Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt: Wurzeln orientalistischer Betrachtung und gegenwärtiger Konflikte: von Alexander dem Großen bis zur islamischen Eroberung [1 ed.] 9783428541195, 9783428141197

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Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt: Wurzeln orientalistischer Betrachtung und gegenwärtiger Konflikte: von Alexander dem Großen bis zur islamischen Eroberung [1 ed.]
 9783428541195, 9783428141197

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AYAD AL-ANI

Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt

Araber als Teil der hellenistisch-römischen und christlichen Welt Wurzeln orientalistischer Betrachtung und gegenwärtiger Konflikte: von Alexander dem Großen bis zur islamischen Eroberung

Von Ayad Al-Ani

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Umschlagbild: akg-images / Jean-Louis Nou Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISBN 978-3-428-14119-7 (Print) ISBN 978-3-428-54119-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84119-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Ihre Erzählung ist ungewöhnlich interessant, Professor, obwohl sie ganz und gar nicht mit dem Evangelium übereinstimmt.“ „Ich bitte Sie“, antwortete der Professor und lächelte nachsichtig. „Sie müßten doch am besten wissen, daß nichts, aber auch gar nichts von dem, was im Evangelium steht, tatsächlich passiert ist, und wenn wir anfangen wollen, das Evangelium als historische Quelle zu betrachten…“ er lächelte abermals (…) „Stimmt“ (…) „aber ich fürchte, niemand ist imstande zu bestätigen, daß das, was Sie uns erzählt haben, sich tatsächlich zugetragen hat.“ „Oh doch! Das kann einer bestätigen!“ antwortete der Professor sehr überzeugt (…). „Die Sache ist die …“, der Professor blickte sich furchtsam um und sprach im Flüsterton, „… daß ich bei allem persönlich dabei war.“ Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita, München 1994, S. 54 f.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Oriens und Arabien ohne Araber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Can Non-Europeans think? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran – die Kraft des Imaginären im arabischen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6. Der hellenistisch-römische Orient: Dark Design, Verdrängung, Vergessen und keine Erklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.1. Der hellenistische Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 6.2. Das römische Arabien und die Diözese Oriens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“: Julia Domna, Elagabal und Philippus Arabs in der geschichtlichen Betrachtung . . . . . 83 6.4. Avidius Cassius, Zenobia und Mavia: Arabischer Widerstand gegen Rom . . . . . 92 6.5. Wachablöse: Die ghassa¯nidische Übernahme des Limes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6.6. Frühe Historiker über die Araber: orientalistische Anfänge und ihr moderner Nachhall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 6.7. Nachtrag: Der Papst von Bagdad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 8. Tabus: Die einfache Integration der Araber/Semiten im Oriens . . . . . . . . . . . . . . 122 9. Orient und Rom? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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Inhaltsverzeichnis

11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 11.1. Monotheistischer arabischer Diskurs vor dem Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 11.2. Christliche arabische Liturgie vor dem Islam und das Rätsel der Jahili-Dichtung 148 11.3. Politische Konsolidierung und ihr Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 12. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Summary: Pre-Islamic Arabia and Oriens as part of the Greco-Roman world: A case of Dearabisation of Arabic History . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Einleitung Anlässlich der Umbrüche des arabischen Frühlings gab der einflussreiche Kolumnist des Time Magazine, Fareed Zakaria, einen sehr bemerkenswerten Hinweis. Da die Revolutionen in Ägypten, Tunesien, Libyen und dem Jemen zunehmend verwickelte und unklarere Züge annahmen und nicht sofort einen eindeutigen demokratischen Erfolg zeitigten, stellte sich Zakaria die Frage, warum die arabischen Länder ein immanentes „demokratisches Defizit“ haben.1 Mit dieser Fragestellung schloss er sich bekannten Orientalisten wie Bernhard Lewis an, der zuvor vermutete, dass dieses Defizit mit der politischen und kulturellen Entwicklung der Arabischen Welt im Zusammenhang steht.2 Wohlgemerkt nicht mit der islamischen Kultur allein, da islamische Länder wie Indonesien ja durchaus demokratische Strukturen aufweisen. Zakaria macht nun darauf aufmerksam, dass dieses Defizit vor allem in jenen Ländern auftritt, die von islamischen Armeen Mohammeds bis zum 12. Jahrhundert erobert wurden: „Lands that the Arabs controlled in the 12th century remain economically stunned today.“3 Dieser Verweis auf ein historisches Ereignis, welches über 900 Jahre zurückliegt, ist nun in mehreren Hinsichten bemerkenswert: Zum einen demonstriert es einmal mehr die starke Hinwendung des Westens zu religiösen bzw. religionsgeschichtlichen Erklärungen selbst für aktuelle politische Phänomene dieser Region. In Bezug auf die hohen Staatsquoten der arabischen Länder – an diesem Parameter wird nun der „historische“ Einfluss der islamischen Eroberung festgemacht – gäbe es ja alternative Erklärungsmöglichkeiten, nicht zuletzt jene, dass fast alle arabischen Länder nachkoloniale Strukturen aufweisen und der Staat und die Staatsklasse – zumeist ursprünglich vom Westen eingesetzt – hier eine wichtige Stellung als Nation Builder und Modernisierungsagent innehaben, die nun von der Bevölkerung revidiert wird.4 Zum anderen kann man vermuten, dass diese religi1

Fareed Zakaria, A Region at War with its History, in: Time Magazine, 6.4. 2012, online verfügbar: http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171, 2111248,00.html. (Stand 5.6. 2012). 2 Bernhard Lewis, What Went Wrong? Western Impact and Middle Eastern Response, New York 2002. 3 Zakaria verweist auf eine Studie des Ökonomen Chaney, der historische Faktoren für diese Misere nachweisen will: „In areas conquered by Arab armies, by contrast, the use of slave armies meant that military power remained concentrated in the hands of the sovereign.This prevented the emergence of a European-style landed aristocracy and the concomitant development of civil society.“ Eric Channey, Democratic Change in the Arab World, Past and Present, Brookings Papers on Economic Activity, Spring 2012, S. 363 – 414, hier S. 382 f. 4 Zur Rolle der Staatsklasse in der Modernisierung vgl. etwa Samuel P. Huntington, Political Order in Changing Societies, Yale 1968. Zur Rolle dieser Klasse und den demokratischen Prozessen in der Arabischen Welt vgl. Ayad Al-Ani, Möglichkeiten und Strategien der De-

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Einleitung

onsgeschichtliche Argumentation nicht grundlos geschieht. Irgendetwas muss durch den Islam und die arabische Eroberung des römischen Ostens, dem Oriens, passiert sein, was sich tief in die Betrachtungsweise des Westens eingebrannt hat und so seine Wahrnehmung und wohl auch Beziehung zum Orient mitbestimmt. Diese, wie auch immer definierbare und erklärbare, „Betroffenheit“ macht eine Analyse der gegenständlichen geschichtlichen Phase nicht gerade einfach. Versucht man etwa, diese historischen Beziehungen zwischen den Arabern im Oriens, in der arabischen Halbinsel und dem Römischen Reich zu erfassen, in dessen „Hinterhof“ die neue islamische Religion ihren Ausgang nahm, so stößt man auf ein interessantes Phänomen: Die Araber in der vorislamischen Geschichte werden in der westlichen Betrachtung oftmals als eine obskure Gruppe beschrieben, die erst relativ kurz vor dem Sieg über das Römische Reich in Erscheinung tritt und zuvor wenig Gewicht und Präsenz innerhalb als auch außerhalb diesem besaß. Die Geschichte der Araber ist nur allzu oft unsichtbar, verschwommen und unklar, sie wird „de-arabisiert“. Damit werden aber der Erfolg der arabischen Eroberung und der Eintritt der Araber in die Weltgeschichte schwer erklärbar. Weiters fällt hier auf, dass über die Geschichte der Araber jener Phase sehr unterschiedliche Sichtweisen existieren: grob einteilbar in die des Westens und die der Araber (wobei diese Einteilung nicht immer ethnisch gemeint ist; es gibt Araber und westliche Betrachter in beiden Lagern). Die „arabische“ Sichtweise jener Geschichtsphase ist die einer langandauernden Entwicklung, die ca. dreitausend Jahre v. Chr. im Jemen begann, sich dann als Wanderbewegungen von Stämmen aus dieser arabischen/semitischen Heimat in den Norden ausbreitete und dort verschiedene Zivilisationen schuf, die durchaus Gemeinsamkeiten, etwa in Sprache und Kultur, aufwiesen. Die arabische Eroberung des Oriens bewirkte in dieser Betrachtung nur die Kenntlichmachung einer Identität, die durch die römische und persische Herrschaft verdeckt wurde bzw. in den Hintergrund geriet. Die westliche Sichtweise sieht diese Bewegungen als „semitische“ an, die ausgehend von Südarabien oder einer anderen „ursemitischen“ Heimat unterschiedliche Sprachen und Kulturen schufen, die wenig miteinander zu tun haben. In diesem Konzept sind die Araber nur eine semitische Zivilisation unter mehreren, die außerdem erst spät in Erscheinung trat und der es durch die Ausnutzung „kritischer Momente“ und den Impuls einer eigenen Religion gelang, Rom und die Sassaniden zu bezwingen und ein eigenes Weltreich, Schrift, Kultur und Religion zu schaffen. Teile dieser zivilisatorischen Errungenschaften (Schrift, Dichtung, Religion) wären zudem nachträglich im Sinne einer „erfundenen Tradition“ kreiert, um dem neugeschaffenen islamischen Staat auch eine entsprechende geschichtliche Verankerung zu geben. Wobei hier nun ein regelrechter Teufelskreis ausgelöst wird: Durch die DeArabisierung und Dekonstruktion der arabischen Geschichte erwächst eine Vielzahl mokratisierung in der Arabischen Welt, in: Klaus Zapotoczky et al. (Hrsg.), Verwaltung Innovativ, Linz 2007, S. 323 – 349 und ders., Wie sich die arabische Welt neu organisieren kann, in: Die Zeit 28.6. 2011, online verfügbar. http://www.zeit.de/politik/ausland/2011 – 06/arabi sche-staaten-politik-wirtschaft-ordnung, (Stand 10.6. 2013).

Einleitung

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unerklärlicher Phänomene, die manche westliche Wissenschaftler dann auch nur in einer revisionistischen Art und Weise erklären wollen. Diese Art der Geschichtsbetrachtung wird wiederum von arabischen Historikern nicht nachvollzogen. Die beiden Ansätze entfernen sich immer weiter voneinander bzw. beschreiten teilweise unterschiedliche Pfade. Ein Austausch der Perspektiven wird immer unwahrscheinlicher. So kommt es zu dem Paradoxon, dass insbesondere die älteren Werke westlicher Wissenschaftler dem arabischen Element oftmals mehr Raum widmen bzw. dieses weniger „atomisieren“ und dekonstruieren, als dies manche moderne Betrachtungen tun, die eine notwendige, weitausholende und integrative Betrachtung durch ihre teildisziplinäre Brille oft nicht mehr leisten können. Nun können diese beiden Phänomene – die dominante Funktion der Religion bzw. Religionsgeschichte zur Erklärung aktueller Fragestellungen und die oft geheimnisvolle und kontroversielle Konsistenz dieser Geschichte – durchaus auch einander bedingen: Wenn die Geschichte der arabischen Welt für den Westen aus einem oder mehreren Gründen sehr wichtig ist, kann man auch davon ausgehen, dass diese massiven Einfluss auf die Interpretation und Auslegung dieser Geschichtsschreibung nehmen kann und wird. Die westliche Betrachtungsweise ist möglicherweise auf eine „Abwehrreaktion“, vielleicht sogar auf ein „Trauma“ rückführbar, welches mit dem Verlust des ursprünglichen religiösen Kernlandes zu tun haben könnte. Wir werden feststellen, dass derartige Abwehrreaktionen auf Tendenzen klassischer Historiker aufbauen konnten, die ob der streckenweisen Dominanz der Araber im römischen Herrschaftssystem bzw. dem römischen Unvermögen, mit der zunehmenden Autonomie der Araber umzugehen, vor dem Problem der „Orientalisierung“ warnten und den Arabern Misstrauen und wohl auch Abneigung entgegenbrachten. Die vorliegende Studie versucht nun vor allem auf Basis der westlichen und arabischen Sekundärliteratur, der De-Arabisierung der arabischen Geschichte vor dem Islam, ein differenziertes Bild der geschichtlichen Entwicklung entgegenzusetzen, welche sich im Wesentlichen von der Eroberung Arabiens durch Alexander den Großen 331 v. Chr., über die Neuordnung der römischen Gebiete des Oriens durch Pompeius 64/63 v. Chr., bis hin zu dem fast auf den Tag genauen Sieg der Araber über die Römer in der Schlacht am Yarmu¯k siebenhundert Jahre später, am 20. August 636 n. Chr., erstreckt. Durch die geraffte Darstellung der Araber im römischen Osten bis zur islamischen Eroberung der römischen Gebiete im Orient wird ein weitausholender Entwicklungsprozess der arabischen Völker erkennbar. Dieses Portrait mag dazu beitragen, diese Epoche der arabischen Geschichte einer breiteren Aufmerksamkeit zuzuführen. Wenn es zudem gelingt, das Bild der gemeinsamen Geschichte von Arabern und Rom zu entwerfen, das eine Art Gegenentwurf zu den gängigen orientalistischen Klischees und Vorurteilen ist, dann hätte diese Arbeit ihren Zweck mehr als erfüllt. Dieses Werk wäre ohne Zuspruch, Hilfe und Unterstützung nicht möglich gewesen. Ich bedanke mich bei Dr. Peter Menasse, Wien, und Prof. Dr. Herbert Strunz

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Einleitung

für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Schlussendlich auch Dank meiner Frau, Prof. (FH) Dr. Bettina Gneisz-Al-Ani, für ihren Zuspruch und ihre Hilfe. In Bezug auf die Schreibweise arabischer Bezeichnungen und Namen wurde soweit möglich die im Deutschen geläufige Schreibweise übernommen (Koran, Kaaba …). Die deutschen Übersetzungen der arabischen Texte wurden von mir vorgenommen. Fehler bei den Übersetzungen und im Werk selbst liegen natürlich allein in meiner Verantwortung. Wien/Berlin 2014

Ayad Al-Ani

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung Am Nachmittag des 20. August im Jahre 636 fiel der römische Osten, die Diözese Oriens, unter arabische Herrschaft.1 Nach einem fünftägigen Kampf an den Ufern des Flusses Yarmu¯k und nahe der Stadt Ja¯biya, im heutigen Syrien, brachen die arabischen Truppen auf gesamter Front durch und Chaos breitete sich im byzantinischen Heer aus. Der Rückzug war den Römern aber verwehrt, als die Muslime im Rücken des feindlichen Heeres die Brücke von Al-Ruqqa¯d besetzten. Etliche römische Reiter stürzten fliehend die steilen Abhänge des Wadi hinunter und ertranken, andere resignierten, gaben auf und wurden aufgerieben.2 Nach den für beide Seiten verlustreichen Kämpfen in den römischen Provinzen des Orients gegen die arabischen Truppen wurden kaum Gefangene gemacht. Es dauerte zwar noch einige Zeit, bis ganz Syrien, Jordanien, Libanon, der Irak sowie Palästina von den arabischen Truppen besiegt wurden. Gerade in den Küstenstädten Syriens und Palästinas gab es teilweise noch länger anhaltenden Widerstand. Aber das Ende Roms im Osten war absehbar. Selbst der byzantinische Kaiser Heraclius, der erst kurz zuvor mit großer Mühe diese Region von den Persern zurückerobert hatte, resignierte: „Friede sei mit dir, O Syrien, welch wunderbares Land wirst du für meine Feinde sein.“3 Mit dem Verlust der Provinzen der Diözese Oriens war auch die Landverbindung zwischen Byzanz und dem römischen Nordafrika unterbrochen, ein Verlust dieser Provinzen war ebenfalls unabwendbar, auch wenn es noch einige Jahre dauern sollte. Diese Schlacht war der Gipfel eines weltgeschichtlichen Ereignisses von der „Größe des Alexanderzuges“ und zugleich auch der Beginn der Abtrennung Arabiens von Europa.4 Fast eintausend Jahre lang hat ein großer Teil der arabischen Welt unter griechischer und später römisch/byzantinischer Herrschaft gestanden. Obschon einige Historiker behaupten, dass diese Bindung der Araber niemals eine tiefe 1

Der byzantinische Oriens (Osten) umfasste alle römischen Provinzen, die sich im heutigen Syrien, Jordanien, Libanon, Palästina, Israel, Libanon und dem Irak befanden. Ursprünglich gehörte auch Ägypten dazu, wurde aber 380 n. Chr. abgetrennt: Irfan Shahîd, Byzantium and the Arabs in the Fourth Century (Fourth Century), Washington D.C. 2006, S. XVI. Der Begriff „Byzanz“ ist natürlich ein neuerer Begriff. Die Araber selbst verwendeten immer den Begriff „Ru¯m“. Vgl. Yasmine Zahran, The Lakhmids of Hira. Sons of the Water of Heaven (Hira), London 2009, S. 15. In weiterer Folge werden deshalb „Rom“ und „Byzanz“ synonym verwendet. 2 Philip K. Hitti, History of Syria. Including Lebanon and Palestine (Syria), London 1957, S. 416. 3 Überliefert in: Abu-l Abbas Ahmad ibn Jabir al-Baladhuri, The Origins of the Islamic State. Being a Translation of the Kitâb Futûh al-Buldân (Buldân) (aus d. Arab. v. Philip K. Hitti), ˙ New York 2002, S. 11. 4 Hitti, Syria, S. 420.

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

war, zeugen doch arabische Cäsaren, Wissenschaftler und Politiker, aber auch Kultur und Religion von einer einzigartigen Vermischung des arabischen Elements mit der hellenistisch-römischen Welt. Diese Bindung der Araber an Rom manifestierte sich ab dem vierten Jahrhundert n. Chr. auch in der massiven Ausbreitung des Christentums im Oriens. Heute, in einer Epoche in der nur allzu oft die jeweiligen kulturellen und religiösen Differenzen zwischen Orient und Okzident im Vordergrund stehen, ist diese lange Phase der Gemeinsamkeit bemerkenswert und zugleich wenig bekannt. Die Beschreibung, Einordnung und Bewertung der Araber in dieser Zeit fällt oft schwer. Diese mühsame, wenn nicht fast schon unmögliche Verortung der Araber haben wir dem Phänomen der De-Arabisierung der arabischen Geschichte zu verdanken. So wird selbst in der modernen westlichen Geschichtsschreibung zumeist der Eindruck erweckt, dass die von der arabischen Halbinsel aus vordringenden arabischen Truppen vor allem eine griechisch und aramäisch sprechende Bevölkerung im Oriens vorfanden, sodass das Bild einer arabischen Invasion entsteht, die in mehrheitlich ethnisch fremdes Gebiet eindringt.5 Die De-Arabisierung des arabischen Faktors führt konsequenterweise bei einigen westlichen Betrachtern oftmals zu einer Geringschätzung, was das Gewicht und die politische Rolle der Araber anbetrifft. In einem jüngst vom Historiker Greg Fisher herausgegebenen Buch über die arabischen Verbündeten Roms, die Foederati, kommt dieser etwa zum Schluss, dass diese „mehr draußen als drinnen“, also kein wesentlicher Bestandteil des Römischen Reiches waren, und dass historische Arbeiten, die die Araber als kritischen Faktor des Imperiums im Osten bezeichnen, übertrieben sind.6 Natürlich gelingen die Ausblendungen des arabischen Elements nicht völlig. Bei den Foederati, die in ihrem christlichen Glauben mit Byzanz verbunden waren und seine Grenzen verteidigten, und natürlich auch bei den arabischen Nomaden, die immer wieder diese Grenzen zu überwinden suchten und eine Gefahr für den Oriens darstellten, werden wir mit einer ganzen Reihe von negativen „orientalistischen“ Attribuierungen konfrontiert, die ihren Ursprung in der römisch/byzantinischen Geschichtsschreibung haben. Und sie kommen uns eigentümlich aktuell vor, da sie von manchen modernen Historikern übernommen werden. Diese Bilder von bestenfalls „oberflächlich romanisierten arabischen Barbaren“ haben als Beschreibung scheinbar noch die Kraft, etwa im andauernden arabisch-israelischen Konflikt, Verwendung zu finden.7 Diese „Ne5 So etwa Hoyland: „Since the Arab occupation of the Middle East that began ca. 640 proved to be permanent, this date is usually taken to mark a turning point in the history of this region and its peoples. To the degree that domination by a different ethnic group (sic!) (…) must have had severe repercussions; this periodization does have some validity.“ Robert G. Hoyland, Seeing Islam as Others Saw It. A Survey and Evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam (Seeing Islam), Princeton 1997, S. 12. 6 Greg Fisher, Between Empires. Arab, Romans and Sasanians in Late Antiquitiy (Empires), New York 2011, S. 29. 7 So konnten etwa jüngst Buspassagiere in New York und San Francisco folgenden auf der Werbefläche angebrachten Spruch lesen: „In any war between the civilised man and the savage support the civilised man“. Zu dieser Aktion vgl. Hamid Dabsahi, The War between the Ci-

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

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gativfolie“8 ist so mächtig, dass sie nicht nur die wichtige Rolle der arabischen Römer und Foederati im Osten negiert, sondern auch Jahrhunderte später bei der Beschreibung der heutigen arabischen Welt Anwendung findet. So verwies etwa der in Palästina forschende amerikanische Wissenschaftler Albert Glock auf eine beinahe durchgängig negative Attribuierung bzw. Negierung der Geschichte der arabischen Bevölkerung in dieser Region: „There can be no doubt that this hiatus is a function of the foreign excavators’ strong cultural bias against the Muslim tradition. The negative view of the native population, reflected in the accounts of the pilgrims since the fourth century A.D., reached its apogee in the nineteenth century travel writings that emphasized the duplicity of the inhabitants and the squalor of their living conditions.“9

Die De-Arabisierung führt allerdings dazu, dass der Erfolg der Araber bei Yarmu¯k einige sehr wichtige Fragen aufwirft. So ist unklar, wie eine Bevölkerungsgruppe, quasi aus dem Nichts heraus, in die Weltgeschichte eintreten kann, um das mächtige Römische Reich um zwei Drittel seiner Landfläche zu reduzieren und in weiterer Folge, die zweite damalige Supermacht, die persischen Sassaniden ebenfalls zu besiegen: „At the time of its occurence Persia and Byzantium were the only two world powers; the Arabians were nobody. Who living then could have guessed that such a happening was possible?“10

Dieser Umstand – der schon oft aber nicht zufriedenstellend diskutiert wurde – ist aber umso merkwürdiger, als die Araber als eine Ethnie und Bevölkerungsgruppe im Oriens, aber auch in Arabien bis zu dem Zeitpunkt kurz vor der Invasion in vielen westlichen Betrachtungen nicht maßgeblich als politische Kraft in Erscheinung getreten waren. Dieser „westliche“ Erklärungsstrang muss zugleich zu weiteren Unerklärlichkeiten führen, wie etwa, dass das heilige Buch der Moslems, der Koran, in all seiner linguistischen Komplexität quasi ohne große Vorgeschichte erschaffen werden konnte, und zwar in einer semitischen Sprache, die nach Meinung vieler Linguisten erst relativ spät in einer eigenen Schrift Ausdruck fand. Auch hier haben westliche Wissenschaftler versucht, Lösungen zu finden, so wie etwa der unter einem Pseudonym schreibende Wissenschaftler Christoph Luxenberg, der das „Rätsel der Koransprache“ löste, in dem er den Koran als ein erst lange nach Mohammed verschriftlichtes und zudem mit älteren aramäischen Vokabeln durchsetztes Werk bevilised Man and the Savage. A Provocative Ad Which Debuted last Month in San Francisco is making its Way to New York Subways Today, online verfügbar: http://www.aljazeera.com/inde pth/opinion/2012/09/201292464012781613.html, (Stand 4.3. 2013). 8 Gudrun Krämer, Unterscheiden und Verstehen. Über Nutzen und Missbrauch der Islamwissenschaften (Islamwissenschaften), in: Abbas Poya/Maurus Reinkowski (Hrsg.), Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien, Bielefeld 2008, S. 263 – 270, hier S. 265. 9 Albert Glock, Cultural Bias in the Archeology of Palestine (Palestine), in: Journal of Palestine Studies XXIV, No. 2, Winter 1995, S. 48 – 59, hier S. 51. 10 Hitti, Syria, S. 409.

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

greift, da die arabische Schriftsprache erst viel später ausgereift war und deshalb bei der Verkündung auf die aramäische Verkehrssprache zurückgegriffen werden musste.11 Diese Punkte zwingen den Betrachter also notgedrungen, sich der Frage zuzuwenden, woher die Araber im Oriens und in der Arabischen Halbinsel kamen, wie ihre Verbreitung war, wie ihre Sprache und Schrift entstand, und vor allem auch, wie ihr Selbstverständnis, ihre Identität war. Bei dem Versuch diese Frage zu beantworten, stößt man zunächst auf das eigentümliche Konzept der „semitischen Sprachen“. Der Begriff der „Semiten“ wurde vom deutschen Gelehrten von Schlözer 1781 geprägt und hat sich in weiterer Folge zu einem theoretischen Konstrukt entwickelt, das die verschiedenen semitischen Sprachen als Entwicklungen aus einem ursprünglichen Ursemitisch versteht, welches nicht mehr im Original vorliegt, sondern rekonstruiert werden muss. Bei der Frage, wer diese Ursemiten gewesen waren und woher sie kamen, identifizieren viele Wissenschaftler die (südliche) arabische Halbinsel als eine mögliche Heimat, von der aus verschiedene Migrationswellen seit 3.500 v. Chr. in nördliche Richtung, nach Palästina, Libanon, Syrien, Irak und auch nach Ägypten aufbrachen. Nun stellen einige arabische Wissenschaftler die Frage, warum man ein Konzept entwickeln muss, dass auf einer mythischen biblischen Figur beruht, wenn man aufgrund der wahrscheinlichen Heimat der Ursemiten auf der Arabischen Halbinsel ja durchaus von arabischen Völkern mit verschiedenen Dialekten sprechen könne. Dies umso mehr, als die arabische Sprache erstaunlicherweise, obwohl sie ja in der zeitlichen Entwicklung der semitischen Sprachen aus westlicher Sicht „(…) als letzte in den Bereich der morgenländischen Kultur eingetreten ist.“12, die größte Nähe zum „Ursemitisch“ aufweist.13 Es kam natürlich immer wieder zu Vermischungen, durch die Nähe der arabischen/semitischen Gruppen, ihren Sprachen und Kulturen untereinander, und auch zu einer Annäherung an die umgebenden fremden Einflüsse. Eine solche Sichtweise erlaubt es dann auch, der De-Arabisierung und ihrer Folgerung, dass die Araber als „latecomer“ andere zivilisatorischen Errungenschaften kooptiert und kopiert haben mussten, um ihre Zivilisation zu entwickeln, ein anderes Bild gegenüberzustellen. In dem Sinne, dass die arabische Halbinsel und auch der Oriens schon lange vor Mohammed weitestgehend arabische Regionen waren, die von verwandten Ethnien mit ähnlichen Dialekten bewohnt wurden, wird aus Sicht vieler arabischer Historiker eine kontinuierliche Entwicklungslinie der arabischen/semitischen Sprache und Kultur erkennbar, die nicht erst im fünften oder sechsten Jahrhundert abrupt und unerklärlich einsetzt und deren Referenzwerk, der Koran, somit nicht durch ge11 Christoph Luxenberg, Die Syro-Aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache (Koransprache), Berlin 2007; ders., „Licht ins Dunkel“. Der Koran als philologischer Steinbruch. Ein Gespräch mit Christoph Luxenberg, in: Christoph Burgmer (Hrsg.), Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte: Standpunkte und Hintergründe, Berlin 2004, S. 18 – 38. 12 Bertold Spuler, Die Ausbreitung der arabischen Sprache (Ausbreitung), in: Bertold Spuler (Hrsg.), Semitistik. Dritter Band, Leiden 1954, S. 245 – 253, hier S. 245. 13 Hitti, Syria, S. 35; Theodor Nöldeke, Die semitischen Sprachen. Eine Skizze (Skizze) (2. Auflage), Leipzig 1899.

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

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heimnisvolle Redaktionsvorgänge erklärbar ist, sondern als außergewöhnliches und einschneidendes Ereignis einer jahrtausendalten Schrift- (und Religions-)entwicklung verstanden werden kann: „Without providing any solid proof, many western scholars portray the structurally sophisticated and vocabulary rich classic Arabic language, as a post-Islamic creation. And others go even further: knowing such claims would not stand against clear evidence of the highly developed language of the Quran (let alone the eloquent pre-Islamic Arabic poetry) they resort to spreading unsubstantiated theories claiming the authenticity of the language of the Quran and origins are questionable.“14

Dies soll nicht heißen, dass es keinen Austausch und keine Vermischungen zwischen den einzelnen Dialekten, Schriften und religiösen Vorstellungen gegeben hat. Im Gegenteil verweist der Koran selbst auf seine Verwandtschaft zu christlichen und jüdischen Elementen und auch die arabischen Wissenschaftler erkennen viele Vokabeln anderer arabischer Dialekte in dieser Schrift. Allein aber die Tatsache, dass detaillierte Untersuchungen notwendig sind, um zu klären, ob ein bestimmtes Koranvokabel nun aramäischer oder südarabischer Herkunft ist, verdeutlicht ja die enge Beziehung dieser „Sprachen“. Der Unterschied zwischen der arabischen und der westlichen Position scheint zu sein, dass – vereinfachend ausgedrückt – aus arabischer Sicht, trotz aller Differenzierungen, eine Art kulturelle und sprachliche „Klammer“ zwischen den semitischen Völkern bestand und durch die arabische Eroberung des siebten Jahrhunderts sich dann der weitestgehend arabische Charakter der Region durch die Abschüttelung der byzantinischen und persischen Herrschaft und die damit einhergehende staatliche Konsolidierung nur stärker manifestierte bzw. vervollständigte. Es wird nicht nur den geheimnisvollen Redaktionsmachenschaften des Koran und den unterstellten rückwirkenden arabisierenden Fälschungen eine Absage erteilt, sondern auch auf einen langen zivilisatorischen – aber durch die westlichen Betrachtungen vielfach verdeckten und falsch beschrifteten – Prozess verwiesen, der mit dem Islam nur erkenntlicher wurde. Ersichtlich wird an dieser Stelle, dass das Narrativ der De-Arabisierung schon viel früher, nämlich in den Anfängen der arabischen Geschichte, ansetzt. Bei diesem spezifischen Diskurs werden wir feststellen, dass Fakten nicht unbedingt verschwiegen wurden, allerdings werden die erkennbaren arabischen Elemente (Akteure, Sprache, Schrift, Religion) und Entwicklungslinien durch eine – nirgendwo sonst auf der Welt vorfindbare – „Dekonstruierung“ der geschichtlichen Erkenntnisse eher unkenntlich gemacht, anstatt Gemeinsamkeiten zu einem Erkenntnisgebäude zusammenzufügen. So werfen einige arabische Historiker ihren westlichen Kollegen vor, bei (arabischen) Stämmen stets von „Völkern“ zu sprechen, obwohl sie in einem geographischen Raum anzutreffen sind, der kaum Barrieren wie Flüsse und Berge kennt. Vor allem aber, arabische/semitische Dialekte zu „Sprachen“ zu de-

14 Saad D. Abulhab, DeArabizing Arabia. Tracing Western Scholarship on the History of the Arabs and Arabic Language and Script (DeArabizing), New York 2011, S. 6.

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

klarieren und die vorhandenen Ähnlichkeiten zu verwischen.15 Dies obwohl die „semitischen“ Sprachen sehr nahe beieinander liegen und der Wechsel von „(…) einer semitischen Sprache zu einer anderen schon immer verhältnismäßig leicht von sich gegangen war.“16 Die Feststellung dieser Gemeinsamkeit etwa war in der früheren westlichen Erforschung der arabischen/semitischen Dialekte erstaunlicherweise eher akzeptiert. So stellte etwa der Religionswissenschaftler Walt Albright fest, dass sich ab 2000 v. Chr. eine weitgehend einheitliche Sprache mit unterschiedlichen Dialekten in der Region zwischen dem Indischen Ozean bis hin zum Taurus und vom Zargos Gebirge bis zur ägyptischen Grenze herausgebildet hatte.17 Heute hingegen wird der in den USA lehrende palästinensische Historiker Irfan Shahîd kritisiert, wenn er die südarabische Stadt Nagˇran als arabisch bezeichnet, obwohl dort sabäisch gesprochen wurde!18 Es wird der Eindruck erweckt, dies sei eine gänzlich andere Sprache als das Arabische und nicht bloß ein anderer Dialekt.19 Wie zentral das Thema der Sprache ist, erkennt man bei den Analysen von Fisher, der dem arabischen Faktor nur sehr zögerlich bzw. erst ab dem fünften Jahrhundert n. Chr. eine Präsenz zubilligt. Weil er die arabische/semitische Sprachkette negiert und diese verwandten Dialekte als unterschiedliche Sprachen einstuft, kommt er zu der Schlussfolgerung: „There is litte evidence for Old Arabic (…) On the infrequent occasions where Arabic was written, it was, before the sixth century, commonly written in scripts normally associated with other languages (sic!). These were usually scripts of local prominence such as Didanitic, Sabaic, Nabatean, and possibly Hismaic.“20

Hier erkennen wir eine nicht untypische, aber problematische Sichtweise: Die Gleichsetzung von Sprache und Schrift. Greg Fishers Aussage wird durch diese Gleichsetzung inkohärent, da er zwar bemerkt, dass es wohl eine (alt-)arabische Sprache gegeben hat, diese sich jedoch anderer arabischer/semitischer Schriften bediente, und deswegen kaum belegbar ist. Diese und andere Sichtweisen tragen zu der Argumentationskette der De-Arabisierung bei: Viele semitische Völker Arabiens und des Oriens seien eben keine Araber, diese wären erst überraschend kurz vor dem Islam bemerkbar. Würde man dem arabischen Faktor mehr Gewicht zubilligen bzw. ˘

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15 Zusammenfassend für diese Position hier etwa Mohammed As ad, Mustesˇriku¯n Fı¯ Alem El-Atar (Orientalisten in der Welt der Altertümer) (Mustesˇriku¯n), Kuwait 2011, S. 164 ff.; ¯ Daoud, Tarih Su¯riyya Al-Qadima, Tashih Wa Tahrir. (Syrische Altertumsgeschichte. Ahmed ˙ ˙ ˙ ˘ Korrekturen und Befreiung) (Tarih Su¯riyya), Damaskus 2003, S. 63 – 146. ˘ 16 Spuler, Ausbreitung, S. 247. 17 Walt F. Albright, Recent Progress in North-Canaanite Research (North-Canaanite), in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research, No. 70, Apr. 1938, S. 18 – 24, hier S. 21. 18 Christine Hainthaler, Christliche Araber vor dem Islam (Christliche Araber), Leiden 2011, S. 147. 19 Über die enge Verknüpfung zwischen Sabäisch und Arabisch vgl. z. B. schon Reynold A. Nicholson, A Literary History of the Arabs (Literary History), New Delhi 2008. Nachdruck der dritten Ausgabe von 1907, S. XVI. 20 Fisher, Empires, S. 136.

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

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die Trennungen zwischen den arabischen/semitischen Völkern eher als eine zwischen Gruppen, die unterschiedliche aber verwandte Dialekte sprechen, und sich ihrer Gemeinsamkeiten tendenziell bewusst waren, verstehen, könnte man etwa die relativ „einfache Eroberung“21 und die schnelle sprachliche und politische Assimilation der Bevölkerung des Römischen Oriens im neuen islamischen Reich besser erklären. Yarmu¯k hat so gesehen ja nur etwas vollendet, was schon zu Zeiten Babylons begann, nämlich den arabischen Charakter der Region auch in politischer und religiöser Weise zum Ausdruck zu bringen.22 Wenn man die „Arabisierung“ des Oriens in ihren verschiedenen Facetten schon zur Zeit von Yarmu¯k voraussetzt, muss man aber auch darstellen können, wie das arabische Element – verbrämt unter verschiedenen Stammesnamen und Terminologien wie „Syrer“, „Aramäer“, „Indignae“, „Sarazenen“, „Taya¯ye“ und Rhomaioi – Teil der knapp tausend Jahre ˙ währenden hellenistischen und römischen Welt im Osten war, ohne seine Identität aufzugeben. Wir werden in den weiteren Ausführungen aufzeigen können, dass die Araber sehr wohl maßgeblich in diese Kultur und das politische System Roms integriert waren, und zwar sowohl als Rhomaioi, als römische Bürger, als auch als Foederati, als mit Rom verbündete arabische Stämme im Orient. Nicht nur dies, viele Araber blieben auch nach dem Sieg des Islam der christlichen Religion verbunden und einige Foederati verließen sogar den Orient, um sich im römischen Anatolien anzusiedeln. Gleichwohl aber, haben die arabischen Völker unter römischer Herrschaft ihre „semitischen“ Wurzeln wohl nicht aufgegeben, genauso wenig wie die Juden, die dem gleichen Romanisierungsdruck unterlagen und ebenfalls aramäisch als Verkehrssprache verwendeten, ohne dass sie deswegen zu Aramäern wurden. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen hatten die Araber ja zudem den Vorteil, dass ihr Kontakt zu ihrer „semitischen Urheimat“, der Arabischen Halbinsel, nicht abgerissen war und immer wieder Eindringlinge und Migranten in den Oriens schwappten, die das arabische Element auffrischten und verstärkten.23 Die De-Arabisierung und Dekonstruierung setzt sich auch in der modernen Geschichtsschreibung fort. Einmal definierte „Sprachen“ und „Zivilisationen“ werden durch die Logik des Wissensgewinns durch Spezialisierung weiter ausdifferenziert. Obwohl manche Historiker von einem großen Fortschritt bei der Analyse der vorislamischen Geschichte sprechen,24 scheinen die tatsächlichen neuen Fakten eher überschaubar. So gibt es etwa aktuelle Anzeichen, dass die nabatäische Kultur sich in Saudi-Arabien eines gewissen Interesses erfreut,25 allerdings scheinen vorislamische 21

Hitti, Syria, S. 417. Ders., Syria, S. 457. 23 Irfan Shahîd, Rome and the Arabs. A Prolegomenon to the Study of Byzantium and the Arabs (Rome), Washington D.C. 1984, S. 11. 24 Ohne diese genau zu spezifizieren etwa Hainthaler, Christliche Araber, S. 11: „Man kann geradezu von einer Explosion der Erkenntnisse über diese ,Remote Corner of the Roman Empire‘ in den letzten 30 Jahren sprechen.“ 25 Fabrice Demathon, A Rediscovered City, in: CNRS International Magazine, online verfügbar: http://www2.cnrs.fr/en/1235.htm, (Stand 20.6. 2013). 22

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

Altertumsstätten im Irak,26 in der Golfregion27 und Syrien28 oft vernachlässigt oder gefährdet. Und so ist es die immer wieder kulturellen und auch politischen Einflüssen unterliegende Interpretation bzw. Neuinterpretation, die hier maßgeblich ist. In der Forschung werden aber die Kräfte für eine solche Interpretation nicht gebündelt. So findet sich auch in den maßgeblichen westlichen Werken zu dieser Epoche kaum ein Verweis auf zeitgenössische arabische Historiker, sondern nur zumeist auf die klassischen Quellen, wie Al-Bala¯dhurı¯ und Al-Tabarı¯, welche in das Englische und Französische übersetzt wurden.29 Es gilt bei diesen Verfassern allerdings anzumerken, dass sie in der Regel keine Araber waren und erst Jahrhunderte nach dem Tod Mohammeds lebten: „They originated from many different countries from Morocco and Spain to Persia, but none of them were nomads from Arabia, the people who carried out the conquests. The historians of the Abbaside period, therefore, were not themselves familiar with the life of the early Bedouin conquerors (…).“30

Es kann festgestellt werden, dass der westliche und der arabische Geschichtsdiskurs als Parallelwelten existieren, ohne sich gegenseitig zu befruchten. Die arabische moderne Geschichtsschreibung der vorislamischen Zeit scheint vom Westen her kaum akzeptiert. Dies wird – falls diese Arbeiten nicht gänzlich ignoriert werden – vor allem mit ihrer Unwissenschaftlichkeit begründet. Möglicherweise spielt hier auch eine Rolle, dass viele Publikationen nur auf Arabisch vorhanden sind, und dass sich viele arabische Historiker der nationalen Sache verpflichtet fühlen.31 Die Negierung der arabischen Forschung und Geschichtsschreibung geht paradoxerweise einher mit einem großen Interesse der westlichen Historiker an arabischer und insbesondere auch an vorislamischer arabischer Geschichte. Offenbar ist dieses so groß, dass man den Arabern ihre Geschichtsschreibung nicht überlassen kann. Der von Edward Said im Vorwort zu seiner Studie über den westlichen Orientalismus32 zitierte Satz von Karl Marx, „Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten 26 So scheint etwa die vorislamische Stadt H¯ıra im südlichen Irak, die Hauptstadt der ˙ Lahmiden, dem neuen Flughafen der gegenüberliegenden Stadt Nadschaf zum Opfer zu fallen: ˘ Mohammad Al-Harissi, Iraq Christian Heritage Sites Lie Neglected, in: AFB, 27.5. 2012, online verfügbar: http://www.google.com/hostednews/afp/article/, (Stand 15.5. 2012). 27 Gulf Daily News 24.7. 2013: Protecting Bahrain’s Christian Heritage, online verfügbar: http://www.gulf-daily-news.com/NewsDetails.aspx?storyid=359780, (Stand 15.9. 2013). 28 Hier insbesondere durch den Bürgerkrieg: Al Jazeera, Six Syrian Heritage Sites Declared Endangered, 21.6. 2013, online verfügbar: http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2013/06/ 2013620525729467.html, (Stand 26.6. 2013). 29 John B. Glubb, The Great Arab Conquests (Conquests), New York 1963, S. 8. 30 Ebd. 31 Zu der Rolle der arabischen Historiker bei der Definition nationaler Geschichte vgl. Youssef M. Choueiri, Arab History and the Nation State. A Study in Modern Arab Historiography 1820 – 1980, London 1989, S. 25 ff. 32 Edward Said, Orientalismus (Orientalismus) (Aus d. Engl. v. Hans-Günter Holl), Frankfurt/M. 2009 (amerikanische Originalausgabe von 1978).

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

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werden.“, hat so gesehen immer noch eine Gültigkeit.33 Oder wie es der irakische Historiker Sousah in der Sprache seiner Zeit formulierte: „Jedes Land der Erde kann seine Geschichte selbst schreiben, nur die arabische Geschichte wird von Kolonialisten und Ausländern geschrieben (…).“34 So bleibt es oftmals arabischen Historikern vorbehalten, die an westlichen Hochschulen lehren, hier eine Brückenfunktion einzunehmen und den schwierigen Balanceakt zwischen neuen arabischen Perspektiven der frühen Geschichte als auch eine Akzeptanz der westlichen Scientific Community zu wagen. Wobei auch hier zu bemerken ist, dass der „arabische Standpunkt“ früherer westlich-arabischer Historiker wie etwa Hitti und Hourani viel „vorsichtiger“ formuliert ist, als in den jüngeren Beiträgen von Shahîd, der mit seinen Werken noch dazu in die Phase des „Kampfes der Kulturen“ fällt.35 Wie kann diese De-Arabisierung bzw. Trennung westlicher und arabischer Betrachtungswinkel aufrechterhalten werden? Etwa durch die Auswahl der Ausgrabungen, durch selektive Datensammlungen und vor allem in der Voreingenommenheit in Bezug auf die Interpretation der Daten. Dies war eindrucksvoll in der Archäologie und Geschichtsschreibung Mesopotamiens erkennbar. Hier wurde etwa manifest, dass das vornehmliche Interesse vieler Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts auf die Geschichte der Bibel fokussiert war. Dies wurde etwa einprägsam vom deutschen Gelehrten Friedrich Delitzsch geschildert: „Wozu diese Mühen im fernen, unwirtlichen, gefahrvollen Lande? Wozu dieses kostspielige Umwühlen vieltausendjährigen Schuttes bis hinab zum Grundwasser, wo doch kein Gold und Silber zu finden? Wozu der Wetteifer der Nationen, sich je mehr je lieber von diesen öden Hügeln für die Grabung zu sichern? Und woher andererseits das immer steigende opferfreudige Interesse, das diesseits und jenseits des Ozeans den Grabungen in BabylonienAssyrien zuteil wird? Auf beide Fragen nennt Eine Antwort, wenn auch nicht erschöpfend, so doch zu einem guten Teil Ursache und Zweck: die Bibel.“36

Die Geschichte Palästinas leidet unter ähnlichen, wenn nicht sogar schwerwiegenderen Restriktionen. Hier hat der aktuelle politische Konflikt zusätzlich einen großen Einfluss, da beide Seiten ihre Legitimation geschichtlich begründen wollen. So kritisiert etwa Albert Glock die hier vorfindbare „Voreingenommenheit“ sehr plastisch:

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Der guten Ordnung halber muss erwähnt werden, dass sich Karl Marx in seinem originalen Text (Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Berlin 1960, S. 198) natürlich nicht auf die „Orientalen“ bezog, sondern auf die französischen Kleinbauern. 34 Ahmed Sousah, Al Arab Wa Il Yahu¯d Fı¯ l-Tarih (Araber und Juden in der Geschichte) (Al ˘ Arab Wa Il Yahu¯d), Bagdad 1957, S. 56.

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Selbst dieser sucht aber keinen Bruch mit dem westlichen Establishment, sondern sieht sich durchaus auch als ein Teil von diesem. Der erste Band seiner monumentalen Geschichte der Araber und Byzanz ist etwa Nöldeke gewidmet. 36 Friedrich Delitzsch, Babel und Bibel. Rede von Delitzsch am 13. Januar vor der Deutschen Orientgesellschaft in Berlin, Berlin 1902, S. 3. Delitzschs Text wurde 1987 auch in das Arabische übersetzt.

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1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung „In general terms, bias is produced by uneven sampling of total data possibilities. Translated into the practical terms of field archeologists. This means that we excavate and save only what we think is important. Further, it is only what we save that we analyze, classify and describe. Our interpretation thus limits new data to answering old questions.“37

Diese Determinierung fokussiert die Geschichte auf einige bestimmte Ausschnitte und vernachlässigt andere Aspekte: „Until 1925, when the first evidence of Pleistocene hominids was uncovered, all excavations focused on biblical sites of interest to Jews and Christians (…). Since 1925 the interest of excavators has broadened only slightly.“38

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass ganze Themenstellungen keinen Eingang in die Forschungsagenda finden, wie etwa die für diese Studie wichtige Frage der Vermischung und Integration semitisch/arabischer Kulturen und die Transition von Rom zum Islam.39 Das Ergebnis dieser Selektion und Voreingenommenheit ist in diesem Fall die weitgehende Verdrängung der Araber aus der Geschichte Palästinas: „If we are to preserve an understanding of Palestine’s cultural history, we cannot allow the Arab people of Palestine to continue as the losers in the archeologist‘s cultural conquest.“40

In der vorliegenden Studie wird auch die arabische Sichtweise vorgestellt, die besagt, dass die Araber bzw. die arabischen/semitischen Völker unter verschiedenen Namen und Dialekten von jeher – also nicht erst seit dem fünften Jahrhundert – im Nahen Osten eine maßgebliche Kraft waren. Deshalb waren sie auch eng in das Römische Reich integriert. Die römische Eroberung bzw. Neuordnung der Provincia Arabia durch Pompeius verzögerte die Herausbildung eines eigenen arabischen Reiches „nur“ um einige Jahrhunderte. Die arabische Eroberung im siebten Jahrhundert ging deshalb auch relativ „einfach“ von statten, weil hier etwas vollendet wurde, was schon seit den Anfängen der arabischen/semitischen Migration von der arabischen Halbinsel seinen Ausgang nahm. Das Konzept der semitischen Sprachen verdeckt diese Präsenz zunächst und fördert die westliche Sichtweise, nämlich dass sich die Araber als ethnische Gruppe nicht wahrnahmen und somit keine eigene bewusste Identität besaßen. Der Islam – so die arabische Sicht – integrierte jedoch die hellenisierte arabische Kultur als auch die christlichen und jüdischen Einwohner des Oriens unter dem Mantel des semitischen Arabertums relativ problemlos: Die Gegensätze und Unterschiede zwischen diesen Elementen wurden wohl von ihren „arabischen/semitischen“ Gemeinsamkeiten übertrumpft. 37

Glock, Palestine, S. 49. Ders., Palestine, S. 51. 39 „Topics that receive scant attention or rare not discussed, and for which data are not collected: (…) The transition between Byzantine and the Umayyad and between the two succeeding periods (…) The distinctive material culture traditions of the polyethnic communities that formed the population base of Palestine in most periods to the present.“ Ders., Palestine, S. 53. 40 Ebd. 38

1. Einführung in das Problem der De-Arabisierung

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Trotz vieler Gemeinsamkeiten in der Religion, Sprache und Kultur wurde spätestens mit dem Scheitern der Kreuzzüge eine weitgehend komplette Abtrennung zwischen Arabien und Europa verfolgt. Die Zielsetzung dieser Abgrenzung war, das Christentum, das sein religiöses Kernland im Orient verloren hatte, als „neue“ westliche Religion zu etablieren. In weiterer Folge wurden bestehende Vorurteile und spezifische Betrachtungsweisen über die Araber, die von römischen und byzantinischen Historikern generiert wurden, durch westliche Betrachter modernisiert, adaptiert und in aktuelle politische Betrachtungen hochgeladen. Moderne wie klassische Diskurse scheinen oftmals von der Sorge oder sogar Angst gegenüber den Arabern oder dem Orient geprägt. Deshalb soll eine abwertende Sichtweise, die eigene Überlegenheit herausstreichen. Durch die De-Arabisierung wurden zudem Konturen der arabischen vorislamischen Zivilisation immer unklarer. Mit der Zeit gerieten dann viele Aspekte der gemeinsamen Geschichte in Vergessenheit. In jüngster Zeit hat dieser sich über die Jahrhunderte entwickelnde, selbstverstärkende und selbstreferentielle Prozess der Orientalisierung/De-Arabisierung Eingang in den „Kampf der Kulturen“-Diskurs gefunden. Damit wurden vorhandene Stereotypen verwendet, verstärkt und rückwirkend auf die arabische Zivilisation als auch auf die gemeinsame Geschichte übertragen. Das vorliegende Buch ist nun kein Geschichtsbuch im klassischen Sinne, da es vor allem westliche und arabische Sekundärquellen verwendet. Der Wert vorliegender Ausführungen mag jedoch in einer integrierten Perspektive auf den arabischen Faktor im Oriens und auch Arabien liegen und in den Hinweisen über mögliche politische Einflüsse, die diese Betrachtungen beeinflussen. Dies ist möglich, da viele Quellen durchaus in einer differenzierten Art und Weise über die Faktenlage berichten, die darauf basierenden Schlussfolgerungen aber oft eingeschliffenen Pfaden folgen, die man hier verlassen möchte. Wobei die Selbsterkenntnis bleibt, dass diese Interpretationen immer nur Interpretationen bleiben. In diesem Sinne mag auch hier die Art der Demut, von der Spencer Trimingham im Vorwort zu seinen Ausführungen über die arabische Christenheit vor dem Islam sprach, Geltung haben: „This book does not claim to be an historical study in any strict sense because the sources for such a study do not exist, but rather an attempt to put into perspective the issue of influence of Christianity upon Arabs (…), it is not claimed that any interpretations that have been drawn are anything more than tentative.“41

41 Spencer Trimingham, Christianity among the Arabs in Pre-Islamic Times (Christianity), Beirut 1990, S. XII.

2. Oriens und Arabien ohne Araber? In der Geschichtsschreibung der römisch-hellenistischen Phase des Oriens tritt das arabische Element oft nur schwer an die Oberfläche. Selbst auf der Arabischen Halbinsel, dem arabischen/semitischen Kernland, wird oftmals zwischen Arabern und Südarabern differenziert, wobei letztere eine völlig andere Sprache gesprochen und sich auch nicht als Araber verstanden haben sollen. Im Oriens selbst ist die eindeutige Identifikation vor allem auf die mit Rom verbundenen arabischen Stämme – den Foederati – beschränkt. Irfan Shahîd, der sich auf diese Gruppe fokussiert, umschreibt das Problem der Identifikation der Araber wie folgt: „Although the classical historians who wrote of the history of the region were aware of the ethnic affiliation of these groups, yet they did not refer to them by the generic term Arab, but by specific designations. In doing so, these authors reflected the fact that each of these Arab groups had developed its own identity during a long period of historical development, but they also unwittingly (sic!) obscured the other and larger fact that all these groups belonged to the same ethnic stock and were Arab. This has made the student of the Roman East in this period oblivious of the pervasive Arab presence in the Orient in the first century B.C. (…) Historians in modern times have used the various terms to designate the Arabs of the Orient in both the Roman and Byzantine periods, such as Semitic, Aramean and Syrian. Something could be said for the application of these terms in view of the fact that the Arabs were Semites, that they were in some respects Aramaicized, and did in fact live in Syria.“1

Diese arabische Geschichte ohne Araber kann man etwa damit begründen, dass unter dem römischen und hellenistischen Einfluss die arabische Identität verwässert wurde. Natürlich variierte der Grad, mit der arabische Gruppen diese erhalten konnten. So wurden etwa die arabischen Idumäer, die unter ihrem König Herodes eine wichtige Rolle im Orient spielten, völlig in die jüdische Nation absorbiert. Der Idumäer Herodes ist dann auch ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, die Ethnie im Einzelfall zu bestimmen. So kritisiert etwa Glen Bowersock Shahîd für seine Sichtweise, dass Herodes ein Araber sei: „It is propably not reasonable to include Herod the Great among the Arabs. Josephus takes care to inform us that Herod had an Arab mother. Had he believed that his father, an Idu-

1 Shahîd, Rome, S. 6. Mit dieser Problematik beschäftigte sich schon Strabo. Er behalf sich schließlich mit der Lösung, Araber, Armenier und Aramäer schon auf Grund ihrer Ähnlichkeiten gleich zu behandeln: „Die Völker der Armenier, Syrer und Araber zeigen nämlich in der Sprache, der Lebensweise und der Körperbildung eine große Stammverwandtschaft. Dies beweist die aus diesen drei Völkern gemischte Bevölkerung Mesopotamiens (…).“ Strabo, Geographica (Aus d. Altgriech. v. Albert Forbiger), Wiesbaden 2005, 1,2,41.

2. Oriens und Arabien ohne Araber?

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maean, was also an Arab, it seems most unlikely that he would have taken the trouble of singling out the mother for her Arab origin.“ 2

Indem er mehr auf die Zugehörigkeit Herodes zu der Gruppe der Idumäer fokussiert, identifiziert im Gegensatz Spencer Trimingham Herodes eindeutig als Araber: „Herod the Great of Judea came from another Arab grouping, known collectively as the Idumaeans. The ruling family became Hebraized in certain surface characteristics, but Herod was as much an Arab as his rival Aretas, king of the Nabateans, and both spoke Aramaic.“3

Sein Urteil basiert auf einer Bemerkung Strabos, dass die Idumäer ursprünglich arabische Nabatäer waren, die zwangsweise zum Judentum konvertiert wurden: „Judäas Westende nach dem Kasius hin nehmen die Idumäer und der See ein. Die Idumäer aber sind Nabatäer, welche durch den Aufstand von dort vertrieben wurden, sich zu den Judäern wandten und mit ihnen auch hinsichtlich derselben Gesetze in Gemeinschaft traten.“4

Nachdem die Römer das Gebiet besetzten, konnten viele der Zwangskonvertierten wieder zu ihrem alten Glauben zurückkehren, die Idumäer aber blieben Juden: „(…) the Idumaean Arab leaders found it convenient to remain with the Judeans.“5 Diese Argumentationskette wiederum kommt ins Wanken, wenn Autoren wie Jan Retsö und Greg Fisher die Nabatäer eher als Aramäer oder Semiten, aber nicht als Araber bezeichnen bzw. den arabischen Faktor in einer sehr typischen Art und Weise dekonstruieren/hinterfragen: „While there is no reason to suppose that Arabic was not used in the (Nabatean, AA) kingdom (sic!?), it may in consequence have been the commonly used language of only some of the population.“6 Diese De-Arabisierung der Nabatäer erfolgt allerdings vor dem Hintergrund, dass der sizilianische Historiker Demetrius in seiner „Universellen Geschichte“ das erste Zusammentreffen der Griechen unter dem einäugigen ehemaligen General Alexanders, Antigonus, und den „sogenannten nabatäischen Arabern“ 312 v. Chr. schildert, wobei es ihm klar ist, dass die Nabatäer Araber waren, und dass sie sich im engen Austausch mit anderen Arabern der Halbinsel befanden. Dies geht aus der detaillierten Darstellung der 2 Glen W. Bowersock, Studies on the Eastern Roman Empire (Studies), Aschaffenburg 1994, S. 396. Gut verfolgbar ist in diesem Beitrag auch der generell unzufriedene Unterton, mit dem der „Hellenist“ Bowersock Shahîds weitausholendes Eintreten für eine entsprechende Rolle der Araber im römischen Arabien betrachtet. 3 Trimingham, Christianity, S. 4. 4 Strabo, Geographica, 16,2,24. 5 Trimingham, Christianity, S. 34. 6 Fisher, Empires, S. 139. Jan Retsö, The Arabs in Antiquity. Their History from the Assyrians to the Umayyads (Arabs in Antiquity), London 2003, S. 369, kommt zu der Schlussfolgerung: „Apart from accounts preserved from Josephus, there is no immediate documentation that straightforwardly identifies Nabateans as Arabs before the Roman conquest of Syria.“ Glen W. Bowersock, Roman Arabia (Roman Arabia), London 1983, S. 59 ff., identifiziert die Nabatäer hingegen eindeutig als Araber.

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2. Oriens und Arabien ohne Araber?

arabischen Lebensweisen hervor, die er beifügt, um das schlussendliche militärische Scheitern der Griechen in der für sie ungewohnten Wüstenregion zu erklären.7 Mit dem Jahr 212 n. Chr. wurde den freien Bewohnern der römischen Provinzen das Bürgerrecht zuerkannt; die arabischen Peligrini wurden zu Rhomaioi. Dies und die Tatsache, dass viele auch den hellenistischen römischen Götterglauben übernahmen bzw. ihre arabischen Gottheiten mit diesen gleichsetzten und damit römische und griechische Namen annahmen, verdeckt oft die Rolle der Araber in dieser Region. So waren wahrscheinlich die bekannten Neo-Platonisten Iamblichus8 und Prophyry (sein „semitischer“ Name war Malchius) nabatäische Araber.9 Gerade in Nabatea mit seiner Hauptstadt Petra zeigte sich, welche Möglichkeiten die hellenistische Kultur bot: „The sophist Heliodorus, whom Philostratus describes as an Arab, had already made impression on Caracalla. We can identify a certain Callinicus from Petra a sophist who was sufficiently distinguished to practice rhetoric in Athens itself. And here he was confronted with a rival, Genethlius, who was also a native of Petra.“ 10

Dessen ungeachtet begegnen wir in einigen jüngeren westlichen Beiträgen über Arabien und dem Oriens in der vorislamischen Epoche der Situation, dass die Definition, wer ein Araber ist, zunehmend problematisiert wird. Oder anders ausgedrückt: „Was Araber sind, ist schwieriger zu beantworten, als es zunächst den An7

„Nachdem Antigonus ohne Kampf ganz Syrien und Phönicien wieder gewonnen, entschloß er sich zu einem Zug in das Land der sogenannten nabatäischen Araber; denn er glaubte, dieses Volk sey seinen Plänen hinderlich. Er bestimmte dazu einen seiner Freunde, Athenaus, gab ihm viertausend leichtbewaffnete Fußgänger und sechshundert der flüchtigsten Reiter mit, und trug ihm auf, diese Barbaren unversehens zu überfallen und ihnen ihr Vieh alles abzuspannen. Es wird um der Unkundigen willen zweckdienlich seyn, die Lebensart der Araber zu beschreiben, durch die es ihnen möglich wird, ihre Freiheit zu behaupten. Sie wohnen unter freiem Himmel und nennen die Wüste ihr Vaterland, die weder Flüsse, noch so reichliche Quellen hat, daß ein feindliches Heer mit Wasser versorgt werden könnte. Es ist bei ihnen Gesetz, weder Getreide zu säen, noch irgend ein zur Nahrung dienendes Gewächs zu pflanzen, keinen Wein zu trinken und kein Haus zu erbauen. Wer als Uebertreter dieses Verbots gefunden wird, dem ist die Todesstrafe bestimmt. Sie haben es deßwegen zum Gesetz gemacht, weil sie glauben, wer solche Bedürfnisse habe, werde leicht von den Mächtigen gezwungen werden, ihrem Willen zu gehorchen, damit er in den Besitz jener Dinge kommt. (…) Sie sind unter den vielen arabischen Hirtenstämmen bei weitem der wohlhabendste, während ihre Zahl nicht viel mehr als zehntausend beträgt. Denn Manche von ihnen sind gewohnt, Weihrauch, Myrrhen und die köstlichsten Gewürze, die aus dem sogenannten glücklichen Arabien gebracht werden, aufzukaufen und an die Seeküste hinabzuführen. Sie sind äußerst freiheitsliebend, und wenn ein starkes feindliches Heer herannaht, fliehen sie in die Wüste, die ihnen zur Schutzwehr dient.“ Diodorus, Historische Bibliothek (aus dem Altgriech. von Julius Friedrich Wurm), Stuttgart 1831, 19,94,1. 8 Der Name „Iamblichus“ leitet sich aus dem arabischen „Yamlik el“ ab und bedeutet soviel wie „El herrscht“. Vgl. Barbara Levick, Julia Domna. Roman Empress (Empress), London 2007, S. 15. 9 Vgl. Shahîd, Rome, S. 154. 10 Bowersock, Roman Arabia, S. 135.

2. Oriens und Arabien ohne Araber?

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schein hat.“11 Worin liegt nun die Problematik in der Verortung? In diesem Zusammenhang entwickelt die viel beachtete und auch kritisierte Studie von Jan Retsö eine radikal dekonstruierende Sicht: Araber als Nation zu betrachten ist nicht zutreffend, da diese sich nicht als solche verstanden: „It is extremely unlikely that the ,Arabs‘ would have been identified by themselves or by others in terms of a modern nation.“12 Dies ist auf den ersten Blick wenig verwunderlich und ist für die meisten Völker der damaligen Epoche zutreffend (was bedeutet hier aber eine „moderne“ Nation?), selbst wenn wir weiter unten feststellen werden, dass der Terminus „Araber“ von den Arabern selbst, aber auch von den Persern, Römern und Griechen immer wieder als eine Bezeichnung einer Bevölkerungsgruppe und auch geographischen Lokation gebraucht wurde. Die Problematisierung von Retsö geht aber noch weiter. Selbst wenn man eingestehen könnte, dass sich die Araber als solche nicht wahrnahmen – ähnlich wie die germanischen Stämme, die sich wohl selbst ja nicht als Teil einer „germanischen Nation“ verstanden – würde man doch annehmen, dass die arabische Sprache als ein Bindeglied zwischen den verschiedenen arabischen Gruppen dienen würde. Durch die gemeinsame Sprache und Kultur könnten die Araber somit eine „Kulturnation“ darstellen. Dies wird aber oft verneint und zwar mit dem Hinweis, dass das Arabische mit den damaligen anderen „Sprachen“ oft wenig zu tun hat: „There is no agreement among modern scholars on how to delimit a language which they call Arabic. All experts nowadays make a clear separation between languages in South Arabia, like Sabean etc., and those in other parts of the Peninsula, reserving the term later Arabic for the latter.“13

Dieses Nichterkennen der arabischen Sprache insbesondere auch im Oriens scheint auch damit zu tun zu haben, dass das Arabische keine offizielle Rolle hatte. Aramäisch war die sakrale Sprache und Schrift der Christen im Osten. In der Verwaltung war Griechisch und in der Legion Latein vorherrschend. Arabisch verblieb somit zumeist auf die persönliche Kommunikation beschränkt bzw. wurde in der hochspezialisierten vorislamischen Poesie verwendet.14 Allerdings benutzten die mit Rom ab dem vierten Jahrhundert verbündeten arabischen Stämme, die Foederati, Arabisch und trugen deshalb wohl zu einer stetigen Arabisierung bzw. Re-Arabisierung des Oriens bei. Bei den Foederati war der Assimilierungsdruck auch nicht so hoch, wie bei den arabischen Cives und wir können vermuten, dass das arabische Element hier unverfälscht beibehalten wurde.15 11

Hainthaler, Christliche Araber, S. 1. Retsö, Arabs in Antiquity, S. 109. 13 Ders., Arabs in Antiquity, S. 111. 14 Trimingham, Christianity, S. 224. 15 Die Rolle der Foederati bei der Herausbildung der arabischen Sprache und Poesie kann wohl nicht hoch genug bewertet werden: „Although they must have learned some Latin, as the language of the Roman army of which they formed a part, and more Aramaic, yet Arabic was their principal language, and those of the fourth century hailed from the region of the Lower Euphrates, in and around H¯ıra, which witnessed one of the earliest outbursts of pre-Islamic ˙ 12

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2. Oriens und Arabien ohne Araber?

Die obige Zusammenfassung Jan Retsös über das mangelnde oder gar nicht vorhandene Identitätsbewusstsein der Araber ist aus westlicher Sicht jedoch treffend, und wir würden hier noch ergänzen, dass mit „modern scholars“ natürlich vor allem westliche Wissenschaftler gemeint sind und nicht arabische. Man kann hier erkennen, dass das Problem der Eingrenzung der verschiedenen Sprachen offensichtlich einen wichtigen Beitrag zur De-Arabisierung leistet. Bevor wir nun die Betrachtung der Rolle der Araber weiter fortführen, macht es Sinn, sich zunächst diesem Problem zu stellen. Wenn wir die Araber nicht als Mitglieder einer bestimmten, wie auch immer schwach definierten, Nation bzw. Gemeinschaft betrachten können und auch die Sprache als Integrationsmedium wegfällt, ist es beinahe unmöglich diese Gruppe besser zu bestimmen. An diesem zentralen Punkt offenbart sich dann ein massiver Bruch zwischen den westlichen und den arabischen wissenschaftlichen Standpunkten. Die arabischen Wissenschaftler verweisen an dieser Stelle auf das künstliche Konstrukt der semitischen Sprachen, welches verdeckt, dass man es im Grunde mit einer arabischen Ursprache zu tun hat und nicht mit einer nie gefundenen semitischen Ursprache eines nie gefundenen semitischen Urvolkes. Die westlichen Forscher waren sich auch von Anfang an im Klaren, dass man hier ein biblisches Referenzsystem verwendete, welches ob seiner Restriktion aber seinen Zweck erfüllte: „Der Name, den zuerst Schlözer vorgeschlagen hat, ist daher genommen, dass die meisten Völker, welche eine dieser Sprachen reden, in der Genesis von Noah’s Sohn Sem abgeleitet werden. Freilich geht die Völkervertheilung der Genesis, namentlich des 10. Capitels, weder von einem sprachlichen, noch von einem ethnographischen Gesichtspunct aus, sondern berücksichtigt mehr geographische und politische Verhältnisse. Darum werden unter Sem’s Kindern auch Elam und Lud genannt, während doch weder die Elymiler (in Susiana), noch die Lyder eine der hebräischen verwandte Sprache gehabt zu haben scheinen. Anderseits werden die Phönicier (Kanaaniter), deren Dialect dem der Israeliten doch ganz nahe stand, in der Genesis nicht zu den Semiten gerechnet. Über die Verhältnisse der südarabischen und äthiopischen Völker hatte ausserdem der Compilator der Völkertafel (Gen. 10) keine klare Vorstellung. Trotz alledem wäre es verkehrt, wollte man den allgemein recipierten Namen ,Semiten‘ ,semitisch‘ aufgeben. Da es für grosse Sprachen- und Völkergruppen keine natürlichen Bezeichnungen giebt – denn die Völker waren sich ihres verwandtschaftlichen Zusammenhangs nicht bewusst – so muss die Wissenschaft künstliche Namen dafür schaffen, und es wäre gut, wenn alle diese Benennung so kurz und deutlich wären.“16

Davon abgesehen, dass man durchaus nicht ausschließen kann, dass sich die arabischen/semitischen Völker ihrer Beziehungen bewusst waren – man verstand sich ja untereinander scheinbar weitestgehend problemlos – bemängeln die arabischen Wissenschaftler zumeist – und ein Stück weit mag hier ein gekränkter Nationalismus mitspielen –, dass man eigens einen noch dazu biblischen Terminus für poetry. It was through the medium of Arabic that the earliest attested Arabic poetry in Oriens was composed in the fourth century for these very Foederati, thus preluding a long tradition of Arabic poetry composition in Oriens.“ Shahîd, Fourth Century, S. 21 f. 16 Nöldeke, Skizze, S. 25.

