung immer wieder zurückgegriffen: Im Roman de Rou aus dem dritten Viertel des 12. Jahrhunderts berichtet Wace von einer Quelle im Wald Brecheliant in der Bretagne – bei Chrétien Broceliande (V. 189), bei Hartmann Breziljân (V. 263) –, an der Jäger mit ihren Jagdhörnern Wasser auf einen Stein gießen, woraufhin umgehend Regen einsetzt. An solchen Quellen würden, so Wace, meist Feen vermutet, die er jedoch nicht angetroffen habe. Aufschlussreich ist sein Fazit, dass er sich zum Narren gemacht habe, solchen Narrheiten tatsächlich nachzugehen,47 da dieses Fazit in gleicher Weise 44 45
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Wolf, Einführung, S. 76. Zu nennen sind hier in erster Linie von romanistischer Seite die älteren Arbeiten von Nitze, The Fountain Defended; Nitze, Myth of the Fountain; Loomis, Arthurian Tradition, v. a. S. 269–293; die umfassende Studie zum Yvain von Walter, Canicule; und der Beitrag von LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande. Von germanistischer Seite fasst Braches, Jenseitsmotive, S. 165–176, einzelne Details zusammen; hervorzuheben ist v. a. die breit angelegte Analyse von Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 104–176. Zuletzt hat sich Andreas Hammer intensiv mit mythischen Aspekten des Brunnenabenteuers auseinandergesetzt; vgl. Hammer, Tradierung und Transformation, v. a. S. 215–237. Vgl. hierzu und im Folgenden ausführlich den kritischen Überblick über die Forschung bei Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 108–132, die ihr bis heute gültiges Fazit bereits voranstellt: „Eine endgültige Klarheit kann so wohl nie erreicht werden.“ Ebd., S. 107. Viel zitiert sind seine Verse: fol m’en revinc, fol i alai | fol i alai, fol m’en revinc | folie quis, por fol me tinc; „Als Narr kam ich zurück, als Narr war ich gegangen, als Narr gegangen, kam ich als Narr zurück, Narrheit suchte ich, zum Narren hielt ich mich.“ Zit. n. Mertens, Artusroman, S. 64. Bei Chrétien sagt noch Calogrenanz: Einsi alai, einsi reving, | Au revenir por fol me ting
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eine bewusste Distanznahme gegenüber der erzählten Materie zum Ausdruck bringt, wie er sie auch in seinem Roman de Brut formuliert hat.48 Neben Wace berichten von einer solchen Wunderquelle noch weitere Texte, von denen vor allem die Topographia Hiberniae des Giraldus Cambrensis sowie die Mirabilia des Nennius zu nennen sind.49 Die Forschung führte das Motiv auf einen römischen Dianakult zurück, der in Erzählungen mit keltischen Elementen durchsetzt worden sei.50 Diese werden im Wesentlichen in mündlich verbreiteten Feenerzählungen vermutet, wovon noch das bekannte Mabinogi Chwedl Jarlles y Ffynnon zeugt.51 Auf der anderen Seite sind auch weitere antike Einflüsse nicht auszuschließen, wenngleich die keltischen Erzählungen weitaus größere Übereinstimmungen mit dem Roman aufweisen.52 So resümiert Dagmar Ó Riain-Raedel, dass, „was die mythische Herkunft betrifft“, in struktureller Hinsicht unverkennbar ein „Sovereignty-myth“ vorliege.53 Unter anderem ausgehend von solchen, als gehärtete Grundmuster zu bezeichnenden Strukturen versuchte die Forschung schließlich Zusammenhänge vor allem bekannter Feenerzählungen mit der im Yvain/Iwein erzählten Fassung des Brunnenabenteuers aufzudecken, was nicht zuletzt auch die unterschiedlichen Einzelmotive und die daraus resultierenden Ambivalenzen im Roman erklären sollte.54 Die so genannten Feenmärchen, die in ihrer „Ausgestaltung grundsätzlich mythisch gekennzeichnet“ sind,55 überlagerten den Artusroman Chrétien’scher Prägung, sodass es nach Ralf Simon im Roman um „das Problem der Vermittlung zweier verschiedener Welten“ gehe.56 Die Unter-
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(V. 577 f.: So ging ich hin, so kam ich zurück, und auf dem Rückweg hielt ich mich für einen Toren.), was als direktes Zitat Waces angesehen wird; vgl. Nitze, Myth of the Fountain, S. 172. Vgl. hierzu und allgemein zu Wace mit weiterer Literatur Kapitel 2.2.1. Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 150 f.; ferner Loomis, Arthurian Tradition, S. 292. Braches, Jenseitsmotive, S. 168, weist darauf hin, dass noch im 19. Jahrhundert an die Existenz eines solchen Brunnens geglaubt worden sei. Vgl. hierzu v. a. Nitze, The Fountain Defended, S. 162 f.; Nitze, Myth of the Fountain, S. 173 f.; zu keltischen Einflüssen Loomis, Arthurian Tradition, S. 289–293; hierzu auch Lange, Literaturbeziehungen, S. 179 f. Die Analysen von Loomis zum Yvain geben diverse Hinweise für einzelne Motive und deren Überlieferung, doch bleiben sie weit hinter denen zum Erec zurück; schon Ó RiainRaedel, Zur mythischen Struktur, S. 111, hat darauf hingewiesen, dass von seinen zahlreichen Belegen „keiner vollständig zu überzeugen“ vermag. Zum Zusammenhang von Dianakult und Feenglaube siehe auch die Hinweise bei Wolfzettel, Fee, Sp. 952 f. Für Birkhan, Einführung, S. 46, zeigen sich in dem Mabinogi noch „gewiß mythologische Vorstellungen und kultische Handlungen“; siehe auch die Übersetzung bei Birkhan, Keltische Erzählungen, Bd. I, S. 65–107. Vgl. auch Thomson, Owain, S. 160; sowie Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 112–115, die einen Vergleich der Fassungen anstellt. Vgl. ebd., S. 111 u. 138. Ebd., S. 112. Vgl. den Überblick über die Forschung bei Hammer, Tradierung und Transformation, S. 222–226. Ebd., S. 226, mit Hinweis auf Huber, Mythisches erzählen. Simon, Einführung in die strukturalistische Poetik, hier S. 43, Hervorhebung dort. Andreas Hammer hat zu Recht kritisch hervorgehoben, dass Simons Ansatz zwar für das Brunnenabenteuer einzelne Ambivalenzen erklären könne, doch nicht zuletzt wegen seines hohen Abstraktionsgrades –
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scheidung solcher „Welten“, mithin die Abgrenzung einer arthurischen von einer mythisch-märchenhaften „Welt“,57 führt indes kaum zu einer hinreichenden Klärung der spezifischen Mythizität des Hartmann’schen Romans, der von einer mythopoetischen Erzählweise und vor allem mythosanalogen Gestaltung der Quelle geprägt ist und diese in ihrer Bedeutsamkeit in den erzählerischen Prozess integriert, damit aber nicht zuletzt die von der Forschung oft konstruierte Dichotomie von Beginn an unterläuft.58 Zuletzt hat sich Andreas Hammer intensiv mit der bisherigen Forschung auseinandergesetzt, um schließlich über die Frage nach dem Zusammenhang mit verschiedenen Erzähltraditionen hinausgehend einzelne „mythische Aspekte“ der Brunnenaventiure gerade in ihren „Ausformungen des mythischen Denkens“ im mittelhochdeutschen Roman zu untersuchen.59 Für den Iwein bleibt festzuhalten, dass er zwar vor dem geschilderten Hintergrund geschrieben ist und durchaus darauf bezogen werden kann, insofern als in der mythopoetischen Erzählung zahlreiche, als ikonisch konstant zu bezeichnende Motive, Figuren oder Handlungsstrukturen aufgenommen sind und noch im Roman präsent gehalten werden. Dass diese Elemente jedoch nur Mittel der literarischen Darstellung sind, wird nicht zuletzt auch im Vergleich mit der direkten Vorlage von Chrétien deutlich. Dem gilt es im Folgenden genauer nachzugehen, doch sollen vor allem mythosanaloge Gestaltungen aufgezeigt werden, die über die einzelnen Motive hinaus in die Handlung des Romans eingebunden sind, funktionalisiert werden und sich letztlich als relevant für den gesamten Roman erweisen im Hinblick auf die Darstellung und Vermittlung höfischer Werte und Leitvorstellungen: Die erste und umfassendste Beschreibung der Quelle liefert die Erzählung Kalogreants am Artushof. Vor dem eigentlichen Geschehen, das den Helden des Romans, Iwein, ins Zentrum rückt, erfolgt somit auch hier wie anlässlich der Beschreibung des Baumgartens im Erec eine Descriptio.60 Von der eigentlichen Handlung isoliert liefert
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der Struktur des Feenmärchens wie auch des Artusromans – unbefriedigend bleiben muss gerade für den zweiten Teil des Romans; vgl. Hammer, Tradierung und Transformation, S. 225 f. Von einer solchen Abgrenzung ist vor allem auch die Arbeit von Dagmar Ó Riain-Raedel geprägt, die immer wieder einer Grenze zwischen den verschiedenen Welten, einer diesseitigen und einer Anderen Welt, nachgehen möchte; vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 139 f., 143, 147, 156, 165 u. ö. Letztlich bleibt auch Andreas Hammer dieser Deutung zunächst verpflichtet, wenn er von einem „mythisch bzw. andersweltlich konnotierten Raum“ ausgeht und diesen als „Sonderraum“ herausstellt, wenngleich die „räumlichen Bezüge nicht klar nachvollziehbar sind“ und er weiterhin feststellt, dass „die anfängliche Stellung als ausgegrenzter Sonderraum im Laufe des Romans immer mehr verloren geht“; Hammer, Tradierung und Transformation, S. 230 u. 233. Im Einzelnen ist hierauf im Rahmen der Analyse der Topographie näher einzugehen. Vgl. zum nur bedingt brauchbaren „Welt“-Begriff Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 178. Was hier nur angedeutet werden kann, sollen die Analysen darlegen, die am Ende den gesamten Roman berücksichtigen müssen; vgl. daher auch die Ausführungen in Kapitel 5.3.1. Hammer, Tradierung und Transformation, S. 227; vgl. insgesamt seine Besprechung ebd., S. 215– 237. Auf die Ergebnisse Hammers wird ergänzend und auch kritisch einzugehen sein. Vgl. hierzu Kapitel 4.3.2.
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sie zunächst eine bloße Zustandsbeschreibung. Der Erzähler ist jedoch Kalogreant, der sich auf die Ausführungen des wilden Mannes im Wald bezieht. Die erste Beschreibung der Quelle erfolgt mithin von einer Figur, die Teil der intradiegetischen Erzählung Kalogreants und somit einer metadiegetischen Ebene zuzuordnen ist. Schon für Kalogreant ist damit die Unterscheidung einer statischen Descriptio von der anschließenden Handlung festzuhalten, wie sie in gleicher Weise dann auch Iwein betrifft, der an der Quelle das bestätigt sehen wird, was er von Kalogreant erzählt bekommen hat.61 Ihm hat zunächst der Wilde ausführlich die Quelle beschrieben (V. 565–591): Neben einer kleinen Kapelle entspringe ihr kaltes und stets klares Wasser, das weder Regen noch Sonne oder Wind jemals verunreinen würden. Dies liege an der mächtigen und überaus prächtigen Linde, die das ganze Jahr hindurch im Laub stehe und ihr so Schatten und Dach biete. Von einem Ast hänge an einer silbernen Kette ein Becken aus Gold, wie kein besseres zu finden wäre, und oberhalb der Quelle befinde sich auf einem aus vier marmornen Tieren gestalteten Sockel ein tief ausgehöhlter und verzierter Stein. Schließlich nennt der Wilde auch, was es mit dieser regelrechten Anordnung eines Brunnens auf sich habe, das, waz sîn reht sî (V. 565): wil dû danne niht verzagen, sô ne tuo dem becke niht mê, giuz ûf den stein der dâ stê dâ mit des brunne ein teil: deiswâr, sô hâstû guot heil, gescheidestû mit êren dan. (V. 592–597)
Würde Kalogreant nach des Brunnen reht (V. 556) handeln und den Stein begießen, würde er die widerkêre | âne grôze […] unêre (V. 557 f.) antreten können und sich als ein vrum man (V. 559) bewährt haben. Die Beschreibung der Quelle durch den Wilden folgt zunächst einer bloßen Aufzählung der einzelnen Details, um dann deren funktionalen Zusammenhang zu nennen, der einer regelrechten, ja regelgerechten Handlungsanweisung gleichkommt. Über die weiteren Folgen und deren Wirkung gibt er keine Auskünfte und deutet nur ein Ereignis an, das zwar Ehre einbringen könne, doch auch große Gefahr bedeute. Die Bedrohlichkeit der kommenden Ereignisse erschließt sich letztlich auch aus der Richtungsweisung des Wilden ze der winstern hant (V. 599).62 Für Kalogreant ist es aber gerade die Herausforderung zur ritterlichen Tat, die er gegenüber dem Wilden als seine Absicht nennt, 61
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Bezeichnenderweise ist dann im Text auch nicht davon die Rede, dass der Wilde Iwein nochmals alles beschreibt, er ihm dagegen aber den Weg weist (V. 988). In der Raffung der Stationenfolge auf Iweins Weg ist vielmehr auf die äußere Erscheinung des Wilden Wert gelegt. Auf die Bedeutung der Unterscheidung dieser Erzählebenen gerade im Hinblick auf die Brunnenaventiure wird ausführlich in Kapitel 5.3.2 eingegangen. Wie im Erec der Weg nach Brandigan ebenfalls zu Linken abzweigt, wohin Guivreiz weist, wirkt auch hier offensichtlich diese Richtungssymbolik, nach der der linke Weg stets der falsche ist und ins Unheil führt; vgl. Deitmaring, Bedeutung von Rechts und Links, S. 290; sowie die Ausführungen zum Erec in Kapitel 4.3.1, dort mit weiterer Literatur.
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und als solche will er sie annehmen und folgt den Anweisungen, um die erhoffte Ehre zu erlangen. Sobald er an die Quelle kommt, findet er dort zunächst auch alles bestätigt, was der Wilde ihm erzählt hat. Er findet dort der rede eine wârheit | als er mir het geseit (V. 601 f.) und sieht die Linde und auch die Quelle und alles, swes mir der waltman verjach (V. 622). Die Linde ist ganz und gar mit Vögeln bedeckt, die so herrlich singen, dass er sô wünneclîchen vogelsanc (V. 606) nie zuvor gehört habe. Auch erweist sich der Stein beim näheren Hinsehen als ein smâreides (V. 623) und ûz iegelîchem orte schein | ein als gelpfer rubîn (V. 624 f.), dass der morgensterne möhte sîn | niht schœner, swenner ûf gât | unde in des luftes trüebe lât (V. 626–628). Alles erweist sich in einer geradezu Freude spendenden Herrlichkeit: Der ie gewesen wære | ein tôt riuwesære, | des herze wære dâ gevreut (V. 609–611). Kalogreants Beschreibung des Ortes bestätigt die des Wilden, doch konkretisiert er sie in der Schilderung der sinnlich wahrnehmbaren Eindrücke,63 die den Ort erst zu einem Locus amoenus stilisieren. In Anlehnung an topische Lustortschilderungen wird vom lieblichen Gesang der Vögel und der leuchtenden Farbenpracht der grünen und roten Edelsteine64 erzählt und verklärt sich die Wahrnehmung des Raumes in der Synästhesie und der Zeit im Leidvergessen65. Es ist alles so, wie Kalogreant erwartet hat, er vant dâ grôz êre (V. 603) und – zunächst – nichts anderes. Hartmann hat für die Beschreibung des Ortes mehrfach in den Text seiner Vorlage eingegriffen und signifikante Details verändert. So erfährt Kalogreant einzig die Herrlichkeit des Ortes, ganz entsprechend seiner Erwartung, während Calogrenanz bei Chrétien doch Widersprüche gegenüber der Beschreibung des Wilden feststellen muss: Sei das Wasser der Quelle zwar siedend (V. 380), doch kälter als Marmor (V. 381), ist es für Calogrenanz nur kochend heiß (V. 423). Auch der angeblich ganzjährig belaubte Baum erweist sich am Ende bloß als eine Fichte (V. 414). Während Calogrenanz’ Wahrnehmung des Ortes somit auf eine Konkretisierung, und das heißt hier Rationalisierung des Gesehenen hinausläuft, bleibt Hartmann in der Schilderung ganz im Unklaren und überführt sie überdies noch ins Verklärende, was mit dem gegenüber Chrétien neu hinzugefügten Motiv des Leidvergessens noch unterstrichen wird. Gleiches zeigt sich in der Andeutung der Gefahren: Denn während der Wilde bei Chrétien in detaillier63
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Hartmann setzt hier ein Gestaltungsprinzip fort, das er bereits bei der Annährung Kalogreants an den Wilden verfolgt, indem er auf Stimmungen abzielt und seine Figur subjektiver erzählen lässt; vgl. hierzu Brandt, Beschreibung häßlicher Menschen, S. 269–271. Zur topischen Lustortschilderung des Locus amoenus siehe Gruenter, Das wunnecliche tal, S. 353; grundlegend Thoss, Studien zum locus amoenus, hier v. a. S. 73–112; Curtius, Europäische Literatur, S. 202–206; speziell zur Quelle im Iwein Schröder, Schauplätze, S. 258 f. u. 306. Zur Kennzeichnung eines Locus amoenus sind sicherlich nicht alle Details gleichermaßen stets vertreten – vgl. Thoss, Studien zum locus amoenus, S. 102 –, doch braucht nicht erst auf die Vögel zurückgegriffen werden – so Hammer, Tradierung und Transformation, S. 229, Anm. 465 –, um auch die Farbenpracht zu berücksichtigen. Dieses für den Locus amoenus typische Motiv – vgl. Thoss, Studien zum locus amoenus, S. 88 – findet sich bereits in der Beschreibung des Baumgartens von Brandigan im Erec; vgl. Kapitel 4.3.2.
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ter Nennung des Unheils vor den Folgen warnt (V. 395–407), hebt Hartmann vielmehr die Hoffnung auf Ehre hervor und deutet die Gefahren lediglich an, so in der Richtungsweisung, wohingegen der Weg bei Chrétien geradewegs ins Unheil führt.66 Wo Hartmann nur andeutet, ist Chrétien konkret, wo Chrétien erklärt und Widersprüche auflöst, bleibt Hartmann konsequent im Unbestimmten. So aber bleibt der Ort zunächst ein wunderbarer Ort, bleibt unerklärt und letztlich noch verklärend. Erst dann folgt mit der Handlung ein plötzlicher Umschlag, mit dem sich alles verkehrt: Kalogreant erinnert sich an sein Anliegen, Ehre zu erlangen, weshalb er ja nâch âventiure (V. 631) ausgeritten ist, und begießt den Stein (V. 637). dô erlasch diu sunne diu ê schein, unde zergie daz vogelsanc, als ez ein swærez weter twanc. diu wolken begunden in den selben stunden in vier enden ûf gân: der liehte tac wart getân daz ich die linden kûme gesach. grôz ungnâde hie geschach. (V. 638–646)
War zuvor der Ort mit hellem Glanz und Vogelsang angefüllt, verkehrt sich jetzt, sobald der Stein begossen ist (dô), alles in sein Gegenteil: Das Licht erlischt, die Vögel verstummen, und aus allen vier Himmelsrichtungen ziehen Wolken herauf, die großes Unwetter bringen. Blitz und Donnerschlag, Regen und Hagel verwüsten den gesamten Wald, und Kalogreant bangt um sein Leben. Doch kaum, dass das Unwetter kommt, ist es auch schon wieder vorüber, sodass diu nôt | in kurzer wîle gelac, | unde begunde liehten der tac (V. 670–672). Auch die Vögel kommen wieder, setzen sich auf die Linde unde sungen verre baz danne ê (V. 683). Alles erscheint nun ebenso herrlich wie zuvor, sodass Kalogreant im Licht des Tages beim Gesang der Vögel unter der Linde sein Leid vergessen kann und sich im ander paradîse (V. 687) wähnt. Und wie sich das Leid wieder in Freude auflöst, so fügt sich das Vorher ins Nachher.67 Doch einzig ver-
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Bei Chrétien weist der Wilde den geraden Weg: Tote la droite voie va (V. 376), in der Übersetzung von Ilse Nolting-Hauff: „Reite nur immer geradeaus“; Chrestien de Troyes, Yvain (Nolting-Hauff), S. 33. Dass es sich hier um den geraden Weg handelt, mag auch daraus zu erschließen sein, dass der Wilde eine Vielzahl von Wegen nennt, unter denen einzig der genannte zielführend sei (V. 379). Will man der Übersetzung Nolting-Hauffs nicht folgen und vom rechten Weg ausgehen, bleibt jedoch die Andeutung der Gefahr bei Hartmann im linken Weg bestehen, der nach traditioneller Richtungssymbolik der falsche Weg ist; vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 987. Die entsprechende Änderung hat Hartmann bereits im Erec vorgenommen; vgl. Kapitel 4.3.1, dort mit Angabe weiterer Literatur. Dies wird gerade an den Vögeln deutlich, die von Beginn an und auch später in gleicher Weise die Szene mit ihrem Gesang bestimmen. Bei Chrétien kommen die Vögel erst nach dem Unwetter zu der Linde und beginnen dann erst mit ihrem Gesang (V. 459–477).
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kehrt bleibt ihm die Hoffnung auf Ehre. War es anfangs allein grôz êre (V. 603), die er angetroffen hat, naht ihm jetzt großes Leid – in Gestalt des Quellenhüters Askalon68: seht, dô trouc mich mîn wân. Mir nâhte laster unde leit. nû seht, wâ dort her reit ein rîter: des geverte was grimme unde als herte daz ich des wânde ez wære ein her. iedoch bereite ich mich ze wer. sîn ros was starc, er selbe grôz; des ich vil lützel dâ genôz. sîn stimme lûte sam ein horn: ich sach wol, im was ûf mich zorn. (V. 692–702)
Die Erzählung Kalogreants erreicht hier ihren spannungsgeladenen Höhepunkt. In geradezu Präsenz herstellender Redeweise ist gleichsam die Distanz vom erzählten Geschehen zum Zuhörer aufgehoben, der den herannahenden Ritter in seiner bedrohlichen Erscheinung förmlich zu sehen bekommt. Der wiederholte Aufruf zum Sehen (seht) schließt an das Sehen Kalogreants (ich sach) an, sodass die Erzählung eine Unmittelbarkeit des Ereignisses erzielt und es aus seiner Vergangenheit in die Gegenwart des Zuhörers überführt. Diese Präsenz des Erlebnisses unterstreicht noch die entdifferenzierte Wahrnehmung Kalogreants: Erschien ihm die Gegenwart der Quelle als grôz êre, ist es das metonymisch gesetzte Hendiadyoin von laster unde leit, das in Verkörperung des furchterregenden Quellenhüters naht, der ihm überdies in seiner Größe als ein ganzes Heer erscheint. Die Bildhaftigkeit der Rede stellt so nicht zuletzt die Wahrnehmung, die der ganzen Szene auf eindringliche und synästhetisierende Weise zugrunde liegt, als bloße Vorstellung in Frage, die anscheinend trügt (trüegender wân), doch ungleich wirkt (ich wânde). Der Text öffnet sich auf verschiedenen Ebenen einer Wahrnehmung und Zeit unterlaufenden Darstellung, die sich bis in die sprachliche Formulierung hinein der bloßen Präsenz des Inhalts hingibt und in dieser Indifferenz dem wesentlichen Grundzug mythischen Denkens folgt.69 Signifikant erweist sich diese Form der Erzählens zugleich 68
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Der herannahende Quellenhüter erscheint zunächst noch ohne Namen, was seine Bedrohlichkeit entsprechend unterstreicht und der Wahrnehmung Kalogreants entspricht. Überdies hat Kalogreant infolge seiner Niederlage im Kampf den Namen nicht erfahren, weshalb er ihn auch nicht nennen kann. Später erst wird sein Name, Ascalôn (V. 2274), genannt, nachdem Iwein ihn erschlagen hat. Die Namensnennung erfolgt hier in gleicher Weise wie auch anlässlich des Kampfs im Baumgarten im Erec; vgl. mit Literatur Kapitel 4.3.3. Vgl. Cassirer, Das mythische Denken, S. 47 f.: „Der Mythos hält sich ausschließlich in der Gegenwart seines Objekts, – in der Intensität, mit der er in einem bestimmten Augenblick das Bewußtsein ergreift und von ihm Besitz nimmt. […] Statt der dialektischen Bewegung des Denkens […], steht hier die bloße Hingabe an den Eindruck selbst und an seine jeweilige ‚Präsenz‘.“ Und „diesem einen Grundzug des mythischen Denkens“ fehle daher „vor allem jede feste Grenzscheide zwischen
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auch in der Darstellung des Erzählten als mythosanalog: Mit der Handlung Kalogreants an der Quelle ereignet sich eine Koinzidenz von Begießen und Unwetter, die über die Kategorie der Ähnlichkeit, der die Konkreszenz des eigentlichen Wesenszugs von Wasser und Wetter zugrunde liegt, mythischem Denken analog eine Wirklichkeit herstellt.70 Die Situation an der Quelle bringt dies beispielhaft zur Darstellung, insofern sie sich nicht nur in die Erzähltradition von der Quelle im Wald von Brecheliant einfügt, sondern darüber hinaus ihrer Struktur nach in Vorstellungen verschiedenster Kulturen vertreten ist. Ernst Cassirer wählt seinerseits das Beispiel des so genannten Regenzaubers, um diese typische Erscheinung mythischen Denkens, die Koinzidenz nur getrennt gedachter Relationsglieder, zu veranschaulichen: „Wenn bei einer magischen Handlung, etwa bei einem Regenzauber, Wasser ausgesprengt wird, so soll dieses Wasser keineswegs nur als Sinnbild oder ‚Analogon‘ des ‚wirklichen‘ Regens dienen; sondern es ist mit ihm durch das Band einer ursprünglichen ‚Sympathie‘ verknüpft und geeint.“71 Und es liegt nach Cassirer in eben dieser „Grundvorstellung der ‚sympathischen Magie‘“, dass für sie ein „echter Kausalnexus“ besteht, der einen Wirkungszusammenhang als unmittelbar wahrgenommene Realität zur Anschauung bringt.72 Die genannten Details – in auffallend syntaktischer Reihung nennt der Erzähler den boum, den brunnen, den stein (V. 990) – sind funktional aufeinander bezogen und stehen als regelrechte Brunnenanlage in diesem Wirkungszusammenhang.73 Sie sind nicht bloße Bruchstücke, sondern sie erweisen sich „in der Erscheinung als Ganzes, als ungebrochene und unzerstörliche Einheit“, sodass „die Erlebniswelt des Mythos nicht sowohl in darstellenden oder bedeutungsgebenden Akten, als vielmehr in reinen Ausdruckserlebnissen fundiert ist“.74 Und so wie sich das Erlebnis einer differenzierenden Wahrnehmung entzieht, so entzieht sich ihm gänzlich eine Zuordnung in der Zeit. Es unterliegt einer mythischen Kausalität, die Ursache und Wirkung in eins setzt und damit letztlich die Kategorie der Zeit übersteigt, indem sie „die Grenzen des ‚Vor‘ und ‚Nach‘, des ‚Früher‘ und ‚Später‘ ineinander“ übergehen lässt.75 Es ist eine dem rationalen Denken unvereinbar erscheinende Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung, die nicht
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dem bloß ‚Vorgestellten‘ und der ‚wirklichen‘ Wahrnehmung, zwischen Wunsch und Erfüllung, zwischen Bild und Sache“. Vgl. im Folgenden auch die Ausführungen in Kapitel 3.1.2. Hierbei sind gleichfalls ikonisch konstante Motive in mythopoetischer Aufnahme im Text auszumachen: Das Unwetter und gerade auch die Wolken zeigen für Ó Riain-Raedel schon an, „daß hier mythische Kräfte tätig sind“; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 145. Cassirer, Phänomenologie der Erkenntnis, S. 79. Cassirer führt im dritten Band seiner Philosophie der symbolischen Formen genauer aus, was er im Zusammenhang von mythischer Konkreszenz, Koinzidenz und Kausalität bereits im zweiten Band, zum mythischen Denken, angesprochen hat. Cassirer, Das mythische Denken, S. 67, Hervorhebung dort. Dass es sich hierbei nicht um eine „normale“ Quelle handeln kann, betont Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 164, da „die ganzen übernatürlichen Details der Quellenszenerie“ einer solchen Deutung widerstehen würden. Cassirer, Phänomenologie der Erkenntnis, S. 80. Cassirer, Das mythische Denken, S. 69.
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erst in der augenblickhaften Wahrnehmung Kalogreants von Zerstörung und Regeneration zur Anschauung kommt,76 sondern bereits der gesamten Szenerie zugrunde liegt. Am deutlichsten wird dies in der Beschreibung der mächtigen und über die wechselnden Jahreszeiten hinweg immergrünen Linde: si ist breit, hôch unde als dicke daz regen noch der sunnen blicke niemer dar durch enkumt: irn schadet der winter nochn vrumt an ir schœne niht ein hâr, sine stê geloubet durch daz jâr. (V. 575–580)
Die Veränderungen der Jahreszeiten – vom winter ist explizit die Rede – sowie die Auswirkungen des wechselnden Wetters, denen nach Hinweis Askalons (V. 716 f.) der die Quelle umgebende Wald unterworfen ist, betreffen jedoch nicht die unmittelbar an der Quelle stehende Linde.77 Sie kann daher dem Brunnen sîn schat unde sîn dach (V. 574) sein, was überdies kaum nötig wäre, ereigneten sich nicht die Wechsel der Jahreszeiten und des Wetters.78 Der Linde kommt damit aber eine der Zeit widerstehende und dauernde Beständigkeit zu, die sich auf die Quelle insgesamt überträgt. Für den boum, den brunnen, den stein (V. 990), die immer schon in ihrer Einheit zu sehen sind,79 ist somit eine Zeitlosigkeit zu konstatieren, die ihre fortdauernde und unverän76
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Kalogreant begießt den Stein und sofort (dô) setzt die Veränderung ein, die nur kurze Zeit anhält und sogleich wieder (in kurzer wîle) in den ursprünglichen Zustand wechselt. Diese Momenthaftigkeit wird noch unterstrichen, wenn Kalogreant festhält, dass er den Stein nicht nochmals begossen hätte, würde er auch zehn Jahre dort verweilen (V. 676 f.). Auch Cassirer beschreibt für das Koinzidenzphänomen des Regenzaubers, dass es gerade im nicht differenzierbaren Augenblick in seiner Wirklichkeit erfahrbar wäre: „Was hier als ‚Wirklichkeit‘ dasteht, […] hat, im ganzen wie im einzelnen, noch ein eigentümliches ‚Gesicht‘, das in jedem Augenblick als Totalität erfaßbar ist, ohne daß es sich jemals in bloße allgemeine Konfigurationen, in geometrisch-objektive Linien und Umrisse, auflösen ließe.“ Cassirer, Phänomenologie der Erkenntnis, S. 80. Diese subjektive Erfahrung Kalogreants hebt das Problem der Verdichtung von (schöner) Zeitlosigkeit und (schrecklicher) Veränderung noch hervor. Der Baum mag als Symbol des Lebens bereits auf eine Zeitlosigkeit verweisen, doch gibt seine Beschreibung vor allem zu erkennen, „daß die einzelnen Punkte sich auf mythische Vorstellungen der Anderen Welt zurückführen lassen“; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 156, vgl. auch ebd., S. 129 f.; ebenfalls mit vergleichendem Hinweis auf die Navigatio Sancti Brendani des 10. Jahrhunderts Loomis, Arthurian Tradition, S. 290 u. 293; vgl. auch Hammer, Tradierung und Transformation, S. 230, mit Hinweis auch auf den Zusammenhang mit dem Motiv des Leidvergessens im ander paradîse bei Hartmann. Auch Hammer merkt zu dieser Stelle an, dass „die Spuren der Zeit allem Anschein nach keinerlei Auswirkungen“ haben, doch hält er dann fest: „Jahreszeiten scheinen nicht zu existieren“; ebd., S. 237. Hammer kommt zu dieser Feststellung, obgleich er seinerseits auf den Winter hinweist und den entsprechenden Vers (V. 578) zitiert. Würden keine Jahreszeiten existieren, würden sich die besondere Funktion und Eigenschaft der Linde verlieren und sich vielmehr auf den gesamten Wald übertragen, der aber offensichtlich von Verwüstungen gezeichnet ist. So schon in der Motivtradition; vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 155.
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derte Präsenz garantiert, insofern auch als Kalogreant vor nû wol zehn jâr (V. 260) an der Quelle gewesen ist, die Iwein und später auch Artus mit seinen Rittern aufsuchen und anscheinend unverändert vorfinden.80 Und die wiederholt zur Quelle ziehenden Ritter von Artus’ Hof sind überdies nicht die einzigen, die dorthin kamen oder kommen werden. Kalogreant meint schon dem Verhalten Askalons entnehmen zu können, dass im aller tägelîch | zehnstunt geschæhe same (V. 754 f.), während dieser aus früheren Begegnungen eine geradezu sprichwortartig formulierte, allgemeine Erfahrung ableiten kann, vor der er seine gegenwärtige Situation einschätzt: daz kint daz dâ ist geslagen, | daz muoz wol weinen unde clagen: | alsus clag ich von schulden (V. 723–725). Und noch später wird die Quelle verteidigt werden müssen, eine Aufgabe, die Iwein in Nachfolge Askalons übernehmen wird. In für das mythische Denken charakteristischer Weise stellt sich die Zeitlosigkeit der Quelle somit gerade in Abgrenzung zu „der objektiv-kosmischen und der objektiv-historischen Zeit“ dar,81 wie sie hier über Naturgesetze und Zeitangaben angeführt sind. Die mythische Zeitlosigkeit zielt mithin auf eine dem Geschehen an der Quelle zukommende Ordnung eigener Prägung. Noch über die erzählte Handlung hinaus gründet diese in einer dauernden Geschehenswiederholung, die unbestimmt in ihrem Ursprung und ihrer weiteren Rhythmik bleibt. In dieser allgemeinen Dauer, die letztlich unabgeschlossen ist und sich nicht „im einzelnen Gegenwartspunkt oder in einer bloßen Folge solcher Gegenwartspunkte“ erschöpft, liegt nach Cassirer schließlich „die Idee einer das Universum beherrschenden und durchwaltenden Gesetzesordnung“, die über den einzelnen Moment hinausweist.82 Es ist dem mythischen Denken gemäß typischerweise die Einzelerscheinung der Natur, die hierauf aufmerksam macht, denn „jegliches Naturphänomen dient nur als Zeichen für ein Anderes, Umfassenderes, das sich an ihm und in ihm offenbart“.83 Die dem Geschehen obliegende Gesetzesordnung kommt im Naturphänomen der Quelle nicht nur zur Anschauung, sondern wird auch im Text als reht (V. 556 u. 565) bezeichnet.84 Nach diesem reht, das der Wilde Kalogreant darlegt, han80
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Dass „die Artusritter offensichtlich keine Spuren des Gewitters mehr erkennen“, Hammer, Tradierung und Transformation, S. 236, ist dem Text nicht zu entnehmen; vgl. mit Bezug auf Chrétien und die Textgenese des Romans bereits Nitze, Myth of the Fountain, S. 174. Bei der Ankunft Artus’ an der Quelle ist auch von den Herrlichkeiten des Ortes keine Rede, was jedoch nicht dazu veranlasst, sie gleichfalls als nicht mehr vorhanden anzunehmen. Die ausbleibende Erwähnung erklärt sich schon damit, dass die Artusritter bereits von ihnen wissen und eine Schilderung ihrer Verwunderung nur redundant wäre. Überdies bringt dies die schon vorgeprägte und eingeschränkte Perspektive der Artusritter auf die Quelle zum Ausdruck; vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 5.1.4. Cassirer, Das mythische Denken, S. 131. Ebd., S. 137 f., Hervorhebung dort. Ebd., S. 138. Auch bei Chrétien ist von diesem droit (V. 373) die Rede. Köhler zählt die Brunnenaventiure im Yvain zu den „costumes, deren Mißbrauch vom Helden des Romans abgestellt wird, die aber weiterbestehen“; Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 206 mit 208; Köhler geht von einem Missbrauch durch Esclados aus, der darin liege, dass er nicht im Dienste Artus’ stehe und daher vom Artusritter rechtmäßig bekämpft und die Gewährleistung der costume übernommen werde; vgl.
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delt dieser, wenn er den Stein übergießt, nicht zuletzt auch deshalb, da er nâch âventiure reit und er der Auffassung ist, ez wære eine unmanheit | ob ich dô daz verbære (V. 631–633). Kalogreant bezieht somit das reht der Quelle auf die eigene Vorstellung von Aventiure und sieht sich folgerichtig gezwungen, danach zu handeln, da schon die Präsenz der wunder für den Artusritter Herausforderung zum Kampf ist.85 In gleicher Weise stellt sich ein Zwang auch für Askalon her, der als Quellenhüter seinerseits vom reht der Quelle gleichsam herbeigerufen wird und sein Handeln nach einer expliziten Rechtsordnung ausrichtet. Er wirft Kalogreant Rechtsbruch vor, er sei triuwelôs und habe ihm niht widerseit (V. 712 f.), weshalb jetzt er den Kampf ansage: iu sî von mir widersagt (V. 720). Askalon formuliert hier mit gängiger Rechtsterminologie eine Ordnungsvorstellung, nach der er nicht nur den Angreifer verurteilt, sondern gemäß ihr auch reagiert. Damit erweist er sich als ein gleichfalls von höfischen Ordnungsvorstellungen geprägter Ritter und nicht als ein gewaltsamer und übergroßer Kämpfer, wie er zunächst Kalogreant erschien. Bis in die sprachliche Formulierung hinein konkretisiert sich diese anfangs noch indifferente Wahrnehmung Kalogreants: Das herannahende laster unde leit (V. 693) wird gewissermaßen ausdifferenziert, objektiviert und in seiner Zielrichtung verkehrt, wenn jetzt Askalon Kalogreant vorwirft, er bringe lasterlîchez leit (V. 714).86 Der anschließende Kampf resultiert zwar aus der Konfrontation an der Quelle, doch folgt er auffallend einer höfischen Ordnung zunächst in der Tjost zu Pferd (V. 739 ff.) und bei Iwein noch im anschließenden Schwertkampf (V. 1018 ff.), dass selbst got mit êren möhte sehen (V. 1021), wie der Kampf geführt wird, da ir deweder was ein zage (V. 1046).87 Und gegen Kalogreant trägt schließlich Askalon ehrenhaft den Sieg davon (V. 752 u. 756). In dieser Darstellung ist der Kampf letztlich als ordentlicher Kampf zu werten, in dem die beiderseits auf höfischen Ordnungen beruhenden Vorstellungen ausgehandelt werden. Verliert Kalogreant in diesem Kampf, macht dies nur umso deutlicher auf seine defizitäre Vorstellung von Aventiure aufmerksam. Selbst Iwein scheint hier trotz seines ehrenhaften Kampfs im Kontrast zu Askalon zu stehen, wenn er diesen âne zuht (V. 1056) noch bis auf seine Burg ver-
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ebd., S. 209. Köhlers Deutung zielt jedoch zu einseitig auf eine Kontrastierung Esclados mit dem Artushof, die gerade an den im Roman beschriebenen Rechtsvorstellungen scheitert. Vgl. Mertens, Artusroman, S. 65: „Das Brunnenabenteuer ist, ähnlich wie die Hirschjagd im Erec, ein Brauch, eine costume (V. 2102), aber nicht am Artushof, sondern außerhalb, ähnlich wie Joie de la cort. Daher ist sie als Institution eine Provokation […]. Die Tatsache, daß es noch einen Bereich, der durch Kampf integrierbar wäre, außerhalb des Artushofes gibt, stellt die Superiorität […] in Frage. Sobald das bekannt wird, muß Artus sich dorthin begeben.“ Vgl. auch Mertens, Recht und Abenteuer, S. 203. Der Herannahende erweist sich als Ritter und nicht als Dämon oder andere mythische Gestalt, als die er in der Erzähltradition durchaus angelegt gewesen sein mag, was hier jedoch nicht weiter verfolgt zu werden braucht; vgl. Warning, Identitätskonstitution, S. 571; zum mythischen Hintergrund Askalons Loomis, Arthurian Tradition, S. 278–285. Vgl. zum höfisch geführten Kampf Mertens, Laudine, S. 48 f.
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folgt.88 Die Quelle im Wald ist letztlich aber der Ort der Konfrontation, an dem die Frage nach der rechten Ordnung virulent wird. Und wie keine klare Abgrenzung der jeweiligen Vorstellungen möglich ist, zeigt sich keine konkrete topographische Zuordnung der Quelle. Bezüglich der räumlichen Gliederung im Roman ist zunächst festzuhalten, dass sich die Quelle inmitten des Waldes von Breziljân befindet und von daher schon einem Bereich zugeordnet ist, der im Artusroman immer schon als Sonderraum ausgewiesen ist. Der Wald selbst ist jedoch weniger Gegenstand der Darstellung, als vielmehr der Weg beschrieben wird, den Kalogreant dorthin zurücklegen muss. Dieser Weg veranschaulicht mit seinen einzelnen Stationen die sukzessive Annäherung an die Quelle, die Zielpunkt und vorgesehener Wendepunkt der Aventiure ist: Iwein selbst rekapituliert die Stationen vor seinem Aufbruch und nennt den stîc (V. 927), die schœnen juncvrouwen (V. 930) und den vil ungetânen man (V. 934), bis er den stein unde den brunnen (V. 937) erreichen wird, wo sich sein Schicksal entscheiden werde. Folgt man der genaueren Beschreibung Kalogreants, zeigt sich überdies, dass der Weg zugleich in zunehmendem Maß eine Entfernung vom Hof, mithin einen Weg in die Fremde darstellt: Kalogreant wendet sich zunächst nach Rechts, zur zeswen hant (V. 265), und findet dort einen stîc […] der was vil rûch unde enge: | durch dorne unde durch gedrenge (V. 266–268). Gemäß christlicher Richtungssymbolik ist es der beschwerliche Weg, der ihn zunächst in grôze arbeit (V. 271), doch dann auch wieder ûz der wilde (V. 275) führt.89 Er kommt zu einer prächtigen Burg, deren Herr ihn höfisch empfängt, den Weg segnet, auf dem er gekommen ist (V. 357–359), und dessen Tochter ihn umsorgt, dass er gerne für immer dort geblieben wäre (V. 325). Dem Burgherrn kommt zwar nahezu jede höfische Charakterisierung zu, doch hat er noch nie von âventiure gehört (V. 375– 377). Hartmann hat hier eine signifikante Änderung gegenüber Chrétien vorgenommen, bei dem der Burgherr schon so manchen chevalier errant beherbergt hat (V. 259 f.). Damit führt Hartmann ein entscheidendes Detail an, über das der Burgherr gerade nicht mehr in jeder Hinsicht derselben Ordnung wie Kalogreant zuzuordnen ist. Diese hier schon angedeutete Veränderung verstärkt sich auf dem weiteren Weg, der Kalogreant zurück in die wilde (V. 398) führt, wo er in dem walde verborgen | ein breitez geriute (V. 400 f.) findet. Dieser neue Schauplatz stellt gleichsam als Negativfolie zur höfi88
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Dieser Vers hat in der Forschung zu unterschiedlichen Deutungen geführt, da die Frage gestellt wurde, ob hier ein unhöfisches Verhalten seitens Iweins angedeutet ist. Auf die einzelnen Deutungsmöglichkeiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, verwiesen sei auf Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 204, sowie Mertens, Stellenkommentar, S. 994, mit weiterer Literatur. Anzumerken ist jedoch, dass auch Askalons Flucht vor dem Gegner sicher nicht höfischem Ideal entspricht; vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 166. Der viel zitierte Vers ist daher im Zusammenhang mit seinem unmittelbaren Kontext zu sehen (V. 1051–1059). Vgl. zu diesem bekannten Motiv Deitmaring, Bedeutung von Rechts und Links, S. 290; vgl. auch Trachsler, Der Weg, S. 211, sowie Kapitel 4.3.1. Schröder, Schauplätze, S. 169 f., hat darauf hingewiesen, dass die Richtungsangabe hier nicht im strengen Sinne heilsgeschichtlich zu bewerten sei, wenn auch die Parallele zur christlichen Deutung nicht zu übersehen sei.
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schen Burg mit Anzeichen von Unkenntnis jetzt einen wilden Ort dar, der Anzeichen einer Kultivierung zumindest aufweist. In Steigerung ist dann auch am Tag nach der Begegnung mit der schönen Tochter jetzt die swære ougenweide (V. 404) zu sehen, die sich Kalogreant in Gestalt des walttôren (V. 440) zeigt. In der antropomorphen Beschreibung durch Kalogreant, die überdies einer klassischen Descriptio folgt,90 ereignet sich dabei „eine merkliche Verschiebung vom Unhöfischen zum Unmenschlichen“,91 die folgerichtig in die Frage mündet: ‚bistu übel ode guot?‘ (V. 483). Kalogreant ist bei diesem Waldmenschen somit bereits an einen Ort gekommen, an dem ihm eine Rückversicherung auf höfische Ordnungen nicht mehr möglich ist, und deren Wertmaßstäbe zudem offensichtlich infrage gestellt werden. Der Wilde zeigt dann allerdings durchaus auch kultivierte Züge,92 was nicht zuletzt an seiner Haltung gegenüber Kalogreants Definition von Aventiure deutlich wird (V. 544–549).93 Er weist ihm schließlich den Weg zur Quelle, die er schon über kurzer mîle drî (V. 554) finden werde, folge er dem stîc ze der winstern hant (V. 599).94 Auffallend und kaum überraschend hat sich die Richtungsweisung umgedreht und Kalogreant folgt fortan nicht mehr dem nach christlicher Symbolik rechten Weg, sondern wendet sich zur Linken. Dort kommt Kalogreant zur Quelle, die Ziel- und Endpunkt seines Weges ist: er vuor des endes (V. 600). Diese ausführliche Wegbeschreibung macht deutlich, dass sich Kalogreant ausgehend vom Artushof sukzessiv der Quelle annähert. Klassische Topoi der Grenzüberschreitung sind immer wieder im Durchqueren des wilden Waldes angeführt und machen umso aufmerksamer auf die jeweils erreichten Schauplätze. Diese weisen eine sich steigernde Entfremdung vom Artusbereich auf, wie auch deren Herren zunehmend unwissend und fremd erscheinen. Am Ende dreht sich selbst noch die Richtung des Weges um, bis der Artusritter an den fremden Ort der Quelle kommt. Die markierten Grenzen scheiden dabei allerdings lediglich die Schauplätze entlang des Weges, das Ziel selbst liegt dann inmitten des Waldes. Häufig bezeichnete die Forschung den Ort der wundersamen Quelle als einen jenseitigen Ort unter Hinweis auf die zahlreichen traditionellen Motive einer keltischen Anderen Welt. Schon der beschwerliche Weg dorthin kann als ikonisch konstant in mythi90 91
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Vgl. Salmon, The Wild Man, S. 521 u. 525. Brandt, Beschreibung häßlicher Menschen, S. 271. Brandt zeigt zudem, wie die Beschreibung durch Kalogreant schon hier in subjektiver Färbung die Distanz des Erzählers zu seinen Zuhörern am Artushof reduziert; vgl. ebd., S. 270. Dies erzeugt zunächst eine Spannung, die auch die Angst Kalogreants begründet, und bereitet gleichsam auf die Situation an der Quelle vor. Diese fügen sich in die beschriebene Topographie ein, wie überdies der Wilde kulturelle Techniken gleichsam demonstriert, wenn er die furchterregenden wilden Tiere in Zaum hält; vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 121; Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 360 f. Vgl. Haug, Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘, S. 228. Bezeichnenderweise hat Hartmann auch hier eine Änderung gegenüber Chrétien vorgenommen. Calogrenanz bittet dort um einen Hinweis: ou d’avanture ou de mervoille (V. 366); Chrétien unterscheidet somit deutlich zwischen Aventiure und Wunder, wohingegen Hartmann auf die Aventiure abhebt, womit er schon jetzt die Indifferenz der kommenden Situation vorbereitet.
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schen Erzählungen von Jenseitsfahrten gelten.95 Schwierigkeiten bereitete jedoch stets die Frage nach der Grenze zu dieser Welt, die mal beim gastfreundlichen Herrn an der Burg,96 mal beim wegweisenden Wilden im Wald vermutet wurde.97 Zuletzt hat daher Andreas Hammer darauf hingewiesen, dass „die räumlichen Bezüge nicht klar nachvollziehbar sind“.98 Die Wildnis erfüllt für Hammer jedoch offensichtlich die Funktion einer Limitation des Zugangs, die nicht zuletzt auch mit der Figur des wilden Mannes, der zugleich Mensch und Teil der Wildnis ist, als „Schwelle“ gekennzeichnet sei.99 Dennoch ergäben sich „Unstimmigkeiten“, die Hammer mit Blick auf die grundsätzliche Differenz zum Hof auflösen möchte: „Alles, was sich außerhalb des Hofes abspielt, ist gewissermaßen eine andere Welt, die Welt der aventiuren, zu der es keine Abgrenzungen und keinen Zwischenraum gibt.“100 Diesen Beobachtungen kann insofern zugestimmt werden, als durchaus keine deutliche Grenze zwischen dem unmittelbaren Einflussgebiet des Artushofs und einem anderen, mithin mythischen Ort auszumachen ist, wenngleich ein Kontrast zwischen Anfangs- und Endpunkt des Weges offensichtlich ist. Die einzelnen Übergänge, die durchaus deutlich angezeigt sind, markieren jedoch weniger eine konkrete „Schwelle“ zu einer anderen Welt außerhalb des Hofs, sondern vielmehr eine über Etappen inszenierte Veränderung, die sich entlang dem Weg sukzessive vollzieht. Der Weg verwischt dabei eher die Grenze zwischen Anfang und Ende, als dass er sie zu erkennen gibt.101 Der Raum der Quelle ist somit aber offen und nicht als eine Gegenwelt nach mythosanaloger Raumkonzeption zu bestimmen.102 Eine Limitation des Zugangs mag in my95
Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 137–140 u. 144; Braches, Jenseitsmotive, S. 166. Ó Riain-Raedel erkennt im gastfreundlichen Wirt „einen ‚Vermittler‘ aus der Anderen Welt“, weshalb sie die Grenze zu dieser schon an der Burg vermutet, schon dort „befindet er [Kalogreant] sich in der Anderen Welt“; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 143 u. 170; vgl. auch zum Yvain LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 186; zum mythischen Motiv des Wirtes siehe Loomis, Arthurian Tradition, S. 278–285. 97 Braches, Jenseitsmotive, S. 166, sieht im wilden Waldmann den traditionellen „Wärter, der den Zugang zur Anderen Welt bewacht“; zum mythischen Motiv des Wegweisers siehe Ó RiainRaedel, Zur mythischen Struktur, S. 140–142, ferner Loomis, Arthurian Tradition, S. 285–289. 98 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 233. 99 Vgl. ebd., S. 234; Hammer tendiert zugleich aber dazu, die Burg des gastfreundlichen Wirtes „quasi an der Schwelle zum mythischen Raum“ zu situieren; ebd., S. 248. Cormeau sieht die „Limitation des Zugangs“ dagegen erst an der Quelle; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 203. 100 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 234. 101 Jacques LeGoff hat für den Yvain die einzelnen Räume hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit beschrieben und eine vergleichbare Abfolge aufgestellt, die jedoch insofern nicht ganz überzeugen kann, als LeGoff zu sehr auf Ausschließlichkeiten abzielt und „den Raum der Kultur, den Raum der wilden Natur und den Raum des gastfreundlichen und femininen Jenseits“ zu sehr voneinander abgrenzt; LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 188. Udo Friedrich betont daher entsprechend auch die Interferenzen der einzelnen Räume; vgl. Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 359 f. 102 Die Raumkonzeption der Quelle unterscheidet sich hier grundsätzlich von der des Baumgartens zu Brandigan im Erec, die mythosanalog eine deutliche Grenzziehung aufweist, wie sie Cassirer für 96
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thopoetischer Aufnahme der Motive des wegweisenden Wilden oder auch des gastfreundlichen Wirtes angelegt sein, doch nicht in einer auf den auserwählten Helden bezogenen Ausschließlichkeit,103 denn nach Kalogreant ist es Iwein, der zu dieser Quelle kommt, und auch Artus bricht mit aller sîner maht (V. 902) auf und kommt zuo dem brunnen mit her (V. 2449). Auch das Geschehen an der Quelle ist nicht auf einen geschlossenen Raum beschränkt. Zwar bleibt allein die Linde unbeschadet beim Unwetter, doch wird der umliegende Wald verwüstet, der wart sô blôz | unde des loubes als lære (V. 660 f.), dass Askalon noch nach dem Unwetter hierauf aufmerksam macht (V. 716 f.). Ebenso bleibt der Kampf mit Iwein nicht an diesen Ort gebunden und setzt sich mit der Flucht noch bis zur Burg Askalons fort. Nicht zuletzt ist hervorzuheben, dass direkt neben der Quelle eine Kapelle steht, worauf schon der Wilde hinweist: dâ stêt ein kapel bî: | diu ist schœne unde aber cleine (V. 566 f.).104 Damit ist jegliche Deutung des Ortes als geschlossener mythischer Raum abgewiesen. Die Quelle befindet sich im grundsätzlich offenen Raum der Aventiure, zu der Kalogreant vom Artushof aufbricht. Sie erscheint für ihn als der Punkt der äußersten Entfernung vom Hof, als Punkt des endes (V. 600), von dem er – idealerweise nach den Worten des Wilden – seinen Rückweg, seine widerkêre (V. 557), antreten kann. Der wiederholte Aufenthalt auf der Burg zeigt die Kreisbewegung des Aventiureritters an, der sich dem Hof wieder allmählich annähert. Doch auch für Askalon ist die Quelle ein Ort, bis zu dem er ausreitet und von dem er wieder kêrte (V. 1055).105 Die Quelle ist nach allen Seiten offen, wenngleich sie schwer zu erreichen ist.106 Sie erscheint mithin als ein Zentrum, auf das die Handlung von verschiedenen Seiten zusteuert, gleichsam wie die Wolken aus allen vier Himmelsrichtungen, in vier enden (V. 643), aufziehen, sodass Kalogreant im Unwetter in allen enden umbe mich | wol tûsent tûsent blicke (V. 648 f.) fürchten muss. Die Quelle befindet sich nicht in einem abgeschlossenen Raum, sie befindet sich im Wald, der als solcher im Artusroman zwar bereits eine Sonderstellung einnimmt, doch das mythische Denken als konstitutiv beschrieben hat; vgl. zum Erec Kapitel 4.3.2 sowie zur mythischen Raumordnung nach Cassirer Kapitel 3.1.2. Für Hammer erklärt sich dagegen die geographische Situation „mit Hilfe einer mythischen Raumkonzeption“, wofür er jedoch keine konkreten Hinweise oder Belege gibt, sondern es vielmehr „bei diesen grundsätzlichen Hinweisen auf das mythische Denken“ belassen möchte, nach denen „nachvollziehbare Eigenschaften nachranging“ seien; Hammer, Tradierung und Transformation, S. 236. 103 Anders sieht dies Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 139 f. 104 Die Kapelle mag – so vermutet Ó Riain-Raedel – vielleicht in einer früheren Erzählung eine besondere Funktion erfüllt haben, die ihr hier nicht mehr zukomme; vgl. ebd., S. 157 f. Später wird Lunete in dieser Kapelle eingeschlossen sein, worauf hier bereits hingewiesen sein kann. 105 An dieser Stelle natürlich im Rahmen der Flucht, doch ist mit der Iteration des Geschehens zugleich vom wiederholten Kommen und Gehen Askalons auszugehen. 106 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 235 f., sieht in den Fallgittern der Burg Askalons eine Limitation des Zugangs auch auf dieser Seite. Die Fallgitter sind jedoch in erster Linie der Zugang zur Burg und weniger eine Grenze zur Quelle.