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die arabischen Stämme erfinden musste, obwohl die Gegend, aus der die semitischen Sprachen und Stämme stammten, von den meisten Wissenschaftlern – hier sind sich westliche und arabische Forscher einig – die arabische Halbinsel war. Selbst Nöldeke gibt – wenn auch vorsichtig – zu, dass die Heimat der „Ursemiten“ wohl Arabien war: „Dafür scheint manches zu sprechen. Wir können von Alters her beobachten, wie sich Stämme der arabischen Wüsten in den Kulturländern niederlassen und richtige Ackerbauer werden. Spuren in der Sprache scheinen darauf hinzuweisen, dass auch die Hebräer und die Aramäer in der Urzeit lange Nomaden gewesen sind, und Arabien und dessen nördliche Fortsetzung (die syrische, aber auch die mesopotamische Wüste) ist das echte Land der Nomaden. Dazu kommt, dass die Araber den semitischen Character am reinsten zeigen sollen und dass ihre Sprache dem Ursemitischen immerhin näher steht als die andern.“17

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Aus arabischer Sicht beginnt hier schon die erste Verwischung. So kritisiert etwa Mohammed Akl, dass Nöldeke zwar die Limitation des Begriffes der semitischen Sprachen durchaus erkennt, aber daraus keine Rückschlüsse zieht: „Er neigt zu der Anerkennung, dass die semitischen Völker alle aus der arabischen Halbinsel kamen, allerdings bezeichnet er deren Wanderungen nicht als arabische Migrationen, ohne dass er dies erklärt oder Gründe hierfür angibt.“18 Nöldekes „Zurückhaltung“ gegenüber dem arabischen Element ist auch bei seiner Studie über das „semitische“ Volk der Amalekiter zu spüren. So fällt hier etwa der oft zitierte Satz: „Man hüte sich vor der Meinung, dass alle Semitischen Wüstenvölker durchaus nur Araber in unserer jetzigen Auffassung des Wortes gewesen sein könnten.“19 Davon abgesehen, dass dieses von den arabischen Forschern auch nicht behauptet wird, ist Nöldekes Ausführung über dieses Volk bemerkenswert. Er weist die arabischen Quellen – die die Amalekiter als Urvolk und als „echte Araber“ bezeichnen – zurück, weil die Araber keine schriftlichen Überlieferungen haben und eben ein Nomadenvolk sind, „(…) dessen historisches Gedächtnis, durch keine schriftliche Urkunde unterstützt wird. (…) Wie kann man nun den arabischen Nachrichten über die Amalekiter Gewicht beilegen, zumal da sie grösstentheils ganz fabelhaft klingen und dazu mit den sicheren Angaben des A.T. (sic!) im Widerspruch stehen.“20

Wir erkennen hier die Argumentationslinie recht klar: Wenn die betroffenen Gruppen keine arabischen Völker gewesen sein können, müssen sie eben irgendetwas anderes gewesen sein, was man nicht genau definieren kann und so der künstlich geschaffenen Obergruppe der „Semiten“ zuweist. Nun könnte man meinen, dass diese Ausführungen durchaus etwas veraltet, engstirnig, bibelorientiert und

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Ders., Skizzen, S. 12 f. Mohammed Akl, Abgˇadyyet al Qur a¯n Min Memlaket Sab a¯ (Die Schrift des Koran kommt aus dem Königreich Saba) ( Abgˇadyyet), Beirut 2009, S. 30. 19 Theodor Nöldeke, Über die Amalekiter und einige Nachbarvölker der Israeliten (Amalekiter), Göttingen 1864, S. 23 f. 20 Ders., Skizze, S. 28. 18

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vielleicht sogar rassistisch sind.21 Wir müssen aber erkennen, dass Nöldekes Festlegungen (oft genug) immer noch nah am modernen wissenschaftlichen Mainstream sind: Im Zweifelsfall werden Araber als Semiten deklariert, deren Herkunft man im Einzelfall nicht näher definieren kann.22 Man kann natürlich die arabischen Reaktionen auf die Verwendung des Konstrukts der semitischen Sprachen/Völker und die Beschreibung dieser Elemente als arabische Stämme und Dialekte, als einen nationalistisch inspirierten Etikettenschwindel abtun. Allerdings fällt auf, dass die Schaffung einer künstlichen, weil vom bekannten geographischen Ursprung abgehenden, Gruppe an Sprachen und Völkern weltweit durchaus etwas Einzigartiges hat: „We know that the Latin people (and language) take their name from the region Latium in central Italy. We also know that the word English, used to describe a person of certain origin and specific place, owes its existence or takes its configuration from the Land of ,Angeln‘ in Germany (…) So, where in any geographical or inscriptional records can we find a region in the Middle East called Shem or a language called Shemitic?“23

Für diese Argumentation scheint auch zu sprechen, dass der Nachweis für ein ursemitisches Volk nicht erbracht werden konnte: „Strangely enough, the same scholars who uphold the existence of the never existed Semites demand inscriptional evidence to validate the Arabs assertion that they are Arabs.“24 Wenn arabische Betrachter die semitischen Sprachen und Wanderungen als „Arabisch“ definieren, so ist dies nun wohl mehr als nur ein Zeichen erstarkenden Selbstbewusstseins: „If correct order is relevant to any classification, then all the languages of the Old Near East should be described as Arabic languages, because all available historic, geographic and linguistic evidence show Arabic, which was spoken by the absolute majority in the Peninsula, is what all other tongues are related to and can be derived from.“25

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Viele arabische Wissenschaftler unserer Epoche beziehen sich in ihren Aussagen zu den arabischen/semitischen Völkern auf das Standardwerk des irakischen Historikers Gawad Ali, der im Vorwort seiner Enzyklopädie über das vorislamische 21 Nöldekes Meinungen über die Araber werden heute etwas diplomatischer so formuliert: „Though Nöldeke and Wellhausen had something of a soft spot for pre-Qur’anic tribesmen, neither their work nor Kremer’s was generated by a deep sympathy with the cultures under study.“ Suzanne L. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship (German Orientalism), New York 2009, S. 186. 22 Nöldekes Zitat, dass man sich hüten soll, alle semitischen Wüstenvölker als Araber in unserer Auffassung zu bezeichnen, findet sich etwa im Werk von Retsö, Arab in Antiqiuties, S. 1, in denen er die Definition der Araber problematisiert und den Ausführungen von Bowersock, Studies, S. 369, in denen er argumentiert, die Idumäer seien wohl nicht ein arabischer Stamm, sondern semitisch. 23 Abulhab, DeArabizing, S. 55 f. 24 Ders., DeArabizing, S. 61. 25 Ders., DeArabizing, S. 55.

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Arabien hierzu grundsätzlich bemerkte: „Der Begriff arabische Völker ist der passendste Begriff für diese semitischen Völker. Es ist die Zeit gekommen den Begriff ,Arabisch‘ anstatt ,Semitisch‘ zu verwenden.“26 In diesem Vorwort wird auch erkenntlich, wie Ali damit ringt, diese neue Begrifflichkeit gegenüber den westlichen Betrachtungen durchzusetzen, die er ja ebenfalls als Grundlage verwendet, vor allem auch, da ihm klar ist, dass die Wanderung der semitischen Völker mit der Wanderung der arabischen Stämme im siebten Jahrhundert, die ja namentlich bekannt waren, nicht völlig gleichzusetzen ist.27 Dieses „Ringen“ um die richtige Benennung der arabischen/semitischen Sprachen und Völker wurde dann auch von Philip Hitti, dem manche arabische Historiker implizit seine westliche Sichtweise vorwerfen, durch den originellen Weg gelöst, diese Gruppen nicht als „arabische Völker“ sondern als „Arabier“ zu bezeichnen.28 Eine arabische linguistische und wohl auch kulturelle Klammer fügt den Dialekten, Sprachen, Völkern und Zivilisationen der arabischen/semitischen Welt inklusive des römischen Oriens eine wichtige Konsolidierungsebene hinzu. In den arabischen Argumentationen wird dem alten Arabisch dann durchaus eine Qualität als Referenzsprache zuerkannt, die die westlichen Wissenschaftler für das niemals gefundene Ursemitisch reserviert hätten: „Even though Muslim Arabs may have imposed their religion on the pagan majority of Arabia through protection and tax incentives, their old Arabic language and is closely related drived dialects were already dominant in the Arabian Peninsula, Fertile Crescent and the North and Horn of Africa. Structurally, Old Arabic was the root tongue to Aramaic Nabatean, Babylonian, Mandaic, Hebrew, Phoenecian and other evolved dialects. (…) It is clear that many tribes of the Arabian Peninsula who spoke initially an earlier version of the Arabic language (closely related to the old Yemen language) had migrated North carrying with them their languages and dialects, which were gradually changed consequent to interactions with Northern local and foreign populations. In time, this language and dialects evolved to form either significantly dialects now we call languages (i.e Aramaic, Hebrew), or slightly different dialects (i. e. Nabatean and Hijazi, or the dialects of Najd and Eastern Arabia). The most accurate, scientific and impartial term to name the family encompassing all these newly formed languages and dialects is therefore, Arabic.“29 26

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Gawad Ali, Al-Mufassal Fi Tarih Al- Arab Qabal l- Islam (Ausführliche Geschichte der ˙˙ Araber vor dem Islam) (Al-Mufas sal), ˘Bagdad/Beirut 1971, 1. Band, S. 7. ˙˙ 27 Ebd. 28 Hitti, Syria, S. 62; ders., History of the Arabs (History) (5. Aufl.), London 1951, S. 43. 29 Abulhab, DeArabizing, S. 63, 57. Wie schon erwähnt, bedeutet dies nicht, dass alle europäischen Wissenschaftler der hier zugespitzten europäischen Sicht anhängen. Als Beispiel sei hier etwa Peter Funke erwähnt, der die Klammer der Sprache sehr wohl erkennt, diese aber durch den Tribalismus und politische Einflussnahme geschwächt sieht: „So stellt sich die Geschichte der arabischen Macht- und Staatenbildungen in der Antike als eine Geschichte zwischen Selbstbehauptung und Unterwerfung dar. Wenn Staatenbildung immer auch etwas mit der Suche nach Identität zu tun hat, dann zeigt sich hier ein Dilemma der arabischen Welt, das in der Antike und Jetztzeit gleich schwer wiegt. Die Rivalitäten zwischen den verschiedenen Stämmen und Teilstämmen, Clans und Familien, die die verbindende Gemeinsamkeit von Sprache und Kultur überlagerten, waren schon in der vorislamischen Zeit das größte Hindernis

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2. Oriens und Arabien ohne Araber?

Die Wirksamkeit dieser Klammer wird auch durch ein anderes Verständnis der „semitischen“ Migrationsbewegungen durch einige arabische Forscher verstärkt. So entwirft etwa Mohammed Daoud ein Bild von Bewegungen arabischer Bevölkerungsgruppen, das mehr mit den traditionellen Wanderbewegungen nomadischer Gruppen zu tun hat, als mit Eroberungen und Einfällen. Von diesen nomadischen Gruppen spalteten sich, in deren über die Jahrtausende währenden Wanderbewegungen, immer wieder Teilgruppen ab, die in den nördlichen Regionen Städte und Staaten gründeten, genauso wie es noch die heutigen arabischen Beduinengruppen tun, deren Mitglieder in den einzelnen Golfstaaten regieren und deren nicht sesshafte Teile noch immer Wanderbewegungen vollziehen.30 In dieser Sichtweise entsteht durch diese zyklischen Bewegungen ein integrierter Raum, da sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten „(…) in alle Himmelsrichtungen der arabischen Gebiete getragen und bewahrt werden konnten.“31 Anfänglich war diese arabische/semitische Klammer auch westlichen Beobachtern durchaus ersichtlich: „Die Verwandtschaft der semitischen Sprachen untereinander ist ziemlich eng, jedenfalls enger als die der indoeuropäischen (indogermanischen). Die älteren semitischen Sprachen stehen von einander kaum weiter ab als die verschiedenen germanischen Dialecte. Daher haben schon die grossen Orientalisten des 17. Jahrhunderts (wie Hottinger, Bochart, Castel, Ludolf) ein leidlich klares Bild von der Verwandtschaft der semitischen Sprachen gehabt, die ihnen bekannt waren: ja schon viele Jahrhunderte früher jüdische Gelehrte wie Jehuda ben Koraisch (etwa Anfang des 10. Jahrhunderts).“32

Und auch bei jenen Gruppen, die sich schon weit auseinander entwickelt hatten, wurden durchaus noch die ursprünglichen Wurzeln erkannt: „The Hebrews, it has become plain, were simply an Arab clan which, under strange and unique guidance, entered Palestine and settled there. But they remained Arab, although they denounced the name. And their literature, throughout all their history and to this day, in its methods of production and in its recorded forms, is of Arab scheme and type. Every kind of literature in the Old Testament, with partial exception of the Psalms, finds a pigeonhole for itself in the great scheme of Arabic letters. Many even of the Psalms find their parallels, in the poems of the desert. And, further, while the Hebrew literature has often a spirit, a variety

auf dem Weg zur Bildung großer, lebensfähiger Staatengebilde.“ Peter Funke, Die syrischmesopotamische Staatenwelt in vorislamischer Zeit. Zu den arabischen Macht- und Staatenbildungen an der Peripherie der antiken Großmächte im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit (Staatenwelt), in: B. Funck (Hrsg.), Hellenismus. Beiträge zur Erforschung von Akkulturation und politischer Ordnung in den Staaten des hellenistischen Zeitalters, Tübingen 1996, S. 217 – 238, hier S. 234. 30 Daoud, Tarih Su¯riyya, S. 95. ˘ 31 Ders., Tarih Su¯riyya, S. 88. ˘ 32 Nöldeke, Skizze, S. 2.

2. Oriens und Arabien ohne Araber?

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of picture, and an essential life lacking that in that of the Arabs, it is in comparison small in amount.“ 33

Natürlich erkennen auch die arabischen Betrachter, dass die damalige arabische Sprache in viele Dialekte zerfiel und wenig mit dem heutigen Arabisch zu tun haben mag.34 Allerdings unterscheiden sie sich von den westlichen Forschern in einem sehr wesentlichen Punkt: Ist die arabische sprachliche und kulturelle Klammer für manche westlichen Orientalisten anscheinend kaum mehr relevant,35 und wurde dieser Referenzrahmen durch die zunehmende wissenschaftliche Spezialisierung auf einzelne Dialekte und Zivilisationen immer schwerer erkennbar, so ist sie für viele arabische Sprachforscher sehr wohl intakt. Mit dem klassischen Arabisch als „Matrixsprache“ können ja etwa andere semitische Sprachen referenziert werden: „Von der Aussprache und dem Aufbau her ist es (klassisches Arabisch, AA) eine der wenigen Sprachen, die man in Werken finden kann, die bis zu 2000 v. Chr. datiert werden können. (…). Es ist eine der Sprachen, mit der man Keilschrifttexte, kanaanitische und jemenitische Schriften verstehen kann, wenn man diese in das Arabische transkribiert.“36

Durch diese Verbindung bzw. Klammer entsteht ein faszinierender geschichtlicher Betrachtungsraum. Denn wenn Arabisch als Referenz heute noch funktioniert, dann muss es auch in der Geschichte eine weitgehend einheitliche Verständigungsmöglichkeit in dieser Region gegeben haben: „If we study the transcriptions of Northwest-Semitic names and words into cuneiform and hieroglyphic about 2000 B. C., we find only comparatively insignificant marks of different dialects; the forms of nouns and verbs both agree so closely with those in South Arabian from the eighth century B. C. on and in North Arabic from about the seventh century B. C. that we may safely infer the existence of what was substantially a common language, understood from the Indian Ocean to the Taurus and from the Zagros to the frontier of Egypt. This common language (excluding Accadian and other possible extinct Semitic tongues) was probably almost as homogeneous as was Arabic a thousand years ago, i. e., many local dialects were spoken, but the differences between them were mostly too slight to offer any serious barrier to social intercourse. This stage is reflected in Hebrew genealogical tradition,

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33 Duncan B. McDonald, The Hebrew Literary Genius. An Interpretation Being an Introduction to the Readings of the Old Testament, Princeton 1933, S. 1. Zu arabischen Namen im Alten Testament vgl. Hitti, History, S. 40. 34 Ali, Tafsı¯r, S. 20 f. Als Referenz dieser Diversität wird auch der von einem unbekannten verfassten Periplus (Seereisebericht) des Eryträischen Meeres herangezogen (ca. 1. Jahrhundert), die über die Küste des Roten Meeres berichtet: „Nach diesem Orte erstreckt sich sofort ohne Unterbrechung das arabische Land, das sich der Länge nach weithin am Eryträischen Meere ausdehnt. Verschiedene Völkerschaften wohnen in demselben, von denen sich die einen nur einigermassen, die anderen aber gänzlich ihrer Sprache nach unterscheiden.“ B. Fabricius, Der Periplus des Eryträischen Meers, Leipzig 1889, § 20. 35 „Die Zeit, da Hebräer, Araber u. s. w. ein Volk bildeten, liegt so fern, dass keines dieser Völker davon eine Tradition mehr haben konnte.“ Nöldeke, Skizze, S. 12. 36 As ad, Mustesˇriku¯n, S. 186.

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2. Oriens und Arabien ohne Araber? in which no sharp distinction is made between Hebrews, Aramaeans, and Arabs in the days of the Patriarchs.“37

Arabien und der Oriens waren, so betrachtet, also ein Raum, der sich über Epochen hinweg aus einer alten arabischen Sprache heraus entwickelt hat. Zwar hatten sich über die Zeit unterschiedliche Dialekte entwickelt, behielten aber dennoch gewisse sprachliche Ähnlichkeiten bei.38 Sprachschwierigkeiten zwischen den einzelnen Gruppen sind zumindest auch nach den islamischen Überlieferungen nicht bekannt: „There is no single evidence that they used translators to communicate with the local population. History teaches us that before the emergenge of Islam, Prophet Muhammad did not only trade goods, during the frequent visits to Damascus area, but had also conversed about deep philosophical, sociological and religious topics with local prominent figures in that area. Yet, he is known to have been speaking one language: Arabic. It is true that before Islam, that Aramaic and Syriac languages were fully established in many areas of the Fertile Crescent, but so was Nabatean Arabic, the language of the majority in the region, and old Arabic, their mother and matrix tongue.“39

Bei allen unterschiedlichen Dialekten, konnte man wohl auf eine Art arabische „lingua franca“ zurückgreifen.40 Die Araber – so könnte man die arabische Sichtweise interpretieren – können sich dieser sprachlichen Ähnlichkeiten bewusst gewesen sein bzw. war ihnen durch ihre Wanderungen und den vielen Begegnungen mit anderen Gruppen klar, dass sie mit 37

Allbright, North-Canaanite, S. 21. Und natürlich kam es durch die Migrationsbewegungen immer wieder zu Transformationen. So ist etwa eine stetige Arabisierung der aramäisch sprechenden Bevölkerung Mesopotamiens zu vermuten: „Around the Euphrates a number of Aramaean nomad tribes took over establishments on the river as a kind of settled base, and within a short time they had merged with Arab nomads and had adopted the Arab language. (…) The process by which other nomads speaking the language we now call Arabic infiltrated into the steppe zones that the Aramaeans dominated is entirely unknown, but we may presume it had been going on persistently. (…) the merging of Aramaean nomads with Arab nomads can be illustrated by the Arab clans of Hagar, who recorded as submitting, together with other Aramaeo-Arab assimilated groups, to TiglathPileser I around 1100 BC.“ Trimingham, Christianity, S. 9 f. 39 Abulhab, DeArabizing, S. 190. Dies soll nicht bedeuten, dass es niemals Verständigungsschwierigkeiten gegeben haben wird. So wird etwa berichtet, dass der aramäisch/syrisch sprechende Metropolit des Oriens, Ahu¯demeh, der die noch heidnischen Teile des in Syrien im 6. Jahrhundert siedelnden arabischen˙Stammes der Tanu¯kh bekehrte, Arabisch als „schwierige Sprache“ empfand und sich deshalb lokaler Gläubiger und Kleriker bedienen musste. Shahîd, Fourth Century, S. 419 ff. 40 Hittis Beispiel über die verschiedenen Sprachen/Dialekte im syrischen Palmyra der vorislamischen Zeit ist hier ein gutes Beispiel, wobei Hitti dem Arabischen hier nur eine sehr untergeordnete Rolle zuweist „The dialect spoken by the Palmeyrenes belonged to Western Aramaic rather than Eastern Aramaic. It was virtually the same as that used in Syria, Nabatea and Egypt, not different from the one spoken by Christ. The cultural class, no doubt, spoke Greek as well as Aramaic. Arabic was presumably understood by men in business and used by some Palmyrenes as a vernacular.“ Hitti, Syria, S. 399. 38

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ihrem arabischen Dialekt eine zentrale Verständigungsmöglichkeit innerhalb der „semitischen“ Völker hatten und vielleicht sogar, dass sie im Besitz einer zentralen Referenzsprache waren. Mit dieser Verständigungsmöglichkeit muss ihnen auch bewusst gewesen sein, dass sie zu all diesen „Völkern“ eine gewisse Nähe oder sogar Verwandtschaft besaßen. Wir können nur erahnen, wie sie dies alles wahrgenommen haben. Aber vielleicht war das für viele Beobachter nicht erkenntliche kollektive Bewusstsein der Araber jener Phase auch damit begründet, dass sie diese Identität zwar erkannten, aber keine große Notwendigkeit sahen, diese als Konstrukt in Interaktionen zu verwenden. Die unmittelbare Institution war der Stamm und Interaktion außerhalb dieser Entität geschah – wie man unschwer erkennen konnte – mit Stämmen und Staaten, die verwandte Dialekte sprachen und keine große Fremdartigkeit aufwiesen. Sprachliche und wohl auch kulturelle Gemeinsamkeiten waren ja vorhanden und deshalb auch keine Notwendigkeit und Möglichkeit gegeben, sich abzusondern bzw. eine zusätzliche Entität zu fordern. So gibt es im Arabischen kein Wort für „Arabien“ (die Arabische Halbinsel wird „Arabische Insel“ genannt). Wenn man heute einen Einwohner der zentralen arabischen Halbinsel nach seiner Herkunft fragt, würde er wohl mit „Saudi“ antworten: dem Namen eines Clans. Als aber der Islam die Staatswerdung forcierte, gelang dieses Unterfangen auf ethnischer Basis recht mühelos, indem die vorhandenen und bekannten arabischen Identifikationsmerkmale politisch aktiviert wurden. Wir haben darüber hinaus Indikationen, dass ein gewisses Gemeinschaftsgefühl aus dieser sprachlichen kulturellen Klammer heraus auch vor dem Islam existierte. So zitiert etwa Robert Hoyland ein Gespräch zwischen dem Großvater des Propheten, Abd Al-Muttalib, und einem der letzten jemenitischen Herrscher, Sayif I. Di Yazhan, indem dieser wie folgt angesprochen wird: „God has granted you a realm fine, firm and fair (…) you are the head of the Arabs whom they will follow.“41 Es ist nun sehr interessant zu verfolgen, wie westliche Beobachter mit dieser Überlieferung umgehen. Da eine solche arabische Identität aus westlicher Sicht zu dieser Zeit nicht existent war und Südaraber ja sowieso keine Araber waren, ist hier Hoyland wieder gezwungen, auf die alte Unterscheidung zwischen Norden und Süden zu referenzieren und die Bezeichnung eines „südarabischen“ Herrschers als arabischen König als inkorrekt zu bezeichnen: „Though cast here as an Arab hero, Sayf in fact belonged to an ancient Hadramite family who would certainly not have considered themselves Arabs (ancient south Arabien inscriptions draw a clear distiction between Arabs and native people of Yemen (sic!)).“42

Robert Hoyland erklärt diesen „Schwindel“ damit, dass die Aufzeichner dieses Gesprächs im Jahre 828 n. Chr., in einer Zeit also, als der arabische Nationalethos bereits ausgeprägt war, diese Bezeichnung quasi rückwirkend anwendeten: „There existed a very clear conception of Arab identity and it was applied retroperspectively

41 Robert G. Hoyland, Arabia and the Arabs. From the Bronze Age to the Coming of Islam (Arabia), New York 2001, S. 229. 42 Ebd.

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to all inhabitants of pre-islamic Arabia.“43 In der schon skizzierten de-arabisierenden Grundhaltung muss dann auch Greg Fisher – für den die arabische Schrift und damit wohl so etwas wie Identität ja erst mit dem Jahre 500 n. Chr. in Erscheinung tritt – zu dem Ergebnis kommen, dass die Wahrnehmung der Araber als solche sehr problematisch anzusehen sei: „In the absence of direct evidence, it is imposible to state with any certainty how the Arabs of late Antiquity viewed themselves with regard to their ethnic identity.“44 Zu einer solchen Erkenntnis kommt er, weil er – wie Retsö – die Klammer der arabischen/semitischen Sprache nicht erkennen kann und ihm diese deshalb als Identitätsstifter nicht zur Verfügung steht: „The question of what role language played in creating and reinforcing identities poses especial difficult problems. (…) it seems reasonable to assume, at least, that the use of Arabic in general, as well as for oral traditions, surely played a role in defining commonality and difference, although, like so much here, we lack the specific evidence to understand how exactly how this might have occurred.“45

Dass mit einer solchen Sichtweise, die sich auf den Mangel an eindeutigen Beweisen und vor allem aber auf eine selektive Wahrnehmung über die „arabische“ Sprache gründet, die auf einmal hervorbrechende Identität der Araber mit dem Islam nicht erklären kann, liegt auf der Hand. Die Araber wurden dann „quasi“ aus dem Nichts zu einer Staatsnation, da sie das Stadium der Kulturnation übersprungen hatten. In Bezug auf die arabische Klammer um all diese arabischen/semitischen Stämme und Sprachen herum, kam in der letzten Zeit eine neue Perspektive hinzu, die sich vor allem auf die Auswirkungen des Hellenismus auf die Araber fokussiert. In diesem Kontext machte etwa Glen Bowersock darauf aufmerksam, dass der hellenistische Götterpantheon auf die Araber einen prägenden Einfluss hatte und zur Stärkung der arabischen Identität beitrug.46 Er baut hier auf früheren Erkenntnissen von Gustav von Grunebaum auf, welcher im Gegensatz zu Jan Retsö den Süd- und Nordarabern vor dem Islam durchaus den Status einer Kulturnation zuerkennt.47 Diese Kulturnation macht sich vor allem in dem gleichartigen Lebensrhythmus dieser Völker fest, an ihrer Ablehnung von Tyrannen sowie ihrem Kampf gegen externe Usurpatoren. Diese arabische Klammer konnte nicht durch die Rivalitäten zwischen den einzelnen

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Ebd. Fisher, Empires, S. 170. 45 Ebd. 46 Glen W. Bowersock, Hellenism in Late Antiquitiy (Hellenism), Ann Arbor 2005, S. 77 ff. 47 Gustav E. von Grunebaum, The Nature of Arab Unity before Islam (Unity), in: Arabica, 10, 1963, S. 5 – 23, hier S. 5. Retsö, Arabs in Antiquity, S. 623 ff., sieht die Araber hingegen eher als Art Kriegerkaste. Er bemerkt ebenso ihr „Verschwinden“ in den Quellen („The disappearing Arabs“) und vermutet dann, dass etwa die Verwendung des Begriffs „Sarazenen“ anstatt „Araber“ ab dem vierten Jahrhundert etwas mit der Veränderung der Kriegstechnologie zu tun hat (Pferde, Rüstungen). 44

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Gruppen48 und auch nicht durch die vielen einzelnen Dialekte in Frage gestellt werden: „To emphasize the evidence for intense linguistic fragmentation is to emphazize its failure to destroy the reality and the consciousness of that community which kept the Arabs together as an acknowledged culture group.“49 Diese arabische Identität wurde auch nicht durch das Fehlen eines Standards für Sprache und Schrift beeinträchtigt, im Gegenteil scheint genau dieses, die notwendige Flexibilität einer derartigen Identität ermöglicht zu haben: „The absence of a written standard language in the outlying regions helps keep linguistics separateness below the threshold. Is it too much to claim that it was the decision of the Dutch to use their speech as Schriftsprache which made their crystallization as a nation distinct from their German neighbours irrevocable?“50

Was also, wenn dieses Nationalgefühl oder eher vielleicht implizite Wissen über ein Zusammengehörigkeitsgefühl lange vor dem Islam vorhanden war? Können wir ausschließen, dass sich Gruppen, die sich in ihrer Sprache sehr ähnlich sind, die Geschichten und Mythen über ihre gemeinsame Heimat aufbewahrten,51 nicht zumindest doch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entwickeln konnten? Zumindest aber von der Notwendigkeit absahen, sich als Mitglieder einer exklusiven arabischen Nation zu wähnen, da dies in einer Region, in der offensichtlich sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten herrschten, keinen Sinn gemacht hätte? Die Nation war einfach keine politische Kategorie, die institutionell wirksam war. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Identifikation über die ethnische Zugehörigkeit unbekannt war. Die Araber selbst, schienen ja mit der Identifikation von anderen Arabern keine großen Probleme gehabt zu haben. Gustav von Grunebaum machte auf ein interessantes Phänomen aufmerksam, das in diesem Kontext stimmig ist: Die Araber identifizierten sehr wohl andere Araber als „Arab“, bezeichneten sich selbst aber zumeist als Stammesmitglied:

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„A precious stallion might belong ,to a man of the Arabs‘ (…), an individual might be described as ,one of the tramps of the Arabs‘ (…), a tribe defined as ,Quraisˇ of the Arabs‘, yet the individual would remain a Quraisˇ¯ı whose group would then belong to a Mudar, but not to ˙ Isma¯ ¯ıl, or any other hero representing the Arabs in their entirety.“ 52

Probleme, die Araber zu identifizieren, hatten auch andere Völker nicht. Und so ist es nicht überraschend, dass zu neuassyrischer und neubabylonischer Zeit, spätestens aber seit Mitte des achten Jahrhunderts v. Chr. ein Land der Araber, „Ma¯t 48 „Although the sentiment of ,Arabism‘ was primarily and overwhelmingly located in the tribes, their ephermal alliances and perpetual skirmishes do not appear to have curtailed this sense of identity: precisely as the incessant internecine warfare between the Greek states left their Hellenic identity untouched.“ Ders., Unity, S. 2. 49 Ders., Unity, S. 10. 50 Ebd. Zu der Flexibilität des Arabischen siehe auch John E. Wansbrough, Lingua Franca in the Mediterranean, Surrey 1996, S. 37 ff. 51 Siehe unten etwa die Abstammung der Phönizier aus der Golfregion um Bahrain Kap 5. 52 von Grunebaum, Unity, S. 16.

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2. Oriens und Arabien ohne Araber?

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Aribi“, existierte. Diese Bezeichnung wurde für ein Gebiet verwendet, welches sich halbmondartig vom Arabischen Golf bis ans Nordende des Roten Meeres erstreckte. Dessen äußere Krümmungslinie wurde von den Landschaften Babylonien-Mesopotamien-Syrien und Palästina gebildet, dessen innere Linie von den Oasen Duma, Tema und Dedan begrenzt.53 Unter der Herrschaft des Dareios (ca. 500 v. Chr.) wurde dieses Gebiet, um die Regionen des Ostjordans, den Sinai und die Landstriche rechts des Nils vergrößert und als Satrapi „ Arba¯ya“ verwaltet.54 Unter römischer Herrschaft finden wir in Teilen dieses Gebiets die „Provincia Arabia“ wieder.55 Die Römer selbst identifizierten in allen geographischen Betrachtungen zwei Regionen als Heimat der Araber: Neben dem abseits liegenden „Nome Arabia“ in Ägypten definierten sie hier „Arabia Deserta“ als die nördliche Wüstenregion östlich von Pelusium bis nach Mesopotamien und „Arabia Felix“ als die Arabische Halbinsel.56 Wir können hier also annehmen, dass die arabische kulturelle und sprachliche Klammer auch für Außenstehende – ähnlich wie bei den Germanen – erkennbar gewesen sein muss.

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Peter Högemann, Alexander der Große in Arabien (Alexander), München 1985, S. 10 ff. Vgl. ebd. zu einer Diskussion über Strabos Äußerung, dass die Araber keiner Satrapie angehörten. Die arabische Region war wahrscheinlich eher ein halbautonomes Protektorat, da die Nomaden schwer beherrschbar und keiner direkten Verwaltung unterstellt waren (ähnlich wie die späteren Lahmiden). Trotzdem mussten sie aber Truppen für den Großkönig stellen. ˘ Lokalisierung der Araber durch die griechischen Geographen. Vgl. ebd. auch für die 55 Shahîd, Rome, S. 15. sieht die Bennenung der Provincia Arabia auch als ein weiteres wichtiges Indiz für die arabische Identität der Nabatäer, deren Reich ja in dieser Provinz aufging: „The Arab character of Nabatea was reflected onomanstically after the annexation in A.D. 106; the new province was called Arabia, and the name thus reminded the student of the provincial history of the Orient of the Arab character of what had previously been Nabatea.“ 56 Vgl. hierzu Strabo, Geographica, 16,3,1. Eine Ausnahme war hier der Geograph Ptolemäus, der die Region Arabia Petraea innerhalb Arabia Deserta einfügte. Bowersock, Studies, S. 363. 54

3. Can Non-Europeans think? Man kann also legitimerweise die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die verschiedenen arabischen/semitischen Völker der Halbinsel und auch des Oriens viel näher waren, als man dies durch spezifische Studien einzelner Gruppen und Dialekte heute verstehen und nachvollziehen kann. Einiges spricht dafür, dass für die einzelnen Stämme und Völker diese Unterschiede weniger wichtig und unüberwindbar waren, als dies gerade in der jüngsten westlichen Darstellung erscheint. Die westliche Orientalistik, so ihre arabischen Kritiker, ist in ihrer „path dependency“ geradezu gefangen und versteift sich auf vermeintlich isolierbare Themengebiete, hat eher die Tendenz die Semitistik aus der Nähe des Alten Testaments zu verstehen und erkennt nicht das große Bild: Nämlich, dass die ursprünglichen arabischen/semitischen Stämme unter ihren verschiedenen Bezeichnungen und Gruppierungen wie etwa Nabatäer, Aramäer, Phönizier usw. sich eine größere Nähe untereinander bewahrt hatten als oft angenommen, und alle diese Gruppen Teil einer über die Jahrtausende andauernden, gemeinsamen zivilisatorischen Entwicklung waren. Auffällig erscheint, dass einige westliche Semitisten bis zum Zweiten Weltkrieg diese Dekonstruktion und De-Arabisierung ebenfalls weniger drastisch sahen. Und wir können an dieser Stelle vermuten, dass die zunehmende De-Arabisierung etwas mit der kontinuierlichen Ausdifferenzierung der einzelnen Fachthemen zu tun hat. Möglicherweise aber auch mit dem politischen Klima, welches zwischen der westlichen und islamischen Welt seit dieser Zeit zusehends konfrontativer geworden ist. Wir können zumindest feststellen, dass die Kooperation der arabischen und westlichen Wissenschaftler immer mehr eingeschränkt wird und somit eine Neubewertung der geschichtlichen Rolle der Araber als Ergebnis eines integrativen Forschungsansatzes unterbleiben musste: „In unserer Zeit, in der der Islam längst Teil der europäischen Lebenswelt geworden ist, sind westliche und muslimische Koranforscher durch hermeneutische Barrieren weiter denn je voneinander getrennt. (…) Während noch in der Zeit zwischen den Weltkriegen Rufe an arabische Universitäten an europäische Islamwissenschaftler ergehen konnten und sogar noch in den siebziger und achtziger Jahren Gastdozenturen deutscher Koranforscher in Jordanien und Ägypten willkommen waren, sind solche gegenseitige Neugierde und Offenheit heute Geschichte. Zwischen damals und jetzt liegen einschneidende politische Ereignisse und Entwicklungen (…) in der an sich skandalösen Situation, in der sich zwei Forschungstraditionen gegenüberstehen ohne in einen kreativen Austausch zu treten, ist Koranforschung als solche neu zu überdenken.“1 1 Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang (Koran), Berlin 2010, S. 21. Neuwirth bezieht sich in ihrer Anmerkung zwar spezifisch auf die Ko-

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3. Can Non-Europeans think?

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So ist es dann auch nicht erstaunlich, dass westliche Forscher des vorislamischen Arabien von den arabischen Forschern des gleichen Gegenstands, wie etwa Gawad Ali und Berha¯n Aldin Dallu, kaum Gebrauch machen: ihre Literaturverzeichnisse sind allzu oft überwiegend mit westlichen Werken gefüllt. Jan Retsö ist einer der wenigen, der diese arabischen Forscher überhaupt wahrnehmen will, um sie dann im selben Moment abzuqualifizieren: „Many of those works are rich in content, reflecting deep knowledge of their authors of classical Arabic literature, which makes them useful also for the western scholar. On the other hand, they mostly lack critical analyses of the sources and do not discuss the problem dealt with this study. All of them take the modern nationalistic definition of Arabs for granted.“2

Die freundlich formulierte „Unwissenschaftlichkeit“ der arabischen Wissenschaftler kann auch auf jene Personen angewendet werden, die arabischer Herkunft sind und in westlichen Institutionen forschen, wenn sie das arabische Element zu stark prononcieren. Im Mittelpunkt dieser Kritik steht hier insbesondere Irfan Shahîd, der in seinem mehrbändigen Werk, die Geschichte der Araber im Römischen/Byzantinischen Reich aufgearbeitet hat. Ihm wird nun vorgeworfen, dass sein Wunsch, das arabische Element stärker in den Vordergrund zu stellen, an der Faktenlage vorbeigeht: „Er möchte eine Geschichte schreiben und nicht bloß Philologie (wie Nöldeke). Shahid geht es um „Byzanto-Arabacia“, d. h. um die Beziehung zwischen Arabern und Byzanz, mit der Betonung auf „Geschichte“. Das kann den Nachteil haben, daß zuweilen die Hypothesen, die Konvinienzargumente Überhand gewinnen und eine eigene Dynamik entfalten.“3

Dies heißt dann auch nichts anderes, als dass hier der Wunsch Vater des Gedankens, ja sogar einer nicht näher unterstellten Ideologie (Nationalismus? Islamismus?) unterworfen ist, und arabische Forscher, wenn sie derartige Sichtweise vertreten, Geschichtskonstrukte entwickeln, die die Quellen nicht absichern: „Yet Shahid‘s efforts pose significant problems, not least in his choice and use of sources and his ideological (sic!) desire to present a particular image of Ghassa¯n as staunchly miaphysite Christian Arab group, loyal to the Roman Empire, and important to Constantinople’s ability to defend its frontiers against Sassanians and their Arab allies. As such, he over-interprets the source material and assigns too much importance to (for example) the role and position of the phylarchs.“4

Dass gerade Greg Fisher Irfan Shahîd die selektive Auswahl von Ressourcen vorwirft, entbehrt nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, da er in seiner Arbeit selbst überhaupt keine zeitgenössischen arabischen Autoren anführt. Zudem werden ranforschung, ihre Beschreibung erscheint aber durchaus auch auf andere Themenbereiche der Islamwissenschaft, Arabistik und Geschichtswissenschaft ausweitbar. 2 Retsö, Arabs in Antiquity, S. 116. 3 Hainthaler, Christliche Araber, S. 9. 4 Fisher, Empires, S. 11.

3. Can Non-Europeans think?

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die von Shahîd nachgewiesenen Vorurteile und Unzulänglichkeiten von westlichen Wissenschaftlern, etwa bei der Beurteilung der arabischen Verbündeten Roms und dem unkritischen Rückgriff auf vorurteilsbeladene klassische Quellen wie etwa Procopius, von ihm kaum thematisiert.5 Im Gegenteil, werden derartige Argumente als Teil einer Strategie interpretiert, ein bestimmtes Bild über die Araber zu favorisieren und nicht den „Fakt“ in Betracht zu ziehen, dass „(…) Arabs appear marginal (…) because they were.“6 Shahîd sei eben unwillig zu akzeptieren, „(…) that they may only have been footnotes to the events in the sixth century.“7 Problematisch ist bei dieser Kritik auch, dass man in der Sorge, die Rolle der Araber wichtiger zu sehen, als sie tatsächlich war, Gefahr läuft, die Entstehung des islamischen Staates auch aus der Interaktion mit dem römisch-hellenistischen Reich heraus, nicht erklären zu können. Während derartige Betrachtungen, etwa über den Römischen Westen und die enge Abhängigkeit zwischen der Staatenbildung der westlichen Barbaren und dem römischen Imperium durchaus zu einem produktiven Verständnis beitragen, fehlt ein solcher Zugang für den Osten und die Araber noch. In diesem Zusammenhang kritisiert Robert Hoyland, dass das Ignorieren von Shahîds Thesen über die zentrale Rolle der Araber im Oriens und ihre Interaktion mit Rom verhindert, dass diese Lücke geschlossen werden kann.8 In der Geschichtsschreibung geht es immer wieder auch um Interpretation, insbesondere in einem Themenbereich, bei dem die Fakten „on the ground“ beschränkt bleiben.9 Und offensichtlich werden die Interpretationen der arabischen Wissenschaftler von ihren westlichen Kollegen als nicht wissenschaftlich betrachtet: Als unkritische Faktensammler und Kompilierer zwar nützlich, als wirkliche Wissenschaftler aber nicht.10 Hier muss man sich die Frage stellen, worauf die westliche 5 Dies, obwohl auch westliche Wissenschaftler bei Procopius eine Serie von suppressio veri erkennen: „For a writer of the sixth century, Procopius is as remarkable for what he leaves out, as for what he has to say. It is a curious paradox that the major historian of Justinian, judging by volume as well as quality, leaves many areas of contemporary life unexplored.“ Averil Cameron, Procopius and the Sixth Century (Procopius), London 1985, S. 225. 6 Fisher, Empires, S. 11. 7 Ders., Empires, S. 12. 8 Robert G. Hoyland, Arab Kings, Arab tribes and the beginnings of Arab Historical memory in late Roman Epigraphy (Memory), in: H.M. Cotton et al. (Hrsg.), From Hellenism to Islam. Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East, Cambridge 2009, S. 374 – 400, hier S. 374. Für eine sehr ähnliche Diskussion über das römische Afrika vgl. Jonathan Conant, Staying Roman. Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean 439 – 700, Cambridge 2012. 9 Hoyland, Memory, S. 374, kritisiert etwa, dass das von der EU finanzierte Projekt über die Transformation der römischen Welt, die arabische Region nicht inkludierte. „These eastern barbarians still suffer from a lack of attention and from a lingering sense that their role in the history of Roman Empire was minimal.“ 10 Hier wieder am Beispiel eines Reviews über Shahîds Gesamtwerk: „The author’s scholarly method has been criticized and his conclusions seen as exaggerated, but the works are valuable as an indication of the amount of possible evidence available on the Arabs in the

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3. Can Non-Europeans think?

Meinung über die Rolle der Araber fußt. Wir müssen wohl auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich eine Portion Rassismus und Verachtung der klassischen Historiker in unsere Ära herübergerettet hat, und gemeinsam mit der politischen Situation ein Diskursklima kreiert, das man vielleicht mit der Frage „Can NonEuropeans think?“ umschreiben kann. Auf der arabischen Seite wird die De-Arabisierung mit dem kolonialen Projekt der Engländer und Franzosen und deren Wunsch nach Kontrolle und Dominanz des Orients begründet, welches eine groß angelegte nationale Geschichte der unterdrückten arabischen Region nicht zulassen wollte: „Diese (westlichen Forscher, AA) sind nicht in der Lage, diesen einheitlichen arabischen Zivilisationsraum zu verstehen. (…) Der autoritäre Kolonialismus war aber nicht ahnungslos und verstand, dass es in seinem Interesse ist, wenn er nationale Gefühle und die Idee einer nationalen, einheitlichen Zivilisation der Bevölkerung vorenthielt, und so gab er uns und unserer Region Namen wie etwa ,Zweistromland‘, ,Semitische Völker‘, ,Fruchtbarer Halbmond‘, ,Naher Osten‘ und ,Mittlerer Osten‘ usw.“11

Es soll auch nicht verhehlt werden, dass die arabischen Forscher ihre europäischen Kollegen ebenfalls sehr misstrauisch beäugen:12 „Westliche Forscher werfen Muslimen Befangenheit in theologischen Dogmen vor, muslimische Forscher nehmen ihre westlichen Kollegen als polemisch-triumpfalistisch, ohne elementare Empathie für den Islam, wahr.“13

Hier spielen etwa auch die medial propagierten, revisionistischen Thesen, die den Islam als eine nachträgliche „Fälschung“ und „Einschub“ in die Geschichte begreifen, eine gewichtige Rolle. Derartige „Geheimnisse“ und „dunkle Perioden“, die das plötzliche Auftauchen des bis dahin kaum erkennbaren und identifizierbaren arabischen Monotheismus der Araber in der Geschichte umranken, lassen sich passend in einem „Clash of Civilizations“ – Diskurs einbinden und verwenden, der den Gegner und seine Geschichte subtil bis offen abwertet.14 Der Erfinder dieser Wortschöpfung – der Orientalist Bernhard Lewis – macht es sehr deutlich, dass es centuries before the rise of Islam.“ Online verfügbar: http://www.oxfordbibliographies.com/ view/document/obo-9780195390155/, (Stand 10.3. 2013). 11 Daoud, Tarih Su¯riyya, S. 68. ˘ 12 So wird in diesem aufgeheizten Klima das Koran-Projekt von Angelika Neuwirth aus arabischer Sichtweise als „orientalistisches“ Projekt definiert. „A student, an protégée of a recently passing German scholar decided to reveal that 450 microfilm rolls of Quran copies assembled before WWII to study the evolution of the Quran were actually stored secretly by her deceased professor in boxes, not destroyed by bombardment as previously believed. This lost archive is to be instrumental for a new project – not surprisingly led by that ex-student – to produce a critical version of the Quran for the first time in the history of Islamic scholarship. (…) My viewpoint: to a serious researcher, revealing the archive after 60 years of its disappearance and only after the passing of the professor, in the midst of a global Islamofobia environment, should be a clear indication that this project is anything but scholarly.“ Abulhab, DeArabising, S. 44 f. 13 Neuwirth, Koran, S. 21. 14 Vgl. ders., Koran, S. 101.

3. Can Non-Europeans think?

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sich hier um einen Konflikt handelt, der bis in den hier skizzierten historischen Betrachtungszeitraum zurückreicht: „It should by now be clear that we are facing a mood and a movement far transcending the level of issues and policies and the governments that pursue them. This is no less than a clash of civilizations – the perhaps irrational but surely historic reaction of an ancient rival (sic!) against our Judeo-Christian heritage, our secular present, and the worldwide expansion of both. It is crucially important that we on our side should not be provoked into an equally historic but also equally irrational reaction against that rival.“15

Offensichtlich wird im Westen – trotz seiner Dominanz – immer wieder das Gefühl der Bedrohung durch die Araber deutlich. Wir werden dieses keineswegs nur nach dem 11. September 2001 erkennen, sondern auch in der hier relevanten Phase der islamischen Eroberung des christlichen Kernlandes im Oriens, und vorher bei der zunehmenden Aufwertung der arabischen Foederati und bei der „Orientalisierung“ des römischen Herrschergeschlechtes der Serverer durch die Araber aus Syrien. So ist es wohl das gegenseitige Gefühl der Bedrohung, gepaart mit Geringschätzung seitens des Westens und Minderwertigkeitsgefühlen auf Seiten der Araber, das die hier beschriebenen Phänomene erzeugt bzw. das verhindert, dass eine Kooperation stattfindet, die diese Situation auflösen könnte. Die geschichtliche Faktenlage und auch die Erinnerungen und Empfindungen sind oft eine andere. So ist etwa in der Arabischen Welt die Erinnerung an das griechische Erbe bzw. die Wechselwirkung zwischen Orient und Hellenismus und die vorislamische Zeit durchaus nicht vergessen; wenn auch in letzter Zeit durch die aktuellen Ereignisse und politische Situation in den Hintergrund gerückt. Sporadische Phasen der Erinnerungen scheinen in wichtigen Veränderungsprozessen, die ein Besinnen auf die eigenen Wurzeln fördern, durchaus relevant zu werden und haben die moderne arabische Welt beeinflusst. Eine wichtige Phase der Erinnerung muss etwa die Anfang des 20. Jahrhunderts begonnene Phase der kulturellen Erhebung bzw. Renaissance gewesen sein (Nahda). Als etwa Ta¯ha¯ Husain, einer der Führer des ˙ ˙ arabischen Modernismus, forderte, den Unterricht des Lateinischen und Griechischen nicht nur an den arabischen Universitäten, sondern auch an den Oberschulen einzuführen. Seine Begründung war, dass dies zu wissenschaftlicher Unabhängigkeit führen würde, da man dann nicht mehr auf ausländische Wissenschaftler angewiesen sei, um das Jahrtausend, in dem die arabische Welt unter griechischer und römischer Herrschaft gestanden hatte, zu entschlüsseln.16 Weitergehend wurde von Husain und ˙ anderen die – heute fast unerhörte – Meinung vertreten, dass die gemeinsame „ägäische“ Kulturgemeinschaft zwischen Orient und Okzident uralt sein muss, dass im Grunde genommen „keinerlei Wesensunterschied zwischen den beiden Welten“ 15

Bernhard Lewis, The Roots of Muslim Rage, in: The Atlantic, September 1. 1990, online verfügbar: http://www.theatlantic.com/magazine/archive/1990/09/the-roots-of-muslim-rage/ 304643/, (Stand 1.8. 2012). 16 Vgl. Jörg Kraemer, Der islamische Modernismus und das griechische Erbe, in: Der Islam 38 (1), 1963, S. 1 – 26, hier S. 2. Dies war auch die Phase, in der etwa Suleiman Al-Bustani die erste arabische Übersetzung der Ilias durchführte: Suleiman Al-Bustani, Iliadat, Kairo 1904.

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3. Can Non-Europeans think?

bestehe und es deshalb nicht zu einem Wettlauf oder sogar Konflikt der beiden Kulturen kommen muss: „Trotz der bisweilen abweichenden, ja einander entgegengesetzten Zeitumstände und trotz der verschiedenartigen Einwirkungen ist Geist und Wesen der beiden Kulturen ungeschieden und ungetrennt ein und dasselbe.“17

Man erkennt bei diesen Worten, wie weit sich der Westen und die arabische Welt allein in den letzten Jahrzehnten voneinander entfernt haben. In Bezug auf Ta¯ha¯ ˙ Husain fällt zudem auf, dass seine Thesen über die enge Bindung zwischen der ˙ arabischen Welt und dem Hellenismus, sowohl von der arabischen als auch von der westlichen Seite weniger thematisiert werden, als seine Thesen über Plagiate in der vorislamischen Gedichtschreibung. Letztere scheinen besser in den Konflikt der DeArabisierung zu passen (s.u.). Dabei ist dieses Misstrauen zwischen den arabischen und westlichen Forschern umso tragischer, als da einige Wissenschaftler durchaus persönliche Risiken in Kauf nehmen müssen, um ihre Standpunkte zu vertreten. So wurde etwa Ta¯ha¯ Husain gezwungen, als Professor der Kairoer Universität zu˙ ˙ rückzutreten. Der in Palästina lehrende Amerikaner Albert Glock wurde ermordet. Auch wenn nicht klar ist, ob es hier politische Motive und Täter gab, ist die Spekulation über einen politischen Hintergrund beachtlich und führte dazu, dass Glock nach seinem Tod eine gewisse Beachtung erfuhr, auch wenn dies nicht unbedingt eine inhaltliche Diskussion anfachte.18 Der Palästinenser Suleiman Bashear wurde von den Studenten der palästinensischen Bir-Zeit Universität aus dem Fenster gestürzt, weil er eine historische und nicht sakrale Betrachtung des Islam vortrug.19 So gesehen hat Geschichteschreiben in dieser Region durchaus auch etwas mit einer „politischen Vendetta“ zu tun und man kann froh sein, dass man nur ignoriert wird, wie der libanesische Historiker Kamal Salibi, der die These aufstellte, dass die in der südwestlichen Saudi-Arabischen Provinz Asir vorfindbaren Toponyme und einige geographische Ungereimtheiten der Bibel, die Sichtweise ermöglichen, die Geschichte des Alten Testaments auf die Arabische Halbinsel anstatt nach Palästina zu verlegen.20 Trotz des vordergründigen Ignorierens bzw. der entfachten Polemik war es erstaunlich, dass Saudi-Arabien hier kein Risiko eingehen wollte und die Ein-

17 Das Zitat ist ein Auszug aus Ta¯ha¯ Husain, Zukunft der Kultur in Ägypten. Teil 1 ˙ v. Jörg Kraemer), Kairo 1938, S. 28. Einen (Mustaqbal At-Taqa¯fa Fı¯ Misr) (Aus˙ d. Arab. ¯ ˙ umfassenden Überblick über diese Phase des arabischen Modernismus bietet nach wie vor Albert Hourani, Arabic Thought in the Liberal Age 1798 – 1935, Cambridge 1962. 18 Geoffrey Wheatcroft, Who killed Dr Glock? „Archaeology is not a science, it is a vendetta“, in: New Statesman, 06.07. 2001, online verfügbar: http://www.newstatesman.com/node/ 140919, (Stand 4.6. 2013). 19 Bernhard Stille, Scholars Are Quietly Offering New Theories of the Koran (Scholars), in: New York Times 03.02. 2002, online verfügbar: http://www.nytimes.com/2002/03/02/arts/scho lars-are-quietly-offering-new-theories-of-the-koran.html?pagewanted=all&src=pm, (Stand 4.6. 2013). 20 Kamal Salibi, Die Bibel kam aus dem Lande Asir, Hamburg 1985.

3. Can Non-Europeans think?

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ebnung dieser Orte vornahm, um Salibis These ihrer potenziellen Grundlagen zu berauben.21 Das Dilemma bleibt also, dass Historiker der Region ihre Geschichte oft nur unter größten Schwierigkeiten schreiben können. Umso wichtiger wäre es, eine sinnvolle Integration der Nichteuropäer in die Formulierung der arabischen Geschichte zu wagen. Allein der Diskurs zwischen den beiden Gruppen würde wohl einiges an zusätzlicher Bereicherung bringen und auch für die teilweise festgefahrenen Sichtweisen neue Perspektiven öffnen.

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„Salibi was intensely proud of his achievement, refusing to be cowed by the storm of often abusive criticism which he provoked. Israel’s self-appointed defenders in the West condemned Salibi for trying to delegitimise the Israeli state – it is surprising how long the fear of ‘delegitimisation’ prevailed in Israel, as it still does today – while more prosaic writers treated the author with good-humoured contempt. A reviewer in the Jewish Chronicle referred to Professor Salibi as ‘Professor Sillybilly’, a wonderful crack that I forbore to repeat to Salibi himself. The Saudis, true to their fears that the Israelis might decide to take Salibi seriously and colonise the mountains of Sarawat (which Salibi believed was the real ‘Jordan valley’ of the Bible), sent hundreds of bulldozers to dozens of Saudi villages which contained buildings or structures from Biblical antiquity. All these ancient abodes were crushed to rubble, Taliban-style, in order to safeguard the land of Muslim Arabia and the house of Saud.“ Robert Fisk, Kamal Salibi: Scholar and teacher regarded as one of the foremost historians of the Middle East, in: The Independent, 07.08 2011, online verfügbar: http://www.independent.co.uk/news/obituaries/kamal-salibi-scho lar-and-teacher-regarded-as-one-of-the-foremost-historians-of-the-middle-east-2350184.html, (Stand 06.04. 2013).

4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen? Die Negierung der arabischen Identität, vor allem in der westlichen Sichtweise, dass die arabische Sprache nicht zentrales Glied einer Kette miteinander verwandter Dialekte und Sprachen war, sondern am Entwicklungsende der semitischen Sprachund vor allem Schriftentwicklung steht, verschärft die Problematisierung des arabischen Elements nicht nur im Oriens, sondern auch auf der Arabischen Halbinsel. „The centrepiece of western scholarship’s theme regarding Arabia, and the field of Arabic language and script history seems to be that the classical language, the modern Arabic script and even the Arabs themselves, are the youngest of the Near East and were not originated from Yemen as scholars of the Arabic Islamic era told us: even more that the people of preIslamic Yemen were not Arabs and did not speak Arabic!“1

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Mit dieser „Auflösung“ des arabischen Elements vor allem anhand der Sprache, die jedoch auf geheimnisvolle Art und Weise dem „Ursemitischen“ am nächsten sein soll, aber erst am spätesten von allen semitischen Sprachen Reife erlangte, wird die Marginalisierung bzw. Unsichtbarkeit der Araber in der Geschichte Arabiens vervollständigt: „Western theories seem to portray the Arabs as marginal groups of rootless Bedouins and outsiders in their own historical homeland.“2 Natürlich stellt sich die Frage, warum die arabischen Wissenschaftler (und natürlich auch die westlichen Forscher) diese zentrale Referenz des klassischen Arabisch zu den anderen semitischen Sprachen lange verkannten und auch die Nähe der „südarabischen“ Sprachen zum klassischen Arabischen übersahen bzw. übersehen. Was die arabischen Wissenschaftler betrifft hat Mohammed As ad hier eine recht einleuchtende These aufgestellt. Im Mittelpunkt seiner Erklärung steht der Umstand, dass arabische Forscher und Übersetzer nur allzu oft alte semitische Schriften nicht vom Original in das Arabische übersetzen konnten. Dort wäre ihnen die Nähe zum Arabischen sehr wohl aufgefallen. Vielmehr nehmen die Übersetzungen durch die Dominanz der westlichen Orientalisten bzw. die Schwäche der arabischen Forscher folgenden teilweise obskuren, mehrstufigen Verlauf, den As ad anhand der Übersetzung babylonischer bzw. akkadischer Schriften erläutert: ˘

„Wir können hierzu drei Stufen identifizieren, die die ursprünglichen arabischen Wörter von ihrem Ursprung entfernten, oftmals sogar vier. Die erste Veränderung geschah durch die Verwendung von Schriftarten, die nicht alle arabischen Buchstaben wiedergeben konnten (sumerische Keilschrift) bzw. diese anders verknüpften. In der zweiten Stufe gehen die arabischen Buchstaben vollends verloren, indem die Wörter in lateinische Buchstaben transkribiert werden. In der dritten Stufe wird die Vertonung des Buchstabens oft durch den 1 2

Abulhad, DeArabizing, S. 6. Ebd.

4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen?

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Rückgriff auf das hebräische – und nicht auf das arabische – rekonstruiert. Letztlich erfolgt eine Übertragung in das moderne Arabisch, ohne dass die Veränderungen der ersten drei Stufen den Übersetzern bewusst waren.“3

Diese zentrale Rolle des Arabischen zum Verständnis und für die Entschlüsselung alter semitischer Sprachen zeigt sich erst in letzter Zeit, da arabische Wissenschaftler nun vermehrt Übersetzungen direkt aus den Ursprungstexten vornehmen.4 Diese Schriften werden zunächst mit arabischen Buchstaben transkribiert und dann übersetzt. Schon bei der Transkription zeigt sich eine recht enge Verwandtschaft dieser Sprachen, etwa bei babylonischen Texten aber auch bei ugaritischen Schriften. Hier fiel schon früh auf, dass man mit Hilfe des klassischen Arabisch eine Vielzahl der Vokabeln des Ugaritischen entschlüsseln kann, und die These der engen Verwandtschaft der beiden Dialekte/Sprachen bzw. des Referenzcharakters des Arabischen bestätigt wird. In diesem Kontext ist es erstaunlich, dass diese Nähe aus westlicher Sicht oftmals nicht wahrgenommen wird. Man kann hier auch kaum mehr von einem Erkenntnisproblem reden, sondern von einem stetig abnehmenden Prozess des Verständnisses. Auf einer Konferenz über die Ugaritische Sprache in Damaskus 1979 konnte eine Reihe arabischer und westlicher Wissenschaftler die Nähe des Ugaritischen zum Arabischen belegen.5 Gleichwohl wird beispielsweise in einem zentralen jüngeren Beitrag über semitische Sprachen diese Nähe der beiden Sprachen überhaupt nicht erwähnt.6 Die fortschreitende De-Arabisierung scheint also im Laufe der Zeit intensiver geworden zu sein und sich auch gegenüber früher bereits gemeinsam erzielten Erkenntnisgewinnen durchzusetzen. Die De-Arabisierung ist – ähnlich wie das Konzept der semitischen Sprachen – eine recht einzigartige Sache. Die zunehmende Dekonstruktion und Unkenntlichmachung des arabischen Elementes durch einmal definierte Teilgebiete führt zu einer zunehmenden Negierung der wichtigen Zusammenhänge. Dabei kritisieren jüngere arabische Forscher durchaus auch ihre ebenfalls arabischstämmigen Kollegen, die Teil der dekonstruierenden westlichen Scientific Community wurden. So wirft etwa 3

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As ad, Mustesˇriku¯n, S. 176. Hier etwa die arabische Übersetzung des Gilgamesch Epos durch Ta¯ha¯ Bakir, Melhamet ˙ Schilderungen ˙ der Gilgamesch (Das Gilgamesch Epos), Bagdad 1985. Interessant auch seine Schwierigkeiten, die westlichen Übersetzungen mit Hilfe des Arabischen wieder an das Original heranzuführen (S. 5). 5 John Healey, L’ugaritique et l’étude des langues sémitiques, in: Annales archéologiques arabes syriennes (Annales), Damaskus 1979 S. 29 – 30 (1979 – 80), arabische Übersetzung in Al-Ma‘arifa, Nr. 213/1979, S. 112 – 121. Ein wichtiger Teil des Seminars, an dem auch viele arabische Sprachforscher teilnahmen, war den Verbindungen des Arabischen mit dem Ugaritischen gewidmet z. B. Luay Ajjan, L’explication de quelques expressiones vagues dans le texte d’Aqhat a la lumière de la langue arabe, Annales, Damaskus 1979 S. 43 – 61; Ali Abu-Assaf, L’explication des significations de quelques vocabulaires ugaritiquies, Annales, Damaskus 1979 S. 256 – 262. Ich danke Prof. Healey von der Universität Manchester für die Zuverfügungstellung der Seminarunterlagen. 6 Dennis Padree, Ugaritic, in: R. Woodard (Hrsg.): The Ancient Languages of Syria-Palestine and Arabia, Cambridge 2008, S. 5 – 36. Auch bei diesem Beitrag findet sich wieder kein einziges arabisches Werk im Literaturverzeichnis. 4

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4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen?

Mohammed As’ad Phillip Hitti vor, mit seiner Einteilung der Geschichte Arabiens in eine semitische und arabische Phase den arabischen Charakter der Semiten zu verschleiern: „Das, was die (westlichen) Forscher Migrationen der „Semiten“ nannten, waren Wanderungen arabischer Stämme, die das sogenannte Semitische Imperium schufen, also das Akkadische mit seinen babylonischen und assyrischen Teilen, die Staaten und Städte der Aramäer und Kanaaniter. Weiters stellte das indoeuropäische Reich in dieser Region stets eine Gefahr von außen dar und dies führte dazu, dass die Bevölkerungsstruktur, Kultur, Sprache, Bauten und Religion ihre arabische Prägung beibehielten. (…) Insbesondere die arabische Halbinsel blieb mit ihrer ursprünglichen Bevölkerung ohne jegliche Beeinträchtigung. In Wahrheit war die die alten und neuen Stämme und Staaten integrierende arabische Kraft des siebten Jahrhunderts nichts anderes, als eine Wiederherstellung der ursprünglichen Identität und keine Arabisierung, wie so oft bis heute in westlichen und arabischen Geschichtsstudien behauptet wird.“7

Die zugrunde liegende Dekonstruktion der Araber in unabhängige semitische Teilgebiete bzw. die De-Arabisierung Arabiens und des Oriens hat aus der Sicht arabischer Wissenschaftler durchaus einen einzigartigen Charakter, der nicht mit der Tradition und den Gesetzen der Wissenschaft allein begründet werden kann: „Die Orientalisten verwenden für Stämme die Bezeichnung ,Volk‘, um damit eine besondere Zivilisation zu kennzeichnen, sie verwenden für die einzelnen Dialekte die Bezeichnung ,Sprache‘, obwohl sie wussten, dass die unterschiedliche Aussprache von Wörtern in unterschiedlichen Regionen nicht bedeutet, dass hier unterschiedliche Sprachen vorzufinden sind. Es ist erstaunlich, dass sie, wenn immer sie eine Stadt oder ein Dorf fanden, dieses sogleich als eigene Zivilisation bezeichneten, was sonst in keiner anderen Region der Welt passiert. Im Gegenteil, versuchen Wissenschaftler ansonsten doch eher Gemeinsamkeiten und Muster auch zwischen entfernten Regionen zu finden: als ob die arabische Region, die weitgehend flach und eben ist, zersplittert sei.“8

Dabei war auch den westlichen Forschern klar, dass es eine Verbindung all dieser Funde gab, nur war die von ihnen verwendete künstliche semitische Klammer um vieles unklarer als die arabische es hätte sein können:

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As ad, Mustesˇriku¯n, S. 154. Ebd., diese „Einzigartigkeit“ wurde von arabischen Literaten schon früh erkannt: „ (…) man spricht von der indischen Kultur, von der englischen Kultur, wobei man darunter die Kultur dieser Länder versteht und zwar von Anfang der Geschichte an, bevor sie ihre heutige Bezeichnung erhalten haben. (…) All diese Nationen haben alte Sprachen, die von der heutigen Bevölkerung kaum verstanden werden. Diese Betrachtungsweisen gelten für alle Zivilisationen, mit einer einzigen Ausnahme: die der Araber. Bevor diese Region die Bezeichnung Arabien erhielt, war sie von Völkern bewohnt, die die Geschichte kennt: Sumerern, Akkadiern, Aramäern und anderen. Diese Völker sind die Vorfahren der Araber. (…) Und trotzdem wird hier immer wieder differenziert: Man spricht nicht von der arabischen Kultur, die all diese Kulturen umfasst. So als ob die vergangenen Kulturvölker Arabiens Ausländer waren und nicht die Vorfahren der heutigen Araber sind.“ ‘Abba¯s Mahmu¯d Al-‘Aqqa¯d, Al-Thaqafa Al-‘Arabia ˙ (Arabische Kultur), Kairo 1956, S. 12 ff. 8

4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen?