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als Raum der Aventiure grundsätzlich offen und zugänglich ist, ja als Bewährungsort der Artusritter offen und zugänglich sein muss. In diesem Wald nimmt sie eine zentrale Position ein, als Zentrum auch der Handlung. Die Beschwerlichkeit des Zugangs verdeutlicht noch ihre herausgehobene Stellung, die sie zwischen dem Artushof und anderen umliegenden Herrschaftsgebieten einnimmt. Sie ist Herausforderung und notwendiges Ziel der Bewährung, für die Artusritter wie für den Quellenhüter, der dort in gleicher Weise zur Behauptung seiner Ehre kämpft.107 Die Quelle kann somit gleichsam selbst als eine Grenze angesehen werden, was durch ihre Lokalisierung im Wald in konstitutiver Weise noch unterstrichen wird.108 An ihr wird die Frage nach der rechten Ordnung virulent, an ihr überkreuzen sich anscheinend divergente Vorstellungen, die gegeneinander ausgespielt und behauptet werden müssen. Im geregelten und stets ehrenhaften Kampf offenbart sich schließlich deren Äquivalenz, doch zugleich auch eine mögliche Defizienz, die sich an der Quelle und in Befolgung ihres Rechts erst zu erkennen gibt. Die Quelle gibt hier eine Art Richtschnur vor, an der Relationen deutlich werden, ohne aufgelöst oder gar expliziert zu werden. Sie ist Fluchtpunkt, auf den alles zusteuert, nach dem sich alles ausrichtet, und sie vergegenwärtigt in ihrer Zeitlosigkeit eine allgemein zugrunde liegende, nach Blumenberg als mythisch zu bestimmende Bedeutsamkeit.109 Diese unaufgeklärt bleibende und dauernde Bedeutsamkeit zielt letztlich aber auf die Bestätigung einer rechten Ordnung, mithin auf die Ordnung einer Unordnung. So bringt die Quelle gerade dieses Prinzip der Veränderung zur Anschauung. Die Befolgung ihres Rechts setzt einen Prozess in Gang, der vorübergehendes Leid bewirkt, doch letzthin Ehre einbringen kann: Die Quelle ist ein zeitloser Ort der Veränderung, die immer wieder aktiviert und aktualisiert wird, um angenommen zu werden. Dieserart ist sie geradezu selbst als eine Schwelle zu bezeichnen, die auf diese zeitliche Veränderung hin angelegt und zeitlos ausgerichtet ist. Cassirer beschreibt für das mythische Denken solche zeitlichen Schwellen, für deren Übertreten „ganz bestimmte sakrale Vorschriften“ gelten.110 Es sind „sorgfältig zu beachtende Übergangsriten“, die eine Initiation begleiten und nicht zuletzt „den Eintritt in 107
Askalon kämpft dabei natürlich in erster Linie zur Verteidigung der Quelle. Später erst wird sich herausstellen, dass dies der Verteidigung seines Landes gleichkommt, wozu er als Herrscher verpflichtet ist. Damit aber ist der erfolgreiche Kampf an der Quelle notwendige Voraussetzung zur Wahrung der herrscherlichen Ehre. 108 Zum Wald als Grenze siehe Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 36. In diese Richtung zielt auch die Deutung von Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 203. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 147, sieht dann vor allem in den aufziehenden Wolken das entsprechende mythische Motiv der Grenze. Letztlich bleibt sie aber ihrer Unterscheidung einer diesseitigen von einer jenseitigen Welt verpflichtet, weshalb sie in der Handlung an der Quelle einzig auch den Zweck sieht, „Kontakt zur Anderen Welt herzustellen“; ebd., S. 165. 109 Schröder, Schauplätze, S. 305, nennt den Brunnenschauplatz einen „Konvergenzpunkt“, an dem die Handlungslinien zusammenlaufen und der somit eine „Hinweisfunktion“ erhält für entscheidende Situationen. 110 Cassirer, Das mythische Denken, S. 128; vgl. auch ebd., S. 134 f.
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jede neue Lebensphase, den Übergang von der Kindheit zur Mannbarkeit, von der Ehelosigkeit zur Ehe, den Übergang zur Mutterschaft usf. regeln“.111 Mit dem reht der Quelle, das mit dem Übergießen des Steins eine konkrete Handlungsanweisung vorgibt, ist eine solche Regel in ihrer mythosanalogen Form und Wirkung adäquat umgesetzt.112 Und in dieser Form wird das reht der Quelle von den Figuren des Romans auch angenommen: Kalogreant beschließt, den Stein zu übergießen, da ez wære eine unmanheit, dies zu unterlassen (V. 630–634). Und auch Iwein bezieht das von Kalogreant Gehörte auf die Möglichkeit, sich vor den Artusrittern zu beweisen und rîterschaft zu erlangen (V. 913). Doch während Kalogreant ohne Zugewinn an Ehre seinen Rückweg antreten muss und auch in der Folge nichts Besseres erlebt habe, was es sich zu erzählen lohne (V. 799 f.),113 kann erst Iwein diese Schwelle überschreiten. Seine Motivation zum Kampf, die über das Motiv der Rache für seinen Vetter hinausgehend vor allem im individuellen Ehrerwerb zu sehen und mit dem auf die wunder der Quelle bezogenen Motiv der Neugier auffallend überbestimmt und zugleich offen ist,114 lenkt die Aufmerksamkeit jetzt umso deutlicher auf die Folgen seines Übertritts.115 Dass es für ihn im Kampf an der Quelle jedoch nicht einzig um den Erwerb ritterlicher Ehre geht, verdeutlicht schon jetzt, dass er nicht wie sein Vorgänger die widerkêre antritt, sondern den Quellenhüter bis zu seiner Burg verfolgt. In Sukzession Askalons wird sich erst die Offenheit der in der Geschichte überdeterminierten Motivation schließen. Erst die Ereignisse vom Kampf bis zur Übernahme der Herrschaft im fremden Land konkretisieren auch die in der Quelle angelegte Bedeutsamkeit.
5.1.3 Vom Kampf zur Herrschaft Die Handlung, die sich an den Kampf Iweins gegen Askalon an der Quelle anschließt, durchbricht gewissermaßen die vorgegebene Struktur der Erzählung Kalogreants und folgt erwartungsgemäß neuen Motiven in einer veränderten Situation. Ist Iwein anfangs bestrebt, die Nachfolge Kalogreants anzutreten, um ihn nicht nur zu rächen und die gestörte Ordnung am Hof wieder herzustellen, sondern vor allem auch um die eigene Ritterschaft aktiv unter Beweis zu stellen, sind es nicht zuletzt auch die wunder der Quelle, die über das Ziel der Rache hinausweisen und ihn zum Aufbruch in den Wald von Breziljan bewegen. Mit dem Sieg über den Quellenhüter löst sich Iwein schließlich 111
Ebd., S. 128. Auch das nur kurze Zeit dauernde Unwetter stützt diese Deutung, insofern als „allgemein“, so Cassirer, ebd., S. 135, „zwischen je zwei bedeutsamen Lebensepochen immer eine ‚kritische Phase‘ von kürzerer oder längerer Dauer“ liege. 113 Die Wace zitierenden Verse bei Chrétien stellen diese unveränderte Situation für Calogrenanz noch deutlicher dar, da er so zurückgekehrt sei, wie er ausgezogen war (V. 577 f.). 114 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.1.1. 115 Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 204: „Festzuhalten bleibt vorläufig eine Spannung zwischen Plan und Ergebnis.“ 112
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aus der Nachfolge Kalogreants und tritt die Nachfolge Askalons an: Nach dessen Tod wird Iwein den Platz an der Seite seiner Frau einnehmen, ihm in der Herrschaft über das Land folgen und fortan selbst die Aufgabe übernehmen, die Quelle zu verteidigen. Das Geschehen an der Quelle markiert mithin den Moment, von dem an eine grundlegende Veränderung in der Geschichte Iweins eintritt, und es markiert zugleich einen Wendepunkt in der Erzählung. Im Folgenden gilt es diesen Veränderungen nachzugehen, um die Position und Funktion der Quelle innerhalb des Erzählprozesses zu bestimmen. Schon mit der Tötung Askalons gibt sich eine Verkehrung der Situation sogleich zu erkennen. An der Quelle kann Iwein seinen Gegner zunächst nur schwer verwunden und verfolgt den Fliehenden bis zu dessen Burg, damit er ihn erslüege ode vienge (V. 1063), da er sonst mit niemen möhte | erziugen dise geschiht (V. 1068 f.). Er fürchtet den Spott Keies, der im an sîn êre (V. 1071) gehen würde, und so setzt er alles daran, diese seine Ehre nun endgültig zu erlangen und zu beweisen. Erst am Tor der Burg holt er seinen Gegner ein und löst gerade in dem Moment, zen selben stunden, als er dem wirte eine wunden schlägt (V. 1105 f.), einen verborgenen Mechanismus zweier Fallgatter aus, vor denen der tödlich verwundete Askalon gerade noch ins Innere der Burg entkommt, während Iwein zwischen ihnen eingeschlossen bleibt (V. 1128 f.). Und mit dem tödlichen Schlag auf Askalon hat sich die Situation augenblicklich verkehrt: Wollte Iwein seinen Gegner noch gefangen nehmen, ist er selbst jetzt der Gefangene und kann weder vür noch wider (V. 1126). Zwischen den Gattern spielt sich die weitere Handlung ab, die einem grundlegenden Wandel gleichkommt.116 Iwein wird gezwungenermaßen zum passiven Erdulder seiner Situation, zur unsichtbar fremden Figur und zum stillen Beobachter einer sichtbar gestörten Ordnung: Iwein ist der neuen und unbekannten Situation regelrecht ausgeliefert, auf die er selbst auch keinen Einfluss nehmen kann. Die Gefangenschaft zwischen den Fallgattern bringt dies überdeutlich zur Darstellung, die schon Folge eines glücklichen Zufalls ist, was der Erzähler ausholend zu erklären versucht: Seien vor ihm schon manec man (V. 1094) in dieser Situation ums Leben gekommen, habe ihm ein unerwartet glücklicher Umstand geholfen. Denn Iwein – so der Erzähler – genas als ich iu sage. er het sich nâch dem slage hin vür geneiget unde ergeben: alsus beleip im daz leben, dô daz tor her nider sleif, deiz im den lîp niht begreif. unde sluoc, als ich vernomen habe, daz ros zemittem satel abe, […] er genas als ein sælec man. (V. 1107–1118) 116
Vgl. hierzu auch die Bestimmung der Situation als liminalen Zustand für den Helden von Hammer, Tradierung und Transformation, S. 235 f.
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Der Erzähler beruft sich auf Gehörtes, um dieses anscheinend schwer nachvollziehbare, da allzu glücklich verlaufene Geschehen zu beglaubigen. Er ist gleichsam selbst nur Beobachter einer Situation, die sich auch im Folgenden immer weniger erklärt: Eingeschlossen im Torturm sucht Iwein nach allen Seiten einen Ausgang, doch er envant venster noch tür | dâ er ûz möhte (V. 1146 f.). Dennoch wird nach nur kurzer Zeit und scheinbar aus dem Nichts ein türlîn ûf getân (V. 1151), durch das eine rîterlîche magt (V. 1153) zu ihm kommt. Es ist Lunete, die den Tod ihres Herrn beklagt, Iwein vor den Folgen seiner Tat warnt und ihm beistehen möchte. Diese plötzliche und nicht zu erwartende Unterstützung seitens der Iwein unbekannten Magd begründet diese damit, dass sie ihn als den Ritter erkennt, der ihr früher einmal am Artushof trotz ihrer anscheinenden unhövscheit (V. 1189) mit höfischem Verhalten begegnet sei.117 Im Gegenzug gibt sie ihm eilig ein mit einem Stein besetztes vingerlîn, das ihn unsichtbar mache und vor der drohenden Gefahr, entdeckt zu werden, bewahren solle (V. 1203– 1210).118 So bleibt Iwein vor den den Mörder ihres Herrn suchenden Rittern unentdeckt, die sich sein Verschwinden nicht anders erklären können als mit sînem zouberliste (V. 1284). Allein nur mit zouber (V. 1369) sei es zu erklären, dass es vil wunderlîche (V. 1383) habe so weit kommen können.119 Der Erzähler schließt hier an und führt Iweins Schicksal auf eine einfache list zurück: bî sîner genist nim ich war, unz der man niht veige enist, sô nert in ein vil cleiner list. (V. 1298–1300)
Mit der erzwungenen Passivität Iweins bleibt die Handlung hier im Ungewissen, stagniert in gesteigerter Spannung und Bedrohlichkeit der Situation. Ihr ungewisser Fortgang bleibt ganz im Unerklärlichen aufgehoben, für den Erzähler und vor allem auch für die einzig agierenden Personen, für die Iwein nicht nur fremd und unerkannt ist, sondern zunehmend auch fremdartig und wundersam. Es sind der unerwartet glückliche Zufall, das plötzliche Erscheinen der unbekannten Dienerin und schließlich der unsichtbar machende Zauberring, die einzig dem Helden zugute kommen. Es ist gleichsam die 117
Aus der Perspektive Lunetes bestätigt sich nochmals die Exklusivität des Artuskreises, wie sie sich schon zu Beginn des Romans in auch fragwürdigem Licht darstellt; vgl. Zutt, Die unhöfische Lunete, S. 109 f. Lunete gibt zugleich zwar eine Begründung für ihr Verhalten gegenüber Iwein, doch überdeckt diese nicht die unerklärt bleibende Unterstützung für ihn, der schließlich ihren Herrn getötet hat; vgl. ebd., S. 113 f. 118 Der unsichtbar machende Ring gehört zu den ältesten Märchenmotiven und mag im Besitz Lunetes auch an den motivgeschichtlichen Ursprung in Feenmärchen erinnern; vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 293–300; Lange, Literaturbeziehungen, S. 180. Eine mythische Lesart Lunetes ergibt sich im Roman jedoch ebensowenig wie für den gesamten Hof Laudines. Ihr plötzliches Erscheinen mit dem Zauberring ist im Kontext der hier beschriebenen Unsicherheit der Erzählung zu sehen und damit ausreichend motiviert; vgl. schon Braches, Jenseitsmotive, S. 169. Bertau, Ritter, S. 287 u. 292, deutet ihn als bildhaften und hyperbolischen Ausdruck der Wertschätzung und Unterstützung Iweins durch Lunete. 119 Vgl. zu dieser Szene insgesamt auch Keller, Kampf gegen einen Unsichtbaren.
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list der Erzählung, die sich als zouberlist im Erzählten offenbart120 und die Geschichte unvermittelt vorantreibt auf ein vorerst nicht näher zu bestimmendes Ziel. Iweins Gefangenschaft im Torturm, auf der Grenze zwischen innen und außen, zwischen seiner begangenen Tat und dem kommenden Geschehen, veranschaulicht diese unmotivierte Stagnation der Handlung, die der neuen Motivation erst noch bedarf. Und erst der Blick aus seinem Gefängnis eröffnet neue Aussichten: er sach zuo im gebâret tragen den wirt den er dâ het erslagen. unde nâch der bâre gienc ein wîp, daz er nie wîbes lîp alsô schœnen gesach. (V. 1305–1309)
Iwein sieht den von ihm getöteten Askalon und er sieht dessen wunderschöne Frau. Und beim Anblick Laudines steht ihm das von ihm verursachte Leid gleichsam von Augen. Im fürchterlichen Klagen steht die Herrin des Landes neben ihrem toten Mann, dass ez erzeigten ir gebærde | ir herzen beswærde | an dem lîbe unde an der stimme (V. 1321– 1323). Hartmann beschreibt die klagende Laudine in auffallender Korrespondenz zu Enite121 und bringt in noch gesteigertem Maß die Störung der von ihr als Herrscherin des Landes repräsentierten Ordnung zur Darstellung.122 Doch Iwein nimmt einzig ihre Schönheit wahr. Geblendet ist er von ihrer Erscheinung, daz im ir minne | verkêrten die sinne, | daz er sîn selbes vergaz (V. 1335–1337).123 Im Stillen beklagt er, ihr mit seiner Tat so großes ungemach (V. 1349) zugefügt zu haben und daz er sîner vîendinne | truoc sô grôze minne (V. 1423 f.). Die bereits hier angelegte Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz, die Iwein einzig gegenüber Laudine empfindet, setzt sich in eindringlicher Steigerung in der folgenden Fensterszene fort. Aufs Neue kommt Lunete, die – wiederum unerwartet – ein venster ob im ûf tete (V. 1450). Iwein sieht Laudine, wie sie klagend am Grab ihres Mannes steht, besinnt sich ihrer Minne und in gleicher Weise seines Kampfs gegen Askalon: 120
Einen ähnlichen Bezug stellt auch Wandhoff, Der epische Blick, S. 251 f., her. Der Text weist hier zahlreiche Übereinstimmungen mit dem Erec auf, aus dem Hartmann offensichtlich für die Beschreibung Laudines Anleihen genommen hat. Wie Enite in Tulmein scheint auch ihr Körper durch die zerrissene Kleidung (V. 1331; vgl. Erec v. 329), wie diese in Brandigan fällt auch sie in Ohnmacht, dass der liehte tac wart ir ein naht (V. 1326; vgl. Erec v. 8827), und ihre Klage um den toten Ehemann erinnert unverkennbar mit dem Motiv des Selbstmords an die Klage Enites um Erec (V. 1460–1477; vgl. Erec V. 5775 ff.). Schließlich mag eine direkte Anspielung darin zu sehen sein, wenn Iwein sich die Frage stellt: wem wære sî gelîch (V. 1684), um dann Gottes vlîz (V. 1688; vgl. Erec v. 339) hervorzuheben, durch den sie wie ein engel (V. 1690; vgl. Erec v. 1843) erscheint. 122 Vgl. Philipowski, Geste und Inszenierung, S. 468 f. 123 Iwein sieht nicht nur Laudine, sondern ebenso deren Minne zum toten Mann, was seine Liebe durch das Mitleid noch steigert; vgl. Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 300; ferner Raudszus, Zeichensprache der Kleidung, S. 90. Daneben erkennt er die Trauer der Leute, doch bleiben sie ihm gleichgültig, was der Erzähler hervorhebt (V. 1439–1445).
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Hartmanns Iwein
Swie im sîne sinne von der kraft der minne vil sêre wæren überladen, doch gedâht er an einen schaden, daz er niht überwunde den spot den er vunde, swenner sînen gelingen mit deheinen schînlichen dingen ze hove erziugen möhte, waz im danne töhte elliu sîn arbeit. […] dise sorgen beide die tâten im gelîche wê. (V. 1519–1535)
Iwein bekümmert die Minne, die er zu Laudine empfindet, doch sorgt ihn noch immer seine Ehre, für die er am Artushof einen Beweis erbringen muss. Es sind dise sorgen beide, Minne und Ehre, die in gleicher Weise auf ihm lasten,124 bis plötzlich ein Wandel einsetzt: vil schiere wart des einen mê: vrou Minne nam die oberhant, daz si in vienc unde bant. (V. 1536–1538)
Iwein erkennt in einem langen Gedankenmonolog (V. 1610–1690) die Macht der Minne, der er unumgänglich ausgeliefert ist und die für ihn Freude, doch zugleich Leid bedeutet: herre Îwein saz verborgen | in vreuden unde in sorgen (V. 1691 f.). Seine Ausweglosigkeit aus dieser Situation wird dann gewissermaßen noch bestätigt, wenn – in aktualisierender Erinnerung seiner Gefangenschaft – die Tore erneut geschlossen werden (V. 1707 f.), doch: im schuof daz venster guot gemach (V. 1693). Die Gefangenschaft Iweins bringt seine Situation adäquat zur Darstellung. Das wiederholte Schließen der Türen markiert mithin auch einen Rahmen, innerhalb dessen die Handlung stagniert und der neuen Motivation bedarf. Und es ist gleichsam der Blick aus dem Fenster, der eine neue Perspektive auch für die Erzählung nachhaltig eröffnet. So ist Iwein zwar noch immer von seinen nœten zwein (V. 1724) bedrückt, doch ist ihm die Ehre nun gleichgültig gegenüber der Minne zu Laudine,125 da im gar unmære elliu diu êre wære diu im anders möhte geschehen, ern müese sîne vrouwen sehen, von der er was gevangen. (V. 1733–1737)
Bezieht sich das Motiv des individuellen Ehrgewinns noch auf den Artushof, weshalb er zur Quelle im Wald aufgebrochen war, ändert sich die Richtung im Anschluss an den 124 125
Bezeichnenderweise ist von einer Rache für Kalogreant nicht mehr die Rede. Eine „Interessensverschiebung“ erkennen Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 205.
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Kampf mit der Tötung Askalons und Iweins Blick auf sîne vrouwen. Die zitierten Verse sind im Hinblick auf ihr Objekt dabei auffallend undeutlich, doch bringen sie nicht nur die weitere Motivation zum Ausdruck, sondern zugleich auch die der kommenden Erzählung inhärente Spannung. Ist es für Iwein der Blick auf allein nur sîne vrouwen, der ihm in der Minne ouch noch ze vreuden wân (V. 1756) Anlass gibt, ist es zugleich auch der Blick auf die am Grab ihres Mannes trauernde vrouwe des Landes, der den Umschlag von Geschehenem und Kommendem als eine Frage der Sukzession in der Herrschaft und damit als eine Frage der Ehre erkennen lässt. Diese Unbestimmtheit der Motive Minne und/oder Ehre liegt nicht nur in der Semantik des Wortes vrouwe begründet,126 sondern resultiert nicht zuletzt auch aus der „Überblendung von Erzählstimme und Figurenbewußtsein“.127 Damit erweist sich letztlich Iweins neue Motivation schon hier als zu einseitig auf die Minne bezogen.128 Lunete, die gerade jetzt, schiere (V. 1738), zu Iwein kommt, versteht ihrerseits kaum seine Hoffnung, bis sie erkennt, daz er ir vrouwen meinde (V. 1759). Dieser hier deutlich werdenden Inkongruenz der Motive129 gilt es im Folgenden weiter nachzugehen, um auch ihren jeweiligen Bezug zur Quelle darzustellen. Während Iwein selbst noch immer wegen seiner prekären Situation handlungsunfähig ist, übernimmt Lunete die weitere Initiative.130 Sie führt Iwein in einen nahegelegenen Raum, wo er sich vom Kampf erholen kann (V. 1778–1782). Der Ortswechsel kann gleichsam als Hinweis auf die nun folgende, neu einsetzende Handlung gelten, in der jedoch erneut, jetzt am Hof Laudines, die Quelle im Zentrum der Frage nach Ehre steht: Mit der Absicht, Iwein als neuen Herrn zu etablieren, begibt sich Lunete zu ir vrouwen (V. 1788). In einer langen Rede (V. 1819–1862) legt sie ihr die Notwendigkeit dar, einen neuen Verteidiger für ihre Quelle zu finden: ezn ist iu niender sô gewant, irn welt iuwern brunnen unde daz lant unde iuwer êre verliesen, sô müezet ir ettewen kiesen der in iu vriste unde bewar. 126
Beim ersten Blick auf Laudine erkennt Iwein sie entsprechend noch als ein wîp (V. 1307). Unbestimmt bleibt hier letztlich auch, wer Iwein gefangen hält, die Herrin des Landes oder vrou Minne, die in vienc unde bant (V. 1537 f.). Zur Semantik von vrouwe und wîp siehe auch Ehrismann, Ehre und Mut, S. 228–238. 127 Hübner, Erzählformen, S. 136. Hübner beschreibt hier ein fokalisierendes Erzählen in typischer Ausprägung, das auffallend an die hier beschriebene und so bezeichnete Fensterszene anschließt. 128 Eine vorangestellte Andeutung seitens des Erzählers kann schon im ausführlichen Minneexkurs gesehen werden, in dem er die Klage von der häufig anzutreffenden swachen art (V. 1571) der Minne führt, die ihr von rehte (V. 1575) nicht angemessen sei. Erst mit Iwein und Laudine komme sie zu ihrem Recht und werde sich mit Ehre verbinden: si ist rehte zuo gekêret: | si belîbet hie mit êren: | sus solde si zuo kêren (V. 1590–1592). 129 Feistner, Bewußtlosigkeit, S. 254 f., spricht von einem „Konfliktpotential“, das aus der Verbindung des anfänglichen Motivs als inklusive mit dem neuen als exklusive Identitätskomponente resultiert. 130 Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 205.
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Hartmanns Iwein
manec vrum rîter kumt noch dar der iuch des brunnen behert, enist dâ niemen der in wert. (V. 1823–1830)
Lunete hebt einzig die Verteidigung der Quelle hervor, mithin die Gefahr, mit ihr das Land und auch die Ehre zu verlieren. Sie ermahnt Laudine, dass noch mancher Ritter die Quelle aufsuchen und selbst der künec Artûs ein her (V. 1854) dorthin führen werde. In der Argumentation Lunetes geht indes erneut und deutlich hervor, wie die Quelle als Herausforderung zur ritterlichen Tat fremden Rittern, den Artusrittern zumal, erscheint. Und auch für Laudine steht der Erhalt der Ehre ganz im Vordergrund, der als herrschaftlicher Ehre die Wahrung des Friedens gleichkommt.131 Schließlich lässt sie sich von Lunete überzeugen, dass allein Iwein an die Stelle Askalons treten könne. Nicht nur habe er sich im Kampf gegen ihren Mann als besser erwiesen, sondern er erfülle auch sonst in jeder Hinsicht die notwendigen Eigenschaften, ihn zum Mann zu nehmen.132 Überdies erfordere die baldige Ankunft von Artus an der Quelle eine schnelle Entscheidung.133 Wenngleich Laudine erst keine neue Heirat eingehen möchte (V. 1916), stimmt sie ihr dennoch und allein aus politischem Kalkül zu,134 was sie selbst auch gegenüber Iwein deutlich zur Sprache bringt (V. 2310–2326) und mit ihrer Werbung entgegen der wîbe site (V. 2329) noch unterstreicht. Hartmann hat diese ausschließlich auf rationalen Beweggründen beruhende Entscheidung gegenüber seiner Vorlage entsprechend hervorgehoben. Während Chrétien mit dem für Laudine anzitierten Bild des brennenden Holzscheits ein auch vitales Begehren zumindest andeutet (V. 1777–1780),135 nennt Hartmann zwar seinerseits diu gewaltige Minne (V. 2055), die Laudine zur Seite tritt, doch erscheint sie hier als die rehtiu süenærinne | under manne unde under wibe (V. 2056 f.), womit vielmehr eine rechtliche Konnotation evoziert wird.136 So soll nach der beiderseitigen Übereinkunft die Ehe auch ausdrücklich gemäß der rechtlichen Ordnung geschlossen werden, wofür die Zustimmung der Großen des Landes eingeholt wird:137 Iwein und Laudine treten vor die Versammlung, in 131
Gegenüber Lunete stellt sie diesen Zusammenhang überdeutlich her (V. 1904–1915). Wandhoff, Iweins guter Name, S. 117, sieht schon in der Nennung von Iweins Namen einen hinreichenden Grund für Laudine, da sie ihn als geeigneten Kandidaten kennen kann. 133 Vgl. zusammenfassend Mertens, Laudine, S. 38 f. 134 Vgl. hierzu die ausführliche Darlegung ebd., S. 14–17; vgl. auch Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 15; Wolf, Einführung, S. 82. 135 Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 206. 136 Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1004, der jedoch eine gezielte Ambivalenz in dieser Formulierung nicht ausschließen möchte, die letztlich auf eine Ironisierung von Laudines Entscheidung hinauslaufen würde. An anderer Stelle macht Mertens überdies auf die juristische Determinierung des hier gewählten Begriffs wîp aufmerksam, der auch entsprechend bei der Eheschließung benutzt wird (V. 2421); vgl. Mertens, Laudine, S. 16. 137 Schon im Vorfeld hatte Laudine diese Versammlung einberufen (V. 2363 f.; vgl. auch V. 2149– 2152), was die rein rational motivierte Entscheidung unterstreicht. Zur Betonung des Rechts bei dieser Eheschließung siehe Mertens, Recht und Abenteuer, S. 193 f. 132
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der alle anwesenden Fürsten darin übereinstimmen, dass si gesæhen nie sô schœnen man (V. 2375). Der Truchsess berichtet von der drohenden Ankunft Artus’ an der Quelle (V. 2407 f.) und klärt sie über des rîters geburt unde sîn vrümcheit (V. 2412) auf, sodass alle von rehte (V. 2414) der Eheschließung mit Iwein zustimmen. Priester vollziehen die Trauung und gâben im vrouwen unde lant (V. 2420). Iwein ist somit rechtmäßiger Herrscher des Landes und tritt die Nachfolge des Quellenhüters Askalon an: des tôten ist vergezzen: der lebende hât besezzen beidiu sîn êre unde sîn lant. (V. 2435–2437)
Die Eheschließung steht ganz im Zeichen der Verteidigung des Landes und des Erhalts der Ehre, für Laudine wie für ihre Fürsten. Iwein erscheint nicht nur wegen seiner edlen Abstammung, sondern vor allem nach seinem Sieg über Askalon als der ideale Kandidat für dessen Nachfolge und so erwirbt er mit der Frau nicht nur das Land, sondern auch dessen Ehre: beidiu sîn êre unde sîn lant. Der siegreiche Kampf an der Quelle ist hierfür die Voraussetzung, wie deren Verteidigung den nachhaltigen Bestand von Land und Ehre sichert. Andreas Hammer schreibt der Quelle entsprechend eine „Repräsentationsfunktion“ zu, die „nicht zuletzt im metonymischen Verhältnis von Quelle und Laudines Reich“ begründet liege.138 Und in gleicher Weise dient sie schon für Dagmar Ó Riain-Raedel „als Angelpunkt des Geschehens und als spektakuläre Vertretung des restlichen Landes“, das mit der Heirat an Iwein schließlich übergeben wird.139 Dieser Bezug der Quelle auf letzthin Ehrgewinn stellt sich zwar unmittelbar im Kontext der Eheschließung und des Landerwerbs dar, wie er auf der anderen Seite auch im Hinblick auf die Erlangung individueller Ehre am Artushof zu beobachten war.140 Doch erschöpft sich die Bedeutung der Quelle für den narrativen Prozess hierin nur zum Teil. Der Kampf an der Quelle ist vielmehr gleichfalls Voraussetzung auch für die Minne, die Iwein infolge der Tötung Askalons erst erfährt. Der Blick auf die am Grab trauernde Frau stellt diesen Bezug unmittelbar her und wird von Iwein im Vorfeld der Eheschließung auffallend aktualisiert: Auf die Frage Laudines, wie es zur Minne zwischen ihnen gekommen sei, womit sie letztlich die gegenseitige Übereinkunft meint, beschreibt ihr Iwein, wie erst ihre Schönheit über seine Augen in seinem Herzen die Hoffnung ge138
Hammer, Tradierung und Transformation, S. 235. Ein metonymisches Verhältnis erkennt Hammer, wenn mit der Bedrohung der Quelle zugleich das ganze Land bedroht ist, was durch die unsicheren räumlichen Relationen von Burg und Quelle unterstrichen werde. 139 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 172. Die Übergabe komme dann gerade mit der „Formel vrouwe unde lant deutlich zum Ausdruck. Der mythische Hintergrund ist für all diese Formen der gleiche: der König heiratet mit der Dame das Land selbst.“ Ebd., S. 171. Iwein werde dann gar der „mythische König des Landes“; ebd., S. 174. Ein mythischer Hintergrund braucht nicht notwendig gesehen zu werden, da die Eheschließung auffallend rechtlicher Ordnung gemäß erfolgt, wenngleich keine „üblichen Wortformeln“ gebraucht werden; Mertens, Laudine, S. 16; vgl. auch Weigand, Rechtsprobleme, S. 839. 140 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5.1.1.
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weckt habe, dass sie seine Frau werden könne (V. 2341–2355). Einzig ihre schoene unde anders niht (V. 2355) ist für Iwein der Beweggrund für die Heirat.141 Hartmann greift hier nicht nur in stichomythischer Rede Motive aus dem Minnesang auf,142 sondern rekurriert unverkennbar mit den ougen (V. 2352 u. 2353) auf die beschriebene Fensterszene und den Blick Iweins auf sîne vrouwe. Und wie dort macht auch hier die begriffliche Uneindeutigkeit auf eine inhärente Spannung aufmerksam, insofern Laudine die minne weniger als personale Zuneigung auffasst, als sie in ihr vielmehr den stattgefundenen rechtlichen Ausgleich terminologisch bezeichnet sieht.143 Ist für Laudine somit der Entschluss zur Heirat notwendige Voraussetzung, um die Ehre des Landes vor der drohenden Gefahr an der Quelle zu bewahren, ist sie für Iwein Folge seines auf Ehre zwar zielenden, doch letztlich auch Minne erfahrenden Ausritts zur Quelle. Die Heirat Iweins und Laudines führt indes nicht zu einer Harmonisierung, sondern deckt mit der Sukzession Iweins in der Herrschaft den Kontrast verschiedener Motivationen erst auf. Nicht nur erweisen sich Anfang und Ende der Erzählung als inkongruent, wenn Iwein unversehens Frau und Land erwirbt,144 sondern auch die unterschiedlichen Motive von Ehre und Minne bleiben unvermittelt, wenngleich sie beide auf die Quelle im Wald bezogen sind, die so als Wendepunkt innerhalb der Erzählung firmiert. Während für Laudine, wie in gewisser Weise schon für die Artusritter, die Quelle stets Gegenstand der Erörterung von Ehre ist,145 markiert sie für den Helden den Ort und den Moment, von dem an ein grundlegender Wandel einsetzt: Ist die Quelle zunächst Ziel und Endpunkt für den individuellen Ehrerwerb gegenüber dem Artushof, ist sie schließlich Anfang und Ausgangspunkt für die ihm zufallende Minne am Hof Laudines. Allein 141
Vgl. Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 16. Anregungen für die Stichomythie mag Hartmann von Albrecht von Johansdorf erhalten haben (MF 93,12), wie auf der anderen Seite der Weg der Schönheit durch die Augen ins Herz des Liebenden auch bei Friedrich von Hausen (MF 47,9), Bernger von Horheim (MF 112,1) und Heinrich von Morungen (MF 124,32) belegt ist; vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1007 f. 143 Vgl. Mertens, Laudine, S. 16. Weigand, Rechtsprobleme, S. 840, hebt gleichfalls die Folgen auch für die Erzählung hervor: „Hartmann hat das Rechtsempfinden der Frau verknüpft mit der Minneempfindung des Mannes, und aus dieser Kombination erwächst die Eigendynamik der Erzählung.“ Walter Haug verkennt dies, wenn er minne einzig auf Liebe bezieht, die dann „ins Frivole abzurutschen“ drohe mit der Folge, „daß das Geschehen immer wieder ins Komödiantische oder DerbKomische“ umkippe; Haug, Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘, S. 229 f. 144 Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 206 f. Diese Inkongruenz resultiert aus der Heterogenität der Handlungsmotivation. Bricht Iwein kausal motiviert zur Aventiure auf, erweist sich diese als final motiviert. Bezeichnenderweise findet der Umschlag von kausaler in finale Motivation an der Quelle statt, wenn Iwein nicht die widerkêre antritt, sondern Askalon bis zur Burg verfolgt. Mit dessen Tötung stagniert dann die Handlung und benötigt den neuen Anstoß, der nur umständlich erfolgen kann und sich einer list bedienen muss. Warning, Identitätskonstitution, S. 569 f., beschreibt diese Inkongruenz als notwendige Folge des Erzählens heterogener Erzählschemata. 145 Ein Unterschied ist dabei jedoch festzuhalten: Während aus der Erzählung Kalogreants deutlich hervorgeht, dass die Ehre einzig auf den individuellen Ruhm zielt, verbindet sie sich für den Hof Laudines immer schon mit der herrschaftlichen Aufgabe der Friedenswahrung. 142
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nur Iwein ist in beide Motivzusammenhänge einbezogen, doch in einer offensichtlichen Ausschließlichkeit, wenn ihm nach dem Überschreiten der mythischen Schwelle der Quelle alle Ehre gegenüber der Minne letztlich gleichgültig wird. Über die Erzählung vor und nach der Quelle wird diese mit Minne und Ehre doppelt besetzt. Deren rechte Zuordnung kann dabei gleichsam als ihr genuines Recht beschrieben werden, das ihr als elementarer Sachverhalt zugrunde liegt.146 Diesem Sachverhalt kommt über die in ihrer Mythizität dargestellte Quelle dabei eine zeitlose Bedeutsamkeit zu, deren aktuelle Bedeutung jedoch nicht erkannt oder gar expliziert wird. Wie für Artus und Laudine in synchroner, für Iwein in diachroner Hinsicht eine Ausschließlichkeit zu konstatieren ist, zeigen sich auffallend noch immer Unklarheiten in der anschließenden Handlung und Ambivalenzen im Hinblick auf deren Motivierung. Macht die Quelle als wunder bereits hierauf von Beginn an aufmerksam, ist es jetzt Iwein, der noch als ein wunder im Zentrum des Hofs von Laudine erscheint:147 Alle Fürsten des Landes besâhen in als ein wunder | unde sprâchen alle besunder: | ‚wer brâhte disen rîter her?‘ (V. 2379–2381). Verweist das wunder zu Beginn auf Kommendes mit der Frage nach dem Wohin, verweist es jenseits der Quelle auf Vergangenes mit der Frage nach dem Woher. Die Quelle bleibt Fluchtpunkt der Erzählung, wie sie im Zentrum der Ereignisse steht und stets aufs Neue und in zeitloser Dauer die Frage nach der rechten Ordnung stellt, die als rechte Zuordnung von Ehre und Minne Artushof wie Laudinehof in gleicher Weise betrifft, doch weder hier noch dort in ihrer Bedeutung erkannt wird. Der folgende Kampf an der Quelle bestätigt diesen Befund, wenngleich ein bezeichnender Wechsel der Motive festzustellen ist: Kämpft Iwein wieder einzig für Ehre an der Quelle, stellt sich für Laudine nach seinem Sieg auch die Minne ein.
5.1.4 Von des andern êre zu ir zweier wehsel Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauern nur kurze Zeit, unz daz in daz lant vuor | der künec Artûs, als er swuor, | zuo dem brunnen mit her (V. 2447–2449). Sie kommen an die wundersame Quelle im Wald von Breziljan, doch wird weder von ihrem Weg dorthin erzählt, noch werden die zahlreichen herrlichen Begebenheiten des Ortes erwähnt. Wie schon Kalogreant der rede eine wârheit gefunden hat, die ihm der Wilde het geseit (V. 601 f.), so ist jetzt in noch gesteigertem Maß von einer nämlichen Bestätigung auszugehen und mithin eine nur redundant werdende Aufzählung von Brunnen, Wald und Vogelsang vermeidbar, da den Artusrittern selbst schon durch die Erzählung Kalogreants bereits alles bekannt ist. Dafür stehen jetzt Keie und Gawein im Mittelpunkt der Erzählung, die bezeichnenderweise erneut einen ausgiebigen Disput über Ehre führen (V. 2454–2528). Dieser Disput substituiert gewissermaßen die erste Wahrnehmung 146
Was hier bereits zu erschließen ist, bestätigt sich immer deutlicher im weiteren Fortgang der Handlung; vgl. Kapitel 5.1.4. 147 Vgl. auch die Beobachtung von Warning, Identitätskonstitution, S. 571.
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Kalogreants von diesem Ort, denn – so erzählt er es am Pfingstfest – er vant dâ grôz êre (V. 603).148 Damit ist gleichsam die vorgeprägte Perspektive der Artusritter auf die wunder des Ortes angezeigt, die aus keinem anderen Grund hergekommen sind, als um zu ergründen, ob daz selbe mære | wâr ode gelogen wære (V. 2533 f.).149 Der Ausritt von Artus und seinen Rittern ist vor diesem Hintergrund der Ehre zu sehen, und so begießt der König den Stein (V. 2537). Nach dem Unwetter kommt Iwein, und Keie stellt sich ihm im Kampf, der für beide ein Kampf einzig um Ehre ist:150 nû wâren si under in beiden des willen ungescheiden: ir ietweder gedâhte sêre ûf des andern êre: ir gelinge wart aber mislîch. (V. 2575–2579)
Nach dem Sieg über Keie gibt sich Iwein gegenüber Artus zu erkennen und erzählt, wie er Herr des Landes geworden sei, sodass alle umstehenden Ritter hern Îwein wol gunnen sîns landes unde des brunnen unde aller sîner êren: sîne mohtens im gemêren, in was anders niht gedâht. (V. 2647–2651)
Der Kampf an der Quelle beendet in gewisser Weise die mit der Erzählung Kalogreants am Artushof angestoßene Handlung. Mit dem Sieg Iweins ist die Ordnung des Hofs wieder hergestellt. Iwein erzählt nicht nur von seinem erfolgreichen Kampf gegen den Quellenhüter, sondern er erbringt auch den sichtbaren Beweis für seine erlangte Ritterschaft vor der gesamten Tafelrunde.151 Die Niederlage Keies fügt sich dabei in die bestehende Ordnung ein, wan er was lasters wol gewon (V. 2642), und sie beendet auch den Streit unter den Artusrittern um ehrenhaftes Verhalten: Sus het der strît ende | mit sîner missewende | unde mit lasterlîchem schalle (V. 2643–2645).152 Einzig die Ehre 148
Hartmann hat nicht nur das Thema der Ehre im Streit zwischen Keie und Kalogreant gegenüber Chrétien hervorgehoben, sondern gerade die Details der Quelle nicht genannt, wie zuvor noch bei Iwein in zumindest kurzer und prägnanter Folge (V. 990 f.), was Chrétien auch hier – doppelt – wiederholt (V. 2173 u. 2219 f.). 149 Das noch für Iwein in Erwägung gezogene Motiv der Rache für Kalogreant wird nicht genannt, wie es auch zuvor von Artus mit keinem Wort erwähnt wird. 150 Vgl. Mertens, Artusroman, S. 78. Diese Einseitigkeit unterstreicht Iwein noch, wenn er Keie zwar sein Pferd abnimmt, so wie Askalon das Kalogreants abgenommen hat (V. 740), es jedoch umgehend Artus übergibt, da ihm an habe nicht gelegen sei (V. 2607). Bei Chrétien begründet er es mit einem nicht näher erläuterten Unrecht (V. 2273 f.). 151 Wandhoff, Âventiure als Nachricht, S. 19, hat darstellen können, wie die Aventiure erst über visuelle Bestätigung zu einem Abschluss kommen kann und daher mehr als nur das Erzählen umfasst. 152 Mit dem beendeten strît, dem Kampf Iweins gegen Keie, ist auch auf den Streit am Artushof angespielt, der mehrfach als strît bezeichnet wird (V. 118, 871 u. 874).
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Iweins, die er mit dem Erwerb des landes und des brunnen unter Beweis gestellt hat, steht letztlich im Mittelpunkt der allgemeinen Freude, denn in was anders niht gedâht. Die ausschließlich auf Ehre zielende Perspektive der Artusritter auf die Quelle macht vor dem Hintergrund des Geschehens am Laudinehof mithin auf die der Erzählung inhärente Spannung aufmerksam, die sich erst mit dem Überschreiten der durch die Quelle markierten Schwelle und Iweins Sukzession Askalons in der Herrschaft zu erkennen gibt. Erst mit der erworbenen Frau tritt die komplementäre Perspektive hinzu. Kann Iwein gleichsam vor der Quelle seine Ehre unter Beweis stellen, liefert er den Beweis seiner Minne für die Frau hinter der Quelle. In ihren begrüßenden Worten macht es Laudine explizit: zem hern Îwein sprach si dô: ‚geselle unde herre, ich gnâde dir vil verre unsers werden gastes. zwâre dû hâst es iemer lôn wider mich.‘ (V. 2664–2669)
Iwein ist jetzt nicht mehr nur herre des Landes, er ist auch geselle Laudines, der sich mit seiner Tat den lôn der Frau verdient hat. In den Worten Laudines wird unverkennbar ein Minneverhältnis deutlich, das nicht mehr nur auf gegenseitiger Verständigung beruht, sondern in gleicher Weise auf personaler Zuneigung: nû was dehein wân dar an: | alrêst liebet ir der man (V. 2673 f.). Und diese Minne verbindet sich für Laudine mit der am brunnen bestätigten êre ihres Mannes (V. 2675–2681), sodass sie mit ihrer Heirat zufrieden sein kann: si gedâhte: ‚ich hân wol gewelt.‘ (V. 2682). Während sich für Laudine bereits nach dem Kampf Iweins an der Quelle Minne und Ehre in ihrer Beziehung zu ihrem Mann verbinden, bleibt Iwein auffallend allein der Ehre gegenüber Artus verpflichtet. Er ist gewissermaßen auf den Status des Zuvor zurückgefallen und folgt erneut dem Artushof:153 Orientiert sich Iwein zu Beginn an der Erzählung Kalogreants, folgt er jetzt dem Rat seines Freundes Gawein, der seine Situation bestätigt. Gawein legt ihm ausführlich dar, wie groß die Gefahr ist, ritterliche Ehre zu verlieren, und er erinnert ihn an Erec, der sich ouch sô manigen tac | durch vrouwen Enîten verlac (V. 2793 f.). Wäre er nicht aufs Neue ausgezogen, als ein rîter solde, | sô wære verwâzen sîn êre. | der minnete ze sêre (V. 2796–2798). Iwein dagegen habe gezeigt, dass er wie ein guot kneht gehandelt habe und nâch êren bestrebt sei (V. 2901).154 Diese Ehre solle sich jetzt noch vermehren, weshalb er mit ihm kommen solle und turnieren als ê (V. 2803): des volget mir, herre Îwein (V. 2912). Vor dem Hintergrund von Erecs verligen bestätigt der Hinweis Gaweins auf die gemeinsamen früheren Turnierfahrten letztlich nicht nur und erneut die den Artushof von Beginn an konstituierende Frage nach Ehre, sondern indirekt auch die Ausschließlich153 154
Vgl. auch Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 15; Borck, Ehre, S. 8. Kern, Text und Prätext, S. 365, hebt Veränderungen Hartmanns gegenüber Chrétien an dieser Stelle hervor, die auf eine Betonung der Ehre zielen.
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keit von Ehre und Minne,155 wie sie sich für Iwein in den Ereignissen vor und nach dem Kampf an der Quelle in diachroner Perspektive abgezeichnet hat. Bleibt deren Integration in der Aufgabe der Verteidigung der Quelle von Iwein unerkannt, macht dies Laudine gegenüber Iwein deutlich, wenn sie ihn als geselle unde herre (V. 2665) empfängt. Auch beim Abschied von ihrem Mann unterstreicht sie dies, wenn sie Iwein nicht nur eine Jahresfrist zusichert, binnen derer er wieder zurückkehren solle, um unser êre unde unser lant (V. 2936) zu wahren, sondern ihn ein Stück weit begleitet und ihm einen goldenen Ring schenkt, der ihm gelücke unde senften muot (V. 2954) spenden solle, solange er ihn trage und an siht (V. 2951). Der Ring Laudines vertritt gleichsam symbolisch ihre Minne gegenüber Iwein, im Sinne ihrer gegenseitigen Vereinbarung, aber auch in Erinnerung ihrer gemeinsamen Liebe.156 So nehmen sie schließlich Abschied: ze lande vuor der künec Artûs, | diu vrouwe wider ze hûs (V. 2969 f.). An diesem Einschnitt in der Geschichte erfolgt ein signifikanter Einschnitt auch in der Erzählung. Das Wort ergreift vrou Minne (V. 2971), die im Dialog mit dem Erzähler Hartmann die Trennung der Liebenden wie dessen Zuverlässigkeit in Frage stellt: si sprach ‚sage an, Hartman, gihestû daz der künec Artûs den hern Îweinen vuorte ze hûs unde lieze sîn wîp wider varn?‘ (V. 2974–2977)
Während der Erzähler an der wârheit festhält, wie sie auch ihm erzählt worden sei (V. 2979 f.), bekräftigt vrou Minne, dass sich diese zugleich anders verhalten habe:157 si wehselten beide der herzen under in zwein, diu vrouwe und her Îwein: im volget ir herze unde sîn lîp, unde beleip sîn herze unde daz wîp. (V. 2990–2994)
Im Herzenstausch bestätigt sich zwar das bisher Erzählte als ein Erreichen der Wechselseitigkeit in der Minne zwischen Iwein und Laudine, doch nachhaltig allein auf der
155
Diesen über das Erec-Zitat unmittelbar hergestellten Zusammenhang sieht Kern als Folge des anderen Prätextes, der für Hartmann eben Erec ist; vgl. ebd., S. 368. 156 Der Ring solle ein geziuc der rede sîn (V. 2946), doch erinnert er als optisches Objekt auch an ihre Schönheit. Er ist somit zugleich als Minnepfand zu sehen, wie Laudine auch in diesem Zusammenhang offen ihren Abschiedsschmerz zeigt (V. 2960 f.), und bezeichnenderweise ist wieder von den ougen (V. 2965) Iweins die Rede. Vgl. hier auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 209: „Der Ring Laudines […] symbolisiert die Minneverbundenheit und die lehensartige Treuepflicht in einem.“ Mertens, Recht und Abenteuer, S. 205, deutet den Ring als ein „Symbol der Herrschaftsinvestitur“, den Iwein dann zu einem Liebesring reduziere. Vgl. mit Bezügen zum rechtshistorischen Hintergrund wie zum Minnesang Mertens, Stellenkommentar, S. 1014. 157 Dittmann, Dûne hâst nicht wâr, S. 154, spricht hier von einer „höheren Wahrheit“, denn vrou Minne bestreite „gerade nicht den Handlungsablauf, sondern die mögliche Ausdeutung“; zum Herzenstausch siehe auch Gellinek, Herzenstausch.
Kontrastierung und Sukzession
273
Ebene des Erzählens.158 Denn bezeichnend ist vor allem der Moment des Auftritts von vrou Minne, ist es doch gerade der auch von ihr hier angesprochene Moment, an dem Iwein erneut dem Artushof folgt und einzig dem individuellen Ehrgewinn nachgeht. So zweifelt auch der Erzähler: Iwein sei ohne sein Herz geradezu verloren, wan daz gap im ellen unde kraft. | was touc er nû ze rîterschaft? (V. 2999 f.) Doch gerade mit dem Zurücklassen des Herzens – so vrou Minne – steigere sich nicht nur seine Kraft: ich bin ez Minne unde gibe die kraft daz ofte man unde wîp habent herzelôsen lîp unde hânt ir kraft doch deste baz. (V. 3016–3019)
Es ist die Personifikation, die nicht nur die Hypostasierung der Minne anzeigt, sondern deren Bedeutung noch über die erfolgte Trennung hinweg auch allgemein hervorhebt.159 Sie formuliert im Bild des Herzenstauschs eine Ordnung, in der sich Minne und ritterliche Ehre produktiv ergänzen, die sich dem Erzähler jedoch entzieht, wenn er sie als symbolische nicht erkennt und material auffasst: wan swâ wîp unde man âne herze leben kan, daz wunder daz gesach ich nie (V. 3021–3023)
Der Erzähler vermeidet jeden weiteren Disput und bezieht sich – wie schon anlässlich der unerklärlichen Situation Iweins zwischen den Fallgittern und erneut auf die list der Erzählung vertrauend – auch jetzt wieder allein auf seine Vorlage: ichn weiz ir zweier wehsels niht, wan als diu âventiure giht, sô was her Îwein âne strît ein degen dâvor unde baz sît. (V. 3025–3028)
Bleibt der Erzähler wie zu Beginn auf die ihm erzählte Aventiure angewiesen, bleibt eine Unsicherheit jedoch bestehen, die sich entsprechend als wunder ausweist. Das wunder firmiert gleichsam als blinder Fleck in der Erzählung, für den Erzähler wie für die handelnden Figuren. Drückt sich schon zu Beginn im wunder eine Unsicherheit in der Motivation aus, die auf die Quelle mit dem Ziel des individuellen Ehrgewinns ausgerichtet ist, resultiert aus der wiederum dem Erzähler unerklärt bleibenden Situation im Anschluss an den dortigen Kampf erst eine neue, einzig auf die Erfüllung der Minne ausgerichtete Motivation, sodass Iwein selbst noch vor dem um Land und Ehre besorgten Fürstenrat Laudines als ein wunder erscheint. Die zugleich und stets zu beobachten158
Dies ist im Unterschied zu Chrétien festzuhalten; vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 116; es wird noch unterstrichen, wenn der Erzähler davon berichtet, nachdem vrou Minne ihn ûf die vart gebracht hat (V. 2985). 159 Bruno Quast hat diese auch hier zu erkennende Struktur, nach der „die Hypostasierung einer Bedeutung, […] wenn sie vom konkreten Vorgang abgelöst wird, als übertragene Bedeutung firmiert“, an anderer Stelle dargestellt; Quast, Literarischer Physiologismus, S. 305.
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de Spannung und Inkongruenz der Motive löst sich erst und allein für Laudine im erneuten Kampf an der Quelle auf, den Iwein in Nachfolge Askalons führt. Minne und Ehre verbinden sich erst hier und jetzt in produktiver Weise in der Aufgabe, die Quelle zu hüten und dauerhaft zu sichern. Dies zur Erinnerung schenkt Laudine ihrem Mann den goldenen Ring. Doch folgt Iwein erneut und wiederum ausschließlich dem Artushof, um seine Ehre nicht nur im Kampf gegen Keie, sondern nachhaltig auch in der Nachfolge Gaweins zu beweisen, macht jetzt vrou Minne auf die Bedeutung der Minne im ehrenhaften Kampf aufmerksam. Auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens erfolgt mithin in symbolischer Vermittlung eine Zuordnung von ritterlicher Ehre und Minne, die weder von Iwein, noch vom Erzähler in ihrer Bedeutung erkannt und auch im Folgenden nicht umgesetzt wird. Die der Erzählung unterlegte Struktur kann als eine Struktur der Sukzession beschrieben werden, die die Kontrastierung der je exklusiven Motivationen zugleich anzeigt. Folgt Iwein anfangs und zuletzt wieder dem Artushof, steht mithin die Ehre als alleiniges Ziel ritterlicher Bewährung im Vordergrund. Dies wird noch unterstrichen, wenn selbst Artus nicht sofort die widerkêre antritt, sondern Iwein erst noch in sein neu erworbenes Herrschaftsreich folgt. Über die Nachfolge Askalons verbindet sich schließlich mit der Ehre auch die Minne zur gewonnenen Frau in der Aufgabe als Quellenhüter. Die Quelle steht dabei nicht nur im Zentrum der Erzählung und firmiert für den Helden als mythische Schwelle am Übergang in eine neue Lebensphase, sondern bringt die mit ihr über die Erzählung vor und nach dem Übertritt des Helden verbundene Zuordnung von Minne und Ehre als elementaren Sachverhalt zur Anschauung: Die Quelle im Wald von Breziljan ist gerade in ihrer mythosanalogen Gestaltung von Zeitlosigkeit und Veränderung als Flucht- und Wendepunkt des Geschehens in die Erzählung integriert, an dem eine Konfrontation divergierender Ordnungsvorstellungen stattfindet. Der Kampf im Anschluss an das mit dem Übergießen des Steins ausgelöste Unwetter, das Befolgen ihres rehts, macht auf eine angelegte Defizienz aufmerksam, und so unterliegen dem Quellenhüter Kalogreant und auch Keie, die beide einzig um Ehre kämpfen. Auf der anderen Seite bestätigt sich eine Ordnung, die erst von Askalon, dann von Iwein verteidigt wird und – infolge der zu beobachtenden Veränderungen im Hinblick auf den Artusritter in Sukzession des Quellenhüters zu erkennen – Ehre wie Minne gleichermaßen im Kampf integriert. Die fortwährende Gültigkeit dieser Ordnung fordert in der Geschichte die immer neue Verteidigung der stets präsenten Quelle. Die Quelle repräsentiert jedoch weniger die Ordnung, als sie sie vielmehr präsentiert, als einen zeitlos gegenwärtigen und durch sie unmittelbar zur Anschauung kommenden elementaren Sachverhalt der Erzählung. Die ihr schon über die mythopoetische Aufnahme des Motivs zukommende Bedeutsamkeit wird jedoch nicht in eine Bedeutung überführt, diese bleibt einzig auf der Ebene des Erzählens aufgehoben und im Nachvollzug der Geschichte zu erschließen. Eine Vermittlung zwischen diesen Ebenen findet nicht statt, worauf nicht zuletzt der Streit zwischen vrou Minne und dem Erzähler Hartmann hinweist. In der Geschichte bleiben die Quelle und alle Zuordnungen von
Harmonisierung und Integration
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Ehre und Minne zunächst noch ein wunder, das im Wald verborgen doch zugleich offen und von allen Seiten und für jeden zugänglich ist. Die Abkehr des Quellenhüters Iwein, die gleichsam als eine verspätete widerkêre des Artusritters zu sehen ist, zeigt eine latent angelegte Spannung an, die konsequent in die Krise führt.
5.2 Harmonisierung und Integration Iwein und Gawein erlangen auf ihren gemeinsamen Turnierfahrten zunächst Ruhm und Ehre und bestätigen ihre rîterschaft, die selbst got mit êren möhte sehen (V. 3045 f.). Am Hof von König Artus werden sie in Anerkennung ihrer Leistungen gefeiert, sodass sie im Zentrum allseitiger Bewunderung stehen. Hat sich Iwein im Rahmen seiner erfolgreichen Aventiure im Wald von Breziljan als Artusritter bewährt, ist er jetzt endgültig in die Runde der Artusritter integriert und tritt entsprechend an die Seite des stets vorbildlichen Ritters Gawein. Der ganze Hof erscheint in vollendeter Harmonie und feiert sich mit vrœlîchem schalle (V. 3072). Doch unvermittelt stellt sich Iwein ein schmerzlicher Gedanke ein: nû kom mîn her Îwein in einen seneden gedanc: er gedâhte, daz tweln wære ze lanc, daz er von sînem wîbe tete: ir gebot unde ir bete diu het er übergangen. sîn herze wart bevangen mit senlîcher triuwe: in ergreif ein selch riuwe daz er sîn selbes vergaz unde allez swîgende saz. er überhôrte unde übersach swaz man dâ tet ode sprach, als er ein tôre wære. (V. 3082–3095)
Der Gedanke des Abwesenden an seine Frau ist hier als ein förmliches Er-Innern in Abgrenzung vom Außen inszeniert: Inmitten der laut und fröhlich feiernden Gesellschaft von Rittern sitzt der schweigende und vom Schmerz ergriffene Tor, der mit dem Vergessen seiner Frau sich am Ende selbst vergisst. Der Moment des Erinnerns rekurriert damit auffallend auf Iweins ersten Blick auf Laudine, der die Grenze von innen und außen noch überwindet, wenngleich sich ihm ebenso verkêrten die sinne, | daz er sîn selbes vergaz (V. 1336 f.).160 Es ist erneut das mit Gebot und Bitte zugleich angezeigte Minneverhältnis zu seiner Frau, das ihn in eine innere Handlungsunfähigkeit versetzt und den Auftritt einer dritten Figur fordert. Ist es im ersten Fall Lunete, die ihm 160
Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.1.3.
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aufgrund seines früheren höfischen Verhaltens am Artushof ihre Unterstützung zukommen lässt, stellt sich die Situation zunächst undeutlich dar: Denn jetzt nâhte im sîn leit (V. 3101). Im Moment des inneren Selbstvergessens tritt das Leid gleichsam von außen an den Helden heran, das erst vom Erzähler identifiziert wird: nû seht wâ dort her reit | sîns wîbes bot, vrou Lûnete (V. 3102 f.), die Iwein vor dem König des Ehrverlusts sowie der Treulosigkeit gegenüber ihrer Herrin anklagt (V. 3167–3196). Auf engstem Raum verbinden sich beim Auftritt Lunetes in metonymischer und geradezu Präsenz herstellender Rede die innere personale Wahrnehmung mit dem äußeren Geschehen,161 sodass sich die Krise weder als inneres Bewusstwerden noch als äußeres Eintreten eindeutig und ausschließlich zu erkennen gibt.162 Der Umschlag erfolgt gewissermaßen auf der Grenze, in einem unvermittelten Dazwischen, und zeigt die Unausweichlichkeit des Geschehens an, die in den Wahnsinn Iweins führt, in die Krise seiner Identität. Ausgehend von Iweins Wahnsinn orientieren sich die folgenden Ausführungen am Handlungsverlauf bis zur Rückkehr an den Artushof. Iweins Verlust seiner Identität am Artushof steht somit deren Wiedererlangung ebendort gegenüber, womit ein Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen der Held Aventiuren zu bestehen hat, in denen er gegen einen Drachen und gegen Riesen kämpft und bedrohten Frauen beisteht. Jeweils geht es um die Wiederherstellung gestörter Verhältnisse, sei es die Ordnung des eigenen oder fremden Hofs, seien es personale oder soziale Beziehungen. Dabei wird sich zeigen, wie mit der Harmonisierung der Verhältnisse in der Geschichte auf thematischer und struktureller Ebene der Erzählung ein Prinzip der Integration einhergeht. Erscheint Mythisches zunächst als Moment der Störung, erweist es sich jedoch zunehmend als notwendiger Bestandteil der Aventiure Iweins. So folgt der Harmonisierung in der Geschichte nicht zuletzt eine Integration auch des Mythischen in die Erzählung. Was zunächst noch im Kontext von Vergessen und Wahnsinn steht, erweist sich am Ende als integrativer Teil der eigenen Identität.
5.2.1 Wahnsinn und Heilung Nicht nur im Mittelalter ist Iweins Wahnsinn bereits als wirkmächtiges Motiv erkannt und rezipiert worden, sondern er zählt noch immer zu den prominenten Episoden der mittelalterlichen Literatur, die auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung immer wieder unter neuen Fragestellungen besprochen werden. So ist es vielleicht gerade der unvermittelte und existenzbedrohende Umschlag in der Erzählung, der dazu angeregt hat, sie in ihrer Mythizität zu untersuchen.
161
Ein vergleichbares Verfahren zeigte sich bereits anlässlich der Konfrontation Kalogreants mit Askalon; vgl. die Ausführungen in Kapitel 5.1.2. 162 Vgl. Müller, Identitätskrisen, S. 308.
Harmonisierung und Integration
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Dagmar Ó Riain-Raedel führt den Wahnsinn in Anlehnung an zahlreiche irische Erzählungen auf ein „ursprünglich unpersönliche[s] mythische[s] Geschehen“ zurück, dessen Auslösen jedoch schon Chrétien „in die Person Yvains verlegt“ habe und damit einer „Tendenz zur Psychologisierung“ gefolgt sei. Der Auftritt der Botin sei dann „eigentlich überflüssig und nur noch das äußere Zeichen einer inneren Erkenntnis“. Und in gleicher Weise verhalte es sich bei Hartmann, es sei „hauptsächlich der Verlust Laudines und die Reue und Scham, die Iwein fühlt, die ihn […] zum Wahnsinn treiben“.163 Während bei Chrétien dieser Zusammenhang im unmittelbaren Zusammentreffen von innerem Erkennen und äußerem Erscheinen der Botin gründen mag,164 hat Hartmann dieser Szene jedoch eine Unschärfe unterlegt, die nicht nur eine Psychologisierung ausschließt,165 sondern insgesamt die Gründe für den plötzlich eintretenden Wandel undeutlich werden lässt und einer möglicherweise bei Chrétien zu beobachtenden Rationalisierung nicht folgt. So kann selbst der Erzähler zunächst nur vermuten, weshalb Iwein vil gar die vreude unde den sin (V. 3215) verloren habe. In einer langen Aufzählung (V. 3201–3213) nennt er den Verlust der Ehre angesichts der Anklage durch Lunete, er nennt Iweins verspätete Reue, seine Treue und Liebe und dazu auch den Verlust von Besitz und Frau, womit er die Dramatik der Szene unterstreicht, in deren Folge Iweins Schmerz so groß wird, daz im in daz hirne schôz ein zorn unde ein tobesuht. er brach sîne site und sîne zuht unde zart abe sîn gewant, daz er wart blôz sam ein hant. sus lief er über gevilde nacket nâch der wilde. (V. 3232–3238)
Erfolgt mit der Anklage durch Lunete eine Konkretisierung des Treuebruchs Iweins als ein Verfehlen seiner herrschaftlichen Verpflichtung und Ehre,166 stellt sich Iweins Abkehr vom Königshof und Aufbruch in die wilde soweit als unmittelbare Folge dar,167 die sich dem Erzähler jedoch im Hinblick auf den Wahnsinn noch entzieht. So setzt er erneut an und macht vrou Minne für den eigentümlichen Wandel verantwortlich: 163
Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 224. Siehe hier vor allem die Verse 2704 f.: Tant pansa, que il vit venir | Une demoisele a droiture. Haug, Chrétiens ‚Yvain‘ und Hartmanns ‚Iwein‘, S. 232, möchte dagegen an der „eigentümlichen Mechanik“ festhalten, die er auf mögliche bretonische Erzählungen zurückführt. 165 Vgl. Matejowski, Motiv des Wahnsinns, S. 136, der insbesondere Iweins Stummheit als „mythische Regression“ gegen jede psychologisierende Interpretation in Anschlag bringt. 166 In ihrer Anklage kommt der Zusammenhang von triuwe unde êre (V. 3177 u. 3189) zum Ausdruck. Während die Botin bei Chrétien namenlos ist und Yvain wegen des Raubes von Laudines Herz beschuldigt wird (V. 2725–2745), ist es bei Hartmann Lunete, wodurch in Erinnerung ihrer früheren Vermittlerrolle der politische Bezug hervorgehoben ist; vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1017. 167 Die Nacktheit Iweins kann daher als regelrechte Devestitur interpretiert werden; vgl. Kraß, Geschriebene Kleider, S. 220–223. 164
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swie manhaft er doch wære unde swie unwandelbære an lîbe unde an sinne, doch meistert vrou Minne daz im ein krankez wîp verkêrte sinne unde lîp. der ein rehter adamas rîterlîcher tugende was, der lief nû balde ein tôre gein dem walde. (V. 3251–3260)
Bezieht sich der Erzähler auf die Minne als Ursache für Iweins Wahnsinn, macht er nicht nur auf deren besondere Verbindung zu Iwein aufmerksam,168 sondern schreibt ihr eine Ausschließlichkeit in der Verantwortung zu, die der auf Ehre zielenden Anklage durch Lunete diametral entgegensteht. Und wie erneut und in gleicher Weise wie schon anlässlich des Herzenstauschs keine Vermittlung zwischen den Erzählebenen stattfindet, so bleibt für den Erzähler und für die Figuren die notwendige Integration von Minne und Ehre unerkannt.169 Nicht zuletzt ist es der Rückbezug auf vrou Minne, der eine Unsicherheit in der Erzählung erneut zu erkennen gibt, die von vorne nur unzureichend motiviert ist.170 Der Episode von Iweins Wahnsinn eignet somit schon von Beginn an eine Offenheit, die in eine zunächst nicht näher auflösbare Unbestimmtheit führt und erst von ihrem Ende her in den weiteren Sinnzusammenhang gestellt werden kann, ausgehend von Iweins erst eigentlichem Erinnern an der Quelle.171 Doch zunächst irrt Iwein nackt durch den Wald und führt ein Leben abseits höfisch erfüllter Zivilisation in der Wildnis, bis ihn die Gräfin von Narison und zwei Mägde finden. Iwein erhält von ihnen nicht zuletzt mithilfe einer magischen Salbe der Famurgan Heilung und erwacht aus seinem Wahnsinn, doch bleibt er im Hinblick auf seine Situation und Identität nachhaltig im Unsicheren: Max Wehrli hat Iweins Erwachen als das zentrale „Gelenk“ im Handlungsverlauf des Romans beschrieben, der „vorher und nachher […] auf diese Peripetie bezogen“ sei.172 168
Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 119. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.1.4. 170 Cormeau bleibt hier unsicher, wenn er den Rückbezug des Erzählers auf vrou Minne als „ungeschickte ad-hoc-Motivation“ interpretiert, sofern dieser damit nicht „den Widerspruch zwischen tiefer persönlicher Bindung und gedankenlosem Terminversäumnis“ unterstreichen wolle; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 210. Iweins Nacktheit drückt diese narrative Unschärfe adäquat aus, da sie eine Unmittelbarkeit anzeigt, die nicht weiter ausdifferenziert werden kann; vgl. Philipowski, Geste und Inszenierung, S. 476 f. Und geradezu als ironische Brechung der ausbleibenden Motivation erscheint es, wenn ausgerechnet jetzt got der guote Iwein ûz sîner huote | dannoch niht volleclîch enliez (V. 3261–3263); vgl. Theisen, Des Helden bester Freund, S. 160. 171 Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 126; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 212. 172 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 65; vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 131, der die gleichmäßige Strukturierung der Szenenfolge über die Verszahlen nachgezeichnet hat. 169
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In den Episoden von Wahnsinns und Heilung erkennt er Analogien zu sowohl christlichen als auch mythischen Erzählschemata: So lägen offensichtliche „Hinweise auf christlich-biblische Vorstellungen“ vor, insofern etwa „die drei Frauen mit ihrem Salbgefäß an die drei Marien der Osterszene“ erinnerten, womit die Szene einen geradezu „österlichen Sinn“ erhalte, sodass „Iwein, der Gesalbte, im Folgenden als eine Erlösergestalt gesehen werden“ könne.173 Der Wahnsinn sei dann als „eine Art Höllenfahrt“ interpretierbar; dies würde jedoch „weniger mit einer Nachfolge Christi zusammenhängen als mit den Fahrten ins Totenreich, in die Jenseitswelt überhaupt, für welche die Mythologie der Völker, und insbesondere die keltische, zahlreiche Beispiele liefert“.174 Diese Schemata ließen die Erzählung weder als ausschließlich mythisch bestimmen, wie auf der anderen Seite auch keine explizit christliche Deutung im Vordergrund stehe,175 wenngleich eine eigentümliche Spannung bestehen bleibe, die bereits in der Materie angelegt und nicht zuletzt „Antrieb und Reiz des Artusromans“ sei.176 Auf die Ausführungen Wehrlis hat Wolfgang Mohr kritisch Bezug genommen. Die Osterszene könne zwar – so Mohr – durchaus als Modell gedient haben, doch träten im Text vielmehr „‚mythische Analoga‘ vor Augen“, die daraufhin angelegt seien, „die Phantasie des Publikums auf etwas ‚Bedeutendes‘ hinzulenken“.177 So sei insgesamt von einem Tod-Auferstehungs-Modell ohne genuin christliche Gehalte auszugehen und eher allgemein „an das Urphänomen von Tod und neuem Leben zu denken, wie es religionsgeschichtlich z. B. in den Initiationskulten begegnet“.178 Auf einen solchen Initiationsritus ist näherhin Dagmar Ó Riain-Raedel eingegangen und hat die Situation Iweins bereits als eine Abfolge von Trennung und Reintegration in die gesellschaftliche Ordnung beschrieben, die von einer Phase des Übergangs be-
173
Wehrli, Iweins Erwachen, S. 65. Wehrli schließt hier an eine Deutung an, die vorbereitet wurde von Willson, Love and Charity, S. 218 f.; vgl. auch Hatto, ‚Der aventiure meine‘. 174 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 66. Beispiele aus dem Irischen gibt Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 223. 175 Vgl. hierzu auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 212. 176 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 75. Andreas Kraß schließt an diese Deutung Wehrlis an und sieht in der Heilung Iweins einen zusätzlichen Verweis „auf das Paradigma der Taufe“, die einzelnen Erzählschritte wiederholten teils in ironischer und säkularer Brechung „die liturgischen Akte des christlichen Initiationsritus“; Kraß, Geschriebene Kleider, S. 118, Hervorhebung dort. Lediglich verwiesen sei an dieser Stelle auf die gleichfalls an Wehrli anschließende und biblischen Einflüssen nachgehende Studie von Wells, Ikonographie. 177 Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 79. Was Mohr als „Bedeutendes“ bezeichnet, wäre in der hier verwendeten Terminologie als Bedeutsames zu bestimmen, das keine dem mythischen Denken fremde Verweisstruktur impliziert. Mohr betont seinerseits, dass es sich hierbei gerade nicht um eine Form der Allegorie handele, weshalb er im Folgenden konkretisiert: „Der Mythos, auch der christliche, stellt Urbilder des Menschlichen vor Augen. Wenn außerhalb des Mythos etwas erzählt wurde, das an ihn gemahnte, so wies die Erinnerung an den Mythos auf die ‚Idee‘ hin, die in dem Erzählten liegt.“ Ebd., S. 89. 178 Ebd., S. 84. Der Roman stehe hier in Analogie zu mythischen Erzählungen; vgl. ebd., S. 85.
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stimmt ist.179 Auch Dirk Matejowski deutet Iweins Wahnsinn im Sinne einer mimetischen Angleichung an einen vorzivilisatorischen Zustand als einen zu durchlebenden Übergangsritus,180 und zuletzt hat Andreas Hammer die Ergebnisse der Forschung bestätigt.181 Besonders hervorzuheben sind dabei Hammers Beobachtungen bezüglich der Zeit. So kann er nach eingehender Lektüre die Episode des Wahnsinns als „eine Periode der Zeitlosigkeit“ bestimmen, da der Text „in seiner Schilderung während dieser Phase fast völlig auf zeitliche Ordnungskriterien“ verzichte, was „den Kennzeichen des mythischen Denkens im Zusammenhang mit ‚Übergängen‘“ Rechnung trage.182 Bezeichnenderweise ist somit für den Wahnsinn Iweins erneut der Zusammenhang von Zeitlosigkeit und Veränderung im Übergang in eine neue Lebensphase zu konstatieren, wie er bereits als kennzeichnend für die Quelle herausgestellt werden konnte.183 Damit stellt sich jedoch die Frage nach der narrativen Funktion und inhaltlichen Bedeutung dieser mythosanalog gestalteten Episode.184 Konnte die Quelle im Wald von Breziljan als Flucht- und Wendepunkt der Erzählung bestimmt werden, insofern sie sich als Ziel und zugleich Ausgangspunkt der Handlung erweist, stellt sich der Wahnsinn zunächst einzig und gleichsam als symptomatische Folge der unerklärt bleibenden Krise dar. Die schon zu Beginn in der Unsicherheit des Erzählers deutlich werdende mangelnde Motivation macht auf eine Finalität bereits 179
Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 223 f., im Anschluss an Grundlagen zu solchen „rites de passage“ nach Gennep, Übergangsriten. Die Phase des Übergangs hat für den Iwein ausführlich Bruno Quast ausgehend von der Anthropologie Victor Turners als eine Liminalität des Helden beschrieben; vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, v. a. S. 117–120; ferner Quast, Victor Turner und das Mittelalter, zum Iwein S. 137 f. 180 Vgl. Matejowski, Motiv des Wahnsinns, S. 134 f. Matejowski grenzt jedoch zu sehr die Wildheit Iweins als „das ganz Andere der Vernunft und Zivilisation“ von einer höfisch geprägten Kultur ab, ebd., S. 137, worauf Bruno Quast kritisch Bezug genommen und dabei hervorgehoben hat, dass sie vielmehr „als konstitutive Bedingung, als integrativer Faktor höfischer Kultur“ firmiere; Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 121; vgl. auch die Kritik an Matejowski bei Hammer, Tradierung und Transformation, S. 243. Matejowski setzt überdies einerseits eine strenge Unterscheidung von Mythos und Logos voraus, wenn er den Wahnsinn als „mimetische Aufarbeitung des Mythos“ begreift, andererseits folgt er einem sekundären Mythosbegriff, wenn dem Wahnsinn „mit einem anderen Mythos begegnet werden müsse“, was in Form erst einer „höfische[n] Mythologie“ zu bewerkstelligen sei; Matejowski, Motiv des Wahnsinns, S. 141. Matejowski schließt hier an einen Mythosbegriff an, wie er als literarischer Mythos beschrieben werden kann und in Arbeiten etwa von Alfred Ebenbauer, Ulrich Wyss oder schon Hartmut Kokott auf die Artusliteratur angewendet wurde; vgl. auch Matejowskis Referenzen ebd., S. 347 f. 181 Vgl. Hammer, Tradierung und Transformation, S. 243–246. Den Ausführungen Hammers kann hier uneingeschränkt zugestimmt werden, weshalb eine weitere Darstellung an dieser Stelle nicht erfolgen muss. 182 Ebd., S. 247. 183 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.1.2. 184 Jan-Dirk Müller hat auf diese Frage bereits vor dem Hintergrund der Identitätskrise Iweins aufmerksam gemacht: „Im syntagmatischen Zusammenhang ist die Episode ein Umweg. Umso dringlicher ist die Frage nach ihrer Funktion.“ Müller, Identitätskrisen, S. 311.
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aufmerksam, die über den Wahnsinn hinausweist und in der Erzählung entsprechend als mythosanaloge Struktur umgesetzt ist. Auf der Ebene des Erzählten kommt sie als Identitätslosigkeit des Helden zum Ausdruck, der nackt im Wald auf die Hilfe anderer angewiesen ist.185 Die Episode des Wahnsinns kommt einer zeitlos stagnierenden Handlung gleich, die auf ein nicht näher bestimmtes Ziel hin angelegt ist und in der Geschichte gleichsam von außen neu angestoßen werden muss. Auffallend tritt gerade hier mit der Salbe der Famurgan ein mythisches Motiv auf, mit dem die Mythizität der Erzählung nicht nur erneut angezeigt ist, sondern diese zugleich eine neue Richtung bekommt, die aus dem Wahnsinn führt. Im Moment der äußersten Entfremdung von seiner früheren Situation186 findet zeinen stunden (V. 3361) die von Graf Aliers bedrohte Dame von Narison in Begleitung zweier Mägde Iwein schlafend am Wegesrand. In ihrem Besitz befindet sich eine Salbe, die dâ Feimorgân machte mit ir selber hant. dâ ist ez umbe sô gewant daz niemen hirnsühte lite, würd er bestrichen dâ mite, ern wurde dâ zestunt wol varnde unde gesunt. (V. 3424–3430)
Mit dieser Salbe solle eine ihrer Mägde Iwein versorgen und ihm neue Kleider und ein Pferd geben (V. 3453–3464), damit er ihr im bald zu erwartenden Kampf beistehen könne. Die Magd handelt jedoch entgegen den Vorgaben ihrer Herrin, sparsam mit der kostbaren Salbe umzugehen (V. 3439–3452), allzu verschwenderisch, unz si in allenthalben bestreich, dâzuo si vil stille sweich. mit der edeln salben bestreich si in allenthalben über houpt unde über vüeze. (V. 3473–3477)
Nachdem die Magd die Salbe aufgebraucht hat, versteckt sie sich wegen der Blöße Iweins, unz in diu salbe gar ergienc | unde ze sinnen gevienc (V. 3503 f.). Famurgan wird an keiner anderen Stelle im Iwein erwähnt und auch hier wird von ihr selbst nichts erzählt. Loomis hat eine nicht überzeugende direkte Verbindung zu keltischen Feenerzählungen herstellen und die Dame von Noroison – so ihr Name bei Chrétien – als verwandelte Morgain identifizieren wollen.187 Gegen diese Deutung hat
185
Diese Abhängigkeit Iweins zeigt sich insbesondere im Verhältnis zum Einsiedler, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann. Verwiesen sei lediglich auf die Darstellung bei LeGoff, LéviStrauss in Brocéliande, S. 179–183. 186 Der Erzähler stellt diese Entfremdung Iweins, die ihm schon äußerlich anzusehen ist, eindringlich auch als eine zeitliche Distanz zum Früheren dar (V. 3345–3360). 187 Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 310.
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sich bereits Dagmar Ó Riain-Raedel ausgesprochen,188 und auch Wolfgang Mohr sieht die Szene vielmehr in ihrer zugrunde liegenden, allgemeinen Analogie zu mythischen Strukturen; seien es drei Marien, drei Feen oder andere helfende Frauen, letztlich sei es – so Mohr – „eine Sippschaft“.189 Wenngleich es lediglich bei der Nennung des Namens bleibt, womit ein Verweis auf die in Hartmanns Erec umfassend erzählte Geschichte von Famurgan bereits gegeben ist,190 kann als Indiz für die mythische Provenienz und Wirkung der Salbe nicht nur ihre besondere Wertschätzung herangezogen werden, sondern vor allem das häufig mit einer rituellen Handlung verbundene Schweigen.191 Für Dirk Matejowski ist mit der Salbe die Heilung Iweins deutlich als magischer Vorgang angezeigt,192 und auch Andreas Hammer hebt die besondere Wirksamkeit des „magischen Heilmittels“ hervor, das darauf hinweise, „daß für eine Heilung und Wiedereingliederung in die höfische Welt herkömmliche medizinische Versorgung nicht ausreicht“.193 In der Forschung ist dagegen bereits mehrfach die These einer ausdrücklich nach dem medizinischen Kenntnisstand des 12. Jahrhunderts erfolgenden Behandlung vertreten worden.194 Doch bleibt festzuhalten, dass der Text an dieser Stelle keine weiteren Hinweise auf die Wirkung der Salbe gibt, weshalb weder von einer eindeutig mythisch fundierten noch medizinisch nachvollziehbaren Heilung ausgegangen werden kann.195 Die Salbe Famurgans ist vielmehr im weiteren Zusammenhang von Iweins Erwachen zu sehen: Iwein erwacht, doch seine an sich selbst gerichtete Frage: bistûz Îwein, ode wer? (V. 3509) bleibt unbeantwortet. Er findet keine Klarheit über seine Situation, die sich ihm als ein undeutlicher Zustand zwischen Wachen und Traum darstellt. Jan-Dirk Müller lehnt eine magische Wirkung der Salbe zwar grundsätzlich nicht ab, doch stellt er 188
Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 234. Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 79, Hervorhebung dort. 190 Vgl. Meyer, Struktureller Zauber, S. 144; Funcke, Morgain, S. 28–31. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 227, stellt überdies einen Vergleich der je strukturellen Position in den beiden Romanen an. Zur Figur der Famurgan siehe ausführlich Kapitel 4.2.3. 191 Die Verse 3473 f. wurden unter Berücksichtigung einer möglichen Einteilung des Romans in Gruppen von je dreißig Versen und nicht zuletzt wegen ihres für Hartmann untypischen Reims und ihrer Vorwegnahme von Vers 3476 von Lachmann in seiner Ausgabe ursprünglich nicht übernommen, wenngleich sie in allen Handschriften überliefert sind. Die Streichung wurde jedoch schon früh abgelehnt, unter anderem mit dem Hinweis auf das bei magischen Heilungen konstitutive Schweigen. Vgl. die Anmerkung zur Stelle von Cramer, Anmerkungen, S. 208, sowie Mertens, Stellenkommentar, S. 1021. 192 Vgl. Matejowski, Motiv des Wahnsinns, S. 126. 193 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 240 f.; vgl. auch ebd., S. 245 f. 194 Vgl. mit einem Überblick über die Forschung Haferlach, Darstellung von Verletzungen, S. 39–47, der eine psychologische Deutung ebenso wie Matejowski, Motiv des Wahnsinns, S. 125 f., ablehnt, die jedoch vertreten wird von Schmitt, Wahnsinn; Krause, Psychologie von Kommunikation; Schmitz, Iweins zorn und tobesuht; vgl. auch Blank, Melancholiker als Romanheld, S. 9–15. 195 Vgl. schon das Ergebnis von Meyer, Struktureller Zauber, S. 144: „Es wird nicht einmal deutlich, ob es sich um ein medizinisches oder zauberisches Präparat handelt.“ 189
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fest: „Die Wiederherstellung durch die Zaubersalbe der Fee ist unvollständig, denn Iwein kann seine eigene Geschichte nicht als die wirkliche eigene Geschichte verstehen.“196 So verfällt er zunächst in einen langen Monolog, entdeckt schließlich auch die Kleider und nach deren Anlegen erst wart er einem rîter gelîch (V. 3596) und kann von der Magd als ein solcher angesprochen werden (V. 3637). Ausgehend von diesem Zusammenhang hebt neben Walter Blank197 und zuletzt Andreas Kraß198 auch Jan-Dirk Müller die Kleider als komplementär in ihrer Wirkung zur Salbe hervor, da es äußerer Zeichen bedarf, um den Blick auf die eigene Person zu stabilisieren.199 Mit dem Pferd, das die Magd Iwein gibt, vervollständigt sich das korrekte Bild eines Ritters,200 und so kann er mit an den Hof von Narison reiten, wo ihm weitere Pflege zukommt, unz daz im sîn schade | vil lützel an schein (V. 3650 f.). Die Heilung Iweins von seinem Wahnsinn vereint somit ein durch die Erwähnung Famurgans als mythisches Motiv zu bestimmendes Element mit den genuin höfisch belegten Motiven von Kleidung und Pferd, die erst gemeinsam eine Wirkung zeitigen. Das mythopoetische Erzählen von der Salbe schließt an die als mythosanalog beschreibbare Struktur der Erzählung von der Initiation an, die letztlich aber auf die Investitur eines Ritters hinausläuft. Wenngleich Mythisches nicht nur präsent, sondern letztlich auch in gleicher Weise wie Kleidung und Pferd nötig ist, um Iwein vom Wahnsinn zu heilen, ist eine Dominanz des Höfischen doch festzustellen. Diese Betonung des Höfischen bestätigt sich nicht nur auf der Ebene des Erzählens im ironischen Spiel mit der Salbe,201 sondern setzt sich in der Geschichte fort, wenn die Magd den Verlust der Salbe mit einem lügemære (V. 3658) gegenüber ihrer Herrin erklärt. Die bei Hartmann anders als bei Chrétien ausfallende Reaktion der Herrin unterstreicht dies: Während die Dame von Noroison den schlimmen Verlust beklagt, da sie gehofft habe, von dem Ritter Glück und Freude zu gewinnen und doch ihr teuerstes Kleinod verloren habe (V. 3115–3127), übertrifft bei Hartmann der Gewinn des Ritters den selbst unwiederbringlichen Verlust der Salbe, was die Dame von Narison gegenüber ihrer Magd zum Ausdruck bringt: 196
Müller, Identitätskrisen, S. 310. Vgl. Blank, Melancholiker als Romanheld, S. 10. 198 Vgl. Kraß, Geschriebene Kleider, S. 120. 199 Vgl. Müller, Identitätskrisen, S. 311: „Indem Iwein die Kleider entdeckt, kann er den Zwiespalt lösen, seine ritterliche Existenz wiederherstellen und den unritterlichen Körper den Blicken entziehen. […] Es bedarf anderer äußerer Zeichen. Erst als die Kleider die Zeichen des gebûre verdecken, ist Iwein wieder mit sich selbst einig.“ Inwiefern Iwein zu diesem Zeitpunkt tatsächlich „mit sich selbst einig“ ist, kann jedoch zumindest in Frage gestellt werden. Kritisch bleibt auch Mertens, Stellenkommentar, S. 1023 f. Schließlich findet Iwein auch erst an der Quelle wieder gänzlichen Anschluss an seine Vergangenheit, die sich ihm hier noch als wunders geschiht (V. 3630) darstellt; vgl. auch Schnyder, Ich-Geschichten, S. 79 f. Auf die Szene an der Quelle ist im Folgenden noch einzugehen. 200 Siehe hierzu grundlegend Friedrich, Der Ritter und sein Pferd. 201 Dies hat Warning, Identitätskonstitution, S. 582, für Chrétien wie für Hartmann herausgearbeitet. 197
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den schaden suln wir gedagen 202 des vrumen gote gnâde sagen. ich hân in kurzen stunden einen rîter vunden unde mîne guote salben verlorn. 203 der schade sî durch den vrumen verkorn. (V. 3685–3690)
Die mit Salbe, Kleidung und Pferd angezeigte Veränderung wird im Folgenden auf der Handlungsebene umgesetzt und im Kampf bestätigt. Denn sobald Iwein als Ritter restituiert ist, überfällt Graf Aliers das Land von Narison.204 Vom Kampf wird zwar knapp, doch in eigentümlicher Weise in zwei Teilen erzählt, die jeweils in der Bestätigung Iweins gipfeln und auffallende Bezüge zum Kampf gegen Askalon erkennen lassen: Zunächst (V. 3703–3758) stellt sich das Geschehen als eine Verteidigung des Landes dar, bis Iwein nach erfolgreicher Schlacht beide lop unde prîs zugesprochen bekommt und alle wünschen, dass ihn ihre Herrin zum Mann nehme. Anschließend erst (V. 3759–3801) wird von Iweins Verfolgung des zu seiner Burg fliehenden Aliers erzählt, wo er ihn noch am Tor einholen und gefangen nehmen kann, sodass Iwein auch jetzt die größte Ehre zukommt. Dieser zweifach erzählte Kampf gegen Aliers perspektiviert den früheren Kampf an der Quelle gleichsam von zwei Seiten: Iwein kommt nicht nur der Landesverteidigung nach, sondern korrigiert gewissermaßen seine frühere Tat, wenn er den Fliehenden nicht erschlägt, sondern – wie schon damals beabsichtigt – jetzt gefangen nimmt.205 Iwein gelingt somit die Integration der Aufgaben des Artusritters wie Verteidigers.206
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Wenngleich die Verse 3685 f. in allen Handschriften außer Bap enthalten sind, streicht Mertens sie in seiner Ausgabe, da sie die unmittelbar folgende Aussage vorwegnehmen und damit die Pointe schwächen würden; vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1024. Schon die Handschriftenlage lässt diese Entscheidung nicht ganz nachvollziehen, wie dann die inhaltliche Wiederholung gerade eine Betonung des Sachverhalts erzielt, was in dem hier vorgestellten Zusammenhang zwar nicht entscheidend, doch zumindest auffällig ist. 203 Während bei Chrétien die Dame selbst die Salbe von Morgain erhalten habe (V. 2953), womit ein erneutes Zusammentreffen zumindest nicht auszuschließen ist, erwähnt Hartmann lediglich den Namen und vermeidet – wie schon im Erec – jede Verbindung zu Famurgan; vgl. Wieshofer, Fee und Zauberin, S. 95. Schließlich heißt es auch, dass man die Salbe niht wider müge hân (V. 3693). 204 Im Text heißt es, dass Aliers mit seinen Truppen eins tages (V. 3703) kommt, womit zwar unklar bleibt, wie lange Iwein bereits am Hof von Narison verweilt, doch ist es vielmehr bezeichnend, dass unmittelbar jetzt davon erzählt wird, nachdem Iwein den besten harnasch und daz beste ros (V. 3699 f.) bekommen hat. Der drohende Angriff von Aliers ist letztlich bereits als Grund für die nötige Heilung Iweins genannt (V. 3407–3419). 205 Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 121; Wolf, Einführung, S. 87; kritisch hierzu Mertens, Stellenkommentar, S. 1025. Zum Kampf gegen Askalon siehe Kapitel 5.1.3. 206 Cormeau stellt zwar ebenfalls den Bezug zum Askalon-Kampf her, erkennt jedoch einzig die auf Laudine bezogene Perspektive; vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 211. Die Integration auch der Aufgaben eines Artusritters zeigt die Geschichte unverkennbar an, doch ist sie bezeichnenderweise in der Erzählfolge noch nicht umgesetzt, insofern diese sukzessiv und nicht integrativ
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Die Forschung hat auch bezüglich der Aliers-Episode eine strukturelle Analogie zu mythischen Erzählungen herstellen wollen, doch hat schon Braches feststellen können, dass diese „in höfischem Sinne verwandelt worden“ sind.207 Auch Ó Riain-Raedel stellt einen umfassenden Vergleich zu keltischen Erzählungen an und betont ihrerseits: „Über die mythische Bedeutung ist die höfische geschichtet: Iwein hat der Dame geholfen, weil es seine Pflicht als Ritter verlangt, den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen und weil er ihr zu Dank verpflichtet ist.“208 Diese Deutung schließt nicht nur an die bereits mit dem lügemære von der Salbe vorgezeichnete Abweisung des Mythischen an, sondern ergibt sich gerade auch über ihren Bezug zur früheren Erzählung vom Kampf gegen Askalon. Die Geschichte von Aliers steht somit nicht nur im unmittelbaren Zusammenhang mit der Heilung Iweins, sondern ist insgesamt in das Gefüge des Romans integriert. Für den Helden jedoch bleibt nicht zuletzt eine von außen angetragene Verpflichtung gegenüber der Dame von Narison festzuhalten, der er gleichsam unaufgefordert nachkommt, doch nicht als seine eigene Aufgabe annimmt. So schlägt er – wenn auch ohne weitere Erläuterung – jeglichen lôn aus, der ihm mit Heirat und Herrschaftsübernahme angeboten wird (V. 3796–3801). Damit ist letztlich seine Verpflichtung gegenüber seiner Rolle als Mann Laudines und Herr über die Quelle angezeigt.209 Eingebettet in die Handlungssequenz von Wahnsinn und Heilung weist die Erzählung am Wendepunkt des Geschehens, dem Erwachen Iweins, mit der Salbe der Famurgan nicht nur ein mythisches Motiv auf, sondern über die Initiationsstruktur auch Analogien zu mythischen Erzählungen. Die so erzählte Initiation des Helden ist letztlich an die Mythizität der Erzählung gebunden. Mythisches partizipiert im mythopoetischen und auch mythosanalogen Erzählen an der Restitution des höfischen Ritters, wenngleich es abgewiesen, vom Höfischen überboten und in den weiteren Zusammenhang des Romans eingebunden wird. Die letzte Station des Helden innerhalb dieser Episodenreihe verdeutlicht dies, indem sie diese Tendenz synchron verdichtet im Drachenkampf zur Anschauung bringt: Iwein möchte nicht länger am Hof von Narison bleiben. Er nimmt Abschied und folgt einem Weg, bis er eine Stimme hört, die clägelîch unde grimme (V. 3830) durch den Wald zu ihm dringt. Er folgt ihr bis zu einer Lichtung, wo ein grimmer kampf geschach, dâ mit unverzagten siten verläuft. Die Integration auch in der Erzählfolge wird erst in der Episodenreihe des zweiten Handlungszyklus erreicht, worauf noch genauer einzugehen ist. 207 Braches, Jenseitsmotive, S. 172, stellt dann allgemein eine „Rationalisierung und Verritterlichung“ fest. Auch Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 79, erkennt eine vergleichbare Entwicklung: Wenn die Figuren eine logische Geschichte erhalten, als höfische bedroht werden und Hilfe benötigen, schlage „der Mythos in ‚Wirklichkeit‘ um“. 208 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 236; vgl. insgesamt ihre Analyse von Analogien und Unterschieden zu keltischen Erzählungen ebd., S. 234–241. 209 Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 125; Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 211 f.; sowie bereits Ruh, Höfische Epik, S. 158.
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ein wurm unde ein leu striten. der wurm was starc unde grôz: daz viur im ûz dem munde schôz. im half diu hitze unde der stanc, daz er den leun des betwanc daz er vil lûte schrê. (V. 3838–3845)
Iwein zögert einen Moment und überlegt, welchem der beiden Tiere er beistehen solle, bis er zum Entschluss kommt, dem edeln tiere (V. 3849) zu helfen, wenngleich er fürchtet, anschließend selbst vom Löwen angegriffen zu werden. Iwein greift dennoch kurzerhand als ein vrum man (V. 3861)210 in den Kampf ein und tötet den Drachen, woraufhin sich der Löwe ihm dankbar unterwirft und fortan treu an seiner Seite bleibt. Der Kampf gegen den Drachen ist eines der am weitest verbreiteten und ältesten Erzählmotive, dem genuin mythische Qualität zukommt.211 Er tritt meist in Schöpfungsmythen auf, die vom Anfang erzählen, der erst mit dem Töten des Drachen seinen Ausgang nehmen kann, wobei der Drache im Mythos die Position „des Feindes, der Bedrohung, des Chaos, der Finsternis, der Nacht“ besetzt.212 Aus religionswissenschaftlicher Perspektive nimmt der Drachenkampf immer schon eine ordnungsstiftende bis sakrale Funktion ein213 und ist meist zentrales Geschehen einer Initiation.214 Diese Struktur liegt noch der höfischen Literatur zugrunde, die „dem mythischen Urbild, dem Archetypus vom Sieg des Menschen über den Drachen“ je aktuelle Bedeutung für die Initiation des Helden beimisst.215 So deutete bereits Hulda Henriette Braches den Drachenkampf im Iwein als einen solchen „rite de passage“.216 Auch Monika UnzeitigHerzog betont, dass er hier deutlicher noch als in anderen Texten in der „Bedeutung eines Initiationskampfes“ zu sehen ist, da er nicht nur eine bloße Demonstration von Gewalt und Stärke, sondern gleichfalls Qualitäten des Helden zu erkennen gibt, die einem ritterlichen Anspruch folgen.217 Zeigt Iwein „Erbarmen, Mut und die Fähigkeit, ein Risiko einzugehen im Einsatz für das Richtige und moralisch Gute“,218 tritt mit dem Löwen dann auch das edle und treue Tier an seine Seite.219 210
Die Bezeichnung Iweins als vrum man rekurriert offensichtlich auf die Rede der Dame von Narison, die den Verlust ihrer Salbe durch den Gewinn des vrumen (V. 3690) ersetzt sieht. 211 Vgl. Röhrich, Drache, Sp. 801; grundlegend auch Lecouteux, Der Drache; Unzeitig-Herzog, Vom Sieg über den Drachen; Engemann, Drache; Ange/Hoppe, Gut gegen Böse. 212 Röhrich, Drache, Sp. 812. 213 Vgl. Hutter, Drache, Sp. 357 f. In christlicher Tradition kann der Löwen-Drachen-Kampf eine Deutung als Kampf Christi gegen den Teufel erfahren; vgl. ebd., Sp. 358 f.; Röhrich, Drache, Sp. 797. Dass diese hier jedoch nicht zutreffen mag, betont Jäckel, Der Herrscher als Löwe, S. 215. 214 Vgl. Röhrich, Drache, Sp. 813. 215 Unzeitig-Herzog, Vom Sieg über den Drachen, S. 43; vgl. auch Röhrich, Drache, Sp. 798. 216 Braches, Jenseitsmotive, S. 173. 217 Unzeitig-Herzog, Vom Sieg über den Drachen, S. 45; vgl. auch die Deutung von Markey, The ex lege rite of passage, S. 103. 218 Unzeitig-Herzog, Vom Sieg über den Drachen, S. 46. 219 Vgl. Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 301.
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Ist somit im Drachenkampf die Initiation des Helden bereits innerhalb der Tradition angelegt, erweist sie sich jedoch in der konkreten Ausgestaltung im Roman lediglich als „ein Schritt zur Reintegration in die höfische Welt“.220 Der Löwe mag hierauf von Beginn an aufmerksam machen: Wenn seine Stimme schon während des Kampfs zugleich clägelîch unde grimme (V. 3830) klingt, erweckt er bei Iwein entsprechend Mitleid wie Furcht.221 Er ist ein edles und doch wildes Tier und erscheint in einer semantischen Ambiguität, die sich auf den Helden überträgt.222 Bruno Quast hat gezeigt, wie die Wildheit im Iwein „als integrativer Faktor höfischer Kultur“ firmiert und für den Helden noch „unhintergehbare Voraussetzung für die Reintegration in die höfische Kultur, für den Prozess seiner Akkulturation“ ist.223 Als „dominantes Symbol“ zeigt der Löwe die Liminalität des Helden adäquat an, der seine frühere Existenz in der wilde ablegt und mit diesem eine neue, wenn auch noch ambivalente Identität erhält.224 Der namenlos im Wald umherirrende Nackte ist jetzt ein Ritter in Begleitung seines Löwen, womit Anfang und Ende einer Episodenreihe markiert sind. Nicht zuletzt macht die anschließend an den Kampf erzählte Jagd Iweins mit dem Löwen auf die Umkehrung der früheren Situation auch aufmerksam, in der er jetzt nicht mehr auf die Hilfe des Einsiedlers angewiesen ist.225 Der Drachenkampf schließt damit an hervorgehobener Position des Romans – bei Chrétien nimmt er exakt die Mittelposition226 ein – eine bisherige Entwicklung ab und 220
Unzeitig-Herzog, Vom Sieg über den Drachen, S. 46; hierdurch unterscheidet sich der Drachenkampf im Iwein etwa auch vom erzählten Kampf Siegfrieds gegen den Drachen im Nibelungenlied, der ihn vielmehr in eine Außenstellung zur höfischen Ordnung treten lässt; vgl. ebd. S. 44, 46 u. 49. Als „Bewährungsprobe“ und „Wendepunkt in Iweins Leben“ bei erster „Verwirklichung der ritterlichen Wertvorstellungen“ fasst den Drachenkampf im Iwein Zutt, Drachenkämpfe, S. 208. 221 Gerade Hartmann unterstreicht noch die Wildheit des Löwen, wenn er die anthropomorphen Züge, die er bei Chrétien hat, nicht übernimmt; vgl. Weiss, Löwen-Drachen-Kampf, S. 601; Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 372. 222 Vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 118 f. Der Löwe ist stets in seiner Beziehung zu Iwein zu sehen, seine Deutung ist immer schon an den Helden des Romans gebunden und unterliegt notwendigerweise den nämlichen Entwicklungen. Vgl. bereits die Beobachtungen von Markey, The ex lege rite of passage, S. 104; zuletzt Friedrich, Menschentier und Tiermensch, S. 362 f.; auch Obermaier, Tierrittermotiv, S. 126 f.; Jäckel, Der Herrscher als Löwe, S. 223; mit einem Überblick über mögliche Deutungen des Löwen siehe ebd., S. 123 f., sowie v. a. Rieger, Yvains Löwe, bes. S. 254 f. 223 Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 121 f. 224 Ebd., S. 118 f.; vgl. auch ebd., S. 123: „Seine Identität oszilliert zwischen Wildem und Höfischem.“ Zum Löwen Iweins als Symbol für die liminale Phase eines „rite de passage“ im Sinne van Genneps siehe auch schon die Deutung von Markey, The ex lege rite of passage, S. 106 f. 225 Iwein kann mit dem Löwen, den er wie einen suochhunt (V. 3894) antreibt, Wild jagen, erlegen und über dem Feuer braten (V. 3905). Gerade hierzu war er während seines Wahnsinns noch auf den Handel mit dem Einsiedler angewiesen (V. 3331–3337); vgl. mit Bezug auch auf Chrétien Weiss, Löwen-Drachen-Kampf, S. 602 f.; LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 179–183. 226 Der Drachenkampf ist bei Chrétien in den Versen 3341–3484 erzählt, an die sich weitere 3334 Verse bis zum Schluss des Romans anschließen.
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bereitet eine neu gewonnene Perspektive vor, bei signifikanter Präsenz des Mythischen: Die mit dem Wahnsinn eröffnete Episodenreihe folgt in mythosanaloger Gestaltung einer Initiation des Helden und bringt diese verdichtet noch im Drachenkampf zur Anschauung. Stellt sich der Wahnsinn als ein Herausfallen aus der höfischen Ordnung dar, wird bereits mit der Heilung des Wahnsinnigen mittels Salbe, Kleidung und Pferd ein Wendepunkt erreicht, ab dem der Held sich als Ritter im Kampf bewähren und noch den Drachen besiegen kann. Auf der Ebene des Erzählten drückt sich dies in einer entsprechend mythopoetischen Erzählweise aus. Mittels der Integration der prägnanten Motive von Famurgan und Drachenkampf erfolgt allererst die Restitution des Helden, wobei das bewusste Eintreten für das edlere Tier am Ende eine aktive Teilnahme seitens Iweins erkennen lässt, während die Heilung noch von außen an den Helden herangetragen werden muss. Mythisches ist in gleicher Weise Voraussetzung einer auch höfisch markierten Investitur zum Ritter, wie es mithin die Folie bietet, vor der sich der Held als Held erst etablieren kann. Während jedoch die Erzählung nachhaltig einer Mythizität verpflichtet bleibt, stellt sich in der Geschichte Mythisches als geradezu ephemer dar. Sowohl die Salbe verschwindet unwiederbringlich wie auch der Drache vom neu gewonnenen Ritter getötet wird. Mit der Integration des Mythischen in die Erzählung bei Abweisung in der Geschichte ist eine Tendenz im Umgang mit dem Mythischen bereits angelegt, die auch in den kommenden Stationen auf Iweins Weg wieder aufgegriffen wird.227 Und mit Wahnsinn und Heilung beginnt ebendieser Weg nâch âventiure (V. 3918). In Begleitung seines Löwen erhält Iwein eine neue Grundlage seiner Existenz und Identität, wobei auch eine Bedeutung höfischer Werte bereits anklingt. Doch wählt Iwein noch immer nicht selbst seinen Weg. Die schon zu Beginn der Episodenreihe festgestellte Unsicherheit und letztlich unbefriedigende Motivation setzt sich im Weiteren fort, wenn es diu geschiht (V. 3923) ist, die durch die weitere Erzählung führt.228
5.2.2 Lunetekampf und Schwestern vom Schwarzen Dorn Bei Chrétien kommen Yvain und sein Löwe eines Morgens unerwartet und zufällig, von avanture (V. 3490), zu der Quelle unterhalb der Fichte. Neben Quelle, Stein und Kapelle verliert Yvain unerwartet das Bewusstsein, stürzt vom Pferd und verletzt sich an seinem Schwert. Der Löwe hält ihn für tot und beginnt auf eine Weise fürchterlich zu klagen, wie – so der Erzähler – noch niemals zuvor ein so großer Schmerz beschrieben oder erzählt worden sei: Ains de rien nule duel greignor | N’oïstes conter ne retrei227
Als „epische Vorzeichen, welche den Sinn der folgenden Aventiuren anzeigen“, bezeichnet allgemein die Kämpfe Ruh, Höfische Epik, S. 159. 228 Vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 126, der über den Löwen diese Offenheit ebenfalls bezeichnet sieht: „Wenn und solange sich Iwein über den Löwen identifiziert, partizipiert er an dessen transgressiver Qualität, ist das Ziel seines Aventiurewegs noch nicht in Sicht.“
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re, | Come il an comança a feire! (V. 3508–3510).229 Erst als Yvain wieder zu sich kommt, beginnt er selbst zu klagen, da er die Frist habe verstreichen lassen (V. 3529 f.) und sich ihm durch eigene Schuld Freude in Schmerz verkehrt habe: a duel ai joie changiee (V. 3553). Während Chrétien Yvains zufälliges Eintreffen an der Quelle als unvermittelten Moment der Bewusstlosigkeit beschreibt und mit der Klage des Löwen im Überbietungstopos auf eine Einmaligkeit des Erzählten zielt, hat Hartmann diese Szene grundlegend anders gestaltet. Iweins Sturz vom Pferd ist hier Folge seiner erst explizierten Erinnerung, und der Erzähler erinnert seinerseits an die eigene Erzählung von der Quelle, mit der die Geschichte Iweins gegenwärtig ist: Iwein kommt in das Land seiner Frau, ihn führt diu geschiht (V. 3923) an den Ort, dâ er den selben brunnen vant, von dem im dâ was geschehen, als ich iu ê hân verjehen, grôz heil unde michel ungemach. (V. 3926–3929)
Während Chrétien Yvains eigene Schuld, son mesfet (V. 3561), hervorhebt, stellt der Erzähler bei Hartmann über den Verweis auf das früher Erzählte vielmehr die Quelle ins Zentrum. Er nennt die Quelle als den Ort, an dem Iwein Glück und Unglück erfahren hat, und unterstreicht damit nicht nur ihre Funktion als Kristallisationspunkt der Geschichte, sondern schließt unmittelbar an ihre Mythizität an, wenn sie hier in gleicher Weise den Moment der Veränderung zeitlos aktualisiert. Bringt die Quelle in mythischer Zeitlosigkeit stets Freude wie Leid zur Anschauung, stellt sich mit der Quelle in metonymischer Relation eine unmittelbare Präsenz auch der Geschichte Iweins ein, an die sich das Erinnern anschließt. Die Quelle ist damit als bedeutsamer Ort erneut angezeigt, an dem Relationen deutlich werden, die jetzt Iwein wahrnimmt: unde als er die linden darobe sach, unde dô im dâzuo erschein diu kapel unde der stein, dô wart sîn herze des ermant wie er sîn êre unde sîn lant hete verlorn unde sîn wîp. (V. 3930–3935)
An der Quelle erinnert sich Iwein an seine Geschichte und es konkretisiert sich seine momentane Situation. Der Quelle kommt damit über Erzählerrede und Figurenbewusstsein ein Status von Präsenz und zugleich Repräsentation der Geschichte zu, sie vergegenwärtigt Freude und Leid, wie sie an deren Wechsel erinnern lässt. Sie ist gleichsam ein Erinnerungsort, dem ein Geschehen eingeschrieben ist, das unmittelbar wahrgenommen und erinnert werden kann. „Da erhält alles“, so Mireille Schnyder, „Realität 229
In der Übersetzung von Ilse Nolting-Hauff: „Nie habt ihr größeren Schmerz über irgend etwas erzählen oder beschreiben hören, als er ihn zu zeigen begann!“ Chrestien de Troyes, Yvain (Nolting-Hauff), S. 179.