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„Am Anfang bezeichneten die (westlichen) Forscher jede Ausgrabung als eine unabhängige Zivilisation mit einem eigenen Volk und sie gaben der Zivilisation den Namen des Ausgrabungsortes. Später gaben sie den Zivilisationen und Völkern den Namen der entdeckten Städte und behielten alle deren Besonderheiten, Unterschiede und Kernmerkmale bei. Später stellten sie eine Verbindung über einen gemeinsamen sprachliche Ursprung her, den semitischen (…).“9

Ein fast schon bizzares Beispiel dieser dekonstruierenden Sichtweise klingt dann etwa bei Philip Wood durch, der die Entwicklung der christliche Religion im Oriens beschreibt und dabei weitgehend ohne Araber auskommt. Die Darstellung der verwendeten unterschiedlichen „Sprachen“ und Schriften nimmt hier fast überhand: „The Jews of Edessa writing on their tombs, (…) the Palmyrenes, Nabateans and Hatrans writing monumental inscriptions in their cities (…) all used different scripts to write languages that could differ substantially (…).“10

Dass Palmyra, Nabatea und Hatra arabische Städte waren und die Bevölkerung arabische Dialekte benutzten, ist hier nicht mehr zu erkennen, vielmehr wird der Anschein erweckt, dass es sich um völlig eigenständige Bevölkerungen und Zivilisationen handelt, die wenig bis nichts miteinander zu tun haben.11 Diese Zersplitterung des Wissens über das arabische Element wird aber – einmal in Gang gesetzt – durchaus auch ohne weiteres Dazutun ihren Lauf nehmen, da ohne einen Referenzrahmen zusätzliches Wissen nicht integriert werden kann:12 Weil es etwa keine aussagekräftige arabische Klammer um die unterschiedlichen Themen gibt bzw. die vorhandenen Rahmen nicht praktikabel sind, müssen sich die zutage geförderten neuen Erkenntnisse einen eigenen, isolierten Platz suchen und der Dekonstruktion kann nichts entgegengesetzt werden: „The vast array of new data types cannot be accomodated without more flexible social constructs or more divers interpretive scenarios. As a result, final field reports tend to contain

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Daoud, Tarih Su¯riyya, S. 69. ˘ Philip Wood, ,We have no king but Christ‘. Christian Political Thought in Greater Syria on the Eve of the Arab Conquest (c.400 – 585) (King), New York 2010, S. 78. 11 Wood erkennt Araber nur in den ländlichen Regionen des Oriens (King: S. 10). Selbst die arabischen Pylarchen im 6. Jahrhundert wie etwa El-Harith werden bei ihm in aramäischer Schreibweise dargestellt (Harith Bar Gabala). 12 Diese Dekonstruktion wird dann natürlich in die einzelnen orientalischen Fächer übersetzt. Kermani findet – was die Etablierung dieser Fächer anbetrifft – klare Worte. Wir können hier nur anmerken, dass eine ähnliche Aufteilung im vorislamischen Arabien am Werke ist, und die Dekonstruktion in verschiedene Teilgebiete eine ebensolche Wirkung entfaltet: „Die Obsession des Westens, den Orient durch seine Religion zu verstehen, macht sich bis heute in den Lehrplänen, ja bis in die Fächeraufteilung bemerkbar, die in die Erforschung eines gemeinsamen Kulturraumes konfessionelle Schneisen schlägt.“ Navid Kermani, Zur Zukunft der Islamwissenschaft, in: Abbas Poya/Maurus Reinkowski (Hrsg.), Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien, Bielefeld 2008, S. 301 – 309, hier S. 302. 10

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4. Wie funktioniert das Verdrängen und Vergessen? many autonomous essays by specialists with little attempt to produce an integrated picture of a living society.“13

Als Kontrapunkt zu solch einer Dekonstruktion argumentieren arabische Wissenschaftler viel stärker in Richtung eines arabischen Referenzrahmens, einer Matrixsprache und einer ähnlichen Kultur der einzelnen arabischen/semitischen Gruppen. So wird etwa der Ansicht, dass die Jemeniten als vermeintliche Ur-Araber kein klassisches Arabisch sprachen und somit der Terminus „arabische Sprachen“ für diese „südarabischen“ Sprachen unangemessen sei, widersprochen. Natürlich – so die verkürzte arabische Sicht – sprachen die Jemeniten ein Ur-Arabisch, welches sich vom klassischen Arabisch unterscheidet.14 Davon abgesehen, dass sich Sprachen auch an ihrem Ursprungsort immer weiterentwickeln, wie schon Nöldeke feststellte,15 wurden in den letzten Jahren die Belege für eine enge Verwandtschaft zwischen der südarabischen „Sprache“ und Schrift und dem klassischen (Nord-) Arabischen immer stärker.16 Entgegen der Sichtweise, dass sich die arabische Schrift spät aus dem nordarabischen Nabatäischen entwickelte, leiten arabische Wissenschaftler eher eine Entwicklung der arabischen Schrift aus der viel älteren und auf der ganzen Halbinsel verbreiteten „südarabischen“ Musnad-Schrift ab.17 Die MusnadSchrift wiederum ist Teil der jahrtausende alten Entwicklung der arabischen/semi13

Glock, Palestine, S. 54. Auch Nöldeke, Amalekiter, S. 32 verweist hier auf die entsprechenden arabischen Quellen, nicht ohne den arabischen Gewährsleuten hier wieder Ungenauigkeit vorzuhalten: „Yaqût bemerkt an jener Stelle noch, diese Uraraber hätten die Sprache (Sic!) Almusnad geredet, was bekanntlich der Name der noch lange nach Christi Geburt gebrauchten Himyarischen (Südarabischen) Schrift ist.“ Den Arabern war wohl auch bekannt, dass Musnad eine Schrift ist und Yaqût meinte hier sicherlich den südarabischen Dialekt. Im Übrigen wird der Begriff „Musnad“ von arabischen Linguisten auch heute noch als Überbegriff für jemenitische Spraˇ orgˇi Sidan, Ta¯rih Al-Adab Al- Arabi (Geschichte der arabischen Litechen verwendet, vgl. G ˘ ratur) (Adab), Kairo ?, S. 41. 15 „Es ist durchaus nicht nöthig, dass eine Sprache grade in ihrer Heimath die ursprünglichste Gestalt am treuesten bewahrt.“ Nöldeke, Skizze, S. 12. 16 So bemerkte Spuler zu dem Prozess der „Übernahme“ des Nordarabischen durch die Südaraber, dass diese ihre „Sprache“ aufgaben „(…) die der Nordarabischen ohnehin recht nahe stand. Die Einzelheiten dieses Prozesses sind uns unbekannt; wir werden uns den Prozess etwa so zu denken haben wie das Aufgehen der italienischen Sprache im Latein.“ Spuler, Ausbreitung, S. 246 f. 17 So zeigen die in Saudi-Arabien in der Ruinenstadt Al-Faw gefundenen Inschriften dann auch schon eine Vermischung der beiden nord- und südarabischen „Sprachen“: „The Musnad script in Qaryat al-Faw took a distinctive form, but without departing from it and without abandoning its general style. As such, it must be considered a variant of Musnad writing. Whilst the inhabitants wrote in a southern style of inscriptions, they did not limit themselves to expressing their views in the southern language only, for their language was a blend of southern and northern dialects, and it also had features of northern grammar. Even in the inscriptions written in classical Musnad (and by this I mean the inscriptions which are devoid of traces of Qaryat al-Faw variants), the language of the north is clear. Perhaps this was due to the fact that while the ruler was a southerner, the citizens were a mixture of southerners and northerners.“ Abd al-Rahman Al-Ansary, Qaryat Al-Faw. A Portrait of Pre-Islamic Civilization in Saudi Arabia (Al-Faw), Riyadh 1982, S. 26. 14

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tischen Schrift und teilt wohl mit dem Phönizischen die kanaanitischen Wurzeln.18 Aus dem Musnad-Alphabet entwickelte sich, so diese Sichtweise, dann auch durch nabatäische Einflüsse, die nordarabische „Jazm“-Schrift, welche zu den auch noch heute verwendeten arabischen Buchstaben führte. Jazm heißt in diesem Zusammenhang „kürzen“, was wiederum auf eine Ableitung aus dem Musnad hindeutet, da letzteres Alphabet verkleinert werden musste: beide Alphabete weisen zwar 28 Buchstaben auf, aber das Jazm besitzt viel weniger Buchstabenformen (im Arabischen haben die Buchstaben unterschiedliche Formen, je nachdem ob sie in der Mitte, am Anfang oder am Ende des Wortes stehen). Wir können an dieser Stelle festhalten, dass der Unterschied derartiger arabischer Betrachtungen kaum divergenter zu der de-arabisierenden westlichen Sicht sein kann: Von einem Volk, das erst im fünften Jahrhundert Anfänge einer eigenen Schrift besaß auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, ein sich seiner Identität womöglich bewusstes Volk, das über eine alte Schriftkultur und verschiedene Dialekte verfügte und nebenbei auch die europäische Schrift mitbeeinflusst hat! Nachdem dies kein sprach-wissenschaftliches Werk ist, kann diese Darstellung natürlich nur als Überblick über die spezifische Sichtweise bestimmter arabischer Forscher dienen. Wichtiger für unsere Argumentation ist die Beobachtung, dass wenn arabische Wissenschaftler versuchen, diese Klammer bzw. die Rolle des Arabischen als Matrixsprache zu argumentieren, dieses Unterfangen von der westlichen Scientific Community keine oder nur wenig Akzeptanz findet: Die Ausdifferenzierung der einzelnen Teilwissenschaften scheint schon zu groß, um die einzelnen Elemente wieder zusammenzufügen. Der hier bereits zitierte Abulhab machte den Versuch, eine direkte Transkription „südarabischer“ Texte in das klassische Arabisch durchzuführen und auf dieser Basis zu einer Übersetzung zu kommen. Durch die buchstabengetreue Transkription bzw. durch die nun Arabisch geschriebenen südarabischen „Musnad“-Texte, identifizierte er diese Inschriften als Arabisch, da mithilfe des klassischen Arabisch nun das Lesen möglich war. Er reichte diese Übersetzungen bei den namhaften wissenschaftlichen Journalen ein und erhielt von allen eine Absage. Jenseits der möglichen linguistischen Dispute und offenen Punkte sind diese Reviews sehr interessant zu lesen, manifestiert sich in ihnen doch die fortgeschrittene Differenzierung der einzelnen semitischen Sprachwissenschaften

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18 Es ist aber noch unklar, ob das Phönizische aus der Musnadschrift abgeleitet ist, oder umgekehrt, Abulhad, DeArabising, S. 184. Meist wird eine Ableitung aus dem Kanaanitisch/ Phönizischen angenommen, Akl, Abgˇadyyet, S. 22. Auf jeden Fall sind zwischen diesen beiden Regionen (Südarabien und Phönizien) über einen langen Zeitraum enge Beziehungen nachweisbar, so dass ein Transfer in jedwede Richtung möglich war. Die südarabischen Minäer hatten etwa schon im 2. Jahrtausend v. Chr. ihre Handelskolonien weit in den Norden bis nach Palästina vorgeschoben, Carl Brokelmann, Geschichte der islamischen Völker (Völker), Hildesheim 1977, S. 3. Im neunten Jahrhundert v. Chr. waren die Südaraber im syrische Raum, am Roten Meer, und Ägypten verbreitet, Akl, Abgˇadyyet, S. 39. Falls die Musnadschrift die phönizische Schrift hervorrief, wäre diese arabische/semitische Schrift die Urwurzel der griechischen Schrift, welche sich aus dem Phönizischen entwickelte.

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im Westen, die eine sprachliche – und damit auch kulturelle –Klammer, um die es hier geht, nicht mehr akzeptieren können: „Journal of Near Eastern Studies (JNES) South Arabian inscriptions make it abundantly clear that the Arabs were outsiders, and that the inhabitants of Saba, Hadramaut, Qtaban and Ma’in and later Himyar were not themselves Arabs (…) Modern Arab nationalist perceptions suffuse this paper. Arabian Archaeology and Epigraphy (AAE) If you want to publish this inscription, I would suggest that you collaborate with a trained Sabaist. … Interpreting a clearly Sabaic Inscription as an Arabic text means to ignore more than hundred years of scholarly work (…) The interpretation you have given of the inscription is simply incorrect, because you read it as though it were Arabic (Sic!?) rather than Sabaic. The two languages are simply not the same (…) The Sabaic language, as well as other Ancient South Arabian (ASA) languages, has nothing to do with (Classical) Arabic – apart from their historical relationship within the Semitic language family. Journal of Semitic Studies (JSS) I noted also that your claim that the Musnad inscriptions are in fact Arabic (…) the referee felt that the article showed inadequate background knowledge of Semitic philology and ancient South Arabian history and society. Journal of Near Eastern studies (JNES) It is totally impossible that the Arabic script (not language) be derived from South Arabian script (Musnad): the only other possibility is Syriac. There really is almost no point of similarity between South Arabian script and Arabic script.“19

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Natürlich gibt es aber auch arabische Wissenschaftler, die den „westlichen“ Meinungen zugeneigt sind. Die hier dargelegten Kontroversen finden sich auch innerhalb arabischer Wissenschaftskreise wieder. So wird auf das in den Reviews hingewiesene „Nichtarabertum“ der Jemeniten bzw. deren Schrift ja auch von klassischen arabischen Autoren hingewiesen bzw. erkennen diese durchaus signifikante Unterschiede zwischen der südarabischen Sprache und dem klassischen Arabisch.20 Hier konnte der jemenitische Sprachwissenschaftler Taufiq Same i allerdings nicht nur nachweisen, dass ein nicht unerhebliches Vokabular des Korans südarabische Ursprünge hat bzw. südarabische Lesarten erlaubt. Er konnte auch die Negierung des südarabischen „Arabertums“ durch die Nordaraber als ein Ergebnis der politischen Rivalitäten zwischen dem ursprünglich zivilisatorisch hochentwi19

Abulhad, DeArabizing, S. 78 ff. Allerdings sind die Abgrenzungen auf den zweiten Blick oftmals eher ein Hinweis auf die Nähe dieser Sprachen/Dialekte. So kommentiert der berühmte Ibn Khaldun die Unterscheidung zwischen Südarabisch und dem klassischen Arabisch etwa wie folgt: „The Himyarite language is another language and differs from the Mudar language in most of its (conventional) meanings, inflections, and vowels, (and has) the same relationship (to it) that the Mudar language has to present-day Arabic.“ Ibn Khaldun, The Muqaddimah, (Aus dem Arabischen v. Franz Rosenthal) New York 1986, S. 346. Der Unterschied zwischen dem Südarabisch und dem Arabisch dieser Epoche (Mudar) war also nicht größer als der, des Mudar zum Arabischen in der Zeit Ibn Khalduns (14. Jahrhundert). 20

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ckelten Süden und dem erst durch Mohammed zur Dominanz gelangten Norden Arabiens erklären.21 Zudem – so Same i – hätten jüdische Sprachgelehrte, die ihre Arbeit auf Arabisch verfassten und denen man wesentliche Erkenntnisse über die Beziehungen der „semitischen“ Sprachen untereinander verdankt – wie etwa Jehuda bin Koreisch und Ibn Barun (Baron) – ihre Studien vor allem auf die große Nähe zwischen Arabisch, Aramäisch und Hebräisch konzentriert, sodass die Diskussion über die enge Beziehung zwischen Süd- und Nordarabisch auch von dieser Seite unterblieb.22 ˘

Der politische Konflikt zwischen Norden und Süden hatte nach Same i Auswirkungen auf die Arbeit der Linguisten bzw. führte zu einer isolierten Betrachtung südarabischer Sprachen und des klassischen Arabisch, obwohl frühere Betrachter diese Sprachen als arabische Dialekte bezeichneten.23 Mit der Zeit geriet der südarabische Dialekt in Vergessenheit und wurde erst durch westliche Wissenschaftler „wiederentdeckt“: „Although the South Arabic language may have maintained itself sporadically in certain remote districts down to the Prophet‘s time or even later, it had long ago been superseded as a medium of daily intercourse by the language of the north, the Arabic par excellence, which henceforth reigns without a rival throughout the peninsula. The dead language, however, did not wholly perish. Already in the sixth century A.D. the Bedouin rider made his camel kneel down while he stopped to gaze wonderingly at inscriptions in a strange character engraved on walls of rock or fragments in hewn stone, and compared the mysterious, half obliterated markings to the almost unrecognizable traces of the camping ground, which for him was fraught with tender memories. These inscriptions are often mentioned by Mohammedan authors, who included them in the term ‘Musnad’. That some Moslems – probably very fewcould not only read the South Arabic alphabet, but were also acquainted with the elementary rules of orthography, appears from a passage in the eight book of Hamdanis ‘Iklil’: but though they might decipher proper names and make out the sense of words here and there, they had no real knowledge of the language. (…) the inscriptions were discovered anew by the enterprise of European travellers (…).“24

Zu dem Thema der südarabischen Sprache bleibt letztendlich noch anzumerken, dass fast alle arabischen Stämme, denen wir in den Kämpfen zwischen den Arabern und Byzanz auf beiden Seiten begegnen werden, einen jemenitischen Ursprung hatten. Auch in diesem Zusammenhang sind keinerlei sprachliche oder kulturelle

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Abdruck der Zusammenfassung seiner Thesen inklusive des südarabischen Koranvokabulars: Taufiq Al-Same i, El-Logˇha El-Yeminiya Fı¯ El-Qur a¯n (Die jemenitische Sprache im Koran) (Koran), in: Al Gomhoria, 25.6. 2012, online verfügbar: http://www.algomhoriah.net/ newsweekarticle.php?sid=157446, (Stand 10.3. 2013). 22 Ebd. 23 „The bedouins of the North spoke Arabic-that is to say the language of the pre-Islamic poems and of the Koran-whereas the southerners used a dialect called by the Muhammedans, Hymarite‘“. Nicolson, Literary History, S. XVII. 24 Ders., Literary History, S. 6.

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Barrieren überliefert. Eher überraschend muss im Gegenteil Robert Hoyland vermerken, dass diese Stämme arabisch sprachen, ohne das erklärbar ist, warum.25 Trotz der angenommenen arabischen sprachlich/kulturellen Klammer vor dem Islam kann man natürlich nicht ausschließen, dass es rückwirkende Fälschungen bzw. Modifikationen vorislamischer arabischer Texte gab. In einer im Westen oft zitierten Schrift, deren Erkenntnis sich in die De-Arabisierung gut einfügt, hatte schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Ta¯ha¯ Husain im Rahmen einer ˙ ˙ Betrachtung über die vorislamische Dichtung dargelegt, dass er diese für die vorislamische arabische Identität zentralen Werke als eine nachträgliche Fälschung betrachte, die in Basrah und Kufah im achten und neunten Jahrhundert angefertigt wurden. Diese Plagiate wurden von einzelnen arabischen Stämmen in Auftrag gegeben, die sich in einem langsam an Kohäsion verlierenden islamischen Reich in einem intensiven Kokurrenzkampf befanden und auf ihre vorislamischen Wurzeln verweisen wollten, um ihre Legitimation zu erhöhen.26 Diese Manipulationsmöglichkeiten waren ja in der Tat gegeben, da die mündlich überlieferten Gedichte erst Jahrhunderte nach ihrem Verfassen schriftlich festgehalten wurden. Was Husain zu ˙ Recht auffiel, waren Textpassagen, die eine sehr islamische und monotheistische Ausrichtung hatten und deshalb unmöglich in der Zeit der „Unwissenheit“, der Jahilia, verfasst sein konnten. Allerdings sind diese Passagen recht gut identifizierbar, sodass nicht davon auszugehen ist, dass diese Dichtung in ihrer Gesamtheit ein Plagiat war.27 Darüber hinaus werden weiter unten noch andere Erklärungen für diese monotheistischen Töne in der vorislamischen arabischen Dichtung zu finden sein.28

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25 „Evidently a number of theses Southern Arab tribes spoke Arabic.“ Hoyland, Arabia, S. 233. Für Retsö gab es zwar Araber in Südarabien, diese waren aber eher Bedienstete und Soldaten südarabischer Herrscher. Retsö, Arabs in Antiquity, S. 546. 26 Ta¯ha¯ Husain, Fı¯ Al-Sˇ r Al-Ja¯hili (Über die Jahili-Dichtung) (Al-Sˇ r Al-Ja¯hili), Sousse ˙ auch Sousah, Al Arab Wa Il Yahu¯d, S. 15 ff. 1997; ˙vgl. dazu 27 So urteilt etwa Brockelmann über den berühmten Jahili Dichter Lebid: „Mit besonderer Liebe schildert er die Bewässerungsanlagen und Palmpflanzungen. Als Vertreter echtritterlichen Lebenswandels rühmt er sich öfters seiner Zechgelage im Kreise wilder Gesellen und williger Dirnen. (…) Öfters aber schlägt er Töne an, wie man sie sonst nicht gewohnt ist, und in denen man einen Muslim zu hören glaubt. Mögen auch Spätere solche Stellen aus qor a¯nischem Gedankengut bereichert haben, so können sie doch nicht alle der Fälschung verdächtigt werden.“ Carl Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur, in: Bertold Spuler (Hrsg.), Semitistik. Dritter Band. Leiden 1954, S. 253 – 314, hier S. 261. Zeitgleich hatte Arbrerry wesentliche Anhaltspunkte für die Authentizität der vorislamischen Dichtung zusammengefasst. Arthur J. Arbrerry, The Seven Odes. The First Chapter in Arabic Literature (Seven Odes), London 1957, S. 228 – 255. 28 S.u. Kap. 10.2.

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5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran – die Kraft des Imaginären im arabischen Raum In den bisherigen Ausführungen wurde versucht, einen arabischen Geschichtsraum zu skizzieren, der die Arabische Halbinsel und die Gebiete des römischen Oriens umfasst und sich mit den „semitischen“ Migrationen zu formen begann. Betrachtet man die Geschichte als eine longue durée, so müssten wir, wenn die Verschleierungen und Dekonstruktionen aufgehoben sind, einen zivilisatorischen Prozess erkennen, der die unterschiedlichen Gruppierungen dieser Regionen erfasst und ihre Interaktionen in gegenseitiger Abhängigkeit leitete. Die engen Bande zwischen verwandten Sprachen/Dialekten, Schriften, Kulturen und auch Glaubensvorstellungen helfen, sich einen derartigen gemeinsamen Geschichtsraum vorzustellen. Bevor wir nun die Rolle der Araber im Oriens eingehender betrachten, soll anhand eines Beispiels die Kraft, Ausdauer und Flexibilität dieser integrierenden Transformationen dargestellt werden. Den von den Wanderbewegungen geschaffenen „Zivilisationen“, so die arabische Sichtweise, bleiben gewisse Ähnlichkeiten erhalten und es kam immer wieder zu Übertragungen und Vermischungen. Im folgenden Beispiel tritt mit dem „Imaginären“ ein wichtiger Transmissionsmechanismus dieser Region auf. Das Imaginäre ist eine Welt, die zwischen der sakralen und realen Sphäre angesiedelt ist und in der die im Unterbewussten angelagerten Archetypen anzutreffen sind; zeitlose präexistente Urbilder, die Relevanz für unser Bewusstsein und Handeln erlangen können.1 Diese Archetypen können durch Geschichten und Mythen übertragen, an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst, modifiziert und in die jeweiligen Religionen/Kulturen integriert werden. Bei der Annahme eines differenzierten, aber doch verwandten Kulturraumes müssten nun entsprechende Mythen und Geschichten vorhanden sein, die über Epochen und verschiedene Gruppen hinweg in der Lage sind, derartige Archetypen zu transportieren. Für die Geschichtswissenschaft birgt das Imaginäre natürlich einige Probleme, welche aber nicht wirklich neu sind: Schon die frühen Historiker waren sich der Kraft der Fiktion und des Imaginären bewusst und damit auch mit dem Problem konfrontiert, Fakten und Fiktion zu trennen. In der letzten Dekade des Philosophenkaisers Marcus Aurelius etwa, beschäftigte Denker ein großes Problem: Seit der homerischen Dichtung schien die Geschichte des Mittelmeeres von Mythen völlig verdeckt. Die nun an die Macht kommenden Römer hatten Schwierigkeiten, zwi1

Carl G. Jung, Archetypen, 16. Aufl., München 2010, S. 45 ff.

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5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran

schen all diesen Mythen die „Wahrheit“ zu erkennen. Das Heldenzeitalter vermischte sich mit dem Wirken von Solon und Kleisthenes, und Romulus und Remus waren die Vorfahren der Gracchen und von Cicero. Geschichte war also einfach eine Handlung, die stattgefunden haben soll und somit keine exakte Biographie: „(…) it was the received account of the past that reached back into the mystical times without a break“.2 Von kaum einem wurde diese schwer zu ziehende Trennung von Imaginärem und Realem im Orient besser beschrieben, als von Egon Friedell bei seinen Ausführungen zu Sargon dem Großen: „Schon seine Jugendgeschichte ist von Legenden umgeben. Es hieß, seine Mutter habe ihn heimlich zur Welt gebracht und in einem Schilfkästchen ausgesetzt: eine Geschichte, die bekanntlich auch von Krischna, Mose, Kyros, Romulus erzählt wird. Doch es wäre sehr töricht, hieraus Zweifel an seiner Geschichtlichkeit herzuleiten. (…) Wenn die Legende Sargons die gleichen Motive trägt wie die von Mose, so ist es dasselbe, als wenn ein musikalisches Motiv beim Auftreten des Helden erklingt (…). Man ist im früheren engstirnigen Rationalismus so weit gegangen, jede Persönlichkeit, um die sich Sagen ankristallisiert hatten, als suspekt zu betrachten. (…) Sagen sind vielleicht die einzigen historischen Überlieferungen, die, in einem höheren Sinne, niemals auf Erfindung beruhen, denn sie lassen sich nicht erfinden. Wie unvorstellbar müßten die Dichter, geschweige denn die Massen beschaffen sein, die einen einzigen der großen Helden und Heiligen ersinnen. An ,Sagen‘ wollen wir recht gerne glauben; und an absurde am liebsten.“3

Wenige Beispiele des Nahen Ostens weisen die hier skizzierte „arabische“ Perspektive des einheitlichen Ursprungs, der Fusion und des einfachen Überganges zwischen einzelnen Religionen, Regionen und Sprachen derartig umfassend auf, wie „Dilmun“ das sumerische Paradies und jener Ort, an dem Gilgamesch die Unsterblichkeit suchte. Hier spielt die Kraft der Imagination und Fiktion eine große und verbindende Rolle, indem sie zeitlose Mythen schafft, die von Anbeginn der Menschheitsgeschichte bis zum heutigen Tage überdauern, und die in den wichtigsten religiösen und literarischen Werken der Region Einzug hielten. Dieses Imaginäre ist in der Lage, menschliche Vorstellungen, ausgedrückt in fiktiven oder „realen“ Gegebenheiten, und über Zeiträume von mehreren tausend Jahren immer wieder in konkrete Erfahrungen und Reflektionen münden zu lassen. Der Name Dilmun erscheint auf einem der ersten schriftlichen Zeugnisse der Menschheit: auf den noch experimentellen sumerischen Keilschrifttafeln, die mit ca. 3000 v. Chr. datiert wurden. Gefunden wurden diese Tafeln in einem Tempel der Göttin Inanna in der mesopotamischen Stadt Uruk, im heutigen Südirak.4 Dilmun war für die Sumerer ein ganz besonderer Platz. Er wird als ein „reiner“ und „heiliger“ Ort beschrieben; als ein Paradies, in dem Wasser fließt und eine üppige Vegetation sprießt. Dilmun taucht so etwa im sumerischen Schöpfungsmythos „Enki und 2

Glen W. Bowersock, Fiction as History (Fiction). From Nero to Julian, London 1994, S. 7 ff. 3 Egon Friedell, Kulturgeschichte Ägyptens und des Alten Orients (6. Aufl.), Nördlingen 1996, S. 247 f. 4 Joan Crawford, Dilum and its Gulf Neighbours (Dilmun), Cambridge 1998, S. 1.

5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran

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Ninhusagh“ als der Platz auf, in dem Ninhursagh Enkis Samen verstreut.5 In diesem Mythos erscheinen die wohl berühmtesten und schönsten Zeilen über dieses Paradies: „Pure are the cities — and you are the ones to whom they are allotted. Pure is Dilmun land. Pure is Sumer — and you are the ones to whom it is allotted. Pure is Dilmun land. Pure is Dilmun land. Virginal is Dilmun land. Pristine is Dilmun land. In Dilmun the raven was not yet cawing, the partridge not cackling. The lion did not slay, the wolf was not carrying off lambs, the dog had not been taught to make kids curl up, and the pig had not learned that grain was to be eaten. When a widow had spread malt on the roof, the birds did not yet eat that malt up there. The pigeon then did not tuck its head under its wing. No eye-diseases said there, ‘I am the eye disease.’ No headache said there, ‘I am the headache.’ No old woman belonging to it said there, ‘I am an old woman.’ No old man belonging to it said there, ‘I am an old man.’ No maiden in her unwashed state resided in the city. No man dredging a river said there, ‘It is getting dark.‘ No herald made the rounds in his border district. No singer sang an elulam there. No wailings“6

Nun ist dies wohl beim näheren Hinschauen keine wirkliche Umschreibung eines Paradieses, eher wohl eines Ortes, an dem kosmische und weltliche Gesetze noch nicht gewirkt haben und der deshalb einen geradezu natürlichen Zustand aufweist.7 Allerdings wird die Wahrnehmung als Paradies im Gilgamesch Epos verstärkt. Hier reist der mythische Held zu König Uta-napischti (bzw. Ziusudra in der sumerischen Version), dem Helden der vorbiblischen sumerischen Sintflutgeschichte, der als einziger die Katastrophe überlebte und von den Göttern zum Dank mit dem ewigen Leben beschenkt wurde. Obwohl im Gilgamesch Epos die Heimat Uta-napischtis/ Ziusudras nicht genau genannt bzw. nur als Ort der „Mündung der Ströme“ bezeichnet wird, ist in den Fragmenten der früheren sumerischen Sintflutgeschichte die Heimat Uta-napischtis mit Dilmun, einem Land „in dem die Sonne aufgeht“, an5

Ders., Dilmun S. 2. Abgedruckt in: Beatrice André-Salvini, „The land where the sun rises …“. The Representation of Dilmun in Sumerian Literature (Paradise), in: Traces of Paradise. The Archaeology of Bahrain London, 2000, S. 28 – 35, hier S. 32. 7 Ebd. 6

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gegeben.8 Gilgamesch macht sich nach dem Tod seines Freundes auf zu Ziusudra, um von ihm das Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren. Als dieser ihm verrät, dass die auf dem Meeresgrund wachsende „stachelige Pflanze“ (Perlenmuschel?), die Unsterblichkeit bewirkt, taucht Gilgamesch danach und bringt sie an die Oberfläche. Ermüdet schläft er danach ein, woraufhin eine Schlange die Pflanze verschlingt und so verhindert, dass Gilgamesch sein Ziel erreicht. Seit diesem Zeitpunkt häuten sich die Schlangen zum Zeichen der Unsterblichkeit und Wiedergeburt. Erkennend, dass jemand, der den Schlaf nicht besiegen kann, wohl auch nicht den Tod überwältigen kann, kehrt Gilgamesch geläutert nach Uruk zurück und beschließt, als dessen König durch irdische Taten Unsterblichkeit zu erlangen. Soweit der in der Tafel XI abgebildete Text.9 Aber nicht nur in den Mythen bekam Dilmun immer mehr Konturen. Als in den 1930er Jahren der Archäologe Woolley in Ur, ebenfalls im Südirak, begann ein Wohnviertel auszugraben, entdeckte er das Haus von Ea-nasir, einem Alik Tilmun, einem Dilmunhändler, samt umfangreicher Korrespondenz.10 Offensichtlich war Dilmun nicht nur ein mystisches Paradies, sondern auch ein Umschlagort für wichtigen Warenhandel – insbesondere Kupfer – zwischen Sumer/Babylon, dem fernen Meluhha (wahrscheinlich die Industal-Zivilisation) und Makkan (Oman). Zu der ursprünglichen Wahrnehmung als Paradies kam im Laufe der Zeit eine ganz handfeste wirtschaftliche Deskription hinzu, ohne dass Dilmun deshalb seinen sakralen Charakter zu verlieren schien. Diese Dualität von Sakralem/Imaginärem und Realem ist zwar ungewöhnlich, aber nicht ohne bekannte Beispiele: „A somewhat similar situation can perhaps be seen in the nineteenth century Western Europe where Jerusalem, which in much of the medieval period was inaccessible to the West, was seen as a synonym for perfection. By the late nineteenth century enough travellers had visited the city to know that the reality was different, but its mythical status was too well established to be dented and remained a powerful metaphor.“ 11

Dilmun erschien nun plötzlich als ein durchaus realer Ort, der einiges wissenschaftliche Interesse auf sich zog. Natürlich waren die im Gilgamesch Epos und anderen Schriften verwendeten geographischen Angaben über Dilmun sehr ungenau. Sargon II. beschrieb Dilmun etwa dreißig Beru von Sumer entfernt, inmitten der See liegend. Nimmt man an, dass man in einem Beru, also einer Doppelstunde, 10 Meilen segeln kann, kommt man auf eine Distanz von ca. 300 Meilen von der südirakischen Küste entfernt.12 Relativ früh vermuteten deshalb Archäologen, dass die Insel Bahrain mit Dilmun gleichzusetzen sein müsste. Immerhin würden die Distanzan8

„At that time, the king Ziusudra who protected the seed of mankind at the time (?) of destruction, they settled in an overseas country, in the orient, in Dilmun.“ W. G. Lambert/A. R. Millard, Atrahası¯s. The Babylonian Story of the Flood, Oxford 1969, S. 145. ˘ 9 Walter Röllig, Gilgamesch Epos, Stuttgart 2009, S. 107 ff. 10 Joan Oates, Babylon, London 1986, S. 77. 11 Crawford, Paradise, S 3. 12 Zu den sumerischen Texten über Dilmun vgl. ders., Paradise, S. 2 ff.

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gaben ziemlich genau passen. Diese Hypothesen wurden erhärtet, als der englische Leutnant Durant 1879 in Bahrain einen Stein fand, auf dem sich die Inschrift „Palast von Rinum, Diener des Gottes Inzak“ fand. Inzak wurde schon auf den in Mesopotamien gefundenen Hymnen als eine dilmunische Gottheit beschrieben.13 Und noch ein wichtiges Faktum sprach für die Identifikation Bahrains mit dem sumerischen Paradies: Die Insel gilt als eine der weltweit größten Regionen für frühzeitliche Grabtumuli. Weite Teile der Insel sind von kleinen und großen Grabhügeln überzogen, die in unseren Tagen langsam aber konsequent der fortschreitenden Urbanisierung zum Opfer fallen. Die Vermutung lag also nahe, dass sumerische Pilger diesen Ort aufsuchten, um in heiliger Erde zu sterben, ähnlich wie schiitischen Gläubige die Bestattung in der irakischen Stadt Nadschaf als einen geweihten Akt betrachten. Zudem ist Bahrain einer der wenigen Orte am Arabischen Golf, der über eine Vielzahl von Süßwasserquellen verfügt und so üppige Vegetation hervorbringt, die gerade im Kontrast mit der kargen umgebenden Region durchaus einen „paradiesischen“ Eindruck erweckt. In der hellenistischen Phase Arabiens wurden die Berichte über Dilmun zahlreicher. Alexander der Große wollte die arabische Halbinsel erobern und sandte drei Erkundungsexpeditionen in den arabischen Golf, die von den Admiralen Archias, Androsthenes und Hieron geleitet wurden. Arian überliefert, dass Archias Alexander über die Insel „Tylos“ berichtete – offensichtlich die griechische Variante des Namens Dilmun/Tilmun – und deren üppige Vegetation pries. Schließlich schrieb Nearchos seinen berühmten Periplus, einen Seereisebericht, in dem er von einer großen Insel namens Tylos und einer kleinen namens Arados berichtete.14 Die gegenüber der Hauptinsel Bahrains liegende Insel Muhharak, in deren modernem Namen noch die alte Bezeichnung enthalten ist, wurde noch zu Zeiten Karsten Niebuhrs 1765 Arados genannt.15 In den Berichten sind auch Hinweise auf die Wanderung der arabischen/semitischen Völker von der arabischen Halbinsel an das Mittelmeer enthalten, die sich auch in Strabos „Geographie“ wiederfanden:

13 Der Bericht von Durand ist abgedruckt in: Michael Rice, Dilmun Discovered (Dilmun), London 1984, S. 9 – 37. Der Stein wurde während der deutschen Bombenangriffe auf London zerstört. 14 Vgl. Die Zusammenfassung der griechischen und römischen Berichte über Tylos in: Daniel T. Potts, The Arabian Gulf in Antiquity. Vol. 2: From Alexander the Great to the Coming of Islam (Arabian Gulf), Oxford 1990, S. 103 – 145. Für die Reiseberichte vgl. auch Monika Schuol, Die Charakene. Ein mesopotamisches Königreich in der hellenistisch-parthischen Zeit (Charakene), Stuttgart 2000, S. 260 ff. Für die Umwandlung von Dilmun und Tylos vgl. Potts, Arabian Gulf, S. 127: „As for the obvious similarity between Greek Tylos and Akkadian Tilmun, this transformation has been explained (…) in the disappearance of the Akkadian labial m via w, positing an original Tylwos. The m/w substitution in Aramaic names derived from Akkadian is also apparent in the Syriac form of the name, TLWN.“ 15 Ebd.

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5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran „Dem weiter Schiffenden zeigen sich zwei andere Inseln, Tyrus und Aradus, welche den phönizischen ähnliche Tempeln enthalten; auch behaupten wenigstens die Bewohner, die gleichnamigen Inseln und Städte der Phönizier seien Kolonien von ihnen.“16

Seit dieser Bemerkung, wird die These des Ursprungs der Phönizier aus Dilmun kontrovers diskutiert. Allerdings ist es auffällig, dass die beiden Städte Tylos/Tyros und Arados im Arabischen Golf dem Namen zweier Städte Phöniziens beinahe völlig entsprechen (Tyros und Arad), welche ebenfalls auf einer Insel liegen. Diese mythische Geschichte über die Verbindung der beiden Regionen könnte dann durchaus ein Nachhall jener Wanderbewegung der arabischen/semitischen Völker sein, die es zu dieser Zeit in ihren zyklischen Bewegungen in die nördlichen Regionen zog.17 Als in den 1950er Jahren der dänische Archäologe Geoffrey Bibby auf die Insel kam, wollte er den Nachweis für Dilmuns Identifikation mit dem heutigen Bahrain erbringen, und begann an einer der höchsten Erhebung der Insel mit Ausgrabungen.18 Relativ schnell wurde er fündig. Nahe der Hauptstadt Manama, neben dem portugiesischen Fort, das diese Schutthügel als Verteidigungsanhöhe nutzte, konnte er in fünf bis zehn Metern Tiefe mehrere übereinander liegende „Städte“ finden. Er datierte die Stadt I auf 3000 v. Chr. und somit auf eine Zeit, die den Beginn der menschliche Zivilisation markiert und in die Epoche noch vor Gilgamesch fällt. Neben diesen Städten machte er zwei weitere wesentliche Entdeckungen: Unweit Manamas, in der kleinen Stadt Barbar, entdeckte er einen sumerischen Tempel, der eine markante bauliche Eigenschaft aufwies: Über eine Treppe konnten die Gläubigen zu einer sorgsam ummauerten Süßwasserquelle gelangen, die erst in den letzten Jahren austrocknete.19 In der sumerischen Glaubenswelt herrschte die Vorstellung, dass unter der Erde ein Ozean aus Süßwasser existiert. Dieser Abzu wird vom Gott Enki beherrscht, der ja in der Sage von Ninhursagh in Dilmun Leben zeugte.20 Bibby weitete seine Grabungen auch auf die benachbarten Gebiete SaudiArabiens bis zur Insel Failaka aus, die heute zu Kuwait gehört und sich in Sichtweite der Küste befindet. Dort konnte er einen kleinen Tempel und ein Fort aus der hel16

Strabo, Geographica, 16,3,4,766. Glen W. Bowersock, Tylos and Tyre: Bahrain in the Graeco-Roman World (Bahrain), in: Al-Khalifa, S.H.A./Rice, M. (Hrsg.), Bahrain through the Ages, London 1986, S. 399 – 406, hier 400 f. 18 Geoffrey Bibby, Looking for Dilmun (Dilmun), New York 1969. 19 Bowersock, Bahrain, S. 404, weist darauf hin, dass in dem Periplus von Androsthenes das Wort „Berberi“ als die dilmunische Bezeichnung für Muscheln überliefert ist und vermutlich in der arabischen Bezeichnung für den in der Nähe der Ausgrabungen befindlichen Ort „Barbar“ aufgegangen ist. Über dieses Wort lässt sich wiederum eine Beziehung zur phönizischen Stadt Tyros herstellen: „There is no trace whatever in Nonnos of immigration from the Gulf – unless, by chance it is to be found in the name of a local water-nymph, who is invoked in the description of the site of Ras al-chain at Tyre. She is called (Abarbare), and one cannot help wondering whether here in a strange name there is perhaps an echo of the people who long before, in the Arabian Gulf, had fished for berberi.“ 20 Dieses Wort hat als einziges sumerisches Vokabel als „Abyss“ (Tiefe) Eingang in die englische Sprache gefunden. 17

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lenistischen Periode freilegen. In dem Tempel fand er eine Inschrift, die diese Insel als „Ikaros“ bezeichnete, womit diese Ansiedlung als eine Gründung aus der Zeit Alexanders des Großen identifiziert werden konnte. Daneben wurde auch eine weitere Inschrift gefunden, die dem Gott Inzak gewidmet war. Eine Verbindung zwischen Dilmun und Failaka konnte somit angenommen werden. Neben diesen sensationellen Funden, die einmal mehr die hellenistische Einwirkungen auch in dieser unwirtlichen Region unter Beweis stellten, wurde er von lokalen Mitarbeitern auf einen kleinen künstlichen Tell, einen Hügel, aufmerksam gemacht, der aus Schichten von Steinen erbaut und mit vielen Fahnen geschmückt war. Dieser Schrein, so die Einheimischen, war eine Verehrungsstätte für einen islamischen Heiligen, AlKhidr (Al-Hidr), was auf Arabisch einfach nur „der grüne Mann“ bedeutet.21 Dieser ˘ ¯ insbesondere von der schiitischen Bevölkerung besucht. Wenn Frauen Schrein wurde Nachwuchs erhofften – so die mündlichen Überlieferungen – sollten sie dienstags nachts ein Gebet im Schrein Al-Khidrs sprechen. Zu dieser Zeit konnte Bibby mit diesem Namen nicht viel anfangen und es sollte noch einige Jahre dauern, bis er eine Verbindung herstellen konnte. Im Zuge der Fertigstellung seiner Forschungsergebnisse stieß Bibby auf ein ungelöstes Problem: wenn Dilmun Bahrain ist, bleibt das Faktum, dass der Name „Bahrain“ für die Inselgruppe nicht älter als der Islam ist. Bahrain ist ein arabischer Dual und bedeutet „zwei Meere/Seen“. Diese Bezeichnung wiederum ist in Anbetracht der sumerischen Vorstellungen von den zwei Seen, dem süßen unterirdischen Wasser des Abzu und dem bitteren des Meeres recht einleuchtend und passend. Insofern setzen sich im arabischen Namen „Bahrain“ die sumerischen Mythen fort. Es blieb aber bei dem Problem, dass diese Bezeichnung erst seit relativ kurzer Zeit existierte. Bibby versuchte deshalb herauszufinden, ob „Bahrain“ als Bezeichnung für einen geographischen Ort nicht doch älter sein könnte. Auf dieser Suche erschien es ihm naheliegend, im Koran, als dem ältesten arabischen Buch, nach der Nennung von „Bahrain“ zu suchen. Er fand drei, wovon zwei relativ kurz sind. Es war die dritte Nennung, die Anlass für Spekulationen gab. Das Wort „Bahrain“ erscheint im zweiten Drittel der Sure der Höhle (Sure 18, Vers 59 – 82), in der eine recht ungewöhnliche Geschichte erzählt wird, die hier wiedergegeben werden soll:22 „Und als Mose zu seinem Knecht sagte: ,Ich werde nicht ablassen, bis ich den Zusammenfluss der beiden Meere erreicht habe, und sollte ich lange Zeit unterwegs sein.‘ Als sie deren Zusammenfluss erreicht hatten, vergaßen sie ihren Fisch, so nahm er seinen Weg, wie einen Tauchpfad. Als sie vorbeigegangen waren, sagte er zu seinem Knecht: ,Bring uns unser Mittagessen. Wir haben ja auf dieser Reise (viel) Mühsal erlitten.‘ Er sagte: ,Was meinst du? Als wir beim Felsen Rast gemacht haben, da habe ich den Fisch vergessen. Vergessen ließ mich ihn nur der Satan, sodass ich nicht mehr an ihn dachte. Und er nahm seinen Weg ins Meer auf wunderbare Weise.‘ Er sagte: ,Das ist es, was wir suchten.‘ Da kehrten sie beide zurück und suchten nach ihren Spuren. Sie trafen einen von unseren 21 Zu den verschiedenen Schreibweisen von Khidr vgl. A.J. Wensick/J.H. Kramers (Hrsg.), Handwörterbuch des Islam, Leiden 1941, S. 286 ff. 22 Hier in der Übersetzung von Adel Theodor Khoury, Der Koran, München 2011, S. 227 f.

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5. Exkurs: Dilmun, Gilgamesch, Al-Khidr und der Koran Dienern, dem Wir Barmherzigkeit von Uns hatten zukommen lasssen und dem Wir Wissen von Uns gelehrt hatten. Mose sagte zu ihm: ,Darf ich dir folgen, auf dass du mich von dem lehrst, was du über den rechten Weg gelehrt worden bist?‘ Er sagte: ,Nimmer wirst du bei mir aushalten können. Wie willst du das aushalten, wovon du keine umfassende Kenntnis hast?‘ Er sagte: ,Du wirst finden, so Gott will, dass ich standhaft bin, und ich werde gegen keinen Befehl von dir ungehorsam sein.‘ Er sagte: ,Wenn du mir folgst, dann frage mich nach nichts, bis ich selbst mit dir zuerst darüber rede.‘ Da zogen sie weiter. Als sie nun das Schiff bestiegen, schlug er darin ein Loch. Er sagte: ,Wie konntest du ein Loch darin schlagen, um seine Besatzung ertrinken zu lassen? Du hast da eine grauenhafte Sache begangen.‘ Er sagte: ,Habe ich nicht gesagt, dass du nimmer bei mir wirst aushalten können?‘ Er sagte: ,Belange mich nicht dafür, dass ich vergessen habe, und bedrücke mich in meiner Angelegenheit nicht mit einer schweren Last.‘ Da zogen sie beide weiter. Als sie dann einen Jungen trafen, tötete er ihn. Er sagte: ,Wie konntest du einen unschuldigen Menschen töten, und zwar nicht als Wiedervergeltung für einen (anderen) Menschen? Du hast da eine verwerfliche Sache begangen.‘ Er sagte: ,Habe ich dir nicht gesagt, dass du nimmer bei mir wirst aushalten können?‘ Er sagte: ,Wenn ich dich nach diesem noch einmal nach irgendetwas frage, dann lass mich dich nicht länger begleiten. Du hast dann von mir aus bereits eine Entschuldigung erhalten.‘ Dann zogen sie beide weiter. Als sie dann zu den Bewohnern einer Stadt kamen, baten sie ihre Bewohner um etwas zu essen. Sie weigerten sich, sie zu bewirten. Da fanden sie in ihr eine Mauer, die einzustürzen drohte. Er richtete sie auf. Er sagte: ,Wenn du gewollt hättest, hättest du dafür einen Lohn nehmen können.‘ Er sagte: ,Jetzt ist die Trennung zwischen mir und dir fällig. Ich werde dir die Deutung dessen kundgeben, was du nicht aushalten konntest. Was das Schiff betrifft, so gehörte es armen Leuten, die auf dem Meer arbeiten. Ich wollte es schadhaft machen, denn ein König war hinter ihnen her, der jedes Schiff mit Gewalt nahm. Was den Jungen betrifft, so waren seine Eltern gläubige Menschen. Da fürchteten wir, er würde sie durch das Übermaß seines Frevels und durch seinen Unglauben bedrücken. Und was die Mauer betrifft, so gehört sie zwei Waisenjungen in der Stadt. Unter ihr befand sich ein Schatz, der ihnen gehört. Ihr Vater war rechtschaffen. Da wollte dein Herr, dass sie erst ihre Vollkraft erreichen und ihren Schatz herausholen, aus Barmherzigkeit vor deinem Herrn. Ich tat es ja nicht aus eigenem Entschluss. Das ist die Bedeutung dessen, was du nicht aushalten konntest.‘“

Unschwer zu erkennen, ist diese Geschichte eine Theodizee-Legende. Damit werden jene Geschichten umschrieben, in der ein Held etwas erlebt, das ihn an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln lässt, dann aber über die Hintergründe des Geschehens informiert wird, wodurch er sein Vertrauen in die göttliche Gerechtigkeit wiedererlangt. Im Fall der 18. Sure werden diese Zweifel auf eine extreme Art herausgefordert: „Kindermord ist ja das grausamste Verbrechen, dass sich der Mensch vorstellen kann und die härteste Strapazierung des Theodizee (man denke an die von Gott geforderte Schlachtung Isaaks bzw. Ismails oder den Kindermord von Betlehem)“.23 Bibby wurde nun auf die Rolle dieses „Diener Gottes“ aufmerksam, den Moses am „Zusammenfluss der beiden Meere“ (Madschma’a l-Bahraini) traf. Dieser Gottesknecht wurde in den Hadithen und Überlieferungen mit Khidr identifiziert.24 Genau jenen Khidr eben, dessen Schrein auf Failaka neben den hellenistischen und 23 24

Patrick Franke, Begegnungen mit Khidr (Khidr), Beirut 2000, S. 72. Vgl. die hier vorhandenen arabischen Quellen in: Franke, Khidr, S. 70 ff.

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dilmunischen Ausgrabungen gefunden wurde.25 Khidr erscheint etwa in den verschiedenen arabischen Fassungen des Alexander Epos als ein Gelehrter, der mit übernatürlichem Wissen ausgestattet ist und Rätsel lösen kann, die kein anderer zu lösen vermag. Khidr wird verschiedenen Naturelementen zugeordnet, zu den heiligen Stätten des Islam in Beziehung gesetzt, und vor allem in die islamischen Vorund Endzeit-Vorstellungen integriert.26 Khidr-Legenden bzw. Geschichten über Begegnungen mit dem ewig Fortlebenden kursieren in den verschiedenen Ländern der islamischen Welt27 und auch in Europa ist seine Figur nicht unbekannt.28 Khidr ist unsterblich, da er von der Lebensquelle getrunken hat. Wieso aber trifft Khidr, der im Alexanderepos ja dessen Diener ist, stattdessen im Koran auf Moses? Bibby vermutete, dass wir es hier offensichtlich mit einer sumerischen/babylonischen Geschichte zu tun haben, die in den Koran Einzug hielt, so wie das sumerische Sintflutepos zuvor in die Bibel: „It looks as though we have an alternative story of Gilgamesch, rather different from the Babylonian and Sumerian versions, and transferred by the Koran from the hero Gilgamesh, who was forgotten in the Prophets’s time, to the hero Moses, who was known to every Arab.“ 29 Wenn man nun Gilgamesch oder Enki anstatt Moses annimmt, wer könnte dann Khidr sein? Folgt man dem Erzählstrang des Gilgamesch-Epos, müsste man Khidr mit Uta-napischti/ Ziusudra gleichsetzen können. Auch dieser war unsterblich und wohnte ebenfalls an der „Mündung der Meere“.30 Und so fügen sich transzendentale Elemente, wie etwa das Paradies bzw. die Unsterblichkeit, zusammen und manifestieren sich in verschiedenen Epochen in immer neuen, aber ähnlichen Ausprägungen. Auch die schiitischen Frauen, die vor Khidrs Schrein auf Failakka um ein Kind beten, suchen in gewisser Weise die Unsterblichkeit …31

25 Bibby, Dilmun, S. 255 ff., beschreibt, dass er erst nach vielen Jahren der Ausgrabungen im Golf auf die Verbindungen zwischen Khidr und Bahrain/Dilmun/Tilmun/Tylos aufmerksam wurde. Dies ist allerdings wohl eher der erzählerischen Dramatik seines erfolgreichen Buches über die Entdeckung Dilmuns geschuldet. Schon 1928 beschrieb nämlich der Jesuit Burrows in seinem handgeschriebenen Beitrag „Bahrain, Tilmun, Paradise“ (Wiederabdruck in: Rice, Dilmun, S. 166 – 192), die Verbindung zwischen dem in der 18. Sure auftauchenden Gottesknecht am Zusammenfluss der beiden Meere und Khidr. Schwer vorstellbar, dass Bibby diesen Text nicht kannte. 26 Franke, Khidr, S. 2. 27 Vgl. hierzu die Übersicht über die „Sichtungen“ Khidrs in der islamischen Welt in: ders., S. 7 ff. 28 So kommt Khidr gleich am Anfang in Goethes „West-Östlicher-Diwan“ vor, in dem zu einer „Hegire“ zu „Chisers Quell“ aufgerufen wird: „Nord und West und Süd zersplittern,//Throne bersten, Reiche zittern://Flüchte du, im reinen Osten//Patriarchenluft zu kosten,//Unter Lieben, Trinken, Singen//Soll dich Chisers Quell verjüngen.“ 29 Bibby, Dilmun, S. 260. 30 Ebd. 31 Ders., Dilmun, S. 261.

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Wir können nun im Rahmen dieser Geschichte die longue durée geschichtlicher Ereignisse, Mythen und Vorstellungen der arabischen/semitischen Völker sehr gut erkennen: Ereignisse, die bis in das Morgengrauen der menschlichen Zivilisation zurückreichen, werden von den verschiedenen arabischen/semitischen Stämmen/ Völkern und ihren Sprachen/Dialekten manigfaltig übertragen und weiterentwickelt. Diese durch die arabischen Wanderbewegungen ausgelösten Übertragungen und Vermischungen nehmen Rücksicht auf die jeweiligen Besonderheiten und Gegebenheiten. Sie finden neue Ausdrucksformen, aber sie sind selbst über die Jahrtausende erkennbar. Als Übertragungsmechanismus solch fundamentaler Themen wie Tod sowie Unsterblichkeit und Glaube ist das Imaginäre dienlich. Der Begriff des Imaginären umfasst jenen Erfahrungsbereich, der sich hinter den bekannten Horizonten aus Raum und Zeit verbirgt: „Das Imaginäre ist in einem intermediären Bereich zwischen Religion, Literatur, Kunst und Politik angesiedelt und schließt alle diejenigen Vorstellungen ein, die das Weltbild einer bestimmten Gruppe von Menschen haben kann.“32 Die Kraft des Imaginären ist deswegen so beständig, weil sie auch eine tiefenpsychologische Komponente aufweist. C.G. Jung hatte die 18. Sure sehr intensiv analysiert und kam zu dem Ergebnis, dass der Zusammenfluss der „beiden Meere“ auch den Zusammenfluss von Bewusstsein und Unbewusstem bedeuten kann. Der Fisch, den man suchte und wieder verlor, war die Erkenntnis. In der Jungschen Diktion würde dann Khidr, der den im Unbewussten angesiedelte Archetyp des „Selbst“ (stellt die Einheit von Bewussten und Unbewusstem in einer optimalen Persönlichkeit dar) repräsentiert, das bewusste „Ich“, repräsentiert durch Moses, zu größerer Weisheit führen: „Khidr may well be a symbol of the self. His qualities signalize him as such: he is said to have been born in a cave, ie. in darkness. He is the ,Long-lived One,‘ who continually renews himself, like Elijah. Like Osiris, he is dismembered at the end of time, by Antichrist, but is able to restore himself to life. He is analogous to the Second Adam, with whom the reanimated fish is identified; he is a counsellor, a Paraclete, ‘Brother Khidr’. (… ) Khidr symbolizes not only the higher wisdom but also a way of acting which is in accord with this wisdom and transcends reason.“ 33

Das Imaginäre entsteht, weil der Mensch in zwei Welten zugegen ist, der realen und der imaginären Welt der Träume und Vorstellungen.34 Der Mensch – so zeigte schon Dodds in seiner Analyse der klassischen und vermeintlich rationalen griechischen Kultur auf – neigt stets dazu, aus den engen Umgrenzungen der realen Welt auszubrechen, um Erklärungen für zentrale Themen zu erlangen, die ihm heute noch 32

Franke, Khidr, S. 1. Carl G. Jung, Concerning Rebirth. A Typical Set of Symbols Illustrating the Process of Transformation, in: Collected Works of C.G. Jung, Vol 9. Part 1, Princeton 1968, S. 247. Auszugsweiser Neuabdruck in ders., Four Archetypes. Mother, Rebirth, Spirit, Trickster, Princeton 2010, S. 74 f. 34 Evelyne Partlagean, Die Geschichte des Imaginären (Imaginäre), in: Jaques Le Goff et al. (Hrsg.), Die Rückeroberung des historischen Denkens. Grundlagen der Neuen Geschichtswissenschaft, Frankfurt/M. 1990, S. 244 – 279. 33

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unerklärlich sind: „For normal men it is the sole experience in which they can escape the offensive and comprehensive bondage of time and space.“35 Und auch in der islamischen Welt, insbesondere im islamischen Mittelalter, wurde das Imaginäre – ausgedrückt in der Alam Al-Mitha¯l, der imaginären Welt der Gleichnisse – dann wichtig, wenn bedrängte Gruppen, eine Ausdrucksebene suchten, die sie im realen Leben nicht mehr fanden.36 Natürlich versucht der Mensch die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen festzulegen. Dies geschieht immer wieder dadurch, dass Teile des Imaginären in Volksbräuche und Glaubensvorstellungen integriert werden. Andere Grenzen werden so gezogen, dass gewisse Verhaltensweisen und Praktiken als Obsession oder Wahnsinn markiert und geächtet werden können.37

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Wir können annehmen, dass Figuren wie die des Khidr als Übertragungsmedium bzw. Kristallisationspunkt dieser imaginären Themen dienen: seine eigenartige Rolle im Islam eignet sich hierzu ausgezeichnet, da er kein offizieller Bestandteil der religiösen Schriften ist und deshalb mehr Freiräume und Möglichkeiten bietet, jene archetypischen Mythen und Ereignisse aus vorislamischer Zeit zu erfassen und zu integrieren, die die Menschen seit jeher bewegen: „Khidr reveals to Moses the secret mystic truth … that transcends the sharia a, and this explains why the spirituality inaugurated by Khidr is free from the servitude of literal religion.“38 Damit wurde eine wichtige religiöse Kontinuität geschaffen und die Attraktivität des Glaubens erhöht. In dem Sinne, dass das Imaginäre und die Fiktion immer auch wichtige Bestandteile der Geschichte sind, und dass sie in ihrer jeweiligen Zeit oft für wahr und real gehalten wurden. Und so können wir erkennen, dass im arabischen Raum diese „Vermischungen“ und „Übertretungen“ nichts Ungewöhnliches sind und ein solcher, durch Wanderungen und Migrationen aufgespannter Betrachtungsbereich nicht nur durch ähnliche Sprachen und Kulturen entsteht, sondern auch durch gemeinsame archetypische Themen, die zentrale Aspekte des Lebens behandeln.

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E.R. Dodds, The Greeks and the Irrational (Irrational), Berkely 1951, S. 102. Vgl. die Rolle des Imaginären in der bedrängten Sufikultur: „Without denying the reality of the physical world, the Muslim spiritualists-a milieu of political uncertainty, socioeconomic unbalance, and general external deterioration-sought refuge in a realm that was more satisfying and certainly more liquid and amenable to imaginative powers.“ Faizlur Rahman, Dream, Imagination, and Alam al-mitha¯l, in: Gustav H. von Grunebaum /Roger Caillois (Hrsg.), The Dream in Human Societies, Berkeley 1966, S. 409 – 420, hier S. 419. 37 Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (Wahnsinn), Frankfurt/M. 1968, hat erläutert, wie die westliche Kultur diese Grenzen innerhalb ihres eigenen Systems gezogen hat – durch die Festlegung der Konturen des Wahnsinns. Über den Wahnsinn in der klassischen griechischen Kultur, welche das „göttliche Fieber“ durchaus positiv deutete vgl. Dodds, Irrational, S. 64. Auch die Verehrung Khidrs ist innerhalb des Islam natürlich nicht unumstritten und wird etwa von einigen Gelehrten des Wahabitentums als Ketzerei und religiösen Frevel bezeichnet. Vgl. Franke, Khidr, S. 264. 38 Tom Cheetham, Green Man, Earth Angel. The Prophetic Tradition and the Battle for the Soul of the Earth, New York 2005, Pos. 1175. 36

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6. Der hellenistisch-römische Orient: Dark Design, Verdrängung, Vergessen und keine Erklärung? Seit Edward Saids Buch „Orientalism“ stehen die westlichen Wissenschaften, die sich mit dem Orient beschäftigen, unter dem Generalverdacht, ihre Objektivität einer Machtbeziehung unterzuordnen, die danach trachtet, die östliche Gesellschaft, Kultur und Religion unter westliche Hegemonie zu stellen.1In eindrucksvoller Art und Weise gelang es Said, die Vorurteile, Fehlurteile und teilweise Stimmungsmache vieler alter und aktueller Orientalisten von Cromer bis Lewis zu „entlarven“. Einen wichtigen Startpunkt für diese Beziehung sieht Said vor allem in der Besetzung Ägyptens durch Napoleon, die den Zeitpunkt einer verstärkten Kontaktaufnahme des Westens mit dem Orient darstellt. Allerdings bleiben bei dieser Betrachtung zwei wesentliche Fragen ausgespart: Wie konnten die Orientalisten quasi aus dem Stand auf derartige Denkmodelle zurückgreifen? Und vor allem: Ist dieser Orientalismus wirklich allein durch eine neuzeitliche imperialistische Beziehung begründbar und gibt es nicht auch eine andere, tiefere und ältere motivierende Dimension abseits dieser reinen Machtbeziehung? In den letzten Jahren haben sich – von dieser Diskussion seltsam unberührt – vor allem auch arabische Historiker verstärkt einer Zeitepoche gewidmet, die fast auf den Tag genau 700 Jahre umfasst und sich von den arabischen Eroberungen des Pompeius (63 v. Chr.) bis zum Sieg der Araber über Rom in der Schlacht von Yarmu¯k/ Ja¯biya (Hieromax) im Jahre 636 zieht. Gegenwärtig wird ein äußerst faszinierendes Bild der arabischen Welt als eine Region, die weitgehend in die hellenistisch-römische Welt integriert war, deren Bürger römische „Cives“ waren, also „Rhomaioi“, die berühmte Wissenschaftler, Senatoren und sogar Cäsaren stellten, und die am Ende dieser Epoche weitgehend christianisiert war. Diese intensive Phase der arabisch-westlichen Beziehungen basiert auf einem ferneren, aber genauso wichtigen Ereignis, nämlich dem Feldzug Alexanders, der viele arabische Gebiete unter griechische Herrschaft brachte und die griechische Zivilisation in vielfältiger Art und Weise mit der arabisch-semitischen Kultur verschmolz. Diese Periode der engen Bindungen an den Westen endete auch nicht mit dem Sieg des Islam. Griechisch war fast noch hundert Jahre nach Yarmu¯k die Sprache der arabischen Verwaltung. Die arabischen Christen und ihre Anführer waren als Untertanen der Kalifen auch für die Ausbreitung des östlichen, nestorianischen Christentums bis nach Afghanistan, Tibet

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Said, Orientalismus.

6. Der hellenistisch-römische Orient

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und Indien verantwortlich. Es gibt Schätzungen, dass etwa im Jahre 1000 fast so viele Christen in den von Bagdad aus gelenkten Kirchen lebten wie in Europa.2 Besonders hervorzuheben ist das Studium dieser Epoche auch, weil bei der intensiven Auseinandersetzung mit den klassischen Quellen durchaus Besonderheiten erkennbar werden: Die Betrachtung dieser Epoche kommt, wie wir schon auf Basis der Diskussion über die arabische Sprache und Ausbreitung der arabischen/semitischen Völker erahnen, allzu oft ohne Araber aus, denn die Tatsache, dass viele Araber römische bzw. griechische Namen annahmen, macht sie oft „unsichtbar“ – außer bei der Beschreibung räuberischer Nomadeneinfälle der „Saraceni“ aus dem semitischen Kernland, der arabischen Halbinsel. Dass Araber aber vor allem eine urbane Kultur in Syrien, Jordanien, Palästina, Ägypten und dem Irak geprägt hatten und die Herrschaft über weite Teile des Oriens und sogar des Römischen Reiches selbst innehatten, wird oft ausgelassen bzw. verdeckt. Und dort, wo Araber als solche identifiziert werden, ist das über sie gezeichnete Bild nur allzu oft negativ. Dieses Portrait sagt zunächst vor allem etwas über diejenigen aus, die dieses Bild komponierten. So erkennen wir, dass klassische Historiker (u. a. Procopius, Ammianus, Zosimus) schon jenen vorurteilsbeladenen Stil prägten, den Said bei den Orientalisten späterer Jahrhunderte verorten konnte. Wir müssen also erklären, wie es zur Entstehung dieser Bilder und auch, warum es zu dieser Übertragung in neuzeitliche Betrachtungen kam. Das „orientalistische Konzept“, im Sinne einer Erzähltradition hat ausgeprägte historische Wurzeln, die schon in einer Periode entstanden und wirksam waren, die lange vor der imperialistischen Phase des 18. und 19. Jahrhunderts lag. Damit wird auch leichter erkennbar, was die mögliche Basis bzw. Grundmotivation und -legitimation des Orientalismus darstellt. Ein Thema, das bei Said streckenweise in der Luft hängt, da er nicht erklärt, dass der Orientalismus sich in einem langtradierten Referenz- und Legitimationsrahmen bewegt, der ihn beliefert, stützt und über Jahrhunderte Bestand hat. Die Rolle bzw. Partizipation der Araber in der hellenistisch-römischen und christlichen Geschichte ist keine dunkle Phase, wie sie manchmal in der Geschichtswissenschaft bekannt ist, in der etwa Quellen und bauliche Zeugnisse auf einmal „verstummen“, um dann mit einem Schwung und mit aller Kraft wieder einzusetzen. Vielmehr sind die schriftlichen und archäologischen Quellen meist vorhanden. Ohne uns jetzt schon mit der Frage zu beschäftigen, warum diese Phase heute wenig präsent ist, soll zunächst der Versuch gestartet werden, einige wichtige

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Asien hatte zu diesem Zeitpunkt ca. 17 – 20 Millionen Christen. „By this point, a reasonable estimate would suggest that Europe had some 25 to 30 million Christians, many whose faith was very notional compared with the ancient churches of Asia and Africa. Most Asian Christians, in contrast, stemmed from Christian traditions dating back twenty-five or thirty generations. If raw numbers favoured Europe, Asia could still properly claim the leadership of the Christian world.“ Philip Jenkins, The Lost History of Christianity. The Thousand YearGolden Age of the Church in the Middle East, Africa, and Asia – and How it Died (Lost History), New York 2008, S. 70.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

geschichtliche Begebenheiten zu erläutern, um das Gewicht dieses Vergessens besser zu evaluieren und Gründe dafür zu finden.