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und Präsenz. Subjektive Wahrnehmung, kollektives Gedächtnis und Umwelt finden hier am Ort des Brunnens zusammen. Darüber kann sich das Subjekt konstituieren und in der Welt verorten.“230 Über die so verdichtete Gegenwärtigkeit der vergangenen eigenen Geschichte kann Iwein erstmals die Quelle in ihrer Bedeutung erkennen. Ist sie für ihn zunächst der Ort individuellen Ehrgewinns, als der er auch den Artusrittern nachhaltig erscheint,231 tritt für Iwein jetzt die Minne hinzu. Er erinnert sich, wie er sîn êre unde sîn lant | hete verlorn und – im syntaktisch nachgestellten Zusatz – auch sîn wîp. Dann erst fällt Iwein vom Pferd, verletzt sich an seinem Schwert, woraufhin der Löwe sich seinerseits ins Schwert stürzen möchte, doch kommt Iwein rechtzeitig wieder zu Bewusstsein. Mit diesen weitreichenden Veränderungen gegenüber seiner Vorlage hat Hartmann nicht nur einen direkten Anschluss an die früheren Ereignisse erzielt und die mythisch fundierte Bedeutsamkeit der Quelle erneut angezeigt, sondern den Moment des Erinnerns Iweins zugleich als einen Moment der Differenzwahrnehmung darstellen können. Während die Quelle eine Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung unmittelbar zur Anschauung bringt, was durch den Erzähler nochmals deutlich wird, nimmt Iwein gerade die Veränderung in seiner Geschichte war, die er in seinem Monolog als Verlust von Minne und Ehre erkennt.232 Da er beides nicht auf Dauer erhalten kann, ichn solde ouch stæte sîn daran (V. 3978), erscheint ihm – beim Anblick der Quelle (V. 3986) – zunächst nur der Tod als einziger Ausweg, um die Zeit und mit ihr alle Veränderungen aufzuheben. Die Reaktion des Löwen auf seinen Sturz bestärkt ihn in seinem Entschluss, da sie ihm ein bilde (V. 4001) gibt, wie rehtiu triuwe (V. 4005) zum anderen auf Dauer gestellt werden muss.233 Mit Iweins Erinnern an der Quelle ist ein bezeichnender Umschlag in der Motivation des Helden zu konstatieren. Ist sein Aufbruch mit dem Löwen als ein Aufbruch nâch âventiure (V. 3918) bezeichnet, führt ihn entsprechend diu geschiht (V. 3923) zur Quelle, an den Ort von Gewinn und Verlust von Minne und Ehre. Die Quelle ist damit zunächst unbeabsichtigtes Ziel seines noch immer ziellosen Umherirrens, doch ist sie jetzt auch Ausgangspunkt einer Aventiurensequenz, in der er das von ihm begangene und verursachte Unrecht wieder korrigieren und seine verlorene Ehre und Minne wiedergewinnen muss. Die Quelle firmiert somit erneut als Wendepunkt des Geschehens und 230
Schnyder, Ich-Geschichten, S. 80. Vgl. Kapitel 5.1.4. 232 Iwein beginnt seine Reflexion über seine Situation mit dem Verlust von seiner vrouwen hulde, der damit als ein Verlust der Minne deutlich angezeigt ist, und erörtert anschließend den Verlust von Ehre, um deren Integration in der Ehe mit Laudine zu erkennen. Laudine bezeichnet er am Ende entsprechend als mîn schœne wîp, von der er seine Existenz, den lîp, abhängig macht, ein unhintergehbarer Zusammenhang, der schon im Reim deutlich wird (V. 3961–3994). Anschließend erst folgen Gedanken zur Reaktion. 233 Vgl. Knapp, Selbstmord, S. 178 f.; Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 301; den Status einer „Reflexionsfigur“ schreibt ihm Feistner, Bewußtlosigkeit, S. 259, zu. Hartmann hat die Reflexion über die Reaktion des Löwen eingefügt und bringt damit einen allgemeinen Anspruch zum Ausdruck. 231
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markiert den Zeitpunkt, an dem seine veränderte Einstellung gegenüber Vergangenem deutlich wird.234 Sie ist Ort der Konfrontation mit dem Quellenhüter, die sich für Iwein als eine Konfrontation mit dem Eigenen darstellt und vor dem Hintergrund der Frage nach der eigenen Identität zugleich und erneut die Frage nach der rechten Ordnung virulent werden lässt: Iwein scheint den Kampf an der Quelle gegen sich selbst zu verlieren, bis er im Moment äußerster Verzweiflung eine Stimme aus der nahegelegenen Kapelle vernimmt, die durch eine schrunden an der tür (V. 4020) zu ihm dringt. Es ist Lunete, die eingesperrt in der Kapelle den Tag der Vollstreckung des über sie verhängten Urteils erwartet. Sie ist als eine verrâtærinne (V. 4048) angeklagt, da aufgrund ihres Rates ihre Herrin einen Mann geheiratet habe, mit dem Leid über das Land gekommen sei. Bis zum nächsten Tag – so erzählt sie dem ihr noch fremden Ritter – dauere die Frist, innerhalb der sie einen Verteidiger ihres Rechts im Kampf gegen drei Ankläger gewinnen müsse, als den sie wegen der kaum erfüllbaren Aufgabe neben Iwein nur Gawein in Erwägung zieht.235 Ihn habe sie allerdings nicht am Artushof angetroffen, da die Königin entführt worden sei, weshalb er sie befreien müsse.236 Über den Verbleib Iweins habe sie dagegen nichts in Erfahrung bringen können. Als Iwein dies vernimmt, erkennt er Lunete und gesteht ihr, dass die Schuld für ihr Unglück einzig bei ihm liege (V. 4218 f.). Jetzt wolle er ihr beistehen, da auch sie ihm schon geholfen habe, als er zwischen den Fallgattern eingesperrt gewesen sei (V. 4258). Und so nennt er gegenüber Lunete dann auch erstmals wieder seinen Namen: ich bin ez Îwein der arme (V. 4213). Ausgehend von Iweins Erinnern an der Quelle, das ihn erneut in eine Handlungsunfähigkeit versetzt, ist es auch jetzt die Begegnung mit Lunete, die ihn nicht nur vor dem Tod bewahrt, sondern neue Perspektiven eröffnet. Die auffallende Reminiszenz zur früheren Szene zwischen den Fallgattern, die bereits über die analoge Situation im Anschluss an den Kampf an der Quelle und nicht zuletzt auch über das mit dem Spalt in der Tür wieder aufgerufene Fenstermotiv hergestellt ist und an die Iwein hier explizit erinnert, macht gerade aber auf die Verkehrung der Situation aufmerksam. Ist es jetzt Lunete, die seine Hilfe benötigt, stellt sich ihm zugleich die Aufgabe, selbst aktiv zu werden und die von ihm verursachte und infolge seiner Abwesenheit ungeregelt gebliebene rechtswidrige Situation zu ordnen.237 Im Gespräch mit Lunete verbindet sich somit 234
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 212; Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 126; ferner Hahn, Problematik von Identität, S. 206. 235 Die Freundschaft Lunetes mit Gawein wird bei den Feiern nach Iweins Sieg an der Quelle deutlich, als mit stæter sicherheit | ein geselleschaft under in zwein (V. 2756 f.) ihren Anfang nimmt. 236 Auf die so genannte Entführungsepisode braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. Hervorgehoben sei lediglich, dass sich hierdurch eine Situation ergibt, in der Iwein hervortreten kann, während der Artushof zurückbleibt, ohne jedoch vorschnell wie zu Beginn des Romans losstürzen zu müssen. Siehe hierzu Schirok, Zum Stellenwert der ‚Artuskritik‘, S. 74; mit weiterer Literatur Kern, Text und Prätext, S. 370–372; sowie die Ausführungen in Kapitel 5.1.1. 237 Die Rechtswidrigkeit betont ausdrücklich Lunete: sô wære daz gar wider den siten | daz einer kampfte drî man (V. 4326 f.); vgl. auch Bätz, Konfliktführung, S. 216.
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nicht nur die erinnerte Geschichte mit der sozialen Dimension seines Versagens,238 sondern er nimmt seine Geschichte und mit ihr seine ihm zukommende Aufgabe der Rechtswahrung an seinem Hof erst an.239 Wenn er sich selbst zwar bei seinem Namen, doch als Îwein der arme nennt, signalisiert er seine „Einbuße an gesellschaftlicher Akzeptanz und damit eine nur unvollkommen ausgebildete Identität“.240 Im Kampf für Lunete eröffnen sich für Iwein somit drei Möglichkeiten: ihr zu helfen, die Ordnung seines Hofs wieder herzustellen sowie letztlich sich seiner eigenen Verfehlung in einem nahezu aussichtslosen Kampf vor den Augen Laudines zu stellen.241 Iwein nimmt jetzt seine Verpflichtung zur triuwe (V. 4342) gegenüber Dritten war,242 die sich mit Lunete und im Zentrum seines Hofs als eine Verantwortung auch gegenüber diesem darstellt. War Iwein bis zur Krise nach dem Terminversäumnis einzig nach Erwerb und Erhalt individueller Ehre bestrebt, zeigt sich bereits im Kampf für die Dame von Narison und den Löwen ein Umschlag, der sich nach dem Erinnern an der Quelle und mit der bewussten, nach vrîer kür (V. 4354) gewählten Selbstverpflichtung für Lunete als eindeutige Motivation für den Helden zu erkennen gibt.243 In den folgenden Episoden des zweiten Handlungszyklus bewährt sich Iwein schließlich als Rechtsvertreter bedrängter Frauen, „er bewährt sich genau da, wo er sich verfehlt hatte, als er Laudines Rechtsvertretung vernachlässigte“.244 So nimmt Iwein Abschied von Lunete, um sich auf den Kampf vorzubereiten, und gibt ihr sein Versprechen, am nächsten Morgen zurückzukehren (V. 4306–4309). Die für den Gerichtskampf vorgegebene Frist kann er, wenn auch unter schwierigen Umständen infolge des erst noch zu bestehenden Kampfs gegen den Riesen Harpin,245 ein238
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 213. Oh, Aufbau und Einzelszenen, S. 125, betont, dass Iwein gegenüber Laudine als auch gegenüber Artus in Außenstellung erscheint, da im Gespräch mit Lunete an der Quelle alle drei Handlungsbereiche erstmals wieder zusammentreffen. 239 Dies wird vor allem deutlich, wenn ihn Lunete über seine Abstammung identifiziert (V. 4182 f.), wohingegen Iwein allein nur seine Schuld hervorhebt; vgl. Schnyder, Ich-Geschichten, S. 80 f. 240 Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 128. 241 Iwein hält an seinem Vorhaben zum Selbstmord in gewisser Weise noch fest, da er davon ausgeht, im Kampf gegen die drei Ankläger zu sterben (V. 4240), wenngleich er später gegenüber Lunete auch deutlich macht, dass er wie sie wol genesen (V. 4338) wird. Auf diese Widersprüchlichkeiten kann hier nicht weiter eingegangen werden. Zutt, Die unhöfische Lunete, S. 118, hebt bereits für die Entscheidung Iweins ein Vertrauen auf Gott hervor, da der Kampf als Gottesurteil anzusehen ist und Iwein gegen die Ankläger, die offensichtlich im Unrecht sind, gewinnen muss. In gleicher Weise müsste jedoch auch Iwein im Kampf fallen, insofern er sich selbst als schuldig ansieht. Mit dem Sieg über die Ankläger Lunetes sind ihre wie seine triuwe bewiesen, weshalb sich spätestens dann „der Selbstmord erübrigt“; Knapp, Selbstmord, S. 179. 242 Schnell, Abaelard, S. 36, stellt dies in den Kontext einer Gesinnungsethik, die im Anschluss an Abaelard die Absicht, die intentio, über die eigentliche Tat stellt. 243 Vgl. auch Mertens, Recht und Abenteuer, S. 204; Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 124; Hahn, Problematik von Identität, S. 196 f. 244 Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 15. 245 Hierauf ist in Kapitel 5.2.3 eigens einzugehen.
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halten und kommt gerade noch rechtzeitig, als Lunete bereits auf dem Scheiterhaufen angebunden ist. Bekräftigt vom Jammer der umstehenden Damen über das an Lunete begangene Unrecht wie von ihren Gebeten (V. 5217 f. u. 5351 f.) klagt der unerkannt bleibende Iwein die übeliu diet (V. 5179) an246 und beruft sich auf den Beistand Gottes und der Wahrheit (V. 5275) im als Gottesurteil auszutragenden Kampf.247 Nicht zuletzt mit Hilfe seines Löwen kann er die drei Ankläger schließlich besiegen und die Unschuld Lunetes beweisen, die ir vrouwen hulde wieder gewinnt, da sie âne schulde […] kumber unde nôt erlitten habe (V. 5447–5449). Doch auch die rechte Ordnung des Landes ist wieder hergestellt, wenn jetzt entsprechend dem Rechtsinstitut der Talion, der gleichartigen Vergeltung, die Besiegten auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, wie es ze den zîten site (V. 5429) ist.248 Iwein kommt somit nicht nur seiner Verpflichtung gegenüber Lunete nach, sondern zugleich auch der Verantwortung gegenüber seinem Land, dem er die bewährte Ordnung wieder garantiert. Wenngleich sich im Kampf der Beistand Gottes und des Rechts für Iwein bestätigt hat, stehen die dauerhafte Wiederherstellung seiner Ehre und die Wiedergewinnung seiner Frau noch aus. Schon der Erzähler bemerkt, dass es doch wunders genuoc sei, daz in diu niht erkande | diu doch sîn herze bî ir truoc (V. 5456– 5458). Und so bleibt Iwein gegenüber Laudine konsequent der namlôse (V. 5465) und will weiterhin einzig sîn erkant | bî mînem leun der mit mir vert (V. 5496 f.). Wenn Laudine hier in unerklärt bleibender Weise Iwein nicht erkennt und er sich überdies noch über den Löwen identifiziert, kommt deutlich zum Ausdruck, dass sein Weg nicht beendet ist.249 So wird konsequent mit der hulde seiner Frau erneut ein Motiv aufgerufen, das Iwein bereits gegenüber Lunete nennt, das jedoch erst jetzt als eigentliches Motiv sein weiteres Handeln bestimmt. Betont er nach seinem Erinnern an der Quelle noch den Verlust von mîner vrouwen hulde (V. 4217), weshalb ihm zu Recht der schade (V. 4220) zukomme, ist sie nach dem gewonnenen Kampf jetzt Ziel seines Weges, den er zu bestreiten habe, unz ûf ten tac | daz ich wider gehaben mac | mîner vrouwen hulde (V. 5467–5469). Während der Erzähler noch im Unsicheren bleibt,250 wird für Iwein jedoch deutlich, dass er nach Wiederherstellung der Ordnung in seinem Land noch die eigene Ehre wiedergewinnen muss, als Voraussetzung dafür, in die Huld sei246
In dieser Ansprache wird das begangene Unrecht an Lunete deutlich als Argument Iweins hervorgehoben; vgl. Bätz, Konfliktführung, S. 215. Auf der anderen Seite klingt damit auch seine Stellung als Herr über das Land zumindest implizit an. 247 Vgl. Zutt, Die unhöfische Lunete, S. 118. 248 Vgl. Mertens, Recht und Abenteuer, S. 206. 249 Die Verwundung des Löwen (V. 5564) verweist auf diese andauernde Mangelsituation. 250 Bruno Quast beschreibt ausgehend von dieser Szene des Nicht-Erkennens eine Hybridität des Erzählens, die mit der Verwunderung seitens des Erzählers angezeigt ist: „Hier behauptet sich ein frühes, offenbar bereits den spätantiken Eremitenviten nicht unbekanntes Erzählmuster, dem Kategorien der höfischen Erzählwelt Hartmannscher Provenienz naturgemäß fremd sind. […] Höfische und – nennen wir sie neutral – vorhöfische Erzählwelt prallen scheinbar unversöhnlich aufeinander.“ Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 120.
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ner Frau wieder aufgenommen zu werden.251 So schlägt er die Einladung an den Hof Laudines aus und macht sich mit seinem Löwen auf, unz daz in der wec truoc | dâ er eine burc ersach (V. 5576 f.), wo er sich vom Kampf erholt. Während der Kampf für Lunete Iwein die Ordnung an seinem Hof wieder herstellen lässt, ist die folgende Handlung ganz vor dem Hintergrund der wieder zu erlangenden Ehre zu sehen, wofür der Artushof der entsprechende Schauplatz ist. Der so genannte Schwesternstreit bietet Iwein hierbei die Möglichkeit, im Rahmen einer von Artus garantierten Rechtsordnung nun auch seine eigene Ehre vor versammeltem Hof unter Beweis zu stellen. Damit fügt sich die folgende Episode komplementär an die vorangegangene Lunetehandlung an, wie schon Iweins Erinnern an der Quelle in gleicher Weise auf sîn êre unde sîn lant (V. 3934) zielte: In nur wenigen Versen wird vom Tod des Grafen vom Schwarzen Dorn erzählt, der seinen beiden Töchtern sein Erbe zu je gleichen Teilen hinterlassen hat.252 Doch macht die ältere der beiden Schwestern der jüngeren ihren Erbteil streitig, weshalb ein Gerichtskampf eine Entscheidung herbeiführen soll (V. 5635–5662). Am Artushof kann sie sich die Unterstützung Gaweins sichern, der nach der erfolgreichen Befreiung der Königin auch bereit ist, ihr beizustehen.253 Gemäß der site (V. 5742) des Landes garantiert König Artus der jüngeren Schwester eine Frist von 40 Tagen, innerhalb der sie sich ihrerseits einen Kämpen suchen kann. Hierfür erscheint dieser einzig der Ritter mit dem Löwen geeignet, von dem sie bereits sô grôziu manheit (V. 5725) gehört habe, dass sie sich aufmacht, ihn zu finden. Eine Krankheit infolge ihrer irrevart (V. 5765) nötigt sie jedoch, die Suche selbst aufzugeben, weshalb die Tochter eines Verwandten diese fortsetzt. Als Botin fährt diese alle Stationen des Ritters mit dem Löwen ab, bis sie ihn endlich findet. Und noch bevor sie ihn über die Situation aufgeklärt hat, sagt er ihr auch schon seine Hilfe zu: swem mîns dienstes nôt geschiht | unde swer vrumer des gert, | dern wirt es niemer entwert (V. 6002–6004). Die breit erzählte Suche nach dem Ritter mit dem Löwen entlang der einzelnen Stationen254 führt seinen inzwischen weit verbreiteten Ruhm gleichsam vor, aufgrund dessen er entsprechend und konsequent auch als Kämpe von der jüngeren Schwester gewählt wird. Die Botin macht dies explizit, wenn sie gar diu werlt (V. 6036) nennt, die ihn rühme. Dem fügt sich Iweins unbedingte Bereitschaft zur Hilfe an, die in seiner Formulierung geradezu als neu gewonnene Definition von Aventiure255 und insgesamt als 251
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 214: Iwein richte „jetzt seinen Blick nicht mehr nach rückwärts, sondern auf eine zukünftige Wiedergewinnung“. 252 Vgl. im Folgenden auch die detaillierte Darstellung bei Bätz, Konfliktführung, S. 227–234. 253 Gawein willigt ohne Weiteres ein, wenngleich seine Beweggründe im Dunkeln bleiben, zumal auch seine Bedingung, unerkannt kämpfen zu wollen (V. 5676 f.), zunächst unmotiviert ist; vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 215: „Die finale Präferenz ist hier stärker als die kausale.“ 254 In annähernd zweihundert Versen wird erzählt wie sie zunächst zu der Burg kommt, wo Iwein den Riesen Harpin besiegt hat, zur Quelle, wo ihr erst die Leute des Landes, dann Lunete den Weg weisen, schließlich zu der Burg, wo sich Iwein vom Kampf erholen konnte (V. 5777–5970). 255 Vgl. Mertens, Stellenkommentar, S. 1038; ausführlicher Mertens, Laudine, S. 51–59.
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Grundlage seiner auch neu gewonnenen Identität angesehen werden kann.256 Die Botin legt ihm schließlich dar, wie ihre Auftraggeberin von gewalte nôt (V. 6021) leide, weshalb er ihr beistehen solle, womit er auch seine eigene Ehre noch steigern könne: sô êret got unde guotiu wîp, sît ir hövsch unde wîs. nû geruochet iuwern prîs an in beiden mêren, den iuwern an den êren den ir an dem guote. (V. 6054–6059)
Mit der Rede der Botin ist bereits hier ein Motiv aufgerufen, das die wechselseitige Ehrsteigerung schon im Reim von êren/mêren anzeigt und auch dem folgenden Kampf Iweins gegen Gawein zugrunde liegt. So sichert ihr Iwein sogleich die Unterstützung für die Dame vom Schwarzen Dorn zu und lässt sich zu ihr führen (V. 6071 f.). Nach erfolgreichem Kampf auf der Burg zum Schlimmen Abenteuer, auf den im folgenden Kapitel eigens einzugehen ist, kommen sie schließlich und gerade noch ze rehten zîten (V. 6881) an den Ort, wo der Gerichtskampf vor dem versammelten Artushof ausgeführt werden soll.257 Während Gawein eine fremde Rüstung anlegt, um unerkannt zu bleiben (V. 6893 f.), schickt Iwein seinerseits vorab seinen Löwen weg, sodass auch er unerkannt den Kampfplatz betritt (V. 6902–6907) und fortan ganz auf sich allein gestellt ist.258 Damit ist von beiden Seiten die Voraussetzung für einen Kampf unter Gleichen geschaffen, der nach einem gescheiterten Versuch gütlicher Beilegung des Streits durch Artus beginnt. In über 400 Versen (V. 6929–7348) schildert der Erzähler ebenso facettenreich wie spannungsvoll den lang andauernden Kampf: Die Beschreibung des Kampfs folgt einem auffallend durchkomponierten Muster. Steht in den ersten 200 Versen der Antagonismus der Gegner im Vordergrund, den der Erzähler über den Kampf zu Pferd und anschließend zu Fuß ebenso anschaulich schildert wie er ihn leidvoll beklagt,259 wechselt er an nahezu exakter Mittelposition auf eine Darstellung der Wechselseitigkeit im Ehrgewinn, die er metaphorisch als Tauschhandel 256
Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 129: „In der Erwartung von außen ‚spiegelt‘ sich seine innere Bereitschaft zur Hilfe, der Einsatz für andere ist Teil seiner Identität geworden.“ Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 302, hebt überdies die Mitleidfähigkeit Iweins, seine erbermde, hervor, die gerade bei Hartmann seine folgende Handlungsmotivation prägt. 257 Auf die Präsenz des gesamten Hofs wird ausdrücklich im Text hingewiesen, der damit gleichsam die Augenzeugenschaft übernimmt (V. 6895–6899). 258 Vgl. Harms, Kampf, S. 130: „Den Kampf gegen Gawein muß er allein, nur auf sich selbst angewiesen, bestehen; das ist der innere Grund, weswegen der Löwe hier nicht anwesend ist.“ Lewis, Das Tier, S. 81, hebt hervor, dass Iwein hierdurch „auf doppelte Weise anonym“ sei. Das NichtErkennen der Freunde ist handlungslogisch notwendig, was Hartmann gegenüber Chrétien jedoch besser motiviert und mit der Angabe von Gründen (Helm, Nacht, wutverzerrte Stimme; V. 7517– 7521) rationalisiert hat; vgl. auch Kartschoke, Erkennen und Wiedererkennen, hier v. a. S. 10. 259 In einer „geradezu zeremoniell hyperbolischen Weise“ gipfelt seine Kampfbeschreibung in den Exkurs über minne und haz (V. 7015–7074); Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 216.
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beschreibt (V. 7143–7234).260 Nach einer kurzen Pause, die ihrerseits eine Zäsur innerhalb der zweiten Hälfte der Darstellung markiert, greift der Erzähler die Perspektive der Zuschauer auf, über die die Gleichwertigkeit der Kämpfer schließlich bestätigt wird.261 Erst mit dem Einbruch der Nacht ist der Kampf beendet, sodass sîz mit êren mohten lân (V. 7355). Beginnt die Kampfbeschreibung zunächst mit der Gegnerschaft, zielt sie letztlich auf eine Wechselseitigkeit und auch nachhaltig auf eine Gleichwertigkeit, die die gegenseitige Ehrsteigerung zur Folge hat. Schon zu Beginn bereitet der Erzähler dies vor, wenn er betont, daz diu werlt nie gewan zwêne strîtiger man nâch werltlîchem lône. des truogens ouch die krône rîterlîcher êren, die ietweder wolde mêren an dem andern an dem tage (V. 6949–6955).
Das anschließende Gespräch der beiden Freunde greift dann auffallend hierauf zurück, was überdies erneut von außen bestätigt wird: vil der rede dô geschach, daz man ir ietwedern sach des andern prîs mêren 262 mit sîner selbes êren. (V. 7643–7646)
Mit dem Reimpaar êren/mêren (V. 6953 f. u. 7645 f.) ist dem Kampf somit ein Rahmen gegeben,263 über den dem Geschehen zugleich thematisch der gegenseitige Ehrgewinn eingeschrieben ist, was nicht zuletzt auch über die Erzählregie deutlich wird und bereits 260
Hervorgehoben seien die Verse 7208–7213: des wuohs ir êre unde ir heil. | ir wehsel was sô bereit | daz er nie wart verseit | manne noch wîbe, | sine wehselten mit dem lîbe | arbeit umbe êre. 261 Den nahezu 100 Versen zur Metaphorik des Tauschhandels stehen nach der Pause, die der Ehre wegen genommen wird (V. 7244 f.), erneut etwa 100 Verse (V. 7251–7348) gegenüber, in denen nicht nur von einem neuerlichen Versuch eines gütlichen Ausgleichs durch Artus die Rede ist, sondern in erster Linie deutlich wird, dass die Zuschauer über das Kräfteverhältnis unentschieden sind, denn ezn wart nie gelîcher kampf gesehen (V. 7272). Wolfgang Harms, der den Kampf vor dem Hintergrund des Nicht-Erkennens interpretiert, kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis, da sich für Iwein im Laufe des Kampfs eine Verschiebung des Interesses feststellen lasse, insofern ihm immer weniger am Eintreten für das Recht liege, als vielmehr daran, seinen Gegner zu erkennen, was die Gleichrangigkeit zunehmend verdeutliche; vgl. Harms, Kampf, S. 135. 262 Die zitierten Verse fehlen in der Handschrift B, sind aber nach b zu ergänzen, worauf Mertens in der Übersicht zu den Lesarten in seiner Ausgabe, in der er B folgt, hinweist; vgl. Hartmann von Aue, Iwein (Mertens), S. 974. 263 Die Rahmung wird gerade gegenüber Chrétien deutlich, der den Kampf mit dem Exkurs über amor und haïne eröffnet (V. 6001 ff.) und das Motiv der Ehrenkrone (V. 6359) an das Ende setzt. Insofern schon bei Chrétien dieses Motiv am Ende des Abschnittes aufgeführt ist, mag sich auch die Ergänzung der Verse 7643–7646 nach der Handschrift b rechtfertigen lassen.
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in der Rede der Botin gegenüber dem Ritter mit dem Löwen vorbereitet ist (V. 6057 f.). Das Gespräch Iweins und Gaweins, in dem sie sich gegenseitig zu erkennen geben, erscheint dann gleichsam als hyperbolische Zuspitzung, wenn es im vriuntliche[n] strît immerzu gilt, dass jeder dem anderen die êre mêre.264 Die so erfolgende Angleichung der Helden bei wechselseitiger Bestätigung ihrer Ehre zeitigt letztlich die Restitution Iweins am Artushof.265 Seine wiedergewonnene Identität bringt er gegenüber Gawein zum Ausdruck, wenn er sich erstmals wieder bei seinem Namen nennt (V. 7483), ohne sich wie noch gegenüber Lunete als der arme zu bezeichnen.266 Mit dem unentschiedenen Kampf zwischen den Artusrittern bestätigt sich überdies die Ordnung des Hofs,267 dessen Ansehen mit der Ehre Iweins noch gesteigert wird, wenn er infolge des Erscheinens seines Löwen als der degn mære erkannt wird, von dem sie wunder hôrten sagen (V. 7741–7743). Am Ende bleibt es letztlich zweitrangig, dass der Streit zwischen den Schwestern mittels eines Richtspruchs seitens Artus entschieden wird und die jüngere ihren Erbteil zuerkannt bekommt, womit jedoch erneut der Artushof als höchste Rechtsinstanz auch nachhaltig ausgewiesen ist.268 Mit dem Erinnern an der Quelle beginnt Iweins selbst gewählter Weg mit dem Löwen, der jetzt zu einem vorläufigen Ende gekommen ist, insofern Iwein die Ordnung an seinem Hof wieder hergestellt und mit dem Zugewinn an Ehre am Artushof auch seine Identität wieder gefestigt hat. Zu den Gerichtskämpfen kann er jeweils rechtzeitig am jeweiligen Hof erscheinen und seinen tatkräftigen Einsatz für andere unter Beweis stellen. Er kommt den Verpflichtungen termingerecht nach und bestätigt, wie er „die Anforderungen Laudines und der Artusgesellschaft gleichermaßen gut zu erfüllen“ in der Lage ist.269 Über die erfolgreiche Integration der Aufgaben als Landesherr und Artusritter erreicht er schließlich eine Harmonie nicht nur am Hof, sondern in gleicher Weise 264
Vor allem den Versen 7528–7592 liegt dies leitmotivisch zugrunde. Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 158 u. 161; Harms, Kampf, S. 128. 266 Vgl. Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 129; Max Wehrli deutet den Kampf geradezu als eine „Selbstidentifikation“ über Gawein: „Der schliessliche [sic!] Zweikampf der Freunde und ihr Anagnorismos hat den Charakter einer überwältigenden Selbstidentifikation.“ Wehrli, Identität der Figuren, S. 56. Daher sei auch bei Hartmann anders als bei Chrétien hier abschließend keine Kritik an Gawein festzustellen, da es nicht um sein individuelles, sondern um ein allgemeines, alle Figuren betreffendes Verfehlen gehe, das hier korrigiert werde; vgl. ebd., S. 54. 267 Vgl. Scheuer, Gegenwart und Intensität, S. 137. Eine Kritik am Artushof, die im Beistand Gaweins für die sich offensichtlich im Unrecht befindende Schwester vom Schwarzen Dorn gesehen werden kann, erweist als sich nicht nachhaltig. Zumindest einen „Schatten auf de[m] Artushof“ sehen Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 215. 268 Vgl. Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 16 f. Mertens weist überdies darauf hin, dass das Recht der jüngeren der beiden Schwestern bereits bewiesen sei, wenn die klageführende Partei bis Sonnenuntergang nicht gewinnen kann; vgl. Mertens, Recht und Abenteuer, S. 206. Dies berücksichtigt nicht Bätz, Konfliktführung, S. 253. 269 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 242, Hervorhebung dort. Den Zusammenhang von anfänglichem Terminversäumnis und späterer Terminnot hat Ruh, Interpretation, S. 44 f., herausgearbeitet; vgl. auch Haug, Das Spiel mit dem arthurischen Modell, S. 236. 265
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für sich selbst. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um am Ende auch die hulde seiner Frau wieder zu gewinnen, die er bereits an der Quelle als Ziel seines Weges genannt hat. „Die Kontinuität seines Weges ist erkannt. Iwein hat die Bedingungen für die Rückkehr zu Laudine erfüllt.“270 Erinnert sich Iwein an der Quelle zunächst an sîn êre unde sîn lant (V. 3934), hat er dieses wie jene in ordnungsgerechten Kämpfen an den entsprechenden Höfen von Laudine und Artus wieder herstellen können. Erinnert er sich an der Quelle jedoch in gleicher Weise auch daran, dass er sîn wîp verloren hat (V. 3935), so stellt sich ihm auch jetzt die Erinnerung an Laudine ein: Kaum dass er vom Kampf genesen ist, denkt er an seine Frau, da ihm noch immer die sinne | von sîner vrouwen minne | sô manigen wîs ze verhe wunt sind (V. 7783–7785). Ohne Abschied zu nehmen bricht er somit vom Hof auf, um ohne weitere Umwege zuo dem brunnen (V. 7795) zu ziehen.271 Die Quelle im Wald von Breziljan erweist sich letztlich für die besprochene Episodenreihe als Ausgangs- wie Zielpunkt für Iwein und gibt einen Rahmen vor, dem zugleich eine Entwicklung eingeschrieben ist. Führt den vom Wahnsinn Geheilten zu Beginn diu geschiht zur Quelle, ist bereits dort mit Iweins Erinnern ein Umschlag angezeigt, von dem an sein Weg sich als Weg zur Wiederherstellung von Land und Ehre erweist. In Gerichtskämpfen kann er die höfisch-rechtliche Ordnung wieder herstellen und bestätigen, er tritt für andere ein und findet wieder zu der seine Identität konstituierenden Ehre. Diese Entwicklung drückt sich in einer zunehmenden Aktivität und Selbstbestimmung des Helden aus und wird ansichtig im Löwen, der Iwein auf seinem Weg begleitet. Sind mit der Identifizierung über den Löwen die Liminalität des Helden sowie die Offenheit des Weges angezeigt,272 tritt mit zunehmender Selbstbestimmung der Begleiter immer mehr in den Hintergrund.273 Wenn Iwein dennoch heimlich und mit dem Löwen (V. 7805) erneut zur Quelle aufbricht, ist der Rahmen zugleich geschlossen und durchbrochen und ist die Harmonisierung der Verhältnisse als vorläufig und unvollständig angezeigt. Die für Iwein an der Quelle erst notwendig zu erbringende Integ270
Harms, Kampf, S. 135; vgl. auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 217. Schon Wolfgang Harms merkt an, dass der Ausgang der Szene deutlich zu erkennen gebe, „daß für Iwein nicht die êre der Artuswelt das letzte Ziel ist“; Harms, Kampf, S. 132. 272 Vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 126. Im Einzelnen ließe sich diese Feststellung am durchgeführten Wegmotiv festmachen, was hier jedoch nur angedeutet werden kann: Ist es anfangs diu geschiht, ist es weiterhin der aktive Weg, der Iwein in neue Begegnungen führt (V. 4371, 5576). Mit dem Schwesternstreit findet jedoch eine merkliche Verschiebung statt, wenn ihn die Botin der jüngeren Schwester führt (V. 6071 f., 6875). Vom letzten Weg Iweins zur Quelle ist dann erst gar nicht mehr die Rede, einzig sein Ziel ist genannt, zu dem er sich selbständig aufmacht, wobei der ihn noch immer begleitende Löwe anzeigt, dass er noch nicht angekommen ist. Zu Iweins letztem Weg zur Quelle siehe Kapitel 5.3.1. 273 Markey hat nachgezeichnet, wie der Löwe Iwein erst frei im Kampf beistehen kann, dann weggeschickt und schließlich eingesperrt wird. Zum Kampf gegen Gawein führt Iwein ihn gar nicht mehr mit sich, und er befreit sich erst, als alles schon entschieden ist. Festzustellen ist eine „progressive effectuation of distance between the lion and Iwein in combat“; Markey, The ex lege rite of passage, S. 104, siehe auch die tabellarische Übersicht ebd, S. 100 f. 271
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ration von Ehre, Recht und Minne gegenüber Land und Frau ist bislang allein in der Struktur der Erzählung vorgezeichnet. Die horizontal beschreibbaren, da zeitlich ausgerichteten Handlungsstränge von Rechtsordnung und Ehrgewinn werden nicht nur handlungslogisch von den eingebetteten Riesenkämpfen unterbrochen und gleichsam vertikal gebrochen, sondern sie integrieren diese in den jeweils entsprechenden Bedeutungszusammenhang. Im Folgenden ist hierauf genauer einzugehen bei der Besprechung des Harpinkampfs und der Burg zum Schlimmen Abenteuer.
5.2.3 Harpinkampf und Burg zum Schlimmen Abenteuer Der über die Quelle angezeigte und mit Land und Ehre thematisch vorgeprägte Rahmen integriert die Handlungsstränge von Lunetekampf und Schwesternstreit, in denen sich Iwein nicht nur als Ritter und Landesherr vor Artus und Laudine bewähren, sondern auch die Ordnung des jeweiligen Hofs und die eigene Ehre wieder herstellen und bestätigen kann. Doch Iweins Weg ist immer auch ein Weg zurück zu Laudine: Erinnert er sich an der Quelle neben Land und Ehre gleichfalls auch an den Verlust seiner Frau, gilt es für ihn, ihre hulde wieder zu gewinnen. Ist dieses Ziel zunächst implizit gegeben, macht er es nach der Bestätigung seiner triuwe im Gerichtskampf für Lunete explizit und bricht nach Wiederherstellung seiner Ehre am Artushof konsequent zur Quelle auf. Hat Iwein die hulde seiner Frau infolge seines Terminversäumnisses verloren, stellen sich ihm die Episoden des zweiten Handlungszyklus entsprechend als Aufgabe dar, die von den Gerichtsterminen vorgegebenen Fristen einzuhalten. Bevor jedoch Iwein jeweils seinen Verpflichtungen nachkommen kann, um schließlich auch den Rückweg zu seiner Frau anzutreten, muss er Aventiuren bestehen und gegen Riesen im Kampf antreten: zunächst gegen Harpin, dann in der Burg zum Schlimmen Abenteuer.274 Rainer Warning hat den hier skizzierten Weg des Artusritters nach einem Prinzip der steigernden Reprise beschrieben und als „ein durchgängiges Strukturmerkmal des höfischen Romans“ allgemein herausstellen können. Stets zeige sich über Korrespondenzen von Stationen oder Figuren „ein Bezugssystem von Oppositionen, denen das Prinzip der Steigerung im Sinne eines Fortschritts in der Selbstsuche und Selbstfindung des Helden wesentlich ist“. Gerade für den Roman des Ritters mit dem Löwen stelle sich dieses Prinzip als eines von Terminversäumnis und Termineinhaltung dar: „Auf das Terminversäumnis Laudine gegenüber antworten peinliche, durch Abenteuerverschachtelungen bewirkte und ausdrücklich thematisierte Termineinhaltungen.“275 Im Roman ist schon strukturell umgesetzt, was Warning als Abenteuerverschachtelung bezeichnet und be274
Die Bezeichnung „Burg zum Schlimmen Abenteuer“ soll hier entsprechend ihrem Gebrauch in der Forschung beibehalten werden, wenngleich sie im Hartmann’schen Roman keine Grundlage hat. Chrétien spricht vom chastel de Pesme Avanture (V. 5109), das namengebend für die ganze Episode auch bei Hartmann fungiert. 275 Warning, Identitätskonstitution, S. 564; vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.
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reits Kurt Ruh zusammenfassend dargestellt hat: Iweins Aventiuren als Löwenritter, seine Kämpfe gegen den Riesen Harpin und die zwei Riesen in der Burg zum Schlimmen Abenteuer, „sind in strenger Weise nach der Technik der Fugung komponiert. […] Um sie sind die beiden Gerichtskämpfe in der Weise angeordnet, daß nach der jeweiligen Exposition […] die Riesenkämpfe als Ganzes eingeschachtelt sind, worauf es zur Durchführung der bereits verabredeten Gerichtskämpfe kommt.“276 Lunetehandlung und Schwesternstreit geben somit jeweils einen Rahmen vor, in den die Aventiuren der Riesenkämpfe eingebettet sind. In der Geschichte stellen sich diese Riesenkämpfe auf den ersten Blick als Hindernis für den Helden dar, der durch sie in Konflikt mit den übernommenen Terminverpflichtungen gerät, weshalb sie sich vor diesem Hintergrund geradezu in dieser Funktion zu erschöpfen scheinen. Walter Haug vertritt hier eine sehr weit gehende Auffassung, wenn er den Roman als eine Komödie liest, als ein „heiteres Spiel“ mit dem arthurischen Modell:277 Der fiktionalen Konstruktion seien – so Haug – schon die Terminverpflichtung und Hilfsbereitschaft in den Gerichtskämpfen untergeordnet, wenn nicht gar „der Sinnlosigkeit ausgeliefert“,278 und auch „die Doppelung des Musters ‚Gerichtstermin in Verschachtelung mit Riesenkampf‘ erscheint in dieser Hinsicht ohne Bedeutung“.279 Aus textgenetischer Perspektive hebt Dagmar Ó Riain-Raedel gleichfalls hervor, dass es „typische Artusritterabenteuer“ seien, die jedoch „nichts unbedingt Typisches für das Iweingeschehen“ enthielten und daher ohne weiteres austauschbar wären.280 Auch Brynley f. Roberts kommt zu dieser Feststellung gerade über den Vergleich mit der kymrischen Fassung von Owein: „The narrative structure of the romance is frequently no more than a series of episodes placed within the frame of the journey or quest. They may be as loosely connected as the author chooses and there need be no logical or inescapable conclusion.“281 Diese Beobachtungen der Forschung sind insofern festzuhalten, als gerade die Episoden von Harpinkampf und Burg zum Schlimmen Abenteuer deutlich mythische Reminiszenzen aufweisen und somit nach ihrer Funktion und Wirksamkeit innerhalb der Erzählung eingehender befragt werden müssen. Im Folgenden ist zu zeigen, wie sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Mythizität die lineare Struktur der steigernden Reprise vertikal durchbrechen, doch dabei nicht nur strukturell in die sie umgebenden Handlungsstränge integriert sind, sondern mit diesen über Landesordnung und Ehrgewinn auch in 276
Ruh, Höfische Epik, S. 159. Haug, Das Spiel mit dem arthurischen Modell, S. 238. 278 Ebd., S. 236. 279 Ebd., S. 237. 280 Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 107. 281 Roberts, Tales in Romances, S. 178. In der kymrischen Erzählung von der Gräfin vom Brunnen fehlt etwa der Schwesternstreit, und der Kampf gegen Gwalchmei (Gawein) ist anlässlich der ersten Verteidigung des Brunnens durch Owein bereits erzählt. Oweins letztes Abenteuer, sein Kampf gegen den Schwarzen Unterdrücker, der Analogien zur Episode in der Burg zum Schlimmen Abenteuer aufweist, fällt letztlich aus dem Schema ganz heraus. Vgl. Birkhan, Einführung, S. 48. 277
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einem thematischen Zusammenhang stehen, was als ein Erzählen im Paradigma beschrieben werden kann: Nachdem Iwein Lunete die Zusicherung gegeben hat, fristgerecht wieder zum anberaumten Gerichtstermin zu erscheinen, nimmt er von ihr Abschied, um sich auf den Kampf vorzubereiten (V. 4306 f.). Er bricht mit seinem Löwen auf und kommt zufällig – als in der wec lêrte (V. 4371) – zu einer Burg, wo er in höfischer Vollendung freundlich empfangen wird (V. 4372–4388). Doch das ganze Aufgebot an Prachtentfaltung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass über dem Land ein großer Kummer liegt, denn den Bewohnern der Burg – so der Erzähler – het ein tägelîch herzeleit | vil gar die vreude hin geleit (V. 4407 f.). Auch Iwein nimmt sogleich wahr, wie sich die anfängliche Freude in Leid verkehrt, in ein weinen unde in ein clagen (V. 4430). Auf seine Bitte hin erzählt ihm der Burgherr von einem Riesen, der seine Tochter begehre, weshalb er ihm sein Land verwüstet und seine sechs Söhne als Geiseln entführt habe, von denen er schon zwei vor seinen Augen erhängt habe. Die anderen wolle der Riese am nächsten Morgen töten, gebe er ihm seine Tochter nicht heraus. Erhalte er sie, würde er sie jedoch seinem niedrigsten Knecht überlassen (V. 4463–4497). Mit einer Klage über sein Schicksal beendet der Burgherr seinen Bericht und nennt den Namen des Riesen: der rise heizet Harpîn. habe ich den lasterlîchen spot gedienet iender umbe got, wold er daz rihten über mich unde lieze den gerich über mîniu unschuldigen kint, diu biderbe unde guot sint! (V. 4500–4506)
Iwein ist bedrückt über das Leid seines Gastgebers (V. 4740), der sich ihm als Schwager Gaweins zu erkennen gibt (V. 4733), und sichert ihm seine Hilfe zu, doch nur unter der wiederholt formulierten Bedingung, dass der Riese so rechtzeitig kommen müsse, dass er sein Versprechen für Lunete einhalten könne (V. 4742–4759; 4793–4802). Mit diesem Hinweis Iweins auf seine eigentlichen Verpflichtungen ist noch vor der Begegnung mit dem Riesen Harpin der Rahmen der Episode angezeigt. Und auch hier erweist sich die Situation als eine Bedrohung der höfischen Ordnung, die allerdings jetzt existentielle Ausmaße annimmt: Gewalt und Willkür herrschen über Recht. Nicht nur betont der Burgherr seine Unschuld (V. 4468 f.) und die der Kinder, von der auch Iwein überzeugt ist (V. 4802), sondern es droht mit der Ermordung sämtlicher, bereits zum Ritter geschlagener Söhne des Landesherrn das nachhaltige Ende seiner Herrschaft.282 Mit der Verwüstung des Landes und über den Umschlag von Freude in Leid kommt diese Gefahr bereits zur Darstellung und erhält mit dem namenlos bleibenden Land und ebenfalls namenlosen, doch mit Gawein verwandten Burgherrn eine geradezu repräsen282
Die Erwähnung, dass die Söhne bereits alle rîter sint (V. 4478), macht deutlich, dass sie bereits zur Übernahme der Herrschaft befähigt sind. Mit der drohenden Schändung der Tochter wäre selbst nach dem Tod der Söhne auch die letzte Möglichkeit einer Fortsetzung der Herrschaft verloren.
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tative Dimension.283 Dagegen steht die unerklärt bleibende Präsenz des Riesen, der scheinbar willkürlich seinen Tribut fordert, den er letztlich doch nicht beabsichtigt. Mit dem Riesen weist die Erzählung ein prägnantes Motiv auf, das in Mythen nahezu aller Kulturen prominent vertreten ist, die von der Störung und Restitution kultureller Ordnungen erzählen.284 Die nicht weiter hinterfragte oder überhaupt hinterfragbare Präsenz des Riesen bringt die bloße Willkür ebenso zum Ausdruck,285 wie der Kampf gegen den Riesen allgemein den „Konflikt zwischen der menschlichen, ritterlichen Kampfkultur und der wilden, barbarischen Kraft“ zur Anschauung bringt.286 So nimmt Petra Giloy-Hirtz den Riesen Harpin im Iwein entsprechend als ein typisches Beispiel dafür, wie Riesen von außerhalb der höfischen Gesellschaft drohen und meist als „gewalttätige Usurpatoren rechtmäßiger Herrschaft“ auftreten, indem sie das Land verwüsten und die Herrscherfamilie verschleppen:287 „Das Mythische wird“, so Giloy-Hirtz, im höfischen Roman „der feodalen Wirklichkeit einverleibt und vielfach sozial besetzt.“288 Die mythopoetische Erzählung vom Riesenkampf dient letztlich auch hier entsprechend ihrem inhärenten Grundmuster der Darstellung eines allgemeinen und als repräsentativ deutlich angezeigten Kampfs gegen die Bedrohung einer Ordnung und stellt mir ihr die Frage nach der rechtmäßigen Herrschaftssukzession. Doch bleibt die Darstellung des Riesenkampfs nicht auf diese höfisch-soziale Dimension beschränkt. Schon die erste Nennung Harpins verbindet der Burgherr mit einer Klage über sein Schicksal, das er ganz in Gottes Hand legt, der nur allein zu richten habe. Mit der Ordnungsmacht Gottes ist damit schon zu Beginn der folgende Kampf gegen den Riesen in einen Horizont gestellt, in dem dieser als ein mythischer Mächtedualismus stilisiert zu sein scheint: Häufig werden Riesen mit Teufeln identifiziert und gelten als Widersacher der Götter, wie bereits der Riesenkampf im Erec vor diesem Hintergrund gedeutet werden konnte.289 Wenngleich der Riese im Iwein nicht als Teufel bezeichnet wird, werden mit Harpin diabolische Konnotationen zumindest aufgerufen.290 Deutlicher zeigt sich diese Einstellung am Verhalten der Figuren: Am Morgen 283
Die Bedeutung der Namenlosigkeit wird umso nachhaltiger, als mit dem Verwandtschaftsmotiv zwar eine Verbindung zum Artushof hergestellt ist, jedoch nicht weiter konkretisiert wird, was die repräsentative Funktion in doppelter Weise unterstreicht. 284 Vgl. zum Motiv des Riesen schon die Ausführungen in Kapitel 4.2.2. 285 Im Kontrast zu der unerklärt bleibenden Handlung des Riesen kann die vom Burgherrn ungleich länger berichtete Entführung Ginovers gesehen werden (V. 4530–4726), die eine vergleichbare Bedrohung der höfischen Ordnung darstellt, doch immerhin eine, wenn auch mit dem rash boonMotiv nicht ganz befriedigende Erklärung erhält. 286 Röhrich, Riese, Sp. 673. 287 Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 172 f. 288 Ebd., S. 184. 289 Vgl. Kapitel 4.2.2 sowie zur Identifizierung der Riesen als Teufel und Widersacher der Götter Röhrich, Riese, Sp. 668–670. 290 Vgl. mit Bezug auf Chrétiens Yvain, der hier keine wesentlichen Unterschiede zum Hartmann’schen Text aufweist, LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 192. LeGoff spricht von einem „metaphorischen Teufel“, ebd., S. 193, und bezieht sich unter anderem auf Vers 4173, wo Harpin
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hört Iwein eine Messe (V. 4821) und wird von den Gebeten der Burgbewohner in den Kampf begleitet (V. 4854 f.). Iwein begibt sich ganz in die Hand Gottes (V. 4889 f.) und vertraut darauf, dass er die Geiseln befreien könne, während Gott selbst den Riesen besiegen werde: ich ledige unser gesellen. | got sol disen vellen (V. 4959 f.).291 Doch wie Harpin selbst kein Teufel ist, bleibt ein Eingreifen Gottes im Kampf aus. Dagegen heißt es, dass Iwein sîn sin | sîn kraft unde sîn manheit (V. 5042 f.) dazu verhelfen, den Gegner zu verwunden, bis ihm schließlich auch sein Löwe im Kampf beisteht (V. 5050 f.). Am Ende tötet Iwein den Riesen mit einem Stich ins Herz (V. 5071).292 Iweins Kampf gegen den Riesen ist somit von Beginn an doppelt besetzt: Indem er Harpin besiegt, stellt er nicht nur die höfische und herrschaftsrechtliche Ordnung des Landes wieder her, sondern er bestätigt zugleich die in Gott gründende christliche Ordnung. So tritt er für die Unschuld und das Recht des Burgherrn ein und kann im Vertrauen auf Gott siegen.293 Iweins Motivation zum Kampf ist vor diesem Hintergrund der höfischen und christlichen Ordnung zu sehen, wie es bereits unmittelbar vor dem Erscheinen Harpins deutlich wird, als im sô ofte wart genant got unde her Gâwein: wan swederm er under den zwein grœzern unwillen truoc, dem dient er gerne genuoc. (V. 4864–4868)
Der Sieg über den Riesen steht somit im Zeichen der Ordnungsstiftung und -bestätigung und schließt an höfische und christliche Leitvorstellungen an. Am Ende ist die Freude des Hofs wieder hergestellt und im göttlichen Heil auf Dauer gefestigt: Von des risen valle vreuten si sich alle, den liebe dran was geschehen. si heten heiles ersehen den rîter der des leun pflac: wande si lebten vür den tac âne angest unde âne nôt, dô der rise gelac tôt. (V. 5075–5082) als li maufez, li anemis bezeichnet wird, was Ilse Nolting-Hauff mit „der Unhold, der Teufel“ bereits deutlich interpretierend übersetzt; Chrestien de Troyes, Yvain (Nolting-Hauff), S. 211. 291 Für den Chrétien’schen Yvain hebt LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 192, hervor, dass der Kampf ganz „unter dem Zeichen Gottes, Christi und der Engel“ ausgetragen werde. Hartmann hat mit Iweins Vertrauen, dass Gott selbst den Riesen töten solle, dies noch deutlicher betont. 292 Bei Chrétien tötet Yvain den Riesen mit einem Stich in die Leber (V. 4243), die im Mittelalter als Sitz des Lebens galt; vgl. Bergdolt, Leber. Bein, Ästhetik des Tötens, S. 47, deutet die Änderung Hartmanns metaphorisch, da es nicht um anatomische Genauigkeit gehe, „sondern es kommt nur auf das Ergebnis an: der Riese wird getötet, die dämonische Gefährdung der Welt ist abgewendet“. 293 Gegenüber den Geiseln zeigt Iwein Erbarmen (V. 4932 f.), was einen Bezug zu Gott herstellt, den auch die Leute zum Ausdruck bringen (V. 4853–4858). Das Erbarmen gilt als Merkmal des christlichen Ritters; vgl. Kraß, Mitleidfähigkeit, zum Iwein S. 301 f.; Voss, Der hilfreiche Held, S. 22.