6.1. Der hellenistische Orient Mit dem Sieg Alexanders über das Persische Reich und die nach seinem Tode ca. 320 v. Chr. einsetzende seleukidische Herrschaft trat der Hellenismus in den arabischen Raum ein. Schon die ersten Zusammentreffen zwischen den Arabern und Alexander deuten auf einen recht klaren und unüberbrückbaren Interessenkonflikt hin. Die Araber waren in der Küstenregion Syriens und Phöniziens eine präsente Macht und Alexander musste sogar seine Belagerung von Tyros ihrer Razzien wegen unterbrechen.3 Der Makedonier hatte mit seiner rücksichtslosen Eroberung von Tyros, vor allem aber mit dem Sturm auf das vom vermutlich arabischen Kommandanten Batis hartnäckig verteidigte Gaza (332 v. Chr.) nicht nur Furcht und Schrecken verbreitet. Gaza, als Endpunkt der wichtigen Weihrauchstraße, war mit seinen arabischen Kaufleuten und Söldnern von großer Wichtigkeit für die Handelswege Arabiens. Mit seinem Angriff schnitt Alexander die Route zwischen Arabien und dem Mittelmeer ab. Interessant ist hier, dass man in dieser Auseinandersetzung durchaus auch so etwas wie eine arabische Identität bzw. Interessenkonsolidierung erkennen kann: „Bei dem Krieg um Gaza blieb unklar, ob der Verteidiger Batis in erster Linie aus Loyalität gegenüber dem (persischen) Großkönig handelte oder ob er vor allem arabische Interessen verfocht, die mit Gaza als eine Art Freihandelshafen für arabische und indische Aromata zusammenhingen. Für den zweiten Punkt spräche der schonungslose Kampf, der an Tyros erinnert und der auf einen nationalarabischen Widerstand schließen ließe.“4

Sicherlich war sich Alexander eines Konfliktes mit den arabischen Interessen auch bewusst – immerhin wurde ja nun der gesamte Welthandel in griechische Regie übernommen – und er beschloss – nach der Eroberung Asiens – die Pattsituation zu beenden und Arabien zu erobern. Nachdem die Konfrontation mit den Arabern durch die Zerstörung Gazas offenkundig war, gab es ja kaum einen anderen Weg, den man hätte beschreiten können. Den Arabern ihrerseits muss ebenfalls bewusst gewesen sein, dass ein Kompromiss mit Alexander nur schwer möglich war. Welche Gründe dieser nun tatsächlich für eine solche Eroberung vorbrachte, ist nicht ganz gesichert. Strabo zitierte an zwei Stellen, dass die Araber es verabsäumten, Alexander in Babylon als neuen Herrscher zu huldigen. An einer Stelle wird aber klar von einem „Vorwand“ gesprochen, den Alexander durch das Nichterscheinen einer arabischen

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Högemann, Alexander, S. 27. Ders., Alexander, S. 48.

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Delegation anlässlich seiner Krönung zum Herrscher Babyloniens anführte, um Arabien zu besetzen.5 Zwar konnte Alexander sein Ziel, die Arabische Halbinsel zu erobern, auf Grund seines frühen Todes in Babylon nicht mehr umsetzen, der Ausbreitung des Hellenismus in der arabischen Welt unter seinen Nachfolgern setzte dies aber keine Grenze. So ist etwa nachweisbar, dass die Griechen des seleukidischen Nachfolgestaates bis hinunter in den Arabischen Golf siedelten und ihre Spuren hinterließen. Vor Kuwait findet sich auf der Insel Failaka, dem hellenistischen Ikaros, ein griechischer Tempel mit kretischen Weinamphoren und einer Widmung des seleukidischen Statthalters. Das heutige Bahrain wurde in dieser Periode Tylos genannt und verfügt über etliche hellenistische Funde.6 Wenngleich viele Städte und Siedlungen in dieser Region heute nicht mehr auffindbar sind, gilt doch, dass gerade die Seleukiden selbst in dieser unwirtlichen Region ein expansives Siedlungsprogramm betrieben.7 Noch stärker war natürlich der griechische Einfluss in Syrien: „Although the archaeological traces of Hellenistic Syria are frustrating few, the powerful impact of Greek culture can be seen everywhere a few centuries later in the early Roman imperial province of Syria.“8

So war etwa die arabische Karawanenstadt Palmyra bilingual; dasselbe galt für Damaskus, Bostra und Emesa. Obwohl es auch Meinungen gibt, dass die Hellenisierung niemals mehr als „skindeep“9 war, so macht in letzter Zeit Glen Bowersock darauf aufmerksam, dass die Hellenisierung möglicherweise durchaus tiefer verwurzelt war, als man dachte. So lässt sich das ausgeprägte arabische Selbstbewusstsein und die arabische Identität zur Zeit Mohammeds auch durch die Einwirkungen des hellenistischen Pantheons und Kultur erklären. Viele hellenistische Zeugnisse sind nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land zu finden. So 5 „Als Ursache des Krieges, sagt Aristobulus, habe er (Alexander, AA) vorgeschützt, daß unter den Völkern nur die Araber keine Gesandten an ihn abgesandt hätten, der wahre Grund aber sei das Streben gewesen, Beherrscher aller zu sein (…).“ Strabo, Geographica, 15,3,11. Högemann, Alexander, S. 54 ff., scheint dieser Stelle keine große Wichtigkeit beizumessen, da er vermutet, dass eher die „diplomatische Passivität“ der Araber ausschlaggebend war. Diese Zurückhaltung gegenüber Alexander wird damit begründet, dass der persische Großkönig noch am Leben war und die Araber nach dem Angriff auf Gaza sowieso nichts von Alexander erhofften. Unklar ist auch, welche Stämme für die Araber hätten sprechen können. Högemann vermutet, dass es jene – unspezifizierten – arabischen Einheiten waren, die im Dienste Persiens in Gaza und anderen Satrapien gegen die Griechen gekämpft hatten. 6 Zu Tylos, dem sumerischen Dilmun, vgl. Kap. 2. Für die gefundenen griechischen Inschriften auf Ikaros insbesondere der Stele des Ikadion und ihre Übersetzungen vgl. Potts, Arabian Gulf, S. 154 ff. 7 „Because of the Greeks’ love of the sea the Seleucids took such trouble to colonise the inner Persian gulf despite of the heat.“ William W. Tarn, The Greeks in Bactria & India, Chicago Ridge, IL, 1997 (Erstausgabe 1937), S. 66. Jedoch: „Unfortunately the evidence on which these statements are based is extremely sparse.“ Potts, Arabian Gulf, S. 15. 8 Bowersock, Hellenism, S. 30. 9 Hitti, Syria, S. 153.

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etwa eine Inschrift in der südsyrischen Stadt Sammet al Baradan, die auf einen Basaltstein gemeißelt wurde, aufgestellt von einem Mann und seinem Sohn: „Ausus, Obaidos sein Sohn, beide haben dieses Geschenk gemacht an Igales und seinen Engel (Angelôi), Idaruma.“ Beide Namen sind griechische Formen „semitischer“ Namen und gehören wohl zu Einwohnern dieser Gegend. Beide haben ihre Inschrift einem semitischen Gott Igales gewidmet, der die arabischen Elemente Allah Al-Ji beinhaltet (der Gott von Al-Ji). Al-Ji war eine Gottheit der Nabatäer. Der Engel dieser Gottheit wiederum beinhaltet die arabischen Elemente Ida (Hand) und Rouma (erhoben). Also ein Engel, der eine erhobene Hand ist.10 Die Übernahme der griechischen göttlichen Nomenklatur transformierte die ursprünglich überschaubare Anzahl arabischer Gottheiten enorm. So waren zur Zeit als der Prophet die Götzen in der Kaaba zerstörte, angeblich mehr als 360 arabische Götter in dieser Kultstätte vorhanden. Schon vorher versuchte deshalb ein gewisser Amr Ibn Luhayy im dritten Jahrhundert n. Chr. eine Gegenreformation mit dem Ziel, Hauptgottheiten zu bestimmen.11 Scheinbar war der Hellenismus als Modell in der Lage, lokaler Religiosität Ausdruck zu verleihen und damit dem Islam in gewisser Weise den Weg zu ebnen, indem ein arabisches Selbstwertgefühl etabliert werden konnte.12 Dieses wurde vor allem durch religiöse Messen und Veranstaltungen bewirkt, bei denen die verschiedenen Stämme zusammenkamen und einen identitätsstiftenden Interaktionsritus aufbauen konnten: „The worship of these deities provided at international festivals, held on a regular basis was borrowed directly from the traditions of fairs and festivals celebrated by the Greeks. In the best Hellenic tradition these pagan festivals of the Arabs included a statuary truce among all tribes.“13

Glen Bowersock wiederholte diese zentrale Bemerkung fast hundert Jahre nachdem schon der deutsche Orientalist Julius Wellhausen die Wirkungen dieser religiösen Messen im hellenistischen Stil für die Werdung einer arabischen Identität und auch als Verbreiter für den monotheistischen Glauben erkannte: „Bezeichnend sind die Wallfahrten der verschiedensten arabischen Stämme nach gewissen Heiligtümern, die eine allgemeine Anziehungskraft ausüben. Die Religion hat ihren bestimmten ethnischen Charakter mehr und mehr eingebüsst und einen syncretistischen angenommen. Sie hat auf diese Weise einen grossen und segensreichen Einfluss ausgeübt. In dem tumultuarischen Wirrwarr, der die Wüste füllt, bilden die Feste, zu Anfang jedes Semesters, den einzigen erfreulichen Ruhepunkt. Ein nicht kurz bemessener Gottesfriede unterbricht dann die ewige Fehde. Die verschiedensten Stämme, die sonst einander nicht über den Weg trauen, wallfahren unbesorgt, durch Freundes oder Feindes Land, gemeinschaftlich zu der selben heiligen Stätte. Der Handel wagt sich heraus, und es entsteht ein lebhafter, allgemeiner Verkehr. Man atmet auf und fühlt sich eine Zeit lang frei von den 10

Zit. n. Bowersock, Hellenism, S. 30 (eigene Übersetzung). Toufic Fahd, Le panthéon de L’Arabie centrale à la veille de L’Hégire, Paris 1968. 12 Die positiven Effekte von solchen Versammlungsplätzen für die einzelnen Gruppen für die arabische Identität vgl. auch von Grunebaum, Unity, S. 17. 13 Bowersock, Hellenism, S. 73. 11

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Schranken, die sonst jeden Stamm einschliessen und von anderen trennen; man lernt sich kennen: alle hervorragenden Männer, auch wenn sie durch weiteste Entfernungen getrennt wohnen, wissen von einander und haben sich in der Regel auch gesehen. Die Feststätten werden zu Messen und Märkten; in Ukatz gibt sich ganz Arabien ein jährliches Stelldichein. Dem Austausch der Waren folgt der geistige Austausch; er erstreckt sich auch auf die Poesie und die Tradition. Eine Gemeinschaft geistiger Interessen entsteht, die ganz Arabien umfasst: eine allerdings illiterate Literatur, eine über den Dialekten stehende Sprache, eine gewisse allgemeine Bildung und Anschauungsweise. Über der Zersplitterung der Stämme erheben sich die inneren Grundlagen der Nationalität, bestehend in dem Gesamtbesitz der geistigen Güter, welche dem Leben eines Volkes höhere Art und Würde verleihen. Allerdings hat diese Entwicklung die Fühlung mit der Religion einigermassen verloren. Man dachte wenig daran, dass die heiligen Monate dem Cultus dienen sollten; man hielt sie für bestimmt, um darin Geschäfte zu besorgen, Reisen zu machen und Handel zu treiben. Die Messe zu Ukatz hatte ein recht profanes Aussehen. Trotzdem hat hier überall der Einfluss der Religion, lange vor dem Islam, mitgewirkt, um ein geistig gleichartiges und geeinigtes Arabien zu schaffen.“ 14

Zu welchen Leistungen das hellenistische Modell im Dienste der lokalen arabischen Kultur in der Lage war, zeigen etwa die Ausgrabungen aus dem Dorf Faw im zentralen Saudi-Arabien. In südarabischer Musnadschrift und nordarabischer Grammatik finden sich Inschriften und vor allem auch Wandmalereien, auf denen einheimische Gesichter mit arabischen Namen wie etwa „Zeki“ umrahmt von Weinreben abgebildet sind. Diese Darstellungen sind typisch für den griechischen Einfluss und deuten auf den auch im Osten beliebten Dionysoskult hin.15 Die Malereien stellen wohl die arabische Transformation einer typischen „Euergesia“ dar, der hellenistischen Institutionen der Ehrung eines öffentlichen Wohltäters.16

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Die griechische Sprache blieb auch unter der römischen Herrschaft ein wichtiger Bestandteil Arabiens. In den Städten der griechischen Städtegemeinschaft im Oriens, den Dekapolis, finden sich kaum arabische/semitische Inschriften, sondern vor allem griechische.17 Besonders bemerkenswert ist, dass selbst nach der islamischen Eroberung die griechische Sprache für lange Zeit weiter Bestand hatte. So fanden sich bei Ausgrabungen in der Negevwüste Papyri aus der Zeit des umayyadischen Kalifen Abd Al-Malik (ca. 685 n. Chr.), die administrative Texte in arabischer und griechischer Sprache beinhalten. In diesen Texten ist auch gut beobachtbar, wie es zu einer Vermischung der beiden Sprachen kommt, wenn etwa Essensrationen (Rizq im Arabischen) im Griechischen zu „Rhouzikon“ werden. Der Kalif selbst wird in Griechisch zu „Abdelmalech“. Erst später ordnete eben dieser Kalif die Umstellung der Administration auf die arabische Sprache an. Der große Historiker des neunten Jahrhunderts, Al-Bala¯dhurı¯, erläuterte in seiner Beschreibung der islamischen Eroberungen diese Episode anhand des Missgeschicks eines griechischen Schreibers 14

Julius Wellhausen, Reste arabischen Heidentums (Heidentum), Berlin 1897, S. 216. Al-Ansary, Al-Faw, S. 12 ff. 16 Vgl. Bowersock, Hellenism, S. 75. 17 Vgl. Benjamin Isaac, On the Limits of Empire. The Roman Army in the East (Limits of Empire), New York 1990, S. 177. 15

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im Dienste des Kalifen, der, als er keine Tinte fand, in das Tintenfass urinierte.18 Jenseits dieser Episode dürfte aber damals erkennbar gewesen sein, dass die Gebiete der ehemaligen römischen Diözese „Oriens“ keine umfassenden Anstalten machten, Arabisch anstelle des Griechischen zu übernehmen. Bei der engen Verquickung der beiden Sprachen und Kulturen dürfte dies aber wenig verwunderlich gewesen sein: „Because Greek practices had helped the Arabs to find their identity in the centuries before the Prophet, it should be no less surprising that some of those practices persisted conspicuously after the Prophet’s death. It is not only that the old ways die slowly: it was that the new ways had, in important respects, their roots in the old ones and could therefore scarcely be expected to eliminate them overnight.“19

Dieses Überdauern der griechischen Sprache hatte dann auch wenig mit mangelnden arabischen Schriftkünsten zu tun, sondern ist aus diesem historischen Prozess heraus zu verstehen: „A shortage of Arab scribes cannot be the explaination of this phenomenon. Some documents, notably the requisitions known as entagia, are bilingual in Greek and Arabic. Yet none is uniquely in Arabic.“20

Ein beeindruckendes Monument griechischer Kultur in Syrien, lange nach der islamischen Eroberung, ist die jüngst entdeckte Landkarte der Provincia Arabia auf dem Mosaikboden der St. Stephans-Kirche im jordanischen Um er Rassas aus dem 8. Jahrhundert, in der alle wichtigen Städte der Provinz skizziert und auf Griechisch beschriftet sind. Die Karte ist mit dem Jahr 680 der Gründung der Provincia Arabia datiert, also dem Jahr 785 n. Chr.21 Wir können an dieser Stelle durchaus noch einen weiteren Aspekt anfügen: Es ist wohl nicht richtig, den Hellenismus als eine dem arabischen/semitischen Element völlig fremde Kultur zu betrachten. Nicht nur hat die griechische Schrift arabische/ semitische Wurzeln. Die Beziehung zwischen Hellenismus und arabischer/semitischer Kultur ist weitaus vielfältiger.22 So ist aus der babylonischen Zeit eine intensive Phase der Beeinflussungen der griechischen Religion, Literatur und Wissenschaft durch den „Orient“ erkennbar: „Another genuine theme from Mesopotamia is told by Herodotos and taken up in Persika in telling the origins of Cyrus. It reproduced elements of the folklore concerning Sargon of 18 Al-Baladhuri, Futûh al-Buldân, S. 301. Eine sehr ungewöhnliche Geschichte, die komisch wirken soll, weil der wahre Grund nicht genannt werden konnte? 19 Bowersock, Hellenism, S. 77. 20 Ebd. 21 Vgl. zu den Interpretationen dieses Mosaiks und anderer im Oriens: Glen W. Bowersock, Mosaics as History. The Near East from Late Antiquity to Islam (Mosaics), London 2006. 22 Diese Argumentation arabischer Historiker ist für den westlichen Betrachter natürlich oft ungewohnt: „Die Zivilisation entstand in der arabischen Welt und wurde niemals von außen importiert. Alle Angriffe von außen sind von Barbaren unternommen worden, die Zerstörung und nicht Zivilisation brachten. Was die Griechen anbetrifft, so basierte deren Zivilisation auf den kulturellen Leistungen der arabische Gebiete.“ Daoud, Tarih Su¯riyya, S. 741. ˘

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Agade, abandoned by his parents in a basket of rushes, later to become a gardener and king. Echos of Mesopotamian Literature have been noted (or disputed) in the works of other Greek authors: for instance, Aischylos has been thought to have assimilated the cunning nature of Ea into his version of Prometheus. Later Classical tradition continued to ascribe a Mesopotamian education to Greek scientists and philosophers. It is difficult to see what the motives they would have for claiming such an influence if it had not existed, since they were proud of their own traditions (…).“23

Betrachtet man zudem die Wissensgüter etwas näher, die die Griechen aus dem Orient übernahmen, wird diese enge und produktive Bindung zwischen der hellenistischen Kultur und dem Orient ersichtlicher: „Die geschriebene Geschichte ist mindestens sechstausend Jahre alt. Während der Hälfte dieser Periode befand sich der Mittelpunkt des menschlichen Wirkens, soweit uns dies bekannt ist, im Vorderen Orient. (…). Auf diesem unbestimmt beschriebenen Schauplatz sich lebhaft bewegender Völkerschaften und in Streit liegender Kulturen wurden Ackerbau und Handel, das Pferd und der Wagen, die Münzprägung, und der Kreditbrief, die Gewerbe und das Handwerk, Gesetz und Regierung, Mathematik und Medizin, die Darmeinspritzung und das Entwässerungssystem, Geometrie und Astronomie, der Kalender, die Uhr und der Tierkreis, das Alphabet und die Schrift, Papier und Tinte, die Bücher, Bibliotheken und Schulen, die Literatur und Bildhauerei und Architektur, die lasierten Tonwaren und die feinen Möbel, der Monotheismus und die Monogamie, die Schönheitspflege und der Schmuck, Schach und Würfelspiel, die Einkommensteuer und das Ammenwesen erfunden. Von hier leiten sich in unausgesetzter Folge durch kretische, griechische und römische Vermittlung die europäische und amerikanische Kultur her. Die „Arier“ errichteten die Kultur nicht selbst, sondern übernahmen sie von Babylon und Ägypten. (…) damit erhielt Griechenland mehr Kulturgüter von außen, als es je aus sich selbst heraus zu schöpfen vermochte.“24

Überliefert sind eine Reihe einflussreicher babylonischer Wissenschaftler, wie etwa Diogenes von Babylon (Philosophie), Appolodorus (Physik), Seleukos (Arithmetik), Abydenos (Geschichte), Kidenas/Kidinnu (Astronomie), die in ihren Bereichen nachhaltigen Einfluss ausübten. Seit der Eroberung Babylons durch Alexander schrieben diese Wissenschaftler, deren babylonische Herkunft durch ihre griechischen Namen oft nicht eindeutig ist, auf Griechisch. Durch die enge Verbindung der beiden Kulturen stellte dies für die Babylonier keinesfalls einen Bruch dar, sondern eine Weiterentwicklung ihrer eigenen Wissenschaftstradition in einer Sprache, die sie angenommen hatten: „By studying Homer and Plato, Babylonian scholars considered that they were dealing with evolved, modern versions of their own writings in one of the languages that had come to replace their own.“25 In seinen 23 Stephanie Dalley/A.T. Reyes, Mesopotamian Contact and Influence in the Greek World (I & II) (Contact), in: Stephanie Dalley (Hrsg.), The Legacy of Mesopotamia, Oxford 1989, S. 85 – 124, hier S. 110. 24 Will Durant, Kulturgeschichte der Menschheit. Band 1, 2. Auflage, Bern 1956, S. 131. 25 Stephanie Dalley, Occasions and Opportunities. Persian, Greek, and Parthian Overlords, in: Stephanie Dalley (Hrsg.), The Legacy of Mesopotamia, Oxford 1989, S. 35 – 56, hier S. 49. Einige der hier genannten Wissenschaftler werden als Griechen bezeichnet, obschon die „se-

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„Wahren Geschichten“ ging der Satiriker Lucian soweit, scherzhaft Homer selbst als einen Babylonier zu beschreiben.26 Lucian, der im zweiten Jahrhundert schrieb, machte sich offenbar lustig über die Bestrebungen der Griechen, die homerische Dichtung als die „griechischste Dichtung“ überhaupt zu deklarieren, obschon vielen von Lucians Zeitgenossen klar war, dass diese ihre Wurzeln in Assyrien und Babylon hatte.27 Dass die arabische/semitische Kultur eine wichtige Grundlage des Hellenismus war, war auch später den arabischen Rhomaioi im Oriens vertraut. Ihre manchmal zynischen Kommentare gegenüber den Griechen lesen sich wie zeitgenössische Reaktionen arabischer Intellektueller auf die westliche Dominanz. So konnte der berühmte Logiker und Astronom Severus Sebokht (575 – 667) seinen „syrischen“ Stolz gegenüber dem griechischen Chauvinismus nicht zurückhalten, wenn er etwa die Abhängigkeit der Griechen von den astronomischen Kenntnissen Babylons in Erinnerung ruft: „That the Babylonians were Syrians I think no one will deny, so those who say that it is in no way possible for Syrians to know about theses matters (astronomy) are much mistaken.“28 Und er kommentiert sarkastisch eine andere wissenschaftliche Arbeit: „Being an unlearned Syrian, I am putting these small querries to you to convey to those who assert that the whole of knowledge exists only in the Greek tongue.“29

mitische“ Herkunft ebenso wahrscheinlich ist. Abydenos und Kidenas sind babylonische Namen. Bei Diogenes kann dies nicht mit Sicherheit gesagt werden: „We do not know whether he was a Greek or Babylonian by parentage. (…) If he was a native Babylonian, his Greek name would have been used in addition to a Babylonian name according to the practice attested for two local governors at Uruk.“ (S. 46). 26 „Hardly two or three days have passed before I went up to Homer the poet, when we were both at leisure, and questioned him about everything. ‘Above all,’ said I, ‘where do you come from? The point is being investigated even yet at home.’ ‘I am not unaware’ said he ‘that some think me a Chian, some a Smyrnaean, and many a Kolophonian. As a matter of fact, I am a Babylonian, and among my fellow countrymen, my name was not Homer, but Tigranes. Later on, when I was a hostage (homeros) among the Greeks, I changed my name.’“ Lucian, Verae Historiae (Aus dem Altgriech. von A. M. Harmon), London 1967, 2,20. Bleibt noch zu erwähnen, dass sich Lucian selbst einen Syrer nannte und so eine Affinität zu diesem Thema gehabt haben könnte. Wie kein anderer spielte Lucian damit, Grenzen zwischen Fiktion, die Fiktion war und Fiktion, die gemäß dem Konzept des Imaginären ja durchaus reale Gegebenheiten darstellen konnte, niederzureißen. Indem er alle seine Aussagen der „Geschichten“ zu Lügen deklarierte, wurde auch dieses Bekenntnis zur Lüge. „Lucian declares that the only true statement in his work is that he is a liar, and he knows perfectly well that this means that the reader has no basis for believing that statement either.“ Bowersock, Fiction, S. 5. Durch seine unterhaltsamen und paradoxen Beschreibungen, sollten die ernsthaften Leser dann zu einer „kulturellen Reflexion“ angeregt und mit der Fiktion die Fiktion bekämpft werden. Lucian macht klar, dass alles was seine Leser vor sich haben Lügen sind, diese entdecken dann aber, dass einige Aspekte durchaus keine sind (ebd.) 27 Dally/Reyes, Contact, S. 85. 28 Hoyland, Seeing Islam, S. 21. 29 Ebd.

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Möglicherweise war also der Hellenismus gar nicht so unterschiedlich und dem Orient wesensfremd, wie schon Ta¯ha¯ Husain anmerkte, und die Interaktion der ˙ ˙ beiden Kulturen – so wie sie Glen Bowersock beschrieb – durchaus ein Prozess, der schon zu Zeiten Babylons im Gange war und von dem beiden Seiten durchaus profitierten.30 Wenn also der Einfluss der hellenistischen Kultur, welche zuvor vom Orient Nutzen zog, nun unter der griechischen Herrschaft im Oriens und Arabien stärker war, als ursprünglich vermutet, so hat dies wohl auch dazu beigetragen, dass die assimilierte arabische/semitische Bevölkerung oft nur mehr unter Schwierigkeiten als Araber zu identifizieren war. So wurde oftmals ein griechischer Name angenommen/verwendet bzw. dem arabischen Namen beigefügt: „Artemidores for ‘Abdtanit, and Heliodorus for ‘Abdshemsh, and Aphrodisius for Abdastart.“31 Diese Namenstransformation wiederum war ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung die griechischen Götter angenommen hatte bzw. ihre Götter in den hellenistischen Pantheon transformiert hatte: „The old gods and goddesses, Shemsh, Tanit, and Astarte are identified with their Greek equivalents, Helios, Artemis, and Aphrodite.“32 In den Standardwerken von Satre und Jones über das antike Syrien, die beide keine arabischen Sekundärquellen verwenden, sind für die hellenistische Epoche im Oriens dann auch kaum arabische Einwohner, Siedlungen bzw. Akteure identifizierbar, nur der Hinweis auf ursprüngliche „semitische Siedlungen“ kann hier ein schwaches Indiz bieten.33 Zumeist wird auf die Auswirkungen von griechischen Einwanderungen Bezug genommen, die zumindest Satre für signifikant hält, und auf die Wirkung des hellenistischen Programms auf die Juden.34 Diese Hellenisierung 30 In der de-arabisierenden Sicht sind hier aber nur die viel später stattfindenden Übersetzungen griechischer Werke in das Arabische maßgeblich: „Abgesehen von seinem gemeinsamen Erbe mit Israel kam der Islam auch in engen Kontakt mit dem Vermächtnis der klassischen Antike. Es waren die Araber, die viele klassische Texte (…) für den Westen wiederentdeckten (…).“ Talcott Parsons, Gesellschaften (Gesellschaften), Frankfurt/M. 1975, S. 135. Der arabischen Kultur verdankt man in dieser Sichtweise das Kopieren und Übersetzen von griechischem Wissen, aber nicht das Generieren von eigenen Erkenntnissen. In diese Sichtweise passt auch, dass arabische/semitische Autoren der hellenistischen Phase manchmal nicht wirklich als ebenbürtig mit „echten“ Griechen wahrgenommen werden. So befand etwa der deutsche klassische Philologe Eduard Schwartz, dass der Hellenismus von Autoren wie Lucian, die aus dem „semitischen Osten“ kamen, nicht sehr tiefgründig war: „(…) die gewandten, ehrgeizigen Syrer, denen das Echthellenische nur bis zum Epidermis ging.“ Eduard Schwartz, Fünf Vorträge über den griechischen Roman, Berlin 1896, S. 149 f. 31 A.H.M. Jones, Cities of the Eastern Roman Provinces (Cities), New York 1998, S. 249. 32 Ebd. 33 „When a town known to us under a Greek name in the classical period and was known by a Semitic name in the Arab period, there is presumption of its existence in pre-classical times. The presumption is strengthened into proof, if there is any evidence, as there often is from Talmud or from classical authors that the Arab names were in use before the Arab conquests.“ Ders., Cities, S. 230 f. 34 Maurice Satre, The Middle East Under Rome (Middle East), London 2005, S. 7: „Fairly rapidly large numbers of colonizers from Greece and the wider Aegean basin settled in Syria. The fact remains that tens of thousands of Greeks populated Syria.“ Auch Jones, Cities, S. 243,

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erlaubt jedoch mögliche Rückschlüsse auf die anderen Bevölkerungsgruppen.35 Die wechselseitigen Beziehungen zwischen den semitischen Gruppen, sowie die arabischen Einflüsse sind in diesen Betrachtungen nicht ausgeschlossen, aber natürlich unklar: „It is more difficult to assess the exchanges among Semitic cultures. The Phoenician and Hebrew languages were unquestionably victims as much of the success of Aramaic as of Greek, but how much influence did Arabs have on the fringes of the settled populations of Syria? The Hauran, Palmyra, the Euphrates Valley and Edessa were heavily influenced by Arabs, as we can see in cults, proper names, burial customs on occasion, and perhaps certain aspects of the language (sic!). But we cannot say much more than this.“36

Es war also der Hellenisierungsdruck nicht eindeutig, aber auch der Arabisierungsdruck – dies wird aus dem obigen Zitat erkennbar – schien vorhanden, wenngleich ebenso wenig fassbar. Jedoch war dieser Druck selbst auf die Griechen im Oriens spürbar, und so vermischten sich diese auch mit den Arabern und anderen Gruppen, insbesondere dort, wo sie weiter von den Machtzentren Syriens entfernt waren, wie etwa in Nippur, und in Forat bzw. Charax im heutigen Südirak: „Since they depended for their existence on the goodwill of Arab tribes they frequently came within the range of an Arab association and in this way, by marrying local woman, they became Arabic-speaking.“37

Insgesamt scheint der fortgesetzte Migrationsdruck aus der arabischen Halbinsel die arabische Präsenz auch in der hellenistischen Phase immer weiter gestärkt zu haben und schlussendlich zu einer wichtigen politischen Position der Araber geführt zu haben. Erkennbar gelangen die Grenzregionen unter arabischen Einfluss. Viele arabische Herrscher etablierten sich über die Zeit als Fürsten aramäischer und griechischer Stadtstaaten an der Grenze zu Persien: „Arab leaders, being recognized for their importance in ensuring the functioning of the trade routes, frequently became masters of Greek and Aramaean cities and towns, and then, assuming the characteristics of Aramaean kings, founded a dynasty. City-states that had Arab dynasties included: in the Eastern Zone, Hatra and Singare; in the South, Vologasia and Mesene; and, in the West, Anthemusia (capital Batnae), Urhai (Edessa), and Charrhae (Harran).“38 sieht mit den Seleukiden eine intensivere Kolonisierung anbrechen, die Antiochia, Apamea und Seleucia und Ladodica mit Griechen besiedelten. 35 „The Jews were no more subject than any other inhabitants of Hellenistic Syria to pressure from their new master to adapt to the Greek culture. But as happened, elsewhere, some community leaders adopted a few elements of that culture, including language.“ Satre, Middle East, S. 11. 36 Satre, Middle East, S. 367. 37 Trimingham, Christianity, S. 30. 38 Ders., S. 29. Hier kommt es auf Grund der Dekonstruktion bzw. De-Arabisierung natürlich zu unterschiedlichen Sichtweisen. In Bezug auf Mesene/Charax etwa, welches in der Nähe der heutigen südirakischen Stadt Basra lag, nimmt etwa Schuol in ihrer großangelegten Studie über die Charakene zwar den Hinweis auf, dass diese Siedlung auf „arabischem Gebiet“

6.2. Das römische Arabien und die Diözese Oriens

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Es begann sich also bereits eine arabische Herrschaftsstruktur unter hellenistischer Oberhoheit herauszubilden. Und in genau dieser Rolle, als Puffer zwischen den Großmächten, wurden die arabischen Herrscher auch unter römischer Herrschaft relevant.

6.2. Das römische Arabien und die Diözese Oriens In der hellenistischen Phase hatte sich das arabische Element in der Region Großsyrien, Mesopotamien und Ägypten östlich des Deltas verfestigt. Diese Gebiete werden weitgehend von der späteren byzantinischen Verwaltungseinheit der Diözese „Oriens“ umfasst. Von Norden nach Süden gab es arabische Gruppen wie etwa die Osroeni im syrischen Edessa39 und im Euphratgebiet, die Araber der Karawanenstadt Palmyra, die Iturier im Libanon, die Nabatäer im jordanischen Petra und die Idumäer im südlichen Palästina, um nur die wichtigsten zu nennen.40 Nicht nur dies, arabische Herrscher hatten sich in den wichtigen Städten des Oriens etabliert und wurden in dieser Rolle von Pompeius bei seiner Neuordnung des römischen Ostens weiter instrumentalisiert: „In Erkenntnis der großen Schwierigkeiten, die die Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer direkten Herrschaft in dieser Region mit sich bringen würde, verfolgte Pompeius ein klares Konzept: Einem Kranz neueingerichteter römischer Provinzen, der sich fast an der gesamten kleinasiatischen und syrischen Küste entlangzog, wurden zahlreiche Klientelfürstentümer – darunter Emesa, Edessa und Chalkis am Libanon – vorgelagert. Diese sollten vor allem auch Schutz gegen das Partherreich im Osten bieten, das an seiner Grenze zum lag, kann aber sonst kein arabisches Element ausmachen: Schuol, Charakene, S. 262, 280. Dies obwohl Strabo explizit von „mesenischen Arabern“ spricht, Strabo, Geographica, 15,2,739. Ähnlich skeptisch und in gewohnt verwinkelter Betrachtung, die das arabische Element dekonstruiert auch Retsö, Arabs in Antiquity, S. 332: „Hyspaonines is then said to have been king of the bordering Arabs. They must be those living in the part of Arabia stretching along the Persian Gulf, deriving their Arabness from their habitat in Arabia, not from actually being Arabs.“ 39 Edessa war möglicherweise sogar der erste christliche Staat der Welt. Eusebius von Caesara überliefert, dass König Abgar, „(…) welcher ruhmreich über die Völker jenseits des Euphrat regierte (…)“, sich an Jesus wandte, mit der Bitte, ihn von einer Krankheit zu erlösen. Eusebius nach, waren diese Briefe im Stadtarchiv aufbewahrt worden, Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, aus dem Altgriech. v. Philip Haeuser (6. Aufl.), Müchen 2012, 1,13. Diese Abgarlegende lässt sich allerdings nicht numismatisch oder archäologisch nachweisen. Man vermutet nun, dass um 100 eine vorkatholische Gründungsperiode und ab 180/190 eine katholische Phase begann, Wilhelm Baum, König Abgar bar Manu (ca. 177 – 212) und die Frage nach dem „christlichen“ Staat Edessa, in: Sophia G. Vashalomidze /Lutz Greisiger (Hrsg.), Der Christliche Orient und seine Umwelt, Wiesbaden 2007, S. 99 – 117, hier S. 101. 40 Eine zusammenfassende Darstellung aller arabischen Gruppen findet sich in Irfan Shahîd, Rome, S. 5 ff. Eine detaillierte Darstellung findet sich auch in Retsö, Arabs in Antiquity. Gut erkennbar bei diesem Autor ist die schon von Shahîd, Rome, S. 407 f., festgestellte „Zurückhaltung“ bei der Festlegung arabischer Gruppen im Oriens. So ist sich Retsö etwa nicht sicher, ob die Iturier im Libanon tatsächlich Araber, oder nur stark von diesen durchmischt waren, obwohl sie wohl Arabisch sprachen.

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6. Der hellenistisch-römische Orient römischen Einflußbereich ebenfalls mehrere Vasallenstaaten installiert hatte. Auf diese Weise war im syrisch-mesopotamischen Raum zwischen dem römischen und parthischen Reich eine Pufferzone aus arabischen Staaten entstanden, die formal zwar noch weitgehend eigenständig waren, ihre Eigenständigkeit aber nur noch als Vasallen der einen oder anderen Großmacht behaupten konnten.“41

Mit der Herrschaft von Antipater, Großvater von Herodes dem Großen, wurde dieser Ring komplett: „An outcome of Julius Ceasar’s victory over Pompey in 48 BC was the appointment of the Idumaean Arab Antipater, who had adopted Judaism as a religion, as Procurator of Judea. (…) Almost the whole west Syrian territory now had Arab rulers tolerated as client-kings under the Romans.“42

Mehr noch als unter den Griechen schienen sich die Araber unter der römischen Herrschaft politisch zu etablieren, sich den Machstrukturen anzupassen und diese durchaus auch für den eigenen Aufstieg zu nutzen. In weiteren Ausführungen werden deshalb maßgebliche Persönlichkeiten zu schildern sein, wie etwa Zenobia, Herrscherin von Palmyra, die erfolglos gegen die römische Herrschaft rebellierte und ihren Lebensabend als geachtete Senatorin in Rom verbrachte. Oder ihr Mann, Odeanathus, der das Römische Reich vor den Persern rettete und dafür den Titel „corrector totius Orientis“ erhielt. Septimius Severus war mit einer arabischen Prinzessin aus Syrien verheiratet, die damit Mutter von Caracalla war.43 Mit Marcus Iulius Philippus, auch genannt Philippus Arabs, übernahm nach den „Halbarabern“, Caracalla, Elagabalus und Alexander Severus der erste Araber den Purpur. Nicht nur das, er war möglicherweise sogar der erste Christ auf dem Thron der Cäsaren. Eusebius von Caesarea berichtet in seiner Kirchengeschichte, dass Philippus Arabs der erste römische Kaiser gewesen sei, der bei der Ostervigil mit der Volksmenge an den Gebeten der Kirche als Christ habe teilnehmen wollen; dass ihn aber der Bischof erst zur Messe zuließ, als er sich zu den Büßern gesellte. Unnötig zu sagen, dass die Historiker bei der Bewertung der Frage, ob Philip Christ war oder nicht, uneins sind.44 Einig ist man sich aber über seine tolerante Haltung gegenüber den Christen und dass er, wenn er tatsächlich Christ gewesen sein sollte, dies zu einer rein privaten Angelegenheit machte.45 41

Funke, Staatenwelt, S. 223; siehe auch Shahîd, Fourth Century, S. 12 ff. Trimingham, Christianity, S.38 f. 43 Zu der Rolle arabischer Prinzessinnen als Gemahlinnen bzw. Mütter von Cäsaren wie Elagabalus und Severus Alexander vgl. Shahîd, Rome, S. 34, und Bowersock, Hellenism, S. 160 ff., sowie unten Kap. 6.2. 44 Eusebius, Kirchengeschichte, 6,34. Eusebius erwähnt auch, dass Origin Briefe an Philip und seine Gemahlin schrieb. Insofern als Eusebius diese Briefe gesehen hatte, kann man vermuten, dass die Geschichte von Philips Erscheinen in der Ostermesse in einem dieser Briefe erwähnt wurde (6,36,2). 45 Vgl. die Zusammenfassung der Diskussion in Shahîd, Rome, S. 110 ff.; Yasmine Zahran, Philip the Arab. A Study in Prejudice (Prejudice), London 2008; Bowersock, Studies, S. 397; ders., Roman Arabia, S. 124 ff. 42

6.2. Das römische Arabien und die Diözese Oriens

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Weitere wichtige arabische Elemente waren die große Anzahl an arabischen Senatoren, die der römische Osten, insbesondere Syrien und der Libanon stellten.46 Wir können zudem davon ausgehen, dass große Teile des römischen Heeres im Oriens aus arabischen Cives bestanden,47 was auch durch die Bezeichnung der jeweiligen Einheiten als Indignae (z. B. Equites Promoti Indignae) oder durch die konkreten Hinweise auf eine geographische oder ethnische Herkunft der Truppen (z. B. Cohors Secunda Ituraeorum) verdeutlicht wird.48 Mit der zunehmenden Konfrontation zwischen Rom und den Sassaniden machten sich nachhaltige Veränderungen für die Araber bemerkbar. Zum einen wurde das Römische Reich zunehmend hierarchischer und zentralisierter. Die relativ lose, dezentralisierte imperiale Politik und Institutionen des alten Rom wurde durch die östlichen Eroberungen im 2. Jahrhundert und die daraufhin einsetzende stärkere Auseinandersetzung mit den Sassaniden in einen straffen, zentralisierten Staatsapparat transformiert. Damit wurden die Freiheitsgrade der betroffenen Araber im Oriens, aber auch der Araber im sassanidischen Reich – welches dieser Zentralisierung der Macht folgen musste, um militärisch gleichzuziehen – eingeschränkt: „Both moved towards greater administrative centralisation and absolutist government, to the detriment of civic autonomy in the West and of provincial nobility in the East.“49 Zum anderen war den Herrschern der Glaube ihrer Untertanen nicht mehr gleichgültig, bzw. Religion wurde als neues Instrument der Konsolidierung und des Machterhalts eingesetzt. Die Macht Roms im Oriens wurde immer mehr über den Klerus ausgeübt, der somit enger in den politischen Apparat integriert wurde. Eine Einheit von Politik und Religion wurde eingeleitet, die von den Moslems im siebten Jahrhundert fortgesetzt wurde. Dieser Druck zu mehr Konformität und Integration führte natürlich zu Reaktionen der betroffenen Bevölkerungen, die eine gewisse Distanz zu der imperialen Kultur und Politik schaffen wollten. So wurde etwa die Macht Roms im Oriens immer mehr durch die Häresie bzw. den sich immer mehr ausbreitenden Monophysitismus geschwächt. Dieser bedrohte die christliche Kohäsion und damit auch die Herrschaft Roms, das diese Kirche durchaus als eine „nationale“ Kirche des Oriens verstehen musste. Diese Wahrnehmung separatistischer und häretischer Tendenzen schlug sich auch in der Phrase „Arabia haeresium ferax“ für den Oriens nieder. Im sassanidischen Reich wurden die religiösen He46

Vgl. die Liste der Senatoren in Bowersock, Studies, S. 155 ff. und Kap. 6.2. Bis zur Eroberung des Oriens durch die islamischen Heere dürfte diese Arabisierung beibehalten und sogar fortgeschritten sein: „Most of the troops within Syria seem to have been of Arab origin.“ David Nicolle, Yarmuk AD 636. The Muslim Conquest of Syria (Yarmuk), New York 1994, S. 23. 48 Vgl. die Identifikation der betreffenden arabischen römischen Truppen in der Notitia Dignitatum in Shahîd, Rome, S. 58 ff. 49 Hoyland, Seeing Islam, S. 13. Vgl. die Darstellung dieser Zentralisierung am Beispiel der Stadt Gaza, in: Glanville Downey, Gaza. In the Early Sixth Century (Gaza), Oklahoma 1963, S. 10 ff. 47

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6. Der hellenistisch-römische Orient

terogenität der Bevölkerung und die damit einhergehenden Spannungen durch ein System der Selbstverwaltung der einzelnen religiösen Gemeinschaften gelöst, welches später ebenfalls vom Islam übernommen wurde.50 Im Zuge der militärischen Neuordnung des Oriens durch Diokletian, trat ab dem 4. Jahrhundert zunächst eine neue arabische Gruppe in die Geschichte des römischen Ostens ein, nämlich die der verbündeten arabischen Stämme Roms, den sogenannten Foederati. Der Limes Diocletianus, der vor allem mit Wehrbauern, den Limitanei, besetzt wurde, erwies sich nicht so effizient wie man erhofft hatte und stand von Anfang an unter großem Druck, die Einfälle der arabischen Nomaden abzuwehren. Dieses Problem suchten die Römer durch die arabischen Foederati zu lösen: Araber sollten den arabischen Einfällen Einhalt gebieten.51 Die Foederati waren wohl keine römischen Bürger, aber im Dienst des byzantinischen Kaisers mit dem Schutz der Grenzregionen betraut. Zu ihren Aufgaben zählten insbesondere die Abwehr von Nomadenstämmen und vor allem auch der Schutz gegenüber parthischen bzw. sassanidischen Angriffen auf die Diözese „Oriens“. Das Konzept der Foederati war eine neue Strategie der Römer zur Sicherung der östlichen Provinzen. Es war die bittere Erfahrung aus der palmyrenischen Rebellion, dass man lokalen Herrschern keine urbane Machtbasis zur Entwicklung eigener imperialer Strategien überlassen durfte.52 Die Foederati hingegen waren Berufskrieger, die zwar ihre Lager (H¯ıras und ˙ Paremboles) innerhalb des Limes aufbauen durften; es war ihnen aber zunächst nicht erlaubt, eigene urbane Zentren zu errichten. Das wesentliche Merkmal beim Aufbau der Beziehung zu den Foederati aber war, dass Rom bzw. Byzanz ganz im Sinne der zentralistischen Konsolidierung massiv auf die christliche Religion setzte, um diese Gruppe an sich zu binden: „Christianity revolutionized the relationship between the Foederati and Byzantium and added a powerful dimension to their loyalty. The old legal and technical bond of fides that had united Roman emperor and his Arab ally was now cemented by a common faith to which both Byzantium and her Arab allies were passionately devoted.“53

Dieses neue Band wurde notwendig, weil sich nach der Niederschlagung Palmyras wohl Misstrauen und Verunsicherung ausbreiteten, was nach einer neuen Art des Zusammenhalts verlangte: „Christianity solved this problem by uniting two parties within its spiritual fold (…).“ 54 Natürlich wurde die Festigkeit des Glaubens bei den Arabern und den Foederati im speziellen immer wieder angezweifelt (s.u. Kap. 10.1.). Es ist jedoch zu vermuten, dass die Araber eine gewisse Loyalität gegenüber dem Christentum aufwiesen und sich durchaus auch als Verteidiger dieser Religion gegenüber den feueranbetenden Persern und heidnischen Nomaden sahen: 50 51 52 53 54

Ders., Seeing Islam, S. 15; Shahîd, Fourth Century, S. 26 ff. Shahîd, Fourth Century, S. 15. Ders., Fourth Century, S. 20. Ders., Fourth Century, S. 21. Ebd.

6.2. Das römische Arabien und die Diözese Oriens

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„Constantine had militarized the image of Christ, and the Cross became a symbol carved on the shields of Roman soldiers. The Arab Foederati accepted this new image of Christ, of a powerful, victorious Christ, who gave them victory in battle, and under that aegis they fought their wars and invoked his name in battle.“55

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Die Einbindung der Foederati geschah derart, dass die Römer jeweils einen Stammesverband auswählten, der alle anderen arabischen Stämme führen sollte. In der Regel suchte sich Rom meist einen Stammesverband aus, der sich im Machtkampf mit den anderen Gruppierungen hervorgetan hatte, und übergab ihm die Leitung der Foederati. So geschah etwa der Machtwechsel zwischen Tanu¯kh und Salı¯h Ende des vierten Jahrhunderts derart, dass das Oberhaupt von Tanu¯kh auf einen ˙ Anführer Salı¯hs namens Jid wegen zu zahlender Steuern zuging. Als Jid um Zah¯ ¯ ˙ lungsaufschub bat, machte sich der Tanu¯khanführer über ihn lustig. Als der schwerhörige Jid dies merkte, schlug er ihm den Kopf ab. Ein Umstand der zur ¯ Geburt des Sprichwortes „Nimm von Jid , was Jid bereit war zu geben“ führte (Khud ¯ ¯ min Jid in ma¯ a ta¯ka). Dies kommt wohl dem deutschen „Einem geschenkten Gaul ¯ 56 schaut man nicht ins Maul“ sehr nahe. Das jeweilige Stammesoberhaupt bekam den Titel eines Pylarchen. Im vierten Jahrhundert wurde der Verband der Tanu¯kh, im fünften Jahrhundert derjenige der Salı¯h und in der letzten Phase im sechsten Jahr˙ hundert bis zur Schlacht von Yarmu¯k, derjenige der Ghassa¯niden dominant.57 In dieser Phase wurde zudem der Pylarch der Ghassa¯niden vom Kaiser Justinian erstmalig zum Basileus, zum König der Araber ausgerufen.58 Diese enge militärische Integration der Foederati in das römische Heer führte auch vereinzelt zu einer Übernahme römischen Militärvokabulars in die arabische Sprache. So wurde aus „Castrum“ für die Befestigungsanlage das arabische „Qasr“, die Straße („Stratum“) zu „Sirat“, der Graben („Fossa“) wurde zu „Fustat“.59 ˘

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Shahîd, Fourth Century, S. 25; kritisch zu dieser Sichtweise etwa Wood, King, S. 240 ff., der die Rolle der Foederati sehr viel opportunistischer beschreibt. 56 Vgl. Irfan Shahîd, Byzantium and the Arabs in the Fifth Century (Fifth Century), Washington D.C. 1989, S. 286. 57 Für die einzelnen Stammesverbände vgl. Shahîd, Fourth Century, für Tanu¯kh vgl. ders., Fifth Century; für Salı¯h und die Ghassa¯niden vgl. ders., Byzantium and the Arabs in the Sixth ˙ Century (Sixth Century), Washington D.C. 1995; Yasmine Zahran, Ghassan Resurrected (Ghassan), London 2006; Isaak, Eastern Empire, S. 250 ff. Die Geschichte von Ghassa¯n wurde im Westen bereits im 19. Jahrhundert von dem großen Semitisten Nöldeke aufgezeichnet und gilt noch heute als Standardwerk: Theodor Nöldeke, Die Ghassânischen Fürsten aus dem Hause Gafna’s (Fürsten), Berlin 1887. 58 Vorher waren die arabischen Pylarchen den jeweiligen Befehlshabern der Provinzen (Duces) untergeordnet. Dies erwies sich aber als Nachteil gegenüber den autonom agierenden Lahmiden, den Verbündeten der Perser. Deshalb wurden alle arabischen Foederati ab dem ˘ 6. Jahrhundert dem ghassa¯nidischem Pylarchen unterstellt. Vgl. Shahîd, Sixth Century, S. 97 ff.; Procopius, History of the Wars (Wars), (aus d. Altgriech. v. Henry B. Dewing), London 1971, 1,17,43 – 48. 59 Irfan Shahîd, Byzantium and the Arabs in the Sixth Century. Vol. 2. Part 1 (Sixth Century, Vol. 2), Washington D.C. 2002, S. 60 f. Zu arabischen Vokabeln lateinischen und griechischen Ursprungs vgl. Sidan, Adab, S. 38.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

So stark das religiöse Band zwischen den Arabern und Rom auch war, die christliche Religion war damals noch lange nicht gefestigt und die verschiedenen theologischen Standpunkte bzw. Häresien führten immer wieder zu großen Problemen. So konnten oder wollten die Araber oftmals ihren christlichen Glauben nicht immer an die wechselnden christologischen Positionen der byzantinischen Kaiser anpassen. Dies führte regelmäßig zu Konflikten zwischen den Foederati und Byzanz. So rebellierte etwa die arabische Königin Mavia in den frühen 370er Jahren gegen Kaiser Valens, verließ ihre Aufgaben am Limes und plünderte den Oriens.60 Die Gründe für diesen Aufstand werden vor allem in der feindseligen Position des Arianers Valens gegenüber den orthodoxen arabischen Bischöfen gesehen.61 Erst als Mavia von Valens einen orthodoxen (und vermutlich arabischen) Bischof namens Moses für ihre Leute zugestanden bekam, wurde der Aufstand beendet. Zur Besiegelung des neuen Foedus wurde die Heirat ihrer Tochter mit einem hochrangigen römischen Offizier namens Victor beschlossen. Mavia nahm dann ihre Aufgabe als Foederati wieder auf und stellte ein Kontingent zur Verteidigung von Konstantinopel gegen die gotischen Invasoren. Im sechsten und siebten Jahrhundert wiederum hielten die Foederati am Monophysitismus fest. Dies brachte sie erneut in Konflikt mit den nunmehr orthodoxen Kaisern in Byzanz. Schlussendlich dürfte dies den Zusammenhalt zwischen den arabischen Foederati und Byzanz bzw. dem mehrheitlich monophysitischen Oriens und dem orthodoxen Byzanz erheblich geschwächt haben. Trotz dieser Schwächung war wohl die Wichtigkeit der Foederati für Rom, spätestens ab dem sechsten Jahrhundert, als die Foederati die Verantwortung für den Limes übernahmen, durchaus zentral. Die direkte Beziehung zwischen einzelnen Pylarchen und den jeweiligen römischen Herrscher war ebenso nicht von der Hand zu weisen. Nöldeke überliefert die folgende Anekdote über die Beziehung zwischen Justin II und dem Pylarchen Arethas (El-Ha¯rith): ˙ „Als Justinus einige Jahre nach seiner Thronbesteigung kindisch wurde, da schreckten ihn, wenn er zu toben begann, die Kämmerlinge mit dem Ruf zu Ruhe: ,Still! Arethas Sohn Gabala’s kommt über dich!‘“62

Eine zusätzliche Schwächung zwischen Rom und den Foederati geschah jedoch mit Sicherheit durch die bis dahin erfolgreichste Invasion der Perser im Oriens einige Jahre vor Yarmu¯k, die erst unter Aufbietung aller Kräfte, inklusive die der Foederati, von Kaiser Heraclius zurückgeschlagen werden konnte. Nach dieser Zäsur waren erst knapp acht Jahre vergangen, als Rom mit seinen arabischen Verbündeten gegen die islamischen Armeen in Yarmu¯k antreten musste. Obwohl man davon ausgehen kann, dass die Foederati unter dem persischen Ansturm massive Verluste hinnehmen mussten, waren sie bei der Verteidigung des Oriens am Yarmu¯k an der Seite von 60

Vgl. Bowersock, Studies, S. 136 ff. Shahîd, Fifth Century, S. 142. 62 Nöldeke, Fürsten, S. 20. Kaiser Justin und seine Gemahlin Sophia schienen dem arabischen Oriens verbunden gewesen zu sein und gaben ihrer Tochter den ungewöhnlichen Namen „Arabia“, Shahîd, Sixth Century, S. 318 f. 61

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“

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Byzanz (ca. 5.000 der etwa 20.000 Römer waren arabische Christen). Man vergisst oft, dass diese Schlacht ein arabischer Bruderkrieg war. Der ghassa¯nidische Pylarch Jabala kommandierte die leichte Kavallerie des römischen Heeres und sah sich im Kampf seinen arabischen Stammesgenossen gegenüber.63

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“: Julia Domna, Elagabal und Philippus Arabs in der geschichtlichen Betrachtung Bei dem von den römischen und griechischen Historikern und auch von manchen modernen Forschern skizzierten geschichtlichen Bild der Araber, begegnen wir dem erstaunlichen Phänomen der „Orientalisierung“, d. h. einer Hervorhebung negativer Eigenschaften und schlechten Handlungsweisen, die mit der arabischen „Herkunft“ erklärt werden. Diese Betrachtungsweisen scheinen als festgesetzte Attribute bis in unsere Zeit herüberzureichen und nur unter großer Anstrengung einem differenzierteren Bild zu weichen, so als ob die Vorurteile gegenüber den Arabern mit den Jahrhunderten nicht kleiner, sondern größer werden würden. Das dritte Jahrhundert sah den arabischen Faktor im Oriens bzw. im Römischen Reich auf seinem Höhepunkt. Nicht nur gelangte mit der Heirat Julia Domnas mit Septimius Severus ein mächtiges arabisches Geschlecht aus Syrien auf das Kapitol, mit der Ernennung von Philippus Arabs wurde zum ersten Mal nach den halbarabischen Severern auch ein Araber römischer Cäsar. Die arabische Präsenz in der Herrscherriege Roms war die Vollendung eines Prozesses, der mit der Ernennung von Arabern zu Senatoren in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts begann und der mit Julia Domna weiter ausgebaut werden konnte. Bei den nun an die Macht kommenden „arabischen“ Herrschern des römischen Königshauses betrachten die römische und vielmehr noch die moderne „orientalistische“ Geschichtsschreibung einen neuen Aspekt. Die Araber sind nun nicht mehr nur ein Volk, das den Oriens plündert und als Barbaren ein konstantes – wenn auch nicht existentielles – Ärgernis darstellt: Nun sind sie eine Bedrohung der Grundfeste des römischen Wesens, indem sie ihre „orientalische“ Religion, ihre Handlungsweisen und auch ihre Gefolgsleute auf das Kapitol bringen. Es bleibt bei allen Vorurteilen der Römer den Barbaren im Allgemeinen und den Arabern gegenüber im Speziellen, ein zunächst bemerkenswertes und widersprüchliches Phänomen, dass es den Arabern überhaupt gelang, die Schalthebel der Macht zu erringen. Dieser Erfolg hat wohl damit zu tun, dass aristokratische Klassensysteme durchaus nationalistische und zum Teil ethnische Kriterien über63 „The Christian Arab auxiliaries included the dominant Ghassa¯n tribe, as well as men from Lakhm, Judham, Bali, Amila and Quda’a tribes. It is interesting to note that the Lakhm, Bali and Judham were also represented in the opposing Muslim army, many of their men still being Christians.“ Nicolle, Yarmuk, S. 46.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

winden können.64 Zum anderen zeigt uns jedoch die Auflösung der De-Arabisierung, dass dieser Aufstieg durchaus auch etwas mit der wichtigen Rolle des arabischen Elements innerhalb des Römischen Reichs zu tun haben sollte. In der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts gelangten die ersten Araber in den Senat. Diese politische Vertretung legte den Grundstein für eine Machtposition, die durch das Patronat von Julia Domna und ihrer Schwester weiter ausgebaut werden konnte.65 Auffällig ist, dass aus den gesamten Gebieten des Nahen Ostens vor allem Araber aus Großsyrien diese politische Karriereleiter erklommen, aber keine Araber aus den anderen Provinzen und auch keine Juden. Möglicherweise ist diese Bevorzugung der Syrer mit der Regierungszeit von Vespasian verbunden. Dieser war mit der Region vertraut und wusste um die strategische Wichtigkeit Syriens für die römischen Interessen: „In short, Syria was, in Roman terms, both respectable and vital. The Jews were suspect and fractious, and the Arabs outside Syria were marginal.“66 Die Identifizierung der Araber auf Basis der Senatslisten birgt natürlich durch die Übernahme römischer Namen eine gewisse Unsicherheit, aber Namen wie Marinus,67 Sohaemus, Salamallianus und Odaenathus sind sicherlich einheimisch.68 Untersucht man die Listen in Bezug auf die geographische Heimat der Senatoren, bestätigt sich die syrische Herkunft der arabischen Vertreter: „It is important to remember that indigenous Syrians were Arabs and accordingly that an Arab name can indicate a patria in Syria as in Arabia (the province) or Mesopotamia. The evidence gathered (…) suggests that a Syrian provenance should be preferred (…)“.69

Die arabischen Senatoren wurden vor allem in ihrer Heimat eingesetzt und später auch in Numidien.70 Natürlich gab es immer wieder Ausnahmen. So wie bei dem Araber Tiberius Claudius Pompeianus, der an der nördlichen Grenze des Imperiums eingesetzt wurde. Dies war aber damit zu begründen, dass er Marcus Aurelius nahestand – er heiratete seine Tochter und wurde 173 durch ein zweites Konsulat geehrt.71 Oder aber Lucius Julius Salamallianus, der in Belgica eingesetzt wurde. Durch seine Heirat mit Julia Domna brachte der Kaiser Septimius Severus, ein afrikanischer Phönizier aus Leptis Magna (im heutigen Libyen), ein arabisches

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Wood, King, S. 69 verweist hier etwa darauf, dass ein Römer sich nicht unbedingt ethnisch definieren musste. Kulturelle und religiöse Kategorien waren ebenfalls dominant. 65 Bowersock, Roman Senators from the Near East: Syria, Judea, Arabia, Mesopotamia (Senators), in: Epigrafica e ordine senatorio, II, Tituli, 5 1984, S. 651 – 68, hier S. 651. 66 Ders., Senators, S. 658. 67 Der weit verbreitete Name Marinus für arabische Rhomaioi leitet sich etwa aus dem Wort Ma¯r (Herr) oder Ma¯rı¯ (Mein Herr) ab. Vgl. ders., Senators, S. 664. 68 Ders., Senators, S. 663. 69 Ders., Senators, S. 661. 70 Ebd. 71 Bowersock, Studies, S. 152 f.

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“

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Priestergeschlecht aus Emesa (dem heutigen syrischen Homs) an die Macht.72 Julia Domna war die Mutter des Kaisers Caracalla, der somit ein halber Araber war; ihre Schwester Julia Maesa war die Mutter von Julia Soemias und Julia Mammaea, die die Mütter der Kaiser Elagabal bzw. Severus Alexander waren. Damit waren die Kaiserinnen der Severi alle Araberinnen und ihre Kaiser zumindest teilweise arabisch.73 Mit Julia Domna und ihrer Familie wird die arabische Präsenz in Rom mit einem Schlag offensichtlich.74 Wir begegnen hier dann einer problematisierenden und vorurteilsbeladenen Darstellung dieses Geschlechtes bis in die jüngste Zeit und können die aufeinander aufbauenden Argumentationsketten alter und moderner Historiker zweifelsfrei erkennen. Wir müssen zunächst festhalten, dass dieses Narrativ nicht unter die Überschrift „Arabisch“, sondern zumeist „Syrisch“ oder eben „Orientalisch“ abläuft. Dies hing damit zusammen, dass schon seit den Zeiten Ciceros bis hin zu Zosimus, die Araber als Plünderer des Oriens betrachtet wurden. Die römischen Araber, die Rhomaioi, trachteten deshalb danach, sich eher als Syrer zu bezeichnen.75 Dies zeigt sich auch bei Philippus Arabs, einem Araber aus der Region Hauran in der Provinz Arabia, der 243 Kaiser wurde, wobei die Bezeichnung 72

Westliche Forscher erkennen den „arabischen“ Charakter von Emesa oft wieder nur mit Schwierigkeiten. Und dies obwohl Strabo beschreibt, dass Emesa und seine Nachbarstadt Arethusa unter der Herrschaft eines Königs Schempsigeramus und seines Sohnes Iamblichus steht. Strabo, Geographica, 16,753. Iamblichus wird von Dio als arabischer Pylarch beschrieben: Cassius Dio, Römische Geschichte (RG) (aus dem Latein. v. Leonhard Tafel), Wiesbaden 2012, 50,13. Trotzdem kommt Icks zur im de-arabisierenden Kontext nicht unüblichen Schlussfolgerung: „This seems to imply that the Emesenes were originally a nomadic tribe from the Arabian desert. (…) However, what the ancients meant by the term ,Arab‘ is at present indefinable.“ Martijn Icks, The Crimes of Elagabalus. The Life and Legacy of Rome’s Decadent Boy Emperor (Crimes), New York 2011, S. 46. Für Retsö, Arabs in Antiquity, S. 409, sind diese Herrscher aber keine Araber, sondern Emeser! Zu den arabischen Wurzeln von Julia Domna vgl. hingegen ausführlich Levick, Empress, S. 14 ff. Natürlich bleibt die Frage, wie arabisch/semitisch Julia Domna wirklich war. Völlig verdrängt wird sie ihre nomadische arabische Herkunft nicht haben. So wird sie etwa auch in der Pose der (arabischen) Könige von Hatra (im heutigen Nordirak) abgebildet „It is in her gesture, that of the raised right hand, palm front, that oriental echos have been seen (…).“ Ders., Empress, S. 22. Ihre semitische Sprache, die für den westlichen Betrachter wohl nur aramäisch und nicht arabisch gewesen sein kann, wird sie hingegen nur im allerengsten Umfeld gesprochen haben: „It is a question whether she used Aramaic in her senatorial household; she may well have done to her personal servants, less so, perhaps, after she became empress (…).“ Ebd. 73 „Thus, the empresses of the Severan dynasty were wholly Arab and its emperors were mostly so: Septimius, the founder of the dynasty, was not, but all the rest were, either wholly or partly. Caracalla was half-Arab; Elagabalus and Severus Alexander were at least half Arab and probably wholly so.“ Shahîd, Rome, S. 34. 74 So sind die Namen der Prinzessinnen aus dem Arabischen abgeleitet: „The origin of the name lies in the Arabic ‘Dumayna’, an archaic dimunitive of ‘dimma’, and etymologically connected with the colour word for black. Her sisters Maesa’s name is also Arab, thought to be from a verb ‘masa’, ‘walk with a swining gait’ (…).“ Levick, Empress, S. 18. 75 „The inhabitants of the more civilized parts of the province of Arabia referred to themselves as Syrians, an attitude reflected in the Sibylline oracle’s description of Philip.“ Zahran, Philip, S. 18.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

„Arabs“ wohl erst später hinzugefügt wurde und wir deshalb vermuten können, dass der Beiname durchaus abschätzig verstanden werden muss.76 Das „Problem der Orientalisierung“ ist eine moderne Bezeichnung für diesen Diskurs, die erst im 20. Jahrhundert durch die Autorität des deutschen Orientalisten von Domaszewski als Losung übernommen wurde.77 Dieses Konzept zeichnet sich etwa in der Unterstellung „orientaler“ Verhaltensweisen herrschender römischer Araber aus, wie etwa der „Tücke und Verschlagenheit“, die im Fall der Severi von ihrem syrischen Erbe herrühren sollten, wie es schon Cassius Dio bemerkte.78 Weiter wird hier auf ungewöhnliche Gebräuche und vor allem auf fremde religiöse Ideen und barbarische Gewänder hingewiesen,79 die die Tendenz sichtbar machten, „(…) das Kapitol dem Orient zu unterwerfen.“80 Es wurde zudem vermutet, dass es verstärkt zu einem Einschleusen von „orientalischen“ Vertrauensleuten kam, und somit eine Art „Überfremdung“ des römischen Wesens drohte: „Unter Severus und Caracalla, vornehmlich aber unter den beiden Knabenkaisern ist gemäß dieser Ansicht dem Einstrom orientalischer Ideen keine Schranke mehr gesetzt.“81 In Summe wird diese langanhaltende Herrschaft arabischer Frauen – nicht überraschend bei dieser Last an negativen Attribuierungen – als eines der „größten Rätsel der römischen Kaisergeschichte“ betrachtet.82 Als einer der ersten modernen Historiker konnte Kettenhofen erst in den 1970er Jahren nachweisen, dass die „Orientalismus-Vorwürfe“ aus der Luft gegriffen bzw. schwer überzeichnet sind.83 Weder können übermäßig viele „Syrer“ in den römischen Herrschaftsreihen festgestellt werden, noch kam es zu einer dominierenden hellenistischen oder gar „orientalischen“ Beeinflussung der Religion.84 Kettenhofen kommt am Ende seiner Studie dann zu der Schlussfolgerung, dass „ (…) das allzu apodiktische gefällte Urteil v. Domaszewskis (…) fallenzulassen (ist). (…) Wenn die Arbeit gezeigt hat, daß ein Einbruch orientalischer Herrschaftsbegriffe und

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Ebd. Kettenhofen, Die syrische Augustae in der historischen Überlieferung (Augustae), Bonn 1979, S. 173. 78 Dio, RG, 78,6,1. Levick, Empress, S. 24, erkennt den rassistischen Hintergrund bei Dio, „Dio, who was a Roman senator and author of the history of Rome, as well as being a Greekspeaker of Bythnia, was ready to play the racist card. He considered that Domna’s son, Caracalla was member of three peoples and possessed not a single one of their virtues (…).“ 79 Andreas Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreich, Darmstadt 1974, S. 275. 80 Kettenhofen, Augustae, S. 173. 81 Ebd. 82 Alfred von Domaszewski, Die politische Bedeutung der Religion von Emesa (Emesa), in: Albrecht Dieterich (Hrsg.), Archiv für Religionswissenschaft, Elfter Band, Leipzig 1908, S. 223 – 242, hier S. 223. 83 Kettenhofen, Augustae, S. 173. 84 Zu den von Julia Domna protegierten Arabern/Syrern vgl. Bowersock, Studies, S. 188. 77

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“

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Kultformen in der Svererzeit nur schwer nachweisbar ist, vielmehr vorhandene Tendenzen fortgeführt werden, hat sie ihr Ziel erreicht.“85

Eine sehr ähnliche, sich wandelnde Betrachtung entwickelte sich in den letzten Jahren etwa auch über den Kaiser Elagabal (=Ila¯h Al-Jebel = Gott des Berges). Gerade bei diesem Kaiser, der seinen heimischen Sonnenkult nach Rom brachte, erkennen wir viele Vorbehalte.86 Erst in jüngster Zeit konnte dieses Bild eines orientalischen Despoten etwas aufgeweicht werden. So weist etwa Michael Sommer darauf hin, dass Kaiser wie Elagabal, die die herrschende Elite verdrängen mussten, ein unlösbares Problem hatten: Dem Senat fiel posthum die Aufgabe zu, den Kaiser zum Gott zu erheben oder zur Damnatio Memoriae zu verurteilen. Solche Entscheidungen, wie das Beispiel Hadrians zeigte, standen immer auf des „Messers Schneide“ und im Falle Elagabals musste dann dem durch den Senat entworfenen Bild auch Leben eingehaucht werden.87 Noch ein weiteres schwerwiegendes Problem hatte ein Kaiser vor sich: In einem auf Konsens gegründeten politischen System des Prinzipats, hatte jemand, der gegen die Spielregeln verstieß, keine Chancen. Er drohte, auch in der Rückschau, das System zu sprengen.88 Man kann diese Betrachtung über Elagabal, auch unter dem Aspekt verstehen, dass er eine Art Vorbote der sich abzeichnenden stärkeren Kluft zwischen dem östlichen und westlichen Kaiserreich war. In diesem Sinne ist Elagabal wohl eine Art Fanal gewesen: „Er löste keine Widersprüche, er trug in sich die Fassungslosigkeit eines Zeitalters.“89 Bemerkenswert ist, dass sich die Bewertung und die Betrachtungen über Elagabal im Laufe der Zeit geändert haben. Wurde zunächst vor allem auf seine verschiedenen Ausschweifungen rekurriert, ist es seit dem 19. Jahrhundert vor allem der Faktor des Orientalismus, der hier im Vordergrund steht. „Only in the nineteenth century did other aspects of the young ruler’s reign come into focus. Historians and literary authors became interested in the emperor as an oriental, whose rise to power and introduction of the Elagabal cult in Rome instigated a culture clash between East and West (sic!). While this interpretation has the merit that it acknowledges the emperor’s 85

Kettenhofen, Augustae, S. 176. Vgl. hier die Zusammenfassung der orientalistischen Betrachtungen zu Elagabal in: Icks, Crimes, S. 128. 87 Michael Sommer, Elagabal – Wege zur Konstruktion eines „schlechten“ Kaisers (Elagabal). Scripta Classica Israelica, Vol. XXIII 2004, S. 95 – 110, hier 95 ff. Bis zur Damantio waren die offiziellen Beschreibungen des Kaisers durch die imperiale Verwaltung durchaus positiv gewesen, Icks, Crimes, S. 215. 88 Sommer, Elagabal, S. 97. 89 Ders., S. 110. Davon abgesehen waren diese Widersprüche teilweise auch durch Falschinterpretationen hervorgerufen. Die vielkritisierte „ungewöhnliche“ Tracht der „arabischen Kaiser“ (Hosen) waren – zumindest was Elagabal anbetrifft – wohl eher eine Anknüpfung an die Sol Invictus-Gestalt des Mithraskultes, eine sehr populäre Gottheit der römischen Armee. Elagabal war bei den Legionen beliebt und diese Kleidung deshalb auch in dieser Hinsicht zu interpretieren, vgl. Lucinda Dirven, The Emperos’s New Clothes. A Note on Elagabalu’s Priestly Dress, in: Sophia G. Vashalomidze /Lutz Greisiger (Hrsg.), Der Christliche Orient und seine Umwelt, Wiesbaden 2007, S. 21 – 36, hier 35. 86

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6. Der hellenistisch-römische Orient religious reforms as important and remarkable aspect of his reign, it tends to reduce Elagabalus to an icon of the East, someone who embodies traits which the author deems typically oriental (…).“90

Wir können hier wieder einmal vermuten, dass der Orientalismus mit der Zeit immer mehr an Kraft gewinnt. Waren für die römischen Historiker die Araber zunächst eine ungewöhnliche Erscheinung, waren sie Jahrhunderte später Mitglieder einer Ethnie, die das Christentum aus seiner alten Heimat vertrieben hatte. Zumindest musste aber im 19./20. Jahrhundert, in einer Zeit also, da fast alle arabischen Gebiete unter europäischer Fremdherrschaft standen, ein arabischer Cäsar anachronistisch, und im völligen Widerspruch zum Selbstbild der überlegenen westlichen Zivilisation erscheinen. Bei all diesen orientalistischen Interpretationen wird manchmal übersehen, dass die Severi eine maßgebliche Entscheidung trafen, die das Römische Reich für immer veränderte: In der Constitutio Antoniniana wurde 212 die Ausweitung der Civitas für alle freien Bürger des Römischen Reiches und die Aufhebung der Trennung zwischen Römern und Provinzbewohnern beschlossen. Man kann hier nur mutmaßen, dass nicht nur der Soldat Caracalla, sondern auch seine begabte arabische Mutter und ihre (vermuteten) „orientalischen“ Berater Ulpian und Papinian hinter diesem Edikt standen.91 Vor allem aber, war der arabische/afrikanische Hintergrund der Severer möglicherweise eine maßgebliche Motivation: „Although various motives have been assigned to its issue, it is not impossible that the ethnic origin of Julia and her son and the fact that the family hailed from one of the provinces of the East were operative factors.“92

Eine weitere wichtige Innovation der herrschenden „Araber“ war die im Zentrum der Kritik stehende Einführung orientalischer Kulte durch Elagabalus. Der von ihm verehrte Sonnengott – noch eine arabische Gottheit, die durch einen schwarzen Stein symbolisiert wird! – kann durchaus als Vorläufer eines semitischen Monotheismus betrachtet werden, wie von Domaszewski erkannt.93 Auch erscheint die politische Instrumentalisierung der Religion ein Vorbote kommender Epochen gewesen zu sein, selbst wenn sie aus der Not heraus geboren wurde.94 Dieser Monotheismus war sicherlich Ausdruck eines religiösen Diskurses, der in der arabischen Welt schon lange vor dem Islam existierte und welcher uns bei dem Nachweis monotheistischer Strömungen, die dann im Islam aufgehen sollten, noch weiter beschäftigen wird (s.u. Kap 10.1.). Es ist sicherlich kein Zufall, dass bei drei „arabischen“ Cäsaren (Ela90

Icks, Crimes, S. 216. Zu Papinian und Ulpian vgl. Bowersock, Studies, S. 320. 92 Shahîd, Rome, S. 34 f. 93 „Die Ausbildung dieses monotheistischen Sonnenkultes ist das Werk jener Theologenschule von Emesa.“ von Domaszewski, Emesa, S. 235; Levick, Empress, S. 151 deutet den Kult eher als einen Synkretismus. 94 Zu Elagabals politischer Nutzung seiner emesischen Priesterrolle vgl. Levick, Empress, S.148: „His only asset was his priesthood (…). The god of stone was all he had.“ 91

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“

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gabal, Alexander Severus und Philip), derartige monotheistische Interessen und Hinwendungen bekannt sind. Noch massiver als bei den Severern war das Geschichtsbild von Kaiser Philip getrübt. Bis heute erscheint dieser „als Sohn eines arabischen Wüstenscheichs“, der als eine Art „orientalischer Kaiser“ in der Nachfolge Elagabals dargestellt wird.95 Als Kaiser Gordian während seines Feldzuges gegen die Perser fiel, riefen die Soldaten Philip 244 zum Kaiser aus. Die folgenden fünf Jahre seiner Herrschaft waren außergewöhnlich unruhige Zeiten für Rom. Zeitgleich mit der Auseinandersetzung in Mesopotamien wurde die Grenze an der Donau bedrängt, und so beschloss Philip, einen Frieden mit den Persern auszuhandeln. Zurück in Rom richtete er als Kaiser die wichtige 1000 Jahrfeier Roms 248 aus. Er starb bei der Verteidigung der Westgrenzen bzw. wurde vom Usurpator Decius wahrscheinlich ermordet.96 Vielleicht waren es diese unruhigen Zeiten, die es einem Araber ermöglichten, den Purpur zu tragen, wahrscheinlich ist aber auch, dass die arabischen Senatoren Roms und die Herrschaft der Severer wichtige Wegbereiter für Philip waren: „Nothing shows better the success of the upper levels of Syrian society in penetrating the Roman Aristocracy than arrival of three Syrian Arabs on the throne of the Caesars in the third century A.D. These were Elagabalus, who came from Emesa, his kinsman Severus Alexander; and Philip, who came the edge of the Laja on the borders of Syria and Arabia. (…) The emergence of Syrians at the head of the Roman Government was yet another stage in a process that had been going on for a long time, namely the provencialization of the Roman Aristocracy. But the suddenness and intensity of the Syrian presence seem at first surprising. It cannot be entirely due to the whim of Severus in selecting a Syrian wife. The fact is that the Syrian elites had been gradually rising in the Roman aristocracy through membership in the Senate for well over a century.“97

Und auch hier müssen wir wieder vermuten, dass die Überraschung und das Erstaunen westlicher Betrachter über das „plötzliche“ Aufkommen eines arabischen Herrschers wohl auch etwas mit der Unkenntnis bzw. De-Arabisierung der Präsenz der Araber im Römischen Reich zu tun hat: „If his Arab background has been stressed, it is because of a discrepancy between the important role that the Arabs played in Eastern Roman history and the denial of this by most scholars. (…) It was not by magic that Philip sprang from an insignificant corner of the Roman Empire to rise to the highest position in the world. Behind him lay an extensive Arab presence in the Fertile Crescent. There were Arab tribes scattered in Syria and Iraq besides three ,Arabias‘ outside the Arabian Peninsula: the Arabian province south of Syria which

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Christian Körner, Philippus Arabs. Ein Soldatenkaiser in der Tradition des antoninischseverischen Prinzipats (Philippus), Berlin 2002, S. 2. 96 Vgl. zu Philips Tod, dessen unterschiedliche Darstellungen und der Versuch einer Synthese in: Körner, Philippus, S. 311 ff. 97 Bowersock, Studies, S. 187.

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6. Der hellenistisch-römische Orient replaced the Nabatean kingdom, the Beit Arabiya in Iraq, which loosely included Edessa, Sinara and Hatra, and in Egypt, the Nome Arabia, lying between the Nile and the Red Sea.“98

Die Auflösung der De-Arabisierung ist aber kein leichtes Unterfangen. So kritisiert Ted Kaizer Yasmine Zahran und ihre Darlegung der orientalistischen Vorurteile alter und moderner Historiker diesem Herrscher gegenüber, indem er betont, dass sie wohl zu viel „aus der arabischen Sache mache“. Philip sei ja eher „Syrer“ gewesen: „Most (…) emphazise that he was an ‘Arab’ or that he came from ‘Arabia’, but it should also have been mentioned that the earliest source available refers to him, indirectly, as ‘coming from Syria.’“99 Jenseits dieser De-Arabisierung begegnen wir bei der Geschichtsschreibung über Philip natürlich wieder den nun schon bekannten negativen Attribuierungen. Wenn auch die Institution der römischen Aristokratie durch die Provinzialisierung des Adels ein Stück weit offen für die Integration anderer ethnischer Eliten und hier insbesondere der Araber aus Syrien war, so reichte dies offensichtlich nicht aus, um die herrschenden Vorurteile gegen die Araber zu überwinden. So beschreibt etwa Zosimus Philip, nicht ohne Vorbehalte über seine Herkunft zu bekennen: „Philip was a native of Arabia, a nation in bad repute, and had advanced his fortune by no very honourable means.“100 Wir wissen nicht, wie die Reaktion der Römer gegenüber Philip zum Zeitpunkt seiner Herrschaft war. Die Römer waren ja bereits fremde Caesaren aus Arabien, Afrika und Thrakien gewohnt. Der gefallene junge Kaiser Gordian war jedoch sehr beliebt und möglicherweise bot Philip wegen seines Friedensschlusses mit den Persern eine entsprechende Angriffsfläche, und musste deshalb zurückhaltend sein. Es bleibt zudem auffällig, dass Philip eine Toleranz, wenn nicht gar Überzeugung gegenüber der christlichen bzw. monotheistischen Idee an den Tag legte, die ihn zumindest in den arabischen Quellen als Christ erscheinen ließ.101 Philip hatte somit das Problem, nicht nur als Araber, sondern auch als vermeintlicher Christ oder zumindest als Christenfreund in einem von heidnischen Historikern erschaffenen Geschichtsbild erscheinen zu müssen, welches jede weitere Projektion beeinflusste.102 98 Zahran, Philip, S. 13. Körner hingegen untersucht die arabischen Rahmenbedingungen Philips Herrschaft kaum, und übersieht auch die Tradition arabischer Senatoren Syriens und den Einfluss der arabisch geprägten Severer, in dem er bemerkt „Zwar war man bereits gewöhnt, Provinzialen auf dem Kaiserthron zu sehen, so Trajan, Hadrian oder Septimius Severus. Alle diese kamen jedoch aus reichen Provinzen, die schon lange romanisiert worden waren.“ Körner, Philippus, S. 32. 99 Ted Kaizer, Christian Körner: Philippus Arabs, ein Soldatenkaiser in der Tradition des antoninisch-severischen Prinzipats, Plekos 5, 2003, S. 195 – 199, hier S. 196. 100 Zosimus, Historia Nova (HN) (aus dem Altgriech. von W. Green & T. Chaplin), London 1814, 1,13. 101 Zu den arabischen Quellen zu Philips Christenheit (Ibn Khaldun, Ibn Althir) vgl. Zahran, Philip, S. 116 f. Man sollte auch nicht vergessen, dass Philip aus dem Hauran kam, einer Gegend, die für ihre christlichen Strömungen bekannt war. 102 Bowersock weist aber darauf hin, dass Zosimus, der sowohl eine Abneigung gegenüber Arabern als auch Christen hatte, Philipps christlichen Glauben durchaus gegen ihn verwendet hätte, wenn er davon gewusst hätte. Bowersock, Roman Arabia, S. 126 f. Nachdem Philip seinen

6.3. Arabische Herrscher Roms und das Problem der „Orientalisierung“

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Diese wichtige Rolle der arabischen Römer bei der Entwicklung des Monotheismus scheint aber kaum bemerkt zu werden. Wir können im Gegenteil erkennen, dass die negativen Portraits der „arabischen“ Herrscher Roms von einer Kraft waren, die bis in unsere Zeit hinüberreicht. So kommentiert etwa Edward Gibbon Philippus Arabs ähnlich wie Zosimus: „Philip (…) was an Arab by birth, and consequently in the earlier part of his life, a robber by profession.“103 Diese Liste an Vorurteilen und Negativbeschreibungen kann man etwa mit Luuk de Blois fortsetzen, der Philip als einen Feigling betrachtet: „A coward and a spendthrift who made emperorship a sort of family tyranny.“104 Auch diese Beschreibungen zeigen den beinahe nahtlosen Übergang von altem zu neuerem „Orientalismus“. Die Werke klassischer Historiker liefern scheinbar Vorlagen zu gleichartigen Reaktionen Jahrhunderte später. Philip und die anderen „arabischen“ Cäsaren scheinen über die Zeit zudem zu „semitischen Racheengeln“ zu mutieren, die den bislang dominanten Westen heimsuchten: „Philip, emperor of Rome, has been seen by some as the revenge of the Near East on the West.“105 Jenseits dieser Projektionen dürfte es nicht Philips Ziel gewesen sein, eine andere Religion oder gar eine Orientalisierung Roms herbeizuführen. Im Gegenteil: Philip setzte alles daran, ein „römischer“ Kaiser zu sein: „Seine Politik ist gerade so römisch wie die eines Augustus oder Marc Aurel.“106 Dieser universelle Machtanspruch wird sich erst später unter Zenobia, Mavia und den Ghassa¯niden ändern: bei ihnen steht die regionale Autonomie im Vordergrund. Philip hingegen versuchte vermutlich alles, die Integration Arabiens in die römische Welt zu vertiefen. So kontert dann Körner die Beschreibung, dass Philips Heimatstadt Sabha, die von ihm mit viel Aufwand in eine römische Stadt, Philippopolis, umgewandelt wurde, etwas mit „orientalischer Selbstdarstellung“ zu tun haben könnte.107 Vielmehr könne diese Stadt genauso so gut „(…) im Westen des römischen Reiches errichtet worden sein.“108 Dieses Bauvorhaben scheint eher Ausdruck des Bestrebens gewesen Glauben aber auf jeden Fall privat hielt, bot er hier möglicherweise keine genügend große Angriffsfläche. 103 Edward Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Empire (Decline), Vol. I., New York, 1906, S. 244. 104 Luuk De Blois, The Reign of the Emperor Philip the Arabian. Talanta 10/11, 1978/1979, 11 – 43., S. 148. 105 Zahran, Philip, S. 22. Gibbon, Decline, S. 246, sieht dann auch Philip als „Usurpator“ der 1000 Jahrfeier Roms: „On his return from the East to Rome, Philip, desirous of obliterating the memory of his crimes, and of captivating the affections of the people, solemnised the secular games with infinite pomp and magnificence.“ Das Thema der Rache der Semiten sieht von Domaszewski dann auch schon bei Elagabal. Dessen Erhebung zum Kaiser sei „Die späte Rache der Semiten an der griechisch-römischen Kultur, deren Fesseln sie durch Jahrhunderte stumm getragen hatten.“ von Domaszewski, Emesa, S. 148. 106 Körner, Philippus, S. 327. 107 Vgl. Klaus S. Freyberger, Die Bauten und Bildwerke von Philippopolis. Zeugnisse imperialer und orientalischer Selbstdarstellung der Familie des Kaisers Philippus Arabs, Damaszener Mitteilungen 6, 1992, S. 293 – 311. 108 Körner, Philippus, S. 224.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

zu sein, „(…) seine Heimat stärker zu romanisieren.“109 So fanden in Philips Amtszeit wohl auch zum ersten Mal die Actia Dusaria in der Metropole der Provincia Arabia, Bostra, statt. In der Bezeichnung dieser hellenistischen Spiele vermischten sich Augustus Sieg in Actium und der Hauptgott der Nabatäer, Duschara. Bowersock spricht deshalb auch von einer Proklamation der „Einheit zwischen Rom und Arabien“, die mit Philip sicherlich ihren Höhepunkt fand.110

6.4. Avidius Cassius, Zenobia und Mavia: Arabischer Widerstand gegen Rom Die Integration der Araber unter römischer Herrschaft führte aber nicht dazu, dass diese ihr Freiheitsstreben und ein gewisses Nationalbewusstsein völlig aufgaben. Entgegen der Meinung, dass es keine oder nur eine geringe arabische Identität vor dem Islam gegeben haben kann, sind uns doch mehrere eindrucksvolle Beispiele für arabisches Aufbegehren gegen Rom überliefert, die wohl ohne gewisse Identität, Stolz, Selbstvertrauen und -bewusstsein nicht möglich gewesen wären. Unter der Herrschaft des Marcus Aurelius ist zum ersten Mal eine arabische Rebellion gegen die römische Herrschaft zu erkennen. Interessant ist hier der Umstand, dass es bei diesem Aufstand zunächst nicht darum ging, die römische Herrschaft abzuschütteln, sondern sie vielmehr komplett zu übernehmen! So führte der als Statthalter für Asien eingesetzte Araber Avidius Cassius, wahrscheinlich aufgehetzt von Faustina, der Tochter des Antoninus Pius, eine Rebellion gegen Marcus Aurelius an.111 Es finden sich bei Dio, der diesen Aufstand beschreibt, kaum persönliche Vorurteile gegenüber Cassius, obwohl ihn seine ethnische Herkunft natürlich als Kaiser undenkbar mache, wenn er etwa anmerkt, dass Cassius ein „(…) ausgezeichneter Mann war, wie man sich nur immer einen Kaiser wünschen mochte; nur stand ihm im Weg, dass er der Sohn des Heliodors war, der froh sein durfte, von der Rednerschule aus die Statthalterschaft von Ägypten zu erlangen.“112 Dio beschreibt diesen fehlgeschlagenen Aufstand leider nicht sehr detailreich, aber auf Grund des Hinweises, dass Marcus Aurelius darauf verzichtete, Senatoren, die es mit Cassius gehalten hatten, zu töten sowie den Statthalter von Ägypten, der scheinbar Cassius unterstützte, nicht hinzurichten, vermögen wir einen gewissen Rückhalt in der Region zu deuten.113 Auch können wir anhand Marcus Aurelius’ Rede an seine 109

Ders., Philippus, S. 225. Bowersock, Arabia, S. 121 f. Körner, Philippus, S. 227, erkennt die Beziehung nicht ganz so eindeutig. Er sieht diese Spiele auch unter Philip „erkennbar“, aus den Quellen gehe aber nicht zwangsweise hervor, dass die Spiele tatsächlich zum ersten Mal stattfanden. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, spricht die Abhaltung der Festivitäten an sich eine klare Sprache, und dass sie erst mit Philip bekannt werden, muss kein Zufall sein. 111 Dio, RG, 71,22. 112 Ebd. 113 Ders., RG, 71,29. 110

6.4. Avidius Cassius, Zenobia und Mavia

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Truppen vor dem Kampf gegen Cassius durchaus erkennen, dass hier ethnische Kategorien verwendet werden und dass der Konflikt wohl auch eine entsprechende Dimension hatte, wenn der Kaiser hervorhebt, dass „Kilikier, Syrer, Juden und Ägypter waren nie tapferer als ihr und werden es nie sein (…).“114 Auf jeden Fall hatte der Aufstand des Avidius Cassius die Konsequenz, dass von der römischen Praxis Abstand genommen wurde, Einheimische in ihren Herkunftsprovinzen einzusetzen.115 Die arabische Verwicklung in Staatsstreiche ging jedoch unmittelbar weiter. Unter der Herrschaft des Commodus wurde ein Komplott seiner Schwester Lucilla mit arabischer Beteiligung geschmiedet.116 Es ist nicht überliefert, ob ihr arabischer Ehemann, der Senator Claudius Pompeianus in das Unterfangen eingeweiht war (dieser wurde bei den nachfolgenden Racheakten des Commodus verschont). Ein enger Verwandter führte aber den Dolch, und die Anzahl der arabischen Gefolgsleute Lucillas waren beachtlich, so das Glen Bowersock vermutet, dass es hier womöglich eine Verbindung zum fehlgeschlagenen Putsch gegen Commodus Vater, Marcus Aurelius, gegeben haben könnte: „Among the others privy to the plot were an Aemilius Iuncus from Tripolis and a Vaelius Rufus from Heliopolis. The Quintilii brothers, an illustrious consular pair, were also implicated and condemned to death along with the son of one of them, who happened at the very moment to be in Syria. One is left to wonder if the importance of the Syrian contingent in Lucilla’s conspiracy represents in some way a backlash from the suppression of the revolt of Avidius Cassius.“117

Dieser „syrische“ Faktor sollte aber erst unter Königin Zenobia seinen erfolgreichsten Ausdruck erlangen.118 Unter dem Ansturm der Perser wurden die arabischen Rhomaioi für die Sicherheit des Oriens immer wichtiger. Im zweiten und zu Beginn des dritten Jahrhunderts war das im heutigen Syrien liegende Palmyra essentiell für die Verteidigung des Limes Arabicus geworden. In der Mitte des dritten Jahrhunderts mussten die Herrscher von Palmyra wohl zu der Schlussfolgerung kommen, dass andere Araber, wie etwa Avidius Cassius, die weniger zum Erhalt des Reiches beitrugen, stetig an Einfluss gewonnen hatten. Es gab Anzeichen, dass der palmyrenische König Odeanathus und seine Königin Zenobia zu den Persern wechseln wollten, dieses Ansinnen aber zurückgewiesen wurde.119 Als 259 dann die persischen Armeen Shapurs den Oriens überfluteten, stellte sich ihnen Palmyra entgegen und es gelang Odeanathus, die Perser zurückzuwerfen. In der folgenden Dekade wurde er dann von Kaiser Gallienus mit dem Vizekönigtitel bedacht und 114

Ders., RG, 71,25,1. „Es wurde jedoch damals die gesetzliche Bestimmung getroffen, dass keiner in der Provinz, aus der er stammt, Statthalter werden sollte, weil Cassius in Syrien, wo seine Vaterstadt war, seine Empörung begonnen hatte.“ Ders., RG, 71,31,1. 116 Ders., RG, 72,4,4. 117 Bowersock, Studies, S. 154. 118 Ders., Studies, S. 153. 119 Ders., Arabia, S. 129 f. 115

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6. Der hellenistisch-römische Orient

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Palmyra erlangte eine Vormachtstellung im Nahen Osten.120 Diese Position wurde aber von der arabischen Stammeskonföderation der Tanu¯kh herausgefordert, was 270 schließlich zu einer Art Explosion führte. Zenobia, die nach dem Tod ihres Gemahls die Führung übernommen hatte, führte die Armeen Palmyras nach Arabien und weiter bis nach Ägypten. In Anlehnung an die Verhaltensweisen von Philip und den Severern, trat Zenobia in weiterer Folge als eine Art hellenistische Königin auf bzw. nahm sie etwa in Ägypten eine der Kleopatra sehr ähnliche Stellung ein.121 Bei allen Ähnlichkeiten zu den hellenistisch-römischen Herrschaftsriten waren ihre Ambitionen aber allein auf die Region des Oriens fixiert; darauf ausgerichtet, die Herausforderungen der Tanu¯kh anzunehmen, die Rom selbst nicht in die Schranken weisen konnte. Das Ende von Zenobia war dann zwar dem militärisch fähigen Kaiser Aurelian zu verdanken, auch wenn in der arabischen Tradition die Rolle des Siegers dem Tanu¯kh-König Amr Ibn Adi zugedacht wurde. Dass dieser seine Position auszunutzen gedachte, kann man daran erkennen, dass sich sein Sohn, Imru l-Qais in der berühmten arabischen Namara-Inschrift schon als „König aller Araber“ bezeichnen konnte.122 ˘

So gesehen aber, waren seit dem Ende Philips und dem Aufbegehren des Avidius Cassius, die politischen Ambitionen der Araber im Römischen Reich begrenzter und nur auf den Oriens fixiert. Betrachtet man Zenobias Eroberung als eine Art Defensivmaßnahme, so kann man von einer Usurpation kaum reden.123 Interessant ist, dass wir hier den arabischen Faktor zum ersten Mal wieder in voller Kraft sehen, seit die Araber die Macht in wichtigen seleukidischen Zentren erlangten, um sie dann an die Römer zu verlieren: „The Palmyrene occupation signaled the return of the area to Arab rule. (…) The Arabs of the first century presented a disunited front, and this has been presented as a partial explanation for their failure to cope with the Roman adversary. But in the third century, Zenobia succeeded in presenting a united front, and yet Aurelian was able to defeat her notwithstanding (…).“124 120 Satre, Middle East, S. 354, verweist darauf, dass diese römischen Titel reine Ehrentitel waren und keine wirkliche Macht, geschweige denn Unabhängigkeit mit sich brachten. 121 Sie scheint sich mit ihrem Sohn Vaballathus als Königin und Co-Regenten von Ägypten tituliert zu haben. Glen W. Bowersock, The Miracle of Memnon, in: Bulletin of the American Society of Papyrologists, No 21, 1985, S. 21 – 32, hier S. 31. 122 Zur kontroversen Namara-Inschrift (Arabische Sprache in nabatäischer Schrift) vgl. Shahîd, Fourth Century, S. 31 – 56, Bowersock, Roman Arabia, S. 138 ff.; Abulhab, Dearabizing, S. 87 – 151; Retsö, Arabs in Antiquity, S. 467 – 486. 123 Satre, Middle East, S. 357 hat hier eine andere, aber widersprüchliche Interpretation: nach seiner Meinung war die hellenistische Erscheinungsform von Zenobia und ihrem Sohn unvereinbar mit einer arabischen oder nationalen Bewegung. Vielmehr wollten beide die ganze Macht im Reich: „(…) there was no attempt to establish a ‘Syrian’ empire, much less an ‘Arab’ one; instead they sought to seize control of the entire empire.“ Dafür scheint nun wenig zu sprechen und Satre selbst weist darauf hin, dass beide ja einen Ausgleich mit Aurelian suchten. Dieser Ausgleich hätte ja wohl nur in mehr Autonomie liegen können. 124 Shahîd, Rome, S. 152.

6.4. Avidius Cassius, Zenobia und Mavia

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In dieser Situation, in der die arabische Identität wohl eine motivstiftende Rolle spielte, wurde auch der von Elagabal verehrte und in Rom eingeführte Sonnengott Emesas als quasi proto-monotheistische, aber vor allem als arabische Gottheit wichtig, um in der Schicksalsstunde der Schlacht gegen Aurelian Kraft und Erfolg zu erbitten: „Gewiß ist es kein Zufall, daß die Palmyrener gerade hier (in Emesa, AA) die Schlacht angenommen haben. Sie zählten auf den Schutz des Sonnengottes, der in der Stunde der Entscheidung von ihnen sich abwandte. Die einigende Macht, auf der die politische Bedeutung des palmyrenischen Reiches beruhte, war der arabische Sonnenkult gewesen.“125

Palmyras Ende, dem schon der Niedergang Nabatäas vorausging, hatte signifikante Konsequenzen für die Araber im Oriens und der Halbinsel. Im Oriens sollten die Araber nie mehr eine urbane Basis erhalten, von der aus sie Roms Macht streitig machen sollten. Damit wurde die militärische Macht der Araber von der ökonomischen getrennt. Die wirtschaftliche Basis der Araber lag in den Handelsstädten im Westen Arabiens, die jedoch keine militärische Macht besaßen. Die Foederati wiederum waren Berufskrieger ohne urbane Basis, die nun von den Zuwendungen Roms, der Annona, abhängig wurden. Wenn diese wegfiel, waren sie existentiell bedroht, und wir werden in den späteren Jahrhunderten sehen, dass solche Situationen immer wieder zu Erschütterungen im Oriens führen sollten. Der Wegfall von Palmyra als wichtiger Relaispunkt der Gewürzroute nach Arabien führte zudem zum Aufstieg einer anderen wichtigen Stadt der Araber: Mekka. Mekka konnte den Süden Arabiens für Byzanz kontrollieren und die Handelswege, die über die arabische Stadt Nagˇran verliefen, sichern.126 Das südliche Arabien war ja seit dem fehlgeschlagenen Feldzug des Aelius Gallus während der Herrschaft des Kaisers Augustus tendenziell anti-römisch eingestellt, und bedurfte einer indirekten Kontrolle.127 Damit war dann zugleich die spätere Wirkungsstätte des Islams in eine zentrale Position gerückt, von der aus der Siegeszug der Araber im siebten Jahrhundert seinen Verlauf nehmen konnte.128 Mit dem vierten Jahrhundert werden zunächst vor allem die arabischen Stämme des Oriens und ihre Anführer, die Pylarchen, zu den wichtigsten Verbündeten von Byzanz. Dieses Experiment, welches eine Art selbstregulierendes System schaffen sollte, verwendete zunehmend die christliche Religion als Bindeglied. Diese war aber nicht immer als Integrationsmedium tauglich, wie die Revolte von Mavia im vierten Jahrhundert zeigte. Im Gegensatz zu anderen bekannten weiblichen Führerinnen des Nahen Ostens, Kleopatra, Zenobia, Julia Domna, ist die Geschichtsschreibung oft über Mavia, die „Sarazenenkönigin“, hinweggegangen. Dass die 125

von Domaszewski, Emesa, S. 231. Shahîd, Fourth Century, S. 15; S. Thomas Parker, Romans and Saracens. A History of the Arabian Border (Saracens), Winona Lake 1986, S. 143. 127 Zu diesem römischen Feldzug im heutigen Jemen: Strabo, Geographica, 2,5,12,118; Bowersock, Arabia, S. 48 f.; Retsö, Arabs in Antiquity, S. 402 f. 128 Shahîd, Fourth Century, S. 14. 126

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6. Der hellenistisch-römische Orient

Araber der islamischen Periode sie nicht erwähnten, kann noch verstanden werden; die römische Geschichtsschreibung betrachtete sie jedoch ebenfalls kaum, obwohl sie zur Rettung Konstantinopels vor den Goten beitrug (s.u.). Sie hinterließ auch keine romantischen Ruinen wie Zenobia: Ihr Volk waren arabische Nomaden, oder Sarazenen, wie man zu dieser Zeit anfing, die nicht sesshaften Araber des Oriens und der Halbinsel zu bezeichnen.129 Zu den Ursachen für ihre Revolte geben die modernen Betrachter zwei mögliche Gründe an: Glen Bowersock argumentiert, dass aus irgendeinem Grund, der Pakt, Foedus, zwischen Rom und den Foederati Mavias nicht erneuert wurde und Mavia sich deswegen im Oriens erhob.130 Irfan Shahîd betrachtet die Revolte hingegen als eine Reaktion auf den Konflikt zwischen dem orthodoxen Christentum der Araber und den herrschenden Arianern in Byzanz. Im Gegensatz zu Bowersock sieht er Mavia zu Beginn ihrer Revolte bereits als orthodoxe Christin. Der Grund für ihre Revolte war, dass nach dem Tod ihres Mannes der Foedus automatisch endete und Mavia nicht in der Lage war, einen neuen einzugehen. Er vermutet, dass dies aus Protest gegen die Verfolgung orthodoxer Priester durch den Arianer Valens oder vielleicht sogar gegen den Versuch, Mavia einen arianischen Priester aufzuzwingen, geschah.131 Wie dem auch sei, war diese Revolte militärisch erstaunlicherweise sehr erfolgreich. Kaiser Valens musste involviert werden, und man entschied sich für einen Frieden mit Mavia. Für Mavia und ihren Arabern wurde ein orthodoxer Bischof, ein Araber namens Moses, ernannt, und ihre Tochter heiratete einen römischen Offizier. Im Gegensatz zu den Revolten der Zenobia und der arabischen Rhomaioi, war Mavias Krieg im Oriens keine Machtergreifung oder Sezession: „A careful examination of the accounts of the three ecclastical historians, Socrates, Sozomen, and Theodoret, clearly shows that theirs was far from being an rebellion or an expression of separatism. The foederati of Queen Mavia were staunchly orthodox. Although they themselves understood little of the theological controversies of the period. Their queen probably did, as did their priests, and it was their loyalty toward these that made them stand fast by the orthodox position and fight for it.“132

Die Macht bzw. der Aktionsradius der Araber im Oriens scheint sich nun auf die lokale bzw. regionale Ebene zu verlegen und dort mehr Autonomie anzustreben. Auf dieser Ebene konnte die Arabisierung weiter fortgeführt werden, intensiver noch als auf der Ebene der Reichsinstitutionen, die immer eine gewisse Anpassungsfähigkeit erforderten. Allerdings waren dieser Regionalisierungsstrategie ebenfalls Grenzen gesetzt, da das politische Zentrum nun von Rom nach Konstantinopel näher in den Osten rückte, und Byzanz im Gegensatz zum Römischen Reich eine viel stärkere Zentralisierung und religiöse Hierarchisierung vornahm.133 Bestrebungen der Ara129 130 131 132 133

Bowersock, Studies, S. 127. Ders., Studies, S. 130 ff. Shahîd, Fourth Century, S. 138 ff. Ders., Fourth Century, S. 202. Hoyland, Seeing Islam, S. 13.

6.5. Wachablöse: Die ghassa¯nidische Übernahme des Limes

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ber, mehr Autonomie zu erlangen, etwa durch ihre Schutzherrschaft über die nationale monophysitische Kirche im sechsten Jahrhundert mussten dann zwangsläufig mit Roms Herrschaftssystem kollidieren. Wir können etwa bei Mavia dieses arabische nationale Bewusstsein zwar vermuten – vordergründig geht es hier ja um religiöse Konflikte – indem sie einen arabischen Landsmann als Bischof anforderte, ist aber auch eine Deutung ethnischer Dimensionen möglich.134 Es bleibt von Mavia zudem der Hinweis auf die arabische Dichtung dieser Epoche. Die Dichtung selbst ist verloren gegangen und nur der Verweis von Sozomen bewahrte die Erinnerung an diese vor dem Vergessen. ˘

„It is possible to guess at what they were like from the splendid examples of the genre which have survived, of the Al-Mu allaqa¯t. Of a rich texture, in complex meters and varied diction that makes Pindar look like simplicity itself, pre-Islamic odes were chiefly concerned with love and battles. In Mavias case the subject was presumably the latter.“135

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Aus einer aus dem sechsten Jahrhundert überlieferten Ode des Dichters Al-Samaw al Ibn Adiya kann man einen Eindruck von dieser Dichtung bekommen. Dieses Gedicht ist deswegen passend, weil in ihm vielleicht die Erinnerung an Mavia aufbewahrt ist. Zumindest wird hier eine (namenlose) Frau beschrieben, die ihre Truppen (und nicht ihre Lagerkolonne) gegen ihre Feinde führt: „She was reproaching us, that we were few in numbers; so I said to her, ,Indeed, noble men are few. Not few are they whose remnants are like us – youths who have climbed to the heights, and old men too. It harms us not that we are few, seeing our kinsman is mighty, whereas the kinsman of the most part of men is abased. (…) The love of death brings our term of life near to us, but their term hates death, and is therefore prolonged (…)‘.“136

6.5. Wachablöse: Die ghassa¯nidische Übernahme des Limes Will man die Rolle der Araber im Römischen Reich besser verstehen, so ist deren Rolle bei der Verteidigung der Grenze des Oriens gegenüber Persern und deren arabischen Vasallen, sowie den arabischen Nomaden ein zentrales Element. Bei der Diskussion über die Rolle der Araber bzw. der De-Arabisierung wird nur allzu oft übersehen, dass ab dem sechsten Jahrhundert die maßgebliche Verantwortung für die Grenze Roms im Oriens bei den arabischen Foederati lag. Nun soll hier nicht die These unterstützt werden, dass sich Konstantinopel damit de facto aus dem Oriens 134 Obwohl es hier zu allererst darum ging, einen orthodoxen Bischof zu finden, ist die Wahl eines Arabers sicherlich kein Zufall. 135 Bowersock, Studies, S. 138. 136 Arthur J. Arbrerry, Arabic Poetry, London 1965, S. 30.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

schon im sechsten Jahrhundert, also einhundert Jahre vor der islamischen Eroberung, zurückzog und die Araber nur einen Pseudoschild zur Verteidigung darstellten. Es gab vielmehr gute Gründe für die byzantinischen Kaiser, sich so zu entscheiden. Und welche Beweggründe man auch für relevant hält, es dürfte die Wahl dieser Strategie auch mit der starken Präsenz und der zunehmenden Arabisierung im Oriens im Zusammenhang stehen. Zunächst gilt es zu verstehen, dass die Grenze, der Limes, im arabischen Osten niemals die Funktionalität eines Limes bzw. dessen lineares Erscheinungsbild, wie etwa in Germanien oder Britannien, hatte. In einem kontroversen Beitrag über die römischen Verteidigungsstrategien charakterisierte Edward Luttwak die vorherrschende Militärdoktrin seit dem Zusammenbruch der Grenzen und den Krisen im späten dritten Jahrhundert, als eine Tiefenverteidigung (defence in depth).137 Bei aller Kritik an dieser Darstellung kann man zumindest im Oriens zu dem Ergebnis kommen, dass dort diese Thesen durchaus plausibel erscheinen.138 Das bedeutet, dass der Limes im Oriens weniger eine einheitliche und durchgängige Befestigung war, sondern eher eine „Interaktionszone“, in der sich Rom mit Befestigungen und einem Mix aus stationären und mobilen Truppen gegenüber den Nomadeneinfällen und den Persern behaupten wollte.139 Schrittweise hatten seit Diokletian die Römer begonnen, Limitanei mit dem Schutz dieser Grenze zu beauftragen. Diese „Wehrbauern“ stellten eine kostengünstige Variante der Verteidigung dar, da sie ihre eigenen Lebensmittel produziert haben dürften.140 Bis zum vierten Jahrhundert erfolgte zunächst ein steter Ausbau der Grenze, dessen eindrucksvolle Resultate Ammianus, ein Bewohner des Oriens, wie folgt beschrieb: „Arabia (…) a land studded with strong castles and fortresses which the watchful care of the early inhabitants reared in suitable and readily defended defiles, to check the inroads of neighbouring tribes. The region also has, in addition to some towns, great cities, Bostra, Gerasa and Philadelphia all strongly defended by mighty walls.“141

Was die Natur der Truppen im Limes anbetrifft, so waren diese teilweise eindeutig arabischer bzw. einheimischer Natur (s. o. Kap. 6. 2.). Andere Truppenteile scheinen von ihrer Bezeichnung her aus anderen Teilen des Reichs abkommandiert worden zu sein (z. B. aus dem Balkan). Eine schrittweise Arabisierung kann aber auch bei diesen Truppen – und wohl auch bei den Limitanei, die sich wohl über die lange Zeit mit den Einheimischen vermischt haben dürften, so wie die Griechen vor ihnen – nicht 137 Edward N. Luttwak, The Grand Strategy of the Roman Empire. From the First Century A.D. to the Third, Baltimore 1976, S. 127 ff. Vgl. auch die schematische Darstellung dieser Verteidigungsstrategie entlang des Limes zwischen Palmyra und Damaskus, S. 180. 138 Thomas S. Parker, The Frontier in Central Jordan. Final Report on the Limes Arabicus Project 1980 – 1989 (Frontier). Vol. 2, Washington D.C. 2006, S. 551. 139 Ebd. 140 Parker, Frontier, S. 556. 141 Ammianus, Res Gestae (RG) (Aus d. Latein. v. Walter Hamilton), London 1986, 14,8,13.

6.5. Wachablöse: Die ghassa¯nidische Übernahme des Limes

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ausgeschlossen werden: „But even these units may have been localy recruited after their posting in Arabia and thus lost their original ethnic character.“142 Mit dem Beginn des sechsten Jahrhunderts allerdings, scheint sich nach der ruhigen Phase des vorangegangenen Jahrhunderts, die schon vorher eingesetzte Schwächung der Militärgrenze durch die Aufgabe von Positionen und die Verkleinerung der Einheiten massiv zu verdeutlichen. Mit Justinian schließlich kommt es zu einer völligen Neuorientierung der Militärpolitik. Procopius gibt hier den Hinweis für die Gründe. Die Kommandostruktur zwischen den einzelnen römischen Einheiten (aufgeteilt nach den einzelnen Provinzen und nach Römern und Foederati) war zu unflexibel und nicht schlagkräftig genug, um gegen die arabischen Vasallen Persiens, die Lahmiden, effektiv zu sein (s. o. Kap. 6. 6.). Diese dürften eine gewisse ˘ Kommandoautonomie innerhalb der persischen Strukturen gehabt haben und konnten fast bis zum Ende ihrer Herrschaft selbstständiger agieren und ihre eigenen Taktiken anwenden.143 Justinian hatte also zwei Herausforderungen zu bewältigen: Den arabischen Lahmiden, die unter der Führung ihres Königs Mundir während der ¯ ˘ Herrschaft seines Onkels Justin erfolgreich den Oriens plündern konnten, musste Einhalt geboten und das Problem, dass die Limitanei offensichtlich während der ruhigen Phase des fünften Jahrhunderts ihre Kampfkraft verloren hatten, gelöst werden. In dieser Situation traf Justinian – wohl unter der aktiven Führung seines Beraters Abraham, der ein Spezialist für arabische Angelegenheiten war –144 529 die weitreichende Entscheidung, dass die Ghassa¯niden als Oberkommandierende von nun an den Limes verteidigen sollten.145 Die negative Rezeption dieser „Arabisierung“ des Grenzkonfliktes verdankt man vor allem dem einflussreichen Procopius, der Justinian als jemanden beschreiben wollte, der das Militär vernachlässigte und die Dinge permanent in Unruhe brachte.146 Nun verweisen Forscher darauf, dass der Abbau der Limitanei nicht überstürzt und eher schrittweise erfolgte und nach wie vor

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Parker, Frontier, S. 545. Viele Missverständnisse zwischen Römern und Ghassa¯niden scheinen auf das Unvermögen der Römer zurückzuführen zu sein, die flexiblen Kavalleriemanöver der Araber richtig einzusetzen oder sogar richtig zu interpretieren. Vielmehr scheinen diese unverstandenen Taktiken oftmals der Grund für die Vorwürfe der Unzuverlässigkeit gegenüber den Foederati gewesen zu sein. 144 Zur Rolle Abrahams und seines ebenfalls für arabische Affären eingesetzten Sohnes Nonnosus vgl. Shahîd, Sixth Century, S. 155 – 60. 145 Irfan Shahîd, Byzantium and the Arabs in the Sixth Century, Vol. 2 (Sixth Century Vol. 2), Washington D.C. 2002, S. 40 ff., zur Analyse der vorurteilsbeladenen Kritik des Procopius an Justinian. Procopius bezeichnet widersprüchlicherweise die Grenzen nach dieser Maßnahme zunächst als völlig unbewacht, um dann die Unfähigkeit der Ghassa¯niden bei der Verteidigung des Oriens hervorzuheben: „Alomoundaras (Mundir) continued to injure the Romans just as much as before, if not more, since Arethas was either extremely unfortunate in every inroad and every conflict, or else he turned traitor as quickly as he could.“ Procopius, History, 1,17,47 – 48. 146 Cameron, Procopius, S. 240. 143

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6. Der hellenistisch-römische Orient

reguläre Truppen im Oriens stationiert waren, wobei es an der zentralen Rolle der Foederati im neuen Verteidigungskonzept wenig Zweifel geben kann.147 Man sollte auch nicht die Rahmenbedingungen Justinians bei dieser Entscheidung vergessen: Der mit den Persern ausgehandelte „Ewige Frieden“ verhieß eine gewisse Atempause an der Front des Oriens und die restriktiven Finanzmittel konnten eine Lösungsalternative kaum erlauben. Die Rolle des Ghassa¯niden als Grenzwächter wurde dann auch 554 in der Schlacht von Chalcis/Qinnasrin sichtbar. Qinnasrin ist weit abseits des Lagers der Ghassa¯niden, trotzdem kamen sie zum Einsatz und konnten die Lahmiden zurückschlagen: ˘

„It was not the dux of Syria but Arethas from his base in Ja¯biya that hastened to the north to meet the challenge, this time not on the frontier assigned to him but in the vicinity of Chalcis whiter Mundir had penetrated.“148 ¯

Westliche Forscher stellen sich an dieser Stelle die Frage, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn Rom eine andere Militärdoktrin gewählt hätte.149 Dieser Spekulation nachzuhängen – wie wir noch im Kapitel zu Yarmu¯k sehen werden – würde aber bedeuten, die Prozesse der Arabisierung des Oriens und der fortlaufenden Stärkung des Selbstbewusstseins dieser Kräfte bei einer gleichzeitigen Ermüdung imperialer Hegemonie völlig zu verkennen. Sich gegen diesen Strom der Entwicklungen zu stellen, war für Justinian und seine Berater offensichtlich keine Option und wurde auch von seinen Nachfolgern aus gutem Grund nicht angestrebt. Nicht unbedingt, weil die Lösung der Arabisierung des Limes als die allerbeste erkannt werden musste, sondern weil sie unter den gegebenen Umständen am ehesten viabel schien. Dass diese Strategie fehlschlug, lag daran, dass das zentralistische Imperium offensichtlich keinen Weg fand, mit einer notwendigen Autonomie der Araber richtig umgehen zu können. Zwar wurde diesen immer mehr Verantwortung übergeben, die damit notwendig gewordenen Entscheidungsfreiheiten innerhalb der Gesellschaft und dem Herrschaftssystem blieben ihnen aber verwehrt. Die oft beschriebene „Nivellierung“ und „Öffnung“ der römischen Politik und Kultur zur Zeit um und nach den arabischen Erfolgen, herbeigeführt durch eine verstärkte Öffnung der

147 Zu dem eher schrittweisen und nicht plötzlichen Abzug bzw. Auflösung der Limitanei und der Beibehaltung von regulären Truppenteilen vgl. Parker, Frontier, S. 567 ff. und Shahîd, Sixth Century, Vol. 2, S. 40. Sehr zurückhaltend hier Fisher: „The archaeological evidence for the withdrawal of troops from the region is strong, and it is well understood that the pylarchs played, in general, some kind of administrative role.“ Fisher, Empires, S. 130. Welche administrative (und nicht militärische) Rolle dies sein sollte und wer nun die militärischen Aufgaben übernommen hatte, bleibt in seiner Darstellung offen. 148 Shahîd, Sixth Century, Vol. 2, S. 44. 149 Aus rein militärischer Perspektive etwa Parker: „By all accounts the Muslim armies were small in numbers and lacked sophisticated siege capability. One may only speculate about the subsequent history of the medieval Near East if Justininan and his successors had chosen to rejuvenate rather than abandon the frontiers forts and garrisons.“ Parker, Frontiers, S. 596.

6.5. Wachablöse: Die ghassa¯nidische Übernahme des Limes

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Eliten, war nicht bemerkbar.150 Die byzantinische Gesellschaft veränderte sich zwar, blieb aber im Wesentlichen in ihren starren Strukturen verhaftet. Selbst der bei der Rückeroberung des Oriens von den Persern so erfolgreiche Kaiser Heraclius, der zum ersten Mal die Religion nutzte, um eine „Kreuzzugsatmosphäre“ zu schaffen und immer wieder einfallsreich gegen die herrschende Militärdoktrin verstieß, um seine Ziele zu erreichen, war ein konservativer Herrscher: „He was no innovator – just a basically conservative emperor, an heir to the autocratic traditions of Justinian, making the best of an desperate situation.“151 Dieser Konservatismus – bei einem gleichzeitig erstarkenden arabischen Element – musste zu einem permanenten Gefühl von Misstrauen und der Angst vor Verrat bei den Römern sowie zu einer Unzufriedenheit bei den arabischen Rhomaioi, auf jeden Fall aber bei den Foederati führen.152 Man kann vermuten, dass das Thema des Verrats („Prodosia“), das eine sehr dominante Rolle bei der orientalistischen Betrachtung der Araber spielt, aus dieser Situation heraus seine Dominanz bezog.153 Auf jeden Fall war in der Phase vor den islamischen Eroberungen im Oriens die Entscheidung von Heraclius nach dem Sieg über die Perser, die finanziellen Zuwendungen für die abhängigen Araber abzuschaffen bzw. zu unterbrechen, ein zusätzlicher Fehler, der aber wohl systemimmanent war.154 Die Schwächung des Limes 150 „Contrary to the positions of some historians (…), I would argue that it is far from clear that the admitted disruption in classical learning and education necessarily produced or resulted from either a rise in popular culture, or a process of simplification or democratization. (…) The early Byzantine world did not cease to be a highly stratified society. There was no modernist counterculture, no move for revolution, no self-conscious questioning of the social structure. Nor is it clear that the possibility of social mobility increased as the older social structures weakened.“ Averil Cameron, Democratization Revisited, Culture and Late Antique and Early Byzantine Elites, in: John Haldon/Lawrence I. Conrad (Hrsg.), The Byzantine and Early Islamic Near East, Vol. VI, Elites Old and New in the Byzantine and Early Islamic Near East, Princeton 2004, S. 91 – 108, hier S. 107 f. Eine massive Veränderung etwa im byzantinischen Senat scheint sich erst nach Yarmu¯k bemerkbar zu machen. Der Anteil der nichtgriechischen Senatoren stieg erst in der Periode 700 – 750 von 12 % auf 19 %, eine Erhöhung, die auf Grund des massiven Landverlustes durch die Araber sicherlich bemerkbar war, vgl. John Haldon, The Fate of the Late Roman Senatorial Elite: Extinction or Transformation?, in: John Haldon/Lawrence I. Conrad (Hrsg.), The Byzantine And Early Islamic Near East, VI, Elites Old an New in the Byzantine and Early Islamic Near East, Princeton 2004, S. 179 – 235, hier S. 215. 151 Peter Brown, The World of Late Antiquity (Antiquity), London 1997, S. 172. 152 Diese Autonomiebestrebung wird auch von Fisher, Empires, S. 177, erkannt: „Yet there are indications that the Jafnids and the Nasrisds were starting to separate themselves from their patrons, both on the battlefield and in terms of diplomatic contacts.“ 153 Zum Thema der „Prodosia“-Vorwürfe insbesondere gegenüber den Foederati vgl. Shahîd, Forth Century, S. 293, 305 f., 613. 154 „Heraclius made the fatal mistake of terminating subsidies to federate Arab allies along the frontier at this critical moment.“ Parker, Limes, S. 569. Shahîd, Sixth Century, S. 649 kann eine solche Unterbrechung nicht erkennen. Walter E. Kaegi, Byzantium and the Early Islamic Conquests (Byzantium), Cambridge 1992, S. 35 ff., kann nur Unregelmäßigkeiten ausmachen, die Heraclius abzustellen versuchte. Fred McGraw Donner, The Early Islamic Conquests (Early Conquests), Princeton 1981, S. 100, verweist ebenfalls auf Nachrichten, die eine Unterbrechung der Annonae an die Araber andeuten und vermutet, dass diese Resultat der Neuorien-

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6. Der hellenistisch-römische Orient

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war damit nicht mehr aufzuhalten. Bei allen Problemen der Zusammenarbeit waren die meisten arabischen Foederati in der Regel weiterhin loyal, wenn auch geschwächt. Trotz der Negierung der arabischen Interessen und Fehler bei der Entwicklung der Beziehungen, blieben die meisten Foederati wohl bis zum bitteren Ende an der Seite Roms. Sie standen zu Heraclius, als dieser gegen die Perser kämpfte und den Oriens wieder zurückgewann und sie wurden beim Sieg Roms über Persien auch in der Siegesnachricht erwähnt, die am 15. Mai 628 von der Kanzel der Hagia Sophia verkündet wurde.155 Sie konnten zunächst auch einen Sieg bzw. ein Unentschieden gegen die muslimischen Kräfte bei Mu ta 629 erzielen, bei denen die Muslime hohe Verluste erlitten. Sie wurden aber am Ostersonntag 634, als sie ins Gebet vertieft waren, von den Moslems überrascht und mussten in der Schlacht von Marj Ra¯hit eine bittere Niederlage einstecken, die ihnen einen Vorgeschmack auf ˙ Yarmu¯k geben sollte, sie aber in beiden kritischen Momenten nicht zum Abfall bewegte: „If the Ghassa¯nids habored any doubts about the succour which their God had denied them at Marj Ra¯hit or at Yarmu¯k, they did not evince any sign of it after the final and definite defeat ˙ of Byzantium.“156

6.6. Frühe Historiker über die Araber: orientalistische Anfänge und ihr moderner Nachhall Die Ausgangssituation für eine Schilderung und Beschreibung der Araber durch die griechisch-römische Geschichtsschreibung war natürlich nicht sehr vorteilhaft, wie wir schon an den Beispielen von Julia Domna und Philippus Arabs sahen. Das Bild der Araber im Römischen Reich leidet generell unter den unscharfen Bezeichnungen der arabischen Gruppen, den Einfällen der Nomaden aus Arabien und natürlich dem allgemeinen Blickwinkel, dass diese als Nichtrömer Barbaren sind: „The image of the Arabs, who played an important role in Roman history, does not emerge from the pages of classical literature with perfect clarity. This is partly due to the fact that the Arabs appear in that literature not as one people but as many groups and, what is more, on various levels of cultural development. Besides various specific names were applied to them, and this tended to obscure the ethnic affinity that obtained among these groups, so differently designated. The nomads among them, referred to as Scenitae in the Roman period, were a homogeneous and well-defined group and consequently their image is projected with tolerable clarity. In spite of difficulties that attend the attempt to perceive an image of the Arabs tierung und Konsolidierung des Limes waren, die etwa Zahlungen an bestimmte Gruppen, die wegen der Rekonstruierung der Front nicht mehr notwendig waren, wegfielen ließen. Dies würde auch den früheren Beobachtungen von Thomas Parker entsprechen, der den Wegfall der Annonae nur für die Araber im südlichen Palästina erkannte. Und genau dort kam es dann zu einem ersten arabischen Vorstoß in Richtung Gaza, Parker, Saracens, S. 154. 155 Vgl. zu dem Text Siegesnachricht und auch zu der Beteiligung der Araber an der Rückführung der Kreuz Christi-Reliquie nach Jerusalem nach dem Sieg über Persien: Shahîd, Sixth Century Vol. 2, S. 944 ff. 156 Ders., Sixth Century Vol. 2, S. 948.

6.6. Frühe Historiker über die Araber

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on the basis of data available in Greco-Roman literature, it is possible to draw the following conclusions concerning that image: The attitude of the historians and geographers to the Arabs was the classical attitude of these writers to all the non-Greek and non-Roman people of the empire, whom they considered barbaroi.“157

Es bleibt ein interessantes Phänomen, dass trotz der engen Verschränkung und der Integration der arabischen Rhomaioi und der Foederati in das Römische Reich sowie ihrer Rolle als Christen, diese starken Bindungen und die wesentliche Rolle der Araber in den wenigsten Fällen von den kirchlichen und säkularen Historikern dieser Epoche objektiv wiedergegeben wurde. Da die Foederati keine eigene Geschichtsschreibung aufwiesen, konnte der überwiegend negativen Darstellung der Araber in der römischen Geschichtsdarstellung nichts entgegengesetzt werden. Obwohl die Rolle des mit einer solchen Darstellung verknüpften Rassismus im Römischen Reich noch nicht völlig klar ist, müssen wir wohl davon ausgehen, dass dieser gegenüber den Arabern durchaus vorhanden war: „The absurd notion that the Roman Empire knew cultural but no racial prejudice has lately prevailed in certain quarters (…). Toward the Arabs, sometimes called Syrians or Saracens, a firm prejudice is well attested.“158

Besonders ins Auge sticht hier Ammianus, dessen Sichtweisen in späteren Epochen weiter verwendet wurden: „The Saracens, however, whom we never found desirable either as friends or as enemies, raging up and down the country, in a brief space of time laid waste whatever they could find, like rapacious kites which, whenever they have caught sight of any prey from on high, seize it with swift swoop, and directly they have seized it make off.“159

Oder etwa Cicero, der eine sicherlich weit verbreitete Meinung wiedergab: „Iudaeis et Syris, nationibus natis servituti.“160 Die Grundfeste für eine orientalistische Sichtweise wurde wohl hier gelegt. Irfan Shahîd hat die einzelnen historischen Quellen in der römischen und byzantinischen Ära analysiert und kommt zu folgender Einteilung der geläufigen Vorurteile gegenüber den Arabern:161 Die griechisch-römischen Autoren projizieren vor allem das gängige Bild von Arabern als Latrones, als Plünderer des Limes Arabicus und vor allem als kulturell minderwertige Nomaden, als Zeltbewohner (Scenitae), die rauben und die zudem noch überkommenen und abscheulichen Riten nachgingen.162 157

Shahîd, Rome, S. 156 f. Bowersock, Arabia, S. 124, Fn 4. 159 Ammianus, RG, 14,4,1. 160 Cicero, De Provinciis Consularibus, Oxford 1909, 5,10. 161 Weiterführend kann hier auch auf die Analysen dieser Historiker bei Shahîd, Rome, S.95 – 122 (für Zosimus und Eusebius) sowie ders., Fifth Century, S. 239 – 277 (für Ammianus) verwiesen werden. 162 Shahîd, Rome, S. 108. 158

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6. Der hellenistisch-römische Orient

Die kirchlichen Autoren identifizieren die Araber vor allem als Nachkommen Ismaels, also als Kinder Abrahams mit der Sklavin Hagar, was ebenfalls wenig schmeichelhaft sein dürfte.163 In der Regel kam es zu einer Fusion der beiden Punkte. Man kann zudem bei der Analyse der klassischen Texte auch nicht von Fälschungen sprechen, sondern eher von Auslassungen von Fakten und falschen Andeutungen, wodurch ein sehr unausgewogenes Bild entsteht und die Rolle der Araber als Cives und Foederati völlig negiert wird. So verdanken wir zwar Eusebius die Hinweise auf Philips Besuch der Ostervigil und damit sein mögliches Christentum (s. o. 6.2.), wir erfahren aber nicht, dass er Araber war. Diesen Hinweis unterlässt Eusebius aber nicht beim Jesusmörder Herodes dem Großen, den er als Araber durch die Herkunft seiner nabatäischen Mutter identifiziert. Als einer der wichtigsten Historiker des vierten Jahrhunderts gilt Ammianus, ein römischer Offizier, der in Antiochia lebte. Er beschreibt die Araber fast ausschließlich als Scenitae oder Saraceni und nicht als Foederati. Er verschweigt die Rolle Mavias beim Schutz Konstantinopels und die Rolle der Araber als Christen. Besonders der Kampf um Konstantinopel gegen die Goten (378 n. Chr.) ist für diese Auslassungen ein gutes Beispiel. Nach der verlorenen Schlacht von Adrianopel und dem Tod Kaiser Valens zogen die Goten weiter in Richtung der Hauptstadt. Hier trafen sie unter anderem auch auf eine Truppe der Foederati Mavias, die diese im Zuge ihres neu geschlossenen Foedus mit Valens zu seiner Unterstützung entsandt hatte: „A body of Saracenes, (…) had been summoned to the city. They are more at home in the tricks of guerrilla warfare than in a formal battle, but on the sudden appearance of the host of 163

Diese abfällige Verwendung der Abstammung der Araber von der Sklavin Hagar ist insofern bemerkenswert, als die Araber oft mit einem gewissen Stolz auf diesen Mythos blickten. Eine Auflösung dieses Paradoxons liefert jüngst Betram Schmitz mit einem Hinweis auf den Galaterbrief des Paulus, der dieses Element ausführte: „Hagar bedeutet den Berg Sinai in Arabien. Sie entspricht dem jetzigen Jerusalem, denn sie (d. h. diese Stadt) ist Sklavin mit ihren Kindern zusammen.“ (25) Hagar kann im arabischen sowohl Stein als auch Berg bedeuten. Für Paulus sind der biblische Name Hagar und das arabische Wort für Stein und Berg gleich. Damit ergab sich für eine Ansprache der Araber und einer Mission unter ihnen ein guter Anknüpfungspunkt. „Sie bietet sich geradezu hervorragend an, um Arabern zu verdeutlichen, dass auch sie bereits in der Tradition und Abstammung des (ersten) Bundes stehen. Vielmehr noch: Paulus schenkt den Arabern quasi (als Allegorie) diesen Bund! Es ist ihr Bund, und er gehört ihnen als Nachkommen Hagars eigentlich direkter als allen anderen. Hagar, das war eine von ihnen und Hagar, das ist der Berg, der Berg der Araber!“ Dieses Wortspiel kann man aber noch weiter ausreizen: „Nun mag es schon ein Zufall oder Wink der Geschichte sein, das es Paulus aufgrund des Gleichklangs in seinen Ohren erlaubte, die Mutter Ismaels und Frau Abrahams, die Hagar, mit einem arabischen Berg gleichzusetzen, wie er dies im Galaterbrief getan hat. Noch weiter geht die Übereinstimmung, dass der Stein der Kaaba, als ,schwarz‘ (aswad) gilt und auch die Tradition Hagar als eine Schwarze versteht. Die ,schwarze Hagar‘ würde sich für diese Ohren wohl kaum von einem ,schwarzen Stein‘ unterscheiden. (…) Hätte Paulus nicht selbst diese Allegorie formuliert, hätte kaum ein Wissenschaftler, der nicht auf rabinische Theologie spezialisiert ist, sie für möglich gehalten.“ Bertram Schmitz, Hagar – ein arabisches Wortspiel im Neuen Testament, in: Sophia G. Vashalomidze /Lutz Greisiger, Der christliche Orient und seine Umwelt, Wiesbaden 2007, S. 308 – 315, hier 313 f.