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Entsprechend der bestätigten Ordnung erscheint es folgerichtig, wenn Iwein die ihm vom Burgherrn angetragene Herrschaft über das Land mit auch jeder anderen Ehrerweisung ablehnt. Iwein selbst betont dabei seine eigene Verpflichtung, da er unverzüglich weiter müsse, um rechtzeitig zum Gerichtskampf zu kommen (V. 5083–5101). Der im beschriebenen Zusammenhang doppelt kontextualisierte Riesenkampf schließt zwar an ein mit dem Motiv traditional verbundenes Grundmuster an, in dem sich jedoch die mythopoetische Erzählung nicht erschöpft. „Herkömmliche Muster – beispielsweise: Sieg über Riesen bringt Hand eines schönen Mädchens und ein Königreich – treten in den Hintergrund.“294 Darüber hinaus bleibt auch ein mythischer Mächtedualismus nur angedeutet.295 Mag ein Grundmuster in Ansätzen noch zugrunde liegen und auch produktiv für die literarische Darstellung sein, erweist es sich jedoch nicht mehr im Sinne Blumenbergs als gehärtet. Die mythopoetische Erzählung vom Riesenkampf Iweins lässt im Roman eine bereits fortgeschrittene Arbeit am Mythos erkennen, die hier auf eine umfassende und nachhaltige Depotenzierung des Mythischen hinausläuft. Diese Depotenzierung wird bereits mit der Namengebung des Riesen vorbereitet und setzt sich sowohl auf der Ebene der Geschichte wie der Darstellung fort:296 Eine angedeutete Gewaltenteilung scheint letztlich bereits überwunden und der nur konnotativ als Teufel auftretende Riese wird selbst differenziert dargestellt, wenn von seinem Übermut (V. 4963) sowie seiner Kraft und Stärke in kumulativer Weise mit der notwendigen Bewaffnung die Rede ist (V. 5017–5022). Schließlich ist am Ende mit dem Sieg über den ausdrücklich willkürlich handelnden Riesen, der selbst noch seine erhoffte Beute preisgeben möchte, ein Willkürentzug durch den Helden der Geschichte vollzogen. Die so erfolgte Depotenzierung des Mythischen zeitigt nicht zuletzt eine Entmythisierung der erzählten Materie und setzt Mythisches frei für die literarische Bearbeitung.297 Mythisches erweist sich dabei einerseits als produktiv für die literarische Darstellung eines repräsentativen Geschehens,298 andererseits bietet es die Möglichkeit, einen Be294
Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 184, mit Bezug auf die Harpin-Episode im Iwein. Dass Iwein die Herrschaft über das Land ablehnt, wird im Text ausdrücklich und wiederholt betont, nicht erst nach dem Sieg, sondern bereits in den Versen 4841–4845. Die Tochter des Burgherrn wird ihm erst gar nicht angeboten. Vgl. auch Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 247. 295 Der Riesenkampf im Iwein unterscheidet sich hier grundlegend vom Riesenkampf im Erec, der deutlich einen mythischen Mächtedualismus erkennen lässt; vgl. Kapitel 4.2.2. 296 Zu den von Blumenberg beschriebenen Verfahren der Depotenzierung des Mythischen, der Namengebung und Differenzierung, der Gewaltenteilung und des Willkürentzugs, vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.1.2. 297 Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 183 f., spricht von „Umbesetzungen des mythischen Substrats“; in deren Folge sei „die Kraft der Ungeheuer […] gebändigt, funktionalisiert, in den Dienst genommen für eine geregelte Ausbeutung“. 298 Fromm, Riesen und Recken, S. 321 f., hat für den im Mittelalter erzählten Riesenkampf festgehalten, dass er im Zusammenhang von Geschichtsmodellen als „Teil einer endgültig entglittenen Vergangenheit“ zu sehen sei. Zwar existierten „beide, Riese und Recke, jenseits der Erfahrungswelt der
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deutungshorizont zu konkretisieren, in den die Episode integriert ist. Der Kampf Iweins gegen Harpin ist somit nicht nur strukturell eingebunden in die ihn umgebende und dominierende Lunetehandlung, sondern er steht mit ihr im selben Bedeutungszusammenhang: Iwein tritt gegen Harpin für das Recht des Burgherrn ein, er verteidigt die höfisch-rechtliche Ordnung des Landes, wie er im Kampf für Lunete das Recht und die Ordnung im eigenen Land wieder herstellt. Er bestätigt die Unschuld des Angegriffenen und er bestätigt die Unschuld der Angeklagten. Seine triuwe zum eigenen Land kann er hier wie dort bekräftigen, wobei er sich nach wie vor als einen armen man (V. 4791; vgl. V. 4213) bezeichnet. Letztlich ist es die rechtliche und in Gott gründende Ordnung, die er befestigt, im Vertrauen auf Gott und das Recht hier (V. 4960–4963), auf Gott und die Wahrheit im als Gottesurteil auszutragenden Kampf dort (V. 5275 f.). Die Episode des Harpinkampfs bringt verdichtet zur Anschauung, was Gegenstand der Verhandlung um Lunete ist. Rainer Warning hat die Harpin-Episode zum Anlass genommen, beispielhaft „die elementare Struktur des Abenteuers im höfischen Roman“ zu beschreiben. Hier zeige sich „im typischen Einzelabenteuer“ über den „Dreischritt von Konfrontation, Domination und Attribution“ die Störung und Restitution der Ordnung, was eine Zirkularität des Schemas impliziere, die im Roman in einer Serie von Abenteuern „auf einen potentiell unendlichen Zyklus von Störung, Restitution, erneuter Störung, erneuter Restitution usw.“ hinauslaufe.299 Letztlich werde jedoch „diese zyklische Struktur von der linearen Struktur steigernder Reprise dominiert“, die erst zur Identitätskonstitution des Helden beitrage.300 Die Aventiure Iweins, die als eigentliche Aventiure sich auch sonst deutlich von der sie umgebenden Handlung abhebt,301 erscheint vor diesem Hintergrund tatsächlich austauschbar mit jeder anderen möglichen Bewährungsprobe für den Helden.302 In syntagmatischer Hinsicht kommt ihr in einer geradezu penetrant betonten Weise allein die Funktion eines Hindernisses auf dem Weg zurück zu Lunete zu und ist mit dem Wegmotiv auch nur locker, doch dem Schema einer Aventiure gemäß mit der Handlung verbunden.303 jeweiligen Gegenwart“, doch dienten sie ihr, „indem sie literarisch aufgerufen werden als exempla temporis acti“, insofern der Held „im Kampf gegen den Riesen Geschichte wenden kann“. 299 Warning, Identitätskonstitution, S. 561. Die Konfrontation und Domination ist mit Kampf und Sieg über Harpin unmittelbar gegeben, doch wäre Warning bezüglich der Attribution in gewisser Weise zu korrigieren, da Iwein weder Land noch Frau erhält, sondern sich vielmehr eine Geschichte attribuiert, was über das erzählte Schema hinausweist. Hierauf ist gleich noch genauer einzugehen. 300 Ebd., S. 564. Warning analysiert den Roman anhand des Aktantenschemas nach Greimas, das letztlich nicht aufrecht erhalten werde und eine Heterogenität des Erzählten zur Folge habe; vgl. hierzu Warning, Heterogenität des Erzählten, S. 86; sowie die Ausführungen in Kapitel 2.2.2. 301 Vgl. Mertens, Recht und Abenteuer, S. 207; Weigand, Rechtsprobleme, S. 831. 302 Vgl. Giloy-Hirtz, Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 185: Die Begegnung erscheine „als eine Etappe“ und sei „ersetzbar durch andere Bewährungsproben“. 303 Iwein kommt zufällig zu der Burg als in der wec lêrte (V. 4371) und kann rechtzeitig zurückkehren, da ihm die wege wol kunt (V. 5145) sind.
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Deutlicher jedoch fallen die Bezüge auf paradigmatischer Ebene auf. Die Aventiure Iweins ist gewissermaßen im selben Paradigma erzählt, sie erzählt in gleicher Weise von Ordnungsstiftung und Treuebeweis, bei deutlich differierender formaler Struktur und ohne selbst letztgültigen Einfluss auf die Handlung zu nehmen. In Anlehnung an Rainer Warning lässt sich hier von einem Erzählen im Paradigma sprechen, bei dem „Äquivalenzbeziehungen gerade nicht formal vorgegeben sind, sondern über Sequenzierungen des Erzählflusses […]. Dabei werden formale Kriterien für Äquivalenzsetzungen durch inhaltliche, also auf thematisch-semantischer Ebene operierende ersetzt.“304 Die besondere Ausformung, wie sie hier die Harpin-Episode im Iwein prägt, liegt dabei in der Einbettung der Aventiure in die umgebende Handlung, wobei auf thematisch-semantischer Ebene die nämlichen Sachverhalte die Beziehung herstellen. Daraus ergibt sich über die durch die Rahmung bedingten Vor- und Rückgriffe ein gesteigerter Literarizitätsanspruch. Warning weitet dies theoretisch auf die Rezeptionsebene aus, da die Inhalte „der Entdeckung durch eine den Leser entsprechend fordernde Lektüre“ bedürfen: „Die Lektüre selbst wird damit umgepolt vom ‚Und so weiter‘ syntagmatisch organisierten Erzählens zur kreativen Erstellung eines Textraums mit einer Vielzahl ana- und kataphorischer Relationen.“305 Aufgrund der beschriebenen Rahmenstruktur, die die Lunetehandlung vorgibt, mutet die Erzählung vom Harpinkampf somit geradezu als eine Erzählung in der Erzählung an, die in komprimierter Fassung den nämlichen Sachverhalt verhandelt und diesen im Rückgriff auf das mythische Motiv des Riesenkampfs zur Anschauung bringt. Damit steht sie jedoch im unmittelbaren Bezug auch zum Helden, der infolge seines Sieges als Ritter mit dem Löwen bald weit verbreiteten Ruhm erwirbt. Iwein selbst bittet den Burgherrn, Gawein von seinem Kampf zu berichten (V. 5113–5126); später wählt ihn die jüngere der Schwestern vom Schwarzen Dorn, da ihr sô grôziu manheit | von dem rîter geseit wurde (V. 5725 f.); und ihre Botin bestätigt, dass es gar diu werlt sei, die ihn prîset (V. 6036). Schließlich erkennen nach dem Gaweinkampf auch die Artusritter, daz ez der degn mære | mit dem leun wære, | von dem si wunder hôrten sagen | unde der den risen het erslagen (V. 7741–7744). Die Depotenzierung des Mythischen bedingt diese Erzählung der wunder und ist zugleich Teil von ihr, es ist eine Arbeit am Mythos angestoßen, die diesen zuende bringt. Iwein tötet den Riesen und er attribuiert sich gleichsam die Geschichte von ihm. Damit weist die Erzählung von Harpin über den immanenten Dreischritt von Konfrontation, 304
Warning, Erzählen im Paradigma, S. 178 f. Warning führt seine theoretischen Überlegungen an französischen Romanen des 19. und 20. Jahrhunderts vor, betont jedoch seinerseits, dass diese Form des Erzählens „nicht ein spezifisch modernes Phänomen“ sei; ebd., S. 180. Am Beispiel des Tristan hat er es am mittelalterlichen Roman aufgezeigt; vgl. Warning, Lust an der List. 305 Warning, Erzählen im Paradigma, S. 179. Warning fordert entsprechend für die literaturwissenschaftliche Lektüre ein auch hier gewähltes Verfahren des close reading, um die „versteckten Analogien, die […] zwischen vordergründig so zusammenhanglosen Erzählblöcken“ bestehen, zu erschließen; ebd., S. 186.
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Domination und Attribution hinaus und wirkt als Erzählung und nur als Erzählung auf die weitere Handlung. Mythisches ist nachhaltig abgewiesen, es bleibt allein als erzähltes Mythisches in der mythopoetischen Erzählung präsent und ist in die Erzählung von Iwein strukturell und paradigmatisch integriert.306 Indem sich die mythopoetische Erzählung auch mythischem Denken analogen Strukturen öffnet, geht dagegen Iweins große Aventiure in der Burg zum Schlimmen Abenteuer über eine Depotenzierung des Mythischen hinaus und integriert dieses noch auf formaler Ebene des Erzählens. Dies gilt es im Folgenden sowohl im Vergleich mit der Harpin-Episode als auch im Zusammenhang mit der sie rahmenden Handlung des Schwesternstreits aufzuzeigen. Die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer ist wie die Harpin-Episode „das, was man gewissermaßen als ‚klassische‘ aventiure bezeichnen kann“.307 Beide Aventiuren des Löwenritters sind um das Motiv des Riesenkampfs gestaltet, doch ist ein Steigerungscharakter der zweiten gegenüber der ersten erzählten Episode festzuhalten, der sich in der dem Helden immer bedrohlicher erscheinenden Situation ebenso ausdrückt wie in der zunehmenden Aufnahme mythischer Motive: Iwein kommt mit der Botin der jüngeren Schwester vom Schwarzen Dorn auf dem Weg zum Artushof zu einer Burg, die ihnen zunächst angenehm und geeignet für eine Unterkunft erscheint (V. 6082 f.). Doch kaum, dass sie den unterhalb gelegenen Markt betreten, werden sie von den Bewohnern mit unsiten (V. 6088) empfangen, da sie hier gänzlich unwillekomen (V. 6107) seien. Aufgrund der schon sprachlich über Negationen angedeuteten Verhältnisse und der mehrfach ausgesprochenen Warnungen, dass Iwein an diesem Ort sein Leben verlieren werde (V. 6136, 6151, 6160), lässt sich bereits eine fremdartige, wenn auch mit der von den Marktleuten gebrauchten Bezeichnung als gebot (V. 6143) nicht näher bestimmte Ordnung vermuten,308 die sich dem Helden in ihrer Bedrohlichkeit auf dem Weg in die Burg allerdings immer mehr konkretisiert. So trifft er am Eingang auf einen Torwächter, der ihn gleichfalls mit manegem drôuworte (V. 6174) empfängt und ihm die dort geltende hovezuht näher ausführt: iu sol iuwer reht hie geschehen, ê iu diu porte werde enspart. man sol iuch zuo iuwer ûzvart anders beleiten: man sol iuch hie bereiten 306
Inwiefern die erlebte Aventiure damit hinter das Erzählen einer Aventiure zurücktritt, soll in Kapitel 5.3.2 weiter ausgeführt werden. 307 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 254, dort mit einer Aufzählung inhaltlich konstitutiver Bestandteile über den Vergleich mit ähnlichen Episoden in höfischen Romanen. 308 Vgl. Schröder, Schauplätze, S. 253–257. Schröder zeigt auf, wie der Empfang dem üblichen Schema entgegenläuft, doch dabei konstitutive Elemente aufgreift, wodurch gerade die Verkehrung zur höfischen Ordnung unterstrichen wird. An entsprechender Stelle verwendet Chrétien den Ausdruck costume (V. 5152 u. 5155); vgl. hierzu auch die nähere Bestimmungen bei Köhler, Die Rolle des ‚Rechtsbrauchs‘, S. 210.
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maneger unêren, man sol iuch hie lêren dise hovezuht baz. wie gar iuwer got vergaz, dô ich iuch brâchte dâ her in! ir scheidet mit unêren hin. (V. 6246–6256)
Die Drohungen des Wächters schließen an die Mahnungen der Marktleute zunächst an. Doch deutet der Wächter mittels des anaphorisch wiederholt aufgegriffenen Indefinitpronomens man ein allgemeines und mit dem Modalverb sollen auch scheinbar unausweichliches Geschehen an, das über den Hinweis auf ê und wiederholt auf hie explizit als eine Verkehrung angezeigt ist, in deren Folge Iwein mit unêre beladen und mit unêre wieder scheiden werde.309 Mit dem Torwächter als Warner und zugleich Wegweiser an der Schwelle zur bedrohlich erscheinenden Burg tritt zudem eine aus keltischen Erzählungen bekannte Figur auf, die meist an der Grenze zur Anderen Welt anzutreffen ist.310 So erkennt Andreas Hammer über die Figur des Torwächters einen zumindest in Ansätzen ausgeprägten Hinweis auf „eine für die Anderwelt charakteristische Schwellenproblematik“, insofern mit der Limitation des Zugangs ein „allgemeines Kennzeichen mythischer Orte“ aufgerufen ist.311 Für Hulda Henriette Braches weist dann der gesamte Ort „einen stark jenseitigen Charakter“ auf,312 der von seiner Umgebung klar abgegrenzt ist. Und auch im Inneren der Burg bestätigt sich diese Beobachtung zunächst noch, wenn Iwein auf 300 klagende, eigentümliche Frauen trifft, die in einem Arbeitshaus Spinn- und Webarbeiten verrichten. An ihnen und ihrem Schicksal wird gewissermaßen das anschaulich und erfahrbar, was in den Worten des Torwächters nur allgemein als unabwendbarer Ehrverlust formuliert ist: Auf Iweins Frage, ob sie schon immer in so armen Verhältnissen gelebt hätten, erzählen sie ihm, wie auch ihnen grôz êre (V. 6323) genommen worden sei. Sie kämen aus einem fernen Land, das der Juncvrouwen wert genant (V. 6326) werde. Ihr Herr sei auf âventiure (V. 6331) an diesen Ort gekommen, wo er mit zwei unsæligen risen (V. 6360) hätte kämpfen müssen, die ihn nur verschont hätten, da er ihnen jährlich 30 Jungfrauen als Pfand für sein Leben ausliefere (V. 6362–6368). Das Schicksal der Frauen und ihres Herrn veranschaulicht somit nicht nur die Drohungen des Torwächters, sondern stellt sich für Iwein zugleich als eine Mahnung dar, da er hier ebenso mit zwein des tiuvels knehten kämpfen müsse (V. 6338), wie es bereits so manegem hie widerfahren sei (V. 6348). 309
Die Verse 6248 f. müssen in diesem Zusammenhang nicht notwendigerweise als Todesdrohung aufgefasst werden – so Hammer, Tradierung und Transformation, S. 255, Anm. 516 –, da vielmehr von einem Verlust der Ehre nachhaltig die Rede ist, worauf noch genauer einzugehen ist. 310 Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 245 f. u. 140 f. Prominent ist etwa der Torwächter im so genannten Pa gur; vgl. Kapitel 2.1.1. 311 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 258. 312 Braches, Jenseitsmotive, S. 174. Dass die Burg jedoch nicht als ein Totenreich gedeutet werden kann, betont Hammer, Tradierung und Transformation, S. 258.
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Mit der Herkunft der Frauen von der Jungfraueninsel ist erneut ein Motiv in die Erzählung integriert, das „zu den typischsten Formen einer keltischen Anderen Welt“ zählt und zahlreich in der Literatur belegt ist.313 Darüber hinaus lassen sich die bereits hier genannten Riesen über Vergleiche mit bekannten keltischen Erzählungen mit den so genannten Fomori, Dämonen aus der Anderen Welt, in Verbindung bringen.314 Entsprechend ihrer mythischen Provenienz werden sie nicht nur als Teufelsknechte bezeichnet, womit eine Dämonisierung des Erzählten jetzt explizit gemacht ist,315 sondern sie scheinen in ihrer wiederholt bestätigten Unbesiegbarkeit gleichsam Ausdruck der diesen Ort beherrschenden Fatalität zu sein. Damit treten sie dem zum Kampf entschlossenen Ritter unmittelbar als das entgegen, was von den Marktleuten, dann vom Torwächter und schließlich von den Jungfrauen erst angedeutet, dann genannt und schließlich erzählt wird.316 Eine Steigerung gegenüber der früheren Episode des Kampfs gegen den nur einen Riesen Harpin liegt letztlich in der zunehmend bedrohlicher geschilderten Situation für den Helden begründet, die eine auffallende Zunahme auch mythischer Motive überwiegend aus dem Bereich keltischer Erzählungen von der Anderen Welt aufweist. Mit der mythopoetischen Aufnahme solcher Motive öffnet sich zudem die Darstellung des Ortes einer insgesamt fremd erscheinenden Ordnung, die schon von Beginn an als eine der höfischen Welt entgegengesetzte Ordnung angezeigt ist und das weitere Geschehen auf fatale Weise zu bestimmen scheint. Auf der Ebene der Geschichte stellt sich dies als Konfrontation des Helden mit einem eigentümlichen und unhinterfragbaren Brauch dar: Iwein sagt den klagenden Frauen seine Unterstützung zu und dringt weiter bis ins Innerste der Burg vor. Über einen Seitenpfad, einen Weg und eine Treppe kommt Iwein in einen Baumgarten (V. 6430–6436), der so herrlich anzusehen ist, dass er deheinen schœnern nie gesach (V. 6439). Mit den Blumen und Gräsern, die einen süßen Duft verströmen (V. 6446 f.), ist ein Motiv des Locus amoenus aufgerufen, wie es geradezu konstitutiv für die Darstellung eines anderweltlichen Ortes ist.317 Und inmitten dieser eigentümlich erscheinenden Szenerie trifft Iwein auf den Herrn der Burg, der ihn auf313
Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 245; vgl. auch Hammer, Tradierung und Transformation, S. 258 f. 314 Vgl. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 242; Loomis, Arthurian Tradition, S. 325 f. Bei Chrétien – dies sei nur am Rande erwähnt – werden sie nicht als Riesen, sondern als Söhne einer Menschenfrau und eines Kobolds genannt (V. 5273), womit sie jedoch in gleicher Weise diabolisch bewertet werden können; vgl. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 193. 315 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 260, führt diese Dämonisierung der Riesen auf das Anliegen einer „Übersteigerung von Iweins Gegnern gegenüber Harpin“ zurück. 316 Diese stufenweise erfolgende Annäherung an die Riesen wird damit gleichsam als eine immer konkreter werdende Erzählung präsentiert, bis Iwein selbst gegenüber dem Burgherrn von der mære (V. 6564) der Jungfrauen sprechen kann. 317 Zum Motiv des Locus amoenus, wie es beispielhaft im Baumgarten der Joie de la curt-Episode im Erec umgesetzt ist, siehe mit weiterführender Literatur die Ausführungen in Kapitel 4.3.2; speziell zum Iwein Schröder, Schauplätze, S. 263 f.
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Hartmanns Iwein
fordert, gemäß dem geltenden Brauch an diesem Ort gegen die Riesen zu kämpfen, wie es alle Ritter getan hätten, die hierher gekommen seien: dô sprach der wirt: ‚die her sint komen unde rîter wâren als ir, die habent alle mir geleistet mîne gewonheit; den ez nâch grôzer arbeit aller oftest ergie. zwêne risen die sint hie: desn ist dehein mîn gast erlân ern müese si bestân. daz si noch niemen überwant! (V. 6592–6601)
Mit dieser Rede des Burgherrn bestätigt sich nun endgültig, was Iwein bereits bei der Ankunft angedroht worden war. Die von den Marktleuten als gebot angedeutete und vom Torwächter als hovezuht bezeichnete Ordnung gründet auf einer gewonheit, die weder in ihrem Ursprung noch Grund näher bestimmt ist, doch einen unerklärlichen und unausweichlichen Zwang ausübt, womit ihr gleichsam eine mythisch fundierte Wirksamkeit zukommt. So bleiben auch die Ausführungen des Burgherrn bezüglich der Anzahl der Kämpfe sowie der Zeitangaben auffallend unbestimmt. Während bei Chrétien die Tochter des Burgherrn explizit 16 Jahre alt ist (V. 5374), vermeidet Hartmann jeden Hinweis darauf und betont vielmehr das hohe Alter ihrer Eltern (V. 6449– 6454). Überdies ist einzig für den Herrn der Jungfraueninsel zu erschließen, dass dieser zehn Jahre zuvor gegen die Riesen gekämpft hat.318 Selbst kann er jedoch nicht deren erster Gegner gewesen sein, was aus dem Bericht der Jungfrauen hervorgeht (V. 6348 f.). So erscheint die gewonheit gleichsam als Ausdruck einer alten, doch alles bestimmenden Ordnung, der auch die handelnden Figuren ausnahmslos unterworfen sind, da selbst der Burgherr seine Tochter allein dem Ritter verheiraten kann und muss, der diese Riesen besiegt:319 unde ist doch alsô gewant: wære dehein sô sælec man 318
Aus der Zahl der Arbeiterinnen lässt sich diese Dauer erschließen, da deren Herr sich dazu verpflichtet hat, jährlich 30 Jungfrauen als Geiseln zu stellen (V. 6366 f.). Übernimmt man die Altersangabe der Tochter von Chrétien, wäre diese jedoch sicherlich in noch nicht heiratsfähigem Alter gewesen, das entsprechend dem römischen Recht noch im kanonischen Recht des Mittelalters aber auch im germanischen Recht mit dem Eintritt der Geschlechtsreife und somit im Alter von zwölf beziehungsweise vierzehn Jahren angesetzt wurde; vgl. Knoch, Ehe, Sp. 1624 u. 1629 f.; sowie Brauneder, Alter. Hartmann hat hier Änderungen am Detail vorgenommen, die die Ungewissheit der gewonheit noch deutlicher herausstellen. Dass es sich bei dem Burgherrn nicht um den Herrn der Jungfraueninsel handeln kann, hat Hammer, Tradierung und Transformation, S. 259, gezeigt. 319 Der Burgherr unterliegt hier offensichtlich einem Zwang und kann damit nicht als Initiator der von ihm genannten gewonheit angesehen werden. Ó Riain-Raedel verkennt hier seine Position, wenn sie ihm infolge seiner Gewaltausübung „echte Züge eines ‚Vermittlers‘ der Anderen Welt“ zuschreiben möchte; Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 245.
Harmonisierung und Integration
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der in gesigete beiden an, dem müese ich mîne tohter geben. solde mich der überleben, der gewünne michel êre (ichn hân niht kindes mêre) unde wurde im allez diz lant. ouch ist ez leider sô gewant: unz si niht uberwunden sint, sô ne magich mîn kint deheinem manne gegeben. wâget, rîter, daz leben. (V. 6602–6614)
Die am Hof der Burg zum Schlimmen Abenteuer herrschende gewonheit bestimmt nicht nur das Ordnungsgefüge in der Frage nach der Herrschaftssukzession, sondern zeitigt ihre Wirkung seit unbestimmter Zeit und in unbestimmter Dauer. Ihre offensichtlich zeitlos bestehende Wirkmacht drückt sich in einer nicht näher nachvollziehbaren Aktualisierung aus, die durch Kämpfe gegen teufelsgleiche Riesen erfolgt. Weder Dämonen noch Burgherr sind dabei aber Garanten dieser Ordnung, da diese als gleichsam alles beherrschender Zwang dem gesamten Geschehen obliegt.320 Damit erweist sie sich als eine alles bestimmende Schicksalsordnung, die mythischem Denken analoge Gestaltungen und Wirkungen aufweist.321 Vor diesem Hintergrund erscheint der unumgängliche Kampf gegen die Riesen folgerichtig als ein regelrechter Erlösungskampf. Entsprechend heißt es, dass die Jungfrauen im Falle des Sieges Iweins erlôst seien (V. 6371). Und schon von Beginn der Episode an wird die herrschende Ordnung in ihrer Abgrenzung zu einer göttlich fundierten Heilsvorstellung angezeigt. Schon die Marktleute beziehen sich auf gotes haz (V. 6104), und auch der Torwächter grenzt sich wie die hovezuht entschieden von Gott ab (V. 6253 f.). Auf der anderen Seite äußert Iwein beim Anblick der Frauen nicht nur mit Nachdruck seine Bereitschaft, sie aus ihrem Leid zu erlösen,322 sondern er beruft sich selbst auf Gott, in dessen Obhut er sich und die Frauen gibt (V. 6421–6423). Im
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Für Hammer, Tradierung und Transformation, S. 255, bleibt die Rolle des Burgherrn „insgesamt merkwürdig dunkel“, da dieser „in einer seltsamen Doppelrolle Herr und Gefangener der aventiure zugleich zu sein“ scheint; vgl. auch ebd., S. 259. Der Burgherr kann nur bedingt als Herr der Aventiure angesehen werden, da er gleichfalls der herrschenden Ordnung unterworfen ist. Ein solcher Zwang, dem alle Beteiligten gleichermaßen ausgeliefert sind, ist gerade kennzeichnend für mythisches Denken; vgl. hierzu Cassirer, Das mythische Denken, S. 138. 321 Vgl. zum Zusammenhang von Zeitgestaltungen und einer alles bindenden mythischen Schicksalsordnung ebd., S. 136–143, sowie die weiteren Ausführungen hierzu anlässlich der mythischen Ordnung des Baumgartens im Erec in Kapitel 4.3.2. 322 Wie schon gegenüber der Botin der Schwester vom Schwarzen Dorn wird seine Barmherzigkeit hier deutlich, von der jetzt wiederholt und nachdrücklich die Rede ist (V. 6407 u. 6415). Damit ist die Mitleidfähigkeit Iweins überdeutlich angezeigt. Vgl. schon die Ausführungen in Kapitel 5.2.2 sowie Kraß, Mitleidfähigkeit, S. 302.
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Hartmanns Iwein
Inneren der Burg wird Iweins unbedingtes Vertrauen auf die göttliche Schicksalsmacht dann explizit, wenn er sich seiner Situation besinnt: gehabe dich wol, wis unverzagt: dir geschiht daz dir geschehen sol, unde anders niht, daz weiz ich wol. (V. 6566–6568)
Sein Schicksal legt er ganz in die Hände Gottes,323 vor dem Kampf besucht er eine Heilig-Geist-Messe (V. 6589 f.),324 schon zuvor haben ihm die Frauen vil manigen segen (V. 6424) gespendet. Der Kampf Iweins mit den Riesen mag somit geradezu als ein Erlösungskampf im Zeichen eines unausweichlichen Mächtedualismus erscheinen, in dem divergierende Ordnungsvorstellungen miteinander konfligieren und gegeneinander ausgespielt werden. So ruft der Erzähler auch während des Kampfs mehrfach Gott um Unterstützung für seinen Helden an (V. 6719, 6752, 6774), während er im unmittelbaren Zusammenhang einen der Riesen selbst als des tiuvels kneht (V. 6772) bezeichnet. Wenngleich der Erzähler auch anlässlich des Kampfausgangs erneut Gott nennt (V. 6798), wird auf der Ebene des Erzählten ein solchermaßen stilisierter Mächtedualismus jedoch nicht eingehalten. So kann Iwein aufgrund seiner Standhaftigkeit und Tapferkeit und nicht zuletzt auch mit Hilfe seines Löwen gegen die Riesen bestehen.325 Letztlich sind es hie der lewe dort der man (V. 6786), die den Sieg erringen. Auf der anderen Seite sind auch bei der Beschreibung der Riesen bereits Widersprüche festzustellen, die sie weniger als übernatürliche Wesen erscheinen lassen, wenn sie etwa mit ihrer außergewöhnlich guten Bewaffnung (V. 6677–6683) auch kaum mehr der Motivtradition entsprechen.326 Wie schon im Fall des Harpinkampfs zeigt sich auch in der Burg zum Schlimmen Abenteuer ein Mächtedualismus zwar angedeutet, der jedoch nicht als solcher ausgefochten wird. Am Ende kämpft ein Ritter mit seinem Löwen gegen zwei bewaffnete Riesen, von denen er einen am Ende noch durch got leben lässt (V. 6794). Damit ist ein Antagonismus entgegengesetzter Ordnungen zugleich angezeigt und unterlaufen. Und insgesamt bleibt die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer dann auffällig von Inkongruenzen geprägt: Die Forschung hat sich wegen dieser Inkongruenzen schwer getan, eine überzeugende Einschätzung der Episode vorzunehmen. Die nicht eindeutig zu bewertenden Figu323
Vgl. Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 215; Mertens, Recht und Abenteuer, S. 207. Iweins hier deutlich werdendes Vertrauen lässt sich selbst noch in Anlehnung an providentielle Schicksalsvorstellungen beschreiben, wie sie Boethius in seiner Consolatio Philosophiae entfaltet hat; vgl. Firestone, Boethian Order, S. 127. 324 Unklar bleibt im Text die Existenz einer zumindest bei Chrétien erwähnten Kapelle (V. 5454) an diesem scheinbar gottfernen Ort. 325 Iwein kann unter anderem aufgrund von sîn manheit unde sîn sin (V. 6731) die Riesen besiegen. Zur Rolle des Löwen in diesem Kampf siehe Markey, The ex lege rite of passage, S. 104; sowie Bein, Ästhetik des Tötens, S. 48 f. 326 Vgl. Hammer, Tradierung und Transformation, S. 260. Die Riesen behalten hierdurch zwar ihre mythische Provenienz, doch sind sie nicht in gleicher Weise mehr ikonisch konstant in die Erzählung integriert. Damit unterscheiden sie sich von dem Riesen im Erec; vgl. Kapitel 4.2.2.
Harmonisierung und Integration
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ren und heterogenen Motivzusammenhänge wurden von der älteren Forschung zumeist in textgenetischer Perspektive zu erklären versucht. So geht Loomis von einer sonst unbekannten Erzählung aus, die Chrétien vorgelegen haben könnte, die er dann mit eigenen Inhalten angereichert habe.327 Eine Überlagerung zweier Erzählungen vermutet dagegen Dagmar Ó Riain-Raedel, hebt jedoch hervor, dass sich die „typische mythische Struktur eines ‚Souveränitätskampfes‘“ noch bei Chrétien und Hartmann erhalten habe.328 Andreas Hammer hat zuletzt wegen fehlender Belege solche Überlegungen grundsätzlich verworfen, weshalb er über einen Vergleich mit anderen Artusromanen lediglich von „Variationen eines Motivkomplexes“ ausgehen möchte; verschiedene, in der Episode kombinierte Einzelmotive dienten „in der Summe dem Publikum als Indikatoren für diese Art von aventiuren“, in denen es „um Befreiungs- oder Erlösungstaten geht“.329 Vor diesem Hintergrund lasse sich dann auch die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer lesen, zumal hier die zahlreichen Anspielungen auf Anderwelterzählungen niemals voll zur Geltung kämen, letztlich gar ein „Wegfall mythischer Elemente“ zu konstatieren sei.330 Mythisches sei nurmehr soweit im Text präsent, wie es abzuwehren sei: „Denn bei der Ankunft in der Burg zum Schlimmen Abenteuer werden ebenfalls bestimmte Motive eingesetzt, die auf mythische, andersweltliche Gegebenheiten zurückgreifen (andersweltliche Zauberschlösser, die Erwähnung der Jungfraueninsel), wobei die Referenzen nun allerdings außerhalb der eigentlichen Erzählung liegen. Die Motive werden aufgerufen, um negiert zu werden.“331 Bei allen schematischen Brüchen und motivlichen Inkongruenzen bleibt insgesamt aber festzuhalten, dass Mythisches durchaus und auffallend mehr als in den vorangegangenen Episoden integriert ist. Im mythopoetischen Erzählen erfolgt eine Aufnahme zahlreicher mythischer Motive, die eine Steigerung nicht nur gegenüber der HarpinEpisode, sondern gleichfalls innerhalb der abgeschlossenen Erzählsequenz aufweist, 327
Vgl. Loomis, Arthurian Tradition, S. 322 f. Ó Riain-Raedel, Zur mythischen Struktur, S. 243; sie zeichnet verschiedene Motivkombinationen nach und bezieht diese auf die Romane Chrétiens und Hartmanns; vgl. insgesamt ebd., S. 241–246. Von „zwei Implikationen“ spricht dann Mertens, Artusroman, S. 76, und meint damit den Kampf gegen zwei Ungeheuer zum Erwerb einer Frau sowie die Befreiung der 300 Jungfrauen. 329 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 256. 330 Ebd., S. 257; vgl. insgesamt ebd., S. 257–261. 331 Ebd., S. 269; vgl. auch ebd., S. 265: „Spätestens ab der Überwindung des Wahnsinns“ ließen sich „keine mythischen Elemente mehr identifizieren […]. Statt dessen werden – besonders deutlich ist das bei der Burg zum Schlimmen Abenteuer dargelegt worden – immer wieder Gegebenheiten geschaffen, die auf eine spezifische Erzählkonstellation hindeuten, welche dann aber überhaupt nicht weiter ausgeführt wird. Bestimmte Merkmale (die ständigen Warnungen, das leere Schloß usw.) setzen eine Erwartung, die enttäuscht wird. Der Text verweist andauernd auf bestimmte Erzählmuster und -motive, die konsequent einen anderen Verlauf nehmen, also nicht schemakonform weitergeführt werden.“ Gerade hierdurch zeige sich die dem Roman insgesamt unterlegte Bewegung einer „Rationalisierung in Bezug auf Plausibilität und logische Handlungsführung“; ebd., S. 262. Auf die These Hammers wird im Zusammenhang mit seinen Beobachtungen zur abschließenden Szene am Brunnen zurückzukommen sein; siehe Kapitel 5.3.1.
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von den anfänglichen und wiederholten Drohungen bis zum als Souveränitätskampf ausgeführten und als Erlösungskampf stilisierten Kampf gegen die Riesen. Ansätze mythosanaloger Gestaltungen auf struktureller Ebene lassen sich ebenso ausmachen, insofern der herrschenden gewonheit eine zeitlose, in rhythmischer Wiederkehr sich stets aufs Neue aktualisierende Wirkmacht zu eigen ist, der letztlich alle beteiligten Figuren unterworfen sind.332 In nahezu dem Maß wie es aufgerufen wird, bleibt Mythisches in der Erzählung dann auch nach dem Sieg Iweins präsent und scheinbar wirksam. So lässt Iwein nicht nur einen der beiden Riesen ausdrücklich am Leben (V. 6794), sondern sichert den zuvor gefangenen Arbeiterinnen der Jungfraueninsel ihr zukünftiges Leben, wenn er sie als ein hövsch man | rehte an ir gewarheit bringt (V. 6856 f.). Der Burgherr stattet sie hierfür mit den prächtigsten Gewändern und Pferden aus (V. 6847 f.), wenngleich er weiterhin im zorn (V. 6834) unter einem gewissen, auf ihm lastenden Zwang handeln muss, insofern er Iwein – gemäß der gewonheit – nun sîne tohter unde sîn lant (V. 6801) anbietet und auch anbieten muss, wenn er mit Nachdruck auf die Einhaltung der Regel besteht und Iwein gar selbst Gewalt androht (V. 6812 f.).333 Die Situation für den Herrn der Burg zum Schlimmen Abenteuer bleibt damit letztlich ungeklärt und fremdartig, was vor allem auch daran deutlich wird, dass ihm die Verpflichtungen Iweins gegenüber Artus und seiner Frau gleichgültig sind: daz ist mir gar unmære (V. 6829).334 An diese nachhaltige Fremdartigkeit schließt selbst noch ein Bearbeiter einer späten Handschrift an, wenn er die andauernde Bedrohlichkeit des ganzen Ortes unterstreicht: So wollte keine der befreiten Frauen jemals zu der Burg zurückkehren, selbst wenn ein Engel sie darum gebeten hätte (V. 6854,7–6854,18).335 Anders als in der Harpin-Episode geht es in der Burg zum Schlimmen Abenteuer offensichtlich nicht um die grundsätzliche Wiederherstellung einer Ordnung. Zwar restituiert Iwein die gewaltsam gestörten Verhältnisse um die 300 Frauen der Jungfraueninsel, doch scheint die zeitlos gültige gewonheit in der Burg zum Schlimmen Abenteuer auch weiterhin Bestand zu haben und stets aufs Neue in ihrer Bedrohlichkeit aktuali-
332
Hier ließen sich Vergleiche mit den costumes im Erec anstellen, wie sie der Hirschjagd oder der Brandigan-Episode zugrunde liegen; vgl. die Ausführungen in den Kapiteln 4.1.1 und 4.3.2. 333 Auch Mertens geht von der andauernden Wirkmacht der gewonheit aus, wenn er hervorhebt, dass sich Iwein mit der Ablehnung der Tochter „bewußt aus den magischen Zwängen der Aventürenwelt“ befreit; Mertens, Stellenkommentar, S. 1043. Aufschlussreich mag zudem ein Vergleich mit Chrétien sein, wo der Burgherr bereits frühzeitig die costume nennt, die noch lange Zeit andauern werde: Ce est costume et rant assise, | Qui trop avra longue duree (V. 5502 f.). 334 Der Burgherr bleibt damit in Außenstellung zur höfischen Ordnung, wie sie von Artus repräsentiert und hier von Iwein aufgerufen wird. Dass dies nachhaltig über die Begegnung mit Iwein an diesem Ort andauert, macht er selbst deutlich, wenn er seine ablehnende Haltung gegenüber dem Artusritter auf unbestimmte Zeit – unz an mînen tôt (V. 6832) – aufrechterhalten möchte. 335 Es handelt sich hier um die auf 1521 datierte Handschrift Cod. P II 61, Stadtbibliothek Lindau, der die Fassung *B zugrunde liegt. Zur Bearbeitung siehe mit weiterführender Literatur die Einschätzung bei Mertens, Stellenkommentar, S. 1043.
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sierbar zu sein.336 Mit Blick auf den Helden steht die Episode dagegen von Anfang bis Ende unter der wiederholt aufgerufenen Frage nach Gewinn und Verlust von Ehre: Bereits die Marktleute sorgen sich um die êre Iweins (V. 6134) und auch der Torwächter mahnt deren Verlust an, wenn er Iwein ankündigt, dass er mit unêre wieder fortgehen werde (V. 6256). Die Arbeiterinnen im Inneren der Burg veranschaulichen dann nicht nur die Bedrohlichkeit, sondern gleichfalls ebendiesen Verlust, da auch ihnen ihre êre genommen worden ist (V. 6323). Iwein nimmt die Herausforderung der Aventiure schließlich an und verspricht, ihnen ihre sælde unde êre wieder zu geben (V. 6412). Nach siegreichem Kampf, den der Burgherr als einen Kampf um michel êre selbst angekündigt hat (V. 6607), sprechen die Jungfrauen ihrerseits dem Helden die erlangte sælde unde êre zu (V. 6864), während sie entsprechend neu eingekleidet werden.337 Mit der wechselseitigen Zuschreibung von Ehre liegt der Episode damit dieselbe Thematik zugrunde, wie sie der sie umrahmenden Handlung des Schwesternstreits und mithin dem Gaweinkampf unterlegt ist.338 Auf inhaltlicher Ebene ist der Bezug somit offensichtlich angelegt: erzählt wird im selben Paradigma, das auf den Zugewinn an Ehre abzielt. Damit ist auch die Episode von der Burg zum Schlimmen Abenteuer nicht nur strukturell in die sie umgebende Handlung integriert, sondern sie steht mit ihr im selben Bedeutungszusammenhang und schließt formal an das bereits mit der HarpinEpisode und der Lunetehandlung vorgegebene Verfahren an. Die noch über alle Rezeptionsstufen im Roman sich aufzeigende Bedeutsamkeit des Mythischen dient auch hier als eine Folie, auf der ein allgemeiner, überindividueller Sachverhalt verhandelt werden kann. Ausgehend von der schon über die Rahmenstruktur des zweiten Handlungszyklus im Roman statthabenden strukturellen Integration des Mythischen, kann diesem über ein Erzählen im Paradigma nicht nur auf thematisch-semantischer Ebene sein Ort innerhalb der Erzählung zugewiesen, sondern darüber hinaus auch eine Bedeutung zugeschrieben werden, die sich in den weiteren Kontext der Handlung des Romans einfügt. Diese in der Erzählung vorgenommene Bedeutungszuschreibung über ein Erzählen im Paradigma, ausgehend von der der Episode zugrunde liegenden Bedeutsamkeit, unterscheidet sich dabei allerdings von der, wie sie für die Harpin-Episode bereits 336
Zu sehr an der Oberfläche bleibt daher die Lesart der Episode, wie sie Mertens, Recht und Abenteuer, S. 208, vorschlägt: „Ich lese die ‚Burg zum Schlimmen Abenteuer‘ als Revision der Brunnenaventiure, als bewußtes Heraustreten aus dem aventiure-Automatismus. Darüber hinaus handelt es sich hier eindeutig um die Befreiung von einer Unrechtsherrschaft, die in der Brutalität der vorzivilisatorischen Riesen aufscheint. Iweins Eingreifen ist also – zumindest nachträglich – vom Verständnis seiner Herrscherpflichten motiviert, anders als im ersten Fall, wo es der Ehrgewinn und die Verwandtenrache gewesen waren.“ 337 Mit der Einkleidung der 300 Jungfrauen liegt ein Motiv der sichtbaren Ehrerweisung vor, wie es Hartmann gerade auch im Erec eingesetzt hat; vgl. die Ausführungen zur Umkleideszene Enites am Artushof in Kapitel 4.1.3 sowie zur Umkleidung der 80 Witwen von Brandigan in Kapitel 4.3.3. Hartmann bedient sich somit auch hier dieses Motivs, indem er auffallend von seiner Vorlage abweicht. Bei Chrétien ist von der schlechten Kleidung noch bei der Abreise die Rede (V. 5776). 338 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.2.2.
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nachgezeichnet werden konnte. Ist im Falle des ersten Riesenkampfs im mythopoetischen Erzählen ein Sachverhalt zur Anschauung gebracht, der als die Wiederherstellung einer geltenden Ordnung auch der rahmenden Handlung zugrunde liegt, erfüllt der Sieg des Helden nicht nur die angelegte mythische Struktur, sondern zeitigt zugleich als einmaliger, gewissermaßen historischer Akt eine Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte. Über den Dreischritt von Konfrontation, Domination und Attribution erfolgt letztlich auch die syntagmatische Integration in die weitere Handlung, insofern die erzählte Geschichte von Iwein handlungslogische Voraussetzung für dessen Qualifizierung als Kämpe für die jüngere der Schwestern vom Schwarzen Dorn ist. Mythisches bleibt damit letztlich allein als erzähltes Mythisches relevant für die weitere Geschichte. Anders ist dies der Fall bei der Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer: Steht diese im Rahmen einer Erzählung, die auf den öffentlich von Artus erfolgenden Zugewinn an Ehre für den Helden abzielt, weist sie ihrerseits als eine Erzählung von Ehrgewinn über die ihr inhärente mythische Struktur eines Souveränitätskampfs hinaus. Der in zeitlicher Persistenz bestehenden und damit als bedeutsam qualifizierbaren Struktur kommt im Roman eine Bedeutung zu, indem sie im Modus eines Erzählens im Paradigma gleichsam überschrieben wird, während dieses nicht nur auf thematisch-semantischer Ebene operiert, sondern bis auf die sprachliche Ebene hinein noch erweitert wird. Wird der Kampf Iweins gegen Gawein in eindringlicher und vom Erzähler in artifizieller Ausschmückung vorgenommenen metaphorischen Rede als ein Tauschgeschäft geschildert, in dem die ebenbürtigen Kontrahenten wehselten mit dem lîbe | arbeit umbe êre (V. 7212 f.),339 sind es hier die um Ehre beraubten 300 Jungfrauen, die der unverhältnismäßig bezahlten Arbeit nachgehen müssen,340 während sie ihrerseits die selben zinsgeben (V. 6377) sind, die von der Jungfraueninsel jährlich überstellt werden müssen. Noch in Bezug auf Iwein setzt sich dieses Bild vom unverhältnismäßigen Bezahlen fort, wenn er in Anbetracht aller Prachtentfaltung durch den Burgherrn fürchtet, dass er dise grôze êre | vil tiure gelten müeze (V. 6558 f.).341 Der metaphorisch ausgestalteten Kampfhandlung steht somit eine konkrete Kampfhandlung im nämlichen semantischen Horizont gegenüber. In semantisch angeleiteter Überblendung von eigentlicher und uneigentlicher Rede kann letztlich eine Bedeutungszuschreibung erfolgen, die erst von außen an die mythisch geprägte Episode herangetragen wird. Erzählt die Harpin-Episode den hier wie dort relevanten Sachverhalt anschaulich, zeitigt erst die Depotenzierung des Mythischen auf inhaltlicher Ebene die literarische Einbindung in den Kontext der Handlung. Erzählt die Episode von der Burg zum Schlimmen Abenteuer 339
Die Metaphorik des Tauschhandels erstreckt sich innerhalb der Kampfesschilderung über annähernd 100 Verse (V. 7143–7234); vgl. hierzu nochmals die Ausführungen in Kapitel 5.2.2. 340 So wird von ihrer schweren Arbeit und nur geringen Bezahlung von vier pfenninge[n] (V. 6399) berichtet, womit ein solches Ungleichgewicht entsteht, dass sie selbst ein kümmerliches Dasein fristen müssen, während die Riesen davon reich geworden seien (V. 6405 f.). Dieses Ungleichgewicht steht im offensichtlichen Kontrast zum Gleichgewicht zwischen Iwein und Gawein. 341 Ebenso beschimpft er den Burgherrn, da man dessen Bewirtung mit dem tôde zinsen sol (V. 6649).
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den gleichfalls hier wie dort relevanten Sachverhalt hingegen konkret, bleibt die andauernde Präsenz des Mythischen in der Geschichte gewahrt, eine weitere Integration des Mythischen in die Erzählung erfolgt dann mittels der retrospektiven und von außen angelegten Überblendung von eigentlicher und uneigentlicher Sprache. In konsequenter Weiterführung dieses Verfahrens bleibt entsprechend die syntagmatische Einbindung der Episode in den Handlungsverlauf offen: Galt der Forschung bislang Iweins notwendiges Einhalten von Terminen als beiden Episoden zugrunde liegendes verbindendes Element als wesentlich,342 konnte schon Hammer darauf aufmerksam machen, dass die Zeitproblematik in der Burg zum Schlimmen Abenteuer kaum mehr eine Rolle spielt.343 So war allein Iweins rechtzeitiger Sieg über Harpin noch Voraussetzung für sein auch rechtzeitiges Erscheinen zum Gerichtskampf für Lunete und im Weiteren, aufgrund der schnell verbreiteten Nachricht, seine Referenz für den folgenden Gerichtskampf im Zuge des Schwesternstreits. Entsprechend bittet Iwein den Burgherrn, mit seinen befreiten Söhnen zu Gawein aufzubrechen, nicht zuletzt auch, um von diesem Kampf zu berichten (V. 5103–5126), womit er selbst für die anschließende Verbreitung seiner Geschichte sorgt. Nach dem Sieg über die Riesen in der Burg zum Schlimmen Abenteuer bleibt dagegen der dortige Burgherr mit seiner Tochter dem andauernden Zwang ausgeliefert, während Iwein die befreiten Frauen nicht an den Artushof, dafür an einen nicht näher genannten Ort, rehte an ir gewarheit bringt (V. 6857).344 Am Ausgang der Episode bleibt das Erzählte schließlich auch hier am unbekannten Ort, was bereits im Vorfeld an der geradezu umständlich erscheinenden Beschreibung des Weges vorbereitet wird. Bricht erst noch die jüngere der Schwestern vom Schwarzen Dorn auf, um den über Harpin siegreichen Ritter mit dem Löwen ausfindig zu machen, tritt an eben der Verbindung zwischen den Episoden mit der namenlos bleibenden Botin eine neue Figur auf, die als Substitution die Grenze mehr markiert als sie deren jeweilige Seiten miteinander zu verbinden vermag.345 Diese Botin folgt nun Iwein entlang der einzelnen Stationen seiner Aventiure-Fahrt, bis sie ûf sîne slâ (V. 5961) kommt und ihn schließlich findet. Nachdem er ihr die Unterstützung ihrer Herrin zugesagt hat, kommen sie und 342
So noch Warning, Identitätskonstitution, S. 564; grundlegend bereits Ruh, Interpretation, S. 44 f. Hammer führt die Beobachtung, dass innerhalb der Episode die Frage nach der Termineinhaltung keinen Niederschlag findet, darauf zurück, dass Iwein inzwischen einen souveränen Umgang mit Terminen an den Tag lege; vgl. Hammer, Tradierung und Transformation, S. 255. Iwein erwähnt seine Verpflichtung gegenüber Artus entsprechend erst nach dem erfolgten Kampf gegen die Riesen (V. 6820–6824). 344 Dass es sich bei diesem sicheren Ort um das ursprüngliche Herkunftsland der Frauen, die zuvor genannte Jungfraueninsel (V. 6326), handelt, ist dem Text ebenso wenig zu entnehmen, wie er einen anderen Ort auch nur ansatzweise nahelegt. Bei Chrétien zumindest kehren sie explizit in ihr Land zurück, an voz païs (V. 5807). 345 Allein das nicht näher bestimmte Verwandtschaftsverhältnis mag zumindest eine nicht weiter zu hinterfragende Begründung für diese Art der Substitution zu liefern. Die Botin wird zunächst als tohter (V. 5774) eines Verwandten (mâge; v. 5768) bezeichnet, die Schwester vom Schwarzen Dorn als deren niftel (V. 6873). 343
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Iwein schließlich unvermittelt (nû; V. 6080) zur besagten Burg. Ausgehend vom Aufbruch bei Artus wird der Weg somit über drei Figuren und vier genannte Stationen346 bis zum nicht intendierten Ziel in weit über 300 Versen erzählt (V. 5758–6084). Dieser umständlich beschriebene Weg zeigt – wie bereits ausgeführt – einmal mehr die handlungsrelevante Bedeutung der Harpin-Episode auf und er macht im Gegenzug die nur kaum nachvollziehbare Verbindung der hier entscheidenden Handlungsabschnitte deutlich. Diesem Weg steht dann der Rückweg in geradezu harter Fügung gegenüber. In gerade einmal elf Versen findet die namenlose Botin mit Iwein wieder entlang der rehten wege (V. 6875) zurück zur inzwischen gesundeten Schwester und letztlich auch zum vereinbarten Ort des Gerichtskampfs (V. 6870–6881). Mittels dieser unmotivierten Substitution auf der einen und Reduktion des Erzählens auf der anderen Seite erscheint die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer in einer auffallenden Geschlossenheit, die in syntagmatischer Hinsicht kaum einen Anschluss an die sie umgebende Handlung bereithält.347 In der Weise, wie sie ihrerseits von mythischen Inhalten und Strukturen geprägt ist, kommt ihr in Entsprechung dann auch keine über das Erzählte hinausreichende handlungsbestimmende Funktion zu: „Im Mythos hinterläßt keine der Geschichten Spuren in den nächsten, so gut sie auch nachträglich miteinander verwoben sind.“348 Dieser von Blumenberg herausgestellten Eigenschaft des Mythos korrespondiert somit die zeitliche Persistenz des Mythischen in der Erzählung von der Burg zum Schlimmen Abenteuer, da sie mit der Frage nach Gewinn und Verlust von Ehre in gleicher Weise und in erneuter Anlehnung an Blumenberg „so etwas wie ‚ewige Tatsachen‘ zu enthalten beansprucht und institutionalisiert“.349 Die mythopoetische Ausgestaltung der Episode mit Ansätzen mythosanaloger Strukturen von Zeit und Wiederholbarkeit eröffnet einen Raum innerhalb der Erzählung des Schwesternstreits zur Darstellung des Zugewinns an Ehre für den Protagonisten. Was dort in uneigentlicher Sprache verhandelt wird – der als Tauschgeschäft von arbeit und êre metaphorisch ausgestaltete Kampf Iweins gegen Gawein –, ereignet sich hier im Konkreten – als ein Zinsgeschäft, in dem der Verlust der êre der Arbeiterinnen mit dem zunehmenden Reichtum der Riesen einhergeht, wobei es wiederum Iwein ist, der ein 346
Genannt werden die von Harpin bedrohte Burg, der Brunnen, an dem sich Lunete befindet, eine nicht näher bezeichnete Burg, an der sich Iwein erholt, schließlich eine Heide (V. 6077), die nicht nur hier als Grenzbereich firmiert. Zur topographischen Besonderheit der Heide siehe die Ausführungen zum Erec in Kapitel 4.1.1. 347 Auch Peter Kern, der in detailgenauer Analyse zahlreiche Korrespondenzen verschiedener Episoden des Romans nachzeichnet, kommt zu dem Ergebnis, dass die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer keine Bezüge zu anderen Teilen des Romans zu erkennen gibt und bestenfalls als Steigerung des Kampfs gegen den einen Riesen Harpin angesehen werden könne; vgl. Kern, Interpretation der Erzählung, S. 356 f. 348 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 148. Am Rande sei erneut daran erinnert, dass Iwein als Bezwinger Harpins nicht nur weithin berühmt wird, sondern noch lang sichtbare Spuren hinterlässt, sodass noch die namenlose Botin sîne slâ (V. 5961) finden kann. 349 Ebd., S. 148.
Harmonisierung und Integration
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Gleichgewicht herstellen und Ehre gewinnen kann. Damit ist die horizontale zugunsten einer vertikalen, da nicht syntagmatisch eingebundenen Perspektive aufgehoben, die ihren letzten Bezugspunkt im Segen für den Helden findet, der ihm von den befreiten Damen ausgesprochen wird: unde dô er wider von in reit, vil tiure si got bâten, als si von rehte tâten, umbe ir herren unde umb ir trôst, der si dâ het erlôst von michelem sêre, daz er im sælde unde êre unde rehtes alters ein leben unde sîn rîche müese geben. (V. 6858–6866)
Dass es sich dabei ausgerechnet um 300 Abgesandte aus dem Land der Jungfraueninsel handelt, die dem Helden einen Platz im Himmelreich sichern wollen, macht nur umso deutlicher, wie mythische Inhalte und christliche Vorstellungen in dieser Episode einander nicht ausschließen. Und nicht von ungefähr ist gerade hier der zustimmende Erzähler greifbar, insofern mit sælde unde êre nicht nur die entscheidenden Bezugspunkte der Episode, sondern zugleich die dem Roman im Prolog vorangestellten Wertmaßstäbe herausgehoben sind.350 Die Riesenkämpfe im Iwein zeigen zwei ähnlich strukturierte, doch qualitativ auch unterschiedliche Verfahren, wie Mythisches am literarischen Erzählen partizipieren, wie jenes in dieses eingehen und dort fruchtbar gemacht werden kann. Setzt die Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte die erzählte Materie frei zur literarischen Bearbeitung, kann dem diesen inhärenten und als bedeutsam zu bestimmenden Sachverhalt eine Bedeutung zugeschrieben werden, die über ein Erzählen im Paradigma auf den unmittelbaren Kontext vor und nach der mythopoetisch erzählten Episode bezogen ist. Allein als erzähltes Mythisches nimmt es letztlich Einfluss auch auf die Handlung, insofern es in syntagmatischer Hinsicht Voraussetzung für deren Fortgang ist. Ist die Episode vom Kampf gegen den Riesen Harpin nicht zuletzt auch auf diese Weise in die weitere Erzählung integriert, bleibt die Aventiure in der Burg zum Schlimmen Abenteuer in sich geschlossen und im Modus parataktischer Reihung allein über die Struktur sowie im paradigmatischen Erzählen vom nämlichen Sachverhalt aufgehoben. Mag Mythisches nach Blumenberg einen allgemeinen Sachverhalt zur Anschauung bringen, stellt sich dieser hier konkret dar, der im über die Struktur angezeigten, zugehörigen Kontext allein in uneigentlicher Sprache vorgeführt wird. Dem in zeitlicher Persistenz präsenten Mythischen wird erst über die Sprache der Literatur eine Bedeutung zugeschrieben, die in seiner Bedeutsamkeit zwar nicht angelegt ist, die infolge seiner Elastizität jedoch anschließen kann. In beiden Fällen zeigt sich eine vorangeschrittene Arbeit am Mythos, die einmal gleichsam von innen eine Entmythisierung des Erzählten zur 350
Auf den Bezug zum Prolog ist im Folgenden noch genauer einzugehen; siehe Kapitel 5.3.2.
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Hartmanns Iwein
Folge hat, einmal eine Mythizität des Erzählten geradezu voraussetzt, um auf der Ebene des Erzählens ein Verfahren des Überschreibens mit Bedeutung gewissermaßen von außen zu ermöglichen. Literarisches Erzählen schließt an mythopoetisches Erzählen an und es baut auf mythosanaloge Gestaltungen auf, um über Bedeutungszuschreibungen kohärenten Sinn zu transportieren.
5.3 Eigenwelt und Reflexion Am Ende der Episodenreihen des zweiten Handlungszyklus hat Iwein sowohl die höfische Ordnung wieder hergestellt und bestätigt als auch seine Ehre als Ritter unter Beweis stellen können. In den Gerichtskämpfen für Lunete und die betrogene Schwester vom Schwarzen Dorn tritt er nicht nur für andere ein, sondern er erfüllt in gleicher Weise vor Laudine und Artus die an ihn gestellten Anforderungen als Landesherr und Artusritter. In diese Handlungen eingelagert, von diesen gleichsam umrahmt, besteht er als namenloser Ritter mit dem Löwen Riesenkämpfe, die in vertikaler Perspektive die nämlichen Sachverhalte von Ordnungsstiftung und Ehrgewinn zur Anschauung bringen. Mit dem Kampf gegen Gawein, der letztlich die Restitution des Helden zeitigt, insofern er als der Artusritter erkannt wird, als der er seinen Platz am Hof des Königs innehat, ist die Erzählung von Iwein jedoch noch nicht an ihr Ende gekommen. Erst mit der Rückkehr in seine Herrschaft und zu Laudine kann seine Restitution auch als Landesherr und Ehemann erfolgen. Iwein verlässt konsequent den Artushof und bricht erneut auf, um die Quelle im Wald von Breziljan aufzusuchen. Am Ende des zweiten Handlungszyklus ist mit der Schlusseinkehr Iweins damit das Strukturprinzip der Rahmung wieder aufgegriffen, insofern die Quelle die vorangegangenen Episodenreihen ebenso beschließt, wie sie sie zuvor eröffnet hat. Nach den Episoden von Wahnsinn und Heilung, die in mythosanaloger Gestaltung einer Initiation dem Helden eine zumindest vorläufige Identität gegeben haben, stellt sich die Quelle als Anfangs- und Endpunkt eines Aventiureweges dar, auf dem Iwein zu seiner endgültigen Identität und Wiedereingliederung auch in die eigene Hofgesellschaft finden kann. Im Folgenden ist zunächst auf den Abschluss dieses Weges vom Artushof zum Laudinehof einzugehen, wobei auch die jeweiligen Herrschaftsgebiete von Artus einerseits, Laudine andererseits in ihrem Verhältnis zum Helden des Romans knapp zu erörtern sind, um letztlich den Fokus auf die letzte Aventiure Iweins zu richten. Im Wald von Breziljan löst er wie schon bei seinem ersten Weg dorthin erneut das Unwetter an der Quelle aus, doch jetzt mit anderer Einstellung und Motivation:351 Er nimmt die vormals fremd erscheinende Quelle als Teil der eigenen Welt an. Die Frage nach der Mythizität der Quelle am Ende des Romans lässt schließlich auch die Frage nach ihrer Bedeutung in der Erzählung und für die Geschichte Iweins 351
Vgl. Ruh, Höfische Epik, S. 161.
Eigenwelt und Reflexion
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virulent werden. So gründet nicht zuletzt im Wechselspiel von mythischer Bedeutsamkeit und literarisch gesetzter Bedeutung die Mythizität wie Literarizität der Erzählung, die ihre eigenen Bedingungen auch der Rezeption reflektiert. Das eigentliche Ereignis tritt damit aber hinter das Erzählen von diesem Ereignis zurück, worauf abschließend auch mit Blick auf den Prolog des Romans zusammenfassend eingegangen werden soll.
5.3.1 diz ist her Îwein Im unentschiedenen Kampf gegen Gawein kann Iwein vor versammelter Gesellschaft des Artushofs seine Ehre bestätigen, sodass ihm die krône | rîterlîcher êren (V. 6952 f.) zugesprochen wird und er sich erstmals wieder selbst beim Namen nennen kann: ich bin ez Îwein (V. 7483). Der Moment allgemeiner Freude wird allerdings jäh unterbrochen, wenn auch der Löwe den Platz betritt und einen solchen Schrecken verbreitet, dass alle fliehen möchten, bis Iwein die Situation schließlich aufklären kann. So erst wird den Anwesenden klar, daz ez der degn mære mit dem leun wære, von dem si wunder hôrten sagen unde der den risen het erslagen. (V. 7741–7744)
Im Moment der höchsten Ehrerbietung am Artushof ist mit diesem expliziten Verweis auf den vorangegangenen Riesenkampf, der als Erzählung in der Geschichte gleichsam präsent gehalten wird, zugleich das dieser Episode eingeschriebene Paradigma der Wiederherstellung höfischer Ordnung aufgerufen. So wird dann auch Iwein von Gawein in Erinnerung des Berichts seiner von ihm befreiten Verwandten gewissermaßen ein zweites Mal erkannt: ich erkenne iuch bî dem leun wol (V. 7762). Iwein wird über den Löwen somit auch als der berühmte Held identifiziert, der den Riesen Harpin besiegt hat, und es sind neben der erlangten Ehre letztlich auch die erzählten wunder, die als Attribut dem Helden zukommen.352 Mit dieser doppelten Identitätszuschreibung von außen geht die Wiederherstellung auch der körperlichen Integrität einher,353 Gawein kümmert sich um die ärztliche Versorgung, unz daz si wâren wol gesunt (V. 7780). Der Löwe dient der Verbindung zum bisher Erzählten und er macht gleichfalls auf die noch ausstehende Handlung aufmerksam: Kann Iwein über seinen Begleiter als 352
Warning, Identitätskonstitution, S. 568, sieht hier eine wesentliche „Funktion des Wunderbaren“ im Artusroman, insofern die Identitätssuche des höfischen Ritters „im Zeichen eines wunderbaren Gelingens“ stehe. Das Wunderbare ist hier nach der Attribution der Erzählung von Harpin durch den Helden jetzt offensichtlicher Teil seiner Identität. Zur Attribution der Erzählung im Zusammenhang mit der Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte siehe Kapitel 5.2.3. 353 Vgl. Wandhoff, Iweins guter Name, S. 124. Die Identitätszuschreibung von außen liegt dann dieser Szene ebenso zugrunde, wie sie in vergleichbarer Weise auch Iweins Erwachen aus dem Wahnsinn prägt; vgl. hierzu Müller, Identitätskrisen, S. 311, sowie die Ausführungen in Kapitel 5.2.1.
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derjenige identifiziert werden, der die gestörte Ordnung am verwandten Hof wieder hergestellt hat, muss er in dieser Identität noch am eigenen Hof erkannt werden. Der Löwe firmiert hier gleichsam als Medium, über das die Identität gebenden Inhalte der Erzählung vom Riesenkampf aktualisiert und in fortwährender Begleitung mit an den eigenen Hof übertragen werden können, zu dem Iwein mit sînem leun (V. 7805) schließlich aufbricht.354 Der Löwe mag somit aber noch immer auf die Liminalität des Helden aufmerksam machen,355 und so erscheint es folgerichtig, wenn Iwein trotz der äußerlich-körperlichen Wiederherstellung seiner Kräfte auch weiterhin verwundet ist: Dô dem hern Îwein wart gegeben kraft unde gesunt leben, noch wâren im die sinne von sîner vrouwen minne sô manigen wîs ze verhe wunt (V. 7781–7785)
Diese hier als innere Verwundung vorgestellte und noch andauernde Defizienz des Helden zielt letztlich auf die Minne Laudines, die für Iwein nicht nur notwendiger, sondern in geradezu existenzieller Weise Teil seiner Identität ist: in dûhte, ob in ze kurzer stunt sîn vrouwe niht enlôste mit ir selber trôste, sô müesez schiere sîn sîn tôt. (V. 7786–7789)
Vor dem Hintergrund der Frage nach seiner Existenz stellt sich Iwein nun ein unvermittelter, doch umso bezeichnenderer Gedanke ein: Er sieht keinen anderen Ausweg aus seiner Situation als zu der Quelle zu eilen, wan daz ich zuo dem brunnen var (V. 7795), um dort das Unwetter auszulösen. Im Moment der höchsten Ehrerbietung durch Gawein, der ihn erkennt und versorgt, wird mit dem Löwen letztlich die Offenheit der Erzählung schon angezeigt, die mit Harpin und Wunde auch ihre inhaltliche Ausrichtung erfährt. Macht die Nennung Harpins auf das der Erzählung eingeschriebene Paradigma der Ordnungsstiftung aufmerksam, verweist die Wunde auf die Minne Laudines. Damit verbinden sich in der Szene des Aufbruchs zur Quelle im Wald von Breziljan mit der wiedererlangten Ehre des Helden erneut die Fragen nach Land und Minne. Die beim Aufbruch Iweins vom Artushof aufgeworfenen Perspektiven auf Landesherrschaft und Minne hat die germanistische Forschung – in je unterschiedlicher Gewichtung – dann auch zum Gegenstand ihrer Deutung der Rückkehr Iweins zu Laudine gemacht. Als zwei grundlegend verschiedene Auffassungen seien stellvertretend die 354
Die „Spur“ des Harpinkampfs ist infolge der hier offensichtlich vorangegangenen Attribution also noch bis an den Hof Laudines nachzuverfolgen. 355 Wenn auch eine Identifizierung des Helden nicht ausschließlich über den Löwen erfolgt, lassen sich Parallelen mit der Zwischeneinkehr am Laudinehof durchaus herstellen, insofern auch hier mit der Identität des Löwenritters eine Szene von Ankunft und Aufbruch vorgeführt wird; vgl. Kapitel 5.2.2. Zur Liminalität des Helden siehe Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 126.
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Ansichten von Volker Mertens und Kurt Ruh gegenübergestellt. Mertens liest den Roman vorwiegend politisch, im Wesentlichen gehe es um die verantwortungsvolle Übernahme von Herrschaft.356 Insgesamt scheine der Roman „deutlich ein Programm für rechte Herrschaft zu enthalten: Übernahme von Schutz und Schirm als bewußte Aufgabe“.357 Dies werde vor allem zum Ende hin deutlich: Während Iwein zu Beginn nach individuellem Ehrgewinn strebend in den Wald von Breziljan aufgebrochen sei, habe er noch später bei der Verteidigung der Quelle vor den ankommenden Artusrittern diese „nur als Beweis seiner Tüchtigkeit und Ehre, nicht aber als grundsätzliche ‚amtliche‘ Verpflichtung“ begriffen; schließlich habe sich nach den erfolgreichen Aventiuren als Löwenritter seine Einstellung geändert, das erneute Übergießen des Steins an der Quelle spiegele entsprechend „seine neugewonnene Einsicht: seine Aufgabe als Mann Laudines ist Schutz der Quelle […], jetzt weiß er es, und sie kann ihn daher wieder annehmen“.358 Die Minne zwischen Iwein und Laudine sei dagegen nur ein „Randproblem“,359 im Zentrum stehe vielmehr „das Problem ‚politische Verpflichtung gegen höfische Kultur‘, symbolisiert durch ‚Quellenreich gegen Artushof‘“.360 Mit der Exponierung der Frage nach der eigenständigen Landesherrschaft Iweins in Sukzession Askalons unterstreicht Mertens eine kategoriale Trennung vom Artushof, was auf dessen Überbietung hinauslaufe.361 Kurt Ruh möchte dagegen keine solche Abgrenzung sehen, wenngleich er ebenfalls zunächst betont, dass es Iwein am Ende nicht mehr um einen Zugewinn an Ehre gehe. Iwein wiederhole zwar im erneuten Zug zur Quelle und Entfachen des Unwetters den früheren Weg, „aber unter anderem Vorzeichen. Es geht nicht um êre, sondern um Befreiung von kumber.“362 Damit räumt Ruh letztlich der Minne eine Präferenz ein, die die Aufgaben des auf Ehre zielenden Ritters aber in gleicher Weise einschließe: „Die Rückkehr zu Laudine bedeutet so auch die Anerkennung der Totalität der Minne – nunmehr als personaler Anspruch verstanden. Minne braucht auch ritterliche Tat nicht mehr in Frage zu stellen; dem Quellenritter kommt sie als Verpflichtung zu.“363 Mit der Integration von ritterlichem Anspruch und Minne in der letzten Aktion des Löwenritters seien dann aber „der Artushof und die Laudineminne nicht als zwei verschiedene Ziele,
356
Vgl. Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 18. Mertens, Artusroman, S. 84. 358 Ebd., S. 78. 359 Ebd. Bestenfalls für den ersten Handlungszyklus sei – so Mertens – die „Liebe als Darstellungsmodus der Individualität des Helden […] wichtig“; ebd., S. 79. 360 Ebd.; vgl. auch ebd., S. 84: „Diese Minnethese [Mertens bezieht sich hier auf den Erec Hartmanns] steht im Iwein nicht mehr im Vordergrund, sondern die politische – ihr dienen die Akzentuierungen Hartmanns.“ 361 Vgl. Mertens, Iwein und Gwigalois, S. 16. Auf die hieraus resultierenden Defizite des Artushofs soll hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. hierzu Mertens, Artusroman, S. 86. 362 Ruh, Höfische Epik, S. 161. 363 Ebd., S. 162; ähnlich auch Cormeau/Störmer, Hartmann von Aue, S. 218.
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sondern als gemeinsamer Endpunkt“ zu verstehen, der Hof von König Artus und die Herrschaft Iweins fügten sich in Harmonie.364 Betont Ruh also die Minne, die Iwein einzig noch erlangen müsse, womit zugleich aber auch die Anforderungen an den Artusritter erfüllt seien, sieht Mertens für die Schlusseinkehr Iweins bei Laudine gerade dessen politische Aufgabe als Landesherr im Fluchtpunkt der Erzählung. Während er hieran eine grundlegende Trennung von Laudinehof und Artushof anschließt, kommt Ruh entsprechend seiner integrativen Auslegung des Minneverhältnisses zu einer harmonisierenden Deutung, die vermeintliche Gegensätze auflöst. Und tatsächlich sind auch beim Aufbruch Iweins zur Quelle mit der äußeren Begleitung des Löwen und der inneren Verwundung des Helden zugleich die Fragen nach Landesherrschaft und Minne aufgerufen. Erwies sich die Quelle im ersten Handlungszyklus als der Ort, an dem divergierende Ordnungsvorstellungen deutlich werden, mithin ein Kontrast von Artushof und Laudinehof in je anderer Perspektivierung der Quelle festzustellen war,365 ist diese schließlich am Ende des Romans im Hinblick auf ihre Mythizität und Relationalität zu den thematischen Leitfragen entsprechend zu untersuchen. Andreas Hammer kommt in seiner Analyse der mythischen Elemente im Iwein für das Ende des Romans zu einem Ergebnis, das sich der Deutung Ruhs durchaus fügt und woran hier angeschlossen werden kann. Er geht zunächst von einer anfänglich strikten Trennung von Artushof und Laudinereich aus, was sich gerade an der Beschaffenheit der Quelle und ihrer Umgebung zeige. Sei „der Raum der Quelle sehr deutlich von dem des Artushofes abgegrenzt“, sei die räumliche Zuordnung von Quelle und Burg Laudines hingegen „nicht klar, es fehlen sämtliche räumliche Relationierungen“.366 Dennoch sei sie dem Reich Laudines zugehörig und „mit dem Laudinehof untrennbar verknüpft“,367 insofern sie „im metonymischen Verhältnis“ diesen repräsentiere, was sich nicht zuletzt mit der mythischen Raumkonzeption erkläre.368 Am Ende des Romans jedoch konstatiert er einen Wegfall mythischer Elemente. Dieser zeige sich in Abgrenzung zu früheren Beschreibungen der Quelle in einer jetzt veränderten räumlichen wie zeitlichen Gestaltung: Schon über die offensichtliche Thematisierung von Fristen und Terminen, die Iwein im zweiten Handlungszyklus nach dem Wahnsinn einhalten muss, erfolge bereits bei der Begegnung mit Lunete und dem damit angenommenen Gerichtskampf an der Quelle „ein ‚Einbruch‘ von Zeitlichkeit in den Raum der Gewitterquelle“.369 Dies sei umso bemerkenswerter, als dieser zuvor in seiner Zeitlosigkeit darge364
Ruh, Höfische Epik, S. 163; vgl. auch ebd., S. 161: „Es darf indes nicht der geläuterte Iwein gegenüber dem Artushof ausgespielt werden. Sein Gewinn ist der Gewinn aller.“ Ruh führt hier Gedanken weiter, die er bereits früher angestellt hat; vgl. Ruh, Interpretation, S. 50 f. 365 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5.1.4. 366 Hammer, Tradierung und Transformation, S. 234 f. 367 Ebd., S. 233. 368 Ebd., S. 235 f. 369 Ebd., S. 250.
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stellt gewesen sei.370 Ähnliches vollziehe sich mit Blick auf den Raum. Da der Weg, den Iwein am Ende zurücklegt, „mit keinem einzigen Wort auch nur mehr erwähnt“ werde, habe es den Anschein, „als ob zwischen Artushof und Gewitterquelle nichts weiter existierte“.371 Aufgrund jetzt ausbleibender Erwähnungen im Text, die einen Hinweis auf die raumzeitliche Gestaltung der Quelle geben könnten, kommt Hammer für das Ende des Romans zu dem Ergebnis: „Die Brunnenumgebung hat bei der Begegnung mit Lunete bereits ihre mythisch-andersweltlichen Merkmale verloren, nun ist sie endgültig mit dem übrigen Raum verschmolzen.“372 Und so ergebe sich „eine Lösung: es gelingt Iwein, Laudine- und Artusbereich miteinander zu vereinbaren“,373 und mehr noch, „von einem zweiten Zentrum neben dem Artushof kann keine Rede mehr sein“.374 In seinen Schlussfolgerungen ist Hammer zuzustimmen, insofern Artushof und Laudinehof für Iwein in geradezu komplementärer Weise notwendige und – mit Kurt Ruh gesprochen – gemeinsame Endpunkte seiner Aventiure sind. Ein Wegfall mythischer Elemente ist jedoch im Text nicht auszumachen. Vielmehr erscheint die Quelle auch am Ende des Romans sowohl in raumzeitlicher wie vor allem funktionaler Hinsicht noch in gleicher Weise präsent wie zu Beginn. Ausbleibende Erwähnungen im Text bezüglich der raumzeitlichen Zuordnung der Quelle geben kaum zur Vermutung Anlass, hier habe sich die Topographie verändert. Vielmehr schließt die scheinbar plötzliche, da nicht weiter auserzählte Ortsveränderung des Helden an die vorangegangenen Schilderungen mit bloßen Erwähnungen des Weges zur Quelle an: Ist der Weg, den Kalogreant zurückgelegt hat, noch Gegenstand einer ausführlichen Beschreibung, genügt sich die Erzählung vom Weg Iweins in der Aufzählung der einzelnen Stationen.375 Später kommt Iwein zufällig, entsprechend ohne jegliche Erwähnung des Weges, zur Quelle, wo er Lunete antrifft,376 und findet in kürzester Zeit – in kurzer stunt (V. 5146) – auch wieder zu ihr, da ihm der Weg inzwischen vertraut ist (V. 5145). Selbst die Artusritter finden in Begleitung Kalogreants den bekannten Weg, sodass auch sie in scheinbar ebenso kurzer Frist an der Quelle ankommen (V. 2446–2449). Eine Beschreibung des Weges ist am Ende des Romans ebenso wenig zu erwarten, wie er auf der anderen Seite mit dem expliziten Hinweis des Erzählers, dass Iwein bis zur Ankunft an der Quelle weder am hove noch anderswâ (V. 7807) bemerkt wird, hinreichend thematisiert ist.377 370
Vgl. ebd., S. 251. Ebd., S. 252. 372 Ebd.; vgl. auch ebd., S. 265: „Die Brunnenumgebung, zu Beginn noch mythischer Raum mit andersweltlichen und zeitlosen Kennzeichen, nähert sich immer mehr dem ‚rationalen‘ Raum, der die übrige Handlung bestimmt, an, mit dem sie am Ende völlig verschmilzt.“ 373 Ebd., S. 266. 374 Ebd., S. 270. 375 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5.1.1. 376 Genannt wird lediglich die geschiht, die Iwein auf dem Weg führt, anschließend verweist der Erzähler explizit auf das zuvor Erzählte (V. 3923–3929); vgl. die Ausführungen in Kapitel 5.2.2. 377 Der Auffassung Hammers, Tradierung und Transformation, S. 252, dass „kein Raum dazwischen mehr zu überwinden“ ist, kann aufgrund des zitierten Hinweises des Erzählers auf ebensolche 371
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Ähnlich verhält es sich mit der Beschreibung des Ortes. Erfolgt diese zunächst durch den Wilden im Wald, findet Kalogreant später alles bestätigt, gerade so wie es ihm erzählt worden sei.378 Kommt Iwein an den Ort, reichen schließlich Erwähnungen einzelner Details. Die Beschreibung des Ortes mit der Handlung Iweins und selbst noch das Unwetter werden in gerade einmal 10 Versen (V. 989–998) mehr genannt als erzählt, sodass der Fokus ganz auf der anschließenden Begegnung mit Askalon liegen kann. Auch später reichen der Brunnen mit Linde und Stein (V. 3926–3932) aus, um den dort von Iwein erfahrenen Verlust in Erinnerung zu rufen, den der Erzähler mit dem Wechsel von grôz heil unde michel ungemach (V. 3929) so knapp wie präzise anführt.379 Und so sind auch am Ende des Romans mit der Nennung des Brunnens, Iweins Absicht, den Stein zu begießen (V. 7795 f.), und dem folgenden Unwetter im Wald (V. 7821 f.), das leit (V. 7831) und laster (V. 7838) bringt,380 keine Veränderungen in der räumlichen Zuordnung und Wirkung der Quelle auszumachen. Die Quelle befindet sich in unverändertem Zustand im offen zugänglichen Wald von Breziljan und zeitigt die nämlichen Folgen, sodass die Bewohner auch jetzt leidvoll klagen: ‚vervluochet müezer iemer wesen,‘ sprach dâ wîp unde man, ‚der ie von êrste began bûwen hie ze lande. diz leit unde dise schande tuot uns ein man, swenner wil. bœser stet der ist vil: iedoch ist diz diu bœste stat dar ûf ie hûs wart gesat.‘ (V. 7812–7820)
Aus dieser Klage wird zweierlei deutlich: Die Quelle ist wie zu Beginn nicht nur offen zugänglich für jeden, der dorthin kommen und den Stein begießen möchte, sie ist es in gleicher Weise seit unbestimmter Zeit und für unbestimmte Zeit. Damit erweist sich die Quelle aber als zeitlich persistent noch über die erzählte Zeit hinaus. Die Möglichkeit einer Veränderung wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Letztlich greift gerade hier auch das Argument Lunetes, dass Laudine einen Mann benötige, der als Quellenhüter künftiges Leid abwehren solle (V. 7827–7843).381 Räume nicht gefolgt werden. Für Hammer ist ferner die „Unvermitteltheit“ ebendieser Verse 7805– 7808 dann „geradezu frappierend“, da sich der Ortswechsel „mitten im Satz“ ereigne. Entsprechendes ist bereits für die genannten Verse, die sich auf den Weg von Artus zur Quelle beziehen, festzustellen (V. 2446–2449). 378 Vgl. hierzu und zu den folgenden Nennungen im ersten Handlungszyklus Kapitel 5.1.2. 379 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5.2.2. 380 Wörtliche Entsprechungen zeigen die unveränderte Wirkung der Quelle an. So heißt es schon bei Kalogreant, dass dieser lasterlîchez leit (V. 714) über das Land bringe. 381 Lunete bezieht sich hier selbst noch auf die andauernde Gefahr, die schon am nächsten Tag wieder drohen könne (V. 7839), und befürchtet, dass in Ermangelung eines Quellenhüters die Situation sich niemer mêre ändern werde (V. 7843).
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In mythopoetischer Erzählung und noch mythosanaloger Gestaltung ist die Quelle in gleicher Weise in der Geschichte präsent wie zu Beginn des Romans.382 Mit dem Brunnen und der wiederholt bestätigten Koinzidenz von Begießen und Unwetter folgt entsprechend auch hier das Geschehen einer mythischen Rationalität, die eine in der Geschichte erfahrene Wirklichkeit nicht nur herstellt, sondern diese auch im nämlichen Funktionszusammenhang als handlungsrelevant ausweist. Zwar ließe sich die im Erzählverlauf festzustellende Reduktion des Erzählten als eine Konkretisierung auf das Nötigste bestimmen, was einer – im Sinne Blumenbergs – fortgeschrittenen Arbeit am Mythos und somit einer Entmythisierung des Erzählten entgegen käme, doch gibt diese Reduktion vielmehr das ikonisch konstante Motiv noch deutlicher zu erkennen.383 Und in der Weise, wie es sich damit als zeitlich persistent auch in der Erzählung erweist, lenkt es die Aufmerksamkeit über die neue Konfiguration am Ende des Romans umso mehr auf die zugrunde liegende Bedeutsamkeit.384 In mythosanaloger Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung bringt die Quelle erneut das zur Anschauung, was sich in der Erzählung an ihr vollzieht. Von daher konnte sie selbst bereits als eine Art Grenze gedeutet werden, die eine Richtschnur vorgibt, an der Relationen von Ordnung und Unordnung deutlich werden. Sie ist damit ein Ort der Veränderung, Flucht- und Wendepunkt der Erzählung und figuriert in der Geschichte als Schwelle für den Übertritt in eine veränderte Situation.385 Und so dient auch am Ende des Romans die Quelle im Wald von Breziljan noch immer in gleicher Weise und erneut dem Helden als eine ebensolche Schwelle.386 Die Befolgung ihres zeitlos gültigen rehts setzt einen Prozess in Gang, der zwar vorübergehendes Leid bewirkt, doch letzthin eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse zeitigt. So stellt Iwein seine eigene, andauernde und leidvolle Situation in Relation zu dieser zeitlich begrenzten Leiderfahrung durch das Unwetter an der Quelle: gewinne ich kumber dâ von, sô bin ich kumbers wol gewon unde lîde in gerner kurze tage danne ich iemer kumber trage. (V. 7797–7800)
Iwein nimmt die Quelle somit als den Ort an, an dem die auf das Leid bezogenen zeitlichen Relationen zur Anschauung kommen und sich in ein Früher und Später, in ein 382
Vgl. für das Folgende die Ausführungen in Kapitel 5.1.2. Wenn also einzig der Brunnen, das Gießen und das Unwetter genannt werden, sind damit auffallend gerade diese Elemente angeführt, die in sowohl mythopoetischer wie mythosanaloger Hinsicht relevant sind. Die zahlreichen Details wie Linde oder Vogelgesang, die zuvor die Mythizität zu erkennen gegeben haben, brauchen daher nicht in gleicher Weise und erneut aufgerufen werden, um dem Brunnen die selbe Wirkung und Funktion in der Erzählung zuzuschreiben. 384 Zur Anreicherung des Erzählten mit Bedeutsamkeit über Neukonfigurationen siehe Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff, S. 66, sowie die Ausführungen hierzu in Kapitel 2.1.2. 385 Vgl. zu dieser Deutung ausführlich Kapitel 5.1.2. 386 Auch Mertens, Artusroman, S. 78, geht mit Blick auf die unveränderte Funktion der Quelle von deren andauernden Wirkmacht aus, wenn er von „magischer Wiederholung“ spricht. 383
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Davor und Dahinter geradezu aufzulösen beginnen. Auf diesen bereits erfahrenen Umschlag zielt Iwein auch jetzt, wenn er in Befolgung des rehts der Quelle den Stein wiederholt, dar unde aber dar (V. 7796), übergießt. Bewirkt er damit kumbers weter (V. 7808), ist es schließlich ebendieser kumber, der dann sowohl auf ihn als auch auf Laudine in gleicher Weise bezogen ist, wie nur konsequent auch ihre Minne hier im unmittelbaren Zusammenhang aufgerufen wird: ouch lîdich kumber iemer mê. irn getuo der kumber ouch sô wê daz ich noch ir minne mit gewalt gewinne. (V. 7801–7804)
An der Quelle werden damit erneut und wie zu Beginn Relationen nicht nur aufgerufen, sondern sie beziehen sich über das jeweils erfahrene Leid auf das Verhältnis von Iwein und Laudine.387 In diesem Leid erfolgt nun letztlich aber eine Angleichung und damit Überwindung von Differenz. Die mythischer Rationalität folgende Quelle ist damit der adäquate Ort der so zu vollziehenden Entdifferenzierung, insofern das Leid Iweins einmal Grund für sein Gießen ist, es aber im Moment des Unwetters an der Quelle zugleich für ihn wie für Laudine auch Folge des Gießens ist, womit letztlich Ursache und Wirkung zusammenfallen.388 Im Zentrum steht letzthin und einzig der kumber, der auf Iwein lastet, der Laudine bedrückt und im Unwetter der Quelle, im kumbers weter, zur Anschauung kommt.389 An der Quelle ist aber auch jetzt im Moment der Aufhebung von Differenz zugleich der Moment der Veränderung gegeben. Denn erst über die Angleichung des Zuvor und Danach kann ein Umschlag der Situation erfolgen und die Handlung einen neuen Ausgang nehmen; nur so ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Iwein die Schwelle übertreten, den ihm zukommenden Platz an der Seite Laudines einnehmen und als eigenen annehmen kann, und dass letztlich das Leid beendet wird: unde der kumber den er truoc, | daz der ein ende solde hân (V. 8100 f.). Lunetes Vermittlung bei Laudine erscheint vor diesem Hintergrund geradezu als konsequente Folge, insofern sie auf das jeweilige Leid Laudines wie Iweins Bezug nimmt.390 Sie macht aber mehr noch auf die frühere Situation aufmerksam, wenn sich 387
Dass die „Auswirkungen des Wassergusses“ lediglich „die Burg und das umgebende Land“ treffen würden, dagegen aber „nicht denjenigen, der es ausgelöst hat“ – so Hammer, Tradierung und Transformation, S. 270 –, kann aufgrund der zitierten Verse, in denen vom jeweiligen kumber explizit die Rede ist, nicht nachvollzogen werden. 388 Die Handlung an der Quelle evoziert geradezu ein mythisches Kausalitätsdenken; vgl. hierzu Kapitel 3.1.2 sowie mit Bezug zur Quelle in der Erzählung Kalogreants Kapitel 5.1.2. 389 Um dieses Leid zu bewirken, ist die Anwendung von Gewalt nachvollziehbar, die in Vers 7804 angesprochen wird. Auch Speckenbach, Überlegungen zu Iweins Identität, S. 130, möchte den Vers nicht so verstehen, dass Iwein Gewalt anwende, um Liebe zu erringen. Vielmehr ziele er darauf ab, mit dem Unwetter die Gewalt zu demonstrieren, der das Land ohne ihn ausgeliefert wäre. 390 Als notwendige Ratgeberin für Laudine ist bereits ihr Auftreten Ausdruck des Leids ihrer Herrin, als Vermittlerin für Iwein bezieht sie sich dann auf dessen Ziel, die Minne seiner Frau wieder zu erlangen (V. 7876–7887).
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diese am Ende des Romans gleichsam wiederholt. Hat Lunete ihre Herrin früher davon überzeugen können, dass der unbekannte, doch über Askalon siegreiche Ritter der geeignete Mann und Verteidiger des rehts der Quelle sei, so wirbt sie jetzt ebenso erfolgreich für den rîter der den risen sluoc (V. 7869) und auch ihr Recht im Gerichtskampf hat verteidigen können (V. 7870 f.). Indem sie erst die Eignung des Kandidaten herausstellt, bevor sie diesen präsentiert, wiederholt sie nicht nur ihr früheres Vorgehen,391 sondern baut dessen Identifizierung schrittweise auf, bis sie ihn abschließend vor ihrer Herrin nennt: diz ist her Îwein iuwer man (V. 8074). Im Gesamten werden so – ohne weitere Erwähnung des Löwen392 – die einzelnen, im Zuge der Aventiure-Fahrt erlangten Qualitäten Iweins aktuell, wenn er von Lunete als rîter der den risen sluoc, als her Îwein und schließlich als man vorgestellt wird: Hat er sich im Kampf gegen den Riesen Harpin als Ordnungshüter bewährt, hat er nicht zuletzt im Kampf gegen Gawein wieder seine Ehre und mit ihr seinen Namen in der Gesellschaft erlangen können.393 Als dieser wie jener tritt er vor seine Herrin und ist als man und damit Minnepartner seiner vrouwe in dieser dreifachen Bestimmung nun bereit, seinen Dienst an der Quelle zu übernehmen und diese zu verteidigen.394 Als Schwelle zur je neuen Situation markiert die Quelle damit Anfangs- wie Endpunkt der Geschichte Iweins, und an ihr wird nicht zuletzt seine veränderte Einstellung gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen offenbar. Die im mythischen Motiv der Gewitterquelle angelegte Bedeutsamkeit ist dafür der angemessene Ausgangspunkt, zumal sich diese in typischer Weise nach Blumenberg über die „Wiederkehr des Gleichen“, über die „Kreisschlüssigkeit“ auch des Erzählens, umso deutlicher konturiert:395 Ist die Quelle für Iwein anfangs der Ort, an dem er mit der Rache für Kalogreant die gestörte Ordnung des Hofs wieder herstellen und zugleich die eigene Ehre bestätigen kann, machen die dort wartenden wunder auf eine noch unzureichende Motivation der Erzählung aufmerksam, die sich erst retrospektiv im Zugewinn einer Frau sinnvoll schließt.396 Die die Neugier Iweins weckenden wunder der Quelle markieren zu Beginn gleichsam eine Leerstelle, die erst später mit der Minne Laudines besetzt wird. Die 391
Vgl. zu dieser Analogie ausführlich Wandhoff, Iweins guter Name, S. 124 f. Lunete kann Iwein an der Quelle zwar zunächst noch anhand des Löwen erkennen (V. 7950), doch bleibt dies dessen letzte Erwähnung bei Hartmann, was letztlich auch das Ende der liminalen Phase anzeigen mag; vgl. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 124. Bei Chrétien – dies lässt sich noch ergänzen – wird Yvain von seinem Löwen noch bis in die Burg hinein begleitet (V. 6718). 393 Bezeichnenderweise ist auch hier vom Riesen Harpin die Rede, während die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer weiterhin unbekannt bleibt. Bis zuletzt bleiben die unterschiedlichen syntagmatischen Zusammenhänge der Riesenkämpfe in der Erzählung gewahrt; vgl. Kapitel 5.2.3. 394 Unverständlich bleibt hier die Unterscheidung von Schutz und Verteidigung, die Hammer, Tradierung und Transformation, S. 252, vornimmt: „Aus der mythisch konnotierten Gewitterquelle, faszinierend und gefährlich zugleich, wird ein mechanistisches Instrument, das weniger verteidigt als vielmehr vor Mißbrauch geschützt werden muß.“ 395 Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 80. 396 Vgl. hierzu und im Folgenden die ausführlicheren Darlegungen in Kapitel 5.1.1 und 5.1.3.
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Quelle ist daher schon zu Beginn der Ort, an dem sich den Fragen nach der rechten Ordnung und individuellen Ehre die Frage auch nach der Minne anschließt, und sie ist es am Ende des Romans in gleicher Weise, wenn der Held nach bestandenen Gerichtsund Riesenkämpfen zur Quelle aufbricht, um nach seiner Bestätigung als Landesherr und Artusritter auch die Minne seiner Frau wieder zu erlangen. Erinnert sich Iwein zuvor beim Anblick der Quelle noch daran, wie er sîn êre unde sîn lant | hete verlorn unde sîn wîp (V. 3934 f.), so ist die Quelle jetzt konsequenter Zielpunkt, von dem aus sich alles fügen kann. In ihrer mythosanalogen Gestaltung ist dabei die Quelle auch am Ende des Romans noch immer präsent und sie funktioniert notwendig auch in nämlicher Weise, doch ist sie für Iwein nunmehr konkret auf seine Situation bezogen. War die Quelle anfangs von einer gewissen Unbestimmtheit geprägt und von daher ebenso reizvoll wie fremdartig, tritt die Minne jetzt an die Stelle der wunder des Anfangs, womit sich für Iwein gleichsam eine Konkretisierung des Unkonkreten vollzieht. Die Quelle wird damit in einen Herrschaft, Ehre und Minne integrierenden Zusammenhang gestellt, der erst narrativ entfaltet wird und untrennbar mit der Geschichte Iweins verbunden bleibt. Sie nimmt in und für die Geschichte von Iwein eine erst im Erzählen gestiftete Bedeutung an, die an ihre mythisch fundierte Bedeutsamkeit anschließen kann. Mythisches erscheint letztlich in eine Bedeutung überführt, ohne abgewiesen und depotenziert zu werden. Mythisches ist integrativer Bestandteil der Erzählung wie es Bestandteil der eigenen Welt Iweins ist. Als wundersamer Ort, der zugleich Freude wie Leid zur Anschauung bringt, besteht die Quelle noch weiterhin als reizvolle Herausforderung für Aventiure suchende Ritter.
5.3.2 Vom Abenteuer zum erzählten Abenteuer Mit dem Aufbruch vom Artushof zur Quelle wird deutlich, dass Iwein seine Aufgabe als Quellenhüter an der Seite Laudines als eigene Aufgabe angenommen hat. Nach Auseinandersetzung mit zentralen Fragen der höfischen Kultur, die auf der Handlungsebene des Romans als eine Auseinandersetzung mit der Herstellung und Bestätigung der rechten Herrschaftsordnung sowie der Ehre des Artusritters ausgetragen werden, wofür die mythopoetische Erzählung von Riesenkämpfen in Verbindung mit den sie jeweils rahmenden Handlungen am Artus- und Laudinehof eine über den konkreten Einzelfall hinausreichende Folie bieten, kann Iwein im erneuten Auslösen des Unwetters an der Quelle auch die Minne zu seiner Frau als konstitutiven Teil seiner Identität behaupten. Nicht zuletzt auch in mythosanalogen Gestaltungen von Zeitlosigkeit und Wiederholung des Erzählten sowie der über das mythische Motiv der Quelle erzielten Kreisschlüssigkeit der Erzählung kommt den jeweils thematisierten Sachverhalten eine mythische Bedeutsamkeit zu, an die eine Bedeutung für die Geschichte Iweins anschließen kann. Im Folgenden soll ausgehend von diesen Ergebnissen zur Frage nach Wirkung und Funktion des Mythischen in Geschichte und Erzählung der Frage nach dessen Stellenwert innerhalb des narrativen Prozesses nachgegangen werden, der im
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Wechselspiel von Bedeutsamkeit und Bedeutung anzusiedeln ist. Denn gerade an Stellen des Romans, an denen Mythisches präsent ist und sich für die Handlung wie die Darstellung als relevant erwiesen hat, öffnet sich die Erzählung einer Reflexion über das Erzählen. Am eindringlichsten fällt dies bereits bei der Erzählung Kalogreants auf, in der dieser am Rande des Pfingstfestes im Kreise weiterer Artusritter erzählt, wie er nâch âventiure ausgeritten sei, nach Breziljân in den walt (V. 261–263).397 Und schon in seiner Erzählung wird die Quelle im Wald als überaus fremdartig und wundersam vorgestellt. Wenngleich kein anderer Ort im Roman in dieser Ausführlichkeit beschrieben wird, eignet der Quelle eine Uneindeutigkeit, die nicht nur ihre Mythizität unterstreicht, sondern innerhalb der Geschichte Neugier weckt. So folgt schon Kalogreant ohne weitere Nachfragen den Anweisungen des Wilden im Wald, Iwein zieht nicht zuletzt auch deshalb zur Quelle, da er die von Kalogreant vernommenen wunder selbst in Augenschein nehmen möchte (V. 808 f.), und auch Artus bricht mit seinen Rittern dorthin auf, um zu überprüfen, ob daz selbe mære | wâr ode gelogen wære (V. 2533 f.). Kalogreant behauptet jedoch schon vorab die Wahrheit seiner Erzählung und gründet diese darauf, dass er alles selbst erlebt habe, dâ von ist es wâr (V. 259). Und bestätigt sich für Kalogreant dann an der Quelle eben das, was er bereits vom Wilden im Wald vernommen hat, findet er der rede eine wârheit | als er mir het geseit (V. 601 f.), bestätigt sich ebendies auch später für Iwein und die anderen Artusritter, die ihrerseits von diesem Ort durch Kalogreant erfahren haben. Die Quelle selbst erscheint somit stets und zugleich als Objekt einer Konkretisierung wie sie auf der anderen Seite dennoch unbestimmt und fremdartig noch über die Erzählung Kalogreants hinaus bleibt.398 Rekapituliert man den Handlungsverlauf der Erzählung Kalogreants, stellt sich entsprechend dieses Kontrastes von Unkonkretem und Konkretisierung ein Widerspruch auch von anfänglich intendierter Absicht und Ergebnis dar: Bricht Kalogreant gewâfent nâch gewonheit (V. 262) und damit auf einen Kampf vorbereitet auf, kehrt er ohne Rüstung (V. 776–779) zurück. Seine Aventiure stellt sich somit für jeden offensichtlich als eine Niederlage dar, die Kalogreant im Kampf erfahren hat, den er – so bringt er es gegenüber dem Wilden im Wald zum Ausdruck – als ein zum Kampf gerüsteter Ritter um Ruhm und Ehre geführt hat.399 Mit der gegebenen Definition bestätigt sich Kalogreants einzig auf Ehrgewinn abzielende Perspektive, in der er entsprechend auch die Quelle wahrnimmt, wenn er dort nichts anderes als grôz êre zu finden glaubt (V. 603). Sie bestätigt sich aber auch über die sich dort ereignende Handlung, das Geschehen an 397
Die folgenden Ausführungen bauen auf Beobachtungen auf, die in Kapitel 5.1.1 angestellt wurden. Gerade im Vergleich mit Chrétien fällt dies bei Hartmann umso mehr auf, worauf bereits in Kapitel 5.1.2 eingegangen wurde. Zur nachhaltigen Fremdartigkeit im Romanverlauf vgl. die Ausführungen in Kapitel 5.3.1. 399 In seiner Definition, die er dem Wilden gibt, stellt Kalogreant den Zusammenhang von ehrenhaftem Kampf und Rüstung unmittelbar her (V. 533 f.). Auf die hier nur angesprochene Szene wurde bereits ausführlich in Kapitel 5.1.1 eingegangen.
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der Quelle ist letztlich die konsequente Umsetzung seiner eingeschränkten Perspektive auf der Handlungsebene: Im Kampf gegen den Quellenhüter treffen divergente Vorstellungen aufeinander und werden gleichsam ausgehandelt, bis Kalogreant anerkennen muss, dass er unterlegen ist. An der Quelle erweist sich Kalogreants Auffassung von Aventiure somit als defizitär, der vermeintlichen Eindeutigkeit steht die Uneindeutigkeit der Quelle gegenüber, die ebendiese Defizienz aufdeckt. Im Ergebnis muss Kalogreant als ein êrlôser man (V. 766) den Rückweg antreten. Mireille Schnyder nimmt die Erzählung Kalogreants als mustergültiges Beispiel dafür, dass eine Aventiure nicht nur die sich ereignende Begebenheit, sondern immer auch die mit Sinn besetzte Erzählung von dieser Begebenheit ist, sie sei „in erster Linie und von Anfang an in der deutschen Literatur des Mittelalters die sinnstiftende Geschichte, die das Geschick des Einzelnen durch die Artifizialität der Nacherzählung konstituiert“.400 Voraussetzung für dieses Erzählen sei dabei die „Fähigkeit, die Ereignisse der Welt auf sein eigenes Geschick hinzuordnen und die eigene Existenz in ein Sinngefüge hineinzudenken“; die Aventiure sei somit letztlich „das Produkt eines Erkenntnisprozesses“, sie müsse als solches erkannt und könne nur dann verstanden werden.401 Vor diesem Hintergrund ist dann auch Kalogreants Aufforderung zum aufmerksamen Zuhören zu verstehen, die er in einem eigenen Prolog formuliert: vernemt mit guotem site, unde miet mich dâ mite: ich sag iu deste gerner vil, ob manz ze rehte merken wil. man verliuset michel sagen, man enwellez merken unde dagen. maniger biut diu ôren dar: ern nemes ouch mit dem herzen war, sô ne wirt im niuwan der dôz, unde ist der schade al ze grôz: wan si verliesent beide ir arbeit, der dâ hœret unde der dâ seit. (V. 245–256)
Kalogreant macht im Kreise seiner Zuhörer deutlich, dass er eine Geschichte erzählen möchte, die der besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Er wählt dafür das Bild des Herzens, mit dem erst der eigentliche Gehalt der Erzählung erfasst werden könne, wohingegen ein bloßes Zuhören mit den Ohren, ein Achten allein auf das Erzählte, der Erzählung nicht gerecht würde. Erzählen wie Zuhören seien letztlich mühevolle Aufgaben, die sich – so lässt sich schließen – nicht im Nachvollzug der einzelnen Inhalte der Erzählung erschöpfen. Damit lenkt Kalogreant die Aufmerksamkeit gerade aber auf den Sinn seiner Aventiure, der über die retrospektive Betrachtung des Sinngefüges einzig im Erkennen der falschen Auffassung von Aventiure gesehen werden kann, wohinge400 401
Schnyder, Sieben Thesen, S. 369. Ebd., S. 372.
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gen der Erzähler des Romans Kalogreants Erzählung als ein mære, | von grôzer sîner swære | unde von deheiner sîner vrümcheit (V. 93–95) ankündigt. Bezeichnenderweise bereut am Ende Kalogreant aber nicht seine eigentliche Tat, als er vielmehr bereut, überhaupt erzählt zu haben: ich hân einem tôren gelîch getân, | diu mære der ich laster hân, | daz ich iuch diu niht kan verdagen (V. 795–797).402 Das eigentliche Ereignis tritt hinter das Erzählen von diesem Ereignis zurück, es geht mithin nicht um eine Geschichte von einer wundersamen Quelle im Wald, an der ein Artusritter eine schändliche Niederlage erfährt, sondern um eine – mit Schnyder gesprochen – sinnstiftende Geschichte davon, was sich in der Auseinandersetzung an der Quelle allererst aufgetan hat. Von daher nur erklärt sich Kalogreants Aufforderung zum aufmerksamen Zuhören, und nur so ist seine Aufforderung auch zum weiteren Erzählen anstelle tatkräftigen Handelns zu verstehen, die er abschließend an seine Zuhörer richtet (V. 801 f.). Der Erzählung wie ihrer Rezeption misst er somit einen Wert bei – beides belegt Kalogreant konsequent mit dem Begriff der arbeit (V. 255) –, der die erzählte Tat dahinter zurücktreten lässt. Auf der Handlungsebene ist somit das vorgeführt, was schon im Prolog des Romans diskursiv entfaltet wird: Für den Prolog wählt Hartmann den gängigen Topos einer Laudatio tempori acti, um die Vorbildlichkeit von König Artus gerade in Abgrenzung zur eigenen Gegenwart zu unterstreichen. Doch ebenso hebt er deren Vorzüge explizit hervor: mich jâmert wærlîchen, unde hulfez iht, ich woldez clagen, daz nû bî unsern tagen selch vreude niemer werden mac, der man ze den zîten pflac. doch müezen wir ouch nû genesen. ichn wolde dô niht sîn gewesen, daz ich nû niht enwære, dâ uns noch mit ir mære sô rehte wol wesen sol: dâ tâten in diu werc vil wol. (V. 48–58)
In der Forschung sind diese Verse immer wieder Gegenstand eingehender Diskussionen gewesen, die grundlegende Fragen zum Status mittelalterlicher Literatur aufgeworfen haben. Thesen zu einer hier programmatisch formulierten Fiktionalität des Artusromans stehen solchen gegenüber, die eher den Anschluss an gängige Rhetoriken suchen.403 Festzuhalten ist jedoch für den hier vorliegenden, unmittelbaren Kontext, dass Hartmann nicht nur die eigene Gegenwart von einer – wenn auch idealisierten – Vergan-
402 403
Vgl. schon die Beobachtung von Wandhoff, Âventiure als Nachricht, S. 13 f. In erster Linie sind hier die Ausführungen zum Iwein von Walter Haug zu nennen; Haug, Literaturtheorie, S. 119–133. Unter Berücksichtigung antiker und mittelalterlicher Rhetoriken liest den Prolog Kellermann, Poetologische Traditionen. Die Diskussion ist kritisch dargestellt bei Schirok, Literaturtheoretische Aspekte, hier v. a. S. 191–194.
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genheit abgrenzt,404 sondern dies explizit an eine Unterscheidung von den vergangenen Taten (werc) und den hiervon berichtenden Erzählungen (mære) anbindet. Nach Walter Haug zielt diese Unterscheidung auf einen literarisch vermittelten Sinn: „Entscheidend“ sei daher „nicht die Fabel, nicht der Stoff, nicht das Geschehen selbst, sondern das, was die literarische Gestaltung ihnen an Sinn abzugewinnen vermag.“405 Haug hat dies an anderer Stelle weiter ausgeführt und konkreter auf die erzählte Materie bezogen. So halte der Artusroman zwar an der stofflichen Überlieferung der Matière de Bretagne fest, er entwerfe aber ein eigenes Handlungsmodell, über das Sinnsetzungen allererst ermöglicht werden, da „die narrative Linienführung poetisches Konstrukt“ sei.406 Wenngleich Haug eine „Überlegenheit der Literatur über die bloße Faktizität“ behauptet, sodass man die „fiktionale Erzählung als autonomen Erfahrungsprozeß“ auffassen könne,407 besteht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass sich der Sinn einer Erzählung erst über das literarische Erzählen einstellt, das einzelne Ereignis sich mithin erst über den Sinnzusammenhang der Erzählung erschließt.408 Zuletzt hat auch Volker Mertens in Auslegung der zitierten Verse des Prologs wieder betont, dass „die Taten durch den Erzähler in einen sinnvollen Deutungszusammenhang gebracht sind und er dadurch die Hörer/Leser zu einem Erkenntnisprozeß führt“.409 Die Erzählung Kalogreants am Artushof führt dies anhand der Thematisierung von richtigem und falschem Verstehen vor. Anstelle seiner Aufforderung zum weiteren Erzählen nachzukommen, reagiert Iwein – später in gleicher Weise auch Artus – allein auf die erzählten Inhalte, wenn er umgehend beschließt, selbst in den Wald aufzubrechen, um Kalogreant zu rächen und die wundersame Quelle aufzusuchen (V. 806–809). Damit folgt er nicht nur seinem Verwandten in den Wald, sondern ebenso dessen in der Erzählung als defizitär ausgewiesenen Auffassung von Aventiure, und er erfasst offensichtlich nicht den Sinnzusammenhang der gehörten Erzählung,410 der sich gerade über den Kontrast von Eindeutigkeit und Uneindeutigkeit darstellt, in Kalogreants einge404
Vgl. Kern, Der Roman und seine Rezeption, S. 249. Haug, Literaturtheorie, S. 127. 406 Haug, Lesen oder Lieben, S. 307. 407 Haug, Literaturtheorie, S. 126 u. 128. Dass hier keine Autonomie vorliegt, kann gerade auch daran deutlich werden, wie Mythisches im Roman zwischen Bedeutsamkeit und Bedeutung angesiedelt ist, worauf gleich noch einzugehen ist. 408 Vgl. hierzu Kapitel 2.2.2. Von einer „programmatische[n] Poetizität oder Literarizität“ spricht dann Schirok, Literaturtheoretische Aspekte, S. 193; Jürgen Wolf resümiert schließlich, dass die einzelnen „Interpretationsansätze letztlich in eine ähnliche Richtung zielen“; Wolf, Einführung, S. 77. 409 Mertens, Stellenkommentar, S. 978. 410 Volkmann, Funktion des Streites, S. 108, erkennt hier eine besondere Funktion des Streites im Umfeld der Erzählung Kalogreants, der das Missverstehen auf der Handlungsebene austrage; vgl. Kern, Iwein liest ‚Laudine‘, S. 409; Kern verweist in diesem Zusammenhang auf den Rat Gaweins, sich nicht wie Erec allein der Liebe hinzugeben, womit eine Fehlinterpretation der Geschichte Erecs durch Gawein angezeigt sei; vgl. ebd., S. 409 f.; sowie Haug, Lesen oder Lieben, S. 319, der bilanziert, dass „die ganze Exposition des ‚Yvain‘/‚Iwein‘ von falsch verstandenem Erzählen“ lebe. 405
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schränkter und einzig Ehre fokussierender Perspektive auf die Quelle, die hierüber jedoch nicht hinreichend wahrgenommen ist. Mit der in ihrer Mythizität angezeigten Quelle im Wald von Breziljan als dem zentralen Motiv und Schauplatz des Romans steckt die Erzählung Kalogreants somit nicht nur inhaltlich die Romanwelt wie deren Gestaltung ab,411 sondern eröffnet eine Rezeptionsebene, die in der Inszenierung einer Erzählsituation mit Bezug zum vorausliegenden Prolog gleichsam die Bedingungen des Verstehens auch des Romans reflektiert.412 Trägt Mythisches zur Reflexion über höfische Leitvorstellungen (êre) wie deren Vermittlung (âventiure) bei, macht die Erzählung auf ihre Literarizität gerade hier aufmerksam. Und es sind dann die in ihrer Mythizität angezeigten, im mythopoetischen Erzählen präsentierten Episoden des Romans, in denen das Erzählen selbst thematisiert wird. Der Vergleich der Episoden vom Harpinkampf und der Burg zum Schlimmen Abenteuer zeigt auf, wie das in Reflexion tretende Erzählen vom einzelnen Ereignis auf je andere Weise Mythisches in einen Sinnzusammenhang erst einbindet, wie mythische Bedeutsamkeit in eine literarisch vermittelte Bedeutung überführt wird:413 Beide Episoden greifen das mythische Motiv des Riesenkampfs auf, den Iwein jeweils siegreich bestehen muss, um rechtzeitig zu den angesetzten Gerichtskämpfen – hier für Lunete am Laudinehof, dort für die jüngere Schwester vom Schwarzen Dorn am Artushof – erscheinen zu können. Beide Episoden sind damit bereits strukturell in eine sie rahmende Handlung integriert und bringen auf paradigmatischer Ebene die jeweiligen Sachverhalte zur Anschauung: hier das Eintreten für die rechte Ordnung, dort der Zugewinn an Ehre. Was als ein Erzählen im Paradigma beschrieben werden konnte und damit der Literarizität des Textes zuzuschreiben ist, erfährt jedoch unterschiedliche syntagmatische Verknüpfungen: Die Harpin-Episode erhält ihre Bedeutung für die weitere Handlung des Romans erst mit ihrer syntagmatischen Einbindung. Dabei erscheint sie innerhalb der Geschichte geradezu als eine eigene, in sich geschlossene Erzählung vom Ritter mit dem Löwen, die bald weite Verbreitung findet und bis an den Hof der Schwestern vom Schwarzen Dorn sowie zu König Artus gelangt. Und noch Lunete kann sich auf sie berufen, wenn sie Laudine den rîter der den risen sluoc (V. 7869) als neuen Quellenhüter empfiehlt. Die Erzählung vom Sieg über den Riesen Harpin weist damit Iwein als geeigneten Ordnungshüter aus, der für das Recht anderer eintritt und somit für Gerichtskämpfe wie für die Verteidigung des rehts des Brunnens herangezogen werden kann. Der Sieg Iweins über den Riesen ist damit nur mittelbar für die weitere Handlung von Bedeutung, denn entscheidend ist die Erzählung davon. Erst über die Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte kann der mythopoetischen Erzählung auf paradigmatischer Ebene des weiteren Kontextes eine Bedeutung zukommen, die handlungsrelevant ist. Die eigentliche Aventiure Iweins tritt hinter das Erzählen von dieser Aventiure zurück, wenngleich 411
Vgl. hierzu Kern, Interpretation der Erzählung, S. 358. Vgl. Kern, Der Roman und seine Rezeption, S. 250 f. 413 Vgl. für die folgenden Ausführungen Kapitel 5.2.3. 412
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sie notwendige Voraussetzung ist. Mit der Harpin-Episode ist letztlich auf intradiegetischer Ebene das vorgeführt, was auch Kalogreant für seine Erzählung am Artushof voraussetzt. Es geht nicht um die eigentliche Tat, es geht um den Sinn und die Bedeutung, die das Erzählen von dieser Tat hat. Und indem das Erzählen auch hier nachhaltig thematisiert wird, wird auf eine Bedeutungsebene erst aufmerksam gemacht.414 Die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer steht mit dem Motiv des Riesenkampfs nicht nur im inhaltlichen Bezug zur Harpin-Episode, sondern sie ist wie diese auf vergleichbare Weise strukturell in die sie rahmende Handlung eines Gerichtskampfs integriert. Auch für sie konnte ein Erzählen im Paradigma beschrieben werden, dem mit dem Zugewinn an Ehre der nämliche Sachverhalt thematisch zugrunde liegt. Während sie die Befreiung der 300 Arbeiterinnen jedoch unmittelbar und anschaulich erzählt, rekurriert die Episode vom Gaweinkampf auf sie allein im Modus uneigentlicher Sprache. Eine Anbindung auf syntagmatischer Ebene erfolgt dann ebenso wenig, wie sie sich entsprechend ihrer Mythizität auch nicht in einer allein auf die Geschichte Iweins zu beziehenden Bedeutung erschöpft. Die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer eröffnet vielmehr einen Raum innerhalb der Erzählung, in dem zwar Iwein seine Ehre beweisen kann, in dem diese aber in ihrer über den konkreten Fall hinauszielenden Bedeutung angezeigt wird: Am spannungsgeladenen Höhepunkt der Erzählung, unmittelbar vor dem sich ereignenden Riesenkampf, kulminiert sie in der Darstellung eines lesenden Mädchens. Inmitten eines als Locus amoenus beschriebenen Baumgartens lagern der Burgherr und seine Frau, unde vor in beiden saz ein magt, diu vil wol, ist mir gesagt, wälsch lesen kunde: diu kurzte in die stunde. ouch mohte si ein lachen lîhte an in gemachen: ez dûhte si guot swaz si las, wande si ir beider tohter was. ez ist reht daz man si krœne diu zuht unde schœne, hôhe geburt unde jugent, gewizzen unde ganze tugent, kiusche unde wîse rede hât. daz was an ir, unde gar der rât des der wunsch an wîbe gert. ir lesen was et dâ vil wert. (V. 6455–6470)
Der Erzähler schildert die Szene in idealer Vollkommenheit, und wenngleich er sich darauf beruft, was ihm selbst gesagt worden sei, sind gerade hier signifikante Änderun414
Dem eigentlich Erzählten kommt eine so angezeigte Bedeutung zunächst jedoch nicht zu. In Kapitel 5.2.3 wurde daher ausgeführt, wie der mythopoetischen Erzählung aber eine Bedeutsamkeit zugrunde liegt, an die mittels eines Erzählens im Paradigma angeschlossen werden kann.