6.6. Frühe Historiker über die Araber

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the barbarians they made a bold sally from the city to attack it. After a long and obstinate fight they parted on equal terms. But an incident of an utterly unheard-of sort gave the warriors from the East the upper hand. One of them, a man with long hair wearing nothing but a loincloth, drew his dragger and hurled himself with blood-curdling yells into the midst of the Gothic host. He cut a man’s throat, then put his lips to the wound and sucked the streaming blood. This appalling sight terrified the barbarians, who lost their habitual confidence and advanced only with hesitation.“164

Auch hier wurden die Araber wieder nicht als Foederati, sondern mit dem allgemeinen Begriff Saraceni, der für Nomaden generell gültig ist, tituliert und auch die Rolle ihrer Königin Mavia wird ausgelassen. Man mag spekulieren, ob Ammianus, wenn es nicht zu diesem noch „nicht dagewesenen Vorfall“ gekommen wäre, die Rolle der Araber bei der Verteidigung des Römischen Reiches überhaupt erwähnt hätte. Die Gründe für die jeweilige Haltung der einzelnen Historiker sind unterschiedlich. So sah Ammianus die Rolle der Barbaren als Hauptgrund für die Krisen des Römischen Reiches. Als Heide hatte er auch keinen Anlass, das Christentum der Foederati zu erwähnen. Bei Eusebius können wir vermuten, dass er als Lobredner Kaiser Konstantins, der den Sieg des Christentums verkörperte, eher vorsichtig war, die Rolle Philips als möglichen Christ zu sehr herauszustellen. Er hatte auch wenig direkten Kontakt mit Arabern und verließ sich so vor allem auf biblische Quellen, was wiederum die fast synonyme Verwendung der Begriffe „Ismaeliten“ und „Scenitae“ bzw. „Saraceni“ erklären kann. Im sechsten Jahrhundert fiel der Historiker Procopius durch seine Vorbehalte und Vorurteile gegenüber den arabischen Foederati auf.165 Als markantes Beispiel dient hier seine Schilderung der Schlacht von Callinicum (553 n. Chr.). Als die Perser und die verbündeten arabischen Lah˘ miden in Syrien und dem Euphratgebiet einfielen, stellt sich ihnen der römische Feldherr Belisarius mit einer Streitmacht von 20.000 Mann entgegen. Die Foederati stellten etwa 5.000 Mann und bekamen den rechten Flügel zugewiesen. In der zweiten Tageshälfte der Schlacht zerbrach dieser unter dem Ansturm der Perser und die Schlacht war verloren. Procopius wirft den Foederati ganz klar Verrat vor.166 Andere Historiker halten hingegen fest, dass der ghassa¯nidische Pylarch Al-Ha¯rith ˙ (Arethas) seine Stellung hält und keinesfalls flieht. Der Vorwurf des Verrats ist aber gesetzt und ist seitdem ein oft wiederkehrendes Thema bei der Beschreibung der Foederati. Das Verhalten von Procopius sieht Shahîd vor allem durch das Motiv der „Kaiserkritik“ getrieben: 164

Ammianus, RG, 31,16,5 – 6. „Procopius was the creator of a dark image of the Arabs which has dominated Byzantine History after him. This is necessary to point out, considering that in the preceding fifth century Byzantine historiography was favourable to the Arabs. It was Procopius who changed their image.“ Shahîd, Fifth Century, S. 305. 166 „Then by mutual agreements all the best of the Persian army advanced to attack the Roman right wing, where Arethas and the Saracens had been stationed. But they broke their formation and moved apart, so that they got the reputation of having betrayed the Romans to the Persians.“ Procopius, History, 1,18,33 – 38. 165

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6. Der hellenistisch-römische Orient

„Arab and Arabian affairs played an important role in the building of the case against Justinian, and although Procopius looked at the Arabs in much the same way as he did at all the barbarians who were responsible for the process of decline, it was mainly Justinian who was his target.“167

Dies umso mehr als Justinian derjenige Kaiser war, der die Rolle der Ghassa¯niden stärkte, indem er Arethas zum Basileus der Foederati machte. Procopius war auch der Sekretär von Belisarius und trachtete danach, jeglichen Makel von diesem fernzuhalten.168 Die Heraushebung von einigen markanten Beispielen soll zeigen, dass die Rolle der Araber im Römischen Reich immer eine schwierige war: Als Cives nicht mehr als Araber zu identifizieren, als Foederati eher den Nomaden zugerechnet, die die Grenzen bedrohen. Als Christen immer dem Vorwurf der Häresie ausgesetzt, da sie an ihrem Glauben hingen und ihre orthodoxen bzw. monophysitischen Bekenntnisse nicht wechselten, wenn dies der jeweilige römische Kaiser tat bzw. ein Kaiser mit einem neuen Glauben die Macht erlangte.169 Die Werke der klassischen Historiker liefern sehr oft die Grundlagen der „orientalistischen“ Sichtweise, wie wir sie heute kennen. Ein sehr markantes Beispiel ist etwa, das Thema des Verrats, das bei Procopius als Attribut der Foederati und Araber immer mitschwingt und dann auch von Autoren unserer Zeitepoche reproduziert wurde: „The theme of treachery initiated by Procopius was copied and followed by some modern writers like Gibbon on whom one can always count for an anti-Arab statement.“170 Zwar ist der Konnex selten so klar, wie bei diesem Beispiel, wir können aber davon ausgehen, dass diese Attribute bei den klassisch ausgebildeten Orientalisten durchaus präsent waren, über die Generationen weitergereicht wurden und so die Jahrhunderte überlebten. In Anlehnung an Hobsbawms „Inventing Tradition“ kann man den Orientalismus in diesem Sinne nun ebenfalls als eine konstruierte Erzähltradition darstellen, deren Praktiken gewisse Werte und Normen einimpfen sollen. Dies geschieht vor allem durch Wiederholungen, die dann eine Kontinuität

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Shahîd, Fifth Century, S. 52. Eine Zusammenfassung von Procopius anti-arabischer Haltung findet sich auch bei Cameron, Procopius, S. 125: „The charge of treachery at Callinicum is a device used by Procopius to deflect blame from Belisarius, and we do not need an elaborate defence of AlHarith to see that he is exaggerating.“ 169 Nöldeke bemerkt hier lakonisch: „An sich ist es freilich für die Syrer und Kopten kein Glück gewesen, daß die Unterdrückung des Monophysitismus nicht durchgeführt und sie damit auf Dauer Europa entfremdet wurden.“ Nöldeke, Fürsten, S. 21. 170 Zahran, Ghassan, S. 66. So kommentiert dann Gibbon die Schlacht und das Verhalten der Foederati in Callinicum wie folgt: „The right wing was exposed to the treacherous and cowardly desertion of the Christian Arabs.“ Edward Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire. Vol. 2 (Decline 2), New York 1934, S. 186. Zu einer zusammenfassenden Darstellung der Prodosia-Vorwürfe gegen die Araber im sechsten Jahrhundert in den klassischen Quellen vgl. Shahîd, Sixth Century, S. 135 – 142, 220 – 226. 168

6.6. Frühe Historiker über die Araber

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mit der Vergangenheit darstellen sollen.171 Auch wenn die Orientalisten moderner argumentieren konnten, so war ihnen doch bewusst, dass sie sich im Rahmen ihres fundierten, kulturellen Referenzsystems bewegten, was die Bewertung der Rolle der Araber anging. Und so wurde verabsäumt, ein Bild der Araber zu zeigen, das nicht im Widerspruch zur westlichen Welt steht, sondern aufzeigt, das Westen und Osten auf eine lange gemeinsame Tradition und Geschichte zurückblicken können. Abschließend sei hier wieder darauf hingewiesen, dass frühen europäischen Historikern die Problematik der griechisch-römischen Geschichtsschreibung in Bezug auf die Araber durchaus bekannt war, und sie auf deren Unzulänglichkeiten in Bezug auf das gezeichnete Bild der Araber hinwiesen. Allerdings sind diese Erkenntnisse oftmals nicht in das Repertoire westlicher Orientalisten übergegangen. So erkannte einer der ersten europäischen Historiker, der sich mit der islamischen Invasion des Oriens beschäftigte, Simon Ockley, dass durch die Defizite der klassischen Geschichtsschreibung das Bild der Araber nicht nur verfälscht, sondern auch die Erfolge der Araber unerklärlich erscheinen. Im Vorwort seiner „History of the Saracens“ ist er, was diese Quellen anbetrifft, von einer Klarheit, die den heutigen Betrachtern aus verschiedenen Gründen oft nicht mehr gegeben ist: „The Arabians, a people little noticed by the Greek and Roman authors, notwithstanding the nearness and the extent of their country, have since the time of Mohammed, rendered themselves universally remarkable, both by their arms and learning. (…) It might be expected, that the Greeks, who bore the greatest share of that grievious calamity, and whose vices and divisions, it is to be feared, bought it upon the Christian world, would have taken particular care to have given a just account of it. But, on the contrary. They have been more jejune and sparing in this particular, than is allowable in any tolerable historian, even when relating matters at the greatest distance. (…) This in substance, is the account of those wars, and of the beginning of the Saracenic empire, which is left to us by Grecian writers of that age, who are justly accused of brevity and obscurity, in a subject that deserved to be more copiously handled; for undoubtly it must needs have been various as well as surprising in its circumstances; containing no less than the subduing of nations, altering ancient governments, and introducing a new face of affairs in the world. (…) There is nothing more just than this observation; and what lame accounts must we then expect from those who compile histories of the Saracens out of the Byzantine historians!“172

171

Eric Hobsbawm, Inventing Tradition, in: Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hrsg.), The Invention of Tradition, Cambridge 2003, S.1 – 22, hier S. 1. 172 Simon Ockley, The History of the Saracens: Comprising the Lives of Mohammed and His Successors, to the Death of Abdalmelik, the Eleventh Caliph. With an Account of Their Most Remarkable Battles, Sieges, Revolts, &. Collected from Authentic Sources, Especially Arabic Mss, London 1857, S. XVI.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

6.7. Nachtrag: Der Papst von Bagdad Mit dem Sieg des Islams wurde das Kapitel der arabischen Christen und des östlichen Christentums keinesfalls beendet. Man kann davon ausgehen, dass die überwiegende Zahl der Bewohner des Oriens Christen waren. Die Zurückdrängung des Hellenismus geschah in dieser Region zwar nicht so schnell, wie man oft geglaubt hatte.173 Die Christianisierung im Oriens war aber wohl weit fortgeschritten.174 Die Ghassa¯niden zogen sich nach Yarmu¯k mit ihrem Anführer Jabala in das römische Anatolien zurück, wo sich ihre Spur verliert.175 Andere Foederati blieben und wurden von den Umayyaden in das Milizsystem integriert. Auch in dem arabischen Vasallenstaat der Perser, dem Lahmidenreich, war ein großer Teil der Bevölkerung ˘ konnte die nestorianische Kirche Fuß fassen.176 Die christlich, und dort und in Persien lahmidische Hauptstadt H¯ıra (gegenüber den späteren Kufa und Nadschaf) im ˙ ˘ Südirak hatte viele in den arabischen Erzählungen überlieferte christliche Bauwerke: „The city of H¯ıra, although only partly Christian, was full of churches and monastries. The ˙ churches had square open spaces recalling temples of Assur and Babylon; the body of the churches were rectangular, with pillars supporting arches of burnt brick. At the south-east end was a three sided edifice with three chapels separated from the main body of the church by massive pillars. There were Kufic inscriptions on the walls and paintings of leafed crosses (…).“177

Die nestorianische Kirche wurde von den Persern toleriert, weil sie eine Gegenspielerin der orthodoxen bzw. monophysitischen Kirche Roms war. Der letzte lahmidische König Nu’man konvertierte zum Christentum.178 Die Lahmiden kon˘ trollierten nicht nur den Südirak, sondern auch Gebiete am Arabischen˘ Golf und in Saudi-Arabien (dem sog. Beit Qatraye), in denen sich das Christentum ausbreiten konnte.179 Beachtenswert ist, dass die Christenheit im islamischen Reich nicht auf ein defensives Halten ihrer Positionen und ihrer Macht beschränkt war. Insbesondere die nestorianische Kirche konnte ihre Position weiter ausbauen und mit einer beein173

Zu dem langen Überlebenskampf des Hellenismus im christlichen Oriens vgl. Bowersock, Hellenism. Instruktiv hier das Beispiel Gazas. Obwohl in der Nähe der heiligen Stätten, hatte diese Stadt noch im frühen fünften Jahrhundert nur eine Kirche, aber acht Tempel, Downey, Gaza, S. 14 ff. 174 Mit dem Jahr 500 sind etwas mehr als die Hälfte aller identifizierten Grabsteine im zentralen Abschnitt des Limes in Jordanien christlich, Parker, Frontier, S. 575. 175 Zu dem Ende von Ghassa¯n vgl. Zahran, Ghassan, S. 143 ff., bleibt zu erwähnen, dass ein wahrscheinlicher ghassa¯nidischer Nachfahre Jabalas, Nicephorus, byzantinischer Kaiser wurde (802 – 811). 176 Ders., Lakhmids, S. 71. 177 Ders., Lakhmids, S. 71. Zu den Beschreibungen der ersten Ausgrabung und Hinweisen auf christliche Ornamente in H¯ıra siehe Talbot Rice, The Oxford Excavations at H¯ıra, London ˙ ˙ 1932. 178 Zahran, Lakhmids, S. 70 ff. 179 Potts, Arabian Gulf, S. 262 ff.

6.7. Nachtrag: Der Papst von Bagdad

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druckenden Expansion nach Osten (Indien, China, Afghanistan und Tibet) aus dem ehemaligen Oriens heraus beginnen. Um 800 wurde der Sitz dieser expansiven Kirche an den Hof des Kalifen nach Bagdad verlegt. Den heute etwas seltsam anmutenden Modus Vivendi zwischen den islamischen Machthabern und der christlichen Kirche könnte man so zusammenfassen: Zwar war die Politik islamisch geprägt, die Kultur und die Religion im Oriens und den anderen Gebieten jedoch lange Zeit noch durchaus christlich beeinflusst.180 Sogar im arabischen Kernland, der Arabischen Halbinsel, sind noch bis in das Jahr 676 nestorianische Bischöfe als Teilnehmer einer Synode in Beit Qatraye überliefert.181 Diese Synode fand auf der Insel Tarut (die Insel Darin im heutigen Saudi-Arabien) statt. Interessant sind auch die überlieferten Themen: So waren wohl viele arabische Christen Steuereintreiber geworden. Diese wurden angewiesen, auf keinen Fall Abgaben von Bischöfen einzusammeln. Weiters gab es zu dieser Zeit wohl auch noch jüdische Gemeinschaften in Beit Qatraye. Die anwesenden Bischöfe beklagten sich, dass die Christen nach Erhalt der Sakramente in jüdische Tavernen einkehrten. Wein zu trinken war nicht das Problem, sondern eher, dass christliche Tavernen, an denen es nicht gemangelt haben dürfte, von den christlichen Gläubigen nicht unterstützt wurden. Selbst wenn die christlichen Gemeinden im islamischen Einflussbereich in Bedrohung geraten würden, konnte die Kirche ja noch immer die unendlichen Gebiete weiter östlich ausweisen: „During the catholicate of Thimothy I (730 – 823) the Nestorian church witnessed considerable expansion and six new metropolitan provinces were created. Thimothy corresponded with Turks and Tibetans, and despatched a number of missionaries who travelled to the ends of the East in pursuit of new souls.“182

˘

Dass die arabischen Christen das islamische Reich als eine Ausgangsbasis für die Missionierung von Heiden nutzen konnten, erscheint recht eigentümlich. Die Umayyaden wären wohl allein auf die Schaffung eines arabischen Staates fokussiert, hätten möglicherweise keinerlei Kapazitäten, diese Gebiete zu erobern und betrachteten die Missionierungen durch eine ihnen unterstellte Kirche deshalb als akzeptabel. Überliefert ist etwa, dass der Kalif Abd Al-Malik den Nestorianer Johannes als Dank für die Heilung seiner Tochter, die Erlaubnis zur Missionierung erteilte: „Let this holy man build churches and monastries in our realm wherever he should wish to do so.“183 Eventuell war dies aber auch eine besondere Situation. Wir können nur feststellen, dass für die Nestorianer die islamische Welt scheinbar im Hintergrund stattfand. Als Kompromiss schien zwischen den Nestorianern und den Kalifen nur ein Verbot zur Bekehrung von Moslems wirksam gewesen zu sein. Vielleicht war das oft unterstellte Desinteresse der Nestorianer an den herrschenden 180 181 182 183

Jenkins, Lost History, S. 47. Potts, Arabian Gulf, S. 262. Hoyland, Seeing Islam, S. 204. Ebd.

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6. Der hellenistisch-römische Orient

Moslems ja auch durch diese rote Linie begründet und die Missionierung des Ostens als Ausgleich, Teil dieses nicht formalisierten aber praktizierten „Modus Vivendi“: „It is interesting to note that Muslims, unlike the pagans, are not a target for conversion – perhaps reflecting a knowledge of their monotheism as well as respect for their power-but neither are they a target of explaination or curiosity (…).“184

Dass die Araber in der Zeit nach der Eroberung des Oriens, eine Religionspolitik praktizierten, die die monotheistischen Religionen der Region in einer abrahamitischen Ökumene verbanden, war diesem Ausgleich sicherlich ebenfalls förderlich (s.u. Kap. 9). Unter ihrem Catholicus Timotheus erreichte diese Kirche wohl ihre größte Ausdehnung und dieser Kirchenfürst, der theologische Streitgespräche mit dem Kalifen führte und Aristoteles in das Arabische übersetzte, war dem Papst in Rom in mehrerlei Hinsicht ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen.185 Bei seinem Tode 823 war das Christentum eine östlich geprägte Religion und die Aussichten für das Überleben der Kirche im Westen konnte man vergleichsweise eher skeptisch beurteilen.186 Das Ende der europäischen Krise wurde dann auch erst zu einem viel späteren Zeitpunkt überwunden: „Noch im ausgehenden 14. Jahrhundert hatten hochgebildete Gelehrte wie der große Ibn Chaldun nur geringes Interesse am christlichen Europa gezeigt: ,Weiß Gott, was dort vorgeht.‘“187

Zwischen 640 und 740 kamen drei Päpste aus Syrien. Der letzte unter den für die Kirche wichtigen griechischen Väter, Johannes von Damaskus, war wohl nur dem Namen nach Grieche und trug bei seiner Geburt den arabischen Namen Mansur. Wie sein Vater hatte er am Hof des Kalifen hohe Positionen inne.188 Erst ab dem 13. Jahrhundert wurde vor allem unter dem Mongolensturm die Christenheit im Osten immer weiter zurückgedrängt und gelangte vielfach sogar in völlige Ver184

Hoyland, Seeing Islam, S. 205. Jenkins, Lost History, S. 20. Zu Thimotheus und den Inhalten seines Streitgespräches mit dem Kalifen vgl. auch Hoyland, Seeing Islam, S. 427 – 425. 186 „Already in Thimothy’s last days, Charlemagne’s vaunted empire was fragmenting, and falling prey to the combined assaults of Northmen and Muslims Saracenes. In the century after 790, ruin and massacre overtook virtually all the British and Irish monasteries (…). Spain was already under Muslim rule and southern Italy and southern France seemed to follow.“ Jenkins, Lost History, S. 19 f. 187 Eric Hobsbawm, Wieviel Geschichte braucht die Zukunft (Aus d. Engl. v. Udo Rennert), Wien 1998, S. 282. 188 Vgl. Jenkins, Lost History, S. 48. Allerdings ist unklar, ob er trotz seines arabischen Namens nun ein Araber oder ein Grieche war. Er wird oft als ein „Sarazenenfreund“ bezeichnet (unter Griechen wohl eher ein Schimpfwort) und war gemeinsam mit dem christlichen arabischen Dichter Akhdal ein Trinkbruder des Khalifen Yazid I (680 – 83). Vor allem aber war er der Verfasser der De˙ haeresibus, eine systematische Auflistung aller Häresien inklusive des Islam. Mit seiner wohlinformierten Polemik gegen den Islam, legte er die Fundamente für die späteren christlichen Polemiken. Hoyland, Seeing Islam, S. 484. 185

6.7. Nachtrag: Der Papst von Bagdad

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gessenheit. Als etwa die ersten europäischen Seefahrer nach Indien kamen, waren sie sehr verwundert, dort Christen anzutreffen, die in ihren Augen lebten, wie die „Juden in Europa“ und deren Existenz sie sich lange nicht erklären konnten.189

189 Jenkins, Lost History, S. 48. Zur Rolle der „Syrer“ bzw. der ostsyrischen Kirche für die indischen „Thomaschristen“ vgl. Keith Hopkins, A World Full of Gods, Pagans, Jews, and Christians in the Roman Empire, London 2000, S. 130 – 144.

7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens Der Sieg der Araber über Rom in der Schlacht am Yarmu¯k und das damit eingeleitete Ende der byzantinischen Herrschaft ist weitgehend rätselhaft. Dies nicht, weil Einzelheiten der Schlacht unbekannt sind – hier existieren auf arabischer und römischer Seite ausführliche Beschreibungen, die sich in den wesentlichen Eckpunkten auch nicht widersprechen –, sondern weil es noch immer nicht ganz erklärbar ist, wie die Araber quasi aus dem Nichts heraus, innerhalb kürzester Zeit sowohl Rom als auch die persischen Sassaniden besiegen konnten. Vor allem scheint – bis heute – die Motivation der Araber für ein derartig riskantes Unternehmen im Dunkeln zu liegen. Ohne ein Wissen um die Beweggründe aber, kann diese Eroberung nicht richtig verstanden werden. Die bisherigen Ausführungen erlauben uns eine zusätzliche Perspektive zu diesen Themen zu entwickeln: Der Oriens war in den Jahrhunderten vor dem Islam immer weiter arabisiert worden. Nicht nur die militärische Macht, auch die Schutzfunktion für die mit Byzanz im Konflikt stehende monophysitische Kirche zeugen von dem zum Schluss doch recht erheblichen Einfluss der arabischen Römer und Foederati. Ein islamischer Staat, der zunächst einmal vor allem ein arabischer war, konnte ohne diese wichtigen arabischen Elemente kaum Bestand haben. Deshalb muss es wohl für die Moslems ein wichtiges Ziel gewesen sein, die arabischen Gruppen im Oriens (und Mesopotamien) unter ihre Kontrolle zu bekommen. Der Feldzug hatte deshalb die Vereinigung des arabischen Elements mit Hilfe einger eigenen Religion zum Ziel. Byzanz konnte auf diese neuen Entwicklungen nicht angemessen reagieren. Der sich schon seit Jahrhunderten anbahnende Konflikt mit den Arabern erschuf Widersprüche, zu deren Auflösung die Römer nicht in der Lage waren: Zum einen die Notwendigkeit, mehr an Macht und Einfluss an die römischen Araber und Foederati zu verlagern, um diese derart als Bürger und Verteidiger des Imperiums zu stärken. Zum anderen, die Erhaltung eines stark zentralistischen Staates, der seine Kräfte bündeln musste, um gegen seine mächtigen Feinde zu bestehen. Und so hat man oft den Eindruck, dass die Römer mit einer gewissen „Fassungslosigkeit“ auf diese Krise zusteuerten. Auch wenn es fraglich ist, ob sie mit ihren Wahrnehmungsmustern überhaupt verstanden, was hier drohte, so ist zumindest sicher, dass sie keinerlei neue und innovative politische und militärische Strategien entwickelten, um der arabischen Invasion zu begegnen. Damit soll aber nicht gesagt werden, dass die bisherigen Schilderungen über Yarmu¯k bzw. die Eroberungen des Oriens neu geschrieben werden müssen. Sie fokussieren allerdings oft zu sehr auf die militärisch-operativen Details sowie Fehler

7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens

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der Araber und Römer. Dadurch werden die großen Entwicklungslinien der arabischen/semitischen Staatenbildung außer Acht gelassen. Als besonders interessant und fast schon kurios kann man empfinden, dass das Thema der Vernachlässigung und Falschbewertung des arabischen/semitischen Elements in dieser wichtigen Transformationsphase durchaus etwas ist, das auch moderne Betrachter, wie etwa Walter Kaegi, den Römern als strategischen Fehler unterstellen, aber dieses Versäumnis selbst nicht erklären können, da sie wiederum durch das Phänomen der DeArabisierung daran gehindert werden.1 In seinem Standardwerk über die arabischen Eroberungen erklärt Kaegi dann auch die Analyse des arabischen/semitischen Elements nicht zum Hauptgegenstand der Untersuchung: Es geht ihm vor allem darum zu verstehen, wie diese Niederlage aus Sicht der (überlegenen) römischen Institutionen entstehen konnte: „The actual conquests deserve re-examination for what they may reveal about the nature of Byzantine institutions and warfare at the time and about reasons for the empire’s failure to develop an adequate response to the early challenges, or stated in another way, the transformation of late Roman military, political, and social institutions and conditions into middle Byzantine, Islamic, and even medieval ones.“2

Damit werden diese Betrachtungen für unsere Zwecke nicht wertlos, sie verlangen aber eine andere Lesart und andere Erklärungen für die „Lücken“, die diese Beschreibungen ja selbst aufzeigen.3 Walter Kaegis Betrachtungen sind im Rahmen unserer Analyse auch deshalb so faszinierend, weil er selbst mit den herkömmlichen Erklärungen scheinbar nicht zufrieden ist und hier ebenfalls einen großangelegten historischen Prozess vermutet, den er aber nicht definieren kann. Und so klingt das Schlusswort seiner Betrachtungen über den islamischen Sieg merkwürdig unvollständig und abrupt endend: „No narrowly military explanation can be satisfactory. Yet both sides – Muslim and Byzantine – pointed to specific battles respectively as victories or catastrophes. But they resorted to religious causation to explain the outcomes of theses battles. Military judgements were important in the outcome of events, as were military institutions. Erroneous judgements, miscalculations, and human rivalries contributed to explain what happened. Although it is possible to conceive of a longue durée in Mediterranean history (sic!), these years of the seventh century experienced an acceleration of a process, the understanding of which both requires both an appreciation of elements of the long term and the critical moment.“4 1 Dieser muss dann lapidar anmerken: „The initial Muslim invasion surprised the military defenders and civilian inhabitants of Syria and Palestine, who were not anticipating any major military activity from the direction of the Arabian Peninsula, even though in retrospect modern observers find warning signs.“ Kaegi, Byzantium S. 236. Er kommt aber dann zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass dies wahrscheinlich nicht der wichtigste Grund für das Scheitern Roms war. 2 Ders., Byzantium, S. 2. 3 Ders., Byzantium, S. 1 – 26 spricht hier vor allem von Problemen der Quellen und der Verfälschungen auf römischer und arabischer Seite. 4 Ders., Byzantium, S. 287.

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7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens

Diese longue durée an Ereignissen können wir nun anhand der Jahrtausende alten reflexiven Wanderbewegungen der Araber/Semiten aus der arabischen Halbinsel in Richtung des fruchtbaren Halbmondes einerseits und andererseits der stetigen arabischen Konsolidierung – durch die hellenistische Kultur, das Christentum und dann durch eine neue eigene semitische Religion – zusammensetzen und erkennen. Dass dieser Feldzug gewissermaßen die Vollendung der „semitischen“ Bewegung war, wurde bereits in den Betrachtungen über die De-Arabisierung der Geschichte diskutiert. Oft wird zudem argumentiert, dass die Eroberung des Oriens ohne eine religiöse Dimension nicht ihre Kraft hätte entfalten können: „In fact it was the last stage in the age-long process which begun with Babylonians some four thousand years before. The Islamic movement however, did possess one distinctive feature – religious impulse. Combined with the economic, this made the movement irresistible and carried it far beyond the confines of any preceding one. Islam admittedly provided a battle cry, a slogan comparable to that provided by democracy in the First and Second world wars.“5

Dass Religion Eifer, Todesmut und Begeisterung erzielen kann, ist unbestritten. Als eine Motivation für die Invasion ist sie wohl aber kaum dienlich, und es gibt keine relevante überlieferte religiöse Legitimation im Koran oder durch den Propheten für die Eroberung des Oriens.6 Der Antrieb für diese „Vollendung“ geschah vielmehr aus der inneren Notwendigkeit einer arabischen Staatsgründung. Die Schaffung eines (zunächst arabischen) Staates auf der Halbinsel machte in weiterer Folge auch die Integration der Araber im Römischen und Sassanidischen Reich notwendig. Die eigentliche „Beute“ bzw. das Kriegsziel waren also die arabischen Rhomaioi und Foederati. Aus einer politischen Sicht nämlich, war die Invasion in Richtung Oriens und Persien für die Araber damit eine unumgänglich logische – wenn auch risikoreiche – Schlussfolgerung: Eine zunächst noch sehr arabisch geprägte Religion bzw. der rahmengebende arabische Staat, könnten wohl unmöglich Bestand haben, wenn wesentliche Teile der arabischen/semitischen Bevölkerung, die noch dazu in den wichtigsten urbanen und zivilisatorischen Zentren der damaligen Welt lebten, ihm nicht angehörten. Am ehesten nähert sich Fred McGraw Donner der These an, dass die Araber im Oriens der wahre Kriegsgrund waren, wenn er bemerkt, dass es für die Moslems eine Lehre aus den Ridda-Abspaltungskriegen nach dem Tode Mohammeds war, dass es keine arabischen Stämme außerhalb der Kontrolle der neuen Führungselite geben darf und deshalb auch die Araber des Oriens und des Irak unter eine arabische Kontrolle gebracht werden mussten:

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Hitti, Syria, S. 419 f. Diese scheint erst später hinzugefügt worden zu sein. Allerdings merkt hier etwa Donner an, dass die Argumentation für eine religiöse Legitimation nicht für alle arabischen Gruppen und Individuen ausgeschlossen werden kann: „(…) it would be unrealistic, indeed foolhardy, to dismiss ideoloy or faith as a factor altogether.“ Donner, Early Conquests, S. 270. 6

7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens

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„One of the objectives of the new ruling elite was simply to expand the state – to extend its political control until it embraced all nomadic groups in the Arabic and Syrian desert and steppe (and of course, all those settled communities that lived in the nomads mids).“7

Man muss an dieser Stelle wieder darauf hinweisen, dass eine derartige Analyse bedeutet, der De-Arabisierung der vorislamischen Geschichte eine weitere wichtige Erkenntnis entgegenzusetzen: Die Eroberung des Oriens fand so betrachtet wohl nicht aus einem Zufall, auf Grund von Migrationsbewegungen oder religiösem Eifer oder Ähnlichem statt, sondern weil die Araber, die unter verschiedenen Herrschern lebten, vereint werden mussten, um einen arabischen Staat zu schaffen, der dann wiederum als Basis einer ethnisch nicht begrenzten Glaubensgemeinschaft, der Umma, dienen konnte.8 So gesehen führte der mühsame, mit letzten Kräften erlangte Sieg der Römer gegen die Perser wenige Jahre vor Yarmu¯k und die daraufhin gestarteten römischen Maßnahmen zur Konsolidierung und Neuordnung der arabischen Foedertai im Oriens fast automatisch – ohne dass Byzanz dies wohl intendierte – zur Notwendigkeit des arabischen Angriffs. Die Neuordnung des römischen Ostens unter Heraclius setzte eine Kettenreaktion in Gang: „From the point of view of the Muslims, the task of subjugating and unifying the tribes of Arabia under a new Islamic ruling elite was difficult enough in its own right; the efforts of a rival state to organize the tribes could only make it even more difficult for them to attain their objectives. Hence it became imperative for the Islamic state to assert its influence in the direction of Syria as soon as possible, before the Byzantines could make too much headway in their efforts to organize the tribes to the north.“9

So risikoreich die Strategie auch war, unrealistisch war sie keinesfalls. In jedem Fall war der Moment für eine Integration der Araber im Oriens durchaus günstig. Nicht so sehr wegen der Erschöpfung der beiden Supermächte Rom und Persien nach einem langen Krieg, sondern weil sich die arabischen Verbündeten Roms und der Sassaniden, die Ghassa¯niden im syrischen Ja¯biya und die Lahmiden in H¯ıra (im ˙ ˘ heutigen Irak) immer mehr von ihren Bevormundern zu lösen begannen. So war der arabische Vasallenstaat der Lahmiden zuletzt unter direkte persische Kontrolle ge˘ kommen und hatte seine Autonomie fast vollständig verloren.10 Dies war für viele 7 Donner, Early Conquests, S. 94. Dies gilt vielleicht auch noch klarer für die fast zeitgleiche Invasion des Irak, die hier nur ein Randthema ist. Dieser Feldzug schien als oberste Zielsetzung ebenfalls die Erlangung der Herrschaft über die arabischen Stämme des Sassanidenreichs zu haben. In diesem Sinne war der Beginn der Invasion des Irak eine Verlängerung des Ridda-Feldzuges und ebenfalls nicht religiös inspiriert: „Abu¯ Bakr’s decision to interfere in the political affairs of Iraq, by sending forces under Kha¯lid b. al-Walı¯d and other generals there, sprang from his desire to complete the process of state consolidation over the tribes of Arabia that had been undertaken during the ‘ridda’ wars, rather than specific commercial, religious, or even military interest in Iraq itself.“ (S. 177). 8 Bashear, Early Islam, S. 118 ff. 9 Donner, Early Conquests, S. 101. 10 Gustav Rothstein, Die Dynastie der Lahmiden in al-Hîra. Ein Versuch zur arabisch˙ 1899, S. 116 ff. persischen Geschichte zur Zeit der Sassaniden ˘(al-Hîra), Berlin ˙

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7. Yarmu¯k: Das rätselhafte Ende Roms im Oriens

arabische Stämme ein klares Signal, nach Alternativen zu der Fremdherrschaft zu suchen. Der Blick richtete sich zunehmend auf die arabische Halbinsel: „The Arab tribes, disappointed by the policy of al-H¯ıra and Persia, and aware of the ˙ weakness of the client kingdom began to look for a body politic of their own with a competent leadership. This was created by the emergence of a new idea of an equalitarian association based on common interest: ‘The Commonwealth of Mecca’.’“11

Auf der römischen Seite war die Situation für die Araber keinesfalls besser. Die arabischen Stämme wurden von den Römern sehr „unklug“ behandelt.12 Dies ist umso schwerer verständlich, als die Hauptlast der Verteidigung des Oriens nach dem allmählichen Verfall der römischen Truppen, ihrer Umwandlung in Limitanei, deren Kampfkraft nur mehr ein Bruchteil der Stärke der römischen Legionen ausmachte, bei den arabischen Foederati lag. Als Beispiel für die Art und Weise, wie die Römer mit ihren arabischen Verbündeten umgingen, kann der Fall des ghassa¯nidische Basileus Al-Mundhir (Almoundaros), der zur selben Zeit wie Mohammed geboren ¯ wurde, angeführt werden. Dieser war ja nicht nur arabischer Oberbefehlshaber über die arabischen Foederati Roms und damit über den Limes, er war auch Schutzherr der monophysitischen Kirche des Oriens und hatte somit auch eine religiöse Rolle in einer Kirche, die dem „syrischen“ Nationalgefühl Ausdruck verlieh.13 Dies machte ihn für Kaiser Justinian suspekt, der politische Illoyalität witterte. Der Kaiser schrieb daraufhin einen Brief an den syrischen Gouverneur und befahl ihm, Al-Mundhir zu ¯ töten. Durch einen Fehler seines Sekretärs gelangte der Brief jedoch an das Opfer selbst. Dieser war nun vorgewarnt, es gelang nochmals eine Aussöhnung, die aber zwei Jahre später mit der Verbannung Al-Mundhirs nach Sizilien ein Ende fand. ¯ Danach waren die Ghassa¯niden für die römische Sache geschwächt und die persische Invasion des Oriens beendete die nun herrschenden ungeordneten Verhältnisse fürs Erste.14 Wir können an dieser Stelle vermuten, dass die Unfähigkeit Roms, die arabische Invasionsgefahr richtig zu beurteilen, auch mit der dissonanten Beziehung Roms zu seinen arabischen Verbündeten erklärt werden kann. Zwar halfen die Ghassa¯niden Heraclius den Sieg über die Perser zu erringen und waren als Verbündete Roms

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11 J. M. Kister, Mecca and Tamı¯m. Aspects of their Relationship (Tamı¯m), in: Jetso VIII, S. 111 – 163, hier 116. 12 Parker, Saracens, S. 153. 13 Zur Rolle der monopysitischen Kirche in Syrien als nationale Institution vgl. Hitti, Syria, S. 371, S. 403. Es sind dann wohl vor allem auch diese politischen Gründe, die die Araber des Oriens dem Monophysitismus zuneigen ließen: „Der Monophysitismus hat sich unter den Arabern nicht wegen seiner intellektuellen Attribute ausgebreitet, sondern weil er die Menschen, insbesondere die nicht-griechischen Elemente, innerhalb des römischen Reiches in einer politischen Art und Weise verband.“ Zihil Qascha, Safhat Min Tarih Almesihin El Arab Qabl ˙ vor dem Islam) ˙ ˘ El Islam (Auszüge der Geschichte der arabischen Christen (Almesih in), Beirut ˙ 2005, S. 282. 14 Zur Geschichte Al-Mundhirs vgl. Hitti, Syria, S. 403; Shahîd, Sixth Century, S. 939 ff.; ¯ Zahran, Ghassa¯nids, S. 45; Fisher, Empires, S. 176; Qascha, Almesihin, S. 142. ˙

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ebenfalls in der Schlacht von Yarmu¯k an seiner Seite. Allerdings waren sie nicht in der Lage, Heraclius bei der Einschätzung der Lage zu unterstützen. Man kann vermuten, dass ihre Position hierzu nicht stark genug war, ihnen Rom nicht vertraute, sie durch die vorangegangene persische Invasion geschwächt waren, oder aber sie selbst die Lage nicht richtig analysieren konnten. Anders ist es nicht vorstellbar, dass sie ihre römischen Verbündeten nicht über die Entwicklungen auf der arabischen Halbinsel informiert und eine entsprechende Strategie entwickelt hätten. Die Ghassa¯niden hatten ja auch Verbindungen nach Mekka, und ihnen wurde als Verbündete des Kureisch-Stammes ein Haus in der Nähe der Kaaba zugewiesen, was wiederum von einer gewissen Ehrerbietung und damit Bindung zeugt.15 In jüngster Zeit hat Michael Lecker die These aufgestellt, dass die Ghassa¯niden sogar die Higˇra Mohammeds nach Medina mit eingefädelt hätten, und dass es kein Zufall gewesen sei, dass Heraclius seine Offensive 625 gegen die Perser fast zur selben Zeit startete wie die Konferenz von Aqaba, in der die Gruppen von Medina – darunter auch Gruppen, die den Ghassa¯niden zuzurechnen waren – Mohammed Exil in Medina anboten.16 Schwer vorstellbar also, dass die Ghassa¯niden nicht erkennen konnten, was auf der Halbinsel passierte. In jedem Fall sind keine Diskussionen zwischen Heraclius und den Ghassa¯niden bezeugt, bei denen dies ein Thema war oder gar eine gemeinsame Abwehrstrategie entwickelt wurde. Und dies, obwohl der Kaiser nur wenige Jahre vor der Invasion selbst in Jerusalem zugegen war und es wohl Möglichkeiten gegeben hatte.17 Man kann nur daraus schließen, dass das Verhältnis eine solche Diskussion nicht zuließ, oder dass die Ghassa¯niden wie ihre römischen Herren ebenfalls eine falsche Einschätzung der Lage trafen. Der Erfolg in Mu ta 629 kann dazu beigetragen haben, diese Fehlbeurteilung zu festigen.18 Man darf nicht vergessen, dass die Ghassa¯niden zu ihrer Zeit die mächtigsten arabischen Fürsten waren, mit einem eigenen Hofstaat, mit Barden und Dichtern, die sie besangen und verehrten. Sie waren die Schutzherren einer christlichen Religion im Oriens, die die 15 Zu den Verbindungen zwischen Ghassa¯n und Mekka in der vorislamischen Zeit vgl. Trimingham, Christianity, S. 260. Zu der Lokation des Hauses vgl. Ferdinand Wüstenfeld, Die Chroniken der Stadt Mekka (Mekka), Leipzig 1861, S. 55. 16 „Heraclius’campaign against the Sassanians started on 5 April 622; in June of the same year the Aqaba meeting between Muhammad and the Ansa¯r took place, and some three months later, namely in the last third of September, Muhammad arrived at Medina, starting a new era in ˙ have been linked; in other words, that the world history. It is argued that these events may Ghassa¯nids – and their Byzantine overlords – were active behind the scene, encouraging the Ansa¯r to provide Muhammad and his Companions with a safe haven.“ Michael Lecker, Were the ˙ ¯ nids and the ˙Byzantines behind Muhammad’s Hijra?, Unveröffentlichtes KonferenzGhassa papier, S. 2. (Ich danke Prof. Lecker für die˙ Zuverfügungstellung des Manuskripts). Donner argumentiert allerdings, dass die südlichen Ghassa¯niden eher unabhängig von den byzantinischen Ghassa¯niden waren. Donner, Early Conquests, S. 106. 17 Natürlich mühte sich Heraclius ein Bild über die Situation zu machen, sendete etwa Truppen nach Baqla und versuchte mit Hilfe arabischer Informanten Zugang zu den Geschehnissen zu erhalten. Vgl. die arabischen Quellen zu diesen Aufklärungsmissionen in Kaegi, Byzantium, S.81 18 Ders., Byzantium, S. 81.

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Besonderheiten ihrer arabischen Gläubigen zu reflektieren schien. Was hatten demgegenüber die Moslems in Mekka und Medina aufzuwarten? Zurückkommend auf die Zielsetzung der Invasion kann also die Schlussfolgerung der Moslems gewesen sein, dass eine arabische politische Entität nur geschaffen werden könne, wenn diese unabhängig von den herrschenden Machtblöcken und in weitestgehender Kontrolle über alle arabischen Gruppen war. Zudem konnte man ja davon ausgehen, dass die arabischen/semitischen Einwohner des Oriens der arabischen Sache früher oder später zugetan sein würden.19 Nichts destotrotz fehlen uns aber schriftliche Belege und Überlieferungen über eine klare politische Entscheidung der damaligen moslemischen politischen Eliten zum Zeitpunkt des Beginns der Invasion des Oriens. Betrachter gehen deshalb sogar soweit zu behaupten, dass die Eroberung im eigentlichen Sinne ungeplant war und sich aus einer Kette von ad-hocEreignissen entwickelte.20 Für die Eroberung des sassanidischen Iraks ist diese Sichtweise auch durchaus berechtigt. Hier schien man in der Tat zunächst die Abwehrstärke auszutesten, wiewohl die generelle Zielsetzung sehr ähnlich, wenn nicht identisch gewesen sein muss.21 Generell sei aber angemerkt, dass man die damaligen Planungsmöglichkeiten vielleicht überschätzt und verkennt, dass unter den Rahmenbedingungen großer Unsicherheit, mangelnder Feindaufklärung und dem Aspekt der Risikominimierung eine emergente, schrittweise Strategie ein durchaus plausibler Planungsansatz war. Zusammenfassend kann man also vermuten, dass die Unkenntnis über die Motivation der Araber bzw. die Unfähigkeit, deren Bewegung und Motive zu verstehen, die Römer und ihre arabischen Foederati daran hinderte, geeignete Gegenstrategien zu entwerfen, wie etwa Bewaffnung und Motivation der Bevölkerung. Rom musste – entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten und der geltenden Militärdoktrin – alles auf eine Karte setzen und eine offene Feldschlacht suchen.22 Aber waren Heraclius 19

Hitti, Syria, S. 411. Ders., Syria, S. 419. 21 Der Irak schien zunächst auch nicht unmittelbar im Mittelpunkt des Interesseses zu stehen: Donner, Early Conquests, S. 176 ff. Die muslimische Initiative lag zunächst bei einem Stammesführer mit eigenen Interessen, Muthanna¯ b. Ha¯ritha Al-Sayba¯ny. Dieser führte begrenzte Angriffe durch, gewann und verlor Scharmützel. Erst als die Perser ihn ernsthaft bedrängten, sah sich der gerade neu gewählte Khalif Omar gezwungen, einzugreifen. Bei der Musterung der Truppen konnte die große Zurückhaltung der arabischen Kämpfer offensichtlich nur durch eine beherzte Rede Omars und Muthanna¯s aufgelöst werden: Mohammed Faraj, ˙ Muthanna¯ b. Ha¯ritha Al-Sayba¯ny, Kairo 1989, S. 91. Omars Vorgänger Abu Baker hatte sich nicht durchringen können, eine weitausholende Offensive zu beginnen. Man hatte Angst, durch die Angriffe eine Konsolidierung des desolaten sassanidischen Reiches auszulösen. S.H. AlFatlawi, Tarih al Ilaqat al Diplumassiya¯ Fı¯ al Alem el Arabi (Geschichte der diplomatischen Beziehungen˘in der arabischen Welt), Beirut 2004, S. 244. 22 Die römische Doktrin, welche im Strategikon des Kaisers Maurice kodifiziert war, rät ab, offene Schlachten zu suchen. George T. Dennis, Maurice’s Strategikon: Handbook of Byzantine Military Strategy, 1984 Philadelphia, PA., S. 31 f.: Der Versuch „(…) simply to overpower the enemy in the open, hand to hand and face to face, is a very risky enterprise (that) can result in serious harm.“ (…) „It is ridiculous to try to gain a victory which is so costly and brings only 20

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überhaupt andere Möglichkeiten der Verteidigung gegeben? Konnte ein weitgehend arabischer Oriens gegen Araber aus der Halbinsel überhaupt anders verteidigt werden? So verzichtete Rom von Anfang an darauf, die Bevölkerung oder gar die Christenheit gegen die Moslems zu mobilisieren.23 Die Gründe hierfür sind nicht ganz klar. Entweder wurde dies nicht als notwendig erachtet, weil man die Gefahr nicht richtig einschätzen konnte, oder aber es wurde davon Abstand genommen, weil diese Mobilisierung für die militärischen Planer einen zu hohen Steuerungsaufwand bedeutet hätte.24 Möglicherweise wollte man aber auch Bevölkerungsgruppen, deren Loyalität zweifelhaft sein musste, nicht bewaffnen. Der Großteil der Bevölkerung verhielt sich dann auch zurückhaltend, wie sie es schon in den Zeiten der persischen Invasion getan hatte und versuchte in der Regel, schnell mit den Invasoren eine Übergabe auszuhandeln.25 In jüngster Zeit hat Hugh Kennedy die These aufgestellt, dass die Zivilbevölkerung des Oriens nicht gegen die Araber eingesetzt wurde, weil sie aus verschiedenen Gründen bereits geschwächt war. Erdbeben und Epidemien hatten in den letzten einhundert Jahren fast ein Drittel der Bevölkerung dahingerafft.26 Er verweist in diesem Kontext auf die teilweise ärmlichen Tributzahlungen vieler syrischer Städte an die Araber nach ihrer Besetzung und auf die Tatsache, dass unter dem Kalifen Mu a¯wia eine Industrialisierungspolitik in verarmten Gebieten gestartet wurde und teilweise schon länger verfallene Städte wieder aufgebaut und bevölkert werden mussten. Kennedy verortet den Beginn des Niedergangs des Oriens mit den Jahren 540. Er führt hier ebenfalls die stetig ansteigende Macht der Ghassa¯niden an, die bereits lange vor der Invasion durch die Moslems eine Reorientierung der Bevölkerung in Richtung der Bevölkerungszentren entlang der Wüstengrenzen

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empty glory. (Thus,) a wise commander will not engage the enemy in a pitched battle unless a truly exceptional opportunity presents itself. (…) He will avoid emulating those who are admired for their brilliant success (but) carry out operations recklessly. (…) He will watch for the right opportunities and pretexts (and) strike at the enemy before they can get themselves ready.“ Heraclius schien auch zur Vorsicht zu neigen und setzte seinen Bruder ab, als dieser eine offene Schlacht gegen die Moslems wagte und verlor. Auf der anderen Seite hatte Heraclius selbst in seinem Krieg gegen die Perser des Öfteren gegen die Doktrin verstoßen und war erfolgreich gewesen, Kaegi, Byzantium, S. 110 f. 23 Selbst in der Schlacht von Yarmu¯k fehlte der Gebrauch von religiösen Symbolen weitgehend, wenn man von der Anwesenheit von Geistlichen auf Seiten Byzanz absieht, die aber im „üblichen“ Rahmen stattgefunden haben dürften, Kaegi, Byzantium, S. 268. 24 Nicolle, Yarmuk, S. 23. 25 Es kam in weiterer Folge offensichtlich auch zu Emigration von Rhomaioi, die nicht unter den Muslimen leben wollten. So flohen die Einwohner von Aleppo nach Antiochia, die Einwohner von Tripolis wurden von der byzantinischen Flotte evakuiert (Tripolis wurde danach durch Mu a¯wia mit Juden wiederbevölkert). Die Einwohner von Damaskus mussten Platz für die Muslime machen: Donner, Early Conquests, S. 245 ff. Wieviel der geschätzen 4 Millionen Einwohner des Oriens nun flohen ist unbekannt. Wäre es die Mehrheit gewesen, würden byzantinische Quellen dies wohl berichtet haben, Kaegi, Byzantium, S. 27. 26 Hugh Kennedy, The Byzantine and Early Islamic Near East (Near East), Farnham 2006, S. 155 ff. Zu dem Niedergang durch Naturkatastrophen ab der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vgl. Christine Strube, Die toten Städte. Stadt und Land in Nordsyrien während der Spätantike, Wiesbaden 1996, S. 79 ff.

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(Damaskus, Homs), weg von der Küstenregion eingeleitet hatten. Damit wurde durch die Moslems eine arabisch dominierte Entwicklung im Oriens ausgenutzt bzw. vollendet, eine These, die der De-Arabisierung entgegensteht: „The transition from antique to mediaeval Syria occurred in the years after 540, not after 640 and the Muslim invasion was more a consequence than a cause of changes which had been taken place over the previous century.“27

Einiges spricht also dafür, dass die arabisierende Transformation des Oriens schon lange vor der Invasion begann und 100 Jahre vor der eigentlichen Invasion augenscheinlich wurde. Es war aber wohl weniger so, dass Byzanz den Oriens schon aufgegeben hatte, wie einige behaupten.28 Mit ihm war nicht nur die Wiege des Christentums, sondern auch das römische Nordafrika verloren und es wäre kaum vorstellbar, dass dies im Interesse der Kaiser war. Vielmehr scheint es plausibel, dass Rom einfach nicht mehr die Mittel, Möglichkeiten und vor allem die politischen Ideen hatte, den demographischen und religiösen Entwicklungen eine Konsolidierung entgegenzusetzen. Es war auch nicht so, dass Byzanz die Bevölkerung des Oriens dem Islam einfach überließ. Schließlich hatte Rom in einem jahrelangen Kampf diese Gebiete von den Persern befreit. Es sind vor der Schlacht auch noch Reden von Heraclius überliefert, in denen er die Bevölkerung zu Widerstand aufruft.29 Möglicherweise rief er aber auch nur dazu auf, die Anweisungen der militärischen Führung zu befolgen. In jedem Fall ist eine Ansprache an das Volk wohl als Ausdruck großer Besorgnis und des Wunsches zu sehen, den Widerstand der Zivilbevölkerung zu stärken, wenngleich eine entsprechende Strategie offensichtlich fehlte. Es bleibt nun das Bild einer Region erhalten, die sich bereits vor der Invasion in einem Prozess der Transformation befand, in der das arabische Element etwa im Bereich der Politik, des Militärs, der Religion und vor allem der Bevölkerungsverlagerung sich immer stärker bemerkbar machte. In dieser Situation, in der Rom versuchte, den Oriens nach dem Sieg gegen die Perser wieder zu konsolidieren, konnte das Erstarken der Araber auf der Halbinsel nicht völlig ignoriert worden sein. Möglicherweise war ja die mangelhafte römische Reaktion von einer Kombination aus Überheblichkeit und Ignoranz getrieben. Vielleicht kam aber auch ein gewisses Ohnmachtsgefühl hinzu, alle Möglichkeiten bereits ausgeschöpft zu haben, welches aber durch die – nicht unberechtigte – Hoffnung überspielt wurde, diesen wichtigen Raum bereits erfolgreich gegen den Erzfeind Persien verteidigt zu haben und deshalb gegen die weit weniger stark eingeschätzten Araber über mehr als gute Siegeschancen zu verfügen.

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Kennedy, Near East, S. 183. Popp, Zeugnisse, S. 22 f., entwickelt diese Argumentation auf Basis der revisionistischen Arbeit von Yejuda Nevo/Judith Koren: Crossroads to Islam. The Origins of the Arab Religion and the Arab State (Crossroads), New York 2003. 29 Vgl. die arabischen Quellen zu diesen Ansprachen in: Kaegi, Byzantium, S. 104 f. 28

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Vielleicht war Heraclius auch in dieser Situation nicht der richtige Herrscher. Er kämpfte zwar oft unorthodox gegen die Perser, aber letztendlich blieben seine Mittel immer dieselben, auch wenn er sie unkonventionell einsetzte. Gegen die Vollendung der arabischen Konsolidierung hatte Rom keine Konzepte aufzubieten. Man schien den kommenden Ereignissen mit einer gewissen Selbsttäuschung zu begegnen. Allerdings muss man sich bei solchen Urteilen immer im Klaren sein, dass diejenigen, die solche politischen Umbrüche durchleben, selten in der Lage sind, zu erkennen, was gerade passiert. Geschweige denn, dass man derartige Umbrüche antizipieren kann. Eine derartige Reflexion erscheint immens schwierig, und in einem konservativen System, wie es die römische Herrschaft darstellte, vielleicht überhaupt unmöglich: „As in all great transitions in human history, it is unlikely that anyone realized then the importance of what was happening. That comes later. But if one lives long enough, one can see the whole process – what was before and what was after. To acquire such a perspective, one must look at the events from a great height.“30

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Bowersock, Hellenism, S. 81.

8. Tabus: Die einfache Integration der Araber/Semiten im Oriens Der Sieg über Rom war relativ schnell und einfach.1 Dies vor allem, weil die Integration der im Oriens ansässigen arabischen/semitischen Völker, welche – wie oben skizziert – ja ein wichtiges Anliegen, wenn nicht sogar das Hauptziel der Invasion war, relativ unproblematisch und reibungslos verlief. Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich dieser schnelle Erfolg auch in der geschichtlichen Darstellung niederschlägt: So divers diese Region und ihre Bevölkerung vorher betrachtet wurde, so homogen erscheint sie schon bald nach dem Sieg der Araber. Wenn man das Bild der De-Arabisierung Arabiens und des Oriens in der vorislamischen Zeit beibehält, wird die Staatsbildung nach Yarmu¯k natürlich nur sehr schwer erklärbar. Wie wir bereits argumentierten, besaßen die Araber auf der Halbinsel aber auch im Oriens möglicherweise schon sehr lange vor dem Islam eine gemeinsame Identität in verschiedenen Abstufungen und Schattierungen. Wir können nun darstellen, dass diese Identität, ausgedrückt in einer ethnischen Klammer, sehr effektiv darin war, die vorhandenen arabischen/semitischen Gruppen – ob nun Foederati, Rhomaioi aber auch andere Gruppen, wie etwa die Juden – relativ schnell zu integrieren. Es war zunächst die „ethnische und genealogische Karte“ bzw. die arabische Identität, die hier als Politikinstrument Anwendung fand.2 Dies mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen, da man oft den Islam als jenen Rahmen vermuten würde, der Impuls als auch Integration versprach; man spricht ja schließlich zumeist von der islamischen Eroberung. Obschon Victora Erhart vor allem die arabischen Eroberungen im Irak betrachtet, ist ihre Anmerkung über die Wahrnehmung der Invasion durch die lokale Bevölkerung als eine arabische, auch für den Oriens relevant: „While there was recognition in the Syriac sources that this current Arab invasion was of a different sort and magnitude from the bedouin raids which were all too familiar, there is no cognizance in the mid-seventh century sources that there was a religious component to this new political rule. To the Syriac Christians the invaders were Arabs but it was not yet significant that they were Muslim Arabs. There is evidence that at least some of the groups of Arab invaders were Christian allies of recently converted Muslim tribes.“3 1 Hitti, Syria, S. 417; Victoria L. Erhart, The Church of the East during the Period of the Four Rightly Guided Chalips (Church of the East), in: Bulletin of the John Rylands Library, Manchster, London 1996, S. 55 – 71, hier S. 65. 2 Vgl. zu diesem Ansatz: Suliman Bashear, Arabs and Others in Early Islam (Early Islam). Princeton 1997, S. 121. 3 Erhart, Church of the East, S. 57.

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Da die meisten Einwohner des Oriens arabische Christen oder Juden waren, erscheint ein ethnischer Ansatz für eine erste Integration politisch durchaus sinnvoll. Die Integrationskraft der Religion konnte dann in einer nachfolgenden Phase diese ethnische Fusion bzw. politische Wiedervereinigung der arabischen/semitischen Völker weiter festigen und verbreitern. Zudem musste man davon ausgehen, dass die Araber des Oriens am Christentum und natürlich die Juden an der Religion ihrer Vorväter festhalten würden, und es musste deshalb ein monotheistischer, ökumenischer Rahmen geschaffen werden, um die ethnische Fusion zu unterstützen (s.u. Kap. 9). Im Gegensatz zum Hellenismus, war ja das Christentum im Oriens eine indigene Religion,4 wenngleich die Moslems die Glaubensfestigkeit ihrer christlichen arabischen Brüder – zumindest jene der Arabischen Halbinsel – teilweise eher skeptisch beurteilten.5 Die wichtigste Leistung der Araber scheint es in dieser Situation gewesen zu sein, ihre Ängste gegenüber Rom, dem Fremden im Allgemeinen und den anderen großen Religionen zu überwinden, und trotz des Drucks von außen mit einem komplexen inter-ethnischen Programm, die verschiedenen Gruppen zu integrieren, und zwar auf eine flexible und politisch kluge Art und Weise.6 Diese Strategie war deshalb komplex, weil es keinen sofortigen Zusammenbruch und kein Überlaufen der Bevölkerung des Oriens gab.7 Zwar sind in einigen Überlieferungen freundliche Empfänge der Eroberer überliefert, oft kam es aber zu Übergaben an die Moslems, die wohl aus der Einsicht heraus durchgeführt wurden, dass es keine Rettung durch den Kaiser geben würde.8 Es gab aber auch keinen hinhaltenden oder gar fanatischen Widerstand, kaum Zerstörungen und schon gar keinen Religionskrieg. Selbst die arabische christliche Kritik im Oriens an den Moslems wurde mit einer gewissen Sachlichkeit vorgetragen, in der rationale Argumente und eine gerechte Beurteilung des islamischen Glaubens vorherrschten.9

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4 „(…) Christianity itself was after all, a Syrian export not an alien creed.“ Donner, Early Conquests, S. 94. 5 „Die christliche Religion war nicht sehr tief in das Bewusstsein vieler Araber eingedrungen. Und eine Person wie Abi Taleb konnte über die arabischen Christen, die nicht zum Islam konvertieren wollten, bemerken: ,Sie wissen nichts über das Christentum, außer dass es ihnen erlaubt ist, Wein zu trinken.‘“ Qascha, Almesihin, S. 44. ˙ 6 „On the level of inter-ethnic and inter-racial relations the traditional material reveals the high complexity not only keeping alive these early universalist features within the framework of Arabian Islam, but also of engulfing other ethnicities, cultures and races that converted.“ Bashear, Early Islam, S. 121. Dieser Rahmen war natürlich auf lange Sicht massiven Fliehkräften ausgesetzt, wie etwa dem Kampf der lokalen und zentralen Eliten, der schlussendlich zu einer Desintegration des arabisch-islamischen Reiches führen sollte, John Haldon, Elites Old and New in the Byzantine and Early Islamic State, in: John Haldon /Lawrence Conrad (Hrsg.), The Byzantine and Early Islamic Near East. Elites Old and New. Princeton 2004, S. 1 – 13, hier S. 13. 7 „There was no widespread disloyality to the Byzantine Empire.“ Kaegi, Byzantium, S.173. 8 Hoyland, Seeing Islam, S. 23. 9 Ders., Seeing Islam, S. 24.

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Bestehende Gemeinschaften musten also sorgsam integriert werden: Die Araber des Oriens sollten ja Teil des neuen arabischen Staates werden. Die Balance zwischen dem jeweiligen Partikularismus der einzelnen arabischen/semitischen Gruppen im Oriens und dem universellen Anspruch des Islams wurde zunächst durch eine ethnische und sprachliche Klammer hergestellt, die bekannte Elemente verwenden musste: „As such, the scheme of tribal genealogical relations that in the Old Testament reflect the relations between Israelites and other nations was also applied by Arabian Islam.“10

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Erstaunlicherweise wird diese Klammer aber nicht nur erfolgreich auf die unterschiedlichen arabischen/semitischen Gruppen im Oriens angewandt, die laut Fisher und Retsö und anderer sich kaum einer arabischen Identität bewusst waren, sondern auch auf entfernte semitische Gruppen wie die Juden und Kopten, und sogar auf nicht-arabische/semitische Gruppen, wie Perser und Türken.11 Eine solche Integration verlangt natürlich, dass es eine definierte Identität gibt, die als Basis dient. Das arabische Bewusstsein dürfte ausreichend ausgeprägt gewesen sein, um als eine solche Identifikationsplattform bzw. „Leitkultur“ zu fungieren. Es muss wohl einerseits hinlänglich klar gewesen sein, wer Araber und wer Fremder ( Ajam) war.12 Andererseits war es wohl auch ein Vorteil, dass dieses „Arabertum“ nicht vollständig auskodifiziert war, und somit elastisch auf die verschiedenen Integrationsanforderungen angewandt werden konnte. Man sollte dieses Programm aber nicht als eine Laissez faire-Politik missverstehen. Die oft beschriebene Toleranz der Araber gegenüber den anderen ethnischen Gruppen und Religionen verhinderte zwar Unruhen, eine Bindung, einen notwendigen Zusammenhalt auch gegenüber der äußeren Bedrohung konnte mit einem politischen Quietismus aber nicht erzielt werden. In diesem Zusammenhang machte Gustav von Grunebaum auf die effektive Integration und Konsolidierung der Bevölkerung durch die Verwendung der arabischen Klammer im Sinne einer arabischen Kulturnation bereits vor dem Islam aufmerksam: „Indeed the sources almost forcibly (sic) mislead one into underrating the reality of the idea that pre-islamic Arabs constituted a unity. Yet it must not be forgotten that within a few years Muhammad and Islam transformed the Arab Kulturnation into a Staatsnation.“13

Die oft unterstellte religiöse Dynamik dieser Invasion fand in den ersten beiden Jahrhunderten nach Yarmu¯k keine Grundlage. Vielmehr mussten die Moslems davon ausgehen, dass sowohl die Araber des Oriens als auch die Juden ihren Glauben beibehielten. Und dies war auch oft der Fall.14 Insofern war die ethnische Klammer, 10

Bashear, Early Islam, S. 121. Ebd. 12 Ders., Early Islam, S. 118. Allerdings ist nicht immer ganz klar, ob das Erlernen der Sprache ausreichte, um Araber zu werden, so wie dies der Prophet favorisierte, oder ob das Abstammungsprinzip vorherrschte (S. 56). 13 von Grunbaum, Unity, S. 7. 14 Diese Konversionen scheinen erst im achten und neunten Jahrhundert größeren Umfang erreicht zu haben. Vgl. Hoyland, Seeing Islam, S. 336 ff. Noch eine lange Zeit sahen etwa viele 11

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die auf den Werten der arabischen Kulturnation basierte, die einzige, aber sehr wohl effektive Möglichkeit, eine Staatsbevölkerung zu schaffen. Diese Zielsetzung verlangte natürlich eine andere, „zurückhaltendere“ Formulierung religiöser Aspekte, da sonst der Zusammenhalt gefährdet gewesen wäre.15 Die Politik der ersten Kalifen stellte dann auch weniger ein religiöses Programm dar, sondern beabsichtigte vor allem die Festigung der „Arabisierung“ im Oriens:

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„(…) reviewing the earlier material that cites first/seventh century figures as urging the spread of learning of Arabic, one clearly notices the absence of any religious motives behind the policies of Umar I, Mu a¯wiya and Abd al-Malik, whose explixitely stated aims were to increase manliness (muruwwa) and to facilitate the governing of Arabs, etc., and who often urged the learning of astronomy and genealogy as well.“16

Die so propagierte arabische Kultur basierte also auf der selbstbewussten „Männlichkeit“ der Beduinen, welche mehr oder weniger islamisiert wurde. Zusätzlich hatte die arabische Poesie und Literatur später durchaus anziehende Wirkung. Resultat war ein attraktiver „Lebensstil“, welcher später sogar Nicht-Muslime, wie etwa im arabischen Andalusien, zur Nachahmung anspornte.17 Die westlichen Sichtweisen zu diesem Thema sehen keine Notwendigkeit einer solchen arabische Klammer, da es gar keine Staatsbürger im eigentlichen Sinne gegeben habe, sondern nur Mitglieder religiöser Gemeinschaften, deren Anführer dem islamischen Reich gegenüber verantwortlich waren.18 Eine derartige Einbindung verlangt nicht nach einer integrierenden kulturellen arabischen Identität. Die Konsolidierung der Araber unter einer ethnisch definierten Klammer wird durch diese Dominanz der religiösen Gesellschaftsstrukturierung verdrängt: Wenn die christlichen Araber und andere Gruppen zum Islam konvertierten, dann vor allem aus opportunistischen Gründen und nicht, weil ihnen das moslemische „Angebot“ als ein arabische Christen die Phase der Eroberung als eine Phase der Prüfung an, bevor der endgültige Frieden durch eine Erneuerung der Kirche über sie kommen würde, ders., Seeing Islam, S. 27. 15 „Muslim sources tend to assume that non-Muslims who participated in the conquests must have converted at an early stage, but the prosopographical evidence suggests rather that many of them remained in their own religion until much later.“ Hoyland, Seeing Islam, S. 555. Die von manchen Betrachtern vorgenommenen christlichen Deutungen der arabischen Inschriften und Titel dieser Phase mutieren dann zu einem Ausdruck der ökumenischen, arabischen Klammer: „The religiously pluralist character of the community would explain why no Islamic pretensions were advanced and why the leader was designated by such neutral terms as servant of god and commander of the faithful. The latter would have replaced Muhammad as the arbiter for all parties.“ (Ebd.). 16 Bashear, Early Islam, S. 119 f. Zur Muru¯’ah vgl. Hitti, History, S. 25. 17 „The Christians of southern Spain, for instance, were called ‘Mozarabic’ because, though Christians, they nevertheless ‘wished to be like Arabs’. ‘Many of my co-relegionists’, wrote a ninth-century bishop of Cordova, ‘read verses and fairy-tales of the Arabs, and study the works of Muhammadan philosophers and theologicans, not in order to refute them, but to learn to express themselves in the Arab language more correctly and more elegantly.’“ Brown, Antiquity, S. 195 f. 18 Ders., Antiquity, S. 186.