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gen festzustellen, die Hartmann gegenüber seiner Vorlage von Chrétien vorgenommen hat. Chrétien (V. 5360–5396) berichtet von einem Mädchen, das seinen Eltern aus einem ihm unbekannten Roman vorliest. Will man nicht gar von einem Liebesroman ausgehen,415 fällt doch zumindest die Bewertung der Szene durch den Erzähler auf, die er in einem kurzen, aber eindringlichen Exkurs über aufrichtig erfahrene Liebe vornimmt. So wäre selbst der Gott der Liebe (Li Des d’Amors; V. 5377) von dieser Szene so angetan, dass er seine Gottheit (sa deïté; V. 5381) ablegen wollte, nur um der liebreizenden Tochter zu dienen. Chrétien erreicht über die Annäherung des Gottes geradezu eine Apotheose des lesenden Mädchens und verbindet dies mit einer Klage über seine eigene Gegenwart, in der die Liebe nicht mehr in gleicher Weise erfahren werde (V. 5394 f.), womit er den Gedanken, den er zu Beginn seines Romans formuliert, aufgreift (V. 12– 30). Hartmann übergeht diese thematische Ausrichtung der Szene auf die Frage nach der rechten Liebeserfahrung und nimmt sie vielmehr zum Anlass, umso entschiedener die Situation der Rezeption von Literatur zu bewerten, die geradezu als „eine kleine Lektion in unserer Schule der Rezeption“ aufgefasst werden kann.416 Hierfür sprechen nicht nur die aufgelisteten positiven Eigenschaften, die sich in dem lesenden Mädchen gleichsam verkörpern, sondern vor allem der oben zitierte Hinweis des Erzählers, dass es nur recht sei, daz man si krœne. Und so schließt Hartmann seinerseits, doch eben unter anderen thematischen Vorzeichen, an den Prolog seines Romans an, in dem er König Artus ebendiese Ehrenkrone zuspricht, denn dieser habe bî sînen zîten gelebt alsô schône daz er der êren krône dô truoc unde noch sîn nam treit. (V. 8–11)
Der thematisch auf den Zugewinn an Ehre zielende Kontext der Episode bleibt somit nicht nur gewahrt, sondern die Episode tritt erst dadurch in eine auch inhaltliche Beziehung zum Prolog des Romans. Nicht von ungefähr erfolgt daher gerade in der Burg zum Schlimmen Abenteuer die gegenseitige Zuerkennung von sælde unde êre, die an die Eingangssentenz des Prologs anschließt: Swer an rehte güete wendet sîn gemüete, dem volget sælde unde êre. (V. 1–3)
Mit den Verben wenden und volgen ist gerade aber eine Gegenläufigkeit impliziert, die sich in der wechselseitigen Zuwendung Iweins und der 300 Arbeiterinnen konkretisiert. So richten sich diese wie jener an Gott, um für den jeweils anderen sælde unde êre zu erbitten (V. 6412 u. 6864). Die Episode bringt letzthin einen Sachverhalt zur Anschauung, der nicht nur dem Roman vorangestellt ist, sondern die Geschichte Iweins noch
415 416
Kern, Iwein liest ‚Laudine‘, S. 396, vermutet die Lektüre von Amor und Psyche des Apuleius. Ebd., S. 397.
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übersteigt, wenn sich der Erzähler im Epilog selbst an Gott wendet, damit auch ihm und seinem Publikum die nämliche sælde unde êre zuteil werde (V. 8166).417 Führt die Harpin-Episode auf der Handlungsebene vor, wie erst infolge der Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte diesem eine Bedeutung für das weitere Geschehen zukommen kann, wird das Erzählen selbst thematisch auf intradiegetischer Ebene immer wieder aufgegriffen. Die Episode der Burg zum Schlimmen Abenteuer schließt hieran in gesteigerter Weise an, indem sie sich über die erzählte Geschichte hinaus einer extradiegetischen Ebene öffnet.418 Bleibt das Ereignis der Befreiungstat Iweins in der Geschichte unbekannt, korrespondiert die bleibende Präsenz des Mythischen jetzt mit einer Reflexion über das Erzählen, die nicht nur eine Bedeutungsebene anzeigt, sondern noch über die Geschichte Iweins hinausweist. Das Erzählen von diesem Ereignis erweist sich somit als relevant für den Roman wie für die Erzählung, insofern es einen Sachverhalt zur Anschauung bringen kann, der in einem der Geschichte vorgelagerten Bedeutungshorizont steht, der mit sælde unde êre Wertmaßstäbe formuliert, vor denen selbst der Erzähler wie sein Publikum bestehen müssen.419 Dass sich aber die Geschichte Iweins letztlich nicht allein in diesem Horizont erschöpft,420 zeigt sich bereits daran, dass sie auch nach Iweins Sieg in der Burg zum Schlimmen Abenteuer noch nicht beendet ist. Denn erst nach der erfolgten Bestätigung der Ehre vor Artus kann Iwein auch erst vor Laudine seine Minne unter Beweis stellen, womit er seiner Aufgabe als Quellenhüter nachkommt. Die Quelle im Wald von Breziljan ist hierfür der entsprechende Ort, der die zeitlos gültige und rechte Zuordnung von Ehre und Minne stets und immer wieder aufs Neue zur Anschauung bringt und in dieser Eigenschaft dauerhaft verteidigt werden muss. Der mythosanalog gestalteten und in der mythopoetischen Erzählung zeitlos präsenten Quelle eignet eine Bedeutsamkeit, an die 417
Thomas Cramer sieht den Zusammenhang von sælde unde êre als ein „Verhältnis von Disposition (sælde) und Erfüllung (êre)“, das den Roman über durchgespielt werde und entsprechend im Prolog formuliert sei; Cramer, ‚sælde‘ und ‚êre‘, S. 44. Er kommt dann jedoch zu dem Ergebnis, dass die in Prolog und Epilog angeführte Doppelformel aber nicht mehr in dieser Exponierung verwendet werde; vgl. ebd., S. 31. 418 Für Schnyder, Kunst der Vergegenwärtigung, S. 443, wird bereits über die Bewertung des Erzählers die Szene „aus ihrer scheinbar intradiegetischen Situierung in eine extradiegetische Position gehoben“. 419 Vgl. Mertens, Imitatio Arthuri, S. 355, der überdies hervorhebt, dass Hartmann mit seinem Prolog ein „Zeugnis eines gesteigerten literarischen Bewußtseins und einer differenzierten Einsicht in die Qualität ästhetischer Erfahrung“ gebe; ebd., S. 357. Von einer „Überlegenheit der Literatur“ im Sinne eines „autonomen Erfahrungsprozeß[es]“ – so Haug, Literaturtheorie, S. 126 u. 128 – ist dagegen nicht auszugehen, da Mythisches im Überschreiten der Grenze von intradiegetischer auf extradiegetische Ebene an eine Lebenswirklichkeit angebunden und mit Bedeutung versehen wird, sodass der Roman keine autonome, vom Außerhalb des Textes unabhängige Welt darstellt. Vgl. hierzu auch Kellermann, Poetologische Traditionen, S. 17, die jedoch vordergründig vom Historischen der Materie ausgeht. 420 Auch Mertens, Imitatio Arthuri, S. 352, bezweifelt, dass der Doppelformel ein den Roman umfassendes Gewicht zukommt, da sie im Epilog „in fast lakonischer Knappheit“ nur aufgegriffen werde.
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erst im Erzählen angeschlossen wird, über das allererst Bedeutung gestiftet werden kann. Die Quelle tritt damit hinter die Erzählung von der Quelle zurück und es ist die in ihrer Literarizität angezeigte Erzählung, der erst eine Bedeutung zukommt, die dem Mythos als solchem fremd bleibt.421 Mythizität und Literarizität partizipieren an einem Spiel, das sich zwischen Bedeutsamkeit und Bedeutung bewegt. Kalogreant hat gleichsam darauf hingewiesen, wie seine Vorstellung von Aventiure und seine Vorstellung der wunder in einem Zusammenhang gesehen werden müssen. Diesen Zusammenhang herzustellen, bleibt letztlich aber die Arbeit des Erzählenden wie des Rezipierenden.
5.4 Resümee: Von der Kontrastierung zur Eigenwelt Eine Aventiure erweist sich als sinnvolle Aventiure erst im Erzählen. Für den Erec Hartmanns von Aue wurde bereits deutlich, wie Mythisches notwendiger Teil des Erzählens einer Aventiure ist, wie es im mythopoetischen und mythosanalogen Erzählen nicht nur eine Wirkung in der Geschichte und für die Handlung hat, sondern Möglichkeiten für das Erzählen überhaupt bereit hält und dieses beeinflusst. Als Teil der Erzählung ist Mythisches dann auch im Iwein präsent, als solches wird es gleich zu Beginn des Romans eingeführt und gleichsam in der Geschichte vorgeführt. Mythisches und Erzählen treten bereits in der Erzählung Kalogreants in einen untrennbaren Zusammenhang, der im Weiteren auch die Erzählung von Iwein bestimmt. Die Frage nach der sinnvollen Aventiure ist somit der erzählten Aventiure bereits implizit vorangestellt. Ihr soll im Folgenden zusammenfassend nachgegangen werden, indem wesentliche Beobachtungen und Einzelergebnisse der Kapitel zum Iwein zusammengeführt werden. Wie schon für die Besprechung des Erec formulieren die den einzelnen Kapiteln vorangestellten Überschriften thesenartig Tendenzen, nach denen Wirkung und Funktion des Mythischen im narrativen Prozess beschrieben werden können. Bezogen auf die inhaltliche und formale Gestaltung des Erzählens soll dabei eine Bewegung von der Kontrastierung zur Eigenwelt über die Harmonisierung und Integration des Mythischen nachgezeichnet werden.422 Die Erzählung von der Quelle im Wald von Breziljan konnte als mythopoetisch bestimmt werden, insofern sie prägnante und ikonisch konstante Motive mythischer Provenienz aufweist. Diese erscheinen noch in zeitlicher Persistenz über die Erzähltradition hinaus auch im Roman, wenn erst Kalogreant, dann Iwein und nach ihm die anderen Artusritter zu der Quelle kommen und das ihnen zuvor Erzählte unverändert vorfinden. 421 422
Vgl. Cassirer, Das mythische Denken, S. 286, sowie die Ausführungen in Kapitel 3.2.1. Die folgenden Ausführungen fassen in gleicher Weise wie die zum Erec (Kapitel 4.4) wesentliche Zusammenhänge und Leitgedanken der einzelnen Kapitel zusammen. Nicht alle Einzelaspekte können auch hier in gleichem Maß wieder aufgegriffen werden, weshalb auf das abschließende und ergänzend konzipierte Kapitel 6 hinzuweisen ist.
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Der prachtvolle Ort der Quelle mit immergrüner Linde und lieblichem Vogelsang ist gerade bei Hartmann als ein Ort der Zeitlosigkeit und des Leidvergessens gestaltet, an dem auch das weitere Geschehen Strukturen mythischen Denkens erkennen lässt. So wird mit dem Übergießen des Steins an der Quelle entsprechend mythischer Koinzidenz ein Unwetter ausgelöst, an das sich jedoch die nämliche Herrlichkeit des Ortes erneut anschließt. Die Quelle in ihrer zugleich herrlichen und schrecklichen Erscheinung bringt eine rationalem Denken widersprechende, doch mythischem Denken analoge Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung zur Anschauung, die über das erzählte Einzelgeschehen hinaus in unbestimmter Wiederholung auch zeitlos gegenwärtig wird. Dem Geschehen an der Quelle konnte damit eine eigene Gesetzesordnung zuerkannt werden, die nicht zuletzt als reht bezeichnet wird und auf den Aventiureritter wie den Quellenhüter in gleicher Weise Zwang ausübt. Unterliegt das Geschehen an der Quelle zwar einer eigenen Ordnung, ist diese jedoch nicht kontrastiv der höfischen Ordnung gegenübergestellt. Wenn auch die Quelle in äußerster Entfernung zum Hof erscheint, insofern sie nur auf umständlichem Weg durch den Wald zu erreichen ist, befindet sie sich nicht in einem von ihrer Umgebung abgegrenzten, mithin mythischen Raum, sondern ist von allen Seiten jederzeit und für jeden zugänglich. Die dort geführten Kämpfe können vielmehr als eine Auseinandersetzung gerade mit der höfischen Ordnung angesehen werden, zumal diese explizit nach höfischen Regeln geführt werden und im Ergebnis über Kontraste Defizienzen aufdecken können. Die mythosanalog gestaltete Quelle ist damit der adäquate Ort, an dem die Frage nach der rechten Ordnung virulent und gleichsam ausgehandelt wird, insofern sie die Ordnung einer Unordnung zeitlos vergegenwärtigt. Die Quelle ist zentraler Schauplatz zunächst der Aventiure Kalogreants. Nicht nur gegenüber dem Wilden im Wald bringt er seine defizitäre Auffassung von Aventiure explizit zum Ausdruck, diese zeigt sich auf der Handlungsebene entsprechend konsequent im Ergebnis seines Kampfs gegen den Quellenhüter Askalon. Führt Kalogreant den Kampf an der Quelle einzig um Ehre, muss er als ehrloser Ritter den Rückweg antreten. Kalogreants Erzählung von seiner Aventiure an der mythischen Quelle konnte damit nicht nur als Ausdruck einer latenten inneren Störung auch des Artushofs, sondern überdies in seiner handlungsauslösenden Funktion gedeutet werden, insofern sie geradezu notwendig die Reaktion Iweins erwirkt. In Sukzession des Artusritters kämpft auch Iwein an der Quelle, um die eigene Ehre unter Beweis zu stellen, und er will in gesteigerter Weise die Ehre des Artushofs wieder herstellen, wenn er die Niederlage Kalogreants zu rächen beabsichtigt. Doch wie sich sein Aufbruch mit dem von Hartmann eigenständig eingeführten Motiv der Neugier als überbestimmt erwies, stellt sich die Situation für ihn anders dar. Ist die Neugier verbunden mit der Frage nach Ehre bezogen auf die wunder der Quelle, erscheint Iwein nach seinem Sieg über den Quellenhüter selbst als wunder im fremden Land, wenn er als Minnepartner Laudines jetzt in Sukzession Askalons die Herrschaft antritt und fortan die Aufgabe der Quellenverteidigung übernimmt. Der eingeschränkten Perspektive der
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Artusritter auf die Quelle schließt sich von hinten mit der Minne eine neue Perspektive an, die die Handlung motiviert. Die Aventiure Iweins an der Quelle erwies sich daher als von kausaler wie finaler Motivation gleichermaßen bestimmt, insofern sich Ehre und Minne als Motive für den Kampf herauskristallisieren, während die wunder hier wie dort den Bezug zur Quelle herstellen. Der Aventiure an der Quelle ist somit Ehre wie Minne zugeschrieben, deren rechte Zuordnung in der Verteidigung der Quelle als elementarer Sachverhalt der Erzählung bestimmt werden konnte. Musste Kalogreant entsprechend seiner eingeschränkten Perspektive an der Quelle verlieren und den Rückweg antreten, kann erst Iwein Ehre und Minne in seiner Aufgabe als neuer Landesherr integrieren, was er im späteren Kampf gegen die Artusritter bestätigt. Die Quelle steht letztlich im Flucht- und Wendepunkt der Erzählung; sie erweist sich als an Regeln gebundene mythische Schwelle am Übergang in eine neue Lebensphase für den Helden, wie sie als dauernde Herausforderung im Wald zur Verteidigung und mithin Bestätigung des ihr zugrunde liegenden elementaren Sachverhalts zwingt. Folgt Iwein am Ende des ersten Handlungszyklus erneut dem Artushof, allen voran Gawein, tritt mit den ausschließlich auf Ehre zielenden Turnierfahrten sein Handeln in Kontrast zu seiner Aufgabe als Quellenhüter. Konsequent stellt sich die Krise ein, die die Restitution des Helden in erneuten Auseinandersetzungen an der Quelle zur Folge hat. Hat sich das Mythische der Quelle als notwendig anzunehmender Teil Iweins erwiesen, wie es entsprechend auch die Erzählung prägt, folgt der zweite Handlungszyklus einer Harmonisierung der Verhältnisse und Integration des Mythischen auf der Ebene des Erzählten wie des Erzählens. Diese Tendenz konnte zunächst anhand der Episoden vom Wahnsinn bis zur ersten Rückkehr an die Quelle aufgezeigt werden: Folgen die Episoden von Wahnsinn und Drachenkampf in finaler Motivation und wiederholt mythosanaloger Gestaltung einer Struktur der Initiation, kommt mit der Salbe der Famurgan und der Ausstattung eines Ritters dem Helden eine mythisch wie höfisch markierte Hilfe zu, sodass er im Alierskampf zunächst die höfische Ordnung verteidigen kann, um anschließend den Drachen zu besiegen. Mythisches partizipiert somit im mythopoetischen wie mythosanalogen Erzählen an der Restitution des Helden, es dient als Folie, vor der sich der Held bestätigen kann, wenngleich es in der Geschichte mit dem Verschwenden der Salbe und dem Töten des Drachens noch abgewiesen wird. Die Restitution Iweins stellt sich vor diesem Hintergrund als unvollständig dar. Macht der Löwe, der ihm eine zumindest vorläufige Identität gibt, darauf bereits aufmerksam, wird dies gleichsam anschaulich an der Quelle. Vergegenwärtigt die Quelle in mythosanaloger Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung Freude wie Leid, lässt sie den Helden an deren Umschlag erinnern, der sich ihm als ein Verlust von Ehre, Land und Frau darstellt. Ist die Quelle jedoch unbeabsichtigtes Ziel seines Umherirrens, markiert sie schließlich erneut einen Wendepunkt in der Erzählung, ab dem sich die Integration von Ehre und Minne in der Aufgabe des Ordnungshüters als notwendiges Ziel darstellt, das der Held erst in Auseinandersetzung mit dem Mythischen sowie vor Artus und Laudine erreicht. Die Quelle ist dann aber zugleich auch Ausgangspunkt einer Aventiurereihe,
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die sie ebenso beendet, wenn Iwein am Ende erneut in den Wald von Breziljan aufbricht. Sie gibt der weiteren Erzählung somit einen Rahmen vor, wie dann auch die inneren Handlungsstränge ihrerseits je eine einzelne Aventiure rahmen. Auf der Strukturebene des Textes ist letztlich bereits eine Integration des Mythischen gleichsam vorgeführt, mit der eine Harmonisierung auch in der Geschichte einhergeht. In Gerichtskämpfen stellt Iwein vor Laudine die rechtliche Ordnung des Hofs wieder her und kann vor Artus die eigene Ehre wieder erlangen und bestätigen. Die Handlungen geben mit Ordnungsstiftung und Ehrgewinn zugleich auch einen thematischen Rahmen vor, in dem die Riesenkämpfe Iweins eingelagert sind. In der mythopoetischen Erzählung vom Kampf gegen den Riesen Harpin stellt Iwein in gleicher Weise wie vor Laudine die gestörte Ordnung des Hofs wieder her, indem er den willkürlich handelnden Riesen tötet. Mit dem gleichsam repräsentativen Akt attribuiert sich Iwein die Geschichte vom Riesenkampf, insofern er als der Ritter, der den Riesen getötet hat, im Weiteren als Ordnungsstifter ausgewiesen ist. Die Episode steht letztlich im selben Paradigma der Ordnungsstiftung, sodass die mythopoetische Erzählung auch auf thematisch-semantischer Ebene in die sie rahmende Handlung integriert ist. Bei Abweisung des Mythischen in der Geschichte erweist sich dieses jedoch nachhaltig als konstitutiv für die Restitution des Helden. Was als ein Erzählen im Paradigma beschrieben werden kann, liegt auch dem zweiten Riesenkampf Iweins in der Burg zum Schlimmen Abenteuer zugrunde, der in gesteigerter Weise einem Prinzip der Integration folgt, indem gerade Mythisches am Ausgang der Episode noch so weit präsent ist, wie es eingangs aufgerufen wird und der Darstellung eines über das einzelne Geschehen hinausweisenden Sachverhalts dienen kann. Bei Aufnahme zahlreicher mythischer Motive wie Torwächter, Jungfraueninsel und nicht zuletzt erneut dem Riesenkampf lässt die mythopoetische Erzählung Ansätze einer auch mythosanalogen Gestaltung erkennen. Mit der unbestimmten Wiederkehr des in seiner Fatalität angezeigten Geschehens eröffnet die Episode eine der horizontalen Handlungsführung entgegengesetzte vertikale Perspektive, sodass dem Ereignis eine gleichsam zeitlos gültige Bedeutsamkeit zukommt. Nach der Erlösung von 300 Jungfrauen wird Iwein am nachhaltig fremdartigen Ort die Ehre zugesprochen, die eine Bedeutung für die weitere Erzählung von Iwein jedoch erst über den paradigmatischen Bezug zum anschließenden Gaweinkampf der rahmenden Handlung erfährt. Wie beim Harpinkampf erfolgt letztlich über ein Erzählen im Paradigma eine Integration des Mythischen, doch steht es in keinem syntagmatischen Zusammenhang mehr. In gesteigerter Weise erweist es sich dabei als produktiv für die Darstellung eines nicht mehr nur repräsentativen, sondern überindividuellen Geschehens, wie es ebenso die Möglichkeit bietet, einen Bedeutungszusammenhang zu konkretisieren, in dem die Episode strukturell und paradigmatisch eingebunden ist. Mythisches ist letztlich in die Erzählung von Iwein integriert und partizipiert in der Geschichte an der Restitution des Helden. Entsprechend wird Iwein als Ordnungsstifter und ehrenvoller Ritter am Artushof erkannt und aufgenommen. Mythisches partizipiert aber in gleicher Weise
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an der Restitution auch des Minnepartners, wenn Iwein zum Abschluss seiner Aventiure erneut zur Quelle aufbricht. Erwies sich die Quelle im Wald von Breziljan als ein Ort, an dem Fragen nach der rechten Ordnung nicht nur virulent, sondern Relationen über Kontraste allererst deutlich werden, stellt sie sich für Iwein am Ende des Romans konsequent als ein Ort dar, an dem er auch sein Minneverhältnis zu Laudine wieder aufnehmen kann. Doch anders als zu Beginn ist es jetzt nach Bestätigung als Ordnungsstifter und Artusritter das in der Minne erfahrene Leid, das ihn veranlasst, erneut das Unwetter an der Quelle auszulösen, das sich dann in gleicher Weise auf ihn wie Laudine auswirkt. Wenn Ursache und Wirkung zusammenfallen, erweist sich nicht nur das Geschehen an der Quelle in seiner Mythizität erneut bestätigt, sondern Iwein erzielt eine Aufhebung von Differenz, sodass er die mythische Schwelle überschreiten kann, um den Platz an der Seite Laudines einzunehmen. Iwein nimmt letztlich die Quelle als Teil des Eigenen an und integriert in rechter Zuordnung Ehre wie Minne in seine Aufgabe als Quellenhüter. Mythisches ist somit nicht nur notwendige Voraussetzung zur abschließenden Etablierung Iweins, sondern es ist überdies in zeitloser Dauer Voraussetzung auch einer immer neuen Bestätigung des Erreichten. Diese die Erzählung überschreitende zeitliche Persistenz unterstreicht die andauernde Mythizität der Quelle, während die Wiederaufnahme des Motivs am Ende des Romans eine Kreisschlüssigkeit der Erzählung erzielt, die auf eine Bedeutsamkeit nachträglich aufmerksam macht. Erscheint die Quelle zu Beginn noch in einer Unbestimmtheit, ist sie am Ende aber in eine Bestimmtheit überführt, wenngleich sie notwendig noch immer als wundersamer Ort im Wald von Breziljan präsent bleibt und verteidigt werden muss. In retrospektiver Betrachtung der Aventiure jedoch zeigen sich je unterschiedliche Perspektiven auf die Quelle mit je anderen Folgen, sodass ihr im Zusammenhang eine Bedeutung für die Geschichte Iweins zukommt. Das je einzelne Ereignis an der Quelle tritt damit aber hinter das Erzählen von der Aventiure Iweins zurück, die sich im Gesamten erst als sinnvoll darstellt. Im Wechselspiel von Bedeutsamkeit und Bedeutung erweist sich Mythisches schließlich als konstitutiver Teil des Erzählens, das gerade in Auseinandersetzung mit dem Mythischen die eigenen Bedingungen auch des Verstehens reflektiert. Anhand der mythopoetischen Erzählungen von den Riesenkämpfen sowie nicht zuletzt der Erzählung Kalogreants am Artushof konnte dies aufgezeigt werden. Einzelne Verfahren im Umgang mit Mythischem, die die Literarizität des Textes berühren, können abschließend im Zusammenhang auch mit den Beobachtungen zum Erec ausgewertet werden.
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Die Artusromane des ausgehenden 12. Jahrhunderts stehen in einer langen Tradition des Erzählens von König Artus.1 Verschiedene Textzeugen aus volkssprachlicher wie historiographischer Überlieferung belegen eine feste Tradition bereits für das 9. Jahrhundert, die eine wechselseitige Beeinflussung von historisch geglaubten Inhalten einerseits und mythisch geprägten Sachverhalten vornehmlich aus dem keltischen Kulturkreis andererseits erkennen lassen. Dem Erzählen von König Artus ist damit eine Historizität wie Mythizität gleichermaßen zuzuschreiben, sodass es noch im 12. Jahrhundert einer historischen wie mythischen Herrschaftslegitimierung dienen kann, wofür die Historia Regum Britanniae Geoffreys of Monmouth ein prominentes Zeugnis liefert. Spätestens im Übergang von der so genannten englischen Tradition zu ihrer kontinentalen Rezeption setzt jedoch eine zunehmend distanzierte Haltung gegenüber den erzählten Inhalten ein, in deren Folge sich eine europaweit verbreitete Materie herausbildet, der eine prinzipielle Offenheit eigen ist, die sie zu immer neuer Bearbeitung in veränderten Kontexten disponiert. Neben Waces Roman de Brut von 1155 sind hier in erster Linie die Artusromane Chrétiens de Troyes zu nennen. In Rezeption der von Artus und seinen Rittern erzählenden Materie erzählt Chrétien in auch stofflichinhaltlicher Bearbeitung die Geschichte von Erec und Yvain und er erzählt seinerseits in einer neuen, schriftliterarisch konzipierten Form des Artusromans. Die Romane Hartmanns von Aue schließen hieran an, sie wiedererzählen diese Geschichten und sind zugleich Ausdruck einer erneuten Auseinandersetzung auch mit den tradierten Inhalten. Da sie selbst jedoch auf schriftliterarische Texte aufbauen, sind sie über die Rezeption der Inhalte hinaus zudem Ausdruck auch einer Auseinandersetzung mit der literarischen Form. Es zeichnet die literarhistorische Situation der Hartmann’schen Romane aus, dass sie inhaltlich an eine lange Tradition anschließen, während sie formal bereits auf Literatur aufbauen. Hier wie dort lassen sich Kontinuitäten wie Modifikationen ausmachen, die Romane erhalten aus rezeptions- wie produktionsästhetischer Perspektive einen eigenen Stellenwert. Sie sind daher nicht nur Teil einer von Hans Blumenberg umfassend beschriebenen Arbeit am Mythos, sie sind ebenso eine Arbeit an der Literatur und zielen auf eine voranschreitende Literarisierung des Mythischen. 1
Die folgenden Ausführungen schließen zunächst an die Ergebnisse von Kapitel 2 an.
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Neben dieser vorwiegend auf Inhalte bezogenen diachronen Situierung der mittelhochdeutschen Romane können diese nicht zuletzt auch in formaler wie pragmatischer Hinsicht synchron im kulturellen Kontext verortet werden.2 Eingebunden in die höfische Kultur erfüllen die Romane konkrete Funktionen, sie dienen etwa der Repräsentation oder auch der Reflexion spezifischer Leit- und Wertvorstellungen, sie sind mithin Ausdruck einer historisch spezifischen kulturellen Praxis. So treten in der Literatur „kulturspezifische Interessen und Impulse“ hervor, „die über die Literatur hinausreichen, die aber in literarischen Verarbeitungen besonders produktiv werden“ und vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus gerade dort beschrieben werden können.3 Gegenüber einfacheren Formen des Erzählens, wie sie etwa der mündlichen Überlieferung zuzuschreiben sind, zeichnen sich schriftliterarische Texte durch einen höheren Grad an Komplexität aus, sodass sich in ihnen unterschiedliche Sinnbildungsleistungen überlagern. Ernst Cassirer hat in seiner Philosophie der symbolischen Formen ein Modell entworfen, nach dem solche Sinnbildungsleistungen von Sprache, Mythos oder Kunst nachvollzogen werden können, die jedoch in ständiger Auseinandersetzung stehen und im jeweiligen historischen und kulturellen Kontext unterschiedliche Ausprägungen erfahren können. Wenngleich Cassirer von einem systematischen Stufengang ausgeht, in dessen Verlauf sich die einzelnen symbolischen Formen in einem dialektischen Verhältnis von Entwicklung und Bewahrung ausdifferenzieren, sind sie prinzipiell und jederzeit in der kulturellen Praxis präsent und vor allem für die vormoderne Literatur anzusetzen. Neben der Präsenz mythischer Inhalte sind es gerade auch Strukturen mythischen Denkens, die an der Sinnbildung partizipieren und letztlich Ausdruck einer Mythizität der Literatur sind. Anhand der Bestimmung von Wirkung und Funktion des Mythischen in den Artusromanen Hartmanns von Aue hat vorliegende Studie zu zeigen versucht, wie unterschiedlich, doch produktiv sich das Verhältnis von Mythischem und Erzählen darstellt, für das stets an die Tradition gebundene mythische Inhalte und Erzählmuster wie am literarisch-kulturellen Sinnbildungsprozess partizipierende Strukturen mythischen Denkens zu berücksichtigen sind. Das Verhältnis von Mythischem und Erzählen war daher in diachroner wie synchroner Perspektive zu betrachten, es konnte in Formen mythopoetischen wie mythosanalogen Erzählens bestimmt werden, um eine Literarisierung des Mythischen nachzuvollziehen und eine Mythizität der Literatur zu beschreiben. Literarisierung und Mythopoetik In diachron-historischer Perspektive greifen die untersuchten Romane auf die literarischen Vorlagen von Chrétien de Troyes zurück und schließen über Inhalte, Motive oder Erzählmuster an die Tradition des Erzählens von Artus an. Sie sind damit in eine übergreifende Arbeit am Mythos einzuordnen und bringen in ikonischer Konstanz Sachver2 3
Vgl. im Folgenden Kapitel 3. Müller, Höfische Kompromisse, S. 28.
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halte zur Anschauung, denen über diese Form der Rezeption nicht zuletzt eine Bedeutsamkeit zugeschrieben werden kann, die entsprechend auch dem jeweiligen Roman zugrunde liegt. Der Mythos hält elementare Sachverhalte bereit, die im mythopoetischen Erzählen noch in der Literatur verhandelt werden und sich auch in der neuen, künstlerischen Form als relevant erweisen, insofern sie auf bedeutsame Inhalte und Motivzusammenhänge rekurrieren, die nicht nur die erzählte Geschichte prägen, sondern auch die Erzählung selbst maßgeblich bestimmen. Im Erec konnte dies zunächst anhand der Hirschjagd im Zusammenhang mit dem Sperberpreis von Tulmein aufgezeigt werden. Mit der Jagd auf den weißen Hirsch liegt eine mythopoetische Erzählung vor, die über die Tradition hinaus noch in ihrer Ausgestaltung im Roman auf eine Zuordnung von männlicher Stärke und weiblicher Schönheit zielt. Diesem elementaren Sachverhalt liegt ein Erzählmuster zugrunde, das insgesamt den ersten Handlungszyklus bestimmt und auf inhaltlicher Ebene die mythische Ordnung des Hofs vergegenwärtigt. Dem ist die Erzählung vom Sperberpreis in Tulmein eingelagert, die im höfischen Rahmen den nämlichen Sachverhalt verhandelt und diesen mit dem Sieg Erecs in Tulmein und der Einkleidung Enites am Artushof im repräsentativen Akt bestätigt. Der mythisch wie höfisch semantisierte Sachverhalt ist letzthin Fluchtpunkt der Erzählung, die diesen umso deutlicher zur Darstellung bringt, sich damit aber als hybrid erweist. Erst die letzte Aventiure Erecs im Baumgarten von Brandigan bringt in vergleichbarer Verdichtung von Mythischem und Höfischem denselben Sachverhalt zur Anschauung, der sich auf der Handlungsebene im Kampf ebenso ausdrückt, wie er im anschließenden Gespräch Erecs mit Mabonagrin explizit gemacht wird. Im Anschluss an die im zweiten Handlungszyklus sich progressiv entwickelten und kontrastiv aufeinander bezogenen Ordnungsvorstellungen erfolgt eine Anbindung am Ende jedoch allein an christlich-höfische Wertvorstellungen, wenn Erec den mythischen Ort von Brandigan zerstört, Mabonagrin, dessen Freundin sowie 80 trauernde Witwen erlöst und mit seiner Frau den Artushof verlässt, um die eigene Herrschaft in Karnant anzutreten. Die rechte Zuordnung von Mann und Frau ist über die gesellschaftliche Integration hinaus konkreter noch im Iwein an die Fragen nach Ehre und Minne im Zusammenhang auch mit der verantwortungsvollen Herrschaft im eigenen Land gebunden. Als inhaltlicher Bezugspunkt in der Geschichte figuriert hier die Quelle im Wald von Breziljan und sie fungiert als Ausgangs- wie Zielpunkt für die Erzählung. An ihr manifestiert sich eine Kreisschlüssigkeit des Erzählens, die nicht zuletzt auf eine mythische Bedeutsamkeit aufmerksam macht, während sie den zeitlich persistenten Sachverhalt – die notwendige Vereinbarkeit von Herrschaft, Ehre und Minne – stets aufs Neue aktualisiert und geradezu programmatisch auch am Wendepunkt der Erzählung in Erinnerung ruft. Iweins Erinnern an der Quelle rekurriert nicht nur auf diesen elementaren Sachverhalt in zeitloser Gegenwärtigkeit des Bedeutsamen, sondern verbindet die vorangegangene Erzählung mit der folgenden, wenn zuvor eingeschränkte und auf Ausschließlichkeit basierende Perspektiven verbunden und in einen höfischen Rahmen integriert werden.
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Mythischem kommt in Form mythopoetischen Erzählens gleichermaßen im Erec wie im Iwein eine Funktion zu, es gerät in Bezug zu anderen Wertmaßstäben und Ordnungsvorstellungen, die sich in Auseinandersetzung mit dem Mythischen allererst konturieren und profilieren können, letztlich aber über die erzählten Inhalte an der mythischen Bedeutsamkeit partizipieren. Geradezu exemplarisch führt dies die mythopoetische Erzählung vom Harpinkampf Iweins vor.4 In ikonischer Konstanz liegt mit dem Motiv des Riesenkampfs ein mythisches Handlungsmuster zugrunde, das noch in der Ausgestaltung im Roman auf die Wiederherstellung souveräner Herrschaft zielt, doch in seiner Bedeutsamkeit nicht nur partiell die Episode prägt, sondern noch die weitere Erzählung maßgeblich bestimmt. In syntagmatischer Verknüpfung ist es letztlich der als Erzählung vom Kampf gegen den Riesen präsent gehaltene Sachverhalt von der Wiederherstellung einer gestörten Rechtsordnung, der Iwein für den späteren Gerichtskampf um das Erbe vom Schwarzen Dorn ebenso empfiehlt wie für die endgültige Übernahme der Herrschaft im eigenen Land. Als erzählte Erzählung vom Riesenkampf führt sie auf intradiegetischer Ebene letztlich vor, was als Literarisierung des Mythischen bezeichnet werden kann. Die Literarisierung des Mythischen schließt an eine Arbeit am Mythos an, wenn eine mythische Bedeutsamkeit noch im Roman präsent gehalten wird, wenn elementare Sachverhalte die Geschichte prägen und das Erzählen bestimmen. Sie setzt jedoch in gleicher Weise eine Arbeit auch an der Literatur voraus, wenn mittels Kontrastierungen und Integration, mittels Hybridisierungen und Destruktion höfische Ordnungsvorstellungen und Motive an der mythisch begründeten Bedeutsamkeit partizipieren. Mythisches kann hierbei auf inhaltlicher Ebene in der Geschichte je unterschiedlich situiert und semantisiert sein, es kann depotenziert doch ebenso integriert werden, letztlich bleibt es aber in der Erzählung präsent und kann – dies zeigt sich gerade auffällig im Iwein – auch in der Geschichte präsent gehalten werden. Mythisches wird letztlich nicht abgewiesen, es ereignet sich in der Literatur keine Ablösung vom oder Überwindung des Mythos.5 Literarisierung des Mythischen mag Ausdruck einer übergreifenden Entmythisierung zwar durchaus sein, insofern eine Arbeit am Mythos letztlich darauf zielt. Die Bedeutsamkeit des Mythos eröffnet aber eine Auseinandersetzung mit relevanten 4 5
Vgl. hierzu insbesondere Kapitel 5.2.3 und 5.3.2. Wenngleich Walter Haug betont, dass die „literarische Ablösung vom Mythischen“ als ein „Nacherzählen des Mythos mit einer neuen Einstellung“ erscheine, hält er einerseits am Mythos selbst noch fest, dessen Literarisierung sich letztlich aber als eine Scheidung des Göttlichen vom Menschlichen darstelle. In der Literatur zeige sich dies derart, dass mythische Strukturen zwar noch „ihren Dienst als Hilfskonstruktionen“ leisteten, doch die literarische Gestaltung letztlich „gegen die Prinzipien der vorausliegenden Handlungsschemata angeht, ungeachtet der Frage, wie diese sich konkret realisiert haben mögen und tradiert worden sein könnten“; Haug, Verhältnis von Mythos und Literatur, S. 32 f. Literarisierung des Mythischen zielt jedoch in den Romanen Hartmanns gerade darauf, mythische Inhalte und Schemata literarisch fruchtbar zu machen, was nicht nur eine neue Einstellung gegenüber der Tradition bedingt, sondern diese umso konkreter voraussetzt. Entsprechend wurde hier das Beispiel der Überblendung von Hirschjagd und Sperberpreis angeführt.
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Inhalten und Sachverhalten, die die Rezeption in immer neuer Wiederholung allererst aufdeckt und das literarische Erzählen noch im Roman präsent hält. Insofern ist von einem mythopoetischen Erzählen zu sprechen, das an Inhalte und Traditionen gebunden ist, das sich darüber hinaus jedoch anderen Inhalten und Traditionen öffnet. Mythosanalogie und Mythizität In seiner lebenspraktischen Eingebundenheit ist der Mythos als ein zeitloser und kultureller Leistungswert zu bestimmen, dem über die Inhalte hinaus eine legitimierende und fundierende Funktion zukommt.6 Als weltmodellierende Erzählung ist dem Mythos dabei eine eigene Rationalität eigen, die spezifischen, mythischen Denkstrukturen folgt und sich von anderen symbolischen Sinnbildungsleistungen daher grundsätzlich unterscheidet. Die Literatur entwirft dagegen eine eigene, innerliterarische Welt nach eigenen Gestaltungsprinzipien, die aber Strukturen mythischen Denkens aufnehmen und erkennen lassen. Literatur erweist sich hier gerade in formaler Perspektive als mythosanalog, wenn sie Inhalte und Begebenheiten in einen Zusammenhang bringt, der sich einem rationalen Nachvollzug widersetzt.7 Dies zeigt sich in eigenen Gestaltungen von Raum und Zeit und es zeigt sich in eigenen Kausalitäten, die mythischem Denken analog das Geschehen bestimmen und mithin die Handlung motivieren. Als Beispiel kann hier zunächst das Erzählen von Famurgan im Erec herangezogen werden.8 Über die Aufnahme verschiedener, schon über die Tradition mit der Figur verbundener Motive stellt sich die Erzählung von Famurgan zunächst als mythopoetisch dar, doch greift das Erzählen darüber hinaus mit der Aufhebung von Gegensätzen und einer damit einhergehenden entdifferenzierenden Darstellung von Wahrnehmungs- und Wissensordnungen auf mythische Denkstrukturen aus. Während es bei Chrétien im Zuge einer umfassenderen Rationalisierung des Erzählten bei bloßen Erwähnungen der Fee Morgain bleibt, erscheint bei Hartmann im Anschluss an auch weitere stoffliche Überlieferungszusammenhänge vormals Stillgestelltes gegenüber der vorangegangenen Bearbeitung als remythisiert und durch dessen Präsentation im mythosanalogen Erzählen auch in formaler Hinsicht als mythisiert.9 Mythisches erhält hierdurch nicht nur eine Wirkung innerhalb der erzählten Wirklichkeit, sondern es erfüllt eine Funktion auch innerhalb der Erzählung, sodass die Handlung erst aufgrund der Mythisierung fortschreiten kann.10 Mythosanaloges Erzählen dient hier der Fundierung einer eigenen 6 7 8 9
10
Vgl. Assmann/Assmann, Mythos, S. 180. Vgl. ausführlich Kapitel 3.2.2. Vgl. hierzu insbesondere Kapitel 4.2.3. Zur Remythisierung durch Umerzählen siehe Jauß, Allegorese, S. 207. An anderer Stelle zeigt Huber, Mythisches erzählen, S. 264, auf, wie schon die „stoffliche Faszination“ ausreichen mag, dass „originär mythische Vorgaben nicht nur als Ballast“ in der literarischen Bearbeitung erhalten bleiben, sondern diese neu ausgeformt und letztlich mythisiert werden. Der Zusammenhang von inhaltlicher und formaler Gestaltung der Szene wird gerade über den Erzähler deutlich, der sich aufgrund der wunder zu ausführlichen Erklärungen genötigt sieht.
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Rationalität und es eröffnet die Möglichkeit, eine über den einzelnen Moment hinausreichende Wirkung zu erzielen. Kann Erec mithilfe des Pflasters der Famurgan von Penefrec aus seinen Weg auf Aventiure fortsetzen, kann er es aufgrund nur eines Teils desselben Pflasters noch in gleicher Weise auch im Anschluss an den zweiten Kampf gegen Guivreiz. In metonymischer Relation schließt das Erzählen an mythische Denkstrukturen an und erweist sich somit auch nachhaltig als mythosanalog. Erzielt die mythosanaloge Gestaltung bereits einzelner Details eine Wirkung auch auf die Handlungsführung, trifft dies umso mehr für größere, mythosanalog erzählte Einheiten zu. So folgt die Beschreibung von Ursprung und Abschluss des Hirschbrauchs am Artushof nicht nur mythischen Denkstrukturen von zeitlicher Unbestimmtheit und räumlicher Kontiguität,11 sondern löst die Handlung allererst aus und bedingt eine Geschlossenheit der Erzählung, die sich in einer finalen Motivation ausdrückt und sich einer rationalen Auflösung in Kausalzusammenhänge widersetzt.12 Vom mythosanalogen Erzählen maßgeblich bestimmt ist schließlich die letzte Aventiure Erecs im Baumgarten zu Brandigan.13 In einem von seiner Umgebung abgegrenzten Raum folgt die Handlung einer über Gestaltungen von Zeitlosigkeit und unbestimmter Wiederholung mythischem Denken analog angezeigten Fatalität. Erec kämpft auf sich allein gestellt im mythischen Raum gegen seinen Gegner, bis er diesen und mit ihm den mythischen Zwang des Ortes überwinden kann. Nur damit kann er sich als Held bewähren und die Freude des Hofs wieder herstellen und auf Dauer festigen. Im mythosanalogen Erzählen erst kommt dem Geschehen eine Geltung über den einzelnen Moment hinaus zu und es ist die finale Aventiure, die die vorangegangene Handlung entsprechend von hinten motiviert, während sie für die kommende Handlung zugleich Grundlage ist, die sich als einzelne, gleichsam eine Zäsur setzende Tat aber allein über den Kontrast zum Mythischen und schließlich über dessen Destruktion konturiert. Im Iwein ist es dagegen – und gerade anders als im Erec – die wiederholte und stets aufs Neue zu erfolgende Bestätigung einer allgemeinen und verbindlichen Ordnung, die deren zeitlos gültigen Anspruch unterstreicht.14 Lässt sich die Baumgartenaventiure im Erec zunächst auf die Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Anderen wie der Gesellschaft beziehen, gewinnt sie über das Verhältnis Mabonagrins und seiner Freundin eine retrospektiv auch auf Erec und Enite konkretisierbare Ausprägung. Demgegenüber entwirft die wiederholte Brunnenaventiure im Iwein von Beginn an eine allgemeine Ordnung von Ehre und Minne, die den jeweiligen Einzelfall innerhalb der Erzählung und diese selbst noch übersteigt, wenn mit der anfänglichen Erzählung Kalogreants und der abschließenden Angst der Burgbewohner die erzählte Zeit bei fort11 12
13 14
Vgl. zum Ursprung des Brauchs Kapitel 4.1.1 sowie zum Kuss Kapitel 4.1.3. Die finale Motivation konnte in Abgrenzung zu einer kausalen Motivation auf Figurenebene aufgedeckt werden; vgl. Kapitel 4.1.3. Vergleichbares liegt dem ersten Handlungszyklus auch im Iwein zugrunde; vgl. Kapitel 5.1.3. Vgl. hierzu Kapitel 4.3. Vgl. zur mythischen Ordnung in der Brunnenaventiure vor allem Kapitel 5.1.2.
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dauernder Geltung der mythisch fundierten Ordnung überschritten wird. In mythosanaloger Gestaltung von Zeitlosigkeit und Veränderung, von Zerstörung und Regeneration sowie bei schrecklicher und zugleich anmutiger Erscheinung in der Geschichte fordert die Quelle im Wald von Breziljan zu immer neuer Auseinandersetzung auch im Erzählen auf und fordert ihr Recht, das Iwein als Quellenhüter fortwährend verteidigen muss.15 Beide Romane werfen im mythosanalogen Erzählen letzthin Fragen auf, deren Relevanz sich innerhalb des literarisch Immanenten nicht abschließend erschöpft. So greift mythosanaloges Erzählen auf Fragen zurück, „über die Sicherheit nicht zu gewinnen ist, deren Dringlichkeit sich aber als zeitlos erwiesen hat“ und daher in der Literatur gestellt werden.16 Dabei treten auf den Menschen und soziale Grundmuster der Kultur bezogene Konfigurationen von Daseinsproblemen in den Vordergrund, die – so Udo Friedrich – Fragen nach Geschlechterbeziehungen und Sozialisationsprozessen umreißen können, nach Herrschaft, Ehre und Liebe, mithin „Themenkomplexe, die zeitlos gestaltet werden und, etwa im Heldentypus, mythische Potentiale aktivieren“.17 Damit sind allgemeine kulturelle Konfigurationen aufgegriffen, die nach Christian Kiening innerhalb des literarischen Textes auf der Ebene der Themen zu verorten sind und diesem einen seine „Eigenweltlichkeit überwölbenden Geltungsanspruch“ zukommen lassen, der ihn wie seinen Kontext in gleicher Weise umfasst.18 In pragmatischer Hinsicht erweist sich Literatur somit als Teil einer kulturellen Praxis und partizipiert entsprechend an kulturellen Sinnbildungsprozessen, die sich formal auch und gerade in Strukturen mythischen Denkens zu erkennen geben, um eine allgemeine, vom einzelnen Geschehen gelöste und zeitlos gedachte Geltung zu formulieren. Mythosanaloges Erzählen in der Literatur ist letztlich maßgebliches Kriterium dafür, dass in pragmatischer wie formaler Hinsicht von einer Mythizität der Literatur gesprochen werden kann. Bedeutsamkeit und Bedeutung Für die Literatur bleibt jedoch festzuhalten, „dass der formale oder der pragmatische Aspekt allein noch nicht genügen, um die Kategorie des Mythischen analytisch sinnvoll zu verwenden“.19 Nicht zuletzt werden im mythosanalogen Erzählen Themen aufgerufen und formuliert, die maßgeblich auch an tradierte Inhalte gebunden sind und sich über diese erst in ihrer konkreten Bearbeitung erschließen lassen.20 Damit stehen sie in
15 16 17 18 19 20
Vgl. hierzu vor allem Kapitel 5.3. Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 277. Ebd. Kiening, Versuchte Frauen, S. 81. Kiening, Arbeit am Absolutismus, S. 38. Vgl. Kiening, Versuchte Frauen, S. 81.
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einem weiterhin engen Bezug zur stofflichen Grundlage.21 Hält der Stoff bereits über die Rezeption als bedeutsam angezeigte Sachverhalte bereit, gilt es diesen in ihrer je aktuellen Bedeutung im literarischen Text nachzugehen. Literarisches Erzählen zielt schließlich nicht allein auf die unhinterfragte, da nicht weiter hinterfragbare Präsenz der mitunter mythosanalog erzählten Inhalte, sondern evoziert gerade die Frage nach deren Bedeutung im und für den Roman und setzt damit ein Bewusstsein von Differenz voraus, das mythischem Denken fremd ist.22 Literarisches Erzählen grenzt sich hier deutlich von mythischem Erzählen ab, wenngleich es mythopoetisch und auch mythosanalog verfahren kann. Hierüber aber verbindet sich eine mythischem Denken folgende Sinnbildung mit archaisch-zeitlosen Deutungsmustern mit einer genuin literarischen Sinnbildung, die auf eigene und kulturell-historische Deutungsmuster rekurriert. Das Verhältnis von Mythischem und Erzählen stellt sich über Inhalt, Form und Pragmatik somit als ein Oszillieren zwischen Bedeutsamkeit und Bedeutung dar. Die untersuchten Romane Hartmanns von Aue zeigen dabei je unterschiedliche Möglichkeiten auf, um über die Bedeutsamkeit des erzählten Sachverhalts hinaus auch dessen Bedeutung aufzudecken. Dies kann zum einen erfolgen über die Anzeige einer Bedeutungsebene mittels genuin literarischer Erzählformen, an die sich eine Überführung des bedeutsamen Sachverhalts in literarisch gestiftete Bedeutung anschließt, zum anderen über eine Anbindung an Ordnungsvorstellungen, die auch dem kulturellen Kontext, in dem die Romane geschrieben sind, zugrunde liegen: Als eine schrittweise Annäherung an und Reintegration in die höfische Gesellschaftsordnung wird die Überwindung des Wahnsinns Iweins erzählt.23 Traditionell mythische Motive und Erzählmuster wie die Heilung durch eine Fee oder der Drachenkampf dienen dazu, in Analogie zu mythischen Erzählungen eine Initiation des Helden nachzuzeichnen. Mit Rüstung und Pferd treten aber bereits konstitutive Motive einer höfisch markierten Ordnung hinzu, die sich auf der Handlungsebene im ritterlichen Kampf für die Gräfin von Narison bestätigt. Die Erzählung erschöpft sich jedoch weder in der Aufnahme mythischer Motive noch in der Exponierung höfischer Vorstellungen, sondern führt Gegensätzliches zusammen, womit erst eine Wirklichkeit im Roman hergestellt werden kann, die letztlich aber in die Investitur des höfischen Ritters mündet. Erscheint die Hilfe durch die Salbe Famurgans zunächst noch als notwendig, die weitere Handlung voranzutreiben, gilt sie in der Geschichte als unwiederbringlich verloren. Der anschließende Sieg über den Drachen bestätigt zwar noch das mythische Schema der Initiation, doch wird diese mit dem bewussten Eintreten Iweins für den edleren Löwen an eine höfische Ordnung angebunden, die in symbolischen Ordnungen von 21
22 23
Eine strikte Abgrenzung mythischer Strukturen von Inhalten, wie sie zuletzt wieder Müller, Mythos und mittelalterliche Literatur, S. 332, gefordert hat, mag daher bestenfalls aus methodischen Gründen sowie vorübergehend hilfreich sein. Vgl. Cassirer, Das mythische Denken, S. 286, sowie ausführlich Kapitel 3.2.1. Zur von Blumenberg beschriebenen Bedeutsamkeit des Mythos vgl. Kapitel 2.1.2. Vgl. Kapitel 5.2.1.
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Zeichen, Gesten und Verhaltensweisen gründet und der Orientierung an allgemeinen Wertvorstellungen dienen kann. Während die Erzählung am Mythischen nachhaltig partizipiert, um die Restitution des Helden einzuleiten, öffnet sie sich auf inhaltlicher Ebene mit der Abweisung und Depotenzierung des Mythischen einer höfischen Ordnung. Die Konfrontation mit Mythischem ermöglicht es jedoch, dem erzählten Geschehen eine zeitlos gültige und allgemeine Geltung beizumessen. Ein ähnliches Verfahren lässt sich anhand der Cadoc-Episode im Erec beschreiben.24 Der Kampf gegen das Ungeheuer stellt nicht nur wie im Iwein auch hier die Möglichkeit bereit, den aktiven Einsatz des höfischen Helden für andere darzustellen, sondern ruft im konkreten Motiv des Riesenkampfs einen mythischen Mächtedualismus auf, der die Frage nach dem Beistand Gottes für den Helden akut werden lässt. Und so dient die Episode gerade hier der Etablierung einer ausdrücklich christlich markierten Heilsvorstellung, wenn der Erzähler den Kampf mit dem biblischen Kampf Davids gegen Goliath vergleicht, um die Unterstützung Gottes für den Helden erstmals explizit zu machen. Dem Geschehen wird damit eine Bedeutung beigemessen, die sich nicht allein in der einzelnen Situation erschöpft, sondern über diese hinausweist, wenn der Beistand Gottes im Folgenden selbst noch den Einfluss einer möglicherweise von Boethius angeregten Schicksalsvorstellung nahe legen mag. Die Cadoc-Episode schließt über strukturelle Analogisierung zum mythischen Motiv des Riesenkampfs an christliche Vorstellungen an und integriert diese in die Geschichte Erecs, womit im Roman ein Deutungshorizont entworfen ist, der zu einer mythischen Ordnung umso offensichtlicher und nachhaltig kontrastiert. In gesteigerter Weise ist es im Erec die Verbindung von christlicher und höfischer Ordnung, die sich anschaulich über den Kontrast zu ihrer auf zeitlose Dauer angelegten Umkehrung darstellt und behauptet, wofür die OringlesEpisode mit Limors die entsprechende mythische Folie bietet. Eine Anbindung an kulturelle Leitvorstellungen erfolgt letzthin in analogisierender und kontrastierender Auseinandersetzung mit mythischen Inhalten und Strukturen, bieten diese doch die Möglichkeit, einer zeitlos wirksamen Bedeutsamkeit des Erzählten eine auch über den einzelnen Fall hinausgehende Bedeutung zu geben. Zur Anzeige einer Bedeutungsebene dienen dann auch Formen des Erzählens, die als genuin literarisch bezeichnet werden können: Als Ausdruck spezifisch literarischen Erzählens kann gerade das Anzeigen einer Differenz von erzähltem Inhalt und einer damit evozierten Bedeutung aufgefasst werden.25 Im Einzelfall ist hier zunächst die Personifikation anzuführen, die sich immer schon auf der Grenze zwischen Präsenz und Repräsentation bewegt und so auf eine Differenz
24 25
Vgl. Kapitel 4.2.2. Eine solche Differenz kann als Literarizitätskriterium vor allem in Abgrenzung zum Mythos gelten und wird auch in der literaturtheoretischen Diskussion seit den ersten Ansätzen des Formalismus als Kategorie der besonderen Sprachverwendung in der Literatur angeführt; vgl. Winko, Suche nach der Weltformel, S. 381.
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unmittelbar aufmerksam macht.26 Ist es im Iwein explizit vrou Minne, die die Bedeutung der Minne allgemein und abgelöst vom konkreten erzählten Geschehen hervorhebt,27 ist es im Erec zunächst der Bote der vrouwe Melde, der auf die nur vorläufige Harmonisierung mythischer und höfischer Ordnungsregeln am Artushof verweist, während das ironische Spiel mit der Personifikation in der Episode von Limors an die Motivtradition zugleich anschließt und diese untergräbt.28 Über die bloße Anzeige einer Differenz voraussetzenden Bedeutungsebene hinausgehend partizipiert literarisches Erzählen am Mythischen gerade dann, wenn ein bedeutsamer Sachverhalt auf thematischer Ebene aufgegriffen wird und somit eine das konkret Erzählte überschreitende, gültige Bedeutung erhält. Im Erec konnte dies anhand der Joie de la curt-Episode aufgezeigt werden.29 Über die Rückführung beider Paarbeziehungen auf den nämlichen Sachverhalt, der als eine Zuordnung von tapferem Held und schönster Frau im Kampf Erecs gegen Mabonagrin zur Anschauung kommt, lässt sich dieser beispielhaft über die Dialektik von Steigerung und Depotenzierung als bedeutsamer Sachverhalt der Erzählung bestimmen, dem nicht allein über mythopoetisches Erzählen eine zeitliche Persistenz zuzuschreiben ist, sondern auch in mythosanaloger Gestaltung handlungsbestimmende Geltung noch im Roman zukommt. Mit dem Sieg Erecs und dem anschließenden Gespräch der Kontrahenten ist schließlich eine Depotenzierung des Mythischen vollzogen, während der zugrunde liegende Sachverhalt allererst explizit gemacht wird. Der Zuordnung von Stärke und Schönheit in der rechten Minnebeziehung kommt eine Bedeutung im Roman zu, insofern sie vom einzelnen Ereignis gelöst allgemeine Geltung erlangt und auf frühere Erzähleinheiten bezogen werden kann. Während jedoch Hirschjagd wie Sperberpreis vor diesem Hintergrund noch eine Hybridität der Erzählung bedingen, wenn der nämliche Sachverhalt einmal mythisch, einmal höfisch semantisiert ist, erfolgt erst am Ende des Romans eine Anbindung an allein höfische und christliche Leitvorstellungen. Die Erzählung entwirft so auf paradigmatischer Ebene einen thematischen Bezugsrahmen und schließt dabei an der Mythizität des Erzählten ebenso an, wie sie Strukturen mythischen Denkens aufgreift. In gesteigerter Weise noch ist mit Blick auf den Iwein von einem Erzählen im Paradigma zu sprechen, das verschiedene thematische Bezugspunkte erst entwirft, um diese sukzessive in die Erzählung auch strukturell zu integrieren und in mythosanaloger Gestaltung weiterhin präsent zu halten: Paradigmatisiert erscheinen gerade in der Tradition angelegte bedeutsame Sachverhalte, die im mythopoetischen Erzählen etwa der Episoden vom Harpinkampf sowie der Burg zum Schlimmen Abenteuer zur Anschauung kommen.30 Rekurrieren beide Episoden zunächst mit dem Motiv des Riesenkampfs auf mythische Erzählschemata, lassen 26 27 28 29 30
Vgl. Kiening, Personifikation, S. 355 f. Vgl. Kapitel 5.1.4. Vgl. Kapitel 4.1.4, zu Limors Kapitel 4.2.2. Vgl. Kapitel 4.3.3. Vgl. Kapitel 5.2.3 mit 5.2.2.
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sie sich konkreter als Erzählungen von der Wiederherstellung einer gestörten Rechtsordnung beziehungsweise vom Zugewinn an Ehre für den Helden bestimmen. In syntagmatischer Hinsicht fügen sie sich nur kaum bis gar nicht in den Handlungsverlauf ein, doch sind sie strukturell mit dem Gerichtskampf für Lunete sowie mit dem Gaweinkampf in jeweils rahmende Handlungsstränge eingebunden, die im höfischen Kontext denselben Sachverhalt erzählen. Über ana- und kataphorische Relationen wird damit ein Paradigma entworfen, das erst auf thematischer Ebene einen Bedeutungszusammenhang herstellt und der Erzählung einen kohärenten Sinn verleiht. Mythisches dient dabei auch in Ansätzen mythosanaloger Gestaltungen einem unmittelbaren und anschaulichen Erzählen, dessen thematischer Bezugspunkt erst im höfisch semantisierten Kontext Gegenstand differenzierender Rede ist, die sich als solche über die erzählte Erzählung vom Löwenritter explizit, in der metaphorischen Schilderung des ausgewogenen Kampfs Iweins gegen Gawein implizit ausweist. Am Ende aber hält die Quelle im Wald von Breziljan in mythosanaloger Gestaltung von Zeitlosigkeit und Veränderung Mythisches als handlungsbestimmende Größe nachhaltig präsent, an der sich die narrativ entfalteten, thematischen Linien der Erzählung brechen.31 Die über Paradigmatisierung erfolgte und mittels differenzierender Rede angezeigte Überführung des mythisch Bedeutsamen in literarisch gestiftete Bedeutung lässt sich als eine Literarisierung des Mythischen bezeichnen, die jedoch eine Mythizität der Literatur notwendig voraussetzt und nachhaltig bedingt. Mythopoetisches und mythosanaloges Erzählen treten in einen engen Bezug und ermöglichen als an Inhalte und Strukturen des Mythos orientierte Formen des Erzählens letztlich eine Formulierung kultureller Konfigurationen im literarischen Text. Erec und Iwein Die Artusromane Hartmanns von Aue weisen dabei eine quantitativ vergleichbare Präsenz des Mythischen auf inhaltlicher wie formaler Ebene auf, doch lassen sie ein qualitativ unterschiedliches Verhältnis zum Mythischen im Erzählen erkennen.32 Der Erec weist gegenüber der Vorlage von Chrétien vor allem auf formaler Ebene Remythisierungen auf, um letztlich eine Depotenzierung des Mythischen zugunsten einer christlich-höfischen Ordnung bei Aufdeckung einer literarisch gestifteten Bedeutungsebene zu erzielen. Demgegenüber integriert der Iwein in gesteigerter Weise Mythisches und Höfisches in wechselseitiger Ergänzung, womit eine Reflexion über die Bedingungen auch des Verstehens einhergeht. Der Erec baut im mythopoetischen Erzählen zunächst auf die literarische Vorlage sowie auf die inhaltliche Tradition des Erzählens auf und schließt mittels mythosanaloger Ausgestaltung einzelner Motivzusammenhänge und Erzählabschnitte an mythische Denkmuster an, die zu höfischen und christlichen Vorstellungen kontrastieren. Wäh31 32
Vgl. Kapitel 5.3.1. Vgl. hierzu ausführlich auch die Resümees in den Kapiteln 4.4 und 5.4.
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rend jedoch mit dem Bezug auf denselben elementaren Sachverhalt in der Erzählung von Hirschjagd und Sperberpreis eine vorläufige Harmonie in der Geschichte bei entsprechender Hybridität einhergeht, treten mit dem neuerlichen Auszug auf Aventiure im Anschluss an die Krise in Karnant divergente Ordnungsmuster zunehmend in Kontrast, die progressiv entworfen auch allmählich eine Bedeutungsebene der Erzählung anzeigen. In letzter Steigerung ist mit dem mythischen Raum des Baumgartens von Brandigan eine Gegenwelt entworfen, die sich retrospektiv mit der Depotenzierung des Mythischen in der Geschichte einer erzählten Allegorie annähert, womit auf paradigmatischer Ebene Sinnzusammenhänge hergestellt sind, die auf den anfänglich doppelt semantisierten Sachverhalt der Erzählung rekurrieren. Die Aventiure Erecs basiert letztlich auf linearen Handlungsführungen, die von finaler wie kausaler Motivation zunächst gleichermaßen geprägt sind, bis sie erst vom Ende her in einem sinnvollen, Bedeutung implizierenden Zusammenhang erscheinen. Der Erec Hartmanns von Aue zielt damit auf eine Überwindung des Mythischen zur Integration des bedeutsamen Sachverhalts von männlicher Stärke und weiblicher Schönheit in eine höfisch und christlich semantisierte Ordnung. Im Ergebnis kann von einer Überwindung des Mythischen jedoch insofern nicht gesprochen werden, als es auf inhaltlicher wie formaler Ebene im mythopoetischen wie mythosanalogen Erzählen an der literarischen Bedeutungssetzung notwendig partizipiert. Weitreichende Mythisierungen weist auch der zweite Artusroman Hartmanns von Aue gegenüber seiner Vorlage von Chrétien auf, doch wird Mythisches im Iwein soweit und nachhaltig präsent gehalten, wie es auf inhaltlicher und formaler Ebene aufgerufen ist. Im Fluchtpunkt steht die Quelle im Wald von Breziljan, die als Ausgangs- wie Zielpunkt und mithin als Wendepunkt in der Erzählung firmiert und in konstant mythosanaloger Gestaltung eine Verdichtung von Zeitlosigkeit und Veränderung zur Anschauung bringt. Damit kann sie als Richtschnur auch innerhalb der Geschichte fungieren, an der Relationen deutlich werden, an der sich zeitlos gültige Wertvorstellungen von Ehre, Minne und Herrschaft allererst konturieren können, deren rechte Zuordnung als elementarer Sachverhalt der Erzählung anzusehen ist. Mittels Kontrastierungen und auf Ausschließlichkeit basierenden, eingeschränkten Perspektiven auf die Quelle werden Defizienzen schließlich aufgedeckt, die letztlich in den Wahnsinn Iweins münden. Die erneute Reintegration des Artusritters in die Gesellschaft erfolgt über eine Harmonisierung der höfischen Verhältnisse und schließt an eine an mythische Vorstellungen gebundene Initiation des Helden an, der sich im Weiteren in Riesenkämpfen bewähren muss. Die Erzählung partizipiert damit zugleich an höfischen wie mythischen Deutungsmustern und integriert diese in einen erst literarisch vermittelten Bedeutungszusammenhang. So basiert der Roman auf einem syntagmatisch organisierten Handlungsverlauf, der – vom Mythischen vertikal gebrochen – auf paradigmatischer Ebene Themen exponiert, die an der Quelle erst wieder zusammengeführt werden. Die mit der Quelle erreichte Kreisschlüssigkeit der Erzählung zeigt die Bedeutsamkeit des ihr zugrunde liegenden Sachverhalts abschließend und erneut an, während dieser sich als
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Gegenstand des reflektierten Erzählens einer Aventiure von Anfang an als das einzelne Ereignis überschreitend und somit als allgemein bedeutend ausweist. Gegenüber dem Erec partizipiert Mythisches im Iwein letztlich in gesteigerter Weise an der literarischen Bedeutungssetzung, indem es im mythopoetischen Erzählen Teil der Geschichte Iweins und noch am Ende des Romans in die eigene Welt des Helden integriert ist, indem es aber auch im mythosanalogen Erzählen an Themen anschließt, die somit eine über den Moment hinausgehende Geltung erlangen. Mythisches und Erzählen Beide Romane schließen im mythopoetischen Erzählen an eine Tradition des Erzählens von König Artus an und weisen im mythosanalogen Erzählen Strukturen mythischen Denkens auf. Dass es dabei aber nicht um ein Erzählen des Mythos beziehungsweise ein mythisches Erzählen geht, zeigt sich inhaltlich zunächst in neuen Kontextualisierungen, die über eine bloße Variation des Erzählten im Rahmen seiner Elastizität hinausgehen. Es zeigt sich insbesondere aber auch in den formalen Gestaltungen, wenn sich die Literatur des Mythischen bedient, um letztlich im Erzählen auf eine Bedeutungsstiftung abzuheben, die die Grenze zum kulturellen Kontext überschreitet. Für die systematische Untersuchung des Verhältnisses von Mythischem und Erzählen in den Artusromanen Hartmanns von Aue wurde zwischen diesen Formen mythopoetischen und mythosanalogen Erzählens unterschieden, um entsprechend diachrone wie synchrone Zusammenhänge aufzeigen zu können. Eine Anbindung an die Tradition des Erzählens findet in erster Linie über Inhalte statt, sie erfolgt im Wiedererzählen konkreter Motive, Sachverhalte und Handlungsmuster und kann als eine Literarisierung des Mythischen angesehen werden. Dem steht eine Mythizität der Literatur gegenüber, die kulturelle Konfigurationen als zeitlos gültig darstellt und konsequent an der formalen Gestaltung ansetzt. Was somit vom theoretischen Ansatz her wie zur systematischen Auswertung getrennt erscheint und begrifflich unterschieden werden muss, ist jedoch in enger Verflechtung von mythischer Bedeutsamkeit und literarisch evozierter Bedeutung in den Artusromanen anzusiedeln. Entsprechend wurde für die Lektüre der Romane ein Verfahren des close reading gewählt, um trotz der systematischen Unterscheidung Gleichzeitigkeiten und Abhängigkeiten des Erzählens wie Wirkung und Funktion des Mythischen innerhalb der Literatur gleichermaßen berücksichtigen zu können. Das Verhältnis von Mythischem und Erzählen in den Artusromanen Hartmanns von Aue stellt sich als ein dialektisches und produktives Verhältnis dar, das auf das sinnvolle Erzählen einer Aventiure zielt. Dialektisch erscheint es insofern, als Mythisches und Erzählen sich auf verschiedenen Ebenen des Textes wechselseitig bedingen und beeinflussen. Hält der Mythos inhaltliche Vorgaben über die Tradition bereit, können noch in der Literatur Strukturen mythischen Denkens eine Wirkung auch für die Handlungsführung haben. Konzepte einer Mythopoetik und Mythosanalogie erfassen dieses Verhältnis methodisch. Dem schließt sich ein spezifischer Zusammenhang von Bedeutsamkeit und Bedeutung an, der maßgeblich vom Erzählen und nicht zuletzt vom kulturellen
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Kontext bestimmt wird. Während eine mythische Bedeutsamkeit allererst über das wiederholte Erzählen hergestellt wird, kann das Erzählen Mythisches potenzieren und es depotenzieren, kann es Mythisches schließlich einbinden in die literarisch vermittelte Bedeutungssetzung. Das Verhältnis von Mythischem und Erzählen erweist sich somit als produktiv nicht nur für die rezipierende Darstellung mythisch bedeutsamer Sachverhalte, sondern ebenso für die literarische Darstellung kulturell bedeutender Konfigurationen. Die neuzeitlichem Denken nur schwer zugänglich erscheinende, an sowohl Inhalte wie Strukturen gebundene Verflechtung von Bedeutsamkeit und Bedeutung mag letztlich Ausdruck einer spezifischen Alterität mittelalterlicher Literatur sein, die in den Artusromanen Hartmanns von Aue noch eng an mythische Traditionen und Vorstellungen gebunden ist.
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Register
Erfolgen Erwähnungen lediglich in Fußnoten, sind die entsprechenden Seitenzahlen hier kursiv gesetzt. Unterschiedliche Schreibweisen wurden vereinheitlicht. Nicht aufgenommen wurden im Figurenregister die Figuren Erec und Iwein.
Sachen und Begriffe Absolutismus der Wirklichkeit 36, 40 f. Adaptation courtoise 64 f. Aitiologie, aitiologisch 139, 177 f., 181, 183 f., 211, 230 Aktantenschema 59, 305 Alchemie 77 Allegorese 63, 216 Allegorie, allegorisch 19, 33, 62 f., 104 f., 114 f., 119, 126, 134, 212–218, 279, 355 Alterität 11–13, 357 Ambraser Heldenbuch 97 f., 185 Analogon, mythisches 92 f., 94, 96, 124 Anthropologie, anthropologisch 15, 42, 89, 162, 281 Artifex 47, 52, 58 Artificium 47, 57 f. Artusmythos 16 f., 20, 32, 44 Artusroman 12, 15, 16, 17, 20–24, 29 f., 45– 47, 53, 57, 59, 61, 63, 66, 88 f., 93 f., 96, 98, 100, 130, 150, 161, 232, 234, 240, 245, 247, 255, 258, 279, 313, 321, 333 f., 344 f., 354–357 Artussage, Artusstoff 25, 28, 31, 54 Ästhetik, ästhetisch 11, 19, 58, 62, 64 f., 82, 87–91, 92, 95, 96 Aufklärung 90, 92 Autonomie 60, 71, 88, 91, 92, 334, 338
Aventiure 98 f., 101, 109, 111 f., 120, 126, 130 f., 140–146, 149–153, 157, 160, 167– 172, 177, 184, 186 f., 190–193, 201 f., 206, 207, 212, 213, 215, 218, 220–222, 226 f., 229–232, 237–244, 246, 247, 249, 253, 254–259, 268, 270, 273, 275 f., 288, 290, 294, 299 f., 305–308, 311, 313, 315, 317, 319 f., 323, 325, 329–332, 334 f., 339–343, 346, 349, 355 f. Bedeutsamkeit 34–37, 41, 45, 58, 60 f., 66, 96, 106, 139, 156 f., 171, 178 f., 195, 200, 205 f., 209, 211, 215, 217, 221, 228, 231 f., 246, 259 f., 269, 274, 279, 289 f., 315 f., 319, 321, 327, 329–331, 334, 335, 336, 338 f., 342 f., 346 f., 350–357 Bedeutung, Bedeutungssetzung 19, 33, 54, 61, 63, 66, 71–73, 77, 83, 86–89, 94–96, 99, 117, 126, 138, 157, 171, 188 f., 191 f., 195, 206, 212–218, 221, 224, 227, 230– 232, 235, 267, 269, 273 f., 280, 286, 288, 290, 299, 305, 315 f., 318–321, 330 f., 334, 335 f., 338 f., 342 f., 350–357 Bel-Inconnu-Zyklus 114 Biographie, biographisch 57, 211 Bricolage 66 Buch von Taliesin 28 Chanson de geste 93
394 Chronik, chronikalisch 26, 51, 52, 53, 242 Depotenzierung 36, 40–42, 95, 107, 157, 178, 184, 186, 209 f., 304, 306 f., 316, 319, 321, 330, 335, 338, 347, 352–355, 357 Descensus 65 f. Differenzierung 36, 40, 251, 252, 254, 304, 354 Doppelweg 100 f. Elastizität 38–40, 45, 105, 108, 175, 195, 319, 356 Entdifferenzierung 176, 250, 328, 348 Entmythisierung 18 f., 21, 46, 53, 61–64, 68, 89 f., 92, 96, 114 f., 117, 217 f., 221, 304, 319, 327 Entzauberung 90 Erzählen im Paradigma 301, 306 f., 315 f., 319, 335, 342, 353 Erzählen, mythisches 22 f., 34–42, 45, 52, 65, 70, 105, 108, 210, 228, 356 Ethnologie, ethnologisch 13, 15 f. Fatalität 106–109, 199, 202 f., 205 f., 219, 231, 309, 342, 349 Figuralschema 59 Fürstenspiegel 135, 224 Gattung 51, 53, 57, 71, 101, 236 Gedächtnis, kulturelles 60 Genealogie, genealogisch 40, 42, 44 f. Geschichtsschreibung, Historiographie 23– 27, 31, 32–34, 41–43, 46, 48–50, 134, 345 Gewaltenteilung 36, 40, 304 Gleichzeitigkeit 37, 77, 82, 84, 88 f., 263, 356 Große Erzählung, Grand Récit 13, 90 Grundmuster, gehärtetes 38, 60, 105, 108, 115, 124, 128, 155, 162, 195, 228, 235, 245, 302, 304, 347, 356 Hagiographie 31 Heiligkeit 17, 79–81, 106, 199, 203, 204 Heilsgeschichte, heilsgeschichtlich 26, 40, 255 Historie 23–26, 31, 33 Historisierung 43, 44, 66, 93 Historizität 31–34, 44, 50–52, 54, 135, 344 Hybridisierung 93, 138, 140, 347 Hybridität, hybrid 99 f., 102, 131, 141, 193, 215, 228 f., 232, 293, 346, 353, 355 Indifferenz 74 f., 77, 81 f., 86 f., 91, 117, 218, 250, 254, 256
Register Initiation 109, 132, 162, 166, 227, 259, 265, 279, 283, 285–288, 320, 341, 351, 355 Inkonsistenz 38, 40, 204 Ironie, ironisch 48, 59, 165, 169, 172, 179, 230, 266, 278 f., 283, 353 Karlsmythos 17 Kausalität, mythische 76–78, 80 f., 91, 94, 107, 151, 251, 328, 348 Koinzidenz 76 f., 79 f., 251, 252, 327, 340 Konkreszenz, mythische 76–78, 80 f., 94, 107, 182, 199, 210, 251 Konstanz, ikonische 38–41, 45, 65, 105, 108, 115, 166, 175, 195, 216, 228, 246, 251, 256, 312, 327, 339, 345, 347 Kontiguität 39, 77, 183, 349 Kontingenz 151, 160, 170 Kraft, mythische 107 f., 178, 182, 230, 251 Kreisschlüssigkeit 37, 329 f., 343, 346, 355 Kulturelle Handlung 68–70, 72, 82, 95, 96, 140, 345, 350 Kunst 14, 20, 72–74, 77, 82–90, 92, 95, 217, 345 Legende, legendarisch 24, 26, 52, 226 Liminalität 111, 261, 280, 287, 298, 322, 329 Literarisierung 19, 21 f., 46, 61, 63–65, 232, 344 f., 347, 354, 356 Literarizität 12, 22, 46, 59, 66, 69 f., 228, 232, 306, 321, 334, 335, 339, 343, 352 Logos 36 f., 85, 87, 90, 280 Mabinogi 28, 29 f., 49, 194, 234, 245 Mabinogionfrage 30 Mächtedualismus 155 f., 157, 176, 207, 302, 304, 312, 352 Maltererteppich 233 Materie 12, 21, 23–25, 27, 31, 33 f., 41, 45– 49, 51–54, 58–61, 63–66, 68, 108, 114, 173, 225, 234, 244 f., 279, 304, 319, 334, 338, 344 Matière de Bretagne 23 f., 33 f., 51–54, 60, 63, 68, 98, 134, 174, 242, 334 Matière de France 52 Matière de Rome 52 Metamorphose 155, 176, 207 Metapher, metaphorisch 36, 63, 70, 95, 115, 117, 183, 216, 224 f., 295, 296, 302 f., 316, 318, 354 Metonymie, metonymisch 183–185, 218, 231, 250, 267, 276, 289, 324, 349
Register Moderne, modern 88, 89, 92, 217 f., 306 Motiv, prägnantes 105, 115, 175, 228, 288, 302, 339 Motivation von hinten, Finalität 91, 110, 111, 112, 117, 121, 122, 124, 125, 127 f., 130, 141, 144, 150 f., 153, 158, 168, 170 f., 186, 193, 220, 228–231, 243, 268, 280, 294, 341, 349, 355 Mythenaneignung, allegorische 62, 218 Mythisches Denken 14 f., 18, 20–22, 67, 68, 70–72, 74–79, 81 f., 85–94, 96, 99, 106, 108, 110, 115, 137 f., 176–179, 182, 186, 199, 217 f., 228, 230, 246, 250 f., 253, 258, 259, 279, 280, 307, 311, 340, 345, 348–351, 353, 356 Mythisierung 21, 32, 40, 44, 60, 95 f., 108, 179, 348, 355 Mythizität 12, 17, 21–25, 32, 34 f., 41, 44– 48, 54, 59 f., 68–72, 74, 81 f., 94, 107– 110, 112, 134, 155, 166, 171, 176, 183 f., 205, 215, 219, 232, 235, 244, 246, 269, 276, 281, 285, 288 f., 300, 320 f., 324, 327, 331, 335 f., 339, 343, 344 f., 348, 350, 353 f., 356 Mythologie 17, 28, 33, 40, 44, 53, 62, 89, 104, 106, 107, 114, 139, 162, 174–176, 195, 198, 200, 215, 279, 280 Mythopoetik, mythopoetisch 21 f., 47, 53, 63, 65 f., 68 f., 99 f., 105, 108, 121, 130, 140 f., 144, 149, 151 f., 157, 166, 170 f., 175, 177–179, 182, 185 f., 193–195, 197 f., 200, 214 f., 221, 228–230, 232, 235, 237, 246, 251, 274, 283, 285, 288, 302, 304, 307, 309, 313, 316, 318–320, 327, 330, 335 f., 338 f., 341–343, 345– 348, 351, 353–356 Mythos 12–24, 27, 31–41, 44–46, 49, 53, 60, 61–67, 68–70, 72 f., 74, 75, 77–87, 89–96, 99, 104, 105, 107, 109, 115, 148, 155, 178, 198–200, 215–217, 218, 250, 251, 279 f., 285 f., 304, 306, 318 f., 327, 339, 344–348, 351 f., 354, 356 Mythos, formaler 90, 92, 93 f. Mythos, literarischer 17 Mythos, sekundärer 16, 27, 280 Mythosanalogie, mythosanalog 21 f., 82, 89, 94–96, 99 f., 107 f., 110, 121 f., 128, 130 f., 140 f., 144, 151, 166, 170 f. 179, 186, 193–195, 198, 201, 214, 216 f., 221,
395 228–232, 235, 237, 246, 251, 257, 260, 274, 280 f., 283, 285, 288, 314, 318, 320, 327, 330, 338–342, 345, 348–351, 353– 356 Namengebung 36, 190, 191, 209 f., 218, 250, 304 Namenkatalog 129, 134 Natura 119 Paradigmatik 137, 215, 232, 306 f., 315, 321 f., 335 f., 342, 353–355 Passung, symbolische 35 Percevalsagenkreis 104 Persistenz 39, 41, 45, 105, 236, 316, 318 f., 326 f., 339, 343, 346, 353 Personifikation 19, 43, 126, 132, 137 f., 140, 150, 159, 165 f., 171, 184, 186, 214, 225, 230, 273, 352 f. Phänomenologie, phänomenologisch 15, 62, 74, 75, 85, 215 Präsenz 75–77, 81, 83, 86, 92, 95, 171, 183, 185, 232, 236 f., 246, 250, 253 f., 274, 276, 283, 288–290, 302, 313 f., 317, 319, 321, 325, 327, 330, 338 f., 342 f., 345, 347 f., 351, 353–355 Profane 25, 79–80, 199, 203 Providenz, providentiell 151, 153, 161, 164, 166, 170, 186, 230 f., 312 Quadrivium 224 Rationalisierung 16, 19, 48, 51, 60 f., 82, 160, 162, 186, 199, 248, 277, 285, 295, 313, 348 Rationalität, mythische 75, 85, 327 f., 348 f. Raumordnung, mythische 21, 71, 76–81, 94, 107, 176, 198–201, 203, 205 f., 208, 219, 231, 246, 257 f., 324 f., 326, 340, 348 f., 355 Religion 14, 20, 33, 72 f., 77, 81, 83, 85, 86–89, 91, 106, 217, 226 Religionswissenschaft 15, 16, 17, 286 Remythisierung 18–20, 33, 63, 348, 354 Repräsentation 75, 76, 87 f., 102, 108, 116 f., 118, 120 f., 125, 126, 127, 129, 135, 172, 215, 217, 222, 225, 226, 229, 241 f., 244, 263, 267, 274, 289, 301 f., 304, 314, 324, 342, 345 f., 352 Rituelle Handlung 13, 16, 20, 34 f., 39, 62, 70, 73, 80, 91, 95, 107, 108 f., 117, 121, 129, 166, 203, 220 f., 223 f., 228, 245, 259, 279 f., 282
396 Roman, höfischer 12, 15, 18, 57, 61, 110, 226, 299, 302, 305, 307 Sachverhalt, elementarer 38, 78, 105, 109, 115, 117, 205, 209, 212, 215, 217, 221, 228 f., 231 f., 237, 269, 274, 306, 315– 317, 319 f., 330, 335–338, 341 f., 344– 348, 351, 353–357 Sage 16, 24–26, 32 f., 52, 104, 172 Schicksalsordnung 78, 81, 106 f., 151, 157, 159–161, 174 f., 201, 202, 205 f., 208, 213, 219, 231, 311 f., 352 Schwarzes Buch von Carmarthen 27, 30 Souveranitätsmythos 107, 240 Symbol 70, 73, 84, 85, 121, 170, 225, 252, 272, 287 Symbolische Form 68, 72–75, 77, 81–86, 88 f., 91, 217, 345 Symbolisierung 73, 82–85, 89 f., 95 f., 272, 323 Symbolstruktur 57, 100 f. Teleologie, teleologisch 20 f., 62, 85, 88, 91, 93, 108 Topographie, topographisch 111, 116, 125, 143, 145, 167 f., 172, 175, 180, 186, 189, 193, 197, 205, 240, 246, 255, 256, 318, 325
Register Totemismus 76 Transformation, mythische 19, 166 Tyoletsagenkreis 104 Übergangsritus 80, 203, 259, 280, 286, 287 Umständlichkeit 40 f., 107, 139, 155, 168, 178, 183 f., 199, 211, 226, 268, 317 f., 340 Uneigentliche Sprache 166, 171, 183, 316– 319, 336 Ursprungsmythos 16, 77, 115, 211 Variation, mythische 17, 38, 195, 313, 357 Vormoderne, vormodern 12, 88, 217, 345 Wiedererzählen 45–47, 54, 62, 64, 344, 356 Wiederholbarkeit 39–41, 45, 105, 318 Wiederkehr 37, 44, 81, 106 f., 199, 202, 219, 314, 329, 342 Willkürentzug 36, 40, 301 f., 304, 342 Wolfenbütteler Fragmente 98 Zeitordnung, mythische 21, 39 f., 60, 76–81, 94, 105–107, 164, 166, 176, 198–200, 202, 205, 208, 211, 219, 230, 250–253, 259, 274, 280, 289 f., 318, 324, 326 f., 330, 340 f., 348–350, 354 f. Zufall 38, 75, 78, 81, 145, 146 f., 150 f., 153, 158, 160 f., 167, 168, 170, 172, 186, 193, 230, 261 f., 288 f., 305, 325
Personen und Werke Abaelard, Peter 292 Absalom 135 Adorno, Theodor W. 36 Albrecht von Johansdorf 268 Alexander der Große 135, 223 Andreas Capellanus 51, 63, 114 f., 117 De Amore 51, 63, 114 Annales Cambriae 26 Apuleius 337 Amor und Psyche 337 Arthour and Merlin 49 Assmann, Aleida und Jan 13 f., 17, 34, 42, 63, 65, 69, 109, 178 Assmann, Jan 42 Ava 65 f. Leben Jesu 65 Bachtin, Michail 131
Benoît de Sainte-Maure 224 Roman de Troie 224 Bernger von Horheim 268 Bernhard von Clairvaux 119 Bibel, biblisch 40, 43, 64, 119, 157, 171, 184, 186, 230, 279, 352 Blumenberg, Hans 15, 22 f., 32, 35–42, 45 f., 60–62, 96, 105, 107, 115, 129, 134, 155, 156, 199, 209 f., 217, 228, 259, 304, 318 f., 327, 329, 344, 351 Bodel, Jean 51 f. Chanson de Saisnes 51 Boethius 157, 160 f., 312, 352 Consolatio Philosophiae 160 f., 312 Branwen 194 Brutus 42 Burkert, Walter 42
Register Caesar 223 Caradoc of Llancarfan 24 f., 29 Vita des heiligen Gildas 24, 25 Cassirer, Ernst 14 f., 17, 22, 36, 39, 68, 72– 79, 80, 81–91, 94, 96, 106 f., 108, 155, 176, 178, 182, 183, 199, 200–202, 203, 208, 210, 217 f., 250, 251, 252, 253, 257 f., 259 f., 311, 339, 345, 351 Chrétien de Troyes 15, 22, 28–30, 45–47, 53–61, 63–65, 67, 68, 97, 98 f., 100, 101– 112, 114–116, 118–120, 122, 124, 125, 127, 129, 131, 132 f., 134, 135, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147–149, 152, 154 f., 157, 159, 160, 161–163, 165, 166, 167 f., 172 f., 174 f., 177, 179–182, 187 f., 191, 194, 196, 198 f., 201 f., 203, 204, 207, 209, 211, 219, 223–226, 229, 233, 234, 236, 240, 241, 243–246, 248 f., 253, 255, 256, 260, 266, 270 f., 273, 277, 281, 283, 284, 287–289, 295–297, 299, 302 f., 307, 309, 310, 312, 313, 314 f., 317, 329, 331, 337, 344 f., 348, 354 f. Erec et Enide 28, 53 f., 57, 60 f., 63, 67, 98, 148, 201, 234, 245 Lancelot 29, 234 Yvain 30, 61, 234, 244, 245, 253, 257, 302 f., 334 Christus 16, 176, 279, 286, 303 Culhwch ac Olwen 28, 32, 44, 48, 51, 104, 129, 134, 195 Eckenlied 95, 139, 218 Eddische Lokasenna 17 Eduard I., König 45 Eleanore von Aquitanien 49, 53 Eliade, Mircea 16 Erex saga 30 f. Friedrich von Hausen 268 Galfrid von Vinsauf 47 Poetria nova 47 Gassa, Kaiser 138 Gennep, Arnold van 280, 287 Geoffrey of Monmouth 23, 29, 35, 42–45, 48 f., 53, 60, 134, 155, 157, 161, 175, 177, 344 Vita Merlini 175, 177 Historia Regum Britanniae 42–45, 48 f., 51, 53, 155, 157, 161, 344 Gereint, Chwedl Gereint ab Erbin 29–31, 33, 108, 194
397 Giraldus Cambrensis 48, 49, 177, 245 Itinerarium Kambriae 48 Topographia Hiberniae 245 Gododdin 27 Goethe, Johann Wolfgang von 88 Gottfried von Straßburg 20, 98, 104, 233 Tristan 20, 98, 104, 111, 233, 306 Graevenitz, Gerhart von 13, 58, 69, 70, 224, 225 Greimas, Algirdas Julien 59, 60, 305 Gumbrecht, Hans Ulrich 61, 62 Hadamar von Laber 104 Jagd 104 Hartmann von Aue 12, 15, 20–22, 24, 29– 31, 35, 42, 46 f., 53, 63–66, 68, 72, 81, 88, 90, 94, 96, 97–109, 111, 112, 114 f., 117 f., 119–122, 124, 125, 127, 129, 131, 132 f., 134, 135–140, 142, 145, 147–149, 152, 154, 157, 159, 161–163, 164, 166, 167, 168, 169, 172 f., 174–177, 179 f., 181, 182, 184, 187 f., 189, 191, 192, 194– 200, 202, 203, 204, 207, 209, 211, 222 f., 225–227, 229 f., 232–234, 236, 240, 241, 243 f., 246, 248, 250, 252, 255, 256, 263, 266, 268, 270 f., 272, 274, 277, 282 f., 284, 287, 289 f., 293, 295, 297, 299, 302 f., 310, 313, 315, 323, 329, 331, 333, 337, 338, 339 f., 344 f., 347, 348, 351, 354–357 Erec 22, 29, 31, 63, 64, 90, 97 f., 100, 112, 115, 128, 151, 157, 161, 175, 177, 183, 187, 194, 212, 226, 233–235, 241, 246, 247–250, 254, 257 f., 263, 272, 282, 284, 302, 304, 309, 311 f., 314, 316, 318, 323, 339, 343, 346–349, 352–356 Gregorius 187 Iwein 20, 22, 29, 64, 97, 100, 190, 233– 235, 243, 245 f. 248, 280, 281, 286 f., 302, 303 f., 306, 309, 319, 323, 324, 333, 339, 346 f., 349, 352–356 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 85 Phänomenologie des Geistes 85 Heinrich II., König 49, 53 Heinrich von Morungen 268 Hesiod 87 Historia Britonum 26, 30–32, 43, 105, 134 Homer 17, 87 Odyssee 40 Horkheimer, Max 36
398 Ivens saga 30 Jakobson, Roman 183 Jauß, Hans Robert 11, 19, 33, 38, 62 f., 216, 348 Johann von Würzburg 211 Wilhelm von Österreich 211 Kant, Immanuel 85, 88 Karl der Große, Kaiser 17, 33, 52 König Rother 128 Konstantin, Kaiser 138 Lancelot en prose 175 Layamon 49 Brut 49 LeGoff, Jacques 224, 244, 257, 281, 287, 302 f., 309 Lévi-Strauss, Claude 66 Lugowski, Clemens 82, 90–94, 124, 128 Lucanus, Marcus Annaeus 173, 175 Pharsalia 175 Lucius, Kaiser 42 Macrobius 58, 224 f. Maria 26, 119, 279, 282 Marie von Champagne 53 Maximilian I., Kaiser 97 Navigatio Sancti Brendani 252 Nennius 26, 245 Mirabilia 32, 245 Nibelungenlied 33, 287 Ovid 159, 175 Metamorphosen 175 Owain, Chwedl Jarlles y Ffynnon 29 f., 33, 234, 245, 300 Pa gur 27, 32, 48, 103, 129, 195, 308
Register Panofsky, Erwin 47 Preiddeu Annwn 28 f., 32, 133 Salomon, König 119, 135 Saussure, Ferdinand de 34 Schlaffer, Heinz 20, 90 f., 92 St.-Oswald-Legende 26 Theoderich der Große, Dietrich von Bern 33 Theodric, König 30 Tudor, Henry 45 Turner, Victor 280 Ulrich von Zatzikhoven 107, 162 Lanzelet 107, 162 Vergil 175 Aeneis 175 Wace 24, 49–51, 53, 56, 60, 134, 234, 242, 244 f., 260, 344 Roman de Brut 49, 51, 53, 134, 245, 344 Roman de Rou 234, 244 Weber, Max 90 Weinrich, Harald 34, 77, 215, 216 Wickram, Jörg 92 Wiener Genesis 40 Wilder Mann 66 Veronica 66 William of Malmesbury 26 f., 43, 48, 134 Gesta regum Anglorum 26, 43, 48, 134 Wirnt von Grafenberg 114 Wigalois 114 Wolfram von Eschenbach 233 Parzival 16, 233 Xenophon 187 Memorabilien 187 Zumthor, Paul 11, 38
Figuren, Orte und Motive Aeneas 42 Affe 155 f. Albion 42 Aliers 281, 284 f. Amor 63, 198 Amphitryon 43 Amrs 26 Anderwelt 28, 32, 63, 104, 134, 148 f., 162, 198, 205, 246, 252, 256 f., 259, 308–310 Antipoden 134
Apollo Grannos 28, 195 Apollo Maponos 28, 195 Arbeiterinnen 308–311, 313–319, 336 f., 342 Arme Herberge 102, 112, 117, 120–123, 130, 229 Artus 16, 21–23, 24, 25–29, 31–35, 41–51, 53, 64, 68, 98, 102 f., 104, 105 f., 108– 111, 116, 122, 124, 126, 129 f., 133 f., 137 f., 139 f., 141, 143, 153, 157, 167,
Register 172–174, 177, 179–181, 185, 195, 222– 226, 227, 228, 235–238, 240–242, 244, 253, 254, 258, 266 f., 269–272, 274 f., 292, 294 f., 296, 297–299, 314, 316, 317, 328, 320, 324, 326, 330 f., 333–335, 337 f., 341 f., 344 f., 356 Askalon 253, 254, 258, 259, 260 f., 263, 267, 268, 270, 274, 276, 284 f., 326, 329, 340 Ätna 175 Auberon 148 Auferstehung 162, 166, 279 Avalon 27, 44, 48, 134, 175, 177, 198 Bäume, blühende und Früchte tragende 198– 200 Baumgarten, Brandigan 99, 116, 188–221, 227, 231, 246, 248, 250, 257, 309, 311, 346, 349, 355 Baumgarten, Burg zum Schlimmen Abenteuer 309, 336 Beli 148, 183 Bilei 134, 148 Bran 194 f., 201 Brandigan 99, 116, 143, 188, 190–195, 197– 206, 211–215, 218–221, 227–232, 247 f., 257, 263, 314 f., 347, 350, 356 Brautwerbung 28, 105 Bretagne 52, 244 Breziljan 234, 235, 237 f., 243 f., 251, 255, 260, 269, 274 f., 280, 298, 320, 322 f., 326 f., 331, 335, 338 f., 342 f., 346, 350, 354 f. Brians 134, 148 Britannien 26, 32, 44 f., 48 Burg zum Schlimmen Abenteuer 295, 299 f., 307, 311–319, 329, 335–338, 342, 354 Cabal 26 Camlann 26 Carduel 236 f. Cath Palug 28 Circe 175 Cornwall 29 Descensus 65 f. Dianakult 245 Don Juan 17 Drache 45, 173, 184, 286 Drachenkampf 104, 276, 285–288, 341, 352 Drachenkuss 107 Eber 105, 134
399 Ecke 139 Eichenpfähle 201 f., 203, 204 f., 208, 219 England 49, 134, 209 Enite 29, 98, 100, 101, 104, 117, 118–146, 149, 152–154, 157–169, 171 f., 181, 184– 186, 188, 191, 192, 201, 203 f., 209, 215, 217, 219, 222, 229, 232, 263, 271, 315, 346, 349 Entführungsgeschichte 24, 25, 29, 133, 211, 234, 291, 302 Erichto 175 Famurgan 99, 114, 133, 138 f., 170, 172– 179, 181–186, 189, 195, 197, 200, 214, 230 f., 278, 281–285, 288, 341, 348 f., 351 Faust 17 Fee 104, 114, 133, 134, 138, 139, 174 f., 176 f., 179, 183, 195, 224 f., 244, 245, 282 f., 348, 351 Feenerzählung 104, 114, 174, 195, 198, 245, 246, 262, 281 Fomori 309 Frau Melde 126, 137–139, 353 Frau Minne 264, 265, 272–274, 277 f., 353 Gawein 27, 51, 103, 104, 106, 109, 172, 181, 238, 269, 271, 274 f., 291, 294 f., 297, 298, 300, 301, 303, 306, 316–318, 320–322, 329, 334, 341, 354 Gaweinkampf 306, 315, 320 f., 329, 336, 342, 354 Gereint 29, 30, 33 Gerichtskampf 235, 292, 294 f., 297–300, 304, 317 f., 320, 324, 329, 335 f., 342, 347, 354 Gerontios 29, 33 Gilgamesh 198 Gimoers 133, 134, 179 Ginover 25, 29, 126, 128, 133, 138, 139, 153, 182 f., 185, 222, 238, 241, 302 Glasinsel 28 f., 133 Glastonbury 25, 29, 44, 49 Goliathkampf 157, 171, 207, 230, 352 Gott 57 f., 119 f., 130, 135, 137, 146 f., 150–153, 155–164, 166 f., 169 f., 186, 191 f., 197, 202, 207 f., 210, 214, 216, 220, 224, 226 f., 230–232, 263, 292 f., 302 f., 305, 311 f., 337 f., 352 Gottesurteil 292, 293, 305 Grafenepisode 146, 152, 160, 163, 164 Guinnion 26
400 Guivreiz 143, 148–153, 158, 167, 168–173, 180 f., 183–191, 193, 195, 200–202, 204, 214, 216, 230 f., 247, 349 Gwarddur 27 Habicht 132, 134 Harpin 29, 292, 294, 299–307, 309, 312– 319, 321 f., 329, 335 f., 338, 342, 347, 353 Herakles 187 Herzenstausch 136, 140, 158, 272 f., 278 Hirschjagd 99, 101, 102–112, 115–117, 121 f., 124 f., 127–134, 137, 139, 140 f., 178, 207, 209, 215, 222, 224, 228 f., 232, 241, 254, 314, 346, 347, 349, 353, 355 Hirschkopf 104, 108 Hölle 173, 175 f., 179, 189, 197, 279 Horn 170, 195, 201, 219 Huhn 155 f. Iders 110 f., 113, 117, 120, 122–125, 129 f., 142, 144, 148, 149, 151, 154, 229 Imain 112, 119, 122, 127 Irland 26, 148, 152, 230 Ivreins 191 f., 201–204, 207, 208, 210, 219, 221 Jahreszeiten 252, 199 f., 252 Joie de la Curt 28, 61, 101, 190, 191, 212, 214, 216, 218, 254, 309, 354 Jungfraueninsel 309 f., 313 f., 316, 317, 319, 342 Juno 185 Jupiter 185 Kalogreant 190, 236–244, 246–256, 258, 260 f., 264, 268, 269–271, 274, 276, 325 f., 328, 329, 331–337, 339–341, 343, 349 Karadigan 102, 125 f., 134, 138 Karnant 99, 100, 101 f., 131–133, 136–144, 150 f., 153, 158, 160, 172, 186, 206, 213, 217, 221, 223, 225, 226, 227, 229 f., 232, 346, 355 Karsinefite 118 Keie 172, 181, 238 f., 241, 261, 269 f., 274 Koralus 117, 118–124, 130, 159, 164, 192 Kräuter, heilkräftige 173, 175, 178, 198 Kuss 103–108, 117, 121–124, 125, 129 f., 135, 141, 178, 222, 228 f., 350 Lac 55, 138 Laudine 234, 237, 262, 263–269, 271–275, 277, 284, 285, 290, 292–294, 297–299,
Register 320, 322–324, 326, 328–330, 335, 338, 340–343 Leopard 143 Limoges 142 Limors 155, 158, 159, 162, 164–171, 180, 184, 186, 214, 230, 353 f. Linde, immergrüne 247–249, 252, 258, 326, 327, 340 Locus amoenus 197, 200, 203, 205, 215, 248, 309, 336 Löwe 149, 286–290, 292–295, 297–301, 303, 306, 312, 317, 320–322, 324, 329, 335, 341, 351 Lunete 258, 262 f., 265 f., 275–278, 291– 294, 298, 299, 301, 305, 317, 318, 320, 324–326, 328 f., 335, 354 Lunetekampf 288, 294, 299 f., 305 f., 315 Mabonagrin 28, 116, 190, 194 f., 198, 201 f., 206–221, 231, 346, 349, 353 Maheloas 29, 133 Marguel 133, 179 Meljakanz 25, 29, 133 Melld 27 Minnegrotte 111 Modena, Kathedrale 24 f. Mont Saint-Michel 42 f., 50, 51, 155, 157 Mydron 27 f., 170, 174, 183, 195 Nantes 223 Narison, Dame von 278, 281, 283–285, 286, 292, 351 Niniane 195 Odysseus 38 Oringles 159–165, 167, 170, 186, 353 Orpheus 198 Otranto, Kathedrale 28 Paradies 194, 197 f., 200, 205, 206, 210 f., 224, 249, 252 Parzival 16 f. Penefrec 99, 143, 152, 153, 170–172, 180– 182, 184–187, 230 f., 349 Persephone 162 Pferd, Enites 184–186 Pflaster 173 f., 176–179, 181–186, 214, 230, 349 Prometheus 41 Pyramus und Thisbe 159 Quelle 234, 235, 237, 239–248, 250–261, 264–275, 278, 280, 283, 284 f., 288–300,
Register 313, 315, 318, 320, 322–335, 338–341, 343, 346, 349, 350, 354 f. Rash boon 211, 302 Räuber 143, 145 f., 150, 152, 154, 213, 230 Redeverbot 144, 149 Regenzauber 244, 247, 249, 251 f. Richtungssymbolik 144, 150, 157, 187–189, 193, 247, 249, 255 f. Riese 28, 134, 148, 154–157, 166 f., 171, 207 f., 302, 309, 312, 315 Riesenkampf 28, 42, 50, 51, 143, 154–157, 160–163, 166, 169 f., 176, 180, 184, 186, 207 f., 230, 235, 276, 292, 294, 299–304, 305, 306–308, 310–312, 314, 316–322, 329 f., 335 f., 342 f., 347, 352 f., 355 Ring 262, 272, 274 Rodenegg, Burg 233 Runkelstein, Burg 233 Salbe 278, 281–285, 286, 288, 341, 352 Samson 135 Schadil li Mort 162 Schmalkalden, Hessenhof 233 Schwan 119 Schweigen 282 Schwesternstreit 288, 294, 297, 298, 299 f., 307, 315–318, 335 Selbstmord 159, 263, 292 Siegfried 287 Sisyphos 38 Sizilien 175 Souveranitätskampf 313 f., 316 Sperberwettkampf 63, 99, 102, 112–117, 120, 121–123, 125, 127–130, 131, 132, 134, 140 f., 215, 222, 229, 346, 347, 353, 355 Spur 40, 115, 144, 154, 157, 317 f., 322 Steigbügeldienst 238 Südtirol 233 Sündenfall 198 Sybille 175 Tafelrunde 50, 109, 128 f., 135, 222, 270 Teufel 40, 48, 155–159, 162, 165, 173, 176, 178, 205, 207 f., 216, 219, 231, 286, 302– 304, 308 f., 311 f. Tod 44, 48, 60, 158 f., 162, 164–166, 171, 173, 175 f., 179 f., 186, 191, 195, 207,
401 223, 226, 261 f., 279, 290 f., 294, 301, 308, 316 Torwächter 27, 307–311, 315, 342 Totenklage 30, 158, 159, 164 f., 263, 289 Totenreich 148, 167, 174, 176, 194, 230, 279, 308 Troja 42 Tulmein 102, 104, 111, 112 f., 115–117, 120–130, 141, 148, 149, 154, 164, 192, 215, 222, 229, 263, 346 Unwetter 249, 251, 253, 258, 260, 270, 274, 320, 322–330, 340, 343 Uryen von Rheged 30 Uterpandragon 28, 45, 103, 195, 241 Val Perilleus 138 Venus 198 Vogelgesang 197 f., 200, 203, 205, 239, 243, 248 f., 269, 327, 340 Wahnsinn 235, 276–283, 285, 287, 288, 298, 313, 320, 321, 324, 341, 351, 355 Weg 99–101, 125, 144–147, 150–155, 157 f., 160 f., 166–168, 170, 172, 177, 181, 186–190, 192 f., 204 f., 220, 230 f., 249, 255–257, 269, 288, 293 f., 298, 301, 305, 317 f., 325, 340, 349 Wegweiser 239, 247, 249, 256, 257, 308 Wilder Mann 190, 239 f., 243, 247 f., 249, 253, 255–258, 269, 326, 331, 340 Wildnis 111, 116, 146, 154, 157–159, 173, 197, 238, 240, 243, 255–257, 259, 277 f., 287, 331 Witwen 191, 192, 202, 204, 215, 221–223, 225, 231, 315, 346 Wolke 167, 197–199, 203 f., 249, 251, 258, 259 Wunder 147 f., 156, 160, 170, 173, 176– 178, 184, 196 f., 200 f., 214, 226, 242 f., 245, 254, 256, 260, 262, 269 f., 273, 275, 283, 293, 297, 306, 320, 329–331, 339 f., 350 Zwerg 110–112, 120–124, 128, 134, 144, 148, 149, 154, 184, 230 Zwergenbeleidigung 102 f., 110, 121, 125, 142, 229 Zwischeneinkehr 99, 143, 153, 172, 180 f., 185 f., 230 f., 322