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ethnisch nahestehendes erschien!19 Diese westlichen Sichtweisen können die Effekte einer Arabisierungspolitik nicht nachvollziehen, da ihnen die De-Arabisierung den Blick auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer solchen Politik verstellt. Da man das arabische Element im Oriens nicht erkennt, welchen Sinn hätte dann eine Politik gemacht, die das arabisch/semitische Element aktiviert? Davon abgesehen, war die arabische Kulturnation in dieser Sichtweise wohl zu schwach für eine solche effektive Politik. Allerdings schien die arabische Klammer durchaus gut zu funktionieren und schuf ein Staatsvolk, das in den kommenden Jahrhunderten auch gegen äußere Bedrohungen zusammenhielt. Die Voraussetzungen hierfür waren von der Struktur der Gesellschaft her – wie schon besprochen – durchaus gegeben, da das arabische Element verbreitet war, selbst wenn westliche Beobachter dieses nur als Nomadentum wahrnehmen: „Indeed it seems that these Arabic-speaking pastoral peoples were, on the eve of Islam, nearly as ubiquitous (if not as numerous) in many inland districts of Syria as they were in the Arabian peninsula itself.“20

Und diese Araber des Oriens waren sich ihrer Nähe zu den Arabern Arabiens sicher bewusst: „To the masses of seventh century Syria the Moslem Arabians must have appeared closer ethnicially, linguistically and perhaps religiously than the hated Byzantine masters.“21 Man kann auch davon ausgehen, dass die arabische Sprache bei dieser Integration sehr zentral war. Selbst wenn Aramäisch als sakrale oder vielleicht sogar Verkehrssprache im Oriens weit verbereitet war, war ein Wechsel auf Grund der Nähe der „Sprachen“ kein großes Problem und oftmals vielleicht eine Rückkehr zum Originalidiom vieler Bewohner: „The affinity between Aramaic and Arabic is demonstrated by the fact that Aramaicspeaking Christians throughout the vast area quickly became Arabic speaking after the Islamic conquests without necessarily becoming Muslims; and for many this was the return to their original language, now universalized through the medium of Islamic religion.“22

Ein Konflikt ist lediglich bei der Integration der Beduinen überliefert, was einigermaßen überraschend erscheint, weil diese Gruppe ja eigentlich als ur-arabisch 19

Sehr markant tritt diese Sichtweise in der Schilderung der Übertritte omanischer Christen zum Islam zu Tage, die vom nestorianischen Catholicos als von rein weltlichen Motivationen getragen, kritisiert wurden: „Auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse, welche beim Übertritt vom Christentum zum Islam eine Rolle spielten, geben die Briefe Jesujahbs einige Andeutungen. Er macht den Christen im Oman, den Maznûn, den Vorwurf, dass sie den Islam angenommen hätten, ohne von den Muslims dazu gezwungen zu sein, lediglich um die Hälfte ihres Vermögens zu retten. Ihr Christentum sei ihnen nicht einmal die Hälfte ihrer Habe wert gewesen.“ Karl Eduard Sachau, Vom Christentum in der Persis, Berlin 1916, S. 19. 20 Kaegi, Byzantium, S. 95. 21 Hitti, Syria, S. 417. 22 Trimingham, Christianity, S. 225; vgl. auch Qascha, Almesihin, S. 282. ˙

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gelten müsste. In diesem Fall, da Sprache und Ethnie identisch waren, wurde der Integrationskonflikt über die Idealisierung des Dialektes der Beduinen und ihrer Lebensweise einerseits, und über eine sehr strenge Auslegung der Religion andererseits, aufgelöst.23 Die Effekte der arabischen Klammer schienen auch auf andere Gruppen im Oriens ausgestrahlt zu haben. Besonders interessant und mit Überlieferungen untermauert, war die Integration der Juden. Diese waren durch die anti-jüdische Politik des Heraclius der arabischen Sache gegenüber wohl offen, und ihre Partizipation und Fusion in das islamische Reich somit vielleicht einfacher, als die der christlichen Araber, welche Zweifel an ihrem Glauben haben konnten: „(…) so whereas Christians regarded the invading Arabs as gods rod for their chastisement, many Jews saw them rather as gods instrument for their deliverance.“24 Hier zeigt sich, dass die Juden den arabischen/semitischen Charakter der neuen Klammer durchaus als solchen verstanden und wahrnahmen. So definierte etwa Rabbi Simon ben Yohai die Befreiung der Juden durch das arabische Königreich des ˙ wilden Mannes (Ismael, Essau) von der Nation von Edom (Byzanz) in genealogischen Termini: „Do not fear son of man, for the almighty only brings the kingdom of Ishmael in order to deliver you from this wicked one (Edom). He rises up over them (Ishmaelite’s) a prophet according to His will and He will conquer the land from them, and they will come and restore it to greatness, and a great dread will come between them and the sons of Essau.“25

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In jüngster Zeit entsteht zudem immer mehr das Bild einer islamischen Umma, einer politischen und religiösen Gemeinschaft, die auch für andere monotheistische Gruppen offen war, ohne dass diese konvertieren mussten. So zeigt der in Medina abgeschlossene Vertrag zwischen Mohammed und dem jüdischen Stamm der Awf, dass dieser Mitglied der Umma wurde, obwohl seine Angehörigen weiterhin an ihrer jüdischen Religion (Dı¯n) festhielten.26 Eine derartige Auffassung muss dazu beigetragen haben, dass die Integration auf einer arabisch-ethnischen Basis (die Awf waren ja Araber jüdischen Glaubens), auch über die Religionsgrenzen hinweg, durchaus ein gangbarer Weg war. Bei der großen zu integrierenden Gruppe der christlichen Araber hingegen, führte der noch Jahrhunderte andauernde Konflikt mit Rom zu einer instabilen Lage, die für die Moslems mit teilweise apokalyptischen Ängsten verbunden war.27 Die christlichen Araber mussten ja rechtlich wie alle ˘

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Trimingham, Christianity, S. 309. Hoyland, Seeing Islam, S. 527. 25 Ebd. 26 Fred McGraw Donner, Muhammad and the Believers at the Origins of Islam (Believers), Cambridge 2010, S. 72. 27 Diese Ängste waren zudem auch immer ein Wiederhall von Erfahrungen, die in der Vergangenheit oder vielleicht sogar im Imaginären abgelegt waren. Vgl. hierzu etwa die Ängste der Muslims gegenüber Byzanz, in: Suleiman Bashear, Apocalyptic and Other materials on Early-Muslim-Byzantine Wars: a Review of Arabic Sources, in: JARS, Third Series, 1, (1991), 24

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8. Tabus: Die einfache Integration der Araber/Semiten im Oriens

anderen nicht-muslimischen Schutzbefohlenen behandelt werden, was eine Schwächung der ethnischen Klammer bedeutete, obschon diese Ungleichbehandlung deshalb immer wieder umgangen wurde (s.u. Kap. 9). Es sind jedoch keine maßgeblichen Informationen darüber bekannt, dass die Integration der breiten Bevölkerung des Oriens nicht funktionierte, und es sind wohl die Ausnahmen, die Gründe für ein jeweiliges Scheitern erhellen. So etwa der Abfall des letzten ghassa¯nidischen Pylarchen Jabala b. Al-Ayham vom Islam, den er nach dem Sieg der Moslems am Yarmu¯k wahrscheinlich angenommen hatte. Wichtig ist hier aber, dass die spätere Apostasie des Jabala und seine Flucht ins Exil nach Konstantinopel nicht mit ethnischen oder religiösen Aspekten begründet werden kann, sondern weil es nicht gelang, ihn in die neuen Herrschaftsstrukturen einzubinden. Seine Abkehr vom Islam wird mit einem Zwischenfall überliefert, bei dem ein Mitglied des Fazara-Stammes, Jabala beim Umkreisen der Kaaba auf sein Pilgergewand trat und es herunterzog. Jabala schlug den Mann daraufhin in das Gesicht, worauf sich dieser beim Kalifen Omar beschwerte. Omar rief Jabala zu sich und forderte ihn auf, dem Kläger Gerechtigkeit zu verschaffen: Im Islam seien alle Menschen gleich, nur die Frömmigkeit und Gesundheit mache den einen dem anderen überlegen. Als Jabala realisierte, dass sein alter Rang und seine noble Abstammung keinerlei Anerkennung mehr fanden, zog er sich zurück, um seine Entscheidung zu überdenken. Bereits in derselben Nacht floh er mit seinen Anhängern nach Damaskus. Dort sammelte er seine Sippe und zog mit ihr nach Konstantinopel, wo ihm Heraclius einen großen Empfang bereitete und er hochgeachtet im Exil starb.28 Auch nach seiner Ankunft in Konstantinopel gingen die Versuche, Jabala mit den islamischen Herrschern zu versöhnen weiter, waren aber nicht erfolgreich und die mächtigste arabische Dynastie konnte für den Islam nicht gewonnen werden. Jabala fiel diese Entscheidung wohl nicht leicht. Ein ihm zugeschriebenes Gedicht hält seine Emotionen über den Verlust seiner Heimat fest: „Twas the rage in my heart made us Christians once more I resented the blow in the face. I felt that my honour I could not restore If I bowed to such shame and disgrace. Ah! Would that my mother no son ever bore Nor my name had in history found place! How I yearn for the lands of my fathers of yore, Damascus, the home of my race!“29

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S. 173 – 207. Besonders die Sorge, nicht alle arabischen Stämme unter Kontrolle zu haben, war für die Moslems gravierend. Vgl. auch die Forderungen der Moslems zur Repatriierung arabischer Foederati, die nach Byzanz flohen. Auf Basis des Abkommens von Chalcis wurde von Heraclius etwa der Stamm der Iyad zurückgesendet: „For the Muslims, that involved attempting to gain control of all Arabs, as one sees in Umars efforts to demand the return of Arabs, who had fled to Byzantine control.“, Kaegi, Byzantium, S. 248 f. 28 Zahran, Ghassan, S. 27; Kaegi, Byzantium S. 173 ff. 29 Zitiert in Glubb, Conquests, S. 184.

9. Orient und Rom?

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Die religionstolerante, arabisierende Politik der Umayyaden war also in der Lage, die arabischen/semitischen Gruppen Oriens zu integrieren. Die Umayyaden taten dies durch eine offene und geradezu vereinnahmende Haltung, die manche westliche Forscher in jüngster Zeit sogar dazu bewog, den Kalifen Mu a¯wiya als „quasi“ christlichen Herrscher darzustellen.1 Es erscheint aus westlicher Sicht vielleicht sogar notwendig, derartige revisionistischen Sichtweisen zu entwickeln, da dem arabischen Faktor in der Politik und Religion zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, und so nach anderen Erklärungsmustern für eine konsolidierende Klammer gesucht werden muss. In diesem revisionistischen Kontext erscheint dann der Kalif als Verwirklicher einer „semitischen“ Christenheit, die sich gegen die Orthodoxie Konstantinopels durchsetzen musste: ˘

„Es standen sich zur Zeit Mu a¯wiyas nicht arabisch-islamische Eroberer und byzantinischchristliche Kaiser gegenüber (…) sondern die Christen des ehemaligen byzantinischenchristlichen Orients als natürliche Verbündete der nestorianischen Christen Irans. (…) es handelt sich deshalb um einen Religionskrieg zwischen den orientalischen Anhängern eines semitischen Verständnisses vom Christentums und den Vertreten der hellenistischen und römischen Sonderentwicklung.“2

Hier wird Nöldekes Bemerkung über den Islam als eine arabische Version der Christenheit auf die Spitze getrieben! Es zeigt sich jedoch, dass in den Phasen nach der Eroberung die arabische ethnische Klammer auch die Basis für eine Religionspolitik darstellte, die in der Lage war, die neue Religion als eine monotheistische Kraft zu positionieren, die die christliche und jüdische Religion integrieren konnte, ohne eine Konvertierung von deren Anhängern zu verlangen.3 Auch wenn bei einer solchen Betrachtung noch viele Fragen offen bleiben, so war diese Kombination einer ethnisch vorgetragenen Integration, die die anderen Religionen ebenfalls aufnehmen konnte, ohne eine persönliche Abkehr vom Glaubensbekenntnis zu

1

˘

Vgl. Volker Popp, Die frühe Islamgeschichte nach inschriftlichen und numismatische Zeugnissen (Islamgeschichte), in: Karl-Heinz Ohlig/Gerd-R. Puin (Hrsg.), Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2007, S. 16 – 124. Popp sieht diese christliche Phase des Islam auch damit begründet, dass der Islam noch nicht kodifiziert war, und deshalb „die spannungsgeladene Geschichte des kämpferischen Propheten der Araber noch nicht bekannt (war).“ (S. 41). Wieso das Leben Mohammeds und seine Taten wenige Jahre nach seinem Tode so wenig bekannt waren, obwohl sich Begleiter Mohammeds in Syrien befanden, wird nicht erklärt. 2 Ders., Islamgeschichte, S. 55. 3 Siehe das Beispiel der Awf in Kapitel 8.

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verlangen, der Kern dessen, was uns noch Jahrhunderte später als eine historisch einzigartige politische und religiöse Konsolidierung faszinieren mag. Das manche westliche Beobachter den Islam zunächst in einem christlichen Gewand wahrgenommen hatten, liegt auch an der sehr komplexen Strategie in Bezug auf die Konsolidierung der unterschiedlichen religiösen Praktiken im Oriens. Das paradoxe Erstarken der Christenheit im Oriens unter den Arabern hat etwa mit dem Fakt zu tun, dass die lokalen Bischöfe unter dem System der Selbstverwaltung nun fast mehr Macht über ihre Gläubigen hatten als zur Zeit von Byzanz.4 Auch schienen die arabischen Machthaber bestrebt, eher die Gemeinsamkeiten der Religionen zu thematisieren und somit eine Art „abrahamitische Ökumene“ zu forcieren.5 Diese Betrachtungsweise erscheint durch eine Neuinterpretation einiger Überlieferungen durchaus bestätigt zu werden. So gibt es Indikationen, dass die Moslems den Christen im Oriens durchaus Verständnis, wenn nicht gar eine gewisse Sympathie entgegenbrachten. Und diese Sympathien schienen auch von den Christen erwidert worden zu sein. Der Patriarch von Jerusalem, Sophronius, war offenbar nicht wirklich besorgt über die arabische Anwesenheit in Bethlehem 634, also schon vor der Schlacht am Yarmu¯k. Dies steht im Kontrast zu seinen Klagen über den Fall der Stadt an die Perser Jahre zuvor.6 „What we seem to see here, despite all the turbulence both to the east and west of the Euphrates, is a local reflection of transitory good relations between Believers and Byzantium (…).“7

Fred Donner geht hier noch einen Schritt weiter und löst die von der revisionistischen Schule aufgestellte paradoxe Sichtweise des Islams als eine ursprünglich christliche Bewegung auf, in dem er darauf verweist, dass in der Anfangsphase der islamischen Bewegung, die Moslems sich weniger als exklusive und separate religiöse Gruppe verstanden, sondern als eine neue, aber inklusive monotheistische Bewegung, die offen für die Integration christlicher und jüdischer Gläubiger war:

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„By establishing such monotheist communities into their growing domains, the Believers worked toward their goal of establishing the hegemony of God’s law over the hole world. The Qur an (…) promised the Belivers that they would ‘inherit the earth’. (…), but this could be understood to imply not the dispossession of existing monotheist populations, but their inclusion within the Believers’ movement (…).“8

Ein gewisses Verständnis, ja sogar eine gewisse Sympathie scheinen selbst nach Yarmu¯k auf beiden Seiten existiert zu haben und wichen erst langsam dem nachgeschärften Feindbild und der Polemik späterer Jahrhunderte. So liefern die neuen 4

Brown, Antiquity, S. 186. Donner, Believers, S. 56 – 61; kritisch dazu: Glen W. Bowersock, Empires in Collision in Late Antiquity (Empires), Lebanon, NH 2012, Pos. 732. 6 Glen W. Bowersock, Empires, Pos. 849. 7 Ebd. 8 Donner, Believers, S. 112. 5

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Betrachtungen, etwa zur Übergabe Jerusalems an den Kalifen Omar, durchaus ein sehr einvernehmliches Bild, wenn die nachträglichen byzantinischen Polemiken als solche erkannt werden: „There is no trace whatever of satanic hyprocrisy. (…) or of Umar as a dirty outsider.“9 Glen Bowersock kommt nicht umhin, diese Umstände als kurios zu bezeichnen. Als Erklärung für diese Sympathien vermutet er, dass die 30. Sure, die Sure „Ru¯m“, so interpretiert werden kann, dass sie den Sieg von Heraclius gegen die Perser als einen Sieg der Monotheisten über die Heiden würdigt, den die Moslems natürlich wohlwollend betrachteten. Und die Araber wussten auch, dass ohne Heraclius Sieg gegen die Sassaniden ihr Erfolg beim Yarmu¯k und in Mesopotamien vielleicht nicht möglich gewesen wäre.10 Wir würden hier anmerken, dass die Kuriosität etwas gemildert werden kann, wenn man die zuvor beschriebene arabische ethnische Klammer in diese Diskussion miteinbezieht: Sprachliche und ethnische Gemeinsamkeiten haben sicher dazu beigetragen, dass eine solche „Sympathie“ entstehen, und über Yarmu¯k hinaus Bestand haben konnte. Dieses Band war durchaus beeindruckend. So ist in den letzten Jahren ein klareres Verständnis darüber entstanden, dass Moslems und Christen bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts nach dem Sieg von Yarmu¯k, dieselben Gebetshäuser verwenden konnten und es sogar Gemeinsamkeiten bei der Gebetspraxis gab.11 Diese Gemeinsamkeiten wurden auch von den Herrschern im Sinne der ethnischen Klammer bzw. ökumenischen Strategie genutzt, die natürlich früher oder später auch die Gemeinsamkeiten in der Religion verwenden musste. Bei allen vorhandenen Unklarheiten über diese „ökumenischen“ Verhaltensweisen, sind doch recht bemerkenswerte Situationen überliefert, wie etwa ˘

„(…) the crowning of Mu a¯wiya in Jerusalem, his prayer in Golgotha the conclusion of a pact between him and Amr b. al- As in the Church of Mary, and his helping to reconstruct the ˙ Church of Edesa. From other reports we also learn that Khalid al-Qasri, the Umayyad governor of Iraq, built a church in Kufa in honour of his Christian mother‘ and that even the second Abbasid caliph, al-Mansur, helped to erect one in Damascus. As late as the early ˙ fourth century, we hear Eutychius lamenting the fact that Muslims of his day gathered for prayer in the Church of Bethlehem and on the steps of the Church of Constantine in Jerusalem.“12 ˘

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Diese enge Verzahnung der verschiedenen Glaubensrichtungen wird auch durch eine innovative These von Glen Bowersock über die Gründe des Ikonoklasmus im frühen achten Jahrhundert weiter erhärtet. Dieser ging auf ein Edikt des Kalifen Yazı¯d II. zurück. Er schien hier jedoch vorangegangene ikonoklastische Initiativen in Byzanz und Armenien aufgriffen und diese dann auch gegenüber den Kirchen und

9

Bowersock, Empires, Pos. 925. Ders., Empires, Pos. 947. 11 Suleiman Bashear, Quibla Musharriqa and Early Muslim Prayer in Churches (Quibla), in: The Muslim World, Vol. WMXI, NOS., 3 – 4.1991, S. 262 – 282, hier 281; Bowersock, Mosaics, S. 109. 12 Bashear, Quibla, S. 267 f. 10

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Synagogen in seinem Machtbereich angewandt zu haben.13 Die Umsetzungen dürften von den Gläubigen dann selbst vorgenommen worden sein. Sowohl Juden als auch Christen konnten auf darstellungsfeindliche Strömungen in ihren jeweiligen Religionen zurückgreifen, und der Antrieb von Yazı¯d für diese Anordnung kann auch mit der Nutzung der Kirchen durch die Muslime erklärt werden, was Bowersock vorsichtig anmerkt: „There is convincing evidence for the Muslims to use Churches, and the true motive for iconoclasm is more likely to have been active involvement with Christian edificies rather than hostility towards them.“14

Durch die prompte Aufhebung dieses Ediktes von seinem Nachfolger Hisˇa¯m wurde jedoch klar, dass es eine generelle Meinung gegeben haben muss, dass Yazı¯d hier zu weit gegangen war.15

˘

Die Umayyaden, die mit großem Erfolg mit ihrer religionsliberalen, ökumenischen Politik und der arabischen Klammer, christliche Araber und andere Gruppen in das islamische Reich integrieren konnten, wurden durch die Abbassiden verdrängt, welche eine ganz andere Strategie verfolgten: Nachdem immer mehr Völker in das islamische Reich integriert werden mussten, funktionierte die ethnische Klammer immer lückenhafter und wurde nun durch die Religion des Islam ergänzt bzw. abgelöst. Waren die alten monotheistischen Religionen bislang oftmals fast gleichberechtigt neben dem Islam betrachtet worden, so erfolgte nun eine stärkere Hierarchisierung. Dadurch erhöhte sich der Druck auf die christlichen Araber im Oriens: „(…) more important for the Christian Arabs was the rise of Abbasid Islamism at the expense of Umayyad Arabism.“16 So ist etwa eine Episode der dominierenden Foederati des vierten Jahrhunderts, der Tanu¯kh, überliefert, die diesen Konflikt drastisch darstellt. Nach dem Sieg der Moslems am Yarmu¯k waren die Tanu¯kh christlich geblieben, und wie die meisten christlichen Foederati in das Milizsystem der Umayyaden eingegliedert worden. Der Historiker Ya qu¯bı¯ überlieferte, dass der Kalif Al-Mahdı¯ anlässlich seiner Hochzeit mit einer südarabischen Braut, die eine Angehörige der Tanu¯kh war, einen Besuch in Jerusalem unternahm. Auf dem Weg 13 Den Moslems war der Stellenwert der jüdischen Gebetshäuser durchaus klar: „We need to ask whether the synagogues had a comparable religious significance for the Muslims. The possibility is worth thinking about, since Jewish iconoclasm in other respects is better explained as parallel to the Christian iconoclasm rather than as an anterior reaction to Christian use of images. Since it is now apparent that the mosaic decoration of synagogues showed close parallels with Christian mosaics, the Muslim conquerors, who knew perfectly well the Jewish origins of Christianity, must have been aware of the holiness of synagogues. More to the point, they would have known that from the later fourth century until the early sixth century a kingdom of ethnic Arabs in south Arabia had converted to Judaism and maintained their religion, not at all far from Mecca itself, until the Christians of Ethiopia brought it to an end. So Muslim Arabs knew from their own immediate past the holiness of synagogues, just as much as they knew the holiness of churches.“ Bowersock, Mosaics, S. 110. 14 Ebd. 15 Ders., S. 110. 16 Shahîd, Fourth Century, S. 456.

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dorthin wurde er in der Nähe von Aleppo von einer großen Anzahl von Tanu¯kh begrüßt, die ihm im Festgewand und zu Pferde begrüßten und in der Hoffnung den Herrscher günstig zu stimmen, die verhängnisvollen Worte sprachen. „Wir sind deine Onkel mütterlicherseits, oh Beherrscher der Gläubigen.“17 Der Kalif, der wie kein anderer versuchte, das islamische Element in der Politik zu betonen, erkundigte sich über diese Gratulanten, und als er erfuhr, dass sie alle Christen waren, zwang er sie den Islam anzunehmen. Als sie dies ablehnten, tötete er eigenhändig ihren Anführer und zerstörte ihre Kirchen, woraufhin die Tanu¯kh übertraten. Möglicherweise war dies ein extremer Einzelfall, da der Kalif durch seine Heirat in eine vermeintlich christliche Familie und das martialische und selbstbewusste Auftreten der Tanu¯kh irritiert und beschämt wurde. Dieser Zwang zur Konvertierung bewegte sich klar außerhalb der Shari a, die Nicht-Moslems Freiheit und Sicherheit bei Bezahlung der Kopfsteuer zusicherte. Jedoch scheint dies ein plakatives Beispiel für den zunehmenden Druck der religiösen Klammer und den innerarabischen Konflikt zu sein, die diese neue Ausrichtung mit sich brachte.18 Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Kalifen die Integration der arabischen Christen dadurch gefördert, dass sie ihnen etwa keine Kopfsteuer auferlegten, wie dies für Nichtmoslems eigentlich Vorschrift war, sondern ihnen höhere moslemische Steuern vorschrieben, um ihre Zugehörigkeit zum arabischen Ethnos zu stärken.19 Wenn das Thema des Konvertierens der arabischen Christen zum Islam mit der nun erstarkenden religiösen Klammer mehr Gewicht erlangte, so ist nicht umfassend geklärt, wie sich dies auf die anderen Gruppen im Oriens, insbesondere die Juden, auswirkte. Hier wurde in den letzten Jahren eine sehr kontroverse Diskussion darüber entfacht, ob es seitens der Juden ebenfalls Konvertierungen und Beitritte zum Islam gab: „Did the similarity between religions, Islam’s relative tolerance toward the other monotheisms, and the religious system of taxation induce Jewish, Christian and Samaritan believers to convert to Islam? Historical logic would say yes, though there are insufficient sources to provide a definitive answer. The traditional Jewish elites were pained by the apostasy, and tended to ignore and suppress it. Zionist historiography followed them, turning its back on any meaningful discussion of these issues. Abandoning the Jewish religion was

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˘

Ya qu¯bı¯, Tarih (Geschichte), Band 2, Beirut 1985, S. 398 f. ˘ Shahîd, Forth Century, S. 430. 19 Etwa am Beispiel des Taghlib-Stammes in Syrien. Der syrische Gouverneur wandte sich in einem Brief an den Kalifen Omar und bat ihn, eine Lösung zu finden, da die Taghlib sich als Araber weigerten die Kopfsteuer zu bezahlen, weil diese für Nichtaraber vorgesehen war. „Omar wrote back allowing them to pay double the amount of Sadaqa, the tax Muslims pay, on the condition that their children would not be brought up as Christians.“ Zahran, Ghassa¯n, S. 143 f. Die Taghlib befolgten diese Bedingung allerdings nicht, was scheinbar ohne Konsequenzen blieb, da die Taghlib erst im neunten Jahrhundert von den Abbassiden zum Übertritt gezwungen wurden (Ebd.). Hoyland, Seeing Islam, S. 338 ff., weist allerdings darauf hin, dass insbesondere Bewohner gefährdeter Grenzregionen dem Druck der Konvertierung unterlagen, aber wohl auch christliche Araber. 18

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generally interpreted by modern sensibilities as betraying the ‘nation’, and was best forgotten.20

Erstaunlich auch hier wieder, dass diese Diskussion – wie so oft – eine aktuelle politische Relevanz erlangt, weil es die heutigen Palästinenser quasi zu Nachfahren konvertierter Juden macht. Wie Sand zugibt, kann er für diese Periode keinerlei Konvertierungen belegen, obwohl er sie für logisch hält. Dass derartige Übertritte in späteren Epochen aber sehr wohl auftraten, ist zumindest für das arabische Andalusien und für einige jüdische Persönlichkeiten belegt.21 In jedem Fall können wir festhalten, dass die Dominanz der Religion in der Integrationsstrategie zumindest anfänglich und auch später nicht so umfassend war, die christliche und jüdische Religion völlig zu absorbieren. Der Soziologe Talcot Parsons legt diese Strategie bemerkenswerter Weise als Schwäche des Islam aus, was zeigt, wie wenig diese komplexe Vorgehensweise der arabischen ethnischen und religiösen Klammer im Westen richtig verstanden wurde: „Anders als China oder Indien entwickelte der Islam eine radikal aktivistische Orientierung. Von einer kulturellen Grundlage (sic!) ausgehend, versuchte er die menschliche Gesellschaft in eine religiöse Idealform zu transformieren. Man muss daher sagen, dass er insofern historisch gescheitert ist, als er nicht einmal im überwiegenden Teil der unter seiner Herrschaft stehenden Bevölkerung gründlich islamisierte; im deutlichen Kontrast dazu steht die relativ vollständige Christianisierung Europas.“22

Was durch die De-Arabisierung der arabischen vorislamischen Geschichte verkannt wurde, war, dass die arabischen Eroberungen vor allem eine arabische Konsolidierungsbewegung war, die erst später, als mehr und mehr nicht- arabische/semitische Völker integriert wurden, einen islamischen Charakter bekam. Der Islam war ein wichtiger Impuls und Mobilisierer der Konsolidierung, aber das einigende Element war zunächst die arabische/semitische Identität, die natürlich auch christlich, jüdisch und hellenistisch geprägt war.

20

Shlomo Sand, The Invention of the Jewish People, London 2009, S. 182. Sarah Stroumsa, On Jewish Intellectuals Who Converted in the Early Middle Ages (Intellectuals), in: D. Frank (Hrsg.), The Jews of Medieval Islam: Community, Society, and Identity, Leiden 1995, S. 179 – 197, hier S. 196, beschreibt die Übertritte jüdischer Intellektueller im Spätmittelalter am Hofe der muslimischen Herrscher, wie etwa Samau al al-Maghribi, Isaac Ibn Ezra, Abu l-Barakat. Sie verweist hier auf die elitäre Stellung dieser Personen, die als Philosophen und Gelehrte ein sehr isoliertes Dasein von der Gesellschaft führten, was die Übertretungen gefördert haben mag: „Although we have not encountered any systematic conversion of intellectuals to Islam in organized groups and under the influence of spiritual leaders, it appears that the subjects discussed by intellectuals during the period enabled them to adopt a detached position vis-à-vis religion in general, a position which in circumstances could lead them to embrace a new faith.“ Sie verweist aber auch auf Maimonides, der in Fällen der Apostasie vom jüdischen Glauben die rechtliche Abwicklung durchzuführen hatte: „Cases of this kind are brought before us every day (sic!) … and we always handle them in the same manner.“ Ebd. 22 Parsons, Gesellschaften, S. 135. 21

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Dies funktionierte über weite Strecken der Geschichte durchaus gut und zwar in einem Ausmaß, das die auf Dekonstruktion und ihre jeweiligen Teilgebiete fokussierten westlichen Beobachter oftmals unterschätzen: „Late antiquity and early Islam are full of challenges to old easy dichotomies, such as ‘Orient oder Rom’, that have so long dominated historical interpretation.“23

23

Bowersock, Mosaics, S. 111.

10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung Der Oriens stand über 700 Jahre unter römischer und davor fast 300 Jahre unter griechisch-makedonischer Herrschaft. Der Schmerz, diese wichtigen Provinzen zu verlieren, muss groß gewesen sein. Fataler noch war, dass die Christenheit von ihrem religiösen Kernland Palästina abgeschnitten war und dies auch nicht durch verzweifelte Rückeroberungsversuche des Heraclius und später durch die Kreuzfahrer rückgängig gemacht werden konnte. Die Konsequenzen waren enorm: Von einer ursprünglich östlichen Religion entwickelte sich die Christenheit notgedrungen zu einer eher westlichen Glaubensgemeinschaft. „The disaster of the late middle ages tore Christianity from its roots – cultural, geographical, and linguistic. This ‘uprooting’ created the Christianity that we commonly think of today as the true historical norm, but which in reality was the product of the elimination of alternative realities.“1

Man muss davon ausgehen, dass in dieser kritischen Situation ein völlig neues Kultur- und Religionsmodell geschaffen wurde, das uns zwar heute vertraut ist, dessen Wesen aber einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit brachte: „In this geographical sense, Christianity has no heart, no natural core. (…) For long periods the faith found its most active centres in the Near East, but in later years the cultural and demographic heart of the church moved to Europe and the Atlantic world.“2

Der „Neuanfang“ konnte aber nur gelingen, wenn dieser quasi „gegen die Geschichte“ durchgesetzt werden konnte. Wenn die Christenheit nun westlich zentriert und geprägt ist, dann müssen alle Verbindungen zu ihren östlichen Wurzeln abgeschnitten werden!3 Damit der christliche Westen zu dem werden konnte, was er heute ist, musste er somit seine östliche Geschichte verleugnen. Dies bedeutet in aller Radikalität nicht nur, dass die Geschichte des arabischen Oriens weitgehend in Vergessenheit geriet, sondern auch, dass die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christenheit negiert wurden. Es geht soweit, dass die Geschichte des „zurückgelassenen“ östlichen Christentums der Ignoranz und des Vergessens durch den Westen zum Opfer fiel.4 1

Jenkins, Lost History, S. 25. Ebd. 3 Diese Abgrenzung wurde auch von Said, Orientalismus, S. 145, erkannt. Er deutete sie allerdings eher als durch die methodischen Notwendigkeiten des Orientalismus bedingt, der erst einmal Kategorien und Typen schaffen musste, die der eigenen zumeist starren Identität und Festungsmentalität gegenüberstehen. Diese methodischen Abgrenzungsprozesse verstärken die oben dargestellte historische Abnabelung. 4 Jenkins, Lost History, S. 39 ff. 2

10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung

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Damit wird eine sehr wesentliche Komponente des Orientalismus, nämlich die von Said beobachtete „Andersartigkeit“5 des „Arabers“, verständlicher. Es war somit für die zu entwickelnde Identität des christlichen Europas wichtig, dass der Orient anders war, dass man sich von ihm markant unterschied. Von dieser Abgrenzung hin zu einer negativen Typisierung bzw. zu einer Geringschätzung des Islam war es dann offensichtlich nicht mehr weit. So entstand eine Art „Negativfolie“.6 Der Orient bzw. Islam wird in diesem Sinne so konstruiert, dass die Errungenschaften der westlichen Zivilisation, die auf den Säulen des frühen Judentums, der griechisch-römischen Antike und des (westlichen) christlichen Glaubens beruhen, in umso hellerem Licht erstrahlen.7 Selbst die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam wurden in einer derartigen Erzähl- und Analysestruktur selten positiv gedeutet, sondern letzterer dann eher abfällig als christliche Häresie qualifiziert bzw. als eine Religionsstiftung erkannt, die sich im Wesentlichen in den Spuren des Christentums entwickelte, „(…) m.a.W., dass der Isla¯m die Form ist, in welcher das Christentum in Gesamt-Arabien Eingang gefunden hat“.8 Diese Qualifizierung von Nöldeke wird dann gepaart mit den wenig schmeichelhaften Attribuierungen des Propheten, wie etwa mangelnde spekulierende Vernunft und logische Abstraktionsfähigkeit.9 Von dort zur Regensburger Rede des Papstes Benedikt lässt sich eine beinahe gerade Linie ziehen. Die gravierende Aussage des Papstes war hier wohl gar nicht so sehr das Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. über die Militanz des Islam, sondern die Referenzierung bekannter orientalischer Typisierungen, wie etwa mangelnde Vernunft (die natürlich in der Rede nicht nochmals aufgezählt, aber als Kontrast auf der Hand liegen)10 : „Zutiefst geht es dabei um die Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen rechter Aufklärung und Religion. Manuel II. hat wirklich aus dem inneren Wesen des christlichen Glaubens heraus und zugleich aus dem Wesen des Griechischen, das sich mit dem Glauben verschmolzen hatte, sagen können: Nicht ,mit dem Logos‘ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“11

5

Said, Orientalismus, S. 236 f. Gudrun Krämer, Unterscheiden und Verstehen. Über Nutzen und Missbrauch der Islamwissenschaften, in: Abbas Poya/Maurus Reinkowski (Hrsg.), Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien, Bielefeld 2008, S. 263 – 270, hier S. 265. 7 Ebd. 8 Theodor Nöldeke, Geschichte des Qorâns. Teil 1. Über den Ursprung des Qorâns, Leipzig 2005 (Abdruck des Originalausgabe von 1905) (Qorân), S. 8. 9 Ders., Qorân, S. 6 f. 10 Paradox auch in dem Sinne, dass die byzantinischen Kaiser eher für ihre militärische Auslegung des Christentums bekannt waren. Vgl. Shahîd, Fifth Century, S. 529. 11 http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2006/september/documents/ hf_ben-xvi_spe_20060912_university-regensburg_de.html (Stand 15.7. 2010). 6

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10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung

Die Aussage geht aber über die altbekannten Attribuierungen hinaus, indem sie die Geschichte des östlichen Christentums ebenfalls negiert. Dies indem der Papst klarstellte, dass sich das Christentum auf die griechischen philosophischen Traditionen zu berufen habe und damit nicht auf die christlichen Traditionen der östlichen Kirchen, die sich in der Vergangenheit erfolgreich mit islamischen, konfuzianischen, taoistischen und buddhistischen Denkmodellen auseinandergesetzt hatten.12

˘

An dieser Stelle können wir nun eine generalisierende Skizze der Vorurteile und orientalistischen Sichtweisen über die Araber im Oriens und Arabien zeichnen und diese auch begründen. Die Reaktionen der Römer und Griechen auf den Osten und auf die Araber im Speziellen scheint sich durch zwei wesentliche Merkmale auszuzeichnen: Überheblichkeit und Angst! Diese beiden Reaktionen werden durch die Aufhebung der De-Arabisierung durchaus klarer. Die Araber waren für die Römer zuallererst Barbaren, die in Zelten wohnten, keine Kultur besaßen und despotische Züge aufwiesen. Diese Kategorisierung teilten die Araber mit allen Völkern des Oriens, ja selbst die Griechen Kleinasiens (der heutigen Türkei) bezeichneten sich vorsichtig als „die Griechen von Asien“ (hoi apo tes Asias Hellenes). Gleichzeitig gab es aber Ängste, die mit der arabischen Präsenz im Osten zu tun hatten. Seit Trajans Annexion Arabiens im frühen zweiten Jahrhundert bestand ja fast die Hälfte des römischen Perimeters aus Wüstengrenzen. Der römische Oriens regelte zudem wichtige Zugangspunkte zum Mittelmeer und stellte durch seine urbanen Zentren eine für die Römer raue und unfreundliche, aber an Wichtigkeit nicht zu unterschätzende Region dar.13 Die Sorgen der Römer hatten mit diesen langen Grenzen zu tun, deren Überdehnung zu einer zwangsweisen größeren und wichtigeren Rolle der römischen Araber und Foederati führte. Mehr Raum gegeben war damit aber Ängsten vor einem „orientalischen“ Wandel, dem Angriff auf die römische Wesensart, welche den Arabern auf der Ebene des gesamten Reiches durchzusetzen zumindest unterstellt wurde, wie sich am Beispiel der Severer und Julia Domna offenbarte. Die Attribute der Überheblichkeit und Angst treffen wir bei der römischen Reaktion auf die islamische Bedrohung und Invasion wieder. Überheblichkeit verhinderte wohl eine realistische Einschätzung der Gefahr! Das Thema der Angst, ja sogar der Apokalypse, war mit dem Verlust des identitätsreichen christlichen Gebiets im Oriens erklärbar: „Zeit seines Bestehens war der Islam ein Problem für das christliche Europa; seine Anhänger waren der Feind an der Grenze.“14 Die beiden Reaktionen, Überheblichkeit und Angst, sind ja miteinander verbunden: Die Überheblichkeit hilft die Angst vor dem Gegner zu kompensieren. Dieser wird herabgewürdigt und die Schuld für die westliche Niederlage muss dann bei unfairen

12 13 14

Vgl. Jenkins, Lost History, S. 39. Bowersock, Roman Arabia, S. 1 f. Albert Hourani, Der Islam im Europäischen Denken, Frankfurt/M. 1994, S. 17.

10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung

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Mitteln oder ähnlichen Gründen gesucht werden.15 In diesem Sinne war die Minderbewertung der Araber ein sehr wichtiges Instrument, um diese Niederlagen psychologisch zu bewältigen. Diese beiden Attribute erklären auch, warum orientalistische Sichtweisen so langlebig sind. In ihrer Sorge über orientalistische/semitische Einflüsse bzw. die Herabstufung ihrer eigenen zivilisatorischen Überlegenheit konnten auch moderne Orientalisten immer wieder auf diesen Fundus an Vorurteilen und negativen Beschreibungen gegenüber dem „alten Rivalen“ (Bernhard Lewis) zurückgreifen. Im Zuge ihrer Bewertung von Julia Domnas Bild in der Geschichte hat Barbara Levick eine zentrale Beobachtung gemacht: Said hatte ja den Orientalisten immer unterstellt, ihre Sichtweise vor allem aus dem Aspekt der Kontrolle und Dominanz heraus zu entwickeln. Auf Basis der Orientalisierungsvorwürfe gegen die römischen Araber, insbesondere durch deutsche Orientalisten, welche das semitische Element etwa bei den Severern in „dämonischer Form“ hervorbrechen sahen, vermutet sie eher, dass diese auch aus politischen (und wohl rassistischen) Ideologien heraus argumentierten und sich dazu den griechisch-römischen Vorlagen bedienen konnten: „In forming such theories early twenty century scholars allowed their political views to play a part. The Orientalisms of Edward Said’s French and British scholars, which aimed at control, was inverted, or rather bypassed, and Graeco-Roman fears were picked up and reflected.“16

Antisemitische Betrachtungen zu Philippus Arabs durch deutsche Orientalisten des frühen 20. Jahrhunderts verdeutlichen diese ebenso.17 Britische Orientalisten übernahmen diese Vorurteile, da sich auch das Empire auf sehr ähnliche Ansichten stützte: „The orientalizing ‘portrait’ had ist origin in nineteenth century German scholarship, which reflects nationalistic views of the Reich and of possible threats (sic!) to its development and related ideology of exclusion, sexist, racist, and specifically anti-Semitic. The acceptance of 15 Zu den Ängsten von Byzanz im siebten Jahrhundert gegenüber den Arabern und zu den Vorwürfen, die Moslems hätten mit unfairen Mitteln den Sieg errungen Kaegi, Byzantium, S. 141ff: „Christians attempted to emphazise that it was not a glorious military victory for the Muslims but one that they obtained through stealth and deceit rather than through honest martial success.“ 16 Levick, Empress, S. 133. Said hatte ja deutsche Orientalisten aus seiner Betrachtung exkludiert, Said, Orientalismus, S. 29. Marchand sieht die deutschsprachige Orientwissenschaft durchaus auch unterschiedlich zu der britischen und französischen. Unterschiede sind schon allein dadurch gegeben, dass das Deutsche Reich wenig imperiale Ambitionen im Orient hatte, und sich die deutschen Wissenschaftler mehr auf das Thema der Bibel und ihrer Geschichte im Osten zu fokussieren schienen, Marchand, German Orientalism, S. XXIV. Sie ist zudem bemüht, ein sehr differenziertes Bild der deutschen/österreichischen Orientalisten zu zeichnen, bis hin zu der Schlussfolgerung, dass diese die Grundlagen für multikulturelle Betrachtungen des Osten erschufen, S. 495 ff. 17 Hier wird etwa Philippus Arabs, als eine „(…) unsympathische Persönlichkeit des orientalischen Parvenü (…)“ dargestellt, dessen „(…) echt orientalische Hinterlist (…)“ durch das für einen „(…) Semiten typische Misstrauen (…)“ erklärt wird. Zu diesen Zitaten deutscher Historiker vgl. Körner, Philippus, Fn 4.

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this portrait among English-speaking scholars, beneficiaries of an Empire based on the exploitation of lesser breeds and unconscious of where they were standing, was only to be expected.“18

Dass diese beiden Kennzeichen – Angst und Überheblichkeit – auch in den Clash of Civilization -Diskurs hineinpassen, liegt auf der Hand. Wichtig für unser Thema ist nun, dass nur mit der Aufhebung der De-Arabisierung und Dekonstruktion diese Ängste und Vorurteile erklärbar werden, da sie den Blick auf eine beachtliche arabische Präsenz öffnen, wie ihn die damaligen Betrachter empfunden haben müssen. Auch die Rolle der De-Arabisierung wird nun klarer. Sie ist ein wichtiges Instrument, um der Überheblichkeit und der Angst gegenüber den Arabern Ausdruck zu verleihen: Wenn die Araber keine Geschichte und keine Präsenz vor dem Islam haben, historische Newcomer sind, welchen Einfluss kann ihre Zivilisation dann haben? Ist dies überhaupt eine eigene Zivilisation oder doch nicht vielmehr ein zusammengestückeltes Konzept, welches sich ohne große Eigenleistung der christlichen und jüdischen Religionen und Zivilisationen bedient, und welches eigentlich noch immer barbarisch und irrational ist?

˘

Die Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und gemeinsamen Glaubens finden in einem solchen orientalistischen Diskurs keinen Platz und muten eher als Anachronismus an. Die einzigen Elemente, die überdauert haben, sind negative Typisierungen klassischer Historiker. Weil sie mühelos in dieses Konstrukt passen, muten sie oft so vertraut an. Es wird nun auch erkennbar, warum die gemeinsame Geschichte des Westens und des Osten im Oriens so merkwürdig ohne Araber auskommt. Diese gemeinsame Geschichte passt so gar nicht in den Aufbau des Orientalismus mit seinem jahrhundertealten Corpus. Es dominiert die Abgrenzung und die Negativbelegung des Gegenübers, alles was diesem Prinzip widerspricht, wird ausgeklammert.19 Und doch, Erinnerungen können niemals völlig ausgelöscht werden und die Wege des kulturellen Austausches gehen oftmals verschlungene Pfade, und dies mit großer Zeitverzögerung. Es ist deshalb oft überraschend für spätere Zeitgenossen, wenn sich fremde kulturelle Erinnerungsstücke in anderen Epochen und Kulturen wieder manifestieren. Ein schönes Beispiel ist der Stamm der Udra, der als ˙ Foederati Roms über seine spätere Auswanderung nach Andalusien mit seiner Poesie die europäische Literatur und Dichtung bereicherte. Und so ist es nicht verwunderlich, dass diese Udra in einem berühmten Gedicht Heinrich Heines Widerhall ˙ finden: ˘

Der Asra Täglich ging die wunderschöne Sultanstochter auf und nieder 18

Levick, Empress, S. 163. Dies wird natürlich noch durch einige handwerkliche Probleme der Historiker verstärkt, wie etwa, dass die Sprachen, die notwendig sind, um diese Epoche aufzuarbeiten (SyroAramäisch, Griechisch, Arabisch und Latein) von kaum jemandem gemeinsam beherrscht werden. Vgl. Shahîd, Fourth Century, S. I–XII. 19

10. Abgrenzung, Neuanfang und Verdrängung

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Um die Abendzeit am Springbrunn, Wo die weißen Wasser plätschern. Täglich stand der junge Sklave Um die Abendzeit am Springbrunn, Wo die weißen Wasser plätschern; Täglich ward er bleich und bleicher. Eines Abends trat die Fürstin Auf ihn zu mit raschen Worten: Deinen Namen will ich wissen, Deine Heimat, deine Sippschaft! Und der Sklave sprach: Ich heiße Mohamet, ich bin aus Yemmen, Und mein Stamm sind jene Asra, Welche sterben, wenn sie lieben.20

20 Heinrich Heine, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke (Hrsg. Manfred Windfuhr). Bd. 3, Hamburg 1975, S. 41 f.

11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran Seit den 1970er Jahren ist im Westen mit John Wansbourgh eine radikale und revisionistische Sichtweise über den Koran entstanden, welche Mohammed und seine Botschaft als nachträgliche Fabrikationen begreift, die von Redakteuren erschaffen wurden, um eine (arabische) Geschichte, Religion und Sprache zu konstruieren.1 Diese Betrachtung entsteht vor allem im Rahmen von textlichen Analysen des Korans und versucht so nachzuweisen, dass hier eine Konstruktion aus dem achten oder neunten Jahrhunderts vorliegt bzw. vorliegen muss. Unabhängig von diesen Kontroversen kann man vermuten, dass diese und ähnliche Studien auch durch die nun bereits dargestellte De-Arabisierung begründet und legitimiert werden: wenn es keine signifikante Geschichte, Sprache und Schrift der vorislamischen Araber gibt bzw. man diese negiert und dekonstruiert, müssen Werke, wie der Koran, der nun plötzlich und ohne Vorwarnung auftauchte, eben nachträglich erschaffen worden sein. Zumal die Araber semitische „latecomer“ waren, die erst mit dem fünften Jahrhundert über eine Schrift verfügten, war ihnen ein komplexer Text wie der Koran nicht zuzutrauen.2 Das plötzliche Auftreten der Araber in der politischen Arena bedarf dann außerordentlicher Erklärungen. Es ist – so die verschiedenen Strömungen dieser revisionistischen Sicht – dann notwendigerweise ein christlicher bzw. aramäischer Grundtext verdeckt: Nicht nur der Text, auch das Konzept einer monotheistischen Religion kann ja von dieser kaum identifizierbaren, identitätslosen Gruppe in so kurzer Zeit kaum erstellt worden sein, sondern muss andere Redakteure haben, wie eine der Proponenten der revisionistischen Schule, Patricia Crone, argumentiert: „(The Qur’an) is strikingly lacking in overall structure, frequently obscure and inconsequential in both language and content, perfunctory in its linking of disparate materials, and given to the repetition of whole passages in variant versions. On this basis it can plausibly be argued that the book is the product of belated and imperfect editing of materials from a plurality of traditions.“3 1 John E. Wansbrough, Quranic Studies: Sources and Methods of Scriptural Interpretation, Oxford 1977; ders., The Sectarian Milieu: Content and Composition of Islamic Salvation History, Oxford 1978. 2 Implizit bauen diese Betrachtungen natürlich auch auf der Einschätzung auf, dass der Koran kein göttliches Werk ist. So befand schon H.G. Wells den Koran eher als literarisches oder philosophisches Werk, „(…) it is certainly unworthy of its alleged divine authorship.“ H.G. Wells, A Short History of the World, London 1922, S. 78. Wells hat es allerdings versäumt zu erwähnen, welche Kriterien ein „divine authorship“ erfüllen muss. Bleibt auch zu bemerken, dass dieser Satz in der arabischen Übersetzung des Buches nicht vorhanden ist. 3 Patricia Crone/Michael Cook, Hagarism: The Making of the Islamic World, Cambridge, 1977, S. 18.

11.1. Monotheistischer arabischer Diskurs vor dem Islam

143

Der Koran muss unter einer wie auch immer gearteten Mitwirkung christlicher oder jüdischer Gewährsleute in Mekka verfasst worden sein, oder auch woanders und vielleicht sogar später, lange nach dem Tod Mohammeds.4 Er erscheint somit als eine nachträgliche Kompilation, in der das „Bild“ der arabischen Ursprünge der Religion erschaffen wurde.5 Auf Basis der bisherigen Ausführungen können wir nun argumentieren, dass es schon zur Zeit Mohammeds eine lange monotheistische Tradition in der arabischen Welt gegeben hatte. Durch die Auswirkungen der De-Arabisierung war die Jahrhunderte vorher einsetzende Interaktion der Araber auf der Halbinsel und im Oriens mit dem Monotheismus oft unklar und verschleiert. Lenkt man den Blick aber auf den langen monotheistischen Entwicklungsprozess in der arabischen Gebieten und erkennt den Islam als eine Bewegung, die diesen Diskurs in eine neue Form und vor allem auch politische Organisation transformierte, wird ein historischer Prozess erkenntlich, der wenig Geheimnisvolles an sich hat, und der aus vielen Gründen eine konsequente Entwicklung war.

11.1. Monotheistischer arabischer Diskurs vor dem Islam Dass durch die De-Arabisierung bzw. die Dekonstruktion der Araber, ein „plötzliches“ Erscheinen des Korans als Paradox erscheinen muss, liegt auf der Hand. Betrachtet man die Geschichte der arabischen/semitischen Völker als eine über Jahrhunderte, ja Jahrtausende währende longue durée, so ist die Entstehung dieser Schrift aber schon eher verständlich, und die Quellen belegen dann eine andere, integrativere Sichtweise, die viel weiter ausholen kann, als etwa die engste Umgebung Mohammeds nach christlichen und jüdischen Gewährsleuten zu analysieren. Als einer der ersten westlichen Wissenschaftler hatte bereits Günther Lüling unter dem Korantext eine Komposition christlicher Hymnen vermutet und versucht, diese zu rekonstruieren.6 Wie bei anderen gleichartigen Rekonstruktionsversuchen, kann jedoch Lüling keine Belege aufweisen, wie und vor allem von wem genau dieser „Urtext“ verfasst und zu den heutigen Koransuren „umgeschrieben“ wurde. Im Gegensatz zu Olig und Crone, die eine Komposition des Koran auf Basis christlicher Grundlagen erst nach dem Tode des Propheten vermuten, ebenfalls ohne hierzu Belege erbringen zu können, verweist Lüling ebenfalls auf eine Gruppe von arabischen Gläubigen, die schon vor dem Propheten ein solches Gedankengut in Arabien vertraten, ohne jedoch den christlichen oder jüdischen Glauben anzunehmen.7 Diese 4 „There are only two possibilities. Either there had to be substantial numbers of Jews and Christians in Mecca or the Koran had to have been composed somewhere else.“ Interview mit Patricia Crone in: Stiller, Scholars. 5 Neuwirth, Koran, S. 91. 6 Günther Lüling, Über den Urkoran. Ansätze zur Rekonstruktion der vorislamischchristlichen Strophenlieder im Koran (Urkoran) (3. Auflage), Erlangen 2004. 7 Lüling, Urkoran, S. 10 f. Wobei man hier nicht von einer konkreten Rekonstruktion der Geschehnisse sprechen kann: „Lüling (…) does not mention any Christian individuals.“ Ghada

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Hanifen, also Dissidenten, waren auch in der engeren Umgebung des Propheten vertreten, aber, noch wichtiger, Ausdruck einer schon seit geraumer Zeit sich entwickelnden und ausbreitenden arabischen, monotheistischen Bewegung, die möglicherweise sogar schon vor dem christlichen Zeitalter begann.8 Denkbar ist auch, dass die Hanifen in der arabischen Halbinsel viel weiter verbreitet waren, als bisher angenommen, obwohl eine endgültige Bewertung über ihre Verbreitung kaum mehr möglich erscheint.9 Im Zeitalter des Propheten war die Idee des einen Gottes, Allah, schon längst bekannt, und es ist überliefert, dass Bilder von Jesus und Maria in der Kaaba nach ihrem Umbau 608 angebracht waren.10 Der wichtige Unterschied zum strengen Monotheismus war jedoch, dass die herrschende Klasse Allah gemeinsam mit all den anderen Göttern verehrte, auch um den zentralen Handelsplatz Mekka als Bezugspunkt verschiedenster Glaubensrichtungen attraktiv zu halten.11 Damit schuf man aber – unwissentlich – die Grundlagen für einen arabischen Monotheismus. Wie wir im Zuge der Diskussion über die hellenistischen Einflüsse auf die Identitätsbildung der Araber betrachtet hatten, kam beispielsweise den religiösen Messen Arabiens hierbei eine zentrale Rolle zu. Julius Wellhausen, der die hellenistischen Ursprünge zwar nicht nennt, ist sehr dezidiert, was deren Rolle bei der Entwicklung zum Monotheismus betrifft:

Osman, Pre-Islamic Arab Converts to Christianity in Mecca and Medina: An Investigation into the Arabic Sources (Converts), in: The Muslim World, Vol. 95, January 2005, S. 67 – 80, hier S. 67. 8 „That there were Arabs in the Northern Hijaz with a monotheistic outlook in the latter half of the sixth century BC has been deduced from such indications as the story of Job whose homeland was the upper Madyan region, south of the Dead Sea. The Quran reveals the Meccans of Muhammads day to be well aquinted with Allah, recognizing him. Him as creator and other deities as subordinate to Him.“ Trimingham, Christianity, S. 249. 9 So waren möglicherweise unter den in der südarabischen Stadt Nagˇran (im heutigen Saudi-Arabien) massakrierten arabischen Christen auch Hanifen. Vgl. Aishah S. Abu Al-Jadayell, The Religion of the Martyrs of Najran: A Reconsideration of the Primary Sources. Annals of the Arts and Sciences, Kuwait University, Vol. 24, No. 222/2004. 10 Qascha, Almesihin, S. 44. Interessant ist auch, dass der „halbarabische“ Kaiser Alex˙ ander Severus den Synkretismus seines Vorgängers Elagabal fortsetzte und es ist überliefert, dass er eine Kapelle einrichtete, in der seine göttlichen Vorfahren aber auch Christus und Abraham einen Platz hatten, Levick, Empress, S. 151. Zum monotheistischen Gedanken bei den severischen Kaisern s. o. Kap. 6.3. 11 „Die Furcht, dass sie sonst ihren Handel und Kundschaft verlören, ist ein Hauptgrund, weshalb die Mekkaner an dem Götzendienst festhalten.“ Wellhausen, Heidentum, S. 220; ähnlich auch Kister: er beschreibt diese neutrale Haltung Mekkas als einen wichtigen Eckpfeiler seiner wirtschaftlichen Sonderstellung: „Mecca, in this concept, was a neutral city, not involved in intertribal wars, a place of security and a sanctuary to which every Arab had the right to make pilgrimage. Only adherents of a state religion should be ordered to perform their pilgrimage to a temple established by the ruler. It is hardly necessary to observe that this neutral position enabled Mecca to expand its commercial relations with the tribes.“ J.M. Kister, Some Reports Concerning Mecca from Jahiliyya to Islam (Mecca), in: Jesho 15, 1972, S. 61 – 93, S. 66.

11.1. Monotheistischer arabischer Diskurs vor dem Islam

145

„Der Syncretismus, den man gewöhnlich als den eigentlichen Polytheismus ansieht, ist in Wahrheit eine Auflösung des Polytheismus, wenigstens des ethnischen Particularismus der Religion, der ihm zu Grunde liegt. Aber er ist ein Fortschritt, denn er bildet den Übergang zum Monotheismus. (…) bei den Arabern ist Allah allerdings aus dem Verfall des religiösen Ethnicismus hervorgegangen; daraus, dass die verschiedenen Götter den wichtigsten Grund ihrer Verschiedenheit, nemlich ihre Verehrung seitens verschiedener Völker, verloren und tatsächlich zu Synonymen herabsanken, in denen nur der allgemeine Begriff der Gottheit noch Bedeutung hatte.“12

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Eine solche monotheistische Bewegung, die sich beginnt gegenüber einem immer mehr abschwächenden Polytheismus durchzusetzen, benötigt natürlich auch einen Diskurs, welcher in einer Gesellschaft mit mündlicher Tradition zentral ist.13 Hier kann Hamilton Gibb den wichtigen Hinweis geben, dass in der von Wellhausen beschriebenen Messe von Ukaz, auf der auch Mohammed seine ersten Auftritte ˙ hatte, sich ein solcher Diskurs, in einem eigenen koranähnlichen Stil und Rhythmus, bereits vor seiner prophetischen Phase herausgebildet hatte: „It has already been argued that the religious vocabulary of the Qur’an presupposes the existence of a common fund of religious terms with a monotheistic reference. This passage suggests that the argument can now be carried further, to presume the existence of an established style of religious discourse. Like all early Qur’anic revelations it is rhymed throughout (inlong a.) but not in metre; it is the kind of rhyming prose called sa’f (‘cooing’), and used in Arabia for oracular utterances, proverbial sayings and the like. One obvious advantage of this style is that it facilitated memorizing (a matter of capital importance in a non-literate society), and there are evident indications that much of the material used in public preaching was cast into a form which aimed precisely at this result. Thus a tradition, professedly reported on the authority of Muhammad himself (…), quotes a discourse by the preacher Quss b. Sa’ida at the fair of ’Ukaz: man ’asha mat, waman mata fat, wa-kullu ma huwa atin at“ (,Whoso lives will die, whoso dies will pass away, and everything that is to come will come‘). The verbal authenticity of this and similar phrases attributed to him may perhaps be questioned, but the record at least indicates are miniscence of the use of what we may call rhymed slogans in such discourses.“14

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Der genannte Quss b. Sa ida war Christ und Reynold Nicholson geht dann soweit, diese Messen auch als Transmissionsstätte für die christlichen Ideen zu deuten: ˘

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„What Ukaz said to-day all Arabia repeated to-morrow. At Ukaz we are told, the youthful ˙ ˙ Muhammad listened, as though spellbound, to the persuasive eloquence of Quss b Sa ida, ˘

12

Wellhausen, Heidentum, S. 217. Neuwirth hat einen, sich im Laufe der Zeit verändernden Diskurs der gläubigen Gemeinde in den einzelnen Suren nachgezeichnet, und so den Koran als das Ergebnis einer „Diskurssequenz“ darstellen können, Angelika Neuwirth, Zur Archäologie einer heiligen Schrift. Überlegungen zum Koran vor seiner Kompilation, in: Christoph Burgmer (Hrsg.): Streit um den Koran. Die Luxenberg-Debatte: Standpunkte und Hintergründe, Berlin 2004, S. 130 – 146, hier S. 146. 14 Hamilton A. R. Gibb, Pre-Islamic Monotheism in Arabia, in: Harvard Theological Review, Vol. 55, Issue 04, October 1962, S. 269 – 280, hier S. 278. 13

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Bishop of Najran : and he may have contrasted the discourse of the Christian preacher with the brilliant odes chanted by the heathen bardes.“15

Dieser in Arabien verbreitete „monotheistische Diskurs“ war natürlich inspiriert von den arabischen Juden und Christen im Jemen, sowie den christlichen Arabern des Oriens in unmittelbarer Nähe Mekkas. Er dürfte aber von Anfang an darüber hinaus eine eigene arabische Identität und Ausprägung gehabt haben, die sich nicht diesen beiden Religionen zuordnen ließ.16 Von einem paradoxen „plötzlichen Auftauchen“ einer monotheistischen Botschaft in einer „abgelegenen Stadt in der Wüste“, kann man deshalb Abstand nehmen: „In der Zeit der scandinavischen Götterdämmerung, als Alles drüber und drunter ging, das Alte in Auflösung begriffen, das Neue noch nicht durchgebrochen war, hiess sich ein sterbender Mann, der den heidnischen Glauben verloren und den christlichen nicht gefunden hatte, hinaus in das Freie tragen, um seine Seele dem Gotte zu befehlen, der die Sonne geschaffen habe. Die muslimische Tradition über die Vorgeschichte des Islams nennt eine kleine Anzahl von ,Suchern‘ in Mekka und Täif, welche, vom Heidentum unbefriedigt, auf der Suche nach einer neuen Religion waren, das Gesetz und das Evangelium studierten, indessen sich weder dem Judentum noch dem Christentum völlig ergaben, wenngleich sie für das letztere grössere Sympathien hatten. Diese Sucher sind keine vereinzelte, auf Mekka und Täif oder Medina beschränkte Erscheinung, sondern das Symptom einer Stimmung, die in der Zeit vor Muhammad über ganz Arabien verbreitet war und manche der edelsten Geister beherrschte. Der Boden war bereit für den Islam.“ 17

Dieser Hinweis Wellhausens ist von großer Bedeutung! So erscheint es sinnvoll zu sein, den Koran bzw. die islamische Bewegung auch aus einer Perspektive der ihn formenden Gemeinde zu verstehen, wie dies etwa Angelika Neuwirth tut. Allerdings sollte man nicht der Versuchung unterliegen, die Grenzen dieser Gemeinde allzu eng zu formulieren, also auf das unmittelbare Umfeld des Propheten.18 Bisherige Versuche, die danach trachten, ein sehr detailliertes Bild der Umgebung Mohammeds zu rekonstruieren und nach christlichen „Informanten“ fahnden, können den konkreten Prozess der eigentlichen Redaktion bzw. der verwendeten „Vorlagen“ kaum mehr rekonstruieren.19 Ein derartiger Blickwinkel ist wohl zu eng, da versucht wird, einen ˘

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15 Nicholson, Literary History, S. 135 f. Al-Mas udi, Muru¯gˇ Ad-Dahab Wa-Ma a¯din Al¯ ¯Beirut 1984, S. 78, beˇ auhar (Die Goldwiesen und Edelsteingruben) (Muru¯gˇ), Band 1 – 2, G schreibt Quss als einen monotheistischen Gläubigen und Weisen, aber nicht als Bischof von Nagˇran. 16 Zu der kultischen Verehrung Allahs vor dem Islam auf der arabischen Halbinsel vgl. Trimingham, Christianity, S. 260 ff. 17 Wellhausen, Heidentum, S. 214. 18 Neuwirth, Koran, S. 107 ff. Dieser Fokus kann nach Neuwirth allerdings die Auseinandersetzung mit dem Text selbst nicht ersetzen (S. 111)! 19 Trimingham, Cristianity, S. 259, kann dann nur feststellen, dass es keinen direkten Kontakt des Propheten mit Christen gegeben haben kann, Osman, Conversions, rekonstruiert die Lebensläufe von vier Hanifen in Mekka zur Zeit des Propheten, und kann ebenfalls keine direkte Beeinflussung ausmachen. Kister analysiert die verschiedenen arabischen Quellen, um die Situation in Mekka zur Zeit Mohammeds nachzubilden, und kann diesen Prozess nicht

11.1. Monotheistischer arabischer Diskurs vor dem Islam

147

operativen Übertragungsprozess zu finden, der in Wirklichkeit viel größer war. So groß, dass ihn viele durch die De-Arabisierung und Dekonstruktion geleiteten Beobachter zu oft übersahen: Analysiert man aber diese Gemeinde etwas umfassender im Sinne der dargestellten integrativen Entwicklungen der arabischen/semitischen Völker, könnte man zu der Auffassung gelangen, dass das christlich-jüdische Wissen zur Zeit Mohammeds gar nicht explizit übermittelt oder gar redaktionell eingeschleust werden musste, weil es sowieso auch in der arabischen Halbinsel seit Jahrhunderten umfassend verbreitet war! So war schon für Nöldeke klar, dass das monotheistische Wissen der Araber vorhanden war, obschon er dies in seiner vorurteilsbehafteten Art und Weise mit dem „einfachen arabischen Gemüt“ erklärte, welches dieses bruchstückhafte und ungenaue Wissen als ausreichend empfand: „In Mekka hatten sich mehrere Mitglieder angesehener Geschlechter von dem alten Glauben losgesagt. Waraka, ein naher Verwandter Chadidscha’s, war zum Judenthum übergetreten (wenigstens ist dies viel wahrscheinlicher, als die gewöhnliche Nachricht, welche ihn zu einem Christen macht); Zaid ibn Amr hatte offen gegen die Nichtigkeit des Götzendienstes geredet. Juden von dem mit Mekka in vielfacher Verbindung stehenden Jathrib kamen gewiß öfter des Handels wegen nach Mekka oder hatten sich wohl ganz daselbst niedergelassen; wenigstens läßt die genauere Bekanntschaft Muhammed’s mit jüdischen Erzählungen und Redensarten, die sich schon in seinen früheren Offenbarungen zeigt, auf einen längern Umgang mit Juden schließen. Daneben gab es in Mekka einzelne Abyssinische und Griechische Christen, aber dies waren nur Sklaven und Freigelassene, welche größtentheils nie eine nähere Kenntniß ihrer Religion gehabt hatten und zum Theil wohl auch schon seit früher Jugend unter den Heiden lebten. Daher beschränkt sich Muhammed’s Kenntniß vom Christentum auf einige zum Theil absurd verdrehte Legenden und einige sehr verwirrte Bruchstücke von Glaubenssätzen. Aber dies Alles reichte schon hin, um ein empfängliches Gemüth in seiner Verehrung der alten Götter irre zu machen und zum reinen Monotheismus zu drängen, der sich überhaupt unter den damaligen Arabern schon kräftig durch die Vielgötterei durchzuarbeiten anfing. Wir brauchen Muhammed daher weder durch Mönche in Syrien, noch durch die Phantasieliteratur bis dahin ganz unbekannter Sekten belehrt werden zu lassen.“20

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Jedenfalls waren den arabischen Historikern, wie Mas udi, die Überträger eines solchen monotheistischen Diskurses bekannt, und er widmete in seiner Geschichtsbetrachtung ein gesondertes Kapitel den Trägern des monotheistischen Glaubens (Ahl At-Tawh¯ıd), die in dem Intervall (Fetra) zwischen Jesus und Mo˙ hammed durch ihren asketischen Lebensstil auffielen, weder Juden noch Christen waren und zumeist Abraham verehrten.21 Die Verehrung Abrahams, einer mystischen Figur, die nach der Überlieferung Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. gelebt haben soll, erscheint auf den ersten Blick überraschend. Bedenkt man aber, dass der

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erhellen, Kister, Mecca. Zum Versuch, im unmittelbaren Umfeld Mohammeds christliche und jüdische Gewährsleute zu finden: Claude Gilliot, Zur Herkunft der Gewährsmänner des Propheten, in: Karl-Heinz Ohlig/Gerd-R. Puin, Die Dunklen Anfänge, 2005 Berlin, S. 148 – 179. 20 Theodor Nöldeke, Das Leben Mohammed’s. Nach den Quellen populär dargestellt (Mohammed). Hannover 1863, S. 19; ders., Qorân, S. 8 ff. 21 Al-Mas udi, Muru¯gˇ, S. 78 – 90 ff.

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

„Abrahamstoff“ möglicherweise viel jüngeren Datums ist, vielleicht erst 600 – 500 v. Chr. entstand, ist seine Verwendung schon plausibler und seine Inkorporation Ausdruck einer schon diskutierten Verbreitung „imaginärer“ Elemente im arabischen/semitischen Raum.22

11.2. Christliche arabische Liturgie vor dem Islam und das Rätsel der Jahili-Dichtung Der monotheistische Diskurs dieser Sucher und Monotheisten wurde mündlich übertragen, es sind keine schriftlichen Zeugnisse überliefert.23 Die Betrachtungen zu einem solchen Diskurs sind deshalb scheinbar so schwierig, weil bis heute keine vorislamische arabische christliche Liturgie oder Bibelübersetzung bekannt ist. Es erscheint aber sehr unnatürlich daraus zu schließen, dass die Araber, die schon früh mit dem Christentum konfrontiert waren, keinen derartigen monotheistischen Diskurs entwickeln konnten, weil die Liturgie in dem verwandten aramäischen Dialekt abgehalten wurde.24 Zudem ist dies wohl kein Ausschließungsgrund für eine einfache arabische christliche Liturgie.25 Selbst dann, wenn es diese arabische Liturgie nicht gegeben haben sollte, müssten die arabischen Christen ja über ihre Religion auch außerhalb der Kirchen in ihrer Sprache reflektiert haben. Schließlich war das Christentum keine geheime Sekte und das Wissen über diese Religion muss sich über die Jahrhunderte in der ganzen Region, die ja keine geographischen Barrieren kennt und von verwandten „Völkern mit ähnlichen Dialekten“ bewohnt wird, verbreitet haben. Darüber hinaus sind das Arabische und Aramäische nicht so unterschiedlich,

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22 Vgl. John Van Seters, Abraham in History and Tradition. New Haven 1975, S. 33, 38, 309 ff. 23 „Es ist bedauerlich, dass weder in den Musnad-Inschriften, in der Jahili-Literatur noch in den griechisch/römischen Schriften etwas über ihre Lehre und Ansichten zu finden ist.“ Berha¯n ˇ azı¯rat Al Arab Qabla l- Islam (Arabische Halbinsel vor dem Islam), Beirut 2004, Aldin Dallu, G S. 628. Und schon Oswald Spengler dauerte diese Lücken: „(…) wüßten wir (doch) mehr von den Hanifen, den arabischen Puritanern vor und neben Mohammed. Sie besaßen alle das Bewußtsein einer großen Sendung, das sie Leben und Besitz verachten ließ (…).“ Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (13. Aufl.), München 1997, S. 934. 24 „Trotz des Mangels jeglicher Reste von arabischen Schrifttexten aus jener Zeit kann nicht angenommen werden, daß dem arabischen Christentum mehrere Jahrhunderte hindurch – war ja doch schon im 3. und 4. Säkulum das Christentum in Arabien bekannt und verbreitet – die Bibel, namentlich die 4 Evangelien, in ihrer Muttersprache mangelten.“ Georg Graf, Die christlicharabische Literatur bis zur Fränkischen Zeit: Eine literaturhistorische Skizze (Literatur), Freiburg im Breisgau 1905, S 1. Die arabische Sprache, der ja manche eine mangelnde Ausprägung in dieser Zeit vorwerfen, war wohl auch kein Hinderungsgrund für einen solchen Diskurs, wie die Überlieferungen aus dem Oriens vermuten lassen, Shahîd, Fourth Century, S. 291. 25 Siehe hierzu das Plädoyer von Shahîd, Fourth Century, S. 290 ff.

11.2. Christliche arabische Liturgie

149

als dass eine Transmission nicht funktioniert hätte,26 allenfalls würde man unterstellen, dass die arabischen Christen Jahrhunderte an einem aramäischen Ritus teilnahmen, den sie nicht verstanden und reflektierten.27 Auch sind die individuellen christlichen Bekehrungen wohl in Arabisch vorgenommen worden. In dem oben genannten Beispiel des Metropoliten Ahu¯demeh, wurde überliefert, dass dieser zwar ˙ Schwierigkeiten hatte, sich mit der arabischen Bevölkerung zu verständigen und deshalb auf zweisprachige arabische Christen aus Mesopotamien zurückgreifen musste. Wenn die arabische Bevölkerung dieselben Schwierigkeiten hatte, dann würde auch dies für eine einfache arabische Liturgie sprechen.28 Zeugnisse aus der frühislamischen Zeit machen zudem deutlich, dass selbst in der kaisertreuen orthodoxen (melkitischen) Kirche des Oriens in dieser Phase – und damit wahrscheinlich auch davor – die meisten Patriarchen Araber bzw. Syrer waren und deshalb die Ethnie ein klares Indiz sein sollte, dass ein solcher Diskurs vorhanden und wichtig war.29 Das Beispiel Mavias hatte auch gezeigt, dass Araber durchaus auch auf einen arabischen Bischof für ihre Gemeinden bestehen konnten, was ebenfalls ein Zeichen für eine sprachliche Nähe zwischen Klerus und Bevölkerung sein kann. Zudem waren sich die arabischen/semitischen Sprachen ja durchaus ähnlich und die Bevölkerung zu dieser Zeit mit dieser Mehrsprachigkeit wohl auch vertraut.30 Es bleibt zu erwähnen, dass Araber auf den verschiedenen Ebenen der 26 Die Nähe der beiden „Sprachen“ macht sogar eine Differenzierung oft schwer. So ist in den Werken des Hl. Hieronymus über das Leben des Hl. Hilarion überliefert, dass dieser in der paganen Stadt Elusa in der Negev einritt und von den heimischen Arabern mit den Ruf „Barech“ aufgefordert wurde, sie zu segnen. Wenn diese nun aber anstatt Barech (aramäisch) das fast gleichlautende arabische Wort (Barek) riefen, würde das für die Verwendung von Arabisch in ihrer Liturgie sprechen. Die einheimischen Araber mussten ja auch Arabisch für ihre pagenen Kulte verwendet haben: „The problem raised by the term ‘Barech’ in the Vita is important: none other than that of an Arabic liturgy before rise of Islam. The terms employed by Syriac and Arabic for bless are homophonous (sic!) or almost so in these two cognate languages, and if ‘Barech’ in the Vita turns out the Arabic ‘Barik’ mistaken by Jerome for Syriac ‘Barech’, then this will be a gain for the view that Arabic was employed in the celebration of the Christian liturgy before the rise of Islam.“ Shahîd, Fourth Century, S. 291. 27 Die Christen in südarabischen Nagˇran besaßen offensichtlich ein Evangelienbuch, welches beim Brand der Stadt 520 verloren ging, Graf, Die christlich-arabische Literatur, S. 2 f. 28 Shahîd, Fourth Century, S. 420. 29 „It is sometimes suggested that the Melkite church had a largely Greek-speaking hierarchy alienated from the majority of their congregations. It would seem that for the early Islamic period at least, this was untrue. As far as we can tell, the patriarchs were drawn almost exclusively from the Christian inhabitants of the Muslim world and it is likely that they, like most of their followers, were Syriac or Arabic speakers.“ Hugh Kennedy, The Melkite Church from the Islamic Conquest to the Crusades: Continuity and Adaptation of Byzantine Legacy, in: The 17th International Byzantine Congress: Major Papers, Scarsdale, New York. 1986, S. 325 – 343, hier S. 335. 30 Es wird von Waraka Bin Naufal, einem Verwandten Mohammeds überliefert, dass er sich in das Christentum vertiefte und die Bücher der Christen studierte, bis er mit ihrer Wissenschaft vertraut war. Selbst wenn dieses Buch auf Aramäisch oder Hebräisch verfasst war, macht dies für unsere Betrachtungen keinen Unterschied, da Bin Naufal diese Bücher offensichtlich lesen und verstehen konnte, Graf, Die christlich-arabische Literatur, S. 2.

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Kirche anzutreffen waren, bis hin zu einer ganzen Reihe an „syrischen“ Päpsten im achten Jahrhundert und kultisch verehrten arabischen Heiligen der Kirche.31 Verengt man auf der anderen Seite den Blick aber nur auf formelle Versatzstücke und Strukturen und blendet die „De-Arabisierung“ und „Dekonstruktion“ ein, die eine Interaktion zwischen unterschiedlichen Völkern und Sprachen kaum erkennen kann, wird man die Schlussfolgerung akzeptieren, dass das „(…) Christentum unfähig war, im Jahrzehnt vor der Higra in Mekka einen entscheidenden Einfluss auszuüben.“32 Zwar ist den Autoren derartiger Aussagen durchaus bewusst, dass mit diesen Urteilen auch die Annahmen verbunden sind, dass die einzelnen arabischen/semitischen Gruppen über Jahrhunderte mehr oder weniger isoliert voneinander existierten und keinerlei Diskurs über ihren Glauben in Gang brachten. Die Fakten lassen aber diesen Betrachtern kein Umdenken zu: „Anzeichen dafür, daß sich an diesem nüchternen und skeptischen Urteil (…) etwas wesentliches ändern sollte, fehlt meines Erachtens.“33 Es erscheint jedoch durchaus vertretbar zu behaupten, dass sich in den Jahrhunderten, in denen sich das Christen- und Judentum im Oriens und Arabien festsetzte, in denen sich arabische Monotheisten in Arabien verbreitet hatten, ein solches Narrativ mit eigenen Ausprägungen herausbildete. Dieses wurde durch den Islam in eine finale Form und Botschaft transformiert. Damit soll nicht gemeint sein, dass alle paganen Araber vor dem Islam – wie dies Lüling und nun auch Crone tun – quasi Urchristen gewesen sein müssen. Der Zwang zur nachträglichen Konstruierung des Islam aber – dies sollte nun argumentierbar sein – besteht ja vor allem auf Grund der De-Arabisierung der arabischen Geschichte, die den Arabern ihre Schrift erst 200 Jahre vor dem Islam zubilligt. Der so erkennbare Zeitraum erscheint zu kurz, um eine komplexe Schrift wie den Koran entstehen zu lassen. Der nun besser erkennbare vorislamische monotheistische Diskurs, der die Grundlage bzw. den Rahmen der islamischen Botschaft gebildet haben wird, erklärt nun, warum die christlichen Einflüsse oftmals ungenau und abweichend vom Original sind. Es war ja keine direkte Übertragung am Werk, sondern eine, die über Gespräche und Überlieferungen sich über Jahrhunderte geformt und verändert haben kann. In diesem Zusammenhang lösen sich nun auch die Vorwürfe gegen die Jahili-Literatur auf. Diese wurde von 31 Die Päpste Gregor III (743 – 41), Sisinnius (708) und Konstantin (708 – 15) waren Araber/ Syrer. Diese kamen zudem in einer Zeit auf den Heiligen Stuhl, als sich das Römische Reich und die Christenheit in einem Abwehrkampf gegen die Araber befanden. In Gregors Amtszeit fand die Schlacht von Poitiers statt und er war bis 2013 der letzte außereuropäische Papst, Shahîd, Fourth Century, 186 ff. Zu einer Diskussion über die arabischen Heiligen der katholischen Kirche, wie etwa Aretas, St. Sergius, Cosmas und Damian vgl. ders.: Sixth Century, Part 2, S. 949 – 967. 32 Hainthaler, Christen, S. 138. 33 Ders., Christen, S. 139. Immerhin gesteht Hainthaler zu „daß eine Verbindung zwischen christlichen Äthiopiern und Byzantinern und Syrern schwer vorstellbar sei, könnte man vielleicht etwas relativieren.“ (Ebd.). Davon abgesehen, dass diese längst belegt sind, ist wieder auffällig, dass eine Verbindung und Interaktion der Araber/Semiten untereinander hier keine Option zu sein scheint.

11.2. Christliche arabische Liturgie

151

Ta¯ha¯ Husain als Plagiat dargestellt unter anderem, weil sie einen monotheistischen ˙ ˙ Gedanken zu verkörpern scheint, der in der paganen Zeit nicht existiert haben dürfte.34 Lüling macht nun darauf aufmerksam, dass es weniger eine rückwirkende Fälschung ist, welche hier durchschimmert, sondern dass es die Auswirkungen des vorislamischen monotheistischen Diskurses sind, der diese Dichtung in seiner arabischen Art mitbeeinflusst hatte:

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„Es löst sich nunmehr auch der scheinbare Widerspruch auf, der darin bestand, daß sich bei den vorislamischen Dichtern allenthalben Gedanken und Wendungen finden, die auch im Qur a¯n enthalten sind. Weil man es – mit Recht –, für undenkbar hielt, daß der Qur a¯n aus diesen Dichtern geschöpft hat, wurde die Echtheit dieser vor dem Qur a¯n entstandenen Dichtungen bezweifelt (…).“35 ˘

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Die Dichtungen waren also durchaus dem Einfluss eines verbreiteten monotheistischen Gedankens bzw. Diskurses ausgesetzt und wirkten deshalb streckenweise monotheistisch. Auf diese Möglichkeit hatte bereits Arthur Arbrerry bei seiner Verteidigung der Authentizität der Al-Mu allaqa¯t hingewiesen: „The dilemma of the occurrence in the ancient poetry of so many references to Allah used to be resolved by supposing that this name had been substituted by the transmitters, all good Muslims, for an original al-La¯t, but there is however no reasonable doubt that the name of Allah, the supreme God, was well known to the Arabs of ignorance (…). Is it, moreover, not likely that poets seeking to command a wide hearing would deliberately alienate the sympathies of the greater part of their hoped-for audience by swearing in the name of purely local idols?“36

Diesen arabischen Monotheismus, der sich mündlich überlieferte und entwickelte, nennt Lüling den „christlichen Urkoran“, wobei er anmerkt, dass dieser das Produkt eines national-arabischen Wesens war, welches keine direkten Übertragungen aus dem Judentum und Christenheit vornahm, sondern diese Einflüsse aus arabischer Sicht verarbeitete und einem synkretischen Prozess aussetze, der schon lange vor dem Propheten begann und nun in einer eigenen Botschaft resultierte.37 Dass manche Hanifen die islamische Botschaft nicht unterstützten und nach Syrien und Äthiopien auswanderten und Christen wurden, liegt nach Lüling vor allem daran, dass sie sich einzelnen paganen Elementen wiedersetzten, die man zur Stärkung eines arabischen Nationalcharakters der Religion einfügte.38 Er scheint aber zu weit zu gehen, diesen Synkretismus als eine geheime Aktion darzustellen, die sich keiner Diskussion und Reflexion stellen durfte, damit diese „Re-Paganisierung“ in aller ˘

Husain, Al-Sˇ r Al-Ja¯hili, S. 27 ff. ˙ Lüling, Urkoran, S. 13. 36 Arbrerry, Seven Odes, S. 241. Zu den monotheistischen/christlichen Elementen in der vorislamischen Dichtung vgl. auch Qascha, Almesihin, S. 44 f. ˙ 37 Lüling, Urkoran, S. 10 ff. 38 Zu diesem Disput um Abu Amir und seinen 50 Gefolgsleuten vgl. Lüling, Urkoran, S. 11. Er bezieht sich hier vor allem auf Julius Wellhausen, Muhammed in Medina. Das ist Vakidi’s Kitab al Maghazi in verkürzter deutscher Wiedergabe, Berlin 1882, S. 103. 34

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Stille umgesetzt werden konnte. Er verweist in seiner Argumentation auf eine Studie von Birkeland, der die frühe Opposition gegenüber einer solchen entlarvenden Interpretation belegen soll.39 Birkeland kann eine solche Restriktion aber erst im zweiten islamischen Jahrhundert orten, als Regeln für einen solchen Tafsı¯r festgelegt werden mussten; in der Phase des Propheten und in dem Jahrhundert danach waren solche Restriktionen nicht zu erkennen:

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„The first Muslim generation regarded tafsı¯r, of Allah’s word in the Koran as a natural activity. As means of interpretation of sayings of the Prophet himself or his companions, information from ,Peoples of the Book‘, ancient Arabic poems, with the addition of sound reasoning, (ra y) were regarded as self evident.“40

11.3. Politische Konsolidierung und ihr Preis Man kann nun unabhängig von dem sakralen Akt der Verkündigung einen breiten und integrativen Prozess erkennen, der sich über Jahrhunderte hinweg ausformte, von den verschiedenen arabischen/semitischen philosophischen, religiösen und imaginären Quellen genährt wurde, und durch eine prophetische Verkündigung seinen Höhepunkt fand. An diesem Prozess ist wenig Paradoxes zu finden und noch weniger Geheimnisvolles; und mit einem Blick auf die zeitgenössischen arabischen Historiker ist die Erkenntnis, dass sich in Arabien vor dem Islam nicht nur arabische Heiden, Juden und Christen, sondern auch arabische Monotheisten befanden, ein allgemeines Wissen, das auch durch die entsprechenden Verweise aus dem Koran belegt wurde, aber kaum Eingang in die westlichen Betrachtungen findet.41 Dass der Integrationsprozess des Islams mit den Hanifen nicht immer gelingen konnte, kann unterschiedliche Ursachen haben. Wahrscheinlich kam es dazu, dass – wie bei den anderen großen Religionen auch – man archaische Elemente in den monotheistischen Diskurs einfügte.42 Diese waren aber vielleicht für manche ur-monotheistische Hanifen nicht akzeptabel und sie wanderten teilweise in christliche Gebiete aus.43 Eine andere Betrachtung ist jedoch, dass die Hanifen weniger monotheistisch waren als vermutet und deshalb als eine Art Brücke zwischen Islam und proto-monotheistischen Strömungen fungieren konnten. Es waren ja selbst die arabischen Christen weniger streng monotheistisch als oftmals angenommen: „Warum war Quraish gegen die neue Botschaft? Nicht weil diese Botschaft eine neue, reine Lehre verhieß, sondern weil sie das bestehende System (in Mekka) empfindlich störte, weil

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39 Harris Birkeland, Old Muslim Opposition against Interpretation of the Koran (Opposition), Oslo 1955. 40 Ders., Opposition, S. 42. 41 Vgl. z. B. Sousah, Al Arab Wa Il Yahu¯d, S. 264; Abd Aun Alrusnan, Musu a Tarih Al˘ Arab (Enzyklopädie der arabischen Geschichte), Amman 2004, S. 234 ff. 42 Hier insbesondere die Verwendung des Gartens (Al Jena), der auf dem paganen Fruchtbarkeitshain basiert (Höhenkult des Alten Testaments), Lüling, Urkoran, S 6. 43 Osman, Converts.

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11.3. Politische Konsolidierung und ihr Preis

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sie die ,Gemeinschaft auseinanderdividierte‘. Eine derartige Vorgehensweise wurde etwa von den arabischen Christen nie angestrebt. Vielmehr hatten erstaunlich wenig Christen ein Problem, neben ihrem monotheistischen Glauben, die Kaaba und andere Götzentempel zu verehren.“44

Glen Bowersock deutet nun auf die Doppeldeutigkeit des Wortes Hanif hin, welches sich für eine intendierte Anbindung sowohl an eine bestehende monotheistische bzw. proto-monotheistische Strömung sehr gut eignet.45 Er sieht auch die Notwendigkeit, dass die Hanifen eingebunden werden mussten, und kann dann nur vermuten, dass die Integration nicht vollständig war, da Mohammed einen stärkeren Monotheismus verfocht, als die Hanifen.46 Möglicherweise fanden auch die auf individueller Basis gläubigen Hanifen, eine ihrer Individualität akzeptierende Christenheit eher zuträglich, als den sich nunmehr streng monotheistisch und legistisch organisierenden Islam. Denn dies war die eigentliche Innovation, die der Botschafter bei der Formulierung des Glaubens erreichte: eine integrative Botschaft, die Elemente der Stammeskultur beinhaltete, die aber streng monotheistisch war, strenger noch als die beiden älteren Religionen und insbesondere die trinitarische

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Qascha, Almesihin, S. 237. ˙ „The paradoxical double sense of the word hanif or hanafi, which allows it to describe both a believer and a pagan, implies a world in which there could be true and false monotheisms.“ Glen W. Bowersock, The Throne of Adulis. Red Sea Wars on the Eve of Islam (Adulis), New York 2013, S. 130. Wellhausen sieht die Rolle der Hanifen als Bindeglied zur monotheistischen Bewegung in Arabien ebenfalls deutlich: „Muhammad hat von den frommen Dissenters in Mekka seine ersten Anregungen empfangen und von diesen schlägt der Name Hanif eine Brücke zu den christlichen Asceten, von denen auch anderweitig bekannt ist, dass sie einen gewaltigen Eindruck auf die Gemüter der Araber gemacht haben.“ Wellhausen, Heidentum, S. 240. 46 Bowersock, Adulis, S. 126 ff. weist hier die Thesen von Crone zurück, die wie Lüling vor ihr argumentiert, dass alle paganen Araber eigentlich Monotheisten waren. Crone argumentiert dies anhand der Feststellung, dass die vielen anderen Götter und Engel der Polytheisten ja Allah unterstellt und keine Schöpfer waren, was ihre Rolle für die Heiden paradoxerweise nicht minderte: „The reason why the pagans could not see the inconsistency is no doubt that from their point of view there was none. The fact that the lesser deities were not participants in the creation did not imply that they were either created or powerless. Rather, they were sons and daughters of God, by which one takes them to have meant manifestations or hypostases of the divine, like the Old Testament divinities known as sons of God, later called angels, or like Christ to the Christians (many of whom had once understood him as an angel, too).“ Patricia Crone, The Religion of the Qur a¯nic Pagans: God and the Lesser Deities, in: Arabica No. 57, 2010, S. 151 – 200, hier S. 160. Auch wenn Crone in ihrer Argumentation einen monotheistischen Narrativ in Nordarabien ebenfalls unterstützt, erscheint es doch sinnvoll zwischen Hanifen und Heiden zu unterscheiden, wie dies in den arabischen Überlieferungen auch getan wird. Selbst wenn nämlich die Anbetung Allahs als Ausdruck eines monotheistischen Gedankens vor dem Islam geschah, so wurde dieser immer innerhalb eines Götzenpantheons verehrt. Und hier liegt etwa ein Unterschied zu einem reinen Monotheismus, in dem die anderen „Götter“ ja nur Botschafter (Angelos) waren, und nicht Mitglieder des Pantheons: „The angels of these monotheists mediated between God an man, but they did not mediate between God and lesser Gods.“ Bowersock, Adulis, S. 131. ˘

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Christenheit.47 Das Christentum in seiner hellenistischen Form hatte nur mehr wenig mit seiner semitischen Urform zu tun, und schien zu den Lebensumständen der Araber und ihren Anforderungen nicht mehr zu passen: „While the Greeks were engrossed in their attempts to define the nature of god, the Arabs were more interested in what god wanted them to do. On actual fact, both Judaism and Christianity also at first had been practical religions, concerned how man should obey gods will, for both religions had originated among semitic tribesman and peasants akin to Arabs. But Christianity did not reach Arabs from the Jews (…). It reached them several centuries later, filtered through the intellectual subtlety of the Greeks.“48

In dieser hellenisierten Form konnte das Christentum durchaus von den Arabern angenommen und „ausgenützt“ werden.49 Eine wirkliche Änderung des Bewusstseins schien aber damit nicht einhergehen zu müssen. Und eine konsolidierende Staatsbildung konnte nun mit dieser Art der religiösen Wahrnehmung nicht unterstützt werden. Der rigorose Monotheismus des Islam hingegen war durch seinen legistischen – damit dem Judentum sehr nahen – Charakter eher in der Lage, eine Änderung herbeizuführen: „As a result it presented to the simple Arab mind (!?) a more satisfying basis of life than did the incomprehensible hairsplitting dogmas of the Greek. In this sense Islam may indeed have been an unduly vehement protest against the fact the real message of Christianity had been submerged by the subtleties of Greek dogma.“50

Die ursprüngliche christliche Botschaft wäre möglicherweise viel effektiver gewesen, konnte in ihrer Urform aber nicht mehr vermittelt werden: „Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen würden, dass ohne den Glaubenssatz, dass Christus der Sohn Gottes sei, die christlichen Lehren von Frieden und Liebe doch die Herzen der Araber mehr bewegt hätten.“51

Das Ziel war somit, trotz eingehandelter Widersprüche durch die Übernahmen (und Transformation) paganer Elemente, eine ergreifende monotheistische Botschaft und damit auch vertragliche Grundlage zwischen Gott und dem Menschen zu erschaffen, damit der Horizont des Stammesdenkens verlassen und die Bewegung Weltdeutung erlangen konnte. Es ist erstaunlich, dass schon lange vor dieser aktuellen Diskussion, in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, der berühmte irakische Poet und Philosoph Al-Rusafi, in dieser strengen Auslegung des Mo47

Bowersock vermutet, dass Mohammed hier auf den Erfahrungen der Kooperation des dualistischen Zoroastrismus der Perser mit den monotheistischen Juden aufbaute. Diese Kooperation zeigte, dass es keine religiöse Integration auf Basis eines einheitlichen Gottesgedanken geben muss, Bowersock, Adulis, S. 130. 48 Glubb, Conquests, S. 30. 49 „Arab humanism provides the reason why Arabs could accept the type of Christianity which they met. Since religion existed to be exploited by man, not to challenge and change man.“ Trimingham, Christianity, S. 244. 50 Ebd. 51 Qascha, Almesihin, S. 44. ˙

11.3. Politische Konsolidierung und ihr Preis

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notheismus die eigentliche Leistung Mohammeds erkannte. Al-Rusafi weist darauf hin, dass die Widersprüche, die durch die Zurückweisung der arabischen Heiden, aber nicht der Christen, auftraten, nicht mit religiösen Argumenten aufgelöst werden konnten: Wenn die Idee, dass die Engel und Götter der Heiden, die ja für die paganen Muschrikun Teil von Allahs Pantheon waren, ihm also beigesellt wurden (Teilnahme = Muschrik), zurückgewiesen wurde, warum akzeptierte Mohammed dann die Christen, die mit der Definition von Jesus als Gottes Sohn eine ähnliche Situation schufen?52 Hier erkennt Al-Rusafi, die politischen Notwendigkeiten und das globale Ziel der Botschaft als maßgeblich: „Dass Mohammed die „Tribute“ von ihnen (Juden und Christen) akzeptierte, aber nicht die der arabischen Muschrikun, zeigt, dass er nicht eine religiöse Erneuerung beabsichtigte, sondern eine arabische religiöse, gesellschaftliche und politische Erneuerung, die anfänglich arabisch war, aber dann die gesamte Menschheit umfassen sollte. Die Araber sollten diese Erneuerung beginnen und die Menschheit sie vollenden.“53

Um zunächst die arabischen Muschrikun der Halbinsel zu integrieren, mussten also Brücken gebaut werden. Die Verbindung zu den traditionellen Elementen konnte über die Hanifen geschehen, aber auch durch den Einbau von paganen Versatzstücken in der Religion. Diese archaischen Elemente wurden aber nicht einfach übernommen. Besonders der von Lüling hier genannte pagane Fruchtbarkeitshain, den er als das Paradies des Korans wiedererkennt, hatte eine sehr wichtige Rolle in der politischen Werdung der neuen Religion. Auf diese weist Al-Rusafi hin, indem er lakonisch bemerkt, dass irdische Anreize allein für eine derartige Bewegung nicht ausreichend waren: der Einsatz für die Sache Gottes, wenn er auch den Tod bedeutete, musste dann auch im Jenseits belohnt werden.54 Allerdings scheint der Rückgriff auf archaische Traditionen in diesem Fall zumindest, eher eine Neuauslegung gewesen zu sein. Denn wie wir anhand von Beispielen erkennen können, war dies für die mehr säkularen als paganen beduinischen Araber der damaligen Zeit – aus welchen Gründen auch immer – eine neue Idee.55 So wichtig es war, die be-

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52 „Die Christen machten aus Christus den Sohn Gottes (…) Es gibt also keinen Unterschied zwischen ihnen und den arabischen Muschrikun. (…) Wenn sie einen Menschen zum Gott erhoben, dann gibt es keinen Unterschied zur Anbetung eines Baums oder Planeten.“ Ma ru¯f AlRusafi, Al-Sˇahsiah al Mohamdı¯ya (Mohammeds Persönlichkeit) (Al-Sˇahsiah), Köln 2002 ˙ ˘ Originalausgabe ˘ (Nachdruck der von Bagdad/Falluja 1933), S. 20.

Ders., Al-Sˇahsiah, S. 20 f. ˘ Ders., Al-Sˇahsiah, S. 22. ˘ 55 So war den paganen Beduinen etwa die für den Monotheismus zentrale Idee des Lebens nach dem Tod etwas durchaus Fremdes. Und so klingen manche vorislamischen Gedichte der Al-Mu allaqa¯t, manchmal eigentümlich pessimistisch und fatalistisch, wie das berühmte Beispiel der Ode Tara¯fas zeigt: „Nay, by thy life, I fear not. I hold not time in weariness;//Neither hath Death distressed me, nor night what it brought to me.//Because I see Death spares none. It smites with an even hand,// Bows not to names exalted, nor knows it men’s dignities;//Because with death behind me, myflight can avail me not,//Neither can I outwit him, he lying in wait for me.//The days to come, what are they? A handful, a borrowing://Vain is the thing thou fearest. To-day is the life of thee.// 53

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

stehenden Monotheisten zu integrieren, so mussten vor allem die unabhängigen Beduinen, die eigentlich „keine Religion brauchen“, ebenfalls in das Herrschaftssystem integriert werden. Deshalb mussten die vertrauten archaischen Elemente scheinbar wirksamer und effektiver gemacht werden. Glen Bowersock vermutete, dass die politischen Unruhen in Arabien zur Zeit Mohammeds massiven Einfluss auf die Formulierung der islamischen Botschaft hatten.56 Wie beschrieben, waren hier ja nicht nur die Konflikte zwischen Rom und Persien, sondern auch die Auseinandersetzungen zwischen arabischen Juden und Christen in Südarabien, sowie der Angriff des wieder christianisierten Südarabiens auf Mekka zu erwähnen. Nun sind unsichere Zeiten eine gute Voraussetzung, um eine monotheistische Botschaft zu formulieren.57 Dies hat vor allem mit den psychologischen Eigenheiten dieser Botschaft und ihrer politischen und religiösen Institutionalisierung zu tun. Wenn man die inneren Verdienste der monotheistischen Religion und des Glaubens übergeht, kann man einige psychologische Bedingungen formulieren, die das Anwachsen und den Sieg dieser Idee begünstigten. In Eric Dodds Studie über den Sieg des Christentums über die Heiden sind diese Faktoren sehr eindrucksvoll dargestellt und es spricht wenig dagegen, diese auch auf unsere Situation anzuwenden: Unter den Umständen der Unsicherheit ist die Weigerung, andere Formen des Gottesdienstes anzunehmen, eine grundlegende Stärke! Die religiöse Toleranz der Römer und Griechen hatte eine verwirrende Masse an spirituellen Alternativen angehäuft. Der Monotheismus macht hier reinen Tisch, indem er „(…) die Bürde der Freiheit von den Schultern des Einzelnen (nahm): Eine Wahl, eine unwiderrufliche Wahl, und der Weg zur Rettung war bereit.“58 Zudem ist eine inklusive Organisation, der man ohne große Eingangsvoraussetzungen beitreten kann, in der Lage, eine außerordentliche Mobilisierung herbeizuführen. Zumal wenn die zu Grunde liegende Religion auch in der Lage ist, eine Vergebung der Schuld durch den Verweis auf ein besseres Leben im Jenseits anzubieten.59 Und diese Organisationsfähigkeit war, wie wir schon beim Konflikt mit der individualistischen und säkularen Lebensweise der arabischen Beduinen erfuhren, dringend notwendig, um eine politische und militärische Mobilisierung zu erreichen.60 And death is as a well-spring: to it men pass and pass://Near them is each to-morrow, near them was yesterday.“ (In der Übersetzung von Anne Blunt/Wilfrid Blunt, The Seven Golden Odes of Pagan Arabia, Known also as the Moallakat, London 1903, S. 14). 56 Bowersock, Adulis, S. 130 ff. 57 Zu der Krise der Eliten in Mekka durch den Römisch-Persischen Krieg und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaft vgl. Kamal S. Salibi, A History of Arabia, New York 1980, S. 76. 58 Eric R. Dodds, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst. Aspekte religiöser Erfahrung von Marc Aurel bis Konstantin (Angst), Frankfurt/M. 1992, S. 114 f. 59 Ebd. 60 „The success of the conquests was, then, first and foremost the product of an organizational breakthrough of proportions unparalleled in the history of Arabian society until modern times.“ Donner, Early Conquests, S. 269.

11.3. Politische Konsolidierung und ihr Preis

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So wie die Dinge lagen, war die politische Institutionalisierung des in der arabischen Welt schon seit Jahrhunderten geläufigen monotheistischen Gedankens der Abschluss eines langen Prozesses, der in der Person des Propheten einen Kristallisationspunkt fand, der die gegebenen Strömungen und politischen Rahmenbedingungen ausnutzen musste und konnte. Die Situation, die aus großer Unsicherheit auf der einen Seite und der Möglichkeit, nach dem Sieg des Heraclius gegen die Perser ein Machtvakuum füllen zu können, auf der anderen Seite, bestand, wurde durch die Formulierung einer integrativen, aber streng monotheistischen Botschaft ausgenutzt. Damit soll nicht gesagt sein, dass dieser Wandel hin zum Monotheismus in der islamischen Form selbst in Arabien einfach war. Im Gegenteil muss man davon ausgehen, dass viele Araber noch länger an ihren Göttern, die oftmals ähnlich den römischen Laren, die Gestalt persönlicher Schutzgötter annahmen, festhielten.61 Was uns aber die Rekonstruktion des arabischen Elements vor allem auch als Träger eines monotheistischen Diskurses lange vor dem Propheten nunmehr erlaubt, ist eine zusätzliche Perspektive für das Aufkommen des Islams. Dass eine solche integrative Sichtweise auf Arabien und die Araber mehr und mehr sinnvoll erscheint, deuten selbst Vertreter der revisionistischen Sichtweise in letzter Zeit vorsichtig an: „Arabia seems to have been a much more developed place than most Islamicists (myself included) had ever suspected – not just in the north and south, but also in the middle. We are beginning to get a much more nuanced sense of the place, and again it is clear that we should think of it as more closely tied in with the rest of the near east than we used to do.“62

Die Notwendigkeit eines nachgeschobenen, legitimierenden Plagiats ist aus dieser Perspektive nicht notwendig. Der Monotheismus und sein Diskurs waren in seiner christlichen, jüdischen und hanifischen Ausprägungen schon seit Jahrhunderten vor dem Islam in Arabien und dem Oriens vorhanden und konnte deshalb als Basis für die religiöse Botschaft und die politische Werdung der Araber im siebten Jahrhundert dienen. Einen konspirativen Zirkel von Koranredakteuren aber, braucht es in einer solchen Betrachtung nicht. Vielmehr kann man annehmen, dass das monotheistische Wissen schon weit verbreitet, ein Allgemeinwissen oder zumindest aber ein tacit knowledge war, und sich über die Jahrhunderte in einer spezifisch arabischen Form entwickelte, die nun institutionalisiert, integrativ ausgestaltet und so auch politisch aktiviert wurde.63 61 Vgl. für eine seiner Meinung nach unterschätzte Bindung der paganen Araber an ihre Götter: Michael Lecker, Was Arabian Idol Worship Declining on the Eve of Islam?, in: ders. (Hrsg.), People, Tribes and Society in Arabia around the Time of Mohammad, Aldershot, 2005, S. 1 – 43. Lecker gibt zu bedenken, dass es Mohammed erst nach 10˙ Jahren mühsamer Überzeugungsarbeit gelang, seinen Monotheismus in Mekka und Medina durchzusetzen (S. 36). In Anbetracht der weltgeschichtlichen Auswirkungen dieser Konversionen, war dies aber wohl eine erstaunlich kurze Zeit. 62 Patricia Crone, What Do We Actually Know About Mohammed?, in: Open Democracy, 10.6. 2008, online verfügbar: http://www.opendemocracy.net/faith-europe_islam/moham med_3866.jsp, (Stand 10.9. 2013). 63 In diese Richtung argumentiert auch Lüling, der den arabischen Monotheismus als arabisch-christlich definiert: „Die Eigenheit der islamischen Entscheidung in dieser zentral-

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11. Übertretungen: Der „christliche“ Koran

Das „Geheimnis“ des Sieges des Islams und der plötzlichen Ausbreitung des Arabertums scheint sich also etwas zu lüften und zudem von der Notwendigkeit geheimnisvoller Machenschaften zu befreien. Es bleibt die einzigartige Leistung der Araber in dieser Situation, in die Weltgeschichte eingetreten zu sein und sich gegenüber zwei Weltmächten durchgesetzt und eine Weltreligion begründet zu haben. Der Erfolg der islamischen Botschaft war damit militärisch und institutionell zwar noch nicht gesichert, man war sich jedoch vielleicht bewusst, dass man Teil einer arabischen Bewegung war, deren Moment nun gekommen war. Al-Rusafi drückte diese „Normalität“ bzw. den deterministischen Charakter dieser Entwicklung bei seiner Betrachtung über die Persönlichkeit Mohammeds in seiner ihm eigenen Art und Weise wie folgt aus: „Dies alles weist darauf hin, dass Mohammed schon vor seinem Prophetentum die Traditionen und das Denken seines Clans verließ. (…) Allerdings war der Austritt aus diesen Traditionen keine einzigartige Tat. Die Abneigung gegen Götzen brauchte kein weitausholendes und auch kein großes Denken. (…) Mohammed war nicht der Erste, der Götzen verabscheute, viele im Land der Araber hatten es ihm zuvor gleichgetan. (…).“64

arabisch-mekkanischen Situation einer notwendig gewordenen Wandlung des arabischen Christentums liegt darin, daß der Islam die mit dem Urqur’an bezeichnete archaisch-christliche Position – die in gewissem Sinne infolge ihrer ansehnlichen Tradition in Arabien auch schon als ,national-arabisch‘ gelten konnte – nicht in Richtung auf eine sich (politisch) von außen anbietende konfessionelle Einengung und Abhängigkeit verließ, sondern in Richtung auf sich selbst, d. h. in der Besinnung und im Rückgriff auf die eigenen altarabischen religiösen Traditionen.“ Lüling, Urkoran, S. 11. 64 Al-Rusafi, Al-Sˇahsiah, S. 128. ˘

12. Conclusio Die Araber – so die hier aufgezeigte Perspektive – waren aus der Sicht vieler arabischer Wissenschaftler keine obskure Gruppe, die erst relativ kurz vor dem islamischen Sieg die Weltbühne betrat. Vielmehr werden die Araber als zentraler Kern dessen betrachtet, was die westlichen Wissenschaftler als Semiten betitulieren. Die weitgehende Gleichsetzung der Araber mit den Semiten/Ursemiten schafft eine völlig andere Perspektive auf die arabische/semitische Geschichte. Diese entwickelte sich nun entlang einer longue durée, die als Betrachtungsfeld, die über die Jahrtausende währenden Wanderungen arabischer/semitischer Gruppen umfasst. Diese Gruppen schufen in den verschiedenen Teilen der arabischen Welt Städte, „Zivilisationen“ und Dialekte/Sprachen. Durch diese Wanderbewegungen, die zum Teil heute noch existieren, wurde ein zivilisatorischer Raum geschaffen, dessen Bewohner gewisse kulturelle und sprachliche Gemeinsamkeiten aufwiesen und vielleicht sogar so etwas wie eine gemeinsame Identität, der man sich auch bewusst war, die sich nachweisbar etwa in sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten sowie im Imaginären, in kollektiven unbewussten Urbildern dieser Völker widerspiegelt. In jedem Fall scheinen die Möglichkeiten, mit dem klassischen Arabisch, andere semitische Texte zu lesen, ein starkes Indiz dafür zu sein, dass das Arabisch durchaus Attribute hat, die einer Matrixsprache im „semitischen“ Raum ähnlich sind. Die Beobachtung westlicher Forscher, dass die heutige arabische Schrift erst mit dem fünften Jahrhundert nachweisbar ist, ist natürlich richtig. In der aufgezeigten Perspektive ist die mit über 90.000 Musnadinschriften übersäte arabische Halbinsel aber Heimat einer uralten Schrift, die man arabisch lesen kann, und somit ein wahrscheinlicher Vorläufer, der sich erst später durchsetzenden nordarabischen Schrift, die wir heute kennen. Nun ist eine zentrale Feststellung dieser Studie, dass die westliche und arabische Sichtweise in der Evaluierung der arabischen Präsenz in Arabien, aber auch in den Gebieten des römischen Ostens auseinanderklaffen. Und dies, obwohl bei vielen zentralen Punkten Übereinstimmung herrscht. Auch die westliche Sicht vermutet Wanderbewegungen aus Südarabien in den Norden, nur werden diese Wanderungen anders betitelt, als semitische Emigrationen etwa, die unterschiedliche Zivilisationen schufen, die schon früh wenig miteinander zu tun hatten bzw. deren gemeinsames Erbe schon in der Antike jenseits der Erinnerung der einzelnen Zivilisationen zu liegen scheint. Die wichtige Phase der Verteilung und Differenzierung des arabischen Elements in Arabien und im Oriens fehlt dann der westlichen Auffassung der arabischen Geschichte, die erst Jahrtausende später, mit dem vierten oder sogar fünften

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12. Conclusio

Jahrhundert einsetzen kann. Das arabische Element wurde durch die künstliche „semitische“ Beschriftung quasi de-arabisiert, in verschiedene Einzelteile dekonstruiert, welche in spezialisierten Teilgebieten betrachtet werden, und deren gemeinsame Strukturen somit immer unkenntlicher wurden. Die Konsolidierung dieser Elemente in der künstlich geschaffenen Gruppe der Semiten verschleiert die arabische Zivilisationsentwicklung und lässt die Gemeinsamkeiten und Entwicklungslinien der einzelnen arabischen/semitischen Gruppen in den Hintergrund treten. Die Erinnerungen der Araber an ihre südarabische Heimat und an die Musnadschrift als ihre alte Schrift, werden vom Westen ignoriert und als nationalistische Konstrukte abgestempelt, die die Errungenschaften der durch die Dekonstruierung notwendig gewordenen Teilwissensgebiete ignorieren. Diese De-Arabisierung ist auch bei den Arabern im Römischen Reich erkennbar und wird durch weitere Elemente ergänzt, nämlich Vorurteile und negative Attribuierungen. Diese Sichtweisen herrschen vor, trotzdem die Araber im römischen Imperium bis an die Spitze der Regierung gelangten, mehrheitlich Christen waren und die Verteidigung der östlichen Grenzen Roms verantworteten. Vielleicht – so die hier vertretene Sicht – waren es gerade diese engen Verflechtung und Abhängigkeiten, die bei den Römern derart negative Attribuierungen hervorriefen: aus Sorge oder vielleicht Angst vor einem übermächtigen, fremden Orient. Diese Ängste fördern Vorurteile und Herablassungen, welche die eigene Position stärken sollen. Diese Attribute wurden dann auch von den Orientalisten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts aufgegriffen. In ihrer bewussten oder unbewussten Ablehnung des orientalischen/semitischen Elements, des arabischen Nationalismus und des Islams, der die Christenheit aus dem Orient vertrieb, konnten die Orientalisten Versatzstücke der hellenistisch-römischen Zeit einpassen, welche die Araber als Barbaren und Bedrohung des Reiches erkannten. Auch in dem aktuellen Clash of Civilization-Diskurs erfahren diese Portraits eine Verwendung: Die Sorge um die eigene Position führt zu einer Abwertung des „alten Rivalens“. Dessen Unzulänglichkeiten beginnen dann bereits mit seinen geschichtlichen Wurzeln. Negative Attribuierungen und eine Verkürzung bzw. eine unkenntlich machende Dekonstruierung dieser Geschichte, kompensieren dann Ängste vor dem Gegenüber. Mit dieser De-Arabisierung entsteht aber das Problem, dass das Aufkommen des arabischen Islams und sein Sieg gegen Rom nicht erklärbar sind. Folgt man hingegen der longue durée der arabischen Betrachtung, so kann man diese kulturelle, religiöse und auch politische Bewegung der Araber als einen in Ansätzen schon Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende früher initiierten Prozess betrachten, der durch westliche Beschriftungen und die De-Arabisierung aber allzu oft unkenntlich blieb. Erstaunlich ist, dass manche westliche Wissenschaftler in Mekka nach christlich-jüdischen Redakteuren forschen, obwohl viele, wenn nicht vielleicht sogar die meisten Araber zu dieser Zeit wohl Christen oder Juden waren und der monotheistische Gedanke und Diskurs überall in der Region verbreitet war. Dieses Allgemeinwissen konnte die arabische monotheistische Bewegung schon vor der Verkündigung fortwährend

12. Conclusio

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stärken und beeinflussen und erfuhr in der Botschaft des Islam dann ihren Höhepunkt. Eine Annäherung westlicher und arabischer Geschichtsbetrachtungen ist bis auf Weiteres nicht absehbar. Zu weit scheinen die westlich dominierten Teildisziplinen schon fortgeschritten, um eine – wenn möglich sogar mit den Arabern gemeinsam unternommene – Konsolidierung und Rekonstruktion der Geschichte der Araber vor dem Islam zu wagen.

Summary: Pre-Islamic Arabia and Oriens as part of the Greco-Roman world: A case of Dearabisation of Arabic History The pre-Islamic Arabs in the view of modern Arab historians were by no means outsiders to their own history that stepped onto the stage of world politics only shortly before the Arab conquest of the Roman Oriens and the Sassanid Empire. In the Arab perspective, the so-called “Semitic migrations” that originated in South Arabia from 3500 BC onwards were in essence circulating migration movements of Arab tribes that lead to the creation of different empires and states in the Near East. The artificial label of Semitic languages and people conceals the fact that this was in essence an “Arabic” process of civilizational development. Acknowledging the fact that the Arab consciousness was in no way comparable to modern nationalistic sentiments and also that the dialects/languages that have emerged from this process developed in different directions over time, this view maintains that some sort of cohesion and similarity between “Semitic” languages, scripts, civilizations and cultures endured despite all their apparent differences. An important finding in this context is that the “Arabic” script is not a recent development but derives from a much older script found ubiquitously in the Arabian Peninsula. This “Musnad” script probably had derived from the Canaanite script and hints to a long process of scriptural evolution that eventually led to the development of the Northern Arabian alphabet that is still in use today. It is perhaps even more important that the classical Arab language seems to serve as a kind of matrix language, making it possible to read many of the other Semitic languages as Arab texts. The “Western” view of this process does recognize most of these developments, but due to an on-going scientific deconstruction and specialization it is not able, or willing, to let a more integrative perspective prevail: Dialects are interpreted as languages; tribes are labelled as rather unique civilizations that seem to have emerged in a region that knows little geographical barriers. This perspective leeds to a “dearabization” of Arabian history before Islam. Arab groups are not always declared as such and are plagued by different descriptions that obscure the fact of their Arab ethnic stock. This is very evident when reconstructing the history of the Arabs in the Roman provinces of the East. Here we meet further peculiarities: Not only is the presence of the Arab factor often and “unwittingly” concealed but also in instances where the presence is rather undeniable, as with the Arab tribes allied with Rome, the Foederati, and the Arab Nomads raiding the Limes, we can observe a rather negative perception of these groups among Greco-Roman historians. The attributes assigned to the Arabs are of course similar to the ones attached to other barbarians. On the

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other hand, on the eve of Islam, a huge proportion of Arabs was devoted to Christianity, thus generating a bond supported by a common faith. Furthermore, the Foederati became an important military factor acting as the Roman shield against the Sassanids and raiding Nomads. Despite this religious integration and important military role the continuation of a rather negative view of the Arabs can be observed. What is even more striking is the fact that the modern Western view of Arab history before Islam is re-using some of the negative images created in the HellenisticRoman period. Mixed with the concept of dearabization this creates rather unclear, distorted historical contours of the Arab presence in the Oriens and even in the Peninsula. What is the reason for this continued “tradition” of Western historical perspective? The mainstream answer in line with Edward Said’s concept of Orientalism would be the aspect of dominance suggesting that nationalistic sentiments of Arabs must be minimized and thus the longue durée of historical past be prevented from feeding any such feelings and, therefore, is deconstructed and concealed. Another explanation would be that the classical historians had clearly been aware of the Arab presence in the East and displayed a certain level of anxiousness towards the Arabs. This becomes clear when Arabs such as Julia Domna, Elagabal, Caracalla, Avidius Cassius and Philippus Arabs reach the upper echelons of Roman power and supposedly threaten to transform the fabric of Roman culture in an “Orientalistic” fashion. These anxious repercussions were then re-used by early Orientalists who focused on this problem of “Orientalization” of the Capitol as part of an anti-Semitic reflex. Obviously, the factor of anxiety also plays a large role in the concept of the “Clash of Civilization”-discourse that seems to work along similar lines when the West reacts to threats by the “old rival”, as Bernhard Lewis defined the Arabs. To compensate for the anxiousness – it has been argued – the negative bias towards the Arabs prevails and this mind-set supports the on-going dearabization of history before Islam. Both sentiments interact. When the Arab element cannot be blurred, as with the Foederati, their role is often mitigated, for example by stating that they “were rather outside than inside” the Roman Oriens and politics, as Greg Fisher puts it. Proponents arguing for a strong Arabian presence in the Oriens, as Irfan Shahîd, are criticised for supposingly overexpanding their argument beyond the observable facts. Shahid’s “faults” become obvious when he – for instance – is trying “(…) to explain away the criticism of historians, such as Procopius.” (Philip Wood). The dearabisation of Pre-Islamic history, a prevailing bias fuelled by anxiety, however, leads to serious problems: namely the question of how the victory of the Arabs over Rome and Persia can be explained and how the script of the Koran can be accounted for, as this text with its complex language has emerged without any comparable scriptural precedence or even monotheistic discourse. To fill this gap, a revisionist school has emerged in the West arguing for a post-creation of the Koran, the Christian and Aramaic contents of the Book and even for an Eastern Christian empire created by the early Caliphs that only transformed into an islamic empire 200 years after Yarmu¯k as the Arab past was invented by unknown editors. Using the Arab view of a longue durée of history however, one could argue that long before Islam a

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monotheistic Arab discourse in the Oriens and Arabia had been taking place. Many Arabs in the Oriens and Sassanid Empire were Christians or accepted the Jewish faith as for instance in South Arabia. In central Arabia itself, Hanifs, seekers of the monotheistic truth, were present. The dispersion of monotheistic ideas had therefore in no way been a new development hindered by a missing Arabic bible or liturgy before the seventh century. Putting together the pieces of this longue durée of Arab political, cultural and religious development, the evolvement of monotheistic ideas aided by the Hellenistic culture seems to have been a rather natural and gradual process, making use of a rich and developed language, and finally a script evolved from the Musnad alphabet, influenced by other scripts such as Nabatean. Similarly, the accompanying political development leading to an Islamic state was rather the completion of a process that has only been delayed by the creation of the Provincia Arabia. The historical critical moment was seized by the Arabs by a superior organisation that was aided by religion; however, the military campaign itself was not a religious movement. Rather, the strong Arab presence in the conquered regions of the Oriens and Iraq not only aided the invasion but the domination of these Roman and Sassanid Arabs was the ultimate goal of the Islamic conquests. Thus, the recognition of the Arab factor and “clamp” not only explains the motivation for the conquests, but also the “easy” integration of the majority of the population of those areas. The complex program designed for this task initially did not use religion as an integrative mechanism, but was rather aligning Christian Arabs and also Jews of the Oriens under the clamp of “Arabness” or even an Abrahamean ecumene. Only with the Abbasid rulers did the Arab-program transform into a multi-ethnical program which understood religion as the main integrative force. The Arab element became less important.

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Karte 1: Orte am Arabischen Golf, die in der in Kapitel 5 erwähnten Gilgamesch-Saga erscheinen (Ur, Dilmun). Das sumerische Dilmun und heutige Bahrain wird von Alexanders Admiralen als Tylos und Arados bezeichnet. Dilmun/Tylos hatte für die Sumerer/Babylonier als Zwischenhändler für den Kupferhandel zwischen Sumer/Babylon und Makkan (Oman) und Meluhha (wahrscheinlich die Industalzivilisation) eine zentrale Rolle.

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Karten

Karte 2: Wichtige Zentren des hellenistischen und römischen Oriens, die in Kapitel 6 Erwähnung finden. Die Strata Diocletiana, die von Damaskus bis zum Euphrat verlief, war ein zentrales Element des römischen Limes Arabicus und somit die Grenzlinie zwischen den arabischen Foederati Roms und den arabischen Vasallen der Sassaniden, den Lahmiden. ˘

Karten

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Karte 3: Orte und Schlachtfelder in der Phase des Übergangs von Rom auf das aufstrebende islamische Reich, welche im Kapitel 7 dargestellt wird. Von Mekka und Medina aus konnten die Araber Mohammeds gegen die Römer und ihre arabischen Foederati in Mu ta (629) zunächst ein Unentschieden und im Jahre 636 bei Yarmu¯k-Ja¯biya einen überwältigenden Sieg erzielen. Damaskus und Jerusalem fielen kurz danach.

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Sachwortverzeichnis ˘ ˘ ˘

Aramäisch 14, 15,19, 39, 53, 85, 140, 148, 149 (FN 26, 30) – als sakrale Sprache 27 – im Koran 16, 17, 142 Arba¯ya 38 Archetypen – im Koran 55 Archias (Admiral) 59 Arethas (Al-Ha¯rith) ˙ – ghassa¯nidischer Pylarch 82, 99 (FN 145), 100, 105, 106 Aurelian 94, 95 Avidius Cassius 92 – 94, 163 Awf – jüdische Araber 127

˘ ˘

Abd Al-Malik 71, 109, 125 Abd Al-Muttalib 35 Abraham 104, 144, 147, 148 – Berater Justinians 99 Abzu 60, 61 Actia Dusaria 92 Aelius Gallus 95 Ahl At-Tawh¯ıd, siehe Hanifen ˙ Alam Al-Mitha¯l – Welt der Gleichnisse 65 Al-Bala¯dhurı¯ 20, 71, 72 Alexander der Große 11, 59, 61, 66, 68, 69 Alexander Severus 78, 85, 86, 89, 144 Al-Khidr 61 – 64 Al-Mahdı¯ 132 Al-Mu allaqa¯t 151, 155 Al-Mundhir (Almoundaros) 116 ¯ Al-Rusafi (irakischer Poet) 154, 155, 158 Al-Samaw al Ibn Adiya (vorislamischer Dichter) 97 Amalekiter 29 Ammianus Marcellinus 67, 98, 103, 104, 105 Amr Ibn Adi 104 Amr Ibn Luhayy (religiöser Reformer) 70 Annona 95, 101, 102 Araber – als Fürsten aramäischer und griechischer Stadtstaaten 76 – als Semiten 16, 19 – mit griechischen und römischen Namen 19, 24, 67 Arabia Deserta 38 Arabia Felix 38 Arabia haeresium ferax 79 Arabische Halbinsel 10, 14, 16 – 19, 22, 24, 29, 35, 38, 39, 44, 46, 109, 114, 117, 119, 120, 122, 123, 143, 144, 147, 155, 169 Arabisierung des Oriens 19, 27, 34, 79, 98, 99, 100, 125, 126 Aramäer 19, 24 (FN 1), 25, 29, 39, 48 ˘

˘

˘

˘

˘

Babylon 19, 21, 38, 48, 58, 68, 69, 165 (Karte) – Zentrum der Wissenschaften 73 – 45 Bahrain 58 – 63, 69, 165 (Karte) Barbaren, Araber als 14, 26 (FN 7), 72 (FN 22), 83, 102, 105, 138, 160 Bashear Suleiman 44 Batis (Kommandant von Gaza) 68 Beit Qatraye 108, 109 Benedikt, Papst 137 Bernhard Lewis 9, 42, 66, 139, 163 Caracalla 26, 78, 85, 86, 88, 163 Cassius Dio 85, (FN 72), 86, 96 Charax Spasinou (Mesene) 76, 166 (Karte) Cicero 56, 85, 103 Cives, Araber als 27, 66, 79, 104, 106 Clash of Civilization 42, 43, 87, 140, 160, 163 Claudius Pompeianus (arabischer Senator) 84, 93 Commodus 89 Dareios 38 De-Arabisierung

Sachwortverzeichnis – Definition 10 – 11, 14 – 18, 21, 23, 24, 28, 39, 42, 44, 47, 48, 54, 84, 89, 90, 97, 113, 114, 115, 120, 122, 126, 134, 138, 140, 142, 143, 147, 150, 160 Dekapolis 71 Dilmun 56 – 60, 63, 69, 165 (Karte) Diogenes von Babylon (Philosoph) 73, 74 Dioklektian 80, 98 Domaszewski von (Deutscher Orientalist) 86, 88, 91 (FN 105), 95 (FN 125)

179

Heraclius 13, 82, 101, 102, 115 – 121, 127, 128, 131, 136, 157 Herodes 78 – als Araber 22, 25, 104 H¯ıra 20 (FN 26), 108, 166 (Karte) ˙ Homer 73, 74

Hagar (Sklavin des Abraham) 34, 104 (FN 38) Hagia Sophia 102 Hanifen 144, 146 (FN 19), 148 (FN 23), 151 – 153, 155 Hatra 49, 76, 85, 90 Hebräisch 28, 47, 53, 149 (FN 30) Hellenisierung 69, 75, 76 Hellenismus 32, 36, 43, 44, 68, 69, 70, 72, 74, 75, 108, 123

Jabala b. Al-Ayham 83, 108 – Apostasie 128 Ja¯biya 13, 66, 100, 115, 167 (Karte) Jahilia 54 Jazm 51 Jehuda bin Koreisch 53 Jemen 9, 10, 35, 50, 52, 53, 95 (FN 127), 146 Jerusalem 58, 102 (FN 155), 104 (163), 117, 130, 131, 132, 167 (Karte) Johannes von Damaskus (Mansur) 110

Edessa 49, 76, 77, 90, 166 Elagabal 78, 83, 85, 87,–89, 91, 95, 144, (FN 10), 163 Emesa 69, 77, 85, 88 (93), 89, 95, 166 (Karte) Enki 56, 57, 60, 63 Eusebius von Caesarea 77 (FN 39), 78, 103 (FN 161) – über Philip 104 – 105 Failaka (Ikaros) 60, 61, 62, 69, 165 (Karte) Faw (Al-Faw) 50, 71, 167 (Karte) Foederati 14, 19, 24, 27, 28, 43, 80 – 82, 95 – 97, 99, 100 – 106, 108, 112, 114, 116, 118, 122, 128, 132, 138, 140, 162, 163 Foedus 82, 96, 104

˘

Gaza 68, 69, 79 (FN 49), 102 (FN 154), 108 (FN 173), 166 (Karte) Genethlius (nabatäischer Rethoriker) 26 Ghassa¯niden 40, 81, 83, 91, 99, 100, 102, 105, 106, 108, 115 – 117, 119, 128, 133 (FN 19) Gibbon Edward 91, 106 Gilgamesch 56 – 58, 60, 63 Gordian 89, 90 Gustav von Grunebaum 36, 37, 124

Iamblichus – arabischer Herrscher Emesas 85 – arabischer Neoplatonist 26 Ibn Barun (Baron) 53 Idumäer 24, 25, 30 (FN 22), 77 Imaginäre Geschichte 55, 56, 58, 64, 65, 74, 74, 127 (FN 27), 148, 152, 159 Imru l-Qais 94 Indignae – arabische Truppen 19, 79 Inzak (dilmunische Gottheit) 59, 61 Irak 13, 16, 20, 56, 58, 59, 67, 76, 85, 114, 115, 118, 122 Irfan Shahîd 18, 24, 40, 96, 103, 163 Islam – als Integrationsmacht 134, 152 – 158 – als Ökumene 127 – Eroberungen durch den 43, 71, 72, 79, 80, 98, 101, 107 – Fälschungen im 42 – Juden im 127 – und Arabertum 114, 122, 124, 125, 132, 133 – und Christentum 108 – 111, 123, 129, 130, 136, 136 – 140, 148 – 152 – und Hellenismus 70 – und Monotheismus 88, 143 – 148 – und Staatenwerdung 35, 41, 112 Iturier 77

180

Sachwortverzeichnis

Juden 17,19, 25, 75, 89, 93, 111, 119, 122, 123, 124, 127, 132, 133, 134, 146, 147, 152, 154, 155, 156, 160 Julia Domna 83 – 86, 95, 102, 138, 139, 163 Julia Mammaea 85 Julia Soemias 85 Justinian 41 (FN 5), 81, 99 – 101, 106, 116

Makkan (Oman) 58, 165 (Karte) Manama 60 Marcus Aurelius 55, 84, 92, 93 Marcus Iulius Philippus 78, 83, 85, 89, 90 – 92, 94, 102, 139, 163 Marj Ra¯hit, Schlacht von 102 ˙ Ma¯t Aribi 38, 39 Matrixsprache, Arabisch als 33, 34, 50, 51, 159, 162 Mavia 82, 91, 95, 96, 104, 105, 149

˘

Lahmiden 20 (FN 26), 38 (FN 54), 81 (58), ˘ 99, 100, 105, 108, 115, 166 (Karte) Laren 157 Limes 80, 82, 93, 98, 99, 100, 101, 103, 108 (FN 174), 116, 162, 166 (Karte) Limitanei 80, 98, 99, 100, 116 Longue durée, arabische Geschichte als 55, 64, 113, 114, 143, 159, 160, 163, 164 Lucian 74, 75 Lucius Julius Salamallianus – Römischer Araber in Belgica 84 Lüling, Günther 143, 150, 151, 155, 157 (FN 63) Luxenberg, Christoph 15, 16

˘

Kaaba 70, 104 (FN 163), 117, 128, 144, 153 Kidenas (Astronom) 73 Klammer, arabische 17, 31, 32, 33, 35, 36, 38, 48, 49, 51, 52, 54, 122, 124, 125 – 129, 131 – 134 Konstantinopel 82, 96, 97, 104, 128, 129 Konvertierung 129, 133, 134 Kopfsteuer 133 Koran 15, 16, 17, 39, 42 (FN 12), 52, 61, 63, 114, 142, 143, 145, 146, 150.152, 155, 163 Kreuzfahrer 16 Kreuzzüge 136 Kulturnation, Araber als 27, 36, 124 – 126 Kureisch 117

Medina 117, 118, 127, 146, 167 (Karte) Mekka 95, 117, 118, 143, 144, 146, 147, 150, 152, 153, 153 (FN 45), 156, 157 (FN 61), 160, 167 (Karte) Mesopotamien 21, 24 (FN 1), 34 (FN 38), 38, 59, 77, 89, 112, 131, 149 Mohammed 9, 15, 20, 53, 69, 107, 114, 116, 117, 127, 129 (FN 1), 142, 143, 145 – 149, 153, 154 (FN 47), 155 – 157, 159, 167 Monophysitismus 79, 82, 106, 116 Monotheismus 42, 73, 88, 91, 143 – 145, 147, 151, 153 – 157 Moses 62 – 65 – arabischer Bischof 82, 96 Moslems 15, 53, 79, 102, 109, 110, 110, 112, 114, 119, 120, 123, 124, 127, 128, 130 – 133, 139 (FN 15) Mu a¯wiya 125, 129, 131 Musnad-Schrift 50 – 53, 71, 148, 159, 160, 162, 164 Mu ta, Schlacht von 102, 117, 167 (Karte) Nabatäer 26, 38 (FN 55), 39, 70, 77, 92 – Araber 25 Nabatäisch 18, 25, 31, 34, 164 Nagˇran 18, 95, 144 (FN 9), 146 (FN 15), 149 (FN 27), 167 (Karte) Nahda (arabischer Modernismus) 43 Namara (Inschrift) 94 Nationalismus, arabischer 28, 40, 160 Nestorianische Kirche 60, 108, 109, 126 (FN 19), 129 Nöldeke 21 (FN 34), 29, 30, 40, 50, 81 (FN 57), 82, 106 (FN 169), 129, 137, 147 Nome Arabia 38, 40 Nordaraber 36, 52 Nordarabisch 50, 51, 53, 71, 159 Notitia Dignitatum 79 (FN 48) Nu’man (letzter lahmidischer König) 108 ˘ Odeanathus 78, 93 Ökumene, abrahamitische 110, 130 Oriens, Definition 13 Orientalisierung 11, 23, 43, 83, 85, 86, 91, 139 Orientalismus 20, 66, 67, 86 – 88, 91, 106, 136 – 139, 140

Sachwortverzeichnis Orientalisten 9, 32, 33, 46, 48, 66, 67, 86, 106, 107, 139, 160

˘

Ta¯ha¯ Husain 43, 44, 54, 75, 151 ˙ ˙ kh Tanu ¯ 34 (FN 39), 81, 94, 132, 133 Taya¯ye 19 ˙ Theodizee 62 Timotheus – Nestorianischer Catholicus 110 Udra 140 ˙ Ugaritisch 47 Ukaz 71, 145 ˙ Umayyaden 108, 109, 129, 132 Umma 115, 127 Uruk 56, 58, 74 Uta-napischti siehe Ziusudra

˘

Quss b. Sa ida – Monotheist 145, 146

Semiten 16, 25, 28, 29, 30, 48, 91, 114, 139 (FN 17), 150, 159, 160 Semitische Sprache 15, 16, 18, 22, 28, 29, 30 – 33, 36, 46, 47, 53, 85, 149 Senatoren, Araber als 66, 79, 83, 84, 90, 92, 101 (FN 150) Septimius Severus 78, 83 – 85, 90 Serverer 83, 88 – 90, 94, 138, 139 Severus Alexander 78 (FN 43), 85, 89 Severus Sebokht (Logiker/Astronom) 74 Shari a 65, 133 Sophronius (Bischof von Jerusalem) 130 Sozomen 96, 97 St. Stephans-Kirche 72 Strabo 24 (FN 1), 25, 38 (FN 54), 59, 68, 77 (FN 38), 85 (FN 72) Strategikon 118 Südarabische Sprachen und Schrift 17, 46, 50 – 53, 71 ˘

Palästina 13, 15, 16, 21, 22, 38, 44, 51, 67, 77, 102, 136 Palmyra 34, 49, 69, 76, 77, 78, 80, 93, 94, 95, 166 (Karte) Peligrini, Araber als 26 Periplus – Seereisebericht 33 (FN 34), 59, 60 (FN 19) Petra 26, 38 (FN 26), 77 Philippopolis – Sabha 91 Philippus Arabs, siehe Marcus Iulius Philippus Pompeius – Neuordnung der arabischen Provinzen 11, 22, 66, 77 Procopius 41, 67, 99, 105, 106, 163 Prodosia (Verrat) 101, 106 (FN 170) Prophyry (Malchius) – Neoplatonist 26 Provincia Arabia 22, 38, 72, 92, 164 Pylarchen 49, 81 – 83, 85 (FN 72), 95, 100 (FN 147), 105, 128

181

˘ Rassismus 42, 103 Rhomaioi, Araber als 19, 26, 66, 74, 84, 85, 93, 96, 101, 103, 114, 119 (FN 25), 122 Ridda-Abspaltungskriege 114, 115 Römisches Reich 10, 15, 22, 78, 79, 87 – 89, 94, 96, 98, 102, 103, 105, 106, 116 (FN 13), 138, 160 Said, Edward 20, 66, 67, 136, 137 (FN 3), 139, 163 Salı¯h 81 ˙ Sarazenen, Araber als 19, 36, 95, 96, 110 Sassaniden 10, 15, 79, 112, 115, 131 Saudi-Arabien 19, 44, 50, 60, 71, 108, 109, 144 Sayif I. Di Yazhan (südarabischer König) 35 Scenitae, Araber als 102 – 105 Schlözer, von 16, 28

Valens 82, 96, 104 Vespasian 84 Wanderbewegungen, arabische/semitische 29, 30, 34, 48, 65, 75, 159 Wansbourgh, John 142 Waraka 147, 149 (FN 30) Wellhausen 30 (FN 21), 70, 144 – 146, 153 (FN 45) Yarmu¯k 13, 15, 19, 66, 81, 82, 100, 101 (FN 150), 102, 108, 112, 115, 117, 122, 124, 128, 130, 131, 132, 163, 166 (Karte)

182 Zenobia 78, 91, 93 – 96 Ziusudra 57, 58, 63

Sachwortverzeichnis Zosimus 67, 85, 90, 91, 103 (FN 161)